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Full text of "Nachrichten von der K. Gesellschaft der Wissenschaften und der Georg-Augusts-Universität"

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INachrichten 


äe^.«4»  "•  SSfeTvivs* 


von  der 


K.  Gesellschaft  der  Wisseuscliaften 


and  der 


(xeorg  -  Aagusts  - 1  Diversität 

aus  dem  Jahre  1877. 


Göttingen. 
In  Commission  in  der  Dieterich'schen  Buchhandlung. 

1877. 


r/O 

/üoO 

^'^i'i^        61H738. 


Man  bittet  die  Verzeichnisse  der  Accessionen 
zugleich  als  Empfangsanzeigen  für  die  der  kgl. 
Societät  übersandten  Werke  betrachten  zu  wollen. 


Oöttlngren, 

Dmck  der  Dietericbachen  üniv.  -  Buchdrnokerei. 
W.  Fr.  KaoBtfc^. 


Xachricil  ten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


17.  Januar.  Mk  1.  1877. 


Königliche   Gesellschaft  der  Wissensc haften. 

Sitzung  am  6.  Januar. 

Benfey:  Ztvs  FtUay. 

—  Karbara ,  oder  Karvara  'gefleckt ,  scheckig' :  Indo- 
germanische Bezeichnung  der  dem  Beherrscher  der 
Todten  gehörigen  Hunde. 

Wiesel  er,   Archäologische  Miscellen. 


Zsvi  Feliiov, 

Von 
Theodor  Benfey. 

§  1. 
Als  ich  den  Aufsatz  über  jdjhjhaüs  in  diesen 
Nachrichten  1876  S.  324  veröö'entlichte,  in  wel- 
chem gezeigt  ward,  daß  in  den  Veden  die  'Blitze' 
als  'Lachen'  gefaßt  werden ,  war  mir  der  Zivg 
Fflsbov,  der  und  dessen  Ugoxr^gvi  in  einer  atti- 
schen Inschrift  erwähnt  wird  (mitgetbeilt  in: 
'Die  Demen  von  Attica  und  ihre  Vertheilung 
unter  die  Phylen.  Nach  Inschriften  von  Ludw. 
Ross.     Herausgegeben    von  M.  H.  E.   Meier. 

1 


i2    . 

TT  n     ^QAR    GS    VIT— IX)  keinesweges  entgangen 
Halle  184b.   0.   vu     a^;  ,.     yersucbung 

augefocMen  werden  durfte^^^^^.^^    ^^^^ 

Doch     hielten     micn    K'"  7,,,ammenstellung 
Rücksichten  'on  d.eser  vol.  n  Zusa^^m^^^^^^^      ^b 

nnd  ^-«T'\'Z^Z\'^^r^.Ces'ies  Blitzens 
inuevte  ich  m>'=l>/<'"lf„ jSen  Literatur;  zwar 
»;'  ^^?'rU"meiiet  ne  «"g  wenig  Gewicht 
wiitde  ich  aut  f «"'"  t^\.  ,:  5°  „  Studien  schon 
gelegt  baten;  denn  ich  bud  es      ^^^    ^.^   .^j^ 

seit    so    lang«  /eit    «""',.'  deren  yer- 

Verlranen   verdient;    ""e'^  «""»J '^        keinem 
traute  Bekanntschaft  mit  <len  M«  ^^^ 

Zweifel   unterhegen  kann,    bestall  ten 
„ein  GeJächtniß  mich  in  t.f  daß  dt    Epitheta 
täusche.      Zweitens  fand    "^^  J'^'^^Verehrung 
unter  denen  Zeus  AHare  hatte  odev  ^^„ 

genoß,  stets  in  ^-er  Wortform      cheme  ,^^^  ^^^^ 
die  Sache,  wegen  der  er  vei  tu  1  '  g.  f.^nof, 

ganz  eigentlichen^ orte  bezeichnen    ^-^       ^^^_ 

%ß,.o,,  pluvins   <'ffl^^^^^Z7oJ,tl  rendus 
cur  oder  fulmen  (vgl.  1  oucar  1 

le  l'Acad.    des   Inscr.   \'    B;^ ^„„^X  oleinhch, 

Es    schien    ra,r  d'^''^^  »""^''Ihe  Gewissermaßen 
daß  Z«'5  irgendwo  «>»«  "itaathc  le  fce 
officicUe  Verehrung  unter  e  neu  Na  «onß      ^^^^ 
ÄÄ   Äerl^ÄlgV  B.it.ens 

Süt  Lachen  beruht  ludte  ^^_^^  ._^  .„. 

„eJ^rSfurWortUi;  war  dessen  Bc- 


sprechung  doch  für  die  Aufgabe  desselben  un- 
nöthig  und  hätte  vielleicht  sogar  störend  gewirkt. 
Die  Erklärung  desselben  stand  mir  jedoch  schon 
damals  unzweifelhaft  fest  und  ich  erlaube  sie 
mir  jetzt  mitzutheilen. 

Fskicav  schließt  sich  augenscheinlich  als  Ptcp. 
Präs.  au  das  von  Hesychius  angeführte  Verbum 
yehly,  welches  er  durch  J.dftnetyj  dv^etv  (corri- 
girt  wohl  mit  Recht  zu  aX^tiv)  erklärt.  Dazu 
gehört  auch  das  ebenfalls  bei  Hesych.  augeführte 
sbst.  yiXa-v,  welches  er  durch  avyi^^v  r^Uov  glossirt. 

Xcifinety  wird  aber  vom  'Blitzen'  gebraucht, 
z.  B.  Hom.  II.  XL  66 

näg  d'  äqa  xaXxM 

Xtt}i(f\  agT*  aifQOnr/  nargog  Jioq  aSytöxoio. 
vgl.  auch  Aesch.  Persae  167,   Aristoph.  Nub.  395. 

Wir  werden  also  iu  Ztv;  Fskscov  unbedenklich 
den  'blitzenden  Zeus'  erkennen  dürfen. 

Das  Verbum  yiXiia  für  ursprünglicheres 
YiX-tidi  oder  yel-sjco  ist  durch  den  Zutritt  von 
ursprünglichem  indogermanischen  «/«,  späterem 
aya  gebildet  und  hat  die  Bedeutuug  eines  Cau- 
sale.  Das  primäre  Verbum  yeX  entspricht  dem 
sskrit.  jval  'flammen,  leuchten'  welches  vom 
'Blitze'  gebraucht  wird,  z.  B.  Varähamihira  Bri- 
haijätaka  S.  32.4  (im  Petersburger  Sanskrit- 
^Yörterb.  III.  169)  und  Adbhuta-Br.  iu  Weber, 
lud.  St.  L  41.  Die  ursprüngliche  iudogerm. 
Form  ist  fßar;  yel-tio  oder  ytk-irjo  bedeutet 
also  wörtlich  'leuchten  machen'  =  'blitzen'. 

§  2. 
Ob  sich  auch  der  attische  Phylenname  Fe- 
ksovzsg  daraus  erklären  lasse,  ist  durch  sachliche 
Gründe  festzustellen,  deren  Aufbringung  und 
Würdiguug  Aufgabe  der  classischeu  Philologie 
sein  würde,  nicht  des  Linguisten. 

1* 


Dagegen  wird  sich  Jeder  die  Frage  aufwerfen 
dürfen:  ob  nicht  in  der  That  das  lautlich  dem 
YsXsm  so  nahe  stehende  ^«A««  'lachen'  mit  ihm 
ursprünglich  identisch  sei,  und  zu  dieser  Frage 
wird  mau  um  so  mehr  gedrängt,  wenn  man  sich 
erinnert,  daß  im  Indischen  das  'Blitzen'  und  alles 
'Strahlen,  wie  wir  oben  an  dem  angeführten  Orte 
der  Nachrichten  (iusbes.  S.  329  ff.)  gesehen  haben, 
mit  'Lachen'  verglichen  oder  vielmehr  geradezu 
als  ein  solches  aufgefaßt  wird. 

Vergleicht  man  nun  Stellen,  wie  Hom.  II. 
XIX,  362 

cdylti  ö'ovQuvuv  hs,  ysXaoas   öl  näaa  neql  x^^^ 
XceXxov  vno  aisQonijg 

'es  lachte  (=  blitzte)  die  ganze  Erde  unter^  des 
Erzes  Blitz',  oder  Phrynichos'  dxviiaiog  dt  nog^^fidg 
iv  (fqtx^  ysX(f  (in  der  Pariser  Ausgabe  des  Ste- 
phanus*  unter  yfXdo)  p.  552),  dann  wird  es  wohl 
unzweifelhaft,  daß  das  griechische  reXdo)  'lachen' 
und  yfXsM  'stralilen'  ursprünglich  ein  und  das- 
selbe Wort  ist.  Die  Verbindung  beider  Bedeu- 
tungen findet  aber  ihre  Erklärung  nur  in  der 
Annahme,  daß  die  im  Indischen  —  speciell  dem 
Vedischen —  bewahrte  Vergleichung  und  Bezeich- 
nung des  'Blitzens'  'Strahlens'  mit  und  durch 
'Lachen'  schon  in  der  Indogermanischen  Zeit 
herrschte  und  bei  den  Hellenen,  ehe  sie  ganz 
außer  Gewohnheit  kam,  so  mächtig  war,  daß 
yeX  in  reXäco  seine  ursprüngliche  Bedeutung 
'leuchten',  dadurch  ganz  verlor  und  die  Bedeu- 
tung annahm,  welche  durch  sehr  häufigen  Ge- 
brauch des  Vergleichs  in  ihm  iibermächtig  ge- 
worden war,  gerade  als  wenn  bei  uns  durch  die 
Wendung  'sein  Gesicht  strahlt',  'es  strahlt  vor 
Freude'  das  Verbum  strahlen  die  Bedeutung 
'sich  freuen'  annehmen  und  diti^'eigentliche  'strah- 
len'   verlieren    würde.     Zur   Herbeiführung    des 


Verlasts  der  Bed.  'blitzen'  iu  yeldat  wirkte  na- 
türlich insbesondere  der  Umstand  mit,  daß  sich 
andre,  z.  B.  vor  allem  als  fast  technisches  Wort 
doiodnxb)  in  dieser  Bed.  geltend  machten.  Nicht 
unmö^^lich  wäre  auch,  daß  sich,  wie  in  den 
Sprachen  so  oft  geschieht,  wenn  ursprünglich 
gleiche  und  nur  phonetisch  diflFerenziirte  Formen 
sich  neben  einander  erhalten  (vgl.  die  Abhand- 
Inng:  über  das  Zahlwort  du,  in  den  Abhudlgen 
XXI.  3,  S.  6  flF.)  die  beiden  Bedeutungen  'leuch- 
ten (strahlen)'  und  'lachen'  einst  durch  die  Dif- 
ferenziiruug  von  gval-aia  oder  gval-aya  zu  y<Aa« 
und  YsXibü  von  einander  schieden  und  die  erstere 
nur  ysXiia  verblieb,  yfldco  dagegen  die  letztre 
allein  annahm;  nachdem  dieser  Zustand  vielleicht 
einige  Zeit  geherrscht  hatte,  wurde  dann  ysA«'« 
durch  Xcifinu),  daigdmut  u.  aa.  ganz  verdrängt. 

Das  Griechische  bildet  dann  gewissermaßen 
iu  diesem  üebergang  einen  Gegensatz  zu  dem 
Indischen;  während  in  letzterem  smi  'lachen'  m 
^iniamäna  Rv.  II,  4,6  die  Bedeutung:  'blitzen' 
u:  _.>nommen  hat,  hat  das  Griechische  Yf)Mtüij 
tiiit-ntlich  'leuchten  macheu'  =  strahlen,  blitzen, 
uit'se  Bed.  nur  in  yeksco  bewahrt,  in  yfXdio  da- 
gegen die  Bed.  'lachen'  angenommen;  ein  bedeu- 
tender Unterschied  liegt  jedoch  darin ,  daß  im 
Sskrit  ^smi'  seine  eigentliche  Bed.  'lachen'  be- 
wahrte ,  das  Griechische  dagegen  in  ytXdu)  die 
Bed.  'leuchten  machen'  ganz  eingebüßt  hat. 

Ist  diese  Auffassung  richtig,  und  ich  glaube, 
daß  sich  vernünftige  Gründe  dagegen  nicht  auf- 
bringen lassen,  dann  ist  yelsm  sowohl  als  yfldut 
zu  grdsprchl.  gvar  ^    neben  sskr.  jval  zu   stellen. 

Beiläufig  erinnere  ich  daran,  daß  ich  schon 
vor  fünf  und  dreißig  Jahi-en  auch  dydXJ.M  (im 
Griech.  Wurzellex.  II.  342,  Z.  I  v.  u.  ff.)  zu 
sskr.  jval   gestellt   habe.     Freilich   habe  ich  da 


mit  Unrecht  das  anlautende  d  =  sa  gesetzt. 
Es  ist  vielmehr  ein  y  davor  eingebüßt,  wie  in 
sysigoo  für  ysyetgco^  welches  ich  schon  in  demsel- 
ben Werke  IL  128  so  erklärt  habe.  Die  Ein- 
buße von  anlautenden  Consonanten  in  der  Re- 
duplicationssilbe ,  von  welcher  ich  nicht  wenige 
Beispiele  in  meinen  Schriften  aufgeführt  habe, 
ist  Folge  des  Dissimilationstriebs,  welcher  sich 
gerade  vorzugsweis  in  der  Reduplication,  sowohl 
im  Sskrit  als  Griechischen,  geltend  gemacht  hat; 
äyaklo  verhält  sich  zu  dem  sanskritischen  jä- 
jvalya,  grundsprachlichem  gagvaria,  sowohl  in 
Form  als  categorischer  Bedeutung  (objectiver 
statt  subjectiver),  genau  so  wie  iysiqo  für  syiQio 
sich  zu  grundsprachlichem  gagaria,  welchem  sskr. 
*jägriya  für  jägarya  entspräche,  verhalten  würde. 
Danach  ist  es  ein  Intensiv,  aber  älterer  Art, 
weil  noch  ohne  Dehnung  des  Vocals  in  der  Re- 
duplication ,  also  identisch  mit  den  durch  Redu- 
plication gebildeten  Präsensthemen ,  welche  aus 
den  alten  Intensiven  hervorgegangen  sind  und 
in  der  Bildung  wesentlich  übereinstimmend  mit 
tnaivo  aus  u-rav-io.  Die  etymologische  Bedeu- 
tung von  äyalXo  ist  'sehr  leuchten  machen'. 

Es  •  versteht  sich  übrigens  von  selbst ,  daß 
nicht  vor  jedem  anlautenden  Vocal ,  welcher 
sich  durch  Vergleichung  der  verwandten  Sprachen 
als  nicht  der  sogenannten  Wurzel  angehörig  er- 
giebt,  und  eben  so  wenig  als  grammatisches 
Bildungselement,  der  Abfall  oder  Nich teintritt 
eines  Reduplicationsconsonanten  anzunehmen  ist. 
Es  bedarf  für  jeden  Fall,  welcher  hieher  zu  ge- 
hören scheinen  könnte,  einer  speciellen  Unter- 
suchung. Im  Allgemeinen  kann  man  jedoch  sa- 
gen, daß  jeder  Vocal  der  Art,  welcher  vor  grund- 
sprachlichem r  =  griech.  q  ujid  ^,  grundsprach- 
lichem m  und  Vy  so  wie  s   rfftt  unmittelbar   fol- 


genden  Consonanten  erscheint,  das  Präjudiz  für 
sich  hat,  rein  phonetisch  entstanden  zu  sein, 
vor  r  (?)  aus  dem  vocalischen  Element,  welches 
in  r  liegt,  vor  m  und  v  aus  dem  Vocal,  welcher 
die  Bildung  dieser  Laute  gewissermaßen  einleitet 
(vgl.  z.  B.  grdspr.  rudhra  s-qv^qo,  roth,  grdspr. 
riidh  =  i-Xv9^,  kommen,  grdspr.  marg  =  dykfQYy 
äfiiXy .  6-^OQy-vv,  wischen,  grdspr.  visva  = 
s-^l<yo,  siao.  In  allen  andern  Fällen,  vielleicht  noch 
n'  und  anlautende  Doppelcousonanz  überhaupt 
ausgenommen,  ist  das  Präjudiz  dafür,  daß  ein 
Reduplicationsconsonant  vor  dem  Yocal  einge- 
büßt sei,  z.  B.  ötQvvo)  ein  von  einem  aus  grdspr. 
/«>•,  durchdringen ,  vermittelst  des  Ptcp.  Pf.  red. 
(tafarvans)  entstandeneu  Adj.  iotqv  für  tataru 
'sehr  durchdringend  =  eilend'  (vgl.  die  Bedd. 
des  sskr,  tar)^  abgeleitetes  Denominativ:  eilen 
machen  =  antreiben.  Doch  ist,  wie  gesagt,  je- 
der Fall  auf  das  genaueste  speciell  in  Erwägung 
zu  ziehen;  derartige  allgemeine  Principien  kön- 
nen höchstens  als  erste  Directive  bei  der  Unter- 
suchung benutzt  werden  und  erweisen  sich  nicht 
selten  irrig.  So  ist  z.  B.  griech.  dftßXv,  stumpf, 
trotz  des  auf  a  folgenden  /*  und  der  dreifachen 
Consonauz  wesentlich  wie  otqv  entstanden,  näm- 
lich aus  dem  grdspr.  Vb.  mru  =  sskr.  mld 
'schwach  sein',  reduplicirt  mamrct,  Ptcp.  Pf.  red. 
mamrdväns,  daraus  Adj.  mamrü  =  a^Xv  mit  pho- 
netisch aus  /*  entwickelten  ß  dfjßXv. 

Schließlich  erlaube  ich  mir  noch  auf  die  Ue- 
bereinstimmung  des  Griechischen  mit  dem  Sans- 
krit in  Bezug  auf  das  J  in  yiX  =  jval  aufmerk- 
sam zu  machen.  Es  ist  einer  der  unzähligen 
Fälle  ,  in  denen  das  Griechische  sachlich  (z.  B. 
in  Religion  und  Mythologie)  und  sprachlich  mit 
dem  Sanskrit  übereinstimmt.  Schwerlich  erklä- 
ren  sie   sich   durch  den  fast  gleichzeitig  frühen 


8 

Anfang  griechischer  und  indischer  Cultur.  Wenn 
ich  noch  jung  wäre,  würde  ich  es  für  eine  der 
wichtigsten  und  großen  Erfolg  versprechenden 
Aufgaben  halten,  eine  alle  diese  gegenseitigen 
Beziehungen  im  Griechischen  und  Sskrit  sam- 
melnde und  genau  erwägende  Untersuchung  aus- 
zuarbeiten. 


Karhara  oder  ^ar^'ara 'gefleckt, scheckig': 

Indogermanische     Bezeichnung      der 

demBeherrscher  derTodten  gehörigen 

Hunde. 

Von 

Theodor  Benfey. 

Als  gabäla  'scheckig'  werden  Rv.  X.  14,10 
die  beiden  Hunde  bezeichnet,  welche  im  Dienste 
des  Yama^  des  Herrschers  der  Todten,  stehen. 
Damit  man  ihr  Wesen  einigermaßen  aus  dem 
Original  kennen  lerne,  (vgl.  jedoch  Muir, 
Original  Sanskrit  Texts  V  .294  ff.)  erlaube  ich  mir 
die  drei  Verse,  10—12,  =  Ath.  XVEI.  2,11—13, 
in  welchen  sie  in  diesem  Liede  geschildert 
werden,  im  Text  und  Uebersetzuug  mitzutheilen. 
Es  ist  ein  Todtenlied  oder  Todtengebet,  vorge- 
tragen bei  der  Bestattung,  und  die  drei  Verse 
sind  an  den  Verstorbenen  gerichtet ;  sie  lauten  : 
"äti  drava  särameyaü  9vä'nau') 

caturakshaü  9abalau  sädhünä  patha'  | 
athä  pitri'nt  suvidaträw  üpehi^) 

Yamena  ye  sadhamä'dam  madanti  ||  10 

•     1)  Zu  lesen  ^ud^nau.  ^ 

2)  Ath.  üjnhi.  *^ 


yaü  te  ^vä'nau  ^)  Yama  rakshHä'ran 

caturak«haü  pathiräkshi  nricäkshau*) 
ta  bhväm  euam ')  pari  dehi  räjant 

svastf  cäsiua  anamivam  ca  dhehi  ||  11 
urünasaü  asutnpä  udumbalaü 

Yamäsya  dütaü  carato  jäuä«»  änu  | 
tav  asmäbhyam  drigäye  sü'ryaya*) 

pünar  dätäm  asum  adyehä  bhadräm  ||  12. 
10.  Eile  vorüber  an  den  beiden  Hunden, 
den  Sprossen  der  Saramä ,  den  vieräugigen, 
scheckigen  auf  dem  guten  Pfade  (d.  h.  dem. 
welcher  zum  Sitz  der  Seligen,  dem  Himmel 
führt;  der  Sinn  ist:  mögen  dich  die  beiden 
Hunde,  welche  den  Bösen  den  Weg  zum  Himmel 
versperren ,  nicht  von  diesem  zurückhalten) ; 
dann  geselle  dich  sogleich  zu  den  Vätern  als 
huldreichen  (d.  h.  die  du  als  dir  günstige 
huldreiche  finden  mögest),  welche  mit  dem  Yama 
gemeinsamer  Freude  sich  freuen  (d.  h.  welche 
an  der  Tafel  des  Herrschers  der  Seligen  mit 
ihm  zusammen  schmausen). 

12.  Welche  beide  Hunde,  Yama,  deine 
Wächter  sind,  die  vieräugigen,  den  Pfad  (zum 
Himmel)  bewachenden.  Männerdurchschauenden 
(d.  h.  wissend,  ob  sie  verdienen  in  den  Himmel 
zu  gelangen,  oder  nicht),  diesen  beiden  übergieb 
ihn  zum  Schutze^),  (d.  h.  daß  sie  dafür  sorgen, 


1)  Zu  lesen  cud'nau. 

2)  Ath.  pathishiidt  nricakshasd. 

3)  Entweder  zu  lesen  tdbhidm,    oder  der  erste  Fuss 

dreisilbig |  —vv—  \  v ;  Ath.    tabhyam.   rdjan 

pari  dhehij  enam  svasty  dsmd. 

4)  Zu  lesen :  suridya. 

5)  Vgl.  paridd  und  pariddna  (im  St.  Petersb.  Wtbch. 
IV.  528)  das  Sichüberlassen  der  Gnade  oder  dem 
Schutze  eines  andern.  Man  kann  auch  an  die  3. 
Bed.  von  pariddna,  Wiederabliefer  u  ng  eines  Pfan- 


10 

daß  er  glücklicli  in  den  Himmel  gelangt),  o  Kö- 
nig!  und  spende  ihm  Heil  und  Leidlosigkeit. 

13.  Die  beiden  breitnasigen,  unersättlichen, 
feigenfarbigen,  wandern  als  Boten  des  Yama 
umher  unter  den  Menschen ;  sie  beide  sollen 
uns  geben  heute  auf  Erden  wiederum  ein  glück- 
liches Leben:  die  Sonne  zu  sehen  (d.  h.  nachdem 
wir  durch  den  Verstorbenen  in  Trauer  versetzt, 
soll  uns  durch  des  Yama  Boten  fortan  wieder 
zu  Theil  werden ,  freudig  zur  Sonne  empor- 
zublicken). 

Daß  diese  beiden  Hunde  dem  Wesen  nach 
innigst  verwandt  sind  mit  dem  griechischen 
KsgßsQO?  ist  schon  lange  von  Weber  erkannt  (In- 
dische Studien  H.  (1852)  298);  auch  schon 
—  und  zwar  im  Wesentlichen  richtig  —  der 
griechische  Namen  als  identisch  mit  gabcäa  nach- 
gewiesen (vgl.  meine  Anzeige  in  den  Gott. 
Gel.  Anz.  1852,  Januar  S.  134).  Wenn  ich  mir 
trotzdem  erlaube,  diesen  Gegenstand  einer  noch- 
maligen Behandlung  zu  unterwerfen,  so  geschieht 
dies  einmal,  weil  diese  Identification  nirgends 
Eingang  gefunden  hat ,  z.  B.  weder  bei  Grass- 
maun,  noch  bei  Fick,  ferner  weil  sie  mir  in  der 
That  auf  etwas  andre  Weise  angegriffen  und 
erwiesen  werden  zu  müssen"  scheint,  als  dort 
geschehen  ist,  um  in  dem  Indogermanischen 
Sprachschatz  und  der  Indogermanischen  Mytho- 
logie ihre  wohlverdiente  Stelle  einnehmen  zu 
können  und  in  ihnen  fest  eingebürgert  zu  werden 

des  denken,  vgl.  griechisch  TjtQtdiJo/uat  'zum  Pfände  ge- 
ben'. Dann  wäre  der  Sinn  'gieb  ihn  ihnen  wie  ein  Pfand' 
das  sie  im  Himmel  dir  abliefern  müssen.  Wenn  ^part 
dhd  'umlegen' ,  etwa  in  energischer  Bedeutung  'fest  um- 
legen'. 80  viel  wie  'ans  Herz  legen'  bedeuten  kann,  was 
mir  sehr  wahrscheinlich  ist ,  dann  ziehe  ich  die  Leseart 
des  Atharvavoda  vor  und  übersetze  c^idiesen  beiden  lege 
ihn  aus  Herz'. 


II 

und  endlich  weil  sie  zu  einigen  ,  sowohl  für  die 
Sprache  der  Veden  als  auch  für  die  indogerma- 
nische Grundsprache  nicht  unwichtigen ,  Ergeb- 
nissen zu  führen  oder  wenigstens  den  Weg  an- 
zubahnen scheint. 

§  2.    . 

Nachdem  durch  eine  nicht  unbeträchtliche 
Anzahl  von  Wörtern  den  Einfluß  der  Volksspra- 
chen auf  die  Sprache  der  Veden  hinlänglich 
nachgewiesen  ist,  dürfen  wir  schon  ohne  weiteres 
annehmen ,  daß  ^ahala ,  neben  welchem  auch 
^avala  erscheint,  zunächst  einem  Päli-,  oder 
Präkrit-Wort  rahhala,  mit  hh  für  rh  (E.  Kuhn, 
Beitr.  z.  Päli -Gr.  S.  49;  Lassen  Inst.  1.  Pracr. 
p.  250),  entspreche,  jedoch  ohne  Gemination,  wie 
sie  zwar  weder  im  Päli,  noch  im  Präkrit  für 
sskr.  rh  fehlen  dürfte  —  denn  die  Regel  bei 
Lassen  396;  397  beruht,  wie  mich  mein  geehr- 
ter College  Pischel  mit  Verweisung  auf  Cowell 
zu  Vararuci  p.  179,  Anm.  1,  belehrt,  auf  einem 
Mißverständniß  —  wohl  aber  in  den  neuern  in- 
dischen Volkssprachen  fehlt,  vgl.  weiterhin  Sindhi 
Jcahifo,  Hindi  Jcaharä,  Maräthi  Icahara ,  ferner 
nach  Pischels  Mittheilung  Hindi  äuhalä,  Maräthi 
duhcM,  Gujaräti  äuhaXum,  Bangäli  duhald,  Sindht 
d?rb/ro,  nach  Trurapp  (Siudh!  Grammar  p.  XXX) 
auch  ([tihilo,  alle  für  sskr.  durhala. 

Wir  gelangen  damit  zu  garbala.  Dieses  selbst 
findet  sich  zwar  im  Sanskrit  nicht,  wohl  aber 
mit  V  statt  des  h  (wie  in  dem  schon  erwähnten 
gavala  neben  rahdia)  und  mit  ;•  statt  des  l  Har- 
vard in  derselben  Bedeutung  'scheckig'.  Im  Rv. 
(V.  52,3)  erscheint  das  Fem.  rdrvan,  dessen  Ac- 
cent,  wenn  er  auch  für  rarvara  anzunehmen 
ist,  ganz  mit  dem  von  KsgßfQo  übereinstimmt. 
Sayana  faßt  es  in  der  Bedeutung,    welche  dieses 


12 

Wort  als  Subst.  gewöhnlich  hat :  'Nacht'  (eigent- 
lich die  gefleckte,  d.  h.  der  dunkele  Nachthimmel 
mit  den  Sternen  darauf)  welche,  beiläufig  bemerkt, 
in  den  Veden  nicht  vorkömmt  und  auch  hier  keinen 
Sinn  giebt,  wie  man  sich  aus  Alfr.  Ludwig's  Ueber- 
setzung(II.  298)  überzeugen  kann,  welcher  ihm  ge- 
folgt ist.  Das  Ptsb.  Wtbch.  faßt  es  in  der  Bed.  'bunt' 
(aus  'scheckig'),  sicherlich  mit  Recht;  dagegen 
glaubeich  daß  es  mit  Unrecht  darin  eine  Bezeichnung 
der  'Thiere  der  Marut's'  sieht.  Der  Stolleu  lautet: 
tesyandra  so  nokshänö  ^)  'ti^)  shkandanti  9ärvarih  | . 

Es  werden  die  Windgottheiten  beschrieben, 
welche  den  befruchtenden  Regen  zur  Regenzeit 
bringen;  syandrä,  von  syand  'träufeln',  bedeutet 
besamend:  samenreich,  wie  Stiere  oft  be- 
zeichnet werden;  dti  shand  heißt  'bespringen' 
von  Thieren,  dann 'befruchten';  f«r?;an 'scheckig' 
ist  hier  Epitheton  der  'Kühe'  (bunte  Kuh);  das 
Epitheton  dient  statt  des  dadurch  bezeichneten, 
wenn  es  oft  als  Eigenschaft  des  dadurch  bezeich- 
neten erscheint,  oder  aus  dem  Zusammenhang 
von  selbst  verständlich  ist,  wie  bei  uns  'Braune' 
statt  'braunes  Pferd',  'Schecke'  statt  'eines  sche- 
ckigen'. Daß  hier  darunter  Kähe  gemeint  sind, 
versteht  sich  von  selbst,  da  vom  Bespriugen 
derselben  durch  die  Stiere  die  Rede  ist. 
Ich  übersetze  demnach: 

'Sie  (die  Maruts)  bespringen  (befruchten) 
wie  (Samen)träufelnde  (-triefende,  d.  i.  samen- 
reiche,   kräftige)  Stiere   die  scheckigen  (Kühe)'. 

Das  r  welches  uns  hier  in  ^ärvara  begegnet 
ist  erscheint  auch  in  einer  gleichbedeutenden 
Nebenform  von  gahula  nämlich  gahara.  Diese 
führt,  wie  gahdla  durch  gahhala  zu  garhala,  so 
durch    gabhara    zu    garhara.    Und   wir  erkennen 

1)  Zu  lesen  nä  iikshdno.  ,«> 

2)  Zu  lesen  ukahihv)  äli. 


13 

nun,  daß  das  l  in  ^abdla  für  garbäla  statt  des 
r  in  fjabara  für  garhara  in  Folge  des  gerade  im 
Wechsel  von  r  und  l  sieh  sehr  häufig  geltend  ma- 
chenden Dissimilationstriebes  eingetreten  ist  und 
garhdra  die  Grundform  der  bis  jetzt  besprochenen 
Wörter ,  mit  der  Bedeutung  'scheckig',  bildet. 

Da  aber  dem  sskr.  q  griechisches  x,  dem  sskr. 
a  griech.  «  und  o  entsprechen,  so  ist  dieses  for- 
hdra  von  Laut  zu  Laut  identisch  mit  dem  grie- 
chischen KigßeQO.  Nur  im  Accent  findet  eine 
Verschiedenheit  zwischen  rabi'da  =  *garhura  und 
KsgßfQo  Statt.  Sie  würde  sich  erklären  lassen ; 
allein  es  ist  sehr  fraglich,  ob  wir  mit  Recht 
garhdla  accentuiren  dürfen  und  ob  überhaupt 
die  Accentuation  gabdla  richtig  war.  Denn  wir 
sahen  schon  daß  die  Accentuation  von  Qdn'arl 
auf  ein  gdrvara  schließen  läßt,  welches  gerade 
wie  KsQß(Qo  proparoxytouirt  ist.  Doch  bemerke 
ich  sogleich,  daß  die  Frage  über  die  ursprüng- 
liche Accentuation  dieses  Wortes  noch  mehr 
verwickelt  wird  dadurch  daß  wir,  außer  der  Pa- 
roxytonirung  in  gahäla  und  der  Proparoxytoni- 
rung  in  gdrian ,  weiterhin  noch  Nebenformen 
mit  Oxytonirung  finden  werden.  Ich  glaube  daß 
sie  kaum  mit  voller  Sicherheit  wird  entschieden 
werden  können,  auf  keinen  Fall  ohne  umfassende 
und  eindringende  Behandlung  der  grundsprach- 
lichen Accentuation  überhaupt.  Durch  die  Üe- 
bereinstimmuug  zwischen  gdrvara  und  Ksgßtgo 
ist  zwar  kein  geringes  Präjudiz  für  grundsprach- 
liche Proparoxytonirung  gegeben,  doch  läßt  sich 
auch  für  die  Oxytonirung  sehr  viel  geltend  ma- 
chen. Am  uuwahrscheiulichsteu  ist  grundsprach- 
liche Paroxytouirung.  Doch  enthalte  ich  mich  für 
jetzt  näher  darauf  einzugehen;  denn  eine  ein- 
gehende Behandlung  kann  dieser  wie  ähnlichen 
Fragen  nur  in  der  Accentlehre  zu  Theil  werden. 


14 

Wie  dem  Namen  nach  so  stimmt  KsgßsQO 
mit  den  Hunden  des  Yama  auch  der  Sache  nach 
im  Wesentlichen  übereia ;  selbst  die  in  der  an- 
geführten Stelle  des  Rv.  erscheinende  Bezeichnung 
derselben  als  'vieräugige'  trifft  auch  für  den  Ker- 
beros zu  (s.  Breal,  Hercule  et  Cacus,  p.  123, 
nach  dem  Schob  zu  Enrip.  Phoen.  v.  1123). 

Da  nun  der  grundsprachliche  Zt-Laut,  welches 
durch  sanskrit.  g  widergespiegelt  wird,  jetzt  fast 
allgemein  als  ein  besondrer  betrachtet  wird,  zum 
Unterschied  von  ä;,  bei  Fick  durch  lg  bezeichnet, 
so  wäre  die  Eutwickelung  der  bis  jetzt  besproche- 
nen Formen  folgende ;  die  als  vermittelnde  an- 
genommenen, und  bisher  nicht  belegbaren,  be- 
zeichne ich  durch  einen  Stern;  also: 

grdsprchl.  \arhara  =  griech.  x^gßsQO  =  sskrit. 
^garbara  =  gärvara  =  ■*garhala  ward  zu  indisch- 
volkssprachlichem :  *gabhara  =  *gahbala,  und 
dieses  zu  sskritisch  gabara  und  vedisch  gabäla  = 
sskrit.  gavala. 

§  3. 
Wir  haben  hier  ein  grundsprachliches  \ar- 
bara  mit  \  an  die  Spitze  gestellt,  in  der  Ueber- 
schrift  dieses  Aufsatzes  dagegen  findet  sich  k  ohne 
diakritisches  Zeichen.  Wo  lag  oder  liegt  die 
Berechtigung  zur  Aufstellung  von  diesem?  Ei- 
gentlich schon  in  der  Weber'schen  Darstellung, 
dessen  Zusammenstellung  von  gabäla  mit  xsgßsQo 
ich  mit  vollem  Recht,  trotz  seines  von  mir  nicht 
unbemerkt  gelassenen  Irrthums  in  Bezug  auf 
das  vedische  kurvara  ^),  als  eine  'ingeniöse'  (Gott. 

1)  In  diesem /cärfara  ist  der,  von  mir  schon  mehrfach 
nachgewiesene,  schon  grundsprnchliche  Wechsel  von  m 
und  V  und  der  ebenfalls  oft  aufgezeigte  und  auch  schon 
grundsprachliche  Uebergang  von  n  in^f  wieder  zu  er- 
kennen ;  letztrcB  tritt  bekanntlich  fast  regelmäßig  bei  Ab- 


15 

Gel.  Anz.  1852,  Jan.  S.  134)  bezeichnet  habe. 
Die  schon  von  ihm  au  diesem  Worte  hervorge- 
hobene Widerspiegelung  von  grdsprchl.  k  durch 
sauskritisches  k  sowohl  als  ^  ist,  soviel  mir  be- 
kannt, von  keinem  der  Gelehrten,  welche  zwei 
grdsprl.  k  annehmen,  bemerkt  —  vgl.  Fick, 
Die  ehemalige  Spracheinheit  der  Indogermaneu 
Europas  (1873),  S.  4:  'Dagegen  ist  kein  einziges 
(NB)  Beispiel  vorhanden,  wo  f  (nämlich:  sans- 
kritisches) erweislich  aus  k  erwachsen  wäre  oder 
damit  wechselte'  — ;  ob  sie  dadurch  gegen  die 
Aufstellung  bedenklich  geworden  wären,  ist  mir 
freilich  zweifelhaft;  denn  ich  berge  nicht,  daß 
ich  selbst,  obgleich  mich  dieser  Fall  und  einige 
andre  dagegen  bedenklich  machten,  dennoch  für 
dienlich  hielt  mich  ihr  zu  fügen,  wenn  auch  nur 
wegen  des  Nutzens,  welchen  die  Scheidung  für 
die  Lautverhältuisse  in  den  besonderten  Sprachen 
darbot.  Erst,  als  mir  durch  die  Untersuchung 
der  vedischen  Sprache  und  ihres  Verhältnisses 
zum  Sanskrit  und  den  Volkssprachen  anfing  klar 
zu  werden,  welchen  grossen  Einfluß  die  Volks- 
sprachen auf  jene  beiden ,  insbesondere  aber  auf 
die  Bildung  der  zweiten  sich  in  immer  weiteren 

leitungen  von  Themen  auf  ran  ein  (grdspr.  und  sskr. 
jncan  =  mov,  fem.  grdspr.  pivariä  =  Iluoia  und 
Tiitiga  =  sskr.  pt'vari);  es  liegt  also  fcdrvan  =  sskr. 
kiirman,  That,  zu  Grande  und  kärvar-a  ist  durch  a  dar- 
aus abgeleitet ,  vgl.  karmara  =  karmaphala  im  Ptsb. 
Wlbch.  unter  beiden  Wörtern. 

Beide  Lautumwandlungen  finden  sich  auch  im  Pdli 
(vgl.  r  für  n  bei  E.  Kuhn,  Beiträge  zur  Päli-Gramm.  38 
und  r  für  tn  ebds.) ,  der  Wechsel  von  wj  und  r  auch  im 
Präkrit  (Lass.  Inst.  1.  Pr.  198  und  458,  3;  an  letzterer 
Stelle  ist  Lassen's  'accuratior  fortasse  ratio'  nicht  von 
Belang;  denn  gerade  im  Suffix  mant  und  vant  ist  der 
Wechsel  von  m  und  c  schon  grundsprachlich ;  vgl.  auch 
r  für  m  und  umgekehrt  bei  E.  Müller,  Beiträge  zur  Gram- 
matik des  Jainapräkrit,  S.  30;  31). 


16 

Räumen  —  über  arische  und  nicht  -  arische 
Stämme  —  verbreitenden  Cultursprache  geübt 
haben,  erlangten  jene  ganz  vereinzelt  scheinenden 
Fälle  eine  grössere  Bedeutung  für  mich.  Ich 
bin  seitdem  immer  bedenklicher  gegen  das  grund- 
sprachliche k  geworden  und  —  obgleich  ich  bis 
zu  diesem  Äugenblick  darüber  noch  nicht  ganz 
zu  einer  Eutscheiduug  gelaugt  bin  —  zweifle 
ich  doch  schon,  ob  ich  ihm  in  meiner  Veden- 
grammatik  eine  Stelle  einräumen  werde.  Diese 
Rücksicht  war  es  auch  vorzugsweise,  welche  mich 
bestimmt  hat,  diesen  Aufsatz  zu  veröflFentlichen, 
und  es  ist  nicht  ohue  Absicht  geschehen,  daß 
ich  zuerst  an  eine  von  einem  andern  Forscher 
erkannte  Gleichstelluug  angeknüpft  habe ,  zu 
welcher  ich  in  einem  später  zu  veröffentlichen- 
den die  angedeuteten  analogen  Fälle  hinzufügen 
werde ;  mau  wird  daraus  entuehmen  können,  daß 
ich  ganz  unbefangen  dazu  gelangt  bin,  an  der 
Berechtigung  zu  zweifeln  zweierlei  k  in  der  In- 
dogermanischen Periode  aufzustellen.  Doch  wen- 
den wir  uns  nun  zu  den  in  Indien  mit  Je  anlau- 
tenden Reflexen  von  vedisch  gabäla  für  einstiges 
*garbära. 

§4. 

Weber  hat  a.  a.  0.  erst  zwei  Bildungen  der 
Art  angeführt,  nämlich  Jcarvarä,  oder  Jcarbard, 
und  Jairhurd  oder  Jcarvurä.  Jene  gehört  jedoch 
nur  hieher  in  den  Bedd.  adj.  'gesprenkelt*,  sbst. 
'Tieger,  Rakshas'  u.  s.  w.,  nicht  aber  in  der  ved. 
Bed.  'That'  'Werk'  (Jcdrvara).  In  der  zweiten 
von  jenen:  Jcarhuru  oder  harvurd.,  ist,  wie  im 
Sanskrit  und  insbesondre  in  den  Veden  so  oft, 
das  zweite  a  durch  den  Einfluß  des  folgenden 
r  zu  M  geworden ;  seine  Bed^  ist  ebenfalls  adj. 
'gefleckt,  gesprenkelt';  sbst. "^Rakschas  u.  s.  w.'. 


17 

Dazu  tritt  aus  dem  Sskr.  noch,  wenn  auch  nicht 
identisch,  doch  auf  jeden  Fall  innigst  verwandt 
karhu  'bunt,  gefleckt'.  Ob  es  die  Grundlage  von 
Jcarhiird  ist,  oder  eine  Abstumpfung  desselben 
will  ich  noch  nicht  ganz  sicher  entscheiden;  da 
aber  in  karbuni  das  u  unzweifelhaft  nur  eine 
phonetische  Umwandlung  von  a  ist,  so  ist  die 
letztre  Annahme  die  ungleich  wahrscheinlichere; 
zu  der  Abstumpfung  mögen  die  durch  sekundä- 
res ra  gebildeten  Themen ,  insbesondere  aus 
solchen  auf  u ,  wie  z.  B.  j;dnd!( :  ^KindMra  beide 
von  gleicher  Bedeutung:  'weißlich'  n.  s.  w.  ver- 
anlaßt haben.  Außer  im  Sskrit  ist  die  Form 
karhara  (nicht  aber  karhiira  und  nicht  karhu)^ 
wie  schon  in  Bezug  auf  drei  Reflexe  bemerkt, 
auch  in  fast  allen  neueren  indischen  Sprachen 
vertreten  und  erweist  damit  ihre  weite  Verbrei- 
tung in  Indien;  im  Hindi  lautet  sie  kühara  (aus 
sskrit.  karhara  vermittelst  kabbara)  und  kabarä, 
im  Pandjäbi  kabrä,  im  Sindhi  kabiro  (kubiro  bei 
Beames  ist,  wie  mich  Pischel  belehrt,  wohl  ein 
Versehen;  denn  seine  Quelle,  Stack,  hat  ri' 
a),  im  Gujaräti  käbara  und  im  Maräthi  k< 
(s.  Beames,  A  comparative  Grammar  of  the 
Modern  Aryan  Languages  of  India,  T.  I  (1872), 
p.  319). 

Sichere  Schlüsse  aus  diesem  Verhältniß  von 
/t  und  f  zu  ziehen  wage  ich  noch  nicht;  doch 
erlaube  ich  mir  schon  jetzt  anzudeuten,  daß  sich 
höchst  wahrscheinlich  ergeben  wird,  daß  im  Ari- 
schen das  grundsprachliche  k  zunächst  sich  nur  als 
k  erhalten  hat;  daß  aber  in  einem,  dem  Zend 
innigst  verwandten,  indischen  Dialect  sich  dieses 
k  (vermittelst  c,  vgl.  grdspr.  ruk  mit  ssk.  ruc  und 
vedisch  ru^-ant)  auch  zu  r  sibilirte.  Dieser  Dialect 
ist  es,  in  welchem  die  heiligen  Schriften  abge- 
faßt waren   und  aus   welchem   sich  das  Sanskrit 


lg 

vorzugsweise  zur  Cultursprache  entwickelte;  da- 
her hier  in  der  That  nur  wenige  Spuren  der 
einstigen  Bewahrung  des  grandsprachlichen  Ti 
auf  indischem  Boden  bewahrt  sind ;  die  welche 
sich  nachweisen  lassen,  wie  hier  Jcarhara  neben 
*garl)ara  sind  erst  aus  einer  der  Volkssprachen 
ins  Sanskrit  gedrungen. 

§5. 

Schließlich  muß  ich  noch  zwei  Fragen  be- 
rühren; zunächst:  ob  ich  in  der  grundsprach- 
lichen Form  mit  Recht  &,  nicht  v,  angesetzt 
habe.  Denn  &  und  v  wechseln  im  Sanskrit  so 
oft,  daß  aus  den  sskrit.  Formen  allein  kein  Ent- 
scheidungsgrund hergenommen  werden  kann.  Im 
Griechischen  erscheint  ebenfalls  ß  für  ursprüng- 
liches V,  jedoch,  so  viel  ich  glaube,  mit  Sicher- 
heit nachweislich:  überhaupt  nur  im  Anlaut,  im 
Inlaut  dagegen  nur  zwischen  Vocalen.  Dieser 
Umstand  und  das  Zusammentreffen  des  Griechi- 
schen mit  dem  Sanskrit  im  h  machen  es  mir 
wahrscheinlich,  daß  der  grundsprachlichen  Form 
ein  b  zu  geben  ist.  In  diesem  Fall  erhalten  wir 
einen  neuen  Beleg  für  das  in  der  Grundsprache 
so  selten  mit  Sicherheit  nachweisbare  &,  daß 
mancher  sich  befugt  halten  mochte,  dessen  Exi- 
stenz in  derselben  zu  bezweifeln. 

Allein,  wie  gesagt,  sie  machen  das  nur  wahr- 
scheinlich, keinesweges  gewiß.  Denn  der  "Wechsel 
zwischen  b  und  v  geht  im  Sanskrit  in  hohe  Zeit 
hinauf,  wie  in  unserm  Fall  auch  gdrvaris  neben 
gabdla  in  den  Veden  zeigt.  Im  Präkrit  werden 
b  und  V  nicht  unterschieden  (Lassen  Inst.  1. 
Pracr.  177;  201;  240;  vgl.  jedoch  Hemacandra 
I.  237  Pischel  und  E.  Müller,  Beiträge  zur  Gram- 
matik des  Jainaprakrit,  S.  29)^  Im  Ptili  geht 
p  in  V   über  (E.  Kuhn,    Beitr.  *z.  Pali-Gr.  39), 


19 

augenscheinlich  —  nach  Analogie  des  üebergangs 
der  übrigen  Tenaes  in  die  Mediae  —  vermittelst 
h,  gerade  wie  wir  statt  des  reduplicirten  Themas 
von  sskr.  pd  'trinken'  aus  ursprünglicherem  i>?j>ö, 
dann  jnpä  (vgl.  niTiiaxia)  in  den  \  eden  j^i^c^  (vgl. 
lateinisch  libe  mit  demselben  Uebergang  des 
stammhaften  p  in  h  und  dann ,  durch  Einfluß 
desselben,  auch  in  der  Reduplication) ,  im  ge- 
wöhnlichen Sanskrit  piva  finden.  Auch  aus  den 
modernen  arischen  Sprachen  Indiens  scheint  in 
Bezug  auf  den  ursprünglichen  Laut,  ob  b  oder 
V,  nichts  geschlossen  werden  zu  können;  b  und 
V  sind  hier  zwar  geschieden,  aber  nach  Lautfixi- 
rungen,  welche  keine  sichren  Schlüsse  auf  die  Ur- 
form zulassen ;  so  ist  z.  B.  sskr.  vimrafi  'zwanzig', 
dessen  v  unzweifelhaft  der  Urlaut  ist,  im  Hindi 
zu  bisa  geworden,  vgl,  auch  cau-bisa,  vierund- 
zwanzig, welchem  Oriya  ca-bisa  entspricht  (vgl. 
Beames,  A  Comparative  Grammar  of  the  modern 
Aryan  Lang,  of  India  I  253,  II.  137  fl*.).  Nach 
E.  Müller  (Beitr.  z.  Gramm,  d.  Jainapr.,  S.  29) 
findet  sich  b  für  v  in  einer  Handschrift  des 
Kalpasütra;  vgl.  auch  Hemacandra  IV.  238 
Pischel  1). 

Bei  dem  großen  Einfluß  der  Volkssprachen 
auf  das  Sanskrit,  welchen  wir  nun  schon  mehr- 
fach bis  in  die  Vedeu  hinein  wirken  gesehen 
haben,  ist  es  also  gar  nicht  unmöglich,  ja  durch 
das  Verhältniß  von  Jcarbarä:  larvard;  ^abcila: 
gavala:  ^drvari  fast  wahrscheinlich,  daß  sowohl 
die  Vermischung  von  b  und  r,  als  deren  nach- 
folgende irrige  Trennung  schon  in  alte  Zeit  hin- 
auf reicht  und  als  die  älteste  indische  Form 
karvara  weiter  garvara  anzusetzen  sei. 

1)  Auch  im  Italienischen  tritt  für  lateinisches  v  bis- 
weilen h  ein,  z.  B.  serhare  neben  tervare  in  allen  Formen 
und  Ableitungen. 


20 

Auch  in  Bezug  auf  das  griechisclie  K^gßsgo 
ist  es  recht  gut  denkbar,  daß  in  dem  zum  Ei- 
gennamen gewordenen,  dem  Mythus  und  der  Re- 
ligion augehörigen  Worte,  sich  das  Digamma 
länger  erhielt  und  in  den  Dialekten,  welche  es 
einbüßten,  sich  in  den  nächst  verwandten  Laut 
ß  rettete. 

In  diesem  Falle  wäre  nicht  Jcarhara,  sondern, 
Jcarvara  als  indogermanische  Form  aufzustellen. 
Dadurch  ging  uns  zwar  das  Beispiel  für  indo- 
germanisches h  wieder  verloren ;  wir  gewönnen 
aber  eine,  in  diesem  Falle,  kaum  zu  bezweifelnde 
Ableitung  für  dieses  Wort :  vara  oder  vala  wären 
dann  die  ableitenden  Elemente  (vgl.  darüber 
Vollst.  Sskr.  Gr.  unter  vcda  S.  243.  244)  und 
Jcar  schlösse  sich  an  sskr.  Jcal  in  hal-ana  n. 
Fleck,  xriXxd,  f.  Fleck  (vgl.  Fick,  l\  45  unter 
Jcarana,  Jiära),  auch  sskr.  l'alusha,  adj.,  beschmutzt, 
u.  aa.  Die  Bildung  erinnert  an  sskr.  nadvald,  adj. 
mit  Schilf  (nada)  versehen.  Diese  und  die  an- 
dern dazu  gehörigen  Wörter  schließen  sich  aber 
dem  Verbum  an,  welches  die  Inder  Jcrt  schreiben 
(im  Ptsb.  Wtb.  3.  har  II.  99  ff.);  "es  hat  die 
Bed.  'werfen,  bewerfen',  mit  Präfix  vi,  besudeln, 
mit  saw.,  vermengen,  im  Ptcp.  Pf.  Pass.  sam- 
Jdrna,  befleckt;  in  der  Ableitung  apasJcara,  'Ex- 
cremente'. 

Dieses  Verbum  lautet  aber  ursprünglich  skar, 
wie  schon  das  eben  erwähnte  npa-sJcara  zeigt; 
außerdem  bat  sich  das  s  noch  erbalten  in  der 
Verbindung  mit  apa  auch  in  andern  Fällen 
(z.B.  apa-slcirate,  Pän.  VI.  1,  142,  Seh.);  in  der 
mit  npa  z.  B.  in  upa-slairam  (Absol.),  ujm-sMma 
(Ptcp.  Pf.  Pass.)  bei  lu  u.  sonst  (Pän.  VI.  1, 
140;  141  Seh.),  mit  prati  z.  B.  prati-sldma 
(Pän.  VI.  1,  141  Seh.)  und  in  vi-sÄ/am  (Pän .  VI. 
1,  150).  ^ 


21 

Ist  diese  AufPassung  richtig,  so  war  die  Ur- 
form slarvara,  hatte  aber  zur  Zeit  der  Sprach- 
trennung das  anlautende  .«  schon  eingebüßt. 

§  6. 
Die  zweite  Frage,  welche  entsteht,  ist:  ob 
wir  berechtigt  oder  verpflichtet  sind ,  bei  dem 
Versuche  den  ursprünglichen  Text  der  Veden 
herzQstellen,  statt  cabdla  eine  der  älteren  Formen 
aufzunehmen.  Erinnern  wir  uns  an  die  Geschichte 
dieses  Wortes,  welche  wir  uns  durch  folgende 
Stammtafel  veranschaulichen  mögen  ! 

Urform:  5karvara{7] 
/ —  '"^  ■      \ 

Form  zur  Zeit  der  Spaltang: 
kurvara ,  oder  karbara 


Griechisch  :  Indisch  :     karvaru  oder 

XfQßtQo  karbara 


Ist.  Dialect  und  banskrit:       2ter  Dialect  u.  Sanskr. :  cärvara 
karbara  oder  karvarä  oA.*carhara:*carba'a  od.  carrala 


Sanskrit:  Volkssprache:    Volksspr.  Volksspr. 

karburd  *kabbara        *eavvara ')    od.     *cawa!a  *)  oder 

karbu  |  *cabbara  *cabbala 

Hindi  kabard  Sskrit  cavara     o       t.  i 

kdbara  und  cabara        Sanskr.  cavala  a. 
Marathi  kabard  '  f''*"^«-  , 

Sindbi  kabiro  t»  »i    -i^  '  i 

Gnjar.  kdbara  ^^'kni:  savala 

Pandj.  kabrd  gemacandra  I, 

üebersehen  wir  diese  Tafel  so  nimmt  die  ve- 
dische  Form  gabdla  fast  die  letzte  Stelle  ein  und 
es  muß  einem  höchst  verwunderlich  vorkommen 
gerade  diese  im  Rv.  einmal  X.  14,  10  neben  der 
ältesten  des  2ten  Dialects  ^arvara  in  gärvarih 
V.  52,  3  vorzufinden.    Das  Metrum  in  X.  14,  lÖ 

1)  üeber  rt?  für  rt?  vgl.  Lassen  Inst.  Ung.  Pr.  218. 


22 

verstattet  die  Aenderung,  ja!  möchte  vielleicht 
Veranlassung  gewesen  sein  carbarau  oder  garvU' 
rau  in  das  aus  der  Volkssprache  hervorgegan- 
gene Qobälau  zu  ändern,  ga  ist  nämlich  die 
erste  Silbe  des  zweiten  Fußes.     In  diesem  ist  der 

zweit  vorherrschende   Fuß  vv und  diesen 

erhalten  wir  durch  den  überlieferten  Text  -ga- 
hälau  sä-.  Liest  man  statt  dessen  garhdlau  so 
erhält  man  den  zwar  nicht  so  häufigen ,  aber 
doch  sehr  beliebten,  insbesondre  in  pathetischen 

Stellen  herrschenden  Fuß  — v .     Auch  Ath. 

V.  29,  6;  VIII.  1,  9  verstattet  das  Metrum  eine 
Aenderung.  Hier  ist  pa  die  zweite  Silbe  des 
zweiten  Fußes,  welcher  dadurch  in  der  am  meisten 
vorkommenden  Form  —  vv  —  erscheint;  liest  man 
auch  hier  eine  jener  beiden  älteren  Formen  statt 
gabäla  so  tritt  zwar  ein  viel  seltnerer  als  jene 
beiden  aber  doch  häufig  genug  gebrauchter  Fuß 
ein.  Eben  die  Häufigkeit  jener  beiden  Füße 
konnte  Recitirern  es  nahe  legen,  zur  Zeit  der 
Corruption  die  ihnen  gewohnte  volkssprachliche 
Form  au  die  Stelle  der  älteren  zu  setzen  und 
so  dem  Verse  den  am  häufigsten  gebrauchten 
Rhythmus  zu  verleihen. 

Ich  gestehe,  daß  mir  die  Berechtigung  gabäla 
wenigstens  im  Rv.  wegzuschafi*en,  kaum  zweifel- 
haft scheint,  und  gesteht  man  diese  zu,  so  würde 
ich  statt  dessen  nicht  garvarau  wählen,  trotz 
dem  es  durch  gärvarts  im  Rv.  belegt  ist,  son- 
dern garbala,  trotzdem  ihm  jeder  Beleg  fehlt, 
vorziehen,  weil  es  gabäla  am  nächsten  und  un- 
zweifelhaft zu  Grunde  liegt. 


23 

Bei  der  Köuigl.  Gesellschaft  der  Wis- 
senschaften im  Monat  August,  September, 
October  1876  eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Gildemeister,     Catalogus    librornm    manuscriptorum 

orientalium    in  Bibliotheca  acad.  Bonnensi   servatorum. 

Bonnae  1864—1874.  4. 
Abhandl.  der    schles.  Gesellschaft  für   vaterländ.   Cultur. 

53.  Breslau  1876. 
C 1  a  u  8  i  u  8,  Ueber  die  Ableitung  eines  neuen  elektrodynam. 

Grundgesetzes.    Bonn  1876.    4. 
Pub  licationen     des    k.    Preuss.     geodätischen 

Instituts.     Berlin    1876.  4.  1)    Das   Präcisions-Nivel- 

lement.     Bd.  I.   —  2)    Maaßvergleichungen  II.  Heft.  3) 

Astronomisch-geodät.   Arbeiten  im  J.  1875.  —  4)    Daa 

Rheinische  Dreiecknetz.  1.  Heft. 
Verhandlungen    der  vereinigten  permanenten  Commission 

der  Europäischen  Gradmessung.     Redig.  von  B  r  u  h  n  s 

u.  Hirsch.     Berlin  1875.  4. 
Bericht  XV.    der    Oberhess.  Gesellschaft  für   Natur-  und 

Heilkunde.     Gießen.  1876. 
Memorie   della  Accademia  delle    Scienze  dell'  Istituto  di 

Bologna.  Ser.  3,  T.  VI.  Fase.  1-4.    Bol.  1875.  4. 
Rendiconto  delle  sessioni  dell'  Accad.  delle  Scienze.    An. 

1875-76. 
Repertorium   für  Meteorologie.     Bd.  V.      H.   1.     St,  Pe- 
tersburg. 1876.  4, 
Schriften    der    phys.  ökon.   Gesellschaft    zu   Königsberg. 

Jahrg.  XVI.  1—2.     1875.  4. 
Preisschriften  der  Jablonowsky'schenGesellsch.zu  Leipzig. 

XIX.  XX   1876. 
Zeitschrift    der   deutsch.  Morgenland.  Gesellsch.    Bd.  30. 

2.  1876. 
Abhandl.  für  die  Kunde  des  Morgenlandes  Bd.  VI.    No.Q. 

Leipzig  1876. 
Verhandl.    d.   phys.  medic.   Gesellsch.  zu    Würzburg   X. 

1—4.     1876. 
Stuart,  Kawi  Oorkonden  in  Facsimile.     Batavia  1875.  4. 
Tydschrift   voor   indische    Taal  -  Land-  en    Volkenkunde. 

XXm.  2-4.  Bat.  1875. 
Notulen  van  de  Algemeene  en  Bestuurs  -Vergaderingen. 

XIII.  3—4.  XIV.  1.    1876. 


24 

Memoires  de  l'Acad.  imp.  des  Sciences  de  St. 
Petersbourg.  Vlle  Serie,  Tome  XXII.  No.  4-10. 
T.  XXIII.  No.  1.  1875.  4. 

1.  Grub  er,    über  die  ossicula  sesamoidea. 

2.  V.  Kokscharow,   über  den  russischen  Calcit. 

3.  Setschenow,  über  die  Absorption  der  Kohlensäure 
durch  Salzlösung. 

4.  Schiefner,  MahäkätjäjanaundKönigTshanda-Pracljota. 

5.  Dybowski,  die  Gasteropoden-Fauna  des  Baikal-See's. 

6.  Somoff,  sur  les  forces,  quine  changentpasd'intensite, 
de  direction,  etc. 

7.  Dorn,  Caspia.  Ueber  die  Einfälle  der  alten  Russen 
in  Tabaristan. 

Bulletin  de  l'Acad,  imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  XX.    No.  3—4.    T.  XXI.     N.  1-4.  1875-76.  4. 
Monumenta  medii   aevi  historica  res  gestas  Poloniae  illu- 

strantia.     T.  III.     Krakau  1876.  4. 
*Denk8chriften   der  Akad.  d.  Wiss.  in  Erakau.     Mathem. 

naturwiss.  Abtheilung  T.  IL  1876.  4. 
*M.  Straszewsky,    Jan  Sniadecki,    seine  Stellung    in    der 

Geschichte  der  Aufklärung  u.  der  Philosophie  in  Polen. 

Krakau  1875. 
♦Verhandlungen  u.  Berichte  aus  den  Sitzungen  der  philol. 

Abtheil,  der  Akademie  der  Wiss.  in  Krakau.  T.  III.  1875. 
♦Jahrbuch  der  Verwaltung  der  Akad.  d.  Wiss.  in  Krakau. 

1876. 
Sitzungsberichte  der  philos.  philol.  u.  histor. 

Gl.  der  Akad.  d.  Wiss.  zu  München.  1876.  Bd.  I.  H.  3. 
Jahresbericht   53.    der   Schles.    Gesellsch.   für   vaterländ. 

Cultur.    Breslau  1876. 


*)  Die  mit  *  in  polnischer  Sprache. 


25 


von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 

schafiien  und  der  G.  A.  Universität  zu 

Göttingen. 


31.  Januar.  M  2,  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  6.  Januar. 
(Fortsetzong). 

Archäologische  Miscellen. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

I. 

Zu  den  vasa  diatreta. 

lu  Plinius'  Nat.  Histor.  XXXVI,  §.  195  lesen 
wir:  Feruut  Tiberio  principe  excogitato  vilri 
temperamento  ut  flexile  esset,  totara  officinani 
artificis  ejus  abolitam  ne  aeris,  argenti,  auri 
metallis  pretia  detraherentur ,  eaque  t'ama  cre- 
brior  diu  quam  certior  fuit;  sed  quid  refert, 
Nerouis  prineipatu  reperta  vitri  arte  quae  rao- 
dicos  calices  duos  quos  appellabant  petrotos  HS. 
vi  venderet.  Dass  hier  petrotos  fehlerhaft  ist, 
liegt  auf  der  Hand,  und  ebenso,  daß  keine  der 
beiden  Conjecturen  des  Hermolaus  Barbarus, 
pterotos  und  apyrotos,  das  Richtige  trifft.  Es 
ist  ohne  Zweifel  zu  schreiben:  pertiisos ,  oder: 
perforatos.      Demnach    ist   von    den    bekannten 

3 


26 

vasa  diatreta  die  Rede,  wozu  es  auch  sehr  gut 
paßt,  daß  die  auf  uns  gekommenen  Exemplare 
dieser  vasa  eben  calices  und  zwar  modici  sind. 
Die  Kunst  solche  vasa  herzustellen  kam  also 
während  der  Herrschaft  des  Nero  auf  und  auch 
das  trifft  vortrefflich  damit  überein,  daß  Martial 
die  vasa  diatreta  zuerst  erwähnt  und  besonders 
hervorhebt  (Epigr.  XII,  70).  Freilich  könnte  das 
Wort  appellabant  Schwierigkeiten  zu  machen 
scheinen,  da  ja  die  Kunst  der  diatretarii  noch 
lange  nach  Nero's  Regierungszeit  geübt  wurde. 
Finden  wir  ja  die  diatretarii  noch  im  Cod. 
Theodosian.  13,  4,  2  berücksichtigt.  Allein  man 
kann  recht  wohl  annehmen,  daß  Plinius,  der  im 
J.  79  starb,  aus  der  Zeit  nach  Nero  kein  Bei- 
spiel der  Fortübung  der  in  Rede  stehenden  Tech- 
nik kannte.  Waren  ihm  doch  auch  aus  der 
Zeit  Nero's  nur  zwei  dieser  Technik  angehörende 
Gefäße  bekannt  geworden.  Jedenfalls  wird  man 
nicht  wohl  thun,  für  appellabant  mit  zwei  Hand- 
schriften appellahat  zu  lessn  und  dieses  Wort 
als  von  Nero  prädicirt  zu  erachten. 

II. 

Zu  verschiedenen  Stellen  in  Pausanias' 
Buch  V. 

1. 

In  Cap.  XI,  §.4  lesen  wir:  wg  ydg  ö^  ixte- 
zeXsOfi^vov  rjdri  td  äyaXfia  (des  Zeus)  ^v,  ijv^ato 
6  0etdiag  enKSfjfir^pai,  xdv  d-eov^  el  tu  sqyov  iütiv 
avz(f)  xatd  yvuifxrjv '  avzixa  d'  ig  tovio  tov  £Öä- 
(fovq  xaiaaxijipai  xtQavvüv  ifaüiv,  svi}«  vöqia 
xal  ig  ifis  ini^tjfia  tjV  ij  /a^x^.  Ob  inii^Tjixa 
nicht  verderbt  ist?  Jedenfalls  hätte  dieses  Wort 
füglich  ganz  wegbleiben  können.  Man  erwartet 
einen  Begriff  wie  „Kennzeichen,  Merkmal."    Also 


27 

etwa:  iniatj (ta^  was  der  handschriftlichen  Les- 
art zunächst  steht,  oder  lieber  :  « i »  a^i»a.  —  Wa- 
rum setzte  mau  auf  die  Stelle ,  wo  der  i31itz  einge- 
schlagen hatte,  einoHydriaV  Auf  eine  Katharsis 
wollte  man  durch  diese  sicherlich  nicht  hindeuten. 
Erinnert  man  sich  aber  daran,  daß  ein  sehr  ge- 
wöhnlicher Gebrauch  der  Hydria  bei  den  Grie- 
chen der  als  Stiramurne  war,  so  kommt  man 
leicht  auf  den  Gedanken,  daß  sie  im  Tempel 
des  Zeus  zu  Olympia  zur  Andeutung  der  Mei- 
nungsäußerung des  Gottes  an  der  Stelle,  an 
welcher  diese  sich  manifestirte,  aufgestellt  sei. 


Cap.  XIII,  §.  5  heist  es  in  Beziehung  auf  den 
großen  Altar  des  Olympischen  Zeus:  ifvttai,  de 
IM  Ju  xa»  ävev  rr^g  nayijyvQSOig  vno  M  Idiutimv 
xdi  dvd  näaav  t/fitgav  vno  ^Hktimv.  Es  ist  auf- 
fallend, daß  über  die  Zeit  des  Opferns  der  »diaJ- 
tai  nichts  gesagt  wird.  Weiter  sieht  man  auch 
nicht  ein ,  warum  den  lÖKätat  nicht  ebensowohl 
dvd  näaav  r^fisgav  zu  opfern  erlaubt  war  als 
den  ^HXiXoi.  Diesen  Unzuträglichkeiteu  entgeht 
mau,  wenn  man  das  xdi  vor  dvd  näoav  r^ftsgav 
hinter  diese  Worte  vor  imö  'H/^iatv  setzt.  Al- 
lein damit  sind  die  Schwierigkeiten  noch  nicht 
gehoben.  Wen  hat  man  unter  den  idnäiai  im 
Gegensatze  gegen  die  ^UJaXok  zu  verstehen '?  Pri- 
vatleute schlechthin ,  wie  gewöhnlich  angenom- 
men wird,  doch  sicherlich  nicht,  da  mit  'HliXoy 
doch  nicht  der  Staat  von  Elis  gemeint  sein 
kann;  auch  fremde  Privatleute  im  Gegensatze 
gegen  Eleische  nicht,  da  die  Fremdheit  nicht 
ausdrücklich  augegeben  ist.  Das  Wort  tdiuiriyg 
bezeichnet  nun  auch  den  Einheimischen,  olxslog, 
im  Gegensatz  gegeu  den  Fremden,  dkXöxQiog. 
Aber    wer    wird  glauben    können,    daß    idttüro» 

3* 


28 

von  den  Bewohnern  von  Olympia  im  Gegensatze 
gegen  die  der  Stadt  oder  des  Landes  Elis  zu 
verstellen  sei?  Wäre  das  Wort  IdiMTai  in  der 
Bedeutung  „Eiuheimische"  zu  fassen,  so  würde 
für  ^Hlsicav  ein  Wort,  welches  „Fremde"  be- 
zeichnete, einzusetzen  sein.  In  der  That  konnte 
d^XoTQicov,  wenn  etwa  die  Buchstaben  iQ  über- 
geschrieben waren,  allenfalls  zu  einer  Verderb- 
niß  in  ^HXeicov  Anlaß  geben.  Allein  jene  Be- 
deutung hat  hier  überhaupt  wenig  Wahrschein- 
lichkeit, da  sie  sich  nur  einmal  und  zwar  bei 
einem  Dichter,  Aristophanes  (Ran.  459),  ^findet. 
Besonders  häufig  werden  bekanntlich  den  tdtcoT«* 
die  nolsig  entgegengesetzt,  und  so  wird  auch 
an  dieser  Stelle  für  das  anzweifelhaft  verderbte 
''Hlsicäp  mit  der  leichtesten  Aenderuug  zu  schrei- 
ben sein:  nolsoav. 

3. 

Am  Ende  von  Cap.  XIV  lies't  man:  nqcx; 
ÖS  %(f  te(isv€i  tov  TliXonog  Jiovi}(Sov  (asv  xai 
Xaghcov  sv  xoivm,  (ista'^v  Ss  amwv  Movomv  xai 
icfe'^^g  TOVTiav  Nvfi(f(ov  iari  ßa>fi6g.  Daß  an 
diesen  Worten  kein  Anstoß  genommen  ist,  muß 
sehr  befremden.  Das  Wort  (iszu^v  wird  bei 
Hesychios  nicht  allein  durch  dvd  ^iüov,  sondern 
auch  durch  s^aicpvTjg  und  /*fr'  oXirov  erklärt. 
Ueber  die  Bedeutung  von  postea  vgl.  Wytten- 
bach  zu  Plutarch.  Mor.  p.  177,  C  (Opp.  VI,  P.  2, 
p.  1057).  Es  kommt  bei  Josephus  Antiq.  lud. 
V,  4,  2  auch  in  dem  Gebrauche  der  Präposition 
post  in  Beziehung  auf  die  Reihefolge  in  der  Zeit 
vor,  und  zwar  mit  dem  Genetiv.  So  kann  auch  die 
Annahme,  (Jtetaliv  sei  an  der  vorliegenden  Stelle 
in  der  localen  Bedeutung  „unmittelbar  nach" 
mit  diesem  Casus  verbunden,  nicht  befremden. 
Aber    wie    läßt  sich   der  Plural   des  Pronomens 


29 

erklären,  da  avTcSv  sich  doch  nicht  auf  Jtovvaov 
ital  Xagitaiv  beziehen  kann?  Oflfenbar  muß  ja 
der  Singular  des  Pronomens  gesetzt  sein,  in  Be- 
ziehung auf  den  unmittelbar  vorher  erwähnten 
Altar,  der  zwar  ein  dem  Dionysis  und  den  Cha- 
riten gemeinschaftlicher,  aber  doch  nur  einer 
war.  Also  hat  mau  zu  schreiben:  avxov.  Hie- 
nach  könnte  in  dem  folgenden  icff^/ji  tovtuiv 
der  Plural  des  Pronomens  immerhin  erklärt  wer- 
den, da  ja  von  zwei  Altären  die  Rede  gewesen 
ist.  Aber  passender  war  es  doch,  lovzov  zu 
schreiben,  und  wer  bedenkt,  w^ie  leicht  in  Be- 
treff des  Anfangsbuchstaben  des  folgenden  Nvfjk- 
(fcÖy  eine  Dittographie  statthaben  konnte  (welche 
vermuthlich  auch  die  Verderbniß  des  vorherge- 
henden avidüv  verursacht  hat) ,  der  wird  gewiß 
um  so  weniger  Anstand  nehmen ,  jene  Herstel- 
lung zu  billigen. 

4. 

Der  erste  Paragraph  von  Cap.  XVII  ist  mehr- 
fach verderbt. 

Im  Anfang  finden  wir  geschrieben :  rtjQ  'Hgag 
ÖS  e<Jnv  SV  tm  va(ä  Jiög  äya/.fia  •  tö  ös  "^^Hqag 
äyal^n  xai^rififvöv  iaiiv  im  d^gövov ,  TiaQSOTt]X€ 
de  ysvnd  xs  s'xmv  xal  snixsifjtsvog  xvv^v  im  r^ 
x€(falfi '  sgya  ös  iauv  dnkä.  Hier  hat  man  ein 
paar  Lücken  und  ein  paar  Wortverderbnisse  an- 
genommen. Ich  muß  aber  gestehen ,  daß  ich 
keine  zwingende  Gründe  für  mehr  als  die 
Annahme  einer  unbedeutenden  Lücke  finden 
kann.  Das  Bild  des  Zeus  brauchte  nicht  genauer 
beschrieben  zu  werden,  wenn  es  nichts  Besonde- 
res an  sich  hatte.  Man  hat  sich  dasselbe  sicher- 
lich stehend  zu  denken,  und  nicht  mit  dem  der 
Hera  zu  einer  Gruppe  gehörend,  wenngleich 
auch    es   als  eins   der  s^ya  änkd  zu  betrachte u 


30 

ist.  Die  Lücke  muß  hinter  naQsöTtjxe  ds  ange- 
nommen werden  und  einen  bestimmten  Namen 
enthalten  haben,  gewifi  den  eines  Gottes.  Dieser 
'ka.nn"AQi]g  gewesen  sein,  wie  man  angenommen 
hat,  aber  ebenso  gut  '^Egfirjc.  Ist  "Aqriq  gemeint 
gewesen,  so  könnte  man  eine  Ausfüllung  der 
Lücke  angeben ,  welche  zugleich  geeignet  wäre, 
die  Veranlassung  dieser  zu  erklären ,  und  den 
Grund  andeutete,  aus  welchem  Ares  neben  die 
Hera  gestellt  war  (was  sicherlich  nicht  unpas- 
send wäre) ,  nämlich  etwa :  y  övm  vldg  "Aqriq, 
Doch  kann  ja  sowohl  "AgTjg  als  auch  '^EQfi^c 
auch  ohne  die  Veranlassung  dazu  durch  ein 
öfioiöagxTOp  ausgefallen  sein.  Der  neben  der 
thronenden  Hera  stehende  Hermes  würde  auch 
ohne  weitere  Andeutung  als  der  Götterdiener  zu 
erkennen  sein.  Was  den  viel  besprochenen  Aus- 
druck sgya  dnXa  anbetrifft,  so  glaube  auch  ich 
nicht,  daß  man  genöthigt  ist,  das  letztere  Wort 
mit  einem  Eigennamen  zu  vertauschen,  da  anXä 
einen  passenden  Sinn  bietet,  wie  zuletzt  noch 
Schnbart  iu  von  Leutsch's  Philol.  XXIV,  S.  574 
dargethan  hat,  mit  Anführung  von  Plutarch  im 
Leben  des  Poplic.  19:  ävögidg  ttn?.oi'g  xal  dg- 
Xctixög  x^  igyaaia,  und  durch  die  Bedeutung  der 
Redensart  sgya  dnlä.  die  Nichterwähnung  des 
Künstlers  oder  der  Künstler,  die  sonst  allerdings 
befremden  könnte,  zur  Genüge  erklärt  wird; 
sa<:;t  uns  doch  bald  nachher  Pausanias  selbst  in 
einem  ähnlichen  Falle  ausdrücklich:  xovg  dl  elgya- 
Gfjb^vovg  avrd  ovx  sx<o  öijldocfai- ,  (f<aivsxai  6t  fl- 
vai  /loi  xal  ravta  ig  id  fidhara  dg^atcc. 

Weiterhin  heist  es:  ttjv  ös  ^Ai^riväv  xgdvog 
inixsifiiv^v  xal  öögv  xal  donida  s)[OV(Sav  Aa- 
xeöatfjovtov  X^yovoiv  sgyov  slvai,  Midovxog.  Daß 
das  letzte  Wort  verderbt  sei,  hat  man  schon 
längst  vermuthet,   und  Brunn  hat  in  der  Gesch. 


31 

d.  Griech.  Künstler  I,  S.  47  die  Ansicht  aufge- 
stellt, daß  zu  schreiben  sei:  igyov  elvai  ftsv 
Jov%ä.  Daß  der  Name  des  Dontas  dastand, 
glaube  auch  ich,  aber  der  Brunu'schen  Herstel- 
lung der  betrefiFenden  Worte  kann  ich  mit  nich- 
ten  beistimmen.  Schon  die  Genetivform  Jovtä 
kann  ich  nicht  billigen.  Tansanias  würde  ge- 
wiß als  Genetiv  Jövtov  gegeben  haben  (über 
den  Namen  Jövxaq  in  grammatischer  Hinsicht: 
Lobeck  Paralip.  gramm.  Gr.  p.  142),  und  das 
steht  auch  der  Lesart  der  Handschriften  näher. 
Unerträglich  aber  ist  das  fiiv.  Viel  eher  ließe 
sich  annehmen,  daß  die  erste  Silbe  von  Midov- 
Toq  aus  einer  Dittographie  der  zweiten  des  vor- 
hergehenden Wortes  ilvat  entstanden  sei.  Da 
iudessen  einige  Handschriften  bieten :  flvat  xal 
fiedovtog,  so  hat  es  wohl  noch  größere  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  geschrieben  war:  xexi.tif»S- 
vov  Jöviaq. 

Dann  lesen  wir:  dvdxsitai  dl  ivrnv&a  xai 
yiflib)  Ti'XT}  xf  xai  Jtovvcog  xal  ixovöa  ?iixrj 
TtifQÜ,  woran  sich  die  schon  oben  ausgeschriebe- 
neu Worte  toic  de  ftoyaafisvovg  u.  s.  w.  an- 
schließen. Warum  sagt  hier  Pausanias  nicht 
einfach:  Nixtj .  wie  er  sonst  thut ,  wenn  die  ge- 
wöhnliche Darstellungsweise  der  Nike ,  die  mit 
Flügeln,  zu  verstehen  ist?  Etwa  deshalb,  weil 
nach  seiner  Ansicht  auch  das  betreifende  Werk 
ig  T«  fidXiGia  dgxaXa  gehört  und  er  es  deshalb 
für  zweckmäßig  erachtete,  die  Beflügelung  be- 
sonders hervorzuheben?  Sagt  doch  der  Scho- 
liast  zu  Aristoph.  Av.  573:  vscoiegtxdv  rd  z^v 
NixTjv  xat  TÖv  "Egcota  inxsQÖiGdai.  Wir  glauben 
vielmehr ,  daß ,  wenn  dieses  der  Grund  der  An- 
gabe der  Beflügelung  gewesen  wäre,  Pausanias 
das  in  irgend  welcher  Weise  genauer  angegeben 
haben    würde.      Sicherlich  war  ursprüngsich  ge- 


32 

schrieben :  oox  sxovaa^  vgl.  V,  26,  5.  Wie  leicht 
ovx  vor  s'x^  ausfallen  konnte,  liegt  auf  der  Hand. 
Die  Nichtbeflügeluug  der  Nike  wird  für  Pau- 
sanias  auch  ein  Grund  gewesen  sein,  dem  be- 
treflfenden  Bildwerke  ein  besonders  hohes  Alter 
zuzuschreiben. 

Endlich  steht  gegen  den  Schluß  des  Para- 
graphen geschrieben:  xal  ^Aff^oökri  x^Xx^, 
Kk^oovog  sgyov  2ixv(aviov  u.  s.  w.  naidiov  äs 
inlxQV(Jov  xäd^tjTai,  yvfivov  ngo  zijg  ^AcfQoöhriq' 
Bo^&og  6s  STOQSvGsv  avTÖ  KaQxijdoviog.  Um 
von  der  Bezeichnung  bloß  als  inixQvaov  zu 
schweigen ,  so  erregt  der  Umstand  Bedenken, 
daß  nicht  einmal  angedeutet  ist,  wie  oder  wo- 
rauf das  naidiov  sitze.  Noch  befremdlicher  ist 
es,  daß  ein  Bronze  werk  —  denn  an  ein  solches 
ist  ohne  Zweifel  zu  denken  — ,  welches  von  dem 
berühmten  Toreuten  Boethos  herrührte ,  vergol- 
det gewesen  sein  soll.  Wir  glauben  daher 
nicht  zu  irren,  wenn  wir  schreiben:  inixv giov. 
Dieses  Wort  ist  eng  mit  xäd^rjTai  zu  verbinden 
und  in  adverbialem  Sinne  zu  fassen.  Aus  der 
Nichtangabe  eines  eigenen,  besonderen  Sitzes 
ist  zu  schließen,  daß  das  naidiov  auf  der  bloßeu 
Erde  sitzend  zu  denken  ist. 

5. 

Cap.  XVIII,  §.  1  wird  eine  bildliche  Dar- 
stellung an  der  Lade  des  Kypselos  so  beschrie- 
ben :  Fw^  u£V  svsid^g  yvvatxa  alffyjgdv  xofii- 
.  ^ovoa^  xal  tTJ  fisv  dnayxovöa  axh^v  rij  ös  ^dßd<a 
naiovüa ,  ^ixij  tavta  ^Aöixiav  ögwoce  ian.  Hier 
macht  uns  xo(j,iCovaa  Schwierigkeit.  Wie  kann 
Jemand  Einen  mit  der  einen  Hand  erwürgen, 
mit  der  anderen  schlagen  und  doch  zugleich 
fortbringen?  Gewiß  war  xoifjkiJ^ovaa  geschrie- 
ben.     So    entspricht   die    Darstellung   auch    der 


< 


33 

auf  dem  von  Brunn  in  den  Nuov.  Memoria  d. 
Inst.  arch.  tav.  IV,  n.  4  herausgegebenen  Va- 
senbilde, auf  welchem  Dike  mit  der  Linken  die 
Adikia  würgt  und  mit  der  Rechten  einen  Ham- 
mer gehoben  hat,  um  diese  damit  zu  schlageu. 

m. 

lieber    den     Typus     einer    Münze     von 
Kyme    in    der    Aeolis    und    einige    Dar- 
stellungen an   der  Puteolanischen 
Basis. 

Auf  einer  Anzahl  der  Münzen  von  Kyme, 
welche  Mionnet  Descr.  de  Medailles  T.  LH  und 
Supplem.  T.  VI  beschrieben  hat,  autonomen  so- 
wohl als  Kaisermünzen ,  findet  sich  ein  Revers- 
typus, welcher  sich  stets  auf  ein  und  dasselbe 
Wesen,  und  zwar  ein  weibliches,  zu  beziehen 
scheint,  obgleich  der  eben  erwähnte  Französische 
Gelehrte  das  Wesen  mit  verschiedenen  Namen 
bezeichnet,  einige  Male  sogar  mit  denen  männ- 
licher Gottheiten,  vgl.  T.  III,  p.  10,  n.  63,  p.  13, 
U.77,  („Genie")  und  Suppl.  T.  VI,  p.  15.  n.  117, 
p.  17,  n.  137,  p.  18,  u.  140  u.  141  („Figure  vi- 
rile," das  zweite  Exemplar  nach  Sestini  Descr. 
d.  Med.  ant.  d.  Mus.  Hederv.,  T.  II,  p.  143,  n.  16, 
C.  M.  H.  n.  7361,  tab.  XVIII,  fig.  8,  p.  22, 
n.  157  (nach  Mus^  Arig.  I,  al.  14,  215)  u.  158, 
p.  23,  n.  160  (,,Neptuue"  nach  Sestini  a.  a.  0. 
II,  144,  n.23,  C.  M.  H.  u.4814,  t.  XXI,  n.  460). 
Zu  den  von  Mionuet  beschriebenen  Exemplaren 
füge  man  namentlich  noch  das  von  Streber  Nu- 
mism.  nonn.  Graeca  ex  Mus.  Reg.  Bavariae  hac- 
tenus  minus  accurate  descr.  in  den  Abhandl.  der 
philos.-philol.  Kl.  d.  K.  Bayer.  Akad.  d.  Wisseu- 
sch.  Bd.  I,  tab.  III,  fig.  8  herausgegebene  und 
ö.  208  fg.  üusführlich  besprochene ,  welches  Pa- 


34 

nofka  „Von  dem  Einfluß  der  Gottheiten  auf  die 
Ortsnamen"  in  den  Abhandl.  d.  K.  Preuß.  Akad. 
d.  Wiss.  1840,  Taf.  I,  n.  21  wiederholt  hat.  Die 
betreffende  Figur,  welche  mit  einer  einzigen  Aus- 
nahme (Mionnet  Suppl.  VI,  p.  22,  n.  158,  nach 
Banduri  Numism.  Imperat.  Rom.  a  Trajano  Be- 
clo ad  Palaeologos  Aug.,  T.  I,  p.  134)  stehend 
dargestellt  ist,  hat  auf  dem  Haupte  eine  Thurm- 
krone  (die  dann  und  wann  auch  als  ,,Modius" 
bezeichnet  wird),  ist  mit  einem  kurzen  Gewände, 
welches  an  die  Tracht  der  Amagonen  erinnert, 
angethan,  hält  in  der  Rechten  ein  Rund,  welches 
von  Mionnet,  ,,globe"  genannt  wird,  mit  Aus- 
nahme eines  Falles  (Suppl.  "VI,  p.  17,  n.  137), 
in  welchem  von  „un  globe  ou  une  pomme"  die 
Rede  ist,  in  der  Linken  einen  Dreizack,  mit  Aus- 
nahme des  eben  angeführten  Exemplars,  in  Be- 
treff dessen  von  „une  haste"  die  Rede  ist,  welche, 
wenn  nicht  die  drei  Spitzen  eben  nur  abgeschabt 
sind,  für  einen  Dreizackschaft  zu  halten  sein 
wird.  In  drei  Fällen ,  welche  sämmtlich  auf 
Exemplaren,  die  unter  Valerianus  senior  geprägt 
sind,  vorkommen,  erscheint  zu  den  Füßen  der 
Figur  noch  ein  Delphin  (Mionnet  T.  III,  p.  13, 
n.  77  und  Suppl.  VI,  n.  157,  nach  Numism. 
quaedum  Honor.  Arigoni  I,  al.  14,  215)  und 
n.   158. 

Die  Bedeutung  der  in  Rede  stehenden  Figur 
anlangend,  so  zweifelte  Streber  a.  a.  0.  S.  210 
nicht,  daß  sie  die  Amazone  Kyme  als  „genius 
urbis"    darstelle.      Von    einer    Amazone    sprach 

1)  Der  Revers  einer  unter  M.  Aurelius  geprägten 
Münze  wird  von  Mionnet  Suppl.  VI,  p.  19,  n.  144  so 
beschrieben  ,,Figure  de  femme  en  habit  court ,  debont, 
tenant  de  la  main  dr.  fuu  vase  et  de  la  g.  une  haste.*' 
Es  hat  die  größte  Wahrscheinlichkeit,  daß  es  sich  auch 
hier  um  die-  in  Rede  stehende  Figur  handelt,  daß  das 
Gefäß  nichts  Anderes  sein  soll  als  die  ,, Kugel." 


35 

schon  Bauduri.  Streber's  Ansicht  theilt  0. 
Jahn  Bericht  d.  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wissensch. 
1851,  S.  135.  Der  Name  KYMH  ist  mehrfach 
dem  Frauenkopf  mit  der  Thurmkrone  auf  Mün- 
zen von  Kyme  beigeschriebeu ,  von  dem  man 
etwa  annehmen  kann ,  daß  er  dasselbe  Wesen 
angeht,  wie  die  vollständige  Figur,  von  welcher 
wir  handeln,  vgl.  Mionuet  T.  III,  p.  9,  n.  51, 
Suppl.  VI,  p.  14  fg.,  n.  108  bis  118  incl.  Eine 
vollständigere  Beischrift.  KYMH  AIOAIC,  findet 
sich  bei  der  ganzen  Figur  auf  Exemplaren  aus 
der  Regierungszeit  des  Nero  bei  Mionnet  T.  III, 
p.  10,  n.  63  u.  Suppl.  T.  VI,  p.  18,  n.  140  u. 
141  (letzteres  nach  Sestini  Descr.  d.  Mus.  He- 
derv.  T.  II,  p.  143,  n.  16,  C.  M.  H.  n.  7367, 
tab.  XVIII,  fig.  8).  Inzwischen  wird  man  diese 
Beischrift  eher  auf  den  Namen  der  Stadt  zu  be- 
ziehen haben ,  ebenso  wie  die  auf  dem  Revers 
einer  unter  Antoninus  Pins  geprägten  Münze  bei 
Mionnet  T.  III.  p.  11.  n.  67:  lEPSiNYMOC. 
ANEQHKE.  KYME.  wenn  hier  das  letzte  Wort 
als  der  Nominativ  Kvfjuj ,  nicht  als  Abbreviatur 
von  Kvf*aioig  zu  fassen  ist.  Dazu  kommt,  daß 
auch  die  Beziehung  jenes  Frauenkopfs  mit  der 
Beischrift  KYME  auf  die  in  Rede  stehende  voll- 
ständige Figur  keinesweges  ausgemacht  ist.  Wir 
wollen  zunächst  nur  darauf  aufmerksam  machen, 
daß  "jenem  nie,  dieser  aber  in  einigen  Fällen 
außer  der  Thurmkrone  auch  der  „Modius"  zuge- 
schrieben wird  und  daß  jener  nicht  etwa  nur 
auf  dem  Avers  solcher  Münzen  erscheint,  deren 
Revers  die  vollständige  Figur  zeigt,  sondern  auch 
auf  dem  solcher,  auf  deren  Revers  Fortuna  oder  Isis 
dargestellt  ist.  Doch  geben  wir  zu,  daß  diese 
beiden  Umstände  nicht  hoch  anzuschlngen  sind. 
Folgen  wir  einstweilen  der  jetzt  herrschenden 
Ansicht,    daß   die    vollständige    Figur   die  Kyme 


36 

sei,   und  sehen  wir  einmal  zu,   ob  dazu  die  At- 
tribute  der  Figur   passen  oder  nicht.      Von  der 
Thurmkrone    gilt   jenes    allerdings,     nicht    aber 
von  dem  „Modius,"  wenn  dieser  in  der  That  in 
einigen  Exemplaren  anstatt  jener  dargestellt  ist. 
Denn  wenn  0.  Jahn  a.  a.  0.  sagt,  daß  der  Mo- 
dius    (den    er   allein    anzuerkennen   scheint)    die 
Figur  als  Stadtgöttin  charakterisiere,   so  ist  das 
eine  offenbare  Ungenauigkeit.     „Die  Amazonen- 
tracht ist,"  wie  O.Jahn  nach  Streber's  Vorgange 
bemerkt,    „vollständig   gerechtfertigt    durch  die 
Sage  ,    daß  die  Stadt  von  einer  Amazone  Kyme 
gegründet  worden  sei  (Strabo  XII,  p.  550.  XIII, 
p.  623.    Diod.  III,  55,  Steph,  Byz.  s.  v.)."    Aber 
woher  wissen  wir  denn,    daß  es  sich  um  die  ei- 
gentliche Amazonentracht  handele?     Hat  —  um 
nur    danach    zu   fragen    —    die    Figur   wirklich 
„die  rechte  Brust  entblößt  (was  bekanntlich  für 
die  Amazonen   die  Regel  ist,"    wie   Jahn   selbst 
a.a.O.  S.   141  bei  Gelegenheit  der  Besprechung 
der  Repräsentantin   von  Ephesos   an   der  Puteo- 
lanischen  Basis  bemerkt)?  Inzwischen  würden  mr, 
auch  wenn  dem  so  wäre,  deswegen  noch  keines- 
weges    die    Annahme    für    sicher    halten.      Der 
Dreizack'    heißt   es  weiter,    „charakterisiere  die 
Figur  als  bedeutende  Seestadt  mit  einem  Hafen." 
Allein,    läßt   es   sich  mit  Sicherheit  nachweisen, 
daß   der  Dreizack    bloßen  Stadtgottheiten    ge- 
geben   sei?      Noch    stärkere  Hindernisse    stellen 
sich  hinsichtlich  des  runden  Gegenstandes  in  der 
Rechten   der  Figur   in    den  Weg.      Streber  hält 
denselben  (a.  a.  0.  S.  311)  in  üebereinstimmung 
mit  der  gewöhnlichen  Auffassungsweise    für  eine 
Kugel,    welche    nach  seiner  Meinung    die  Herr- 
schaft Kyme's  andeuten   solle,    was   nicht    recht 
passend    erscheint ,    wie  Jahn ,    mild  urtheilend, 
mit  Recht  bemerkt.    Borghesi  vermuthete  in  dem 


37 

Bnllett.  d.  Inst.  arch.  18  tl,  p.  150,  der  Gegen- 
stand sei  für  einen  Kohlkopf  (palla  di  cavodo  o 
di  broccolo),  xv/ta,  cyniu  zu  halten,  womit  auf 
den  Namen  der  Stadt  augespielt  werden  solle. 
Ihm  stimmte  Cavedoni  schon  im  Spicil.  numism. 
p.  157  bei  und  dieser  hat  auch  noch  später  in 
den  Ann.  d.  Inst.  arch.  1861,  p.  145  die  betref- 
fende Erklärung  in  Schutz  genommen.  Gegen 
dieselbe  wendet  Jahn  a.  a.  0.  ein,  daß,  „wenn 
gleich  ähnliche  Namenspielereieu  namentlich  auf 
Münztypen  sich  finden,  er  doch  Bedenken  trage, 
etwas  ähnliches  bei  einem  größeren  Werk  grie- 
chischer Sculptur  vorauszusetzen ,  um  so  mehr 
als  selbst  das  Wort  xv/ua,  cyma  spät  erst  in  den 
Schrittgebrauch  kam  und  von  den  Grammatikern 
für  eiu  nicht  edles  erklärt  wird  (Charis.  I,  p.  41)." 
Letzteres  will  nicht  viel  sagen,  zumal  da,  wie 
schon  Cavedoni  bemerkt  hat,  auch  die  betreffen- 
den Münzen  verhältnißmäßig  späten  Datums  sind. 
Aber  noch  befremdlicher  ist  der  Umstand,  daß 
Jahn  in  den  ersten  Worten  so  spricht,  als  sei 
der  Gegenstand  ,  welchen  die  Cyme  an  der  Pu- 
teolanischeu  Basis  mit  der  Rechttu  hält,  ganz 
derselbe  wie  der  auf  der  Rechten  der  Figur  der 
Münzen.  Die  beiden  Figuren  haben  gar  nichts 
mit  einander  gemein  als  die  Mauerkrone.  Den 
Gegenstand,  welchen  die  Cyme  der  Basis  in  der 
Hand  ihres  gesenkten  rechten  Arms  hält ,  be- 
zeichnet Jahn  kurz  vorher  als  „einen  nicht  mehr 
deutlich  zu  erkennenden  runden ,  der  aber  eher 
einer  Scheibe  als  einem  Gefäße  gleiche."  Die 
in  den  letzten  Worten  enthaltene  Ansicht  möch- 
ten wir  nicht  zu  der  unserigen  machen.  Schon 
die  Weise,  wie  der  Gegenstand  gehalten  wird, 
spricht  gegen  eine  bloße  Scheibe.  Sehr  mit 
Recht  bedauert  Jahn  die  Zerstörung,  „denn  ohne 
Zweifel  war  dieser  Gegenstand  das    charakteris- 


38 

tische  Attribut."  Haudelt  es  sich  aber  um  ein 
solches  Attribut  aus  dem  Kreise  der  Geräthe 
und  Gefäße,  so  kann  kein  anderes  in  Betracht 
kommen  als  jenes  einhenkelige  Gefäß,  welches 
den  Münzen  von  Cyme  eigenthümlich  ist  und 
auf  denselben  wiederholt  als  besonderer  Typus 
vorkommt.  Der  obere  Theil  dieses  Gefäßes, 
welches  auch  in  Werlhofs  Handb.  d.  Griech. 
Numismatik  Taf.  4,  Fig.  31,  abbildlich  mitge- 
theilt  ist,  kann  sich,  wenn  derselbe  bei  schräger 
Lage  des  Gefäßes  nach  vorn  gehalten  ist,  in 
Folge  einer  Zerstörung  recht  wohl  als  Scheibe 
ausnehmen.  Mag  nun  dem  sein,  wie  ihm  wolle, 
jedenfalls  ist  der  Gegenstand  auf  der  Rechten 
der  Figur  der  Münzen  ein  anderer.  Dieser  wird 
fast  allgemein  als  Kugel  gefaßt.  Allein  für  eine 
solche  ist  er,  nach  den  Abbildungen  zu  urtheilen, 
beträchtlich  klein.  Dagegen  würde  nach  diesen 
ein  Apfel,  den  schon  Seguin  Numism.  sei.  p.  103 
annahm,  vollkommen  passen.  Betrachten  wir 
nun  die  Reversdarstellungen  der  Münzen  von 
Kyme,  so  finden  wir  auf  denselben  in  unzweifel- 
haften Darstellungen  zwei  Göttinnen,  deren  Be- 
ziehung auf  glückliche  Seefahrt  theils  ausdrück- 
lich hervorgehoben  ,  theils  anderswoher  zur  Ge- 
nüge bekannt  ist,  Tyche  und  Isis.  In  dieselbe 
Kategorie  gehört  die  an  der  westlichen  Küste 
Asiens  in  den  Seestädten  hochverehrte  und  auf 
deren  Münzen  vielfach  dargestellte  Aphrodite- 
Astarte.  Schon  an  sich  kann  es  aufl'allend  er- 
scheinen,  daß  diese  in  Kyme  neben  den  beiden 
andern  Göttinnen  nicht  auch  Verehrung  und  in 
den  Münztypen  Berücksichtigung  gefunden  hat. 
Die  in  Rede  stehende  Figur  der  Münzen  von 
Kyme  gleicht  aber  hinsichtlich  der  Thurmkrone, 
bezw.  des  ,,Modius,"  der  kurzen  Bekleidung,  des 
Dreizacks  durchaus  bekuuuteu  Astartedarstelluu- 


39 

gen.  Nur  das  Rund  findet  sich  bei  diesen  ge- 
wöhnlich nicht.  Es  würde  als  Apfel  gefaßt  be- 
sonders gut  passen ,  doch  ließe  es  sich  auch  als 
Kugel  erklären.  Es  würde  bei  dieser  Annahme 
nicht  sowohl  als  Attribut  der  Aphrodite  Urania  zu 
fassen,  als  für  das  der  siegreichen,  weltherrschen- 
den Göttin  zu  halten  sein,  in  welcher  Beziehung 
es  auch  unter  dem  Fuße  der  Venus  Vixtrix  auf 
einem  bekannten  geschnittenen  Steine  (Denkm. 
d.  a.  Kunst  II,  27,  291,  und,  wie  es  aussieht, 
unter  dem  Fuße  der  Astarte  auf  der  unter  Anto- 
ninus  Pius  geschlagenen  Bronzemünze  von  Or- 
thosia  in  Phönizien  bei  Lajard  Recherch.  sur  — 
Venus  pl.  XYV,  12  vorkommt.  —  Ließe  es  sich 
mit  Sicherheit  nachweisen ,  daß  der  oben  er- 
wähnte weibliche  mit  einer  Thurmkrone  verse- 
hene Kopf  auf  dem  Avers  Kymäischer  Münzen 
mit  der  Beischritt  KYMH  dasselbe  Wesen  an- 
ginge, wie  die  ganze  Figur,  so  würde  man  an- 
zunehmen haben,  daß  Kyme  mit  der  Aphrodite- 
Astarte  zusammengeschmolzen  sei  in  ähnlicher 
Weise  wie  z.  B.  die  Sidon  mit  der  Astarte  die- 
ses Ortes, 

Auch  unter  den  Stadtrepräsentantinuen  an  der 
Puteolanischeu  Basis  befindet  sich  eine,  welche 
sich  ganz  wie  eine  Aphrodite  Pelagia,  Venus 
Marina,  ausnimmt,  wie  ja  auch  Tmolus  an  dieser 
Basis  bis  auf  die  Mauerkroue  ganz  wie  Diony- 
sos dargestellt  ist,  um  von  der  unten  zu  bespre- 
chenden Ephesos  als  Artemis  zu  schweigen.  Wir 
meinen  die  Repräsentantin  der  Stadt  ^iyai, 
Aegae,  in  der  Aeolis,  die  mit  einem  langen  Chi- 
ton mit  Üeberschlag  bekleidet  ist,  welcher  das 
rechte  Bein  und  die  rechte  Brust  entblößt  (was 
bekanntlich  für  Aphrodite  charakteristisch  ist), 
auf  dem  linken  Unterarm  einen  Delphin  hält, 
und  mit  der  rechten  Hand  einen  laugen  Stab  auf 


40 

den  Boden  stützt.     Jalm  wirft  S.  570  die  Ver- 
muthung  hin,    daß  dieser  Stab  ursprünglich  ein 
Dreizack  gewesen  sei,  der  ja  gewöhnlich  mit  dem 
Delphin  verbunden  zu  sein  pflege.     Aber  —  ab- 
gesehen   davon  ,    daß ,    so  viel  wir  wissen ,    sich 
von    dem   einstmaligen   Vorhandensein    der    drei 
Spitzen  keine  Spur  findet  — ,  wird  selbst  bei  Po- 
seidon, von  welchem  nach  jahn's  Meinung  Del- 
phin   und  Dreizack   entlehnt    sind,   neben    dem 
Delphin    und  auch   ohne  diesen  ein  langer  Stab 
gefunden,  den  man  gewöhnlich  als  Scepter  faßt, 
der   aber    vermuthlich    eher   als    der  Schaft   des 
Dreizacks   ohne   die    drei  Spitzen    zu  betrachten 
sein    dürfte,     vgl.    den    Text  zu   Denkm.   d.   a. 
K.,  Bd.  II,    Taf.  VI,    n.  75,  a    der  neuen  Ausg. 
Die  betreffende  Darstellungsweise  der  Repräsen- 
tantin von  Aegae  hat  übrigens  etwas  schwer  Erklär- 
liches.     Auf   den  autonomen  Münzen   der  Stadt 
kommt  einige  Male  ein  weiblicher  Kopf  mit  der 
Thurmkrone    vor,    ein    Mal    mit   der   Beischrift 
AlFEI  (Mionnet  Descr.  T.  III,  p.  2,  n.  7),    ein 
anderes  Mal    mit  der  Beischrift  AlFH  (Mionnet 
p.  3,   n.  9)  und  in  dem  letzteren  Falle  gewahrt 
man   hinter   dem  Kopfe   eine  Bipennis.      Gewiß 
handelt' es  sich  um  die  Tyche  der  Stadt,    wenn 
auch    unter    den  Typen   der   Kaisermünzen    em- 
mal    der   der  Kybele    vorkommt,    nach  Mionnet 
Suppl.  T.  VI,  p.  4,  n.   13,  der  auf  Mus.  Pisan. 
tab.  XXI,  n.  1,  p.  59  verweist.     Jene  Bipennis 
kann   sehr    wohl   auf  die  schon  von  Eckhel  aus 
einem    anderen    Grunde    in   der    Doctr.  uuui.  II, 
p.  491  aufgestellte  Ansicht  führen,  daß  die  Stadt- 
göttin von  Aegae  als  Amazone  betrachtet  wurde. 
In  der  That  wird  bei  Paulus  Diaconus  p.  24,  11 
eine    Amazonenkönigin    Aege    erwähnt.       Jahn, 
der  mit  Recht  die  „poseidonischen  Attribute''  der 
Repräsentantin    von  Aegae    auf   der   Basis    für 


41 

auffallend  hielt,  da  Aegae  im  Binnenlande  lag, 
glaubte  sich  durch  die  Annahme  beruhigen  zu 
können,  daß,  „da  dieser  Name  so  durchgehends 
mit  poseidonischem  Cultus  verwandt  sei,  man 
auch  ohne  bestimmte  Nachricht  wohl  annehmen 
dürfe,  daß  die  Gründer  der  Stadt  die  Verehrung 
des  Poseidon  mit  dorthin  brachten  und  daher 
der  Name  stamme ,"  indem  er  außerdem  noch 
den  Umstand  in  Anschlag  brachte,  daß  „Poseidon 
als  Urheber  des  Erdbebens  galt  und  es  in  Klein- 
asien nicht  an  Spuren  fehle,  die  auf  seine  Ver- 
ehrung grade  in  dieser  Rücksicht  hinweisen." 
Was  nun  aber  das  Letztere  betrifft,  so  wollen 
wir  darauf  um  so  weniger  eingehen,  als  es  kei- 
nesweges  feststeht,  daß  es  sich  um  „poseido- 
nische" Attribute  handelt.  Sicher  ist,  daß  auch 
die  Münzen  von  Aegae  keine  Spur  des  Cultus 
Poseidons  zeigen.  Dagegen  ließe  sich  der  Re- 
verstypus der  unter  Vespasiauus  geprägten  Münze 
bei  Mionnet  Descr.  T.  III,  p.  4,  n.  16  sehr 
wohl  auf  Aphrodite  beziehen.  Wir  wollen  nicht 
in  Anschlag  bringen,  daß,  wie  Poseidon  den  Bei- 
namen ^i'^'atos  hatte,  so  auch  Aphrodite  „Aegaea" 
genannt  wird  bei  Statins  Theb.  VIII,  478.  Da- 
gegen ist  hervorzuheben,  daß  der  Delphin  kei- 
nesweges  nur  auf  Aphrodite  als  Pelagia  bezogen 
zu  werden  braucht,  vgl.  Engel  Kypros  II,  S.  186. 
Wie  an  der  Puteolanischen  Basis  Tmolos 
und  Temnos  Tracht  und  Attribute  des  für  diese 
Orte  wichtigsten  Gottes,  des  Dionysos,  haben,  so 
ist  nach  meiner  Meinung  auf  derselben  auch 
Ephesos  als  Artemis  charakterisirt.  Jahn 
sagt  a.  a.  0.  S.  141  freilich:  „Die  Sage,  daß 
die  Amazonen  Stadt  und  Heiligthum  gegründet, 
hatte  so  allgemeine  Geltung,  daß  Ephesos  am 
passendsten  als  Amazone  dargestellt  werden 
konnte;  auch  hat  sie  von  allen  amazonenartigen 

4 


42 

Figuren  der  Basis  allein  die  rechte  Brust  ent- 
blößt." Wir  dagegen  glauben  nicht  zu  irren, 
wenn  wir  gerade  deshalb  nicht  an  eine  Ama- 
zonedenken, sondern  an  Artemis,  welche  ja  auch 
mit  entblößter  Brust  dargestellt  wird.  Zu  einer 
Artemis  als  Göttin  der  Saaten  (Text  zu  d. 
Denkm.  d.  a.  Kunst  II,  8,  91,  a)  und  Pötamia 
und  Limnäa  passen  auch  die  Attribute,  Aehren 
und  Mohn,  so  wie  das  Treten  auf  die  Maske  des 
Flußgottes  sehr  wohl,  während  jene  und  dieses  eine 
Amazone  gar  nichts  angehen.  Dasselbe  gilt  von 
der  Kopftracht.  Von  dieser  meint  Jahn,  sie  sei 
eine  ,,Thurnikrone,"  aus  welcher ,, Flammen  em- 
porschlagen." Wenn  Jahn  ,,über  den  Sinn  die- 
ses auffallenden  Attributs  keine  sichere  Vermu- 
thung  hat,"  so  ist  das  sehr  begreiflich.  Aber 
könnten  die  ,, Flammen"  nicht  flammenähnliche 
Zierathen  des  Kopfschmuckes  sein  sollen,  welche 
den  sonst  an  diesem  in  abwechselnder  Bildung 
vorkommenden  Strahlen  (Stephani  Nimbus  u. 
Strahlenkranz  S.  123  u.  138  (Nachtr.),  Ilelbig 
Wandgem.  Campaniens  S.  67  fg.,  das  Mosaik 
von  Arapurias  in  der  Arch.  Ztg.  1869,  Taf.  14, 
und  die  Denkm.  d.  a.  Kunst  Bd.  II,  Taf.  XV 
der  nächstens  erscheinenden  dritten  Ausg.  unter 
n.  156,  156,  i,  166  a)  entsprächen? 

IV. 

Zur  Kunstmythologie  Poseidons. 

1. 

In  dem  Supplement  von  Lippert's  Daktylio- 
thek  I,  50  ist  ein  Carneol  der  vormaligen  Praun'- 
schen  Sammlung  in  Abdruck  gegeben,  welcher 
die  Darstellung  eines  unbärtigen  »Neptun«  ent- 
hält. Die  Unbärtigkeit  dieses  Gottes  erschien 
dem  Herausgeber  mit  Recht  auffallend.      Selbst 


43 

nach  den  Darlegungen  Overbeck's  in  der  Kunst- 
mythologie Poseidons  S.  322  fg.  läßt  sich  jener 
Darstellung  nur  eine  andere  vollkommen  zur 
Seite  stellen,  nämlich  die  den  Dreizack  wie  zum 
Stoß  fassende  auf  den  Hippokanipeu  oder  auf  dem 
Hippokampenwagen  des  Reverses  der  Denare  des 
Q.  Crepereius  Rocus  (Denkm.  d.  a.  K.  II,  7,  79, 
a,  Overbeck  a  a.  0.,  Mänztaf.  VI,  n.  20),  wenn  die- 
selbe wirklich  eine  männliche  ist,  wie  allgemein 
angenommmen  wird,  und  wenn  sie  den  wirkli- 
chen Neptun  darstellen  soll.  Aber  das  Letztere 
anzunehmen  hat  man  bei  Voraussetzung  der 
Mänulichkeit  uud  beabsichtigten,  nicht  bloß  auf 
dem  Mangel  der  Genauigkeit  in  der  Ausführung 
bei  den  geringen  Dimensionen  beruhenden  Un- 
bärtigkeit  nicht  nöthig ,  da  die  von  uns  schon 
vorlängst  vorgeschlagene  Beziehung  auf  Q.  Cre- 
pereius Rocus  als  Neptun  gewiß  au  sich  passend 
genug  ist,  wie  denn  ihre  Berechtigung  auch  von 
Overbeck  anerkannt  wird  (a.  a.  0.  S.  298  u.  327). 
Auch  in  Betreff  der  vorher  erwähnten  Gemmen- 
darstellung bietet  sich  bei  der  Annahme,  daß 
die  Uubärtigkeit  nicht  auf  Nachlässigkeit  beruhe, 
dem  Erklärer  ein  Ausweg  von  der  Anerkennung 
eines  bartlosen  Poseidon.  Die  in  Rede  stehende 
Figur  ist  ganz  nackt,  ihr  Haar  fällt  etwas  vom 
Hinterhaupte  herab,  sie  steht  auf  dem  einen 
Beine  ruhend,  mit  etwas  gesenktem  Kopfe  da, 
indem  sie  auf  der  Hand  des  einen,  ausgestreckten, 
Arms  einen  Delphin  hält  uud  mit  der  anderen 
Hand  einen  Dreizack  auf  den  Boden  stützt. 
Hinter  der  Figur  gewahrt  man  einen  blätterlosen 
Baum;  vor  ihr,  am  Boden,  einen  undeutlichen 
Gegenstand,  den  selbst  Lippert  nicht  genauer  er- 
kennen konnte.  An  sicheren  bärtigen  Poseidon- 
figuren, welche  dem  eben  beschriebenen  in  jeder 
Hinsicht  gleichen    (nur   daß  der  Kopf  weniger 


44 

nach  vorn  hin  gesenkt  ist),  fehlt  es  auf  Münzen 
und  geschnittenen  Steinen  nicht,  vgl.  hinsicht- 
lich dieser  Overbeck  a.  a.  0.  S.  301 ,  wo  auch  der 
in  Rede  stehende  Stein  in  Anm.  c.  erwähnt  ist, 
ohne  daß  ihm  hier  oder  in  der  bedonderen  Be- 
sprechung des  jugendlichen  Poseidon  genauere 
Berücksichtigung  zu  Theil  geworden  wäre.  Auch 
der  Baum,  etwa  ein,  Lorbeer ,  läßt  sich  in  ähn- 
licher Weise  angebracht  dann  und  wann  bei 
Poseidon  nachweisen.  Indessen  steht  durchaus 
nichts  entgegen,  einen  Helios-Apollon-Delphinios 
anzunehmen.  Ja  man  wird  zugeben  müssen, 
daß  ein  bartloser  Neptun  auf  einem  Griechisch- 
Römischen  Werke  wenigstens  eben  so  befremd- 
lich ist  als  ein  Apollon  mit  Delphin  und  Drei- 
zack. Ist  doch  der  Delphin  ein  bekanntes  At- 
tribut Apollons  und  paßt  doch  der  Dreizack  zu 
diesem  sowohl  als  Delphinios  (was  an  erster  Stelle 
zu  veranschlagen  ist)  als  auch  als  Helios,  lieber 
Apollou-Delphinios  und  den  Delphin  als  sein  At- 
tribut: Welcker,  Griech.  Götterlehre  I,  S.  499  fg., 
II,  S.  380  fg. ;  über  den  Dreizack  bei  Apollon 
und  Helios:  meine  Commentatio  de  diis  Grae- 
cis  Romanisque  tridentem  gerentibus,  Gotting. 
MDCCCLXXII,  p.  7  und  p.  22  fg.,  Anm.  35  fg. 
Namentlich  ist  zu  der  in  Rede  stehenden  Gemme 
zu  vergleichen  der  Nicolo  des  K.  Cabinets  zu 
Wien ,  dessen  bildliche  Darstellung  von  E.  von 
Sacken  und  Fr.  Kenner  in  der  Beschreibung 
der  betreffenden  Sammlung  S.  446,  n.  1036  ver- 
zeichnet ist.  Man  gewahrt  auf  diesem  Steine, 
von  welchem  die  nächstens  erscheinende  Ausgabe 
des  zweiten  Bandes  der  Denkm.  d.  a.  Kunst  Taf. 
XIV,  n.  155  f.  eine  Abbildung  bringen  wird,  in 
der  Mitte  den  Dreifuß  und  den  auf  ihm  stehen- 
den Raben,  und  herum ,  auf  der  einen  Seite  ei- 
nen Dreizack  und  einen  Delphin,  auf  der  andern 


45 

ein  Füllhorn,  bekannte  Attribute  des  ApoUon 
uud  Helios.  Es  wäre  sehr  wünschenswerth,  daß 
Jemand,  der  im  Stande  ist,  über  den  St^in  des 
früheren  Praun'schen  Cabinets  genauere  Auskunft 
zu  geben,  über  den  Gegenstand  vor  der  unbärti- 
gen Figur  berichtetete,  hinsichtlich  dessen  Lip- 
pert  äußert,  daß  er  sich  der  Gestalt  nach  nicht 
beschreiben  lasse ;  ob  es  eine  Insel  (!)  sein  solle, 
könne  er  noch  weniger  sagen. 

Unter  den  vertieft  geschnittenen  Steinen  der 
K.  Sammlung  zu  Berlin  befinden  sich  zwei  aus 
Lapis  Lazuli  von  roher  und  nachlässiger  Arbeit, 
deren  ganz  gleiche  Darstellung  von  Toelken  im 
Erkl.  Verzeichniß  Kl.  IX,  Abth.  1.  n.  1  u.  2,  S.  435 
so  beschrieben  wird:  »Neptun  legt  stehend  den 
Arm  auf  eine  Säule  und  hält  in  der  Hand  einen 
Delphin.«  Die  Hand  ist  nicht  die  des  auf  die 
Säule  gestützten  Armes.  Hier  wird  die  Figur 
bloß  wegen  des  Delphins  auf  Neptun  bezogen. 
Ein  Dreizack  ist  nicht  vorhanden,  was  übrigens 
durchaus  nicht  gegen  Neptun  spricht,  da  der- 
selbe auch  sonst  dann  und  wann  bei  den 
bildlichen  Darstellungen  dieses  Gottes  fehlt. 
Aber  von  den  beiden  Figuren  ist  die  unter 
n,  2 .  nach  den  guten  Krause'schen  Abdrücken 
zu  urtheileu,  ganz  deutlich  unbärtig  und  die 
unter  n.  1  vielleicht  auch.  Toelken  hat  die- 
sen Umstand  leider  mit  keinem  Worte  berührt, 
bezeichnet  aber  die  Darstellung  n.  2  als  >ganz 
ieselbe«  wie  unter  n.  1.  Steht  die  Unbärtigkeit 
in  beiden  Fällen  sicher,  so  ist  ohne  Zweifel  Apol- 
lon  Delphinios  zu  erkennen;  ist  dagegen  die  Fi- 
irur  auf  n.  1  mit  Sicherheit  für  bärtig  zu  hal- 
ten, so  kann  man  auch  die  unter  n.  2  auf  Nep- 
tun beziehen ,  aber  mit  Wahrscheinlichkeit  nur 
unter  Annahme  einer  Nachlässigkeit  von  Seiten 
des  Gemmenschneiders ;  denn  daß  dieselbe  Figur 


46 

ein  Mal  den  bärtigen,  das  andere  Mal  den  un- 
bärtigeu  Poseidon  vorstellen  sollte  —  wie  das 
auf  Münzen  von  Poseidonia  vorkommt  — ,  ist 
nicht  wohl  glaublich.  Haar  und  Bekleidung  der 
Figuren  passen  sowohl  für  Poseidon  als  auch 
für  Apollon.  Wäre  wirklich  Poseidon  zu  erkeu- 
nen,  so  würde  man  mit  dem  größten  Scheine 
ein  Schema  seiner  Darstellung  als  Asphaleios  an- 
zunehmen haben.  Man  vergleiche  nur  die  bekann- 
ten Darstellungen  der  Securitas.  Dann  könnte 
vielUeicht  auch  der  Typus  Bruttischer  Münzen, 
auf  denen  Poseidon  sein  rechtes  Bein  auf  einen 
Säiilenstumpf  setzt  (ein  Exemplar  abgebildet  bei 
Overbeck  a.  a.  0.,  Münztaf.  VI,  n.  1)  in  dieser 
Richtung  erklärt  werden.  Indessen  findet  sich 
das  Sichstützen  auf  eine  Säule,  wie  es  in  den 
beiden  erwähnten  Gemmenbildern  vorkommt,  sonst 
bei  Poseidon  nicht.  Wohl  aber  kommt  Aehuli- 
ches  bei  Apollon  vor,  an  den  wir  auch  in  Betreff 
jener  beiden  Gemmen  bis  auf  Weiteres  am  lieb- 
sten denken  möchten. 


Conze  hat  in  Gerhard's  Arch.  Anzeiger  1867, 
S.  89*  ein  Relief  der  Universitätssammlung  zu 
Bologna  als  »offenbar  Amymone  von  Poseidon 
überfallen  darstellend«  bezeichnet.  »Amymone 
wird,  wie  sie  vor  dem  Felsenquell,  um  Wasser 
zu  schöpfen,  kniet,  von  Poseidon,  der  nackt  mit 
dem  Dreizack  im  Arme  auf  sie  zustürmt,  über- 
rascht; das  Wassergefäß  liegt  umgefallen  neben 
ihr.  Der  Gott  kommt  aus  den  Meereswelleu  her- 
aus, indem  hinter  ihm  Fische  und  ein  sich  win- 
dendes größeres  Seethier  sichtbar  sind.  Am  Fel- 
sen über  der  Quelle  sitzen  zwei  kleine  A'^ogel, 
die  erschreckt  schreien.  Oben  auf  dem  Felsen 
sitzt  ein  Mann,  der  ein  Fell  umgehängt  hat,  ge- 


47 

wiß  als  Localgottheit  des  Berges  zu  denken;  er 
wendet  sich  mit  dem  Oberkörper  hemm  nach 
l'oseidou  zu«.  Dieses  »sehr  effectvoll  und  mit 
el  Fertigkeit  gearbeitete  Hochrelief,  das  jetzt 
neilich  arg  beschädigt  ist«,  hat  Overbeck  in  der 
Kunstrayth.  Poseidons  unberücksichtigt  gelassen. 
Es  verdient  aber  besondere  Beachtung.  Unter 
»Amymone«  versteht  Conze  offenbar  die  Argivi- 
sche  Jungfrau  dieses  Namens.  Paßt  aber  auf 
diese  der  Umstand,  daß  sie  beim  Wasserschöpfen 
an  der  Quelle  von  Poseidon  überfallen  wird  ? 
Weder  in  den  von  Overbeck  a.  a.  0.  S.  368  fg. 
zusammengestellten  Berichten,  welche  wir  bei 
den  Schriftstellern  über  die  betreffende  Sage  fin- 
den, findet  sich  so  etwas  ausdrücklich  ansgespro- 
( hen ,  noch  ist  auf  den  sicheren  bildlichen  Dar- 
stellungen ein  Ueberfall  von  Seiten  Poseidons 
bei  Gelegenheit  des  Wasserschöpfens  dargestellt. 
Freilich  hat  Overbeck  einen  Bericht  übersehen, 
welcher  eine  abweichende  Sage  enthält:  den  bei 
Servius  zu  Vergil.  Aen.  IV.  377.  Hier  heißt 
es:  Dauaus  trabens  ab  Aegypto  originem,  cum 
videret  ira  Neptuni  vindictam  sumentis,  quod  ad- 
versum  se  de  condendis  Athenis  Hisagus  (ohne 
allen  Zweifel:  Inachus,  vgl.  Apollodor.  Bibl. 
II,  1 ,  4)  fluvius  pro  Minerva  judicasset,  uri  sicci- 
tate  solum,  filiam  A(m)yraonem  ad  aquam  inqui* 
1  endam  proficisci  jubet,  quae  cum  vidisset  reper- 
tiim  fontem,  hiatu  terrae  receptum,  exaruisse, 
ad  patrera  detulit  u.  s.  w.  Allein  auch  dieser 
Bericht  paßt  nicht  zu  der  Reliefdarstelluug.  Wohl 
aber  ist  dieses  der  Fall  in  Betreff  mehrerer 
Münztypen  von  Berytos  .  welche  freilich  nur  die 
Figuren  des  Poseidon  und  des  von  ihm  beim 
Wasserschöpfen  Überfallenen  Weibes  zeigen.  Der 
Typus  kommt  zuerst  unter  Caracalla  vor.  Die 
unter  Elagabalus,  Macrinus,  Diadumenianus  und 


48 

Gordianus  Pius  geprägten  Münzen  sind  nach  Mi- 
onnet von  Overbeck  a.  a.  0.  S.  340  angeführt 
(der  aber  Suppl.  VIII,  p.  236,  n.  48  übersehen 
hat).  Ein  unter  Elagabalus  geprägtes  Exemplar 
hat  von  Rauch  in  der  Arch.  Ztg.  1874,  S.  44 
beschrieben.  Gute  Abbildungen  von  Exempla- 
ren aus  der  Zeit  des  Macrinus  und  Diadumenia- 
nus  gab  vorläugst  F.  Lajard  Recherch.  sur  le 
eulte  de  Venus  pl.  1,  n.  9  (Denkm.  d.  a.  K.  II, 
26,  285  e  der  neuen  Ausg.)  und  pl.  XXV,  n.  2 ; 
von  einem  unter  Elagabalus  geprägten,  Overbeck 
a.  a.  0.,  Münztaf.  VI,  n.  30.  Hier  sieht  man  allein 
die  Gruppe  von  Poseidon  und  dem  Weibe,  wel- 
che dort  auf  der  Spitze  des  Giebels  des  Astar- 
tetempels erscheint.  Das  Weib  ist  die  Beroe, 
die  Namengeberin  der  Stadt,  die  auch  Beroe  hieß. 
Handelt  es  sich  nun  auf  diesen  Münzen  und  auf 
dem  in  Rede  stehenden  Relief  um  dieselbe  Sage 
und  ist  diese  von  der  über  die  Argivische  Amy- 
mone  durchaus  verschieden?  Das  Relief  kann 
immerhin  allein  auf  diese  Amymone  bezogen 
werden.  Das  Hervorkommen  Poseidons  aus  dem 
Meere  und  wie  er  die  zum  Wasserschöpfen,  wie 
tagtäglich,  nach  der  Lerna  gekommene  Amy- 
mone mit  Gewalt  ins  Meer  schleppt ,  beschreibt 
Lucian  Dial.  marin.  VI;  jenes  auch  Philostratus 
der  Aeltere,  Imag.  I,  8,  welcher  die  Jungfrau  wie- 
derholt zum  Flusse  luachos  gehen  läßt.  Eine 
von  der  Amymone  gefundene  und  benutzte  Quelle, 
die  aber  eines  Tages  wieder  verschwunden  ist, 
kennen  wir  aus  der  Version  der  Sage  bei  Ser- 
vius.  Die  Anhöhe  auf  dem  Relief  ist  aus  Schrift- 
stellen z.  B.  Apollodor  II,  5,  2,  und  Bildwerken, 
welche  die  Amymonesage  angehen,  bekannt.  Wa- 
rum sollte  man  bei  dem  Vorhandensein  solcher 
Varianten  der  Sage  in  Betreff  des  Wassers,  aus 
welchem  Amymone  schöpfen  wollte  —  um  von 


49 

anderen  noch  bedeutenderen  Varianten  zu  schwei- 
gen — ,  nicht  auch  noch  d  i  e  voraussetzen  dürfen, 
daß  der  üeberfall  durch  Poseidon  gerade  während 
des  Schöpfens  aus  einer  von  der  Jungfrau  ent- 
deckten namenlosen  Quelle  des  Argivischen  Lan- 
des stattgefunden  habe?  Ja  man  muß  sagen, 
daß  die  Annahme  einer  bloßen  Localsage  von  Be- 
rytos  auf  jenem  Relief  schon  an  sich  großes  Be- 
denken erregt.  Die  Münztypen  von  Berytos  be- 
ziehen sich  ohne  Zweifel  auf  eine  Localsage  die- 
ser Stadt.  Folgt  aber  daraus ,  daß  diese  Sage 
mit  der  Argivischen ,  in  die  Gesammtmythologie 
der  Griechen  übergegangeneu,  gar  nichts  zu 
schaffen  habe?  Wir  wissen  dnrch  Nonnos,  Dio- 
nys.  VIII,  150  fg.,  daß  die  in  Rede  stehende  Beroe 
nach  älterer  Sage  als  Tochter  des  Adouis  und 
der  Aphrodite,  nach  jüngerer  Sage  als  Tochter 
des  Okeanos  und  der  Tethys  galt  und  den  Bei- 
namen Amymone  hatte.  Aus  der  Abstammung 
von  Aphrodite  erklärt  es  sich  eines  Theils,  wie 
die  erwähnte  Gruppe  auf  den  Münzen  von  Bery- 
tos an  den  Tempel  der  Aphrodite-Astarte  kam; 
andern  Theils  konnte  auch  die  enge  Verbindung 
zwischen  Poseidon  und  Aphrodite  (Stark  Gaza 
und  die  philist.  Küste,  S.  288)  eine  Sage,  in  wel- 
cher die  Namengeberin  der  Stadt  eine  Rolle 
spielt,  für  den  bildlichen  Schmuck  des  Tempels 
der  Aphrodite  geeignet  erscheinen  lassen.  Frei- 
lich macht  die  Beroe  als  Amymone  zunächst 
Schwierigkeit,  obgleich  jene  Münztypen  zeigen, 
daß  es  zu  Berytos,  und  zwar  schon  vor  Nonnos, 
eine  Sage  über  Poseidon  und  Beroe  gab,  welche 
der  über  Poseidon  und  der  Danaide  Amymone 
im  wesentlichen  entsprach.  Nonnos,  der  jene 
wiederholt  allein  Amymone  nennt,  betrachtet  sie 
als  von  der  Argivischen  Amymone  durchaus  ver- 
schieden,  vgl.   namentlich  XVU,  307  fg.     Auch 


50 


der  ganze  Verlauf  der  Liebscliaft,    die  bei  Non- 
iios  nach  einem  förmlichen  Kampf  zwischen  Po- 
seidon und  Dionysos,  der  durch  Zeus'  Vermitte- 
lung  abgebrochen  wird,    mit  einer  Hochzeit  von 
Poseidon  und  Amymone  endigt,  weicht  durchaus 
ab.     Die   Geschichte    ist  speciell   für    die   btadt 
Berytos   zurecht  gemacht,    für    welche  Dionysos 
eben    so    große    Bedeutung  hatte   wie  Poseidon. 
Desto  beachtenswerther  ist  es,    daß    doch  dieser 
nicht  jener,  mit  Beroe-Amymone  verbunden  wird. 
Beachtenswerth  ist    ferner   besonders    das,    daß 
Nonnos  gerade  da,  wo  er  die  nach  seiner  Ansicbt 
iün^^ere  Sage    von    der   Abstammung   der    Beroe 
von°Okeanos  und  Tethys  berichtet,    die  Angabe 
hinzufügt,    daß   man  jener  den  Beinamen  Amy- 
mone gegeben  habe.     Warum  hat  er,  da  er  doch 
mit  diesem  Namen  auch  die  Beroe  der  nach  ihm 
älteren  Sage  bezeichnet,   jene  Angabe  nicht  bei 
oder  nach    der  Erwähnung  der   altern  Genealo- 
gie angebracht?      Weil   er  in  seiner  Quelle  nur 
bei    der  Okeanostochter  Beroe  angegeben    land, 
daß    sie    auch  Amymone   hieß.      Nun  finden  wir 
schon  in  Vergil's  Georg.  IV,  341    eine  Okeanide 
Beroe  erwähnt.      Diese   ist  schwerlich    von    der 
Beroe -Amvmone   verschieden.     Man    wird  diese 
erste  und  'einzige    Erwähnung    sicherlich    nicht 
für  zufällig  halten,  wenn  mau  bedenkt,  daß  Ver- 
di im  Zeitalter  der  Kömischen  Colonisatiou  von 
Beroe-Berytos  lebte.      Damals   war  die  Okeamde 
Beroe  in  Rom   bekannt   geworden.      Auch  sonst 
treffen  wir  dieselben  Namen    unter  den  ^keani- 
den    und  den  Danaiden:   Rhodia,    Elektra.     Wie 
sich  die  Danaide  Stygne   mit  der  Okeamde  btyx 
zusammenstellen  läßt,    so,    und  mit  noch  größe- 
rer Wahrscheinlichkeit,    die  Danaide  Kleite  mit 
der  Okeanide  Klio,  welche  bei  Vergil  a.a.O.  als 
Schwester  der  Beroe  aufgeführt  wird.     Diese  ist 


51 

übrigens  als  ursprünglich  Berytisch  zu  betrachten. 
Es  muß  in  Berytos  eine  einheimische  Sage  von 
einer  Qnellnymphe  Beroe  gegeben  haben,  welche 
man  als  Geliebte  des  höchsten  Wassergottes  be- 
trachtete. Dafür  spricht  auch  die  Bedeutung 
des  Namens,  wie  schon  Eckhel,  Doctr.  num.  II, 
p.  358,  bemerkt  hat.  Mit  diesem  verschmolz  man 
in  Hellenistischer  Zeit  die  Griechische,  als  Okeanide 
—  was  sie  ja  auch  war  —  gefaßte  Amymone. 
Daher  der  Doppelname  Beroe-Amymone  *). 

V. 

Die    drei    Gottinnen    des    Parisurtheils 
als   die  drei   Chariten. 

lu  den  Denkm.  d.  a.  Knust  Bd.  II,  Taf.  LVII, 

n.  725  ist  eiu  geschnittener  Stein  aus  dem  Mus. 
Worslejanum  T.  II,  pl.  5  abbildlich  mitgetheilt, 
auf  welchem  mau  die  drei  Chariten  in  der  sehr 
gewöhnlichen  Darstellungsweise  erkennt:  drei 
stehende  nackte  weibliche  Gestalten,  so  zu  einer 
Gruppe  vereinicrt,  daß  die  beiden  äußeren  dem 
Beschauer  die  Vorderseite  zukehren,  die  mittlere 
dagegen  die  Rückseite ,  nur  daß  ihr  Kopf,  nach 
rechts  gewendet,  im  Profil  erscheint.  Sie  umar- 
men sich ,  wie  regelmäßig.  Auch  hat  die  zu- 
meist nach  links  stehende  in  der  Rechten  das 
Aehrenattribut ,  welches  man  in  der  Hand  der 
entsprechenden  Charis  auf  den  beiden  nahestehen- 
den Gemraendarstellungen  der  Chariten  in  den 
D.  d.  a.  K.  a.  a.  0.  n.  724  und  726  findet,  wenn 
hier  nicht  an  einen  Zweig  zu  denken  ist.  Dage- 
gen hat  die  mittlere  iu  der  Rechten  kein  Attri- 
but, wie  auch  die  entsprechende  auf  der  Gemme 

1)  Die  voa  Tenffel  in  Pauly's  Realencyclop.  der  class. 
Alterthumswissensch.,  zw.  Aufl.,  Bd.  I,  2,  S.  2356,  Arnn.*) 
angeführte  Schrift  Rigler's  de  Beroe  Nonnica,  Potadam 
1860,   haben  wir  leider  nicht  einsehen  können. 


n.  726  ohne  Attribut   ist.      Jene    unterscheidet 
sich    aber    von  dieser   dadurch,    daß  sie  mit  der 
Rechten    auf  etwas    hinzuweisen    scheint.      Die 
Charis  zumeist  nach  rechts  endlich  hebt  den  lin- 
ken Unterarm,    wie   die  zumeist  nach  links  den 
Rechten.     Man  gewahrt  aber  in  der  linken  Hand 
kein  Attribut,  was  allerdings  daher  rühren  kann, 
daß    die  Stelle,    an  welcher  dieses   sich  befinden 
muß,  durch  die  rechte  Hand  der  mittleren  Charis 
verdeckt  wird.    Dagegen  trägt  die  zumeist  nach 
rechts  stehende  Charis  auf  dem  Haupte  einen  Ge- 
genstand,   welcher    sonst  weder   an  dieser  Stelle 
noch   anderswo    bei    den    Chariten    vorgefunden 
wird;  jene  halbeiförmige  Mütze,  welche  als  Kopf- 
tracht Vulcans,    der  Dioskuren  und  des  Ulysses 
bekannt  ist.     Man  faßt  nun  die  Kopftracht  jener 
Charis  als  die  des  Hephästos  und  nimmt  an,  daß 
durch  jene  diese   als  die  Gemahlin  des  Feuerbe- 
herrschers bezeichnet  werden  solle,    welche  Ho- 
mer II.  XVHI,  382    schlechthin     Charis     nennt, 
während   sie   in  der  Hesiodischen  Theogonie  Vs. 
945  Aglaia    heißt  und   nach  Eustath.    z.  Homer, 
p.  1118,    60   auch  Thalia  genannt   wurde.     Al- 
lerdings  kommen    ähnliche  Uebertragungen  von 
Attributen    wohl    vor;    eine    ganz    gleiche    aber 
schwerlich.      Der  nächststehende  Pendant  wurde 
die    mit    der     sogenannten     Phrygischen    Mütze 
versehene  Venus  eines  Wiener  Silbergefäßes  sein, 
wenn  die  von  mir  in  den  Götting.  gel.  Anz.  1874, 
S.  328   ausgesprochene  Vermuthung,    daß   diese 
Göttin   durch  jene  Kopftracht  als  mater  Aenea- 
dum,    genetrix  Aeneia,   bezeichnet  werden   solle, 
das  Richtige  trifft.      Die  richtige  Deutung  nicht 
allein   der  Kopftracht    der   Charis ,    sondern    der 
ganzen    in   Rede    stehendeuden^   Gemraendarstel- 
lung  wird,   meine   ich,    durch  die  Vergleichuug 
nahe  stehender  Bildwerke  an  die  Hand  gegeben. 


53 

In  dem  Kupferheft  zu  Fr.  Lehne's  Ges. 
Schriften,  herausg.  von  Ph.  H.  Külb,  ist  auf 
Taf.  XIl,  n.  52  ein  zu  Mainz  gefundener, 
dann  in  das  Großherzogl.  Museum  zu  Darmstadt 
übergegangener  Candelaber  von  sehr  schönem 
rothen  Marmor  mit  den  ihn  schmückenden  bild- 
lichen Darstellungen  mitgetbeilt.  An  seiner 
oberen  Abtheilung  gewahrt  man,  vor  aufgezo- 
genem Vorhange,  aber  auf  dem  hügeligen  Erd- 
boden stehend  zumeist  nach  links  Juno,  von 
vorn  dargestellt,  nackt  bis  auf  ein  leichtes  Ge- 
wand, welches  vom  linken  Oberarm  herabfällt, 
und  hinten  an  der  rechten  Hüfte  zum  Vorschein 
kommt,  mit  einem  Zweig,  welchen  Lehne  Bd.  I, 
S.  209  als  von  Lotus  bezeichnet,  in  der  Rechten, 
neben  ihr  den  Pfau;  dann  Minerva,  in  der  Rück- 
, Seite  dargestellt,  nur  daß  der  Kopf  im  Profil 
nach  rechts  hingewendet  ist,  ganz  nackt,  aber 
mit  dem  Helm  auf  dem  Haupte;  endlich  Venus, 
auch  wohl  ganz  nackt,  mit  einer  Blume  in  der 
linken  Hand,  neben  ihr  den  Amor.  Die  Göttin- 
nen halten  sich  an  den  Händen,  indem  Minerva 
mit  der  linken  die  linke  der  Juno  und  mit  der 
rechten  die  rechte  der  Venus  gefaßt  hat.  Von 
Paris  oder  Mercur  findet  sich  keine  Spur.  Daß 
hier  die  drei  Göttinnen  als  Chariten  gefaßt  sind, 
erhellt  auch  aus  den  Umständen ,  daß  sie  sich 
>wie  zum  Tanze«  (Lehne)  anfassen  und  daß  an 
der  unteren  Abtheilung  des  Candelabers  die  Re- 
präsentanten der  vier  Jahreszeiten  dargestellt 
sind,  zu  welchen  die  Chariten  der  Beziehung  nach 
bestens  passen.  In  einer  Wandmalerei  bei 
Ponce  Description  des  bains  de  Titus,  Paris 
MDCLXXXVI,  pl.  7  sind  die  drei  Göttinnen,  bis 
auf  ein  kleines  Gewand ,  welches  die  Scham  be- 
deckt, nackt  ^)  auf  Postamenten  stehend,  Minerva 

1)  Im  Text  heißt  es  freüich:   La  mere   des   Amours 


54 

in  der  Mitte,  mit  dem  Helm  auf  dem  Haupte, 
von  vorn,  Venus  und  Juno  in  Dreiviertelan- 
sicht mehr  von  der  Seite,  jene  mit  dem  Apfel 
in  der  Linken  und  dem  sich  an  sie  schmiegen- 
den Amor ,  welcher  sich ,  wie  es  scheint ,  den 
Apfel  zu  verschaffen  sucht,  diese  mit  dem  Pfau. 
Die  Darstellungen  befinden  sich  innerhalb  einer 
Nische  unmittelbar  über  einem  labrum,  von  dem 
noch  deutliche  Spuren  vorhanden  waren.  Man 
sollte  sich  die  Göttinnen  als  in  das  Bad  zu  stei- 
gen begriffen  denken.  An  ein  Bad  vor  dem  Ur- 
theil  des  Paris,  wie  Pallas  auf  einem  Vasenbilde 
(Overbeck  a.  a.  0.  Taf.  X,  n.  2)  sich  wäscht,  kann 
aber  nicht  gedacht  werden.  Venus  hat  ja  den 
Apfel  in  der  Hand.  Das  Bad  ist  vielmehr  als  das 
zu  fassen,  welches  die  Chariten  zu  nehmen  ge- 
wohnt sind,  worauf  sich  auch  die  Gefäße  auf  dem 
geschnittenen  Steine  in  den  D.*  a.  K.  a.  a.  0.  n. 
726  beziehen  dürften.  Die  Postamente  sind  si- 
cherlich nicht  mit  jenem  einer  Bühne  ähnlichen 
Gerüste  auf  einem  bekannten  geschnittenen  Steine 
(Overbeck  a.  a.  0.  Taf.  XI,  n.  7)  zusammenzustellen, 
auf  welchem  stehend  die  drei  Göttinnen  in  scham- 
loser W.eise  ihre  Reize  für  den  Paris  zur  Schau 
stellen ;  sondern  sie  sind  als  Zubehör  eines  Bades 
zu  betrachten.  Hieran  schließen  wir  zwei  Dar- 
stellungen des  Parisurtheils.  Zuerst  die  auf  dem 
von  Welcker  Alt.  Denkmäler  V,  S.  417,  n,  11  aus 
der  Sammlung  antiker  Gemälde  von  Fr.  Bartoli 
im  Vatican,  Foh  22,  angeführte:  »Paris  mit  dem 
Apfel,  vor  ihm  die  drei  Göttinnen  einander  um- 
fassend, wie  die  Grazien,    nur   alle   nach  dersel- 

laisse  voir  tous  ses  charmes,  qu'aucun  volle  ne  derobe  aax 
yeux;  aber  die  Abbildung  zeigt  deutlich  ein  vom  linken 
Arm  her  nach  der  Scham  hin  fallendes  und  diese  be- 
deckendes Qewandstück. 


55 

ben  Seite  gerichtet,  alle  nackt,  nur  ein  Peplidion 
um  die  Mitte  des  Leibes  flatternd«.  Dann  den 
Maffeischen  Stein ,  den  nach  Moutfaucon's  Ant. 
expl.  I,  pl.  CVIII,  n.  2  ungenügender  Abbildung 
0 verbeck  Tf.  XI,  n.  2  wiedergegeben  hat  Hier 
sieht  man  zwischen  eiuem  auf  einer  Säule  ste- 
henden Cultusbilde  der  Athena  (welches  wohl 
die  Athena  Ilias  darstellen  und  so  den  Platz  der 
Handlung  andeuten  soll)  und  der  Gruppe  des 
sitzenden  Paris  und  des  vor  ihm  stehenden,  den 
Apfel  haltenden  Mercurius  die  drei  Gottheiten 
ganz  nackt,  ganz  ähnlich  giuppirt,  wie  die  drei 
Chariten,  Athena  mit  dem  Helm  auf  dem  Haupte 
dem  Beschauer  deu  Rücken  zuwendend.  Es  be- 
darf hienach  wohl  keines  weiteren  Nachweises, 
daß  der  Worsley'scbe  Steiu  auf  die  drei  Göttin- 
nen des  Parisurtheils  als  die  drei  Chariten  be- 
zogen werden  kann.  —  Suchen  wir  nuu  zu  bestim- 
men, auf  welche  von  jenen  die  einzelnen  Figu- 
ren zu  beziehen  sind,  so  erinnern  wir  uns  zu- 
vörderst daran,  daß  auf  den  erwähnten  zunächst 
stehenden  Bildwerken,  welche  eine  genauere  Be- 
stimmung zulassen,  Minerva  in  der  Mitte  steht 
und  die  einzige  ist,  welche  dem  Beschauer  den 
Rücken  zukehrt.  Sollte  nicht  Raphael  in  seiner 
durch  einen  Kupferstich  von  Marc  Auton  berühm- 
ten Composition ,  von  welchem  0.  Jahn  in  den 
Bericht,  d.  K.  Sachs.  Ges.  d.  Wiss.  1849,  Taf.  VI 
einen  Nachstich  Marco's  di  Ravenna  bekannt  ge- 
macht hat,  das  Motiv  des  Zukehrens  der  Hinter- 
seite bei  der,  Minerva  von  einem  antiken  Werke 
entlehnt  haben?  Allerdings  ist  Minerva  auf  je- 
nen Pendants  die  Göttin,  welche  allein  und  wie- 
derholt eine  Kopfbedeckung  hat.  Allein  das  ver- 
schlägt nichts,  da  sie  selbst  auf  jenen  und  sonst 
mehrfach  ohne  eine  solche  vorkommt.  Die  Fi- 
gur zumeist  nach  links  vom  Beschauer  ist  jeden-» 


56 


falls  auf  Juno  zu  beziehen.    Das  Aehrenattribut 
paßt  nicht  bloß  zu  der  Charis,  sondern  auch  zu 
der  Juno;   es  findet  sich  bei  der  Juno  Martmlis 
vgl.    Text   zu   Denkm.   d.   a.   K.  Bd.  II,  Taf.  V, 
n    63,  d  der   neuen  Ausgabe.      Ob  dasselbe  hin- 
sichtlich des  Gegenstandes  in    der   Rechten   der 
die    gleiche    Stelle    einnehmenden  Juno   an  dem 
Darmstädter  Candelaber  zulässig  ist,   muß  dahm 
gestellt  bleiben ;  an  einen  »Lotuszweig«  ist  schwer- 
lich zu  denken.     Ueber  andere  der  Hera  heüige 
Pflanzen:   W.  H.  Röscher    «Stud.  z.  vergleichen- 
den Mythologie«  II,    S.  38  fg.     Demnach   hatte 
man  in  der  zumeist  nach  rechts  stehenden  l^igur 
des  Worsley'schen  Steines   die  Venus   zu   erken- 
nen.    Diese  ist  auch  auf  dem  Vasenbilde  m  Over- 
beck's  Galler.  Taf,  X,  n.  6  allein  mit  einer  Kopf- 
bedeckung versehen,  auf  einem  älteren  (Overbeck 
Taf.  IX,  n.  3   oder   D.   a.  K.  I,  17,.94,  a)   auch 
nicht  Athena,  wohl  aber  Hera.      Die  Kopfbede- 
ckung auf  dem  Cameo  ist  nun  freihch  eine  sehr  ei- 
genthümliche ,    wenn   sich    auch   ähnliche    bei 
der  Venus    dann   und    wann    finden.      Dennoch 
wäre  sie  bei  der  Venus  wohl  zu  erklaren.     Man 
hätte  anzunehmen ,    daß   es   sich  um  die  h albei- 
förmige Schiffermütze  handele,  die  der  Gottin  zu- 
nächst als  Evnloia  zustehen  würde,  ihr  aber  auch 
als  allgemeines  Attribut  gegeben  werden  konnte, 
wie  Aehnliches    ja  nicht   selten    und    gerade    bei 
der  Venus  vorkommt.     Mit  einer  halbeiformigen 
Mütze  ist  auch  die  Figur  bei  R.  Gaedecheus  *Uned. 
ant.  Bildwerke«  H.  I,  Taf.  II    versehen,    welche 
ich    in    den   Gott.  gel.  Anz.  a.  a.  0.  S.  327  tg. 
auf  Araphitrite   bezogen   habe,    wälireud  Andere 
noch  letzt  an  Helle  denken  (Overbeck  Kunstmyth. 
Poseidons  S.  346  fg.).     Auch  bei  Annahme  einer 
Amphitrite  oder  einer  andern  Meeresgöttiu  wurde 
Dicht  an   eine  Uebertragung   der  Kopfbedeckung 


57 

von  Poseidon  (Text  zu  Denkm.  a.  K.  II,  7,  85,  a, 
der  neuen  Ausg.)  zu  denken,  sondern  die  entspre- 
chende Kopftracht  aus  der  gleichen  Beziehung 
der  Göttin  auf  Seefarth  zu  erklären  sein.  —  Obi- 
ges ließe  sich  nun  recht  wohl  hören,  wenn  nicht 
zwei  geschnittene  Steine  vorhanden  wären,  welche 
der  Darstellung  nach  unter  einander  gleich  sind 
und  dem  Worsley'schen  Steine  zunächst  stehen, 
aber  die  letzterwähnt«  Figur  dieses  deutlich  mit 
einem  Helm  auf  dem  Kopfe  zeigen.  Jene  beiden, 
selbst  einem  Gelehrten  wie  "Welcker  unbekannt 
gebliebenen  Steine  sind  der  »Niccolo  di  vari 
colori«  in  den  Gemmae  et  sculpturae  ant.  de- 
pictae  ab  Leonardo  Augustino,  herausg.  von  J. 
Gronov,  P.  I,  t.  114,  und  der  »Sardius«  in  Gem- 
marum  Thesaurus  quem  coUegit  lo.  Mart.  ab 
Ebermeyer,  dig.  et  rec.  lo.  lac.  Baierus,  t.  I, 
n.  XV.  Diesen  Steinen  gegenüber  wird  die  obige 
Beziehung  der  in  Rede  stehenden  Figur  auf  Ve- 
nus aufzugeben  und  dieselbe  auf  Miuerva  zu 
deuten  sein ,  da  auf  diese  auch  die  halbeiförmige 
Mütze  recht  wohl  paßt.  Trägt  doch  die  Göttin 
mehrfach  anstatt  des  Helms  den  Pilos,  welcher 
jenen  auch  bei  Kriegerfiguren  öfters  ersetzt,  und 
erscheint  doch  dieser  Pilos  öfters  in  halbeiför- 
miger Gestalt.  Auf  jenen  beiden  Steinen  mit 
identischer  Darstellung  hält  die  mittlere  Figur, 
den  rechten  Arm  ausgestreckt  und  in  der  Hand 
desselben  Gegenstände,  welche  der  Herausgeber 
als  Apfel  mit  Blättern  faßt,  was  uns  sehr  miß- 
lich erscheint.  Das  Attribut  der  Charis  zumeist 
nach  links  vom  Beschauer  (welche  bei  Agostino 
verkehrt,  zumeist  nach  rechts  stehend  gezeichnet 
ist)  gleicht  bei  diesem  einem  Lorbeerzweig,  wäh- 
rend es  in  der  Zeichnung  des  Ebermeyer'schen 
Steines  minder  deutlich  zu  erkennen  ist;  der 
C  haris  mit  dem  Helm  scheint ,    entsprechend  ei- 

5 


58 

nigen  der  oben  erwähnten  Minervafiguren,  kein 
Attribut  in  der  Hand  zugedacht  zu  sein,  da  wohl 
etwas  von  ihrem  linken  Arm,  aber  nichts  von 
der  linken  Hand  zu  Gesicht  kommt.  So  ist  es 
auch  in  Betreff  der  mit  der  Mütze  versehenen 
Figur  des  Worsley'schen  Steins  wohl  das  Wahr- 
scheinlichste, daß  sie  in  der  Linken  nichts  hal- 
ten soll. 


UniTersität. 

Bericht  über  die  bot  anischen  Institute 
der   Universität  Göttingen   i'm  J.  1876. 

Als  seit  dem  am  19.  November  1875  erfolg- 
ten Ableben  des  Herrn  Hofrath  ßartling  die 
Verwaltung  des  botanischen  Gartens  und  des 
Universitäts-Herbariums  auf  den  Unterzeichneten 
übergegangen  war,  während  das  pflanzenphysio- 
logische Institut,  wie  bis  dahin,  ihm  und  dem 
Herrn  Professor  R  e  i  n  k  e  anvertraut  blieb,  wurde 
der  im  Interesse  des  Unterrichts  und  wissenschaft- 
licher Bestrebungen  vom  Königlichen  Ministerium 
in  Aussicht  genommene  Zweck  erreicht,  alle  den 
botanischen  Studien  dienenden  Hülsfsmittel  unter 
einheitliche  Leitung  zu  stellen.  Es  ist  dankbar 
anzuerkennen,  daß  hiedurch  die  genannten  drei 
Institute  in  engere  Verbindung  gesetzt  worden 
sind  und  in  demselben  Maaße,  als  ihre  Aufgaben 
in  einander  greifen,  auch  die  zur  Verfügung  ste- 
henden finanziellen  Mittel  nach  einem  gemein- 
samen Plan  verwendet  werden  können. 

Im   botanischen  Garten   wurde    in  Folge  au- 


59 

ßerordeuÜiclier    Bewilligung    der    Neubau    von 
zwei  altern,    am  Walle  belegenen  Treibhäusern 
während    des    Sommers    1876     zur  Ausführung 
gebracht   und  dadurch  die  Gefahr  des  Verlustes 
unserer  reichen  Sammlung  vor   succulenten  Ge- 
wächsen abgewendet,   denen  der  verfallene  Zu- 
stand der  durch  Seitendruck  ausgewichenen  Wände 
keinen  Schutz  mehr  gewähren  konnte.    Die  Reihe 
der  neuern  Treibhäuser,  welche,  vom  ehemaligen 
Universitäts-Baumeister  Dölz  gebaut,  vielen  an- 
dern botanischen  Gärten  Deutschlands  zum  Mu- 
ster gedient  haben,   wird   zwar  auch   in  Bezug 
auf  Heizung   und   zum  Zweck  ihrer   Erhaltung 
alsbald    einiger   Nachbesserung    bedürfen,    aber 
zunächst  war  der  Uebelstand  zu  beseitigen,  daß 
die  Pflanzen  zu  dicht  stehen  und  einzelne  Holz- 
gewächse  im  Laufe   der  Zeit  zu  hoch  geworden 
sind.     Zu  diesem  Zwecke  wurde  ein  Anfang  ge- 
macht, Ueberflüssiges  auszuscheiden  und  es  wurde 
die  große  Dattelpalme,  die  bereits  das  Glasdach 
zu  beschädigen   drohte,    einige  Meter  tiefer   in 
den  Erdboden  des  Palmenhauses  eingesenkt. 

Im  Garten  selbst  stand  eine  ansehnliche  Fläche, 
die  bis  jetzt  mit  ökonomischen  Pflanzen  besetzt 
war,  nach  der  Vollendung  der  landwirthschaft- 
lichen  Anstalten  zur  Verfügung,  und,  indem  da- 
hin die  systematisch  geordnete  Reihe  der  offici- 
nellen  Gewächse  versetzt  wurde,  konnte  man 
den  dadurch  frei  gewordenen  Raum  zur  Erwei- 
terung des  Arboretum  benutzen,  dessen  Bestand 
den  Aufgaben  des  Instituts  am  wenigsten  ge- 
nügte. In  dieser  Richtung  vorzugehen,  erschien 
um  so  mehr  geboten,  als  der  Theil  des  Gartens, 
der  nun  für  diese  Anlage  bestimmt  ist,  wegen 
seiner  Bodenbeschafi'enheit  zu  andern  Kulturen 
sich  als  ungeeignet  erwiesen  hat.  Auf  einer 
Reise,  welche  Herr  Gartenmeister  Gieseler  nach 


60 

Hamburg,  Berlin  und  Muskau  unternahm,  um 
unseru  Garten  durch  passende  Holzgewächse  zu 
bereichern,  wurden  218  ausgewählte  Exemplare 
von  Arten  erworben,  die  dem  Arboretum  bis  da- 
hin gefehlt  hatten.  Die  neue  Anpflanzung  _  ist 
im  Geschmack  einer  Parkanlage  und  mit  Rück- 
sicht auf  die  Heimath  der  Arten  bis  zum  Herbste 
auf  der  südlichen  Hälfte  des  Areals  bereits  aus- 
geführt worden,  das  Uebrige  wird  sich  im  näch- 
sten Frühjahr  anschließen. 

Anderweitige  Bereicherungen  des  Gartens 
ergaben  sich  aus  dem  üblichen  Verkehr  desselben 
und  aus  Schenkungen,  für  welche  der  Dank  hie- 
mit  ausgesprochen  wird.  Die  Tauschverbindung 
wurde  mit  52  andern  botanischen  Gärten  unter- 
halten und  erstreckt  sich  über  ganz  Europa: 
aus  ihnen  sind  im  Frühling  gegen  2000  Arten 
in  Samen  bezogen  und  dafür  3000  Nummern 
von  hier  aus  abgegeben.  Lebende  Pflanzen  em- 
pfingen wir  aus  Petersburg  (17  Arten)  und  aus 
dem  Berggarten  in  Herrenhausen  (25),  wogegen 
Sendungen  dieser  Art  nach  denselben  Orten 
(nach  Petersburg  76,  nach  Herrenhausen  12  Ar- 
ten), sowie  nach  Kiel  (15)  und  an  den  Forst- 
garten in  Münden  (29)  abgingen. 

Geschenkt  wurden  dem  botanischen  Garten 
von  Baron  Müller  in  Melbourne  ein  großer  Farn- 
stamm (Dicksonia  antarctica),  der  aus  Australien 
unversehrt  anlangte  und  bereits  getrieben  hat, 
nebst  einer  neuen  Cycadee  aus  Queensland,  de- 
ren Samen  zur  Keimung  gelangten;  von  Herrn 
Kurz,  Curator  des  botanischen  Gartens  in  Cal- 
cutta  4  Nadelhölzer  und  eine  Bambuse  aus  dem 
Himalaja;  von  Professor  Lorentz  in  Concep- 
cion  del  Uruguay  mehrere  Sämereien  aus  der 
argentinischen  Flora;  von  Graf  A.  Keyserling 
in  Ilaiküll  bei  Reval   einige   Beiträge  zu   einer 


61 

in  Angriff  genommenen  Kultur  von  Torfgewäch- 
sen, die  der  Göttinger  Gegend  fremd  sind. 

Die  Anzahl  der  in  den  Vorlesungen  über 
systematische  Botanik  unter  die  Studirenden  ver- 
theilten,  abgeschnitteneu  Pflanzen  des  botani- 
schen Gartens  belief  sich  während  des  Sommer- 
semesters auf  mehr  als  300  Arten  in  etwa  17000 
blühenden  Exemplaren  upd  eine  größere  Reihe 
von  kultivirten  Arten  wurde  von  den  Docenten 
zu  ihren  Demonstrationen  benutzt.  Dem  zur 
Tauschverbindung  dienenden  Samenkatalog  des 
Gartens  sind  als  Anhang  einige  systematische 
Bemerkuugeu  über  kritische  Gewächse  hinzuge- 
fügt, die  im  Sommer  zur  Blüthe  gelangt 
waren. 

Das  Universitätsherbarium  ist  seit  geraumer 
Zeit  in  der  Weise  verwaltet  worden,  daß  dem- 
selben die  Privatsammlung  des  Unterzeichneten 
zur  Ergänzung  dienen  sollte,  indem  beide  in  der 
Folge  vereinigt  werden  sollen.  Die  Bereiche- 
rungen des  letzten  Jahrs  vertheilen  sich  daher, 
wie  bisher,  auf  beide  Sammlungen.  Von  be- 
deutendstem Werth  waren  drei  Sendungen  des 
Professor  Lorentz  in  Concepcion  del  Uruguay, 
welche"  theils  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen 
in  den  üferlandschaften  am  Rio  de  la  Plata  ent- 
halten, theils  von  seiner  mit  Professor  Hiero- 
nymus  nach  dem  Norden  Argentiniens  unternom- 
menen Reise  herrühren.  Da  die  von  ihnen  be- 
suchten Gegenden  der  Provinzen  Salta,  Jujuy, 
Oran  und  El  Chaco  noch  niemals  von  enem 
Botaniker  betreten  waren,  so  liefert  die  Aus- 
beute, namentlich  von  dieser  Reise,  einen  rei- 
chen Beitrag  zur  Kenntniß  der  argentinischen 
Flora,  der,  als  Fortsetzung  der  früher  in  den 
Abhandlungen  der  K.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften publicirten   Plantae  Lorentzianae .  ge- 


62 


genwärtig  vom  Unterzeichneten  systematiseli  be- 
arbeitet  wird.     Anderweitige  Erwerbungen  für 
die  Sammlung  desselben  bestanden  in  russischen 
und   brasilianischen  Pflanzen    aus   dem   Museum 
des  kaiserlichen  botanischen  Gartens   in  St.  Pe- 
tersburg   (vom  Director   v.  Regel  mitgetheilt), 
in  kritischen  und  neuen  Arten  aus  Ungarn  (von 
Herrn  v.  Janka  in  Pesth),  aus  einer  bedeuten- 
den Anzahl   illyrischer    Pflanzen,    den  Original- 
exemplaren  zu  den  vieljährigen  Forschungen  des 
Ritters    V.  Tommasini   (Geschenk  dieses  wer- 
then  Herrn).     Hieran  reihen  sich  die  durch  An- 
kauf   erworbenen    aragonesischen    Pflanzen    von 
Loscos   (eine    Centurie),    ausgewählte  Arten   der 
italienischen   Flora    (gegen  200)   und    eine   Sen- 
dung aus  Kalifornien  (150  Arten).       .      ,     ,,  . 
Durch  folgende  Schenkungen  wurde  das  Uni- 
versitätsherbanum    im  vorigen  Jahre  bereichert: 
vom  Medicinalrath   Wiggers   empfing   dasselbe 
nordamerikanische  Pflanzen  (120),  vom  Apothe- 
ker Vi  o"  euer    die    Sammlung   Schaö^ners    aus 
Mexico  (400  Arten),  vom  Professor  Wappaeus 
Holz   von  Sequoia   gigantea,    von  Herrn  Preiß 
in  Herzberg  die  von  ihm  bei  Hattort  wiederaut- 
cefundeue  Carex  pilosa.     Durch  Ankauf  wurden 
erworben:     Rietmaun's    australische    Sammlung 
(250)     die   erste    Serie   von   Rein's   japanischen 
Pflairzen  (175),  von  Studniczka  ausgewählte  Ar- 
ten der  dalmatischen  Flora  (200),    5  neue   Lie- 
feruu<reu    von    Baenitz'    Herbarium    europaeuni 
und   "eine    neue    Abtheilung    von    Rabeuhorst  s 
Brvotheca  europaea  (50  Arten). 

Von  wissenschaftlichen  Publikationen,  die 
aus  den  Göttinger  Herbarien  hervorgegangen 
sind,  können  mehrere  Aufsätze  des  Privatdocen- 
ten  br  Drude  erwähnt  werden,  die  sich  aui 
die    Systematik  und  geographische  Verbreitung 


63 

der  Palmen  beziehen,  über  welche  derselbe  eine 
größere  Arbeit  vorbereitet. 

Das  pflanzenphysiologische  Institut  wird  erst 
dann  zu  voller  Wirksamkeit  gelangen  können, 
wenn  die  vom  K.  Ministerium  beabsichtigte  Er- 
richtung eines  dazu  bestimmten  Gebäudes  im 
botanischen  Garten  ausgeführt  sein  wird,  wozu 
der  Bauplan  bereits  genehmigt  worden  ist.  Al- 
lein wenn  auch  das  provisorische  Lokal,  auf 
welches  das  Institut  gegenwärtig  noch  einge- 
schränkt ist,  den  Bedürfnissen  nicht  genügt,  so 
hat  dasselbe  doch  in  den  wenigen  Jahren  seines 
Bestehens  sich  durch  die  Thätigkeit  des  Professor 
ßeinke,  dem  die  specielle  Leitung  übertragen 
ist,  gedeihlich  entwickelt  und  ist  mit  Instrumen- 
ten, Apparaten ,  Sammlungen  und  anderweitigen 
Hülfsmitteln  so  weit  ausgestattet,  daß  mannig- 
faltige Arbeiten  darin  unternommen  und  zum 
Theil  vollendet  werden  konnten.  Während  im 
verflossenen  Jahre  der  größte  Theil  der  ver- 
fügbaren Geldmittel  wiederum  zur  Erweiterung 
des  wissenschaftlichen  Apparats  verwendet  wurde, 
sind  die  Sammlungen  fast  nur  durch  Professor 
Reiuke  selbst  erheblich  bereichert  worden,  wozu 
ihm  sein  Aufenthalt  in  Neapel  während  des 
Winters  1875  auf  1876  und  eine  Herbstreise 
nach  der  Schweiz  erwünschte  Gelegenheit  bot. 
Diesen  Untersuchungen  verdankt  das  Institut  an 
Mediterrau-Algen  eine  theils  zu  Demonstrationen 
geeignete,  theils  zum  Arbeitsmaterial  bestimmte 
Sammlung  (in  etwa  240  Gläsern)  und  aus  den 
Alpeu  seine  Ausbeute  an  Pilzen,  unter  denen 
die  Myxomyceten  (in  33  Gläsern)  besonders 
reichhaltig  vertreten  sind.  Die  Pilzsammlung 
wurde  außerdem  durch  den  Ankauf  von  SchneS- 
der's  schlesischen  Pilzen ,  sowie  einer  neuen 
Lieferung  von  v.  Thümen's  Herbarium  mjcologi- 


64 

cum  oeconomicum  vermehrt.  Im  Institut  selbst 
wurde  auf  die  Herstellung  einer  ausgedehnten 
Sammlung  von  morphologischen  und  anatomi- 
schen Präparaten  fortgesetzt  Bedacht  genommen. 
Von  den  Arbeiten,  welche  im  physiologischen 
Institut  ausgeführt  wurden,  sind  jfolgende  ent- 
weder vollständig  oder  im  Auszuge  bereits  ver- 
öffentlicht : 

Dr.    Falkenberg,    die    Vegetationsorgane 

der  Monokotyledonen ; 
Stud.  Behrens,  die  Anatomie  der  Narbe; 
„       Holle,    die   Anatomie    der  Ophioglos- 

seen; 
„       Holle,  die  Marattiaceen ; 
,,  „         die  Wurzel  der  Angiospermen ; 

„  Conwentz,  der  Gefäßbündelverlauf 
der  Farne. 
Die  Untersuchung  von  Holle  über  Kohlen- 
säure-Zersetzung in  den  Pflanzen  wurde  beendet, 
ist  aber  noch  ungedruckt.  Noch  unvollendete 
Arbeiten  beziehen  sich  auf  die  zur  Kohlensäure- 
Zersetzung  erforderliche  Lichtmenge ,  auf  die 
Blüthenentwickelung  der  Halorageen  und  auf 
die  Anatomie  und  Blüthenentwickelung  von 
Elatine. 

Dr.  Grisebach. 


65 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


7.  Februar.  Mk  3*  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaftea. 

Sitzung  am  3.  Februar. 

Benfey,  Hermes,  Minos,  Tartaroe  (erscheint  in  denAb- 
handlangen). 

—  Nachtrag  zu  den  'Nachrichten*  1876,  Nr.  13,  S.  330, 
Z.  13  V.  u.  flF. 

—  Nachtrag  zu  den  'Nachrichten'  1877,  Nr.  1.  S.  10, 
Z.  14. 

—  Wahrung  seines  Rechtes. 

Bethy,    ein  Beitrag  zur   mathematischen  Theorie   der 
Beugungs •  Erscheinungen.    (Yorgel.  von  Schering). 

Nachtrag  zu    den  'Nachrichten',  1876,  Nr.  13, 
S.  330  Z.  13  V.  u.  ff. 

Von 

Th.  Benfey. 

Ich  glaube  riihnair  und  yudha  jetzt  vollstän- 
dig erklären  zu  können,  rukmaih.  steht  in  socia- 
tiver  Bedeutung:  'mit  Goldzierrathen'  und  be- 
zieht sich  auf  wara(h);  'Die  Helden  mit  Gold- 
zierrathen'  sind  'die  mit  solchen  geschmückten 
Helden'  (genaueres  in  der  'Grammatik  der  vedi- 
schen  Sprache',  Syntax,  Instrumental);  yudhu 
aber   steht  für  yndJm  (vgl.  'Quantitätsverschie- 

6 


66 

denheiten,  1.  Abhandlung,  in  Abhandlungen  der 
Kön.  Ges.  der  Wiss.  zu  Göttingen,  Bd.  XIX.  S. 
255  fiP.)  und  ist  Determinativ  von  närah:  'die 
Helden  des  Kampfes  =  Kriegshelden'.  Es  ist 
also  S.  140,  Z.  12  zu  ergänzen:  'Heran  haben 
die  mit  goldnen  Zierrathen  geschmückten  Kriegs- 
helden'. .  .  . 


Nachtrag  zu  den  'Nachrichten'  1877  Nr.  1. 
S.  10,  Z.  14. 

Von 

Th.  Benfey. 

Die  Identität  von  Kiqßsqo  mit  gdbäla  ist  schon 
vor  Weber  von  M.  Müller  (vor  1848)  hervorge- 
hoben (s.  dessen  'Chips  from  a  German  Work- 
shop' II.  p.  182  ff.),  wie  auch  von  Weber  'Aka- 
demische Vorlesungen  über  Indische  Literaturge- 
schichte 2te  Auflage  1876,  S.  38  n.**  bemerkt  ist. 


Wahrung  seines  Rechtes. 

Von 

Th.  Benfey. 

In  den  Göttiuger  Gelehrten  Anzeigen  hat 
der  Verfasser  dieser  Rechtswahrung  am  lösten 
Mai  18  4  6  im  8 Osten  Stück  derselben 
S.  841  —  842  folgende  Worte  veröffentlicht: 

'Ein  tieferes  Eindringen  in  die  ursprüngliche 


67 

Stellung  desAccents  und  seine  Geschichte  würde 
den  Herrn  Verf.  (es  ist  von  dem  verstorbenen 
Germanisten  und  Linguisten ,  Adolf  Holtzmann, 
die  Rede)  ■wahrscheinlich  sicherer  geleitet  haben. 
Refer.  glaubt  als  Resultat  seiner  Untersuchun- 
gen geben  zu  können,  daß  der  Accent  (im 
Indogermanischen)  ursprünglich  nie  auf 
der  Stammsilbe,  sojidern  auf  der,  den 
Wurzelbegriff  modificierenden  siand\ 

Im  Jahre  1847  veröffentlichte  Hr.  Prof.  Louis 
B  e  n  1 0  e  w  seine  Schrift :  De  TAccentuation  dans 
les  laugues  Indo  -  Europeennes,  welche,  wie  die 
Unterfertigung  des  Doyen  de  la  Faculte  des 
Lettres  de  Paris  ,  datirt  vo m  6  ten  Ju  n i 
18  4  7  so  wie  die  hinzugefügte  Druckerlaubniß 
zeigt  (S.  296  dieser  Schrift),  erst  dreizehn 
Monate  nach  meiner  Y eröffentlichun g 
gedruckt  zu  werden  beginnen  konnte. 

Als  ich  diese  Schrift  durchlas,  erkannt«  ich 
zwar,  daß  zwischen  seiner  Annahme  ,  daß  der 
Accent  auf  le  dernier  dctermiyiant  d'un  mot  falle 
(vgl.  S.  293  Nr.  5,  S.  45  und  S.  2.  Nr.  11) 
und  meinen  oben  angeführten  Worten  eine  ge- 
wisse  Aehnlichkeit   herrsche  *) ,    allein    sie    war 

1)  Damit  der  Leser  selbst  artheilen  könne,  theile  ich 
die  Stellen  mit:  S.  293  Nr.  5:  La  place  de  l'accent  ne 
dependait  encore  ni  de  la  quantite ,  ni  de  nombre  des 
syilabes  qui  le  separaient  de  la  fin  du  mot.  L'accent  etait 
ßxe  par  la  place  du  dernier  dete  rminani. 

S.  45.  Les  Premiers  hommes,  en  combinant  les  Pre- 
miers mots,  paraissent  avoir  eleve  leur  voix  aar  la  partie, 
sur  l'idee  qui  frappait  leur  esprit  'en  demier  lieu:  ainsi 
dans  les  formes  augmentees  du  verbe  c'etait  l'angment, 
dans  les  formes  composees  avec  des  prepositions  c'etait 
la  preposition  qui  devait  attirer  l'accent. 

S.  2.  Nr.  11.  Nous  appelons  le  dernier  determinant 
d|un  mot,  la  partie  de  ce  mot,  qui  le  determine  en  der- 
nier lieu,  c'est  ä  dire  qui  lui  donne  sa  forme  definitive. 


68 

nicht  so  augenfällig,  daß  ich  mit  Bestimmheit 
hätte  behaupten  können ,  daß  beide  AufiFassun- 
gen  wesentlich  identisch  seien. 

Als  ich  meine  Vollständige  Grammatik  der 
Sanskritsprache  herausgab  (1852)  wiederholte 
ich  §  4  S.  9  jenes  von  mir  1846  ausgesprochene 
Resultat  fast  in  denselben  Worten  und  wandte 
es  auf  die  Erklärung  der  Accentuation  im  San- 
skrit an.  Auch  diese  Worte  halte  ich  für  dien- 
lich hieher  zu  setzen ;  sie  lauten : 

'Das  Sanskrit  hat  eigentlich  nur  einen  Ac- 
cent,  den  Acut,  hohen  Ton  {uäättd).  Dieser 
hob  ursprünglich  den  Vokal  derjeni- 
gen Sylbe,  durch  welche  ein  Begriff 
modificirt  ward,  also  den  eines  Suffixes 
oder  Präfixes,  wenn  es  sich  mit  einer  Wurzel, 
oder  einem  aus  einer  Wurzel  gebildeten  Thema 
verband,  z.  B.  dvish  'hassen'  mit  dem  Suffix  der 
Isten  Person  Dual.  Präs.  vas  wird  dvishvds; 
taraSy  Schnelligkeit,  mit  Sufi".  vin  wird  tarasvkif 
schnell;  dvish  mit  dem  Augment  zusammenge- 
setzt, wird  drdvish,  z.  B.  Iste  Person  Sing.  Im- 
perf.  ädvesham,  ich  haßte.  Dieses  ursprüngliche 
Princip  ist  jedoch  im  Fortgang  der  Sprach- 
entwickelung in  einigen  Fällen  von  andern 
wortgestaltenden  Einflüssen  verdrängt'. 

Wenige  Jahre  nach  der  Herausgabe  dieser 
Grammatik  erschien  1855  das  von  Henri  Weil 
und  Louis  Benloew  gemeinsam  bearbeitete 
Werk  :  Theorie  generale  de  l'Accentuation  La- 
tine,  (Berlin,  Paris).  Darin  heißt  es  (S.  105—106): 

L'accent  sanscrit  releve  gcncralement  la 
syllahe  qui  modifie  la  notion  du  radi- 
cal,  le  Suffixe ,  l'augment ,  le  redoublement :  ä 
une  Serie  d'exceptions  pres  ,  que  Ton  trouvera 
enumerees   dans   les    ouvrages  de  Benfey  et  de 


Benloew,   Je  dernier  determinant  decidait 
en  sanscrit  de  la  place  de  l'accent. 

Man  sieht  schon  aus  den  durch  den  Druck 
am  stärksten  ausgezeichneten  Worten,  daß  hier 
die  wörtliche  lieber  setsung  meiner 
Darstellung  —  und  zwar  nicht  der 
oben  angeführten  1852  in  der  Voll- 
ständigen Grammatik  der  Sanskrit- 
sprache gegebnen,  sondern  der  eben- 
falls oben  mitg  et  heilte  n,  schon  1846 
in  den  Göttinger  gelehrten  Anzeigen 
veröffentlichten:  la  syllahe  qui  mo- 
difie  la  notion  radicale  =  meinen 
Worten:  die  den  Wurzelbegriff  modi- 
ficieren  de  Sylbe  — 

V  ollständig  gleichgestellt  tcird  7nit 
B  enloeiv's  le  der  ni  er  d  et  er  min  an  t. 
Zu  allem  üeberfluß  wird  diese  vollständige 
Gleichstellung  noch  dadurch  erhärtet ,  daß  die 
Verfasser  in  einer  Note  zu  S.  106  die  Behaup- 
tung hinzufügen:  Ce  principe  (der  'dernier  de- 
terminant'' =  meiner  'den  Wu r zelbegriff 
modifi Gierenden  Sylbe')  mis  en  lumiere 
par  Benloew  (Acentuation  dans  les  laugues  indo- 
europeennes  p.  49  et  suiv.)  a  öte  adopte  par 
M.  Benfey  (Neue  (so !')  Sanskritgrammatik  1852 
p.  9),  d.  h.  in  schlichtem  oder  grobem  Deutsch 
ausgedrückt:  sei  von  mir  gestohlen. 

Aus  dieser,  von  Benloew  selbst  veröffentlich- 
ten, Identificirung  seines  1847  bekannt  gemach- 
ten Priucips  mit  der  von  mir  tcen igst e n  drei- 
zehn Monate  früher  gegebnen  Darstellung 
ergiebt  sich  mit  tinbezic  eifelbar er  Ent- 
schiedenheit, daß  ich  unbedingt  das 
Recht  habe  diese  Entdeckung  als  diemeinige 
zu  vindiciren. 

Ich  kann  nicht  bergen,  daß  der  oben  hervor- 


70 


gehobene  Umstand,  daß  Weil  und  Benloew  des 
letzteren  dernier  determinant  mahi  mit  der  in  der 
Vollständigen  Gr.  d.  Sskntspr.  1852  gegebnen 
Fassung  'Sylbe,  durch  welche  em  Begriff  mod- 
ficirt  ward',  sondern  mit  der  m  den  Gott.  Gel 
Anz  1846  'die  den  Wurzelbegnff  modificierende 
Silbe'  identificieren,  die  Vermuthung  nahe  legt, 
daß  Hrn  Benloew  meine  wemgstens  schon  drei, 
zehn  Monate  vor  der  seinigen  ^«!^f^«?^^^^^^^^^^ 
Darstellung  bekannt  war  ^^«^  ^^If  ^*  Jf 
Schlüssen  berechtigt,  wie  sie  Ferd.  Justi  m  sei- 

Ber    Abhandlung   'Ueber    die    Zl^^f^^^J^^^W 
der  Nomina  in  den  Indogermanischen  Sprachen 
1861  S.  69  Anm.    gezogen    hat;    allem,    wenn 
gleih  durch  die  gegen  mich  erhobene  Beschnldi- 
Lng,    daß   von    mir   Benloew's   i^nnc^i^e   a  .^e 
Idoptl   wohl  dazu    berechtigt,    hatte    und  habe 
kh  auch  ietzt  nicht  die  entfernteste  Neigung  Re- 
cliSonen  zu  erheben.     Mir  kam  und  komm 
es  auch  jetzt  einzig    darauf  an,  meine  Priorität 
in  dlser  Angelegenheit  zu  erweisen  und  zu  be- 
haupten und' nur  in  diesem  Siini  habe  ic^ 
in  Zarncke's    literarischem    Centralblatt  Nr.  4A 
ISten    October,  S.  675    eine    kurze   Erklärung 
erlassen,    deren  Uebersetzung  ungefähr  um  die- 
se beZet  auch  in  einer  französischen  Zeitschrift 
erschienen  ist,   welche    ich   aber  m  diesem  Au- 
ffenblick  nicht  aufzufinden  vermag.  . 

^Dieser  Erklärung  gegenüber  haben  so  viel 
mir  bekannt,  weder  Benloew  noch  Weil  eine 
Erwiderung  veröffentlicht.  .  ^     ^  „u 

Tt  dieser  Erklärung  glaubte  ich  demnach 
meinem  Rechte  und  meiner  Pflicht  Genüge  ge- 
Set  zu  haben  nnd  hoffte  nicht  nochmals  ge- 
S^'t  zu  werden,  in  dieser  Angelegenheit  of- 
?pn  hc  1  das  Wort  ergreifen  zu  müssen.  Wenn 
Ätzde^n  jetzt,    nach  Verlauf  von    zwanzig 


71 

Jahren ,  mich  in  der  Nothwendigkeit  befinde, 
mein  Recht  von  Nenem  zu  wahren,  so  bietet  die 
Veranlassung  dazu  eine  Arbeit  von  Dr.  Leon- 
hard  Masing.  Diese  ist  in  den  'Memoires  de 
TAcademie  Imperiale  des  sciences  de  St.  Peters- 
bourg,  YUe  Serie,  Tome  XXIII,  Nr.  5,  1876  er- 
schienen, führt  den  Titel :  Die  Hauptformen  des 
Serbisch- Chorwatischen  Accents.  Nebst  einlei- 
tenden Bemerkungen  zur  Accentlehre  insbesondere 
des  Griechischen  und  des  Sanskrit',  und  schreibt 
die  Entdeckung  der  ursprünglichen 
Stelle  des  Accents  im  Indogermani- 
schen S.  3  §  8  Louis  Benloew  zu. 

Es  ergiebt  sich  daraus  daß  entweder  meine, 
wie  oben  erwähnt,  im  Jahre  1856  erlassene  Er- 
klärung im  Verlauf  dieser  zwanzig  Jahre  wie- 
der vergessen  ist ,  oder  —  vielleicht  in  Folge 
ihrer  Kürze  —  mein  Recht  nicht  vellständig 
außer  allen  Zweifel  gestellt  hat. 

Ich  habe  es  darum  für  meine  Pflicht  ge- 
halten —  und  bin  dem  Hrn.  Dr.  Masing  dank- 
bar dafür,  daß  er  mir  die  Veranlassung  dazu  ge- 
geben hat  —  diese  Angelegenheit  nochmals  zu 
besprechen  ;  ich  hoffe ,  daß  dieses  in  so  unpar- 
teiischer, rein  objectiver  und  zugleich  genügen- 
der Weise  geschehen  ist,  daß  jeder  Leser  dadurch 
in  den  Stand  gesetzt  ist  sich  von  meinem  Rechte 
auf  die  Priorität  dieser  Entdeckung  vollständig 
zu  überzeugen. 

Es  wird  zwar  manchen  Fachgenossen  viel- 
leicht auffallen,  daß  ich,  trotzdem  ich  so  viele 
Veranlassungen  Prioritätsansprüche  zu  erheben» 
unbeachtet  gelassen  habe,  in  dieser  Sache 
sogar  zum  zweiten  Male  fiir  mein  Recht  ein- 
trete; allein  diese  mögen  berücksichtigen,  daß 
dieser  Fall   weit    über   alle  hervorragt,    welche 


72 

mir  sonst  zu  derartigen  Ansprüchen  Gelegenheit 
gegeben  haben  würden. 

Es  ist  einer  der  in  dieser  Disciplin  sehr  selt- 
nen Fälle,  wo  sieben  Worte  dazu  genügten  einen 
Gedanken  von  der  allergrößten  Tragweite  zu 
formuliren,  welcher  in  seinem  Schoß  die  Erklä- 
rung einer  fast  unendlichen  Fülle  von  sprachli- 
chen Erscheinungen  trägt.  Wer  einen  solchen 
Gedanken  zuerst  öffentlich  ausgesprochen  hat, 
der  hat,  nach  meiner  IJeberzeugung,  nicht  bloß 
das  Recht,  sondern  fast  in  noch  höherem  Grade 
die  Verpflichtung ,  seinen  Anspruch ,  ohne  An- 
sehen der  Person ,  mit  allen  seinen  Kräften ,  so 
lange  er  vermag,  zu  schützen  und  aufrecht  zu 
erhalten. 


Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften   im   Monat    November    1876 
eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Leopoldina.  XII.  No.  19—20. 

The  TransactioDs  of  the  Linnean  Soo.   of  London.  Bo* 
tang.    Vol.  I.     P.  1—3.     1876.     4. 

—  Dieselben.    Zoology.    Vol.  I.    P.  2—8.    1875.    4. 
General  Index  to  the  Transact.  of  the  Linnean  Soc.  Vis. 

XXVI  to  XXX.     1876.     4. 
The  Journal    of    the  Linnean    Soc.  Botany.     Vol.  XV. 
No.  81—84.     1875-76. 

—  Dasselbe.    Zoology.    Vol.  XII.     No.    60-63.    1876. 
Linnean  Society.     Proceedings  of  the  session  1874—75. 
Additions  of  the  Library  of  the  Linnean  Soc.  From  1874 

to  1876. 

Fortsetzung  folgt. 


73 


Nachrichteu 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


21.  Februar.  Mk  4.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  WissenschafteB. 

Sitzung  am  3.  Februar. 

Ein  Beitrag  zurTheorie  derBeugungs- 
erscheinnngen. 

Von 

Moritz  Rethy, 

Professor  an  der  Universität  in  Klausenburg. 

Vorgelegt  von  Schering. 

Die  Erklärung  der  Beugungserscheinungen 
bildet  eine  jener  Aufgaben  der  mathematischen 
Physik,  deren  vollständige  Lösung  in  den  näch- 
sten Zeiten  wol  kaum  zu  erwarten  sein  wird. 
Aber  wenn  auch  unsere  gegenwärtige  Theorie 
derselben  den  Thatsacheu  der  Erfahrung  nicht 
vollkommen  entspricht,  so  glaube  ich  doch,  daß 
es  von  theoretischem  Interesse  sein  wird ,  das 
Verhältniß  zu  untersuchen,  in  welchem  dieselbe 
zu  den  vom  großen  Gauss ,  man  könnte  sagen, 
flüchtig  hingeworfenen  Beugungsformeln  ^),  und 
beide   zum  strenger   gestalteten  Huyghens'schen 

1)  Gaviss  Werke  Bd.  V.  und  Bemerkungen  am   Ende 
desselben  Bandes  von  Schering. 

7 


u 

Princip  stehen,  wie  letzteres  von  Kirchlioff  in 
seinen  Vorträgen  aus  der  Optik  aus  einem 
Helmholtz'schen  Satze  abgeleitet  worden  ist. 

Ich  habe  gefunden,  daß  das  allgemein  ge- 
brauchte Flächen-Integral,  (welches  ich 
das  Fresnel'sche  nennen  will)  und  das  Gauss- 
sche  Rand-Integral  sich  von  einander  und 
auch  von  dem  aus  dem  strengen  Huyghens- 
schen  Princip  hypothetisch  ableitba- 
ren durch  variable  Faktoren  unterscheiden,  die 
jedoch  nicht  verhindern,  daß  alle  drei  mit  un- 
seren Erfahrungen  in  gleichem  Grade  überein- 
stimmend seien.  Von  dem  Gauss 's  eben 
Flächen-Integral  hingegen  kann  letzteres 
ohne  Weiteres  nicht  gesagt  werden. 


Es  sei  mir  gestattet,  der  Behandlung  meines 
eigentlichen  Gegenstandes  die  Ableitung  des 
Huyghens'schen  Princips,  in  ihren  Hauptzügen, 
vorauszuschicken. 

Bezeichnen  wir  mit  r  die  Entfernung  eines 
festen  Punktes  j^;,  dessen  Coordinaten  er,  ß,  y 
sind,  von  einem  variablen  Punkte  x,  y,  z  eines 
um  den  Punkt  ^  durch  zwei  geschlossene  Flä- 
chen abgegrenzten  Raumes  %\  sei  «ö  die  äußere, 
und  eine  um  den  Punkt  ^,  als  Mittelpunkt,  ge- 
schlagene unendlich  kleine  Kugel  w,  die 
innere  Grenzfläche  dieses  Raumes.  Seien 
O  und  ^^)  im  ganzen  Räume  r,  sammt  ihren  Ab- 
leitungen, eindeutige  und  stetige  Funktionen  ;  sei 
ferner  i  =  XZ—X.  und  möge  Ä  eine  Constante 
bedeuten. 

Wir  gehen  aus  vom  Green 'sehen  Satze : 


75 

bezeichnen  mit  tp    den  Werth  von  V  ^^  Punkte 

jP,  und  machen  für  tp  die  Annahme,  daß  dieselbe 
im  Räume  r  die  Differential-Gleichung  erfülle: 

(1) Jtp  -i-  Jc^tp  =  0 

und  für  0  die  Substitution: 

(2) <2)  =  — 

r 

Diese  Funktion  genügt  nun  im  Räume  z 
ebenfalls  der  Differential-Gltichung  (1),  und  wird 

im  ausgeschlossenen  Punkte  jj  unendlich  wie  —  * 

Wir  erhalten  daher  aus  (la)  den  Satz^): 

Sei  nun  P,  dessen  Coordinateu  a^  ß^  y^ 
sind,  ein  leuchtender  Punkt  außerhalb  des  Rau- 
mes T  und 

R^  =  (x-a,y  +  (y-ß,)'^  +  {^-r,y, 

femer  J.  eine  Constante  und  Ic  =   — ,  wo  il  die 

1)  Helmholtz,  CreUe  J.  Bd.  57. 

7* 


76 

Wellenlänge    des   von  P  ausströmenden    homo- 
genen Lichtes,  bedeutet. 

Der  Vibrationszustand  in  x,  «/,  ^  wird  dann 
nach  der  Bezeichnungs weise  von  Gauss  ausge- 
drückt durch; 

indem   der  Modul  dieser   Größe    die   Amplitude 
der  Lichtwelle  in  x,  y,  z  darstellt. 

Diese  Funktion  genügt  nun  der  Differential- 
Gleichung  (1)  im  ganzen  Räume  x\  es  folgt 
daher  1) 


(Ic).     .     .    ^n^^^M^y-^-^lä. 


—  A 


3     Er      \Bdn        r  dnj 


welcher  Ausdruck  für  den  Fall,  daß  die  Wellen- 
länge im  Vergleich  zu  den  andern  in  Betracht 
komnnenden  Größen  verschwindend  klein  ist, 
sich  bedeutend  vereinfacht.  Es  ist  nemlich  un- 
ter der  einzigen  Bedingung,  daß  für  alle  Punkte 
der  gedachten  geschlossenen  Fläche  li  und 
r  von  Null  verschieden  sind, 

Wir  haben  daher  als  Ausdruck  des  Huy- 
ghens'schen  Princips  das  über  die  ganze  ge- 
schlossene Fläche  auszudehnende  Integral  ^)  : 

1)  Kirchhoff,  Vorträge  aus  der  Optik. 


77 


(Id)     .     .    .     4rrv„  =  Ailcy-j^^'^^^^di» 


Br  dn 


Daraus  folgt  aber,  daß  man  den  leuchtenden 
Punkt  P  keinesfalls  ersetzen  kann  durch  eine 
einzige  auf  der  geschlossenen  Fläche  ic  ausge- 
breitete Schicht  von  Erregungspunkten. 


Wir  können  nun  zur  Lösung  unserer  Auf- 
gabe schreiten ;  diese  beschränkt  sich  auf  den 
Nachweis  der  Beziehung,  in  welcher  die  hy- 
pothetische Ausdehnung  des  eben  entwickel- 
ten Huyghens'schen  Princips  auf  die  Beu- 
gungs- Erscheinungen  mit  dem  Fresnel'schen 
Flächen  -  Integral  und  dem  Gauss'schen  Rand- 
integral steht. 

Wir  beginnen  mit  der  Umformung  der  In- 
tegrale (Ic),  deren  Gebiet  wir  auf  ein  Flächeu- 
stück  beschränken  wollen,  in  ein  solches,  dessen 
Gebiet  der  Rand  dieses  Flächeustück  ist.  Diese 
wird  mit  Hülfe  des  Scheringscheu  Satzes  voll- 
führt i): 


1)  In  Bezug  auf  dieses  Theorem  für  den  speciellen 
Fall  rechtwinkeliger  geradliniger  Coordinaten  sagt  Max- 
ell, a  treatise  on  electricity  and  Magnetism,  1873, 
1.  I  p.  27.  Art.  24  »This  theorera  was  given  by  Pro- 
icssor  Stokes,  Smith's  Prize  Examination,  1854  question 
8.«  Unabhängig  hiervon  hat  H.  E.  Schering  dasselbe 
Theorem  in  seiner  Göttinger  Preisschrift  1857  >Zur  ma- 
thematischen Theorie  electrischer  Ströme«  Art.  3  Glei- 
chung (6)  aufgestellt,  bewiesen  und  auf  die  Kräftefunction 
galvanischer  Ströme  angewendet. 


78 
J  Wo-  ^  '^da  ^     da' 


Das  Gebiet  des  Integrals  zur  rechten  Hand 
ist  eine  geschlossene  Linie  tf,  das  des  andern 
eine  durch  diese  entsprechend  begrenzte, 
sonst  beliebig  gestaltete,  stetig  gekrümmte  Fläche 
w;  X,  [i,  V  sind  Funktionen,  die  auf  dieser  Fläche 
und  deren  Begrenzung  sammt  ihren  ersten  De- 
rivirten  eindeutig  und  stetig  sind;  ^,  iy,  ?  be- 
liebige rechtwinkelige  Coordinaten,  ^'  d^,  ri'  d  ij, 
C'  d^  die  Haupt  -  Dimensionen  des  dem  Coordi- 
naten -  System  eigenthümlichen  Raumelements ; 
Ol  die  Normale  der  Fläche.  Bedingung  für  das 
Entp rechen  von  a  und  «  ist,  daß  die  erste 
auch  in  Bezug  auf  eine  bei  gegebenem  Coordi- 
naten-System  auszuführende  Flächen-Integration 
die  einzige  und  vollständig  hinreichende  (untere 
und  obere)  Grenze  bilde.  Sonst  müste  ü  auf 
einer  vom  gegebenen  Coordinaten  -  System  ab- 
hängigen Weise  zu  einem  entsprechenden 
Rande  ergänzt  werden. 

Wir  führen  in  der  Transformationsformel 
(IIa)  statt  der  allgemeinen  rechtwinkeligen  Coor- 
dinaten elliptische  ein,  deren  Flächen  von  con- 
stanter  Coordiuate  confocale  Rotations-Ellipsoide 
und  Hyperboloide  mit  den  Brennpunkten  P  und 
j)  und  die  Meridian-Ebenen  dieser  Flächen  sind. 
Die  Differential- Gleichung  für  das  Linien -Ele- 
ment ist  dann: 


79 


-m^m'^i^'i 


wo  w  den  Winkel  zwischen  B  und  r  bezeichnet 
deren  Richtung  im  Sinne  der  fortschreit€uden 
Strahlen  positiv  genommen  ist:  h  den  Abstand 
der  Punkte  P  und  ^; ;  ferner 

d^  =  d(R-{-r);  df]  =  d{R  —  r);  dC  =  de 

wenn  6*  den  Winkel  zwischen  der  variablen  Me- 
ridian-Ebene und  einer  beliebigen  festen  be- 
deutet. 

Durch  diese  Substitutionen  geht  (Ha)  über  in 


}\\di      Sl)  Brsia''. 


IIb)    .    .    .    \Ui-;--:l-^-£  + 


CT*;  _  üA\ 1 dj       idX  __  diiVRr  dt\       _ 

cos'^!!'^^*^      \^       ^^^dn]   *"- 


^""^/jBrcos 


jiUd^  +  l^dn  +  ^d^ 

Um  nun  die  linke  Seite  dieser  Gleichung 
auf  die  Form  der  Integrale  in  (Ic)  zu  bringen, 
wollen  wir  die  simultanen  partiellen  Differential- 
Gleichungen  lösen : 

■^^         •     •     •     /)>  — i-  =  ^  ^ir-^ — s"i^« 


80 


welche  sich  in  Folge  der  Identitäten 


d  o2  2»/  ^ü 


^)        •••  ^^'"''2  =  ~F'f^'°'' 


2 


auf  folgende  Form  bringen  lassen: 

^_^  ==:  __e»^5— cos2- 
6)       •  •  •  ^^      Ö^  dn        2 

^i__?^  =  0 

Von  diesen  Gleichungen  sind  jedoch  nnr^wei 
von  einander  unabhängig.  Bezeichnen  wir  mit 
/■  eine  willkürliche  Function  von  |,  n»  S'  ^o 
haben  wir 

9)   .   .  .       ^  -  ej 


81 

:o,   .   .   .   .  =  1 

11)    .    .    .    v  =  e'«cos*f  +  | 

als   allgemeinste    Lösung   der   simultanen   Diflfe- 
rential-Gl.  1),  2),  3). 

Damit  jedoch  diese  Lösung  zur  Transforma- 
tion eines  Flächen-Integrals  in  Randintegral  ge- 
eignet sei,  ist  erforderlich  und  hiureicheud,  daß 
die  sonst  willkürliehe  Funktion  f(^,  ly,  C)  ^^^ 
deren  Ableitungen  eindeutig  und  stetig  seien. 
Dann  verschwindet  aber  diese  Funktion  aus  un- 
serem Rand-Integral  in  Folge  der  auch  aus  (IIb) 
folgenden  Identität : 


(IIc)  ...\ 


1"^  +  '^  +  1"^!  =  «• 


Wir  haben  daher  das  Integral  (Ic), 
dessen  Gebiet  eine  beliebige,  von  ge- 
gebenem Rande  begrenzte,  stetig  ge- 
krümmte Fläche  sein  kann,  in  ein  sol- 
ches verwandelt,  weichesbloß  überden 
entsprechenden  Rand  auszudehnen 
ist;  es  ist  nemlich : 

Wir  wollen  diese  Gleichung  näher  iu's  Auge 
fassen.  Die  linke  Seite  erhält  als  Flächen-Inte- 
gral aufgefaßt,  in  Folge  des  ünendlichwerdens 
desselben  in  den  Punkten  P  und  jh  im  allge- 
meinen verschiedene  Werthe ,  je  nachdem  wir 
dasselbe  auf  den   einen  oder  andern  Theil  einer 


82 

durch  den  Rand  gelegten,  den  Punkt  p  (oder  P) 
umschließenden,  sich  selbst  nirgends  schnei- 
denden Fläche  ausdehnen.  —  Das  Integral  zur 
Rechten  erhält  aber  auch  diese  zwei  Werthe, 
wenn  wir  bedenken,  daß  den  beiden  Theilen  der 
geschlossenen  Fläche,  in  Bezug  auf  eine  etwa 
auszuführende  Flächen-Integration ,  verschiedene 
entsprechende  Ränder  zukommen.  Die 
Trennungslinie  der  beiden  Flächenstücke  ist  nem- 
lich  als  Rand  desjenigen  Theiles  zu  betrachten 
welcher  die  Strecke  Pp  eine  gerade  Anzahl 
von  Malen  schneidet ;  für  den  andern  Theil  hin- 
gegen, welcher  die  Strecke  Pp  in  einem  Punkte 
m  schneiden  soll,  muß  zur  Trennungslinie  ein 
nach  m  geführter  Schnitt  und  ein  um  m^  als 
Mittelpunkt,  beschriebener  unendlich  kleiner 
Kreis  hinzugefügt  werden.  Der  Fall,  wenn  das 
Flächenstück  die  Strecke  Pp  eine  ungerade  An- 
zahl von  Malen  schneidet,  kann  durch  stetiger 
Umformung  immer  auf  den  vorigen  zurückge- 
führt werden.  Man  erhält  daher  auch  so  zwei 
Werthe  von  ip  ,  nemlich 

xp,  und  A-j  —  xp, 

wo  t^j  schon  auf  den  gegebenen  Rand  selbst 
beschränkt  ist. 

So  findet  man  z.  B.  mit  Hülfe  des  Integrals 
(IIa)  den  Satz : 

Beschreibt  man  aus  dem  Punkte  P  mit  dem 
Radius  P  eine  Kugel,  auf  dieser  aus  dem  Punkte 
p  mit  der  Strecke  r,  einen  Kreis  und  bezeich- 
net durch  r^  die  Entfernung  des  Schnittpunktes 
unserer  Kugelfläche  mit  der  Strecke  Pp  von  dem 
Punkte  py  ferner  den  dem  Rande  entsprechenden 


83 

Winkel  tc  mit  te?j :  so  ist  die  Amplitude  der 
Lichtwelle  in  p,  welche  durch  die  Theilwirkung 
der,  die  Strecke  Pj)  schneidenden,  entsprechend 
mit  Agens  belegten  Kreisfläche  hervorgebracht 
werden  würde : 

|(lTco.'|^) 

je  nachdem  r^  —  r^  einer  geraden  oder  unge- 
raden Anzahl  von  halben  Wellenlängen  gleich  ist. 
Für  ein  unendlich  kleines  aCj  hat 
hat  man  speciell  als  Amplitude  der 
Lichtwelle    in  p   im  ersten   Falle  Null 

im  zweiten  -=-. 
h 


Wir  wollen  uns  im  folgenden  auf  Oeflfnun- 
geu  mit  ebenen  Rändern  beschränken ,  deren 
Dimensionen  im  Vergleich  zu  den  Entfernungen 
der  Punkte  des  Randes  von  P  und  p  unendlich 
klein  sind,  und  die  wir  etwa  auf  einem  unend- 
lichen, ebenen,  dunkeln  Schirm  befindlich  denken. 

Zum  Gebiet  des  Flächen-Integrals  (Ic)  wählen 
wir  dann  den  durch  den  Rand  begrenzten  ein- 
fach zusammenhängenden  Theil  der  Ebene. 

Wir  können  in  diesem  Falle  das  in  (Ic)  ent- 
haltene Integral : 


[B  dn        r  dnj 


gegen  das  erste  vernachlässigen,  da  P  und  r  un- 

...  ,  „        ,  dB    dr 

endlich  groß  und  -—,  -z-  constant  sind. 
dn    dn 


84 

Der  Vibration sznstand  des  Punktes  p  ist 
daher ,  bei  hypothetiscber  Ausdehnung  des  oben 
abgeleiteten  Huyghens'schen  Prinzips  gegeben 
durch : 

(Illa)     .     .     .     rp=.-^^^^-J\-^^-ä. 

Andererseits  kann  man,  in  Folge  der  ge- 
machten Voraussetzung,  w  für  den  ganzen  Rand 
als  constant  betrachten ;  wir  haben  daher 
aus  (lld): 

('"")  •  •  •  ^  =  sä-l]^**""^'''^- 

Mit  Hülfe  dieser  Formeln  können  wir  nun 
die  eben  abgeleiteten  Beugungsformeln  mit  denen 
von  Gauss  und  Fresuel  und  letztere  mit  einan- 
der bequem  vergleichen. 

Bezeichnen  wir    nemlich    durch   ^y,  xf)  ,  xp 

die  unserem  xp  entsprechenden  Ausdrücke  von 
Fresnel  und  Gauss,  so  haben  wir  von  constanten 
Faktoren  abgesehen  für  dieselben  : 

(Illa)     ....     rp^^-^^)-^-d^ 

(Illd)     ....     %=Jnkwä.^S-Br^'' 


(Ille) 
mithin 


A   {MR+r) 


85 

(IVa)  ...tpfi  tp'.  tp  = :  — :  1 

^,r,  s  cosa  —  cos/S  , 

(IVb)  .     .     .     .     xp    =  . '^tpf 

^       '  ff  8inw         •' 

wo  et  und  /S  die  Winkel  bedeuten ,  welche  die 
im  Sinne  der  fortschreitenden  genommenen  H 
und  r  mit  einer  Normale  der  Oeffnungs- Ebene 
einschließen. 

Aus  der  Relation  (IVa)  folgt  nun,  daß  ^y,  ^ 

und  V  ini  Allgemeinen  für  verschiedene 
Werthe  der  in  denselben  enthaltenen 
variablen  W  inkel  ^  und  «ü  ihre  Maxima 
und  Minima  erreichen,  —  jedoch  immer 
gleichzeitig  verschwinden  werden.  Die 
durch  dieselben  berechneten  Beugungsspectra 
werden  daher  hinsichtlich  der  dunkeln  Stellen 
gar  nicht  differireu:  speciell  für  Gitter  mit  sehr 
vielen  Spalten  geben  alle  drei  identische  Spectra. 
Auch  xp     kommt     dieselbe    Eigenschaft    zu, 

einen  Fall  ausgenommen.  Ist  nemlich  der  Beu- 
guugswiukel  iv  =  0,  so  wird  es  unbestimmt, 
da  man  in  diesem  Falle  aus  (IVb)  erhält: 

.       dß 

Daraus  würde  aber  folgen,  daß  im  dem  Falle 

wo  a  ^  0   ist  auch    \i)     verschwinden    müßte ; 

ff 
eine  Forderung,  welche  mit  den  Thatsachen  des 

Experiments  in  Wiederspruch  steht*). 

Die  Integrale  \p     und  ip   hingegen    sind  mit 

unseren    Erfahrungen    gerade    so    im  Einklänge 

1)  Wir  bemerken   jedoch,   daß    dieser  Wiedersprach 

auflöst ,  sobald  in  der  Formel  V^  statt  des  —  Zeichens 

+  gesetzt  wird. 


als  xpfy  wovon  man  sicli  durch  näheres  Eingehen 

auf  die  in  (IVa)  auftretenden  Faktoren  über- 
zeugen kann.  Aber  sie  leisten  in  praktischer 
Hinsicht  auch  nicht  mehr  als  letzteres:  die  Po- 
larisations- Erscheinungen  und  die  "secundären 
Maxima  bei  Gittern^)  enthält  weder  die  eine, 
noch  die  andere. 

Finen  theoretischen  Vortheil  muß  man  aber 
dem  Gauss'schen  Rand-Integral  und  dem  in  (Ild) 
vor  den  Fresnel'schen  jedenfalls  einräumen.  Sie 
lassen  sich  nemlich  leicht  auf  Oeffnungen  mit 
doppelt  gekrümmten  und  windschiefen  Rändern 
ausdehnen,  während  das  Fresnel'sche  Integral  in 
diesem  Falle  schwerfällig  wird. 

So  erhält  man  z.  B.  unter  Voraussetzung 
von  Parallel  -  Strahlen  für  eine  Oeffnung  mit 
windschiefem  w-Eck  als  Rand  nach  wenig  Rech- 
nungen ; 

(IVc)    .    .    .    V',,  = 

WO  P^,  Q^  und  p^  die  Abstände  des  Eckpunktes 

n  des  Polygons  sind  von  den  Ebenen  eines  festen 
Coordinaten-Systems,  welches  von  je  einer  Wel- 
lenebene der  direkten   und  gebeugten    Strahlen 
und  der  durch  letztere   gelegten  Beugungsebene         1 
gebildet  wird.  j 

Der  Ausdruck  (IVc)  entspringt  nemlich  aus 
dem  (eigentlich  zuerst  gefundenen)  Rand -Inte- 
gral von  Gauss: 

1)  Quincke,  Pgg.  Annal.  Bd.  U6,  149. 


87 

(IVd)  .  .  .  .  V,    =  T  il^—  ^**''^'' 

wo  ds  ein  Randelement  und  t;  der  Winkel  ist, 
welchen  ds  mit  der  durch  diesen  Punkt  gelegten 
Beugungs -Ebene  bildet. 

Man  erhält  dieses  aus  (Ille)  durch  die  geo- 
metrisch leicht  ableitbaren  Relationen: 

2  dd  =  ds.  sin  v 
sh  =  JRrsintü 

wo  wir  mit  z  die  Höhe  des  Dreieckes  (P,^,  ds) 
bezeichnen. 

Zum  Schluß  will  ich  noch  auf  den  Fall  auf- 
merksam machen ,  in  welchem  das  Gauss'sche 
Rand  -  Integral  aus  dem  Fresnel'schen  Flächen- 
Integral  leicht  abgeleitet  werden  kann. 

Befindet  sich  nemlich  der  Rand  der  OefiF- 
nung  auf  einer  Kugelfläche ,  beschrieben  aus 
dem  leuchtenden  Punkt  als  Mittelpunl^t,  so  kön- 
nen wir  substituiren : 

da  =  -r-  dr  dO. 
n 

Und  wir  erhalten  aus  (IIIc)  im  Falle  die 
Randkurve  die  -Achse  Pp  nicht  umkreist: 


Anh)e^ 


'ro 


wo  mit  Oq  und  ö|  die  den  Randpunkten  ent- 
sprechende Maximal-  und  Minimal-  Werthe  der 
6  bezeichnet  sind ,  deren  wir  der  Einfachheit 
wegen  nur  zwei  voraussetzen  wollen. 


Wir  finden  daher  nach  Ausführung  der  zwei- 
ten Integration  das  Gauss'sche  Rand-Integral 

(IVf)    .    .    .    V,  =  #tL*<^+'''(ZÖ. 

Den  Fall,  wenn  die  Randkurve  die  Axe  Fp 
umkreist,  können  wir,  durch  einen  zur  Achse 
geführten  Schnitt  und  einen  unendlich  kleinen 
Kreis,  auf  den  vorigen  zurückführen. 


UniYersität. 

Wir  haben  aufs  Neue  zwei  Verluste  der  Uni- 
versität durch  Todesfälle  anzuzeigen.  Am  22. 
December  v.  J.  starb  der  außerordentliche  Professor 
in  der  philosophischen  Facultät  und  Bibliotheks- 
Custos  Dr.  jur.  Unger  und  am  10.  Januar  der 
ordentliche  Professor  in  der  philosophischen 
Facultät  und  Oberbibliothekar  a.  D.  Hofrath  Dr. 
phil.  Hoeck. 

Friedrich  Wilhelm  Unger,  geboren  zu  Han- 
nover 8.  April  1810  erhielt  seine  wissenschaft- 
liche Vorbildung  zuerst  durch  Privatunterricht 
und  darauf  auf  dem  Gymnasium  zu  Gotha  und 
bezog  Ostern  1829  die  Universität  Göttingen 
um  die  Rechtswissenschaft  zu  studieren.  Im 
Jahre  1831  begab  er  sich  nach  München  um 
sich  dort  der  Malerkunst  zu  widmen,  von  wo 
er  jedoch  nach  Jahresfrist  zur  Jurisprudenz 
zurückkehrte  und  zu  Göttingen  seine  Studien 
beendigte,  dort  am  20.  März  1834  den  juristi- 
schen Doctorgrad    erwarb   und  darauf  nach  ab- 


gelegtem  Staatsexamen  als  Amtsauditor  bei  dem 
Amte  Hannover  eintrat.  Nachdem  er  i.  J.  1837 
znm  Amts-Assessor  bei  demselben  Amte  ernannt 
und  das  Jahr  darauf  nach  Göttingen  versetzt 
worden,  habilitierte  er  sich  hier  zu  Ostern  1840 
als  Privatdocent  in  der  juristischen  Facultät 
für  das  Fach  der  Staatswissenschaften  und  wurde 
1842  auch  zum  ausserordentlichen  Beisitzer 
des  Spruch-Collegii  ernannt;  trat  aber  das  Jahr 
darauf  als  Accessist  bei  der  Universitätsbibliothek 
ein  und  erhielt  11.  Januar  1845  an  derselben  als 
ßibliothekssecretär  Anstellung,  mit  welcher  er  zu- 
gleich seine  Lehrthätigkeit  aufgeben  mußte  weil 
damals  die  Absicht  bestand  das  bibliothekarische 
Amt  von  der  Thätigkeit  au  der  Universität 
gänzlich  zu  trennen.  Nachdem  dieser  den  alten 
bewährten  göttinger  Traditionen  nicht  ent- 
sprechende Plan  wieder  aufgegeben  worden ,  er- 
hielt Unger,  der  inzwischen  auch  aus  der  Be- 
amtenlaufbahn ausgeschieden  war,  i.  J.  1858  wie- 
der die  Erlaubniß  zur  akademischen  Lehrthätig- 
keit und  trat  nun  seiner  alten  Neigung  zur  Kunst 
und  Kunstgeschichte  folgend  mit  Vorlesungen  in 
diesen  Fächern  in  der  philosophischen  Facultät 
auf,  welchen  er  fortan  auch  eiue  eifrige  und  er- 
folgreiche literarische  Thätigkeit  widmete,  so  hier 
den  nach  Hannover  als  Hofmaler  Übersiedelteten 
Professor  der  Kunstgeschichte  Oesterley  vertretend, 
nach  dessen  Niederlegung  seiner  hiesigen  Pro- 
fessur i.  J.  1862  Unger  auch  zum  außerordent- 
lichen Professor  in  der  philosophischen  Facultät 
und  zum  Director  der  akademischen  Gemälde- 
sammlung ernannt  wurde. 

Schon  seit  Anfang  des  vorigen  Jahres  eine 
Abnahme  der  Kräfte  spürend,  vermochte  Unger 
doch  noch  bis  zum  Schlüsse  des  Sommersemesters 
den   Pflichten    seines    bibliothekarischen   Amtes 

8 


90 

wenn  auch  nur  mit  großer  Anstrengung  voll- 
kommen zu  genügen  und  daneben  noch  seine 
literarische  Thätigkeit  ununterbrochen  fortzu- 
setzen. Eine  zur  Erholung  unternommene  Fe- 
rienreise erfüllte  jedoch  nicht  die  darauf  ge- 
setzte Hoffnung.  Angegriffener  als  zuvor  zu- 
rückgekehrt ,  wurde  nun  sein  Leiden  als  eine 
Nierenkrankheit  erkannt,  welche  sich  nun  rasch 
entwickelte  und  der  er  nach  längerem  zuletzt 
recht  schwer  gewordenen  Krankenlager  erlag. 

Karl  Friedrich  Christian  Ho  eck,  geboren  zu 
Oelber  am  weißen  Wege  (Kreis  Wolffenbüttel)  13. 
Mai  1793,  studierte  Philologie  zu  Göttingeu  von 
1812—1816,  ward  hier  1814  Accessist  der  Bi- 
bliothek und  erwarb  den  philosophischen  Doctor- 
grad  3.  März  1818,  auf  Grund  einer  i.  J. 
1816  bei  der  Preisvertheilung  an  die  Studiren- 
den  von  der  philosophischen  Facultät  mit 
dem  Preise  gekrönten  Abhandlung  über  die 
Monumente  des  alten  Mediens  und  Persiens. 
Zu  Ostern  desselben  Jahres  trat  er  als  Privat- 
docent  in  der  philosophischen  Facultät  für  das 
Fach  der  alten  Geschichte  auf,  in  welchem 
er  auch  viele  Jahre  hindurch  eine  sehr  rege  und 
erfolgreiche  akademische  und  literarische  Thä- 
tigkeit entwickelt  hat,  bis  er  mit  zunehmen- 
dem Alter  sich  mehr  und  mehr  auf  sein  biblio- 
thekarisches Amt  beschränkte.  An  der  Biblio- 
thek ward  er  1815  zum  Secretär,  1835  zum 
Unterbibliothekar,  1845  zum  BibHothekar  und 
1858  zum  Oberbibliothekar  ernannt,  nachdem 
er  schon  i.  J.  1845  nach  dem  Tode  Benecke's 
an  dessen  Stelle  an  die  Spitze  der  Bibliotheks- 
verwaltung getreten.  Den  26.  April  1823  ward 
Hoeck  zum  außerordentlichen,  20.  Juli  1831 
zum  ordentlichen  Professor  und  1862  zum  Hof- 
rath  ernannt.     Seit  d.  J.  1841  gehörte   er  auch 


Ol 

der  k.  Societät  der  Wissenschaften  als  ordentli- 
ches Mitglied  der  historisch-philologischen  Classe 
an,  nachdem  er  schon  i.  J.  1829  den  von  dieser 
Classe  ausgesetzten  Preis  erhalten  hatte.  Hoeck 
hat  hier  drei  Jubelfeste  gefeiert:  i.  J.  1868  das 
fünfzigjährige  Jubiläum  seiner  Doctorpromotion, 
den  23.  August  1865  sein  fünfzigjähriges  und 
zehn  Jahre  darauf  sein  sechzigjähriges  Amts- 
jubiläum als  Bibliotheksbeamter,  wonach  er 
als  solcher  in  den  Ruhestand  getreten  ist.  Bis 
in  sein  hohes  Alter  körperlich  und  bis  zuletzt 
geistig  rüstig  gebliehen,  machte  seit  seiner  Quies- 
cenz  doch  das  Alter  mehr  und  mehr  seine 
Rechte  geltend;  immer  schwächer  werdend,  ist 
er,  ohne  Heimsuchung  durch  ein  längeres  Kran- 
kenlager an  Altersschwäche  sanft  entschlafen. 

Beide  Verstorbene  haben  ihre  hiesige  Thä- 
thigkeit  vorzugsweise  ihrem  bibliothekarischen 
Amte  gewidmet  und  darin  sich  die  dankbare 
Anerkennung  ihrer  akademischen  Collegen  und 
aller  Derjenigen  erworben ,  welche  den  hohen 
Werth  einer  liberalen  und  coulanten  Verwaltung 
einer  akademischen  Bibliothek  für  die  gelehrten 
Studien  und  Arbeiten  zu  würdigen  wissen.  Uu- 
ger  hat  über  dreizig  Jahre  lang  mit  immer 
gleich  bleibender  Freundlichkeit  und  Zuvor- 
kommenheit in  der  Benutzung  der  Schätze  der 
Bibliothek  seine  Hülfe  gewährt  und  Hoeck 
reichte  überdies  mit  seinen  bibliothekarischen 
Anschauungen  und  Manieren  noch  bis  an  die 
Zeit  von  Christian  Gottlob  Heyne  hinan ,  dem 
es  vornehmlich  auch  zu  verdanken  ist ,  daß  die 
Göttinger  Bibliothek  so  rasch  und  mit  verhält- 
nißmäßig  bescheidenen  finanziellen  Mitteln  zu 
einer  akademischen  Bibliothek  ersten  Ranges  sich 
erhob  und  als  solche  unter  allen  ihren  Mit- 
schwestern den  gelehrten  Studien  und  Arbeiten 


92 

vielleicht  am  meisten  Dienste  hat  leisten  kön- 
nen. Möge  das  Andenken  des  letzten  Biblio- 
thekars aus  der  Hejneschen  Schule  in  Pietät  unter 
uns  bewahrt  bleiben  und  es  auch  möglich  wer- 
den ,  bei  den  durch  die  Zeit  gebotenen  Verän- 
derungen und  Reformen  in  den  Einrichtungen 
und  in  der  Verwaltung  der  Bibliothek  diejeni- 
gen berechtigten  göttingischeu  Eigenthümlich- 
keiten  zu  erhalten,  denen  es  nicht  zum  wenig- 
sten zu  verdanken  gewesen,  daß  nach  dem  bekann- 
ten Worte  Carl  Ritter's,  dem  unsere  Bibliothek 
die  Grundlage  für  sein  berühmtes  monumentales 
Werk  gewährt  hatte,  »man  in  Göttingen  mehr 
in  einer  Woche  arbeiten  könne,  als  anderwärts 
in  einem  Monat.«  —  Unter  den  akademischen 
Collegen  wird  beiden  Verstorbenen  sicherlich  ein 
dankbares  Andenken  bewahrt  bleiben. 


Verzeichniß    der   vom    1.  Juli   1875    bis 
Ende   Juni    1876    vollzogenen    philoso- 
phischen Promotionen. 

(Schluss.) 

19.  5.  November  1875  Adolf  Stapelfeld, 
Oberlehrerin  Crimmitschau;  Diss. :  Die Principien 
der  Kaut'schen  OfFenbarungskritik  in  ihrem  Zu- 
sammenhange mit  Kaut's  Lehre  betrachtet. 

20.  9.  November  Carl  Adolf  Curt  Schur  ig, 
Oberlehrer  am  k.  Gymnasium  zu  Plauen  i.  S.; 
Diss.:  Beiträge  zur  Geschichte  des  Bergbaues 
im  sächsischen  Voigtlande  nach  archivalischen 
Quellen  dargestellt  u.  s.  w. 

21.  26.  November  Werner  H.  Beruh.  Au- 
gustin   aus  Eislcben;   Diss.:    Uebcr    die   Ein- 


93 

Wirkung  der  Schwefelsäure  auf  Nitro-  und  zuge- 
hörige Amido-Verbindungen. 

22.  4.  December  Herrn.  Wattenberg  aus 
Rotenburg  im  Hannoverschen ;  Diss. :  Zur  Kennt- 
niß  der  Para-nitrosalicylsäure. 

23.  10.  December  Friedr.  Mei nicke  aus 
Twilenfleth  im  Hannoverschen ;  Diss. :  üeber 
die  Einwirkung  von  Brom  und  Chlor  auf  Ben- 
zanilid  u.  s.  w. 

24.  10.  December  Eberhard  Gieseler; 
Diss. :  Beitrag  zur  Theorie  der  Centrifugalpumpen. 

25.  Friedr.  C.  Hermann  von  Dechend  aus 
Berlin ;  Diss. :  üeber  Triphenyleudiamin  und  Tri- 
phenyltriamin. 

26.  24.  December  Justus  Bernh.  Otto  See- 
mann, Oberlehrer  am  Gymnasium  zu  Essen; 
(Auf  Grund  philologischer  Druckschriften.) 

27.  20.  Januar  1876  Felix  Liebermann 
aus  Berlin;  Diss.:  Einleitung  in  den  Dialogus 
de  Scaccario. 

28.  22.  Januar  Friedrich  Z  i  1 1  e  r  aus  Luxem- 
burg ;  Diss. :  Die  Musik  und  das  Komische. 

29.  21.  Februar  Carl  August  Otto  Hoff- 
mann aus  Beeskow  in  der  Mark ;  Diss. :  lie- 
ber sphärische  Curven. 

30.  22.  Februar  Joh.  Gust.  Theodor  Müller 
aus  Kleinsilber  in  Brandenburg ;  Diss. :  Quaestio- 
nes  Lactantianae. 

31.  24.  Februar  Oscar  Bela  Asböth  aus 
Neu-Arad  im  Ungarn;  Diss.:  Die  Umwandlung 
der  Themen  im  Lateinischen. 

32.  6.  März  Ulrich  Hausmann  aus  Han- 
nover; Diss.:  Beiträge  zur  Keuntniß  des  Be- 
tulins. 

33.  11.  März  Friedrich  Reuter  aus  Waake 
bei  Göttingen:  Diss.:    Ueber    die   Reaction   vou 


94 

Aethylenbromid  auf  Naphtalyraiu   und  die   De- 
rivate desselben. 

34.  27.  März  Job.  Aspriotis  aus  Varna 
in  der  Türkei ;  Diss. :    De  prologis  Euripideis. 

35.  27.  März  E.  Wilh.  Udo  Eggert  aus 
Alsleben ;  Diss. :  Studien  zur  Geschichte  der 
Landfrieden. 

36.  27.  März  David  M«.  Creath  aus  Ayr 
in  Schottland;  Diss.:  lieber  einige  Derivate 
des  Guanidins  und  des  Harnstoffs. 

37.  4.  April  Maximilian  Roggatz  aus 
Neumark:  Diss.:  Einige  An- 
Theorie    der     hyperbolischen 


Driesen    in 

der 

Wendungen 

der 

Functionen. 

38.     4. 

April 

Bruno  Arnold  aus  Nord- 
hausen; Diss.:  De  rebus  sunicis  in  Euripidis 
cyclope. 

39.  5.  April  Wilhelm  Sickel  aus  Seehausen 
bei  Magdeburg ;  Diss. :  De  fontibus  a  Cassio 
Dione  in  conscribendis  rebus  inde  a  Tiberio  usque 
ad  mortem  Vitellii  adhibitis. 

40.  1.  Mai  Otto  Boeddicker  aus  Iserlohn  ; 
Diss.:  Beitrag  zur  Theorie  des  Winkels. 

41.  1.  Mai  Coelestin  Hermauauz,  Lehrer 
in  Worins;  Diss.:  Physiologische  Untersuchun- 
gen über  die  Keimung  des  Gerstenkorns. 

42.  1.  Mai  Meinhard  Hoff  mann  aus  Wies- 
baden ;  Diss. :  Ueber  die  Einwirkung  von  Phos- 
phorpentachlorid  auf  substituirte  Amide  einba- 
sischer Säuren. 

43.  30.  Mai  Paul  Krüger  aus  Lona  in 
Schlesien;  Diss.:  Ueber  die  Wortstellung  in  der 
französischen  Prosaliteratur  des  13.  Jahrhunderts. 

44.  2.  Juni  Fr.  Chr.  Plath,  Oberingenieur 
a.  D.  in  Hamburg;  Diss.:  De  orbita  planetae 
Lachesis  (120). 

45.  17.   Juni    Carl    Freiherr    von    Taut- 


95 

p  h  0  e  u  s  aus  München ;   Diss. :   Ueber  Keimung 
der  Samen. 

46.  17.  Juni  Wilhem  Stetzer,  aus  Pegau 
in  Sachsen;  Diss.:  üeber  Beuzoil-  und  Aretyl- 
Metaamidobenzoesäuren. 

47.  17.  Juui  E.  Ludw.  Herrn.  A.  Heintz- 
mann  aus  Mohrdorf  in  Pommern;  Diss.:  üeber 
Auilide  und  eine  Dinitrodiphensäure. 

48.  20.  Juui  Herbert  M.  Johnson  aus 
Bradford  V.  St. ;  Diss. :  Ueber  Paranitrobrom- 
beuzanilid  ,  Orthouitrobrombenzanilid ,  Desoxy- 
beuzoildianiinsulfisäure  und  Abkömmliuge. 

49.  20.  Juui  Andrew  D.  L  a  w  r  i  e  aus  Boston 
V.  St. ;  Diss. :  Ueber  Bibrombenzoesäuren. 

50.  20.  Juni  CarlFriedr.  Wilh.  Borchers 
in  Goslar ;  Diss. :  Analytische  Studien  über 
Quecksilber  und  Wismuth. 

Außerdem  wurde  dem  Dr.  phil.  Friedrich 
Heeren  Professor  der  Chemie  an  der  polytech- 
nischen Schule  zu  Hannover  zu  seinem  fünfzig- 
jährigen Jubelsfeste  das  Diplom  mit  den  Glück- 
wünschen der  Facultät  erneuert  am  30.  Juui  1876, 

Bewilligt,  aber  noch  nicht  vollzogen  sind  11 
andere  Promotionen.  Wegen  ungenügenden  Aus- 
falls der  mündlichen  Prüfung  wurden  4Candida- 
ten  zurückgewiesen,  13  Promotionsgesuche  konn- 
ten nicht  bewilligt  werden,  weil  die  eingereich- 
ten Dissertationen  den  Anforderungen  der  Fa- 
cultät nicht  genügten. 


96 

Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften   im    Monat    November    1876 
eingegangene  Druckschriften. 

(FortsetzuDg). 

Acta  Societatis  scient.  Fennicae.    T.  X.    Helsingforsiae. 

1875.    4. 
Oefversigt  af  Finska   Vetensk.  Soc.  Förhandlingar.  XVII. 

1874—75. 
Bidrag   tili   kännedom   af  Finlands    natur    och  folk.    H. 

24.     1875. 
Observations    metdorologiques.     Par  la  Soc.    des  sc.  de 

Fenlande  1873. 
Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik.     Bd.  6. 

H.  3.     Berlin.  1874. 
Monatsbericht    der   Berliner  k.   Akademie   d.    W.  Juli  u. 

August  1876. 
Monthly   Notices    of  the   R.  Astron.     Soc.    Vol.  XXXVI. 

No.  9.  Suppl. 
Nature.     367—369. 

Abhandl.  des  naturwiss.  Vereins  z.  Magdeburg.    H.  7.   1876. 
VI.  Jahresbericht  dess.  1875. 
He  11  mann,   über   die   Veränderlichkeit  der  Luftwärme 

in  Norddeutschland.     Fol. 
Verein     für     die    deutsche    Nordpolarfahrt    in    Bremen. 

VIII.     1876. 
Bulletin  '  of  the   Museum   of  Comparative  Zoology.    Har- 
vard Coli.  III.     11—16. 
Memoirs    of   the    Museum   of   Comp.    Zoolog.    Vol.  II. 

No.  9.     1876. 
Zeitschrift   der   deutschen  morgenländ.  Gesellsch.    XXX. 

3.     1876. 
Festschrift  zur  Feier  des  50jährigen  Bestehens  des  Vogt- 
land,   alterthuras forsch.   Vereins    zu  Hohenleuben.     Th. 

I.  u.  II.  nebst  44-46.  Jahresb.  1876. 
Mittheilungen    des  histor,  Vereins  in  Steiermark.    H.  24. 

Graz  1876. 
Beiträge  zur  Kunde  Steiermark.  Geschichtsquellen    Jahrg. 

13.    1876. 

Fortsetzung  folgt. 


97 

Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  "Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


28.  Februar.  M  5.  1877. 


DniTersität 

Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- 
Augusts-üniversität  zu  Göttingen  während  des 
Sommerhalbjahrs  1877.  Die  Vorlesungen  be- 
ginnen den  16.  April  und  enden  den  15.  August. 

Theologie. 

Anfangsgründe  der  biblischen  Textkritik:  Prof.  de 
Lagarde  dreistündig  Mont.  Dienst.  Donnerst,  um  10  Uhr. 

Theologie  des  Alten  Testaments :  Prof.  Schultz  fünf- 
mal wöchentlich  um  11  Uhr. 

Erklärung  der  Genesis:  Lic.  Duhm  fünfstündig  um 
10  Uhr. 

Erklärung  des  Buches  Jesaia:  Prof.  Beriheau  fünf- 
stündig um  10  Uhr. 

Erklärung  des  Buches  Hiob  und  der  Salomonischen 
Schriften:  Lic.  Duhm  fünfstündig  um  11  Uhr. 

Einleitung  in  das  Neue  Testament :  Prof,  Lünemann 
fünfmal  •wöchentlich  um  7  Uhr. 

Theologie  de«  Neuen  Testament«:  Prof.  Wiesinger 
fünfmal  um  11  Uhr. 

Erklärung  des  Eömerbriefe :  Prof.  Ritschi  fünfmal 
um  9  Uhr. 

Erklärung  der  paul.  Briefe  mit  Ausnahme  des  Rö- 
merbriefs und  der  Pastoralbriefe:  Prof.  Wiesinger  fünf- 
mal um  9  Uhr. 

Kirchengeschichte :  I.  Hälfte :  Prof.  Wagenmann 
fünfstündig  um  8  Uhr. 

Kirchengeschichte  der  neueren  Zeit  seit  der  Refor- 
mation:  Prof.  Reuter  sechsmal  um  8  Uhr. 


98 

Dogmengeschichte  des  Mittelalters:  Derselbe  drei- 
stündig Dienst.  Donnerst,  Freit,  um  10  Uhr. 

Kirchengeschichte  des  neunzehnten  Jahrhunderts : 
Prof.   Wagenmann  vierstündig  um  7  Uhr  öffentlich. 

Dogmatik  I.  Theil:  Prof.  Schultz  fünfstündig  um 
12  Uhr. 

Theologische  Ethik:  Prof.  Schöherlein  sechsstündig 
um  12  Uhr. 

Comparative  Symbolik:  Lic.  Kattenbusch  vierstündig 
um  4  Uhr. 

Praktische  Theologie :  Prof.  Schöberlein  fünfstündig 

um  5  Uhr  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit,  und  um  4 
Uhr  Mittw. 

Kirchenrecht:  s.  unter  Rechtswissenschaft. 


Die  Uebungen  des  Königl.  Homiletischen  Seminars 
leiten  abwechselungsweise  Prof.  Wiesinger  und  Prof. 
Schultz  Sonnabends  10 — 12  Uhr  öffentlich. 

Katechetische  Uebungen:  Prof.  Wiesinger  Mittwochs 
5 — 6  Uhr ;  Prof.  Schultz  Sonnabends  4 — 5  Uhr  öffentlich. 

Die  liturgischen  Uebungen  der  Mitglieder  des  prak- 
tisch-theologischen Seminars  leitet  Professor  Schöherlein 
Sonnabends  9  —  11  Uhr  und  Mittwochs  6  —  7  Uhr  öf- 
fentlich. 

Eine  dogmatische  Societät  leitet  Prof.  Schöberlein 
Dienst,  um  6  Uhr;  eine  historisch -theologische  Prof. 
Wagenmann  Freit.  6  Uhr;  kirchenhistorische  Uebungen 
Prof.  Reuter  Montag  um  4  Uhr;  dogmengeschichtliche 
Uebungen  einmal  wöchentlich  Lic.  Kattenbusch. 

Rechtswissenschaft. 

Encyklopädie  der  Kechtswissenschaft :  Prof.  John 
Montag,  Mittwoch  und  Freitag  von  12  —  1  Uhr. 

Institutionen  und  römische  Rechtsgeschichte:  Prof. 
V.  Ihering  täglich  von  11  — 12  und  Dienstag,  Donners- 
tag und  Sonnabend  von  12  —  1  Uhr. 

Pandekten  mit  Ausnahme  des  Sachenrechts,  welches 
Dr.  Rümelin  vorträgt:  Prof.  Harimann  und  zwar  a. 
Allgemeiner  Theil  fünfmal  wöchentlich  von  12—1  Uhr; 
b.  öbligationenrecht  fünfmal  wöchentlich  von  11—12 
Uhr, 


99 

Sachenrecht  als  Theil  der  Pandekten:  Dr.  JRümelin, 
Dienstag  von  4—6  Uhr  und  Sonnabend  von  11—1  Uhr. 

Römisches  Erbrecht :  Prof.  Ziebarth  fünfinal  wöchent- 
lich um  3  Uhr. 

Pandekten  -  Prakticum :  Prof.  v.  Ihertng  Montag, 
Mittwoch  und  Freitag  von  12—1  Uhr. 

Pandekten-Exegeticum :  Dr.  Zifelmann,  Dienstag  und 
Donnerstag  von  12 — 1  Uhr. 

Zu  Pandektenrepetitorien  sind  privatisaime  bereit 
Dr.  Rümelin  und  Dr.  Züelmann. 

Deutsche  Reichs-  und  Rechtsgeschichte:  Prof.  Mejer 
fünfmal  wöchentlich  um  9  Uhr. 

Uebungen  im  Erklären  deutscher  Rechtsquellen: 
Prof.  Frensdorff  Montags  um  6  Uhr  öffentlich. 

Ueber  den  Sachsenspiegel :  Dr.  Sickel  Freitag  5  Uhr 
unentgeltlich. 

Deutsches  Privatrecht :  Prof.  Dove  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  8—10  Uhr. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehn-  und  Handelsrecht- 
Prof.   Wolff  täglich  von  8-10  Uhr. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Ausschluss  des  Handels- 
rechts und  des  Wechselrechts:  Dr.  Sickel  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  von  11  —  1  Uhr. 

Handelsrecht  mit  Wechselrecht  und  Seerecht  nach 
seinem  Buch  (Handelsrecht  Aufl. 5  ;  Wechselrecht  Aufl.3): 
Prof.  Thöl  fünfmal  wöchentlich  von  7  —  8  Uhr. 


Deutsches  Strafrecht :  Prof.  Ziebarth  fünfmal  wöchent- 
lich um  11  Uhr. 

Deutsches  Reichs-  und  Landesstaatsrecht  Prof.  Frens- 
dorff fünfmal  wöchentlich  von  9  — 10  Uhr. 

Völkerrecht:  Prof.  Frerwdor/"  Dienstag,  Donnersta*» 
und  Sonnabend  von  12  —  1  Uhr.  ° 


Evangelisches  und  katholisches  Kirchenrecht:  Prof. 
Mejer  fünfmal  wöchentlich  um  10  Ubr. 

Kirchenrechtliche  Uebungen  leitet  Prof.  Doce  Diens- 
tag von  7  —  8  Uhr  Abends. 

Theorie  des  deutschen  Civilprocesses:  Prof  Hart- 
viann  täglich  von  10  —  11  Uhr. 

Deutscher  Strafprocess :  Prof.  John  vierstündi<^  um 
11  Uhr.  ° 


lOÖ 

Geschiclite  des  Strafprocesses :  Prof.  John  Mittwoch 
von  11  —  12  Uhr  öffentlich. 


Civilprocess  -  Prakticum :  Prof,  Briegleh. 
Criminal-Prakticum:  Prof.  John  Mittwoch  von  4—6 
Uhr  privatissime. 

Medicin. 

Zoologie,  Botanik,  Chemie  s.  unter  Naturwissen- 
schaften. 

Knochen-  und  Bänderlehre:  Dr.  von  Brunn  Diens- 
tag,  Donnerstag  und  Sonnabend  von  11  — 12  Uhr. 

Systematische  Anatomie  II.  Theil  (Gefäss-  und  Ner- 
venlehre):   Prof.  Henle  täglich  von  12 — 1  Uhr. 

Ueber  den  Situs  viscerum:  Dr.  von  Brunn  Mittwoch 
und  Sonnabend  von  7  —  8  Uhr,  öffentlich. 

Allgemeine  Anatomie :  Prof.  Henle  Montag,  Mitt- 
woch,   Freitag  von  11 — 12  Uhr. 

Mikroskopische  Uebungen  in  der  normalen  Gewebe- 
lehre hält  Dr.  von  Brunn  vier  Mal  wöchentlich  in  zu 
verabredenden  Stunden. 

Allgemeine  und  besondere  Physiologie  mit  Erläu- 
terungen durch  Experimente  und  mikroskopische  De- 
monstrationen :  Prof.  Herbst  sechsmal  wöchentlich  um 
10  Uhr. 

Experiinentalphysiologie  I.  Theil  (Physiologie  der 
Ernährung):   Prof.  3Ieissner  täglich  von  10 — 11  Uhr. 

Physiologie  der  Zeugung  nebst  allgemeiner  und 
specieller  Entwicklungsgeschichte:  Prof.  Meissner  Frei- 
tag von  5  —  7  Uhr. 

Physiologische  Optik  s.  S.  106. 

Arbeiten  im  physiologischen  Institut  leitet  Prof. 
Meissner  täglich  in  passenden  Stunden. 


Allgemeine  Pathologie  und  Therapie  lehrt  Prof. 
Krämer  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  um  4  Uhr. 

Specielle  pathologische  Anatomie  lehrt  Prof.  Fonßck 
täglich  von  3  —  4  Uhr. 

Einen  demonstrativen  Cursus  der  pathologischen 
Anatomie  und  Histologie  verbunden  mit  Sections-Ue- 
bungen  an  der  Leiche  hält  Prof  Ponßck  Dienstag, 
Donnerstag  und  Sonnabend  von  7  —  9  Uhr. 


101 

Praktischen  Cursus  der  pathologischen  Histologie 
hält  Prof.  Ponßck  Montag,  Mittwoch  und  Freitag  von 
7-9  Uhr. 

Ueber  klinische  Untersuchungsmethoden  besonders 
Ober  Auscultation  und  Percussion  mit  praktischen  Ue- 
bungen  trägt  Prof.  Ebstein  Montag,  Dienstag,  Donners- 
tag von  12  —  1  Uhr  vor. 

Physikalische  Diagnostik  verbunden  mit  praktischen 
Uebungen  an  Gesunden  und  Kranken  trägt  Dr.  Wiese 
viermal  wöchentlich  in  später  näher  zu  bezeichnenden 
Stunden  vor. 

Uebungen  in  der  Handhabung  des  Kehlkopfspiegels 
hält  Prof.  Ebstein  Sonnabend  von  11  —  12  U-hr. 

Pharmakologie  oder  Lehre  von  den  Wirkungen  und 
der  Anwendungsweise  der  Arzneimittel  so  wie  Anlei- 
tung zum  Receptschreiben :  Prof.  Marx  Montag,  Diens- 
tag,  Donnerstag  und  Freitag  von  2  —  3  Uhr. 

Die  gesammte  Arzneimittellehre  erläutert  durch 
Demonstrationen  und  Versuche  und  mit  praktischen 
Uebungen  im  Abfassen  ärztlicher  Verordnungen  ver- 
bunden trägt  Prof.  Husemann  fünfmal  wöchentlich  um 
3  Uhr  vor. 

Experimentelle  Arzneimittellehre  und  Receptirkunde 
lehrt  Prof.  Manne  vier  Mal  wöchentlich  von  5 — 6  Uhr. 

Die  Lehre  von  den  Giften,  besonders  für  Pharma- 
ceuten ,  lehrt  Prof.  Husemann  Mittwoch  und  Donners- 
tag von  5  —  6  Uhr. 

Die  hauptsächlich  auf  das  Nervensystem  wirkenden 
Arzneimittel  und  Gifte  erläutert  experimentell  Prof. 
Manne  ein  Mal  wöchentlich  unentgeltlich. 

Ueber  giftige  und  essbare  Pilze  trägt  Prof.  Huse- 
mann öffentlich  Freitag  von  5  —  6  Uhr  vor. 

Pharmakognosie  lehrt  Prof.  Wiggers  fünfmal  wö- 
chentlich von  2  —  3  Uhr  nach  seinem  Handbuche  der 
Pharmakognosie,   5.  Aufl.    Göttingen  1864. 

Pharmacie  lehrt  Prof.  Wiggers  sechsmal  wöchentlich 
von  6  —  7  Uhr  Morgens ;  Dasselbe  lehrt  Prof.  von  Uslar 
vier  Mal  wöchentlich  um  3  Uhr;  Dasselbe  Dr.  Stro- 
meyer  privatissime. 

Organische  Chemie  für  Mediciner:  Vgl.  Naturwis- 
senschaften S.  10. 

Pharmakologische  und  toxikologische  Untersuchun- 
gen leitet  Prof.  Marmt  im  pharmakologischen  Institut 
täglich  unentgeltlich ;  solche  Uebungen  leitet  auch 
Prof.  Husemann  in  gewohnter  Weise. 


102 

Elektrotherapeutische  sechswöchentliche  Curse  hält 
Professor  Marme  in  später  festzusetzenden  Stunden. 


Specielle  Pathologie  und  Therapie  I.  Hälfte :  Prof. 
Ebstein  täglich ,   ausser  Montag  von  7—8  Uhr. 

Ueber  Hautkrankheiten  und  Syphilis  trägt  Prof. 
Krämer  Mittwoch  und  Freitag  um  4  Uhr  vor. 

Die  medicinische  Klinik  im  Ernst-August-Hospitale 
■wird  eventuell  Prof.  Hasse,  für  den  Fall  aber,  daas 
Derselbe  sie  nicht  halten  würde,  Prof.  Ebstein  täglich 
von  10  — 11  Uhr  leiten. 

Die  medicinische  Poliklinik  leitet  Prof.  Ebstein  täg- 
lich, ausser  Sonnabend,  von  11  —  12  Uhr. 

Allgemeine  Chirurgie  lehrt  Prof.  Lohmeyer  vier  Mal 
wöchentlich  von  8  —  9  Uhr ;  Dasselbe  Dr.  Rosenbach 
fünf  Mal  wöchentlich  von  4  —  5  Uhr  oder  zu  anderen 
passenden  Stunden. 

Die  chirurgische  Klinik  hält  Prof.  König  fünf  Mal 
wöchentlich  um  9  Uhr. 

Chirurgische  Poliklinik  hält  Prof.  König  in  Ver- 
bindung mit  Dr.  Rosenhach  Sonnabend  von  9V2 — 10 Vs 
Uhr. 

Hebungen  in  chirurgischen  Operationen  an  der 
Leiche  leitet  Prof.  König  Abends  von  5  —  7  Uhr. 

Augenheilkunde  lehrt  Prof.  Leber  vier  Mal  wöchent- 
lich von  3  —  4  Uhr. 

Augenspiegelcursus  hält  Prof.  Leber  Mittwoch  und 
Sonnabend  von  12—1  Uhr. 

Die  Klinik  der  Augenkrankheiten    hält  Prof.  Leber 

Montag,  Dienstag,  Donnerstag.  Freitag  von  12—1  Uhr. 

Die  Krankheiten  der    weiblichen  Geschlechtsorgane 

lehrt   Prof.   Schwartz   Montag,    Dienstag,    Donnerstag, 

Freitag  um  3  Uhr. 

Ueber  die  Krankheiten  der  Wöchnerinnen  trägt  Dr. 
Hartwig  wöchentlich  zwei  Mal  in  zu  verabredenden 
Stunden  öffentlich  vor. 

Geburtshülflichen  Üperationscursus  am  Phantom  hält 
Dr.  Hartwig  Mittwoch  und  Sonnabend  um  8  Uhr. 

Geburtshülflich-gynaekologische  Klinik  leitet  Prof. 
Schwartz  Moni,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit,  um  8  Uhr. 

Pathologie     und    Therapie    der   Geisteskrankheiten 
lehrt  Vrof.  Meyer  Mittwoch  und  Sonnabend  von  3—4  Uhr. 
Psychiatrische  Klinik  hält  Prof.  Meyer  Montag  und 
Donnerstag  von  4  —  6  Uhr. 


103 

Prof.  Baum  und  Prof.  Krause  werden  zu  Anfang 
des  Semesters  Vorlesungen  ankündigen. 

Die  Krankheiten  der  Hausthiere  lehrt  Prof.  Esser 
wöchentlich  fünf  Mal  von  7  —  8  Uhr. 

Klinische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  wird 
Derselbe  in  zu  verabredenden  Stunden  halten. 

Philosophie. 

Geschichte  der  alten  Philosophie:  Prof.  Baumann, 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  5  Uhr. 


Logik:  Prof.  Baumann,  Montag,  Dienstag,  Donners- 
tag, Freitag  8  Uhr. 

Metaphysik:  Prof.  Lotze,  4  St.,  10  Utr. 

Psvchologie :  Prof.  Bohtz ,  Montag ,  Dienstag  und 
Freitag  3  Uhr. 

Psychologie:   Dr.    üeberhorst,  4  St.,  8  Uhr. 

Religionsphilosophie :   Prof.  Lotze,   4  St.,   4  Uhr. 

Naturphilosophie:    Dr.  Behnisch,  4  St. 

Ueber  die  Tonempfindungen:  Dr.  Müller,  Mont.  u. 
Donnerst.,  6  Uhr,  unentg. 

Prof.  Baumann  wird  in  einer  philosophischen  So- 
cietät,  Montag  6  Uhr,  Hauptpuncte  der  allgemeinen 
Paedagogik  behandeln. 

In  seiner  philosophischen  Societät  vrird  Prof.  Peipers 
Descartes  Meditationes  de  prima  phUosophia  behandeln, 
Mittw.  6  Uhr,  öffentlich. 

Dr.  Üeberhorst  behandelt  in  einer  Societät  Kants 
Kritik  der  reinen  Vernunft,  Donnerst.  6  Uhr,  unentg. 

Dr.  Müller  wird  fortfahren  in  einer  psychologischen 
Societät  einige  ausgewählte  Kapitel  der  Psychologie 
zu  behandeln.  Freit.  12  Uhr,   unentg. 

Grundriss  der  Erziehungslehre:    Prof  Krüger^  2  St. 
Die  Uebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet 
Prof.  Saiippe,  Mont.  und  Dienst.  11  Uhr,   öffentlich. 

Mathematik  und  Astronomie. 

Differential-  und  Integralrechnung:  Prof.  Stern,  5 
St.,  7  Uhr. 


104 

Theorie  der  numerischen  Gleichungen:  Prof.  Stern. 
4  St.,  8  Uhr. 

Ueber  trigonometrische  Reihen  :  Prof.  Schwarz,  Mont. 
u.  Donnerst.,  4  Uhr,  öffentlich. 

Analytische  Geometrie:  Prof.  Schwarz,  5  St.,  9  Uhr. 

Analytische  Geometrie  der  Flächen  und  Curven 
doppelter  Krümmung  nebst  Einleitung,  enthaltend  die 
Flächen  zweiten  Grades :  Prof.  Enneper ,  Mont.  bis 
Freitag,    11  Uhr. 

Einleitung  in  die  Theorie  der  analytischen  Funk- 
tionen:   Prof.  Schwarz,  5  St.,  11  Uhr. 

Abelsche  und  Riemannsche  Funktionen:  Prof.  Sche- 
ring, Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.,   10  Uhr. 

Partielle  Differentialgleichungen  und  ihre  Anwen- 
dung auf  die  Lehre  von  der  Wärme,  vom  Licht,  vom 
Schall  und  von  den  galvanischen  Strömen :  Prof.  Sche- 
ring,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag,  9  Uhr. 

Praktische  Geometrie:  Prof.  Ulrich,  4 Tage,  5 — 7  Uhr. 

Sphärische  Astronomie :  Prof.  Klinkerfues ,  Montag, 
Dienstag,  Mittwoch  und  Donnerstag,    12  Uhr. 

Geometrische  Optik  und  Mechanische  Wärmetheorie : 
8.  Naturwiss.  S.  106. 

Zur  Leitung  einer  mathematischen  Societät  in  ge- 
eigneter Stunde  erbietet  sich  Prof.  Schering. 

Mathematische  Colloquien:  Prof.  Schwarz  privatissime, 
wie  bisher. 


In  dem  mathematisch-physikalischen  Seminar  leitet 
Prof.  Schwarz  mathematische  Uebungen  Freitag  12  Uhr, 
hält  Prof.  Schering  eigene  Vorträge  und  leitet  Vor- 
träge der  Mitglieder  über  Analysis  Mittwoch  9  Uhr, 
liest  Prof.  Stern  über  einige  Eigenschaften  der  Ber- 
nouUischen  Zahlen,  Mittwoch  8  Uhr,  und  giebt  Prof. 
Klinlerfues  einmal  wöchentlich  zu  geeigneter  Stunde 
Anleitung  zu  astronomischen  Beobachtungen,  alles  öf- 
fentlich. —  Vgl.  Naturwissenschaften  S.  106. 


Naturwissenschaften. 

Zoologie,  das  Gesammtgebiet  in  übersichtlicher  Dar- 
stellung: Prof.  Ehlers,  täglich  7  Uhr. 

Zootomischer  Kurs :  Prof.  Ehlers,  Dienst,  u.  Donnerst., 
11  —  1  Uhr. 


105 

Ueber  Cölenteraten  (Morphologie  und  Syat^matik) : 
Dr.  Ludwig,  Mont.  und  Donnerst.,  4  Uhr. 

Ueber  die  Parasiten  des  Menschen:  Dr.  Ludwig, 
Dienst,  u.  Freit.,  4  Uhr. 

Zoologische  Uebungen:  Prof.  Ehlers,  privatissime, 
wie  bisher.  

Allgemeine  und  specielle  Botanik:  Prof.  Grisehach, 
6  St.,  8  Uhr.  —  Demonstrationen  von  Pflanzen  des  bo* 
tanischen  Gartens:  Derselbe,  Mittw.,  11  Uhr,  öffentlich- 

—  Praktische  Uebungen  in  der  systematischen  Botanik, 
zunächst  für  die  Mitglieder  des  physikalischen  Semi- 
nars :  Derselbe ,  in  einer  zu  verabredenden  Stunde ,  öf- 
fentlich. —  Botanische  Excursionen:  Derselbe,  in  Ver- 
bindung mit  Dr.  Drude. 

Uebungen  im  Pflanzenbestimmen :  Prof.  Reinke, 
Dienst,  Donnerst,  u.  Freit.,  5  Uhr.  —  Mikroskopisch- 
botanischer Cursus:  Derselbe,  Montag  u.  Dienstag,  11 — 
1  Uhr.  —  Mikroskopisch  -  pharmakognostischer  Cursus: 
Derselbe,   Sonnab.  9  —  11  Uhr. 

Botanische  Excursionen  veranstaltet  Derselbe. 

Flora  von  Deutschland ,  Theil  I.  Phanerogamen : 
Dr.  Drude,  5  St.,  7  Uhr;  dazu  botanische  Excursionen. 

—  Uebersicht  der  Pflanzen  -  Organographie :  Derselbe^ 
Sonnabend  7  Uhr.  —  Praktische  Uebungen  in  der  na- 
türlichen Systematik:  Derselbe,  Freitag  2—6  Uhr,  pri- 
vatissime,  aber  unentgeltlich. 

Anatomie  der  Pflanzen:  Dr.  Falkenberg,  Montag  u. 
Mittwoch,  5  —  6  Uhr.  —  Ueber  Pflanzenkrankheiten: 
Derselbe ,  Mittwoch  7-8  Uhr. 

In  der  botanischen  Societät  behandelt  Derselbe  aus- 
gew.  Kapitel  der  neueren  botanischen  Literatur. 

Geognosie :  Prof.  von  Seehaeh ,  5  St.,  8  Uhr,  verbnn- 
den  mit  Excursionen. 

Allgemeine  Geologie,  ausgewählte  Kapitel  (Vulkane, 
Erdbeben  etc.) :  Prof.  ron  Seebach,  Mont.  u.  Donn.,  3  Uhr. 

Gesteinskunde  :  Dr.  Lang ,  Mont.  u.  Dienst.,  5  Uhr 
und  in  einer  zu  verabredenden,  für  Demonstrationen 
und  Uebungen  bestimmten  Stunde. 

Die  nutzbaren  Mineralien  und  Gesteine  und  ihre 
Lagerstätten:    Dr.  Lang,  Donnerst,  u.  Freit.  5  Uhr. 

Petrographische  und  palaeontologische  Uebungen 
leitet  Prof.  von  Seebach  privatissime,  aber  unentgeltlich, 
Mont.  Dienst.  Donnerst.,  9  —  1  Uhr. 


106 

Experimentalphysik,  erster  Theil:  Mechanik,  Aku- 
stik und  Optik:  Prof.  Riecke ,  Montag,  Dienstag,  Don- 
nerstag und  Freitag,   5  Uhr. 

Mechanische  Wärmetheorie :  Dr.  Fromme ,  Dienst, 
und  Donnerst.  12  Uhr. 

Geometrische  und  physische  Optik:  Prof.  Listing, 
4  St.  um  12  Uhr. 

Ueber  Auge  und  Mikroskop  :  Prof.  Listing ,  priva- 
tissime  in  2  zu  verabredenden  Stunden. 

Physikalisches  Colloquium:  Prof.  Listing,  Sonnabend 
11—1  Uhr. 

Repetitorium  über  das  Gebiet  der  Experimental- 
physik: Dr.  Fromme,  privatissime ,  in  2  oder  3  näher 
zu  bestimmenden  Stunden. 

Praktische  Uebungen  im  Physikalischen  Laborato- 
rium leitet  Prof.  Riecke,  in  Gemeinschaft  mit  den  As- 
sistenten Dr.  Fromme  und  Dr.  Hoppe  (Erste  Abthei- 
lung: Dienst.,  Donnerst.,  Freit.,  2—4  Uhr  und  Sonnab. 
9—1  Uhr;  Zweite  -Abtheilung:  Dienst,  u.  Freit.,  2 — 4, 
Sonnab.  11-1  Uhr). 

In  dem  mathematisch-physikalischen  Seminar  leitet 
physikalische  Uebungen  Prof.  Listing,  Mittwoch  12  Uhr, 
und  veranstaltet  Prof.  Riecke  Uebungen  über  absolute 
elektrodynamische  Massbestimmungen,  Mittwoch,  9  Uhr. 
—  Vgl.  Mathematik  S.  104. 


Allgemeine  Chemie:  Prof.  Hühner,  6  St.,  9  Uhr. 

Allgemeine  organische  Chemie :  Prof.  Hubner,  Mon- 
tag bis  Freitag  12  Uhr.  —  Organische  Chemie,  für 
Mediciner:  Prof.  von  Uslar,  in  später  zu  bestimmenden 
Stunden. 

Chemische  Technologie,  I.  Theil  (Fabrikation  der 
Rohstoffe):  Dr.  Post,  3  St.,  in  Verbindung  mit  Exkur- 
sionen. 

Einzelne  Zweige  der  theoretischen  Chemie:  Dr. 
Stromeyer,  privatissime. 

Agrikulturchemie  (Pflanzenernährungslehre) :  Prof. 
Tollem,  Mittw.  10  Uhr,  Donn.  u.  Freit.,  11  Uhr. 

Analytische  Bestimmungen  der  organischen  Chemie: 
Prof.  Tollens,  Dienst.  9  Uhr,    öffentlich. 

Die  Vorlesungen  über  Pharmacie  und  Pharmako- 
gnosie s.  unter  Medicin  S.  101. 

Die  praktisch  -  chemischen  Uebungen  und  wissen- 
schaftlichen Arbeiten  im  akademischen  Laboratorium 
leiten  Prof.  Wühler  und  Prof.  Hübner  in  Gemeinschaft 


107 

mit  den  Assistenten  Dr.  lannasch,  Dr.  Post,  Dr.  Fre" 
richs ,    Dr.   Wiesinger,    Dr.  Polstorf,  Dr.  Brückner. 

Prof.  Baedeker  leitet  die  praktisch -chemischen  TJe- 
bungen  im  physiologisch-chemischen  Laboratorium  täg- 
lich (ausser  Sonnabend)  8—12  und  3—5  Uhr. 

Die  Uebungen  im  agrikulturchemischen  Laborato- 
rium leitet  Prof.  Teilens,  in  Gemeinschaft  mit  dem 
Assistenten  Dr.  Stutzer ,  Montag  bis  Freitag,  8 — 12  und 
2—4  Uhr. 

Historische  Wissenschaften. 

Einleitung  in  das  Studium  der  allgemeinen  ver- 
gleichenden Erdkunde:  Prof.  Wappiius,  Montag,  Diens- 
tag,   Donnerstag  und  Freitag,  11  Uhr. 

Praktische  Diplomatik ,  mit  Uebungen :  Prof.  Weiz- 
säcker, Mont.  u.  Dienst.,  9  Uhr. 


Römische  Kaisergeschichte  seit  der  Schlacht  von 
Pharsalos:  Dr.  Niese. 

Ueber  die  Quellen  der  römischen  Eaisergeschichte: 
Dr.  Gilbert,  Dienst,  u.  Freit.  5  Uhr. 

Allgemeine  Geschichte  des  Mittelalters  in  der  deut- 
schen Periode:  Dr.  Hühlbaum,  3  St. 

Zeitalter  Friedrich  des  Grossen :  Prof.  Weizsäcker, 
4  St.,  4  Uhr. 

Aelteste  deutsche  Geschichte :  Prof.  Steindorff,  2  St., 
öffentlich. 

Deutsche  Geschichte  im  Mittelalter:  Dr.  Bernheim, 
Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.,  10  Uhr. 

Geschichte  Grossbritanniens  seit  1688:  Prof.  Pauli, 
A  St.,  5  Uhr. 

Geschichte  Italiens  seit  Beginn  des  Mittelalters: 
Dr.  Th.  Wüstenfeld,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag, 
Freitag,    10  Uhr,    unentgeltlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Piof.  Pauli  Mittwoch 
6  Uhr,    öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Weizsäcker  Freitag 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Dr.  Bernheim,  Dienstaff 
6-7V,  Uhr.  ^ 

Historische  Uebungen  mit  Beziehung  auf  Urkunden- 
Interpretation  leitet  Dr.  Höhlbaum ,  Donnerst.  6  Uhr, 
unentg. 

Kirchengeschichte :  s.  unter  Theologie  S.  97. 


108 


Staatswissenschaft  und  Landwirthschaft. 

Politik:  Prof.  Pauli,  4  St.,  8  Uhr. 

Volkswirthschaftslehre :  Prof.   Uanssen,  5  St.,  4  Uhr. 

Finanz-Wissenschaft:    Dr.  Pierstorff,    5  St. 

Wirthschaftliche  Gesetzgebung  im  Reiche  (III) :  Dr. 
Pierstorff,  1   St.,  unentgeltlich. 

Unterredungen  über  kameralistische  Gegenstände : 
Prof.  Uanssen,  in  2  noch  zu  bestimmenden  Stunden, 
privatissime,   aber  unentg. 

Kameralistische  Uebungen :  Prof.  Soetbeer ,  priva- 
tissime, aber  unentgeltlich,  in  später  zu  bestimmenden 
Stunden. 

Einleitung  in  das  landwirthschaftliche  Studium: 
Prof.  Drechsler,   in  noch  zu  bestimmenden  Stunden. 

Ackerbaulehre,  specieller  Theil:  Derselbe,  4  St.,  12 
Uhr. 

Die  Theorie  der  Organisation  der  Landgüter:  Prof. 
Griepe?iJcerl,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag,  4  Uhr. 

Die  landwirthschaftliche  Thierproductionslehre  (Lehre 
von  den  Nutzungen,  Racen ,  der  Züchtung,  Ernährung 
und  Pflege  des  Pferdes,  Rindes,  Schafes  und  Schweines) : 
Derselbe,  Montag,  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag,  Frei- 
tag, 8  Uhr. 

Die  Ackerbausysteme  (Felderwirthschaft,  Feldgras- 
wirthschaft ,  Fruchtwechselwirthschaft  etc.) :  Derselbe, 
in  zwei  passenden  Stunden. 

Im  Anschluss  an  diese  Vorlesungen  werden  Exkur- 
sionen nach  benachbarten  Landgütern  und  Fabriken 
veranstaltet  werden. 

Die  Lehre  von  der  Futterverwerthung :  Prof.  Meti- 
neberg ,   Mont.  Dienst.,  11  Uhr. 

Uebungen  in  Futterberechnungen :  Prof.  Henneberg, 
Mittw.  11  Uhr,  öffentlich. 

Allgemeine  Züchtungslehre  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  Controversen  von  Nathusius  -  Settegast: 
Dr.  Fesca,  1  St.  12  Uhr. 

Allgemeine  und  specielle  Bodenkunde:  Dr.  Fesca, 
2  St.,  10  Uhr. 

Landwirthschaftliches  Practicum  (1.  Uebungen  im 
landwirthschaftlichen  Laboratorium ,  Freit.  2—6  Uhr, 
Sonnab.  9—1  Uhr;  2.  Uebungen  in  landwirthschaftli- 
chen Berechnungen,  Mont.  u.  Donnerst.  6  Uhr):  Prof 
Drecltsler. 


109 

Excursionen  auf  benachbarte  Guter :  Prof.  Drechsler. 
Krankheiten  der  Hausthiere:   8.  Medicin  S.  103. 
Agrikulturchemie,  Agrikulturchemisches  Praktikum: 
8.  Naturwiss.  S.  106. 


Literärgeschichte. 

Geschichte  der  Philologie  im  15.— 17.  Jahrhundert: 
Prof.   Wilmanns,  }iIont.  Dienst.  Sonn.  12  Uhr. 

Geschichte  der  Philosophie :  vgl.  Philosophie  S.  7. 

Geschichte  der  deutschen  Dichtung  vom  17.  Jahr- 
hundert an:  Dr.  Tittmann,  5  St. 

Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur  von  Lea- 
sings Zeit  bis  zur  Gegenwart :  Prof.  Bohtz ,  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,  11  Uhr. 

Ueber  Schillers  Leben  und  Schriften :  Prof.  Goedeke, 
Mittw.  5  Uhr,  öffentlich. 


Alterthumskunde. 

Archaeologie  der  bildenden  und  zeichnenden  Künste 
bei  den  Griechen  und  Römern:  Prof.  Wieseler,  4  St., 
8  Uhr. 

Umriss  der  Geschichte  der  Baukunst  bei  den  Grie- 
chen und  Römern :  Prof.  Wieseler  (für  die  Theilnehmer 
an  der  Vorlesung  über  die  Archaeologie  unentg.),  Mittw. 
12  Uhr. 

Im  K.  archäologischen  Seminar  wird  Prof.  Wieseler 
öffentlich  ausgewählte  Kunstwerke  zur  Erklärung  vor- 
legen, Sonnabend,  12  Uhr. 

Die  Abhandlungen  der  Mitglieder  wird  Derselbe 
privatissime  beurtheilen,   wie  bisüer. 


Vergleichende  Sprachlehre. 

Vergleichende  Grammatik  der  indogermanischen 
Sprachen :  Prof.  FicT<,  4  St.,  10  Uhr. 

Bildung  des  griechischen  Nomens:  Prof.  Fick,  2  St. 
10  Uhr,  öffentlich. 

Lettische  Grammatik  und  Erklärung  ausgewählter 
lettischer  Texte :  Dr.  Bezzenherger,  2  St. 

Grammatische  Societät:  Prof.  Fick,  Mittw.  6  Uhr. 


110 


Orientalische  Sprachen. 

Die  Vorlesungen  über  das  A.  Testament  s.  unter 
Theologie  S.  97.  _ 

Arabische  Grammatik :  Prof.  Wüstenfeld,  privatissime. 

Prof.  de  Lagarde  setzt  öffentlich  am  Mittw.  u.  Freit. 
10  Uhr  seine  syrischen  Uebungen  fort. 

Erklärung  der  äthiopischen  Uebersetzung  des  Buches 
Henoch :  Prof.  Bertheau ,  Dienstags  und  Freitags, 
2-3  Uhr. 

Grammatik  der  Sanskritsprache :  Prof.  Benfey,  Mont. 
Dienst.  Donnerst.  5  Uhr. 


Griechische  und  lateinische  Sprache. 

Die  Gesetze  des  Hexameters  und  der  lyrischen  Vers- 
maasse  erklärt  Prof.  von  Leutsch  ,  Mittw.  Denn.  Freit. 
12  Uhr. 

Aeschylos  Perser:  Prof.  Sauppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  9  Uhr. 

Einleitung  in  das  Studium  der  platonischen  und 
aristotelischen  Schriften:  Prof.  Peipers ,  Mont.  Dienst. 
Donn.  Freit.,  12  Uhr. 

Catulls  und  Properz  Gedichte :  Prof.  von  Leutsch, 
4  St.,  10  Uhr. 

Erklärung  ausgewählter  Stücke  aus  Quintilians  In- 
stitutio  oratoria :  Prof.  JVthnanns,  Mittw.  9  Uhr,  öf- 
fentlich. 

Lehre  vom  lateinischen  Stil ,  mit  praktischen  Ue- 
bungen:  Prof.  Sauppe,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag, 
Freitag,  früh  7  Uhr. 

Im  K.  philologischen  Seminar  leiten  die  schriftli- 
chen Arbeiten  und  Disputationen  Prof  von  Leutsch  und 
Vxoi.Smippe,  Mittwoch  11  Uhr,  lässt  Eurip.  Phoenisseii 
erklären  Prof.  von  Leutsch,  Montag  u.  Dienstag,  11  Uhr, 
lässt  Ciceros  Orator  Prof.  Sauppe  erklären,  Donnerstag 
und  Freitag,  11  Uhr,  alles  öffentlich. 

Im  philologischen  Proseminar  leiten  die  schriftli- 
chen Arbeiten  und  Disputationen  die  Proff.  von  Leutsch 
und  Saupi)e ,  Mittwoch  10  und  2  Uhr;  lässt  Eurip. 
Hecuba  Prof.  von  Ijcutsch  Mittw.  10  Uhr,  Ciceros  Bru- 
tus Prof.  Saup2)e  Mittw.  2  Uhr  erklären,  alles  öffentlich. 


111 

Deutsche   Sprache. 

Historische  Grammatik  der  deutschen  Sprache : 
Prof.   mVA.  Müüer,  5  St.,  3  Uhr. 

Die  Gedichte  Walthers  von  der  Vogelweide  erklärt 
Prof.   Wilk.  Müller,  Mont.  Dienst.  Donnerst.,  10  Uhr. 

Den  Heliand  erläutert,  mit  grammatischer  und  li- 
terarischer Einleitung,  Dr.  Wilken,  Montag  und  Don- 
nerstag, 5  Uhr. 

Ausgewählte  Abschnitte  der  Gudrun  erklärt  (mit 
einer  Einleitung  über  die  Entwickelung  der  Sage)  Dr. 
Wilken,  Dienst,  u.  Freit.,  5  Uhr,  unentg. 

Die  Uebungen  der  deutschen  Gesellschaft  leitet 
Prof.    Wilh.  Müller. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur:  vgl.  Literär- 
geschichte S.  109. 

Neuere  Sprachen. 

Prof.  Tli.  Müller  wird  Geschichte  der  französischen 
Sprache  vortragen,  Montag,  Dienstag  und  Donnerstag, 
4  Uhr. 

Uebungen  in  der  franzosischen  und  englischen 
Sprache  veranstaltet  Derselbe,  die  ersteren  Montag, 
Dienstag  und  Mittwoch,  12  Uhr,  die  letzteren  Donners- 
tag, Freitag  und  Sonnabend,  12  Uhr. 

Oeffentlich  wird  Derselbe  in  der  romanischen  Socie- 
tät  ausgewählte  altfranzösische  Dichtungen  (nach 
Bartsch's  Chrestomathie)  erklären  lassen,  Freitag  4  Uhr. 


Schöne  Künste.  —  Fertigkeiten. 

Unterricht  im  Zeichnen,  wie  im  Mahlen  ertheilt,  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  naturhistorische  und  anato- 
mische Gegenstände,  Zeichenlehrer  Peters. 


Geschichte  der  Musik  von  1500  —  1830:  Prof.  Krü- 
ger ,  4  St. 

Harmonie  -  und  Kompositionslehre ,  verbunden  mit 
praktischen  Uebungen:  Musikdirector  Hille,  in  passen- 
den Stunden. 

Zur  Theilnahme  an  den  Uebungen  der  Singaka- 
demie und  des  Orchesterspielvereins  ladet  Derselbe  ein. 


112 

Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reit- 
bahn der  Univ.-Stallmeister  Schweppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend  Morgens  von  7 — 11  und 
Nachm.  (ausser  Sonnabend)  von  4 — 5  Uhr. 

Pechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüne- 
hlee,  Tanzkunst  der  üniversitätstanzmeister  HsUzke. 

Oeffentliche  Sammlungen. 

Die  TJniversitätslibliothek  ist  geöffnet  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  2  bis  3,  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  2  bis  4  Uhr.  Zur  Ansicht  auf  der  Bibliothek 
erhält  man  jedes  Werk,  das  man  in  gesetzlicher  Weise 
verlangt;  verliehen  werden  Bücher  nach  Abgabe  einer 
Semesterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Das  zoologische  und  ethnographische  Museum  ist  Diens- 
tag und  Freitag  von  3  —  5  Uhr  geöffnet. 

Die  Gemäldesammlung  ist  Donnerstag  von  11 — 1  Uhr 
geöffnet. 

Der  botanische  Garten  ist,  die  Sonn-  und  Festtage 
ausgenommen,  täglich  von  5 — 7  Uhr  geöffnet. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologi- 
schen Seminai'bibliothek  ,  des  llieatrtiin  anatomicum ,  des 
physiologischen  Instituts,  der  pathologischen  Sammlung, 
der  Sammlwig  von  Maschinen  und  3Iodellen,  des  zoolo- 
gischen und  ethnographischen  Museums,  des  botanischen 
Gartens,  der  Sternwarte,  des  f^Ä?/s('A;a/jsc/i«n  Cahinets, 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen 
Sammlung,  der  chemischen  Laboratorien,  des  archäologi- 
schen 3Iuseums ,  der  Gemäldesammlung ,  der  Bibliothek 
des  k.  philologischen  Seminars,  des  diplomatischen  Appa- 
rats, der  Sammlungen  des  landwirthschaftlichen  Instituts, 
bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 


Bei  dem  Logiscommissär,  Pedell  Bartels  (Weenderst.82), 
können  die ,  welche  Wohnungen  suchen ,  sowohl  über 
die  Preise ,  als  andere  Umstände  Auskunft  erhalten, 
und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


113 

.Vach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


7.  März.  M  6.  1877. 


KöDigiiche  Gesellschaft  der  Wissenschaftea. 

Königs   Darius   Lobgesang  im   Tempel 
der  großen  Oase  von  El-Khargeh. 

Von 

H.  Brugsch. 

Im  Februar  des  Jahres  1875  ward  mir  auf 
Wunsch  des  Khedive  von  Aegypten  die  Ehre 
zu  Theil  den  Erbirroßherzog  August  von  Olden- 
burg auf  seiner  Reise  nach  Oberägypten  und 
Nubien  zu  begleiten.  Der  junge  deutsche  Fürst, 
ausgezeichnet  durch  edlen  Sinn  und  liebenswür- 
digstes Entgegenkommen,  und  mit  ungewöhnli- 
chem Muthe  begabt,  den  Hindernisse  und 
Schwierigkeiten  nur  zu  erhöhen  im  Stande 
waren,  erfaßte  mit  Begeisterung  meinen  Vor- 
schlag von  der  oberägyptischen  Stadt  Girgeh 
aus  einen  Ausflug  durch  die  selten  besuchte 
libysche  Wüste  nach  der  großen  Oase  von  El- 
Khargeh  zu  unternehmen.  Die  Reise,  militärisch 
organisirt,  wurde  auf  Kameelen  in  forcirten  Mär- 
schen innerhalb  eilf  Tagen  glücklich  ausgeführt. 
Den  anziehendsten  Theil  der  Wüsteufahrt  bil- 
dete jedenfalls  der  Aufenthalt  in  der  Oase  sel- 
ber, deren  Tempelreste  aus  vorchristlichen  Zeiten 

10 


114 

für  mich  den  besonderen  Beweggrund  des  Reise- 
vorschlages abgegeben  hatten.  Seit  einem  Jahre 
nunmehr  mit  den  Vorbereitungen  zur  Heraus- 
gabe der  Resultate  unserer  Oasen-Wanderung 
beschäftigt,  deren  letztes  und  bedeutendstes  Ziel 
der  Besuch  des  fast  vollständig  erhaltenen  Tem- 
pels von  Hib  (Hibis  der  griech.  Geographen) 
aus  den  Zeiten  Königs  Darius  I.  und  IL  war, 
hatte  ich  unlängst  die  üeberraschung  in  einem 
besonderen  Artikel  der  Transactions  of  the  So- 
ciety of  Biblical  Archaeology  Vol.  V,  part.  I  S. 
293  fll.  eine  der  wichtigsten  Inschriften  jenes 
Heiligthumes  bereits  im  Abdruck  und  in  einer 
Uebersetzung  aufs  Neue  kennen  zu  lernen.  Der 
Herausgeber  jenes  Artikels,  ein  rühmlichst  be- 
kannter englischer  Gelehrter,  Herr  Samuel  Birch, 
hatte  den  beregten  Text  nach  einer  Abschrift 
seines  inzwischen  verstorbenen  Landsmannes, 
Mr.  Robert  Hay,  welcher  in  den  Jahren  1828 — 
1832  Aegypten  und  die  grof6e  Oase  besucht 
hatte,  zusammengestellt  und  danach  seine  Be- 
sprechung und  Uebertragung  unter  dem  Titel: 
Inscription  of  Darius  at  the  temple  of  El-Khargeh 
den  Lesern  der  Transactions  vorgelegt. 

Herr  Birch  hat  das  Möglichste  geleistet,  in- 
dem er  nach  den  jedenfalls  sehr  unvollkommenen 
Zeichnungen  eines  Reisenden,  der  vor  fast  fünf- 
zig Jahren  die  damals  besser  als  jetzt  erhaltene 
Inschrift  an  Ort  und  Stelle  als  einer  der  ersten 
Besucher  der  Oase  zu  sehen  Gelegenheit  hatte, 
den  Text  nach  dem  Staudpunkte  der  heutigen 
Kenutniß  der  Hieroglyphenschrift  zurecht  legte. 
Allein  manche  Irrthümer,  besonders  in  Betreff 
der  geographischen  Eigennamen,  sind  dabei  un- 
vermeidlich gewesen ,  bis  auf  die  Versetzung 
und  Umstellung  ganzer  Zeilen  hin.  Daß  die 
Uebertragung  des  gelehrten   englischen  Heraus- 


115 

gebers,  der  außerdem  das  Vorkommen  einzelner 
Theile  des  Textes  in  dem  zuerst  von  Hrn.  Cha- 
bas  behandelten  sogenannten  Papyrus  Magique 
Harris  übersehen  zu  haben  scheint,  unter  diesen 
Umständen  manches  zu  wünschen  übrig  lassen 
mußte,  ist  ebenso  selbstverständlich  als  durchaus 
entschuldbar  vom  Standpunkte  der  Kritik  aus. 

In  der  nachstehenden  Uebertragung  der  poe- 
tisch-gehaltenen Inschrift ,  wie  sie  sich  mir  vor 
dem  Denkmale  nach  der  Herstellung  des  corree- 
ten  Textes  ergeben  hat,  sind  zum  besseren  ver- 
ständniß  des  Lesers  die  ägyptischen  Götter-  und 
Städtenamen  durch  die  entsprechenden  griechi- 
schen, insoweit  dies  möglich  war,  ersetzt  wor- 
den, sonst  aber  nichts  an  dem  Sinne  geändert 
worden.  Ich  mache  vor  allen  aufmerksam  auf 
die  häufig  erscheinenden  Götter-Namen  Zeus  = 
Ämon,  Helios  =  Rä,  Hephaistos  =  Ptah,  Pan 
=  Chim,  Athene  =  Neit,  Latona  =  üt',  Here 
=  Mut.  Sonstige  Namen,  die  allgemein  bekannt 
sind,  wie  Horus  (ApoUon) ,  Isis  und  Osiris  oder 
für  welche  sich  kein  entsprechendes  griechisches 
Aequivalent  nachweisen  läßt,  habe  ich  in  ihrer 
ägyptischen  Schreibung  belassen. 

Der  Inhalt  des  Poems,  durchaus  pantheisti- 
scher  Natur,  ist  ebenso  merkwürdig  als  beleh- 
rend. Die  vier  Götterpaare  (männlich-weiblich) 
der  elementaren  Uranfänge  treten  als  Herolde 
der  Allmacht  ihres  »Vaters«,  der  Schöpferkraft, 
auf,  die  zunächst  in  dem  Lichte  der  Sonne  und 
des  Mondes,  dann  in  dem  Wasser  und  in  den 
übrigen  sichtbaren  Erscheinungen  der  geschaf- 
fenen Welt  in  mannichfachen  Gestalten  und 
Formen  dem  Auge  sichtbar  entgegentritt.  Von 
Col.  23  an  nimmt  der  Hymnus  eine  in  mytho- 
logisch-geographischer Beziehung  wichtige  Gestalt 
an,  indem  er  die  allmählichen  Wanderungen  des 

10* 


116 

Sonnen -Amon  (unter  der  symbolischen  Form 
eines  Widders)  nach  den  hauptsächlichsten  Cul- 
tusstätten  Ober-  und  Unterägyptens  schildert. 
Auch  in  dem  Oasen-Tempel  von  Hibis  hatte 
derselbe  Amon  eine  Stätte  seiner  Verehrung 
gefunden,  deren  Bedeutung  dem  Perserkönig 
Darius  IL  nicht  entgangen  war.  Was  später 
die  Priester  dem  großen  Alexander  in  der 
Amons-Oase  von  Siwah  über  das  Wesen  und 
die  Natur  des  Orakel-Gottes  zu  berichten  wuß- 
ten, das  erzählt  uns  der  Text  von  Hibis  in  der 
ausführlichsten  Weise. 

Nach  diesen   nothwendigen  Vorbemerkungen 
lasse    ich   die  Uebertraguug   der   ganzen  aus  47 
Zeilen  bestehenden  Inschrift  folgen,    welche  die 
innere  Südniauer  des   zweiten    Tempelsaales   desi 
Heiligthumes  von   Hibis    in   der   vollen   Wand-, 
länge  bedeckt. 

l.»Der  da  ist  als  Helios 

»das  Sein  au  sich  selbst, 

»dessen  Gebeine  wie  Silber, 

»dessen  Haut  wie  Gold, 

»dessen  Haupthaar  wie  Saphir, 

»dessen  Hörner  wie  eitel  Smaragd,  — 

»das  ist  der  gütige  Gott, 

»der  sich  selber  erschuf 

»in  seiner  Gestalt 

»und  sich  erzeugte, 
2.  »ohne  herauszutreten 

»aus  dem  Mutterleibe. 


»Wann  er  erleuchtet  die  Welt, 
»so  preisen  die  Schaaren 
»der  Götter  sein  Antlitz. 
»Sie  erheben  ihn  himmelhoch, 
»sie  beten  zum  Zeus 
»dem  Schöpfer  seiner  Kinder. 


117 

»Wann  er  niederfährt 
»zur  verborgenen  Welt, 
»da  jubeln  sie  ihm  zu 
»sammt  ihren  Genossen. 
»Sie  überschütten  den  Stier 
»mit  Lobgesängen 
»und  sprechen  dazu: 
»»Beten  wir  ihn  au 
»»[den  Schöpfer  und  Gebieter]! 
»Und  sein  Lob  [tönt  also] 
»aus  ihrem  Munde: 
»»Beten  wir  ihn  an 
»»ob  seiner  Hände  Werke! 

»Sie  [bewillkommnen] 
»Seine  königliche  Majestät 
»als  ihren  Herrn, 
»der  sich  offenbaret 
»in  Allem,  was  da  ist, 
»und  benannte  [jedes  Ding] 
»vom  Berge  zum  Strom. 
»Uas  Bleibende  in  Allem 
»ist  Zeus. 

»Dieser  herrliche  Gott 
»war  von  Anbeginn  an. 
»Nach  seinem  Ermessen 
»ward  die  Welt. 
»Er  ist  Hephaistos, 
»der  Größte  der  Götter. 

»Er  wird  zum  Greise 
»Und  verjüngt  sich  zum  Kinde 
»im  kreisenden  Laufe 
»der  ewigen  Zeit. 

»Dem  Menschen  verborgen, 
»scharfsichtigen  Auges, 
»durcheilend  seine  Haine 
»ist  sein  Körper  wie  Lufthauch. 

»Sein  Haupt  ist  der  Himmel, 


118 

»und  die  Fluthen  verbergen 
»sein  tiefes  Geheimniß. 

»Zeigt  er  sich  als  König 
»in  Sperbergestalt, 
»auf  hohem  Sockel 
»(an  der  Spitze  der  Barke), 
»so  treiben  die  Lüfte 
»sein  Schiff  gen  Westen. 

»Wann  er  angekommen 
»zur  verborgenen  Welt 
»der  Tiefe  des  Abgrunds, 
»da  sprechen  die  acht 
»uranfänglichen  Götter 
»(der  vier  Elemente) 
»dies  Loblied  auf  ihn: 

7.  »Es  sitzt  in  der  Scheibe 
»des  Sonnenbildes 

»der  göttliche  Zeus, 
»der  sich  selbst  verhüllt 
»in  seiner  Pupille, 
»und  dessen  Geist 
»aus  seinen  Augen 
»hellstrahlend  leuchtet. 

»Wunder  sind  es 
»die  Gestalten  des  Herrlichen, 
»der  nicht  zu  erfassen. 
»Im  Farbenglanze 
»erscheinen  die  Dinge, 
»wann  er  sie  beschaut 
»mit  seinen  Augen. 

»Verborgen,  unfaßbar 

8.  »ist  seine  Gestalt. 

»Dir  töne  der  Lobgesang, 
»weilst  du  an  dem  Leibe 
»der  Göttin  des  Himmels, 
»wann  sich  dir  nahen 
»deine  Kinder,  die  Götter, 


i 


119 

»dort  wo  die  Wahrheit 
»nebea  dir  thront 
»und  wo  zur  Klarheit 
»das  Verborgene  wird. 

»Es  hüten  deiner 
>die  treuen  Genossen 
»(die  vier  Elemente), 
»wann  du  sammelst  dein  Licht 
9.  »am  frühen  Morgen. 

»Und  hast  du  umgössen 
»mit  deinen  Strahlen 
»die  Welten  alle, 
»dann  senkst  du  dich  nieder 
»auf  jenen  Berg 
»aus  der  Unterwelt 
»wo  die  Todten  weilen, 
»wo  alle  Helle 
»dein  Lichtausflnß  ist. 

»Es  empfangen  dich  dort 
»die  Rudel  der  Füchse. 
»Sie  ziehen  dein  SchifiF 
»am  Berge  Amenti. 

10.  »Da  sprechen  die  Geister 
»des  Westens  ihr  Loblied 
»zu  deiner  Ehre, 

»um  dich  zu  preisen 

»beim  Glanz  deiner  Scheibe. 

»Es  besingen  dich  laut 
»die  Geister  der  Nordstadt 
»und  die  des  Südens, 
»wann  deine  Strahlen 
»ihr  Antlitz  erhellen. 

»Du  ziehest  dahin 

11.  »auf  deinem  Himmel, 
»kein  Feind  droht  dir 
»Deine  Flamme  versengt 
»das  AeÄa-Krokodil. 


120 

»Es  schnaufen  die  röthlichen 

»  Nil  pferdsgestalten. 

»Das  Wasser  deiner  Barke 

»bereitet  dir  den  Weg. 

»Das  Ungeheuer 

»des  typhonischen  Set 

»es  ist  getroffen 

»vom  Schwert  des  Apollon.  — 

»mit  seinen  Pfeilen  an  sich 

»durchtobt  er  die  Räume 

»des  Himmels,  der  Erde, 

12.  »mit  gräulichem  Sturme. 
»Doch  jenes  Zauber 
»ist  kräftig  zu  schlagen 
»den  feindlichen  Gegner. 

»Hat  sein  Speer  verwundet 
»das  Ungeheuer 
»mit  gähnendem  Rachen, 
»so  reißt  es  an  sich 
»der  göttliche  AJcer. 
»Er  bleibt  sein  Wächter, 
»[der  ihn  erfaßt, 
»zurück  ihn  schleudernd 
»in  seine  Höhle. 

13.  »Und  hat]  ihm  [geblendet 
»sein  Auge  der  Lichtglanz, 
»wie  es  leuchtet  an  ihm, 
»und  fraß  es  die  Flamme 
»durch  ihre  Gluth: 

»so  öffnen  sich  dir 
»die  Wolkenschleier, 
»und  du  segelst  dahin 
»mit  günstigen  Winden. 

»Der  Seeligen  Insel 
»wie  ist  sie  beglückt 
»[durch  deine  Nähe! 
»Deine  Barke  erfüllt 


121 

»der  Freude  Lust. 
>Der  Weg  ist  frei,] 
»denn  du  hast  gebändigt 

14.  »den  bösen  Drachen, 
»unter  den  Gestirnen 
»den  Ruhelosen, 
»den  Bewegungslosen. 

»Du  verläßt  die  Welt, 
»im  Siegestriumphe. 
»Du  hüllst  dich  ein 
»in  ein  Himmelsgewand 
»und  es  umfaßt  dich 
»deine  Mutter. 
»[Sie  breitet  aus 
»ihre  beiden  Arme] 

15.  »um  dich  zu  empfangen. 

»Es  beten  dich  an 
»die  Wesen  alle, 
»wann  du  weilst  in  der  Tiefe 
»in  der  Stunde  des  Abends. 
»Du  weckst  den  Osiris 
»durch  deiner  Strahlen 
»glanzvollen  Ausfluß, 
»hoch  über  den  Häuptern 
»der  vom  Grab  L'mschlossenen. 

»Es  preisen  dich 

16.  »die  in  den  Grüften  liegen, 
»denn  was  verborgen 

»in  seinem  Wesen, 
»das  nimmt  Gestalt  an 
»um  zu  frohlocken, 
»wann  Licht  verbreitet 
»deine  eigene  Scheibe. 

»Es  erheben  sich 
»die  zur  Hölle  Verdammten, 
»da  wo  sie  weilen 
»an  ihren  Stätten. 


122 

»Dir  thut  sieh  auf 
»die  Grabes  weit 

17.  »zur  Abendzeit, 

»wann  dein  linkes  Auge*) 
»die  Nacht  erleuchtet. 

»Gehst  du  auf  in  der  Frühe 
»des  nächsten  Morgens, 
»im  Osten  des  Himmels, 
»da  wird  in  Mendes 
»dein  Strahlenschmelz 
»fein  zubereitet. 
»Dein  rechtes  Auge 
»schaut  deine  Schöpfung. 

»Du  steigst  empor 

18.  »aus  der  Wasser  Tiefen, 
»deiner  verborgenen  Welt. 
»Bist  du  diesseits  gekommen, 
»so  spendest  du  Licht 
»nach  jener  Seite. 

»Du  machst  helle 
»die  Wege  der  Irrsal's, 
»gleichwie  sie  sind 
»auf  der  Oberwelt. 

»Es  sind  verborgener 
»deine  Gestalten 
»als  die  aller  Götter. 

19.  »Groß  bist  du,  erhaben 

»unter  der  Himmlischen  Schaaren. 
»Kein  Gott  erzeugt  sich 
»nach  deiner  Art, 
»und  keine  Symbole 
»gleichen  deinem  Wesen. 

»Du  bist  der  König 
»[der  allgewaltige]. 
»Dein  ist  die  Herrschaft, 

*)  Nach  den  ägyptischen  Vorstellangen  ist  der  Mond 
das  linke  Auge,  die  Sonne  das  rechte  Auge  des  Allgottes. 


123 

»Herr  des  Himmels! 
»nach  deinem  Ermessen 
»wird  die  Welt. 
»Es  sind  die  Götter 
20.  »in  deinen  Händen, 
»es  sind  die  Menschen 
»zu  deinen  Füßen. 
»Wer  ist  es, 
»der  dir  gleicht? 

»Du  bist  Gott  Helios, 
»der  Erste  unter  den  Göttern, 
»voller  Anmuth  und  Liebreiz 


»[Du  trägst]    den    Widderkopf 

21.  »und  die  Sonnenscheibe 
»und  deine  Kronen. 

»Hoch  steht  das  Hörnerpaar, 
»aufgestellt  ist  das  Geweih, 
»der  Bart  erglänzt 
»und  das  Augenpaar 
»leuchtet  wie  Gold. 
»Das  Vließ  ist 
»wie  Smaragd, 

22.  »und  ein  Strahlenglanz 
»der  Leib. 

»Dein  Thron  ist  errichtet 
»an  allen  Orten 
»nach  deinem  Willen. 
»Wenn  du  es  begehest 
»tritt  Mehrung  ein 
»der  Zahl  deiner  Namen. 

»Die  Städte  und  Gauen 
»tragen  deine  Herrlichkeit. 
»Keine  Feldfrucht  reift 
»wo  dein  Bild  fehlt. 

»Dein  Sitz  von  Alters  her 


124 

23.  »war  auf  der  Hochfläche 
»von  Groß-Hermopolis. 
»Du  hattest  verlassen 
»der  Seeligen  Inseln 

»und  erschienest  im  Feuchten 

»im  verborgenen  Ei. 

»In  deiner  Nähe 

»war  die  Göttin  Araente. 

»Du  nähmest  Platz 

»auf  dem  Rücken  der  Kuh, 

»und  faßtest  ihre  Hörner 

»und  schwammest  einher 

24.  »auf  der  großen  Fluth. 

»Kein  Pflanzen  wuchs  war. 
»Er  begann,  als  sich  einte 
»er  (selbst)  mit  der  Erde 
»und  als  das  Gewässer 
»zum  Berge  empor  stieg. 

»Du  schiedest  von  dannen 
»in  der  Richtung  zur  Stadt 
»Heracleopolis  Magna. 

»Von  dorteu  zogst  du 
»zur  Gaustadt  von  Cusae. 

25.  »Da  steht  dein  Bild 
»als'  Gott  der  ürkraft. 
»Dein  herrlicher  Widder 
»in  der  Stadt  von  Cusae 
»ist  Friedensstifter 
»von  tausend  Myriaden. 
»Es  gingen  die  Götter 
»daraus  hervor ; 

»du  warfst  sie  aus 
»als  Gott  Schon 
»und  spieest  sie  aus 
»als  Göttin  Tafmit. 
»Du  schufest  also 

26.  »Der  Götter  Neunheit 


125 

»am  Anfang  des  Seins. 

»Du  warst  der  Löwe 
»der  Löwen  paare. 
»Du  schmücktest  die  Leiber 
»der  göttlichen  Schaaren. 
»Du  vertheiltest  die  Länder 
»zu  ihrer  Verehrung, 
»Sie  feiern  dir  Feste 
»in  ihren  Tempeln. 

»Dein  heiliger  Widder 

27.  »weilt  in  Busiris, 

»und  zu  vier  Göttern  vereint 
»im  Lande  von  Mendes. 
»Dort  ist  das  Glied 
»der  Herr  der  Götter 
»und  der  Stier  seiner  Mutter 
»erfreut  sich  der  Kuh. 

»Den  Bock,  befruchtend 
»mit  seinem  Samen, 
»ihn  führtest  du  weitet 
»nach  allen  Orten, 
»deinem  Willen  entsprechend 

28.  »auch  zu  deiner  Behausung 
»in  der  Stadt  der  Athene. 

»Es  ruht  dein  Bild 
»dort  im  Tempel  von  Cheb, 
»auf  der  Stätte  der  Wiege 
»des  Gebieters  von  Sai's. 

»Mit  dir  vereint  sich 
»deine  Mutter  Athene 
»als  steigende  Fluth. 

»Umhüllt  von  dem  Schleier, 
»verweilet  dein  Leib 
»in  der  Kammer  des  Südens 
»und  im  Saale  des  Nordens. 
»Es  ruhen  deine  Binden 
»(die  heiligen  Zeuche) 


126 

29.  »auf  den  Händen  von  Paaren 
»krokodilhafter  Götter. 
»Es  thut  sich  dir  auf 
»die  Stätte  der  Wiege, 
»wo  dein  Aufenthalt  war 
»im  nördlichen  Cheh. 

»Es  weilet  dein  Herz 
»auf  den  Straßen  von  Natho, 
»zur  Freude  der  Göttin 
»Latona  von  Buto. 

»Die  Krone  des  Nordens 
30.  »sie  schmücket  dein  Haupt 
»in  Buto,  der  Stadt. 

*\7 ereint  sind  für  dich 
»die  beiden  Welten 
»(von  Ober-Aegypten 
»und  dem  unteren  Lande), 
»in  deinem  Thronsaal, 
»auf  deinem  Stuhle, 
»im  Delta-Diospolis. 

»Dein  heiliger  Platz 
»ist  die  Stadt  Metelis. 

»Dein  Tempelhaus, 
»es  steht  im  Innern 
»des  Palmenlandes. 
»Dort  ist  dein  Reich 
»im  Gauland  von  Xoi's. 

»Und  Götter  und  Göttinnen, 
31.  »sie  folgten  dir  nach, 

»als  du  fortzogst  von  dort. 
»Es  frohlockte  das  Herz 
»der  Göttin  Suosis 
»als  dein  Widder  verweilte 
»auf  heiligem  Grunde 
»des  Heliopolites. 

»Dort  bist  du  das  Wasser 
»der  vollen  Fluth, 


127 

>bist  Zeus  (dort)  und  Konig 
»der  Palastbewohner 
»im  Tempel  von  On. 

32.  »Gehst  du  ein  in  den  Himmel 
»im  Glänze  des  Lichtes, 

»ist  On  wie  versunken 
»in  deiner  Betrachtung. 

»Dein  doppeltes  ßildniß 
»es  thront  in  Patumos. 

»Man  reicht  dir  die  Opfer 
»des  Tempels  Scheta-set.  *) 

»Es  besuchen  dich 
»deine  Kinder,  die  Götter, 
»die  zurückgebliebenen, 

33.  »in  Jahrhunderten 
»von  deinen  Begleitern. 
»Dein  Sperberbild 

»ist  der  Hort  des  Gaues 
»Heliopolites. 

»Dein  Tempel  liegt  versteckt 
»in  verborgener  Krypte 
»an  Babylon's  Stätte. 
»Dein  Bildniß  ist  [dort 
»gemeißelt  aus  Stein 
»als]  dein  Kont^rfey. 

»Du  ergreifst  deinen  Stab 

34.  »zu  deinem  Schutze 
»um  zu  verjagen 
»was  feindlich  dir 
»aus  üebermath. 

»Es  thut  sich  dir  auf 
»die  Krypte  im  Süden, 
»wo  Gott  Sep  verweilet, 
»um  steigen  zu  lassen 
»das  Wasser  der  Fluth 

*)  Bezeichnung    einer    bisher    nicht    nachweisbaren 
Cultusstätte  des  Amon  in  der  Nähe  von  Heliopolis. 


128 

35.  »an  seiner  Quelle. 

»Es  öffnet  sich  dir 
»die  Landschaft  von  Memphis, 
»in  deiner  Gestalt 
»des  Gottes  Hephaistos, 
»des  ältesten  Gottes, 
»des  Uranfänglichen. 

»Dein  Thron  ist  errichtet 
»auf  memphitischer  Erde. 
*Es  gleichet  dein  Widder 
»dem  des  Zeus-Helios. 

»Des  Himmels  Dom 

36.  »ist  deine  Gestalt 
»von  Anbeginn  an, 
»seitdem  du  aufgingst 
»als  Zeus-Helios, 
»und  als  Hephaistos. 

»Froh  ist  dein  Herz 
»in  deiner  Stadt. 
»Der  Gau  von  Theben 
»ist  deine  Krone 
»dein  Augenpaar, 
»dein  Scepter  und  Stab. 

»Es  öffnen  die  Pforten 

37.  »des  Himmels  von  Theben 
»Gott  Schon  und  Tafnut 
»und  Here  (die  Mutter) 
»und  Chonsu  (der  Mondgott). 

»Dein  Bildniß,  es  weilet 
»in  deiner  Stadt  Theben, 
»in  den  Formen  des  Pan 
»des  Armerhebers, 
»mit  hohem  Schmucke 
»des  Federnpaares, 
»des  Herrn  der  Krone 

38.  »des  Krafterfüllten 

»und  Ehrfurchtge bietenden, 


129 

»des  Stiers  seiner  Mutter 
»auf  seineu  Gefilden, 
»des  Gegenbeschenkers 
»mit  seinen  Gaben, 
»des  Herrn  des  Gliedes, 
»des  Bildners  der  dunklen 
»und  hellen  Gesteine, 
»mit  den  Köpfen  der  Götter 
»der  vier  Elemente, 
»des  Herrn  der  Augen, 
»der  mit  Talismauen 
»wohl  ausgestattet 

39.  »den  Gau  von  Koptos, 
»der  da  weilt  in   dem  Gau 
»des  Pauopolites 

»auf  seiner  Treppe. 

»Helios,  der  Große, 
»der  Gebieter  der  Menschen, 
»der  heilige  Käfer 
»ist  er,  der  da  war 
»vom  Anbeginn. 

»Ares-Helios  ist  er 
»in  der  Stadt  Theben, 

40.  »der  mächtige  Stier, 
»der  Schläger  der  Feinde, 
»der  Bildner  Hephaistos 
»auf  thebanischer  Erde 
»au  jeglichem  Tage; 
»der  Gebieter  der  Zeit 
»von  ewiger  Dauer. 

»Du  bist  Hephaistos. 
»Deine  Gestalten  zeigen 
»die  Gewässer  des  Niles 
»und  der  Boden  der  Erde. 
»Du  Aeltester,  Größester 
»unter  den  Göttern! 

»Du  bist  die  Fluth 

U 


130 

41.  »in  ihrer  Fülle. 
»Hat  sie  sich  gesenkt 

»in  das  Erdreich  des  Ackers, 
»erneust  du  sie  wieder 
»aus  deinem  Borne. 

»Du  bist  der  Himmel, 
»die  Tiefe  bist  du, 
»du  bist  das  Wasser, 
»die  Luft  bist  du 
»und  Alles  was  weilet 
»inmitten  von  ihnen. 

»Es  preisen  dich 
»die  Menschenkinder 
»als  den  Unermüdlichen 
»in  der  Sorge  für  sie. 

42.  »Du  schenkst  ihnen  Nahrung, 
»wie  du  sie  geschaffen. 

»Die  Zahl  ihrer  Werke 
»ist  dir  geweiht. 

»Oh  Zeus-Helios! 
»Du  Herr  aller  Dinge, 
»du  starken  Herzens, 
»und  gefeierten  Leibes. 

»Lasse  glücklich  sein 
»deinen  Sohn,  der  da  sitzet 
»auf  deinem  Throne ! 
»Verjünge  seinen  Körper 

43.  »auf  der  Oberwelt! 
»Mach'  ihn  ähnlich  dir, 
»laß  als  König  ihn  herrschen 
»in  deinen  Würden ! 

»Und  wie  deine  Gestalt 
»ist  Wohlthat  spendend, 
»wenn  du  dich  erhebst 
»als  Helios : 
»so  ist  das  Wirken 
»deines  guten  Sohnes 


131 

»nach  deinem  Wunsche. 
»Dazu  spende  ihm  Kraft 
»in  seinen  Armen. 

»Der  König  von  Ober- 
»und  Unter-Aegypten, 
»des  Helios  Sohn, 

44.  »Darius, 

» —  er  lebe  ewig!  — 
»des  Helios  Erbe, 
»ist  voller  Sorge 
»für  die  Thebaner! 
»Des  Helios  Sohn, 

» —  er  lebe  ewig!  — 
»er  huldigt  als  Priester 
»den  vier  Paaren 
»der  Elemente 
»des  Zeus-Helios, 
»des  Herrn  des  Tempels 
»von  2\esta  in   Theben, 
»des  Herrn  von  Hibis, 
»des  Starkarmigen. 

45.  »Des  Helios  Sohn, 
yDarius, 

» —  er  lebe  ewig!  — 
»ist  ein  Freund  des  Horus, 
»des  Sohnes  der  Isis, 
»des  Sohnes  des  Osiris. 

»Oh  Zeus  ! 
»schürme  und  schütze  ihn, 
»den  Sohn  des  Helios, 

» —  er  lebe  ewig!  — 
»vor  jedem  Schwerte, 
»vor  jedem  Speere ! 

»Die  Furcht  vor  ihm, 
»die  Achtung  vor  ihm, 


132 

»seines  Ruhmes  Glanz, 
»sie  seien  im  Herzen 
»aller  Menschen 
»jedweden  Landes, 
»gleichwie  dein  Ruhm 

46.  »und  die  Furcht  vor  dir 
»und  die  Achtung  vor  dir 
»sitzet  im  Herzen 

»der  Götter  und  Menschen. 

47.  »Also  reden  die  acht 
»uranfänglichen  Götter 
»(der  vier  Elemente) 
»zum  Preis  ihres  Vaters 
»Zeus-Helios, 

»des  Herrn  von  Hibis, 
»des  großen  Gottes 
»des  Starkarmigen : 
■»Nun  und  Nunt 
■»Hehii  und  Hehuf 
•»Kekui  und  KeJcuit, 
»Kereh  und  Kereht.^ 


llniTersitiit 

Sr.  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben 
Allergnädigst  geruht,  die  ordentlichen  Professoren 
in  der  philosophischen  Facultät,  Dr.  phil.  Hein- 
rich B  rüg  seh  und  Dr.  phil.  Gurt  Wachs- 
muth  die  nachgesuchte  Entlassung  aus  dem 
diesseitigen  Staatsdienste  zu  ertheilen. 

Sr.  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben 
den  außerordentlichen  Professor  in  der  hiesigen 
theologischen  Facultät,  Dr.  th.  Zahn  zum  or- 
dentlichen Professor  in  der  theologischen  Facul- 
tät der  Universität  Kiel  zu  ernennen  geruht. 


133 

Herr  Dr.  Du  bring  hat  seine  Geschichte 
der  Principien  der  Mechanik ,  welcher  wir  den 
Preis  der  Benekestiftnng  zuerkannt  hatten ,  in 
zweiter  Ausgabe  veröffentlicht.  Auf  die  Vorrede 
heider  Ausgaben  und  auf  die  theils  eingeschal- 
teten, theils  angefügten  Zusätze  der  zweiten  hat 
unser  Urtheil,  welches  auch  dieser  zweiten  Aus- 
gabe vorgedruckt  ist.  keine  Beziehung, 
Göttingen,  den  28,  Februar  1877, 

Die  philosophische  Facultät. 

Der  Decan 

W,    Müller. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften, 

(Fortsetzung). 

-  ]  a  u  s  1  u  s,  Ober  die  Behandlung  der  zwischen  linearen 
Strömen  u.  Leitern  stattfind,  ponderomotor.  u.  electro- 
motor.  Kräfte  nach  dem  electrodynom,  Grundgesetze 
Bonn  1876. 

Verband],  des  naturhistor.-med.  Vereins  zu  Heidelbers. 
Bd.  I.     4.     1876. 

Transactions  of  the  Zoolog.  Society  of  London.  Vol. 
IX.     P.  8.  9.     1876.     4. 

Proceedings  of  the  Zoolog.  Society  of  London  1876.  Part 
1—3. 

Atti  della  R.  Accademia  delle  Scienze  fisiche  e  mathem. 
Vol.  VI.    Napoli  1875.     4. 

ßendiconto  dell'  Accad.  delle  Sc.  fis.  e  math.  Anno  XII 
Fase.  1-12.  1873.  Anno  XIH.  Fase.  1-12.  1874, 
Anno  XIV.     Fase.  1—12.     1875.     Xapoli.    4. 

Sitzungsber.  d.  math.  physik.  Cl.  d.  K.  Akad.  d.  Wiss, 
zu  München  1876.     11. 

—  d.  philos.  philol.  u.  histor.  Cl.     1876.    Bd.  L     H.  4, 

Schüler  von  Lebloy,  Aus  der  Türken-  u.  Jesuiten- 
zeit vor  und  nach  1600.    Berlin  1871. 


134 

Nova  Acta  R.  Soc.  sc.  Upsaliensis.    Ser.  III.    Vol.  X. 

Fase.  1.    1876.    4. 
Bulletin  met^orol.  mensuel  de  l'Observat.  d'  Upsal.  Vol. 

VII.     1875.     4. 
Martini,    Die  Anschwellungen    u.   Verhärtungen   der 

Gebärmutter  sind  nicht  unheilbar.    Augsburg  1876. 

December   1876.      ' 

Nature.  370—372.  374. 

Leopoldina.  XII.     Nr.  21-24.    (Mit  Titelblatt.) 

Annal.  de  l'Observat.  R.  de  Bruxelles.     Fol.  10. 

Pott,  Chemie  oder  Chymie? 

Plateau,   statique  experim.  et  theorique  des  liquides 

soumis  aus  seules  forces  moleculaires.    T.  1— 2.    Paris 

1873. 
Chwolson,  über  einen  von  Jacobi  construirten  Queck- 
silber-Rheostaten.     1876. 
Proceedings  of  the  London   mathem.  Society.    No.  97 

—100. 
Bulletin   de   la  Soc.  Imp.  des  Naturalistes  de  Moscou. 

1876.     Nr.  2. 
Jahrbuch   der   k.   k.  geolog.  Reichsanstalt.     1876.     Bd. 

XXVI     Nr.  3  Juli-  Sept.    Mit  Tschermak  mine- 

ralog.  Mittheilungen.     Bd.  VI.    Hft.  3. 
Verhandlungen  der  k.    k.  geolog.  Reichsanstalt.     1876. 

No.  11-13. 
Volkmann,  zur  Theorie  der  Intercostalmuskeln. 
Donders  u.  Engelmann,   Onderzoekningen.     Derde 

Reeks.    IV.    Aflev.  1876. 
IX.  Jahresber.   des    akad.  Lese-Vereins   a.    d.    Univers. 

Graz.     1876. 
Nouveaux   Me'm.   de  la  Soc.   Imp.   des  Naturalistes  de 

Moscou.     T.  XIII.     Livr.  5. 
Transactions  of  the  Philos.  Society  of  New  South  Wa- 
les.    Sidney  1862-65. 
Transactions   and  Proceedings   of   the  R.  Soc.  of  N.  S. 

W.     Vol.     1875.     Sidney  1876. 
Mines  and   Mineral    Statistics  of  New  S.  Wales.     Ebd. 

1875. 
Mineral  Map  and  General  Statistics  of  N.  S.  W.    Ebd. 

1876. 
Progress  and  Resources  of  N.  S.  Wales.     Ebd.  1876. 
Monthly  Notices  of  the  R.  Astron.  Soc.     Vol.  37.    No. 

1.    Nov.  1876. 


135 

Bulletin   de    la  Soc.   de    Mathem.   de   France.    T.  IV. 

No.  6.     1876. 
Mittheilangen   der   deutschen  Gesellsch.   für    Natur-  u. 

Völkerkunde  Ostasiens.     H.  10.     1876.     Yokohama. 
Das  schöne  Mädchen  von  Pao.     III.     Ebd. 
Vierteljahrsschrift   der    Astron.    Gesellsch.    Jahrg.   XI. 

Hft.  4.     1876. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sc.  de  Belgique.    45«  ann^e, 

2.  Ser.     T.  42.     No.  9-10. 
Memoires  de  l'Acad.  des  Sciences  de  Montpellier.    Sect. 

des  Sciences.    T.  VIII.    4.    Sect.  des  Lettres.    T.  VI. 

1.     1875.    4. 
Memoires  de  la  Soc.  des   Sciences  phys.   et  natur.  de 

Bordeaux.    2e  Ser.     T.  I.     3.     1876. 
Mittheil,  aus  dem  Jahrb.  der  K.  Ungar.  Geolog.  Anstalt. 

Bd.  V.    Hft.  1. 
Bibliograph.  Berichte  über  die  Publicationen  der  Akad. 

der  Wiss.  in  Krakau.     Hft.  1.     1876. 
Memoires   de   la  Soc.   de  Physique  etc.  de  Genfere.     T. 

XXIV.    P.  2.     1875-76.    4. 
Report  of  the  Superintendent  of  the  U.  S.  Coast  Survey, 

showing  the  progress  of  the  Survey  during  the  years 

1869-1873.     Washington  1872-75.    4. 
Hayden,    Report    oi    the   U.   S.    Geolog.    Survey  of 

the  Territories.     Vol.  IX.  X.     Ebd.  1876.    4. 
The  American  Ephemeris  and  Nautical  Almanac.     For 

1879.     Ebd.  1876. 
Allen,  the  American  Bisons  (Memoirs  of  the  Museum 

of  Comp.  Zoölogy  at   Harvard    College.     Cambridge, 

Mass.)  1876.     4.  e  -e  > 

Bulletin    de    l'Acad.  Imp.    des  Sc.    de    St.  Petersbourg. 

T.  XXII.     No..  3.     1876.     4. 
Acta  Horti  Petropolitani.    T.  IV.     Fase.  1.  2. 
Supplementband  ad  tomos  I— III.     St.  Petersb.  1876.     8. 
Katalog  der    Ausstellungsgegenstände  bei   der  Wiener 

Ausstellung.     1873. 
Bulletin  of  the  Essex  Institute.  Vol.  VII.     1875.    Salem 

1876.     8. 
Proceedings  of  the  American  philosophical  society.'  VoL 

XVI.     No.  97.     (Jan.— Juny  1876.)     8. 
Catalogue  of  the  publications  of  the  United  States  geo- 

logical    survey    of  the   territories.      F.    V.    Hayden. 

Washington  1874.     8. 
Publications  of  the  Cincinnati  Observatory.    Catalogue 


13fi 

of  new   double    stars   by   H.    A.   Howe.     Cincinnati 
1876.    8. 

Januar  1877. 
Philosophical   Transactions   of  the   R.   Soc.    of  London 

Vol.  165.     P.  II.  ~  Vol.  166.    P.  I.     London  1876.    4. 
Fellows  of  the  Soc.  November  1875,     4. 
Proceedings   oi   the    R.  Society.    Vol.  XXIV.    No.  164 

-174. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  sciences  de  Belgique.    T.  42. 

No.  11.    1876. 
Nature  375-378. 
Monthly   Notices   of   the   R.    Mathem.  Society.      Vol. 

XXXVII.    No.  2. 
Mittheil,  aus  dem  naturwiss.  Verein  von  Neuvorpommem 
'  u.  Rügen.     Jahrg.  8. 
Verein   für  die  deutsche  Nordpolar  fahrt.     IX.     Bremen 

1876. 
Monatsber.  der  Berliner  Akad.  der  Wiss.     Sept.  u.  Oct. 

1876. 
Wolf,  Astronom.  Mittheilungen.     XLI. 
Neues  Oberlausitzisches  Magazin.     Bd.  52.     H.  2.     Gör- 
litz 1876. 
Abhandlungen  des  naturwiss.  Vereins  zu  Hamburg-Al- 

tona  VL  2.  3.     1876.     4. 
Uebersicht  seiner  Thätigkeit  1873—74.    4. 
Annales  de  l'Observat.  de  Bruxelles.     Fol.  11. 
Memoirs  of  the  liter.  and  philos.  Society  of  Manchester 

Vol.  5.     1876. 
Proceedings  of  the   lit,  and  phil.   Soc.   of  Manchester. 

VoL  XlII-XV.     1874-76. 
Catalogue  of  the  books  in  the  library  of  the  Manchester 

Soc.  1875. 
Atti  della  Societii  Toscana.     Vol.  IL    Fase.  2.    Pisa  1876. 
Jules  Oppert,    Les  inscriptions  en  langue  susienne. 

Paris  1873. 
—  Sumerien  ou  Accadien?  Paris  1876. 
Duchateau  et  Oppert,  l^tudes  cundiformes.    Paris 

1878. 

Fortsetzung  folgt. 


137 

iVach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 

14.  März.  Mi  1,  1877. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaft4>ii. 

P  reisaufgabeu 
der 

Wedekindschen  Preisstiftung 

für  Deutsche  Geschichte. 


Der  Verwaltnngsrath  der  Wedekindschen  Preis- 
stiftung für  Deutsche  Geschichte  macht  hierdurch 
die  Aufgaben  bekannt,  welche  von  ihm  für  den 
vierten  Verwaltungszeitraum,  vom  14.  März  1876 
bis  zum  14.  März  1886,  nach  den  Ordnungen 
der  Stiftung  (§.  20)  gestellt  werden. 

Für  den  ersten  Preis. 

Der  Verwaltungsrath  verlaugt  eine  allen  An- 
forderungen der  Wissenschaft  entsprechende  Aus- 
gabe der  von  dem  Maiuz-T  Eberhard  IVindeek 
verfassten  Denkwürdigkeiten  über  Leben  und 
Zeit  Kaiser  Sigismunds. 

Es  gilt  den  völlig  werthloseu  und  unbrauch- 
baren Abdruck  bei  Meuckeu  durch  eine  nach 
Seite  der  Sprache  wie  des  Inhalts  gleich  tüch- 
tige Ausgabe  zu  ersetzen.  Auch  nach  den  Vor- 
arbeiten von  Dümge,  Moue,  Aschbach,  Droysen, 
die  mehr  nur  andeutend  als  abschließend  ver- 
fahren konnten,  steht  das  Verhältniß  der  bis  an 
die  Zeit  des  Verfassers  hinaufreichenden  Hand- 
schriften noch  keineswegs  fest. 

Vor  allem  ist  erforderlich,  die  aus  Nürnberg 
stammende,  aber  von  da  nach  England  verkaufte 

12 


138 

Ebnersclie   Handschrift  wieder    aufznfinden    und 
festzustellen,  ob  die  in  der  jetzt  zu  Cheltenham 
befindlichen    Bibliothek    des  /«J^^l^rbenen     feir 
Thomas   Phillipps  unter  No.  10,381  aufgeführte 
Handschrift  der  Beschreibung  bei  Aschbach,  Konig 
Siegmund  IV,  458,  entspricht.     Da  nur  aut  Grund 
einer  vollständig  zuverlässigen  Abschrift  derselben 
der   Nachweis  geführt  werden  kann,    ob  in  ibr 
das    Original    vorliegt   oder    nicht,    so    wird  der 
VerwaltSngsrath   so    bald    als    möglich   für   eine 
solche  Abschrift  Sorge  tragen  und  diese  der  hie- 
sisen  Universitätsbibliothek  übergeben     von  der 
sie    Bearbeiter   der    Aufgabe    zur    Benutzung  er- 
halten können.  .  .... 

Es  wird  aber  nothwendig  sein  auch  die  übri- 
gen Handschriften  des  15.  Jahrhunderts  zu  Gotha 
und  Hannover  zu  untersuchen,  wo  möglich  noch 
unbekannte  oder  unbeachtete  heranzuziehen  und 
sowohl  ihr  Verhältniß  unter  einander  als  die  Ab- 
leitung   der    späteren     Abschriften    festzustellen. 
Es  wird  dabei  vor  allem  darauf  ankommen,   die 
verschiedenen  vom  Verfasser  selbst  herrührenden 
Bearbeitungen  und  Zusätze,  auf  welche    Droy.en 
^gehend  hingewiesen  hat    in  den  Texten  sebst 
nachzuweisen,    um   Entstehung  und   Ausbildung 
der    Denkwürdigkeiten   durchschauen  zu  können. 
Die    Urkunden   und    Aktenstücke    aller    Art, 
welche  dem  Werke  zahlreich  eingefügt  smd,  er- 
fordern genaue  Untersuchung  m  Bezug  auf  Her- 
kunft, Wiedergabe  und  anderweitige  Benutzung, 
eventuell    Ersetzung  durch  die  in  den    Archiven 
noch    vorhandenen' Originale.      Desgleichen    ist 
wenigstens    annäherungsweise    der     Versuch    zu 
Tach^en  für  die  rein  erzählenden  Theile  Ursprung 
oder   Quelle  beizubringen,    namentlich  m  Bezug 
auf    An-   und    Abwesenheit  des   Verfassers      Es 
darf  dem    Text  an    Erläuterung   in    sprachhcher 
und  sachlicher   Hinsicht  nicht  fehlen. 

Die  Sprache,  welche  auf  Mainz  als  die  engere 


139 

Heimath  Windecks  hinweist,  verlangt  in  der 
Einleitung  eben  so  gut  eingehende  Erörterung 
als  die  mannichfachen  Lebensschicksale  des  Ver- 
fassers, die  Beziehungen  zu  seiner  Vaterstadt, 
seine  Reisen,  sein  Verhältniß  zum  Kaiser  und  zu 
andern  namhaften  Zeitgenossen ,  seine  übrigen 
Werke  in  Prosa  und  Dichtung.  Auch  ist  es 
sehr  wünschenswerth ,  daß  die  bei  der  Untersu- 
chung und  Herstellung  des  Textes  befolgte  Me- 
thode klar  auseinandergesetzt  werde. 

Viel  Schwierigkeit  wird  voraussichtlich  das 
sprachliche  Wortverzeichniß  machen ,  doch  ist 
es,  um  eine  wirklich  brauchbare  Ausgabe  herzu- 
stellen, ebenso  unerläßlich,  als  die  Wiedergabe 
der  originalen  Rubriken  und  Kapitelüberschriften 
und  die  Zusammenstellung  eines  geschickten  Sach-, 
Personen-  und  Ortsverzeichnisses. 

Für  den  zweiten  Preis 

wiederholt  der  Verwaltungsrath   die  für  den  vo- 
rigen   Verwaltungszeitraum  gestellte  Aufgabe: 

Wie  viel   auch   in   älterer  und   neuerer    Zeit 

für  die  Geschichte  der   Weifen,    und  namentlich 

des    mächtigsten    und    bedeutendsten    aus    dem 

jüngeren  Hause,  Heinrich  des  Löwen,  gethan  ist, 

doch  fehlt  es  an  einer  vollständigen,  kritischen, 

das  Einzelne  genau  feststellenden    und    zugleich 

die  allgemeine  Bedeutung  ihrer  Wirksamkeit  für 

Deutschland  überhaupt  und  die  Gebiete,  auf  welche 

sich  ihre  Herrschaft  zunächst  bezog,  insbesondere 

im  Zusammenhang  darlegenden  Bearbeitung. 

Indem  der  Verwaltungsrath 

eine  Geschichte  des  jüngeren  Hauses  der 

Weifen  von  1055—1235  (von  dem  ersten 

Auttreten   Weif  IV.  in  Deutsehland  bis 

zur  Errichtung  des  Herzogthums  Braun- 

schweig-Lüiieburg) 

ausschreibt,  verlangt  er  sowohl  eine  ausführliche 

aus  den  Quellen  geschöpfte  Lebensgeschichte  der 


140 

einzelnen  Mitglieder  der  Familie,  namentlich  der 
Herzoge ,  als  auch  eine  genaue  Darstellung  der 
Verfassung  und  der  sonstigen  Zustände  in  den 
Herzogthümern  Baiern  und  Sachsen  unter  den- 
selben ,  eine  möglichst  vollständige  Angabe  der 
Besitzungen  des  Hauses  im  südlichen  wie  im 
nördlichen  Deutschland  und  der  Zeit  und  Weise 
ihrer  Erwerbung,  eine  Entwickelung  aller  Ver- 
hältnisse ,  welche  zur  Vereinigung  des  zuletzt 
zum  Herzogthum  erhobenen  Weifischen  Territo- 
riums in  Niedersachsen  geführt  haben.  Beizu- 
geben sind  Register  der  erhaltenen  Urkunden, 
jedesfalls  aller  durch  den  Druck  bekannt  ge- 
machten ,  so  viel  es  möglich  auch  solcher ,  die 
noch  nicht  veröffentlicht  worden  sind. 


In  Beziehung  auf  die  Bewerbung  um  diese 
Preise,  die  Ertheilung  des  dritten  Preises  und  die 
Rechte  der  Preisgewinnenden  wird  aus  den  Ord- 
nungen der  Stiftung  Folgendes  wiederholt : 

1.  Ucber  die  zwei  ersten  Preise.  Die 
Arbeiten  können  in  deutscher  oder  lateinischer 
Sprache  abgefaßt  sein. 

Jeder  dieser  Preise  beträgt  1000  Thaler  in 
Gold  (3300  Reichsmark)  und  muß  jedesmal  ganz, 
oder  kann  gar  nicht  zuerkannt  werden. 

3.  UeSer  den  dritten  Preis.  Für  den 
dritten  Preis  wird  keine  bestimmte  Aufgabe 
ausgeschrieben,  sondern  die  Wahl  des  Stoffs  bleibt 
den  Bewerbern  nach  Maßgabe  der  folgenden 
Bestimmungen  überlassen. 

Vorzugsweise  verlangt  der  Stifter  für  denselben 
ein  deutsch  geschriebenes  Geschichtsbuch,  für 
welches  sorgfältige  und  geprüfte  Zusammenstel- 
lung der  Thatsachen  zur  ersten,  und  Kunst  der 
Darstellung  zur  zweiten  Hauptbedingung  gemacht 
wird.  Es  ist  aber  damit  nicht  bloß  eine  gut  ge- 
schriebene historische  Abhandlung,  sondern  ein 
umfassendes  historisches  Werk  gemeint.     Special-  | 


141 

landesgeschichten  sind  nicht  ansgeschlossen,  doch 
werden  vorzugsweise  nur  diejenigen  der  großem 
(15)  deutschen  Staaten  berücksichtigt. 

Zur  Erlancmncr  des  Preises  sind  die  zu  die- 
sem  Zwecke  handschriftlich  eingeschickten  Arbei- 
ten, und  die  von  dem  Einsendungstage  des  vori- 
gen Verwaltungszeitraums  bis  zu  demselben  Tage 
des  laufenden  Zeitraums  (dem  14.  März  des  zehn- 
ten Jahres)  gedruckt  erschienenen  Werke  dieser 
Art  gleichmäßig  berechtigt.  Dabei  findet  indes- 
sen der  Unterschied  statt,  daß  die  ersteren,  so- 
fern sie  in  das  Eigenthnm  der  Stiftung  übergehen, 
den  vollen  Preis  von  1000  Thalern  in  Gold, 
die  bereits  gedruckten  aber,  welche  Eigenthnm 
des  Verfassers  bleiben,  oder  über  welche  als  sein 
Eigenthnm  er  bereits  verfugt  hat,  die  Hälfte  des 
Preises  mit  .jOO  Thalern   Gold  empfangen. 

Wenn  keine  preiswürdigen  Schriften  der  be- 
zeichneten Art  vorhanden  sind,  so  darf  der  dritte 
Preis  angewendet  werden,  um  die  Verfasser  sol- 
cher Schriften  zu  belohnen,  welche  durch  Ent- 
deckmg  und  zweckmäßige  Bearbeitung  unbe- 
kannter oder  unbenutzter  historischer  Quellen, 
Denkmäler  und  Urkundensammlungen  sich  um 
die  deutsche  Geschichte  verdient  gemacht  haben. 
Solchen  Schriften  darf  aber  nur  die  Hälfte  des 
Preises  zuerkannt  werden. 

Es  steht  Jedem  frei,  für  diesen  zweiten  Fall 
Werke  der  bezeichneten  Art  auch  handschriftlich 
einzusenden.  Mit  denselben  sind  aber  ebenfalls 
alle  gleichartigen  Werke,  welche  vor  dem  Einsen- 
dungstage des  laufenden  Zeitraums  gedruckt  er- 
schienen sind,  für  diesen  Preis  gleich  berechtigt. 
Wird  ein  handschriftliches  Werk  gekrönt,  so  er- 
hält dasselbe  einen  Preis  von  500  Thalern  in 
Gold;  gedruckt  erschienenen  Schriften  können 
nach  dem  Grade  ihrer  Bedeutung  Preise  von 
250  Thlr.  oder  500  Thlr.  Gold  zuerkannt  werden. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich  von  selbst, 


142 


daß  der  dritte  Preis  auch  Mehreren  zugleich  zu 
Theil  werden  kann.  .. 

3.  RecMe  der  Erben  der  gekrönten 
Schriftsteller.  Sämmtliche  Preise  fallen,  wenn 
die  Verfasser  der  Preisschriften  bereits  gestorben 
sein  sollten,  deren  Erben  zu.  Der  dritte  Preis 
kann  auch  gedruckten  Schriften  zuerkannt  wer- 
den,  deren  Verfasser  schon  gestorben  sind,  und 
fällt  alsdann  den  Erben  derselben  zu. 

4.    Form  der    Preisschriften  und   ihrer 
Einsendung.    Bei  den  handschriftlichen  Werken 
welche   sich  um  die   beiden    ersten   Preise 
bewerben,  müssen  alle  äußeren  Zeichen  vermieden 
werden,  an  welchen  die  Verfasser  erkannt  werden 
können.     Wird  ein  Verfasser  durch  eigene  Schuld 
erkannt,  so  ist  seine  Schrift  zur  Preisbewerbung 
nicht  mehr  zulässig.     Daher  wird  em  Jeder   der 
nicht  gewiß   sein   kann,    daß  seine  Handschrift 
den  Preisrichtern  unbekannt  ist,  wohl  thun,  sein 
Werk  von  fremder   Hand  abschreiben  zu  lassen. 
Jede  Schrift  ist  mit  einem   Sinnspruche  zu  ver- 
sehen, und  es  ist  derselben  ein  versiegelter  Zettel 
beizulegen,  auf  dessen  Außenseite  derselbe  öinn- 
spruch    sich    findet,    während    inwendig    Name, 
Stand  und  Wohnort  des  Verfassers  angegeben  sin  . 
Die  handschriftlichen  Werke,  welche  sich  um 
den  dritten  Preis  bewerben,  können  mit  dem 
Namen  des  Verfassers  versehen,  oder  ohne  den- 
selben eingesandt  werden.  .       T.nfp   dpa 
Alle   diese    Schriften   müssen   im    Laute   des 
neunten  Jahres  vor  dem  14^  März    mit  welchem 
das   zehnte    beginnt,    also   diesmal    vor  dem    U. 
März  1885,    dem  Director  zugesendet  sein,  wel- 
fh"  auf  Vei-langen  an  die  Vermittler  der  Ue  ers^- 
düng  Empfangsbescheinigungen  a"s^^^stel^e^^ 

5.  Ueher  ZulSssigkeit  zur  Prcisbewer- 
hunir.  Die  Mitglieder  der  Könighchen  bocietat, 
welche  nicht  zum  Preisgerichte  gehören  dur^^^^ 
sich  wie  jeder  Andere  um  alle  Preise  bewerben. 


143 

Dagegen  leisten  die   Mitglieder  des  Preisgerichts 
auf  jede  Preisbewerbung  Verzicht. 

6.  VerMndigDDg  der  Preise.  An  dem  14. 
März ,  mit  welchem  der  neue  Verwaltungszeit- 
raum beginnt,  werden  in  einer  Sitzung  der  So- 
cietät  die  Berichte  über  die  Preisarbeiten  vor- 
getragen ,  die  Zettel ,  welche  zu  den  gekrönten 
Schriften  gehören,  eröflFnet,  und  die  Namen  der 
Sieger  verkündet,  die  übrigen  Zettel  aber  ver- 
brannt. Jene  Berichte  werden  in  den  Nachrich- 
ten über  die  Königliche  Societät ,  dem  Beiblatte 
der  Göttingenschen  gelehrten  Anzeigen,  abge- 
druckt. Die  Verfasser  der  gekrönten  Schriften 
oder  deren  Erben  werden  noch  besonders  durch 
den  Director  von  den  ihnen  zugefallenen  Preisen 
benachrichtigt,  und  können  dieselben  bei  dem 
letzteren  gegen  Quittung  sogleich  in  Empfang 
nehmen. 

7.  Zurückfordcrung  der  nicht  gekrönten 
Seliriften.  Die  Verfasser  der  nicht  gekrönten 
Schriften  können  dieselben  unter  Angabe  ihres 
Sinnspruches  und  Einseudung  des  etwa  erhalte- 
nen Empfangsscheines  innerhalb  eines  halben 
Jahres  zurückfordern  oder  zurückfordern  lassen. 
Sofern  sich  innerhalb  dieses  halben  Jahres  kein 
Anstand  ergiebt,  werden  dieselben  am  14.  Octo- 
ber  von  dem  Director  den  zur  Empfangnahme 
bezeichneten  Personen  portofrei  zugesendet.  Nach 
Ablauf  dieser  Frist  ist  das  Recht  zur  Zurück- 
forderung  erloschen. 

8.  Druck  der  Preisschriften.  Die  hand- 
schriftlichen Werke,  welche  den  Preis  erhalten 
haben,  gehen  in  das  Eigenthum  der  Stiftung  für 
diejenige  Zeit  über,  in  welcher  dasselbe  den  Ver- 
fassern und  deren  Erben  gesetzlich  zustehen 
■würde.  Der  Verwaltungsrath  wird  dieselben  einem 
Verleger  gegen  einen  Ehrensold  überlassen  oder, 
wenn  sich  ein  solcher  nicht  fiudet,  auf  Kosten 
der  Stiftung  drucken  lassen,  und  in  diesem  letz- 


144 

teren  Falle  den  Vertrieb  einer  zuverlässigen  und 
thätigen  Buchhandlung  übertragen.  Die  Aufsicht 
über  Verlag  und  Verkauf  führt  der  Director. 

Der  Ertrag  der  ersten  Auflage,  welche  aus- 
schließlich der  Freiexemplare  höchstens  1000 
Exemplare  stark  sein  darf,  fällt  dem  verfügbaren 
Capitale  zu,  da  der  Verfasser  den  erhaltenen 
Preis  als  sein  Honorar  zu  betrachten  hat.  Wenn 
indessen  jener  Ertrag  ungewöhnlich  groß  ist, 
d.  h.  wenn  derselbe  die  Druckkosten  um  das 
Doppelte  übersteigt,  so  wird  die  Königliche  So- 
cietät  auf  den  Vortrag  des  Verwaltungsrathes 
erwägen,  ob  dem  Verfasser  nicht  eioe  außeror- 
dentliche Vergeltung  zuzubilligen  sei. 

Findet  die  Königliche  Societät  fernere  Aufla- 
gen erforderlich,  so  wird  sie  den  Verfasser,  oder, 
falls  derselbe  nicht  mehr  leben  sollte,  einen  an- 
dern dazu  geeigneten  Gelehrten  zur  Bearbeitung 
derselben  veranlassen.  Der  reine  Ertrag  der 
neuen  Auflagen  soll  sodann  zu  außerordentlichen 
Bewilligungen  für  den  Verfasser,  oder,  falls  der- 
selbe verstorben  ist,  für  dessen  Erben,  und  den 
neuen  Bearbeiter  nach  einem  von  der  Königli- 
chen Societät  festzustellenden  Verhältniße  be- 
stimmt •  werden. 

9.  Bemerkung  auf  dem  Titel  derselben. 
Jede  von  der  Stiftung  gekrönte  und  herausgegebene 
Schrift  wird  auf  dem  Titel  die  Bemerkung  haben : 

Von  der  Königlichen  Societät  der  Wissen- 
schaften in  Göttingen  mit  einem  Wedekind- 
schen  Preise  gekrönt  und  herausgegeben.        | 

10.  Freiexemplare.    Von  den  Preisschrif-    ^ 
ten,    welche  die  Stiftung   herausgiebt,    erhalten 
die  Verfasser  je  zehn  Freiexemplare. 

Göttingeu,   den  14.  März  1877. 
Der  VerivaUungsrafh  der  WedcJcindscJien 
Freisstiftung. 


145 

IVachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


21.  März.  Mi  8.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Schaumann,  Corresp.,  Das  Testament  des  Herzogs 
Georg  von  Brannschweig- Lüneburg.  1641.  Aus  Acten 
und  Urkunden  des  Archivs  zu  Hannover. 

Die  K.  Gesellschaft  d.  W.  beschloß ,  die  in  ihrem 
Besitz  befindlichen  Briefe  von  Bessel  an  Gauss  zum 
Zwecke  der  Heransgabe  des  Gauss  -  Besselschen  Brief- 
wechsels der  K.  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Ber- 
lin auf  deren  Wunsch  leihweise  zu  überlassen. 


Das  Testament  des  Herzogs  Georg  von 

Brannschweig-Lüneburg.     1641.       Aus 

Akten    und   Urkunden   des  Archivs    zu 

Hannover. 

Vom  Staatsrath  Dr.  A.  Schaumann. 

Dem  neuen  deutschen  Staate,  welchen  im 
Jahre  1235  durch  Lehnsauftragung  Otto  Puer, 
der  Enkel  Heinrich  des  Löwen,  gründete,  schien 
für  innere  Entwickelung  eine  glänzende  Zukunft 
vorbehalten  zu  seyn.  Theils  die  günstige  Lage, 
mehr  noch  der  Umstand,  daß  dies  Territorium 
lediglich  aus  Allodeu  gebildet  war,  gaben  sei- 
nem Herrscher  mehr  unumschränkte  freie  Hand, 
als  dies  bei  irgend  einem  andern  der  schon  fer- 
tigen deutschen  Staaten  der  Fall  war. 

13 


146 

Allein  wohl  bei  keiner  Erbschaft  haben  die 
Erben  schlimmer  gewirthschaftet,  als  grade  bei 
dieser.  Die  sofort  nach  dem  Tode  des  Erblas- 
sers unter  seineu  Nachfolgern  entstehenden  bei- 
den Hauptlinien,  Braunschweig  und  Lüneburg, 
theilten  im  Innern  stets  weiter,  so  daß  zuwei- 
len Theile  nur  aus  ein  paarAemtern  bestanden, 
deren  Regenten  aber  nichts  desto  weniger  stets 
Herzoge  von  Braunschweig  -  Lüneburg  heißeu, 
und  als  solche  Hof  halten  wollten,  • —  allein 
schon,  anderer  Umstäude  nicht  zu  gedenken, 
Grund  genug,  um  Verarmung  und  ewig  bren- 
nende Schulden  hervorzurufen.  So  sanken  jene 
Herzoge  bald  zu  Fürsten  dritten  und  vierten 
Ranges  herab.  Die  weitere  Folge  war  ferner, 
daß  die  Geschichte  des  Mittelalters  kaum  Einen 
Fürsten  von  politischer  Bedeutung  unter  ihnen 
zu  nennen  weiß  —  höchstens  ein  paar  gute 
Hausväter  in  kleinem  Wirkungskreise,  und  ei- 
nige Raufbolde,  die  in  Innern  Fehden  sich  selbst 
zerfleischten,  oder  in  äußeren  die  Kräfte  des 
Landes  vergäudeten. 

Volle  400  Jahre  hatte  seit  1235  dieses  Un- 
wesen in  dem  neugegründeten  Staate  gedauert, 
da  endlich  schien  eine  bessere  Morgenröthe 
aufzugehen.  Die  Gelegenheit  nämlich  war  da, 
daß  es  wenigstens  besser  hätte  werden  können ! 

Mit  dem  Herzog  Friedrich  Ulrich  starb  am 
11.  August  1634,  die  eine  Hauptlinie  aus,  die 
Braunschweigische,  welche  noch  obendrein  das 
Glück  gehabt  hatte ,  die  von  ihr  früher  ausge- 
gangenen kleinen  Nebenzweige  nach  und  nach 
wieder  mit  sich  zu  vereinigen.  —  Braunschweig, 
Wolfeubüttel ,  Calenberg  nebst  Göttingen ,  so 
wie  ferner  der  aus  der  Hildesheim'schen  Stifts- 
fehde   erworbene    größte  Theil    dieses   Bisthunis 


147 

waren    die  Stücke,    welche    jetzt   zur  Erbschaft 
kamen. 

Erbe  war  ohne  Zweifel  die  Lüueburg'sche 
Hauptlinie,  welche  aber  daiuals  grade  mehrere 
Nebenlinien  von  sich  abgezweigt  hatte  —  die 
Dannenbergische  und  die  Harburg'sche.  Unter 
diesen  erhob  sich  alsbald  über  die  Vertheilung 
ein  fünfvierteljähriger  Zwist.  Wir  erwähnen, 
um  auf  die  Hauptsache  zu  kommen,  nur  kurz, 
daß  Alles  durch  den  Vertrag  vom  14.  December 
1635  zur  Ausgleichung  kam.  Für  die  Dannen- 
bergische Linie  ward  das  neue  Fürstenthum 
Braunschweig- Wolfenbüttel,  so  wie  es  dem  größ- 
ten Theile  nach  noch  heute  besteht,  ausgeschie- 
den. Die  Harburg'sche  Linie ,  welche  ohnehin 
zum  Aussterben  stand,  erhielt  auf  Lebenszeit 
einige  unbedeutende  vorläufige  Abfindungen. 
Alles  Uebrige  erhielt  die  Lüueburg'sche  Haupt- 
liuie. 

Dazu  waren  damals  grade  in  dieser  Verab- 
redungen getroffen,  um  den  ewigen  schwächen- 
den Theilungen  vorzubeugen.  Die  7  Söhne 
Herzog  Wilhelm  d.  J.  hatten  den  gegenseitigen 
Vertrag  abgeschlossen,  daß  nur  Einer  von  ihnen 
den  Stamm  fortpflanzen  solle.  Das  Loos  ent- 
schied für  den  zweitjüngsten,  Georg;  und  wenn 
auch  die  älteren  Brüder  sich  noch  für  ihre  Le- 
benszeit Succession  und  Regierung  vorbehalten 
hatten,  so  mußte  doch  demnächst  in  Georgs 
und  seiner  Nachkommen  Händen  sich  alles  Ge- 
trennte wieder  vereinigen,  um  so  mehr,  da  auch 
in  der  Lüueburger  Liuie  schon  ein  Hausvertrag 
bestand  —  vom  Jahre  1611  —  daß  jeder,  in 
Zukunft  Lüneburg  etwa  zufallende  Theil  unge- 
trennt damit  verbunden  bleiben  solle. 

Herzog  Georg  also,  beziehungsweise  seine 
Nachkommenschaft,     war     demnach    der  schon 

13» 


148 

bestimmte  demnächstige  Vereinigungs  -  Mittel- 
punkt. 

Unter  den  Männern  des  30jährigen  Krieges 
ist  derselbe  eine  vielgenannte  Persönlichkeit, 
deren  wirkliche  Größe  aber  den  obwaltenden 
Umständen  nach  leider  nicht  immer  zur  völligen 
Geltung  kommen  konnte. 

Die  längste  Zeit  seines  Lebens  war  er  noch 
nicht  selbstständiger  Fürst  und  Regent  eines 
zuständigen  Gebietes,  sondern  nur  der  Feldherr 
seiner  Brüder  und  Vettern.  Allein  bei  der  ewi- 
gen Uneinigkeit  derselben,  wo  es  Einige  mit 
dem  Kaiser,  Andere  mit  den  Schweden  und  de- 
ren Parthei  hielten,  sah  er  sich  oft  bei  der  wi- 
derstrebenden Politik  derselben  in  seinen  schön- 
sten militärischen  Erfolgen  gehemmt,  und  auf 
die  kümmerlichste  Defensive  beschränkt,  da  er 
in  seiner  Lage  nicht  unabhängig  eigner  Ueber- 
zeugung,  sondern  nur  höhern  Befehlen  folgend, 
auftreten  durfte.  Erst  dann,  als  seine  älteren 
Brüder  ihm  durch  Vertrag  vom  27.  Jan.  1636  aus 
der  Braunschweig'schen  Erbschaft  das  Fürsten- 
thum  Calenberg  als  selbstständiges  unter  ihm 
stehendes  Territorium  überwiesen,  ward  seine 
Stellung  anders.  Jetzt  konnte  er  als  dessen 
Fürst  in  seiner  Handlungsweise  selbständig  auf- 
treten. Vor  allem  predigte  er  Einigkeit  der 
bisher  getrennten  und  sich  befeindenden  Linien, 
stellte  diese  auch  mit  unsäglicher  Mühe  durch 
den  Peiner  Receß  v.  14.  May  1636  und  die 
Celler  Hausverträge  vom  10.  Decbr.  1636^) 
glücklich  her,  und  schickte  sich  nunmehr  an, 
in  der  schweren  Zeit  des  30jährigen  Krieges 
auch  nach  außen   eine   selbstständige  Politik  zu 

1)  Calenb.  Archiv  f.  v.  Erbverträge  Nr.  94.  Diese 
Urkunde  ist  noch  niemals  vollständig  mitgetheilt. 


149 

verfolgen.  Diese  sollte,  gestützt  auf  ein  stehen- 
des Heer,  eine  Neutralitäts-Politik  für  das  nord- 
westliche Deutschland  seyn ,  die  jede  Parthei, 
die  kaiserliche  sowohl  wie  die  schwedische,  vom 
Betreten  des  Bodens  desselben  abhalten  sollte. 
Zur  Vermehrung  der  Macht  für  solchen  Zweck 
schloß  er  3  Bündniß  -  Verträge  mit  der  Land- 
gräfin Amalie  von  Hessen  ab,  welche  sich  mit 
ihm  zu  gleicher  Absicht  verband.  Immer  aber 
wies  Georg  darauf  hin,  daß  nur  Einigkeit  und 
Einheit  zu  glücklichen  Resultaten  führen  könn- 
ten. 

Es  ist  hier  nicht  am  Orte ,  die  Geschichte 
des  Herzogs  Georg  bis  zu  seinem  Tode  zu  er- 
zählen. Es  genügt  zu  bemerken,  daß  es  ihm 
nicht  vergönnt  war  in  so  kurzer  Zeit  schon  die 
Früchte  seiner  Politik  zu  erndten.  Er  starb 
bereits  am  2.  April  1641,  wahrscheinlich  in 
Folge  ihm  von  französischer  Seite  bei  einem 
Gastmahl  zu  Hildesheim  beigebrachten  Giftes. 
Frankreich  allerdings,  was  aus  der  deutschen 
Verwirrung  den  besten  Nutzen  zog,  konnte  die 
selbstständige  Stellung  eines  solchen  Fürsten, 
der  einen  großen  Theil  Deutschlands  fremden 
Einfluß  zu  entziehen  gedachte,  nicht  gleichgül- 
tig mit  ausehen. 

Da  bei  dem  Tode  Georgs  noch  ältere  Brü- 
der von  ihm  lebten  und  in  Lüneburg  regierten, 
so  erlebte  er  auch  nicht  den  Anfall  aller  Wei- 
fischer Lande  in  seiner  Hand.  Aber  seine  Söhne 
traten  in  seine  Rechte,  und  für  diese  hätte  er 
wohl  in  Beziehung  auf  die  augenblicklich  noch 
getrennten  Gebiete  für  die  Zukunft  verbindende 
Bestimmungen  treffen  können. 

Jedermann  hätte  auch  erwarten  sollen,  daß 
solche  ganz  den  Grundsätzen  gemäß  ausgefallen 
wären ,   die  der  Vater  so  oft  im  Leben   als  ein- 


150 

ziges  Heil  gegen  seine  Verwandten  gepredigt 
hatte:  Kraft  in  Einheit,  Abstellen  der  ewigen 
Theilungen,  deren  vernichtende  Folgen  er  so 
oft  vor  Augen  gestellt  hatte. 

Allein  sein  Testament,  was  er  11  Tage  vor 
seinem  Tode  durch  den  Canzler  Stucke  nieder- 
schreiben ließ,  lautete  bekanntlich  anders.  Es 
bedarf  nicht  dessen  vollständiger  Mittheilung  ^) ; 
es  sind  nur  die  Paragraphen  8,  12  und  18,  als 
für  die  Geschicke  der  Weifischen  Lande  beson- 
ders wichtig,  hier  zu  erwähnen. 

In  denselben  ward  nämlich  bestimmt,  daß 
für  die  Folge  zwei  ewig  getrennte  Herzog- 
thümer,  Lüneburg  (Celle)  und  Calenberg,  nach 
geschehener  Ausgleichung  gegen  einander  beste- 
hen sollten.  Von  den  vier  Söhnen  Georgs  solle 
dann  der  Aelteste  die  Wahl  eines  derselben, 
der  Zweite  das  andere  haben.  Die  jüngsten 
Söhne  erhalten  Apanagen.  Linerhalb  jener 
Theile  solle  dann  für  die  Folge  Primogenitur 
bestehen,  und  weitere  Theilung  ausgeschlossen 
bleiben,  —  ein  nur  geringer  Ersatz  für  das 
größere  Unglück  der  Theilung,  denn  diese  sollte, 
—  und  das  wird  mit  besonderem  Ausdruck  be- 
tont, ,,ewig"  seyn,  und  alle  Nachfolger  sollen 
auf  dies  Testament  wie  auf  ein  unabänderliches 
Hausgesetz  eidlich  verpflichtet  werden ! 

Die  gleiche  Zeit  muß  in  dieser  Bestimmung 
des  Herzogs  Georg  nichts  Besonderes  und  Auf- 
fallendes gefunden  haben,  denn  sie  ward  ohne 
Anstoß  und  Widerrede  von  irgend  einer  Seite 
vollzogen,  und  keine  Stimme  ist  laut  geworden, 
daß  man  überhaupt  etwas  Anderes  erwartet 
habe. 


1)  Längst   bekannt,    auch    vollständig   abgedruckt 
bei  Rehtmeyer  p.  1653  ff. 


151 

Die  spätere  Zeit  hingegen  hat  sich  nicht  er- 
holen können  von  ihrem  Staunen  über  solche 
Handlaugsweise  eines  der  klügsten  und  erfah- 
rendsten Fürsten,  der  in  seinem  letzten  Willen 
Anordnungen  machte,  welche  geradezu  allen  po- 
litischen Grundsätzen  und  Handlungen,  die  der- 
selbe im  Leben  mit  Rath  und  That  verfochten 
hatte,  geradezu  entgegen  waren!  Sie  hat  da- 
her zur  Erklärung  des  ihr  Unbegreiflichen  Ver- 
muthungen  und  Annahmen  der  verschiedensten 
Art  aufgestellt. 

Es  verlohnt  sich  nicht  der  Mühe,  solche 
sämmtlich  durchzugehen;  beschränken  wir  uns 
daher  auf  das,  was  von  den  berufensten  Auto- 
ritäten dieserhalb  vorgebracht  ist,  —  von  dem 
genialen  Spittler ,  dem  bedeutendsten  vaterlän- 
dischen Historiker,  und  von  v.  d.  Decken ,  des- 
sen großes  Werk  ganz  der  Geschichte  des  Her- 
zogs Georg  gewidmet  ist. 

Spittler  in  seiner  hannoverschen  Geschichte*) 
schiebt  Alles,  als  reinen  politischen  Fehler  auf 
den  Canzler  Stucke,  als  Verfasser  des  Testa- 
ments Georg's.     Er  sagt : 

»Hatte  der  gute  Canzler  wohl  bedacht,  welch 
»ein  unausführbares  Werk  es  sej,  zwei  Fürsten- 
»thümer,  deren  Lage  und  Beschaffenheit  so  ver- 
»schieden  war,  völlig  einander  gleich  zu  setzen! 
»War's  denn  nicht  widersprechend,  daß  jedes 
»Fürstenthum  in  seiner  Consistenz  bleiben,  und 
»jedes  doch  dem  andern  gleich  gemacht  werden 
»sollte?  Wie  war's  möglich  mit  den  wenigen 
»Stücken  der  Grafschaft  Hoya,  die  man  aus  der 
»Harburgischen  Erbschaft  zu  hoffen  hatte,  eine 
»Ausgleichung  der  beiden  Fürstenthümer  zu 
»machen,    da   Grubenhagen,    Ober -Hoya,    und 

1)  Tbeil  II,  p.  97  ff. 


152 

»Diepholz  bei  dem  Pürstenthume  Celle  bleiben 
»sollten?  Die  Cammerrechnungen  waren  in 
»großer  Verwirrung;  der  Güterertrag  in  Zeiten 
»eines  schon  länger  als  20  Jahre  dauernden 
»Krieges  gar  nicht  zu  schätzen,  und  die  Hoff- 
»nung,  verpfändete  Domainenstücke  wieder  ein- 
»zulösen ,  die  dem  künftigen  Besitzer  des  Für- 
»stenthums  Calenberg  eben  so  wichtig  seyn 
»mußte  als  dem  künftigen  Herzog  v.  Celle,  war 
»doch  in  beiden  Fürstenthümern  so  ungleich, 
»und  in  beiden  Fürstenthümern  so  wenig  zu 
»schätzen,  daß  nie  eine  befriedigende  Ausglei- 
»chung  jemals  gemacht  werden  konnte! 

»Ein  ewiges  Familiengesetz  sollte  dieses  Te- 
»stament  seyn,  und  jeder  Descendent  Georg's, 
»regierende  und  nicht  regierende  Herrn,  sollten 
»dasselbe  mit  einem  körperlichen  Eide  beschwö- 
»ren !  Doch  war  das  Testament  in  seinen  wich- 
»tigsten  Stellen  zweideutig,  für  die  wichtigsten 
»Fälle  der  Zukunft  unentscheidend;  denn  wie 
»möglich  war  es,  daß  nur  noch  Descendenten 
»eines  einzigen  der  4  Söhne  Georgs  übrig  blie- 
»ben,  und  daß  alsdann  die  hier  unterschiedene 
»Frage  rege  wurde,  ob  dieser  einzig  noch  übrige 
»Sohn  Georgs  an  das  Familiengesetz  seines  Va- 
»ters  gebunden  seyn  sollte,  oder  ob  wohl  als- 
»dann  auch  er,  als  neues  Stammhaupt,  eine 
»neue  Successions-Ordnung  zu  errichten  berech- 
»tigt  seyn  solle? 

»Fiel  denn  dem  guten  Cauzler  gar  nicht  ein, 
»daß  überhaupt  beide  Fürstenthümer  gar  nicht 
»getrennt  seyn  sollten,  daß  erst  noch  vor  6  Jah- 
»ren,  da  er  selbst  mit  dabei  saß  und  negociirte, 
»das  Gesetz  der  Untheil barkeit,  wie  es  im  Cel- 
»le'schen  Hause  galt,  und  wie  es  sich  auch  auf 
»neue  Erwerbungen  erstreckte,  feierlichst  be- 
»stätigt  worden  war  ?     Ließ  sich  ein  Manu  wie 


153 

»der  hochgelehrte  Dr.  Stucke  war,  von  dem 
»Panischen  Schrecken  betäuben ,  daß  August 
»von  Wolfenbüttel  seine  alten  Primogeuitur- 
» Forderungen  gefährlich  erneuern  mochte,  wenn 
»Georg  in  Beziehung  auf  seine  Nachkommen 
»ein  feierliches  Primogenitur- Gesetz  mit  dem 
»alten  Gesetz  der  Untheilbarkeit  verbinde?  War 
»Canzler  Stucke  nicht  Staatsmann  genug,  um 
»die  Gefahr  solcher  Theilungen  wahrzunehmen, 
»und  hatte  er  nicht,  so  lange  er  Vice -Canzler 
»und  Canzler  war,  häufig  genug  wahrnehmen 
»müssen,  wie  erwünscht  es  für  den  Flor  des 
»Weifischen Hauses,  wie  erwünscht  es  für  deutsche 
»Freiheit  seyn  müßte,  wenn  endlich  alle  Be- 
»sitzungen  des  Celle'schen  Hauses  unter  einer 
> Primogenitur  vereinigt  wurden! 

»So  ist's,  die  Welt  wird  mit  wenig  Weisheit 
»regiert,  und  die  Kunst,  auch  nur  ein  kluges 
»verständliches  Hausgesetz  zu  machen ,  ist  end- 
»lich  kaum  durch  die  traurigsten  Erfahrungen 
»zweier  Jahrhunderte  erlernt  worden.  Canzler 
»Stacke  pachte  für  die  wichtigst«  Linie  des 
»Lüneburgischen  Hauses  ein  ewiges  Familien- 
» Gesetz,  und  kannte  die  altern  Verträge  nicht, 
»auf  welche  damals  die  ganze  Verfassung  des 
»Fürstlichen  Hauses  sich  gründete.  Er  war  ein 
»grundgelehrter  Mann,  nur  schade,  daß  er  allein 
»das  nicht  wußte,  was  er  diesmal  wissen  sollte, 
»und  was  mit  ihm  keiner  der  übrigen  Räthe 
»wußte.  Von  diesen  war  keiner,  der  alte  Haus- 
»geschichte  and  Hausgesetze  verstund.  Den 
»gelehrtesten  derselben,  die  mit  kühnem  Schritt 
»aus  dem  gewöhnlichen  Kreise  ihrer  Amtsge- 
»schäfte  heraustraten ,  hatten  vielleicht  noch 
»als  alte  Diener  Herzogs  Friedrich  Ulrichs  ei- 
»niges  Wissen  von  Brannschweigischer 
»Hausverfassung;       nach     Lünebnrgischer 


154 

»Hausverfassung  wußten  sie  nicht  klug  genng 
»zu  fragen  um  klug  genug  belehrt  werden  zu 
»können;  und  im  großen  Drange  von  Negocia- 
»tionen  und  Canzleigeschäften,  wie  sie  sich  durch 
»den  langdauernden  Krieg  vermehrten ,  in  der 
»dringenden  Eilfertigkeit ,  da  Herzog  Georg 
»täglich  sichtbarer  hin  wegstarb,  war  nicht  mehr 
»Muße,  fremden  Rath  und  fremde  Aufklärung 
»zu  suchen,  wenn  etwa  noch  die  Ahnung  blieb, 
»daß  es  weise  wäre,  in  Celle  selbst  Rath  zu 
»holen,  weil  doch  Canzley  und  Archiv  in  Hil- 
»desheim  in  zu  arger  Verwirrung  sich  befanden. 
»Wenn  es  doch  Fürsten  und  Ministem  mit 
»Flammenschrift  vor  die  Augen  geschrieben 
»werden  könnte,  was  Unkunde  und  Uupublici- 
»tät  solcher  Staats-  und  Hans  vertrage  schon  an- 
»gerichtet  hat;  wie  Krieg  und  Erbitterung  al- 
»lein  durch  Bekanntmachung  derselben  verhin- 
»dert.  Rechte  des  Hauses  geschlitzt,  große  Last 
»der  Verantwortung,  die  auf  den  Minister  und 
»seinen  Vertrauten  fürchterlich  schwer  ruht, 
»mit  dem  ganzen  Publikum  glücklich  getheilt 
»und  selbst  ein  Patriotismus  erweckt  werden 
»kann,  dessen  unverlöschendste  Lebenskraft  al- 
»lein  nur  in  der  ausgebreitetsten  Kenntniß  des 
»Landes  und  der  Rechte  des  Regentenhauses 
»liegt!  Daß  Canzler  Stucke  die  Lüneburg'schen 
»Hausverträge  nicht  kannte,  daher  hat  er  ein 
»schädliches  fürstliches  Testament  gemacht,  ein 
»langhin  schädliches  Hausgesetz  entworfen ,  das 
»vier  und  zwanzig  Jahre  nachher  fast  unver- 
»meidliche  Veranlassung  eines  ausbrechendei 
»Bruderkrieges  werden  sollte,  und  den  neu  aufij 
»gehenden  Flor  des  Weifischen  Hauses  auf  ewij 
»gehindert  hätte,  wenn  nicht  die  Vorsehung 
»neue  Bahn  gemacht  hätte.  Und  daß  mai 
»selbst  wieder  aus  diesem  Testament,   das  FunJ 


1  •'  f 

»daraental  -  Gesetz  des  Celle'schen  Hanses  seyn 
»sollte,  das  von  sämmtlichen  Prinzen  beschwo- 
>ren  werden  mnßte,  doch  wieder  ein  Geheimnis 
»machte,  hätte  beinahe  wieder  einen  neuen 
»Brüderkrieg  veranlaßt,  Freiheit  und  Religion 
»des  Landes  vielleicht  auf  ewig  zerstört ! 

V.  d.  Decken,  in  seiner  Geschichte  des  Her- 
zogs Georg,  Band  IV,  p.  124  ff.  bringt  fol- 
gende Ansichten  vor: 

»Erwägen  wir,  daß  Georg  während  vieler 
»Jahre  eifrigst  bemüht  gewesen  war,  die  Be- 
»sitzungen  seines  Hauses  zu  erhalten ;  daß  er 
»unzählige  male  die  bittersten  Erfahrungen  ge- 
»macht  hatte,  wie  nachtheilig  es  für  das  Haus 
»der  Weifen  sey ,  sich  in  so  viele  Zweige  anf- 
»gelöst  zu  haben ,  deren  Politik  selten  im  Ein- 
sklang stand;  daß  ihm  vorzugsweise  bekannt 
»seyn  mußte,  wie  wichtig  es  für  Erhaltung  der 
»deutschen  Reichsverfassung  sey,  daß  mächtige 
»Reichsfürsten  dem  Uebergewicht  der  Kaiserli- 
schen Macht  das  Gegengewicht  hielten;  erinnern 
»wir  uns,  mit  welcher  Beharrlichkeit  Georg  sein 
»einmal  im  Felde  der  Politik  und  Kriegskunst 
»aufgestelltes  System  verfolgte:  so  möchten  wir 
»geneigt  seyn,  dies  Testament,  welches  die 
»Trennung  der  beiden  Fürstenthümer  vorschrieb, 
»für  untergeschoben  zu  erklären.  Die  ünter- 
»schrift  Georgs  hatte  es  freilich  erhalten ;  ob 
»er  aber,  als  er  es  unterschrieb,  seiner  Besin- 
»nung  mächtig  genug  war  die  Folgen  seiner 
»Bestimmungen  ihrem  ganzen  Umfange  nach 
»vorauszusehen,  möchte  wohl  bezweifelt  werden 
»müssen. 

»Dies  mit  Recht  von  Zeitgenossen  und  der 
»Nachwelt  getadelte  Testament,  das  in  der  Folge 
»unheilbare  Familienzwiste  erzeugte,  und  bei- 
»nahe  zu  einem  Bruderkriege  geführt  hätte,   ist 


156 

»allgemein  dem  Canzler  Stucke  zugeschrieben 
»worden.  Vergebens  hat  man  sich  bemüht, 
»Gründe  aufzufinden,  die  einen  wegen  seiner 
»juristischen  Kenntnisse  berühmten  Mann  be- 
» wogen  haben  könnten,  ein  Hausgesetz  zu  ver- 
»fassen,  das  für  die  wichtigsten  Fälle  der  Zu- 
»kunft  keine  genügende  Bestimmungen  an  die 
»Hand  gab,  und  durch  die  Vorschrift,  daß  jedes 
»der  beiden  Fürstenthümer  Celle  und  Calenberg, 
»ohne  in  ihren  Bestandtheilen  wesentliche  Ver- 
sänderungen zu  erleiden,  dem  andern  in  der 
»Einnahme  gleich  gesetzt  werden  sollte ,  einen 
»offenbaren  Widerspruch  enthält. 

»Uebekannt  mit  dem,  was  zwischen  Georg 
»und  seinem  Canzler  bei  Verfertigung  des  Te- 
»staments  verhandelt  ist,  müssen  wir  uns  mit 
»Aufstellung  von  Vermuthungen  begnügen. 

»Spittler  glaubt,  daß  die  Besorgniß,  August 
»d.  Jüngere  möge  beim  Ableben  des  Herzogs 
»Friedrich  v.  Celle  seine  alten  Priraogeuitur- 
» Ansprüche  wieder  erneuern,  wenn  Georg  für 
»seine  Nachkommen  ein  Primogenitur  -  Gesetz 
»mit  dem  alten  Gesetze  der  Untheilbarkeit  ver- 
»eine,  —  die  vorzüglichste  Veranlassung  zu  die- 
»sem  Testament  gewesen  sey.  Erwägen  wir 
»nun,  daß  Canzler  Stucke  das  Hauptinstrument 
»war,  dessen  sich  Georg  bei  der  Theilung  der 
»Lande  Friedrich  Ulrichs  bediente,  und  daß  dem 
»Canzler  daher  die  Schwierigkeit,  die  August 
»d.  J.  damals  in  Betrefif  der  Primogenitur  er- 
»hob,  noch  lebhaft  im  Gedächtniß  vorschweben 
»mochte,  so  erhält  jene  Vermuthung  ein  großes 
»Gewicht. 

»Es  ist  ferner  behauptet  worden ,  daß  die 
»Gemahlin  Georgs,  die  eine  große  Vorliebe  für 
»ihren  zweiten  Sohn  Georg  Wilhelm  hatte,  sei- 


157 

obigen  eine  Aussicht  auf  ein  Fürsten tbuni  habe 
> bereiten  wollen. 

»Georg  war  Stifter  des  neuen  Fürstenthu ms, 
»das  bald  nach  seinem  Tode  von  der  Residenz 
»Hannover  den  Namen  annahm.  Vielleicht  be- 
»sorgte  er,  daß  nach  Herzog  Friedrichs  Tode 
»das  Hannoversche  dem  Celle'schen  incorporirt 
»und  seine  neue  Stiftung  damit  zu  Grabe  ge- 
»tragen  werde.  Diese  Besorguiß  mag  auch  bei 
»dem  Canzler  Stuke  und  den  Hannoverschen 
»Käthen  geherrscht  habe. 

»Auch  Georgs  ältester  Sohn,  Christian  Lnd- 
»wig,  billigte  das  Testament  seines  Vaters  nicht ; 
»dies  beweis't,  daß  er  nach  seinem  Regierungs- 
»antritt  dem  Verfasser  desselben  sofort  den  Ab- 
» schied  ertheilte.« 

So  urtheilen  zwei  Autoritäten  für  die  Ge- 
schichte Georgs  über  sein  Testament.  Sie  haben 
scheinbar  alle  dabei  in  Frage  gekommenen  Um- 
stände geprüft,  so  daß  man  sich  bisher  begnügt 
hat,  ihnen  stillschweigend  zu  folgen.  Es  sei 
nur  beiläufig  bemerkt,  daß  der  sonst  so  fleißige 
und  ausführliche  Havemann  über  diesen  wich- 
tigen Gegenstand  sich  mit  keinem  Worte  weiter 
ausläßt. 

Allein  die  Sache  verhält  sich  in  Wirklich- 
keit doch  ganz  anders,  als  bisher  vermuthet  ist, 
und  jene  Autoritäten  sind  im  Irrthum  bei  jeder 
ihrer  Annahmen.  Die  folgende  Darlegung  wird 
dies  aufs  Klarste  ins  Licht  setzen. 

Befänden  wir  uns  auf  dem  Felde  der  reinen 
Theorie,  handelte  es  sich  um  eine  reine  ab- 
strakte Beurtheilung  der  historisch-publicistischen 
Frage : 

»ist  es  vortheilhafter  und  weiser,  zwei  getrennte 
»Fürstenthümer  auch  ferner  getrennt  zu  hal- 
»ten,  oder  sie  durch    ein  Primogenitur-Gesetz 


158 

»zu  eiuem  einheitlichen  starken  Staat  zu  ver- 
»einigeu, 
so  würde  jeder  Tadel  für  den  Inhalt  des  Testa- 
ments Georgs  und   dessen  Verfasser ,    welche  es 
auch  seyen ,    gerecht  und  an  seiner  Stelle  seyn. 

Allein  die  historischen  Ereignisse  fragen  bei 
ihrem  Entwickelungsgange  nicht  immer  nach 
der  Theorie  ihres  Optimismus.  Jedes  Ereigniß 
ist  wieder  für  ein  anderes  damit  in  Verbindung 
stehendes  eine  einengende  Nothwendigkeit  und 
Zwangsgränze  für  dessen  Entwickelung.  Darum 
haben  es  selbst  große,  in  den  Gang  der  Ereig- 
nisse eingreifende  Männer  niemals  vollkommen 
in  der  Gewalt,  Alles  so  auszuführen,  wie  es  seyn 
sollte;  sie  haben  nur  Gewalt  zu  thun ,  was 
unter  jedesmaligen  Umständen  geschehen  kann. 
Daran  scheinen  Spittler  so  wenig  wie  v.  d.  Deken 
gedacht  zu  haben.  Sie  irren  darum  gänzlich  in 
der  Voraussetzung:  Georg  habe  gänzlich 
freie  Hund  gehabt,  testamentarisch 
die  Vereinigung  der  Fürsten thümer 
Calenbergund  Lüneburg  anzuordnen 
oder  aufzuheben;  und  daraus  entspringt 
dann  wieder  die  ganze  Reihe  von  irrthümlichen 
Vermuthungen ,  die  sie  als  Motive  für  seine 
Handlungsweise  zusammen  gestellt  haben. 

Beide  irren,  wenn  sie  den  Canzler  Stucke  als 
Verfasser  des  Testaments  und  Hausgesetzes 
angeben,  während  er  nur  der  Niedesch  rei- 
bende der  Anordnung  Georgs  war.  Es  ist  je- 
dem Juristen  bekannt,  daß  der  Coucipient  bei 
keinem  andern  Rechtsgeschäft  so  sehr  nur  Ma- 
schine ist,  wie  grade  bei  einem  Testament.  Ein 
Fürst  berathet  wohl  mit  seinem  Beamten  die 
Anordnung  derjenigen  Bestimmungen,  die  er  als 
eignen  Willen  und  eigne  Verfügung  seinen  Er- 
ben vorzuschreiben  gedenkt;    nie  aber  hat  mau 


159 

gehört,  daß  ein  Fnrst  zu  seinen  Beamten  gesagt 
habe:  »mach  mir  mein  Testament  nach  deinen 
»Belieben,  wie  du  es  für  gut  halst  Ic  Das  Testa- 
ment des  Fürsten  ist  stets  nur  sein  eigner  Wille, 
und  so  verhält  es  sich  auch  bei  dem  des 
Herzogs  Georg;  es  ist  nicht  eine  staatsrecht- 
liche Arbeit  oder  ein  Stückchen  Politik  seines 
Canzlers. 

Spittler  irrt  ganz  besonders,  wenn  er  diesem 
wegen  ünkunde  der  Hausverträge  den  verderb- 
lichen Inhalt  des  Testaments  Schuld  giebt,  und 
wenn  er  glaubt,  dessen  Inhalt  sey  erst  1641  am 
Todtenbette  Georgs  von  ihm  ausgedacht.  Die 
Sache  steht  vielmehr  grade  umgekehrt.  Es  war 
vielmehr ,  —  und  das  sey  hier  schon  vorläufig 
nur  augedeutet,  —  ein  specieller  und  bindender 
Vertrag  da,  welcher  Georg  nicht  anders  zu  ver- 
fügen erlaubte ,  als  geschehen  ist ;  wir  werden 
diesen  speciell  weiter  unten  erläutern.  Grade 
weil  der  Canzler  Stucke  diesen  sehr  wohl  kannte, 
konnte  er  zu  keiner  andern  Abfassung  rathen, 
als  zu  derjenigen,  die  eben  durch  jenen  Vertrag 
von  1636  als  eingegangenen  Verpflichtung  vor- 
geschrieben war. 

Wenn  ferner  Spittler  dem  unklaren  Inhalt 
des  Testaments  den  1665  fast  entstandenen 
Bruderkrieg  Schuld  giebt,  so  kann  dies  nur  mit 
großer  Einschränkung  also  ausgesprochen  wer- 
den. Dem  Inhalte  desselben  nach,  konnte  eine 
Streitigkeit  darüber,  wer  in  jenem  Jahre  des 
Todes  Christian  Ludwigs  von  den  Brüdern  Ge- 
org Wilhelm  und  Johann  Friedrich,  Celle,  und 
wer  Calenberg  erben  solle ,  damals  eigentlich 
gar  nicht  Statt  haben.  Der  Inhalt  des  Testa- 
ments war  für  solchen  Fall  genug  klar  und 
präcis.  Wenn  Jemand ,  —  wie  damals  Johann 
Friedrich ,  —  die   Macht   und    die  Absicht    hat. 


160 

ein  Gesetz  nicht  zu  halten,  so  ist  dessen  Inhalt 
an  sich,  und  wäre  er  auch  noch  so  gut  und 
klar,  niemals  allein  schon  Garantie  für  dessen 
Bestand,  und  in  solchem  Falle  hätte  auch  Bru- 
derkrieg bei  jedem  andern  Hausgesetze  entstehen 
können. 

Der  Vorwurf,  die  Hausgesetze  nicht  zu  ken- 
nen, den  Spittler  dem  Canzler  Stucke  macht, 
fällt  daher  mehr  auf  ihn  selbst  zurück.  ^)  Dar- 
um ist  auch  sein  Urtheil  über  das  Testament 
Georgs  mehr  eine  geistreiche  Declamation,  als 
eine  gründliche  Erörterung  der  in  Frage  kom- 
menden Thatsachen. 

Die  Vermuthungen  v.  d.  Deken's  bedürfen 
gleichfalls  keiner  weitläuftigen  Besprechung. 
Wenn  die  Kritik  bei  Beurtheilung  von  Docu- 
menten  mit  ihrer  Wissenschaft  am  Ende  ist,  so 
greift  sie  heutiges  Tags  leider  nur  zu  gern  zu 
dem  wohlfeilen  und  leichten,  man  kann  wohl 
sagen,  leichtfertigen  Mittel,  ein  solches  für  un- 
ächt  zu  erklären  ,  —  bei  allem  äußern  Schein 
von  Gelehrsamkeit  und  Scharfsinn  meist  nur 
ein  wahres  testimonium  paupertatis  für  den  Er- 
klärer selbst.  Auch  v.  d.  Deken  hat  solchen 
Mißgriff  nicht  vermieden.  Das  Original  des  Te- 
stamentes Georgs,  wie  es  im  Archive  zu  Hanno- 
ver befindlich  ist,  zeigt  dem  Kenner  auf  den 
ersten  Blick,    daß  an  ein  unterschobenes  Docu- 


1)  Darin  soll  kein  Vorwurf  des  genialen  Mannes 
liegen.  Keiner  hat  wohl  so  wie  er  gegen  das  Unwesen 
der  Zeit  geeifert,  der  Geschichte  ihre  besten  Quellen 
in  unnahbaren  Archiven  zu  verschließen.  Als  man  dies 
auch  bei  ihm  in  Ausführung  bringen  wollte ,  als  er 
seine  Hannoversche  Geschichte  schrieb,  drohete  er  mit 
seinem  Abgang  von  Göttingen.  Man  beschwichtigte 
ihn  mit  Wenigem ;  die  secreta  domus  blieben  nach 
wie  vor  hinter  undurchdringlichem  Vorhang  verborgen. 


161 

ment  nicht  zu  denken  ist.  Schon  der  oben  an- 
geführte Umstand,  daß  die  Gleichzeitigen  daran 
selbst  nichts  Aufialliges  fanden,  daß  sein  Inhalt, 
als  sich  von  selbst  verstehend  weil  nicht  anders 
erwartet,  sofort  buchstäblich  in  Ausführung  ge- 
bracht wurde,  ist  vollkommen  Garantie  dafür, 
daß  kein  Gleichzeitiger  auch  nur  die  Idee  eines 
falschen  oder  unterschobenen  Documentes  gehabt 
habe.  Und  diesem  hätte  doch  eine  solche  An- 
nahme näher  gelegen,  als  uns  heutiges  Tages. 

Vorliebe  der  Mutter  für  einen  zweiten  Sohn, 
oder  Vorliebe  Georgs  für  eine  zum  zweitenmale 
gegründete  Stadt  —  über  letzten  Punkt  noch 
Näheres  später,  —  und  neugegründetes  Herzog- 
thum,  sind  keine  Motive  für  den  Inhalt  der 
letztwilligen  Verfügung  Georgs. 

Endlich  kann  auch  aus  dem  Umstand,  daß 
sein  Sohn  Christiau  Ludwig  sofort  den  Canzler 
Stuke  aus  seinem  Dienst  entließ,  keine  Folge 
für  den  Inhalt  des  Testaments  gezogen  werden. 
Es  ist  nicht  nur  etwas  Gewöhnliches,  sondern 
sogar  Regel  in  der  Geschichte,  daß  junge  Regeu- 
ten die  alten  Räthe  ihrer  Väter  nicht  gern  ha- 
ben. Daß  Christian  Ludwig  dagegen  Unzufrie- 
denheit mit  dem  Testamente  geäußert  habe,  da- 
von ist  nichts  bekannt. 

Daß  dessen  Inhalt  grade  so  geworden  ist 
wie  er  am  20.  März  1641  niedergeschrieben  ist, 
damit  hat  es  vielmehr  folgende  Bewanduiß : 

Es  ist  bereits  erwähnt,  daß  bei  Theilung 
der  Braunschweigschen  Erbschaft  1635  mit  an- 
dern Stücken  auch  das  Fürstenthum  Calenberg 
an  die  Lüneburgische  Hauptlinie  fiel.  Von 
dieser  lebten  zur  Zeit  noch  3  Brüder,  August  d. 
Aelt. ,  Friedrich  und  Georg,  welche  eigentlich 
nach  dem  Hausgesetze  von  1592  und  1611  erst 
nacheinander  zur  Regierung   über   diese  zu 

U 


162 

vereinigenden  Provinzen  hätten  kommen  sollen. 
Denn  eben  die  feste  Vereinigung  aller  spätem 
Erwerbungen  mit  Lüneburg,  war  in  jenen  Ver- 
trägen, wie  auch  schon  oben  bemerkt,  ausge- 
sprochen. 

Georg  also,  als  er  jetzt  schon  selbstständiger 
Herr  des  Fürstenthums  Calenberg  werden  sollte, 
war  dies  nicht  von  Gottes  Gnaden ,  d.  h.  nicht 
dem  Blute  nach  als  gesetzmäßiger  nächster  Er- 
be, und  auch  nicht  vermöge  älterer  Successions- 
Ordnung,  sondern  allein  durch  die  Gnade  seiner 
altern  Brüder,  durch  vertragsmäßige  Renunciation 
derselben  nach  freiwilliger  Uebereiukunft. 

Die  Successionsordnung  aber  war  bisher  ge- 
setzlich festgestellt,  und  mit  Beihülfe  der  Stände 
geordnet.  Diese  hatten  also  bei  dem  willkürli- 
chen Vertrage  der  Brüder,  der  den  alten  Bestim- 
mungen entgegen  war,  ein  Wort  mitzureden, 
und  wir  werden  sehen,  daß  sie  nicht  verfehlten, 
solches  zu  thun. 

Dies  Alles  wußte  Georg  sehr  wohl.  Die  ihm 
jetzt  gezeigte  Stellung  eines  selbstständigen  Für- 
sten ,  war  ihm  aber  zu  erwünscht ,  um  endlich 
selbstständig  handeln  und  eine  demgemäße  Po- 
litik verfolgen  zu  können.  Er  war  also  ent- 
schlossen ,  das  ihm  von  seinen  Brüdern  angebo- 
tene Fürstenthum  anzunehmen,  selbst  bei  eini- 
gen andern  Zugeständnissen  und  Einschränkun- 
gen. Aber  er  kannte  nicht  weniger  alle  Hin- 
dernisse und  Schwierigkeiten,  die  ihm  dabei  von 
verschiedenen  Seiten  bereitet  werden  konnten. 
Diese  nun  durch  politische  Transaktion  mög- 
lichst zu  beseitigen,  war  sein  fester  Entschluß. 
Mit  Gewalt  wäre  den  damaligen  Umständen  nach, 
nicht  viel  auszurichten  gewesen. 

Er  grifi  daher  nicht  sogleich  unbedingt  zu. 
Zuerst  legte  er  seinen  eignen  Käthen  die  Frage 


163 

vor:  ob  es  unter  den  augenblicklichen  Umstän- 
den vortheilhaft  und  gerathen  sey,  die  Regierung 
über  Calenberg  anzutreten.  Diese  statteten  dann 
am  15.  Januar  1636  ihren  Bericht  ab  ^).  Sie 
meinten  obwohl  bei  dieser  Regierung  nicht  viel 
herauskommen  würde,  weil  das  Fürsten- 
thum  Calenberg  gänzlich  ruinirt  sey, 
die  meisten  Domänen  verpfändet,  und  die  nicht 
verpfändeten  nicht  zur  Erhebung  zu  bringen 
seyeu,  so  daß  Herzog  Georg  bei  seiner  Apanage 
sich  eben  so  gut  stehe,  wie  bei  dem  Fürsten- 
thum:  so  rathen  sie  doch  zur  Annahme,  weil  es 
ihn  mit  in  die  Reihe  selbstständiger  Fürsten 
bringe,  und  ihn  bei  allen  Beschlüssen  zu  direk- 
tem Einfluß  verhülfe,  auch  ihn  nicht  wie  bisher 
abhängig  in  seinen  Plänen  von  den  Ansichten 
Anderer  mache.  Auch  würde  sich  bei  einem 
Frieden  Manches  zur  Abhülfe  des  verwüsteten 
Landes  thun  lassen.  Nur  legten  sie  ihm  Eins 
dabei  dringend  an 's  Herz:  >Dazu  befinden 
»wir  nun  höchst  nöthig  und  dienlich 
»zu  sey n,  daß  E.  F.  G.  wo  immer  mög- 
»lich  außerhalb  Communion  mit  Ihres 
»Herrn  Bruders  F.  G.  bleiben  mögen. 
»Denn  sollte  es  nicht  auf  diese  Weise 
»bestehen,  und  J.  F.  G.  wolten  bei  Ih- 
»rem  ersten  modo  bleiben^),  so  wird 
»d  och  die  Landes  fürstliche  Hohe  Obrig- 
»keit,  so  E.F.  G.  Herr  Bruder  über  alle 
»E.  F.  G.  Diener,  welche  sich  dorthin 
»mit  dem  Huldigungseide  verwandt 
»machen  müssen,  behalten  wird,  ein 
»solches  Zankeisen  seyn  und  verblei- 
»ben,  daß  gewiß  nimmer  Einigkeit  un- 

1)  Docnment  im  Königl.  Archiv,  Calenberg  I  Nr.  86. 

2)  d.  h.  bei  den  bisherigen   Successions-Traktaten, 

14* 


164 

»ter  den  Fürstlichen  Gemüthern  wird 
»erhalten  werden  können.« 

Und  die  Räthe  hatten  Recht.  Blieb  es  bei 
dem  Vertrage  von  1611  ,  wonach  alle  spätem 
Erwerbungen  mit  Lüneburg  vereinigt  werden 
sollten,  so  blieb  Georg,  wenn  er  auch  Regie- 
render in  Calenberg  wurde,  nichts  als  Gouver- 
neur seines  in  Lüneburg  regierenden  altern 
Bruders  und  war  in  Nichts  selbstständiger  als 
zuvor.  Nur  strenge  Trennung  Lüneburgs  und 
Calenbergs  machte  ihn  zum  selbstständigen 
Fürsten. 

Mittlerweile  hatten  aber  schon  die  Lünebur- 
gischen Räthe,  nach  zuvoriger  Besj)rechuug  mit 
den  Ständen ,  ihrem  Herrn ,  damals  August  d. 
Aelt,  den  Rath  gegeben,  das  neu  erworbene  Ca- 
lenberg streng  getrennt  von  Lüneburg  zu  hal- 
ten.    Der  Grund  war  folgender: 

Bei  aller  Noth  war  der  Finanzzustand  in 
Lüneburg  doch  noch  besser  wie  in  Braunschweig 
gewesen,  wo  so  gut  wie  Staatsbanquerott  aus- 
gebrochen war.  Nun  fürchteten  die  Lüneburg- 
schen  Stände,  bei  inniger  Vereinigung  Calen- 
bergs, mit  zur  Bezahlung  dessen  Schulden  bei- 
tragen zu  müssen.  Dieses  finanziellen  Grundes 
wegen  verlangten  sie  Trennung. 

Noch  wichtiger  und  entscheidender  ward  aber 
das,  was  die  Stände  des  Landes,  die  Calenberg- 
scheu,  thaten,  in  welches  Georg  eingesetzt  wer- 
den sollte.  Diese  standen  weit  gebietender  ge- 
gen ihren  Herrn ,  als  die  Lüneburgschen.  Es 
ist  bekannt,  daß  in  den  Weifischen  Landen  die 
innere  Landeshoheit  den  Ständen  gegenüber  tief 
gesunken  war.  Seit  der  Reformntion  war  es 
etwas  anders  geworden,  namentlich  hatten  Her- 
zog Julius  und  Heinrich  Julius  deren  Uebermuth 
Vielfach  gebrochen,  aber  unter  Friedrich  Ulrich 


165 

war  Alles  wieder  verloren.  Bei  der  Banquerott- 
"Wirthschaft  dieses  schwachen  Fürsten  und  den 
schweren  Zeiten  des  30jähr.  Krieges,  hatten  es 
seine  Stände  dahin  gebracht,  daß  der  Landesherr 
ausschließlich  nur  aus  ihrem  Corpus  seine  Räthe 
wählen  durfte,  welche  dann  die  ganze  Regierung 
nur  zum  Yortheil  ihrer  Collegen  und  deren  Ver- 
wandtschaften einrichteten.  Keine  adliche  Fa- 
milie, keine  Gemeinde  war  damals  in  den  Braun- 
schweigschen  Landen,  welche  nicht  gegen  in  der 
Noth  hergeliehenes  geringes  Geld  Stücke  von 
Krongut  und  Domainen  als  Pfandschaft  in  Hän- 
den gegen  Brief  und  Siegel  gehabt  hätte.  Noch 
schlimmer  war  es,  wenn  den  Ständen  als  Vergü- 
tung für  andere  unbedeutende  Zugeständnisse 
geradezu  Regalien  und  Rechte  der  Krone  als 
Privilegia  überlassen  werden  mußten.  Friedrich 
Ulrich  hatte  in  den  letzten  Jahren  seiner  Re- 
gierung aus  den  reichen  Provinzen  Braunschweig, 
V^olfenbüttel,  Calenberg,  Göttingen  und  Hildes- 
heim nur  noch  90.000  Thaler  Einnahme ,  und 
diese  auch  nur  auf  dem  Papiere ;  zur  wirklichen 
Erhebung  kam  kaum  die  Hälfte !  Zu  allen  die- 
sen hatten  die  Stände  noch  das  Privileg  ge- 
wonnen ,  nicht  eher  huldigen  zu  brauchen  ,  bis 
der  neue  Landesherr  zuvor  alle  ihre  Rechte  und 
Privilegia  eidlich  anerkannt  hatte .  gleichbedeu- 
tend mit  der  Erklärung,  für  die  Zukunft  ihnen 
gegenüber  soviel  wie  Nichts  zu  seyn.  So  konnte 
denn  auch  der  Uebermnth  der  Braunschweig- 
schen  Stände  soweit  gehen,  1635  bei  Theilung 
der  Erbschaft  Friedrichs  Ulrichs  —  Calenberg 
gehörte  ja  mit  dazu,  —  bei  anfänglicher  Unei- 
nigkeit der  Fürsten  in  dieser  Angelegenheit  das 
Recht  der  letzten  und  höchsten  Entscheidung  in 
Anspruch  zu  nehmen ! 

Sofort  traten  nun  die  Calenbergschen  Stände 


166 

auf,  und  verlangten  heftig  die  Fortdauer  des 
alten  Zustandes  und  die  beständige  Trennung 
von  Lüneburg ;  dabei  leitete  sie  weniger  der 
Geist  der  Zeit,  der  allerdings  schon  Vereinigun- 
gen nicht  günstig  war,  als  vielmehr  eignes  In- 
teresse. Sie  fürchteten  nämlich  bei  einer  Ver- 
einigung mit  dem  größeren,  besser  verwalteten 
Lüneburg  Alles  für  ihre  Privilegien  und  Pfand- 
schaften ,  namentlich  die  Ritterschaft.  Denn 
unter  Einem  Herzog  von  Lüneburg,  der  zu 
der  seinigen  viel  gebietender  stand,  konnte  durch 
Einlösung ,  oder  auch  durch  gewaltsame  Aus- 
führung des  Rechtssatzes :  daß  ein  Regent  nicht 
ohne  Genehmigung  aller  Agnaten  Stücke  des 
Hausvermögens  veräußern  dürfe,  vieles  wieder 
an  die  Krone  zurückgebracht  werden. 

Schon  während  der  Verhandlungen  über  die 
Theilung  der  Lande  Friedrich  Ulrichs  wandten 
sich  daher  die  Calenberg'schen  Stände  zu  wie- 
derholten Malen,  —  das  Königliche  Archiv  be- 
wahrt alle  diese  Aktenstücke ,  —  an  August  d. 
Aelt.  von  Lüneburg  mit  der  Bitte :  ihnen  für 
den  Fall,  daß  Calenberg  an  ihn  fiele,  die  Ver- 
sicherung zu  geben ,  ihre  Privilegien ,  Briefe, 
Freiheiten,  Gerechtigkeiten  und  Reversale  in 
althergebrachter  Weise  zu  bestätigen,  nicht 
minder  alle  Pfandschaften  im  Lande  anzuer- 
kennen, und  diejenigen,  welche  in  gutem  Glau- 
ben der  Regierung  Geld  geliehen,  nicht  arm  zu 
machen ! 

Mittlerweile  erfolgte  auch  am  27.  Januar 
1636  der  Vertragt),  durch  welchen  August  d. 
Aelt.  seinem  Bruder  Georg,  Calenberg,  als  ein 
von  Lüneburg  gesondertes,  selbstständiges  Für- 
stenthum  übergiebt,  und  in  einer  zweiten  ange- 

1)  Calenberg.  Archiv.    I,  Nr.  88. 


167 

hängten  Urkunde  Stände,  Rathe  nud  Beamte 
nach  Entlassung  aller  andern  Pflichten  nur  die- 
sem neuen  Herrn  zuweis't.  Ja,  August  interce- 
dirte  bei  diesem  schon  am  9.  Februar  dahin,  den 
Calenberg'scheu  Ständen  ihre  Rechte  und  Privi- 
legia  zu   bestätigen. 

Somit  war  allerdings  im  Januar  1636 ,  den 
damaligen  Interessen  aller  Partheien  gemäß,  die 
vollständige  staatliche  Trennung  Calenbergs  von 
Lüneburg  fest{:;estellt.  Allein  die  augenblickli- 
chen Verhältnisse  waren  nicht  die  dauernden, 
und  mit  derer  Veränderung  änderten  sich  auch 
die  Parthei-Interessen.  Wie  nämlich  sollte  es 
werden,  wenn  die  altern  in  Lüneburg  herrschen- 
den Brüder  Georgs  gestorben  waren?  Die  Ver- 
einigung Calenbergs  und  Lüneburgs  in  der  Hand 
Georgs  fand  dann  von  selbst  Statt,  und  er  war 
nicht  der  Mann  danach,  sich  die  Vortheile  einer 
solchen  Stellung  nehmen  zu  lassen.  Damit  trat 
dann  aber  für  die  Stände  beider  Provinzen  das 
ein,  was  sie  gefürchtet  und  eben  zu  vermeiden 
gesucht  hatten.  Den  größten  Nachtheil  hatten 
die  Calenbergschen  Stände,  darum  setzten  sie 
Alles  daran ,  die  ihnen  aber  gewonnene  von 
Lüneburg  getrennte  Stellung  zu  einer  dauern- 
den zu  machen  auch  für  den  Fall,  daß  beide 
Provinzen  in  der  Einen  Hand  Georgs  vereinigt 
würden. 

Die  Gelegenheit  dazn  bot  sich  nur  zu  bald 
dar.  Nach  Erledigung  der  obigen  vorbereiten- 
den Verhandlungen  verlangte  nämlich  Georg 
nunmehr  die  Huldigung  seiner  neuen  Unt^r- 
thaneu,  und  zwar  zunächst  die  der  Stände.  Al- 
in  diese  verweigerten  solche  geradezu,  indem 
^:e  mit  ihrem  Privileg  kamen ,  nicht  eher  hul- 
digen zu  brauchen,  bis  Georg  alle  ihre  Rechte, 
Privilegien,  Pfaudschaften  u.  s.  w.  zuvor  anerkannt 


168 


habe  Dies  in  solcli'  zu  weit  gehenden  Umfang 
zu  thun,  verweigerte  Georg,  ließ  vielmehr  sogar 
von  neuen  Forderungen,  welche  die  Zeit  nothig 
machte,  noch  etwas  fallen.  Die  Stände  knüpften 
wieder  die  Bereitwilligkeit  dazu  an  obige  For- 
deruncy.  Georg  drohete  mit  Gewalt,  wies  na- 
mentlTch  auf  die  Zukunft  hin ,  wo  ihm  Lüne- 
burg auch  zufalle.  Die  Stände  wieder,  wenn 
sie  auch  schon  die  Absicht  hatten ,  es  nicht 
zum  Äußersten  kommen  zulassen,  schienen  doch 
an  ihren  Forderungen  fest  zu  halten.  Was 
wollte  Georg  machen?  Die  Zeit  drängte;  eine 
Stellung  mußte  und  wollte  er  haben,  um  nicht 
noch  Größeres  zu  verlieren.  Nun^  ging  es  im 
Monat  Februar  1636  an  ein  Tractiren  hinüber 
und  herüber  1),  bis  man  sich  am  18.  vereinigte, 
und  darüber  einen  gegenseitigen  Revers  aus- 
stellte, der  die  Form  des  Huldigungs-Eides  und 
die  der  künftigen  Succession  bestimmte.  Hier 
wird  mit  klaren  Worten  den  Ständen  das  Recht 

1)  Von  den  Schwierigkeiten  die  man  von  allen 
Seiten  Georg  bei  Antritt  seiner  Regierung  machte 
nur  Ein  Beispiel.  Consul  und  Proconsules  der  Stadt 
Hannover-  setzten  Himmel  und  Erde  iii.Be^.ßg"°f .' Z;!!' 
org  zu  veranlassen,  seinen  Regierungssitz  nicht  hieher, 
sondern  in  eine  andere  Stadt  zu  verlegen.  Sie  fürch- 
teten natürlich  für  ihr  Ansehn  und  ihre  alte  Unum- 
schränktheit bei  Anwesenheit  fes  Landesherrn.  Auch 
hierüber  ward  hin  und  her  capitulirt.  Endlich  kam  es 
zu  einem  förmlichen  Vergleich ,  dem  s.  g.  Residenz- 
Tractat.  (Vaterl.  Archiv,  v.  1842)  Georg  mußte  Auf- 
rechthaltung, ja  sogar  Mehrung  aller  alten  Rechte  und 
Freiheiten  versprechen.  Dafür  überließ  ihm  die  Stadt 
ein  altes  leerstehendes  bisher  als  Kornmagazin  benutz- 
tes Kloster  zum  Residenz-Schlosse,  ein  paar  andere  alte 
Häuser  um  Canzley  und  Consistorium,  so  wie  sein  per- 
sönliches Gefolge  unterzubringen.  Die  wichtigste  Be- 
hörde, das  Hofgericht,  mußte  vorerst  noch  in  Hxldes- 
heim  bleiben,  weil  kein  Platz  dafür  war! 


169 

gegeben,  stet«  nur  Einem  Herrn,  d.  h.  von 
Calenberg,  und  nicht  von  Calenberg  und  Lü- 
neburg huldigen  zu  brauchen,  sowohl  jetzt 
als  später;  nur  behält  sich  Georg  das  Recht 
vor,  wenn  ihm  später  Lüneburg  anfallen  sollte, 
alsdann  willkürlich  zu  bestimmen,  welchem  sei- 
ner Söhne  die  Regierung  in  Lüneburg,  und  wel- 
chem die  in  Calenberg  anfallen  solle.  Dies 
Document  lautet  wörtlich : 
Herzog  Georgs  und  der  Calenbergi- 
schen  Landschaft  Revers  wegen  des 
Huldiguugs-Eides  und  der  Succession 
dd.  18.  Februar  16  3  6. 
»Zu  wissen,  als  bei  denen  nach  tödtlichen 
»Hintritt  des  Weilandt  Hochgebornen  Fürsten 
»Herrn  Friedrichen  Ulrichen  Herzogen  zu  Braun- 
»schweig  und  Lüneburg  etc.  Unsers  Freuudlichen 
»Vettern  Christmilden  Angedenkens,  dessen  Lieb- 
»den  hinterlassene  Fürstenthumbe ,  Grafschaften 
»und  Lande  halber  über  Fünf  Viertel  Jahr  zwi- 
»schen  Uns  V.  Gottes  Gnaden,  Georgen  Herzog 
»zu  Braunschweig  und  Lüneburg  etc.  und  Un- 
»sern  Freundlichen  Lieben  Brüdern ,  auch  Vet- 
»tern  Harburgischer  und  Dannebergischer  Linie 
»vorgaugenen  mühsamen  Successions-Traktaten; 
»Wir  beneben  Hochgedachten  Unsern  Freundli- 
schen Lieben  Brüdern  das  Fürstenthura  Braun- 
»schweig  Calenbergischen  teilß  freiwillig  accep- 
»tiret,  Wir,  Herzog  Georg  auch  auf  die,  zwi- 
»schen  selbigen  UusJern  Freundlichen  Lieben 
»Brüdern  und  Uns  fürters  gepflogene  Unter- 
»haudluug,  die  Regierung  selbiges  Fürstenthumbs 
»ohnlängst  im  Namen  des  Allerhöchsten  ange- 
»treten ,  und  heut ,  unter  gesetzten  Dato  zur 
»Einnahmung  der  Huldigung  Unserer  getrewen 
»Landschaft  aller  dreyer  Stände ,  der  Prälaten 
»Ritterschaft  und  Städte  geschritten,   dabei  des 


170 

^>Huldiguiigs-Aycls   halber,    und   wie   derselbige, 
»Insonderheit     Derer    bei     Unsern    Fürstlichen 
»Hauß   nach    Gottes   Willen  ferner  erfolgenden 
»Todesfall  halber  in  künftig  Streit   und  Wider- 
»willen  zu  verhüten,  zum  Füglichsten  eingerich- 
»tet  werden  möchte,    allerhand  Nachdenken  er- 
»gangen;    Also  daß  für  uöthig  erachtet,  daraus 
»mit    gedachter    Unserer    getrewen     Landschaft 
»gnedige    Communikation    vorgehen    zu    lassen; 
»Daß  Wir    zwarten    dabei   gewilliget,    daß    die 
»Regierung   gemeltes  Fürstenthumbs   Calenbergs 
»hinfüro    zu    ewigen    Zeiten    bei  einem  einigen 
»Herrn    stehen   und  verpleiben  ,    Sie  die  Land- 
»schaft  auch  keinem    mehr   denn   Einem   Herrn 
»allein  jedesmal  die  Erbhuldigung  zu  thun  und 
»zu  leisten  schuldig  seyn  denn  der  Eid  vor  dies- 
»mal;    Jedoch    mit  Vorbehalt  daß  Wir  dadurch 
»Unsers  Freundlichen  Lieben  Vettern  Herzogen 
»August  d.  E.  Vorgeben,  als  wenn  das  Jus  pri- 
»mogeniturae  bei  diesem  Fürstenthumb  Uns  und 
»Unser  Haus   verbindlich  hergebracht,    im   ge- 
»ringsten  nichts  deferiren  wollen  noch  könnten  ; 
»nach  Unserm    Absterben    auf    Unsern    Eltisten 
»Sohn  und  Sohnes  Sohn  angerichtet  würde;  Uns 
»aber  dabei  Reserviret,  Vielbemelte  Unsere  ge- 
»trewe  Landschaft  auch    sich   dahin   gegen  Uns 
»und  Unsere  Freundliche  Liebe  Söhne  zum  kref- 
»tigsten  verreserviret ,    Verreversiren  Uns    auch 
»respective   hierait    und  in  Krafft  dieses  besten- 
»diglich,  daß  dadurch  Uns,  Herzog  Georgen,  gar 
»nicht  benohmen  seyn,    sondern    in    alle  Wege 
»frey  und  bevor  stehen  sollte,  wer  unter  den 
»beiden  e  It  isten,  Unsern  Freundlichen 
»Lieben  Söhnen  uf  den  Fall,  wann  et- 
»wa    die    übrigen    Fü  rstenthumb  e    und 
»Lande,    Zelle   und   Grubenhagen,   Uns 
»oder   Ihnen    über   kurz    oder  lang  er- 


171 

»öfnet  werden  sollten,  ein  jegliches 
»Fürstenthü m b  anzutreten  berechtigt 
>3eyn,  und  wie  es  mit  den  andern,  Unsern 
»freundlichen  lieben  Söhnen  uf  üusern  Todes- 
»fall,  welcher  in  des  Allmechtigen  Händen  ste- 
»het ,  gehalten  werden  solle ,  mit  Einrathunge 
»Ihrer,  der  Landschaft,  eine  gewisse  Anordnung 
»zu  machen ;  oder  auch  Unsern  Söhnen,  im  Fall 
»Wir  vor  solcher  Disposition  durch  den  zeitli- 
»chen  todt  nach  Gottes  Willen  übereilet  wür- 
»den,  nicht  desto  weniger  vergönnt  und  zuge- 
>lassen  seyn  solle,  sich  der  Regierung 
»halber,  und  daß  davon  eine  zu  Zelle, 
>und  die  andere  im  obbesagtem  Für- 
>8tenthumb  Calenberg,  auch  keine 
»mehr  angestellet  werden,  uf  Landt  und 
»Leute  ersprießliche  Maße  zu  vergleichen ,  und 
»somit  den  Huldiguugs-Aydt  der  Erfordemng 
»nach  zu  ändern. 

»Wir  Von  Gottes  Gnaden  Georg,  Herzog 
»von  B.  u.  L.,  und  wir  untenbenannte ,  jetziger 
»Zeit  zum  Ausschuß  der  löblichen  Landschaft 
»Verordnete  haben  dies  mit  eigenen  Händen  unter- 
»schrieben  und  mit  unsern  Fürstlichen  und  ge- 
»wöhnlichen  Signeten  wißentlichen  betrucken 
»lassen  und  respective  selbsten  betrucket. 

Geschehen  Hannover  am   18.  Febrnarii  1636. 
L.  S.     Georg  H.  z.  B.  u.  Lüneburgk. 
L.  S.     Thomas,  Abt  des  Stifts  Locum. 
L.  S.     Mathias  Abt  zu  Bursfelde. 
L.  S.     Jobst  V.   Reden. 
L.  S.     Levin  Hacke. 
L.  S.     Casper  v.  Uten. 
L.  S.     Christoph  Hüpeden  wegen  Münden. 
L,  S.     Christian  Parsey  wegen  Münder. 

Es  liegt  klar  vor  Augen ,  daß  mit  dem  In- 
halt dieses    Documents  vom  Jahre    1636  schon 


172 

der  Inhalt  des  5  Jahre  späteren  Testaments  in 
seinen  Haupttheilen  wörtlich  vorgeschrieben  ist. 
Das  letztere  war  also  nur  die  Erfüllung  einer 
gegen  die  Stände  seines  Landes  eingegangenen 
Verbindlichkeit,  deren  sich  Fürst  und  Canzler 
wohl  erinnerten ,  und  deren  sie  sich  nicht  ein- 
seitig entziehen  konnten,  weder  im  Leben,  noch 
in  der  Todesstunde  für  die  Zukunft. 

Dieses  überaus  wichtige  Document  wird  hier 
zum  erstenmale  in  seiner  Vollständigkeit  mitge- 
theilt.  Man  hat  es  bisher  als  tiefstes  Familien- 
geheimniß  im  Dunkel  der  Archive  verborgen 
gehalten,  und  sich  sorgfältig  gehütet,  es  zur 
Bekanntschaft  zu  bringen.  Dies  geschah  na- 
mentlich seit  1680  ,  wo  Kurfürst  Ernst  August 
für  seine  Succession,  die  sich  nach  Renunciation 
seines  Bruders  Georg  Wilhelm  auf  die  zu  verei- 
nigenden Provinzen  Calenberg  und  Celle  bezog, 
Primogenitur  einführen  wollte.  Bekanntlich  fand 
er  hierfür  in  der  eignen  Familie  den  heftigsten 
Widerspruch.  Dieser  ging  von  den  nachgebor- 
nen  Söhnen  aus,  auf  deren  Seite  sich  die  Mutter 
derselben,  Kurfürstin  Sophie,  die  eigne  Gemahlin 
Ernst  August's  stellte.  Hätten  diese  Gegner  ein 
Document  gekannt,  worin  der  Großvater  dem 
Lande  und  deren  Ständen  gegenüber  die  Pri- 
mogenitur verläugnet,  und  die  Trennung  der 
Provinzen  als  ein  von  Seiten  der  Unterthauen 
zu  verlaugendes  Recht  anerkannt:  sie  würden 
noch  ganz  anders  gegen  den  Vater  aufgetreten 
seyen  ! 

Die  Geschicke  der  Völker  und  Länder  er- 
füllen sich  oft  auf  wunderliche  Weise!  Was  die 
aufopfernde  Großniüthigkeit  von  sechs  Brüdern, 
ihrem  siebenten  gegenüber ;  was  die  Klugheit 
und  Energie  dieses  Letzteren  nicht  zu  Stande 
bringen  konnten :    »Vereinigung  der  Walfischen 


173 

Lande  zu  einem  starken  einheitlichen  Staat«, 
das  fügte  bald  nachher  der  Zufall,  oder  um  ge- 
nauer zu  reden,  ein  kleiner  Fehltritt  auf  dem 
Felde  der  Liebe  von  Seiten  eines  Weifischen 
Fürsten,  leicht  und  einfach  zusammen! 


(IniTersitat. 

Beneke-Stiftung. 

Am  n.  März  d.  J.,  dem  Geburtstag  des  Be- 
gründers der  Beuekeschen  Preisstiftung,  ist  der 
Vorschrift  des  Statutes  gemäß  in  öffentlicher 
Sitzung  der  philosophischen  Facultät  das  Ergeb- 
uiß  der  Preisbearbeitungen  für  das  Jahr  1877 
verkündet : 

Es  war  im  Jahre  1874  folgende  Aufgabe  ge- 
stellt :  »die  Facultät  wünscht  eine  Darstellung 
der  Versuche,  die  vom  Alterthum  ab  zu  einer 
Philosophie  der  Geschichte  gemacht  sind ,  die- 
jenigen jedenfalls  eingeschlossen,  um  welche  sich 
gegenwärtig  der  Streit  der  Meinungen  bewegt. 
Dem  Bearbeiter  überläßt  sie,  insoweit  es  ihm 
möglich  ist,  religiöse  Anschauungen  verschiedener 
Völker  und  Zeiten,  Ueberzeugungen  hervorragen- 
der Historiker  und  andere  unentwickelte  Elemente 
Ton  Ansichten,  die  sich  in  Poesie  und  Wissen- 
schaften finden,  kurz  und  fruchtbar  zu  verwer- 
then.  Vollständigkeit  verlangt  sie  in  Bezug  auf 
Lehren,  die  als  formulirte  Theorien  hervorge- 
treten sind,  und  zwar  mit  Rücksicht  auf  die 
Zeitumstände,  unter  denen  sie  entstanden,  und 
mit  einer  Auseinandersetzung  darüber,  inwieweit 
und  in  welchem  Sinne  die  geschichtlichen,  geo- 
graphischen,   statistischen,    linguistischen   und 


174 


naturwissenscliaftliclieii  Data,  auf  welche  sie 
sieh  beriefen,  an  dem  jetzigen  Zustand  dieser 
Wissenschaften  gemessen,  zur  Aufstellung  ge- 
schichtsphilosophischer  Gesetze  berechtigen.« 

Es  sind  drei  Bearbeitungen  des  gestellten 
Themas  eingegangen,  über  welche  das  ürtheil 
der  Facultät  dahin  lautet:  ,,  ,.-  ^  i      x 

Die  Arbeit  mit  dem  Motto:    Multi  labuntur 
errore   propter  ignorantiam  historiae  .  ._  •  •  hi- 
storia  vim  legis  habet.     S.  Hieronymus,  ist  kurz. 
Diese  Kürze  könnte  aufgewogen  sein  durch  J"rag- 
nanz  der  Darstellung  oder  durch  eigenthumlicbe 
Auffassung  des   Materials.    Beides  ist  nicht  der 
Fall      Es  wird  geboten  ein  flüchtiger  üeberblick 
über  die  Geschichtsauffassung  Herodots,  ihucy- 
dides,  Xenophons,  Polybius;    dazu  treten  einige 
Bemerkungen   über    die    griechischen    iragiker. 
Nach  den  Griechen  folgen  ebenso  kurze  Bemer- 
kungen über  die    römischen  Geschichtsschreiber 
(Cornelius  Nepos,  Sallust,  Livius,  lacitus,  Florus) 
und  über  einige  römische  Dichter  (Horaz,  Ovid), 
als  aus  der  Zeit  der  römisch-hellenischen  Welt- 
literatur wird  hingewiesen  auf  Plutarch    Luciau 
Cassius  Dio.     Ein   Abschnitt   über   die  Zeit   der 
theologischen  Weltanschauung  behandelt  sodann 
mit  wenigen  Worten  Eusebius,  Orosius  und  uach 
einigen  allgemeinen  Bemerkungen  über  den  Cha- 
rakter der  Zwischenzeit  Otto  y-  Freisingen,  bei 
welchem  gelegentlich  Augustinus  Gottesstaat  min- 
destens   e?wähnt    wird;    der   Abschnitt    schließ 
wieder  mit  allgemeinen  Bemerkungen   über  den 
Ausgang  des  Mittelalters.     Im  zweiten  Theil  dei 
Schrift,    »der   Zeit  der   philosophischen  Lehren 
über  die  Geschichte«  wird  zunächst  Bossuet  aus- 
führlicher charakterisirt,  dann  werden  behandelt 
"Vico    Herder,  Kant,  Condorcet,  Volney,  Hegel, 
Fr   Schlegel,  Goerres,  Guizot,  Buckle,  Bunseu, 


175 

Bastian,  Lotze,  Laurent,  aus  der  neusten  Zeit 
endlich  Doergeus,  Marselli,  Laveleye,  Freihold. 
Schon  dieser  nackte  Ueberblick  läßt  in  die  Augen 
springen,  wie  manches  kaum  zur  Sache  Erfor- 
derliche erwähnt  wird  und  wie  vieles  durchaus 
Erforderliche  weggeblieben  ist.  Der  Verfasser 
hat  sich  zwar  den  Grundsatz  gebildet,  nur  die- 
jenigen Schriften  herbeizuziehen,  welche  die  ge- 
schichtsphilosophische  Richtung  ganz  und  gar 
und  nicht  blos  nebenbei  hielten,  allein  wie  un- 
zulässig dieser  Canon  ist,  erhellt  schon  daraus, 
daß  darnach  Turgot,  Fichte,  Schelling,  A.  Comte 
und  viele  andere  ausgefallen  sind.  Aber  auch 
abgesehen  von  den  Lücken,  welche  so  entstan- 
den, hat  der  Verfasser  nicht  wenige  direct  ge- 
schichtsphilosophische  Arbeiten  nicht  behandelt. 
Die  Besprechung  der  aufgenommenen  selber  ist 
ungleich,  zum  Theil  eingehend,  gelegentlich  aber 
auch  so ,  daß  nicht  einmal  der  Grundgedanke 
erwähnt  wird,  wie  dies  bei  Condorcet  unterlassen 
ist.  Aus  diesem  Grunde  hat  die  Facultät  die 
Arbeit  mit  dem  obigen  Motto  nicht  als  geeignet 
zur  Ertheilung  eines  Preises  ansehen  können. 

Die  Arbeit  mit  dem  Motto :  ßusticus  expectat 
dum  defluat  amnis,  Hör.,  läßt  besonders  in  der 
neueren  Zeit  an  Vollständigkeit  kaum  etwas  zu 
wünschen  übrig;  die  Darstellung  ist  leicht  und 
augenehm,  mit  einer  oft  glücklichen  Neigung  zu 
prägnantem  und  pointirtem  Ausdruck ;  die  ße- 
urtheiluug  ist  meist  kurz  und  mehr  gelegentlich 
in  die  Darstellung  zwischengeschoben ,  nur  im 
Schlußabschnitt  wird  sie  ausführlicher;  aber  sie 
verräth  Bekanntschaft  mit  den  gewünschten  kri- 
tischen Gesichtspunkten.  Auffallende  Fehler  in 
der  historischen  Exposition  sind  selten  (aufiFallend 
sind  sie  bei  Clemens  Alexandrinus ,  bei  Bossuet 
üud  bei  der  Uebersetzung  des  Titels  von  Adam 


1^6 


Smith  Hauptwerk):  dagegen  maelit  sjeWben 
^^  oft  blos  angedeuteten  Kritik  vielfacli  tuhl- 
t  etwasScliwe'bendes,  Unbestimmtes  -  ^^^^ 
Darstellung  von  Ansichten,  we  ehe  der  Bedeutung 

therwe't  tÄ  gegebene.  B-prechu.^ 
Tine  kkre  und  unzweideutige  Einsicht  ihres  In- 

Herrn  Rocholl,    rastor    au 

^'kI Xitte  der  eingegangenen  Arbeiten  führt 

nH«t:Lrse"arr  fn-dÄn 
Teh^ih  ibr  tust-  Naturgesetze  geUen  die  lua 
Wesen  der  Sache  liegen,  und  de^/"/'.^  «f*^"; 

-r^«t^f*rrh«s•M:chrn,itä:r 

i„  'h»7,^>;'';^*„;nd  gütigen  Schönheit  offen- 
unwandelbai  weisen  u      „     6  Bemühen 

philosophischen  Versuchyus     s^^™^^^^^ 

gP"""  rC  verfolgf  gescbichtsphilosophi^ehe 
Sage  "^»^'^  V"„°'|„|  Historikern,  überdies 
Itigtsie^sict^Besit.  der  Mittel  zur    Kritik, 


177 

auf  welche  die  Facultät  hingewiesen,  und  übt 
diese  Kritik ;  sie  ist  dabei  erfüllt  von  dem  Stre- 
ben nach  einer  Gescbichtsphilosophie  selber, 
ohne  daß  doch  in  der  Darstellung  der  bisheri- 
gen Versuche  der  historischen  Objectivität  das 
Mindeste  vergeben  würde.  Ganz  besonders  end- 
lich ist  hervorzuheben  das  Talent  des  Verfassers 
die  Hauptgedanken  der  betreffenden  Schriften 
so  zu  reproduciren,  daß  man  einen  genauen  und 
lebendigen  Einblick  in  Inhalt  und  Gründe  der 
Lehren  bekommt.  Diesen  Vorzügen  stehen  ge- 
genüber Mängel ,  welche  der  Verf.  theilweise 
selbst  empfunden  hat  und  für  deren  Entschul- 
digung er  auf  die  Kürze  der  Zeit  und  auf  den 
Umstand  hinweist,  daß  er  sich  in  seiner  persön- 
lichen Lage  manche  Werke  nicht  habe  ver- 
schaffen können.  Und  so  fehlen  denn  allerdings 
Namen  wie  Targot  und  Condorcet,  wie  der  Verf. 
selbst  angiebt  (man  könnte  A.  Comte  hinzufü- 
gen, von  dessen  näheren  gesehichtsphilosophi- 
scheu  Lehren  man  aus  der  gegebeneu  Darstel- 
lung durchaus  kein  Bild  bekommt),  es  fehlen 
aber  auch  aus  neuerer  Zeit  z.  B.  Laurent  und 
C.  Hermann,  während  wieder  aus  den  allerletzten 
Jahren  Schriften  erwähnt  und  besprochen  wer- 
den. Das  Gegebene  selbst  leidet  dabei  an  Un- 
gleichheit der  Behandlung  und  der  literarischen 
Kenntnisse;  während  z.  B.  die  Darstellung  über 
die  persische  Mythologie  in  kurzen  Umrissen 
den  älteren  Forschungen  folgt,  verläuft  die  Be- 
handlung der  griechischen  Mythologie  zwar  nach 
den  neueren  Arbeiten,  aber  mit  überreicher  Aus- 
führlichkeit, und  ist  überhaupt  die  Hereinziehung 
der  griechischen  und  römischen  Literatur  weit 
über  das  Maß  ausgedehnt.  Die  späteren  Partien 
haben  nicht  selten  etwas  Springendes,  in  der 
Aufeinanderfolge     der    einzelnen     Schriftsteller 

15 


178 

Unvermitteltes,  so  wird  z.  B.  von  Dante  auf 
Angelus  Silesius  gesprungen  und  von  da  zurück 
auf  Melanchthon ;  indeß  bleibt  in  solchen  Fällen 
die  Annahme  möglich,  ja  drängt  sich  fast  un- 
weigerlich auf,  daß  bei  dem ,  wie  es  scheint, 
eilig  gewordenen  Zusammenheften  der  einzelnen 
Bogen  der  überaus  umfangreichen  Arbeit  man- 
ches gegen  die  Absicht  zusammengerathen  ist. 
Diese  Mängel  sind  zum  Theil  so,  daß  die  Facul- 
tät  darüber  wegsehen  könnte,  zum  Theil  jedoch 
so  erheblich,  daß  der  erste  Preis  der  Arbeit  nicht 
gegeben  werden  konnte,  dagegen  würde  die  Fa- 
cultät  um  der  nicht  wenigen  Vorzüge  der  Arbeit 
willen  es  für  durchaus  zulässig  erachtet  haben 
derselben  gleichfalls  einen  zweiten  Preis  zu  er- 
theilen,  falls  ihr  die  Mittel  zu  Gebote  gestanden 
hätten.  Die  Facultät  fügt  diesem  Urtheil  die 
Erklärung  hinzu,  daß  es  ihr  zur  großen  Freude 
gereichen  würde,  wenn  der  Verfasser  der  Arbeit 
sie  ermächtigen  wollte,  den  dieser  beiliegenden 
Zettel  zu  eröffnen  und  seinen  Namen  bekannt 
zu  machen. 

Die  philosophische  Facultät 
Dr.  Wilhelm  Müller  d.  z.  Decan. 


Königliehe  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Trennung  des  Arsens  von  Nickel  und 
Kobalt. 
Unter  den  Methoden,  Arsen  von  Nickel  und 
Kobalt  zu  scheiden,  ist  auch  die  folgende  zu 
empfehlen,  die  den  Vorzug  hat,  daß  man  dabei 
die  lästige  Behandlung  mit  Schwefelwasserstoff 
umgeht. 


179 

Man  löst  das  Erz,  Kupfernickel,  Kobaltspeise, 
Speiskobalt,  in  Salzsäure  unter  Zusatz  von  Sal- 
petersäure auf,  dampft,  wenn  nöthig,  die  meiste 
überschüssige  Säure  ab ,  und  fällt  die  Lösung 
siedendheiß  mit  kohlensaurem  Natron.  Nach 
dem  Auswasehen  des  aus  Arseninaten  bestehenden 
Niederschlags  wird  derselbe  mit  einem  Ueber- 
schuß  einer  conceatrirten  Lösung  von  Oxalsäure 
Übergossen,  wodurch  er  in  die  Oxalate  von  Nickel 
und  Kobalt  verwandelt  und  alle  Arsensäure  ab- 
geschieden und  das  Eisenoxyd  zugleich  in  der 
überschüssigen  Säure  gelöst  wird.  Nach  dem 
vollkommenen  Auswaschen  und  Trocknen  kann 
er  in  einem  verschlossenen  Tiegel  geglüht  und 
dadurch  ein  Gemenge  der  beiden  Metalle  in 
Schwammform  erhalten  werden ,  das  man  zur 
Trennung  nach  einem  der  bekannten  Verfahren 
in  concentrirter  Salzsäure  auflöst.  Oder  man 
löst  das  Gemenge  der  Oxalate,  nach  dem  Ver- 
fahren von  Lau  gier,  noch  naß  in  concen- 
trirtem  Ammoniak  auf. 

Sollte  das  Erz  Kupfer  enthalten,  so  könnte 
man  aus  seiner  Lösung,  vor  der  Fällung  mit 
Alkali,  das  Kupfer  durch  hineingelegtes,  fein 
vertheiltes,  durch  WasserstofiFgas  reducirtes  Eisen 
ausfällen,  worauf  freilich  das  aufgelöste  Eisen 
nachher  höher  oxydirt  werden  müßte. 

W. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der  Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

B.  von  Cotta,    Geologisches   Repertorium.  Leipzie 

1877.  ^ 

Dimitz,    Geschichte  Krains.      Bd.  I.     1875.  Bd    II 

1876.    Laibach.  '      ' 


180 

Memoires  de  l'Acad.  des  sciences  etc.  de  Lyon.  Classe 

de  sciences.    T.  21.     1875—76. 
Annales   de   la   Societe   Linneenne   de   Lyon.     T.   22. 

Annee  1875. 
Annales  de   la  Societe  d'Agriculture  etc.  de  Lyon.    T. 

7.     1874. 

Von  der  k.  k.  Akademie  der  Wiss.  in  Wien: 
Denkschriften ,    philos.-  histor.    Classe.      Bd.    24,    25. 

1876.    4. 
— ,  mathem.-naturwiss.  CL    Bd.  36.     1876.    4. 
Sitzungsberichte,    philos.-histor.  Cl.    LXXX.     1875.    4. 
Dieselben,  LXXXI,    1—3.     1876.    —    LXXXIL     1-2. 

1876. 
Dieselben  1.  Abtheil.  LXXIL    1-5.    1875. 
Dieselben,  mathem.-naturwiss,  Cl.    2.  Abtheil.    LXXIL 

1-5.     1875. 
Dieselben,  LXXIIL    1-3.    1876. 
Dieselben  3.   Abtheil.    LXXL    3-5.  —  LXXIL    1-5. 

1875. 
Almanach  der  K.  Akademie.    26.  Jahrg.     1876. 
Archiv    der    österreichischen    Geschichte.    Bd.    54.    1. 

1876. 
Fontes  rerum  Austriacarum.    2.  Abtheil.    Bd.  XXXVIIL 

1876. 
Knoblauch,    über   Reflexion   der  Wärmestrahlen ,    2 

Separat- Abdrücke. 
Wüstenfeld,  el-Bekri's  geograph.  Wörterbuch.    Bd. 

II.    Th.  2.    1876. 
Flora  Batava,  Liefer.  234-236.    Leyden.    4. 

Februar   1877. 

Nature  379-383. 

The  fourth  annual  Report  of  the   board  of  directors  of 

the  zoological  Society  of  Philadelphia.     1876. 
Jahrbuch  über  die  Fortschritte   der   Mathematik.    Bd. 

7.     1875.     H.   1. 
Borchardt,    das   arithmet.  geometr.  Mittel  aus  vier 

Elementen   1876. 
Leopoldina  XIII.    No.  1-2.     1877. 

(Fortsetzung  folgt.) 


i 


181 

Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


4.  April.  M.  9.  1877. 


Königliche  Geseilschaft  der  T^issenschafteo. 

Ueber  das  elektrische  Leitungsvermö- 
gen wässriger  Lösungen  insbesondere 
von  den  Salzen  der  Alkalien  und  alka- 
lischen Erden,  den  Aetz- Alkalien  so- 
wie  einigen  Säuren. 

Von 

F.  Kolilraiisch , 
correspondirendem  Mitgliede. 

Ich  erlaube  mir,  eine  Fortsetzung  meiner 
früheren  Mittheilungen  über  die  Elektricitäts- 
leitung  in  wässerigen  Lösungen  vorzulegen,  und 
zwar  sowohl  der  experimentellen  Untersuchung, 
die  ich  mit  0.  Grotrian  ausgeführt  hatte 
(Nachr.  1874,  Aug.  5),  als  auch  meiner  späte- 
ren Mittheiluug  zur  Mechanik  der  Elektrolyse 
(Nachr.  1876,  Mai  17). 

Zunächst  bemerke  ich,  daß  die  Hülfsmittel 
für  das  von  mir  angewandte  Beobachtungsver- 
fabren  sich  wesentlich  vereinfachen  lassen.  Ich 
habe  versucht,  zur  Hervorbringuug  der  Wechsel- 
ströme, anstatt  der  luduction  durch  einen  roti- 
rendeu  Magnet,  die  Induction  in  der  secundären 

16 


182 

Spule  eines  gewölinlicheii  Inductionsapparates 
mit  rascher  Stromunterbrechung  anzuwenden. 
Um  den  für  physiologische  Zwecke  bestimmten 
plötzlichen  Verlauf  der  Ströme  in  diesen  Appa- 
raten etwas  zu  ebnen,  habe  ich  das  Eisendraht- 
Bündel  in  der  inducirenden  Spule  durch  einen 
massiven  Eisenkern  ersetzt. 

Soweit  ich  bis  jetzt  erkennen  kann,  besteht 
gar  kein  Hinderniß  gegen  diese  Vereinfachung 
des  Verfahrens,  welches  danach  künftig,  außer 
dem  Weber'  sehen  Elektro-Dynamometer,  nur 
eines  D üb ois' sehen  Schlittenapparates   bedarf. 

Ich  darf  ferner  bemerken,  daß  Hr.  Dr.  T ol- 
lin ger,  welchem  ich  auch  mehrere  in  dieser 
Mittheilung  benutzte  Beobachtungen  verdanke, 
einige  von  meinen  früheren  Resultaten  mit  con- 
stantem  Strome  geprüft  hat  und  dabei  überall 
zu  einer  recht  befriedigenden  Uebereinstimmung 
gelangt  ist. 


I.    Die  Gesetze  der  Leitung  in  verdünnten 
Lösungen. 

Auf  Grund  des  Faraday'schen   elektrolyti- 
schen Gesetzes    und    gestützt    auf  eine  Verglei- 
chung   der   Leitungsfähigkeiten    verdünnter   Lö- 
sungen   mit    den   Hittorf  sehen   Wanderungs- 
zahlen   der    elektrolytischen  Bestandtheile   habe 
ich  den  Satz  ausgesprochen  (Nachr.  1876,  S.  215), 
daß    jedem     elektrochemischen    Ele- 
mente   (z.  B.  dem  Wasserstoff,   Chlor, 
oder  auch  einem  Radicale  wie  NO3)  als 
solchem  ein  bestimmter  Widerstand 
in  verdünnter  wässeriger  Lösung  zu- 
kommt,     gleichgültig    aus    welcher 
Verbindung  es  elektrolysirt  wird. 


18^ 

Hieniacli  läßt  sich  das  Leitnngsvermögen 
einer  solchen  Lösung  aus  den  Zahlen,  welche 
die  Beweglichkeit  der  Bestandtheile  darstellen 
(und  für  welche  ich  Näherungswerthe  in  der 
früheren  Mittheilung  aufgestellt  habe),  einfach 
durch  Addition  berechnen ,  wenn  man  noch  die 
relative  Anzahl  der  gelösten  Molecüle  kennt. 

Aber  nicht  nur  durch  diese  Anwendung 
würde  der  genannte  Satz  einen  großen  Werth 
haben ,  er  würde  ferner  nicht  nur  eine  neue 
moleculare  Beziehung  der  gelösten  Körper 
und  ihrer  Bestandtheile  zu  dem  Lösungsmittel 
enthalten,  sondern  er  scheint  auch  für  die  Che- 
mie der  elektrolysirbaren  Verbindungen  eine 
neue  Handhabe  zu  bieten.  Es  ist  kein  Zweifel, 
daß  die  Kenntniß  der  »elektro- positiven  und 
negativen«  Bestandtheile,  in  welche  bei  der 
elektro-chemischen  Zerlegung  das  Molecül  zer- 
fällt, für  die  Feststellung  seiner  Constitution 
eines  der  werthvollsten  Hülfsmittel  enthält ; 
denn  diese  Kenntniß  ergänzt  die  indirecteren 
Ergebnisse  chemischer  Zusammensetzung  und 
Zerlegung  oft  in  wünschenswerther  Weise. 

Sind  nun  die  Beweglichkeiten  der  elektro- 
chemischen Elemente  bekannt,  so  wird  man  aus 
den  beobachteten  Leitungsvermögen  oder  den 
Ueberführungsverhältnissen  eines  gelösten  Kör- 
pers oft  auf  die  beiden  wandernden  Elemente 
schließen  und  hiermit  der  Chemie  einen  werth- 
vollen  Dienst  leisten  können. 

Nachstehend  folgt  das  ganze  Material,    wel- 
ches mir  zur  Zeit  für  die  Prüfung  und  die  Ver- 
i     werthung    des    genannten  Satzes   vorliegt.      Zur 
I     Erläuterung    der    Zahlen    möge   Folgendes   vor- 
1     aufgeschickt  werden. 

Um  die  Anzahl  der  Molecüle  in  der  Volum- 
einheit durch  bestimmte  Zahlen  ausdrücken   zu 

16* 


184 

können,  dividire  ich  den  Gehalt  der  Volumein- 
heit (Liter)  der  Lösung  an  Gewichtstheilen 
(Gramme)  des  gelösten  Körpers  durch  das  elek- 
trochemische Moleculargewicht  (das  chemische 
Aequivalentgewicht)  des  Körpers;  beispielsweise 
HCl  =  36,5,  iCaCla  =  55,5,  ^MgS04  =  60. 
Die  entstehende  Zahl  fi  nenne  ich  kurz  die  in 
der  Volumeinheit  enthaltene  Molecülzahl. 

Dieser  Molecül-Zahl  /*  kann  nun,  wie  sich 
überall  herausgestellt  hat,  das  Leitungsvermö- 
gen Ti  einer  verdünnten  Lösung  annähernd 
proportional  gesetzt  werden  (wenn  man  von 
der  äußersten  Verdünnung  absieht,  über  welche 
ich  mir  eine   besondere  Mittheilung  vorbehalte). 

Ti 
Die  Grenze,  welcher  sich  das  Verhältniß  —  an- 

f* 
nähert,  werde  das  speci fische  moleculare 
Leitungsvermögen    der   gelösten    Substanz 
genannt  und  durch  l  bezeichnet. 

Die  Leitungsvermögen  Ti  gelten  für  18"  und 
beziehen  sich,  wenn  man  sie  durch  10'^  dividirt, 
auf  Quecksilber  von  0°. 

1)  Es  soll  zunächst  gezeigt  werden,  daß  man 
die  molecularen  Leitungsvermögen  der  einba- 
sischen Säuren  und  ihrer  Salze  nahe 
als  die  Summe  der  molecularen  Beweglichkeiten 
oder  »Leituugsvermögen«  der  beiden  Bestand- 
theile  erhält,  wenn  man  für  diese  Leitungsver- 
mögen folgende  Zahlen  setzt. 

Tab.  L 

H   K  NHi  Na  Li  ^Ba  ^Sr  ^Ca  ^Mg 
273  48   46  30  19   31   28   24   21 

J   Br   Cl  P  NOs  CIO3  C2H3O2 
55   53   50  29   47   36    22 


185 


Die  beiden  ersten  tJpalten  der  folgenden 
Tabelle  geben  die  molecularen  Lei tungs vermö- 
gen l,  wie  sie  aus  der  Beobachtung  abgeleitet 
und  aus  Tab.  I.  durch  Addition  berechnet  werden. 

Da  wo  eine  Substanz  nur  ein  einziges  Mal 
vorkommt,  wo  also  keine  Prüfung  des  Gesetzes 
in  der  Uebereinstimmung  liegt,  werden  die  Un- 
terschiede zwischen  Beobachtung  und  Rechnung 
l  nicht  aufgeführt. 

Die  letzten  Spalten  enthalten  die  Ueberfüh- 
rungszahl  n  des  Anions  nach  Hittorf  und  da- 
neben denjenigen  Werth,  welcher  aus  Tab.  I. 
berechnet  wird.    (Vgl.  Nachr.  1876,  S.  216). 

Tab.  la. 


/  beob. 

/  her 

n  beob. 

n  ber 

. 

HCl 

323 

323 

4- 

0,16 

0,15 

-0,01 

KCl 

98 

98 

+ 

0,51 

0,51 

+ 

NH.Cl 

95 

96 

+  1 

0,51 

0,52 

+0,01 

NaCl 

81 

80 

—1 

0,63 

0,62 

-0,01 

LiCl 

68 

69 

+  1 

0,73 

IBaClj 

80 

81 

+  1 

0,65 

0,62 

-0,03 

iSrCl, 

78 

78 

0,68 

0,64 

—0,04 

ICaCl, 

74 

74 

0,69 

0,68 

+0,01 

iMgCl, 

71 

71 

0,69 

0,70 

+0,01 

HJ 

319 

328 

+9 

0,26 

0,17 

-0,09 

KJ 

105 

103 

-2 

0,50 

0.53 

+0,03 

NH^J 

102 

101 

— 1 

0,54 

NaJ 

82 

85 

+3 

0,63 

0,65 

+0,02 

LiJ 

74 

74 

+ 

0,74 

HBr 

310 

326 

+  16 

0,18 

0,16 

—0,02 

KBr 

101 

101 

4- 

0,51 

0,52 

+0,01 

HNO3 

336 

320 

-16 

0,14 

0,15 

+0,01 

KNO, 

93 

95 

+2 

0,49 

0,49 

+ 

NH.NO, 

93 

93 

+ 

0,51 

Na  NO, 

74 

77 

+3 

0,61 

0,61 

+ 

|Ba(N03), 

82 

78 

-4 

0.62 

0,60 

—0,02 

KCIO3 

84 

84 

0,45 

0,43 

-0,02 

KCjHjO, 

70 

70 

+ 

0,32 

0,31 

—0,01 

NaCjHaO,   ■ 

54 

52 

—2 

0,43 

0,42 

-0,01 

KF 

77 

77 

0,38 

186 

Die  Uebereinstimmung  sowohl  der  Leitungs- 
vermögen als  der  Ueberführungszahlen  dieser 
Reihe  von  Körpern  ist  derartig,  daß  man  an 
der  Gültigkeit  des  zu  prüfenden  Satzes  kaum 
noch  zweifeln  kann,  besonders  da  in  der  Ablei- 
tung der  Grenzwerthe  für  größere  Verdünnun- 
gen einige  Unsicherheit  sich  nicht  vermeiden 
läßt  ^).  Die  einzige  größere  Abweichung  in  den 
Ueberführungszahlen  der  Jodwasserstoffsäure  wird 
sehr  wahrscheinlich  durch  einen  Beobachtungs- 
fehler erklärt. 

Eine  fernere  Wahrscheinlichkeit  gewinnt  das 
aufgestellte  System  noch  dadurch,  daß  die  Grup- 
pen chemisch  zusammengehöriger  Körper,  näm- 
lich Kalium,  Natrium  und  Lithium,  ferner 
Barium,  Strontium,  Calcium  und  Ma- 
gnesium und  endlich  Jod,  Brom  und  Chlor 
auch  eine  interessante  Zusammengehörigkeit  der 
molecularen  Beweglichkeiten  aufweisen.  In 
jeder  von  den  genannten  drei  Gruppen  nämlich 
wächst  die  Beweglichkeit  mit  dem  Atomgewicht 
der  Elemente. 

2)  Die  Aetzalkalien,  mit  Ausnahme  des 
Ammoniaks,  über  welches  am  Schlüsse  gehan- 
delt werden  wird,  übertreffen  ihre  Salze  bedeu- 
tend an  Leitungsfähigkeit,  denn  das  moleculare 
Leitungsvermögen  findet  sich 

für  KOH    NaOH    LiOH 
l  =  200        180       150. 

Man  ist  bis  jetzt  zweifelhaft,  in  welcher 
Weise   die   elektrolytische  Zerlegung   der  Aetz- 

1)  Die  l  entstammen  zum  Theile  nur  graphischen 
Aufzeichnungen  und  werden  nach  vollständiger  Reduc- 
tion  der  Beobachtungen  vielleicht  einige  kleine  Aen- 
derungen  erfahren.  Ich  bemerke  hier  gleich,  daß  das- 
selbe mit  einigen  Zahlen  der  späteren  Tab.  III  der 
Fall  ist. 


187 

alkalien  vor  sich  geht.  Mir  scheint  das  auf- 
fallend gute  Leitungsvermögen  für  die  Annahme 
zu  sprechen ,  daß  der  Wasserstoff  an  der  Zer- 
legung theilnimmt,  und  zwar  so,  wie  bei  den 
Säuren,  nämlich  als  positiver  Bestandtheil. 
Und  zwar  halte  ich  es  für  nicht  unmöglich,  daß 
der  Wasserstoff  rascher  wandert  als  das  Metall. 

Hierdurch  würden  zugleich  die  auffallend 
geringfügigen  üeberführungen  der  Metalle  er- 
klärt werden,  welche  Wiedemann  in  den  Lö- 
sungen von  Kali  und  X^ron  gefunden  hat 
(Pogg.  Ann.  XCIX.  187;  vgl.  auch  Bourgoin, 
Ann.  d.  chim.  et  d.  phys,  (4)  XV.  48). 

Um  die  Hypothese  quantitativ  durchzufüh- 
ren ,  müßte  über  die  Beweglichkeit  des  Sauer- 
stoffes etwas  bekannt  sein.  Ich  bemerke  nur, 
daß  die  molekularen  Leitungsvermögen  des  Ka- 
liums und  des  Natriums  (Tab.  I.)  durch  die  ih- 
ren Hydraten  zugehörigen  l  dividirt,  sehr  nahe 
die  Wiedemann' scheu  Ueberführungszahlen 
der  Metalle  0,23  im  Kalihydrat  bez.  0,16  im 
Natronhydrat  ergeben.  Die  Ueberfdhrungszahl 
des  Lithiums  in  seinem  Hydrat  würde  danach 
nur  etwa  0,13  betragen  dürfen.  Der  Wasser- 
stoff müßte  aber  bei  seiner  W^anderung  mit 
dem  Metall  eine  verminderte  Beweglichkeit  be- 
sitzen. 

3)  Salze  zweibasischer  Säuren.  Es 
ist  interessant,  daß  bei  denjenigen  Salzen,  de- 
nen die  neuere  Chemie  eine  andere  Constitution 
zuschreibt,  als  den  unter  1)  behandelten,  auch 
die  dort  geltenden  Beziehungen  aufhören.  Ich 
habe  hauptsächlich  einige  schwefelsaure 
und  kohlensaure  Salze  untersucht.  Aller- 
dings lassen  sich  deren  Leitungsvermögen  aus 
Tab.  I  nahe  berechnen,  wenn  man  den  Radi- 
calen  ^SOi  und  ACOs  die  Leitungsvermögen  32 


188 


und  30  beilegt;  allein  die  hieraus  folgenden 
Ueberführungszahlen  stimmen  nicht  mehr  mit 
den  Beobachtungen  Hittorf's.  Die  Schwefel- 
säure selbst  stimmt  weder  in  der  üeberführung 
noch  im  Leitungsvermögen. 

Man  wird  also  den  wandernden  Atom  -  Paa- 
ren H2,  K2  u.  s.  w.  eine  andere  Beweglich- 
keit zuschreiben  müssen  als  den  einzelnen 
Atomen  *).  In  der  That  läßt  ein  solches  Sy- 
stem sich  aufstellen,  und  zwar  mit  folgenden 
molecularen  Leitungsvermögen. 

Tab.  IL 


^Ha 

IK2 

^(NH4)2 

^Na2 

^Liä 

^S04 

iCOs 

163 

39 

37 

24 

12 

40 

36. 

Die  Reihenfolge  der  Beweglichkeiten  bleibt 
für  die  positiven  Bestandtheile  dieselbe  wie  in 
Tab.  I,  doch  sind  die  Zahlen  0,6  bis  0,8  mal 
kleiner  geworden. 

Man  erhält  hieraus 

Tab.  IIa. 

1 1  beob.  l  ber.  |  n  beob.    n  ber. 


^H2S04 

203 

203 

0,20 

0,20 

^K2S04 

79 

79 

0,50 

0,51 

4(NH4)2S04 

77 

77 

0,52 

^NaaSOd 

64 

64 

0,63 

0,63 

^LiäSO* 

52 

52 

0,77 

IK2CO3 

78 

75 

0,48 

^Na2C03 

57 

60 

0,60 

1)  Man  kann  die  Frage  aufwerfen,  warum  nicht 
dasselbe  für  die  Atom -Paare  Clg  in  Tab.  la  nothwen- 
dig  war. 


189 

Leider  fehlt  es  an  weiterem  Material,  um 
die  aufgestellten  Zahlen  zu  prüfen.  Wünschens- 
werth  ist  insbesondere,  daß  die  Ueberführungs- 
verhältnisse  einiger  Lithium -Salze  untersucht 
werden. 

Eine   merkwürdige  Anomalie  weisen    endlich 
die    Sulfate   zweiwerthiger  Metalle   auf. 
Die  molecularen  Leituugsvermögen  sind  nämlich 
für    MgSOi        ZnSOi        CuSOi^) 
37  34  28. 

Diese  Zahlen  sind  nun  kleiner  als  die  eben  für 
Schwefelsäure  allein  aufgestellte  Zahl,  während 
wir  doch  nach  Hittorf  wissen,  daß  die  Wan- 
derung der  Metalle  in  den  genannten  drei  Sal- 
zen nicht  unbeträchtlich  ist. 

Es  scheint,  daß  durch  dieses  Verhalten  die 
neuere  Auffassung  der  Chemie  bestätigt  wird, 
nach  welcher  die  Salze  der  schwächeren  zwei- 
werthigen  Basen  mit  den  zweiwerthigen  Säuren 
gar  nicht  so  constituirt  sind,  wie  in  ihren  ge- 
wöhnlichen Formeln  angenommen  wird. 

IL     Concetitrirtere  Lösungen. 

Die  meisten  von  den  oben  aufgeführten 
Salzen  habe  ich  bis  zu  größeren  Procentgehal- 
ten der  Lösungen  verfolgt,  wobei  ich  die  Her- 
stellung eines  Theiles  dieser  Lösungen  Hrn.  Dr. 
Wolf  zu  danken  habe.  Nachdem  sich  heraus- 
gestellt hat  (Müuch.  Sitz.  Ber.  1875,  S.  299), 
daß  die  Leitungsvermögen  der  Wasserstoffsäu- 
ren und  der  Salpetersäure  nahe  übereinstim- 
mend werden ,  wenn  man  die  Lösungen  nach 
ihrem    Gehalte    an   Molecülen    des  Elektrolyten 

1)  CuSO^  aus  Wiedemann's  Beobachtungen  auf 
die  hier  gebrauchten  Einheiten  reducirt. 


190 


in  der  Volumeinheit  ordnet,  lasse  ich  auch  die 
übrigen  Körper  (einschließlich  der  mit*  G  r  o- 
trian  untersuchten  Chloride  der  Alkalien  und 
alkalischen  Erden)  in  dieser  Anordnung  folgen. 
Es  wird  sich  zeigen,  daß  die  großen  Verschie- 
denheiten, welche  die  nach  Gewichtsgehalt  auf- 
geführten Körper  zeigten,  durch  diese  neue  Zu- 
sammenstellung zum  Theil  gehoben  werden. 

Die  Zahl  fi  der  gelösten  Aequivalente  ist 
in  der  S.  184  gegebenen  Bedeutung  zu  verste- 
hen ;  das  Leitungsvermögen  k  gilt  für  IS**  und 
bezieht  sich  auf  Quecksilber  =  10'';  die  Tem- 
peraturcoefficienten  Jh  geben  den  mittleren  Zu- 
wachs von  h  zwischen  18  und  26*^,  in  Theilen 
von  ^18. 


KCl 


Tab.  III. 

NH4CI      I        KJ 


NH,J 


KBr 


47  0,0205 

91        196 

173        182 

248       169 


46  (0,0206) 
90         198 


172 
248 
318 
376 


184 
172 
162 
155 


A'jg      Jk 
50  0,0204 
97        192 


188 
269 
334 
381 


173 
159 
150 
143 


49 

96  0,0200 
188  185 
(269)  172 
(337)  161 
394       153 


Äj8        Jk 

49  0,0205 

96        193 

183        178 

262        166 

328       156 


^ 

KF 

NaCl 

1   NaJ 

LiCl 

1   Li.I 

V2 

36 

38 

39  0,0219 

33  0,0229 

35  0,U224 

1 

67 

0,0214 

70 

0,0217 

73   214 

59   224 

64   2r! 

2 

119 

215 

121 

213 

131   206 

99   219 

114   1 

3 

161 

217 

158 

212 

174   200 

127   217 

4 

194 

219 

184 

216 

204   197 

144   218 

5 

217 

224 

199 

229 

152   221 

6 

231 

230 

153   224 

7 

240 

238 

147   230 

8 

242 

249 

135   236 

9 

239 

262 

121   244 

10 

106   255 

11 

92   269 

12 

76   288 

191 


tl 

^BaCl,  1 

]SrCl,  1 

4CaCl,  ! 

4MgCl, 

KC,H.O, 

A-,8  Jk 

A;,8  Jk 

A-,8  Jk 

A-,g  Jk 

Ä,,  Jk 

V. 

36  0,0214 

35  0,0217 

35 

32 

32 

1 

66   207 

64   211 

63  0,0214 

59  0,0224 

56  0,0220 

2 

113   197 

109   204 

108   206 

98   220 

90   220 

3 

146   192 

139 

139   202 

119   222 

112   227 

4 

159   201 

130   229 

120   238 

5 

166   202 

131   238 

118   253 

6 

165   207 

125   249 

111   272 

7 

154   217 

115   264 

97   296 

8 

133   232 

100   281 

80   226 

9 

84   303 

62   367 

10 

I 

67   328 

41   42 

ft\    KNO3     I  NH«N03  !    NaNOg   INaCgHaO,'  ^Na^CO, 


1% 

42  0,02U9 

44  0,0226|  34 

U,02-26 

23 

25 

1 

76   206 

83 

219 

62 

218 

38 

42  0,0253 

2 

130   200 

151 

188 

102 

214 

56 

64   271 

3 

209 

179 

130 

215 

62 

76   291 

4 

256 

171 

148 

219 

5 

293 

165 

6 

319 

160 

7 

334 

158 

8 

(342) 

157 

h 

iK,CO, 

i(NH,),SO, 

4K,S0, 

iNa,SO, 

1  iLi,SO, 

V. 

36(0,0230) 

35(0,0222) 

37  0,0219 

28(0,0235) 

'  23 

1 

67   221 

64   212 

68   208 

48   242 

39  0,0237 

2 

117   211 

113   200 

75   254 

58   240 

3 

156   210 

154   195 

4 

184   213 

185   193 

5 

202   217 

208   192 

6 

210   224 

225   193 

7 

212   233 

8 

206   244 

9 192   261 

10  170   284 

11 

1142   31 

192 


M_ 

1  ^MgSO, 

1  JZtiS04 

KOH 

1  NaOH 

I  LiOH 

"^18 

JA 

"^18 

Jk 

"'18 

Jk 

^-18    ^^ 

Ä-18  Jk 

V, 

16 

15 

0,022 

94  0,0189 

81 

68 

1 

27 

0,028 

25 

22 

172 

1881149:0,0200 

125  0,0199 

2 

40 

24 

37 

23 

302 

188 

242   209 

209   207 

3 

45 

25 

44 

24 

394 

191 

302   222 

265   218 

4 

45 

27 

45 

26 

458 

197 

327   241 

295   232 

5 

41 

28 

41 

28 

497 

204 

326   266 

6 

(34) 

30 

35 

508 

214 

308   297 

7 

30 

505 

225 

281   337 

8 

489 

238 

252   379 

9 

460 

254 

220   423 

10 

423 

271 

190   468 

11 

(381) 

290  (163)  51 

12 

(142)  56 

13 

(124)  60 

14 

(111)  65 

15 

(101)  69 

Aus  dieser  Vergleichung  der  Körper  nach 
elektrochemisch  äquivalenten  Lösungen  geht 
folgendes  hervor. 

1)  Der  Verlauf  des  Leitungsvermö- 
gens mit  der  Concentration  der  Lösung 
erscheint  bei  den  verschiedenen  Salzen 
von  einer  auffallenden  Aehnlichkeit.  Die 
graphische  Darstellung  der  Zahlen  liefert  lauter 
nach  unten  gekrümmte  Curven  von  unverkenn- 
bar verwandtem  Charakter.  Diese  Curven  schnei- 
den sich  bei  chemisch  näher  verwandten  Sub- 
stanzen nicht,  und  die  wenigen  Schnitte,  welche 
überhaupt  vorkommen,  verlaufen  ziemlieh  flach. 
Vergleiche  z.  B.  die  Zahlen  der  ersten  Reihe  ; 
ferner  BaClg,  SrCb  und  CaCl2;  dann  MgCla  und 
KC2H3O2;  Li2S04  und  NaC2H302;  (NH.i)2S0.i 
und  K2CO3. 

(Im  Gegensatz  hierzu  liefert  die  Darstellung 
nach  gewöhnlichen  Gewichtsprocenten  auch  nach 
unten  gekrümmte  Curven  und  eine  große  Menge 
Schuittpuncte  der  Curven). 


193 

Man  wird  hierans  folgern  dürfen,  daß  die 
Ursachen,  welche  den  Leituugswiderstaud  be- 
dingen, bei  den  verschiedenen  Salzen  hauptsäch- 
lich nur  quantitativ  verschieden  sind. 

2)  Weit  größere  Unterschiede  ergeben  sich 
zwischen  den  Salzen  einerseits  und  den  Aetz- 
alkalien  andrerseits  (vgl.  z.B.  KJ  mit  NaOH 
und  LiOH);  unter  sich  aber  zeigen  auch  die 
letzteren  einen  nahe  ähnlichen  Verlauf. 

3)  Die  Verbindungen  des  Ammoniums  und 
des  Kaliums  mit  derselben  Säure  zeigen  fast 
überall  eine  nahe  Gleichheit  des  Leitungsver- 
mögens. 

4)  Die  Natrinm-Verbindungen  leiten  durch- 
weg schlechter  als  die  entsprechenden  des  Ka- 
liums und  Ammoniums. 

5)  Noch  weiter  unten  stehen  die  Lithium- 
Verbindungen. 

6)  Eine  ungefähre  Uebereinstimmung  des 
Leitungsvermögens  findet  sich  bei  den  Chloriden 
von  Barium,  Strontium  und  Calcium, 
während  Chlor-Magnesium  erheblich  zurücksteht. 

7)  Dagegen  leiten  nahe  gleich  gut  die  Sul- 
fate von  Magnesium  und  Zink. 

8)  Den  Einfluß  des  negativen  Bestandtheils 
betreffend,  so  leiten  weitaus  am  besten  die 
Hydrate. 

9)  Chloride,  Bromide  und  Jodide  lei- 
ten nicht  erheblich  verschieden,  doch  zeigt  das 
Jod  einen  deutlichen  Vorzug  ^). 

10)  Fluor  steht  beträchtlich  hinter  den 
eben  genannten  Haloiden  zurück. 


1)  Für  KJ  und  KCl  wurde  die  ungeföhre  Ueberein- 
stimmung bereits  in  der  eben  erschienenen  Abhandlung 
von  R.  Lenz  (Melanges  phys.  et  chim.  de  St.  Pe'tersb., 
X,  S.  299)  nacbgewieseu. 


194 

11)  Auch  Nitrate  und  mehr  noch  Acetate 
leiten  wesentlich  schlechter. 

12)  Sulfate  und  Carbonate  (soweit  sie 
untersucht  worden  sind)  leiten  nicht  sehr  ver- 
schieden ;  sie  leiten  schlechter  als  die  Salze  mit 
den  einbasischen  unorganischen  Säuren, 

13)  Das  geringste  Leitungsvermögen  kommt 
den  Salzen  der  zweiwerthigen  Metalle 
mit  der  zweibasischen  Schwefelsäure 
zu. 

Ich  hebe  ferner  die  Gesetzmäßigkeiten  her- 
vor, welche  sich  unter  den  Temperatu r-C o e f- 
ficienten  des  Leitungsvermögens  zeigen.  Vor 
Allem  wird  hier 

14)  der  Satz^)  bestätigt  und  verallgemeinert, 
daß  die  Temperatur-Coefficienten  der 
Salzlösungen  sich  bei  wachsender  Ver- 
dünnung Grenzwerthen  nähern,  welche 
nahe  gleich  sind,  indem  diese  Grenzwerthe 
zwischen  etwa  0,0215  oder  V*?  und  0,0235  oder 
V^s  liegen.  Auffällig  ist  hierbei  die  außeror- 
dentliche Ueberein Stimmung  zwischen  allen  Kali- 
und  Ammoniak- Verbindungen  mit  Chlor,  Brom 
und  Jod,  die  sämmtlich  etwa  der  Grenze  0,0215 
zustreben. 

15)  Auch  die  Temperatur-Coefficienten  der 
Aetz-Alkalien  nähern  sich  ungefähr  einem 
und  demselben  Grenzwerthe,  der  aber  kleiner 
ist  als  die  obigen  (etwa  0,019). 

16)  Aus  den  früheren  Ergebnissen  erinnere 
ich  hier  daran,  daß  die  Salpetersäure  und 
die  Wasserstoffsäuren  auch  einen  gemein- 
samen Grenz -CoefFicienten  0,016  haben,  wäh- 
rend die  S  c  h  w  e  f  e  1  8  ä  u  re  etwa  0,01 1 ,  die 
Phüsphorsäure  0,0095  zeigt. 

1)  Nachr.  1874,  S.  411. 


195 

17)  Mit  steigendem  Salzgehalt  neh- 
men zuerst  die  Temperatur-Coefficien- 
ten  sämmtlicher  untersuchter  Salze  mit 
einbasischen  Säuren  ab  (vorbehaltlich  ei- 
ner weiteren  Prüfung  des  Flaorkaliums). 

18)  Bei  allen  Salzen,  welche  ein  Maximum 
des  Leitungsvermögens  besitzen,  tritt  vor 
der  Erreichung  dieses  Maximums  ein  Wachs- 
thum  des  Temperatur-Coefficienten 
ein  (für  Aetznatron  bis  zu  0,07!).  Sämmt- 
licheMaxima  rücken  also  (wie  bei  dem 
ZiukvitrioP))  mit  steigenderTemperatur 
weiter  nach  größeren  Salzgehalten. 

19)  Bis  zu  den  höchsten  untersochten  Ge- 
halten bleiben  die  Temperatur-Coefficienten  ab- 
nehmend bei  sämmtlichen  Kali-  und  Am- 
mouiaksalzen,  mit  Ausnahme  des  kohlen- 
sauren und  essigsauren  Kali. 

20)  Die  Haloidsalze  des  Kaliums  und 
des  Ammoniums  haben  so,  wie  ein  gleiches 
Leitungsvermögen  (3),  auch  nahe  gleiche 
Temperatur-Coefficienten.  Gleiches  zeigt 
sich  in  den  Gruppen  BaCla,  SrCla  und  CaCh 
sowie  MgSOi  und  ZnS04. 

21)  Im  Allgemeinen  vermindern  sich 
die  Unterschiede  des  Leitungsvermö- 
gens verschiedener  Körper  von  ähnli- 
cher Zusammensetzung  mit  wachsender 
Temperatur. 

22)  Ich  füge  hier  noch  hinzu,  daß  das 
schwefelsaure  Natron,  welches  bekanntlich 
für  die  Menge  seines  Krystallwassers  gewisse 
Grenztemperaturen  zeigt,  keinen  ungewöhnli- 
chen Einfluß  dieser  Temperaturen  auf  sein  Lei- 
tungsvermögen wahrnehmen  läßt. 

1)  Beetz,  Pogg.  Ann.  CXVH,  17. 


196 


III.     Säuren. 

Ich  hatte  gefunden,  daß  Salzsäure  und 
Salpetersäure  in  äquivalenten  wässri- 
gen  Lösungen  ein  nahe  gleiches  Lei- 
tungsvermögen haben.  Jod-  und  Brom- 
Wassersto£f  schlössen  sich  in  verdünnter  Lösung 
dieser  Gruppe  an.  Ich  kann  jetzt  hinzufügen, 
daß  Bromwasserstoff  auch  in  hoher  Con- 
centration  dasselbe  Verhalten  zeigt. 

Fluor-Wasserstoff  dagegen  gehört  nicht 
zu  dieser  Gruppe.  Zu  den  hervorragend  gut 
leitenden  Electrolyten  gehört  freilich  dieser 
Körper  ebenfalls,  denn  käufliche  rauchende 
Flußsäure  hatte  das  Leitungsvermögen  0,000061. 
Aber  es  steigt,  wie  bei  der  Schwefelsäure,  die 
Leitung  mit  dem  Aequivalentgehalt  erheblich 
langsamer  als  bei  den  übrigen  WasserstofFsäuren. 
Ein  Maximum  unterhalb  der  stärksten  käufli- 
chen Säure  fand  sich  nicht.  Der  Temperatur- 
Coefficient  ist  kleiner  als  bei  der  vorhin  ge- 
nannten Gruppe. 

Vollkommen  abweichend  von  den  vorigen 
Säuren  verhält  sich  Cyanwasserstoff,  wel- 
cher in  wässriger  Lösung  so  schlecht  leitet,  daß 
man  ihn  praktisch  zu  den  Nichtleitern  rech- 
nen darf.  Eine  frisch  bereitete  Lösung  2,6 
procentiger  Blausäure  hatte  nämlich  bei  18° 
nur  das  Leitungsvermögen  0,00000002L 

Noch  schlechter  leitet  Schwefelwasser- 
stoff, der  in  nahe  gesättigter  Lösung 
0,0000000023  hatte. 

Aus  früheren  Versuchen  hatte  ich  gefolgert, 
daß  die  wasserfreien  Verbindungen 
HNO3,  HCl  U.S.W,  sehr  schlechte  Leiter 
sein  würden.  Für  HCl,  HBr  und  HJ  ist 
diese    Vermuthung    seitdem    von    Bleekrode 


197 

und  Warren  de  la  Rue  vollständig  bestätigt 
worden^).  Die  Salpetersäure  betreffend 
kann  ich  selbst  hinzufügen,  daß  dieser  Körper 
in  einer  von  Herrn  Sonne  im  hiesigen  chemi- 
schen Laboratorium  bereiteten  Lösung  von  etwa 
92  Procent  HNO3  nur  den  lOten  Theil  seines 
Maximal -Leitungsvermögens  besaß.  Nach  dem 
Verlauf  der  Curve  zu  schließen  könnte  in  der 
Nähe  von  dieser  Concentration  vielleicht  ein 
Minimum  des  Leitungsvermögens  liegen.  Der 
Temperatur-Coefficient  der  starken  Salpetersäure 
betrug  nur  0,007. 

IV.    Saure  Salze. 

Eigenthümlich  verhalten  sich  das  saure 
schwefelsaure,  kohlensaure  und  phosphorsaure 
Kali. 

Doppeltkohlensaures  Kali  leitet  na- 
hezu so,  als  ob  das  überschüssige  Aequivalent 
Kohlensäure  gar  nicht  vorhanden  wäre. 

Doppeltschwefelsaures  Kali  dagegen 
hat  in  verdünnter  Lösung  beiläufig  dasselbe  Lei- 
tungsvermögen, als  wenn  nur  das  zweite  Aequi- 
valent Säure  zersetzt  würde,  nicht  aber  das 
schwefelsaure  Kali,  Später  leitet  es  schlechter, 
als  es  die  Säure  allein  thun  würde.  Ganz  auf- 
fallend ist  hierbei  der  niedrige  Temperatur- 
Coefficient,  welcher  zwischen  0,0086  und  0,010 
hegt  (Tollinger). 

Das  saure  phosphorsaure  Kali 
(KH2PO4)  endlich  hat  ungefähr  dasselbe  Lei- 
tungsvermögen wie  eine  äquivalente  Menge  rei- 
ner Phosphorsäure,  zeigt  aber  im  Gegensatz  zu 
deren    kleinem   Temperatur- Coefficienten    einen 

1)  Proc.  Roy.  Soc."1876  Nr.  175. 

17 


198 


ähnlichen  Einfluß  der  Temperatur   wie  die  neu- 
tralen Salze. 

Allgemeinere  Regeln  für  saure  Salze  sind 
also  aus  diesen  Körpern  noch  nicht  zu^  ent- 
nehmen. 


V.    ÄmmoniaJc  -  FlüssigJceit, 

Eine  wässerige  Ammoniak-Lösung 
gehört,  wie  ich  schon  früher  gelegentlich  be- 
merkte, zu  den  schlechtesten  Leitern. 
Ich  fand ,  die  Lösungen  nach  gewöhnlichen  Ge- 
wichtsprocenten  an  NH3  bezeichnet, 


jk 

Procente 

Spec.  Gew. 

k  10»o 

k 

von  NHg 

bei  15». 

bei  18« 

auf  P 

0,8 

0,996 

614 

0,0232 

1,6 

0,992 

810 

0,0239 

4,0 

0,982 

1022 

0,0252 

8,0 

0,966 

971 

0,0264 

16,0 

0,937 

598 

0,0301 

30,0 

0,897 

190 

Die  Curve  besitzt  eine  große  Aehnlichkeit 
mit  der  Curve  der  Essigsäure. 

Die  Vermischung  einer  Ammoniaklösung  mit 
Üer  ähnlich  schlecht  leitenden  Blausäure-Lösung 
lieferte  eine  mehr  als  hundertmal  besser  leitende 
Lösung  von  Cyan-Ammonium. 

Die  schroffe  Scheidung  der  gelösten  Körper 
in  gute  Leiter  und  sehr  schlechte  Leiter  aus 
ihrer  Constitution  aufzuhellen,  betrachte  ich  als 
eine  Aufgabe,  die  für  die  Theorie  der  Elektro- 
lyse wie  für  die  Chemie  von  großer  Bedeutunfr 
ist.  Wenn  Ammoniaklösung  etwa  500  mal 
schlechter    leitet    als    das    gelöste   Kalihydrat, 


199 

während  die  Salze  beider  Korper  nahe  gleich 
leiten,  so  sind  ohne  Zweifel  die  beiden  Alkalien 
in  Lösung  ganz  verschieden  constituirt.  Diese 
Schlußfolgerung  stimmt  mit  der  von  J.  Thom- 
sen  nach  der  Wärmeentwicklung  bei  der  Ver- 
bindung der  Alkalien  geäußerten  Ansicht  (Pogg. 
Ann.  CXLIII.  522),  »daß  das  Ammoniumhy- 
drat nicht  in  der  Lösung  existire,  welche 
demnach  nur  als  NHs  -f~  ä<l«  aufgefaßt 
werden   dürfte.« 

In  irgend  einer  Weise  müssen  so  auch  die 
Lösungen  des  Cyanwasserstoffs  und  Schwefel- 
wasserstoffs sich  von  den  übrigen  Wasserstoff- 
säuren fundamental  unterscheiden. 

Würzburg,    15.  März  1877. 


UniTersität. 


Nachtrag    zu   den  Mittheilungen   über 
die  Beneke-Stiftung. 

In  Nr.  8  der  Göttiuger  Nachrichten,  welche 
die  Mittheilungen  über  die  Beneke'sche  Stiftung 
brachte,  schloß  das  Urtbeil  über  die  Arbeit  mit 
dem  Motto  aus  Herder  dahin  ab,  daß  die  Fa- 
cultät  um  der  nicht  wenigen  Vorzüge  der  Ar- 
beit willen  es  für  durchaus  zulässig  erachtet 
haben  würde,  ihr  gleichfalls  einen  zweiten  Preis 
zu  ertheilen,  falls  ihr  die  Mittel  zu  einem  sol- 
chen zu  Gebote  gestanden  hätten.  Diesem  Ur- 
theil  hinzugefugt  war  die  Erklärung,  es  werde 
der  Facultät  zur  Freude  gereichen,  wenn  der 
Verfasser  sie  ermächtigen  wolle,  den  der  Arbeit 
beiliegenden  Zettel  zu  eröffnen  und  seinen  Na- 
men bekannt  zu   machen.     Nachdem   nunmehr 


200 

diese  Ermächtigung  ertheilt  ist,    hat  die  Eröff- 
nung des  Zettels  als  Verfasser  ergeben  Herrn 

Dr.  Binde,    ordentlichen  Lehrer  am  Kgl. 
evangelischen  Gymnasium  zu  Gr.  Glogau. 

Die  philosophische  Facultät. 
Dr.  Wilhelm  Müller,  d.  z.  Decan. 


Se.  Majestät  der  König  haben  All  ergnä- 
digst geruht,  den  bisherigen  außerordentlichen 
Professor  an  der  Universität  zu  Heidelberg 
Dr.  Karl  Klein  zum  ordentlichen  Professor 
in  der  philosophischen  Facultät  der  hiesigen 
Universität  zu  ernennen. 


Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Mittheil,  des  naturwiss.  Vereins  für  Steiermark.    Jahrg. 

1876.     Graz. 
Monthly  notices,  R.  Astronom.  Society.    Vol.  XXXVII. 

No.  3. 
Ahnales  de  l'Observat.  de  Braxelles.    Fol.  12. 
Plateau,  sur  les  couleurs  accidentelles  ou  subjectives. 

Note  1.  2.     1875—76. 
Lipschitz,    Bemerkungen  zu  dem  Princip   des  klein- 
sten Zwanges.     1876. 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.    Bd.  I.    Zürich 

1876. 
Bulletin  de  l'Acad.  imp.  des  sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  XXII.    No.  4.    (Feuille  32-36).    T.  XXIII.    No. 

1.     (Feuille  1-11.)     1877.     4. 
Bulletin   de   l'Acad.  roy.   des  sciences  de  Belgique.     T. 

42.    No.  12.     1876.    T.  43.    No.  1.     1877. 

(Fortsetzung  folgt.) 


201 


iVach  rieh  teil 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  za 
Göttingen. 


9.  Mai.  M  10.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Die   Daten   der  Genesis 

von 

Julius   Oppert  iu  Paris. 
Correspondirendem  Mitgliede. 

In  einer  jüngst  erschienenen  Schrift  ^)  habe  ich 
nachgewiesen,  daß  abwärts  von  dem  Zeitalter 
Salomon's  die  Zeitangaben  der  Bibel  auf  wis- 
senschaftlich begründeter  Zeitrechnung  beruhen, 
die  aus  gleichzeitig  mit  den  Begebenheiten  Schritt 
haltenden  Annalen  herrühren.  Diese  Zeitanga- 
ben können  durch  astronomische  Daten  in  die 
allgemeine.  Geschichtsrechnung  eingereiht,  und 
somit  chronologisch  bestimmt  werden.  Man 
kann ,  um  genauer  zu  reden ,  die  Entfernung 
dieser  Ereignisse  von  einer  uns  bekannten  Epoche 
in  Zeiteinheiten  mit  größerer  oder  geringerer 
Präcision  angeben. 

Vorliegende    Arbeit    hat    sich    ein    anderes, 

1)  Salomon  et  ses  Successeurs,  Solution  d'un  probleme 
chronologique.    Paris  1S77 ,  Maisooneuve  &  Co. 

18 


202 

ebenfalls  chronologisches  Ziel  gesteckt,  den  Nach- 
weis zu  führen,  daß  aufwärts  vom  Exodus 
eine  solche  Einreihung  in  die  Zeitmessung  nicht 
stattfinden  kann.  Für  die  Genesis  giebt 
es  keine  Chronologie.  An  und  für  sich 
wird  dies  Manchen  der  Leser  als  wenig  neu  er- 
scheinen, und  sie  werden  mit  Recht  erwidern, 
das  haben  sie  längst  gewußt.  Und  dennoch  ist 
diese  Antwort  keine  wissenschaftlich  unangreif- 
bare; denn  um  eine  solche  Ansicht  zu  verthei- 
digen,  muß  man  sie  beweisen  können;  zwei- 
feln genügt  nicht.  Die  Argumentation  ist  aber 
um  so  schwieriger,  als  das  Beweisobject  in  die- 
ser Fassung  eine  Negation  ist,  und  Niemand 
streng  genommen,  zu  einer  Demonstration  des- 
sen was  nicht  ist,  veranlaßt  werden  kann. 

Das  Verfahren,  aus  den  Zahlen  selbst,  die 
Unmöglichkeit  einer  Chronologie  herzuleiten,  ge- 
nügt nämlich  nicht.  Zahlentheorien,  Cyclen, 
cabbalistische  Kunststücke  kann  man  überall 
machen ,  auch  in  verbürgter  Geschichte.  Und 
Gott  weiß,  wie  gerade  die  Genesis  zu  allerhand 
Rechnungen  Anlaß  gegeben  hat,  die  eigent- 
lich mehr  in  das  Gebiet  der  Psychiatrik,  als  in 
das  der  Geschichtsforschung  gehören.  Verirrun- 
gen  solcherlei  Art  können  nur  durch  nüchterne 
Auseinandersetzung  der  Thatsachen  beseitigt 
werden. 

Der  uns  obliegende  Nachweis  von  der  Unbe- 
gründetheit einer  Zeitrechnung  ist  nur  dann  zu 
führen,  wenn  man  darlegen  kann,  daß  Reihen 
von  Zeitabschnitten,  in  einem  andern  Lande, 
bei  einem  andern  Volke ,  auf  andere  Bege- 
benheiten bezüglich,  gerade  mit  denselben  Zah- 
len dargestellt  sind.  Wenn  nun  aber  diese  iden- 
tischen Grundzahlen  in  zwei  verschiedenen  Län- 
dern,  in  zwei  verschiedenen  Weisen  angewandt 


203 

sind,  dann  wird  man  befugt  sein,  auch  bei  bei- 
den Völkern  eine  künstliche  Rechnung  anzuneh- 
men, und  vorauszusetzen,  daß  man  eben  bei  der 
Abwesenheit  jeder  wahren  Zeitrechnung  diese 
durch  eine  fictive  zu  ersetzen  gesucht  hat. 
Vorerst  ist  es  für  diese  Frage  unwesentlich ,  ob 
eines  der  beiden  Völker  von  dem  andern  die 
Grundidee  entlehnt  hat,  oder  ob  sie  beide  letz- 
tere einem  dritten  verdanken. 

Das  Volk,  welches  dieselbe  Chronologie  mit 
der  der  Genesis  gemein  hat,  sind  die  Chaldäer, 
und  die  Zeitrechnung  die  Berosus'  Bruchstücke 
uns  überliefert  haben,  ist  im  Wesen  die  des 
ersten  Buches  des  Pentateuchs,  vom  ersten  bis 
zum  letzten  Capitel,  von  der  Schöpfung  bis  zum 
Tode  Josephs. 

Diese ,  wenn  nicht  vorgeschichtliche ,  jedoch 
vorchronologisohe  Periode  zerfällt  in  drei  Zeit- 
abschnitte : 

I.     Die  Schöpfungszeiten , 

II.     Die  vorsintfluthliche  Zeit, 
III.     Die  nachsintfluthliche  Zeit  bis  zum  An- 
fang der  wirklichen  Zeitmessung. 

Diese  drei  Perioden  sind  bei  beiden  Völkern, 
den  Juden  und  den  Chaldäern,  durch  dieselben 
Grundzahlen,  mit  veränderten  Coefficienten,  aus- 
gedrückt. 

I.     Die  Schöpfungszeiten. 

Die  Bibel  kennt  sieben  Schöpfungstage. 

Die  Chaldäer  drückten  dieselben  Zeiträume 
durch  168  Myriaden-Jahre  aus.  Dieses  erhellt 
aus  dem  Fragment  des  Berosus,  in  welchem  ge- 
sagt wird,  er  habe  bis  zu  seiner  Zeit  215  My- 
riaden-Jahre gerechnet.  Mau  hat  die  Zahl  nicht 
verstanden  und  sie  als  corrupt  angezweifelt;  sie 

18* 


204 

ist  aber  vollständig  richtig  im  armenischen  Eu- 
sebius  überliefert.  Da  nämlich  von  den  ersten 
Menschen  bis  auf  Alexander  etwas  mehr  als  47 
Myriaden  gerechnet  werden,  bleiben  für  die  vor- 
menschliche Zeit  168  Myriaden  übrig. 

Die  Zahl  der  Stunden  in  der  Woche  ist  168, 
7  mal  24.  Man  kennt  die  den  Chaldäern  zuge- 
schriebene auch  in  den  Keilinschriften  sich  fin- 
dende Rechnung,  wonach  jede  der  24  Zeitab- 
schnitte des  Tages  in  der  Benennung  der  sieben 
Wochentage  eine  Rolle  spielt. 

Wo  also  die  Juden  eine  Stunde  rechneten, 
nahmen  die  Chaldäer  10000  Jahre  an,  was  aller- 
dings das  ungeheuere  Verhältniß  von  1 :  86,400,000 
darstellt. 

Nimmt  man  nach  anderen  Keilinschriften  an, 
daß  die  Babylonier  auch  nach  Kasbu,  oder  Diho- 
rien  rechneten,  so  ändert  dies  in  der  Sache  gar 
nichts.  Wir  haben  nach  Hiucks  zwei  Inschrif- 
ten erklärt,   die  so  lauten: 

»Der  6te  (in  dem  andern  Text  sagt  14te) 
Nisan  sind  Tag  und  Nacht  gleich;  6  Kasbu  ist 
die  Nacht,  6  Kasbu  ist  der  Tag«. 

Herodot  sagt  bekanntlich  (II,  109)  die  Helle- 
nen hätten  von  den  Babyloniern  die  Stundenuhr, 
den  Guomou  und  die  zwölf  Theile  des  Tages  ge- 
lernt ;  ob  in  diesem  ^[lig«  das  Nychthemeron  zu 
verstehen  ist,  ist  nicht  deutlich;  dagegen  spricht 
die  von  Dio  Cassius  (37,  19)  überlieferte  Anord- 
nung der  sieben  Wochentage  ^). 

Das  Verhältniß  bleibt,  wie  gesagt,  dasselbe: 
der  biblische  Tag  ist  immer  240,000  chaldäischeu 
Jahren  gleich  geachtet. 

1)  Die  Zwölftheilung  des  Nychthemeron  hätte  fol- 
gende Reihe  der  Wochentage  gegeben :  Sonnabend,  Mitt- 
woch, Sonntag,  Donnerstag,  Montag,  Freitag,  Dienstag. 


205 

Die  Babylonier  begannen  die  Woche,  wie  wir, 
mit  dem  Sonntag*).  Hier  ist  aber  noch  ein 
Räthsel  zu  lösen:  denn  die  Entstehung  der  Wo- 
chentage deutet  klar  auf  den  Sonnabend  als 
Ausgangspunkt  hin.  Die  bis  jetzt  entdeckten, 
und  noch  nicht  gehörig  verstandenen  Fragmente 
der  Keilschriften,  welche  auf  diesen  Gegenstand 
sich  beziehen,  liefern  keine  Aufklärung  über 
diesen  Punkt. 


II.     Die  vorsintfluthliche  Zeit. 

Man  hat  nicht  auf  uns  gewartet,  um  heraus- 
zufinden, daß  zwischen  den  zehn  Patriarchen, 
von  Adam  bisNoah,  und  den  zehn  chaldäischen 
Königen  ein  Zusammenhang  bestehen  könne. 
Aber  das  wirkliche  Faktum  ist  immer  durch  das 
Bestreben  verdunkelt  worden,  in  den  biblischen 
Angaben  wirkliche  Geschichte  zu  finden.  Diese 
Tendenz  bestand  schon  im  Alterthnme,  wie  wir 
namentlich  bei  dem  dritten  Zeitabschnitte  zeigen 
werden ;  die  Aenderungen  des  hebräischen  Ur- 
textes durch  die  Septuaginta,  wie  durch  die  Sa- 
maritaner,  haben  keinen  anderen  Beweggrund 
gehabt.  Die  dem  Urheber  der  Zeitrechnung  an- 
gehörigen  Zahlen  sind  allein  *)  im  hebräischen 
Texte  erhalten. 

Dieser  nimmt  zwischen  Adams  Geburt  und 
der  Sintfluth  1656  Jahre  an,   die    den    432,000 

1)  Siehe  hierüber  meine  Üebersetzung  des  Haupt- 
textes  (W.  A.  J.  HI,  57)  in  Journal  asiatique  Dec.  1871 
p.  448. 

2)  Mit  vielleicht  einer  einzigen,  und  aach  nur  die 
Alterszahlen  betreffenden,  Gleichstellung:  Lamech  lebte 
nach  der  Bibel  777,  nach  der  LXX.  753  Jahre.  Hiervon 
später. 


206 

der  chaldäischeii  Sage  entsprechen.  Aber  diese 
Angaben  haben  einen  gemeinsamen  Theiler:  72, 
und  sie  verhalten  sich  wie  23  zu  6000. 

Warum  aber  23?  Weil  23  Jahre  ,  zu  365 
Tagen,  nebst  5  Schalttagen,  gerade  8400  Tage 
ausmachen :  8395  -|-  5  =  8400  (ganz  genau : 
8400^57).  8400  Tage  sind  aber  1200  Wochen, 
die  also  6000  chaldäischen  Jahren  gleichgesetzt 
werden. 

Wo  also  die  Chaldäer  5  Jahre,  das  ist  60 
Monate  oder  1  Soss  von  Monaten,  nahmen  die 
Juden  nur  eine  Woche  an. 

Die  Zahl  der  23  Jahre,  gleich  1200  Wochen, 
findet  sich  aber  noch  dreimal  in  den  biblischen 
Zahlen  wieder,  und  spielt  dann  eine  bedeutende 
Rolle  in  der  Summe  der  Alterszahlen.  Nachste- 
hende Liste  zeigt,  daß  man  die  Posten  weder  än- 
dern noch  umstellen  darf: 

Die  Zahlen  deuten  bekanntlich  die  Zeit  an, 
die  von  der  Geburt  des  Patriarchen  bis  zur  Er- 
zeugung'des  folgenden  verflossen  ist: 

Adam         130| 

Seth  105 

Enos  90  J460  =  20x23  =  24,000  Wochen 

Kainan         70 

Mahalaleel    65J 

Jared  162| 

Henoch         65f414  =  18  X  23  =  21,600  Wochen 

Methusalehl87' 

Lamech      182» 

Noah  (bis        1782  =  34  X  23  =  40,800  Wochen 

zur  Fluth)  600l 

Total  1656        =  72  X  23  =  86,400  Wochen 


207 


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CD 

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Diese  Abtheilung  in  verschiedene  Perioden 
war  durch  Legenden  begründet.  Denn  mit  dem 
ersten  Jahre  der  zweiten  Periode  erschien  das 
Seemonstrum,  das  unentgeltlichen  Unterricht  den 
Sterblichen  ertheilte.    Mit  dem  sechsten  Könige 


208 


beginnt  ebenfalls  eine  ganze  Reihe  von  solchen 
Erscheinungen,  und  wahrscheinlich  hat  die  Ge- 
schieh tserzählung  des  Berosus  selbst  alle  diese 
Mythen  genauer  auseinandergesetzt. 

Wir  wissen  natürlich  nichts  über  die  einst 
bestandenen  Legenden  der  biblischen  Urväter, 
brauchen  also  diese  augenscheinlich  vorsätzliche 
Trennung  der  fünf  ersten,  der  drei  folgenden, 
und  der  zwei  letzten  nicht  zu  erklären. 

Das  Verhältniß  der  in  diesen  Zahlen  der  Bibel 
und  des  Berosus  gegebenen,  ist  wie  1:260^728. 
Die  fractionäre  Proportion  leitet  sich  her  aus 
der  Substitution  von  5  Jahren  für  eine  Woche. 

Diese  Zahl  von  fünf  Jahren  entspricht  60 
Monaten,  oder  einem  Monatsoss.  In  den  griechi- 
schen Fragmenten  sind  die  babylonischen  Regie- 
rungen durch  Saren  von  3600  Jahren  gegeben, 
deren  jeder  bekanntlich  6  Neren  zu  600  Jahren, 
und  60  Sossen  zu  60  Jahren  enthält. 

Die  Worte  Sar,  Ner  und  Soss  bedeuten  nur 
die  Zahlen  3600,  600  und  60,  sie  können  sich 
auf  alle  zählbaren  Gegenstände  anwenden  lassen. 

Wir  wollen  des  Üeberblicks  halber  die  Rah- 
men, oder  die  Cadres,  um  den  französischen 
Ausdruck  zu  gebrauchen ,  auf  die  Einheit  redu- 
cirt,  in  beiden  Ueberlieferungen  zusammenstellen. 


Bibel 

1 

5^723 

2 

4^723 

3 

3«V23 

4 

3  V23 

5 

21723 

6 

7  V23 

7 

2^723 

8 

8  728 

9 

7^723 

10 

26  723 

20 


18 


34 


72 


Chaldäa 

6 

1,8 

7,8 

7,2 
10,8 

6 
10,8 

6 

4,8 
10,8 
72 


15,6 


18 


38,4 


209 

Die  drei  Perioden  theilen  sich  dann  so  ab: 
Bibel  Cbaldäa 

1.  Periode         20  15,6 

2.  »  18  18 

3.  y  34  38,4 

72  72 

Man  sieht  also,  dass  nur  die  Einzelheiten 
dieser  Zeitrechnung  verändert  sind :  in  dem  Rah- 
men haben  sie  denselben  Ursprung,  und  stim- 
men im  Ganzen  und  Großen  auch  in  den  ünter- 
abtheilungen  zusammen. 

Es  geht  ferner  aus  dem  Gesagten  hervor, 
daß  die  Zahlen  der  hebräischen  Bibel 
die  ursprünglichen  sind,  da  ja  nicht  vor- 
auszusetzen ist,  daß  die  Zahl  der  Uebersetzun- 
gen  im  Urtexte  gefälscht  sein,  um  sie  mit  einem 
ausländischen  System  in  Einklang  zu  bringen, 
und  namentlich  auch  die  Uebereinstimmung  äu- 
ßerlich keineswegs  leicht  zu  errathen  wäre. 

Wichtiger  für  die  Culturgeschichte  ist  aller- 
dings der  Umstand,  daß  das  ganze  biblische  Sy- 
stem zu  einer  Zeit  entstanden  ist,  wo  man  die 
wahre  Länge  des  Sonnenjahres  schon  ziemlich 
annähernd  erkannte. 


III.     Die  nachsintfluthliche  Legendenzeit. 

Schon  vor  mehreren  Jahren  hatte  der  Ver- 
fasser die  berosianische  Chronologie,  sowohl  die 
der  heroischen  Zeit,  als  auch  die  der  geschicht- 
lichen ,  einer  genaueren  Prüfung  unterworfen. 
Die  Resultate  sind  zuerst  im  Athenee  oriental 
1871  erschienen,  später  wiederholt  worden  in 
dem  Bericht  des  Brüsseler  prähistorischen  Con- 
gresses  1872,  und  in  den  Transactions  des  Lon- 
doner Orientalistencongresses    1874,    so   wie  in 


210 

einigen  andern  Schriften  ^).  Die  dort  ausgeführ- 
ten Auseinandersetzungen  erhalten  nun  ihre  da- 
mals ganz  ungeahnte,  unwiderlegliche  Bestäti- 
gung durch  die  biblischen  Zahlen. 

Aus  dem  armenischen  Eusebius  und  dem  Syn- 
cellus  ist  bekannt,  daß  die  mythische  Zeit  nach 
Cyclen  gerechnet  39,180  Jahre  umfaßte.  Nach 
der  Sintfluth  regierten: 

Evechoos  .     .     4  Neren  =  2400  Jahr 

Chomasbelus      4  Neren  5  Sossen  =  2700     » 
86  andere  chal- 
däische  Könige 

während  9  Saren, 2  Neren,  8  Sossen  =34080     » 

39180     » 
Diese  Zahl  zerlegt  sich  so: 

12  Sonnen  Perioden  zu  1460  Jahren  =  17520  J. 
12  Lunarperioden  zu     1805       »       =  21660    » 

Total    =  39180    » 

Die  Chaldäer  kannten  natürlich  die  Sothis- 
perioden  vor  1460  Jahren  (4  X  365),  in  wel- 
cher ein  Datum  des  vagen  Jahres  von  365  Ta- 
gen durch'  alle  Jahreszeiten  rückwärts  laufend, 
wieder  auf  den  ursprünglichen  Stand  zurück- 
kehrt. Diese  Periode  hat  denselben  Ausgangs- 
punkt in  Aegypten  wie  in  Babylon. 

Die  Periode  von  1805  Jahren ,  oder  22,325 
synodischen,  24,227  dracouitischen  Monaten  war 
eine  der  Apokatastasen,  oder  ordines  ab  integro, 
von  der  die  Alten  reden.  Nach  1805  Jahren 
kehren  die  Finsternisse  in  derselben  Folge  wie- 
der, und  diese  Thatsachen  konnten  die  Babylo- 
nier  wohl  durch  Beobachtung,  aber  nicht  durch 
Rechnung  erkannt  haben. 

1)  z.  B.  im  Convers.-Lex.  Art.  Babylon,  Assyrien,  in 
den  Reoords  of  the  Fast,  vol.  YII  u.  s.  w. 


211 

Eine  solche  Periode  ging  unter  Sargons  Re- 
gieruug  im  Jahre  712  vor  Chr.  za  Ende*).  Die 
ägyptische  Sothisperiode  schloß,  nach  Censori- 
uus,  mit  dem  20.  Juli  139  nach  Christo,  unter 
dem  zweiten  Consulat  des  Antoniuns  Pius,  und 
des  Bruttius  Praesens. 

Beide  Cyclen  haben  ihren  gemeinsamen  Ur- 
sprung in  einer  sehr  entlegenen  Periode,  das  ist 
11,542  vor  Christo,  wie  aus  folgender  Rechnung 
hervorgeht. 

Aegypten  (1460  Jahr)     Chaldäa  (1805  Jahr) 
139  nach  Chr.  712  vor  Chr. 

1322     >         »  2517     >       » 

2782     *        »  4322     »       » 

4242     *         *  6127     ^       » 

5702     >         »  7932     »       » 

7162     »         »  9737     »       > 

8622     »         »  11542     »       » 

10082     »         » 
11542     »         » 

Zu  dieser  Zeit  muß  man  in  einem  südlichen 
Lande,  wo  wegen  des  Vorrückens  der  Nacht- 
gleichen der  Sirius  allein  sichtbar  war,  den  sonst 
kaum  erkennbaren  Stern  während  einer  totalen 
Sonnenfinsterniß  gesehn  haben ;  und  an  dieses, 
in  dem  Gedächtniß  der  Menschen  verbleibende 
Phänomen  schloß  mau  später  die  beiden  Perio- 
den an. 

Mit  dem  Jahre  2517  endet  nun  die  nach 
Cyclen  gerechnete  Zeit;  dieses  Datum  trifft  fast 
genau  zusammen  mit  der  in  eine  vollständig  hi- 
storische Epoche  fallende  Einnahme  Babylons 
durch  die  sogenannten  Meder  des  Berosus.  Ge- 
nau fiel  dieses  Ereigniß  11  Jahre  später,  in  das 

1)  Siehe  meine  Rec.  of  the  Past.  VII,  p.  23  de 
großen  Inschrift  p.  154  und  Dur>Sarkayau  p.  37. 


212 

Jahr  2506,  da  hier  Ensebius  34091  Jahre  au- 
giebt^),  nach  den  5100  Jahren  der  beiden  er- 
sten Könige. 

Als  Datum  der  Sintfluth  nahmen  die  Chal- 
däer  also  41,697  v.  Chr.  an. 

Wenn  man  nun  diese  Zahl  39,180  und  ihre 
beiden  Elemente  in  Sosseu  ausdrückt,  so  findet 
man: 

17,520  Jahr  =  292  Sossen 
21,660     »      =361       » 
39,180  Jahr  =  653  Sossen. 

Man  wolle  sich  die  Zahlen  merken: 
Zwei  Hundert  zwei  und  neunzig, 
Drei   Hundert    ein    und    sechszig,    und    ihre 
Summe : 

Sechs  Hundert  drei  und  fünfzig. 

1)  Im  Texte  des  Eusebius  steht  33091,  Syncellus  hat 
34090,  und  giebt  dazu  die  Erklärung  durch  9  Saren,  2 
Neren  und  8  Sossen,  was  34080  macht.  Man  hat,  frei- 
lich durch  die  jetzige  corrupte  Fassung  des  Textes  ent- 
schuldigt, die  letzte  Zahl  irrig  für  die  Gesammtzahl  ge- 
nommen, was-  schon  gegen  die  überall,  wie  auch  im  Be- 
rosus  befolgte  Art  der  Aufzählung  ist.  Entweder  giebt 
man  die  Posten  allein  an,  oder  die  Summe  allein,  oder 
alle  Posten  und  die  Summe  zusammen.  Aber  niemals 
wird  man  erst  zwei  Posten  2400,  2700,  darauf  die  Ge- 
sammtzahl 34091  aufführen,  und  endlich  den  dritten 
viel  wichtigeren  Posten,  das  wäre  28,991  verschweigen. 
Wenn  also  2400,  2700  und  34091  sich  hintereinander 
finden,  so  müssen  sie  addirt  und  die  beiden  ersten 
dürfen  gar  nicht  von  der  letzten  subtrahirt  werden.  Die 
ganze  Aufzählung  des  Berosus  besteht  nun  aus  einzelnen 
gar  nicht  in  der  Summe  gegebenen  Posten ,  deren  sich 
ja  noch  sechs  finden.  Außerdem  ist  ja  die  Summe  von 
5100  nöthig,  um  die  470,000  des  Cicero,  die  ganz  ge- 
nauen 473,000  des  Diodor  bis  Alexander  (II,  31)  hervor- 
zubringen; sonst  bekäme  man  nur  468000  Jahre.  Die 
ganze  Rechnung  wird  aber  noch  durch  die  biblischen 
Zahlen  bestätigt. 


213 

Wenden  wir  uns  jetzt  zur  Bibel,  und  den 
hebräischen  Zahlen  der  nachsintfluthlichen  Pa- 
triarchen. 

Man  rechnet  von  der 
Sintfluth  bis  zur  Gebi 
Von  da       »     »         » 


»  >     » 

»  »     » 

»  »     » 


ies 

Arphaxad 
Salah 

2  Jahr 
35     > 

Eber 

30     > 

Peleg 
Reu 

34     » 
30     » 

Serug 
Nahor 

32     » 
30    » 

Terah 

29     » 

Abraham 

70    » 

292  Jahr 

Also  von  der  Sintfluth  bis  auf  Abrahams 
Geburt : 

Zwei  Hundert  zwei  und  neunzig  Jahr. 
Man  rechnet  ferner: 
Von  Abrahams  Geburt  bis  auf  Isaaks  Geb.  100  J. 
Von  Isaaks  Geburt  bis  auf  die  Jacobs  60  » 

Von  Jacobs  Geburt  bis  auf  die  Josephs^)    91  » 
Alter  Josephs HO  > 

361  J". 

Also  von  Abrahams  Geburt  bis  zum  Ende 
der  Genesis: 

Drei  Hundert  ein  und  sechszig  Jahr. 

Die  ganze  Zeit  also  von  der  Sintfluth  bis 
auf  Josephs  Tod  ist: 

Sechs  Hundert  drei  und  fünfzig  Jahr. 

Diese  üebereinstimmung  bedarf  keiner  wei- 
teren Worte  ^);  die  Zahlen  sprechen  laut  genug. 

1)  Jacob  war  zur  Zeit  des  Einzugs  in  Aegypten 
130  Jahr  alt  und  Joseph  39  (Gen.  41,  46,  47,  48.  45,  6. 
47,  9). 

2)  Man  bemerke,  daß  hier  keine  Primzahlen  sind 
wie  2,  3,  5,  7,  sondern  73,  19,  653,  die  sich  nicht  hin- 
eindemonstnren  lassen,  wenn  sie  nicht  da  sind. 


214 

Wo  also  die  Chaldäer  5  Jalire  rechneten, 
zählte  man  in  der  Bibel  nicht  mehr  eine  Woche, 
wie  in  der  vorsintfluthlichen  Periode,  sondern 
einen  Monat,  oder  auf  einen  Soss  ein  Jahr. 

Es  erklärt  sich  nun  auch,  warum  aus  dieser 
Annahme  von  292  Jahren  für  die  erste  Periode, 
die  schon  im  Alterthum  bekannte  Anomalie  ent- 
stand, daß  alle  Patriarchen,  Noah  eingerech- 
net, Zeitgenossen  Abrahams  und  seiner  Söhne 
wurden.  Die  Siebenzig,  wie  die  Samaritaner 
und  Josephus  haben  dem  Unglaublichen  dadurch 
abzuhelfen  gesucht,  dass  sie  alle  Zwischenräume 
zwischen  den  Geburten  um  je  100  Jahre  ver- 
größerten. Diese  Fälschung  der  ursprünglichen 
Zahlen  hatte  aber  Josephus  vergessen,  als  er 
(Ant.  I,  5,  6)  292  Jahre  zwischen  der  Sintfluth 
und  Abrahams  Geburt  angab. 

Die  hebräischen  Zahlen  sind  somit  die  ur- 
sprünglichen; sie  sind  aus  derselben  Quelle  ge- 
flossen, aus  der  die  chaldäische  Cyclenrechnung 
entstanden  ist.  Sie  sind  augenscheinlich  festge- 
stellt, ehe  die  Ziffern,  die  das  Alter  der  Patriar- 
chen angeben,    hinzugefügt  wurden. 

Die  Zahlenreihen  verhalten  sich ,  wie  gesagt, 
wie  1  :  60.  Der  Entstehung  derselben  wegen 
kann  aber  als  Einheit  nicht  weniger  als  1460 -f- 
1805  =  3265  angenommen  werden,  die  die  He- 
bräer auf  ein  Fünftel  reducirten,  während  die 
Chaldäer  sie  um  das  Zwölffache  vergrößerten. 


IV.     Die  Altersangaben. 

Außer  den  Zahlen  die  den  Zwischenraum 
zwischen  den  Epochen  darstellen,  finden  sich  in 
der  Genesis  bekanntlich  auch  die  Bestimmungen 
des  Gesammtalters ,  welches  die  Patriarchen  er- 


215 

reichten.  Anch  über  diese  Zahl?n  besteht  eine 
ganze  Litteratnr. 

Meine  Ansicht  ist ,  daß  so  lange  wir  nicht 
die  Ziffern  besitzen,  die  einst  den  biblischen  Al- 
tersaugaben in  den  chaldäischen  Sagen  entspre- 
chen, wir  kein  endgültiges  Urtheil  über  das  We- 
sen derselben  fällen  dürfen:  aus  welchen  Zahlen 
die  Summen  arithmetisch  zusammengesetzt  sind, 
ist  eben  so  leicht  zu  wissen,  als  in  Faseleien 
über  diese  Zahlen  zu  verfallen. 

Die  zehn  vorsintfluthlichen  Patriarchen  ha- 
ben zusammen  8575  Jahre  gelebt,  das  ist  25  X 
343,  oder  das  Quadrat  von  5  multiplicirt  mit 
dem  Cubus  von  7;  aber  was  nützt  uus  das, 
wenn  wir  nicht  wissen,  woher  die  Zahl  kommt? 

Die  neun  Patriarchen  nach  der  Sintfluth  von 
Sem  bis  Terah  ist  nach  den  Zahlen  der  Bibel 
2998,  die  von  Arphaxad  bis  Jacob  2898,  das 
ist  23  X   126,  oder  2.  3*.  7.  23. 

Abraham,  Isaak  und  Jakob  lebten  zusammen 
502  Jahre,  mit  den  andern  nenn  giebt  dieses 
3500. 

Nach  einer  andern  Fassung  ist  das  Alt^r 
Sems  von  der  Sintfluth  ab  gerechnet,  502, 
nicht  602  Jahr:  dann  hätte  man  nur  3400,  das 
ist  17  mal  200  Jahr. 

Die  Siebenzig  haben  fast  dieselben  Ziffern; 
nur  scheint  eine  doppelte  Urredaction  sich  für 
eine  Zahl  erhalten  zu  haben,  das  ist  das  Alter 
Lamech,  Vater  Noah,  der  laut  dem  hebr.  Texte 
und  bei  Josephus  777  Jahr,  nach  den  Siebenzig 
aber  nur  753  Jahr  lebte.  Hier  könnte  man  al- 
lerdings als  die  schwerere  Lesart  die  der  Sieben- 
zigansehen ,  und  die  sieben  Hundert  sieben  und 
siebenzig  aus  der  Analogie  der  sieben  und  sieben- 
zigfältigen  Rache  ob  des  Mordes  des  andern  La- 
mechs,  Kains  Nachkommen,  herleiten  (Gen.  4,  24), 


216 

Dann  würden  die  vorsintfluthlichen  Patriar- 
clien  nur  8551,  oder  17  mal  503  Jahr  ausma- 
chen, und  die  aller  Patriarchen  Jacob  inbegrif- 
fen 11,951  oder  17  X  703,  d.  i.  17  X  19  X 
37  Jahr. 

Diese  Zahl  aber  kann  eine  der  Apokatasta- 
sen  sein,  von  der  die  Alten  reden,  die  auch  zum 
Theil  als  Phönixperioden  aufgeführt  werden. 
Um  ein  merkwürdiges  Zusammentreffen  indessen 
nicht  zu  verschweigen,  wollen  wir  den  ganzen 
Zeitraum  feststellen,  den  die  Chaldäer  zwischen 
der  Schöpfung  und  der  historischen  Zeit  annah- 
men.    Wir  haben: 

Die  Schöpfungszeit  1,680,000  Jahr 

Die  vorsintfluthliche  Zeit  432,000  » 
Die  nachsintfluthliche  Zeit  39,180  » 
Total  der  mythischen  Zeit  2,151,180  Jahr. 

Diese  Zahl  ist  zu  zerlegen  in  2^.  3^.  5.  17. 
19.  37.,  d.  i.  gerade  180  mal  die  oben  genannte 
Zahl:  eilf  Tausend  neun  Hundert  und  ein  und 
fünfzig. 

Wir  durften  auf  jeden  Fall  diese  Coi'ncidenz 
nicht  verschweigen.  Die  Zahl  180  ist  auch  keine, 
die  auf  einen  Zufall  schließen  läßt,  sondern  mehr 
oder  weniger  auf  eine  Absicht;  vielleicht  ist  die 
Zahl  11,951  weiter  nichts  als  eine  Reduction  der 
angegebenen  2,151,180. 

Aehnliche  Zahlen  finden  sich  auch  anderswo. 
Cicero  (beiTacitus,  Dial.  c.  16)  setzte  das  große 
Jahr  auf  12954  Jahr,  und  Solinus  führt  dieselbe 
Zahl  als  Phönixperiode  an.  Auch  diese  Ziffer  ist 
durch  17  theilbar,  und  17x762;  sie  ist  von  der 
bibl.  Summe  um  1003,  d.  i.  17x59  verschieden. 
Die  Ziffer  59  ist  eine  Lunarzahl.  Was  17  an- 
belangt, welches  in  so  vielen  Zahlen  erscheint  ^), 

1)  In  den  Altersangaben  der  ersten  Patriarchen  z.B. 
Methuselah  969  =  187  +  782,  d.  i.  17  mal  57  =  11 


217 

so  mag  der  Cyclns  von  17  Jahr  eine  Wieder- 
kehr des  Merkur  und  des  Mars  bedeuten,  da 
in  dieser  Zeit  jener  70  mal,  dieser  9  mal  um  die 
Sonne  kreisend ,  beide  auf  denselben  Punkt  zu- 
rückkommen. Dies  ist  ein  plausibler  Grund;  es 
kann  aber  noch  einen  andern  geben,  an  den  wir 
nicht  denken.  Die  Planetencyclen  anwenden  zu 
wollen,  wären  auch  brodlose  Künste.  Uns  genügt 
darauf  hingewiesen  zu  haben,  daß  die  Gesammt- 
zahl  11,951  aus  2,151,180  durch  Division  mit 
180  entstanden  sein  kann. 

Doch  darf  auch  hier  nicht  außer  Acht  ge- 
lassen werden,  daß  in  dieser  Rechnung  Sems 
Jahre  nur  von  der  Siutfluth  ab  berechnet  wer- 
den. Zählt  man  diese  zu  dem  Hauptfacit  hinzu, 
so  bekommt  mau,  indem  man  sich  strikt  an  die 
hebräischen  Ziffern  hält,   für 

das  Alter  der  zehn  vorsintfluthlicheu  Pa- 
triarchen   8575 

das   Alter    der    zwölf   nachsintfluthlichen 

Patriarchen 3500 

Und  in  Summa         12075 

Auch  diese  Zahl  ist  nicht  zufällig,  sondern 
3.  5^.  7.  23 ;  wendete  man  also  auf  sie  die  Um- 
wandlung 23:6000  an,  so  würde  mau  auf  3,150,000 
oder  315  Myriaden  kommen,  entsprechend  630,000 
oder  9  mal  70,000  Wochen. 

Aber  die  biblischen  ZiflFern  haben  auch  ih- 
ren vollkommenen  Grund;  denn  12075  ist  35 
mal  345,  und  345  ist  der  Unterschied  zwischen 

+  46 ;  die  Zahl  969  =  3  x  17  x  19  verhält  sich  also 
zu  11,951  wie  3  zu  37,  und  ist  in  den  2,151,180  Jahren 
2220  mal  enthalten.  Vergleiche  auch  Lamechs  biblische 
Zahlen  595  =  35  x  17  und  andere. 

19 


218 

1460  und  1805.  Die  Eclipsenperiode  wurde  also 
augesehen  als  eine  Sothisperiode  vermehrt  um 
18000  Wochen. 

Dieser  Lunarcyclus  von  1805  findet  sich  aber 
geradezu  wieder,  wenn  man  Josephs  Alter  hinzu- 
zählt, denn  dann  erhält  man  für  die  Zeit  aller 
uachsintfluthlichen  Patriarchen  3610  Jahr,  das 
ist  zwei  Lunarperioden. 

Man  sieht  also ,  daß  diese  rein  hebräische 
Rechnungsweise  ebenfalls  ihre  strenge  Begrün- 
dung hatte  und  auf  einer  ganz  durchgearbeite- 
ten ,  von  der  ersten  verschiedenen  Systematik 
beruht.  Es  bestanden  höchst  wahrscheinlich  meh- 
rere Systeme,  von  denen  das  eine  sich  durch  die 
Zahl  753  derSiebenzig  erhalten  hat,  das  andere 
durch  die  hebräische  Bibel  dargestellt  wird. 
Und  somit  wird  klar  sein,  daß  die  Altersziffern 
erst  später  zu  den  Geschlechtszwischenräumen 
hinzugefügt  wurden  und  von  diesen  ganz  unab- 
hängig sind.  So  mögen  sich  die  schon  im  Al- 
terthum  anstößig  gewordenen  Schwierigkeiten 
ihrem  Ursprünge  nach  erklären. 

Wir  setzen  zur  Uebersicht  die  beiden  Rei- 
hen her. 


219 


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^tObOtCrf».rf>-*-C.T^-<lOC<5^0000*,0 
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3- 

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220 

Das  erste  ist  also  der  ISOste  Theil  der 
2,151,180  Jahr,  und  verhält  sich  zum  Alter  des 
ältesten  Menschen  wie  37 :  3.  Es  theilt  die  Pa- 
triarchen ab  in  die  zehn  vorsintfluthlichen  und 
die  zwölf  uachsintfluthlichen. 

Das  zweite  System  theilt  die  eilf  vor  der 
Fluth  lebenden  in  zwei  Gruppen  von  4  und  7, 
und  macht  eine  andere  Gruppe  aus  den  eilf 
nach  der  Fluth  geboreneu :  was  in  Wochen  ist : 
Vor  derSintfluth  4: 190800  Wochen  7ß^7n^oA 
»       »         »  7:288000       »         ^^Xf^X^^ 

Nach  »         » 11: 151200       »        24x70x90 

Summa     630000       »  =100x70x90 

Auf  die  einzelnen  Posten  einzugehen,  wäre 
vergebliche  Arbeit. 

V.    Mögliche  Folgerungen. 

Die  Geburt  Abrahams  bildet,  wie  wir  gesehn, 
einen  Zeitabschnitt ,  der  chronologisch  fingirt 
wurde.  Ein  anderer  Beweis  liegt  in  der  Auf- 
zählung folgender  Daten  vor,  die  sich  an  den 
Salomonischen  Tempelbau,  als  die  erste  wirklich 
zeitlich  bestimmte  Periode  anschließen. 

Wir  haben  nämlich : 
Von  Abrahams   Geburt    bis    zu 

Isaaks  Geburt 100  Jahre 

Von  da  bis    auf  Jacobs  Geburt  60      » 

Von    da    bis    zum    Einzüge    in 

Aegypten 130      » 

Von  da  bis  zum  Auszuge     .     .         430      » 
Von  da  bis  zum  Tempelbau     .         480      » .. 
Also  von  Abrahams  Geburt  bis 

zum  Tempelbau 1200  Jahre 

Es  wäre  ferner: 
Vom  Tempelbau  bis  zur  Sintfluth  1492  Jahre. 


221 

Da  jetzt  mit  Gewißheit  auzuuehmen  i^i,  Jaß 
der  Salomonische  Tempelbau  im  Jahr  1014  v. 
Chr.  stattgehabt  hat,  00  würde  der  Urheber  der 
Chronologie  der  Genesis  die  Sintflnth  in  das 
Jahr  2506  v.  Ch.  gesetzt  haben. 

Nun  fällt  aber  der  Anfang  des  babylonischen 
Lunarcyclus  auf  2517  (712  +  1805).  Dieser 
traf  beinahe  bis  auf  1 1  Jahr,  mit  dem  ersten  hi- 
storischen Ereignisse  zusammen ,  das  einer  voll- 
kommen bekannten  Zeit  angehört,  da  das  Jahr 
2283  V.  Chr.  ja  von  Assurbanhabal  angegeben 
wird.  Die  wirkliche  Zeit  die  von  der  Sintfluth 
bis  auf  die  Einnahme  Babylons  durch  die  Meder 
verflossen  ist,  ist  aber  nicht  39,180  (5100  -|- 
34,080),  sondern  39,191  (5100  +  34,091)  Jahr^). 
Es  fällt  also  die  biblische  Zeitrechnung  der 
Sintfluth  zusammen  mit  dem  Ausgangspunkte 
wirklicher  Geschichte  in  Babylon,  d.  i.  auf  das 
Jahr  2506  v.  Chr. 

Ist  dieses  ein  Zufall?  Aus  mathematischen 
Gründen  wage  ich  nicht,  das  Gegentheil  zu  be- 
haupten. Denn  ist  dieser  Ausgangspunkt  ab- 
sichtlich gewählt,  so  wäre  die  Zahl  zwölfhundert 
des  Zwischenraums  zwischen  Abrahams  Geburt 
und  dem  Tempel  allerdings  nur  ein  zufälliges 
Zusammentreffen.     Diese  Zahl  könnte  absichtlich 

1)  So  erklärt  sich  denn  auch  warum  bei  der  Herr- 
schaft der  Meder  eine  doppelte  Angabe  vorliegt,  234 
und  224  Jahre.  Der  streng  geforderte  Unterschied  der 
überflüssigen  Einheit  (richtiger  könnte  223  sein)  darf  uns 
bei  wirklicher  Zeitrechnung  nicht  aufhalten,  wenn  die  Dy- 
nastie eben  zwischen  223  und  224  Jahren  regiert  hat. 
Da  nun  das  Jahr  2283  v.  Chr.  (648  -f  1635)  nach  den 
Annalen  Assurbanhabals  feststeht,  bezieht  sich  234  auf 
den  Zwischenraum  vom  Cyclusbeginn  ab,  und  224  auf 
den  von  dem  wirklichen  Ereigniß  an.  Daß  auch  die 
zweite  Dynastie  224  Jahre  herrschte,  ist  anderswo  nach- 
gewiesen. 


222 

scheinen,  obgleich  dieses  nicht  erwiesen  ist. 
Denn  der  Zwischenraum  von  480  Jahren  zwi- 
schen dem  Auszuge  und  dem  Tempelbau  kann 
so  gut  historisch  sein,  wie  das  Intervall  von 
1000  Jahren  (814 — 1814)  zwischen  dem  Regie- 
rungsende Karls  des  Grossen  und  dem  Napoleons. 
Die  eigentliche  Kritik  dieser  Zahlenverhältnisse 
besteht  darin ,  daß  mau  das  Absichtliche  vom 
rein  Zufälligen  zu  unterscheiden  weiß. 


VI.     Schluß. 

Die  Genesis  stellt  also  die  vorchronologische 
Zeit  der  biblischen  Geschichte  dar.  Wir  sagen 
absichtlich,  der  biblischen  Geschichte.  Wenn- 
gleich ohne  Feststellung  der  zeitlichen  Verhält- 
nisse, bietet  doch  das  erste  Buch  des  Peutateachs 
eine  Reihe  von  Mittheilungen  der  kostbarsten 
Art  dar,  und  manche  der  darin  enthaltenen  Ur- 
kunden wären  unersetzlich,  wenn  wir  sie  nicht 
besäßen.  Aber  der  zeitgeschichtliche  Rahmen 
ist  von  andern  Völkern  entlehnt  und  wenn  auch 
im  Ganzen  und  Großen  die  Zahlen  des  letzten 
Theils  der  Genesis  mit  der  Wirklichkeit  nahe 
zusammentreffen  sollten,  so  ermangelt  doch  dieses 
Buch  ebenso  sehr  einer  wahren  Chronologie,  als 
das  Gegentheil  hiervon  von  der  Zeit  der  Könige 
zu  beweisen  ist. 

Von  ungleich  folgenschwererer  Bedeutung,  als 
diese  Negation  es  sein  kann,  ist  aber  der  unab- 
weisbare Schluß,  der  aus  der  vorstehenden  Aus- 
führung auf  das  hohe  Alter  menschlicher  Gesit- 
tung zu  ziehen  ist.  Ernste  Männer,  von  wah- 
rem Wissenschaftsgeist  beseelt,  wie  Hipparch 
von  Alexandrien  *),  setzten  das  ungeheure  Alter- 

1)  ProcluB  im  Tim.  p.  31,  c. 


223 

tham  chaldäischer  Beobachtungen  außer  Zweifel, 
und  diese  Ansicht  ist  durch  die  ganze  Eutwicke- 
tung  der  Zahlen  der  Genesis  vollständig  bestä- 
ligt.  Mögen  immerhin  die  Myriade nzahleu  über- 
trieben sein:  eine  Thatsache  steht  unangefoch- 
ten fest.  Die  Chaldäer  kannten  die  Luuarpe- 
rioden  von  1805  Jahren;  aber  durch  Rechnung 
hatten  sie  dieselbe  nicht  zu  erfinden  vermocht. 
Nur  durch  lange  während  Jahrtausende  fortge- 
setzte Beobachtungen  und  durch  periodische  Auf- 
zeichnungen derselben  konnte  das  Volk  im  Eu- 
phratthal  zu  diesem  Resultate  gelangt  sein.  Die 
Berichte  der  Alten  über  die  fabelhaft  klingen- 
den Zeiträume  sind  also,  was  also  die  Sache 
selbst  anbelangt,  nicht  ganz  in  das  Reich  der 
Mährchen  zu  versetzen. 

Ist  auch  die  Geschichte  jung,   die  menschli- 
che Gesittung  ist  uralt 

Paris,    März  1877. 


üeber   die  Identität 
fl/I'  — f  dz , 


l  . 


1/A-^  -  h  dz _  Q 

\y{z-l){z-V){z--kY{z~lc'y 


J.  Thomae  in  Freiburg  i.  Er. 

In  meiner  Monographie   ȟber  eine  specielle 
Klasse  Abelscher  Functionen.     Halle  bei  L.  Ne- 


224 


bert«,  habe  ich  mittelst  Eigenschaften  der  The- 
tafunctionen  die  Gleichheit  der  beiden  Integrale 
erwiesen 


CyV-t  d0  _       Cy¥  —  k  dz 


worin 

sss  —  P:^,  «gg  =  ^:P,  P  =  (^-Z;)(^  — Ä^), 

^  =  (^-f)(^~f^) 

ist.  Diese  Identität  soll  hier  direct  durch  die 
Mittel  der  Integralrechnung  bewiesen  werden. 
Setzen  wir  hierzu 


if  =  ^'  p  =  ^' 


kl  k 


dz 
«P 


so  sind  die  Periodicitätsmoduln  der  überall  end- 
lichen Integrale 


w  =  fdz'.s"^,    \s>  =  fdz\9>V 

k  k 

bez.  lineare  Functionen   von  A^   B  und 
Hieraus  folgt,  daß  die  Determinanten 


A, 
B, 


dw  d^w 

dk'  W 

dA  d'^A 

'Wc  d¥ 

dB  d^B 

W  d¥ 


dxä 

d'XD 

dJc 

dk^ 

d% 

dm 

dJc 

dk' 

dS8 

d'^SÖ 

dk 

dk^ 

=  T) 


225 


einwerthige,  also  rationale  Ftmctionen  von  s  und 
e  sind.      Betrachten    wir  die  zweite  ®  ,    so    be- 

5 

merken  wir,  daß  sie  im  Puncte  wie  {z — k)  ^ 
unendlich  wird,  und  in  den  Punkten  k^,  f,  V  ver- 
schwindet, weil  dort  das  Integral  Werthe  hat, 
die  lineare  Functionen  von  31  und  Sß  sind.  Hier- 
nach ist  !D  in  der  Form  enthalten 


3^  = 


E.&^e-k')-\-F.9{j3-k') 


Entwickelt  man  aber  T)  nach  Potenzen  von  2 — k 
indem  man  lo ,  dto  :  dk  df*© :  dk^  entwickelt ,  so 
folgt  sofort 


s — fc 

also  ein  Glied  {z  —  k)  ^  kommt  nicht  vor,  und 
die  Constante  F  muß  nothwendig  Null  sein, 
so  daß 

3^  =  E.&^z  —  k^):(z--k) 

zu  setzen  ist.  Schreiben  wir  nun  weiter  P'  für 
dP:dz,    ^'  für  d^idz 


W   dk^ 

dSÖ    d^SÖ 
'dk'   dF 


=  E.L, 


d^ 
dJ^' 


«, 


E.][A% 


d^ 
~dk 

dSÖ 


=E.N, 


so  erhalten  wir  die  Gleichung 


226 

und  durch  Differentiation  derselben  nach  z  und 
Multiplication  mit  9(^  —  ky^P  zur  Bestimmung 
der  Coefficienten  die  Gleichung 

und  durch  wiederholtes  Differenziren  hieraus 
6ilf+18i^(0— Ä;)  =  9^'(Ä;i  — Ä;)+12(P-^), 
lSN  =  18(¥  —  k)  4.12(!  +  !^— Ä—Ä;^), 
woraus  fließt: 

i=3(f-Ä)(fl--^)(Äl_/fc),   Jf=|(2Ä  — f  — fi) 

~2(!— Ä;) (!»-Jfc),  N=  ¥—Jc-{-  |(f  +  fi—Ä—Z;»), 
so  daß  wir  die  Differentialgleichung  erhalten 

-\-[W'—^)+i{'t+t'-k-k')\xo=29^{0—k^]:S[js-k) 

Aus  der  Determinante  D  läßt  sich  auf  ganz 
gleiche  Weise  eine  Differentialgleichung  für  w 
herleiten ,    was    bereits  in   der  oben   erwähnten 


227 

Monographie    auf  Seite    27   geschehen   ist.     Sie 
lautet 

Die  Losungen  der  reducirten  Gleichungen 

G  =  0,    ®  =  0 
sind  bez. 

w  =  aÄ-{-ßB,     tt)  =  y214-d©. 

Nun  wird  aber  die  Gleichung  (?  =  0  in  die 
Gleichung  ®  =  0  durch  die  Substitution 

wie    man    sich    durch    Ausrechnung   überzeugt, 
übergeführt,  und  es  muß  demnach 


yF^-kSd  =  nyV^A-^e  y¥^B 

&in,  worin  l  m  n  o  von  k  und  wegen  der  Sym- 
letrie  auch  von  t ,  V ,  k^  unabhängig  sind. 

Läßt  man  k  auf  !  fallen,  so  werden  B  und 
\Sd  unendlich,  läßt  man  k^  auf  f  fallen ,  so  wer- 
[den  A  und  S  unendlich,  woraus  folgt,  daß  in 
und  n  Null  sind,  und  also  ist 


228 


Die  Constanten  t  und  o  sind  numerische. 
Um  t  auszuwerthen  lassen  wir  7c  mit  t  zusam- 
men fallen,  nachdem  wir  vorher  die  Grenze  und 
den  Integrationsweg  durch  eine  Schlinge  um  k  t 
herum  ersetzt  haben.  Durch  Anwendung  des 
Cauchy'schen  Satzes  erhält  man  dann  für  l  eine 
sechste  Wurzel  der  Einheit.  Denkt  man  sich  die 
Je  t  k^  V  reell  und  der  Grösse  nach  wie  sie  hier 
stehen  geordnet  und  werden  die  dritten  Wurzeln 
s  und  i  zwischen  k  und  t,  also  auf  dem  Inte- 
grationswege reell  genommen,  so  ist  alles  reell, 
öP  negativ  s^  positiv  und  also  ist  für  die  sechste 
Wurzel  der  Einheit  die  Eins  zu  wählen.  Damit 
ist  die  Gleichung 


yk  —  kd^      Cyi  —  td0 
8.P       "^1      s.«ß  ~" 


=  0 


erwiesen. 


Ilniyersität. 

Der  bisherige  Privatdocent  in  der  theologi- 
schen Facultät  Lic.  theol.  Bernhard  Du  hm  ist 
zum  außerordentlichen  Professor  in  der  theologi- 
schen und  der  Privatdocent  in  der  medicinischen 
Facultät  Dr.  med.  Julius  Rosenbach  zum  au- 
ßerordentlichen Professor  in  der  medicinischen 
Facultät  der  hiesigen  Universität  ernannt. 


229 

Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


23.    Mai.  M  11.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wisseaschafteo. 

Oeffentliche  Sitzung  am  30.  April. 

Zur  Feier  der  hundertsteu  Wiederkehr 
von   Gauß  Geburtstage. 

Die  Königliche  Gesellschaft  hatte  zur  Gauß- 
feier  die  auswärtigen  Mitglieder  und  die  Corre- 
spondenten  ihrer  mathematischen  Classe  einge- 
laden. 

Die  öffentliche  Festsitzung  fand  in  dem  Pro- 
motions-Saale der  Aula  statt  und  begann  11  Uhr 
Morgens.  Sie  wurde  von  dem  derzeitigen  Vor- 
sitzenden der  Gesellschaft,  dem  Herrn  Prof.  Wü- 
stenfeld eröffnet.  Derselbe  bewillkommnete  die 
zahlreich  erschienenen  auswärtigen  Gäste,  er- 
theilte  sodann  dem  Herrn  Prof.  Dr.  Borchardt 
das  Wort,  und  dieser  verlas  die  Begrüßungsschrift 
der  Königlichen  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Berlin : 

»An  die  Königliche  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen. 

>Mit  freudiger  Theilnahme  begrüßen  wir  die 
Königliche  Gesellschaft   der  Wissenschaften    bei 

21 


230 

der  Feier  des  Tages,  an  dem  vor  hundert  Jahren 
der  außerordentliche  Mann  geboren  wurde,  des- 
sen unvergleichliches  Genie  als  unmittelbare 
Zeugin  seines  Schaffens  zu  bewundern  fast  fünf 
Decennien  lang  unserer  Schwester-Akademie  ver- 
gönnt gewesen  ist. 

»CARL  FRIEDRICH  GAUSS  ist  von  den  Zeitgenos- 
sen Princeps  Mathematicorum  genannt  worden, 
und  die  Geschichte  wird  seinen  Anspruch  auf 
diesen  Namen  bestätigen.  In  höherem  Maße 
als  irgend  einen  der  großen  Geometer  der  letz- 
ten beiden  Jahrhunderte  kennzeichnet  ihn  die 
seltene  Vereinigung,  in  welcher  er  zugleich  die 
erschöpfende  Tiefe  speculativer  Forschung  und 
die  Fähigkeit,  das  theoretisch  Erkannte  bis  in 
das  feinste  Detail  der  Anwendung  fruchtbar  zu 
verwerthen,  besaß,  eine  Vereinigung,  die  es  be- 
greifen läßt,  daß  der  Verfasser  der  Disquisitiones 
arithmeticae  und  der  Abhandlungen  über  die 
quadratischen  und  biquadratischen  Reste  auch 
die  Theoria  motus  corporum  coelestium  schrei- 
ben, als  praktischer  Astronom  und  Geodät  zu 
den  seiner  Zeit  vorangehenden  Führern  gehören, 
die  Theorie  des  Erdmagnetismus  begründen  und 
an  der  Ausbildung  der  elektrischen  Telegraphie 
einen  entscheidenden  Antheil  nehmen  konnte. 
Ebenso  charakteristisch  für  ihn  und  nicht  min- 
der bewuudernswerth  als  der  glänzende  Erfolg 
seiner  Thätigkeit  ist  die  frühe  Reife  seines  Gei- 
stes ,  die  Fülle  fruchtbarer  Gedanken ,  in  deren 
Besitz  wir  ihn  schon  beim  Beginn  seiner  Lauf- 
bahn sehen,  und  die  vollendete  Form,  in  wel- 
cher er,  dem  Grundsatze  »Pauca  sed  matura« 
folgend,  die  Ergebnisse  seiner  Forschungen  der 
Welt  darbot.  Waren  doch  schon  seine  Erst- 
lingsarbeiten Meisterwerke  von  unvergänglichem 
Werthe,  aus  denen  man  mit  Erstaunen  erkannte, 


231 

daß  der  jugendliche  Verfasser  bereits  auf  der 
Höhe  seiner  Wissenschaft  stehe  und  seines  Ziels 
sich  klar  bewußt  sei.  Vor  allem  aber  offenbart 
sich  seine  geistige  Ueberlegenheit  in  dem  bestim- 
menden Einfluß,  den  er  auf  Richtung  und  Gang 
der  mathematischen  Forschung  seiner  und  unserer 
Zeit  dadurch  ausgeübt  hat,  daß  er  bei  seinen 
Untersuchungen  tiberall  zu  den  Prinzipien  durch- 
zudringen, die  Grundbegriffe  der  exakten  Wis- 
senschaften zu  reinigen  und  zu  erweitern,  ver- 
einzelt und  unerklärt  dastehende  Thatsachen  mit 
allgemeinen  Gesetzen  in  Zusammenhang  zu  brin- 
gen, und  mit  der  Freiheit  der  Bewegung,  welche 
die  neuere  Analysis  dem  mathematischen  For- 
scher gestattet,  die  Strenge  der  antiken  Metho- 
den zu  vereinigen  verstand. 

»Möge  die  von  der  Societät  veranstaltete  Feier, 
zu  welcher,  wie  wir  hoffen,  zahlreiche  Vertreter 
der  verschiedenen  mathematischen  Disciplinen 
in  Göttingen  sich  einfinden  werden,  der  Welt 
kundgeben,  daß  die  heutige  Generation  mit  der- 
selben ehrfurchtsvollen  Bewunderung  wie  die 
dahingegangene  zu  GAUSS  als  ihrem  Meister 
und  leuchtendem  Vorbild  emporblickt,  und  in 
seinem  Geiste  an  dem  Weiterbau  der  Wissen- 
schaft mitzuarbeiten  gesonnen  ist. 

Berlin  den  26.  April  1877. 

Die  Königliche  Akademie  der  Wissenschaften. 
Th.  Mommsen.  E.  E.  Kummer.  E.  du  Bois  Reymond.« 

Danach  erhielt  Herr  Francesco  Brioschi,  Pro- 
fessor und  Senator  del  Regno  aus  Mailand  das 
Wort  zur  Mittheilung  der  Begrüßungsschreiben 
und  der  Vollmachten,  durch  welche  er  von  den 
Körperschaften     »Reale    Istituto     Lombardo    di 


232 

Scienze  e  Lettere«  in  Mailand,  »Reale  Accademia 
de  Lincei«  in  Rom,  »Regia  Universitä  di  Pavia« 
zu  deren  Stellvertreter  bei  dem  Gaußfeste  er- 
nannt ist. 

Der  Vorsitzende,  Herr  Professor  Wüstenfeld 
macht  ferner  die  Mittheilung  wie  Se.  Excellenz 
der  Minister  der  geistlichen,  Unterrichts-  und 
Medicinal  -  Angelegenheiten  schriftlich  sein  Be- 
dauern ausgedrückt  habe,  daß  Amtsgeschäfte 
ihn  verhinderen,  seine  Verehrung  für  den  Geist 
und  die  Leistungen  des  berühmten  Mannes,  des- 
sen langjähriger  Besitz  für  die  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  ebenso  wie  für  die  Universität 
Göttingen  einen  Gegenstand  berechtigten  Stolzes 
bilde,  durch  persönliche  Gegenwart  bei  dem  Er- 
innerungsfeste zu  bezeugen. 

Nachdem  der  Vorsitzende  noch  das  von  der 
Ungarischen  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Budapest  an  die  hiesige  Gesellschaft  gerichtete 
Begrüßungsschreiben  vorgelesen  hatte,  forderte 
er  den  unterzeichneten  Berichterstatter  zu  einer 
Darstellung  der  wissenschaftlichen  Thätigkeit 
des  gefeierten  Mannes  auf. 

Es  wurde  in  dieser  Rede,  welche  vollständig 
in  den  Abhandlungen  der  Königlichen  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  erscheint,  hervorge- 
hoben, wie  Gauß  große  Begabung  in  der  Er- 
kennung der  Eigenschaften  der  Zahlen  so  außer- 
ordentlich frühzeitig  sich  zu  erkennen  gab,  daß, 
außer  anderen  durch  mündliche  Mittheilungen, 
durch  seine  Briefe  und  durch  den  handschrift- 
lichen Nachlaß  bekannt  gewordenen  Leistungen, 
er  im  noch  nicht  vollendeten  19.  Lebensjahre 
am  30.  März  1796  als  eine  Anwendung  seiner 
Theorie  der  Zahlen  diejenige  Entdeckung  machte, 
welche  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften 
immer    eine    der     glänzendsten    Erscheinungen 


233 

bilden  wird  und  welche  er  mit  den  Worten  ver- 
öffentlichte : 

»Es  ist  jedem  Anfänger  der  Geometrie  be- 
kannt ,  daß  verschiedene  reguläre  Vielecke ,  na- 
mentlich das  Dreieck,  Viereck,  Fünfeck,  Fünf- 
zehneck und  die,  welche  durch  wiederholte 
Verdoppelung  der  Seitenzahl  eines  derselben, 
entstehen,   sich   geometrisch    construiren  lassen. 

»So  weit  war  man  schon  zu  Euklids  Zeit, 
und  es  scheint,  man  habe  sich  seitdem  allge- 
mein überredet,  daß  das  Gebiet  der  Elementar- 
georaetrie  sich  nicht  weiter  erstrecke :  wenig- 
stens kenne  ich  keinen  geglückten  Versuch  ihre 
Grenzen  auf  dieser  Seite  zu  erweitern. 

»Desto  mehr,  dünkt  mich,  verdient  die  Ent- 
deckung Aufmerksamkeit ,  daß  außer  jenen 
regulären  Vielecken  noch  eine  Menge  an- 
derer, z.  B.  das  Siebenzehneck  einer  geometri- 
schen Construction  fähig  ist.  Diese  Entdeckung 
ist  eigentlich  nur  ein  specieller  Zusatz  zu  einer 
noch  nicht  ganz  vollendeten  Theorie  von  grö- 
ßerm  Umfange,  und  sie  soll,  sobald  diese  ihre 
Vollendung  erhalten  hat,  dem  Publicum  vorge- 
legt werden. 

Carl  Friedrich  Gauß  aus  Braunschweig. 
Studirender  der  Mathematik  zu  Göttingen.« 

Er  zeigte  seinem  Studienfreunde  Wolfgang 
von  Bolyai  die  Formel,  welche  die  durch  Kreis 
und  gerade  Linie  ausführbare  Zeichnung  des  re- 
gulären 17  Ecks  bestimmt  und  bemerkte  dabei, 
daß  sie  allein  schon  seinen  Grabstein  zieren 
könne,  wie  der  des  Archimedes  dessen  bekann- 
teste Entdeckung  gezeigt  habe. 

Die  Untersuchung  der  Eigenschaften  der 
Zahlen     war     Gauß     früheste    wissenschaftliche 


234 

Thätigkeit,  sie  blieb  auch  seine  Lieblingsbeschäf- 
tigung, und  über  die  Art,  wie  er  in  diesem  Ge- 
biete Entdeckungen  machte,  spricht  er  sich  auch 
am  lebhaftesten  aus,  so  in  einem  bemerkenswer- 
then  Briefe  vom  3ten  September  1805  an  den 
Astronomen  und  Arzt  Wilhelm  Olbers  in  Bremen : 

»Sie  erinnern  sich  vielleicht  noch  von  unse- 
ren Gesprächen  in  Bremen  her,  namentlich  an 
dem  schönen  Nachmittag,  den  wir  auf  der  Vahr 
zubrachten ,  daß  ich  schon  seit  längerer  Zeit 
eine  sehr  beträchtliche  Sammlung  von  Unter- 
suchungen nicht  sowohl  im  Pult  als  in  petto 
habe,  die  hinreichenden  Stoff  zu  einem  zweiten 
Bande  der  Disquiss.  Arr.  geben  und  die,  we- 
nigstens meinem  Urtheile  nach,  ebenso  merk- 
würdig sind,  wie  die  im  ersten  enthaltenen. 

»Sie  erinnern  sich  aber  auch  vielleicht  zu 
gleicher  Zeit  meiner  Klagen,  über  einen  Satz, 
der  theils  schon  an  sich  sehr  interessant  ist, 
theils  einem  sehr  beträchtlichen  Theile  jener 
Untersuchungen  als  Grundlage  oder  als  Schluß- 
stein dient,  den  ich  damals  schon  über  2  Jahr 
kannte,  und  der  alle  meine  Bemühungen,  einen 
genügenden-  Beweis  zu  finden,  vereitelt  hatte. 
Dieser  Mangel  hat  mir  alles  übrige,  was  ich 
fand,  verleidet  und  seit  4  Jahren  wird  selten 
eine  Woche  hingegangen  sein,  wo  ich  nicht 
einen  oder  den  anderen  vergeblichen  Versuch, 
diesen  Knoten  zu  lösen,  gemacht  hätte  —  be- 
sonders lebhaft  nun  auch  wieder  in  der  letzten 
Zeit.  Aber  alles  Brüten,  alles  Suchen  ist  um- 
sonst gewesen,  traurig  habe  ich  jedesmal  die 
Feder  wieder  niederlegen  müssen. 

»Endlich  vor  ein  Paar  Tagen  ist's  gelungen 
—  aber  nicht  meinem  mühsamen  Suchen,  son- 
dern bloß  durch  die  Gnade  Gottes  mögte  ich 
sagen.      Wie  der  Blitz  einschlägt,   hat  sich  dag 


235 

Räthsel  gelöst :  ich  selbst  wäre  nicht  im  Stande 
den  leitenden  Faden  zwischen  dem,  was  ich 
vorher  wnßte,  dem  womit  ich  die  letzten  Ver- 
suche gemacht  hatte  —  und  dem  wodurch  es 
gelang ,    nachzuweisen. 

»Sonderbar  genug  erscheint  die  Lösung  des 
Räthsels  jetzt  leichter  als  manches  andere,  was 
mich  wohl  nicht  so  viele  Tage  aufgehalten  hat, 
als  dieses  Jahre ,  und  gewiß  wird  niemand, 
wenn  ich  diese  Materie  einst  vortrage,  von  der 
langen  Klemme,  worin  es  mich  gesetzt  hat, 
eine  Ahnung  bekommen.« 

Von  den  vielen  epochemachenden  Entdeckun- 
gen, welche  wir  Gauß  in  den  übrigen  Theilen 
der  Mathematik,  der  Geometrie,  der  Mechanik, 
der  Astronomie  und  der  Physik  verdanken,  mag 
hier  nur  noch  diejenige  hervorgehoben  werden, 
welche  von  größter  praktischer  Bedeutung  ist. 
üeber  diese  meldet  er  Olbers  am  20.  Xovbr.  1833  : 

»Ich  weiß  nicht,  ob  ich  Ihnen  schon  früher 
von  einer  großartigen  Vorrichtung,  die  wir  hier 
gemacht  haben ,  schrieb.  Es  ist  eine  galvani- 
sche Kette  zwischen  der  Sternwarte  und  dem 
physikalischen  Cabinet,  durch  Drähte  in  der 
Luft  über  die  Häuser  weg,  oben  zum  Johan- 
nisthurm  hinauf  und  wieder  herab ,  gezogen. 
Die  ganze  Drahtlänge  wird  etwa  8000  Fuß  sein. 

»An  beiden  Enden  ist  sie  mit  einem  Multi- 
plicator  verbunden,  bei  mir  von  170  Gewinden 
bei  Weber  im  physikalischen  Cabinet  von  50 
Gewinden,  beide  um  1  Pfundige  Magnetnadeln 
geführt,  die  nach  meinen  Einrichtungen  aufge- 
hängt sind.  —  Ich  habe  eine  einfache  Vorrich- 
tung ausgedacht,  wodurch  ich  augenblicklich 
die  Richtung  des  Stromes  umkehren  kann, 
die  ich  einen  Commutator  nenne. 

»Wenn  ich  so  tactmäßig  an  meiner  galvani- 


236 

sehen  Säule  operire,  so  wird  in  sehr  kurzer 
Zeit  (z.  B.  in  1  oder  IV2  Minuten)  die  Bewe- 
gung der  Nadel  im  physikalischen  Cabinet  so 
stark,  daß  sie  an  eine  Glocke  anschlägt,  hörbar 
in  einem  anderen  Zimmer.  Dies  ist  jedoch 
mehr  Spielerei.  Die  Absicht  ist,  daß  die  Be- 
wegungen gesehen  werden  sollen ,  wo  die 
äußerste  Accuratesse  erreicht  werden  kann. 

»Wir  haben  diese  "Vorrichtung  bereits  zu 
telegraphischen  Versuchen  gebraucht,  die  sehr 
gut  mit  ganzen  Wörtern  oder  kleinen  Phrasen 
gelungen  sind. 

»Diese  Art  zu  telegraphiren  hat  das  Ange- 
nehme, daß  sie  von  Wetter  und  Tageszeit  ganz 
unabhängig  ist;  jeder,  der  das  Zeichen  gibt 
und  der  dasselbe  empfängt,  bleibt  in  seinem 
Zimmer,  wenn  er  will  bei  verschlossenen  Fen- 
sterläden. Ich  bin  überzeugt,  daß  unter  An- 
wendung von  hinlänglich  starken  Drähten  auf 
diese  Weise  auf  Einen  Schlag  von  Göttin- 
gen nach  Hannover  oder  von  Hannover  nach 
Bremen  telegraphirt  werden  könnte.« 

Von  der  räumlich  geringen  Ausdehnung  der 
ersten  Draht -Leitung  hat  der  elektrische  Tele- 
graph sich  schon  jetzt  zu  einem  großen  Um- 
fange erweitert.  Aus  den  von  dem  General- 
Telegraphen -Amt  zur  Verfügung  gestellten  li- 
terarischen Hülfsmitteln  ergibt  sich,  daß  auf  der 
ganzen  Erde  in  einem  einzigen  Jahre  (1874)  eine 
Depeschen  -  Anzahl  von  über  101  Millionen,  das 
ist  etwa  der  35  Theil  der  während  derselben 
Zeit  geschriebenen  Briefzahl  befördert  worden 
sind,  und  daß  die  Gesammtlänge  der  Drähte 
schon  damals  beinahe  das  Vierfache  der  Ent- 
fernung   des  Mondes   von  der  Erde  betrug. 

Der  Schluß  der  Rede   hob  hervor,  wie  Gauß' 


237 

Seele  von  dem  Streben,  die  Wahrheit  zu  suchen, 
erfüllt  war,  wie  seinen  wesentlichen  Charakterzng 
die  Gerechtigkeit  bildete! 

Die  Nachwelt  wird  auch  gerne  die  Pflicht 
erfüllen,  ihm,  dem  großen  Meister,  gerecht  zu 
sein. 

Ernst  Schering. 


Diesem  Bericht  über  die  Festfeier  der  konigl. 
Gesellschaft  der  Wissenschaften  fügen  wir  hier 
noch  die  Mittheilung  hinzu,  daß  die  Universität 
den  Tag  durch  einen  Fest- Actus  in  der  Aula 
feierte,  bei  welchem  Herr  Professor  Stern  die 
Gedächtnisrede  hielt ,  welche  demnächst  als  aka- 
demische Festschrift  gedruckt  erscheinen  wird. 


Wedekindßche  Preisstiftung. 

Bericht  über  die  zum  zweitenmal  ein- 
gesendete Bearbeitung  der  Chronik 
Hermann  Korner's,  erstattet  für  den 
Verwaltungsrath  der  Wedekindschen 
Preisstiftung  für  deutsche  Geschichte 
von  dem  Direktor 

Hermann  Sauppe. 

Am  14.  März  1876  berichtete  der  damalige 
Direktor,  Herr  G.  Reg.  R.  Waitz,  daß  in  Folge 
der  zweiten  Preisaufgabe  für  den  dritten  Ver- 
waltungszeitraum (1866  —  1876)  eine  Bearbeitung 
der  verschiedenen  Texte  der  Chronik  Hermann 
Korners  eingegangen  sei.  Dieselbe  könne  zwar 
in  der   vorgelegten  Gestalt  nicht  für   druckreif 

22 


238 

gelten  und  es  könne  ihr,  da  sie  wesentliche  For- 
derungen der  Aufgabe  nicht  erfüllt  habe,  der 
Preis  nicht  ohne  Weiteres  zuerkannt  werden. 
Aber  der  aufgewandte  Fleiß  verdiene  Anerken- 
nung, es  sei  eine  wichtige  Grundlage  für  die 
Herausgabe  der  Chronik  gewonnen.  Man  wolle 
daher  dem  Bewerber  eine  Frist  von  zwei  Jahren 
gewähren  seine  Arbeit,  die  er  ohne  sich  zu  nen- 
nen zurückfordern  lassen  möge ,  so  zu  vervoll- 
ständigen und  zu  verbessern ,  daß  ihr  der  Preis 
zuerkannt  und  die  Veröffentlichung  beschlossen 
werden  könne.  (Vgl.  diese  Nachrichten  1876 
S.  177  ff.). 

Die  Arbeit  wurde  hierauf,  ohne  daß  der  Ver- 
fasser sich  nannte ,  gegen  Ende  April  v.  J.  zu- 
rückgefordert und  schon  im  Februar  d.  J.  von 
neuem  eingesendet,  indem  der  Verfasser  in  einem 
beigefügten  Schreiben  ausführte,  daß  er  allen 
a.  a.  0.  S.  185  aufgestellten  Forderungen  genügt 
zu  haben  glaube. 

Der  Verwaltungsrath,  welcher  sich  nach  dem 
Ausscheiden  des  nach  Berlin  berufenen  Herrn 
G.  Reg.  R.  Waitz  und  dem  Tode  des  am  9.  Ja- 
nuar gestorbenen  G.  Hofrath  Hoeck  durch  den 
Eintritt  der  Herrn  Professoren  Benfey  und  Wie- 
seler ergänzt  und  mich  zum  Direktor  gewählt 
hatte,  sah  sich  genöthigt  die  Güte  der  Herrn, 
welche  das  Manuscript  das  erstemal  geprüft  hat- 
ten, des  Herrn  G.  Reg.  R.  Waitz  in  Berlin  und 
der  Herrn  Professoren  Hegel  in  Erlangen  und 
Dümmler  in  Halle,  nochmals  in  Anspruch  zu 
nehmen.  Sie  haben  sich  der  großen  Mühe  wie- 
derholter Prüfung  mit  einer  Bereitwilligkeit  un- 
terzogen, für  welche  wir  zum  tiefsten  Dank  ver- 
pflichtet sind,  und  nach  ihrem  Gutachten  ist  der 
Verwaltungsrath  zu  folgendem  Urtheil  gekommen : 


239 

Zwar  ist  auch  jetzt  noch  Genauigkeit  in  der 
Vergleichung  der  Handschriften,  namentlich  der 
lüneburger  D,  nicht  vollständig  erreicht;  ferner 
sind  noch  jetzt  unter  den  Quellen  Korner's  auch 
einzelne  Schriften  angegeben,  die  er  nicht  ge- 
braucht haben  kann,  dagegen  andere,  die  er  ohne 
Zweifel  benutzt  hat ,  nicht  erwähnt  und  vergli- 
chen ;  endlich  fehlen  Anmerkungen ,  welche  den 
Inhalt  der  Korner  eigenthümlichen  Nachrichten 
erläuterten,  auch  jetzt  noch  fast  gänzlich.  Aber 
der  Verfasser  hat  doch  jetzt  die  Vergleichung 
der  einzelnen  Texte  unter  einander  sehr  vervoll- 
ständigt, den  Nachweis  der  Quellen  bedeutend 
erweitert,  auch  in  der  Vergleichung  der  Hand- 
schriften weit  größere  Sorgfalt  gezeigt. 

Demnach  beschließt  der  Verwaltungsrath 
jetzt  dem  Verfasser  in  ehrender  Anerkennung 
des  Geleisteten  den  Preis  von  3300  Rmark  aus- 
zuzahlen, den  schwierigen  Druck  aber  des  in  den 
Besitz  der  Stiftung  übergehenden  Manuscripts 
(§  30  d.  Ordnungen)  von  sich  aus  unter  steter 
Leitung  und  Ueberwachung  eines  jungen  Gelehr- 
ten zu  veranstalten,  der  zugleich  die  Handschrif- 
ten nochmals  vergleichen  und  so  eine  Genauig- 
keit der  Wiedergabe  erreichen  soll,  wie  sie  dem 
Verfasser  des  eingereichten  Manuscripts  nach  so 
langer  und  oft  wiederholter  Beschäftigung  mit 
denselben  Dingen  herzustellen  kaum  mehr  ge- 
lingen würde. 

Nachdem  ich  in  der  Sitzung  der  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  am  5.  Mai  diesen  Bericht 
erstattet  und  der  Beständige  Sekretär  der  Ge- 
sellschaft, Herr  G.  0.  Med.  R.  Wöhler,  die  Un- 
versehrtheit der  Siegel  an  den  beiden  1876  und 
1877  dem  eingesendeten  Manuscript  beigelegten 
Zetteln  bezeugt  hatte,  ergab  der  1877  beigefugte 


240 

nach  seiner  Eröffnung  als  Verfasser  der  einge- 
reichten Preisarbeit: 

»Dr.   Hermann    Oesterley, 

Bibliothekar    der    K.    u.     Universitäts- 
bibliothek zu  Breslau.« 

Göttingen,   d.  6.  Mai  1877. 


Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Berichte  des  naturwiss.-medicin.  Vereins  in  Innsbruck. 

VI.  Jahrg.     1875.    H.  2. 
Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen 

in  Böhmen.    XIV.    Jahrg.     No.   3.   4.     XV.   Jahrg. 

No.  1.  2.    Prag.  1876. 
Wilhelm  von  Wenden,    ein  Gedicht  Ulrichs   von 

Eschenbach.    Prag  1876. 
Schlesinger,    Stadtbuch  von  Brüx  bis  1526.    Prag 

1876. 
Verhandlungen  des  naturforsch.  Vereins  in  Briinn.    Bd. 

XIV.     1875. 
Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.    No.  1 — 12. 

1876. 
Ännuaire  statistique   de  la  Belgique.    Annde   7.  1876. 

Bruxelles  1877. 
Flora  Batava.    Liefer.  232—233.    Leyden.    4. 
Jahrbuch  der  k.  k.   Geolog.   Reichsanstalt   1876.    Bd. 

XXVI.    No.  4.    Dabei  Tschermak  mineralog. Mit- 
theilungen.   Jahrg.  1876. 
Verhandlungen  der  k.  k.  geolog.  Reichsanstalt.    Jahrg. 

1876.    No.  14-17. 
Proceedings   of  the   London    mathematical   Soc.      No. 

101-103. 

(Fortsetzung  folgt.) 


241 

\ach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


30.     Mai.  .Vä  12.  1877. 


Köiigliche  Gesellschaft  der  Wisseiscliaftei. 

Sitzung  am  5.  Mai. 

Wüsten feld,  Die  Ueberaetzungen  Arabischer 
Werke  in  das  Lateinische  seit  dem  elften  Jahrhundert. 
(Erscheint  in  den  Abhandlungen). 

De  Lagarde,  Armenische  Stadien.  I.  (Erscheint 
in  den  Abhandlungen). 

Schiötz,  üeber  die  scheinbare  Anziehung  und 
Abstoßung  zwischen  Körpern,  die  sich  im  Wasser  be- 
wegen.   (Vorgelegt  vom  Corresp.  Bjerknes). 

Bjerknes,  Zusatz  zur  vorstehenden  Abhandlung 
des  Herrn  Schiötz. 

Bezzenberger,  Eine  neugefundene  litauische 
Urkunde  vom  Jahre  1578.     (Vorgelegt  von  Benfey). 

Fromme,  Ueber  die  gegenseitige  Abhängigkeit 
von  magnetisirender  Kraft  temporären  und  remantem 
Magnetismus.    (Vorgelegt  von  Riecke). 


Eine   neugefondene   litauische  Ur- 
kunde vom  Jahre  1578 


Adalbert  Bezzenberger. 

Die   von   Nesselmann    (Neue   Preuß.  Provin- 
zial- Blätter,  andere  Folge,  Bd.  I  S.  241  fiF.)  im 

23 


242 

Jahre  1852  veröfiFentlichte  litauische  Urkunde 
hat  in  einem,  von  dem  Herrn  Staatsarchivar  Dr. 
Philippi  im  Geh.  Archiv  in  Königsberg  kürzlich 
aufgefundenen ,  litauischen  Mandat  vom  Jahre 
1578  einen  Genossen  gefunden.  Herr  Dr.  Phi- 
lippi ist  so  gütig  gewesen,  dasselbe  mit  Geneh- 
migung des  Kgl,  Oberpräsidiums  der  Provinz 
Preußen  mir  hierher  zu  senden ;  indem  ich  ihm 
für  seine  Freundlichkeit  meinen  ergebensten 
Dank  sage,  beeile  ich  mich,  dieses  sachlich  und 
sprachlich  in  mehrfacher  Hinsicht  werthvolle 
Document  zu  besprechen  und  zu  veröflFentlichen. 
Es  ist,  wie  auch  die  von  Nesselmann  veröffent- 
lichte Urkunde  —  diese  bezeichne  ich  mit  U, 
jenes  mit  U^  —  ein  richtiges  Mandat,  wie  sol- 
che besonders  an  den  Kirchthüren  publicirt  zu 
werden  pflegten  ;  beide,  U  und  U\  waren,  wie 
Spuren  des  Siegelwachses  unter  ihren  beidersei- 
tigen letzten  Zeilen  zeigen,  bereits  untersiegelt, 
sie  wurden  aber  nicht  benutzt  und  zurückgelegt, 
weil  sie  fehlerhaft  waren,  und  zwar  bestand,  wie 
mir  Herr  Dr.  Philippi  mittheilt,  der  Fehler  von 
U  »in  der  allzu  kleinen  und  zu  wenig  deutli- 
chen Schrift  und  in  den  über  die  Zeilen  ge- 
setzten Auslassungen«,  der  Fehler  von  U^  hin- 
gegen war  ein  Riß  in  dem  Papier,  der  übrigens 
das  Lesen  des  Textes  nur  wenig  erschwert. 
Beide  Mandate  sind  vom  6.  December  1578  da- 
tirt ,  beide  schließen  sich  hinsichtlich  ihres  In- 
halts und  vielfach  auch  hinsichtlich  des  Aus- 
druckes so  eng  aneinander  an,  daß  für  sie  eine 
gemeinsame  Vorlage  anzunehmen  ist,  die  jedoch 
wohl  nur  in  einer  kurz  gehaltenen  Anweisung 
an  zwei,  des  Litauischen  kundige  Beamte  der 
fürstlichen  Kanzlei  bestand,  Mandate  von  be- 
stimmt angegebenem  Inhalt  zu  verfertigen.  Daß 
U  und  U^  von  verschiedenen  Verfassern  herrüh- 


243 

ren,    springt    bei  einer  Vergleichung  beider  so- 
fort in  die  Augen,    schon   ihr    verschieden    ge- 
faßter Anfang  zeigt  das  sehr  deutlich.     Im   all- 
gemeinen ist  zu   sagen,    daß   der  Verfasser    von 
U  sich    seiner  Aufgabe    mit    viel   größerem  Ge- 
schick entledigt  habe,  als  der  von  ü»;  der  letz- 
tere gebraucht  mehrfach  grammatisch  und  stili- 
stisch anstößige  Wendungen,  die  jener  glücklich 
vermieden   hat.      Sachlich   sind    beide    Mandate 
von  gleich  großem  Werthe :    im   Gegensatze   zu 
U  übergeht  ü^  in   der   Aufzählung   der    heidni- 
schen Mißbräuche    der  Litauer  das  Sieb -drehen 
(»Beiträge  z.  Kunde  d.  ig.  Sprachen«  I.  47),  es 
erwähnt  dafür  aber   —  was  in  U  fehlt  —   den 
Besuch  [heiliger]  Haine.      Noch    ist   ein    Unter- 
schied zwischen  ü  und  ü*    besonders   hervorzu- 
heben :    hier    wird    sich  auf  eine  begonnene  all- 
gemeine Visitation  und  auf  eine   vollendete  Vi- 
sitation der   Aemter  Ragnit    und  Tilsit   berufen 
und  angegeben,  daß  die  anzuführenden  Misstände 
sich  in  Ragnit,  Wischwill,  Lasdehnen,  Pilkallen, 
Schirwind,    Kraupischken ,    Wilkischken   und  in 
anderen  Orten    gefunden  hätten,    dort  aber    ist 
von    der   begonnenen  Visitationsarbeit   und    von 
der  Visitation   des    Tilsiter    Amts   die   rede   und 
jene  Uebelstände  werden  Einwohnern  von  Tilsit, 
Kaukeuen,  Coadjuteu  und  Piktuppenen  zur  Last 
gelegt.     Daraus  geht  zunächst  hervor,  daß  Ü  be- 
sonders   an    die    Einwohner    des   Tilsiter   Amts 
gerichtet  war  und  daß  zu  diesem  die  Orte  Tilsit, 
Kaukeuen,  Coadjuteu  und  Piktuppenen  gehörten, 
und  daß  andrerseits   U*    sich   besonders   an    die 
dem   Raguiter  Amt   Angehörigen  richtete,    und 
daß  dieses  die  Orte  Ragnit,  Wischwill,  Lasdeh- 
nen,   Pilkallen,    Schirwind,    Kraupischken   und 
Wilkischken  umfaßte;  ferner,  daß  zunächst  nur 
die  Aemter   Ragnit   und    Tilsit   visitirt   worden 

23* 


244 

sind  und  daß  wohl  auf  Grund  dieser  Visitation, 
bei  der  sich  mancherlei  Uebelstände  ergeben 
hatten ,  eine  allgemeine  Visitation  angeordnet 
wurde :  eine  theilweise  Bestätigung  erhalten 
diese  Annahmen  durch  die  in  dem  unten  mitge- 
theilten  Begleitschreiben  zu  U^  enthaltene  Be- 
merkung, daß  in  dem  Aemtern  Insterburg,  Ge- 
orgenburg und  Salau  —  im  Gegensatz  zu  denen 
von  Tyls  und  Rangnit  —  noch  nicht  visitirt 
sei.  Aus  diesem  Begleitschreiben  erhellt  auch, 
daß  ü  und  U^  nicht  ausschließlich  an  die  Aem- 
ter  Tilsit,  bez.  Ragnit  gerichtet  waren,  und  daß 
sie  zur  Kenntnisnahme  und  Nachachtung  auch 
an  die  übrigen  Aemter  geschickt  wurden.  Aus 
der  Adresse  des  Begleitschreibens  geht  endlich 
hervor,  daß  man  nicht  von  einem  »Amtsbezirk 
von  Ragnit  und  Tilsit«  sprechen  kann,  daß  also 
der  Verfasser  von  ü^  mit  seinem  Ausdruck 
»wallchcziaus  Ragaines  ir  Tilßes«  (ZZ. 
11,  56)  nicht  einen,  sondern  zwei  Amtsbezirke  ge- 
meint hat  (der  Amtsbezirk  von  Ragnit  und  [der] 
von  Tilsit)  und  daß  dieser  Ausdruck  einer  sei- 
ner vielfachen  Nachlässigkeiten  ist. 

Der  Text  von  U^  umfaßt  die  eine  Seite  eines 
Bogens  von  starkem  Papier  (69  Zeilen) ;  er  ist 
mit  Schwabacher  Schrift  gedruckt  und  es  ist  in 
typographischer  Hinsicht  nur  zu  erwähnen,  daß 
in  den  letzten  acht  Zeilen  eine  andere  Form 
des  a  erscheint,  als  in  dem  ihnen  vorhergehen- 
den Text.  Hinsichtlich  der  Orthographie  wei- 
chen U  und  ü^  mehrfach  von  einander  ab,  nen- 
nenswerthe  Abweichungen  von  dem  Schreibge- 
brauche gleichaltriger  litauischer  Texte  zeigen 
beide  nicht.  Wer  in  der  altlit.  Literatur  nicht 
belesen  ist,  dem  mag  es  auffallen,  daß  in  U^  die 
s.  g.  Nasalvocale  fehlen,  daß  an  Stellen  an  de- 
nen ganz    unzweifelhaft   ein    Nasal    gesprochen 


245 

wurde  (vgl.  z.B.  atlakidami  Z.  58  neben  at- 
lankitas  Z.141,  Weuczwianifte  für  venczia- 
vonyste-n(a)  Z.  104),  diese  Aussprache  nicht 
bezeichnet  ist;  ich  verweise  in  dieser  Beziehung 
auf  meine,  nun  hoffentlich  bald  erscheinenden 
»Beiträge  zur  Geschichte  d.  lit.  Sprächet  S. 30f., 
wo  ich  ausgeführt  habe,  daß  der  Mangel  der 
Bezeichnung  nasaler  Aussprache  in  altlit.  Tex- 
ten nicht  den  Mangel  dieser  Aussprache  be- 
weise, mit  anderen  Worten,  daß  häufig  ein  ein- 
facher Vocal  für  einen  Nasalvocal  gesetzt  und 
als  solcher  ausgesprochen  sei.  Hierauf  möchte 
ich  ganz  besonders  diejenigen  hinweisen,  welche 
der^Schrift  altlit.  Texte  einen  phonetischen  Cha- 
rakter zuzuschreiben  geneigt  sind:  daß  in  dem 
Text  von  ü^  keine  Spur  von  phonetischer  Schrei- 
bung steckt,  wird  jeder,  der  mit  der  Geschichte 
des  preuß.-lit.  Dialekts  nicht  ganz  unbekannt 
ist,  selbst  erkennen. 

Ich  gebe  zunächst  das  Begleitschreiben  zu 
ü^,  dann  den  Text  sammt  üebersetzung  und 
Anmerkungen. 

Georg  Friederich  etc. 

Erbar  lieber  getreuer.  Wir  haben  In  Jüngft 
gehaltener  Viiitation  deines  verwaltenden  Ambts 
vermerckt  vnd  befunden.  Das  die  Ambts  Vnder- 
thanen ,  beuoraus  die  Littauen ,  ein  wildes  rho- 
lofes  ^)  leben  führen ,  In  dem  fie  fich  feiten, 
auch  woll  gar  nicht  zur  kirche,  weniger  zu  den 
Hochwirdigen  heiligen  Sacramenten  halten  vnd 
auch  allerley  Mißbreuche,  Abgettereyen ,  Bort- 
ten^)  vnd  dergleichen  üben  vnd  treiben,  welches 
vns  als  einer  Chriftlichen  obrigkeit  keines  wegs 

1)  D.  i.  ruchloses. 

2)  üeber  dieses  Wort  s.  u.  S.  260. 


246 

zudulden  fein  will,  Derwegen  wir  dann  aucli 
folches  alles  durch  ein  In  druck  gefertigtes  Man- 
dath  abgeschafft  vnd  dye  vnderthauen  zu  fleiffi- 
gem  Kirchengang  vnd  horuug  Gotlichen  worts 
auch  gebrauchung  der  heiligen  Sacramente  gne- 
diglich  vnd  ernftlich  ermahnet.  Schicken  dir 
demnach  deffelben  Mandaths  n.  Exemplaria  mit 
vnferer  eigenen  handt  vnderzeichnet  vnd  aufge- 
drucktem Secreth  bekrefftigt  hiemit  zu,  vnd 
beuehlen  dir  darauff  gnediglichen ,  du  wolleft 
lolch  Maudath  In  den  Kirchen  auff  der  Canzel 
durch  die  Pfarrherrn  ablefen ,  volgends  daffelbe 
an  die  Kirchenthüren  vnd  andere  darzu  gelegene 
orth  und  ftellen  anfchlagen  laffen ,  auch  das 
demfelben  von  den  Ambts  vnderthauen  fowol 
Deudfchen  als  Littauen  also  nachgelebt  werde, 
mit  ernft  darüber  halten  vnd  diejenigen,  fo  fich 
dem  etwan  widerig  erzeigen  mochten ,  nach  ge- 
legenheit  Irer  verbrechung  In  vnnachleffige  ge- 
burende  ernfte  ftratfe  nehmen.  Doran  gefchehe 
vnler  zuuerleffiger  erufter  wille  vnd  meynunge. 
Datum  Königsberg  den  xii  februar  79. 
An  (lie  Heubtleute  zur 

Tyls 

Rangnit 

Insterburg        »   Nb.  hie  ift 

Georgenburg    \  noch  nicht 

Salau  '  vifitirt. 

Ifch  malanes  Diewa  )  mes  lurgis  Friderichas  [ 
Mar-  II  grahas  Brandenhurge  |  Pru/ofu  \  Stctine  \ 
Ponieraniai  \  Ca/Jubo/u  ir  Wendofu  \  feipaieg  \\ 
Schlefiai  legersdorfe  ir  etc.  Hertcikis  |  Burgrabas 
SNorimberge  ir  Wiefchpats  Rilgoie.  ||  lOg  kafznas 
krikfchczionis  |  wiffafa  fawa  fprawafa  tapirmiaus 
tur  ant  Diewa  dabotifi  |  ir  nu  to  paties  pradzie 
dariti  |  ieng  ||  galetu  nog  ija  |  ijo   daugiaus   per- 


247 

ßegnoghimu  ap  tnreti :   Tada  ir  mes  dabar  pra- 
lideiofoijoi  pafpalitoi  mufu  Yifitatiai  |  ir  ||  teipaieglO 
paginetaie    Vilitatiai    walfchcziaus    Ragaines    ir 
Tilßes  I  tapirmians    rupinaghiames    ape   Slußba 
Diewa  I  ape  ||  paskirtu  ant  ta  Baßnicziu  |  ir  ape 
kitus  tarn  reikinczius  daiktus.     Klaufem  todelei  | 
kaipa  Baßiiiczias    wifsar  |  ira   ußuweil-  ||  detas  j  15 
bau    ne    prifsiwalitu  ir  ftakatu  kakiu  daiktu  aat 
ifchlaikyma.       Poklanfe    potam    radom    Pirmiaus 
iog    parafianai    ||  Ragaine  |  Wieich wilo  |   Lafdi- 
nufu  I  Pilkalnnfu  |  Schirwinto  |  Kraupifchkie  |  ir 
Wilkifchkiufa   ]   ir   Kitofa    wietofa   to    wallch-  1|20 
cziaus  I  tarp  kuru  ira  Schultißns  |  Pakamores  '  ir 
Raitmanai  |  kurie    ne   rodi  Baßniczau    eit  I  retai 
Szadzia    Diewa    klau-  ||  fa  i  ir   Schweiitus  Sacra- 
mentus  ne  tiktai   retai    prighira  |  bet   dabar  ant 
ta     atßagarei     alba     biaurei    blnsnidami     kalba.  25 
Kaktai   mes  |  iag   per   tiek  ||  raetu    Diewa  Szadis 
ghiemus  cziftai  ira  fakamas  |  bet  tapirmiaus  nog 
tu  kurie  Vredofu  fied  |  ir  pafpalitiems  ßmanieins 
turetu    gieru    pa^vaif-  ||   du    buti  |  ne    fu    maßu- 
nuüiftebeghimu  *)    bet  fu  didziu  ne  pafTimegbirau  30 
girdeiam.       0   iog  takfai   ne    lemtas    giwenimas 
alba    ne    pabaßuas  I   Diewa  ||  dangui    inartin  |  ir 
ant  bailaus  karaghima  ir   kafnijma    atweda  |  t€i- 
paieg  kaßnam  ischganims  dufchas  ant  ta  ußgul: 
Tada  mes  narim  kiekwiena  |1  a  skirui  tus  j  kurie  35 
Vredufa   ira  !   malaningai    graudenti   |  ir    tikrai 
prifakiti  |  idant    patam   kiekwienas  tankiei  Baß- 
niczion    eitu  ]  Szadzia  Diewa  ||  radas  klaufitu  )  ir 
dufchas  peuufchkla^)  |  fchwentaghi  Sacramenta  \ 
tikroghi  kuna  ir  kraughi   wiefchpaties   mufu  Je- 40 
faus  Chriftaus  |  ant   atleidi-  ||  ma    grieku    ir    ap- 
tureghima   amßina   ßiwata  |  tikrame    gailefeie   ir 
pakarnifteie  |  daßuai  ir  wertingai  prighimtu.     Ir 

1)  D.  i.  maBu  noffirtebeghimu.  2)  penakfchla. 


248 

teipa    wie  aas    antram  |  pagal  ||  Diewa    prifakima 

45gieru  krikfchczauifchku  pawaifdu  butu  |  bei  fawa 
artimamuiem  ne  iokia  paffipiktinima  ne  dotu. 
Idant  teipa  Diewa  narfa  ||  ir  karanes  ant  lawes 
ne  krautu  |  ifchganima  ne  patratitu  |  ir  ija  Dei- 
wifchka  macis  ant  karanes    ne    butu    pabudinta. 

50  Kadangi  papeikimu  ija  ||  mielaia  ifch  ganitingaia^) 
ßadzia  |  bei  Schwentu  Sacraraentu  |  teip  ne  de- 
kiugi  paffirada  tada  to  paczu  ßadi  galetu  ifch 
fchu  kampu  atimti,  ||  Idant  tatai  ne  nuffidotu  | 
tur  panas  Diewas  fu  tikru    dufaughimu    Ichirdes 

55  buti  melftas.  ||  Mes  priegtam  ifch  tirem  iog  daug 
Kurfchu  ir  Lietuwniku  raufu  fcha  wallcheziaus 
Ragaines  ir  Tilßes  |  didi  Deiwiu  alba  Itabu  gar- 
bina-  j|  ghima  dara  alba  laika  |  atlakidami  Gaius, 
affierawadami   bernelius  wafcbka  ]  alba    fanarius 

öOkakius  ifch  wafchka  padaritus  |  ir  paweikflius  jj 
baudikfchczia  kakia  daranczius  |  ir  kitus  ßaline- 
ghimus  alba  ßinawimus  \  bei  burtawimus  laikan- 
tis.  0  skirui  girdeiam  fchwenta  diena  Ne- 1| 
deles    krikfchczanilchku    fchwentu   ne    fchwenti- 

65nantis  |  bet  diena  Nedeles  dirbantis  |  kaip  ir 
kitas  dierias  |  a  tatai  wis  priefcb  priefakima 
Diewa  da-  J|  rautis.  Ant  ta  dabar  girdeiam  tarp 
Lietu  winiku  ^)  didzus  griekus  |  tatai  esti  |  ne- 
cziftibes  |  biauribes  |  kiekfchiftes  ]  perßenghimus 

70  wenczawaniftes  I  ||  ir  kitas  pikteuibes  tarn  ligies  | 
teipaieg  didzei  platinanczes  1  del  kuru  panas  wiffa 
ßeme  galetu  karati  |  kaip  ir  tiemus  daiktams 
ligus  pawifdzius  ||  rafchte  fchwentame  randame. 
Kurie   daiktai    mumus    kaip    krikfchczanifchkai 

75  Wiraufibei  weifdcti  ^)  ir  kieuteti  ne  prifieit  Tadel 
mes  narmi  *)  kiekwie- 1|  nam  ußfakiti  |  idant  dau- 
giaus  kiekwiens  nog  meldima  balwanu  alba  ftabu 
atftatu  I  ßalineghimus  alba  ßinawimus  atmeftu  ] 

ifchganitingaia.  2)  Lietuwiniku. 

weifdeti.  4)  narim. 


249 

fchwenta  nedele  ||  ir    kitas    fchwentes  |  pilnai  ir 
nabaßnai  fchweftu  bei  pildmie  ')  fchlußbas  Diewaj  80 
fchas    ßemes  Baßniczias    pataftime')    ir    Corpori 
Doctrinae  ^)   fawe  ||  paklufuumis   daritu  |  bey    no 
tu  pirm  fakitu  biaoribiu  atftatu  |  ir  fawe  ßiwate 
paffilepfchita.      0   iei    tatai    teipa    ne    nufidos  j 
alba    ne   ftafifi  |  tada   mes  ||  tikru    mufu    ußweis-85 
deghimu    priefch    perßenktaius     tu    daiktu   ]  ne 
narim  praleifti  |  bet  takius  kitems  ant  pamakfla 
alba  pawaifda  karati.  ||  Priegtara  teipaieg  fafiße- 
dawime   |   ir    wenczawaniftes    bilofu  |  ne     tiktai 
wiflas  indiwnas  ir  prieg  krikfchtzauiu  paiunktuf-90 
ius    papraczius    ir   ||  Ceremonias  *)  |    laika  |  bet 
prieg   tarn  tikrai  Wenczawaniftei   iau  fantz  alba 
effant  ne  patagei  ir  ne  wiefchlibai  girdim  nuITi- 
dodant  |  ir  atfiskirti  tula  \\  gieidenti  !  per  kaktai 
Schwenta  Wencziawanifte   |  kaip    ir    Diewa   fe-95 
niaufefis    iftatimas^)     daugiaus    numaßinaraa    ne 
kaip  pagarbinama  ira.  ||  Tadel  narim  matce  mufu 
Herttzkifchka  ^)  Vreda   takius  paganifcbkns  |  ne- 
patagus    ir   ne    wiefchlibus    daiktns    ußfakiti    ir 
ußdraufti  ir  tur  taliaus  ||  fadereghimolu  ir  bilafulOO 
Wenczawaniftes  |  Ceremonias  ir   paiunkimus  pa- 
gal    macis    Diewa    iltatitus  |   ir    pagal    iftatima 
Baßniczias  Prufu  |  lai-  ||  kiti.     Teipaieg   newiens 
Wenczwianiste  ^)  ne  tur  buti  prileiftas  |  net  turi 
pirm  lawa  wirifchku  metu  fulaukti.     Wiflofu  tofulOÖ 
daiktofn    tur    kiekwienas  ||  plebanas    ant    fawa 
klaufitaiu  dabatifi  |  tus  daiktus  tikrai  be  glaudas 


1)  pildime.  2)  paftatime. 

3)  Die  Worte  Corpori   Doctrinae   sind    im   Original 
lateinisch  gedruckt. 

4)  Ceremonias  ist  hier  und  zu  Z.lOl   lateinisch  ge- 
druckt. 

5)  iftatimas. 

6)  Hertzikifchka. 

7)  Wencziawaaifte. 


250 

nßweisdeti   ir   tatai    ifchpilditi.  1|  Priegtam    ran- 
dame  mes  teipaieg   iog  prieg   nekuru   kiemu   ne 

llOwienas  tikras  wietas  palaidaghimu  ne  laka  |  bet 
lawa  numirufiu  kunus  ||  ing  pufta  lauka  laidaie  | 
takiu  daiktu  tarp  krikfchczaniu  ne  tur  buti :  Ir 
narime  tarne  teipa  paltatiti  |  bei  prifakam  \  idant 
patam  tikra  Ichwenta-  ||  riu  laikitu  |  ta  pati   ap- 

115  daritu  ir  aptwertu  |  in  kuri  numirufius  kunus  | 
pagal  Diewa  ßadzia  ir  krikichcz  anifchka  ^)  giera 
iftatima  ir  paiunkima  I  ||  gal  laidoti.  ||  Begwel 
ifchtirem  mes  |  iag  Lietuwinikai  ir  kiti  ]  ne  kiek 
cziefa  fawa  paftatita  Baßnicze  laika  |  bei  kartais 

120  ing  Szeraaiczius  |  Baßniczian  ||  eit  |  ir  tienai  pa- 
gal Papieß  ifchka^)  buda  bei  paiunkima  doft 
Oleu  teptifi  ir  wenczawatifi,  Ifch  to  tada  fekali  j 
iog  tulas  del  naudos  |  fawa  kudiki.  ||  (Kaip  tatai 
mumus  ataius  iug  Tilße  |    ir   Ragaine   nufidawe) 

125  ir  pa  du  kartu  doft  krikfchtiti.  Kurfai  ne  ti- 
kumas  |  ir  kaip  wiena  karta  prijmta  |  ir  |I  ifch- 
paßinta  tikra  Praraku  ir  Apafchtalu  makfla  ]  ne 
palaika  |  mumus  kaip  ir  kits  ne  wiefchlibas  gl 
wenimas  ^)  (  didei  ne  patinka  |  neg  ia  kiencziam  | 

130  naTa del  •  idant  tai  wiffa  butu  ufdraufta  ]  tada 
II  rim  ir  prifakam  drutai  |  idant  ne  wienas  fwe- 
timu  Baßniczu  ne  ußeitufe  (  narint  tai  butu 
mufu  II  angu  fwetime  walfchczui.  Bet  kiek  wienas 
tafpi    Baßnicziafpi   |  kuriafpi    paskirtas   ira  j  fu 

135klaufijmu  Diewa  ßadzia  |  priemimu  Sacramentu  | 
wen  II  czawaghimu  |  krikfchtijmu  |  ir  kitu  krikfch- 
czanifchku  iftatimu  |  teffi  laika.  Priegtam  idant 
newienas  Plebanas  tame  daikti  antram  ne  ifi- 
kifchtu  I  11  net  dideie  prigadaie  |  Narim  teipaieg  | 

140ieib  ant  be  weikiaulia  Baßniczas  vilitawatas 
angu    per    Biskupa   atlankitas    butu :    Tur    tada 

1)  krikfchczanifchka. 

2)  Papießifchka. 

3)  giwenimas. 


251 

padonieij  |j  prifigatawit  I  idaut  kiekwienas  fa 
maldamis  ir  kitu  pamakfla  galetn  ifchftaweti. 
Ir  kada  ta  Vifitacia  bus  pradeta  |  tada  Vifita- 
waiantemus  |1  Scribele  alba  kamarnikas  |  alba  145 
kits  knrfai  tarn  tikras  butu  ]  bei  Lietuwifchkai- 
makas  ^)  ifch  wiefchlibu  wiru  tur  buti  priskirtas.  || 
Tatai  wis  narim  nog  wiffu  ir  kiek  wiena  mafu 
walfchczians  Tilßes  bei  Ragaines  padaniu  |  ir 
nog  wiffu  kitu  kur  Lietuwifchkas  Pleba-  ||  nias  150 
ira  I  ftiprai  '  drutai  ir  ne  nuflidetinai  |  laikama.y 
Ir  ne  abeiaghem  ant  ta  |  iog  kiekwienas  tarne 
kaip  krikfchczonis  |  ta  paklufnuma  padaris  |  ir 
pakarnei  laikitifi  ßinas  I  ieng  ghiffai  bafenczia  || 
teip  fwietilchka  kaip  amßina  karaghiraa  galetu  155 
ifchwenkti.  Tatai  nuflidoft  wiffagalinczam  Die- 
wui  ant  amßinas  fchlowes  ir  garbes  |  Ir  kaß-  || 
nam  ant  ifchlaikima  ia  ifchganima.  Ir  nuffidoft 
tarne  niufu  tikraie  walia  ir  ßinia.  Ant  paßiuima 
ir  paftiprinima  tu  daiktu  |  fchitai  fawa  tikray  \\  160 
ranka  ußrafchem.  Ir  peczeti  (awa  pridedineiam. 
Dotas  Tilßeie  6.  diena  menesia  Siekia.  Metu 
Chrirtaus  1578.  |i 

Von  Gottes  Gnade  wir  Georg  Friedrieh,  Mark- 
graf zu  Brandenburg,  Preußen,  Stettin,  Pommern, 
Kaschuben  und  Wenden,  desgleichen  Herzog  in 
Schlesien,  Jägersdorf  u.  s.  w.,  Burggraf  zu  Nürn- 
berg und  Herr  zu  Rügen.  Dieweil  jeder  Christ 
in  allen  seinen  Geschäften  zuerst  auf  Gott  ach- 
ten und  eben  von  ihm  den  Anfang  machen  soll, 
auf  daß  er  von  ihm  um  so  mehr  Segen  erlangen 
könne,  so  bekümmerten  auch  wir  bei  unserer 
nun  begonnenen  allgemeinen  Visitation  und 
ebenso  in  der  vollendeten  Visitation  des  Amts- 
bezirkes  von  Ragnit   und   [des  von]   Tilsit   uns 

1)  Lietuwifchkai  makas. 


252 

zuerst  um  den  Gottesdienst,  um  die  dazu  ver- 
ordneten Kirchen  und  um  die  anderen  dazu 
nöthigen  Dinge.  Wir  fragten  deshalb ,  wie  die 
Kirchen  überall  verwaltet  sind,  ob  sie  nicht  be- 
dürftig seien  und  irgend  welcher  Dinge  zu 
[ihrer]  Erhaltung  entbehrten.  Auf  unsere  Frage 
fanden  wir  dann  erstens,  daß  die  Pfarrkinder 
in  Ragnit,  Wischwill,  Lasdehnen,  Pilkallen, 
Schirwind,  Kraupischken  und  Wilkischken  und 
in  anderen  Orten  des  Amtsbezirkes,  unter  wel- 
chen Schultheißen ,  Unterkämmerer  und  Raths- 
männer  sind,  welche  nicht  gern  zur  Kirche  ge- 
hen, das  Wort  Gottes  selten  hören  und  die  hei- 
ligen Sakramente  nicht  nur  selten  empfangen, 
sondern  sogar  obendrein  mit  Abneigung  oder 
mit  abscheulicher  Lästerung  [über  dieselben] 
sprechen.  Dieses  haben  wir,  dieweil  so  viele 
Jahre  hindurch  das  Wort  Gottes  ihnen  rein  ge- 
predigt ist,  aber  besonders  von  denen,  welche 
in  Aemtern  sitzen  und  den  gemeinen  Leuten 
zu  gutem  Beispiele  dienen  sollten,  nicht  mit 
geringer  Verwunderung,  sondern  mit  großem 
Mißfallen  gehört.  Und  weil  ein  solches  schlech- 
tes oder  gottloses  Leben  Gott  im  Himmel  er- 
zürnt und  zu  furchtbarer  Strafe  und  Züchtigung 
bewegt,  desgleichen  [weil]  einem  jeden  das  Heil 
der  Seele  hierbei  am  Herzen  liegt:  So  wollen 
wir  einen  jeden ,  aber  besonders  die,  welche  in 
Aemtern  sind,  gnädiglich  ermahnen  und  [ihnen] 
recht  befehlen,  daß  künftig  ein  jeder  häufig  zur 
Kirche  gehe,  auf  das  Wort  Gottes  gern  höre, 
und  die  Seelenspeise,  das  heilige  Sakrament, 
den  wahren  Leib  und  das  [wahre]  Blut  unseres 
Herrn  Jesu  Christi  zur  Vergebung  der  Sünden 
und  Erlangung  des  ewigen  Lebens  in  rechter 
Reue  und  Demuth  häufig  und  würdiglich  empfange, 
und  [daß]  so  einer  dem  anderen  nach  dem  Ge- 


253 

böte  Gottes  ein  gutes,  christliches  Vorbild  sei 
und  (daß  niemand]  seinem  Nächsten  kein  Aer- 
gernis  gebe,  damit  er  dadurch  Gottes  Zorn  und 
Strafen  nicht  auf  sich  lade ,  um  die  Erlösung 
nicht  zu  verscherzen,  und  [damit]  seine  göttli- 
che Macht  zur  Strafe  nicht  gereizt  werde:  weil 
man  durch  die  Verachtung  seines  lieben ,  selig 
machenden  Wortes  und  der  heiligen  Sakramente 
sich  so  undankbar  zeigt,  so  könnte  er  das  sel- 
bige Wort  aus  diesen  Gegenden  wegnehmen. 
Damit  dieß  nicht  geschehe,  muß  der  Herr  Gott 
mit  rechtem  Seufzen  gebeten  werden.  Wir  er- 
fuhren außerdem ,  daß  viele  unserer  Kuren  und 
Litauer  dieses  Amtsbezirkes  von  Ragnit  und 
[des  von]  Tilsit  eine  große  Verehrung  der  Götzen 
oder  Bildsäulen  treiben  oder  unterhalten,  indem 
sie  die  Haine  besuchen,  Wachskinder  oder  irgend 
welche ,  aus  Wachs  verfertigte  Glieder  opfern 
und  Bilder  eines  gewissen  Tieres  verfertigen  und 
andere  Zaubereien,  oder  Hexereien  und  Lose- 
reien treiben.  Und  besonders  hörten  wir,  daß 
sie  den  heiligen  Sonntag  als  ein  christliches 
Fest  nicht  feiern,  sondern  am  Sonntage  arbeiten, 
wie  auch  an  den  anderen  Tagen,  und  [daß  sie] 
das  alles  gegen  das  Gebot  Gottes  tun.  Dazu 
hörten  wir  nun,  daß  unter  den  Litauern  große 
Sünden,  nemlich  Unkeuschheit,  Unzucht,  Hurerei 
Ehebruch  und  ferner  andere  dem  gleiche  Laster 
sich  sehr  ausbreiten,  wegen  welcher  der  Herr 
das  ganze  Land  strafen  könnte,  wie  wir  auch 
diesen  Dingen  ähnliche  Beispiele  in  der  heiligen 
Schrift  finden.  Diese  Dinge  anzusehen  und  zu 
dulden,  geziemt  sich  [für]  uns,  als  einer  christ- 
lichen Obrigkeit,  nicht,  deshalb  wollen  wir  einem 
jeden  befehlen,  daß  [nun-]mehr  ein  jeder  von 
der  Anbetung  der  Götzen  oder  Bildsäulen  ab- 
stehe,  die  Zaubereien   oder  Hexereien  verwerfe, 


254 

den  heiligen  Sonntag  und  die  anderen  Feste 
voll  und  fromm  feiere  und  sich  in  der  Erfüllung 
des  Gottesdienstes  in  Hinsicht  auf  die  Kirchen- 
ordnung dieses  Landes  und  dem  Corpori  Doc- 
trinae  gehorsam  erweise  und  von  den  vorhin- 
genannten Lastern  abstehe  und  sich  in  [seinem] 
Leben  bessere.  Und  wenn  das  nicht  so  ge- 
schehen oder  sich  ereignen  wird ,  dann  wollen 
wir  unsere  ordentlichen  Ahndungen  gegen  die 
Uebertreter  der  Dinge  nicht  unterlassen,  sondern 
solche  anderen  zur  Lehre  oder  [zum]  Exempel 
bestrafen.  Dazu  beobachten  sie  ferner  nicht 
nur  bei  der  Verlobung  und  den  Trau-Verhand- 
lungen  lauter  wunderliche  und  gegen  der  Chri- 
sten herkömmliche  Gewohnheiten  und  Cerimo- 
nien  [verstoßende  Cerimonien],  sondern  oben- 
drein, wenn  die  richtige  Ehe  schon  besteht  oder 
bevorsteht,  geschieht  es ,  wie  wir  hören,  in  un- 
anständiger und  unehrbarer  Weise,  daß  sich 
mancher  aus  Lust  scheidet,  wodurch  die  heilige 
Ehe ,  wie  auch  die  älteste  Verordnung  Gottes, 
mehr  verachtet  als  geehrt  wird.  Deshalb  wollen 
wir  kraft  unseres  herzoglichen  Amtes  solche 
heidnischen ,  unanständigen  und  unehrbaren 
Dinge  verbieten  und  verwehreu,  und  man  soll 
bei  den  Verlöbnissen  und  den  Trau  -  Verhand- 
lungen die  Cerimonien  und  Gebräuche  gemäß 
den  von  Gott  eingesetzten  Gewalten  und  gemäß 
der  preußischen  Kirchenordnung  üben.  Auch 
soll  niemand  zur  Trauung  zugelassen  werden, 
sondern  er  soll  vorher  seine  männlichen  Jahre 
erreichen.  In  allen  diesen  Dingen  soll  ein  jeder 
Pfarrer  auf  seine  Zuhörer  achten ,  diese  Dinge 
recht  ernstlich  ahnden  und  dieß  erfüllen.  Au- 
ßerdem finden  wir  ferner,  daß  sie  bei  einigen 
Dörfern  keine  rechten  Begräbnisstätten  halten, 
sondern  sie  bestatten  die  Leiber  ihrer  Verstor- 


255 

benen  in  wüsten  Acker:  solche  Dinge  dürfen 
zwischen  Christen  nicht  sein  nnd  wir  wollen 
dabei  so  verordnen  nnd  wir  befehlen ,  daß  sie 
künftig  einen  ordentlichen  Kirchhof  halten,  den- 
selben einhegen  und  umzäunen,  in  welchen  sie 
die  toten  Leiber  nach  dem  Worte  Gottes  nnd 
christlicher,  guter  Ordnung  bestatten  können. 
Und  wiederum  erfuhren  wir,  daß  die  Litauer 
und  andere  sich  nicht  jeder  Zeit  zu  ihrer  ver- 
ordneten Kirche  halten,  sondern  bisweilen  nach 
Zemaiten  zur  Kirche  gehen  nnd  sich  dort  nach 
papistischer  Sitte  mit  Oel  salben  und  trauen 
lassen.  Daraus  folgt  dann,  daß  mancher  des 
Gewinnes  wegen  sein  Kind  (wie  das ,  als  wir 
nach  Tilsit  und  Ragnit  kamen ,  geschah)  zu 
zweien  Malen  taufen  läßt.  Dieser  Mißbrauch 
und  [der  Umstand]  daß  sie  die  einmal  ange- 
nommene und  bekannte  wahre  Lehre  der  Pro- 
pheten und  Apostel  nicht  bewahren  mißfällt 
uns,  wie  auch  das  andere  uuehrbare  Leben,  sehr 
und  wir  dulden  das  nicht.  Deshalb,  damit  das 
alles  verwehrt  sei,  so  wollen  und  gebieten  wir 
bestimmt,  daß  niemand  fremde  Kirchen  besuche, 
mag  es  in  unserem  oder  in  fremdem  Gebiet 
sein ;  sondern  ein  jeder  halte  sich  zu  der  Kirche, 
zu  welcher  er  verordnet  ist  mit  Anhörung  des 
Wortes  Gottes,  Empfang  der  Sakramente,  Trau- 
ung, Taufe  und  anderer  christlicher  Einrichtung. 
Ferner:  daß  kein  Geistlicher  in  dieser  Sache 
einem  anderen  sich  einmische,  außer  in  großer 
Noth.  Wir  wollen  auch,  daß  auf  das  schleunigste 
die  Kirchen  visitirt  oder  durch  den  Bischof  be- 
sucht werden ;  die  Untergebenen  sollen  sich 
dann  vorbereiten ,  damit  ein  jeder  mit  den  Ge- 
beten und  der  anderen  Lehre  bestehen  könne. 
Und  wenn  die  Visitation  begonnen  werden  wird, 
dann    soll    den   Visitatoren   ein    Schreiber    oder 


256 

Kämmerer  oder  ein  andrer,  welcher  dazu  ge- 
schickt und  des  Litauischen  kundig  sei,  aus  den 
ehrbaren  Leuten  zugeordnet  werden.  Dieses 
alles  wollen  wir  von  allen  und  einem  jeden  der 
Unterthanen  unseres  Amtsbezirkes  von  Tilsit  und 
Ragnit  und  von  allen  anderen ,  wo  litauische 
Pfarreien  sind,  genau,  bestimmt  und  streng  ge- 
halten [wissen].  Und  wir  zweifeln  dabei  nicht, 
daß  ein  jeder  darin  als  Christ  den  Gehorsam 
üben  und  sich  demütig  zu  halten  wissen  wird, 
damit  er  die  zukünftige,  sowohl  weltliche  als 
ewige  Strafe  vermeiden  könne.  Das  geschieht 
dem  allmächtigen  Gott  zu  ewigem  Preis  und 
Ruhm  und  einem  jeden  zur  Erhaltung  seiner 
Seeligkeit,  und  geschieht  darin  unser  rechter 
Wille  und  [unsere]  Meinung.  Zur  Erkenntnis 
und  Bekräftigung  dessen  haben  wir  dieses  mit 
unsrer  eignen  Hand  unterschrieben  und  haben 
unser  Siegel  hinzufügen  lassen.  Gegeben  zu  Til- 
sit, am  6.  Tage  des  Monats  December  des  Jah- 
res Christi  1578. 


Z.  9/10.  Die  Form  praf ideiof oijoi  (be- 
stimmter Loc.  Sg.  Fem.  Part.  Aor.  von  prasi- 
deti)  ist  sehr  beachtenswerth;  sie  stimmt  zu 
ateiuliam,  pawargüfiu,  kelulifi  und 
anderen  Formen  der  Art,  die  ich  in  meinen 
»Beiträgen  zur  Gesch.  d.  lit.  Sprache«  aufge- 
führt habe,  und  die  beweisen,  daß  das  suffixale 
u  des  Part.  Aor.  Act.  zunächst  aus  u  =  ä  (aus 
^)  entstand.  Dieses ä  reflectirt  prafideioloi- 
j  0  i  besonders  deutlich. 

Z.  12  ff.  Hier  ist  ape'  zweimal  mit  dem  Ac- 
cusat.,  einmal  mit  dem  Genit.  (ape  paskirtu  ant 
ta  Baßnicziu)  verbunden.  Das  letztere  ist  nicht 
unrichtig,  vgl.  Giefmos  ape  pakutos,  Gief- 


257 

mes   ape    apteifinimo    in   den   Sengstock- 
schen  Giesmes  pp.  103,  105. 

Z.  14  habe  ich  kitus,  wie  es  der  Zusam- 
menhang verlangt,  durch  »die  anderen«  über- 
setzt,  was  in  der  heutigen  Sprache  kitu'sius 
heißen  wurde;  in  den  älteren  Texten  sind  die 
Grenzen  zwischen  bestimmter  und  unbestimmter 
Decliuation  noch  etwas  verwischt,  Beispiele  da- 
für habe  ich  in  den  >Beitr.  z.  Gesch.  d.  lit. 
Sprache«  gegeben. 

Z.  18.  *Parafiana8  (Nom.  PI.  parafia- 
nai)  ist  das  heutige  parapijonas  (Nessel- 
mann Wbch.  S.  278),  in  dem  nach  Ausweis  von 
*parafianas  das  zweite  p  aus  f  entstanden 
ist  (vgl.  t r 6 p  y  t i  poln.  t r  a f i c).  Neben  p  a r a- 
pijonas  stehen  parapija  und  parakvija 
die  Parochie.  Für  das  letztere  Wort  habe  ich 
»ßeitr.  z.  Gesch.  d.  lit.  Spr.«  S.  77  Anm.  3  an- 
genommen ,  daß  es  aus  dem  deutschen  paro- 
chie entlehnt  und  daß  dessen  ch  im  Lit.  zu 
k  V  geworden  sei  (vgl.  a  k  v  a  t  a  russ.  o  c  h  o  t  a). 
Ich  halte  dieß  jetzt  der  Form  parafianai 
wegen  für  unrichtig  und  nehme  an,  daß  para- 
kvija vermittelst *par ach vija  aus  parafija, 
poln.  parafia  (=  parapija)  entstanden  sei 
(vgl.  kvartuna,  alt  chwartuna  =  poln. 
fortuna). 

Das.  Die  urkundliche  Geschichte  des  Na- 
mens Wischwill  kann  ich  hier  nicht  fest- 
stellen; die  Form  Wie  Ich  wilo  zeigt  als  erstes 
Glied  desselben  vesz-,  das  mit  dem  Namen ele- 
ment  vaisz-  in  z.  B.  Vaisznoras  (so  hieß 
der  üebersetzer  der  Margarita  theologica)  iden- 
tisch sein  wird.  Mit  Vaisznoras  stimmt  der 
altpreuß.  Name  Waisnar  genau  überein,  in 
deßen  erstem  Bestandteil  also  nicht,  wie  ich  frü- 
her angenommen  hat  (Die  Bildung  der  altpreuß. 

24 


258 

Personennamen  S.  48  des  Separatabznges)  lit. 
vaisüs,  oder  preuß.  weisin  steckt. 

Z.  25.  atßagarei  habe  ich  übersetzt  »mit 
Abneigung«;  wörtlich  heißt  es  »in  zurück- 
gehender Weise.«  Nesselmann  Wbch.  S.  538 
ist  geneigt,  atzagar  as  (atzagarus,  atza- 
garoti)  zu  zagaras  »dürres  Strauchwerk« 
u.  a.  zu  stellen ;  das  wäre  jedoch  sehr  unrichtig. 
Vielmehr  gehört  at-zagaras  zu  zenkti 
schreiten;  der  Wechsel  von  atfchagarni  und 
atfchugarni  im  Lettischen  beweist,  daß  für 
atzagaras  richtiger  atzq,garas  zuschreiben 
ist,  zq,gara-  (schreitend)  entspricht  genau  dem 
zend.  zangra  (in  z.  B.  bizangra)  »Fuß«  = 
»der  schreitende.« 

Z.  26.  Hier  und  u.  ZZ.  74,  125  habe  ich  das 
den  Satz  beginnende  Relativum  demonstrativ 
übersetzt;  dieß  ist  ganz  unbedenklich,  da  im  Li- 
tauischen, wie  im  Lateinischen,  ein  Satz  durch 
ein  relatives  Pronomen  an  einen  vorhergehenden 
Satz  angeschlossen  werden  kann,  vgl.  u.  a.  Geit- 
1er  Lit.  Stud.  S.  23  Z.  14. 

Das.  iag  hat,  wie  o.  Z.  5.  (jog)  undu.  Z.  31, 
causale  Bedeutung,  was  jedenfalls  sehr  selten  ist. 

Z.  31.  Der  Sinn  der  sehr  prägnant  gefaßten 
Stelle  ist:  Weil  ein  so  schlechtes  Leben  Gott 
zu  schweren  Strafen  reizt  [die  man  durch  Bes- 
serung desselben  vermeiden  muß]  und  weil  einem 
jeden  [also  auch  mir]  das  Seelenheil  [der  im  vor- 
stehenden bezeichneten  Leute]  am  Herzen  liegt, 
so  ermahne  ich  [dieselben,  um  sie  dadurch  auf 
den  richtigen  Weg  zu  leiten  und  ihnen  so  zur 
Seligkeit  zu  verhelfen]  u.  s.  w.  Ganz  ebenso 
ist  der  Sinn  der  entsprechenden  Stelle  in  U,  wo 
tha  ya  mit  einander   zu  verbinden  sind  (töjo). 

Z.  40.     Zu    tikroghi   (=  tikri^-ji)  vgl.   to 


25d 

paczu  Z.  52  und  »Beitr.  z.  Gesch.  d.  lit.  Spr.c 
SS.  123,  134,  168. 

Z.  57.  üeber  Deiwiu  alba  ftabu  (vgL 
balwanu  alba  ftabu  Z.  77)  vgl.  »Beiträge  z. 
Kunde  d.  indog.  Sprachen«  I.  45,  164. 

Z.  58.  garbinaghima  =  garbinojim^  von 
einem  Verbum  garbinoti  =  gärbinti;  über 
den  Wechsel  von  Verbis  auf  -inoti  und  -inti 
s.  «Beiträge  z.  Gesch.  d.  lit.  Spr.«  S.  112  ff. 

Das.  atl  akidami .  . .  affierawadami  ge- 
hören syntaktisch  zu  daugKurlchuirLie- 
tuwniku,  eine  constructio  ad  sensum;  nachher 
ist  der  Verfasser  mit  daranczius  und  1  a i- 
k  a  n  t  i  s  ganz  aus  der  Construction  gefallen,  indem 
er  das  zwischen  ifch  tirem  und  daug  (Z.  55) 
stehende  iog  übersah.  Die  Acc.  Plur.  laikan- 
tis(Z.  62),  fchwentinantis  (Z. 64),  dirbantis 
(Z.65),darantis(Z.  67)  können  aus*laikantius, 
*fchwentinantius  u.  s.  w.  (vgl.  keturis 
und  keturius  »Beiträge  z,  Gesch.  d.  lit.  Spr.« 
S.  178)  entstanden  sein,  sie  können  aber  auch  Stäm- 
men auf  -anti-  angehören  (vgl.  »Beiträge  z. 
Gesch.  d.  lit.  Sprache«  S.  158  f.) 

Das.  atlakidami  (=  atlq,kydami)  Gaius; 
den  lit.  Namen  solcher  (heiligen)  Haine  habe 
ich  »Beitr.  z.  Kunde  d.  ig.  Sprn.«  I.  42  nach- 
gewiesen. 

Z.  59.  affierawadami  bernelius  wafch- 
ka;  richtiger  wäre  die  Wortstellung :  a.  wafchka 
bernelius.  In  dem  Opfern  wächsener  Kinder 
liegt  wol  eine  Reminiscenz  an  frühere  Menschen- 
opfer vor. 

Das.  Beifanarius  kakins  ilchwafchka 
padaritus  erinnert  man  sich  unwillkürlich  an 
das  »de  ligneis  pedibus  vel  manibus  pagano  ritu« 
des  Indiculus  superstitionum  et  paganiarum 
(Pertz  LL.  I.  19). 

24* 


260 

Z.  60.  paweikflius  bandikfchczia  ka- 
kia;  *bandiksztis  »Tier«  fehlt  in  den  Wör- 
terbüchern, es  ist  aus  banda  die  Heerde  ge- 
bildet. Von  welchem  Tiere  man  Bilder  verfer- 
tigte ist  uns  leider  nicht  gesagt,  ich  würde  auf 
die  Schlange  raten  (vgl.  Lit.  u.  Lett.  Drucke  I. 
3.  4,  Simon  Grünau  ed.  Perbalch  S.  80,  Präto- 
rius  Deliciae  Pruss.  ed.  Pierson  S.  35  ff.),  wenn 
nicht  *bandiksztis  seiner  Ableitung  nach  (K. 
Beitr.  8.  365)  ein  Nutztier  bezeichnete.  —  pa- 
weikflius führt  auf  den  Nominativ  paveikslis 
Nebenform  von  paveikslas  (Nesselmann  Wbch. 
S.  75) ;  paveikslas,  *paveikslis  leite  ich 
nicht  von  veikti  ab,  sondern  betrachte  sie  als 
aus  *pa-veizdlas,  pa-veizdlis  (vgl.  pa- 
vei  zd  as,  nach  Szyrwid  »Bild,  Figur«)  entstanden. 

Z.  61.  Zu  ßalineghimus  (s.  u.  Z.  78)  vgl. 
fzolinikas  »Beitr.  z.  Kunde  d.  ig.  Sprn.«  1.47. 

Z.  62.  burtawimus  istAcc. Plur.  von*bur- 
tavimas,  das  ein  sonst  nicht  zu  belegendes 
burtauti  »losen«  voraussetzt.  Das  Los  scheint 
bei  den  Litauern  eine  große  Rolle  gespielt  zu 
haben,  im  Katechismus  v.  1547  (Lit.  u.  Lett. 
Dr.  L  6. 19)  wird  eine  schwenta  burtinikie 
(heilige Loserin) genannt.  Aus  dem  lit.  bürtas 
»Los«  ist  das  in  dem  o.  mitgeteilten  deutschen 
Schreiben  vorkommende  Verbum  »Bortten«  ge- 
bildet. 

Z.  63.  skirui  hier  und  o.  Z.  35  ist  adver- 
biell  gebrauchter  Dativ  von  s  ky  r  u  s ;  »besonders« 
heißt  sonst  skyrü,  das  aus  skyrui  entstanden 
sein  kann. 

Z.64.  krikfchczanifchknichwentuTiabe 
ich  übersetzt  »als  ein  christliches  Fest;«  bei  dem 
im  Litauischen  häufigen  Themen  Wechsel  (»Beitr. 
z.  Gesch.  d.  lit.  Spr.«  S.  94  ff.)  darf  neben 
szvente  »das  Fest«  ein  Mascul.  szventas  mit 


261 

gleicher  Bedeutung  angenommen  werden.  Man 
kann  aber  krikfchczauifchkuund  fch  wentu 
auch  als  Instr.  Sg.  Adj.  (Ntr.)  auffassen:  »als 
etwas  christliches,  heiliges.« 

Z.  71.  platinanczes  steht  für  plati- 
uanczes-s(i};  richtig  wäre  übrigens  plati- 
n  a  n  c  z  u  s. 

Z.  82.  In  idant  .  .  kiekwiens  .. .  fawe 
paklufnnmis  daritu  erscheint  wieder  eine 
constructio  ad sensum ;  für  fawe  daritu  stünde 
besser  daritus,  indessen  das  Reflexivum  ist  in 
der  älteren  Sprache  auch  sonst  zuweilen  mit 
f  a w e  gebildet,  vgl.  u.a.  teip  linkfmin  fawe 
wargufu  Schwentas  Jobas  im  II. Band  der 
Bretkenschen  Postille  p.  40. 

Z.  85.  ußweisdeghimu  habe  ich  mit  »Ahn- 
dungen« nicht  zu  frei  übersetzt;  nzveizde'ji- 
mas  ist  genau  lat.  animadversio. 

Z.  91.  Mau  erhält  hier  einen  vernünftigen 
Sinn  nur,  wenn  man  nach  Ceremonias  eine 
Lücke  annimmt  und  dieselbe  so  ausfüllt,  wie  es 
in  der  Uebersetzung  geschehen  ist. 

Z.  92.  Wenczawanift  ei  iau  fantz  alba 
effant;  fantz  ist  Gerund.  Praes.,  effant  Ge- 
rund. Fut. 

Z.  93.  girdim  nuffidodant  ir  atfi- 
skirti  tula  gieidenti;  hier  steht  nach  nu- 
sidu'ti  der  Accus,  c.  Inf.,  vgl.  Jr  nufidawe 
[tikofi  tropijos]tha  Lanka  [Dir wa]  buti 
Boas  Ruth  2.  3  in    der  Bretkenschen  Bibel. 

Z.  96.  numaßinama  »verachtet,«  vgl.  pa- 
mafzina  ghi  Pone  I.  Mos.  16.  4  in  der  Bret- 
kenschen Bibel. 

Z.  102.  macis  .  .iftatitus,  mäcis  ist  hier 
ausnahmeweise  Mascul. 

Z.  104.    Wen  czwianitte  steht  für  Wen- 


262 


cziawaniftQ  =  Wecziawani  ftena*); 
ich  vencziavonj'ste  bald  mit  Ehe,  bald  mit 
Trauung  übersetzt  habe,  wird  wol  keinen  Anstoß 
erregen.  —  Der  Satz  Teip  aieg  newiens  u.  s.  w. 
ist  übrigens  sehr  ungeschickt. 

Z.  119.  Meine  Uebersetzung  »sie  halten  sich  nicht 
zu«  ist  frei,  aber  bei  dem  z.  T.  sehr  freien  Ge- 
brauch des  Verbs  1  a  i  k  y  t  i  gewiß  nicht  zu  frei. 

Z.  138.  Zum  Locat.  daikti  vgl.  »Beitr.  z. 
Gesch.  d.  lit.  Spr.«  S.  133. 

ZZ.  133,  141  angu  »oder«  findet  sich  sonst  nur 
in  der  Bretkenschen  Bibel ,  vgl.  einstweilen  For- 
tunatov  K.  Beitr.  8.  114.i 

Z.  142.  padonieij  und  u.  Z.  149padaniu 
von  einem  *padänis. 

Z.  159.  Antpaßinimair  paftiprinima 
tu  daiktu  wörtlich :  Zur  Erkenntnis  und  Be- 
stätigung der  Dinge.« 

Z.  162.  *Siekis  habe  ich  mit  Nesselmann 
(vgl.  dessen  Wörterbuch  S.  459)  mit  »December« 
übersetzt.  Der  Name  desselben  ist  im  preu- 
ßisch-Litauischen sonst  saüsis,  wie  schon  Lep- 
ner  Der  preusche  Littauer  S.  111  (»Der  Christ- 
Monath,  Saufis,  von  Saufas  Trucken,  weil 
alsdenn  der  Frost  alles  trucken  macht«)  und 
Praetorius  Delic.  Pruss.  S.  50  (»December:  Saü- 
sis weil  als  dann  trocken  zu  fahren  ist«)  an- 
geben. Nach  Szyrwid  (vgl.  Nesselmaun  Wbch. 
s.  V.  saüsis)  jedoch  —  also  im  ostlitauischen 
oder  zemaitischen  —  ist  saüsis  der  Name  des 
»Januar.«  Da,  wie  wir  hieraus  sehen,  die  Mo- 
natsnamen im  Litauischen  dialektisch  verschieden 
sind ,  so  ist  s  i  e  k  i  s  möglicherweise  nicht  echt 
preußisch-litauisch.    Darf  man,  wie  das  saüsis 

1)  Vgl.  war  da  (im  Namen),  dangu  (in  den  Himmel) 
im  ersten  Bande  der  Bretkenschen  Fostille  SS.  411,  412. 


263 

nahelegt ,  annehmen ,  daß  si  e  k  i  s  (=  sekis)  ei- 
gentlich »der  trockne«  bedeute,  so  ist  in  ihm 
ein  Reflex  von  lat.  s  i  c  c  u  s ,  zend.  h  i  k  u,  h  a  e- 
c  a  ii  h  zu  erkennen. 

Znm  Schluß  gebe  ich  noch  eine  Anzahl  von 
Verbesserungen  des  Nesselniannschen  Textes  von 
ü,  die  Herr  Dr.  Philippi,  welcher  die  Güte  hatte 
denselben  mit  dem  Original  zu  collationiren,  mir 
mitgeteilt  hat  ^) : 

S.  241.  Z.  7  lies  ?i  statt  ir.  Z.  15  1.  val- 
scziaus  (das  i  ist  über  der  Zeile  eingeschaltet) 
st.  walsczaus.  Z.  17  im  Original  steht  basz- 
niscziams  st.  basznitcziams.  Z.  26  1.  ä  st. 
a.  Jener  Accent  fehlt  niemals.  Z.  29  1.  basz- 
nitczian  st.  baszitczian. 

S.  242.  Z.  5  1.  vriede  (soimmer)st.  nriede 
Z.  8  1.  pagirdeiame  st.  pagirdziame.  Z. 
12  1.  kiek  wienam  (so  immer)  st.  kiekwie- 
n  am.  Z.  24  hinter  g  h  r  e  k  u  steht  ein  Komma. 
Z.  25  im  Original  steht  amszinay  ä  st.  am- 
szinaya.  Z.  28  im  Original  steht  pryniptu 
st.  prymtu.  Z.  32/33  1,  nepridotu  st.  ne- 
p r i d e t u.  Z.  35  die  Worte  duschias  isch- 
ganima  sind  zweimal  geschrieben.  Z.  36  1. 
deiwischka  st.  teiwischka. 

S.  24  3.  Z.  3  1.  wietasa  st.  wietusa.  Z. 
8  1.  sunareis  st.  sunarets.  Z.  17  1.  kek- 
schiste  st.  nekschiste.  Z.  19  1.  szeme  st. 
scheme.  Z.  22  1.  issirad  £j,s  .  Kurusgi.  Z. 
28  1.  wissakiu  st.  wissokiu.  Z.  29/30  das 
Komma  gehört  statt  hinter  buti  hinter  atsi- 
laikitusi.  Z.  33  im  Original  steht  issirati- 
tusi  st.  issiraditusi. 

S.  244.  Z.  4  1.  randassi  st.  randasL 
Z.  7  1.  Dielta  st.  Dielto.    Z.  11  1.  prastai. 

1)  n S.  244  Z.  8    ergänze  ich    zu  macies 

aad  emendire  pridriame  S.245  Z.  11  in  prideiame- 


264 

Z.  13  hinter  uszgerime  steht  ein  Komma. 
Z.  16  Prusischkas  steht  im  Original.  Z.  18 
net  ist  zweifellos.  Z.  21  1.  immer  klibanas 
st.  klebanas.  Z.  24  hinter  randame  steht 
kein  Komma.  Z.  25  1.  nieru  st.  niera.  Z. 
30  hinter  prisakame  steht  kein  Komma.  Z. 
41  hinter  nuwaszöia  steht  ein  Komma. 

S. 245.  Z.  5  1.  antru  st.  antra;  per  steht 
über  der  Zeile.  Z.  6  szmanies  steht  über 
der  Zeile.  Z.  7  hinter  nekiste  steht  ein 
Komma.  Z.  9  hümü  corrigirt  über  humas. 
Z.  17  hinter  prissistatitusi  steht  kein 
Komma.  Z.  32  1.  imssada  st.  imszada.  Z. 
35  1.  pristaina. 


Ueber   die    gegenseitige    Abhängigkeit 

von  magnetisirender Kraft,  temporärem 

und  remanentem  Magnetismus. 

Von 

C.  Fromme. 

(Vorgelegt  von  Riecke). 

Die  Experimentaluntersuchungen,  von  denen 
ich  hier  vor  der  Hand  nur  eine  kurze  Uebersicht 
der  Oeffentlichkeit  übergebe,  stellen  sich  die  Be- 
antwortung wichtiger  principieller  und  theilweise 
bis  jetzt  noch  ganz  oöener  Fragen  aus  dem  Ge- 
biete des  Magnetismus  zur  Aufgabe.  Obwohl 
erst  im  Herbst  vorigen  Jahres  begonnen,  waren 
dieselben  doch  schon  lange  vorbereitet,  und 
wurde  die  Ausführung  nur  durch  auderweite  Ar- 
beit gehindert. 


265 

Die  direkte  Veranlassung  gab  die  schon  frü- 
her von  Fraukeuheim ,  nachher  von  mir  noch 
einmal  unabhängig  gefundene  Thatsache ,  daß 
eine  magnetisirende  Kraft  erst  durch  oft  wieder- 
holte Einwirkung  auf  den  zu  magnetisirenden 
Stab  das  Maximum  des  durch  sie  erreichbaren 
remauenten  Moments  (T?^/)  hervorbringt.  Ich 
habe  damals  den  Satz,  welchen  Frankenheim  nur 
für  intakte  Stäbe  aussprach  ,  auf  mit  einem  be- 
liebigen permanenten  Magnetismus  behaftete 
Stäbe  ausgedehnt ,  den  Satz  nämlich ,  daß  das 
Verhältniß  des  durch  die  1.  2  ...Einwirkung  (Im- 
puls) der  Kraft  erzeugten  JRM.  zu  dem  durch 
eine  hinreichend  große  Zahl  von  Impulsen 
erzeugten  (dem  der  angewandten  Kraft  ent- 
sprechenden Sättigungsmoment)  constant  ist, 
unabhängig  von  der  Größe  der  magnetisirenden 
Kraft,  von  den  Dimensionen  und  der  Härte  der 
Stäbe  ,  vorausgesetzt  nur ,  daß  bei  der  Berech- 
nung dieser  Verhältnißwerthe  der  vor  Einwir- 
kung der  Kraft  schon  vorhandene  permanente 
Magnetismus  {PM.)  des  Stabes  dem  durch  die 
Kraft  noch  erzeugten  remanenten  zugezählt  wird. 

Dagegen  ergaben  sich  mit  wachsender  Kraft 
abnehmende  Werthe  dieses  Verhältnisses,  wenn 
man  die  Addition  des  TM  unterließ.  Eine  sol- 
che Abnahme ,  fugte  ich  damals  hinzu ,  würde 
sich  jedoch  vielleicht  auch  für  die  auf  die  erstere 
Weise  gebildeten  Verhältnißwerthe  herausstellen. 

Sie  war  bei  dem  engen  Gebiete  der  ange- 
wandten Kräfte  zu  gering ,  um  mit  Sicherheit 
auf  eine  Variabilität  in  dem  angedeuteten  Sinne 
schließen  zu  dürfen. 

Zu  gleicher  Zeit  veröffentlichte  Herr  Bouty 
Versuche  über  denselben  Gegenstand.  Er  fand 
indeß  statt  einer  A  b  nähme  der  Verhältnisse  eine 
Zunahme  mit  wachsender  Kraft. 


266 

Da  ich  weder  Gruud  hatte,  an  der  Richtigkeit 
Von  Bouty's  noch  an  der  meiner  eigenen  Versuche 
zu  zweifeln,  so  schloß  ich  sofort,  daß  unsere  Ver- 
suche vereinigt  den  Verlauf  der  Erscheinung 
richtig  darstellen  würden. 

Ein  solcher  Schluß  schien  nicht  gewagt,  denn 
Herr  Bouty  hatte  mit  verhältnißmäßig  großen, 
ich  selbst  mit  kleinen  Kräften  gearbeitet^). 

Da  sich  die  magnetischen  Momente  bei  klei- 
neren Kräften  anders  verhalten,  als  bei  größeren, 
bei  kleineren  schneller,  bei  größeren  langsamer 
wachsen ,  als  die  Kräfte ,  so  schien  es  mir  na- 
türlich ,  daß  dies  auch  von  Einfluß  auf  die  in 
Rede  stehende  Erscheinung  sein  würde. 

Meine  Versuche  haben  mir  nun  die  Richtig- 
keit dieser  Vermuthung  erwiesen.  Dieselben 
wurden  an  cylindrischen,  ellipsoidisch  abgeschlif- 
fenen Stahlstäbchen  gestreckter  Form  in  der 
Weise  angestellt,  daß  das  nämliche  Stäbchen  von 
sehr  kleinen  Kräften  an  mit  dem  remanenten 
Moment,  welches  die  früheren  Kräfte  zurückge- 
lassen hatten,  succ.  größeren  Kräften  bis  zur  Sät- 
tigung mit  BM  unterworfen  wurde. 

Es  zeigte  sich  in  der  That ,  daß  [unter  B^ 
B2  '  '  .  B^  das  durch   den   1.,  2.,  .  .  .  w   (Sät- 

tigungs-)  Impuls  erzeugte  reman.  Moment  ver- 
standen ,  jedes  immer  vergrößert  um  das  dem 
Stabe  vorher  schon    eigene  permanente  Moment 


1)  Herr  Bouty  hat  mich  entweder  nicht  verstanden 
oder  nicht  verstehen  wollen.  Denn  in  einer  neueren  Ab- 
handlung vindiucirt  er  mir  Zweifel  an  seinen  Kesultaten, 
die  ich  niemals  gehabt  habe.  Ich  habe  mir  freilich  ei- 
nige Ausstellungen  an  seiner  Abhandlung  erlaubt,  die  in- 
deß  das  in  Rede  stehende  Resultat  Bouty's  durchaus  nicht 
betrafen,  und  in  seiner  neueren  Abhandlung  von  ihm 
ohne  Gegenrede  berücksichtigt  worden  sind. 


267 
PM^I  daß  jedes  der  Verhältnisse 


Ii„  JR. 


n 


mit  von   der  Null  an   gesteigerten  Kräften  von 

Eins  bis  zu  einem  Minimalwerthe  abnimmt,  um 

wieder  bis  zur  Eins   zu  wachsen.     Dieser  Werth 

wird  wieder   erreicht,    sobald  der  Stab  mit  RM 

gesättigt  ist. 

j> 

Trägt  man  etwa  -V  als  Ordinate  eines  recht- 

winkligen  Coordinatensystems  auf,  dessen  Ab- 
scissen  die  entsprechenden  magnetisirenden 
Kräfte  sind ,  so  erhält  man  eine  zuerst  rasch 
absteigende ,  dann  langlam  wieder  aufsteigende 
Curve. 

Das  Ergebniß  dieser  Untersuchung,  an  und 
für  sich  schon  wichtig,  gewinnt  dadurch  an  Be- 
deutung, weil  es  zur  Charakteristik  des  soge- 
nannten Wendepunkts  des  remanenten  Magne- 
tismus beiträgt. 

Diejenige  magnetisirende  Kraft  nämlich ,  für 
welche  die  Zahl  der  Einwirkungen,  die  zur  Er- 
reichung des  Sättigungsmoments  nöthig  sind, 
am  größten  ist,  welche  also  den  Umkehrpunkten 
der  genannten  Curven  entspricht,  ist  zugleich 
diejenige,  bei  welcher  die  remanenten  Momente 
anfangen,  langsamer  als  die  magnetisirenden 
Kräfte  zu  wachsen.  Die  Umkehrpunkte  unserer 
Curven  entsprechen  genau  dem  Wendepunkt  der 
Magnetisirungscurve  für  den  remanenten  Magne- 
tismus, den  ümkehrpunkten  und  dem  Wende- 
punkt beider  Arten  von  Curven  gehört  die  näm- 
liche Kraft  zu. 

So  dürften  diese  Erscheinungen  zur  genaue- 
ren Kenntniß  des  bis  dahin  in  seiner  Ursache 
so  wenig  erforschten  Wendepunkts  vielleicht 
beitragen. 


268 
« 

Es  mag  gestattet  sein,  kurz  auf  ähnliehe  Er- 
scheinungen der  allgemeinen  Elasticität  hinzu- 
weisen. Es  kann  gewiß  nur  unsere  Kenntniß 
der  magnetischen  Erscheinungen  fördern,  wenn 
wir  sie  in  möglichst  nahen  Zusammenhang 
setzen  mit  den  Erscheinungen  allgemeiner  Elasti- 
cität. Ein  solches  Verfahren  ist  längst  ange- 
bahnt durch  Wiedemann's  treffliche  Untersu- 
chungen über  das  mechanische  und  magnetische 
Verhalten. 

Wie  aus  den  Beobachtungen  Thalen's  her- 
vorgeht, erreicht  eine  deformireude  Kraft  erst 
durch  oft  wiederholte  Einwirkung  das  Maximum 
der  möglichen  dauernden  Deformation.  Auch 
hier  werden  sich  bestimmte  Beziehungen  zwi- 
schen den  durch  die  1.,  2.  ...  w.  Einwirkung 
erzeugten  Deformationen  herausstellen,  und  Tha- 
len  selbst  sagt  schon :  »Das  Gesetz  für  das  Ver- 
halten zwischen  diesen  Deformationen  ist  sicher- 
lich abhängig  von  der  Lage  des  Punkts  der 
Curve,  bei  dem  der  Versuch  angestellt  wird.« 

Doch  möchte  ich  solche  Analogien  vorläufig 
nur  angedeutet  haben. 

Es  war  jetzt  die  Frage  zu  stellen,  ob  es  er- 
laubt sei,  die  magnetisirende  Kraft,  welche  zu- 
erst (auf  den  unmagnetischen  Stab)  wirkt,  direkt 
in  Vergleich  zu  bringen  mit  einer  anderen  Kraft, 
welche  den  Stab  schon  in  einem  magnetischen 
Zustande  vorfand,  mit  anderen  Worten,  ob  das 
durch  eine  Kraft  erzeugte  UM  (vergrößert  um 
das  schon  vorhandene  FM)  gleich  sei  dem  RM^ 
welches  in  dem  unmagnetischen  Stabe  von  der- 
selben Kraft  hervorgebracht  worden  wäre? 

Ich  fand,  daß  diese  Frage  zu  bejahen  sei, 
nicht  für  den  1.,  2.  .  .  .  Impuls,  sondern  einzig 
und  allein  für  den  Sättigungsimpuls.  Jeder  vor- 
angehende Impuls  gibt  ein  kleineres  BM^  wenn 


269 

der  Stab  unmagnetisch  war,  als  wenn  er  bereits 
ein  gewisses  endliches  PM  besaß,  erst  die  letz- 
ten (Sättiguugs -)  Impulse  geben  die  gleiche 
Wirkung. 

Diese  Versuche  sind  delikat,  die  Unterschiede 
sind  gering  und  bei  weitem  nicht  so  groß,  daß 
sie  das  aufgestellte  Gesetz  über  den  Verlauf  der 

Verhältnisse  ^-,    ^-  .  .  .  alterirten.     Bei   der 

Art,  wie  die  zuerst  beschriebenen  Beobachtungen 
angestellt  wurden ,  erscheinen  nur  sämmt- 
liche  Verhältnißwerthe  mehr  der  Eins  genähert, 
als  wenn  man,  nachdem  die  Wirkung  einer  be- 
stimmten Kraft  untersucht  war,  jedesmal  den 
Stab  von  dem  remanent^n  Magnetismus  befreit 
hätte,  ehe  eine  andere  Kraft  zur  Wirkung  kam. 

Welches  ist  nun  der  Grund  zu  der  Steige- 
rung des  EM  durch  wiederholte  Impulse  der 
nämlichen  Kraft  ? 

Bekanntlich  tritt  auch  eine  Erhöhung  des 
B3I  ein,  wenn  man  den  Stab,  so  lange  er  in 
der  vom  Strom  durchflossenen  Spirale  liegt,  er- 
schüttert. 

Können  Erschütterungen  die  Wiederholung 
der  Impulse  ersetzen  ? 

In  diesem  Falle  dürfte  ein  Stab,  welcher  be- 
reits das  Sättigungsmoment  einer  gegebenen 
magnetisirenden  Kraft  erreicht  hat,  durch  Er- 
schütterungen sein  Moment  nicht  mehr  vergrö- 
ßern. — 

Eine  Reihe  von  Versuchen  ließ  erkennen, 
daß  in  der  That  angenähert  ein  solcher  Schluß 
seine  Bestätigung  findet,  aber  auch  nur  ange- 
nähert. Bei  einem  Versuch  brachte  z.  B.  eine 
3ümalige   Wiederholung    der   Einwirkung    eine 


270 

Steigerung  des  RM  um  —  des  durch  den  1.  Im- 
puls erreichten  Werths  hervor. 

Hiermit  war  aber  auch  das  Sättigungsmoment 
so  gutwie  erreicht,  denn  häufige  Erschütterungen 

steigerten  dasselbe  ietzt  nur  noch  um  — . 
j  70 

Bei  anderen  Versuchen  wurde  eine  Erschüt- 
terung während  des  1.  Impulses  vorgenommen. 
Diese  bewirkte  jetzt,  daß  das  Ii3I  des  1.  Im- 
pulses, also  EiMi  um  —  des  Werthes,   den  es 

ohne  Erschütterung  besessen  haben  würde,  grö- 
ßer ausfiele.  Wurden  dann  die  Impulse  ohne 
Erschütterung  wiederholt,  so  ergab  sich  das  Sät- 
tigungsmoment   B^M   so  groß   wie    überhaupt 

ohne  Erschütterungen. 

Erschütterung  steigert  das  BM  desto  weni- 
ger, bei  einem  je  späteren  Impulse  sie  vorge- 
nommen wird. 

Demnach  ist  es  erlaubt,  die  Wirkung,  welche 
durch  Wiederholung  der  Impulse  hervorgebracht 
wird,  im  Großen  und  Ganzen  als  durch  Er- 
schütterungen, durch  Aufrührung  des  magneti- 
schen Zustands  bedingt  anzusehen. 

Daß  kräftigere  äußere  Erschütterungen,  als 
ich  sie  anwandte  und  anwenden  durfte,  besser 
wirken,  als  Wiederholung  der  Impulse,  liegt 
außer  Zweifel.  Durch  sehr  starke  Erschütterungen 
wird  sicher  auch  ein  auf  das  Sättiguugsmo- 
ment  gebrachter  Stab  noch  im  Sinne  weiterer 
Zunahme  des  B3I  verändert,  aber  ebenso  un- 
zweifelhaft ist  auch  die  Wiederholung  der  Im- 
pulse, weil  wie  Erschütterungen  wirkend,  ein 
Mittel,    den  Stab  dem  überhaupt  möglichen  Ma- 


271 

ximam  schon  sehr   nahe  zu  bringen  und  so  die 
Anwendung  von  Erschütterungen  zu  ersetzen. 

Bei  allen  Versuchen  befanden  sich  die  Stäbe 
sowohl  bei  Schluß  als  bei  Oeffnung  des  magne- 
tisirenden  Stroms  außerhalb  der  Spirale. 
Einschieben  in-  und  Ausziehen  aus  der  Spirale 
geschah  sehr  langsam.  Den  Einfluß  solcher 
Manipulationen  beim  Magnetisiren  schließe  ich, 
weil  noch  nicht  vollständig  untersucht,  von  der 
heutigen  Mittheilung  aus. 

Nachdem  so  die  Abhängigkeit  des  remanenten 
Magnetismus  von  der  Zahl  der  Einwirkungen 
der  magnetisirenden  Kraft  durch  besondere,  mit 
aller  Sorgfalt  ausgeführte  Versuche  ermittelt  war, 
ging  ich  zu  einer  Prüfung  des  temporären  (ver- 
schwindenden) Magnetismus  (TM)  über. 

In  einer  früheren  Abhandlung  hatte  ich  den 
Satz  ausgesprochen,  daß  der  ganze  Magnetismus 
G3I  =  TM  +  RM  bei  Wiederholung  der  Im- 
pulse constant  bleibt,  daß  also  alles,  was  an 
UM  gewonnen,  an  TM  eingebüßt  wird. 

Ich  habe  diesen  Satz  bei  dem  beschränkten 
Gebiet  magnetisirender  Kräfte  und  der  damali- 
gen Versuch sauordnung  nur  angenähert  beweisen 
können  und  auch  nur  so  ausgesprochen. 

Zur  genaueren  Prüfung  wählte  ich  jetzt  die 
Vorsicht,  den  Ausschlag  des  Magnetometers 
immer  nur  nach  einer  Seite  der  Skala  erfolgen 
zu  lassen,  wobei  aber  selbstverständlich  die  Ru- 
helage des  Magnetometers  nach  jedem  Impuls 
beobachtet  wurde. 

Es  ergab  sich  mir  so,  freilich  erst  nach  den 
mannigfachsten  variirten  Versuchen,  das  Resul- 
tat, daß  bei  Steigerung  des  RM  durch  "Wieder- 
holung der  Impulse  stets  eine  Abnahme  des  TM 
eintritt. 

Es  kommt    nun  auf  das  Verhältnlß  dieser 


272 

Abnahme  zu  der  Zimahme  des  EM  an,  ob  GM 
constaut  bleibt,    ab-  oder  zunimmt. 

Wird  durch  die  angewandte  Kraft  EM  nur 
wenig  gesteigert,  ist  der  Stab  also  vorher  schon 
einer  der  benutzten  naheliegenden  Kraft  unter- 
worfen gewesen ,  dann  nimmt  TM  um  weniger 
ab,  als  E3I  zunimmt,  dann  nimmt  also  GM  zu. 

Wird  aber  durch  die  Kraft  eine  bedeutende 
Steigerung  des  EM  bewirkt,  dann  tritt  das  Um- 
gekehrte ein,  (rilf  nimmt  ab,  d.h.  JRiüf  nimmt 
bei  Wiederholung  der  Impulse  nicht  soviel  zu, 
als  TM  sich  verringert.  Wenn  GM  stark  ab- 
nimmt, so  vollzieht  sich  das  meist  schon  bei 
den  ersten  Impulsen,  bei  den  letzten  bleibt  GM 
so  gut  wie  constaut.  Es  kommen  auch  Fälle 
vor,  in  denen  GM  beim  2.  Impuls  ein  wenig 
kleiner  als  beim  ersten  ist,  bei  den  folgenden 
aber  etwas  größer. 

Vereinigen  wir  dies  Gesetz  mit  dem  im  glei- 
chen Falle  für  EM  geltenden,  vorhin  erörterten 
so  erhalten  wir  für  den  temporären  Magnetismus 
den  Satz,  daß  die  Abnahme  desselben  eine  grö- 
ßere ist,  wenn  die  magnetisirende  Kraft  viel, 
als  wenn  sie  nur  wenig  gesteigert  wird. 

Weiter  aber  ergab  sich  nun  ein  entsprechen- 
des Gesetz  wie  für  E3I,  so  auch  für  TM:  Ei- 
nerlei ob  man  die  magnetisirende  Kraft  ganz 
allmählig  durch  zwischenliegende  Kräfte  steigert, 
ober  ob  man  sofort  die  gegebene  Kraft  auf  den 
unmagnetischen  Stab  einwirken  läßt,  die  beim 
Sättiguugsimpuls  sich  ergebenden  T3I  sind  ein- 
ander gleich  ,  mögen  auch  die  beim  1.  Impuls 
sich  ergebenden  TM   noch    so  verschieden  sein. 

Es  reiten  also  für  den  temporären  Magnetis- 
mus ganz  ähnliche  Gesetze  wie  für  den  rema- 
üenten.     Bei     wiederholter    Einwirkung    einer 


273 

magnetisirenden  Kraft    nimmt   UM  immer   zu, 
nimmt  TM  immer  ab. 

An  und  für  sich  involvirt  das  nnn  keine  di- 
rekte Abhängigkeit  des  TM  vom  BM  und  um- 
gekehrt. Eine  solche  gegenseitige  Abhängigkeit 
beider ,  eine  Abhängigkeit  des  TM  vom  RM 
ergibt  sich   erst   durch  das  weitere  Gesetz ,  daß 

7?      7? 
die   Minima   der  Größen   -^j  -^  .  .  .  .   zusam- 

xvn    xi« 

T     T^ 

menfallen  mit  den  Maximis  der  Großen  -^,  ■=- . . . 

In    J-n 

T     T 
oder  mit  den  Minimis  von  _!*,  _?  .  .  .  Da  aber 

nach   dem    vorhin    ausgesprochenen   Gesetz    die 

Minima    der  Verhältnisse  -^  .  .  .  eintreten  bei 

■tifi 

dem  Wendepunkt    der  remanenten  Momente,  so 

treten  also  auch  die  Minima  der  Verhältnißwerthe 

Tn     Tn 

...  bei   dem    Wendepunkt  der  rema- 

nenten  Momente  em. 

Dieses  Resultat  ist  von  Bedeutung,  denn  es 
zeigt  eine  erste  direkte  Abhängigkeit  des  tem- 
porären Magnetismus  vom  remanenten  entgegen 
der  Unabhängigkeit ,  die  man  in  neuerer  Zeit 
vielfach  hat  behaupten  wollen. 

Ich  habe  vorhin  betreffs  des  Einflusses  wie- 
derholter Impulse  auf  den  remanenten  Magnetis- 
mus meine  Ansicht  dahin  formulirt,  daß  Erschütte- 
rungen in  gewissem  Maaße  die  Wiederholung  der 
Impulse  vertreten  können. 

Denn  ein  durch  wiederholte  Impulse  auf  das 
Sättiguugsmoment  des  BM  gebrachter  Stab  ver- 
mehrte durch  wiederholte  Erschütterungen  das- 
selbe nur   äußert  wenig ,   viel  weniger  als  wenn 

25 


274 

die  ErschütteruDgen  bei  dem  1.  oder  2.  Impulse 
vorgenommen  wären. 

Ein  Vergleich  wiederholter  Impulse  mit  Er- 
schütterungen ,  wie  ich  ihn  für  EM  gebraucht 
habe,  ist  aber  nicht  auf  den  temporären  Magne- 
tismus übertragbar. 

Erschüttert  man  nämlich  einen  Stab,  während 
er  in  der  vom  Strom  durchflossenen  Spirale  liegt, 
so  wächst  sein  EM,  aber  es  wächst  auch  TM. 
Und  diese  Zunahme  des  TM  ist  theilweise  per- 
manent, d.  h.  sie  zeigt  sich  zum  Theil  auch 
noch  (bei  mehreren  Versuchen  mit  etwa  der 
Hälfte),  wenn  man  den  Stab  nach  Vornahme 
der  Erschütterung  aus  der  Spirale  entfernt  und 
sodann  wieder  einschiebt. 

Während  also  beim  EM  wiederholte  Impulse 
dem  Vorzeichen  und  angenähert  auch  der  Größe 
nach  die  gleiche  Wirkung  haben  wie  äußere  Er- 
schütterungen ,  verhalten  sich  dieselben  bezüg- 
lich des  TM  gerade  entgegengesetzt. 

Nachdem  so  gefunden,  daß  TJf  immer  ab- 
nimmt bei  -Wiederholung  der  Impulse  ,  bei  Stei- 
gerung des  EM  durch  eine  constante  Kraft, 
schloß  sich  naturgemäß  hieran  die  Frage,  wie 
sich  TM  verhält,  wenni^ilf  constant  bleibt, 
wenn  also  eine  Kraft  zur  Anwendung  kommt, 
die  das  vorhandene  permanente  Moment  des 
Stabs  zu  verändern  außer  Stande  ist. 

Unterwarf  ich  einen  Stab  auf  solche  Weise 
einer  aufsteigenden  Reihe  von  Kräften,  so 
fand  ich  auch  hier  bei  constant  bleibendem 
EM  stets  eine  geringe  Abnahme  des  2M,  wenn 
die  Impulse  wiederholt  wurden,  und  zwar  eine 
desto  stärkere,  je  weiter  die  Intervalle  zwischen 
den  Kräften  gewählt  wurden. 

Nicht  die  gesanimte  Abnahme  des  TM  wird 
also   bedingt   durch   die  Zunahme  des  EM^  ein 


275 

kleiner  Theil  derselben  ist  auch  von  letzterem 
unabhängig.  Durch  vsriederholte  Einwirkung 
einer  constanten  Kraft  wird  stets  die  Induk- 
tionsfähigkeit vermindert,  auch  wenn  der  perma- 
nent magnetische  Zustand  des  Stabs  vollkom- 
men unverändert  bleibt. 

Fassen  wir  aber  mit  diesem  Gesetz  das  auf 
(S.  272)  ausgesprochene  zusammen,  so  ergibt  sich 
weiter : 

Die  stärkere  Abnahme  des  TM,  welche  bei 
rascher  Steigerung  der  magnetisirenden  Kraft 
auftritt,  vertheilt  sich  auf  alle  zwischenliegenden 
Kräfte,  wenn  eine  allmählige  Steigerung  ge- 
wählt wird. 

So  erhalten  wir  aber  endlich  auch  eine  Ab- 
hängigkeit der  temporären  Magnetisirung  — 
nach  dem  früheren  Gesetz  natürlich  auch  des 
remanenten  Magnetismus  —  von  den  Zuständen, 
in  welchen  sich  der  Stab  vorher  befunden  hat, 
von  den  Kräften,  denen  er  früher  unterwor- 
fen war. 

Diese  Thatsache  ist  schon  länger  bekannt 
geworden,  wenn  auch  durch  andere  Erscheinun- 
gen, als  die  hier  besprochenen. 

Ich  habe  dieselbe  noch  weiter  zu  beleuchten 
gesucht  durch  Versuche ,  in  denen  ich  sowohl 
Eisen-  als  Stahlstäbe  größeren  und  kleineren 
Kräften  in  wechselnder  Reihenfolge  unterwarf; 
Kräften  von  solcher  Beschaffenheit ,  daß  sie 
sämmtlich  den  permanent  magnetischen  Zustand 
des  Stabes  nicht  veränderten. 

Diese  Versuche  ,  mit  großer  Sorgfalt  und 
zahlreich  angestellt,  haben  nun  gezeigt,  daß  eine 
größere  Kraft,  vor  einer  kleineren  angewandt, 
die  durch  letztere  zu  erreichende  (temporäre) 
Wirkung  niemals  bleibend,  wohl  aber  vorüber- 
gehend   ändert.     Bei    dem    ersten    Impulse    der 


276 

kleineren  Kraft  ist  der  temporäre  Magnetismus, 
oft  sehr  bedeutend ,  größer,  um  nach  einer  hin- 
reichenden Zahl  von  Impulsen  immer  auf  einen 
ganz  Constanten  Werth  herabzusinken. 

Eine  kleinere  Kraft  dagegen,  vor  einer  grö- 
ßeren angewandt,  ändert  in  den  Wirkungen  aller 
Impulse  der  größeren  Kraft  nichts. 

Es  mag  aber  noch  besonders  bemerkt  v^er- 
den,  daß  dies  Gesetz  der  nur  vorübergehen- 
den Aenderung  der  Induktionsfähigkeit  ein- 
zig und  allein  für  einen  constanten  magne- 
tischen Zustand  des  Stabes  gilt.  Es  betreffen 
diese  vorübergehenden  Aenderungen  auch  nur 
den  temporären  Magnetismus:  daß  der  vor  Be- 
ginn einer  Versuchsreihe  beobachtete  permanente 
Magnetismus  während  der  ganzen  Dauer  derselben 
ungeändert  blieb  oder  sich  vielmehr  nie  im 
Sinne  einer  Zunahme  vorübergehend  änderte, 
ist  stets  controlirt  worden. 

Also:  Einen  gewissen  constanten  permanen- 
ten Magnetismus  vorausgesetzt,  entspricht  einer 
jeden  Kraft,  welche  denselben  nicht  bleibend 
verändert,  ein  ganz  bestimmter  constanter  Werth 
der  Magnetisirungsfunktion,  vorausgesetzt  daß 
zu  deren  Berechnung  immer  die  nach  einer 
hinreichenden  Anzahl  von  Impulsen  erhaltenen 
Magnetismen  benutzt  worden. 

Anders  aber  verhält  es  sich,  wenn  man  den 
permanenten  Magnetismus  des  Stabs  beliebig 
verändert  und  für  einen  beliebigen  permanent 
magnetischen  Zustand  die  Magnetisirungsfunktion 
einer  Kraft  ausmittelt. 

Ich  selbst  habe  früher  geglaubt,  auch  Ver- 
suche darüber  veröffentlicht,  daß  einer  jeden  mag- 
netisirenden  Kraft  ein  sehr  nahe  constanter  Werth 
der  Magnetisirungsfunktion  zugehöre,  mit  an- 
deren Worten ,   daß  der  durch  eine  Kraft  iudu- 


277 

clrt«  temporäre  Magnetismus  unabhängig  sei  von 
dem  permanent  magnetischen  Zustande,  in  welchem 
die  Kraft  den  Stab  vorfindet. 

Während  ich  den  Satz  nur  für  ein  beschränktes 
Gebiet  von  Kräften  und  permanenten  Momenten 
aussprach,  that  dies  Jamin  ganz  allgemein  in 
dem  nach  ihm  benannten  1,  Gesetz. 

Dieses  Gesetz,  welches  jedoch  auch  Jamin 
nur  angenähert  gelten  lassen  wollte,  glaubte  so- 
dann Chwolson  mit  aller  Strenge  und  für  das 
weiteste  Gebiet  magnetisirender  Kräfte,  sogar 
für  conträre  Magnetisirungeu  bewiesen  zu  haben. 

Ich  bin  nun  nicht  in  der  Lage,  diesen  Be- 
weis gelten  lassen  zu  können. 

Nachdem  die  Uuzulässigkeit  des  sogen.  2. 
Gesetzes  von  Jamin  bereits  von  Chwolson  ge- 
zeigt worden  ist,  möchte  ich  nun  auch  das  1. 
Gesetz  von  Jamin  umstoßen,  indem  ich  behaupte : 

Der  durch  eine  magnetisirende  Kraft  erzeugte 
temporäre  (verschwindende)  Magnetismus  zeigt 
sich  in  deutlich  bestimmter  Weise  von  dem  per- 
manenten Magnetismus ,  den  der  Stab  bereits 
besitzt,  abhängig. 

Wir  wollen  annehmen,  der  vorgelegte  (Eisen- 
oder Stahl-)  Stab  sei  intakt,  frisch  ausgeglüht. 
Lassen  wir  sodann  eine  Kraft  i  auf  denselben 
einwirken,  so  nimmt  bei  Wiederholung  der  Im- 
pulse der  verschwindende  Magnetismus  (tm)  ab, 
während  gleichzeitig  rm  bis  zu  einem  gewissen 
Greuzwerthe  zunimmt.  Die  endlich  erreichten 
Endwerthe  sollen  mit  tm  und  nn  bezeichnet 
werden,  wo  dann  tm  -f-  **wt  =  fjni. 

Verstärken  wir  nun  die  magnetisirende  Kraft 
auf  J",  wodurch  rm  zunimmt  ani  BM;  und  wen- 
den wir  dann  wieder  die  frühere  Kraft  i  an,  so 
nimmt  bei  Wiederholung  der  Impulse  der  ver- 
schwidende  Magnetismus  bis  zu  einem  Endwerthe 


278 

itm  ab,  während  EM  ungeändert  bleibt,  hm  ist 
aber  jetzt  nicht  gleich  tm^  sondern  kann  sowohl 
größer  wie  kleiner  als  dieses  sein ,  und  die 
Differenz  beider  kann  unter  Umständen  bis  zu 
40%  des  tm  steigen. 

Bringen  wir  dann  eine  größere  Kraft  J'  zur 
Anwendung,  welche  das  remanente  Moment  R^M 
erzeugt,  und  unterwerfen  den  nun  mit  R'M  ver- 
sehenen Stab  wieder  der  Kraft  *.  Der  tempo- 
räre Magnetismus  möge  gleich  t"m  gefunden 
werden. 

Führen  wir  dasselbe  für  alle  Werthe  des  re- 
manenten  Magnetismus  (die  größer  als  rm)  aus, 
tragen  wir  diese  als  Abscissen  in  ein  rechtwink- 
liches  Coordinatensystem    ein  und  als  Ordinaten 

die  bei  rm,  RM,  R'M. erhaltenen  Werthe 

des  temporären  Magnetismus ,  so  gewinnen  wir 
eine  Curve ,  welche  den  Verlauf  des  temporären 
Magnetismus  für  die  Kraft  i  in  seiner  Abhängig- 
keit von  den  permanent  magnetischen  Zuständen, 
in  welchen  sie  den  Stab  vorfindet,  veranschau- 
licht.    ■ 

Eine  solche  Curve  hat  zweiAeste,  sie  ist  zu- 
erst aufsteigend,  dann  absteigend.  Bei  Vergrö- 
ßerung des  permanenten  Magnetismus  nimmt 
der  verschwindende  Magnetismus,  welchen  die 
die  Kraft  i  erzeugt,  zuerst  zu,  um  nachher  wieder 
abzunehmen. 

Wir  wollen  uns  nun  diese  Curven  für  be- 
liebige Werthe  von  i  construirt  denken. 

Dann  glaube  ich  behaupten  zu  dürfen ,  daß 
alle  diese  Curven  sich  in  zwei  Gruppen  einthei- 
len  lassen:  bei  der  einen  Gruppe  —  sie  ent- 
spricht kleineren  Wertheri  von  i  —  hat  der  ab- 
steigende Ast  eine  größere  Ausdehnung  als  der 
aufsteigende,  bei  der  zweiten  Gruppe,  welche 
die  den    größeren  Werthen   von  l  zugehörenden 


279 

Curven  umfaßt,  findet  das  Umgekehrte  statt.  Zu 
gleicher  Zeit  aber  geheu  bei  der  ersten  Gruppe 
die  Ordinaten  sehr  bald  unter  die  dem  Anfang 
der  Curve  zugehörende  Ordinate  herab,  während 
sie  bei  der  zweiten  Gruppe  im  Gegentheil  immer 
über  der  Größe  der  Ant'angsordiiiate  bleiben. 

Die  beiden  Schaaren  werden  getrennt  durch 
eine  Curve,  bei  welcher  die  die  Größe  des  tempo- 
rären Magnetismus  darstellende  Ordinate,  wenn 
der  Stab  mit  remanentem  Magnetismus  gesättigt 
ist  —  die  Endordinate  —  gleich  ist  der  Anfangs- 
ordinate. 

Diese  Curve,  welche  dentJebergang  zwischen 
beiden  Schaaren  bildet ,  soll  nach  den  mir  bis 
jetzt  vorliegenden  Versuchen  derjenigen  Kraft 
zugehören,  bei  welcher  der  Wendepunkt  in  dem 
Anwachsen  des  remanenten  Magnetismus  eintritt. 

Es  sind  das  in  Kurzem  die  Hauptresultate 
meiner  Untersuchungen,  die  —  glaube  ich  — 
für  eine  Theorie  des  Magnetismus  nicht  unwich- 
tige Anhaltspunkt«  liefern.  Ich  habe  mich  bei 
dieser  Mittheilung  absichtlich  auf  die  Hauptsa- 
chen beschränkt  und  weitgehendere  Folgerungen 
zu  ziehen  ganz  unterlassen. 

Andere  Resultate  beziehen  sich  auf  den  Ein- 
fluß, welchen  die  Art  der  Versuchsanordnung 
—  ob  der  Stab  in  der  Spirale  fest  liegt  oder 
ob  er  bei  Schluß  und  Oeffnung  des  Stroms  aus 
der  Spirale  entfernt  ist  —  auf  die  Größe  des 
temporären  und  remanenten  Magnetismus  hat, 
sowie  namentlich  auch  auf  den  Einfluß,  welchen 
der  Magnetisirung  vorhergehende  Erschütterun- 
gen besitzen.. 

Doch  möchte  ich  diese  Resultate  vorläufig 
noch  der  Yeröfi'entlichung  entziehen.  In  gleicher 
Weise  will   ich    die   Erörterung   des   Einflusses, 


280 

welchen  die  Zeit  auf  die  beschriebenen  Erschei- 
nungen hat,  für  jetzt  ausschließen. 


DniTersität. 


Preisaufgabe  der  Beneke'schen 
Stiftung. 

Die  philosophische  Facultät  der  Georgia  Au- 
gusta  wiederholt  die  im  Jahre  1871  für  1874 
gestellte  Aufgabe  für  das  Jahr  1880: 

Obgleich  den  Alterthumsforschern  die  große 
Bedeutung ,  welche  Hippokrates  Schriften  für 
die  griechische  Philosophie  haben,  nicht  entgan- 
gen ist,  so  werden  doch  eingehende  Untersuchun- 
gen gerade  in  dieser  Hinsicht  bis  jetzt  ganz  ver- 
mißt, ohne  Zweifel  wegen  der  vielen  mit  dieser 
Forschung  verbundenen  Schwierigkeiten.  Zu 
diesen  dürfte  vor  Allem  der  Umstand  gehören, 
daß  unter  dem  Namen  des  Hippokrates  Werke 
der  verschiedensten  Verfasser  allmählich  ver- 
einigt worden  sind  ,  von  denen  ein  Theil  neben, 
ein  anderer  lange  nach  diesem,  ein  dritter  viel- 
leicht vor  ihm  gelebt  hat. 

Da  nun  ohne  eine  gründliche  Erörterung 
der  Frage ,  welche  philosophische  Systeme  auf 
die  Werke  der  Hippokratischen  Sammlung  ir- 
gend Einfluß  geübt  haben,  ein  sicheres  Urtheil 
über  die  Abfassuugszeit  dieser  Schriften  nicht 
möglich  ist,  da  ferner  diese  Schriften  nur  nach 
solchem  Urtheil  für  die  Darstellung  der  philoso- 
phischen Systeme  zugänglich  gemacht  und  der 
unbedenklichen  Benutzung  gewonnen  werden, 
so   stellt  die  Facultät  als  Aufgabe    einen  einge- 


277 

henden  und  umfassenden  Nachweis  der  philoso- 
phischen Systeme,  denen  die  Verfasser  der  dem 
Hippokrates  zugeschriebenen  Schriften  folgten, 
verbunden  mit  einer  Untersuchung  über  den 
Gewinn,  den  die  sorgfältige  Beachtung  jener 
Systeme  sowohl  für  die  Abfassungszeit  der  Hip- 
pokratischen  Schriften  als  auch  für  die  Ge- 
schichte der  griechischen  Philosophie  ergibt. 


Die  Bearbeitungen  dieser  Aufgabe  sind  bis 
zum  31.  August  1879  dem  Decan  der  philoso- 
phischen Facultät  zu  Göttingen  in  deutscher, 
lateinischer,  französischer  oder  englischer  Sprache 
einzureichen.  Jede  eingesandte  Arbeit  muß  mit 
einem  Motto  und  mit  einem  versiegelten ,  den 
Namen  und  die  Adresse  des  Verfassers  enthal- 
tenden Couvert,  welches  dasselbe  Motto  trägt, 
versehen  sein. 

Der  erste  Preis  wird  mit  500  Thlr  Gold  in 
Friedrichsd'or ,  der  zweite  mit  200  Thlr  Gold  in 
Friedrichsd'or  honorirt. 

Die  Verleihung  der  Preise  findet  im  Jahre 
1880  am  11.  März,  dem  Geburtstage  des  Stifters, 
in  öffentlicher  Sitzung  der  Facultät  statt. 

Gekrönte  Arbeiten  bleiben  unbeschränktes 
Eigenthum  ihrer  Verfasser. 

Göttingen,  12.  Mai  1877. 

Die  philosophische  Facultät 
der  Decan 

W.  Müller. 


26 


278 

Königlicke  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Die  von  der  K.  Gesellschaft  herausgegebenen 
Werke  von  C.  F.  Gauss 

von  welchen  einige  Bände  eine  Zeit  lang  vergriffen 
waren ,  sind  jetzt  wieder  in  vollständigen  Exem- 
plaren verkäuflich,  und  zwar  zu  folgenden  Preisen : 

A.    Ausgabe  auf  Druckpapier 

Band    I.     Disquisitiones  arithmeticae.     Zwei- 
ter Abdruck.  1870.  Preis  12  Mark. 
IL    Höhere   Arithmetik.     Zweiter  Ab- 
druck 1876.     Preis  12  Mark. 
Nachtrag   zum   ersten   Abdruck  des  zweiten 
Bandes.     Preis  1  Mark. 

III.  Analysis.     Zweiter  Abdruck   1876. 
Preis  12  Mark. 

IV.  Wahrscheinlichkeits-Rechnung  und 
Geometrie.    1873.     Preis  15  Mark. 

V.    Mathematische     Physik.       Zweiter 

Abdruck.  1877.     Preis  15  Mark. 
VI.     Astronomische  Abhandlungen.  1874. 
Preis  20  Mark. 

B.    Ausgabe  auf  Schreib -Velin -Papier 

Band  I  bis  VI.  Preis  122  Mark.  (Nicht  in  ein- 
zelnen Bänden  abzugeben.) 

Die  Entnahme  von  einzelnen  Bänden,  bezw. 
des  vollständigen  Werkes  erfolgt  gegen  Baar- 
zahlung  von  der 

Königl.  Universitäts  -  Casse  in  Göttingen, 
welche  nach  wie  vor  den  Betrieb  besorgt. 

Versendungen  nach  auswärts  erfolgen  ohne 
Nebenkosten,  excl.  Porto,  wenn  die  Preiszahlung 
durch  Postvorschuß -Entnahme  gewünscht  wird 
und  zulässig  ist;  sonst  sind  wegen  der  für  Werth- 


279 

Sendungen  erforderlichen  festeren  Verpackung 
pro  Band  60  Pfennige  Emballagekosten  mehr  zu 
zahlen. 


Gauss-Denkmünze. 

Die  K.  Gesellschaft  hat  zur  Feier  der  hun- 
dertsten Wiederkehr  des  Geburtstages  von  C. 
F.  Gauss  durch  Herrn  Münzmedailleur  H.  F. 
Brehmer  in  Hannover  eine  Denkmünze  von  70 
Millimeter  Durchmesser  in  bronzirtem  Kupfer 
herstellen  lassen.  Sie  enthält  den  Kopf  von 
Gauss  und  die  auf  ihn  sowie  auf  die  Feier  sich 
beziehende  Inschrift.  Um  dieses  Kunstwerk  all- 
gemeiner zugänglich  zu  machen,  hat  die  Ge- 
sellschaft verfügt ,  daß  es  zu  dem  Preise  von 
fünf  Mark  von  der  K.  Universitäts  -  Casse  zu 
Göttingen  bezogen  werden  kann,  von  Auswärti- 
gen ohne  Nebenkosten,  außer  Porto,  wenn  Post- 
nachnahme des  Preises  erfolgen  kann. 


Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 
Natare.  346.  347. 
Sitzungsberichte  der   philos.   philol.   u.  bist.  Cl.  d.  Akad. 

d.  W.  in  München.    Bd.  I.    Hft.  1.     1876. 
—  der  mathem.  physik.  Cl.  1876.     Hft.  1. 
Socin  u.  Prym,  Syrische  Sagen  u.  Märchen.    Text  Boff. 

1—25.    üebersetz.  13.  1—23. 
Proceedings  of  the  London  mathem.  Society.  No.  87 — 90. 
Hayden,    Annual  Report   of  the  Unit.  States  geological 

and  geographica!  Survey   of  the  Territories,  embracing 

Colorado  etc.    Washington.  1876. 


280 

Astronomical  and  meteorolog.  Observations  during  the 
year  1873  at  the  U.  St.  Naval  Observatory.  Ebend. 
1875.    4. 

Memoirs  of  the  Boston  Society  of  Nat,  History.  Vol.  II. 
P.  IV.    No.  2-4.    4. 

Proceedings  of  the  same.  Vol.  XVII.  P.  III.  IV.  1875. 
Vol.  XVIII.    P.  I.     1875.    P.  II.     1876. 

Occasional  Papers  of  the  same  II.  Hentz,  the  Spiders 
of  the  U.  S.  1875. 

Proceedings  of  the  Amer.  philos.  Society,  held  at  Phila- 
delphia.   Vol.  XIV.    No.  95.     1875. 

Annual  Report  of  the  Director  of  the  Mint.  Washing- 
ton.   1875. 

Taylor,  a  notice  of  recent  researches  in  Sound.  New 
Haven.     1876. 

Archives  of  Science  of  the  Orleans  Cy.  Society  of  Nat. 
Science.  Vol.  I.  No.  VIII.  1874.  Newport,  Orl.  Cy. 
Vermont. 

Bulletin  of  the  Buffalo  Society  of  Nat.  Sciences.  Vol.  III. 
No.  2.    Buffalo.     1876. 

Transactions  of  the  Connecticut  Academy  of  Arts  and 
Sciences.    Vol.  III.    P.  1.    New  Haven.    1876. 

Proceedings  of  the  California  Academy  of  Sciences.  Vol. 
V.    P.  3.  S.  Francisco.     1875. 

Annales  de  l'Observatoire  R.  de  Bruxelles.    Fol.  5.    1876. 

Leopoldina.  H.  XIH.  No.  3—6.  1877.  Nr.  7—8. 

Monatsbericht  der  Berliner  Akademie.    Nov.  1876. 

J.  Oppert,  Salomon  et  ses  successeurs.    Paris.  1877. 

Mittheilungen  aus  dem  Jahrbuch  d.  K.  ungarischen  geo- 
logischen Anstalt.    Bd.  IV.    Hft.  3.    Budapest.   1876. 

Bulletin  de  la  Soc.  Imp.  des  Naturalistes  de  Moscou. 
Annee  1876.    No.  3. 

Monthly  Notices  of  the  R.  Astronomical  Society.  Vol. 
37.    No.  4—5. 

Jahresbericht  des  naturf.  Vereins  Lotos  von  1876.  Prag. 

Bulletin  de  la  Soc.  mathematique  de  France.  T.  V.  Nr. 
1—2.    1877. 

R.  Wolf,  Astronomische  Mittheilungen  XLII.  XLIII. 

Nature  384.  386-392. 

Loewenberg,  de  l'echange  des  gaz  dans  la  caisse  de 
tympan.    Paris.  1877. 

Oversigt  over  det,  K.  Danske  Videnskab.  Selskabs  för- 
handlingar.  1876.    No.  2-3.  1876.    No.  1. 

(Fortsetzung  folgt.) 


281 

ringer  Dimensionen,  wie  geschnittene  Steine  sind, 
aus  einem  der  am  besten  verwalteten  großen  öffent- 
lichen Herrscher-Museen  nicht  mit  Sicherheit  zu 
controliren.  lu  dem  sehr  schätzbaren  Werke  »Zur 
Geschichte  der  K.  Museen  zu  Berlin,  Festschrift  zur 
Feier  ihres  fünfzigjährigen  Bestehens  am  3.  August 
1880«,  wird  S.  1(3  bemerkt:  »Nach  der  zweiten  Ein- 
nahme von  Paris  —  erhielt  der  Preußische  Beauf- 
tragte V.  Schütz  von  538  Cameeu  und  Gemmen 
nur  461,  und  erst  nachträglich  auf  wiederholtes 
Andringen  den  großen  Cameo  des  Septimius  Seve- 
rus ;  es  fehlten  immer  noch  7(3,  deren  Besitz  die 
Direktion  des  Pariser  Museums  ableugnete,  aber 
schriftlich  zu  bezengen ,  daß  diese  Steine  nicht 
vorhanden  seien,  weigerte  sie  sich  auch<.  Es 
wird  dann  angedeutet ,  daß  die  betreffenden 
Steine  entweder  falsch  verleugnet,  oder  »von 
den  Französischen  Generalen ,  Ofticieren  und 
Umgebungen  Napoleon's  gestohlen«  seien.  Ganz 
anders  urtheilte  C.  Friederichs,  der  sich  amtlich 
mit  der  Untersuchung  über  das  Deficit  beschäf- 
tigte, in  einem  Briefe,  den  er  unter  dem  23. 
Januar  1871  an  mich  schrieb,  und  dessen  be- 
treffende Worte  ich  hier  mittheile,  weil  ihr 
Inhalt  vielleicht  von  Nutzen  sein  kann.  »Bei- 
folgend schicke  ich  Ihnen  mit  herzlichem  Dank 
das  Buch  von  Chabouillet  zurück,  das  mir  für 
meinen  Zweck  nicht  ohne  Nutzen  gewesen  ist. 
Ich  bin  freilich  nur  zu  dem  negativen  Resultat 
gekommen,  daß  wir  keine  einzige  Gemme  nam- 
haft macheu  können,  die  in  Frankreich  zurück- 
geblieben wäre,  ja  daß  die  76  Gemmen,  die  wir 
bei  der  Rückgabe  des  Geraubten  zu  wenig  er- 
halten haben,  nicht  mit  Nothwendigkeit  im  Be- 
sitz der  französischen  Regierung  zu  suchen  sind, 
sondern  auch  anderswohin  gekommen  sein  kön- 
nen.    Denn   in  der   Reklamationsschrift    wegen 

21 


282 

jeuer  76  Steiue  heißt  es  (gewiß  als  Gutachten 
des  damaligen  Direktors  Henry),  die  fehlenden 
Steine  seien  die  bedeutendsten  Cameen  der  Samm- 
lung, und  darunter  befinden  sich  51  der  van 
Beger  abgebildeten,  und  Tölken  der  1816  ein 
Verzeichniß  des  Fehlenden  machte,  weiß  auch 
ganz  genau  anzugeben,  welche  Stücke  des  Beger 
man  mitgenommen,  ja  sogar  was  Denou  »priva- 
tim gestohlen«  habe.  Beide  verglichen  nämlich 
einfach  den  Beger  mit  dem  ihnen  vorliegenden 
Bestand  und  schrieben  die  Differenz  sofort  auf 
Rechnung  der  Franzosen,  ohne  die  nothwendige 
Vorfrage  zu  erledigen  ob  denn  der  Beger'sche 
Bestand  in  den  100  Jahren  bis  zur  Franzoseu- 
zeit  ganz  intakt  geblieben  sei.  Aus  einem  in 
der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  ge- 
schriebenen Gemmen  katalog,  den  jene  so  gut 
kennen  mußten  wie  ich,  den  sie  aber  ganz  ver- 
gessen hatten,  geht  hervor,  daß  wenigstens  10 
Beger'sche  Steine,  die  jene  als  von  der  franzö- 
sischen Regierung  oder  Denon  geraubt  ansehn, 
schon  lange  vor  der  Franzosenzeit  fehlten.  Und 
aus  Chabouillet's  Catalog  verglichen  mit  Beger's 
Abbildungen  ergiebt  sich  ganz  positiv,  daß  nicht 
ein  einziger  Beger'scher  Stein  in  Paris  öffent- 
lich ausgestellt  ist,  woraus  man  auch  wird  schlie- 
ßen dürfen ,  daß  sie  dort  nicht  vorhanden  sind. 
Was  von  den  Beger'scheu  Steinen  fehlt,  ist  wahr- 
scheinlich noch  bei  uns  vorhanden ,  nur  nicht 
im  Museum,  sondern  es  wird  in  den  Königlichen 
Schlössern  zurückgeblieben  sein ,  wo  selbst  be- 
deutende Marmorwerke,  wie  der  schöne  Homerkopf 
zurückgeblieben  sind.  Würde  in  den  Schlössern 
einmal  gründlich  untersucht  und  würden  auch  die 
modernen  Preziosen,  Tabatieren  etc.  untersucht, 
zu  deren  Verzierung  oft  antike  Cameen  gebraucht 
wurden,  wie  mau  von  dem  großen  Churfürst  und 


283 

Friedrich  dem  Großen  weiß,  so  würde  wahr- 
scheinlich ein  großer  Theil  der  Beger'schen  Ca- 
meeu  wieder  zum  Vorschein  kommen.  Auch 
noch  aus  andern  Gründen  ist  die  Annahme 
Henry's  und  Tölken's  ganz  unbegründet,  es  läßt 
sich  eben  nicht  ein  einziger  Stein  bestimmt 
nachweisen ,  den  die  Franzosen  uns  entwendet«. 
7)  Die  beiden  in  Br.  Bucher's  Gesch.  der 
techn.  Künste  I,  S.  291  als  in  der  Biehler'schen 
Sammlung  befindlich  aufgeführten  Steine  mit 
dem  Brustbilde  des  Königs  Kobad  I.  und  dem 
des  Königs  Kobad  II.  befanden  sich  schon  im  J. 
1875  nicht  mehr  in  jener  Sammlung;  sie  sind 
vertauscht.  —  Die  ebenda  auf  S.  308  erwähnte 
»griechische  Sardintaglie  mit  dem  Kopf  des 
Priamus  von  seltener  Vollendung«  ist  schon 
oben  S.  225  fg.  unter  n.  8  berührt.  Der  beige- 
setzte Name  des  Dioskurides  wurde  bekanntlich 
namentlich  im  achtzehnten  Jahrhundert  mehr- 
fach von  Fälschern  gemißbraucht.  —  üeber 
einen  vermeintlich  antiken,  in  Wahrheit  jedoch 
von  L.  Pichler  herrührenden  Stein  mit  Griechi- 
scher Inschrift  s.  oben  S.  263.  —  Das  Schlimmste 
ist  aber,  daß  ebenda  S.  313  geschrieben  steht: 
»Kopf  eines  lachenden  Satyrs;  bezeichnet  ^M- 
MSiNIOY.  Carueol  -  Intaglio  (früher  Beverley, 
jetzt  Samml.  Biehler«).  Da  mich  diese  Notiz 
über  den  zuletzt  von  Stephaui  »üeber  angebl. 
Steinschneider«  S.  246  und  Brunn  »Gesch.  der 
Griech.  Künstler«  II,  S.  544  fg.  besprochenen 
Stein  interessirte ,  bat  ich  Hrn  Biehler  um  ge- 
nauere Auskunft.  Er  antwortete  mir:  »Ich  bin 
seit  45  Jahren  im  Besitze  einer  Glaspaste ,  aber 
einer  ganz  modernen  »schlechten«  und  kann 
Ihnen  die  Versicherung  geben,  daß  der  Carueol 
mit  dem  Kopf  des  Satyrs  sich  noch  wohlbe- 
halten in  der  Sammlung  zu  Alnwick  Castle  be« 

21* 


284 

findet,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  der  Earl 
Beverley  schon  gestorben  und  der  Herzog  von 
Northumberland  selben  besitzt«.  Hr.  Biehler 
fügt  hinsichtlich  des  Originals  hinzu:  »Der  Kopf 
ist  nicht  griechisch  und  der  sehr  fein  einge- 
schnittene Name  auch  ein  Falsificat«. 

8)  Es  wäre  sehr  zu  wünschen,  daß  Hr.  Biehler 
in  dem  neuen  Cataloge  die  Provenienz  der  Grem- 
nien  seines  Besitzes  möglichst  genau  angäbe. 
Mit  der  Gemmenwissenschaft  würde  es  weit 
besser  zustehen,  wenn  sich  die  einzelnen  Stücke 
bis  zu  ihrem  ersten  Erscheinen  hin  verfolgen 
ließen.  Aber  gerade  hinsichtlich  der  Gemmen 
haben  außer  der  Fahrlässigkeit  böse  Absicht 
und  falsche  Scham  die  Ausübung  der  Kritik  so 
schwierig  gemacht.  Herr  Biehler  wäre  im  Stande, 
der  Wissenschaft  nach  dieser  Richtung  hin  noch 
einen  ganz  besonderen  Dienst  zu  erweisen.  Von 
1800  bis  1815  war  es  in  Rom  Luigi  Pichler, 
durch  den  vorzugsweise  der  Verkauf  antiker  und 
moderner  Gemmen  vermittelt  wurde.  Er  genoß 
nicht  allein  das  Vertrauen  der  Römer,  Nobili 
und  Anderer,  —  aus  ganz  Italien  schickte  man 
ihm  die  Gemmen  zum  Verkauf  ein.  L.  Pichler 
hat  von  allen  diesen  Steinen  Gypsabdrücke  und 
auf  denselben  den  Namen  der  Käufer  angegeben. 
Die  Abdrücke  hat  er  1850,  als  er  von  Wien 
nach  Rom  in  Pension  ging,  Herrn  Biehler  zum 
Geschenk  gemacht. 

9)  Hr.  Biehler  macht  gelegentlich  noch  fol- 
gende interessante  Bemerkung  über  die  einge- 
schnittenen Namen  auf  Gemmen.  »Von  130 
griechischen  Künstler  -  Namen  sind  100  gewiß 
ganz  falsch.  Ja  wenn  ich  über  dieses  Thema 
zu  schreiben  anfinge ,  da  müßte  ich  gleich  10 
Bogen  noch  aufschreiben.  Luigi  Pichler  war 
mein    Freund    durch    20  Jahre    von    1830    bis 


285 

1850.  Er  weiß  von  seinem  älteren  Bruder  Gio- 
vanni Pichler,  welcher  es  wieder  von  seinem 
Vater  Antonio  Pichler  wußte,  daß  Stosch  in 
den  ersten  Decennien*)  des  vorigen  Jahrhunderts 
von  den  damals  berühmten  modernen  Steinschnei- 
dern theils  in  antike  Steine  griechische  Künst- 
lernamen schneiden  ließ,  theils  auch  antike  Bas- 
relief-Büsten und  Statuen-Gemmen  schneiden  und 
griechische  Namen  darin  schneiden  ließ.  Die 
Namen  dieser  Steinschneider  sind:  Sirletti, 
Ghinghi,  Bernabe,  Rossi,  Costanzi,  Natter,  Al- 
fani,  Antonio  Pichler **j  u.  s.  w.  Baron  Stosch 
hatte  seine  Helfershelfer  in  Paris,  London,  Flo- 
renz ,  Rom ,  Neapel  etc. ,  von  wo  dann  diese 
Gemmen  als  griechisch  oder  als  antik  in  die 
Welt  gesetzt  wurden.  Damals  verstand  ein 
Herzog  von  Marlborough  oder  ein  Herzog  von 
Devonshire  ebenso  wenig  als  heute  und  so  ge- 
schah es,  daß  damals  Gemmen  mit  200  bis 
1000  Pf.  St.  bezahlt  wurden;  ja  letzterer  hat 
eine  Gemme,  eine  liegenden  Kuh  darstellend,  von 
Sirletti  fabrizirt ,  zu  1000  Pf.  St.  dem  Baron 
Stosch  abgekauft.  Um  die  Täuschung  noch  grö- 
ßer zu  macheu,  hat  man  ein  Fragment  gemacht, 
dem  der  obere  Theil  des  Körpers  von  der  Kuh 
fehlt.  Aber  unter  der  Kuh  ist  der  Name 
AnOAAQNlJOY  eingeschnitten«.  Es  handelt 
sich  um  den  auch  in  den  Denkm.  d.  a.  Kunst 
I,  40,  173  nach  Bracci  wiedergegebenen  ge- 
schnittenen Stein.  Das  von  Hm  B.  Mitge- 
theilte  ist  im  Allgemeinen  schon  bekannt.  Hier 
wird  es  aber  in  der  Weise  bestätigt,  daß  auch 
Brunn  wohl  seineu  Zweifel  an  der  Richtigkeit 
der  Angabe  des  Preises  und  an  der  Veranlassung 

*)  Genauer:  »in  der  ersten  Hälftec.  W. 

**)  Anderswo  finde  ich  auch  Giovanni  Pichler  eelbat 
auedrücküch  genannt.  W. 


286 

der  Fälschung  durch  Stosch  (Gesch.  d.  Griech, 
Künstler  II,  S.  603)  aufgeben  wird.  Außerdem 
wird  der  Name  des  modernen  Steinschneiders 
ausdrücklich  angegeben  (was  in  einem  anderen 
Briefe  Hrn.  B.s  freilich  mit  den  Worten  »es 
dürfte  eine  Arbeit  von  Sirletti  sein«  geschieht). 
Für  die  Beurtheilung  des  in  Rede  stehenden 
Werkes  mag  hier  gelegentlich  noch  auf  die  Be- 
merkung Toelken's  über  eine  die  ganze  liegende 
»Büffelkuh«  vollständig,  aber  in  etwas  geringern 
Dimensionen  darstellende  antike  Paste  des  Ber- 
liner Mus.  im  Erkl.  Verz.  zu  Kl.  VIII,  n.  90, 
S.  408,  Anm.  hingewiesen  werden,  der  trotzdem 
»das  berühmte  Fragment«  für  echt  hielt.  Das 
Terrain,  auf  welchem  der  geschnittene  Stein  die 
Kuh  liegend  zeigt,  und  von  welchem  Brunn  be- 
merkte, daß  es  ihm  mehr  eine  modern  naturali- 
stische als  eine  antik  stylisirte  Behandlung  zu 
verrathen  scheine  ,  findet  sich  auf  der  Paste 
nicht.  —  Ich  kann  nicht  umhin,  noch  eine 
Mittheilung  Hm  B.s  hier  bekannt  zu  machen. 
Nachdem  er  bemerkt  hat,  daß  Gelehrte,  weil 
ihnen  die  nöthigen  praktischen  Kenntnisse  fehl- 
ten ,  in  Betreff  geschnittener  Steine  so  oft  ge- 
täuscht worden  seien,  fährt  er  fort:  »Es  ist  ja 
dem  berühmten  Winckelmann  auch  nicht  anders 
ergangen.  Er  hat  ja  auch  Gemmen  von  Giov. 
Pichler  für  griechisch  gehalten.  Pichler  hatte 
eine  Wette  mit  einem  Engländer  gemacht,  er 
werde  ihm  einen  Stein  schneiden,  welchen  selbst 
W.  für  einen  griechischen  halten  werde.  Pich- 
ler gebrauchte  aber  die  Vorsicht,  Gypsabdrücke 
von  seinem  Stein  zu  machen,  als  er  erst  ^/^  und 
'/s  fertig  war,  denn  sonst  hätte  er  den  Beweis 
ja  nicht  herstellen  können,  daß  dieser  Stein  von 
ihm  geschnitten  sei.  Ich  weiß  das  auch  von 
seinem    Bruder   Luigi.      Auch    Luigi    hat    einen 


287 

Stein  gescliuitten ,  auf  welchem  sich  mehrere 
Pferde  befinden,  hat  einen  griechischen  Namen 
hinein  geschnitten  und  auch  dieser  Stein  wurde 
in  Rom ,  ich  glaube  an  den  Herzog  von  Blacas, 
1809  um  eine  sehr  hohe  Summe  verkauft,  aber 
Pichler  gab  ihm  das  Geld  wieder  zurück.  Er 
wollte  nur  beweisen,  daß  es  damals  keinen  Ken- 
ner von  Gemmen  gab«. 

10)  Ja  nach  Hm  Biehler's  Annahme  über- 
steigt die  Zahl  der  falschen  Pichlergemmen  die 
der  echten.  »Falsche  Gemmen  mit  dem  einge- 
schnittenen Namen  Pichler  existiren  Hunderte ; 
mir  selbst  sind  gewiß  schon  80  bis  100  Stück  sol- 
cher Falsificate  vorgekommen«.  Er  fügt  noch  fol- 
gende interessante  Bemerkungen  hinzu:  »Sämmt- 
liche  Pichler  haben  eben  so  schon  ihre  Gemmen 
polirt,  wie  es  die  antiken  Steinschneider  konnten, 
und  dies  ist  schon  ein  Hauptkennzeichen  bei 
der  Beurtheilung  von  Pichler'schen  Gemmen. 
Die  sämmtlichen  vier  Pichler  haben  ihre  Namen 
immer  mit  nur  wenigen  Ausnahmen  griechisch 
geschrieben,  und  ich  erkenne  schon  ans  der  Un- 
terschrift, wenn  selbe  acht  ist,  welcher  Pichler 
die  Arbeit  gemacht  hat ,  aus  der  Größe  der 
Buchstaben ,  dann  der  weiten  oder  engen  Zu- 
sammenstellung der  Buchstaben.  Alle  Pichler 
haben  gewöhnlich  TIIXA^P  sich  geschrieben. 
Luigi  Pichler  hat  immer  ein  A  vorgesetzt; 
öfters  hat  er  auch  bloß  die  Initialen  A.  TJ. 
hineingeschnitten.  Dann  haben  alle  Pichler  das 
E  nie  so ,  sondern  immer  ein  Q  geschnitten. 
Das  ^  auf  diese  Art  ist  auch  schon  ein  Kenn- 
zeichen. Derjenige ,  der  ein  E  schneiden  kann, 
könnte  ja  auch  ein  ^  schneiden ;  aber  es  ist 
merkwürdig:  unter  100  Falsificaten  von  Pichler'- 
schen Gemmen  sind  mir  noch  nicht  5  vorgekom- 
men, welche  das  ^  richtig  so  geschnitten  hatten. 


288 

11)  Liiigi  Pichler  hat,  wie  Hr.  Biehler  mir 
schreilDt,  »4  Gemmen  nach  Giovanni  kopirt,  auf 
Verlangen  seiner  Freunde,  aber  alle  ein  wenig 
größer  oder  kleiner  als  das  Original  war.  Er 
AvoUte  beweisen,  daß  er  eben  ein  so  geschickter 
Steinschneider  wie  sein  Bruder  sei,  aber  Luigi 
hat  seinen  Bruder  nur  in  seinen  besten  Arbeiten 
erreicht,  nicht  in  allen«. 

12)  Hinsichtlich  der  modernen  Steinschnei- 
derinnen, von  denen  die  dem  sechszehnten  Jahr- 
hundert angehörende  Belli  die  erste ,  die  Facius 
die  letzte  ist,  theilt  Hr.  Biehler  Folgendes  mit. 
»Alle  Arbeiten  dieser  Steinschneiderinnen  ver- 
rathen  keine  besondere  Kunst  in  der  Stein- 
schneiderei. Indessen  schlecht  hat  keine  der- 
selben geschnitten.  Ich  habe  schon  Arbeiten 
von  einer  jeden  gesehen.  Aber  im  Handel  kom- 
men selbe  nur  äußerst  selten  vor.  Die  meisten 
Gemmen  haben  die  um  1 790  in  Neapel  blühende 
Talani  und  die  Facius  aus  Weimar  (deren  Va- 
ter auch  Steinschneider  war),  geschnitten.  Die 
Talani  schnitt  nur  Cameen  und  die  Facius  nur 
Intaglien.  '  Die  Facius  hatte  vor  30  Jahren  das 
Malheur  sich  den  rechten  Fuß  zu  brechen  und 
mnßte  da  das  Steinschneiden  aufgeben,  weil  sie 
da  die  Maschine  nicht  mehr  mit  dem  Fuße  in 
Bewegung  setzen  konnte.  Sie  schnitt  daher 
seit  dieser  Zeit  nur  noch  in  Muscheln.  Sie 
lebt  heute  noch  in  Weimar  als  alte  Matrone 
und  ist  die  einzige  noch  lebende  Steinschnei- 
derin, denn  seit  mehr  als  50  Jahren  hat  außer 
ihr  keine  Dame  es  gewagt,  in  Steine  schneiden 
zu  lernen«. 


289 

Nachtrag 
(zu  S.  275  unteu). 

Durch  die  Liberalität  Sr.  K.  Hoheit  deg 
Prinzen  Albrecht  von  Preußen  bin  ich  noch 
unmittelbar  vor  der  Ausgabe  dieser  Abhandlung 
in  den  Stand  gesetzt ,  über  die  Cameen  der 
Prinzlichen  Sammlung  eine  geuauere  Notiz  nach 
den  Originalen  mittheilen  zu  können.  Es  liegen 
mir  von  den  44  frühestens  aus  der  Römischen 
Kaiserzeit  stammenden  Cameen,  welche  in  einem 
zu  Rom  im  J.  1856  in  Deutscher  Sprache  ge- 
schriebenen Catalog  aufgeführt  sind,  26  Stücke  vor. 

Das  weitaus  bedeutendste  Stück  ist  ein  Chal- 
cedon  mit  der  Darstellung  einer  Büste  ,  welche 
der  der  bekannten  Statue  des  Antinous  als  Mer- 
cur  im  Capitoliniseheu  Museum  wesentlich  gleicht, 
nur  daß  der  Kopf  nicht  nach  rechts  geneigt, 
sondern  senkrecht  auf  den  Schultern  stehend 
vollkommen  eu  face  dargestellt  ist.  Das  Haar 
ist  durchaus  entsprechend  behandelt,  nur  daß 
auf  dem  Cameo  noch  etwas  davon  hinter  den 
Ohren  herabfällt.  Die  Augenbrauen  sind  eben- 
falls ausgeführt  und  in  den  Augen  ist  die  Pupille 
angegeben.  Auch  der  Mund  zeigt  die  Vertiefung 
in  den  Winkeln,  wie  an  der  Capitoliniseheu  Sta- 
tue; die  Lippen,  namentlich  die  untere,  sind  noch 
voller,^  auch  die  Nase  stärker  als  an  dieser. 
Der  Kopf  ist  ein  ausgezeichnetes  Werk  der 
Glyptik.  Auch  die  Politur  ist  vortrefflich.  Am 
Halse  und  an  der  Büste  ist  retouchirt.  Auch 
die  Dimensionen  des  Steines  sind  ansehnlich. 
Die  Höhe  desselben  beträgt  51  Millimeter,  seine 
Breite  40,  seine  Dicke  21—22,  die  Höhe  der 
bildlichen  Darstellung  38.  Er  ist  riugsherum 
so  geschnitten,  daß  ein  Absatz  gebildet  wird, 
vermuthlich   um   eine   Fassung    in   Gold    aufzu- 


290 

nelimen,  und  die  Vorderseite  geringere  Dimen- 
sionen hat  als  die  Rückseite.  Außerdem  ist  er 
der  Höhe  und  der  Breite  nach  gerade  in  der 
Mitte  durchbohrt,  vielleicht  um  als  Agrafe  zu 
dienen.  In  Folge  der  Bohrung  ist  er  auswärts 
au  den  Löchern  beschädigt.  Schwerlich  ist  das 
Bohren  von  derselben  Hand  geschehen,  welcher 
der  Schnitt  verdankt  wird.  Ein  namhaftes  In- 
teresse erregt  der  Umstand,  daß  das  Werk  mit 
einer  Inschrift  in  Griechischen  Buchstaben  ver- 
sehen ist.  Am  linken  (für  den  Beschauer  rech- 
ten) Rande  des  Steines  dem  Halse  gegenüber 
liest  man  in  sehr  kleinen,  im  Tiefschnitt  aus- 
geführten Buchstaben:  M.  ZS2CIM0Y  (das  M 
ist  beide  Male  so  eingegraben,  daß  ich  es  zuerst 
für  ein  N  hielt,  doch  ist  ohne  Zweifel  ein  Marcus 
Zosimus  gemeint;  das  Si  und  namentlich  das  O 
stehen  etwas  höher  als  die  übrigen  Buchstaben). 
Der  Name  soll  ohne  Zweifel  der  des  Künstlers 
sein.  Nun  hören  wir  durch  Johann  Faber  in 
den  Commentariis  ad  Imagines  virorum  illustr. 
ex  bibl.  Fulvii  Ursini  p.  52  daß  die  Namen  des 
Epitynchanus  und  Zosimus  »extant  in  priscis  ca- 
meis aliisque  sculpturis«.  Lessing  machte  in  den 
Kollektaneen  zur  Litteratur  (Sämmtliche  Schrif- 
ten, Bd.  XI,  Berlin  1839,  S.  287  die  Bemerkung: 
»wenn  diese  aliae  sculpturae  sich  nur  nicht  auf 
den  Zosimus  beziehen!«  Aber  ohne  Zweifel 
fand  Faber  den  Namen  dieses  auch  auf  Cameen, 
vgl.  seine  praef.  p.  4.  So  urtheilt  auch  H.  K. 
E.  Kühler  »Ges.  Schriften,  herausg.  von  L.  Ste- 
phan!«, Bd.  III,  S.  113  richtig,  obgleich  er  be- 
merkt, daß  sich  mit  nichten  »jetzt  noch  Cameen 
des  Zosimus  finden«.  Der  vorliegende  liefert 
das  erste  Beispiel  eines  solchen.  Es  kann  nur 
die  Frage  sein,  ob  der  Name  schon  vor  oder 
erst    nach  Faber's  Zeit   eingeschnitten  sei.     Das 


291 

Erstere  hat  gewiß  die  größere  Wahrscheinlich- 
keit, wenn  auch  Faber  nar  von  einem  Zosimus 
schlechthin,  nicht  von  einem  M.  Zosimus  spricht. 
Der  Name  Zosimus  ist  als  der  eines  Steinschnei- 
der durch  kein  sicheres  Zeugniß  aus  dem  Alter- 
thume  beglaubigt.  Wenn  Stephani  zu  Köhler 
a.  a.  0.  S.  296 ,  Anm.  32,  a,  wirklich  meinte, 
daß  dieser  Name  auf  einem  vertieft  geschnitte- 
nen rothen  Jaspis  des  Berliner  Museums  (Toel- 
ken  Erkl.  Verzeichn.  Kl.  VIII,  n.  258)  den  Ver- 
fertiger des  Werkes  angehen  solle ,  so  kann  ich 
mit  nichten  beistimmen.  Der  von  Raspe  Catal. 
de  Tassie  T.  I,  p  461,  n.  7894  verzeichnete 
Stoschische  Schwefel  mit  der  Inschrift  ZOS.  ent- 
zieht sich  unserer  Beurtheilnug.  Wenn  es  aber 
auch  wahrscheinlich  ist,  daß  der  Name  ZOSIMVS 
gemeint  war,  so  ist  es  doch,  auch  der  bildlichen 
Darstellung  wegen  ,  ganz  unglaublich  ,  daß  der 
Name  den  Steinschneider  andeuten  solle  ,  es  sei 
denn ,  daß  es  sich  um  eine  moderne  Fälschung 
handele.  Es  ist  schon  vorlängst  mit  Recht  ver- 
muthet,  daß  die  Existenz  eines  Steinschneiders 
Zosimus  wesentlich  auf  der  in  Gruter.  Inscr. 
p.  639,  12,  zum  zweiten  Male  bekannt  geraachten 
Grab-Inschrift  beruht,  in  welcher  es  heißt,  daß  M. 
Canulejus  Zosimus  »arte  in  caelatura  Clodiana  evi- 
cit  omnes«,  daß  aber  diese  Worte  nur  auf  einen 
Caelator  von  Silbergefäßen  und  durchaus  nicht  auf 
einen  Steinschneider  passen.  Wenn  Raoul-Ro- 
chette  noch  im  Jahre  1845  in  der  Lettre  ä  Mr. 
Sehoru  p.l58,  83  den  in  der  Inschrift  erwähnten 
Zosimus  mit  dem  nach  Faber  auf  Cameen  vorkom- 
menden für  identisch  hielt,  so  steht  er  mit  dieser 
Ansicht  so  gut  wie  vereinzelt  da.  Daß  der 
Steinschneider  Zosimus  aus  der  Grabinschrift 
hervorgegangen  ist,  wird  durch  den  in  Rede 
stehenden  Cameo  noch  wahrscheinlicher,  da  des- 


292 

sen  Inschrift  auf  eiueu  Jf.  Zosimus  lautet;  dane- 
ben erhellt  auch  die  Willkür  der  Namensfälscher 
auf  geschnittenen  Steinen  nach  Schriftwerken 
und  Inschriften.  An  der  ünechtheit  der  Inschrift 
auf  dem  hier  der  Besprechung  unterzogenen 
Cameo  ist  durchaus  nicht  zu  zweifeln.  Daraus 
folgt  aber  keinesweges  ,  daß  auch  die  bildliche 
Darstellung  modern  sei.  Im  Gegentheil  über- 
wiegen die  Gründe  für  deren  Herstammung  aus 
der  Zeit  Hadrians  die  für  die  Annahme  eines 
Werkes  neuerer  Zeit. 

Unter  den  übrigen  vorliegenden  Cameeü  mö- 
gen hier  zunächst  zwei  erwähnt  werden,  welche, 
wenn  sie  auch  hinsichtlich  der  Arbeit  unendlich 
weit  hinter  dem  oben  besprochenen  zurückste- 
hen ,  auch  von  geringeren  Dimensionen ,  aber 
doch  größer  als  die  übrigen,  sind  und  ein  jeder 
in  seiner  Weise  Interesse  erregen: 

1)  das  Brustbild  einer  Pallas  nach  rechts, 
mit  dem  Attischen,  mit  einem  Roßschweifbusch 
versehenen  Helm  und  der  Aegis,  von  welcher 
sich  eine  Schlange  erhebt ;  das  Haar  fällt  gelöst 
in  den  Nacken  und  zu  den  Seiten  des  Halses 
herab ;  unter  dem  obersten  noch  zur  Darstellung 
gebrachten  Theile  des  rechten  Armes  gewahrt 
man  die  in  die  braune  Lage  des  Onyx  mit 
kleinen  Buchstaben  vertieft  eingeschnittene  In- 
schrift ONHCY  (so!)  (gewiß  war  der  sonst 
ganz  ausgeschriebene ,  auch  auf  einem  Steine 
mit  einer  behelmten  Pallas  bei  Miliin  Pierr.  grav. 
pl.  LVIII  vorkommende  Künstlername  ONHCI- 
MOG  gemeint;  die  ünechtheit  der  Inschrift  ist 
zweifellos,  auch  hier  haben  wir  also  ein  Beispiel 
der  ünechtheit  vertieft  geschnittener  Inschriften 
auf  erhaben  geschnittenen  Steinen) ; 

2)  ein  alter  Bekannter,  den  ich  jetzt  unver- 
hofft zu  Hannover  wiederfinde,  jener  früher  De- 


293 

midoff'sche,  uameutlith  auch  wegen  der  Beflü- 
geluug  Silens  iuteressaute  Onyxcameo  ,  welchen 
ich  nach  dem  Abdrucke  in  den  von  Cades  be- 
sorgten Impr,  gemni.  d.  Inst.  arch.  Cent.  IV, 
n.  37  in  meinen  Denkmälern  der  alten  Kunst 
Bd.  II,  Taf.  XXXV,  n.  405  habe  abbilden  lassen. 

Recht  interessant  ist  ferner  ein  leider  frag- 
mentirter  Onyx  mit  einer  schönen  nackten  weib- 
lichen Figur ,  die  trotz  ihrer  starken  Beschädi- 
gung sich  als  jene  öfter  wiederholte  Aphrodite 
unzweifelhaft  erkennen  läßt ,  welche  ,  indem  sie 
auf  dem  einen  Beine  ,  hier  dem  linken ,  steht, 
sich  mit  der  einen  Hand,  hier  ebenfalls  der  lin- 
ken, an  der  Sandale  des  einen  Beines,  hier  des 
rechten ,  zu  schaffen  macht ,  während  sie  den 
anderen  Arm  ,  also  hier  den  rechten ,  zum  Ba- 
lanciren  des  Körpers  ausgestreckt  hält.  Das  in 
Rede  stehende  Werk  war  bisher  unbekannt. 
Mehr  über  entsprechende  Darstellungen  in  mei- 
nem Texte  zu  den  Denkm.  d.  a.  K.  Bd.  II, 
S.  422  fg.  zu  n.  283  u.  283,  a,  der  dritten  Bearb. 

Drei  der  Cameen  stellen  Eroten  dar ;  der  eine 
einen  leierspielenden;  der  andere  einen,  welcher 
einen  widerstrebenden  Schwan  bei  dem  rechten 
Flügel  herbeizieht.  Die  Darstellung  des  dritten, 
die  beste  von  den  dreien ,  zeigt  den  auf  einem 
Felsen  sitzenden  Amor  mit  nach  rechts  gewen- 
detem Kopfe ,  während  er  mit  beiden  Armen, 
wie  ich  meine,  eine  Flasche  und  das  bekannte 
Tonzeug  in  Form  eines  Dreiecks  {iQiycovoy),  an 
dem  aber  die  Seiten  nicht  ausgeführt  sind,  nach 
links  hin  hält.     Also  ein  Theil  einer  Gruppe. 

Auch  ein  fragmentirter  Sardonyx  mit  der 
Darstellung  eines  unbärtigen  Mannes  mit  der 
Phrygischen  Mütze,  des  »Parisc,  wenn  nicht 
vielmehr  des  Anchises,  verdient  in  künstlerischer 
Hinsicht  Beachtung. 


294 

Desgleichen  eiu  weniger  beschädigter  Onyx 
mit  der  Darstellung  der  Athena,  einer  kleineu 
entfernten  Nachbildung  der  Parthenos  des  Phi- 
dias,  wie  sie  auch  sonst  auf  Gemmen  vor- 
kommt. Die  ausgestreckte  rechte  Hand  hielt  si- 
cherlich auf  der  inneren  Fläche  einen  Vogel. 
Also  ein  neues  Beispiel  der  Athena  mit  der 
Eule  auf  der  Hand,  welches  den  in  den  Denkm. 
d.  a.  K.  Bd.  11,  S.  307  fg.  zu  u.  219  der  dritten 
Bearb.  angeführten  hinzuzufügen  ist. 

Minderen  Belang  hat  eiu  Onyx  mit  der  Dar- 
stellung einer  tanzenden  Bacchantin,  die  in  der 
Linken  den  Thyrsus  hält  und  mit  der  rechten 
das  ihren  Körper  nach  vorn  hin  ganz  entblößt 
lassende  Gewand  faßt. 

Die  übrigen  Darstellungen  betreffen  Portraits 
aus  Römischer  Zeit ,  von  denen  einige  recht 
hübsch  ausgeführt  sind,  und  Thiere.  — 

Auch  unter  den  vertieft  geschnittenen  Steinen 
befinden  sich,  nach  dem  Catalog  zu  urtheilen, 
mehrere  sehr  interessante  Stücke.  Zu  diesen 
gehört  —  .um  nur  dieses  Eine  zu  bemerken  — 
der  früher  Deniidoff'sche  mit  der  einen  ihrer 
Brüder  zu  beschirmen  suchenden  Tochter  der 
Niobe,  welcher  nach  den  oben  erwähnten  Impr. 
gemm.  I,  74  in  den  Denkm.  d.  a.  Kunst  Bd.  I, 
Taf.  XXXIV,  n.  142,  D,  in  Abbildung  mitge- 
theilt  ist. 


295 

Bei    der    Königl.  Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

Mui  bittet  diese   Verzcicbnisäe  zugleich  als  Empfangsanzeigen  aiu«ken 
zn  wollen. 


Fortsetzung. 

The    Transactions    of    the    Linnean    Soc.    of  London. 

Zoology.    Vol.  IL    P.  2. 
The   Journal   of  the  Linn.   Soc.   Botany.     VoL  XVllL 

No.  108-113.    VoL  XV.    ZooL    No.  84.  85. 
List  of  the  Linnean  Society.    January  1881. 
A.  Scacchi,  drei  Separat- Abdrücke.     Mineralogie. 
Der  zoologische  Garten.     Jahrg.  XXIL    N.  1—6. 
Sitzungsberichte  der  Akademie  der   Wissenschaften    zu 

München  math.-physikaL  CL  1881.     Heft  IV. 
Monatsbericht    der   Königl.  Preussiechen  Akademie  der 

Wissenschaften  zu  Berlin.     Mai   1881. 
Erdelyi  Muzeum,  8  Sz.,  VllL    Evtolyam  1881. 

Sendung  der  Krakauer  Akademie.     1880 — 81'). 

Abhandlungen  und  Sitzungsberichte  der  historisch-philoa. 
Abth.  der  Akademie  der  Wissenschaften.  Bd.  XIIL 

Abhandlungen  und  Sitzungsberichte  der  mathematisch- 
naturwissenschaftlichen Abtheilung  der  Akademie  der 
Wiss.     Bd.  VIII. 

Jahrbuch  über  die  Verwaltung  der  Akademie  der  Wisa. 
zu  Krakau.     Jahrgang  1880. 

Berichte  der  sprachwissenschaftlichen  Commission  der 
Akademie  der  Wiss.     Bd.  1.  2. 

Berichte  der  physiographischen  Commission  enthaltend 
einen  üeberblick  über  die  während  dea  Jahres  1880 
vollendeten  Arbeiten  zugleich  Materialien  zur  Physio- 
graphie  Galiziens.     Bd.  15. 

Sammlung  von  Beiträgen  zur  vaterländischen  Anthro- 
pologie hrsg.  von  der  anthropologischen  Commission 
der  Akademie.     Bd.  V.     8. 

Berichte  der  Kommission  für  Geschichte  der  Kunst  in 
Polen.  Bd.  II,  Heft  2:  Die  Kirche  St.  Jacob  in  San- 
domir,  Denkmal  eines  Ziegelbau's  des  13.  Jahrb.,  be- 
schrieben von  Wladislaw  Luszckiewicz.    4°. 

1)  Die  meisten  in  polxu£cher  Sprache. 


296 

Monuments  prehistoriques  de  l'ancienne  Pologne  publies 
par  les  soins  de  la  Commission  archeologique  de  l'aca- 
ddraie  des  sciences  de  Cracovie  I.  Serie  Prusse  royale 
par  Godefroy  Ossowsk  et  traduit  du  polonais  par  Si- 
gismond  Zaborowski,  2.  livraison.     4". 

Acta  historica  res  gestaa  Poloniae  illustrantia  TomusII 
continet:  Acta  Joannis  Sobieski  quae  ad  illustrandum 
vitae  eins  cursum  resque  usque  ad  electionem  gestas 
inserviunt,  Tomi  I,  pars  II,  1672-1674.  4".  TomusV. 
Acta  quae  in  archivo  ministerü  rerum  exterarum 
Gallici  ad  Joannis  III  regnum  illustrandum  spectant 
continens  ab  anno  1677  ad  annum  1679.     4°. 

November  1881. 

Revista  Euskara.    No.  40.    Oct.  1881. 

Bulletin  de  la  Soc.  Inip.  de  Moscou.     1881.    N.  1. 

Proceedings  of  the  London  Math.  Society.    N.  176.  177. 

58.  Jahresbericht  der  Schlesischen  Gesellsch.  für  Vater- 
land. Cultur. 

Verhandlungen  der  im  Sept.  1880  abgehaltenen  sechsten 
Conferenz  der  Europäischen  Gradmessung.  Berlin. 
1881.    4«. 

Archiv  des  histor.  Vereins  von  Unterfranken  u.  Aschaf- 
fenburg.    Bd.  24.     H.  2.  3.     Bd.  25.     H.  2.  3. 

Denkschriften  der  K.  Akad.  des  Wiss.  Philos.-histor. 
Classe.     Bd.  31.     Wien.     1881.     4". 

Sitzungsberichte,  histor.  philos.  Cl.  1880.  Bd.  97.  H.  1. 28. 
Bd.  98.     H.  1.  2. 

Mathem.  naturwiss.  Cl.  Abth.  I.  1880.  Bd.  82,  Heft  3 -5. 
1881.  Bd.  83,  H.  1-4.  Abth.  II.  1880.  Bd.  82,  3— 5. 
1881.  Bd.  83,  1—4.  Abth.  III.  1880.  Bd.  82,  3-5. 
1881.    Bd.  83,  1-2. 

Almanach  der  Kais.  Ak.  d.  W.     1881. 

II.  Bericht  des  hydrotechnischen  Vereins  Ober  die  Was- 
serabnahme in  den  Quellen  etc. 

Nature.     627.  628.  630. 

Monatsbericht  der  Berliner  Akademie.    Juni  1881. 

Annali  di  Statistica.    Serie  2.    Vol.  25.    1881.     Roma. 

Monthly  Notices  of  the  R.  Astronom.  Soc.  Vol.  XLI. 
No.  9. 

(Fortsetzung  folgt) 

Für  die  Kedaction  verantwortlich :  Dr.  IkcfiM,  Director  d.  Oött.  gel.  Anz. 

Commissions-Verlag  der  Dieterich' schm  Yerlags- Buchhandlung. 

Druck  der  DieiericK sehen  i'nio.  -  Buchdmclcerei  ( W.  Fr.  Katstner). 


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1*; 


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285 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


13.  Juni.  M  13.  1877. 


llBiTersität. 


Am  vierten  Juni  beging  die  Universität  in  her- 
kömmlicher Weise  die  öffentliche  Preisvertheilung. 
Die  Festrede  hielt  Prof.  Wieseler.  Sie  be- 
traf hauptsächlich  die  Erklärung  des  ApoUon 
vom  Belvedere.  Da  diese  schwierige  Aufgabe 
nur  in  Folge  der  umfassendsten  und  eingehend- 
sten Untersuchungen  zu  lösen  ist,  diese  aber  in 
der  auf  ein  größeres  nicht  gelehrtes  Publicum 
berechneten  Rede  nicht  gehörig  entwickelt  wer- 
den konnten,  so  sei  hier  in  wissenschaftlicher 
Beziiehung  Folgendes  bemerkt.  Die  jetzt  am 
meisten  verbreitete  Ansicht,  daß  Apollon  mit 
seiner  von  Zeus  entliehenen  Aegis  die  gegen 
sein  Heiligthum  zu  Delphi  anstürmenden  Gallier 
niederschmettere,  ist  durchaus  unhaltbar.  Das 
hat  schon  vorläugst  selbst  der  ausgezeichnete 
Gelehrte  zugegeben,  durch  den  jene  Ansicht  zu- 
erst in  die  Wissenschaft  eingeführt  wurde.  Die 
schwer  wiegenden  Bedenken  liegen  nicht  allein 
auf  dem  Boden  der  gelehrten  Forschung;  jeder 
Laie  von  einfachem  Urtheil  wird  einsehen,  daß 
der  triumphirende  Stolz  ApoUons  als  ein  gera- 
dezu lächerliches  Pathos  erscheinen  müßte,  wenn 
er  auf  keinem  anderen  Grunde  beruhte  als  dar- 

27 


28a 

auf,  daß  der  Gott  durch  das  bloße  Hinhalten 
und  Schütteln  einer,  Sterblichen,  wie  es  doch 
die  Gallier  waren,  unwiderstehlichen,  noch  dazu 
geliehenen  Wafife  über  diese  obsiegte.  —  Wenn 
also  eine  neue  Erklärung  versucht  werden  muß, 
so  wird  man  zunächst  danach  zu  sehen  haben, 
ob  sich  nicht  die  Aegis  auch  als  Eigenthum 
Apoll ons  nachweisen  läßt.  Dafür  giebt  es  aber 
genügende,  nicht  bloß  bildliche,  sondern  auch 
schriftliche  Belege.  Der  Inhaber  der  Aegis  ist 
Apollon  Helios.  Die  Verschmelzung  ApoUons 
und  Helios'  war  gerade  zu  der  Zeit,  in  welche 
die  Verfertigung  des  Originals  des  Apollon  vom 
Belvedere  fällt,  gäng  und  gäbe.  Die  Handlung, 
in  welcher  diese  Statue  begriffen  ist,  wird  also 
entweder  aus  den  vorzeitlichen  Sagen  zu  erklären 
sein,  oder  aus  den  Ansichten,  welche  in  der  Zeit 
der  Verfertigung  des  Originals  der  Statue  über 
das  tägliche  Leben  und  Treiben  des  Sonnen- 
gottes in  der  Poesie  und  in  den  bildenden  Kün- 
sten der  Griechen  herrschend  waren;  Apollon 
Helios  ist  entweder  in  einer  einmaligen  mythi- 
schen Handlung  dargestellt,  oder  in  einer  solchen, 
die  sich  während  seiner  täglichen  Fahrt  am 
Himmel  wiederholt.  Auf  diesem  neugewonnenen 
Standpunkt  angelangt  bedarf  man,  um  weiter 
zu  kommen,  keiner  Conjectur  ins  Blaue  hinein. 
Die  Mythologie  weiß  von  keinem  Ereigniß  jener 
Art.  Dagegen  wird  der  Sonnengott  als  sieg- 
reicher Kämpfer  auf  der  Himmelsbahn  durch 
Wort  und  Bild  bis  in  die  spätesten  Zeiten  des 
Heidenthuras  hinab  verherrlicht.  Der  Apollon 
vom  Belvedere  ist  im  allgemeinen  als  siegreicher 
Bekämpfer  der  Dämonen  der  Finsterniß  zu  fas- 
sen. Er  ist  also  eine  Darstellung  des  erhabe- 
nen Sonnen-  und  Tagesgottes  in  der  Thätigkeit, 
welche  diesem   nicht   bloß  als  eine  gewöhnliche, 


287 

sondern  auch  als  die  hervorragendste  zugeschrie- 
ben wurde,  und  entspricht  auch  in  sachlicher  Be- 
ziehung dem  Zwillingsschwesterbild  der  Mond-, 
Nacht-  und  Jagdgöttin,  der  Artemis  von  Versail- 
les, welches  man  schon  längst  in  technischer  und 
formeller  Hinsicht  als  Gegen-  oder  Seitenstück 
richtig  erkannt  hat,  ohne  das  erforderliche  ge- 
gensätzliche Entsprechen  der  Handlung  des  Apol- 
lon  vom  Belvedere  und  der  deutlicher  zu  Tage 
liegenden  der  Artemis  von  Versailles  darthun 
zu  können ;  weßhalb  denn  diese  bei  den  neueren 
Untersuchungen  über  jenen  gar  nicht  oder  nicht 
richtig  veranschlagt  ist. 

Hinsichtlich  der  für  das  Jahr  1876  —  1877 
gestellten  Preisaufgaben  verhält  es  sich  folgen- 
dermaßen. 

Die  von  der  theologischen  Facultät  gestellte 
wissenschaftliche  Preisaufgabe  hat  keine 
Bearbeitung  gefunden. 

üeber  den  gegebenen  Predigttext  sind 
zwei  Predigten  eingegangen  —  die  eine  mit 
dem  Motto  »'O  Geög  dydnti  ißtivi  —  die  zweite 
mit  dem  Motto:  *Opus  est  mitescere  pietate.« 

Keine  derselben  entsprach  den  zu  stellenden 
Anforderungen  vollständig;  doch  erschien  die 
zweite  durch  ihr  ernstes  Streben  und  ihre  wür- 
dige Haltung  als  geeignet  zum  öffentlichen  Vor- 
trag zugelassen  zu  werden.  Da  aber  der  Ver- 
fasser zum  Bedauern  der  Facultät  durch  Un- 
wohlsein verhindert  war  diese  Bedingung  zu  er- 
füllen, so  konnte  ihm  der  stiftungsmäßige  Preis 
nicht  zuerkannt  werden.  Doch  hat  die  Facultät 
beschlossen,  ihm  als  Anerkennung  für  die  Vor- 
züge seiner  Leistung  einen  entsprechenden  Theil 
des  Preises  zu  verwilligen,  und  es  ist  hiezu  die 
Ermächtigung  des  Königlichen  Universitäts-Cn- 
ratorii  ertheilt  werden. 

27* 


28g 


Bei  der  iuristischen  und  der  medicinischen 
FacTiltät  sind  Bearbeitungen  der  Preisaufgaben 
nicht  eingegangen.  ,         ,  ., 

Aucb  die  ordentliche  Aufgabe  der  philoso- 
phischen Facultät  hat  keinen  Preisbewerber  ge- 
funden. 

Dagegen  ist  für  die  außerordentliche  eine 
Arbeit  eingegangen. 

Die  betreffende  Aufgabe  lautete: 
I)r  G  Ä.  MaacJc  hat  in  seiner  1869  erschie- 
nenen 'Arheit:  „Die  Us  jetzt  leUnnten  fos^len 
SchiUlröten  und  die  im  oberen  Jura  oei  KeM- 
heim  und  Hannover  nm  aufgefundenen  ^testen 
Arten  derselben^'  die  Hannoverschen  iormm 
nicht  in  abschließender  Weise  behandelt.  Ute 
Facultät  wünscht  daher  eine  monographische 
Beschreibung  der  an  dem  Tönnjesberge  bei 
Linden  bisher  gefundenen  SchitdJcrötenreste  unf^ 
steter  Vergleichung  mit  den  gleichaltrigen,  öe- 
sonders  durch  Rütimeyer  von  Solothurn  be- 
schriebenen Formen  und  unter  Darlegung  ihrer 
Bedeutung  für  die  Stammesgeschichte  der  hchiM- 
laröten. 

Die  Beantwortung  derselben  hat  d*  Motto: 
Jam  galeam  Pallas  et  aegida  currusque  et  ra- 
biem  parat.  Vierzehn  von  Herrn  0^  Peters  mit 
gewohnter  Meisterschaft  ausgeführte  Figuren  die- 
nen zu  ihrer  Erläuterung.  ..      •  i 

Der  Verfasser  derselben  hat  mit  sicherem 
Verständniß  und  großem  Fleiße,  bis  auf  einige 
wenig  bedeutende  Ausnahmen  das  ganze  bisjetzt 
am  Tönnjesberge  gefundene  Schi  dkrütenmaterial 
bearbeitet,  in  befriedigender  Weise  m  5  bezw. 
6  Arten  vertheilt  und  mit  den  Rutmieyerschen 
Formen  in  Beziehung  gesetzt.  ^%^'']f^''^'2l 
und  Darstellung  der  gewonnenen  Resultate  wäre 


289 

freilich  eine  größere  Ausführlichkeit  zu  wünschen, 
besonders  bei  der  Behandlung  der  Bauchschilder 
von  Plesiochelys  Hannoverana.  Sprachlich  ist 
die  Arbeit  dagegen  so  voller  Verstöße,  daß  die- 
selbe in  der  vorliegenden  Form  nicht  gedruckt 
werden  kann.  Da  diese  Sprachfehler  jedoch 
keinen  Zweifel  darüber  lassen,  daß  der  Verfasser 
kein  Deutscher  ist,  und  die  Arbeit  ein  wesent- 
licher Fortschritt  in  unserer  Kenntniß  der  Ju- 
rassischen Schildkrötenfauua  ist,  so  giebt  die 
Facultät  dem  Verfasser  auf,  dieselbe  vor  dem 
Drucke  ihr  nochmals  in  einer  sprachlich  verbes- 
serten Umarbeitung  vorzulegen,  und  bewilligt 
ihm  den  Preis. 

Der  Preisträger  ist: 

Alessandro  Portis   de  Torino, 
Dottore  di  Storia  Naturale,  Studiosus  der  Natur- 
wissenschaften in  Göttingen. 


Die  neuen  Preisaufgaben  für  das  Jahr  1877/78 
sind  folgende: 

Die  theologische  Facultät  stellt  als  wissen- 
schaftliche Aufgabe  das  Thema: 
Baptismus  parvulorum  qua  ratione  in  ecclesia 
nostra  retentus  sit  ac  retinenäus^  exponatnr. 

Als  Predigttext  gibt  sie  die  Stelle  2.  Co- 
rinth.  7,  v.  10. 

Die  diesmalige  Aufgabe  der  Juristenfacul- 
tät  ist: 

Darstdlung  der  Lehre  des  Hugo  Grotius  über 
das  Verhältniß  des  Staates  zur  Kirclie,  unter 
Berüchsichtigung  der  Quellen  dieser  Lehre. 

Die  medicinische  Facultät  stellt  die  folgende 
Aufgabe : 


29Ö 

Es  soll  mit  Bücksicht  auf  die  Angaben  von 
Bence-Jones  und  Änderen  durch  Untersuchungen 
an  gesunden  Menschen  festgestellt  iverden,  ob 
und  unter  welchen  physiologischen  Bedingungen 
der  Harn  eine  alJcalische  Beaction  zeigt,  durch 
welche  Körper  dieselbe  veranlaßt  wird^  so  wie 
ob  und  welche  Sedimente  sich  in  solchem  alka- 
lischen Harn  abscheiden. 

Die  philosophische  Facultät  stellt  folgende 
Aufgaben : 

I.  als  ordentliche: 

Veteris  testamenti  emendandi  pericula,  quae 
Herderus  aut  ipse  fecit^  aut  ab  aliis  facta  cotn- 
mendavit,  colligantur  et  examinentur; 

IL  als  außerordentliche: 

Die  in  den  einheimischen  Bmnbus-Arten  schma- 
rotzende Sphaerularia  Boinbi  ist  weder  anato- 
misch noch  biologisch  genügend  bekannt.  Die 
philosophische  Facultät  verlangt  dem  entspre- 
chend eine  Untersuchung  dieses  bei  uns  nicht 
seltenen  Thiers,  durch  welche  unsere  Kenntnisse 
nach  beiden  oder  vorwiegend  nach  einer  der 
beiden  Bichtungen  gefördert  werden. 

Die  Bearbeitungen  müssen,  mit  einem  Motto 
versehen,  zugleich  mit  einem  versiegelten  Zettel, 
der  außen  dieses  Motto  trägt  und  innen  den 
Namen  des  Verfassers  enthält,  bis  zum  15.  April 
1878  den  Decanen  der  einzelnen  Facul täten  über- 
geben werden. 

Alle  neuen  Preisaufgaben,  auch  die  in  latei- 
nischer Sprache  gestellte,  können  in  deutscher 
Sprache  beantwortet  werden. 


291 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzang  am  5.  Mai. 
(Fortsetzung). 

Versuche  über  die  scheinbare  An- 
ziehung und  Ab  sto  ßung  zwischen  Kor- 
pern, welche  sich  in  Wasser   bewegen. 

Von 

0.  £.  Schiötz, 
Professor  der  Physik  an  der  Universität  Christiania. 

Vorgelegt  von  Herrn  Carl  Anton  Bjerknes. 

Im  Repertorium  für  reine  und  angewandte 
Mathematik  1876  pag.  264  u.  f.  findet  sich  ein 
Auszug  aus  einer  Abhandlung  von  C.  A.  Bjerk- 
nes: »vorläufige  Mittheilungen  über  die  Druck- 
kräfte, die  entstehen,  wenn  kugelförmige  Kör- 
per, indem  sie  Dilatations-  und  Contraktions- 
Schwingungeu  ausführen,  in  einer  incompressi- 
blen  Flüssigkeit  sich  bewegen«,  (Videnskabselsk. 
Forhandl.  Christiania  1875)*).  In  dieser  Ab- 
handlung zeigt  Bjerknes,  daß  die  mittlere  Kraft- 
wirkung zwischen  2  kugelförmigen  Körpern,  in- 
dem sie  gleichzeitige  Volumen- Aenderungen 
(consonirende  Pulsationen)  oder  gegen  die  mittlere 
Centralliuie  senkrechte  Oscillationen  ausführen, 
wie  eine  Anziehung  erscheint,  wenn  die  Phase 
der  beiden  Kugelu  dieselbe,  aber  wie  eine  Ab- 
stoßung   erscheint,    wenn    die   Phase    eine    ent- 

*)  Siehe  femer  Göttinger  Nachrichten  Juni  1876. 


292 

gegengesetzte  ist.  Die  Kraftwirkung  der  Pul- 
sationen ist  umgekehrt  proportional  dem  Qua- 
drate des  Abstandes,  die  der  Oscillationen  der 
vierten  Potenz.  Es  wird  angenommen,  daß  der 
Zusammenhang  der  Flüssigkeit  durch  die  Be- 
wegung der  Körper  nirgends  aufgehoben  wird. 
Als  eine  Illustration  zu  diesen  Sätzen  erwähnt 
er  (pag.  273)  auch  durch  Versuche  dargethahene 
Erscheinungen,  welche  2  gleiche  Holzkugeln 
zeigen,  wenn  sie  gleichzeitig  oder  nach  be- 
stimmten Zeitverläufen  ins  Wasser  niederfallen. 
Im  ersten  Falle,  wo  die  Kugeln  auf  der  Wasser- 
fläche in  gleichartige  Oscillationen  gerathen, 
sieht  man  eine  Anziehung,  im  andern  Falle, 
wenn  das  Zeitintervall  gerade  so  bemessen  ist, 
daß  die  Kugeln  in  entgegengesetzte  Oscillationen 
gerathen,  bemerkt  man  eine  Abstoßung. 

Diese  Wirkungen  waren  beobachtet  worden, 
indem  man  die  Kugeln  in  den  Händen  hält 
und  so  nieder  fallen  ließ,  es  schien  daher  wün- 
schenswerth  sie  einer  genaueren  Prüfung  zu 
unterwerfen.  Dieserhalb  unternahm  ich  schon 
im  vorigen  Jahre  zusammen  mit  Herrn  Bjerknes 
einige  Versuche  anzustellen.  Zu  diesen  Ver- 
suchen benutzten  wir  als  Bassin  ein  Aquarium, 
dessen  Seiten  alle  von  Glas  waren,  so  daß  man 
bequem  von  außen  alles,  was  innen  vorging, 
sehen  konnte;  es  war  840'""'  lang,  375«°"»  breit 
und  409'"°'  hoch. 

1. 

Zwei  gleichgroße  Kugeln,  welche  gleichzeitig  im 
Wasser  niederfallen. 

Auf  der  Mitte  jeder  der  kürzesten  Seiten  des 
Aquariums  war  eine  Stange  aufgerichtet;  mit 
diesen    beiden    wurde    eine    horizontale    Quer- 


293 

stange,  welche  auf  eine  beliebige  Höhe  über 
das  Wasser  gestellt  werden  konnte,  verbunden. 
F^twa  an  der  Mitte  dieser  Querstange  saß  ein 
Apparat  mit  zwei  kleinen  Messingrollen;  die 
eine  dieser  Rollen  war  fest,  die  andere  könnt« 
man  parallel  der  Stange  verschieben,  so  daß 
man  den  Abstand  der  Rollen  von  einander  be- 
liebig klein  oder  groß  machen  könnt«. 

D^e  zwei  Kugeln,  welche  jede  einen  kleinen 
Haken  hatte,  wurden  an  den  Enden  eines  feinen 
Faden,  der  über  die  beiden  Rollen  ging,  be- 
festigt ;  man  konnte  so  die  Kugeln  in  einem  be- 
liebigen Centralabstand  in  gleicher  Hohe  über 
dem  Wasser  aufhängen.  Wurde  der  Faden,  nach- 
dem die  Kugeln  in  Ruhe  gekommen  waren, 
zwischen  den  beiden  Rollen  abgebrannt,  so  tra- 
fen jene  gleichzeitig  das  Wasser,  gingen  gleich 
tief  und  kehrten  gleichzeitig  nach  der  Ober- 
tiäche  zurück;  die  anhängenden  Faden  hinder- 
ten sehr  wenig  diese  Bewegung.  Ließ  man  auf 
diese  Weise  nur  die  eine  Kugel  ins  Wasser 
fallen,  so  bewegte  sie  sich  nicht  völlig  senkrecht 
ab  und  auf;  die  Abweichungen  waren  aber  bald 
nach  der  einen,  bald  nach  der  anderen  Seite. 
Die  regelDiäßigen  Wirkungen  also,  welche  zu 
beobachten  sein  werden ,  können  nicht  von 
den  Unregelmäßigkeiten  in  der  Bewegung  der 
einzelnen  Kugeln  herrühren. 

Der  Centralabstand  zwischen  den  Kugeln, 
welcher  gleich  dem  Abstände  der  parallelen 
Fadenenden  war,  wurde  gemessen,  indem  man. 
einen  Millimeterstab  an  die  Fäden  anlegte;  die 
Höhe  der  Ceutren  der  Kugeln  über  der  Wasser- 
fläche wurde  ebenfalls  gemessen. 

In  den  ersten  Versuchen,  wo  die  Kugeln  im- 
mer von  gleicher  Höhe  fielen,  wurden  zwei 
Kugeln   von   Eschenholz   benutzt   —    Diameter 


294 

S3°'%  Gewicht  220  g''-  — .  Kugeln  von  leichte- 
rem Holze,  Fichte,  Espe,  zu  benutzen  zeigte 
sich  weniger  vortheilhaft ,  weil  ihre  Bewegung 
zu  früh  aufhörte. 

Wir  fanden,  daß  die  Wirkung  der  Kugeln 
auf  einander  mit  dem  Abstände  abnahm;  An- 
zeichen einer  Annäherung  sah  man  noch  in 
einem  Centralabstand  von  179'^'";  in  größeren 
Abständen  wurde  nichts  sicheres  bemerkt.  'War 
der  Abstand  weniger  als  150  "^'°,  so  näherten 
sich  die  Kugeln  bis  zum  Contakt  —  selbst  bei 
anfänglichem  Abstände  von  154,5  "^"^  ergab  sich 
einige  Mal  Zusammenstoßen.  —  Je  höher  die 
Fallhöhe  war,  je  kräftiger  die  Wirkungen,  je 
schneller  der  Zusammenstoß;  doch  durfte  die 
Fallhöhe  nicht  viel  mehr  als  250  "'^  betragen. 
Eine  Menge  Luftblasen  wurde  sonst  mitgerissen, 
und  die  Bewegung  der  Kugeln  wurde  sehr  un- 
regelmäßig*).     War  der    Abstand    klein,    nur 

*)  Nimmt  man  die  Fallhöhe  sehr  groß,  so  wird  beim 
Niederfallen  das  Wasser  mit  großer  Geschwindigkeit  zur 
Seite  gedrängt  und  strömt  mit  geringerer  Geschwmdig- 
keit,  namentlich  in  der  Nähe  der  Oberfläche,  wieder  zu- 
rück. Es  fehlt  somit  hier  eine  Hauptbedmgnng ,  daß 
nämlich  der  Druck  immer  so  groß  sein  muß,  daß  die 
Flüssigkeit  an  dem  Körper  haften  bleibe.  Man  bekommt 
alsdann  eine  neue  und  fremde  Wirkung,  die  in  der  Er- 
scheinung als  eine  Abstoßung  hervortreten  wird;  und  zu- 
gleich werden  sich  leere  oder  mit  Luft  gefüllte  Raame 
bilden.  Die  hier  erwähnten  Nebenwirkungen  kommen 
zwar  auch  vor,  wenn  die  Fallhöhen  kleiner  sind;  sie  wer- 
den aber  erst  überwiegend  sein,  wenn  die  Fallhohen 
eine  gewisse  Größe  überschreiten.  Dadurch  erklart  es 
sich,  daß  die  scheinbare  Attraktion  anfänglich  zwar  mit 
wachsender  Fallhöhe  vergrößert  wird,  daß  sie  aber  nach- 
her, der  hier  vorausgesetzten  Theorie  entgegen,  wieder 
abnimmt  und  zuletzt  in  Repulsion  übergeht ,  welche  auf 
den  entstandenen  Strömungen  beruht.  „  .    .  ,         , 

Aehaliche  Bemerkungen  gelten   zum   Beispiel   auch 


295 

100°""  oder  weniger,  so  trat  der  Contakt  schon 
während  des  ersten  Niederganges  oder  des  fol- 
genden Aufganges  ein,  selbst  wenn  die  Fallhöhe 
so  klein  war,  daß  die  Kugeln  das  Wasser  schon 
während  der  Aufliängung  berührten.  In  größe- 
ren Distancen  (wenigstens  bis  138°™)  erhielt 
man  den  Contakt  ebenso  früh,  wenn  man  nur 
die  Fallhöhe  groß  genug  machte ;  war  die  Fall- 
höhe kleiner,  so  stießen  die  Kugeln  auf  der 
Wasserfläche  erst  nach  wenigeren  oder  mehreren 
consonierenden  Oscillationen  an  einander. 

Wir  machten  auch  einige  Versuche  —  ent- 
sprechend denjenigen,  welche  im  Repertorium 
pag.  274  erwähnt  werden  —  mit  zwei  gleich 
großen  aber  ungleich  schweren  Kugeln;  eine 
von  Eschenholz  und  eine  Kugel  von  Espenholz 
(Diametir  84°™,  Gewicht  150^)  oder  in  weni- 
gen Versuchen  eine  von  Fichten  (Diam.  84°™, 
Gewicht  140  8t)  wurden  benutzt.  In  der  Auf- 
stellung wurde  nichts  geändert:  es  zeigte  sich 
nämlich,  daß  die  Friction  zwischen  dem  feuch- 
ten Faden  und  den  festgehaltenen  Rollen  zu- 
reichend war,  um  eine  Gleitung  trotz  des  Ueber- 
gewichts  der  Eschenholzkugel  zu  hindern.     Wir 

für  oscillatorische  Bewegungen;  besonders  werden  hier 
die  störenden  Einflüsse  der  durch  dieselben  hervorge- 
brachten Strömungen  bemerkbar  werden,  wenn  leichte 
Körper  in  der  Nähe  liegen,  die  hoch  auf  der  Oberfläche 
schwimmen.  Erscheinungen,  die  sonst  als  Anziehungen 
hervortreten  würden,  gehen  dann  in  scheinbare  Repul- 
sionen über ;  unt«r  günstigeren  Umständen  aber,  beispiel- 
weise wenn  die  Körper  dieselbe  Dichtigkeit  wie  die 
Flüssigkeit  selbst  besitzen,  werden  die  oberflächlichen 
Strömungen  unter  Voraussetzung  von  mäßigeren  Oscilla- 
tionen nicht  stark  genug  sein,  um  die  Elrscheinungen  der 
Anziehungen  zu  verhindern.  Diese  treten  selbst  hervor, 
wenn  man  den  anfänglich  rahenden  Körper  gegen  diese 
Strömungen  an  der  Oberfläche  hinlänglich  schützen  kann. 

C.  A.  Bjerknes. 


296 

untersuchten  nun  genauer  die  Wirkungen  in 
großer  Nähe,  in  einem  Abstände  von  89,5™™. 
Die  Wirkungen  verminderten  sich  in  diesem 
Falle  viel  schneller  mit  dem  Abstände  als  im 
ersten.  Die  Attraction  wurde  nämlich  wesent- 
lich bei  der  ersten  niedergehenden  Bewegung 
bemerkbar,  indem  später  die  Bewegungen  der 
beiden  Kugeln  wegen  der  an  der  Wasserfläche 
ungleichen  Oscillationszeiten  ungleichmäßig  wur- 
den. Bei  dieser  großen  Nähe  war  die  Wirkung 
auf  die  leichtere  Kugel  kräftig,  seine  Bewegung 
gegen  die  Eschenholzkugel  war  sehr  merklich, 
während  die  der  letzteren  gegen  jene  gewöhn- 
lich wenig  merkbar  war.  Ließ  man  die  Fall- 
hohe verschieden  sein  und  so,  daß  die  schwerere 
Kugel  von  einer  größeren  Höhe  fiel,  so  konnte 
man  es  dahin  bringen,  daß  die  leichtere  sich 
über  die  schwerere  hinüber  bewegte,  selbst  ohne 
jene  zu  berühren  auf  die  andere  Seite  dersel- 
ben gelangte;  die  Eschenholzkugel  sank  nämlich 
tiefer  als  die  andere  und  kam  daher  später  auf, 
so  daß  die  letztere  während  dieser  Zeit  eine  Be- 
wegung in  der  Richtung  nach  dem  Orte,  wo 
die  Eschenholzkugel  zuerst  das  Wasser  berührt 
hatte,  ausführen  konnte.  Um  dies  besser  zu 
zeigen,  werde  ich  eine  Observationsreihe,  in  wel- 
cher die  Fallhöhe  der  Eschenholzkugel  constant 
140"™  war,  während  die  der  Espenholzkugel 
sich  änderte,  mittheileu. 

Die  Espenholzkugel  hatte  keine  Fallhöhe 
durchlaufen,  sondern  befand  sich  schwimmend 
in  Ruhe;  dann  trat  beinahe  keine  Wirkung  ein. 

Bei  einer  Fallhöhe  von  35"""  über  Wasser 
näherte  sich  die  Espeuholzkugel  während  ihrer 
ab-  und  aufgehenden  Bewegung  der  Escheuholz- 
kugel  bis  zum  Zusammenstoßen  beim  Auf- 
tauchen. 


297 

Bei  einer  Fallhöhe  von  52"^™  über  Wasser 
näherte  sich  die  Espenholzkugel  der  Eschenholz- 
kugel noch  rascher. 

Bei  einer  Fallhöhe  von  70™™  über  Wasser 
näherte  sich  die  Espenholzkugel  rasch  der 
Eschenholzkugel,  wurde  von  dieser  auf  ihrer 
unteren  Seite  getroffen,  dann  gingen  beide  etwa 
nach  ihrer  Einfallsstelle  zurück. 

Bei  einer  Fallhöhe  von  92°"°  über  Wasser 
wurde  die  Espenholzkugel  von  der  Eschenholz- 
kugel unten  getroffen  und  auf  die  andere  Seite 
derselben  geworfen. 

Bei  einer  Fallhöhe  von  110"""  über  Wasser 
ging  die  Espenholzkugel  auf  die  andere  Seite 
von  der  Eschenholzkugel  und  wurde  von  dieser 
schwach  angestoßen.  Bei  anderen  Versuchen  ging 
sie  frei  ohne  Berührung  auf  die  andere  Seite  der 
Eschenholzkugel  hinüber. 

2. 

Gleiche  Kugeln,  welche  entgegengesetzte  Oscilla- 
tionen  in  der  Wasserfläche  ausführen. 

Bei  den  obigen  Versuchen  waren  die  Be- 
wegungen der  Kugeln  einander  parallel  und 
gleich  gerichtet;  die  Oscilationen,  in  welche  die 
Kugeln  bei  jenen  ersten  Experimenten  nach  der 
Berührung  mit  dem  Wasser  geriethen,  hatten 
dieselbe  Phase :  um  nun  auch  entgegengesetzte 
Oscillationen  zu  erhalten  wurde  der  Apparat 
etwas  abgeändert.  Die  eine  der  Rollen  wurde 
von  dem  horizontalen  Querstab,  welcher  über 
dem  Bassin  angebracht  war,  weggenommen  und 
auf  das  freie  Ende  eines  Stabs,  welcher  senk- 
recht mit  einem  langen  Holzstab  befestigt  war, 
gesetzt.  Indem  dieser  verticale  Stab  an  ver- 
schiedenen   Stellen    des   horizontalen   Querstabs 


Ö98 

fest  gemacht  wurde,  konnte  man  die  Rolle  un- 
ten am  Boden  des  Bassins  in  einem  beliebigen 
Abstand  von  der  durch  die  andere  Rolle  gehen- 
den Lothlinie  stellen.  Die  beiden  Kugeln  wur- 
den an  den  Enden  eines  Fadens  geheftet,  wel- 
cher von  der  oberen  Seite  der  einen  Kugel  über 
die  obere  Rolle,  dann  seitwärts  um  einen  an 
dem  vertikalen  Stabe  befindlichen  Haken  und 
ferner  unter  Wasser  um  die  untere  Rolle  bis 
an  die  untere  Seite  der  anderen  Kugel  ging. 
Auf  diese  Weise  konnte  man  die  eine  Kugel 
über  Wasser  aufgehängt  und  die  andere  mehr 
oder  weniger  unter  Wasser  gezogen  bekommen. 
Wurde  nun  der  Faden  abgebrannt,  so  bewegte 
die  erstere  Kugel  sich  nach  unten,  während 
gleichzeitig  die  andere  nach  oben  ging.  In  die- 
sen Versuchen  benutzte  man  fast  allein  die  bei- 
den Escheuholzkugeln.  Zwei  gleiche  Kugeln 
haben  nämlich  dieselben  Oscillationszeiten ,  sie 
behalten  also  den  Phasenunterschied,  welchen 
sie  zu  Anfang  haben.  Einige  Experimente  mit 
einer  Eschenholz-  und  einer  Espenholzkugel  miß- 
glückten zum  Theil,  weil  diese  wegen  ihrer  ver- 
schiedenen Oscillationszeiten  schnell  ihren  Phasen- 
unterschied änderten. 

Nach  einigen  Versuchen  gelang  es,  die  Ku- 
geln in  entgegengesetzte  Oscillationen  zu  er- 
halten; da  der  Auftrieb  der  Kugel  nur  ein  ge- 
ringer war,  konnte  man  keine  große  Fallhöhe 
für  die  obere  Kugel  anwenden;  die  Geschwin- 
digkeit der  beiden  Kugeln  war  folglich  viel  klei- 
ner als  in  den  vorhergehenden  Versuchen.  Die 
Oscillationen  wurden  gleichmäßig  und  behielten 
gleichen  Phaseuunterschied ,  wenn  die  untere 
Kugel  gerade  unter  Wasser  oder  5 — 10'"'"  tiefer, 
während  die  obere  mit  ihrem  Centrum  10 — 12'""" 
über  Wasser   war.     Befestigte    mau   die   erste 


299 

Kogel  tiefer,  so  mißlang  gewöhnlich  das  Ex- 
periment, die  Kugeln  geriethen  dann  leicht  in 
gleiche  Oscillationen  nnd  gingen  also  gegen 
einander. 

Mit  der  erwähnten  Fallhöhe  und  Tiefe  ka- 
men die  Kugeln  in  schöne  entgegengesetzte 
Oscillationen  und  entfernten  sich  von  einander 
in  der  Centrallinie ;  die  Wirkung  beobachtete 
man  bis  zu  einem  Centralabstand  von  150°"»; 
war  der  Abstand  weniger  als  125'"°^,  so  vrarde 
diese  Bewegung  sehr  bemerkbar. 

Ließ  man  die  eine  Kugel  schwimmen  und 
die  andere  in  der  Nähe  der  schwimmenden  ent- 
weder herabfallen  oder  hinaufgehen,  so  zeigte 
sich  in  dem  Augenblick,  wenn  diese  die  Wasser- 
fläche durchbrach,  eine  geringe  und  unsichere 
Wirkung,  selbst  in  dem  Falle,  wo  die  zweite 
Kugel  in  der  unmittelbaren  Nähe  neben  der  er- 
stem herabfiel.  Erst  wenn  diese  letztere  durch 
die  Oscillationen  der  fallenden  Kugel  selbst  in 
Oscillationen  (gewöhnlich  entgegengesetzte)  ge- 
rathen  war,  zeigten  sich  mit  den  eben  erwähn- 
ten Versuchen  übereinstimmende  Wirkungen. 

3. 

In  diesen  Experimenten  treten  keine  der  von 
Bjerknes  angezeigten  Druckkraft«  für  sich  allein 
auf.  Die  Wirkungen  in  den  Versuchen  der  1, 
Reihe  können,  wie  von  ihm  in  der  besagten  Ab- 
handlung erwähnt,  herrühren  von :  Kräften  zwei- 
Ton  Grades,  hervorgebracht  durch  gleiche  Pul- 
-ationeu,  indem  als  Volumänderung  die  Aende- 
lungen  der  verdrängten  Wasservolumina  ange- 
nommen wird ;  von  Kräften  4.  Grades  durch  ge- 
gen die  mittlere  Centrallinie  senkrechter  Oscilla- 
tionen in  der  Wasserfläche ;  und  endlich  in  eini- 


300 


gen  Versuchen  mit  größeren  Fallliolien,  von 
Kräften  4.  Grades  durch  die  progressive  Bewe- 
gung der  Kugeln  parallel  ab  und  auf  im  Was- 
ser Alle  diese  Kräfte  sind  attractive  Daß  die 
letzte  Druckkraft  auch  wirksam  ist,  schemendie 
Versuche  zu  zeigen;  wir  sahen,  daß  je  großer 
die  Fallhöhe,  je  früher  der  Zusammenstoß.  Die 
Kugeln  sinken  dann  tiefer,  sie  hewegen  sich 
also  einen  längeren  Weg  paralle  einander.  Die 
größere  Wirkung  hängt  auch  mit  den  schnelle- 
ren und  kräftigeren  Volumänderungen  zusammen, 
welche  Statt  finden,  indem  die  Kugeln  mit 
größerer  Geschwindigkeit  die  Wasserflache  durch- 


In  den  Experimenten  der  2.  Reihe  endlich 
können  die  Wirkungen  herrühren  von  den  ent- 
gegengesetzten Pulsationen  und  den  entgegen- 
lesetzten  Oscillationen;  beide  geben  abstoßende 
Kräfte,    die    ersten    2.   Grades,    die    zweiten   4. 

^'^Um  die  Richtigkeit    der  Theorie  beurtheilen 
zu  können,  mußte  man  indeß  Experimente   an- 
stellen, in  welchen  nur  eine  einzige  dieser  Kräfte 
wkkt     Wir  haben  versucht,    eimge  solche  aus- 
zuführen.   Bisher  ist  es  uns  nur  gelungen,  Kraft- 
wirkungen in  den  Fällen  zu  erhalten,  wo  Druck- 
k  äfte    4     Grades    wirken.     Kraftwirkung     von 
Pul  ationen    zweier    Körper    herrührend,    haben 
wir  noch  nicht  dargestellt  außer   den  von  Dvo- 
Sk  (?oJ.  Ann.    1876)  beobachteten  von  ent- 
geinSten     und     gleichen   Pulsationen    der 
iSen   Luftmassen   abhängenden  Repulsionen 
und  Attractionen  zwischen  gjeicb  — e^^^^^^ 
röhren      Im  Folgenden  werde  ich  die  Versucne, 
Wehe  wit  ausgeführt  haben,  nlü.r  ^eschr^^^^^^^ 
Bierkncs  zeigt  (Rep.  pag.  271)    ),    clali   eine 
*)  Siehe  übrigens  auch  seine  Abhandlung:    .om  den 


301 

Kugel  in  gleichförmiger  uud  gradliniger  Bewe- 
gung eine  Druckkraft  4.  Grades  auf  eine 
andere  ausüben  mnß,  unabhängig  von  dem  Be- 
wegungszastand  der  letzteren,  und  daß  die  Kraft 
in  Größe  und  Richtung  mit  der  Wirkung  zweier 
entgegengesetzt  orientirten  und  der  Bewegungs- 
richtung der  ersten  Kugeln  parallelen,  Magneten 
übereinstimmt.  Innerhalb  der  Richtung  giebt 
es  also  Abstoßung,  auf  den  Seiten  Anziehung. 
Um  diese  letztere,  die  Anziehung,  zu  zeigen, 
construirten  wir  folgenden  Apparat. 

Auf  die  Achsen  zweier  Rollen  wurden  8  Me- 
talldrähte wie  Radien  in  gleichen  angulären  Ab- 
ständen von  einander  gestellt;  auf  jedem  Radius 
war  eine  Holzkugel  (Diam.  56'°°').  Man  erhielt 
so  2  Kugelkränze  von  Diam.  140™°.  Die  verti- 
kale Achse  des  einen  Kranzes  ging  durch  2 
feste  Lager  so,  daß  sie  nicht  in  ihrer  Längs- 
richtung sich  verschieben  konnte.  Die  Rolle 
befand  sich  zwischen  den  beiden  Lagern ;  über 
das  obere  dieser  ragte  aber  die  Achse  etwas 
hinaus.  Auf  diesem  Theil  konnte  man  den 
Kugelkranz  etwas  auf-  und  abschieben  und  mit- 
tels einer  Schraube  an  der  Stelle,  wo  man 
wünschte,  festmachen.  Ceber  dem  Kranz  en- 
digte die  Achse  mit  einer  dünnen  Spitze;  die- 
ser entsprechend  hatte  die  Achse  des  zweiten 
Kranzes  —  welcher  an  seine  Achse  angelöthet 
war  —  eine    cylindrische  Höhlung,    so   daß  sie 

samtidige  Bevegelse  af  kugelförmige  Legemer  i  et  in- 
kompressibelt  Fluidum«.  Forhanälinger  vä  Natorforsker- 
mödet.  Christiania,  1868,  ebenso  die  Mechanik  von  6. 
Kirchhoff.  Leipzig  1874  und  ferner  den  dritten  Aufsatz 
von  Bjerknes,  »Verallgemeinerung  des  Problems  von  den 
Bewegungen  eines  Ellipsoids  in  einer  Flüssigkeit*  Nach- 
richten von  der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften zu  Göttingen«  1874  Jaui  3. 

28 


302 

in  Verlängerung  der  ersten  gesetzt  werden 
konnte.  Die  Achse  ging  dabei  etwas  über  der 
Rolle,  die  sich  oberhalb  des  Kranzes  befand, 
durch  ein  festes  Lager,  so  aber,  daß  sie  sich  in 
ihrer  Richtung  etwas  verschieben  konnte.  Der 
obere  Kugelkranz  konnte  folglich  sich  in  der 
Richtung  seiner  Achse,  d.  h.  senkrecht  zu  ihrer 
Ebene  etwas  auf-  und  abbewegen.  Von  jeder 
der  2  Rollen  ging  eine  Kette  nach  2  anderen 
Rollen,  die  an  einer  Achse  standen;  dieselbe 
hatte  oben  noch  eine  3.  Rolle,  welche  durch 
eine  Schnur  mit  einem  Rotationsapparat  verbun- 
den war.  Indem  man  die  Kette  des  unteren 
Kugelkranzes  um  die  Rollen  entweder  parallel 
oder  kreuzweise  gehen  ließ,  konnte  man  den 
beiden  Kugelkräuzen  eine  gleichlaufende  oder 
eine  entgegengesetzte  Rotation  geben. 

Der  durch  die  Holzkugeln  bewirkte  Auftrieb 
des  oberen  Kugelkranzes  war  so  groß,  daß  der 
Kranz,  wenn  die  Kette  nicht  um  die  Rolle  ge- 
legt war,  gleich  in  seine  oberste  Lage  sich 
stellte.  ■  Ging  die  Kette  um  die  Rolle,  so  wurde 
die  Friction  so  viel  vergrößert,  daß  der  Kugel- 
kranz, bei  der  Ruhelage  des  Apparates,  in  seiner 
unteren  Lage  stehen  blieb,  wenn  man  ihm  diese 
gab;  eine  langsame  Drehung  des  Apparats 
brachte  indeß  den  Kugelkranz  dahin,  sich  bis 
an  seine  oberste  Lage  zu  erheben. 

Wurde  nun  der  Apparat,  während  die  Achse 
mit  dem  Kugelkranz  in  seiner  obersten  Lage 
war,  in  schnelle  Rotation  versetzt,  so  wurde 
dieser  Kugelkranz  langsam  herabgezogen ,  die 
Bewegung  mochte  eine  gleichlaufende  oder  eine 
entgegengesetzte  sein;  wie  es  schien,  war  die 
Wirkung  am  größten  bei  einer  entgegengesetz- 
ten Bewegung. 

"Wurde  nur   der   obere  Kugelkranz  gedreht, 


303 

so  brachte  die  Bewegung  kein  sichtbares  Resul- 
tat dar,  während  eine  Rotation  des  unteren 
Kugelkranzes  allein  mit  einer  sehr  merkbaren 
Attration  begleitet  war.  Man  machte  Observa- 
tionen mit  zwei  verschiedenen  Abständen  zwi- 
schen den  Kränzen,  CO™™  und  80"*™. 

Diese  Resultate  scheinen  gut  mit  den  Theo- 
rien übereinzustimmen:  daß  ein  Körper  in 
gleichförmiger  und  geradliniger  Bewegung  einen 
andern  Körper  scheinbar  anzieht,  welche  auch 
die  Bewegung  des  anderen  Körpers  sei,  während 
er  selbst,  wenn  nicht  dieser  andere  auch  in  Be- 
wegung ist,  keine  Einwirkung  erleidet  (unter 
der  Voraussetzung,  daß  diejenigen  Potenzen  der 
inversen  Centralabstände,  die  höher  als  die  vier- 
ten sind,  außer  Betracht  gelassen  werden  kön- 
nen). Der  obere  Kugel  kränz  verblieb  nämlich 
in  seiner  Lage,  wenn  nur  er  gedreht  wurde. 

Ich  will  noch  bemerken,  daß  je  tiefer  unter 
Wasser  der  Apparat  war,  je  merkbarer  war  die 
"Wirkung ;  die  größte  Tiefe,  die  der  obere  Kugel- 
kranz hatte,  betrug  circa  150"°™. 


Während  die  scheinbare  Kraft  Wirkung  einer 
gleichförmigen  vorbeigehenden  Bewegung  immer 
eine  Anziehung  ist,  soll  die  mittlere  Kraftwir- 
kung zweier  mit  derselben  Oscillationsdauer 
schwingenden  Kugeln  der  Wirkung  zweier  nach 
den  Bewegungsrichtungen  orientirten  Magneten 
gleich  sein,  wenn  man  voraussetzt:  gleiche  Pole 
äehen  einander  an ,  ungleiche  stoßen  einan- 
der ab.  (Rep.  271).  Diese  Kraftwirkung  ist 
also  auch  vom  4.  Grade;  in  dem  Falle,  daß  die 
Oscillationen  parallel  und  gegen  die  mittlere  Cen- 
trallinie  senkrecht  sind,   erhält  man,   wie  früher 


304 

erwähnt,  eine  Anziehung,  wenn  die  Bewegung 
gleich  gerichtet  ist,  eine  Abstoßung,  wenn  sie 
entgegengesetzt  ist. 

Als  ein  Beleg  für  diese  Attraction  kann  fol- 
gender Versuch  dienen :  hebt  man  2  Kugeln,  die 
tief  unter  Wasser  neben  einander  hängen,  schnell 
empor,  so  stoßen  sie  mit  Gewalt  an  einander; 
die  Bewegung  kann  man  nämlich  als  eine  halbe 
Oscillation  betrachten.  In  wie  großen  Abstän- 
den die  Wirkung  merkbar  ist,  haben  wir  nicht 
näher  untersucht;  in  den  angestellten  Experi- 
menten waren  die  Kugeln  nahe  an  einander. 
Die  Kugeln,  die  wir  benutzten ,  waren  von 
schwarzen  Ebenholz  —  Diameter  84  ""^,  Gewicht 
350  g^ 

Daß  eine  solche  gleiche  Oscillation  eine  An- 
ziehung hervorbringt,  beobachteten  wir  übrigens 
öfters,  wie  unten  ausgeführt  werden  wird,  als 
wir  versuchten  die  Abstoßung  zwischen  2  unter 
Wasser  entgegengesetzt  oscillirenden  Kugeln  zu 
zeigen.  Diese  Abstoßung  gelaug  uns  mit  fol- 
gendem Apparate  zu  erhalten. 

5. 

Auf  den  Boden  eines  600"""  hohen  Glas- 
cylinders,  mit  105°""  Diameter  im  Lichten, 
wurde  eine  Metallplatte,  auf  der  eine  kleine 
Rolle  befestigt  war,  gesetzt;  oberhalb  der  Oeff- 
nung  des  Cylinders  stand  eine  Rolle  vom  selben 
Diameter.  Um  die  beiden  Rollen  ging  ein 
Pferdehaar,  welches  mit  der  oberen  Rollen  so 
verbunden  war,  daß  es  diesen  in  seiner  Bewe- 
gung folgen  mußte.  Der  Abstand  unter  den  2 
parallelen  Theilen  des  Haares  war  21,5'"'";  an 
diesen  ungefähr  in  der  Mitte  zwischen  beiden 
Rollen  waren  2  kugelförmige  Körper  angebracht. 


305 

An  die  obere  Rolle  war  senkrecht  gegen  die 
Achse  eine  kurzer  Stab  augelöthet;  dieser  konnte 
mit  den  Krummzapfen  eines  Rades,  welches  ein 
kleines  Uhrwerk  in  schnelle  Rotation  versetzte, 
verbunden  werden.  Die  Rolle  und  die  Kugeln 
mit  ihr  wurde  dadurch  in  schnelle  oscillirende 
Bewegung  gesetzt.  Die  Amplitude  der  Oscilla- 
tion  der  Kugeln  war  4,5  """"j  so  daß  sie  sich  im- 
mer nahe  an  einander  befanden. 

Wurde  der  Cylinder  mit  Wasser  angefüllt 
und  der  Apparat  in  Bewegung  gesetzt,  so  zeigte 
es  sich  immer,  daß  die  Kugeln  von  einander 
wichen  und  während  der  Oscillation  einen  grö- 
ßeren Abstand  behaupteten;  je  schneller  die 
Bewegung,  je  merkbarer  die  Wirkung.  Wir 
wandten  in  einigen  Versuchen  Kugeln  von  Wachs 
an,  so  groß,  daß  sie  eben  ohne  Berührung  an 
einander  vorbei  gehen  konnten;  in  anderen  Ver- 
suchen 2  kleinere  Holzkugeln  von  19,75  Dia- 
meter; der  Abstand  der  Kugeloberflächen  war 
dann  1,75"^™,  dieser  wurde  während  der  Oscilla- 
tion wenigstens  verdoppelt. 

Wir  machten  zuerst  einige  Versuche  mit 
Coconfaden  statt  des  Pferdehaares,  es  zeigt«  sich 
aber,  daß  man  die  Kugeln  nicht  in  entgegenge- 
setzten Oscillationen  halten  konnte;  wenn  die 
Bewegung  schnell  wurde,  so  kamen  sie  gleich  in 
gleichen  Oscilationen  und  stießen  an  einander. 
Das  Pferdehaar  dagegen  besaß  eine  zureichende 
Steifigkeit,  um  eine  dauernde  schnelle  entgegen- 
gesetzte Bewegung  der  Kugeln  ertragen  zu 
können. 

6. 
Ein  paar  Versuche,  in  welchen  nur  ein  Kör- 
per sich  in  Wasser  bewegt,  entweder  oscillirend 
oder  pulsirend,  werde  ich  schließlich  erwähnen. 


306 

In  beiden  Fällen  soll  in  einer  incomprensiblen 
Flüssigkeit,  wenn  ruhige  Körper  auch  dichtere 
als  die  Flüssigkeit  vorhanden  sind,  der  sich 
bewegende  Körper  eine  Anziehung  ausüben; 
diese  Kräfte  sind  aber  von  höherer  Ordnung  als 
der  4.  Potenz  und  sind  folglich  nicht  in  der 
Abhandlung  der  GÖttinger  Nachrichten  ent- 
wickelt. 

Thomson  hat  (1870)  —  wie  erwähnt  in  »on 
approuch  caused  by  Vibration,  Gutterie.  Phil. 
Mag.  (4)  XL  —  die  Theorie  ausgearbeitet  für 
2  kugelförmige  Körper  in  dem  Falle,  daß  der 
eine  Körper  in  der  Richtung  der  Verbin- 
dungslinie beider  Kugeln  Oscillationen  aus- 
führt, deren  Amplitude  klein  ist  im  Verhältniß 
zu  dem  Gentralabstand,  und  diese  Anziehung, 
wenn  die  ruhige  Kugel  dichter  als  die  Flüssig- 
keit ist,  gezeigt;  ist  die  Dichtigkeit  kleiner  als 
die  der  Flüssigkeit,  so  geht  die  Anziehung  un- 
ter gewissen  Bedingungen  in  eine  Abstoßung 
über.  Die  sogenannten  akutischen  Anziehungen, 
welche  vibrirende  Körper  (Stimmgabel,  Glocke) 
ausüben  und  von  Guyot,  Gutterie,  Schellbach 
und  anderen  beobachtet  sind,  liefern  zahlreiche 
Belege  für  diese  Anziehung. 

7. 

Als  eine  Wirkung  einer  Pulsation  das  ist: 
regelmäßig  abwechselnde  Contraction  und  Dila- 
tation, kann  man  vielleicht  die  von  Schellbach- 
Pogg.  Ann.  CXL  —  beobachteten  Anziehungen 
und  Abstoßungen  betrachten ,  welche  eine  in 
einer  Röhre  tönende  Luftmasse  auf  Körper,  im 
ersten  Falle  schwerere ,  im  zweiten  leichtere  als 
Luft,  ausübt,  wenn  die  Körper  vor  der  Oeffnung 
des  Rohres  gebracht  werden. 

In  diesen  Versuchen  wurde  ein  kleines  Bassin 


307 

von   Glas    —  310"™  lang,    155"™  breit,   145"™ 
tief  —  benutzt. 

8. 
Eine  im  Wasser  oscillirende  Kugel. 

Ein  rechtwinkelig  gebogener  Metalldrath 
—  der  kurze  Arm  80"^"»  lang,  der  lange  430"™  — 
wnrde  so  neben  dem  Bassin  aufgehängt,  daß  er 
Schwingungen  parallel  der  Längsrichtung  dieses 
ausführen  konnte  um  eine  Achse,  die  durch  das 
Ende  des  längeren  Armes  ging;  am  Ende  des 
kürzeren  Armes  eine  kleine  Wachskugel,  Diameter 
13'°"'.  ungefähr  an  der  Mitte  des  langen  Armes 
war  ein  kurzer  steifer  Messingdrath  befestigt, 
welcher  in  Verbindung  mit  dem  Krummzapfen 
eines  kleinen  Rades,  das  ein  Urwerk  trieb,  ge- 
setzt werden  konnte.  Wurde  der  Apparat  in 
Bewegung  gesetzt,  so  kam  der  Metalldrath  in 
schnellen  Pendelschwingungen  hin  und  her  und 
die  Wachskugel  mit  ihm.  Die  Bahn  der  Kugel 
war  eine  schwach  elliptische ;  die  Amplitude  war 
ziemlich  groß,  etwas  weniger  als  der  Kugeldia- 
meter. Die  Kugel  befand  sich  35"^"»— 40"™  über 
dem  Boden  des  Gefäßes  und  circa  80"""»  unter 
der  Wasserfläche. 

Um  zu  wehren,  daß  die  schwingende  Bewe- 
gung des  Metalldrathes  das  Wasser  in  Unruhe 
versetzen  werde,  wurde  er  mit  einem  weiten 
Rohre  umgeben,  welches  über  das  Wasser  hinaus- 
ragte und  bis  an  die  rechtwinklige  Biegung  giug. 

Wir  untersuchen  zuerst,  ob  die  Bewegung 
der  Kugel  das  Wasser  in  strömende  Bewegung 
versetzte.  Indem  wir  eine  gefärbte  schwere 
Flüssigkeit  auf  die  oscillirende  Kugel  hernn- 
tersinken  ließen,  sahen  wir,  daß  das  Wasser  sich 
senkrecht  auf  der  Bewegungsrichtung  gegen  die 


308 

Kugel  bewegte;  längs  dieser  Richtung  wurde  es 
aber  fortgestoßen,  so  daß  nach  vorn  und  nach 
rückwärts  zwei  kräftige  Strömungen  von  der 
Kugel  ausgingen. 

Darauf  brachten  wir  Kugeln  verschiedener 
Größe  in  die  Nähe  der  oscillirenden  Kugel ; 
die  kleinste  war  viel  weniger  als  diese  selbst, 
die  größte  hatte  einen  Diameter  von  39™™.  Alle 
waren  sie  wenig  schwerer  als  Wasser;  sie  wur- 
den an  Cocoufaden  angehängt,  welche  theils  an 
kleinen  Schwimmern,  theils  hoch  neben  dem 
Bassin  befestigt  waren.  So  zeigte  sich,  daß  die 
Körper  angezogen  wurden,  welche  Lage  gegen 
die  oscillirenden  Kugeln  sie  auch  hatten;  selbst 
gerade  vorn,  wovon  die  oben  erwähnte  Strömung 
ausging,  fand  Anziehung  statt;  der  ruhige  Kör- 
per mußte  dann  aber  sehr  nahe  sich  befinden. 
In  größeren  Entfernungen  wurde  er  von  der 
Strömung  mitgerissen  und  so  scheinbar  wegge- 
stoßen. In  den  übrigen  Richtungen  konnte  der 
Abstand  verhältnißmäßig  groß  sein  bis  an  30™"". 
Die  Oscillatiouen  der  Kugel  waren  so  schnell, 
daß  man  nicht  mit  den  Augen  folgen  konnte. 

9. 

Eine  im  Wasser  pulsirende  Kugel. 

Ein  kleiner  Kautschuk ballon ,  circa  40™™  Dia- 
meter, war  mit  seinem  Halse  an  das  eine 
Ende  eines  knieförmig  gebogeneu  Glasrohres 
geheftet,  dessen  anderes  Ende  in  einen  langen 
geschlossenen  Kautschukschlauch  führte;  das 
Innere  war  vollständig  mit  Wasser  gefüllt.  Die 
Glasröhre  wurde  so  neben  dem  Bassin  befestigt, 
daß  der  Ballon  ungefähr  in  dessen  Mitte  unter 
Wasser  sich  befand,  während  der  Kautschuk- 
schlauch auf  einem  Stative  nebenan  lag.    Wurde 


309 

ein  Druck  auf  den  Schlauch  geübt,  so  wurde 
etwas  Wasser  in  den  Ballon  getrieben,  und  die- 
ser dehnte  sich  aus ;  hörte  der  Druck  auf,  so  zog 
der  Ballon  sich  zusammen,  indem  das  Wasser 
zurück  in  den  Schlauch  strömte.  Mittelst  eines 
kleinen  Rotationsapparats  konnte  man  diese 
Druckänderungen  regelmäßig  hervorbringen  und 
so  den  Ballon  in  regelmäßigen  Pulsationen  hal- 
ten. Je  schneller  diese  wurden,  je  weniger  kräf- 
tig wurden  sie,  indem  die  Elasticität  des  Ballon 
nicht  groß  genug  war  um  gleich,  wenn  der 
Druck  aufhörte,  das  Wasser  in  den  Schlauch  zu- 
rückzutreiben. Bei  den  schnellsten  Pulsationen 
war  die  Bewegung  daher  für  das  Auge  kaum 
sichtbar. 

Wurde  der  Apparat  in  Bewegung  gesetzt 
und  ein  Körper  in  die  Nähe  des  Ballons  ge- 
bracht, so  wurde  er  langsam  angezogen;  die 
Attraction  war  um  so  kräftiger,  je  schneller  die 
Pulsation,  obgleich,  wie  erwähnt,  die  Amplitude 
der  Bewegung  kleiner  wurde.  War  die  Pulsa- 
tion langsam  und  kräftig,  so  bewegte  der  Körper 
sich  oscillatorisch  gegen  den  Ballon ,  indem  er 
bei  jeder  Dilatation  sich  etwas  entfernte  und 
bei  der  nachfolgenden  Contraction  sich  wieder 
näherte  und  so  viel,  daß  das  Resultat  während 
einer  Schwingung  des  Ballons  als  eine  Attrac- 
tion erschien. 

Die  mittlere  Dichtigkeit  der  Körper,  welche 
wir  benutzten,  war  —  wie  im  vorhergehenden 
Experimente  —  etwas  größer  als  die  des  Was- 
sers ;  es  waren  entweder  Kugeln  von  Wachs  oder 
von  Holz ;  der  größte  von  Holz  hatte  einen  Dia- 
meter von  39™™.  Die  oben  erwähnte  rhythmi- 
sche Annäherung  beobachtete  man  am  besten 
bei  den  kleinen  Kugeln.  Sie  wurden  immer 
—  in  Coconfaden  —   so  aufgehängt,   daß   ihre 

29 


310 

Centra  sich  in  derselben  Tiefe  wie  das  Centrum 
des  Ballons  befanden .  Der  Coconfaden  war  ent- 
weder an  einem  kleinen  Flotteur  oder  an  einem 
festen  Punkt  oberhalb  des  Wassers  festgeheftet. 
Die  Anziehung  war  schwächer  als  im  vorherge- 
henden Versuche,  wurde  aber  in  ebenso  großen 
Entfernungen  bemerkt  —  bis  circa  30™™  von 
der  Oberfläche  des  Ballons,  eine  direkte  Messung 
wurde  nicht  gemacht.  — 


Zusatz  zu  dem  vorstehenden  Aufsatz 
des  Herrn  Professor  Schiötz  über  die 
scheinbare  Anziehung  und  Abstoßung 
zwischen  Körpern,  welche  sich  in  Wasser 
bewegen. 

Von 
Carl  Anton  Bjerknes  in  Christiania. 

In  der  genannten  Abhandlung  wird  eine  Mit- 
theilung, erwähnt,  welche,  Sir  William  Thomson 
in  einem  Briefe  aus  dem  Jahre  1870  an  Gutterie 
gesendet  und  dieser  in  seiner  Abhandlung  »on 
approach  caused  by  Vibration«  Phil.  Mag.  XL. 
veröffentlicht  hat. 

Diese  Mittheilung  gibt  ohne  Beweis  das  Re- 
sultat, welches  die  Einwirkung  einer  kleinen 
oscillirenden  Kugel  auf  eine  große  anfangs 
ruhende  Kugel  betrifft  und  welches  sich  nicht 
unmittelbar  aus  den  Bewegungsgleichungen 
zweier  Kugeln,  die  sich  in  der  Flüssigkeit  längs 
ihrer  Centralen  bewegen,  ableiten  läßt.  Ich 
habe  die  Gültigkeit  des  von  Thomson  aufgestell- 
ten Resultates  erst  nachher  verificirt  mit 
Hülfe  von  Formeln,  die  ich  seit  1868  besitze 
und  theilweise  auch   public irt  habe.      Man 


311 

sehe  zum  Beispiel  die  Einleitung  und  die  For- 
meln (36)  in  meiner  in  norwegischer  Sprache 
geschriebenen  Abhandlung  >über  die  gleichzeitige 
Bewegung  kugelförmiger  Körper  in  einer  incom- 
prosibleu  Flüssigkeit,«  abgedruckt  in  den  Ver- 
handlungen bei  der  Zusammenkunft  der  scandi- 
navischen  Naturforscher  in  Christiania  1868,  und 
vorgetragen  in  der  Sitzung  am  8.  Juli  desselben 
Jahres. 

Ich  komme  zu  demselben  allgemeinen  Schluß 
wie  Thomson,  doch  besteht  eine  kleine  Ver- 
schiedenheit in  folgender  Weise. 

Es  handelt  sich  um  den  Einfluß,  der  inner- 
halb einer  tropfbaren  Flüssigkeit  von  der  Dich- 
tigkeit q  stattfindenden  Oscillation  einer  sehr 
kleinen  Kugel  auf  eine  große  Kugel  von  der 
Dichtigkeit  /*  vom  Radius  r  und  in  dem  Mit- 
telpunkts-Abstande  c.  Die  große  Kugel  wird 
ursprünglich  ruhend  gedacht,  die  Oscillation  der 
kleinen  Kugel  findet  in  der  geraden  Linie  statt, 
welche  durch  die  Mittelpunkte  geht,  die  Am- 
plitude der  Oscillation  wird  als  Idein  gegen  den 
Abstand  c  angenommen. 

Ist  die  Dichtigkeit  der  großen  Kugel  größer 
als  die  der  Flüssigkeit  {^  >  5) ,  so  findet  die 
Erscheinung  einer  Anziehung  statt. 

Ist  die  Dichtigkeit  der  großen  Kugel  geringer 
als  die  der  Flüssigkeit  (f*  <f  q),  so  tritt  bei  ge- 
ringem Abstände  c  eine  scheinbare  Anziehung, 
dagegen  bei  großem  Abstände  eine  scheinbare 
Abstoßung  statt  und  für  den  kritischen  Punkt 
wird  nach  meinen  Untersuchugen: 


=Vi-v'i 


y  +  ir   - 


312 
während  Thomson  die  Formel 


^Vi-v'I 


+  ^ 


^ 


hat. 

Was  die  scheinbaren  Anziehungen  betriflFt, 
welche  eine  kleine  pnlsirende  Kugel  auf 
eine  größere  ruhende  ausübt,  so  hat  man  hier 
eine  neue  Erscheinung.  Als  Grundformel  für 
den  theoretischen  Beweis  wird  man  hier  die  all- 
gemeine Geschwindigkeitsfunktion  benutzen  kön- 
nen, die  ich  in  meiner  Abhandlung:  »sur  les 
mouvements  simultanes  de  corps  spheriques  va- 
riables dans  un  fluide  indefini  et  incompres- 
sible,«  vorgelegt  der  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften in  Christiania  am  15.  September  1871, 
entwickelt  habe.  Für  den  Fall,  in  welchem 
alle  Kugeln  sich  nur  in  ihrer  gemeinsamen  Cen- 
trale bewegen  sollen ,  ist  es  möglich ,  den  Aus- 
druck für  die  Geschwindigkeitsfunction  vor  der 
Anwendung  desselben,  noch  in  hohem  Grade  zu 
vereinfachen. 


313 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


20.  Juni.  M  14.  1877. 


Königliche  Geselhchaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  5.  Mai, 
(Fortsetzung). 

Mittheilung   aus    einer    Experimental- 
untersuchung  betreffend  den  Leitungs- 
widerstand   der    Flammen    gegen    den 
galvanischen  Strom. 

Von 
Dr.  Edmund  Hoppe. 

Soviel  auch  schon  das  electrische  Verhalten 
der  Flammen  Gegenstand  von  Untersuchungen 
gewesen  ist,  so  scheinen  mir  doch  zwei  Punkte 
noch  durchaus  nicht  vollständig  aufgeklärt  zu 
sein,  welche  sich  auf  das  Leitungsvermögen  der 
Flamme  für  die  galvanischen  Ströme  beziehen,  und 
welche  Gegenstand  dieser  Untersuchungen  sind. 

Allgemein  anerkannt  ist  wohl,  daß  der  Lei- 
tungs-Widerstand einer  Flamme  von  Alkohol 
oder  Gas  bedeutend  verändert  wird,  wenn  der 
Dampf  irgend  eines  Salzes  in  die  Flamme  ge- 
führt wird,  doch  über  das  mehr  oder  minder 
dieses   Widerstandes    gehen  die  Ansichten   von 

30 


S14 

Matteuoci  ^)  und  Becquerel  ^)  aus  einander.  Die 
verschiedenen  Resultate  dieser  beiden  Beobachter 
erklären  sich  wahrscheinlich  aus  den  verschie- 
denen Flammen,  welche  sie  anwandten.  Auch 
finde  ich  in  keiner  Arbeit  nummerische  Angaben 
über  den  Widerstand. 

Ferner  hat  Hankel  ^)  in  seiner  Abhandlung 
über  die  unipolare  Leitung  der  Flammen,  ge- 
stützt auf  ein  Beispiel,  die  Vermuthung  ausge- 
sprochen, daß  für  Flammen  das  Ohmsche  Gesetz 
nicht  gelte.  Doch  schien  mir  auch  dieser  Punkt 
noch  der  weiteren  Untersuchung  zu  bedürfen. 

Zu  meinen  Beobachtungen  stellte  ich  zwei 
feine  Platindrähte  von  gleichem  Querschnitt, 
deren  Durchmesser  0,241^^"  war,  vertical  über 
der  Oeffnung,  aus  welcher  das  Gas  ausströmte 
in  dem  zu  untersuchunden  Flammenkegel  m 
einer  Horizontalebene  auf.  Die  Distanz  der 
Drahtenden  wurde  durch  ein  Fernrohr  mit  Mi- 
krometerfadenkreuz gemessen.  Der  Eine  der 
Drähte  führte  zu  einem  Galvanometer,  dessen 
Constante  mit  Hülfe  eines  Widerstandsatzes  von 
engen  mit  Zinkvitriol  gefüllten  Röhren  bestimmt 
war  zu  C  =  0,000923446.  Der  andere  Platin- 
draht stand  in  Verbindung  mit  einem  Strom- 
commutator,  von  dem  Galvanometer  führte  em 
Draht  zu  der  zweiten  Schraube  jenes  Commuta- 
tor,  dessen  dritte  und  vierte  mit  Polen  einer 
galvanischen  Kette  von  3  oder  4  Bunsenschen 
Elementen  verbunden  waren.  Ich  fügte  den 
Commutator  mit  in  den  Stromkreis,  um  mich 
jederzeit  darüber  orientiren  zu  können,  ob  noch 

1)  Matteuoci.    Phil.  Mag.    Bd.  VIII.  1854.    S   400. 

2)  Becquerel.    Ann.  de  Chim.  et  de  Phys.   i.AÄÄlÄ. 
1853     D    359 

8)  Hankel.    Abband,  d.  Königl.  Sache.  Ges.  d.  Wisa. 
ßand  5.  1861.    S.  72. 


315 

außer  dem  von  jenen  Elementen  erregten  Strome 
ein  anderer  im  Galvanometer  wirkite.  Dieser 
zweite  Strom  rührte  dann  von  der  Flamme  seibat 
her  nnd  mußte  entweder  ein  Thermostrom  sein, 
bedingt  durch  die  ungleiche  Erwärmung  der 
Electroden,  oder  ein  Flammenstrom,  welcher  in 
den  Verschiedenen  Bestandtheilen  der  Flamme 
an  verschiedenen  Stellen  seine  Ursache  hat. 
Ich  will  diese  beiden  Arten  von  Strömen  zu- 
sammenfassen unter  dem  Namen  >secundäre« 
Ströme.  Diese  secundären  Ströme  waren  sehr 
schwierig  zu  vermeiden,  besonders  bei  der  Flamme 
eines  Bunsenschen  Gasbrenners;  aber  mit  Hülfe 
jenes  Commutators  hatte  ich  in  der  beim  Com- 
mutiren  auftretenden  Differenz  der  Ausschläge 
der  Nadel  ein  genaues  Kriterium,  ob  solche  se- 
cundären Ströme  vorhanden  waren,  respective 
ein  Maaß  ihrer  Stärke.  Von  allen  Beobachtun- 
gen zog  ich  nur  die  in  Rechnung,  bei  welchen 
sich  keine  Differenz  der  Scalenausschläge  nach 
beiden  Seiten  der  Ruhelage,  oder  doch  nur  eine 
solche  bis  höchstens  zu  vier  Scalentheilen  fand. 

Ich  berechnete  den  Widerstand  auf  folgende 
Weise.  Einmal  ist  J"=  C.  tang  a,  wo  J  die 
Stromstärke,  C  die  Constante  des  Galvanometers 
und  a  der   Ausschlagswinkel    ist.      Nach    dem 

JE 

Ohmschen  Gesetz  ist  aber  J"=  --,  wenn  E  die 

W 
electromotorische  Kraft,  und  W  der  Widerstand 

JR 

ist,   also  folgt  W=7r-i ;   um  nun  W  in 

C.  tanga 

Siemensschen  Einheiten  zu  erhalten,  setzte  ich 
die  electromotorische  Kraft  eines  Bunsenschen 
Elementes  =  20. 

Die  Drähte  brachte  ich  in  verschiedene  Hö- 
hen  über   den  Fuß    der  Flamme    und   fand  das 

30* 


316 

Gesetz,  daß  in  dem  heißeren  Theil  der  Flamme 
der  Widerstand  geringer  ist,  wie  in  dem  weniger 
heißen,  vollständig  bestätigt. 

Auch  machte  ich  Versuche  mit  halber  und 
voller  Flamme  und  fand,  daß  das  Leitungsver- 
mögen bedeutend  erhöht  wird,  wenn  mehr  Gas 
durch  den  horizontalen  Querschnitt  der  Flamme 
strömt.  Ich  führe  hier  nur  als  Beispiel  an  den 
Bunsenschen  Gasbrenner,  wo  der  Widerstand  bei 
voller  Flamme  1215500  Siemenssche  Einheiten, 
bei  halber  Flamme  dagegen  6860078  betrug. 

Um  auch  über  die  Natur  der  verbrennenden 
Gase  mehr  orientirt  zu  sein,  brachte  ich  die 
Salzperlen  oder  Lösungen,  deren  Dämpfe  ich 
untersuchen  wollte,  nicht  in  eine  Gasflamme, 
sondern  in  die  Wasserstoffflamme.  Das  Lei- 
tungsvermögen derselben  wird  durch  die  Anwe- 
senheit jener  Dämpfe  bedeutend  erhöht,  daher 
denn  auch  dicht  über  dem  Salze,  wo  die  Dämpfe 
jedenfalls  vorherrschend  waren,  das  Leitungsver- 
mögen weit  größer  war,  als  in  dem  oberen  Rande 
der  Flamme,  wo  sich  weniger  Dampf  befand. 

Um  andern  Theils  auch  die  Gültigkeit  des 
Ohm'schen  Gesetzes  für  Flammen  zu  prüfen, 
schaltete  ich  bei  jedem  Versuche  einmal  drei, 
das  andere  Mal  vier  Elemente  ein.  War  das 
Ohm'sche  Gesetz  gültig  so  mußte  in  beiden 
Fällen  dasselbe  W  gefunden  werden.  Von  allen  , 
Versuchen,  die  angestellt  wurden,  habe  ich  in  j 
Rechnung  gezogen  30,  während  die  übrigen 
mehr  oder  weniger  durch  Mitwirkung  secundärer 
Ströme  unbrauchbar  wurden.  Nimmt  man  nun 
für  jede  Flamme  aus  den  Versuchen  in  den  ver- 
schieden heißen  Theilen  die  Mittel,  so  ergiebt 
sich  folgende  Reihenfolge ,  von  den  besten 
Leitern  zu  den  weniger  guten  absteigend.  Co- 
lumne  1    enthält   die   Benennung   der   Flamme, 


317 


wo  bei  den  Versuchen,  bei  welchen  in  die  Wasser- 
stoffflamme eine  Salzperle  oder  eine  Lösung 
gebracht  wurde,  nur  die  chemischen  Bezeich- 
nungen angeführt  sind.  Die  zweite  Columne  ent- 
hält den  Widerstand  bei  Anwendung  von  drei 
Elementen,  die  dritte  denselben  bei  vier  Ele- 
menten und  die  vierte  das  Mittel  aus  den  beiden 
vorhergehenden.  Alle  Widerstandsangaben  sind 
reducirt  auf  eine  Distanz  der  Drahtenden  von  1^ 


Flamme. 


3  Elemente.  4  Elemente. 


Mittel. 


H  +  Ka 

Volle  Flamme  d. 

Bunsens.  Brenners 

H  +  Ba 

H  +  Na 

Mitte  der  Stearin 

flamme 

H  +  Sr 

H  +  Cl.  Li 

(Lösung) 

Halbe  Flamme  des 

Bunsens.  Brenners 

H-f  Tl 

H  -f  Cl.  Cu. 

(Lösung) 

H  volle  Flamme 

H  mittlere  Flamme 

H  schwache 

Flamme 

ArgandscheLampe 

(groß) 

ArgandscheLampe 

(klein) 


911290 

1210338 
1459110 
1502976 

2227443 
2295800 

2354767 

6859101 
9460467 

19543807 
20294735 
37083850 

50629733 

59015762 

86543750 


910328 

1220666 
1456606 
1499859 


2295216 

2353117 

6861055 
9465922 


20288992 
37176210 

50593245 


910809 

1215502 
1457858 
1501918 


2295508 

2353942 

6860078 
9463194 


20291864 
37130030 

50611489 


318 

In  dieser  Zusammenstellung  zeigen  die  Ver- 
suche mit  drei  und  vier  Bunsenschen  Elementen 
offenbar,  daß  das  Ohm'sche  Gesetz  auch  für  die 
Gase  gilt.  Es  sind  die  Werthe  für  die  Wider- 
stände bei  Anwendung  von  vier  Bechern  bald 
größer,  bald  kleiner  wie  die  für  drei  Elemente, 
aber  sie  sind  verhältnißmäßig  überhaupt  wenig 
von  einander  verschieden.  Die  kleinen  Ungleich- 
heiten können  auch  sehr  wohl  durch  die  be- 
ständige Veränderlichkeit  der  Flamme  selbst  be- 
dingt sein.  Denn  die  Beobachtungsweise  ließ 
keine  Fehler  zu  bis  zu  der  Größe.  Ich  bemerke 
jedoch  ausdrücklich,  daß  man  die  größte  Sorgfalt 
anwenden  muß,  um  die  von  mir  »secundär«  ge- 
nannten Ströme  zu  vermeiden;  tritt  z.  B.  wenn 
drei  Elemente  die  electromotorische  Kraft  bilden, 
ein  secundärer  Strom  auf,  der  beim  Commutiren 
sofort  sichtbar  wird,  so  habe  ich  allerdings  auch 
die  Erscheinung  beobachtet,  welche  Hankel  1.  c. 
p.  72  beschreibt,  nämlich,  daß  bei  vier  Elementen 
die  Differenz  der  Scalenausschläge  nach  beiden 
Seiten  beim  Commutiren  größer  wird;  aber 
wenn  bei  drei  Elementen  durchaus  kein  secun- 
därer Strom  zu  bemerken  war,  so  bestand  aucli 
bei  vier  Elementen  vollste  Uebereinstimmung 
in  den  Ausschlägen.  Ich  verschob  die  Platin- 
drähte so  lange  in  der  Flamme  bis  diese  Be- 
dingung erreicht  war. 

Zum  Schluß  darf  ich  die  Resultate  dieser 
Untersuchung  wohl  noch  einmal  zusammenstellen : 

1)  Für  jede  Flamme  hängt  die  größere  Lei- 
tungsfähigkeit von  der  größeren  Hitze  und  der 
größeren  Menge  des  verbrennenden  Gases  ab. 

2)  Bei  den  verschiedenen  Flammen  ist  die 
Leitungsfähigkeit  abhängig  von  den  verbrennen- 
den Substanzen,  ins  besondere  erhöhen  die 
Dämpfe   der   angeführten   Salze    und  Lösungen 


319 

bedeutend  die  Leitungsfähigkeit  der  Waaserstoff- 
gasflamme. 

3)  Das  Ohmsche   Gesetz    gilt  auch  für  die 
Flammen. 


Die    spartanische   und   korinthische 
Königsliste. 

Von 

Dr.  Conrad  Trieber. 

Johannes  Brandis,  den  ein  herbes  Geschick 
zu  früh  dahin geraJBFt  hat,  gelangt  gegen  Ende 
seiner  vortreflFlichen  Untersuchung  über  die  äl- 
teste griechische  Zeitrechnung  ^)  zu  dem  Schlüsse, 
daß  die  alexandrinischen  Gelehrten  sich  wohl 
bewußt  gewesen  seien,  daß  diese  voller  Wider- 

1)  Brandis,  de  temp.  Graec.  antiqa.  ration.  Boim 
1857.  p.  26  f.:  >Haec  omnia  inter  se  colligata  et  in 
uno  conspecta  posita  abunde  demonstrant,  quantopere 
Graecorum  tempora  critico  emendatore  eguerint,  qni  inter 
varioB  calculos  probatissimum  eligeret,  ceteros  omnee, 
etiamsi  Herodotos,  Ephoros,  Timaeos  auctores  haberent, 
respaerent.  Atque  grammatici  Alexandrini,  qnibns  id 
curae  fuit,  omnino  tantum  de  Spartanorum  et  Atticorum 
fastorum  fide  et  auctoritate  certare  potuerunt,  ceteras  ra- 
tiones  fotiles  esse  extemplo  intellexerint.  Cor  Sparta- 
norum regum  tabalas  praetulerint,  Atticas  contempserint, 
latet;  eos  ita  fecisse  ex  verbis  Diodori  apud  Eusebium 
p.  166  (Mai;  I,  p.  221  Schoene)  constat.«.  Die  Worte 
lauten  nach  Petermann's  Uebers. :  »Nos  vero,  quoniam 
ita  evenit,  ut  a  Trojanorum  rebus  usque  ad  primam 
olompiadem  tempus  difficile  reperiatur,  quum  necdum  iis 
temporibus  neque  Athenis  neqne  alia  in  orbe  annui  prin- 
cipes  fieri  solerent,  Lakedemoniorum  reges  pro  exemplo 
usurpabimus«. 


320 

Sprüche  und  sehr  wenig  begründet  sei.  Doch 
hätten  sie  als  einzigen  Rettungsanker  in  der 
großen  Noth  die  Liste  der  spartanischen  Könige 
betrachtet  und  diese  ihren  chronologischen  Be- 
rechnungen zu  Grunde  gelegt. 

Es  liegt  daher  nahe,  das  Verzeichniß  dieser 
Könige,  wie  es  von  Apollodor  bei  Eusebius 
überliefert  ist,  einer  eingehenden  Behandlung 
zu  unterziehen,  um  zu  erforschen,  welchen  Werth 
es  beanspruchen  darf.  Dasselbe  bietet  aber  nur 
die  Könige  bis  zur  ersten  Olympiade. 

Eusebius  rechnet  im  Canon  von  a.  Abr.  916 
bis  1240  nur  325  Jahre,  und  zwar  von  dem  Könige 
Eurystheus  zur  Zeit  der  dorischen  Wanderung 
bis  zum  Tode  des  Alcamenes.  Es  könnte  nun 
scheinen,  daß  er  mit  Apollodor  übereinstimmte, 
dessen  Bericht  bei  Diodor  erhalten  ist.  Allein 
dieser^)  erhält  schon  dieselbe  Reihe  von  Jahren 
im  zehnten  Jahre  des  Alcamenes  und  Theopomp, 
in  welches  zugleich  die  erste  Olympiade  fallen 
soll.  An  einen  Fehler  ist  hier  um  so  weniger 
zu  denken,  als  kurz  vorher^)  ganz  dieselbe  Be- 
rechnung mitgetheilt  wird,  obwohl  Diodor  eben 
erst^)  dem  Apollodor  327  Jahre  für  den  Zeit- 
raum von  der  Heraklidenwanderung  bis  zur  er- 

1)  Diod.  bei  Euseb.  chron.  I,  p,  225  Seh.:  >Alca- 
menes  annis  XXXVII,  cujus  anno  decimo  prima  olompias 
constituta  est,  in  summa  anni  CCCXXV.«  »Theopompus 
annis  XLVIL  Cujus  anno  decimo  prima  olompias  con- 
stituta est«. 

2)  1.  c.  p.  223:  »Alcamenes  annis  VIII  (lies  VII) 
Bupra  triginta.  Hujus  regni  anno  X  contigit  constitutio 
olompiadis  primae«.  »Theopompus  annis  VII  supra 
quadraginta.  Item  hujus  quoque  regni  anno  decimo  prima 
olompias  contigit«. 

3)  1.  c.  p.  221  fin.  Dieselben  327  Jahre  berichten  von 
Apollodor  Diod.  I,  5,  1.  Sync.  p.  178»  f.  185C.  Porphy- 
riuB  bei  Euseb.  ehr.  I,  p.  190. 


321 

sten  Olympiade  in  ganz  korrekter  Weise  zuge- 
schrieben hat.  Zur  Orientirung  mögen  beifol- 
gende Listen  der  Agiaden  und  Eurypontiden 
dienen,  von  denen  die  erste  auch  im  Canon  wie- 
derkehrt, wie  sie  Diodor  überliefert: 

1.  Eurystheus  42^  1.  Procles       51        1103—1053 

3.'  ESestratusSsL.  U!  E^on   ^^  1052-978J 

4.  Labotas  37 T**  4.  Prytanis     49  977-929 

5.  Doryssos  29j  5.  Eunomus    451  *)  928—884 

6.  Agesilaus  441  6.  Charilaus    60H43  883—824 

7.  Archelaus  60J-144  7.  Nicander    38l  823—786 

8.  Teleclus  40J  Summa  318 

9.  Alcamenes  37  g_  Theopomp  47  785—739 

Summa  325  10.  Jahr  des  Theopomp     776. 

Offenbar  hat  Carl  Müller*)  Unrecht,  wenn 
er  meint,  daß  Sous  und  Eurypon  absichtlich  von 

1)  In  dieser  Liste  fehlt  Polydectes,  der  sonst  als 
Sohn  des  Eunomus  und  Bruder  des  Lycurg  bezeichnet 
wird;  so  von  Her.  VIII,  131  (wo  freilich  tov  Uolvdöneos 
10V  Evvöfiov  zu  lesen  ist) ,  Ephor.  fr.  64,  Sosib.  fr.  2, 
Pausan.  III,  7,  2;  vgl.  Ael.  de  nat.  an.  VI,  61.  Apollo- 
dor  folgt  eben  wie  nach  ihm  Phlegon  fr.  1  (FHG.  HI, 
p.  603)  und  Suidas  in  der  zweiten  Vita  des  Lycurg,  dem 
Dichter  Simonides,  nach  welchem  Eunomus  und  Lycurg 
Söhne  des  Prytanis  sind.  Nur  lebt  Lycurg  nach  Simoni- 
des 400,  nach  ApoUodor  genau  300  Jahre  nach  Trojas 
Fall.  Unbestimmt  bleibt  freilich,  wann  Simonides  Trojas 
Fall  angesetzt  hat.  Indessen  hat  Phlegon  nicht  bloß  dde- 
ses  aus  ApoUodor  entnommen,  sondern  auch  die  ganze 
Geschichte  der  olympischen  Feier,  die  am  genauesten 
Pausanias  V.  7,  6  —  9,  6.  überliefert,  und  die  ihrerseits 
von  Porphyrius  bei  Euseb.  ehr.  I,  p.  191  ff.  ergänzt  wird. 
Wenn  nun  Scaliger,  notae  in  Gr.  Euseb.  p.  426b.  429 
darlegt,  daß  des  Pophyrius  Liste  der  olympischen  Sieger 
aus  Africanus  herstammt,  weil  dieselbe  Ol.  249  (217  p. 
Chr.)  endet  —  ein  Resultat,  dem  auch  Boeckh,  Manetho 
p.  180,  N.  2  zustimmt  —  so  beweist  dies  eben  nur,  daß 
Africanus  eine  so  gute  Quelle  wie  ApoUodor  benutzt  hat. 

2)  MüUer,  fr.  chronol.  p.  135  f. 


322 

Apollodor  ausgelassen  sind.  Die  Ergänzimg  von 
75  Jahren  beruht  aber  auf  folgendem  Schlüsse. 
Eratosthenes  und  Apollodor 'setzen  in  das  erste 
Jahr  des  Charilaus  die  Gesetzgebung  des  Lycurg, 
also  883.  Folglich  müssen  alle  vorhergehenden 
Könige  aus  dem  Hause  der  Eurypontiden  1103 
— 883  =  220  Jahre  zusammen  regiert  haben. 
Da  nun  Procles,  Prytanis  und  Eunomus  145 
Jahre  herrschen,  so  bleiben  für  Sous  und  Eury- 
pon  75  Jahre  übrig  ^).  Im  üebrigen  stimmt  die 
Liste  der  Eurypontiden,  da  in  der  That  die 
erste  Olympiade  in  das  zehnte  Jahr  des  Theo- 
pomp fällt.  Bei  den  Agiaden  jedoch  fällt  sie  in 
das  Todesjahr  des  Alcamenes,  wie  Eusebius  dies 
auch  im  Canon  durchführt. 

Es  sind  zur  Erklärung  dieses  Umstandes 
zwei  Annahmen  zulässig.  Entweder  ist  eine 
Zahl  falsch  überliefert  oder  ein  König  ausge- 
lassen. Nun  schieben  die  Excerpta  latina  bar- 
bara  wirklich  nach  Agesilaus,  den  sie  30  statt 
40  Jahre  regieren  lassen,  einen  sonst  unbekann- 
ten König  Menelaus  mit  30  Jahren  ein,  so  daß 
sich  dadurch  bis  zum  zehnten  Jahre  des  Alca- 
menes 327  Jahre  ergeben.  Brandis^)  legt  nun 
darauf  so  großes  Gewicht,  daß  er  den  Menelaus 
in  die  Liste  des  Apollodor  einreihen  möchte, 
was  H.  Geizer')  bewogen  hat,  dies  wirklich  zu 
thun.    Allein   es  scheint  doch,   daß  Clinton's*) 

1)  A.  V.  Gutschmid  zu  Euseb.  ehr.  I,  p.  223,  N.  9 
möchte  nun  gestützt  auf  Cic.  de  div.  II,  c.  43,  §  91  dem 
Procles  41,  Sous  34,  Eurypon  51  zuweisen;  doch  giebt 
er  schon  N.  10  dem  Procles  51  Jahre,  obwohl  die  Hs. 
49  bietet.  Scharfsinnig  hält  er  dies  für  eine  Verschrei- 
bung ,  welche  durch  die  folgenden  49  Jahre  des  Prytanis 
veranlaßt  ist. 

2)  Brandis  1.  c.  p.  28  ff. 

3)  Geizer  zu  K.  F.  Hermann,  Gr.  Alt.  P,  p.  785. 

4)  Clinton,  F.  H.  I,  p.  332. 


323 

"Vermnthung  annehmbarer  ist,  daß  in  der  auf- 
fallend niedrigen  Zahl  des  Agis  ein  Fehler  ver- 
borgen sei  und  derselbe  30  (vf)  statt  l  (J") 
Jahres  geherrscht  habe.  Brandis  macht  nun 
gegen  Clinton  besonders  geltend,  daß,  wie  Cle- 
mens Alexandrinus  ^)  berichtet,  Homer  nach 
Apollodor  240  Jahre  nach  dem  Falle  Trojas, 
und  100  Jahre  nach  Gründung  der  ionischen 
Kolonien,  unter  König  Agesilaus  und  gleich- 
zeitig mit  Lycurg  gelebt  habe.  Dies  wäre  943 
und  stimmte  nach  Brandis  allein  mit  den  Zah- 
len der  Exe.  lat.  barb.,  nach  denen  Agesilaus 
959—30  regiert,  sowie  mit  denen  des  verderb- 
ten Apollodor  (957 — 14),  nicht  aber  mit  der 
durch  Clinton  gewonnenen  Zahl  930 — 887.  Ver- 
stärkt glaubte  Brandis  seine  Gründe  durch  die 
Bemerkung  des  Pausanias*),  daß  Lycurg  unter 
Agesilaus  die  Gesetze  gegeben  habe,  während 
freilich  Lycurg  nach  Clemens  unter  demselben 
seine  Jugendzeit  verlebte. 

Allein  die  Worte  des  Clemens,  welche  den 
König  Agesilaus  betreffen,  sind  gar  nicht  von 
Apollodor  selbst,  sondern  nur  ein  erklärender 
Zusatz  des  Clemens.  Denn  Tatian'),  aus  wel- 
chem Clemens  dieselben  wörtlich  entlehnte,  um 
seinerseits  von  Eusebius  ausgeschrieben  zu  wer- 
den, hat  sie  ebenso  wenig  wie  die  Notiz  über 
Lycurg. 

1)  Clem.  AI.  Str.  I  p.  327*. 

2)  Paus,  m,  2,  4. 

3)  Tatian  or.  ad  Gr.  c.  31  §  49  (w.  von  Euseb.  pr. 
ev.X  p.  492B;  vgl.  Eos.  Canon  zu  a.  Abr.  9IV5).  Wenn 
Sengebusch,  Hom.  diss.  I,  p.  43  meint,  daß  auch  Era- 
tosthenes  den  Homer  100  Jahre  nach  der  Gründung  der 
ionischen  Kolonie  leben  lasse  und  in  diesem  Sinne  sogar 
Tatian  emendirt,  so  ist  dies  fehlerhaft,  weil  die  Vita  Hom. 
6  p.  31  "West.,  auf  die  er  sich  stützt,  auch  dem  Grates 
und  Apollodor  falsche  Angaben  hierüber  andichtet. 


324 

Tatian :  Clemens : 

ol  ds  nsgl  ^AnoXXodcaQOV  ol  6s  nsgl  ^ AnoXXoöoiQOV 
(sc.  (fadl  'OiiijQOV  '^xfjba-  fistd  t^v  'Icovix^v  dnoir- 
xivcci)  [isrcc  T^v  'Icnvix^v  xtav  srsdiv  ixaiav,  o  y^- 
dnoixiav  srsdiv  sxaiöv,  voit  äv  vötsqov  rcov 
o  Y^voit'  äv  vdtsQOV  Tvav  'iXiaxcov  s'tsüi,  diaxoßiotq 
*lXmxiSv  sTSGt  öiaxodioig  tBöüaqdxoVTa  '^ytjaiXdov 
Tsödaqdxovca.  tov    Joqvdßaiov    Actxs- 

da^ijiopicov  ßaCiXevovwg, 
(joöTs  imßaXstv  avtm  Av- 
xovQyov    tov  vofio&iTfiv 

SU  vioV   OVTCC. 

Kurz  vorher  aber  hatte  Eusebius*)  sogar  selber 
den  Tatian  durch  eine  ähnliche  falsche  Bemer- 
kung ergänzt,  indem  er  dem  Bericht  des  Philo- 
chorus  über  die  Lebenszeit  Homers  die  irrthüm- 
lichen  Worte  stsat  /a  erklärend  hinzugefügt 
hatte,  wie  Brandis  ^)  selbst  erkannt  hat.  Ebenso 
registrirt  Eusebius,  und  mit  ihm  CyriU,  Homer 
und  Hesiod,  welche  Cassius  Hemina  etwas  über 
160  Jahre  nach  Trojas  Fall  setzt,  einfach  un- 
ter König  Labotas^). 

Indessen  auch  nach  Clinton  würde  die  erste 
Olympiade  erst  in  das  elfte  Jahr  des  Alcamenes 
fallen.  Deshalb  hat  neuerdings  A.  v.  Gut- 
schmid^)  mit  Recht -^-^'  statt -«4'  vorgeschlagen. 

1)  Euseb.  pr.  ev.  X,  p.  492^. 

2)  Brandis  1.  c.  p.  15. 

3)  Easeb.  a.  Abr.  Arm.  1001.  Hieron.  998.  Cassius 
Hemina  bei  Gell.  N.  A.  XVH,  21,  3.  CyriU  adv.  Jul.  p. 
HD  hat  wie  Arm.  Eus.  165  Jahre.  So  ist  auch  Ps-Herod. 
vit.  Hera.  31  statt  168  zu  lesen.  Einfach  160  Jahre 
geben   Philostr.    Her.    p.   194   Boiss.  und    Suidas   s.   v. 

"O/ntiQog. 

4)  Gutschmid  zu  Eus.  ehr.  I,  p.  223,  N.  2. 


325 

rv.        ,       _L   T  •  X    j     .     11        Exe.  lat.  barb.  I ,  app. 

Die  verbesserte  Liste  des  Apollo«  218  f.  Seh.  (p.  77 

der  wäre  daher:  ^'         ScaL) 

1.  Eurystheos  42^         1103-1062  1.  Earystheas  43 

2.  Agia  3lL.R  1061—1031  2.  Agis  2 

3.  EchestratusSSf^*^  1030—  996  3.  Echestratos  34>144 

4.  Labotas       37J  995—  959  4.  Labotas        37 

5.  Doryssus      29  958—  930  5.  Doryssus      29, 

6.  Agesilaus     441  929—  886  6.  Agesilaus      30 

7.  Archelaus    60J-144     885—  826  7.  Menelaus      441 

8.  Teleclus      40J  825—  786  8.  Archelaus     60H44 

Summe  318  ^'  teleclus       40J 

9.  Alcamenes  37 »)  785—  749  Summe  318 

10.  Jahr  des  Alca-  10.  Alcamenes   27 

menes  776.  10.  Jahr  des  Alca- 

menes 776. 
11.  Aatomedos  25. 

Eusebius  hat  demnach  die  größte  Verwirrung 
angerichtet,  wenn  er  auch  schon  eine  geringe 
vorfand.  Tatian  hatte  ersichtlich  noch  die  rich- 
tige Liste  des  Apollodor.  Allein  schon  in  den 
Exe.  lat.  barb.,  die  aus  Africanus  abgeleitet 
sind,  weil  sie  die  erste  Olympiade  in  das  erste 
Jahr  des  Königs  Achaz  setzen  *),  sind  dem  Agia 
nur  zwei  Jahre  gegeben.  Obwohl  Eusebius  nun 
im  Chronicon  richtig  das  zehnte  Jahr  des  Alca- 
menes für  die  erste  Olympiade  angiebt,  bietet 
er  doch  nur  325  Jahre  von  der  Herakliden- 
wanderung  bis  dahin  statt  der  richtigen  327 
Jahre  des  Apollodor.  Dieser  Fehler  geschieht 
offenbar  mit  vollem  Bewußtsein;  denn  Eusebius 
beginnt  von   1101,   Apollodor  selbst  von  1103. 

1)  Eus.  ehr.  I,  p.  223,  Z.  12  giebt  das  eine  Mal  die 
Zahl  38.  Allein  diese  würde  die  Summe  325  unmöglich 
gemacht  haben. 

2)  Scaliger,  animadv.  in  Eus.  p.  69*  hat  es  zur  Ge- 
wißheit erhoben,  daß  Africanus  die  erste  Olympiade  mit 
dem  ersten  Jahr  des  Achaz  zusammenfallen  ließ:  vgU 
Brandis  1.  c.  p.  29. 


326 

Gleichwohl  zählt  er  im  Canon  sowohl  als  im 
Chronicon  die  325  Jahre  so,  daß  sie  mit  dem 
Tode  des  Alcamenes  zusammenfallen. 

Will  man  jedoch  den  Werth  der  überliefer- 
ten Listen  prüfen  und  betrachtet  man  deshalb 
die  Regierungsjahre  der  einzelnen  Könige  genau, 
so  zeigt  sich  etwas  recht  Merkwürdiges,  Nach 
den  Exe.  lat.  barb.  regieren  die  ersten  neun  Agia- 
den  318  Jahre,  also  ebenso  lange  als  die  ersten 
sieben  Eurypontiden  des  ApoUodor.  Wenn  man 
zunächst  in  den  Exe.  die  Jahre  der  drei  letzten 
Könige  zusammenzählt,  so  ergeben  diese  wie 
diejenigen  der  ersten  fünf  je  144  Jahre.  In  der 
Mitte  steht  Agesilaus  mit  30,  ähnlich  dem  An- 
cus  Marcius  in  der  römischen  Königsliste.  Aber 
auch  die  verbesserte  Liste  desApollodor  ergiebt 
für  die  letzten  drei  Könige  144,  für  die  ersten 
vier  145;  in  der  Mitte  ist  Doryssus  mit  29. 
Die  verdorbene  Liste  des  ApoUodor  bietet  für 
die  ersten  fünf  sowie  die  folgenden  drei  sogar 
jedes  Mal  144. 

Vergleicht  man  nun  diese  Zahlengruppen  mit 
denjenigen  der  Eurypontidenliste,  so  ergeben  die 
letzten  drei  Könige  daselbst  143.  Weiter  läßt 
sichs  hier  nicht  genau  verfolgen,  weil  die  Ein- 
zelzahlen von  Sous  und  Eurypon  nicht  erhalten 
sind.  Trotzdem  erkennt  man,  daß  die  Summe 
der  Jahre  von  Prokies  und  Prytanis  gleich  der  von 
Echestratus,  Labotas  und  Doryssus  in  den  Exe. 
lat.  barb.  100  beträgt.  Ebenso  herrschen  Eury- 
stheus,  Agis  und  Agesilaus  nach  den  Exe.  74 
Jahre,  während  des  Sous  und  Eurypon  0  Be- 
gierungszeit sich  auf  75  Jahre  erstreckte.  Es 
entsprechen  also  in  den  Exe.  und  in  der  Eury- 

1)  Wahrscheinlich  war  eine  der  fehlenden  Zahlen 
des  Sous  und  Eurypon  43  oder  44. 


327 

pontidenliste     je     die     äußeröi     Glieder     den 
inneren. 

Im  üebrigen  ist  das 

Verhältniß  der  Agi- 

aden  zu  den  Eury- 

pontiden  nach  den 

Exe.  (144 +  30) +144 

174 
nach  dem  verbesser- 
ten ApoUodor       (145  +  29)  +  144 

174 
Rechnet    man    die 

nenn  Jahre  bis  zur 

ersten    Olympiade 

hinzu,  so  ergeben 

sich  nach  den  Exe.  144  +  144  +  39 
nach  dem  verbesser-  )■  =  327. 

ten  Apollodor       144  +  145 


'  =  175  +  148  =  318 


+  391   _ 
+  38j 


Ganz  richtig  urtheüt  aber  der  scharfsichtige 
B.  G.  Niebühr^):  »Wo  wir  immer  in  der  Ge- 
schichte Zahlen  antreffen ,  welche  in  arithmeti- 
sche Proportionen  aufgelöst  werden  können, 
dürfen  wir  mit  der  größten  Bestimmtheit  sagen, 
daß  sie  künstliche  Anordnungen  sind,  denen  die 
Geschichte  angepaßt  ist.  Der  Gang  der  mensch- 
lichen Angelegenheiten  ist  nicht  nach  Zahlen- 
verhältnissen geordnete. 

Sicherlich  hat  nun  Apollodor,  und  vor  ihm 
Eratosthenes ,  diese  Zahlen  schon  vorgefunden. 
Diese  erinnern  aber  durch  die  Verdoppelung  der 
Zahl  144  sowie  durch  das  Correspondiren  der 
Zahlen  in  beiden  Königshäusern  stark  an  die 
medische  Königsliste  des  Ctesias  ^.   Dazu  kommt 


1)  Niebuhr,  Vortr.  üb.  röm.  Gesch.  I,  p.  31  (Schmitz). 

2)  Nachdem  Vobiey,  rech.  nouv.  sur  l'hist.  anc  Par. 
1814.  n,  p.  I44ff.  zuerst  auf  des  Ctesias  Betrug  aufmerk« 
sam  gemacht  hatte,  fand  Brandis  1.  c.  p.  22  Folgendes: 


328 

noch,  daß  Ctesias  und  mit  ihm  Eratosthenes- 
Apollodor  die  Zeit  des  Lycurg  883  mit  dem 
Beginn  des  medischen  Reiches  und  dem  Sturze 
des  assyrischen  haben  zusammenfallen  lassen, 
wie  dies  nach  den  Andeutungen  von  Volney 
Carl  Müller^)  sehr  schön  dargethan  hat  und 
hiefür  trotz  sonstiger  großer  Verschiedenheit  der 
Ansichten  den  Beifall  Brandis'  erlangt  hat.  Da 
aber  auch  Ctesias  es  war,  der  zuerst  das  Jahr 
1183  für  die  trojanische  Aera  angegeben  hat, 
wie  Volney  ^)  erkannte,  so  ist  wohl  die  Vermu- 
thung  berechtigt,  daß  auch  Ctesias  der  erste 
war,  der  die  Heraklidenwanderung  1103  ange- 
setzt hat.  Dann  erscheint  aber  Ctesias  als  der 
Verfasser  der  spartanischen  Königsliste,  wie  be- 
reits Brandis^)  geahnt  hat. 

Aber  noch  mehr!  Enthält  doch  die  korin- 
thische Königsliste,  welche  von  Syncellus  di- 
rekt   mit    der    spartanischen    zusammengestellt 

1.  Arbaces  28  5.  Ärbianes  32 

2.  Maudaces  50  6.  Artaeus  40 

3.  Sosannus  30  7.  Artynes  22 

4.  Artycas  50  8.  Astibaras  40 

jRg  9.  Aspandas     [34] 

T58~ 

1)  Müller,  fr.  chron.  p.  133.  159. 163  f.  Brandis,  re- 
rum  Assyr.  temp.  emend.  Bonn  1853  p.  12  f.  65. 

2)  Volney  1.  c.  Brandis,  1.  c.  p.  12.  de  t.  Gr.  ant. 
rat.  p.  35  diflerirt  von  Volney  nur  in  Kleinigkeiten.  Es 
ergeben  sich  folgende  Zahlen  bei  Ctesias  fr.  17.  18: 

nach  nach 

Volney  Brandis 

Sturz  des  letzten  medischen  K,  Astyages    560  566 
Arbaces  stürzt  den  letzten  assyr.  K.  Sar« 

danapal 877  883 

Teutamus  hilft  den  Trojanern    ....  1183  1183 

Beginn  der  assyrischen  Herrschaft      .    .  2183  2188. 
8)  Brandis,  de  t.  6r.  ant.  rat.  p.  24  f. 


329 

wird,  in  der  That  dasselbe  Zahlenspiel.  Nur 
sind  dieses  Mal  zur  Abwechslung  die  38  Jahre 
nicht  dem  mittelsten,  sondern  dem  ersten  König 
beigelegt.  Diodor  ^)  hat  hier  wiederum  die 
Liste  des  Apollodor  überliefert,  wie  aus  der  Zahl 
327  hervorgeht  Eine  Zusammenstellung  der 
verschiedenen  Listen  ist  um  so  interessanter,  als 
sie  im  Einzelnen  abweichen,  besonders  die  Exe 
lat.  barb. 

Demnach  ist  das  Yerhältniß  bei 

Apollodor  144  +  145  +  38  =  327. 

in  der  dreifachen  üeberlieferung 

des  Eusebius«)  144  +  144  +  35  =  323. 

bei  SynceUoa  »)  144  +  143  +  38  =  325. 

im  jlf povoyßay.  ffvyro/nof*)  144+  145  +  35  =  324. 

Nur  die  Exe.  lat,  barb.*)  zählen  148  +  140  +  35  =  323. 

Da  nun  in  der  korinthischen  Königsliste  des 
Apollodor  dieselben  327  Jahre  wie  in  der  spar- 
tanischen wiederkehren,  so  bleibt  es  zunächst 
fraglich,  ob  er  auch  beide  Mal  von  demselben 
Jahre  ausgeht.  Bei  Eusebius-Hieronymus  be- 
ginnen in  der  That  beide  Königslisten  in  dem- 
selben Jahre  a.  Abr.  916  und  in  der  series  re- 
gum  sec.  Hieron.  im  ersten  Jahre  des  Eorjstheus; 
während  aber  die  korinthische  a.  Abr.  1238  en- 
det, hört  die  spartanische  a.  A.  1240  auf,  d.  h. 
in  der  ersten  Olympiade.  Der  armenische  Text 
dagegen  beginnt  917  und  endet  a.  A.  1239. 
Ebenso  setzen  die  Exe.  lat.  barb.  den  Anfang  in 

1)  Diod.beiEus.  ehr.  I,  p.  219ff.  =  Sync.  p.  179Bff. 
(nur  steht  Bacchis  hier  an  der  Spitze),  sowie  p.  iSO^f. 
An  dieser  Stelle  wird  ausdrücklich  am  Ende  die  Somme 
327  genannt. 

2)  Euseb.  ehr.  I,  p.  221  =  canon  ^  append.  p. 
12  f.  30. 

3)  Sync.  p.  180Bf.  185Df. 

4)  jfßovoyp.  avyj.  in  Eus.  ehr.  I,  app.  p.  88. 

5)  Exe.  in  Eus.  Chr.  I,  app.  p.  2 18  f.  (p.  77  Seal.). 

31 


330 

das  zweite  Jahr  des  Eurystheus,  weshalb  auch 
in  der  series  regum  sec.  Arm.  »anno  secundo 
Euristhei«  statt  a.  duodecimo  E.«  zu  lesen  ist. 
Außerdem  haben  sie  gleichfalls  323  Jahre;  und 
als  Zeichen,  daß  sie  von  Africanus  abgeleitet 
sind,  setzen  sie  das  Ende  in  das  15.  Jahr  des 
Königs  Joatham,  also  zwei  Jahre  vor  König 
Achaz  778.  Ihr  Ausgangspunkt  ist  demgemäß 
1100. 

Bei  Syncellus  fällt  der  Anfang  beider  in  das 
Jahr  der  Welt  4423  =  1079  a.  Chr.  und  das 
Ende  derselben  a.  m.  4745,  d.  h.  Ol.  5,  4.  Dies 
ergiebt  eine  Dauer  von  323  Jahren.  Allein  es 
sollten  325  Jahre  nach  der  Summe  der  Regie- 
rungsjahre sein.  Syncellus  irrt  sich  nämlich 
beim  6.  Könige  Agelas  im  Jahre  der  Welt  um 
drei  Jahre,  und  vom  8.  Könige  Aristomedes  ab 
stetig  um  zwei  Jahre.  Dies  kann  um  so  weni- 
ger Zufall  sein,  als  er  in  der  spartanischen  Kö- 
nigsliste auch  vom  Jahre  der  Welt  4423  aus- 
geht, und  merkwürdiger  Weise  sich  wiederum 
beim  6..  Könige  Agesilaus  um  drei  Jahre  irrt 
(p.  185^),  indem  er  ihm  41  statt  44  Jahre  ver- 
rechnet, obwohl  die  Hs.  A,  und  besonders  die 
treffliche  Hs.  B  44  Regierungsjahre  zuweisen. 
Auch  irrt  er  sich  bei  den  folgenden  Königen, 
so  daß  er  den  letzten  König  Alcamenes  mit  37 
Jahren  in  das  Jahr  der  Welt  4709  statt  4711 
setzt,  wonach  er  bis  4745  statt  bis  4747  ge- 
herrscht haben  mußte.  Es  liegt  also  beide  Male 
eine  genau  geplante  Täuschung  vor,  wenn  so- 
wohl in  Sparta  als  in  Korinth  die  Könige  4745 
ausstarben  ^). 

1)  Seltsam  ist  auch  der  Ansatz  des  Syncellus  für  den 
Fall  Troja's.  Die  Differenz  zwischen  diesem  Ereigniß 
und  der  Ilerakliden Wanderung  beträgt  nämlich  94  Jahre. 
Während  er  diese  4423  ansetzt,   fällt   jenes   4830,   was 


331 

Die  korinthische  KÖDigsliste  hat  indessen 
das  Merkwürdige,  daß  nur  die  Zahlen^  der  vier 
ersten  Könige  in  den  verschiedenen  Ueberliefe- 
rungen  (und  dann  auch  nur  um  eine  Kleinigkeit) 
abweichen,  daß  jedoch  die  der  letzten  acht  Kö- 
nige überall  dieselben  sind.  Nur  die  Exe.  lat. 
barb.  weichen  auch  in  diesen  ab,  geben  aber 
gleichwohl  dieselbe  Gesammtsumme. 

ApoUodor    Euseb.     Sync.    ^^Z^J^^'     Wb.  ' 

1.  Aletes  38  35  38  35  35 

2.  Ixion  38)  37\  m  36\  37] 

6.  BaccWs         35]  35j  35j  35J  35J 

6.  Agelas  30] 

7.  Eudemus      25' 

8.  ÄrirtomedesSöl  j;^  -^^        ^Meu  rind 
l-  tCa.      ?  '"     «'«=1"  d-en  ApoUodor.. 


•148 


10.  Alexander    25 

11.  Telestes       12 

12.  Aotomenes 


^1 


Die  Summe  des  ApoUodor  beträgt  mit  den 
90  Jahren  der  jährlichen  Prytanen  417,  von  der 
Heraklidenwanderung  an  gerechnet  aber  447  ^). 
Daraus  geht  hervor,  daß  ApoUodor  den  ersten 
König  Aletes  erst  30  Jahre  nach  der  Herakliden- 
wanderung  die    Herrschaft    antreten  läßt;    was 

Syncellns  p.  170^  ausdrücklich  bemerkt,  und  nicht,  wie 
Goar  IL  p.  163  Bonn,  angiebt,  4328.  Die  Zahl  4330 
stimmt  auch  mit  der  Angabe  des  Syncellos  p.  172^,  daß 
Ilion  im  33ten  Jahre  des  Menestheus  erobert  worden  sei, 
welcher  nach  ihm  33  Jahre  und  zwar  4298—4330  regiert. 
1)  Diod.  bei  Sync.  p.  180^:  /ut^'  ovg  Ivtavaioi  ngv- 
rärfn  hri  h' .  bfiov  vti^'  ibid.  p.  179^  und  bei  Eus.  ehr. 
I,  p.  219,  Z.  31:  r,jn  (i.  e.)  ^  KvipHov  ivgayvii)  r^f  xa- 
^o6ov  TciJv  'HgoxliidiUy  vajtgt'i  iuci  vfi^'.  Beide  Listen 
des  Syncellns  sind  oflenbar  von  Diodor,  wie  bereits  Ä. 
V.  Gutschnud  ibid.  p.  222  erkannt  bat. 


332 

Didymus^)  seinerseits  geradezu  ausspricht.  Pe- 
tavius  ^)  hat  dies  sehr  wohl  gesehen ;  er  beginnt 
daher  1073  und  setzt  Kypselus  656.  Diese  Be- 
rechnung billigen  K.  0.  Müller  und  Brandis^). 
Indessen  möchte  A.  v.  Gutschmid*)  nach  dem 
Vorgange  C.  Bursians^)  mit  Rücksicht  auf  eine 
Stelle  des  Pausanias^)  eine  Lücke  annehmen 
und  einen  König  Aristodemus  einschieben.  Allein 
Pausanias  giebt  gar  keine  Zahl  an,  sondern  sagt 
blos,  daß  mit  Telestes ,  dem  Sohne  des  Ari- 
stodemus, das  Königthum  im  zehnten')  Ge- 
schlecht aufgehört  habe.  Also  hatte  Pausanias 
eine  ganz  andere  Königsliste  vor  sich.  Da  es 
sich  hier  nicht  darum  handelt,  ob  diejenige  des 
Pausanias  oder  die  des  Apollodor  den  Vorzug 
verdient,  sondern  nur  darum,  wie  Apollodor  ge- 
rechnet habe,  so  kann  Pausanias  hier  gar  nicht 
in  Betracht  kommen. 

Die  Rechnung  des  Apollodor  hat  aber  das 
Gute,  daß  man  durch  sie  für  die  folgenden  Ty- 
rannen sicheren  Boden  gewinnt.  Denn  da  Kypselus 
nach  Herodot^),   Aristoteles   und   Nicolaus  Da- 

1)  Didymus  bei  Schol.  Find.  Ol.  13,  17  (p.  269 
Boeckh) :  Jidv/uos  di  (ftjai,  tov  'Aki^Tt]y  .  . .  ßaffiXia  htt  rgia- 
xoajw  fxtra  ri)V  iwv  Jwgittay  äfi^iv  (sc.  y«yovfV«*). 

2)  Petavius,  de  doctr.  temp.  1.  IX,  c.  31. 

3)  Müller,  Dor.  I,  p.  88,  N.  1.  Brandis,  de  t.  Gr.  ant. 
rat.  p.  23. 

4)  Gutschmid  zu  Eus.  ehr.  I,  p.  221,  N.  1. 

5)  Bursian,  Jahrb.  f.  Phil.  Bd.  75,  p.  31. 

6)  Paus.  II,  4,  4. 

7)  Zehn  Könige  scheinen  auch  Ephorus  und  Aristo- 
teles gerechnet  zu  haben ;  denn  in  dem  von  ihnen  ab- 
hängigen Ps.-Heraclides  pol.  c.  5  heißt  es:  ißaciXtvat  dt 
xat  JB«xjf»?  6  TQiros-  Bei  Apollodor  ist  er  dagegen 
der  fünfte.  Doch  nimmt  Pausanias  selbst  1.  c  §  8  von 
Aletes  bis  Bacchis  fünf,  aber  ebenso  von  da  bis  zum 
Ende  der  Dynastie  fernere  fünf  Geschlechter  an. 

8)  Her.  V,  92,  6. 


333 

mascenus  ^)  30  Jahre  Tyrann  ist,  so  folgt  Perian- 
der 626.  Dieser  jedoch  regiert  nach  Th. 
Hirsch'  ^)  schöner  Emendation  40*,  2  Jahre,  also 
bis  585  ==  Ol.  48,  4.  Und  das  stimmt  genau 
mit  dem  Berichte  des  Rhodiers  Sosicrates^)  zu- 
sammen, nach  welchem  Periander  Ol.  48,  4 
stirbt*).  Darauf  folgt  Psamminit  bis  582,  und 
so  ergiebt  sich  die  Summe  von  737»  Jahren  für 
die  Dauer  der  Tyrannis  in  Korinth,  wie  sie 
Aristoteles  überliefert.  Apollodor  hat  nach  dieser 
Berechnung  sich  eng  an  den  Aristoteles,  oder 
vielmehr  dessen  wahrscheinlichen  Gewährsmann 
Ephorus,  angeschlossen.  Jedoch  wich  er  in  dem 
Ausgangsjahre  jedenfalls  von  Ephorus  ab,  da 
dieser^)  die Heraklidenwanderung  ungefähr  1091 

1)  Ärist.  pol.  VIII  (V),  12,  ISlöi»  24.  Nie.  Dam.  fr. 
58.  Aristoteles  und  Nicolaus  folgen  dem  Ephorus;  es 
zeigt  sich  besonders  in  dem  Worte  tcdonvtfogtjTog,  das 
Nicolaus  mit  Ephorus  fr.  106  gemeinsam  hat,  und  das 
zugleich  ein  anderer  von  Aristoteles  abhängiger  Autor, 
Ps.-Heraclides  pol.  c  5  gebraucht. 

2)  Hirsch  emendirt  die  bekannte  Stelle  des  Aristote- 
les pol.  VIII  (V)  12,  1315b  23.  Schon  Giphanius  korri- 
girte  40. 

3)  Sosicrat.  fr.  14  (Diog.  L.  I,  95):  ^ioatxQanis  di 
(ftjai  noöuQov  Kgoiaov  rikfvjtjoai  aviov  fitat  TfiraQäxoyja, 
xai  Ivl  riQo  r^f  uaaaQctxoOT^g  iyyärrjg  'Olvfintados.  Das 
Komma  gehört  nach  UTragtcxoyra^  wie  Petavius  1.  c.  lib. 
X,  c.  11  (p.  95}  erkannte,  was  erst  Westermann ,  V.  Sol. 
p.  81  beachtet  hat.  Petavius  selbst  aber  verfällt  in  den 
alten  Irrthum  1.  c.  c.  16  (p.  101). 

4)  NachEusebius  can.  01.30,2  (659)  regiert  Kypse- 
lus  28  Jahre.  Trotzdem  setzt  er  zu  Ol.  38,  1  (628)  Pe- 
riander. Das  Ende  der  Tyrannis  aber  ist  nach  dem  Arm. 
Ol.  48,  2  (587),  nach  Hieronymus  schon  Ol.  47,  4  (589). 
Dieses  Schwanken  des  Eusebius  war  Veranlassung,  daß 
die  Ansätze  der  Neueren  vor  der  Heilung  der  corrumpir- 
ten  aristotelischen  Stelle  keinen  sicheren  Grund  hatten; 
vgl.  besonders  K.  0.  Müller,  Dor.  I.  p.  169,  N.  2. 

5)  Ephor.  bei  Diod.  XVI,  76  rechnet  von  der  dorischen 


334 

ansetzt,  also  bis  656  im  Ganzen  c.  435,  ohne 
die  Prytanen  aber  bis  746  c.  345  Jahre,  rech- 
nete. Die  Zahl  345  ist  aber  äußerst  merkwür- 
dig, wie  sich  im  Folgenden  zeigen  dürfte. 

Am  Schlüsse  der  korinthischen  Königsliste 
giebt  Syncellus  ^)  nämlich  350  Jahre,  für  die 
gesammten  spartanischen  und  korinthischen  Kö- 
nige, obwohl  bei  beiden  die  Summe  ihrer  Re- 
gierungsjahre, wie  eben  dargethan  ist,  bei  ihm 
nur  325  ist  und  er  sogar  nur  323  in  seiner 
Weltära  verrechnet.  Noch  auffälliger  freilich 
ist,  daß  auch  Eusebius  Arm.  zu  a.  A.  1240  = 
Ol.  1,  1  Folgendes  bemerkt:  »Hucusque  Lace- 
daemoniorum  leges  dominatae  sunt  per  annos 
CCCL«.  Allein  abgesehen  davon,  daß  er  selber 
im  Canon  a.  A.  916  die  Reihe  der  spartanischen 
Könige  beginnt,  werden  ausdrücklich  in  der 
series  regum  sec.  Arm.  2)  325  Jahre  am  Ende 
der  Liste  genannt.  Was  jedoch  die  »leges«  be- 
sagen wollen,  da  man  doch  eher  »reges«  erwar- 


Wanderung  bis  zum  Falle  Perinth's  (341)  tfjftefoj/  750 
Jahre.  Im  Fr.  157  fehlt  dieser  Abschnitt.  In  der  sehr 
verderbten  Stelle  des  Clera.  AI.  ehr.  I,  p.  337^  sind 
nach  Ephorus  von  der  dor.  W.  bis  zum  Zuge  Alexanders 
d.  Gr.  nach  Asien  735  Jahre  verflossen,  wo  aber  offen- 
bar JE'  aus  NE'  entstanden  und  755  zu  lesen  ist.  Dar- 
nach wäre  das  genauere  Jahr  1089. 

1)  Sync.  p.  186^:  ol  Auxt&atfiovMv  ßaaileii  xat  oi 
KoQtp9i(oy  fwf  Tovdt  rov  ^QÖyov  dtrjQXSactv  iirj  tv .  /4t&^ 
oDf  iutavaiot  nQvtäyfie,  wg  /jer  nv*?,  int  Ala^iXav  ag- 
Xoyjos  xat  rtjs  nQvirrjg  okvfiinMos,  tog  (fe  higot,  /uiiä  ratüror, 
WS  ngöxfnat. 

2)  Eus.  ehr.  I,  app.  p.  12  :  »Anni  CCCXXV.  Lace- 
daemoniorum  regum  a  DCCCCXVI  anno  incipientes,  prima 
olompiade  desierunt«.  325  Jahre  ergiebt  die  Liste  in 
der  sories  reg.  sec-  Hieron.  ibid.  p.  26  f.  und  trotz  klei- 
ner Abweichungen  im  ;f(>ov.  avyi.  ibid.  p.  88.  Auch 
CedrenuB  I,  p.  215,  23  hat  325. 


335 

tet  hätte,  ist  zunächst  unverständlich.  Die  größte 
Verwirrung  haben  aber  die  Exe.  lat.  barb. '),  die 
im  Anfang  mit  dürren  Worten  bemerken,  daß 
die  spartanischen  Könige  325  Jahre  regiert  ha- 
ben, und  zwar  bis  Ol.  1,  1,  um  damit  zu  schlie- 
ßen, daß  sie  350  geherrscht  haben.  Zuvor  ge- 
ben sie  noch  dem  Alcamenes  27  statt  37  Jahre, 
nnd  nennen  einen  ganz  unbekannten  König  Au- 
tomedus  mit  25  Jahren.  Ihre  wirkliche  Summe 
aber  ist  bis  Alcamenes  345  Jahre,  und  wenn 
man  Automedus  hinzurechnet,  gar  370  Jahre, 
und  nicht  350.  Brandis  *)  meint  zwar,  nach  der 
Rechnung  des  Apollodor  kämen  bis  zum  Tode 
des  Alcamenes  350  Jahre  heraus.  Indessen  hat 
er  dabei  die  verdorbene  Liste  im  Auge  und  dann 
konnte  er  erst  dadurch  die  Zahl  erhalten,  wenn 
er  dem  Alcamenes  32  statt  37  Jahre  gab. 
Allein  es  verrathen  die  Schlußnoten  der  Exe,  bis 
zu  welchem  Zeitabschnitte  eigentlich  gerechnet 
ist.  Denn  »et  Lacedaemoniorum  regnum  dissi- 
patum  est«  kann  nur  bedeuten,  daß  damals  die 
königliche  Macht  so  wesentlich  beschränkt  wor- 
den ist,    daß    sie    fast  aufgehört   hat.     Gemeint 


1)  Esc.  lat.  barb.  I,  app.  p.  218 :  >regnaverunt 
Lacedaemonii  per  annos  CCCXXV  et  defecerunt  in  prima 
Oljrmpiade,  qaae  facta  est  sub  Achas  regem  Jadae«.  Sie 
enden  aber:  Alcamenes  ann.  XXVII,  Automedus  ann.  XXV. 
Simul  reges  Lacedaemoniorum  permanserunt  in  regno 
annos  CCCL.  Et  Lacedaemoniorum  regnum  dissipatum 
est«.  Automer/iAs  ist  wohl  nur  mit  Automene«,  dem  letzten 
korinthischen  König,  verwechselt. 

2)  Brandis,  de  t.  Gr.  a.  rat.  p.  30.  Ebenso  wül  er 
p.  27  nach  Sosibius  fr.  2  dem  Nicander  39  statt  38  J. 
zutheilen.  Aber  Sosibius  hat  eine  ganz  andere  Rechnung. 
Nach  ihm  kommt  Nicander  überhaupt  15  Jahre  später 
auf  den  Thron  als  nach  Eratosthenes ;  ebenso  giebt  Sosi- 
bius dem  Charüaus  6i  statt  6Ö  Jahre.  Also  auch  die 
Alexandriner  weichen  von  einander  sehr  ab. 


336 

kann  damit  nur  die  Zeit  sein,  da  die  Ephorie 
entstanden  ist.  Und  in  der  That  setzen  Euse- 
bius  Arm.  sowohl  als  Hieronymus  dieselbe  Ol.  5,  4 
=  757  an.  Obwohl  Hieronymus  ^)  hier  am 
Schlüsse  die  Dauer  von  350  J.  für  das  sparta- 
nische Königthum  wiederholt,  so  ergeben  sich 
doch  nur  wiederum  345  Jahre,  welche  schon  die 
Exe.  haben  und  deren  Ursprung  sich  auf  Epho- 
rus  zurückführen  läßt.  Des  Syncellus  eigen- 
thümliche  Berechnung  der  spartanischen  und 
korinthischen  Könige  wird  aber  jetzt  erst  ver- 
ständlich. Denn  um  beide  Ol.  5,  4  aufhören 
zu  lassen,  nimmt  er  jene  Fälschungen  vor. 
Sehr  gedankenlos  verfährt  aber  Eusebius.  Denn 
obwohl  auch  er^)  den  Beginn  der  Ephorie 
Ol.  5,  4  festsetzt,  so  giebt  er  schon  Ol.  1,  1 
für  die  Dauer  der  spartauischen  Könige  350 
Jahre  an;  Hieronymus  korrigirt  ihn  wenigstens 
insofern,  als  er  die  350  Jahre  erst  unter  Ol.  5,  4 
vermerkt. 

Es  liegt  nun  nahe  anzunehmen,  daß  sowohl 
Syncellus  als  Eusebius  in  einer  und  derselben 
Quelle  vorgefunden  haben,  daß  in  demselben 
Jahr,  in  welchem  die  Ephorie  begann,  die  Ein- 
führung der  jährlichen  Prytanen  in  Korinth 
statthatte.  Nun  hat  zwar  die  Gleichzeitigkeit 
zweier  ähnlichen  Ereignisse  in  zwei  verschiede- 
nen Staaten  etwas  Unglaubliches,  zumal  Ge- 
schichtschreiber   wie  Herodot   und  Xenophon  3) 

1)  Hieron,  zu  Ol.  5,  4:  »In  Lacedaemone  priraua 
eqioQos^  quod  magistratus  nomen  est,  constituitur.  Fuit 
autem  sub  regibus  Lacedaemon  annis  CCCL«.  Demnach 
hat  der  armenische  Uebersetzer  des  Eusebius  reges  mit 
leges  verwechselt. 

2)  Euseb.  Arm.  zu  Ol.  5,  4:  »primus  in  Lacedmone 
ephorus  constitutus  est«.  Bei  diesem  ist  a.  A.  1259,  bei 
Hieronymus  1260. 

3)  Herod.   I,  65,   Xenoph.  de  rep.  Lac.  8,  8.     Die 


337 

den  Ursprung  der  Ephorie  der  Heraklidenzeit 
zuschreiben.  Doch  fjilt  es  hier  ja  nicht  zu  unter- 
suchen, ob  beide  Neuerungen  wirklich  damals 
eingetreten  sind,  sondern  es  kann  hier  nur  dar- 
auf ankommen,  nachzuforschen,  wer  die  große 
Verwirrung  der  Späteren  hervorgerufen  hat. 
Durch  Syncellus  jedoch  ist  es  möglich,  eineu  Ein- 
blick in  die  Werkstätte  zu  thun.  Da  er  näm- 
lich mit  absichtlichem  Irrthum  Eurystheus  und 
Aletes  zwar  1079  ansetzt,  bis  752  indessen  325 
Jahre  verrechnet,  so  mußte  er  bei  Hinzuzählen 
von  ferneren  25  Jahren,  welche  die  Differenz 
zwischen  325  und  350  ausmachen,  auf  1103 
kommen ;  was  die  Zahl  des  Apollodor,  aber  auch 
des  Africanus  ^),  für  die  dorische  Wanderung  ist. 
Nun  bemerkt  Carl  Müller  *)  richtig,  daß  Eusebius, 
Syncellus,  sowie  die  Exe.  lat.  barb.  häufig  An- 
merkungen aus  einem  anderen  Chronologen,  ge- 
wöhnlich aus  Africanus,  gedankenlos  übernom- 
men haben.  Da  die  Exe.  lat.  barb.  aber  in  der 
That,  wie  sich  ergeben  hat,  in  diesem  Falle  aus 
Africanus  abgeleitet  sind,  so  hat  dieser  die  350 
Jahre  auf  dem  Gewissen. 

Nach  der  verbesserten  Liste  des  Apollodor 
jedoch  würden  bis  zum  Tode  des  Alcamenes  355 
Jahre  verstrichen  sein.  Allein  es  scheint  mit 
den  vorhandenen  Mitteln  festzustellen  unmöglich, 
wann  Apollodor  die  ersten  Ephoren  angesetzt 
hat.  Dieser  Umstand  hindert  aber,  in  das  Ge- 
triebe dieser  Zahlenmacherei  weiter  einzudringen. 
Doch    genügt,    wenn    der    vorliegende    Versuch 

Hanptvertreter  der  anderen  Ansicht  sind  Plato  \egg.  III, 
p.  692A  und  Aristoteles  pol.  Vm  (V).  11,  1313a  26. 

1)  Boeckh,  Manetho  p.  184  hat  darg'ethan,  daß  Afri- 
canus Troja'sFall  118*/s  setzte.  Somit  ßUt  bei  ihm  die 
dorische  Wanderung  auch  wie  bei  Apollodor  llOVs- 

2)  Müller,  ii.  chron.  p.  134. 

32 


338 

überzeugen  sollte,  das  gewonnene  Resultat  hin- 
länglich, um  die  Werthlosigkeit  der  spartani- 
schen Königsliste  darzuthun,  einer  Liste,  welche 
den  Alexandrinern  zur  Grundlage  ihres  ganzen 
chronologischen  Aufrisses  gedient  hat. 


Universität. 

Promotionen  der  medicinischen  Factiltät 
1.  Juli  1875  bis  Mai  1877. 

5.  Aug.  75.    Jesus  V  a  1 V  e  r  d  e  aus  Costarica. 
13. Sept.   Jul.  Degenhardt  aus  Bermtrode. 

—  Aug.  Kropf  aus  Nordhausen. 

23.  Dec.    Ludw.  Lotze  aus  Göttingen. 
11.  März  76.     Fr.  Picht   aus  Salzhemmen- 
dorf. 

23.  März.     Gerh.  Borchers  aus  Etzel. 
25.  März.     Ernst  Aug.  N  i  e  m  a  n  n  aus  Blan- 

kenburg. 

25.   März.      Carl   Heinr.    Just.    Stein    aus 
Görriugen. 

24.  April.    Rud.  Lüning  aus  Hornebung. 

—  Herrn.  H  e  m  p  e  1    aus   Hermuth- 
sachsen. 

10.  Juni.  Adolf  Hesse  aus  LemfÖrde. 

24.  Juni.  Heinr.  Schweninger  aus  Nien- 
burg. 

29.  Juni.  Friedr.  Laupus  aus  Coblenz. 

22.  Juli.  Carl  Riehn  aus  Estebrügge. 

—  Friedr.  Mügge  aus  Harsefeld. 

5.  Aug.     Wilh.   Ritterbusch  aus   Klein- 
Flöthe. 

5.  Aug.     Otto  Wachsmuth  aus  Uelzen. 


339 

30.  Sept.  Oscar  Beermann  ans  Dammen- 
dorf. 

12.  Oct.  Wil.  Rusack  aus  Meine. 

11.  Nov.  Martin  Beerlein  ans  Rotenburg. 

17.  Oct.  Hermann  Hesse  aus  Lemförde. 

—  Hermann     Heller     aus    Braun- 
schweig. 

9.  Dec.     Alfred  Weber  aus  Hannover. 

—  Heinr.  Stilling  aus  Cassel. 

30.  Dec.    Rudolf  Lubrechtaus  Sonderburg. 

—  Carl  Assmus  aus  Rotenburg. 

31.  Jan.  77.   Wilh.  Schorse  ausMilwaukee. 
3.  März.     Adolf  Schreiber  aus  Göttingen. 

—  Wilh.  Buchholz    aus  Hannover. 
7.  Febr.    Ehme  Ankes  aus  Jowa. 

—  Emil  Günther  aus  Valdivia. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Transactions  of  the   Zoological  Soc.  of  London.     Vol.  IX. 

P.  10.     1877.     4. 
Atti  della    R.  Äccademia    dei    LinceL     Anno  CCLXXII. 

1876—77.    Serie  terza  Transunti.    Vol.  I.    Faso.  3-4. 

Roma.  1877.     4. 
H.  V.  Schlagintweit-Sakünlünski,  Bericht  über  An- 
lage   des  Herbariums   während  der  Reisen.    München. 

1876.     4. 
Annnal  Report   of  the  Board    of  Regents  of  the  Smith- 

sonian    Institution.    For    the   year  1875.     "Washington. 
Bericht    der   Handels-  u.  Gewerbekammer  in  Bada  -  Pest 

im  Jahre  1875. 
Periödico    zoologico.    Organo   de  la  Sociedad    entomolo- 

gica  Argentina.    Tomo  I.    Entrega  primera.    4.     T.  II. 

Entrega  1—2.    Buenos  Aires  1874-  75. 
Acta  Universitatis  Lundensis.    Tom.  X.     1873.    Mathem. 


340 

och  Naturvetenshab.  T.  X.  1873.    Philosophie,  Sprach- 

wisseDsch.   u.  Geschichte.  —  T.  XI.  1874.  Mathematik 

u.  Naturwiss.    T.  XL    1874.    Theologie.     T.  XI.  1874. 

Philosophie,    Sprachwissensch.    u.    Geschichte.     Lund. 

1873—75.    4. 
Lunds  Universitäts-BibliotheksAccessions-Katalog.  1874.75 
Zeitschrift    der   deutsch  morgenländisch.   Gesellsch.    Bd. 

30.     H.  4.     1876. 
G,  S  a  1  m  0  n ,   lessons  introductory  to  the  modern  higher 

Algebra.    3  Edit.  Dublin.  1876. 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sc.  de  St.  Petersbourg.    T. 

XXIII.    No.  2.    4. 
—  of  the  Buffalo   Sog.   of   nat.  Science.    Vol.  III.    No. 

3.     1876. 
Proceedings  of  the  Davenport  Academy.    Nat.  Sciences. 

Vol.  I.     1767-76. 
Annales   of  the  Lyceum  of  natural  history  of  New- York. 

Vol.  X.  No.  5-6.   1875.    No.  12—14.  1874.   Vol.  XI. 

No.  1—4.  7-8.  1874-76. 
Proceedings  of  the  Lyceum  of  nat.  history  in  the  city  of 

New -York.  Second  series.  März— Juni  1873.    Januar — 

Juni  1874. 
Charter,    Constitution  and  By-Laws  of  the  New« York 

Acad.  of  Sciences.  1876. 
A.  Mayer,   Geschichte  des  Princips  d.  kleinsten  Action. 

Leipzig.  1877. 
R.  Schwarze,    die   alten    Druck-   u.   Handschriften  der 

Bibliothek  des   K.    Frieder.    Gymnasiums  z,   Frankfrt. 

a.  0.     1877.    4. 
Sitzungsberichte  der  naturf.  Gesellsch.  zu  Leipzig.  Jahrg. 

1874-1876.     No.  1.  von.  1877. 
S.  Newcomb,    Investigation   of  corection    to   Hansen 's 

Tables  of  the  Moon ,    with  tables  for  their  application. 

Washington.  1876.     4. 
J.  R.  Eastman,    Report  of  the  difference  of  longitude 

between  Washington     and  Oyden ,  Utah.   Washington. 

1876.    4. 
C.  G.  Giebel,  Zeitschrift   für  d.  gesammten  Naturwiss. 

1876.  Bd.  Xm.  XIV. 
Der    Zoologische     Garten.      Jahrg.  XVII.      No.   7—12. 

Frkfrt.  a.  M.  1876. 
Beilage    zum   Anzeiger    f.   Kunst,  d.   deutschen    Vorzeit. 

No.  8.     1877. 

(Fortsetzung  folgt.) 


341 


iVachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


4.  Juli.  M  15.  1877. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  2.  Juni. 

Benfey,  Svdvas  und  Scdtavat. 

Riecke,  Demonstration  eines  nach  einem  neaen 
Principe  construirten  Tangentenmultiplicators. 

Hoppe,  Beobachtungen  über  den  galvanischen  Wi- 
derstand der  Flammen.    (Vorgelegt  von  Riecke). 

Trieb  er,  Die  spartanische  und  korinthische  Königs- 
liste.   (Vorgelegt  von  Sauppe). 

svdvas  (zu  lesen  suävas)   und  svdtavas. 

Von 

Theodor  Benfey. 

§.  1. 
lu   der  Samhitä    des  Rigveda  VI.  47,  12  = 
VS.  XX.  51  =  TS.  I.  7.  13.  4  erscheint: 
indrah  sutramä  svdvä^  ävobhih, 
zu  lesen  st«k««; 
ferner    Rv.  VI.  47,   13  =  VS.  XX.  52  =  TS. 
I.  7.  13.  4 

sä  suträ'mä  svdvuy«  indro  asme 
ebenfalls  Siidvd>ii  zu  lesen; 
weiter  Rv.  III.  54,  12 

sukrit  supänih  svdvä<si  rita'vä 
ebenfalls  s^iävd^  z.  1.; 
dann  Rv.  VI.  68,  5 

sa  it  sudä'nuh  svdvo/a;  rita'vä 

33 


342 

auch  suävd'£>  z.  1.; 
später  Rv.  X.  92,  9 

yebhih  9iväh  svdvä<a>  evayä'vabhir 

wiederum  suäväi»,  z.  1.; 
endlich  Rv.  I.  35,  10  (=  VS.  XXXIV.  26) 
sumrilikäh  sväväw  yätv  arvän 

auch  hier  ist  sudvä^  und  yätu  z.  1.; 
in  der  VS.  fehlt  in  suävä  die  Nasalirung  des  ä. 
Derselbe  Stollen   kehrt   ganz   eben    so   lautend 
Rv.  I.  118,  1  wieder. 

§.2. 

In  allen  diesen  Stellen  wird  svdvä^  in  den 
uns  bekannten  Commentaren  —  denen  des  Sä- 
yana  und  Mahidhara  —  von  svdvant  (etymolo- 
gisch mit  'eigenem  (Eigenthum)  versehen'  = 
dhanavant,  'Reich thum  habend',  vgl.  Säy.  zu 
Rv.  I.  35,  10;  118,  1;  VI.  68,  5;  Mahidh.  zu 
VS.  XX.  52;  XXXIV,  26;  =  jndtimant  'Ange- 
hörige habend'  Säy.  zu  Rv.  X.  92,  9)  abgelei- 
tet und  als  Vertreter  von  svdvdn  betrachtet, 
wie  dessen  regelrechter  Nominativ  Singularis 
Msc.  lautet.  So  faßt  es  auch  Madhidhara  im 
Commentar  zu  VS.  XXXIV,  26,  trotz  dem,  daß 
hier  das  v»  in  der  Samhitä  fehlt.  Den  Mangel 
desselben  erklärt  er  auf  künstliche  Weise  ver- 
mittelst, keinesweges  zu  rechtfertigender,  Be- 
nutzung von  Pänini  VIII.  3,  17;  22.  Doch 
wäre  es  unnütz  uns  dabei  aufzuhalten ;  viel  auf- 
fallender ist,  daß  er  sich  nicht  einfach  auf  das 
Vä,jasaneyi-Präti9äkhya  III.  135  beruft,  wo  die 
Einbuße  des  Nasals  in  diesem  Worte  (welches 
auch  da  als  Vertreter  von  grammatischem  svdvdn 
aufgefaßt  wird)  an  der  angeführten  Stelle  ohne 
weiteres  als  Regel  aufgestellt  ist.  Ueberhaupt 
werden  die  Präti^äkhya's  in  den  Commentaren 
—  wie  ich  glaube,    denij  ich   habe  jetzt  keine 


343 

Zeit,  sie  zur  genauen  Verification  durchzugehen  — 
fast,  oder  ganz  und  gar  nicht  berücksichtigt. 

Dieselbe  Autfassung  wie  die  Commentare 
hat  auch  der  Pada-Text,  welcher  stets  svä-vdn 
(föf^öh^)  schreibt;  vgl.  Rigveda  a.  d.  aa.  Oo.  und 
TS.  I.Y  13.  4;  den  Pada  der  VS.  kenne  ich 
nicht ;  doch  wird  er  unzweifelhaft  eben  so  haben. 
Ganz  ebenso  haben  es  auch  die  Präti9akhya's 
aufgefaßt,  wie  daraus  folgt,  daß  sie  in  Bezug 
auf  die  Erscheinung  des  «  vor  Vocalen  keine 
besondre  Regel  geben;  sie  fällt  nach  ihnen  eben 
unter  die  allgemeiue  über  Umwandlung  von  aus- 
lautendem grammatischen  an  vor  Vocalen  (RPr. 
284;  299;  YPr.  UI.  141;  TPr.  IX.  20  vgl.  Wh. 
zu  III.  9).  Nur  das  y»  vor  y  wird  RPr.  287 
besonders  geregelt,  gerade  wie  die  angenommene 
Einbuße  desselben  in  der  VS.  in  dem  VPräti9. 
m.  135. 

§.3. 

Dieser  Erklärung  von  svdvä\x,  aus  dem  Thema 
svävant ,  steht  die  unzweifelhaft  richtige  gegen- 
über, welche  die  indische  Grammatik  aufsteHt, 
siehe  Päniui  VU.  1 ,  83  und  vgl.  Patanjali  zu 
Pän.  VII.  4,  48  in  der  Benares  Ausg.  Vte  Ab- 
thlg  p.  132,  b  und  die  Nota  zu  Pän.  VII.  4,  48 
in  Böhtl.  Ausg.  desselben  (II.  p.  346).  Hier 
wird  svctvän^  wie,  dem  Pada-Texte  gemäß,  statt 
svävd^  der  Samhitä  geschrieben  ist,  vom  Thema 
svdvas  abgeleitet,  von  welchem  sich  noch  meh- 
rere unzweifelhaft  dazu  gehörige  Casus  in  den 
Veden  finden. 

So  der  Acc.  sing,  svävasam  Rv.  V.  8,  2; 
60,  1  (=  Ath.  VII,  50,  3,  wo  aber  V.  L.  svä'- 
vasuni);  Rv.  X.  47,  2;  ferner  Nom.  Du.  svä- 
vasä  Rv.  I.  93,  7  =  TS.  IL  3.  14.  3;  endlich 
Nom.  Plur.  svävasas  Rv.  IV.  33,  8;  VI.  51,  11. 

33* 


3^4 

Für  uns  ist  die  Richtigkeit  dieser  Auffassung 
schon  dadurch  erwiesen,  daß  sva^  sein,  eigen, 
welches  bei  der  Erklärung  aus  svdvant  zu 
Grunde  lag,  obgleich  es,  wenn  unzusammenge- 
setzt,  neben  svd^  noch  mehrfach  sud  zu  lesen 
ist,  doch  in  den  mehrsilbigen  Formen  vorwal- 
tend und  in  der  Zusammensetzung  durchweg 
—  ohne  jede  Ausnahme  —  sva  zu  lesen  ist,  wäh- 
rend svävä^  sowohl,  als  die  eben  erwähnten  ent- 
schiedenen Formen  von  svävaSj  durchweg  sudvas 
zu  lesen  sind.  So  ist  svdvä^  der  Nominativ  der 
Zusammensetzung  su-dvas,  'hülfreich',  wie  dieses 
für  die  in  diesem  §.  aufgeführten  Casus  auch  die 
Vedenerklärer  annehmen.  Dadurch  erhält  die 
Richtigkeit  der  grammatischen  Auffassung  noch 
eine,  jedoch  unnöthige,  Unterstützung  in  der 
Rv.  VI.  47,  12  (s.  §.  1)  erscheinenden  Verbin- 
dung sudvä^  dvobJiih  'hülfreich  mit  Hülfen' ;  denn 
Verbindungen  dieser  Art  sind  in  den  Veden 
beliebt  (vgl.  z.  B.  Rv.  X.  10,  1  ö  dt  soMiäya^ 
sakhya  vavvityäm^  Rv.  VI.  6,  6  vanushydn  va- 
misho  u.  aa.);  anderes  vgl.  man  bei  Aufrecht 
in  ZDMG.  XIII.  p.  500. 

§.  4. 
Ehe  wir  weiter  schreiten,  möge  es  mir  ver- 
stattet sein,  die  Aufmerksamkeit  einen  Augen- 
blick auf  die  Erscheinung  zu  ziehen,  daß  hier 
nicht  bloß  Säyana,  sondern  auch  Maliidhara, 
beide  aufs  genauste  mit  Pänini  bekannt,  also 
unzweifelhaft  auch  mit  dessen  Auffassung  von 
svdvdn^  auch  nicht  die  geringste  Notiz  davon 
nehmen,  während  in  dem  ähnlichen  Fall,  prd 
nah,  welcher  'Vedica  und  Verwandtes'  S.  98  ff. 
besprochen  ist,  Mahidhara  nur  die  Auffassung 
in  Pänini's  Grammatik  berücksichtigt,  in  Säya- 
9a's  Commentar  sich  wenigstens  ein  Schwanken 


345 

zwischen  dieser  und  der  des  Pada-Text€s   zeigt. 
Der  Grund  wird  daher  schwerlich  in  dem  Pada- 
Text  allein  liegen,  welcher,  wie  er  in  der  älteren 
Zeit   überhaupt  keine  ausschließliche    Autorität 
besaß  (vgl.  ebds.  92;  97;  98),  so  auch,  wohl  bei 
den  älteren  Erklärern  des   Veda  —  deren  Ar- 
beiten  —   ursprünglich    mündlich    und    später 
schriftlich    überliefert  —    das  Material   zu   den 
erwähnten   späten    Commentaren   gewährten  — 
noch  nicht  für  infallibel  gelten  mochten.     Viel- 
mehr  scheint  hier    eine  heiligere  Autorität  von 
der  Anerkennung  der  richtigeren  grammatischen 
Auffassung    von    svcuä^    abgehalten    zu    haben. 
Wir    finden     nämlich    in    der    Taittiriya    Sam- 
hita  m.  1.  2.  3    yo  vä    adhvaryöh.    svdm   vcda 
svävdn  evd  bhavati  'Wer  des  adhvaryü  (Opfer- 
priesters) Eigenthum  kennt,  der  eben  ist  svdvdn'. 
Augenscheinlich  ist  dieses  —  wie  —  abgesehen 
von  den  andern  theologischen  Schriften  der  In- 
der —  in  den  Brähmana's  so  oft  —    und  deren 
Character  herrscht  unverkennbar  in  vielen  Thei- 
len    der  TS.  —  eine    etymologische   Erklärung 
des  so    oft   im  Rv.    vorkommenden  svdvd<»  und 
eben  dieselbe,  welche  auch  bei  Säyana  und  Ma- 
hidhara  erscheint.    Höchst  wahrscheinlich  wagte 
weder  der  eine  noch  der  andere,  vielleicht  trotz 
besseren  Wissens,    von    der   Autorität   eines   so 
hoch  gehaltenen,  am  meisten  benutzten  und  dem- 
gemäß  bekannten   Veda    abzuweichen.       Es   ist 
dieß   zwar   nicht    wissenschaftlich  aber  mensch- 
lich und  derartige  ehrenwerthe  menschliche  In- 
stincte  hat  die  Wissenschaft  zu    achten ,    wenn 
sie  sich  auch  nicht  durch  sie  fesseln  lassen  darf. 
Da  dasselbe  Motiv  vielleicht    auch   bei  anderen 
unwissenschaftlichen    Auffassungen    zu    Grunde 
liegen    möchte,    werde   ich  es  vermeiden  in  Zu- 
kunft so  herbe  über  Säyana  zu   urtheilen,    wie 


346 

ich  bis  jetzt  gethan;  wenigstens  werde  ich  stets 
zu  erforschen  suchen,  worauf  sie  beruhen  mögen. 

§.5. 

Es  entsteht  aber  nun  die  Frage:  wie  ist  die 
Formsväväw,  oder  vielmehr  s^mmw  zu  erklären? 
Wäre  es  unabweisbar  noth wendig  sie  mit  dem 
Pada-Texte,  den  Präti9äkhya's  und  Pänini  als 
phonetischen  —  nach  der  bekannten  Regel  über 
Umwandlung  von  an  vor  anlautenden  Vocalen 
in  den  Veden  entstandenen  —  Vertreter  von 
grammatischem  svdvän  (suävän)  zu  betrachten, 
also  einen  Nom.  sing.  msc.  svdvän  für  das  Thema 
sudvas  aufzustellen,  dann  würde  man  sich  in 
der  That  auch  genöthigt  sehen,  seine  Zuflucht 
zu  der  Erklärung  zu  nehmen,  welche  Böhtlingk 
zu  Pän.  VII.  4,  48  und  Aufrecht  in  der  Zeit- 
schrift der  DMGr.  XIII.  501  vorgeschlagen  ha- 
ben. Nach  dieser  wäre  in  dieser  Form  eine 
Spur  der  Entstehung  der  Themen  auf  as  aus 
Themen  auf  ant  bewahrt. 

Da  auch  ich  stets  der  üeberzeugung  war 
und  noch  bin,  daß  die  primären  Themen  auf  «5 
ursprünglich  aus  solchen  auf  aw^  hervorgegangen 
sind,  so  würde  ich,  wenn  ich  die  Erklärung  von 
Böhtlingk  und  Aufrecht  für  svdva^s/  anzunehmen 
im  Stande  wäre ,  sagen  müssen ,  daß  der  ur- 
sprüngliche Nom.  sing.  msc.  sii-avant-s,  vermit- 
telst su-avans,  anstatt  der  Regel  gemäß,  im 
Sanskrit  zu  su-aväs  zu  werden,  zu  su-avdn  ge- 
worden wäre.  Allein  gegen  diese  Auffassung 
lassen  sich  so  viele  Gründe  geltend  machen, 
daß  sie  kaum  in  Betracht  zu  kommen  berech- 
tigt ist.  Ich  erlaube  mir  nur  folgende  anzu- 
führen. 1)  Diese  Casusform  stände  in  diesem 
und  dem  §.19  zu  erörternden  und  von  mir 
ebenfalls   anders    aufgefaßten    Fall    der   großen 


347 

Menge  der  regelmäßigen  Nominat.  auf  äs  so  gnt 
wie  ganz  vereinzelt  gegenüber.     2)  Wenn  er  aus 
-aiant-s  entstanden  wäre,  hätte  er  der  Analogie 
der    so  entstandenen   Nominative   gemäß  -avän 
mit  kurzem  o   lauten  müssen.      Denn  die  Deh- 
nung  des  «    findet    bekanntlich  nur  in  Themen 
statt,  in  denen  das  Afi'ix  mit  r,  oder  wi,  oder  y 
anlautet ,  was   hier  nicht  der  Fall  ist ,  da  das  v 
zum  radicalen  Element  gehört  und  das  Suff,  nur 
ant  gelautet  haben  würde.      3)  Es   ist  kaum  zu 
bezweifeln,    daß    der  Uebergang    von  atit  in  as 
in   den    hieher  gehörigen  Themen  schon  in  der 
Grundsprache  stattfand  und  zur  Zeit  der  Sprach- 
trennung längst  vollendet  war ;  dies  ergiebt  sich 
theils    aus   der    nicht   unbeträchtlichen    Anzahl 
von  übereinstimmenden  Wörtern   auf  as   in  den 
besonderteu  Sprachen,  wie  z.  B.  grundsprachlich 
angas  =  lat.  augus  =  griech.  at^fg  =  sskr.  ojcis 
(vgl.    Fick,    Indog.   Wtbch.  P,  31),    theils   aus 
dem  Mangel  von  Beispielen,  in  denen  beide  For- 
men des  Themas  sich  im  Declinationsystem  ergän- 
zen  oder    in    völlig  gleicher   Bedeutung   neben 
einander  bestehen  —  wie  das  z.  B.    im  Sankrit 
noch    häufig    und    auch    in    den    noch   später 
fixirten    Sprachen     nicht    ganz    selten   bei   den 
erst   später    von    einander    getrennten    Themen 
auf  einerseits  ttiant,  vanf,   und  andrerseits  tnan, 
tan  der  Fall  ist.     4)  Ist  es  aus  diesen  Gründen 
kaum    auch   nur  denkbar,    daß    sich    eine  Spur 
eines   einstigen   avatit    statt    des    späteren    avas 
gerade   in  einem   Compositum    erhalten    haben 
sollte,  zumal  da  die  Composita  doch  sicher  nicht 
zu   den    ältesten  Schöpfungen   des  Indogermani- 
schen gehören.    Ich  könnte  noch  andre  Momente 
hinzufügen,    allein  ich    glaube    die  angeführten 
genügen ,    um  wenn  auch  nicht  die  völlige  Ün- 
zulässigkeit  dieser  Erklärung  zu  erweisen,  doch 


348 

wenigstens  zu  zeigen,  daß  sie  äußerst  zweifelhaft 
ist,  und  dem  gemäß  unzweifelhat  die  Berechti- 
gung gewährt,  uns  nach  einer  andern  umzusehen. 

§.  6. 

Ich  glaube,  daß  wohl  Jeder,  welcher  sich 
mit  den  Veden  und  den  neueren  auf  sie  bezüg- 
lichen Arbeiten  beschäftigt  hat,  jetzt  überzeugt 
ist,  daß  nicht  —  wozu  die  Indische  Auffassung 
leicht  verführen  könnte  —  der  Samhitä-Text 
aus  dem  Pada-Text  entstanden  ist,  sondern  um- 
gekehrt der  letztere  aus  dem  erstem.  Nur  die 
Samhitä  war  überliefert  und  der  Pada-Text 
ist  ein  —  trotz  aller  seiner  Mängel  —  nicht 
genug  zu  bewundernder  und  zu  preisender  Ver- 
such den  der  Samhitä  dem  grammatischen 
Verständuiß  zu  erschließen.  Daraus  folgt,  daß 
der  Pada-Text  auch  nur  als  ein  derartiges 
Hülfsmittel  benutzt  werden  darf  und  jede  weiter 
greifende  Autorität  ihm  abzusprechen  ist. 

In  unserm  Fall  entsteht  also  die  Frage: 
haben  die  Verfertiger  des  Pada-Textes  das  in 
dem  Samhitä-Text  erscheinende  svdva^s)  mit  Recht 
in  svävän  verwandelt  oder  nicht? 

Daß  sich  die  Pada- Verfertiger  bei  der  Lö- 
sung ihrer  Aufgabe,  —  deren  große  Schwierig- 
keit, je  näher  wir  die  Veden  kennen  lernen, 
desto  mehr  hervortritt  —  überaus  häufig  geirrt 
haben,  ist  schon  in  manchen  einzelnen  Fällen 
nachgewiesen  und  wird  in  einem  der  folgenden 
Theile  der  'Einleitung  in  die  Grammatik  der  vedi- 
schen  Sprache'  genauer  erörtert  werden.  Es  liegt 
demnach  die  Möglichkeit  vor,  daß  sie  sich  auch  in 
diesem  Fall  über  den  Werth  des  v»  geirrt  haben. 

§.  7. 
Es   ist  von  mir  schon  mehrfach  nachgewie- 


349 

sen  ^),  daß  der  Visarga  nicht  selten  —  ja,  wie 
sich  in  der  Abhandlung  über  den  Visarga  erge- 
ben wird,  sehr  häufig  —  im  Veda  spurlos  ein- 
gebüßt ward,  was  bekanntlich  auch  sowohl  im 
Päli  (vgl.  z.  B.  aggi  statt  sskr.  agnih,  hJtikkhu 
statt  sskr.  IhiJcshuh)  als  Präkrit  (z.  B.  aggi  = 
sskr.  agnih,  handhü  =  sskr.  handhuh^  wo  jedoch 
die  Dehnung  die  einstige  Existenz  desselben 
andeutet)  der  Fall  ist. 

Diese  Einbuße  des  Visarga  für  das  ursprüng- 
lich auslautende  s  ist  gerade  im  Nominativ 
sing.  msc.  von  Themen  auf  as  in  drei  Fällen 
auch  von  den  Sanskrit-Grammatikern  anerkannt  *), 
nämlich  in  Ugänä^  statt  Uf/nuih  für  ügänäs, 
anefid'  für  anehä's,  und  puritdam^ä  (vedisch 
Them.  purttdd^as)  statt  purndamgds  von  den 
Themen  ü^dyias,  anehds,  pttrudam^as. 

Von  den  beiden  ersten  sind  diese  Nominativ- 
formen belegt,   von  dem  dritten  bis  jetzt  nicht. 

Nach  dieser  Analogie  dürfen  wir  vermuthen, 
daß  diese  Einbuße,  welche  ja  in  allen  in  §.  1 
aufgeführten  Fällen  in  sudvcih  der  Regel  gemäß 
eintreten  mußte,  im  Sprachbewußtsein,  wie  in 
V^änd  u.  s.  w.  ganz  vergessen  werden  konnte, 
so  daß  es  statt  sudvdh.  (für  sudvds)  bloß  sudvä 
zu  sein  scheinen  konnte. 

Man  konnte  auf  den  ersten  Anblick  sich 
berechtigt  halten,  für  diese  Vermuthung  eine 
Bestätigung  in  dem  Mangel  des  «/  vor  y  in  VS. 
XXXIV,  26  (vgl.  §.  1)  zu  erblicken ;  allein  diese 
Berechtigung  wird  dadurch  zweifelhaft,    daß    in 

1)  vgl.  z.  B.  'Quantitätsverschiedenheiten  in  den 
Samhitä-  und  Pada-Texten  u.  s.  w.'  in  den  Abhdlgen  der 
k.  Ges.  d.  Wissenschaften  XIX.  246  ff. 

2)  Pänini  VII.  1 ,  94 ,  wozu  keine  Erläuterung  im 
MahäBhäshya;  vgl.  meine  'Vollständige  Grammatik  der 
Sanskritaprache'  §.  718,  S.  294. 


350 

der  VS.  XIX,  2  (=  Rv.  IX.  107,  1  =  Sv.  I. 
6.  1.  3.  2)  vor  y  auch  das  w  fehlt,  welches  im 
Rv.  und  Sv.  wirklich  für  ursprüngliches  n  ein- 
getreten ist,  nämlich  in  dadhanva  yö,  wo  Rv. 
und  Sv.  dadhanva''^/  yö  lesen  und  die  gramma- 
tische Form  in  der  That  dadhanvan  ist. 

§.  8. 
Wir  wissen  nun  auch,  daß  in  der  Wortver- 
bindung (Sandhi)  im  Rigveda,  wie  im  Päli  und 
Präkrit  ^),  zur  Vermeidung  des  Hiatus  und  zwar 
zunächst  bei  langem  ä  vor  einem  folgenden  Vocal 
ein  Nasal  und  gerade  w  hinzutritt ,  oder  genauer 
das  d  davor  nasalirt  wird. 

Diese    Nasalirung    findet    zunächst   statt   im 
Auslaut  der  Wörter  Jcada,  mäta,  yä\   vidhartä', 
vipanya  und  vibhvd,   sobald  das  folgende  Wort 
mit  dem  Yocal  vi  anlautet  *). 
So  Rv.  V.  3,"  9 

Agne  kadä'w  ritacid  yätayäse  '). 

Rv.  V.  45,  6    ' 

.  äpa  yä'  mätä'.»  rinuta  vrajam  goh. 
Rv.   V.  30,  14,    am  Ende    des   vorderen 
Stollens  in  einem  Halbvers,  in 
aucchat  sä'  rä'tri  päritakmyä  yä'«» 
rinaricaye. 
Rv.  li.  28,  4  am  Ende  des  vorderen  Stollens 
pra  sim  ädityö  asrijad  vidhartä'w 
ritam. 
Rv.  IV.  1,  12  ebenfalls  am  Ende  des  vor- 
deren Stollens 

1)  vgl.  E.  Kuhn,  Beiträge  zur  Päli-Grammatik,  S.  63 
und  E.  Müller,  Jainapräkrit,  S.  37. 

2)  Rig  PrätiQ.  168  und  171. 

3)  In  der  kleinen  M.  Müller'schen  Ausgabe  fehlt 
das  v»  auf  diesem  kadä'  und  findet  eich  irrig  auf  dem 
des  3ten  Stollens ;  in  der  großen  fehlt  es  überhaupt, 


351 

pra  9ärdha  ärta  prathamäm  vipanyä»  *) 
ritäsya. 
^  Rv.  iV.  33,  3 
te  väjo  vibhvä*»  ribhür  indravanto. 

Rv.  yil.  48,  's 
indro  vfbhvä«-  ribhukshä'  vä'jo  arydh. 
Nach  diesen  Analogien  erklären  sich  zunächst 
die^  beiden  Fälle,  Rv.  Ul.  54,  12;  VI.  68,  5 
s.  §.  1),  in  denen  auf  das  auslautende  a*»  eben- 
falls ri  folgt.  Wie  ]:ada  vor  ri°  in  Rv.  V.  3,  9 
zu  Jcadä'^  ward,  ganz  ebenso  ward  stuivä  (für 
stiaväh.  mit  spurloser  Einbuße  des  h)  vor  ri*  zu 

§.  9. 

Diese  Fälle,  in  denen  ä  vor  anlautendem  ri 
nasalirt  wird,  zeigen  recht  deutlich,  daß  die 
Nasalirung  nur,  gerade  wie  ))i  im  Päli*),  zur 
Vermeidung  des  Hiatus  eintrat. 

Die  Samhita  des  Rv.  nämlich  verkürzt  be- 
kanntlich, der  Regel  nach,  auslautendes  ä  vor 
folgendem  ri^),  während  das  n  unverändert 
bleibt,  so  z.  B.  wird  das  grammatische  ydthä 
niaäm  Rv.  VIII.  47,  17  in  der  Samhita  zu  ydtha 
Tinäm.  Allein  wenn  das  ri  nicht  den  Anlaut 
eines  Stollens  bildet,  hat  das  ^a  ri°  stets  den 
Werth  einer  einzigen  Silbe;  z.  B."  der  Stollen, 
in  welchem  ydtha  rindm  geschrieben  ist,  lautet; 

yätha  rinäm  samnayämasi ; 
Br  ist  achtsilbig  und,  um  das  Metrum  zu  erhal- 
ten, darf  man  ydtha  rimm  nur  dreisilbig  lesen, 
Ihnlich   wie  im   späteren  Sanskrit  °a  ri^  zu  ar 
wird.     Wenn   dagegen   mit   dem  ri   eiii  Stollen 

1)  M.  M.  Ausgabe  hat  irrig:  vipant/ä'^. 

2)  vgl.  E.Kuhn,  Beiträge  zur  Päli-Grammatik,  S.  63. 

3)  vgl.  RPr.  163  und  VPr.  IV.  48. 


352 

beginnt,  dann  hat  dieSamhitä  das«  zwar  eben- 
falls kurz  aber  eine  Zusammenziehung  zu  dem 
Werthe  einer  Silbe  findet  nicht  statt;  z.B.  Rv. 
I.  151,  4  wo  das  grammatische  priyd\  welches 
den  Schluß  des  ersten  Stollens  bildet,  vor  dem 
anlautenden  n  des  zweiten  zwar  kurz  geschrieben 
ist,  sich  aber  nicht  mit  ri  zu  dem  Werthe  einer 
Silbe  verbindet. 

Es  sind  hier  drei  Erscheinungen  zu  erklären : 

1.  Warum  ist  das  auslautende  ä  vor  ri  ver- 
kürzt? 

2.  Warum  hat  es  mit  dem  n  zusammen 
den  Werth  einer  Silbe  angenommen? 

3.  Warum  hat  die  Samhitä  trotzdem  nicht, 
wie  im  späteren  Sanskrit,  a  ri  zu  ar  werden 
lassen,  sondern  ri  bewahrt? 

Eine  vierte  Frage,  welche  wohl  in  dem  frü- 
heren Stadium  der  Vedenforschung  aufgeworfen 
werden  durfte:  warum  das  für  ä  eingetretene  a, 
wenn  es  das  Ende  eines  Stollens  bildet,  mit  dem 
folgenden  vi  nicht  zu  dem  Werthe  einer  Silbe 
verbünden  wird,  bedarf  jetzt  wohl  keiner  Erör- 
terung mehr.  Wir  wissen,  daß  die  Stollen  die 
ursprünglichen  Verse  bildeten  und  keine  phone- 
tische Einwirkung  des  Anfangs  eines  folgenden 
auf  den  Auslaut  des  vorhergehenden  Statt  finden 
durfte;  die  phonetische  Verbindung  mit  vorderen 
Stollen  eines  Halbverses  hat  sich  erst  verhält- 
uißmäßig  spät  geltend  gemacht,  ist  aber  in  einem 
Versuch  die  ursprüngliche  Gestalt  der  Vedenlie- 
der  wieder  herzustellen  fast  ausnahmslos  wieder 
aufzuheben  und  in  einem  solchen  z.  B.  dem  d 
in  priya    die  ursprüngliche  Länge  zurückzugeben. 

Was  nun  die  drei  andern  Fragen  betrifft,  so 
beantworten  sie  sich  alle  durch  die  überlieferte 
Aussprache  des  n  als  schwaches  r  zwischen  zwei 
ganz    schwachen   a:   ara,  welche   sich  noch   eng 


353 

au  die  letztinstanzliclie  Entstehung  des  r?  aus  ar 
vor  Consonanten,  wodurch  zunächst  ara,  dann  — 
zuerst  durch  Einfluß  des  Accents —  afa  entstand. 

Die  erste  Frage  beantwortet  sich  dadurch, 
daß  das  anlautende  a  in  ata  ganz  wie  ein  voller 
Vocal  wirkte.  Es  ist  aber  schon  oft  darauf  auf- 
merksam gemacht  und  wird  in  der  Behandlung 
der  vedischen  Lautlehre  durch  eine  Fülle  von 
Beispielen  belegt  werden ') ,  daß  ein  folgender 
Vocal  in  den  Veden  sehr  häufig  die  Verkürzung 
eines  vorhergehenden  ursprünglich  langen  her- 
beiführt. 

Was  die  zweit«  Frage  betrifft,  so  absorbirte 
das  auslautende  ä  —  mag  es  ursprünglich  kurz 
gewesen  oder  aus  d  verkürzt  sein  —  den  schwa- 
chen Anlaut  in  aVa ;  das  r  wurde  hinter  dem 
nun  vorhergehenden  vollen  a  zu  vollem  r  und 
das  ihm  folgende  schwache  a  nahm  nun  vor  dem 
folgenden  Consonanten  den  Character  der  Svara- 
bhakti  an ,  welche  die  Consonantenverbindung 
(nach  RPr.  411)  nicht  aufhebt;  ydthä  rmum  in 
dem  augeführten  Beispiele  wurde  demgemäß  ver- 
mittelst ycitha  arandm  zu  yaihdraiiäm,  in  welchem 
das  a  zwischen  r  und  n  die  Verbindung  dieser 
beiden  Consonanten  nicht  aufhebt,  d.  h.  ta  keine 
Silbe  bildet,  sondern  ^arauayn  nur  zwei  nicht  drei 
Silben,  also  ara  in  ydiliarän^äm  nur  den  Werth 
einer  Silbe  hat. 

Die  dritte  Frage  erledigt  sich  durch  die  Be- 
antwortung der  zweiten  fast  von  selbst.  Die 
Schreibweise  ri  erklärt  sich  dadurch,  daß  die  Re- 
citirer,  auf  deren  Autorität  die  Samhitä  beruht, 
diese  Svarabhakti  wirklich  hören  ließen,  so  daß 
in  ihrem  Munde  ydthararidni  fast  ganz  so  klang 
wie  ydtharindm  und    wohl    kaum  anders   darge- 

1)  Vergl.  auch  Vollst.  Gr.  d.  Sanskritepr.  S.  50;  52 j 
Päuini  VI,  1,  127  j   128. 


354 


stellt  werden  konnte   als  durch  die  Schreibweise  .- 
qvtfttfm^     In  späterer  Zeit,    wo   die    Svarabhakti 
nicht  in  dem  Maaße  hervortrat,  wurde  a  ri°  zu  - 
bloßem  ar,    würde    man   also   jtwt  gesprochen 
und  geschrieben  haben. 

§.  10. 

Ferner  finden  wir  auslautendes  d  auch  sonst, 
um  den  Hiatus  aufzuheben,  vor  Vocalen  nasalirt. 
So^)  Rv.  I.  133,6  hMsM'ys)  adrivah.  (2  mal)  und 
Rv.  I.  129,  9  imthä^  anehäsä. 

Ebenso  wird  evä\  welches,  wenn  es  zu  An- 
fang eines  Stollens  vor  Consonanten  erscheint, 
stets  das  grammatische  evä'  vertritt  ^),  vor  nach- 
folgendem agnim  im  Vten  Mandala  zu  evä''»^). 
Die  Regel  trifft  nur  zwei  Stellen,  wo  der  Stollen 
mit  diesen  beiden  Worten :  eva^  agnim  beginnt, 
nämlich  V.  6,  10  und  25,  9. 

Dagegen  erscheint  in  demselben  Mandala, 
nämlich  V.  2,  7,  ebenfalls  im  Anfang  eines  Stol- 
lens, evä'smdd,  indem  evä  und  asmäd  hier  nach 
der  in  den  Veden  fast  durchgreifenden  Regel, 
—  der  gemäß  auslautende  ä  d  mit  folgenden 
Vocalen  zusammengezogen  werden  —  behandelt 
sind. 

Ich  will  nicht  unterlassen  zu  bemerken,  daß 
während  im  Vten  Mandala  |  eva  |  agnim  |  zu 
Cüd' V*  agnim  geworden  ist,  sich  im  Vllten  Mand. 
statt  dessen  mit  Zusammenziehung  evägnim  fin- 
det, trotzdem  daß  auch  hier  die  Zusammenziehung 
wieder  aufzuheben  ist.  Hier  findet  sich  kein  «» 
weil   man   früher  Hiatus    ganz   gut  ertrug,    wie 

1)  Vergl.  RPratiQ.  169. 

2)  Vgl.  'Quantitätsverschiedenheiten  u.  s.  w.'  III.  Ab- 
hdlg.  in  den  Abhdlgen  d.  K.  Ges.  d.  Wiss.    XXI,  S.  11  ff. 

3)  RPr.  170. 


355 

man  aus  einer  überaus  großen  Fülle  derselben 
nachzuweisen  vermag.  Erst  verhältnißmäßig  spät 
wurde  er  unerträglich  und  da  hatte  sich  schon 
ein  künstlicher  das  Metrum  verdunkelnder  Vor- 
trag geltend  gemacht,  welcher  es  verstattete,  die 
allgemeine  Regel  auch  über  die  Ausnahmen  aus- 
zudehnen und  auch  hier  die  beiden  a  zusammen- 
zuziehen. Natürlich  war  dabei  von  Einfluß,  daß 
das  Vte  Mand.  dem  Priestergeschlecht  des  Atri, 
das  Vllte  den  Vasishthiden  augehörte. 

Da  ich  eva\s>  für  evd  erwähnt  habe,  so  will 
ich  auch  den  Fall  (Rv.  I.  79,  2)  anmerken,  wo 
a,  ohne  gedehnt  zu  werden,  nasalirt  wird  in  ami- 
nanta^  evaih. 

§.  11. 

Hieher  gehören  auch  die  Fälle,  wo  die  Nasa- 
lirung  eines  ä  am  Ende  des  vorderen  Stollens 
eines  Halbverses  eintrat. 

Man  könnte  fast  auf  den  ersten  Anblick  mei- 
nen, daß  die  Nasalirung  eingetreten  sei,  weil  der 
Stollen,  wie  bemerkt,  ursprünglich  der  Vers  war 
und  sich  für  diese  Meinung  darauf  berufen,  daß 

A      A      A 

nach  Pän.  VHI,  4,  57  jedes  schließende  ä  i  ü 
und  nach  RPr.  64  sogar  auch  ri  der  Nasalirung 
fähig  war.  Allein  von  dieser  Nasalirung  haben 
die  Samhitä's  keine  Spur;  denn  die  wenigen 
Fälle,  wo  bei  begriffmodificireuder  Pluti  ein  aus- 
lautender Vocal  nasalirt  wurde,  gehören  nicht 
in  die  Categorie  dieser  rein  phonetischen  Nasa- 
lirung. Ferner  wird  die  Annahme,  daß  in  den 
aufzuzählenden  Fällen  der  Schluß  des  Stollens 
die  Veranlassung  zur  Nasalirung  sei,  dadurch  wi- 
derlegt, daß  keine  phonetische  Nasalirung  am 
Schloß  eines  Halbverses  eintritt,  wo,  wenn  der 
Schluß    der   Grund   wäre,   die  Nasalirung   noch 


356 

eher  eintreten  würde;  vergl.  z.  B.  säcd  Rv.  III. 
53,  10,  ä  Rv.  IX.  43,  5  und  sonst.  Ebenso  da- 
durch, daß  die  Nasalirung  nicht  am  Ende  eines 
vorderen  Stollens  eintritt,  wenn  der  folgende 
mit  einem  Consonanten  beginnt,  sondern  nur, 
wenn  mit  einem  Vocal.  Insbesondere  der  letzte 
Umstand  zeigt  wiederum  (vgl.  §.  9),  daß  die  Na- 
salirung des  Hiatus  wegen  eintrat  und  so  scheint 
sie  auch  im  RPr.  171  aufgefaßt  zu  werden,  wo 
sie  mit  dem  Hiatus  verbunden  wird.  Es  ist  da- 
her anzunehmen,  daß  diese  Nasalirung  erst  zu 
der  Zeit  eintrat,  als  man  die  Stollen  eines  Halb- 
verses phonetisch  zu  verbinden  anfing,  und  zwar 
in  den  Fällen,  in  denen  die  Aussprache  mit  Hia- 
tus sich  erhalten  hatte.  Hier  haben  dann  ei- 
nige Recitirer  nach  Art  des  Päli  nasalirt,  andre 

—  wie  die  Sänger  des  Sv.  —  haben  die  Nasalirung 
nicht  aufgenommen,  ähnlich  wie  die  Vasishthiden 
evä  (oder  vielmehr  eva)  agnim  einst  sprachen, 
während  die  Atriden  eväw  agnim  daraus  mach- 
ten (§.  10). 

§.  12. 

Hieher  gehört  zunächst  säcd,  welches  das  d, 
wenn  am  Ende  eines  vorderen  Stollens  vor  Vocaleu 

—  mit  Ausnahme  zweier  Fälle  —  stets  nasalirt^). 
Die  Fälle,  in  denen  die  Nasalirung  eintrat,  sind 
folgende : 

vor  ä  Rv.  I.  161,5;   III.  60,4;  VI.  59,3; 
vor  l  Rv.  I.  51,11;   X.  23,4    =  Ath.  XX. 

73  5* 
vor  Ü  Rv.  Vn,  81,  2  =  Sv.  IL  1.  2. 14,  2  (wo 

aber  nicht  nasalirt  ist); 
vor  e  Rv.  I.  139,  7. 
Die   beiden   Ausnahmen    finden    sich   Rv.  1. 

1)  RPr.  164. 


357 

10,  4:  sdcendra  (für  säcä  \  Indra)  und  V.  16  5 
säcotaidhi  (für  sdcd  \  utciy).  Es  versteht  sich  von 
selbst,  daß  die  Verschmelzung  des  ä  in  beiden 
r  allen  wieder  aufzuheben  ist. 

§.  13. 
Ferner  wird  Präfix  oder  Präposition  ä  in 
gleicher  Weise  nasalirt  —  d.  h.  wenn  es  am 
Ende  eines  vorderen  Stollens  erscheint  —  jedoch 
nur  hinter  grammatischem  e,  welches  aber  vor 
a  ^nach  bekannter  Regel  zu  «  wird,  oder  shu, 
welches  in  der  Samhita  shv  geschrieben  ward 
aber  SÄ«  zu  lesen  ist,  oder  einigen  bestimmten 
Wörtern  —  und  der  folgende  Stollen  mit  einem 
Vocal  beginnt  2).  Es  schien  mir  dienlich,  ja  uoth- 
wendig,  aus  der  großen  Anzahl  der  «,'  enthalten- 
den Stellen  —  sie  füllen  in  M.  Müller's  Pada- 
Index  fast  sieben  Quartcolumnen  —  alle  hieher 
gehörigen  Fälle  zusammenzusuchen  und  sie  hier 
aufzuführen : 

Die  Nasalirung  tritt  ein: 
vor  folgendem  a. 

Rv,  I,  60,  4  däma  äW  (  agnir. 
»     I.  122,  5  däväna  ä  ^  |  äcchä. 
»     ni.  43,  2  carshani'r  av$/  i  arya. 
»     V.  48,  1  abhrä  a^      apö. 
>     V.  87,3  fshta  a>*  i  aynäyo. 
»     yil,  16,8  duronä  a^  j  äpi. 

*  ttS"  ^l'll  ^amasyur  a'e-  |  äsrikshi. 
»     VIII.  46, 21  i'vad  a  ^  I  ädevah   " 

*  ?'J¥  ir  S^-  ^-  5-  1-  4.'  5,  wo  je- 
doch  die  Nasalirung  fehlt). 

kalä9eshv  a «,  |  antah  (im  Sv.  a'  |  antdh). 

1)  RPr.  176.  177. 

2)  ebds.  165. 

34 


358 

Rv.  IX.  105,6  (=  Sv.  IL  7.  3.  20,3,  wo 

die  NasaliruDg  ebenfalls  fehlt) 
asm  ad  ä'w  |  adevam   (Sv.   a   ädevatn). 
vor  folgendem  ä. 

Rv.   VI.  48,15  carshanibya  ä'w  |  ävir. 
vor  folgendem  i. 

Rv.   VIII.  94(83),  6  (=  Sv.  IL  9.  1.  8.  3  wo 
die  Nasalirung  wiederum  fehlt) 
jösham  a'w  |  indrah  (Sv.  ä'  indrah). 
»     IX.  86,  23  pavitra  ä'v»  |  fndav. 
vor  folgendem  u. 

Rv.   VIII.  67(56),  11  gabhirä  a«,  I  ügraputre. 
»     IX.  68,6  nadi'shv  ävs,  j  U9äntam. 

>  X.  105,  4  (=  Sv.  I.  3. 1.  1.3,  wo  starke 
V.  L.  und  die  Nasalirung  fehlt) 
cärkrisha   ä'w  (  upänasäh    (Sv.  d'  lipo). 

Das  Metrum  fordert  carJcrishä'w  zu  sprechen; 
der  ganze  Vers  ist  aber,  wie  die  Varianten  im 
Sämaveda  zeigen  —  wohl  unheilbar  —  verdorben. 
Vor  folgendem  ri. 

Rv.  IX.  110,4  (=  Sv.  IL    7.  1.  7.  3,   wo 
aber  V.  L.) 
märtyeshv  a  w  |  ritasya 
zu  lesen  märtieshu  a'w. 

>  X.  91,  12  asmäd  ä'v»  |  rico. 
vor  folgendem  e. 

Rv.   VI.  51,1  mitrayor  ä'w  |  eti. 
vor  folgendem  o. 

Rv.  VL  46,7  (=Sv.  L  3.  2.  2.  10,  wo  die 
Nasalirung  ebenfalls  fehlt) 
nä'hushishv  a  w  |  ojo  (Sv.  a  qjo). 

§.  14. 

Hieher  gehört  endlich  die  Nasalirung  eines 
kurzen  oder  langen  a,  sobald  es  der  Auslaut  eines 
vorderen  Stollens  ist  und  der  folgende  mit  e 
oder  0  beginnt.      Diese  Regel  gilt  fast  für  den 


359 

ganzen  Rigveda,  nämlich  vom  Anfang  an  bis  in- 
clusive den  34steu  Hymnus  des  letzten  (Xten) 
Mandala^).  Daher  wir  uns  hier  auf  einige  Bei- 
spiele beschränken  können: 

ßv.  I.  35,6  upasthä«/  |  eka. 
»     I.  113,1  (=  Sv.  II.  8.  3. 14. 1,  wo  keine 
Nasalirung    sondern   Zusammenziehung 
eingetreten   ist,    welche  aber   natürlich 
rückgängig  gemacht  werden  muß) 
savä'yae'  |  evä' 

im  iSämaveda  sata'yaii'd ,  wo  saiö  ya  |  evä 
zu  lesen. 

>  I.  123,10  9ä'9adänäw  |  eshi. 
»     VI.  45,20  pä'rthiväw  |  eko. 

»  VI.  46,5  (=  Sv.  Naigeya-(;:äkhäl,l  bei 
Siegfried  Goldschmidt,  in  'Berliner  Mo- 
natsberichte' 1868,  S.  230  ohne  Nasali- 
rung, zugleich  jedoch  auch  ohne  Zusam- 
menziehung, also  mit  Bewahrung  des  Hia- 
tus) =  Ath.  XX.  80, 1,  wo  wie  im  Rv.,  aber 
ebendaher  in  das  bekanntlich  spät  hinzu- 
gefügte XXte  Buch  herübergenommen: 
bharav»  |  öjishtham. 

>  VU.  25,4  ugra«  j  ökah. 

»  Vin.  15,3  =  Ath.  XX.  61,6  und  62,10. 
purushtutaw  |  eko. 

>  Vm.  98(87),10  (=  Sv.  I.  5. 1 .  2. 7  =  II. 
4.2. 13. 1,  ohne  Nasalirung,  aberauch  ohne 
Zusammenziehung,  wie  bei  Rv.  VI.  46,5, 
mit  Bewahrung  des  Hiatus ;  diese  Diffe- 
renz ist  vom  Schol.  zu  der  zweiten  Stelle 
angemerkt,  s.  Einleitung  zu  meiner  Aus- 
gabe des  Samaveda  p.  XXX  und  S.  \>o) 
=  Ath.  XX.  108,  1. 

bharav»  |  ojo. 

1)  RPr.  166  and  171. 

34» 


360 

Rv.   VIII.  100(89),  5  ntäsya«,  |  ekam. 
Von  Rv.  X.  35  an  tritt  dagegen  keine  Nasa- 
lirung,    sondern  Zusammenziehung    ein,    welche 
natürlich  rückgängig  gemacht  werden  muß ;  z,  B. 

Rv.  X.  121,3  =  VS.  XXIII.  3  =  TS.  IV. 
1.  8.  4  und  VII.  5.  16  =  Ath.  IV.  2,  2. 

im  Pada:  mahitva  \  ekah  \ 

in  der  Samhitä:    mahitvaiko,  zu  lesen  mahi- 
tva 1  eko. 

§.  15. 

Bevor  ich  die  —  übrigens  auf  der  Hand  lie- 
gende —  Folgerung  aus  den  von  §.8  an  aufge- 
zählten Nasalirungen  für  die  Erklärung  von 
suäväw  ziehe,  möge  es  mir  vergönnt  sein  noch 
einen  —  und  zwar  einen  von  den  Pada- Verfer- 
tigern verkannten  —  Fall  der  erörterten  Nasa- 
lirung  —  hieher  zu  ziehen ,  welcher  zunächst 
deren  geringe  Kenntniß  der  Vedensprache  und 
ihre  mangelhafte  Methode  in  der  Behandlung 
derselben  zeigt;  zugleich  aber  auch  in  manchen 
andern  Beziehungen  belehrend  ist,  deren  Betrach- 
tung uns  jedoch  für  jetzt  zu  weit  von  unserer 
Aufgabe  abführen  würde. 

Im  Rv.  erscheint  70mal  sowohl  im  Pada-  als 
Samhita-Text  der  Nom.  Sing,  maghävä,  also  eine 
Form,  welche  das  Thema  maghävan  voraussetzt; 
ein  einziges  Mal  nur,  nämlich  IV.  16,1  hat  der 
Pada-Text  maghävan  f  welches  auf  dem  Thema 
maghävant  beruhen  würde.  In  der  Samhitä  aber 
lautet  der  Stollen,  in  welchem  die  Pada-Verfer- 
fertiger  diese  Form  zu  erkennen  glaubten: 
ä'  satyö  yatu  maghava«  rijishi'  |  . 

Die  Pada- Verfertiger,  welche  sich  erinnerten, 
daß  in  den  Veden  regelmäßig  an  vor  Vocalen  inmit- 
ten eines  Stollens  zu  ««/  wird  —  in  der  Abhand- 
tung  über  die  Pada-Texte  werden  wir  aber  sehen, 


361 

daß  sie  bei  ihren  Aufstellungen  die  Majorität 
fast  immer  als  die  Regel  betrachteten  —  in  de- 
ren Zeit  —  der  grammatischen  Erlaubniß  ge- 
mäß —  alle  Casus  dieses  Wortes,  also  auch  der 
Nomin.  Sing.,  eben  so  wohl  aus  der  Basis  nia- 
ghavant  als  maghavan  gebildet  werden  durften  ^), 
entschieden  sich  —  vielleicht  nur,  um  nicht  noch 
eine  unregelmäßige  Nasalirung  verzeichnen  zu 
müssen  —  das  «*  vor  rt  nach  Analogie  der  pho- 
netischen Behandlung  von  an  aufzufassen.  Für 
uns  dagegen  entscheidet  die  überwältigende  Ma- 
jorität der  maghdid  lautenden  Nominative  da- 
für, daß  auch  hier  diese  Form  als  die  gramma- 
tische anzuerkennen  und  die  Nasalirung  nach 
Analogie  der  in  §.  8  aufgezählten  Fälle  zu  er- 
klären sei,  also  maghävd  vor  n'  ganz  wie  kadd  u.  s.w. 
vor  vi  nasalirt  sei,  also  im  Pada,  wie  Jcadä,  so 
auch  maghdvä  zu  schreiben  gewesen  wäre. 

Dafür  spricht  aber  auch,  daß  im  Rv.  nicht 
bloß  alle  starken  Casus,  welche  sich  stets  an  den 
einstigen  Nominativ  Sing,  schließen  (hier  maghd- 
vdn  für  schon  fixirtes  maghdvan-s  nicht  mehr 
für  das  ursprüngliche  maglidvant-s),  auf  der  Ba- 
sis maghavan  ruhen  —  so  nur  Acc.  Sing,  ma- 
gJidvdnam,  Nom.-Voc.  Du.  maghdvdnd,  Nom.-Voc. 
PI.  maghdvdnas  —  sondern  auch  alle  übrigen 
mit  Ausnahme  derer,  deren  Endungen  mit  bh 
beginnen  und  des  Loc.  Plur.  —  so  maghonas, 
maghöndm,  dagegen,  vom  ursprünglichen  Thema 
niagMvant,  Instr.  Plur  maghdvadhliis,  ferner  ma- 
ghdvavadbhyas  ^  maghdvatsii.  Der  Voc.  Si.  ma- 
ghavan könnte  auf  beiden  Basen  beruhen.  Da- 
gegen schließt  sich  das  Fem.  maghoni  entschie- 
den an  die  Basis  maghavan,  während  magMvant 
im  Superlativ  magluivat-tama  und  in  dem  Ab- 
stract  maghavat-tvd  zu  Grunde  liegt. 

1)  Vergl.  Pän.  VI.  4,  128. 


362 

Eine  eingehende  Behandlung  dieses,  wie  der 
verwandten  Erscheinungen  z.  B.  in  ärvant,  rik- 
vant,  vivasvant  ist  für  die  Abhandlungen  über 
die  vedische  Deelination  vorbehalten. 

§.  16. 

Daß  wir  die  Fälle,  in  denen  suävä  (nach  §.  7 
für  sudväh  mit  spurlosem  Verlust  des  Visarga 
wie  in  Ugänä  u.  s.  w.)  vor  a,  i,  vi  und  e  mit 
nasalirtem  Auslaut  erscheint,  unbedenklich  nach 
den  von  §.  8 — 15  erörterten  Analogien  erklären 
dürfen,  möchte  an  und  für  sich  kaum  zn  bezwei- 
feln sein. 

Allein  wie  ist  es  mit  dem  ebenfalls  in  §.  1 
bemerkten  Fall,  wo  sudväh  vor  y  erscheint?  wie 
mit  einigen  andern  Erscheinungen,  welche,  wenn 
sie  nicht  erklärt  zu  werden  vermögen,  natürlich 
auch  die  Erklärung  dieser  Fälle  zweifelhaft  zu 
machen  geeignet  sind? 

§.  17. 

Was  nun  die  Nasalirung  des  d  vor  y  in  ydtu 
(Rv.  1.35,10)  betrifft,  so  scheint  sie  sich  vollstän- 
dig durch  folgendes  erklären  zu  lassen.  Wir 
haben  oben  §.  4  gesehen,  daß  die  Auffassung 
von  svdvd'»  als  Nomin.  S.  von  svävant  schon 
eine  sehr  alte  war,  wohl  sicher  schon  der  Zeit 
angehörig,  welche  der  Fixirung  des  Rv.  Textet) 
vorherging.  Sie  war  also  sicher  auch  mehreren 
Recitirern  des  Rv.  bekannt,  unter  denen  gewiß 
nicht  wenige  sich  befanden,  welche,  was  sie  rc 
citirten,  so  gut  es  eben  ging,  auch  zu  verste 
hen  suchten.  War  ihnen  svdvä  ydtu  überliefe 
so  verstieß  die  Form  gegen  die  Analogie  de; 
Nominative  der  Themen  auf  vant;  deren  regel 
rechte  Form  svdvdn  statt  der  überlieferten  zrf 
sprechen,    wagten  sie  nicht  aus  religiöser  Scheu 


te- 


363 

und  weil  sie  in  keiner  Stelle  der  Rigveda-Sam- 
hitä  vorkömmt;  allein  die  Nasalirun g  des  Yocalgi, 
welche  sich  im  Rv.  an  manchen  Stellen  findet, 
wo  die  andern  Yeden  sie  nicht  haben,  in  vielen 
Fällen,  wie  wir  §.11  ff.  gesehen  haben,  arbiträr 
war,  und  in  diesem  Worte  fast  durchweg  er- 
scheint, ließ  sich  als  etwas  fast  in  begrifflicher 
Beziehung  gleichgültiges  auch  hieher  übertragen 
und  zwar  um  so  eher,  da  auch  wirkliches  gram- 
matisches an  im  Rv.  II.  4.  5  in  jujurvaw  yö, 
statt  grammatischen  jujurvä'n,  und  IX.  107,1  in 
dadhanvciys;  ydh,  statt  dadlianran,  in  «w  überge- 
gangen ist  und  auch  ?«,  iin  in  einigen  Fällen 
vor  y  gerade  wie  vor  Vocalen  behandelt  wird 
(vgl.  Rv.  IV.  35,7;    I.  63,4;    V.  42,15). 

Bei  dieser  Gelegenheit  müssen  wir  nochmals 
zu  dem  schon  §.  8  bemerkten  Umstand  zurück- 
kehren, daß  in  der  Stelle,  welche  Rv.  I.  35,10 
in  der  VS.  entspricht,  die  Nasalirung  vor  yatu 
fehlt,  und  die  Form  nur  svüvä  lautet.  Wir  ha- 
ben dort  anerkannt,  daß  die  Berechtigung  in 
diesem  svdvä  ohne  Nasal  die  ursprüngliche  Form 
anzuerkennen,  durch  die  Einbuße  jeder  Spur  des 
grammatischen  n  in  dadlianva  zweifelhaft  werde ; 
allein  es  ist  hinzuzufügen,  daß  sie  eben  nur  zwei- 
felhaft wird.  Es  wäre  recht  gut  möglich,  daß 
uns  in  svävä  ydtu  in  der  VS.  die  ursprüngliche 
Vortragsweise  bewahrt  wäre,  in  ähnlicher  Weise, 
wie  sicherlich  der  Sämaveda  in  den  in  §.  12.  13. 
14  angemerkten  Fällen  in  dem  Mangel  des  Na- 
sals bei  Bewahrung  des  Hiatus  ein  treuerer  Spie- 
gel der  ursprünglichen  Gestalt  ist,  als  der  Rig- 
veda  mit  seiner  Nasalirung. 

§.  18. 
Etwas  größere  Schwierigkeit  bietet  —  jedoch 
nur  theilweise  —  das  zweite  der,  der  Ueberschrift 


364 

gemäß,  zu  besprechenden  Themen,  nämlich  svu~ 
tavas.  Auch  für  dieses  nimmt  der  Pada-Text, 
die  Commentare  und  Pänini  einen  Nominativ 
Sing,  auf  an  (svdtavän)  an ;  allein  eine  Spur  daß 
dieser  je  —  wie  svävän  aus  svävant  —  aus  ei- 
nem Thema  sväfavant  irrigerweise  abgeleitet  sei, 
ist  nicht  nachweisbar,  sondern  Säyana  sowohl 
als  Mahidhara  betrachten  ihn  gerade  wie  Pänini 
als  Nom.  Sing,  von  svdtavas^). 

Dieser  Nomin.  erscheint  in  keiner  der  Veda- 
Samhitä's  in  der  grammatischen  Gestalt  svätavän, 
sondern  ähnlich  wie  der  von  svävas  in  Formen, 
welche  sich  daraus  erklären  lassen. 

Zunächst  in  Rv.  IV.  20,  6  in  der  Gestalt 
svdtavän  vor  visJivd.  Hier  tritt  uns  derselbe 
Fall  entgegen  wie  in  sudvä^  vor  ri  (§.  1)  und 
wir  werden  ihn  wie  diesen  in  §.  16,  insbeson- 
dere, nach  den  Analogien  in  §.  7  und  8,  aus  der 
regelrechten  Form  svdtaväh.  durch  spurlose  Ein- 
buße des  Visarga  und  Eintritt  der  Nasalirung 
zur  Vermeidung  des  Hiatus  erklären. 

§.  19. 

Allein  die  beiden  anderen  Male,  in  denen 
der  Nom.  von  svätavas  in  den  Veden  vorkömmt, 
erscheint  er  in  der  Samhitä  in  der  That  in  Ge- 
stalten, welche  der  allgemeinen  Regel  gemäß  eine 
grammatische  Form  auf  an  voraussetzen. 

So  erscheint  zunächst  Rv.  IV.  2,6 
svätavä\»h  päyür 
wo  svdtavä^h   vor   folgendem  ^j,    nach  Analogie 
von  ml'wh  pafrarnRy.  I.  121,1  und  nrt'^i/h.  pähi 
Rv.  VIH.'  84(73),  3  =  Sv.II.  5. 1. 18.  3  =  VS. 
XIII.  52,    in  denen  beidemal  nri'^h  phonetische 

1)  vgl.  Fun.  VII.  1,83,    80  wie  Patanjali  zu  Pän.  VII 
4,48  in  der  Benares-Ausg.  des  MBhäsbya  Abth.  V-  132,b. 


365 

Umwandlung  von  nrVn  ^)  ist,  ein  grammatisches 
svdtavän  voraussetzen  würde,  wie  vom  Pada- 
Text  angenommen  wird. 

Der  zweite  Fall  findet  sich  in  der  VS.  XVII. 
85,  wo  svätava^g  ca  erscheint. 

Der  Vers,  dem  diese  Worte  angehören,  er- 
scheint sonst  weiter  nicht  und  ist  so  unrhyth- 
misch, daß  die  Inder  zweifelhaft  waren,  ob  er 
eine  Gäyatri  oder  Ushnih  sei,  so  daß  man  auf 
den  Gedanken  gerathen  kann,  daß  er,  wie  sicher- 
lich viele  der  VS. ,  insbesondere  solche,  welche 
sonst  nicht  vorkommen,  in  einer  verhältnißmäßig 
späten  Zeit  entstanden  sei,  in  welcher  vielleicht 
die  Ansicht,  daß  svdvas  und  svutavas  ihren  Nom. 
sing.  msc.  auf  an  statt  «h  bilden,  schon  gram- 
matisch fixirt  war.  Doch  will  ich  auf  diese 
Vermuthung  kein  Gewicht  legen,  da  sich  wohl 
kaum  bezweifeln  läßt,  daß  auch  in  der  Rv.  Sam- 
hitä  der  Nomin.  von  svätavas,  wenn  er  vor  ca 
in  ihr  vorkäme,  ebenfalls  entweder  nach  der 
Regel  (RPr.  293)  ebenso ,  oder  nach  der  Aus- 
nahme (RPr.  294)  svdtavän  ca  geschrieben  sein 
würde. 

Allein  dieser  beiden  Fälle  wegen  —  denn 
der  eine  noch  übrige  Umstand  welchen  man 
noch  für  grammatisches  svdtavän  geltend  machen 
könnte,  wird  sich  im  folgenden  §  als  völlig  un- 
erheblich ergeben  —  eine  so  ganz  ungewöhnliche, 
völlig  vereinzelt  dastehende  Form  eines  Nomin. 
sing.  msc.  von  einem  Thema  auf  as  anzunehmen, 
scheint  mir  völlig  ungerechtfertigt. 

Ich  glaube  vielmehr  nicht  zu  irren,  wenn  ich 
vermuthe,  daß  im  Rv.  ursprünglich  ganz  richtig 
svätavä\  imyi'ir  gesprochen  ward ;  daß  aber  ein 
Recitirer,  auf  dessen  Autorität  in  letzter  Instanz 
unser  Text  dieser  Stelle  beruht,  indem  er  in  den 

1)  vgl.  ßPr.  297}  298,  YPr.  UI.  139. 

35 


366 

Fällen,  wo  svävä^  und  smfavä^  vor  Vocalen  er- 
scheint, die  Nasalirung  als  Vertreter  von  gram- 
matischem an  betrachtete,  sie  auch  hier  eintreten 
ließ;  also  im  Wesentlichen  ebenso  wie  vor  ydtu 
in  §.  17. 

Eben  so  nehme  ich  an,  daß  auch  in  der  VS., 
wenn  die  erwähnte  Stelle  älter  ist  als  die  gram- 
matische Regel,  sväfaväg  ca  überliefert  war, 
daß  aber  einer  der  Ueberlieferer ,  auf  welchem 
in  letzter  Instanz  ihre  Fassung  beruht,  theils 
in  Rücksicht  auf  das  in  §.  19  zu  besprechende 
svätavadhhyas  —  welches  den  Sskritgesetzeu  ge- 
mäß auf  svätavant  beruhen  müßte  —  theils  in 
Kenntniß  der  Auffassung  von  svdtaväw,  svätavcl»h. 
und  svdvüM)  im  Rigveda-Pada,  auch  das  ä  vor  g 
nasalirte. 

§.  20. 
Den  letzten  Einwand,  welchen  man  gegen 
unsre  Auffassung  geltend  machen  könnte,  bildet 
die  schon  im  vorigen  §.  erwähnte  Form  sväta- 
vadbhyah  in  der  VS.  XXI.  16,  so  wie  in  einigen 
zur  vedischen  Literatur  gehörigen  Schriften  ^). 
Diese  würde  regelmäßig  im  gewöhnlichen  San- 
skrit nur  aus  einem  Thema  auf  ant  gebildet 
werden  können.  Wir  kennen  aber  den  alten 
Uebergang  von  s  ind  vor  momentanen  tönenden 
Consonanten  in  den  analogen  vedischen  Formen 
ushädhhis  von  ushds  (Rv.  I.  6,3  =  Sv.  IL  C.  3. 
12.  3  =  VS.  XXIX.  37  =  TS.  VII.  4.20. 1  ^ 
Ath.  XX.  2G,  6),  so  wie  mdäbMs  von  mäs  (Kv. 
IL  24,  5),  ferner  in  tnadgü  (von  nmsj),  uddhvnm 
und,  mit  Einbuße  des  dy  ddhvam  (von  ds),  gädlii 

1)  vgl.  Ptsb.Wtbch.  unter  sra^rt»«« ;  imMBhäshya  Ab« 
thlg.  V.  p.  132,  b  zu  Pän.  VII.  4, 48  (vgl.Böhtl.)  werden 
auch  svävadbhih.  und  svAtavadbhih.  erwähnt,  welche  biB 
jetzt  noch  nicht  belegt  sind- 


367 

für  gäddhi  (voiifOÄ^,  nia)jä  srnsniadga  für  indo- 
germanisch masgä  ^).  Demgemäß  ist  auch  svd- 
tavadbhya]}  die  regelmäßige  alte  Umgestaltung 
von  siätavashhyah  und  verpflichtet  auf  keine 
Weise  zu  der  Annahme  eines  Themas  svätavant 

§.  21. 
DasErgebniß  dieser  Untersuchung  ist  demnach: 

1.  Einen  so  ganz  unglaublichen  Nomin.  Sing, 
msc.  sudvän  von  smvas  und  svätavän  von  svd- 
tavas  hat  es  nie  gegeben. 

2.  Seine  Annahme  ist  nur  eine  Folge  der  ir- 
rigen AuiBfassuug  der  zur  Hebung  des  Hiatus  ein- 
getretenen Nasalirung  des  auslautenden  ä  in  sv- 
ävä  für  swaroh,  und  svätavd  für  svdtaväh.. 

3.  Diese  Annahme  fand  wohl  eine  Unter- 
stützung in  der  nach  der  alten  Regel  (§.  19)  ge- 
bildeten Form  svätavadhhyah  und  dem  bis  jetzt 
noch  nicht  belegten  svavadbhih  (wenn  dieses 
wirklich  zu  sudvas  gehörte  und  nicht  zu  svdvant) 
und  svdtavadhJiih. 

4.  In  Folge  der  Annahme,  daß  der  Nom.  Sing, 
msc.  wirklich  auf  grammatisches  an  auslautete, 
wurde  im  Rv.  svdtavdh  vor  p  zu  svdtavd^h  und 
in  der  VS.  svdtavdg  vor  ca  zu  svdtavä^^^  Aende- 
rungen  die  bei  der  Neigung  der  Inder  zur  Na- 
salirung mit  größter  Leichtigkeit  eintreten  konn- 
ten; da  im  Sv.  und  in  den  YS.  Stellen,  in  wel- 
chen der  Rv.  uasalirt,  ohne  Nasalirung  erschei- 
nen und  ähnliche  Differenzen  auch  wohl  sonst 
vorkamen,  konnten  einige  Recitirer  meinen,  daß 
sie  in  dem  ursprünglichen  svdtavdh.  vorp  und  svd- 
tavdg  vor  ca  nur  durch  falsche  Aussprache  fehle. 

1)  vgl.  Gott  Nachrichten  1876,  S.  308  ff. 


368 

Bei   der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Verhandelingen  der  K.  Akademie  van  Wetenschappen 
Afdeel.  Letterkunde.  Deel  X.  Amsterdam.  1876.  4. 
Afdeel.  Natuurkunde.    D.  XVI.    Ebd.  1876.    4. 

Verslagen  en  Mededeelingen  d.  k.  Akad.  van  Wetensch. 
Afd.  Letterkunde.  2e  Reeks.  D.  V.  1876.  Afd.  Na- 
tuurkunde.   2e  R.  D.  X.  1877. 

Jaarboek  van  de  K.  Akademie.  1875. 

Processen-Verbaal  van  de  gewone  Verhandel.  1875—76. 

Catalogus  van  de  Boekerij   d.  K.  Akad.  D.  IIL  1.    1876. 

HoUandia,  Carmen  (Preisschrift).    Amsterdam.  1876. 

Mittheilungen  des  naturwiss.  Vereins  in  Aussig.  1877. 

Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sc.  de  Belgique.  T.  43.  No. 
2.    1877. 

Proceedings  of  the  Dublin  University  biological  Associa- 
tion.   Vol.  L    No.  2.     1874-75.    Dublin.    1876. 

Verslagen  en  Mededeelingen  der  nederlandsche  botanische 
Vereeniging.  Twede  Serie,  2e  Deel,  3e  Stuk.  Nij- 
megen.     1877. 

Acta  de  la  Academia  nacional  de  Ciencias  exactas  existente 
en  la  Universidad  de  Cordova.  T.  I.  Buenos  Aires. 
1875.    4; 

H.  Burmeister,  description  physique  de  la  Republique 
Argentine.    T.  I-II.    Paris.  1876. 

—  die  fossilen  Pferde  der  Pampasformation.  Buenos 
Aires.  1875. 

Transactions  of  the  R.  Society  of  Edinburgh.  Vol.  XXVII. 
P.  4.     1875-76.     4. 

Proceedings  of  the  R.  Society  of  Edinburgh.  Session. 
1875—76. 

Transactions  and  Proceedings  of  the  R.  Society  of  Vic- 
toria Melbourne.  1876. 

M.  Nyren,  Declinaisons  moyennes  corigees  des  steiles 
principales  pour  l'epoque  1845,  etc.  St.  Petersbourg. 
1875.    4. 

E.  Block,  Hilfstafeln  zur  Berechnung  der  Polaris-Azi- 
mute  etc.    Ebd.  1875.    4. 

(Fortsetzung  folgt.) 


36d 

Wachriehten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


18.  JuU.  Mk  16.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am   7.  Juli. 

Wüstenfeld,  Die  Uebersetzung  Arabischer  Werke  in 
das  Lateinische  seit  dem  XI.  Jahrhundert.  II.  Abthei- 
lung.    (Erscheint  in  den  Abhandlungen). 

de  La  gar  de,  Armenische  Studien.  II.  Abtheil.  (Er- 
scheint in  den  Abhandl.) 

Enneper,  über  einige  Transformationen  von  Flächen. 

Riecke,  über  einen  Tangenten  - Multiplicator  und  über 
die  electromotorische  Kraft  des  Grove'schen  Elementes. 

Quincke,  Corresp.,  über  den  Randwinkel  und  die  Aus- 
breitung von  Flüssigkeiten  auf  festen  Körpern. 

Hoppe,  über  die  Pyroelectricität  des  Turmalins.  (Vorgel. 
von  Riecke). 

Schubert,  über  eine  geometrische  Erweiterung  des 
Bezont'schen  Fundamentalsatzes.     (Vorgel.  von  Stern). 

Schering,  Mittheilung  der  Abschriften  mehrerer  Briefe 
von  Gauss. 

Drude,  über  den  Bau  und  die  systematische  Stellung 
der  Gattung  Carludovica.    (Vorgel.  von  Grisebach). 


Bemerkungen    über    einige    Transfor- 
mationen von  Flächen. 

Von 

A.  Enneper. 

Entspricht  jedem  Puncte  P  einer  Fläche  S 
ein  Punct  Pi  einer  anderen  Fläche  Si  nach 
einem  bestimmten  Gesetz,  so  möge  dem  Sprach- 

36 


370 

gebrauche  nach  die  Fläche  Si  die  transformirte 
Fläche  S  heißen.  Man  kann  auch  die  Fläche 
Si  als  gegeben  ansehn  und  sich  das  Problem 
stellen ,  die  primitive  Fläche  S  zu  finden.  Die 
Lösung  dieses  Problems  kommt  auf  eine  Art 
ümkehrung  des  Verfahrens  hinaus,  mittelst  dessen 
die  Fläche  Si  sich  aus  der  Fläche  S  ableiten 
läßt.  Genau  genommen  führt  diese  Umkehrung 
auf  eine  neue  Transformation,  welche  besonders 
dann  von  Interesse  ist,  wenn  dieselbe  mit  der 
ursprünglichen  Transformation  zusammenfällt, 
also  die  Fläche  St  ebenso  von  der  Fläche  S  ab- 
hängt, wie  umgekehrt  S  von  Si.  Die  Transfor- 
mationen, von  denen  im  Folgenden  die  Rede 
ist,  bilden  eine  Erweiterung  von  einigen  mehr- 
fach behandelten  Transformationen,  über  welche 
folgende  Bemerkungen  vorausgehn  mögen. 

Der  berührenden  Ebene  zur  Fläche  S  im 
Puncte  P  entspricht  in  Beziehung  auf  eine  be- 
stimmte Kugelfläche  K  der  Pol  Fi ,  welcher 
einer  Fläche  Si  angehört,  die,  nach  dem  Vor- 
gange von  Poncelet,  die  reciproJce  Polarfläche 
der  Fläche  S  in  Beziehung  auf  die  Kugelfläche 
K  genannt  wird.  Es  ist  dann  bekanntlich  um- 
gekehrt auch  /$  die  reciproke  Polarfläche  von 
Si.  Im  Vorstehenden  ist  der  einfachste  Fall 
der  reciproken  Polarflächen  erwähnt,  wenn  statt 
der  allgemeinen  Fläche  zweiten  Grades  die  Ku- 
gelfläche K  zur  Basis  der  Transformation  ge- 
nommen wird. 

Fällt  man  von  einem  festen  Puncte  0  auf 
die  berührende  Ebene  zur  Fläche  S  im  Puncte 
P  das  Perpendikel  OPi  ,  so  ist  der  Ort  des 
Punctes  Pi  die  Fußpundßäche  Si  der  Fläche 
S  in  Beziehung  auf  den  Puncfc  0.  Sieht  mau 
die  Fußpunctfläche  als  gegeben  an,  so  führt  die 
Bestimmung    der   primitiveu  Fläche  S    auf  eine 


371 

Enveloppe.  Es  handelt  sich  dabei  darnm,  die 
Enveloppe  aller  Ebenen  zu  finden,  welche  senk- 
recht stehn  auf  den  Radienvectoren  der  Puncte 
einer  Eläche  in  diesen  betreffenden  Puueten. 
Auf  die  Fläche  Ä  läßt  sich  dasselbe  Verfahren 
wie  auf  die  Fläche  S  anwenden  ,  also  die  Fnß- 
punctfläche   der  Fußpuuctfläche  bestimmen. 

Man  kann  in  dieser  Richtung  sowohl  weiter 
gehn,  wie  bei  dem  oben  bemerkten  inversen 
Problem  der  Enveloppen. 

Beide  Untersuchungen  finden  sich  weitläufi- 
ger durchgeführt  bei  Uirst:  Sur  la  courbure 
d'une  Serie  de  surfaces  et  de  lignes.  (Annali  di 
Matematica.  Tomo  IL  Anno  1859  p.  95 — 112 
u.  138 — 167).  Ohne  hier  sämmtliche  Arbeiten 
über  diesen  Gegenstand  aufzählen  zu  wollen, 
möge  noch  der  Abhandlung  erwähnt  werden 
Caylcy :  Sur  la  surface  qui  est  Venvdoppe  des 
plans  coiidwits  par  les  points  d'un  elUpsaide 
perpendictdairement  aux  rayons  menes  par  le 
centre  (Annali  di  M.  T.  IL  A  1859  p.  168—179). 

Die  beiden  bemerkten  Transformationen  las- 
sen sich  Dach  einander  anwenden.  Die  Fuß- 
punctfläche  der  reciproken  Polarfläche  iuvolvirt 
eine  neue  Transformation ,  welche  nach  Liauville 
die  Transformation  durch  reciproke  Radien- 
vectoren  genannt  wird.  Diese  Transformation 
ist  in  analytischer  und  geometrischer  Hinsicht 
sehr  bemerkenswerth.  Die  entsprechenden  Puncte 
P  und  Pi  zweier  Flächen  S  und  Si  liegen  in 
Beziehung  auf  einen  festen  Pnnct  0  auf  der- 
selben Geraden ,  so  daß  das  Product  OP.  OPt 
der  beiden  Radienvectoren  constant  ist.  In  Be- 
ziehung auf  die  erste  Darstellung  dieser  Trans- 
formation scheint  noch  einige  Unklarheit  vorzu- 
walten. Im  Journal  de  Mathematiques  findet 
mau    derselben     in    mehreren    Briefen     von    W, 

36* 


372 

Tliomson  au  Liouvüle  erwähnt.  (T.  X.  Annee 
1845  p.  364,  T.  XII  A.  1847  p.  265).  Hierzu 
hat  Liouvüle  (1.  c.  T.  XII.  p.  265—290,  die 
oben  erwähnte  Bezeichnung  auf  p.  276)  eine 
Reihe  sehr  scharfsinniger  und  geistreicher  Be- 
merkungen gemacht,  in.  Folge  deren  wahrschein- 
lich die  in  Rede  stehende  Transformation  Thom- 
son zugeschrieben  wird.  In  der  oben  erwähnten 
Abhandlung  weist  Hirst  schon  auf  einen  Auf- 
satz von  Stuhhs  hin,  welcher  sich  1843  im  Pid- 
losopMcal  Magazine  Vol.  XXIII  p.  338—347 
n.  d.  T.  „On  the  application  of  a  new  Method  to 
tJie  Geometry  of  Curves  and  Curve  Surfaces^'  ab- 
gedruckt findet.  Es  ist  dort  die  kürzere  Bezeich- 
nung inverse  Fläche  für  die  Fläche  Si  gegeben 
statt  der  gebräuchlich  gewordenen  Benennung 
von  Liouvüle. 

Die  drei  bemerkten  Transformationen  lassen 
sich  unter  einander  zur  Herstellung  neuer  Trans- 
formationen verbinden,  worüber  der  Verfasser 
schon  vor  längerer  Zeit  (Zeitschrift  für  Mathe- 
matik .1864,  T.  IX.  p.  126—131)  einige  kurze 
Mittheilungen  gemacht  hatte. 

In  einer  neueren  Arbeit:  „Memoire  sur  une 
transformatiou  gemetrique  et  sur  la  surface  des 
ondes"  (Memoire  de  l'Academie  de  Belgique  T. 
XXXVIII  Bruxelles  1871,  auch  Bulletins  de 
l'Academie  de  B.  Trente  -  Euitieme  Annee.  — 
2.  Serie  T.  XXVH  p.  129-142)  hat  Catalan 
folgende  Transformation  betrachtet  und  zum 
Gegenstand  einer  größeren  Abhandlung  gemacht. 
Durch  einen  festen  Punct  0  und  die  Normale 
des  Punctes  P  einer  Fläche  S  sei  eine  Ebene 
gelegt.  In  dieser  Ebene  ziehe  man  senkrecht 
zu  OP  die  Gerade  OPi,  so  daß  01\  =  OP;  der 
Punct  Pi  bestimmt  dann  eine  Fläche  ä,  d.  i. 
die  trausformirte  Fläche  ß. 


373 

Die  sämmtlichen  angeführten  Transforma- 
tionen und  ihre  Combiuationeu  unter  einander 
haben  eine  bemerkenswerthe  Eigenschaft,  welche 
im  Folgenden  als  Definition  dienen  soll.  Es 
ergeben  sich  dann  nicht  mehr  einzelne,  isolirte 
Transformationen  sondern  eine  unendliche  Menge 
in  Folge  arbiträrer  Functionen,  welche  in  den 
analytischen  Ausdrücken  auftreten.  Es  soll  fol- 
gende Definition  zu  Grunde  gelegt  werden: 

Die    correspondirenden    Puncte   P  und  P\ 
zweier   I  Jachen    S  und  Si    sollen   sich  in  Be- 
ziehung auf  einen  festen  Puncf  0  so  entspredien: 
Die  Ebene   durch  die    Puncte  0,  P  und  P\ 
enthalte  die  ISormalen  zu  den  Flächen  S  und 
Si  in  den  respectiven  Puncten  P  und  P\. 
Diese  Definition    enthält   eine    fundamentale 
Eigenschaft,   welche  sich  leicht  bei  den  bemerk- 
ten Transformationen  nachweisen  lässt. 

Für  die  analytische  Darstellung  der  vorhin 
definirten  Transformation  mögen  folgende  Be- 
zeichnungen eingeführt  werden.  Es  seien  Xq^ 
tfQ,  Zq  die  Coordinaten  von  0,  x,  y,  z  diejenigen 
von  P,  endlich  sei  Pi  durch  die  Coordinaten 
^u  Vxi  ^i  bestimmt.  Die  Normale  im  Puncte 
P  zur  Fläche  S  bilde  mit  den  Coordinatenaxen 
die  Winkel  ?,  17,  C;  die  Richtung  der  Normale  im 
Puncte  Pi  zur  Fläche  Si  sei  analog  durch  die 
Winkel    |i,  iji,  Ci    gegeben.     Man    setze    ferner 

1)  (a;— a;o)cos|  +  {y~yo)cost]  -f  (^-—^ jcos^=i>j. 

3)  Yr'^—p-^  =  A. 

(^i-^o)cos|i-f-(«/i-yo)cos^i4-(Ä,-^o)co8Ci=i),. 
4)|(^i-^o)M-(2/i-2'o)"'4-(^i-^o)^  =  ^2. 

yr.^-p,'^  =  Ai. 


374 

"Es  ist  dann  p  die  Länge  des  Perpendikels, 
gefällt  vom  festen  Puncte  0  auf  die  berührende 
Ebene  zur  Fläche  S  im  Puncte  P,  ferner  ist  r 
der  Radiusvector  OP.  Aehnliche  Bedeutungen 
haben  ^i  und  n. 

Man  kann,  abgesehn  von  einigen  Ausnahme- 
fällen, X,  y  und  ^  als  Functionen  von  p  und  r 
ansehn,  also  auch  rCj,  y^  und,^i.  Die  Ausnahme- 
fälle, welche  bei  der  folgenden  Darstellung  nicht 
mit  in  Betracht  gezogen  sind,  reduciren  sich 
auf  nachstehende  drei  Annahmen. 

I.  r  constant.  Dieser  Annahme  entspricht 
eine  Kugelfläehe,  welche  0  zum  Mittelpunct  hat. 

II.  p  constant.  Neben  einer  Kugelfläche 
um  den  Punct  0  als  Mittelpunct  enthält  diese 
Annahme  developpabele  Flächen.  Außer  der 
Ebene  selbst  entspricht  einem  constanten  p  die 
Tangentenfläche  der  kürzesten  Linie  einer  belie- 
bigen Kegelfläche.  Der  Punct  0  ist  dann  die 
Spitze  der  Kegelfläche. 

III.  Die  Quantitäten  r  und  p  sind  gegensei- 
tig von  einander  abhängig.  Es  ergeben  sich 
die  Flächen  mit  einem  Systeme  planer  Krüm- 
mungslinien, für  welche  die  Ebenen  dieser  Curven 
die  Normalen  zur  Fläche  enthalten  und  durch 
eine  feste  Gerade  gehn. 

In  Folge  der  oben  aufgestellten  Definition 
finden  die  Gleichungen  statt: 


cos  5       cos  rj      cos  C 
x—Xf,    y—yQ   s—Zq 


:0, 


cos$,    cos  17,    cosf, 

Xx—x^y^-y^e^—ss^ 

x-Xq  y—y^  e—e^ 


=0 


Sind  M^  iV,  M^  und  iV|  Unbestimmte,  so 
lassen  sich  diese  Gleichungen  durch  die  folgen- 
den ersetzen: 


375 
'^1 — ^0  =  -3fcos5  4-  N(x—Xq), 

^i — Sq  =  McoaC  +  N(z—Zq). 
Ucoäl^^  =  M^coa^  -\-  Ni{x — Xq) 

6)  Ihcosi}^  =  M^cos^  +  i^,  (y— y„) 

ifcosfi    =   JifiCOsC   +    iV^i  (^ Sq)' 

wo: 

7)  H^  =  Mi^  +  2pM^Ny  -\-  r^N^^. 

Da  der  Punct  P  einer  Fläche  S  angehört, 
so  ist  allgemein: 

8)  cos^dx  +  cosiyrfy  +  cosCrf^  =  0. 

Analog  findet  für  die  Fläche  Sy  die  totale 
Differentialgleichung  statt : 

9)  cos^idXi  -j-  co9^^dy^  -\-  cosCj^^js^i  =  0. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Gleichung  8)  geben 
die  Gleichungen   1)  und  2): 

i[x-Xf^]dcos^-^(y-'yQ)dco8i}-{-(2-2„)dcos^=dp, 
[x~Xo)  dx  +  {y—rio)  dy  +  {s—Zq)  dz  =  rdr. 

Substituirt  man  in  9)  für  xu  cos$i  etc. 
die  Werthe  aus  5)  und  6),  so  geht  diese  Glei- 
chung nach  1),  2),  8)  und  10)  in  folgende  über: 

11)    {M^^pN,)dM  +  i^M^  H-  r^N^)dN 
+  N^iMdp  +  Nrdr)  =  0. 

Diese  Gleichung  ist  allgemein,  wie  auch  x,y 


B76 

und  z  als  Functionen  zweier  Variabein  definirt 
werden. 

Man  sehe  nun  in  den  Gleichungen  5)  x,  y 
und  z,  also  auch  M  und  iV,  als  Functionen 
von  p  und  r  an. 

Unter  dieser  Voraussetzung  ist  in  11): 

^,^        dM^     ,   dM  ^     ^^^        dN ,     .   dN  ^ 
dM  =  -r~  dp  4-  -T-dr,  dN  =:  -t-(^P  4-  -7- dr. 
dp  dr  dp  dr 

Da  p  und  r  von  einander  unabhängig  sind, 
so  zerfällt  die  Gleichung  11)  in  zwei  Gleichun- 
gen, indem  die  Factoren  von  dp  und  dr  einzeln 
verschwinden  müssen.     Man  erhält  so: 


12) 


,^  ßM  ,    dN\  ,  ^^  /  dM  ,     dN ,      \ 
^^  idM  ,    dN\  ,  ^,  /  dM  ,     dN  ,    ,,\ 


Durch  Elimination  von  J/j  und  Ni  folgt: 
13) 


dM  ,     dN      dM   ,        dN    ,     ,^ 

W^^dp  ^dj-^'^d^-^^ 


dM  ,     dN      dM    ,        dN    ,      .., 
dr         dr        dr  dr 


=  0. 


Es  sind  also  M  und  N  durch  die  partielle 
Differentialgleichung  13)  mit  einander  verbun- 
den. Das  Verhältuiß  von  il/,  zu  iVj  —  wel- 
ches in  den  Gleichaugen  6)  vorkommt  —  ist 
durch  eine  der  Gleichungen  12)  gegeben. 

Die  Gleichungen  12)  lassen  sich  auch  auf 
folgende  Art  schreiben; 


14) 


377 
IdM       pM  \    , 

Die  Gleichungen  12)  oder  14)  geben  zu  eini- 
gen Annahmen  Veranlassung ,  welche ,  sowohl 
wegen  ihrer  Allgemeinheit,  wie  relativen  Ein- 
fachheit einer  weiteren  Ausführung  nicht  unwerth 
erscheinen. 

Die  beiden  Gleichungen  12)  reduciren  sich 
auf  eine  Gleichung,  wenn  die  Factoren  von  M^ 
und  iVj  in  einer  der  bemerkten  Gleichungen 
gleichzeitig  verschwinden.  Man  gelangt  genau 
zu  demselben  Resultate,  wenn  in  einer  der  Glei- 
chungen 14)  die  Factoren  von  Mi  -\-  2)Ni  und 
pMi  -f"  ^■■^'^i  annullirt  werden.  Je  nachdem 
die  erste  oder  zweite  Gleichung  12)  auf  diese 
Art  identisch  wird,  findet  man,  daß  rj  nur  von 
r  oder  nur  von  p  abhängig  ist, 

Setzt  man  in  den  Gleichungen  12)  A^j  =  0 
oder  auch  in  den  Gleichungen  14)  Mi  -\-  p  2^i 
=  0,  80  zeigt  die  Ausfuhrung  der  Rech- 
nung, daß  in  beiden  Fällen  ^j  nur  von  p  ab- 
hängig ist. 

Nimmt  man  in  den  Gleichungen  12)  Mi  =  0 
oder  auch  in  den  Gleichungen  14)  pMi  -{-  r^  Ni 
=  0,  so  ist  in  beiden  Fällen  p^^  nur  von  r  ab- 
hängig. 

Man  kann  nun  weiter  gehn  und  die  gefun- 
denen Resultate  dadurch  zu  verallgemeineren  su- 


378 

clien,  daß  man  r,  oder  ^j  der  Bedingung  un- 
terwirft nur  von  r  oder  nur  von  p  abzuhängen. 
Hierbei  zeichnen  sich  zwei  Fälle  durch  beson- 
dere Einfachheit  aus,  wenn  nämlich  i\  nur  von 
y,  oder  p^  nur  von  p  abhängt.  In  beiden  Fäl- 
len kehrt  die  Transformation  durch  Umkehrung 
in  sich  zurück,  oder  mit  anderen  Worten,  die 
Fläche /Sj  hängt  auf  dieselbe  Art  von  der  Fläche 
S  ab,  wie  umgekehrt  die  Fläche  S  von  der 
Fläche  /Si. 

Erster   Fall, 
n  nur  von  r  abhängig. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Bedeutung  von  /•,  aus 
der  zweiten  Gleichung  4)  geben  die  Gleichun- 
gen 5) 

15)        n^  =  Jf2_|_2^iifiv^_j_y2jV2  = 

Da  nun  n  von  p  unabhängig  ist,  so  folgt 
durch  Differentiation  nach  ^: 

-„.    ^,,dM  ,      dN  dM  .     .dN 

Diese  Gleichung  in  Verbindung  mit  der  ersten 
Gleichung  12)  giebt : 

^  M         W 

Findet  aber  diese  Gleichung  statt,  so  zeigt 
die  zweite  Gleichung  12),  daß 


379 

von  r  unabhängig  ist.  In  15)  ist  dann  auch 
n  von  r  unabhängig,  also  constant.  Die  trans- 
formirte  Fläche  ist  eine  Kugelfläche,  ein  ziem- 
lich evidentes  Resultat.  Es  entspricht  dann 
einem  Puncte  P  einer  Fläche  S  ein  beliebiger 
Punct  eines  Kreises ,  welcher  der  Durchschnitt 
ist  einer  Kugelfläche  um  den  Punct  0  mit  der 
Ebene,  welche  den  Radiusvector  0  P  und  die 
Normale  in  P  zur  Fläche  S  enthält.  Man  er- 
hält ebenso  für  S^  eine  Kugelfläche ,  wenn  in 
17)  3/  =  0,  M^  =  0  oder  N  =  0,  N^  = 
0  ist. 

Soll  die  Gleichung  17)  nicht  stattfinden,  so 
können  nur  die  Gleichungen  16)  und  12)  be- 
stehn  für : 

dM  ,      dN  dM  ,     ^dN  ,     ^        ^ 

dp    ^  ^  dp  ^  dp  dp 

oder  was  dasselbe  ist: 


(Of _  ^M_  ^  d_N  M      ^  Q 

dp       r^ — p^  '      dp       r* — p^ 

Sind  V  (»■)  ^^^  V'i  (^)  beliebige  Functionen 
von  r,    so  geben  die  vorstehenden  Gleichungen, 

J  =  \/r^—pi 

gesetzt : 

18)  M  =  "^^'W,  N  =  -Pl'C}  +  ^'■). 
J  rJ      ^     r 

Diese   Werthe    von  M   und    N  entsprechen 


380 

dem  allgemeinsten  Falle,  daß  r,  nur  von  r  ab- 
hängig sein  soll.  Die  zweite  Gleichung  12)  wird 
wegen  der  Gleichungen  18). 


19) 


Von  den  Gleichungen  5)  und  6)  genügt  es 
immer  nur  je  eine  derselben  auszuführen. 

Den  Werthen  von  M  und  N  aus  18)  ent- 
sprechend findet  man; 

20)  ..-.„  ='-mos|+[-?Ml)+^](,..„). 

21)  ffcos?,  =  [rtp'(r)  +  ^-^^''^JoosS 


wo: 


22)  ff.=[^,-,M_??^(^)]  VkM+^-^f-^]^ 

Elimiuirt  man  cos  |  zwischen  den  beiden 
Gleichungen  20)  und  21),  so  erhält  man  für 
x—X(^  folgende  Gleichung: 

23)       (x~x^)\tpir)ipXr)  -f  ^r{r)tp\{r)]  = 


381 

Aus  der  Gleichung  20)  und  zwei  analogen 
Gleichungen  erhält  man: 

24)  r,^  =  rpiry  +  tp^ir^. 

25)  (a;i-a;o)(x-jro)4-(yi-2/o)(2/-2/p)+(^i-'2^o)(<2^-'8^o)- 

=  rtp{r). 

Die  Gleichungen  24)  und  25)  zeigen,  daß 
der  Winkel,  welchen  die  Radienvectoren  OP  und 
OPi  zweier  entsprechenden  Puncte  der  Flächen 
S  und  Si   einschließen,  nur  von  r  abhängig  ist. 

Unter  Zugrundelegung  der  Gleichungen  20) 
und  21)  erhält  man  für  ^^i,  definirt  durch  die 
erste  Gleichung  4): 

26)  p,H=  fiyj(r)^  +  t//,(r)2] 

Von  dem  Produkte  der  Gleichungen  22)  und 
24)  das  Quadrat  der  Gleichung  26)  abgezogen 
giebt: 

(HJ.y  =  \tp{r)xp\r)  +  VJ,{r)ip\{r)YJ'^. 

Da  die  Vorzeichen  von  J  und  J^  beliebig 
sind,  so  giebt  die  vorstehende  Gleichung: 

27>)  E  =:  V^(>-)V^^(0  +  tPiir)tp\{r) 

^  J  ^,  • 

Die  Gleichung  26)  werde  durch  z/  dividirt, 
dann  aus  27)  der  Werth  von  H  substituirt,  zur 
Bestimmung  von  ^)  in  Function  von  p^  und  r 
ergiebt  sich  die  Gleichung: 


382 

28) 

Aus   27)  und  28)    werden    die    Werthe    von 

H  p 

-— -  und  -—  in    die   Gleichung   23)   substituirt, 
J  d 

wodurch  die  bemerkte  Gleichung,  mit  Rücksicht 

auf  24),  folgende  einfachere  Form  annimmt: 


29) 


Nach  24)  ist  umgekehrt  r  Function  von  r,. 
Setzt  man  in  der  Gleichung  29)  r\p^{r)  =  — 
t\ifi{r^)  und  rxpir)  =  i\(p(r^),  so  zeigen  die 
Gleichungen  20)  und  29),  daß  die  Coordiuaten 
des  Punctes  P,  von  denen  des  Punctes  P  ebenso 
abhängen,  wie  umgekehrt,  die  Coordinaten  des 
Punctes  P  von  denjenigen  des  Punctes  P, . 

Der  Annahme  ipi{r)  =  0  und  tp(r)  =  k^, 
wo  k  eine  Coustante  ist,  entspricht  die  Trans- 
formation durch  reciproke  Radienredoren.  Setzt 
man  in  20)  ip{r)  =  0  und  tpi(r)  =  r,  so  er- 
hält man  die  oben  erwähnte  von  Catalan  gege- 
bene Transformation. 


Zweiter  Fall. 
p^  nur  von  p  abhängig. 

Die  Gleichungen  5)  und  6)  geben: 


383 

p,H  =  M^{M  -{-  pN)  -f  N,{2^M  +  r^N). 

Bildet  man  das  Quadrat  dieser  Gleichung, 
setzt  aus  7)  den  Werth  von  E'^  ein,  so  folgt : 

qo^  «,2  _  [^^ (M^pN)  +  N,ipM-}-  r^N)]^ 
^"^  ^    -      {M,+  pN,y  +  {r^-p'')N,^ 

Aus  der  zweiten  Gleichung  12)  setze  man 
das  Verhältuiß  der  Werthe  von  Mi  und  iVj  in 
die  Gleichung  30). 

Nimmt  man  wieder 


J  =  l/'r'^—p'^, 

so  läßt  sich    die  Gleichung  30)  auf  folgende  be- 
imerkenswerthe  Form  bringen  : 

Hängt  nun  Pi  nur    von  ^)  ab,  so  ist  das  In- 
tegral der  vorstehenden  Diöerentialgleichung: 

132)        {M-^pN)cosw  -f  ^iVsinic  =  p^, 

,wo  der  Winkel  tv  nur  von  2)  abhängig  ist.     Zur 
Vereinfachung  der  Rechnung  setze  man: 

—  (M-\-pN)simv  -\-  JNcosw  z=:  t. 

Diese  Gleichung  in  Verbindung  mit  32)  giebt : 

\M  -|-  pl^  =  PiCostü  —  tünic^ 
\  JN  =  2?  j  sin  u;  -f"  ^  cos  w. 


384 

Zwischen  M  und  N  findet  die  Gleichung  13) 
statt,  welche  in  Folge  der  Relationen  32)  über- 
geht in : 


«*)  l-Hf-0  +  -t>]  =  »- 


Es  kann  natürlich  nicht  -—   =  0  sein,  sonst 

ab- 
wären in    den  Gleichungen  33)  die  rechten  Sei- 
ten nur  von  p  abhängig,  also  auch  M  -\-  pN  und 
JN^  was  nach  31)  nicht    stattfinden   soll.     Die 
Gleichung  33)  giebt  also: 


3^)  V  +  ^dp] 


dp)  dp"* 


durch  welche  Gleichung  t  bestimmt  ist.  In 
Folge  der  Gleichungen  33)  und  35)  leitet  mau 
aus  den  Gleichungen  5),  6)  und  12)  die  folgen- 
den ab: 

od)  3/ u        3/q    — 

r     /  »sint<;\      jöcos«ü-4-^/sinM;(?ü.1 

,    r»,  sinw;    ,        coaw     dpi"],  . 

37)  cos^i  = 

(»sinM;\        ^    ,    sinto, 
cosm;  —  ■^--— —  Icos  §  -| —  ^    {x — .r„). 


385 

Aus  der  Gleichung  37)  und  zwei  analogen 
Gleichungen  folgt: 

cos5cos$,  +  cosiycosiy,  -j-cosCcosC,  =  cosw. 

Der  Winkel ,  welchen  die  Normalen  zu  den 
Flächen  S  und  >S,  in  den  correspondirenden 
Puncten  P  und  P,  einschließen,  ist  nur  von  p 
abhängig. 

Als  besondere  Fälle  sind  folgende  zu  bemer- 
ken. Für  w  =  0  sind  die  Normalen  in  zwei 
correspondirenden    Puncten    parallel.     Dem  be- 

sonderen  Fall  p,  =  —  entspricht  die  reciprohe 

P 
Polarßäche  der  Fußpunctfläche  einer   gegebenen 
Fläche  S. 

Für  cos  IV  =  0  stehn  die  Normalen  in  zwei 
correspondirenden  Puncten  auf  einander  senkrecht. 

Nimmt  man  p^  =  p,  so  ist  auch  r^  =  r, 
es  ergiebt  sich  wieder  die  von  Catalan  unter- 
suchte Transformation. 

Aus  der  Gleichung  36)  und  zwei  ähnlichen 
findet  man: 

dp 

Da  J  und  /j^  beliebige  Vorzeichen  haben, 
so  kann  man  setzen  : 

38)  ..(l  +  .J)+4'  =  0, 

oder  auch: 

37 


386 

39)  4  +  -.!)  +  -.  1  =  0- 

Es  läßt  sich  mit  Hülfe  dieser  Gleichung,  auf 
gleiche  Art  wie  in  der  zuerst  behandelten  Trans- 
formation darthun,  daß  die  Flächen  S  und  S^ 
auch  in  Beziehung  auf  diesen  zweiten  Fall,  in 
einem  reciproken  Verhältniß  zu  einander  stehn. 
Die  Transformation  kehrt  durch  ümkehrung  in 
sich  zurück. 

Da  der  Nachweiß  hiervon  sich  nur  auf  die 
Elimination  von  cos  §  zwischen  den  Gleichungen 
36)  und  37)  reducirt,  nebst  Einführung  des  Wer- 
thes  von  ^^  statt  J  mittelst  der  Gleichung  39), 
so  möge  eine  weitere  Anführung  der  entspre- 
chenden Formeln  hier  unterbleiben. 

Dritter  Fall. 
r^  nur  von  p  abhängig. 

Da  nach  5) : 

n^  =  Jf 2  -f  2pMN  +  r2i^2, 

so  folgt,  wenn  r^  von  r  unabhängig  ist,  durch 
Differentiation  nach  r : 

Diese  Gleichung  giebt  zu  einer  ganz  ähnli- 
chen Betrachtung  Veranlassung  wie  die  Glei- 
chung 16)  des  ersten  Falls.  Mit  der  zweiten 
Gleichung    12)   combiuirt    führt    die    Gleichung 

40)  wieder  auf  die  Gleichung  17).  Sieht  man 
hiervon  ab,  so  ergiebt  sich  als  allgemeine  Lö- 
sung das  gleichzeitige  Verschwinden  der  Facto- 


387 

ren  von  M^  und  iV^,  in    der  zweiten  Gleichung 
12),  wodurcli  dann  natürlich  auch  die  Gleichung 
40)  identisch  wird. 
Setzt  man  also: 

dM  dN       ^      dM    ,        dN   ,      „       ^ 

dr     ^  ^dr  '  ^   dr    ^       dr   ^ 


und  wieder  J  =  j/r^— ;;2^  so  geben  die  vor- 
stehenden Gleichungen : 

wo  (f(jp)  und  (pi{p)  beliebige  Fanctionen  von  p 
sind.  Mittelst  der  vorstehenden  Werthe  von  M 
und  N  erhält  mau  aus  den  Gleichungen  5),  6) 
und  12): 

41)  ..-o=['^^-Vy(p)]cos?+^-f^^^^^ 

42)  £rcos§,  =    -[<p^ip)-^^^{x-Xo) 

wo: 

43)  m  =  [^(p\ip)-h<f(P)y-\-[^<PiP)-cp,ipW- 

Die    Annahme     (f i{p)  ==  0   und   (p(p)  =  p 
giebt  die  Fuß punct fläche  von  /S;  für  (fi{p)  =  0 

und  (p{jß)  =  — ,  wo  h  eine  Constante  bedeutet 

37* 


388 

erhält  man    die   reci'proke  Polarfläclie  der  primi- 
tiven Fläche  S. 

Die  Gleichungen  41)  und  42)  geben: 

44)  r,2  ^  ^(p-)2  ^  (p{py. 

45)  p,H=g>(p)'^+q>,{py.j-[(p(p)(p\{p)-<p ,  {pMp)]J, 

Eliminirt  man  cos?  zwischen  den  Gleichun- 
gen 41)  und  42),  so  kann  man  umgekehrt  x — x,, 
durch  a?! — Xq,  cos?,,  p^  und  r,  ausdrücken,  d.h. 
zu  der  gegebenen  Fläche  Si  die  primitive  Flä- 
che S  suchen. 

Man  hat  es  hier  mit  keiner  Transformation 
zu  thun ,  die  in  sich  zurückkehrt ,  sondern  mit 
einer  neuen  Transformation.  Die  auszuführen- 
den Rechnungen  sind  ziemlich  weitläufig  ^  die 
erhaltenen  Resultate  sind  von  complicirten  For- 
men, so  daß  es  angemessen  erscheint,  kurz  ein 
Verfahren  anzudeuten ,  welches  die  bemerkten 
Uebelstände  umgeht.  Dieses  ist  wohl  um  so 
mehr  von  Nutzen,  als  sich  auf  diesem  Wege  die 
Integration  einer  Differentialgleichung  ergiebt, 
die  sich  bei  einer  anderen  Behandlung  des  Pro- 
blems darbietet. 

Nach  44)  ist  umgekehrt  p  von  ^j  abhängig. 

Sind  6*1  und  i2j  Functionen  von  }\,  so  kann 
man  nach  44)  setzen: 

46)   (f(p)  =  riCos6i,  (py(p)  =  r^sinOi,  p  =  i>',. 
Setzt  mau  zur  Vereinfachung: 

80  geben  die  Gleichungen   46)  nach  y^,  differen- 
tiirt : 


389 

^         (y'i(P)i2'i   =  sin  ^^-\-r^cose^e\. 

Zwischen  den  Gleichungen  43)  und  45)  werde 
H  eliminirt.  Mit  Rücksicht  auf  46)  und  47) 
ergiebt  sich  für  z/  eine  quadratische  Gleichung. 
Beide  Wurzeln   lassen  sich  darstellen  durch : 

48)  J=       "»^*^'* 


wo  wieder  zi, 2  __  y^2__p^a  jgt.     Die  Gleichung 
45)  wird  nach  46),  47)  und  48): 

r  * 
49)  H  =  ' 


Wird  nun  cos?  zwischen  den  Gleichungen 
41)  und  42)  eliminirt,  so  folgt,  unter  Zuziehung 
der  Gleichungen  46)— 49): 

50)  x—Xo  =  M^cos^i  +  JVj  (a;i— a^o), 
wo  zur  Abkürzung  steht: 

51)  .A^,  =  ^Jl(cosö,-^^-^^»\ 
Diese  beiden  Gleichungen  geben  : 


390 
Ä  (Vi  cosö,  +  J,  smO,)-\-N^  r,2  cos  6,= 

Vierter  Fall. 
Pi  nur  von  r  abhängig. 

Dieser  Fall  kommt  auf  die  ümkehrung  des- 
dritten  Falls  hinaus.  Mit  etwas  veränderter  Be- 
zeichnung enthalten  die  Gleichungen  50)  und 
51)  die  Formeln,  welche  diesem  Falle  entspre- 
chen. Für  eine  directe  Behandlung  sind  nur 
wenige  Bemerkungen  beizufügen. 

Die  Gleichungen  5)  und  6)  geben: 

p^H  =  M,{M-{-pN)-{-  N^  (pM  +  r2  N). 

Man  bilde  das  Quadrat  dieser  Gleichung,  di- 
vidire  durch: 

m  =  M^'^  -\-  2pM^Ni  -f  r2j\r^2. 

Hierauf  substituire  man  aus  der  ersten  Glei- 
chung 12)  das  Verhältniß  von  JHf  ^  zu  N^.  Zwi- 
schen M  und  N  ergiebt  sich  dann  folgende  Dif- 
ferentialgleichung : 

53)  p,^  = 

[i^r^-p2^{M^£-N^-^)  +  M{M  +  pN)l^ 

Setzt  man  wieder  J^  =r.  r"^ — p^^  jg^  nun  p. 
nur  von  r  abhängig,  so  giebt  die  Gleichung  52) 
als  Integral  der  vorstehenden  Differentialgleichung^ 


391 

54)    M{p cos 0  +  ^/sinÖ)  +  Nr^ cosß  =  p^r, 

wo  6  nur  von  r  abhängig  ist. 

Um  31  und  N  zu  bestimmen,  nehme  man 
zur  Gleichung  54)  die  folgende ,  in  welcher  t 
eine  zu  bestimmende  Größe  bedeutet : 

55)  Mr cos  6  -\-  Nr.  {p cos 6 — //sind)  =  t. 

Aus  54)  und  55)  setze  man  die  Werthe  von 
M  und  N  in  die  Gleichung  13).  Die  linke  Seite 
zerfällt  dann  in  das  Product  zweier  Factoren. 
Der  eine  Factor 

1  di  pt        rpi 

r  dp  '^  r^-  ~  ^ 

muß  von  Null  verschieden  sein ,  wenn  nicht 
gleichzeitig 

dM  ^      dN      ^  d(pM-^r^N) 

— -  +  p  —  und  — ^^- — — ' 

dp  dp  dp 

verschwinden  sollen.  Es  kann  also  nur  der  zweite 
Factor  verschwinden,  wodurch  sich  für  t  folgen- 
der Werth  ergiebt: 

56)  t  ^  PPi 


de 

p-^rJ-=- 
dr 


Für  die    Gleichungen    54)  und  55)  geht  die 
erste  Gleichung  12)  über  in: 

57)       M^  {J  cosd—p  sin  6)  =  N^  r^  sin  6. 


392 

Die  Werthe  vou  x^  —  x^  und  cos  ^j,  der 
Gleichungen  5)  und  6)  nehmen  wegen  der 
Gleichungen  54),  55)  und  57)  folgende  For- 
men an: 

2/j  -~"  Xq  —  ^70  COS  s 


58) 


+  \Pi  rcos6  —  t 


pcosO  -\-  J  sin  61  X —  Xr 


X——X 

<i^cos|i  =  rsinöcos5+  (-^/cosö— ^sinö) ^ 


In  der  ersten  der  vorstehenden  Gleichungen 
ist  der  Werth  von  t  aus  56)  einzusetzen. 

Nimmt  man  in  58)  ö  =  0  und  p^  =  r,  so 
ist  die  Fläche  Sy  die  transformirte  Fußpunct- 
fläche  der  primitiven  Fläche  S  durch  reciproke 
Badienvectoren. 


Um  dieser  Note  keine  zu  große  Ausdehnung 
zu  geben,  sollen  im  Folgenden  noch  einige  Re- 
sultate ohne  Beweis  mitgetheilt  werden,  zu  denen 
die  vorhergehenden  Entwicklungen  Veranlassuuo- 
geben. 

Die  zu  Anfang  genannten  Transformationen, 
nämlich :  Die  reciprohe  Polarfläche ,  die  Fuß- 
punctfläche,  die  Transformation  durch  recip^'olc 
Madienvcctoren  und  die  Combinationen  dieser 
Transformationen,  haben  sämmtlich  die  Eigen- 
schaft gemein,  daß  der  Winkel,  welchen  der  Ra- 
diusvector  OP  mit  der  Normalen  im  Functe  P 
zur  Fläche  S  bildet,  gleich  dem  Winkel  ist,  wel- 
chen der  Radiusvector  OP,  mit  der  Normalen 
im  Puncte  P,  zur  Fläche  S^  einschließt.     Diese 


39a 

Eigenschaft  hat  auch  die  vou  Catulan  betrachtete 
Transformation. 

Nach  den  in  1),  2)  und  4)   gebrauchten  Be- 
zeichnungen wird  die  bemerkte  Eigenschaft  durch: 


59) 


r       r 


ausgedrückt.  Mittelst  der  Gleichungen  5)  und 
6)  soll  die  folgende  Transformation  bestimmt 
werden. 

Die  correspondirendeii  Pun<ie  P  und  P,  zweier 
Flüchen  S  und  /S,  entsprechen  sich  in  Bezie- 
hung auf  einen  festen  Punct  0  auf  folgende 
Art: 

Die  Radienvectoren  OP  und  OPy  liegen  mit 
den  Normalen  der  Flächen  S  und  >§,  in  den 
Puncten  P  und  P^  in  einer  Ebene,  die  Win- 
Jcel,  icelche  die  Radienvectoren  mit  den  ent- 
sprecJienden  iSommlen  bilden,  sind  einander 
gleich,  oder  ihre  Summe  ist  gleich  zicei  Rechten. 

Mittelst  der  Gleichungen  5)  und  6)  giebt 
die  Gleichung  59)  zu  folgenden  Fällen  Veran- 
lassung. 

l.  M  =  0  und  iV,  =  0.  Dann  ist  N  con- 
stant,  man  findet: 

wo  keine  Constante  bedeutet. 

IL  üf^O  und  2p  M,  +r2i\\  =  0.  Die- 
sen Annahmen  entspricht  die  Transformation 
durch  recijjroke  Radienvectoren. 

III.     M-^2p  N  =  Ound  iYj  =  0.     Diese 


394 

Gleichungen  bestimmen  die  reciproke  Polarßäch/' 
der  FußpunJctfläcJie  der  primitiven  Fläche  S- 

IV.     M-\-2pN  =  0  und 

2  p  Ml  =  {r^—4.f)N.  _ 

Diesen  Gleichungen  entspricht  die  Anwen- 
dung der  Transformation  durch  reciproke  Radien- 
vectoren  auf  die  in  die  III  enthaltene  Trans- 
formation. 

60)  V.     M,{M~{-2pN)-\-NiNr^  =  0. 

Man  setze  aus  dieser  Gleichung  das  Verhält- 
niß  von  Mi  zu  JV^  in  die  beiden  Gleichungen 
12).  Die  erste  der  so  erhaltenen  Gleichungen 
differentiire  man  nach  r,  die  zweite  nach  j)  und 
bilde  die  Differenz  dieser  Gleichungen.  Man 
setze  ferner  in  diese  Differenz  die  Werthe  von 

dM       ,  dM 
- —  und  -^r- 
dp  dr 

welche  sich  durch  die  bemerkte  Substitution  von 
Jfj  und  Ni  aus  der  Gleichung  60)  in  die  Glei- 
chungen 12)  ergeben.     Man  findet  dann; 

Mit  Hülfe  dieser  Gleichung  erhält  mau  weiter 
dM  ,     dM  ,    .^        . 

Sind  (p  und  t/J  beliebige  Functionen  ihres 
Arguments,  so  geben  die  Gleichungen  61)  und  62) 


395 

63)  M=V,('i),.V=i^Ci). 

Man  setze  zur  Vereinfachung 

64)  ^    =  t 

'  r 

und  lasse  bei  den  Functionen  (f  und  \p,  so  wie 
deren  Derivirteu ,  das  Argumeut  weg.  Da  die 
Werthe  von  M  und  N  der  Gleichung  13)  genü- 
gen müssen,  so  besteht  zwischen  den  Functionen 
<p  und  tp  die  Relation: 

65)  [(fJ^2t\p)[(p-\-tq>'-\-ip')  =  yj(g>'-\-t  V')- 

VI.     66)      M,M-\-N^  (>•* N-\-2pM)  =  0. 

Verfährt  man  mit  der  Gleichung  66)  auf 
ähnliche  Art  wie  mit  der  Gleichung  60),  so  er- 
hält man  analog  wie  die  Gleichungen  61)  und 
62)  die  folgenden: 


dN  , 
PTp+' 

dN 

0, 

dM 

Pdp+' 

dM 

'  dr    ~ 

M. 

Es  ist  also: 

67)  M  =  p<p  (§),  N  =  rp^ 

Hat  wieder  f  dieselbe  Bedeutung  wie  in  64), 


396 

so   besteht   zwischen   den   Functionen  ip  und  xfj 
die  Relation; 

Q^)t{(p'  +  tp'){n^(p-^x{j)  =  (p[t(t^(p'-{-ip')~ip]. 

Den    Werthen   t/;  =  0,    ^  =  1    entspricht 
die  Fußpunctfläche,  für 

1  -t 

(p  =    ,  , -,     tp  = 


erhält   man   die  von  Catalan   behandelte  Trans- 
formation. 

Die   Gleichung   66)    geometrisch   interpretirt 

drückt  aus,  daß 

die  Pimcte  0,  P,  P^  mit  dem  Schnittpunde  der 

Normalen   zu  den  Flächen   S  und  Si    in   P 

und  Pj  auf  dem  Umfange  eines  Kreises  liegen. 

Sollen  umgekehrt  die  bemerkten  Puncte   auf 

dem  Umfange  eines  Kreises  liegen,  so  findet  die 

Gleichung  64)  statt. 


Ueber  den  Randwinkel  und  die  Ausbrei- 
tung von  Flüssigkeiten  auf  festen 
Körpern. 

Von 

G.  duincke, 

correspondirendem  Mitgliede. 

Bei  der  Fortsetzung  meiner  Untersuchungen 
über  die  Capillaritätserscheinungen  an  der  ge- 
meinschaftlichen Oberfläche  2er  Flüssigkeiten 
(Gott.  Nachr.  17.  10.  1869)  und  die  Cohäsion 
von  Salzlösungen  (Pogg.  Ann.  160.  p.  337 — 374, 
560—588.  1877)  bin  ich  dazu  geführt  worden 
auch    die    Beziehungen    zwischen    Flüssigkeiten 


397 

und  festen  Körpern  näher  zu  untersuchen.  Es 
haben  sich  dabei  folgende  Resultate  ergeben: 

Die  schon  läuger  bekannten  Eigenschaften 
der  gemeinschaftlichen  Grenzfläche  2er  Flüssig- 
keiten lassen  sich  auf  die  gemeinschaftliche  Grenze 
einer  Flüssigkeit  und  eines  festen  Körpers  über- 
tragen. 

Die  gemeinschaftliche  Oberfläche  eines  festen 
Körpers  1  und  einer  Flüssigkeit  2  hat  das  Be- 
streben möglichst  klein  zu  werden,  oder  es  herrscht 
in  ihr,  wie  man  auch  sagen  kann,  eine  bestimmte 
von  der  geometrischen  Gestalt  der  Oberfläche 
unabhängige  und  nur  durch  die  Natur  der  beiden 
Substanzen  1  und  2  bestimmte  Oberflächenspan- 
nung a,2- 

Die  Größe  des  Randwinkels  eines  festen  Kör- 
pers 1  und  einer  Flüssigkeit  2,  die  beide  von 
einer  Flüssigkeit  3  begrenzt  sind,  ist  nur  durch 
die  Natur  der  3  Substanzen  bestimmt  uud  von 
der  geometrischen  Gestalt  der  Oberfläche  unab- 
hängig. 

Der  von  Thomas  Young  herrührende  Haupt- 
satz der  Capillaritätstheorie  über  die  Constanz 
des  Randwinkels  der  freien  Oberfläche  eines  festen 
Körpers  und  einer  Flüssigkeit  ist  ein  besonderer 
Fall  des  eben  ausgesprochenen  Satzes,  wenn  die 
Flüssigkeit  3  aus  Luft  besteht. 

Der  Randwinkel  kann  indirect  aus  der  Ge- 
stalt flacher  Tropfen  und  Blasen  abgeleitet  oder 
mit  reflectirtem  Licht  direct  gemessen  werden. 

Der  Randwinkel  der  freien  Oberfläche  ver- 
schiedener Flüssigkeiten  ,  ^vie  Wasser ,  Alkohol, 
n.  8.  w.  und  wässeriger  oder  alkoholischer  Salz- 
losungen gegen  reine  Glas-  Krystall-  oder  Me- 
tall-Flächen scheint  0°  zu  sein.  Die  Flüssig- 
keiten breiten  sich  auf  der  reinen  festen  Ober- 
fläche aus. 


398 

Hat  der  Randwinkel,  wie  gewöhnlich,  größere 
Werthe ,  so  ist  die  feste  Oberfläche  mit  einer 
(unmerklich)  dünnen  Schicht  fremder  Substanz 
überzogen,  mit  deren  Dicke  sich  der  Randwinkel 
ändert. 

Die  Dicke  dieser  dünnen  Schicht  darf  jedoch 
einen  bestimmten  Maximal werth  D  nicht  über- 
steigen, der  ebenso  groß  oder  größer,  wie  der 
Radius  der  Wirkungssphäre  derMolecularkräfteist. 

Diese  dünne  an  der  Oberfläche  des  festen 
Körpers  adhärirende  Schicht  kann  aus  fester, 
flüssiger  oder  gasförmiger  Substanz  bestehen. 

Sie  kann  auch  aus  der  aufgebrachten  Flüs- 
sigkeit selbst  bestehen,  und  lässt  sich  außer  durch 
den  Randwinkel  auch  durch  das  sogenannte 
Kriechen  der  Salze  oder  die  Elektricitätsleitung 
an  der  Oberfläche  des  festen  Körpers,  in  einzel- 
nen Fällen  auch  durch  die  Interferenzfarbe  des 
von  ihr  reflectirten  Lichtes  nachweisen. 

Die  unmerklich  dünnen  Schichten  derselben 
Flüssigkeit  haben  je  nach  der  Dauer  und  der 
Art  ihrer  Entstehung,  oder  je  nach  der  Natur 
des  festen  Körpers ,  an  dem  sie  adhärireu ,  ver- 
schiedene Eigenschaften.  Schnell  entstandene 
Wassertropfen  breiten  sich  z.  B.  auf  frisch  ge- 
reinigten Glasflächen  leichter  aus,  als  langsam 
entstandene. 

Diese  unmerklich  dünnen  Schichten  fremder 
Substanz  scheinen  auch  den  Grund  für  die  Ab- 
weichungen von  Theorie  und  Erfahrung  bei  der 
Bestimmung  der  Oberflächenspannung  an  der 
gemeinsamen  Grenze  von  Flüssigkeiten  und  fe- 
sten Körpern  abzugeben. 

Ist  der  Randwinkel  0°  oder  unmöglich,  so 
erfolgt  eine  Ausbreitung  der  Flüssigkeit  an  der 
Oberfläche  des  festen  Körpers. 

Bei   Flüssigkeiten,    die  in  jedem   Verhältniß 


399 

mischbar    sind,    verdrängt    die    Flüssigkeit    mit 

leinerer  Oberflächenspannung  a^^  die  mit  grö- 
ßerer Oberflächenspannung  «,2-  Diese  Oberflä- 
jhenspannung  und  die  möglicher  Weise  eintre- 
ende  Verdrängung  ändern  sich  aber  mit  der 
l^atur   der   festen    Substanz.      Dies   ergänzt   die 

rüc  ke'sche  Theorie  der  Oberflächen-Difiusion  *) 
ängs  einer  festen  Wand. 

Die  Gegenwart  anderer  Flüssigkeiten  und 
)esonders  von  Luft  kann  die  Ausbreitung  einer 
Hüssigkeit  an  einer  festen  Wand  wesentlich  mo- 
lificiren. 

Die  Abhängigkeit  des  Randwiukels  von  der 
Dicke  der  unmerklich  dünnen  Schicht  auf  der 
esten  Oberfläche  erklärt  die  Hauchbilder  von 
iloser^)  und  Waid  ele')  mit  W^asserdanipf;  die 

ichtbilder  von  Daguerre"*)  mit  Quecksilber- 
lampf;  die  elektrischen  Hauchbilder  und  Hauch- 

guren  von  G.  Kar  sten  ^)  und  Riess®)  mit  Was- 

BT,-  Quecksilber-  und  Joddampf. 
Heidelberg  den  30ten  Jimi  1877. 

1)  Pogg.  Ann.  58.  pag.  82.  1843. 

2)  Pogg.  Ann.  56.  pag.  177;  57  pag.  1.  1842. 

3)  Pogg.  Ann.  59.  pag.  255.  1843. 

4)  Compt.  rend.  IX.  pag.  257.  1839. 

5)  Pogg.  Ann.  57.  pag.  493.  1842. 

6)  Eiess,  Reibungselektricität.  II.  pag.  224. 


400 

Bei    der     Königl.    Geseilschaft    der    Wis- 
senscliaften  eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Jahresbericht  am  12.  Mai  1676  dem  Comite  der  Nicolai- 
Hauptsternwarte  abgestattet  vom  Director  d.  Stern- 
warte.    St.  Petersb.  1876. 

—  Derselbe  vom  16.  Mai  1875. 

H.  Wild,  Annalen  des  physikal.  Central-Observatoriums. 

Jahrg.  1875.     St.  Petersbourg.    1876.    4. 
Proceedings  of  the  London  math.  Society.    No.  104 — 105. 
Eecueil   de   m^moires ,  rapports    et  documents  relatifs  k 

l'Observation   du  passage  de  Venus  sur  le  soleil.  Paris 

Didot.    T.  I.  partie  2.    1876.    Supplement  ä  la  partie 

2de  1876. 
Memoires  de  l'Acad.  des  Sc.  de  l'Institut  de  France.  T. 

36.     1870.     T.  38.     1873.    T.  40.     1876. 

—  presentes  par  divers  Savants  ä  l'Acad.  des  Sc  de 
l'Institut  de  France  et  imprimes  par  son  ordre.  Sc. 
mathemat.  et  phys      T.  20.     1872.     T.  25.     1877. 

—  de  l'Inst.  de  Fr.  Academie  des  inscriptions  et  heiles 
lettres.  Tome  22.  Table  des  vols.  XII-XXI.  1874. 
Tome  28.  partie  1  et  2.  1874.  1876. 

—  presentds  par  divers  Savants  ä  l'Acad.  des  Inscriptions 
et  Belles-Lettres  de  l'Institut  de  France.  Premiere  Serie. 
Sujets  divers  derudition.    T.  8.  partie  2.     1874. 

Notices  et  extraits  de  Manuscrits  de  la  bibliotheque  na- 
tionale et  autres  bibliotheques.  Publies  par  l'Institut  de 
France.  Paris  4.  T.  22.  partie  1.  1874.  T.  24.  p.  2. 
1876.    T.  25  p.  2.     1875. 

Societe  nation.  des  Sciences  naturelles  de  Cherbourg. 
Compte-rendu  de  la  s^ance  extraord.  le  30.  Dec.  1870, 
le  2öieme  anniversaire  de  la  fondation. 

Revue  des  Societes  savantes  des  Departements,  publiro 
Bous  les  auspices  du  Ministere  de  l'instruction  publiciue 
etc  Sixieme  Serie.  T.  I.  Janr.  -  Juin.  1875.  T.  IL 
Juillet— Decembre  1875.    Paris.  1875.  76. 

Observations  meteorologiques  faites  aux  stations  interna- 
tionales de  Belgique  et  desPays— Bas.  Premiere  annee. 
Brux.   1877.     4. 

Annales  de  rObservat.  R.  de  Bruxelles.    Fol.  I.    1877.  4. 

(Fortsetzung  folgt.) 


401 


IVachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


25.  JuH.  M  17.  1877. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  7.  Juli. 
(Fortsetzung.) 

lieber  geometrische  Erweiterungen  des 
Bezoutschen  Fundamentalsatzes. 

Von 

Dr.  H.  Schubert  in  Hamburg, 
Oberlehrer  an  der  Gelehrtenschale. 

Betrachtet  man  statt  des  Punktes  das  Gebilde 
■Tals  Raumelement,  so  wird  aus  der  Aufgabe: 

»Die  Zahl  der  gemeinsamen  Punkte 
einer  Curve  und  einer  Fläche  durch 
iure  Gradzahlen  auszudrücken«. 

das  folgende  Problem,  welches  das  Charak- 

teristikenproblem  für  das  Gebilde  T  heißen 
möge: 

^Das  Gebilderhabe  die  Constanten- 
zahl  c,  und  sei  Element  zweier  Systeme 
«  ^^^  "^'c-a'  voll  denen  das  erste  a- 
>tufig  sei,  d.  h.  OC"  Gebilde  T  enthalte, 
and  das  zweite  (c— a)-8tufig  sei.  An- 
zugeben ist  die  Zahl  der  den  beiden 
Systemen     gemeinsamen     Gebilde    als 

38 


402 

Function  von  Anzahlen  ■—  Gradzahlen 
oder  Charakteristiken  — ,  deren  jede 
von^"^  oder  von2''^_^allein  abhängt^)«. 

Außer  der  Punktgeometrie  und  der  ihr  dua- 
listisch entsprechenden  Ebenengeometrie ,  hat 
auch  die  Liniengeometrie  ihr  Charakteristiken- 
problem vollständig  gelöst.  Sonst  ist  dieses  Pro- 
blem bisher  wohl  nur  in  Fällen,  wo  F  ein  Ke- 
gelschnitt {aii-\-ßv)  oder  eine  Fläche  zweiten 
Grades  ist,  in  Angriff  genommen^). 

Im  folgenden  sind  nun  die  Formeln  mitge- 
theilt,  welche  die  Charakteristikentheorie  des 
Strahlbüschels  und  einiger  anderer  Gebilde  erle- 
digen, die  aus  einzelnen  Punkten,  Ebenen  und 
Strahlen  zusammengesetzt  sind^). 

Die  Quelle  der  mitgetheilten Resultate  war 
einerseits  der  geometrisch  verwendbar  gemachte 
Gaussische  Fundamentals  atz  der  Algebra, 
mit  andern  Worten,  das  Chasles'sche  Correspon- 
denzprincip  in  der  ihm  von  mir  gegebenen  all- 
gemeineren Fassung  (Math.  Ann.  Bd.  10,  pag. 
49  u.  f.);  andererseits  wurde  zur  Ableitung  der 
Resultate   die    symbolische  Multiplication   ange- 

1)  Die  Lösungen  dieses  Problems  habe  ich  in  §.  26 
meiner  »Beiträge  zur  abzählenden  Geometrie«  (Math. 
Ann.  Bd.  10)  Produktensätze  genannt.  Allgemeine 
Erörterungen  über  Produktensätze  habe  ich  in  den  Math. 
Ann.  Bd.  10,  pag.  355  bis  357  angestellt. 

2)  Für  das  aus  einem  Strahle  und  einem  Punkte  be- 
stehende Gebilde  ist  das  Charakteristikenproblem  in  dem 
speziellen  Falle  gelöst,  wo  die  Verbindungsebene  von 
Strahl  und  Punkt  fest  ist  (Lindemann's  Vorl.  v.  Clebsch, 
pag.  936  u.  f.  über  Clebsch's  Connexe). 

3)  Wie  ich  aus  einer  brieflichen  Mittheilung  ersehe, 
hat  sich  auch  Herr  Halphen  mit  einigen  auf  die  Charak- 
teristikentheorie solcher  Gebilde  bezüglichen  Fragen  be- 
schäftigt. Doch  hat  Herr  Halphen  über  diesen  Gegen- 
stand, wohl  nichts  publicirt. 


403 

wandt,  und  zwar  unter  steter  Benutzung  der 
allgemeinen  Lag e-Fo  rm ein,  welche  ich  in  den 
Beitr.  z.  abz.  Geom.  §.  9  aufgestellt  habe,  und 
welche  ich  dann,  ihres  fundamentalen  Charakters 
wegen,  oft  (Math.  Ann.  X,  325;  Xü,  182,  197, 
207)  zu  wiederholen  Gelegenheit  fand. 

Die  den  Formeln  folgenden,  oft  nur  kurz  an- 
gedeuteten Anwendungen  lassen  die  Natur 
der  Anzahl  -  Probleme  erkennen ,  welche  durch 
die  neuen  Formeln  leicht  zugänglich  werden. 

§.  1.    Bezeichnungen. 

Um  meine  Resultate  kurz  und  übersichtlich 
aussprechen  zu  können,  muß  ich  wieder  die  Sym- 
bolik benutzen,  welche  ich  in  den  Beitr.  z.  abz, 
Geom.  (§.  2,  §.  5,  §.  9)  für  gegebene  Bedin- 
gungen und  ihnen  angehörige  Anzahlen  aufge- 
stellt habe.  Ich  verschmelze  daher  hier  die  An- 
gabe der  in  den  folgenden  Formeln  gebrauchten 
Zeichen  mit  einer  Wiederholung  der  Regeln, 
auf  denen  jene  Symbolik  fußt. 

1)  Die  erste,  zweite,  dritte  Potenz  des  Buch- 
staben, welcher  im  folgenden  einen  Punkt  be- 
zeichnet, bedeutet  auch  bezüglich  die  drei  Be- 
dingungen, daß  dieser  Punkt  auf  einer  gege- 
benen Ebene,  auf  zwei  gegebenen  Ebenen,  d.  h. 
einer  gegebenen  Geraden,  auf  drei  gegebenen 
Ebenen,  d.  h.  in  einem  gegebenen  Punkte,  liegen 
soll. 

2)  Für  die  E be  n  e  gilt  die  Festsetzung,  welche 
1)  dualistisch  entspricht. 

3)  Der  kleine  Buchstabe,  welcher  im  folgen- 
den einen  Strahl  bezeichnet,  bedeutet  auch  die 
Bedingung,  daß  dieser  Strahl  eine  gegebene 
Gerade  schneiden  soll;  derselbe  kleine  Buchstabe 
mit  dem  unten  angefügten  Index  i),  e,  s  bedeutet 
bezüglich   die  Bedingung,    daß  dieser  Strahl 

38* 


404 

durch  einen  gegebenen  Punkt  gehen,  in  einer 
gegebenen  Ebene  liegen,  einem  gegebenen  Strabl- 
büschel  angehören  soll ;  und  ebenderselbe  Buch- 
stabe, aber  groß  statt  klein  geschrieben,  bedeu- 
tet die  Bedingung,  daß  dieser  Strahl  gegeben 
sein  soll. 

4)  Bedingungen,  welche  von  Punkten,  Ebe- 
nen oder  Strahlen  erfüllt  werden  sollen,  die  ei- 
nem Gebilde  F  angehören,  werden  als  dem 
Gebilde  F  selbst  auferlegt  angesehen. 

5)  Bedeuten  y  und  z  zwei  einem  Gebilde  T 
auferlegte  Bedingungen,  so  bezeichnet  das  Pro- 
dukt yz  für  r  die  Bedingung,  welche  aussagt, 
daß'  y  und  ^  zugleich  erfüllt  werden  sollen. 
Im  folgenden  wird  ein  solches  symbolisches 
Produkt  immer  ohne  Multiplications- 
zeichen  geschrieben,  dagegen  eine  Multipli- 
cation  im  arithmetisch  en  Sinne  durch 
einen  Punkt  als  Multiplicationszeichen 
angedeutet. 

6)  Das  Symbol  z  einer  F  auferlegten  Bedin- 
gung bedeutet  nicht  bloß  diese  Bedingung  selbst, 
sondern  auch  die  endliche  Anzahl  derjenigen 
Gebilde  F,  welche,  einem  vorliegenden  Systeme 
angehörig,  diese  Bedingung  erfüllen.  Es  bestehe 
z.  B.  F  aus  einem  Strahle  g  und  einem  darauf 
liegenden  Punkte  p^  und  es  liege  ein  dreistufiges 
System  solcher  Gebilde  zu  Grunde.  Dann  be- 
zeichnet g^  die  Zahl  derjenigen   Gebilde  dieses 

Systems,  welche  ihren  Strahl  g  einem  gegebenen 
Strahlbüschel  zuschicken,  und  p'^g  die  Zahl  der- 
jenigen, deren  Punkt  p  auf  einer  gegebenen  Ge- 
raden liegt,  und  deren  Strahl  g  zugleich  eine 
gegebene  Gerade  schneidet. 

7)  Die  beiden  Systeme,  welche  jeder  der  fol- 
genden Charakteristikenformeln  zu  Grunde  gelegt 


405 

sind,  heißen  immer  2  und  2"',  nnd  erhalten  als 
unteren  Index  ihre  Stufenzahl.  Die  Punkte, 
Ebenen  und  Strahlen,  aus  welchen  das  2  und 
2'  erzeugende  Gebilde  F  besteht,  werden  für  das 
eine  System  mit  denselben  Buchstaben  bezeich- 
net, wie  für  das  andere,  jedoch  so,  daß  dieser 
Buchstabe  in  Rücksicht  auf  ^  nicht  gestri- 
chelt, in  Rücksicht  auf  2'  gestrichelt  wird. 

8)  Ist  die  Stufensumme  von  2  und  2'  gleich 
der  Constantenzahl  c  des  erzeugenden  Gebildes 
r\  so  haben  die  beiden  Systeme  eine  end- 
liche, immer  mit  x  bezeichnete  Zahl 
von  Gebilden  gemein. 

9)  Ist  die  Stufensumme  von  2  und  2*  um 
d  größer  als  c,  so  haben  die  beiden  Systeme 
ein  (^-stufiges  System  von  Gebilden 
gemein.  Dann  bezeichnet  xz^  wo  -?  irgend 
eine  rf-fache  Bedingung  ist,  die  Zahl  derjenigen 
gemeinsamen  Elemente,  welche  z  erfüllen.  Ge- 
mäß der  Festsetzung  7)  bedeutet  immer  xz  und 
xz'  ganz  dasselbe.  Die  Formeln  Tut  xz  gehen 
aus  den  Formeln  für  x  immer  durch  symbohsche 
Multiplicatiou  mit  der  Bedingung  z  oder  z*  her- 
vor. Die  Formeln  für  x  sollen  deßhalb  Stamm- 
formeln, die  für  xz  abgeleitete  heißen. 

§.2.     Charakteristikenformeln  für  den 
Strahlbüschel. 

Der  Scheitel  des  Strahlbüschels  heiße  p  für 
-,  p'  für  2,  die  Ebene  des  Strahlbüschels  heiße 
e  für  2^  e*  für  2*.  Für  ein-  und  vierstufige 
Systeme  reichen  2,  für  zwei-  und  dreistufige 
Systeme  3  Charakteristiken  aus.  Am  zweck- 
mäßigsten ist  es,  für  die  2  folgende  Bedingungen 
zu  Charakteristiken  zu  nehmen; 


406 

Hier  bedeutet  t  die  Bedingung,  daß  der 
Strahlbüschel  seinen  Punkt  p  auf  einer  gegebe- 
nen Geraden  bat,  und  zugleich  seine  Ebene  e 
durch  ebendieselbe  Gerade  schickt.  Bekanntlich 
(Beitr.  z.  abz.  Geom.  pag.  35)  ist  t  =  p^e — p^ 
=■  pe^  —  e^.  Die  Symbole  der  Charakteristiken 
für  die  ^'  gehen  aus  den  Symbolen  für  2  immer 
durch  Stricheln  der  Buchstaben  hervor. 

Stammformeln. 

A)  Gegeben  2^  und  S\.    Die  Zahl  der  den 
beiden  Systemen  gemeinsamen  Strahlbüschel  ist: 

1)  X  =  p  ,p'e'^ -\-e.p'^&, 

B)  Gegeben  JS^  und  2\: 

2)  X  =  p^.e'^-\-pe.t' -\- e^.p*^. 

Abgeleitete  Formeln. 

C)  Gegeben  2^  und  2\'. 

3)  xp  =  p^  .p*  e'^ -\-pe,p'^e' , 

4)  xe  =  pe.p*e'^ -{- e^ .p'^e'. 

D)  Gegeben  2*3  und  2\: 

5)  xp  =  pKe'^  -i-  p\f  -\-  t.t'  -\-  t.p'^  -i-  e\p'^, 

6)  xe  =  p\e'^  -}-t.e'^  -}-  tJ'  -\-  e\t'  -]-  c\p'^ 

E)  Gegeben  2^  und  2'^ : 

7)  xp^  =  p^.p'&^-\-p^,p'^e' -\-t.p^h', 

8)  xpe  =  p^.p*e'^-{-t.p'e'^-^t.p'^e' -\-e^.p'^e^ 

9)  xe^  =  t.p'e'^-\-e\p'e'^  +  e\p'^e'. 


407 

F)  Gegeben  2^  und  2\: 

10)  xp'^  =  p'e.i^'V, 

11)  xt  =  p^e.p'e'^  +  pe^.p'^e'j 

12)  xe^  =  jpe^.p'c" 

(auch   als  Zahl  der  Schnittpunkte   zweier  Plan- 
curren). 

Anwendungen. 

1)  Eine  naheliegende  Anwendung  der  Strahl- 
büschel-Formeln bezieht  sich  auf  die  Berüh- 
rung von  Flächen.  Die  Tangenten  einer 
Fläche  bilden  nämlich  ein  zweistufiges  System 
von  Strahlbüscheln,  und  man  sagt  von  zwei 
Flächen,  daß  sie  sich  berühren,  wenn  die  ihnen 
angehörigen  Tangentenbüschel  -  Systeme  ein  ge- 
meinsames Element  besitzen.  Folglich  ist  die 
Formel  von  Jonquieres  *)  und  Brill  ^)  für  die  Zahl 
der  Flächen  eines  Flächensystems,  welche  eine 
gegebene  Fläche  berühren ,  spezieller  Fall  von 
Formel  2).  Eine  Fläche  JPo-ter  Ordnung,  r-ten 
Ranges,  k-ter  Klasse  besitzt  nämlich  ein  zwei- 
stufiges System  2^  von  Tangentenbüscheln,  bei 
welchem p^  =  o,  pe  =  r,  e*  =  k  ist.  Femer 
besitzt  ein  einstufiges  Flächensystem  {(*,  y,  p), 
welches  /*  Flächen  durch  einen  gegebenen  Punkt 
schickt,  V  Flächen  eine  gegebene  Gerade,  q 
Flächen  eine  gegebene  Ebene  berühren  läßt,  ein 
dreistufiges  System  2'^  von  Tangent^nbüscheln, 
bei  welchem  jp'^  =  /t4,  t'  =  v,  e'^  =  ^  zu  setzen 
ist.    Also  kommt  für  die  Zahl  derjenigen  Flächen 

1)  Jonquiferes,  C.  R.  tome  58,   p.  570,  tome  61, 
p.  442, 

2)  BriU,  Math.  Ann.  Bd.  8,  p.  534-538. 


408 

des  Flächensystems  (fjb,  v,  q),  welche  die  Fläche 
F  berühren,  aus  F.  2)  die  bekannte  Zahl 

o.Q  -{•  r  .  V  -\-  Je .  iJ/. 

Sind  zwei  einstufige  Flächensysteme  (/ti-,  v,  q) 
und  (/*',  v\  Q^)  gegeben,  so  findet  man  aus  F.  5) 
das  von  mir  in  den  Beitr.  z.  abz.  Geom.  (pag. 
109)  entwickelte  Resultat  für  die  Ordnung 
der  Curve  der  Berührungspunkte  von 
allen  möglichen  zwei  sich  berühren- 
den Flächen  der  beiden  Systeme,  nämlich: 

Formel  6)  giebt  die   dieser  Zahl  dualistisch  ent- 
sprechende. 

Ist  endlich  ein  einstufiges  Flächensystem 
(fi,  V,  Q)  und  ein  zweistufiges  {d-^  tp)  gegeben, 
so  findet  man  aus  den  F.  7),  8),  9)  die  Resul- 
tate, welche  Herr  Fouret  in  den  C.  R.  tome  80, 
pag.  805  ableitet.  Das  zweistufige  Flächensy- 
stem erzeugt  nämlich  ein  vierstufiges  System  Z' ^ 
von  Tangentenbüscheln,  bei  welchem  p'^e'  =  <)■ 
und  p' e'^  =  (p  zu  setzen  ist,  wenn  d-  angiebt, 
wieviel  Flächen  eine  gegebene  Gerade  in  einem 
gegebenen  Punkte  berühren,  und  (p  angiebt, 
wieviel  Flächen  eine  gegebene  Gerade  in  einer 
gegebenen  Tangentialebene  berühren.  Z.  B. 
giebt  F.  7)  für  die  Ordnung  der  Fläche 
der  Berührungspunkte: 

(l.(p  -\-  (i.d-  -\-v.S^ 

(Fortschr.  d.  Math.,  Bd.  7,  p.  391). 

2)  Der  Complex  zweiten  Grades  besitzt  ein 
zweistufiges  System  2^^  der  Complex  ersten  Gra- 
des ein  dreistufiges  System  ^'.,  von  Strahl  hu- 
scheln,  auf  denen  jeder  Strahl  Complexstrahl 


409 

ist.  Die  Zahl  der  den  beiden  Systemen  gemein- 
samen Strahlbüschel  ergiebt  sich  also,  wenn  wir 
in  F.  2)  p^  gleich  der  doppelten  Ordnung,  e^ 
gleich  der  doppelten  Klasse  der  Kummerschen 
Fläche,  p'^  =  1,  e'3  =  1,  <'  =  0  setzen.  Da- 
her ist  16  die  Zahl  der  Strahlbüschel, 
die  ganz  in  dem  Schnitt  eines  linearen 
Complexes  mit  einem  Complexe  zwei- 
ten Grades  liegen,  wie  auch  Voss  in  den 
Math.  Ann.  Bd.  9,  pag.  148  angiebt. 

3)  Wie  eine  einzige  Gleichung  zwischen  Punkt- 
Coordinateu  eine  Fläche,  und  zwischen  Linien-Co- 
ordinaten  einen  Liniencomplex  darstellt,  so  stellt 
eine  einzige  Gleichuug  zwischen  Strahlbüschel-Co- 
ordinaten  ein  vierstuf  igesSystem  von  Strahl- 
büscheln dar.  Deßhalb  entspricht  der  Frage 
nach  der  Zahl  der  gemeinsamen  Punkte  dreier 
gegebener  Flächen,  in  der  Strahlbüschel-Geome- 
trie die  Frage  nach  der  Zahl  der  gemeinsamen 
Strahlbüschel  von  fünf  gegebenen  vierstufigen 
Strahlbüschel-Systemeu.  Ein  solches  System  —  ^ 
ist  durch  zwei  Gradzahlen  p^e  und  pe^  charak- 
terisirt.  Die  erste  ist  die  Klasse  a  des  Kegels 
der  Ebenen  aller  Strahlbüschel,  die  einen  gege- 
benen Scheitel  haben,  die  zweite  ist  die  Ord- 
nung 1)  der  Curve,  die  von  den  Scheiteln  aller 
in  einer  gegebeneu  Ebene  liegenden  Strahlbü- 
schel gebildet  wird.  Sind  für  fünf  gegebene 
Systeme  diese  Gradzahlen  bezüglich: 

«15    ^15    «21    ^-1,    «s>   ^S»    <^4i    ^4'    «6»    ^5> 

so  findet  man  durch  mehrmalige  Anwendung 
unserer  Formeln  sehr  leicht  die  Zahl  der  den 
fünf  Systemen  gemeinsamen  Strahl- 
büschel gleich  der  Summe  aller  mög- 
lichen 20  Produkte  von  je  3  Faktoren 
a  mit   2  Faktoren    h  und   von  je  2  Fak- 


410 

toren  a  mit  3  Faktoren  &,  so  daß  inje- 
dem  Produkte  jeder  der  Indices  1,  2,  3, 
4,  5,  einmal  vorkommt.  Hierzu  ein  ein- 
faches Beispiel.  Man  soll  bestimmen,  wie  oft 
es  vorkommt,  daß  bei  5  gegebenen,  strahlallge- 
meinen Liniencomplexen  von  den  Graden  n^, 
^11  ^^31  ^^4>  ^^5  die  fünf  in  der  nämlichen  Ebene 
liegenden  Complexcurven  sich  in  einem  und 
demselben  Punkte  schneiden.  Man  hat  dann 
nur  für  jedes  a^  und  jedes  b-  des  eben  angege- 
benen Ausdrucks   n^  {n^  —  1)  einzusetzen.     Sind 

also  spezieller  die  Complexe  sämmtlich  vom 
Grade  %  so  kommt 

für  die  gesuchte  Zahl. 

§.3.     Charakteristikenformeln  für  das 
Gebilde,    welches    aus    einem   Strahle 
und  einem  darin   liegenden  Punkte  be- 
steht. 

Der  Strahl  des  Gebildes  heiße  ^  für  -5",  g^ 
für  2%  der  Punkt  p  für  2",  p'  für  2"'.  Für  ein- 
und  vierstufige  Systeme  sind  zwei,  für  zwei-  und 
dreistufige  Systeme  drei  Charakteristiken  nöthig. 
Wir  nehmen  dazu  die  Bedingungen,  welche  für 
die  2  folgende  Symbole  haben: 

P,  9;  V",  9p,  9e''  P\  P9e,  9s^  P%  ^' 

Stammformeln. 

A)  Gegeben  2*,  und  I\ : 

13)  x=p.G'  +  g.p''9'' 

B)  Gegeben  2^  und  2',,: 

14)  X  ^pKg\-\- g^ .p'q\  +  9^,.p*\ 


iU 

Abgeleitete  Formeln. 

C)  Gegeben  2.^  und  S'^: 

15)  xp  =  f.G'  +  f.y'^g'  +  g,-v'^g\ 

16)  xg  =  p*.G^'  +  ^,.p'V  +  5',.G^'  +  r7^-P'V- 

D)  Gegeben  I^  und  ^g: 

17)  xp  =  p\g\  +  p'.f'  +  vg,.p'g\-h9,'P"^ 

18)  ^^7  =  P'.Sr',  +  P9e'9%  +  9s'P'^  +  9s'P'9'e' 

E)  Gegeben  Z^  und  2'^: 

19)  a-2;«  =  p\G'  +  pgr^.p'V  +  P'.p'Vi 

20)  xg^  =  p».  G^  -^  5r,.ö'  +  fl'.-P'V, 

F)  Gegeben  2^  und  2^^: 

22)  ar^'  =  p^g.p'^g'  (auch  als  Zahl  der  Schnitt- 

strahlen   zweier  Kegel   mit   gemein- 
samem Scheitel), 

23)  xpge=  V^9-V"9'  +  pV-G^'  +  G^.p'Vi 

24)  xg^  =  i^V-G^'  +  ^-P'V  +  (^C^'- 

Liegen  die  beiden  Systeme  in  einer  und  der- 
selben festen  Ebene,  und  erzeugen  auf  ihr  ein 
ein-  und  ein  zweistufiges  System,  so  giebt  For- 
mel 21)  die  Zahl  der  gemeinsamen  Gebilde, 
nämlich : 

25)  x  =  p,g\  -f  g.p'\ 

Durch   dualistische  Uebertragung   der  eben 


412 

mitgetlieilten  Formeln  erledigt  man  die  Charak- 
teristikentheorie des  Gebildes,  welches  ans  einem 
Strahle  und  einer  durch  ihn  gehenden  Ebene 
besteht. 

Anwendungen. 

1)  Indem  man  auf  einer  Plancurve  oter  Ord- 
nung, rten  Ranges  jeden  Punkt  mit  seiner 
Normale  zusammenfaßt,  erhält  man  ein  durch 
die  Plancurve  erzeugtes  einstufiges  System  2 
von  Gebilden  der  eben  betrachteten  Art.  Für 
dieses  System  ist  p  =  o,  g  =  o  -\-  Je.  Ist  nun 
außerdem  in  derselben  Ebene  ein  System  (v,  q) 
von  Plancurven  gegeben,  welches  v  Pla,ncurven 
durch  einen  gegebenen  Punkt  schickt,  und  q 
eine  gegebene  Gerade  schneiden  läßt,  so  erzeugt 
dieses  in  derselben  Weise  ein  zweistufiges  Sy- 
stem 2'  von  Gebilden  derselben  Art.  Für  die- 
ses System  ist  g'^  =  v-\-  q,  p*^  ==  j;  zu  setzen. 

Also  wird  nach  Formel  25)  die  Plancurve  oter 
Ordnung,  rten  Ranges  von  Plancurven  des  Sy- 
stems (r,  q) 

o.(v  +  e)  +  (0  +  'k)>v 

Mal  so  geschnitten,  daß  die  dem  Schnittpunkt 
angehörigen  Normalen  identisch  sind.  Dies  ge- 
schieht natürlich  erstens  an  den  o.q  +  ^'^•*' 
Stellen,  wo  Berührung  stattfindet,  und  außerdem 
2vmal  an  jedem  der  o  unendlich  fernen  Punkte 
der  Plancurve.  Dies  letztere  erkennt  am  besten 
dadurch,  daß  man  das  projektivisch  entsprechende 
Problem  behandelt. 

2)  Indem  m^n  auf  einer  Raum  cur  ve  je- 
den Punkt  mit  seiner  Tangente  zusammen- 
faßt erhält  man  ein  einstufiges  System  des  eben 
behandelten  Gebildes  T.      Da  nun  Raumcurven 


413 

ich  berührend  heißen,  \?enn  sie  Punkt  und  zu- 
gehörige Tangente  gemein  haben,  so  ergeben 
die  Formeln  13)  bis  24)  Anzahlen  für  die  Be- 
rührung vonRaumcurven.  Es  seien  z.B. 
zwei  zweistufige  Raumcurven-Systeme  gegeben, 
und  a  resp.  a'  bezeichne,  wieviel  Raumcurven 
des  einen  oder  des  andern  Systems  durch  einen 
gegebenen  Punkt  gehen,  b  resp.  b'  bezeichne, 
wieviel  eine  gegebene  Ebene  in  einem  Punkte 
einer  auf  ihr  gegebenen  Geraden  berühren,  c 
resp.  &  bezeichne,  wieviel  eine  Tangente  in  ei- 
nem gegebenen  Strahlbüschel  besitzen.  Dann 
hat  man  in  F.  17)  und  18)  einzusetzen; 

und  erhält  für  die  Ordnung  der  Curve 
der  Berührungspunkte  die  Zahl 

a,c'  -\-  a.a'  +  b.b'  -\-  c.a\  und 

für  den  Grad  der  Regelfläche  der  Tan- 
genten in  den  Berührungspunkten  die 
Zahl 

a.cf  Ar  b.c'  -j-  c.a'  -{-  c.b'. 

3)  Analog  wie  in  der  Anwendung  3)  des  §.  2 
können  vnx  hier  nach  der  Zahl  derjenigen  Ge- 
bilde r  fragen,  welche  fünf  gegebenen  vierstu- 
figen Systemen  gemeinsam  sind.  Die  Gradzah- 
len eines  solchen  Systems  seien  immer  a.  und  b- 

und  zwar  bezeichne  a^ 'wieviel  Gebilde  des  Sy- 
stems einen  gegebenen  Strahl  haben,  b  ,  wieviel 

ihren  Punkt  p  im  Scheitel  eines  Strahlbüschels, 
und  zugleich  ihren  Strahl  g  in  diesem  Strahl- 
büschel haben.  Sind  nun  die  fünf  gegebenen 
Systeme  charakt^risirt  durch  die  Gradzahlen; 


414 

«1,    Ol/    ttg,    Ö2»    Ö^S>    ^SJ    ^41    ^4'    ^51    ^5> 

SO  ergiebt  sich  aus  unsern  Formeln  für  die 
Zahl  der  gemeinsamen  Elemente  die 
Summe  aller  möglichen  10  Produkte 
V  on  je  3  Faktoren  a  mit  je  2  Faktoren 
&,  vermehrt  um  die  doppelte  Summe 
aller  möglichen  10  Produkte  von  je  2 
Faktoren  a  mit  je  3  Faktoren  &,  ver- 
mehrt um  die  doppelte  Summe  aller 
möglichen  5  Produkte  von  je  1  Faktor 
a  und  je  4  Faktoren  &,  so  daß  in  jedem 
Produkte  jeder  der  Indices  1,  2,  3,  4,  5 
einmal  vorkommt.  Hieraus  findet  man  z.B. 
sehr  leicht,  wie  oft  es  bei  fünf  dreistu- 
figen Systemen  von  Raumcurven  vor- 
kommt, daß  fünf  von  den  fünf  Syste- 
men gelieferte  Raumcurven  sich  in  ei- 
nem und  demselben  Punkte  berühren, 
sobald  man  die  Zahlen  kennt,  welche  angeben, 
wieviel  Raumcurven  jedes  Systems  eine  gege- 
bene Gerade  berühren,  und,  wieviel  eine  gege- 
bene Ebene  in  einem  auf  ihr  gegebenen  Punkte 
berühren.  Sind  diese  Zahlen  für  jedes  System 
dieselben,  nämlich  bezüglich  a  und  &,  so  er- 
giebt sich 

10  a&2  (a  +  &)2 
für  die  gesuchte  Zahl. 

§.  4.  Charakteristikenformeln  für  das 
Gebilde,  welches  aus  einem  Strahle, 
einem  auf  dem  Strahle  liegenden 
Punkte  und  einer  durch  den  Strahl 
gehenden  Ebene  besteht. 

Die  Constantenzahl   dieses  Gebildes  F  ist  6. 


415 

Sein  Strahl  heiße  g  ^r  2,  g^  für  2',  sein  Punkt 
p  für  2",  i/  für  2 ,  seine  Ebene  e  für  2^  e*  für 
2^'.  Zur  Charakterisirung  der  Systeme  sind  drei 
einfache  und  drei  fünffache  Bedingungen  erfor- 
derlich, nämlich: 

2),  e,  g  und  pG^  eG^  jp^e^ 

ferner  fünf  zweifache  und  fünf  vierfache  Bedin- 
gungen, nämlich: 

iJ^  pe,  e\  g^  g^  und  ph,  pe\  p%  e^g,G, 

endlich  sechs  dreifache  Bedingungen,  nämlich: 

P\  e«,  t,  pg^,  eg^,  g^, 

wo  t  wieder  die  schon  in  §.  1  angegebene  Be- 
dingung bedeutet ,  also  verlangt ,  daß  unser  Ge- 
bilde r  seine  Ebene  e  durch  eine  gegebene  Ge- 
rade schickt,  und  seinen  Punkt  p  auf  eben  die- 
selbe Gerade  wirft. 

Stammformeln. 

A)  Gegeben  2^  und  Z\'. 

26)  X  =  p.&G'  -f  e.p'G*  +  g.p'^ef^. 

B)  Gegeben  2.^  und  2 ^i 

27)  x=:f.e'^g'-irVe-G'^e\'p''g'-\-g^p'^€f^g^.p'e'\ 

C)  Gegeben  2^  und  2'^: 

28)  X  =  f.e'g'^-^eKv'g'^-^-vg^.ef^-ireg^.y'^ 

Abgeleitete  Formeln. 
Von  den  Formeln,  welche  auf  Systeme  Be- 


416 

zug  nehmen,  deren  Stufensumme  größer  als  6 
ist,  d.  h.  auf  solche  die  unendlich  viele  Elemente 
gemein  haben,  erwähnen  wir,  um  abzukürzen, 
nur  die  auf  zwei  vierstufige  Systeme  bezüglichen. 

D)  Gegeben  2^  und  Z'4 : 

29)  xp^  =  ph.G'-\-G.p'h'-\-iph-{-pe^).p'^g' 

+  p^g-ip'^^  +  p^^e^), 

30)  xpe  =  ph.p'^e'  -\-e^p.e'^p'  -\-  G.^p'h'  -\-p*e'^) 

-f-  {p^e  +  pe^).G'  +  ph.e'^g' 
-\-  e^g .p'^ e'  -{-  e^p.p'^g'  -{-  p^g.e'^p\ 

31)  xe^  =  pe^.G'-\-G.p'e'^-^{ph-\-pe^.e'^g' 

+  e^g.{p'e'^  -\-  p'^&), 

32)  xg^  =  ph.G'  +\G.p'h'  +  G.e"'g'-\-e'g,G' 

+  p^.e'V  +  e^g.p'^g'  +  G^.G', 

33)  ä;^^  =  pe^G'-^G.p'e'^-j-G.p'y-\-p^g.G' 

+  e^g.p'^g'  +  p^g.e'^  +  G^.G^'. 

Anwendungen. 

1)  Man  fasse  bei  einem  Complexe  ?iten  Gra- 
des jeden  Complexstrahl  zusammen  mit  dem  Be- 
rührungspunkte und  der  Ebene  jeder  ihn  be- 
rührenden Complexcurve.  Dann  erhält  man  ein 
vierstufiges  System  ^4  des  eben  behandelten 
Gebildes  F.     Für  dieses  ^^  ist  dann  zu  setzen: 

G  =  Q,  p^g  =  e^ g  =  n^p^ e=x>(^^  =  viO^  —  V* 
Man  erzeuge  nun  in  derselben  Weise  aus 
einem  zweiten  Complexe  n'ten  Grades  ein  vier- 
stufiges System  2:\  von  Gebilden  r*,  und  wende 
auf  ^4  und  2i:\  die  Formeln  29)  bis  32)  an. 
Dann   erhält   man  die  bekannten  Charaktere 


417 

derBrennflächederCongruenz,  welche 
den  beiden  Complexen  gemeinsam  ist. 

2)  Man  fasse  bei  einem  Complexe  nten  Gra- 
des jeden  Complexstrahl  zusammen  mit  einer 
seiner  4  Wendeebenen  und  der  zugehörigen  Ke- 
gelspitze. Dann  erhält  man  ein  dreistufiges 
System  J,  von  Gebilden  T,  für  welches  zu 
setzen  ist: 

l)»  =  e»  =  3»  (n  — 2);i)(/^  =  e^p  =  n(3n  — 2); 

g^  =  An\  t  =  2m  (n  —  1)  (n  —  2). 

Man  erzenge  femer  in  derselben  Weise  aus 
einem  zweiten  Complexe  w'ten  Grades  ein  zweites 
dreistufiges  System  2"'^  von  Gebilden  F,  und 
wende  auf^',  und2''3  die  Formel  28)  an.  Dann 
erhält  man  folgendes  Resultat: 

Unter  denoo^  Strahlen,  welche  einem 
Complexe  «ten  und  einem  Complexe 
w'ten  Grades  gemeinsam  sind,  befin- 
den sich 

Ann'  (2n2  -f  9»w'  +  2n'»  —  18w  —  18w'  +  20) 

Strahlen,  welche  zu  zwei,  den  beiden 
Complexen  angehörigen,  in  derselben 
Ebene  befindlichen  Complexcnrven 
Rückkehrtangenten  mit  gemeinsamer 
Spitze  sind. 

Von  Zahlen,  welche  sich  aus  den  Charakte- 
ristikenformeln dieses  §.  leicht  bestimmen  lassen, 
seien  noch  folgende  beispielsweise  erwähnt. 

3)  Die    Zahl    derjenigen  Raumcurven    eines 
zweistufigen    Systems,    welche  eine   Raumcurve 
eines  andern  zweistufigen  Systems    so  berühren, 
daß     die     dem    Berührungspunkte    angehööfff^^^v^. 
Schmiegungsebenen  zusammenfallen.  ¥  ' 

39 


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Punkte  p  und«  res«  ^f- '  ""'«'««'■eiden  wir  die' 
«-  soIcJae  Gel-id?/„„™^',  -"{d  betrachten 

abgeaül?        '"'  »  l""  Math.  AnT  Bd  "J?''^™    '*■' 


410 

fallend,  wenn  ^  sich  mit  p\  q  sich  mit  3'  deckt. 
Der  Fall,  welcher  auch  das  Zosammenfallen 
von  p  mit  q'  und  q  mit  p'  zuläßt ,  kann  immer 
leicht  auf  den  hier  behandelten  Fall  zurückge- 
führt werden.  Die  Charakteristiken  unseres 
Gebildes,  bezogen  auf  die  -,  sind: 

1)  für  2^ :  p,  q,  g; 

2)  für  2^:  p^,  q"",  pq,  g^,  g^. 

3)  für  J,:  1)%  2»,  pg^,  qg^,  g^  und  die  Diffe- 
renz {pq^~qg^),  wobei  man  beachte,  daß  we- 
gen der  allgemeinen  Lage-Formeln  des  Verfas- 
sers pq^  —  qg^  =  p'q—pg^  =  pqg—pg^  -qg^ 
gleich  der  Ordnung  der  Fläche  ist,  welche  von 
den  (X^  Punkten  gebildet  wird,  in  denen  zwei 
Punkte  p  und  q  des  2"g  unendlich  nahe  liegen; 

4)  für 2-,:  pV,  q%  G,  (p'q-phj),  (pqg—G), 

wobei  man  beachte,  daß  p^q — p^g  =  pq^  — q^g 
=  PfI3p—P^g  —  q^g  —  G  gleich  der  Zahl  ist,  welche 
angiebt,  wie  oft  in  einem  gegebenen  Punkte 
zwei  .^4  angehörige  Punkte  p  und  q  coincidiren; 
und  ferner  beachte,  daß  (pqg^—G)  gleich  der 

Ordnung  der  Curve  ist,  welche  von  den  Punkten 
gebildet  wird,  in  denen  zwei  Punkte  p  und  q 
derartig  coincidiren,  daß  ihr  Verbindungsstrahl 
in  einer  gegebenen  Ebene  liegt; 

5)  für  2^ :  pG,  qG,  (pY  —  üGJ^  wobei  zu  he- 

^(t]x\ßu,^d&p\^—qG=p\^—pG=pqg—pG — qG 

gleich  der  Zahl  ist,  welche  angiebt,  wie  oft  in 
einem  gegebenen  Punkte  zwei  Punkte  p  und  q 
derartig  coincidiren,    daß  ihr  Verbindungsstrahl 

39* 


420 

in    einer   durch   die   Coincidenzstelle    gehenden, 
gegebenen  Ebene  liegt. 

Stammformeln. 

A)  Gegeben  ^j  und  ^'5: 

34)  X  =  p.q'G'-^q.p'G'  +  g . (p'^ Q.'^ — q' G'). 

B)  Gegeben  2^  und  2'^: 

35)  x=^p\ q!^g'-^q\p'Y-VP(L'<^'+9p'(P'h'-P'^9') 

6)  Gegeben  ^3  und  2^3 : 

36)  X  =  p^q^'  +  (/-P'^  +  P9e-(LVe  +  ^e'P'9'e 

+  9s'(p'<i"'—9'9'e)  +  Crf  —qgj-g'^- 

Abgeleitete  Formeln. 

Der  Kürze  wegen  führen  wir  nur  zwei  von 
den  Formeln  auf,  welche  auf  zwei  gegebene 
vierstufige  Systeme  Bezug  nehmen. 

D)  Gegeben  2^  und  2\: 

37)  xg^  =  p'g.q^'g'  +  q'g.p^'g^  +  (pqg^ -G).G' 

+  G-(p'g'g'e-G')  +  <^'(^' 

38)  xg=p%q''g'  +  ^V^^'V'  +  G^-(^>' V  +  2''ö'') 

+  (p'^  +  (fg) '  ^'  +  {v\  -  fg)  .G'  +  G.  {p\' 

—  P'y)+  G.G'. 

Aus  Formel  37)  ergiebt  sich  die  Zahl  der 
Punktepaare,    welche   zwei  in  fester  Ebene  lie- 


421 

genden   zweistufigen   Systemen  2*2   und  2*^   ge- 
meinsam sind,  nämlich: 

39)  X  =  pl  q''  -h  q\p"^+  yq.g'^  +  g^.p'q'  -g^,g'  ^ 

Sind  in  fester  Ebene  ein  einstufiges  System 
-S*!  und  ein  dreistufiges  ^^  gegeben,  so  ist  die 
Zahl  der  ihnen  gemeinsamen  Punktepaare: 

40)  X  =  p.^^y^  +  q.y'g'^  +  g .{p'h' —V'9'el 
wo  (p'^q'  —  py^)  zugleich  auch  angiebt,  wie  oft 

in  einem  gegebenen  Punkte  zwei  Punkte  p  und 
q  coincidiren. 

Anwendungen. 

1)  Zwei  Punktepaare  mögen  jetzt  zusammen- 
menfallend  heißen ,  nicht  bloß,  wenn  p  sich  mit 
2)'.  q  sich  mit  2' deckt,  sondern  auch,  wenn/;  sich 
mit  q\  q  sich  mit  p'  deckt.  Dann  erhält  man  die 
Zahlen  für  die  gemeinsamen  Punktepaare  gege- 
bener Systeme,  wenn  man  aus  jedem  der  obigen 
Ausdrücke  für  x  durch  Vertauschung  von  p' 
mit  g'  'einen  zweiten  Ausdruck  erzeugt,  und  die- 
sen zu  dem  ursprünglichen  addirt.  So  erhält 
man  aus  39)  und  40)  folgende,  auf  Systeme  in 
fester  Ebene  bezügliche  Formeln: 

41)  X  =  (p'  +  q^).(f^  4-  q'^  +  2pq.g'^ 

42)  x  =  {p  Jr  q).(p^g\,  -f-  ^.7^ 

-h9-(p"q'  +P'q''  -P'g\  -  q'g\). 

Bezeichnet  man  nun  für  ein  in  fester  Ebene 
bewegliches  Punktepaar  {p,q,g)  mit  n  die  Be- 
dingung, daß  der  yerbin4ungsstrahl  g  durch  ei- 
nen gegebenen  Punkt  gehe,  und  mit  r  die  Be- 
dingung,   daß  irgend   einer  der   gegebenen 


422 

Punkte  auf  einer  gegebenen  Geraden  liege ,  so 
ist  immer  zu  setzen: 

n  ■=  g  und  y  =  2?  +  g, 
also  auch : 

n^  =  g^,  nr  =  g  (p  -}-  q)  =  2g ^  -{-  f  -{-  q\ 
r^  =  (p  -\-  qy  =  jö2  _|_  g,2  _|_  2pq^ 

oder: 

g^  =  n%  p^-\-q^=nr  —  2n\  2pq  =  r^ — nr-\-  2n\ 

Analog  erhält  man: 

p\  -\-  pq^  =  ^r%  pg^  +  qg^  =  J^V. 

Man  kann  daher  die  in  den  F.  41)  und  42) 
erscheinenden  Bedingungen  durch  die  aus  n  und 
r  zusammengesetzten  Bedingungen  ausdrücken. 
So  erhält  man  aus  41)  und  42): 

43)  x=n\  (r'^-3n'r'-{-6n'^)+nr.(n'r''-Sn'^)-{-rhi'^, 

44)  X  =  n.{^  y'^  —  w'V)  4"  ^•^^'^»''. 

Die  Möglichkeit  der  Darstellung  der  Zahl 
der  zweien  Systemen  gemeinsamen  Punktepaare 
als  Function  der  aus  den  Bedingungen  n  und  r 
resp.  n'  und  r'  hervorgehenden  Zahlen  konnte 
man  von  vornherein  erkennen,  sobald  mau  be- 
achtete, erstens,  daß  das  Puuktepaar  als  Kegel- 
schnitt augesehen  werden  kann,  zweitens,  daß 
dann  die  Kegelschnitt-Bedingung  v,  der  Kegel- 
schnitt soll  durch  einen  gegebenen  Punkt  gehen, 
gleich  2.«,  und  die  Bedingung  q,  der  Kegelschnitt 
soll  eine  Gerade  berühren,  gleich  r  zu  setzen  ist, 
und  endlich  drittens,  daß  die  Zahl  der  zwei  Ke- 
gelschnitt-Systemen gemeinsamen  Kegelschnitte 
im  allgemeinen  durch  v  und  q  resp.  v'  und  q'  dar- 


423 

stellbar  ist.  In  der  That  erhält  man  aus  43) 
und  44)  die  bekannten  ^)  Formeln  für  Kegel- 
schnitte, wenn  man  n'  =  ^  v',  r'  =  q'  setzt, 
und  mit  2v'  —  q'  symbolisch  mnltiplicirt. 

2)  Aus  Formel  36)  ergiebt  sich,  wie  oft  es 
vorkommt,  daß  eine  Raumcurve  eines  einstufigen 
Raumcurvensystems  eine  Raumcurve  eines  an- 
dern einstufigen  Systems  zweimal  schneidet, 
so  bald  man  für  jedes  System  die  Zahlen  kennt, 
welche  angeben,  wieviel  Raumcurven  eine  gege- 
bene Gerade  schneiden,  und  wieviel  eine  Dop- 
pelsekaute  in  einen  gegebenen  Strahl büschel 
schicken. 

3)  Formel  36)  liefert  auch  die  Losang  des 
folgenden  Problems.  Gegeben  eine  a-ß-deutige 
Beziehung  zweier  Punkträume,  und  außerdem 
eine  a'-jS'-deutige  Beziehung  zweier  Punkträume. 
Gesucht  die  Zahl,  welche  augiebt,  wie 
oft  ein  durch  die  erste  Beziehung  zu- 
sammengehöriges Punktepaar  sich 
deckt  mit  einemPunkte paare  derzwei- 
tenBeziehung^),  so  daß  auch  dieVerbin- 
dungsstrahlen  zusammenfallen.  Bewegt 
sich  der  erste  resp.  zweite  Punkt  der  ersten  Cor- 
respoudenz  auf  einer  Geraden,  so  beschreibt  der 
zweite  resp.  erste  Punkt  eine  Raumcurve,  deren 
Grad  A  resp.  B  sein  möge.  Eiue  durch  die 
eben  angenommene  Gerade  gelegte  Ebene  ent- 
hält also  A  resp.  B  Punkte  der  Raumcurve. 
Nun  ist  es  nicht  nothwendig,  daß  die  A  resp. 
B  Verbindungsstrahleu  dieser  Puukte  mit  den 
durch  die  Correspondenz  zugehörigen  Punkten 
der  Geraden    sämmtlich    in   der  angenommenen 

1)  Lindemann's  Vorl.  v.  Clebsch,  pag.  404  u.  406. 

2)  Für  den  Fall,  daß  sich  die  Punktepaare  auf  einer 
festen  Curve  bewegen,  hat  Brill  das  Problem  gelöst  (Math. 
Ann.  Bd.  6,  pag.  33). 


424 

Ebene  liegen.  Es  mögen  dies  nur  a,  resp.  h 
Tinter  jenen  A  resp.  IB  Verbinduugsstrahlen  thun. 
Die  übrigen  d  =  A  —  a  =  B  —  h  Verbin- 
dungsstrahlen müssen  dann  notb  wendig  Punkte 
verbinden,  die  auf  der  angenommenen  Geraden 
coincidiren.  Ferner  bezeichnen  wir  mit  c  den 
Grad  des  Liniencomplexes,  welcher  von  den 
sämmtlichen  Verbindungsstrahlen  zusammenge- 
höriger Punkte  der  ersten  Correspondeuz  gebil- 
det wird.  Endlich  mögen  die  analogen  Zahlen 
für  die  zweite  CorreSpondenz  mit  denselben 
Buchstaben,  aber  gestrichelt,  bezeichnet  werden. 
Dann  ist  die  gesuchte  Zahl  der  den  bei- 
den Co  rr  esponde  nz  en  gemeinsamen 
Punktepaare  immer  ausgedrückt  durch : 
a.ß'  -f  ß.a'  +  a.h'  +  l.a'  -f  cd'  +  c',d. 

Schlußbemerkungen. 

Den  Formeln  für  die  oben  behandelten  Ge- 
bilde könnte  der  Verfasser  noch  die  Charakte- 
ristikenformeln für  mehrere  andere  Gebilde  hin- 
zufügen, z.  B.  für  die  Punktgruppe,  das  heißt 
das  Gebilde,  welches  aus  einem  Strahle  und  n 
in  demselben  befindlichen  Punkten  besteht,  und 
für  die  Strahlengruppe,  das  heißt  das  Gebilde, 
welches  aus  einem  Strahlbüschel  und  n  in  dem- 
selben befindlichen  Strahlen  besteht  ^).  Doch 
ist  zu  bemerken,  daß  es  bei  Gebilden  F  com- 
plicirterer  Zusammensetzung  nicht  immer  mög- 
lich ist,  die  Zahl  x  der  gemeinsamen  Elemente 
zweier  Systeme  nur  durch  Zahlen  auszudrücken, 
deren  jede  auf  das  allgemeine  F  Bezug  nimmt. 
Es  treten    vielmehr   oft  in  den  Ausdruck  für  x 

1)  Diese  beiden  Gebilde  habe  ich  auch  in  den  Math. 
Ann.  Bd.  12,  pag.  180  bis  201,  jedoch  nach  einer  andern 
EichtuDg  hin,  untersucht. 


425 

mit  Nothweudigkeit  Zahlen  ein,  welche 
sich  auf  die  in  den  Systemen  vorhandenen  aus- 
gearteten Gebilde  F  beziehen. 

Die  Charakteristikenformeln  für  jedes  Gebilde 
r  bilden  eins  der  wichtigsten  Fundamente  für 
diejenige  Geometrie,  welche  dieses  Gebilde  F  als 
Raumelement  auffaßt,  uud  welche  also  nach  der 
Analogie  des  Wortes  Liniengeometrie  r-Geome- 
trie  heißen  müßte.  Indem  Plücker  die  Schranken 
der  gewohnten  Punkt  -  Auffassung  des  Raums 
durchbrach ,  und  die  Liniengeometrie  schuf,  lud 
er  zugleich  die  geometrische  Spekulation  ein, 
die  von  einem  beliebigen  Gebilde  erzeugten 
Mannichfaltigkeiten  um  ihrer  selbstwillen  zu 
studiren.  Dies  thaten  z.  B.  Clebsch  und  Linde- 
maun  durch  t^ntersuchnng  der  Connexe.  Dies 
that  namentlich  auch  Zeuthen  durch  Aufstellung 
der  Formeln,  weche  den  Plückerschen  Formeln 
in  denjenigen  Geometrieen  entsprechen,  die  die 
Plancurve  wter  Ordnung  als  Raumelement  fassen 
(Alm.  Egensk.  v.  S.  af  pl.  Kurv,  in  den  Vidensk. 
Selsk.  (5),  IV,  p.  287  bis  393,  und  C.  R.  Tome  78, 
p.  274  und  339).  Nach  der  Liniengeometrie 
müßte  zunächst  die  Strahlbüschel-Geometrie  noch 
weiter  ausgebaut  werden.  Man  hätte  dort  mit 
dem  Gebilde  anzufangen,  welches  aus  CC^  Strahl- 
büscheln besteht,  deren  Scheitel  eine  Gerade  bil- 
den ,  und  deren  Ebenen  durch  dieselbe  Gerade 
hindurchgehen.  Die  Constantenzahl  dieses  Ge- 
bildes ist  7,  seine  beiden  Gradzahlen  (§.  2)  ^  z=  1 
und  e  =  1,  die  CC^  Strahlen  seiner  CO^  Ele- 
mente bilden  eine  lineare  Congmenz  mit  zwei 
zusammenfallenden  Axen. 

Der  Grund,  warum  die  oben  gelösten  Pro- 
bleme den  algebraischen  Eliminationstheorien 
zunächst  unzugänglich  sind,  ist  wohl  darin  zu 
suchei),  daß  es  nicht  möglich  ist,  Mannichfaltig- 


426 

keiten  von  der  liier  betrachteten  Art  algebraisch 
anders  zu  definiren,  als  mit  Zuhilfenahme  von 
überschüssigen  und  doch  nicht  überflüssigen 
Gleichungen.  Der  Verfasser  verkennt  jedoch 
nicht,  daß  seine  Resultate  so  lange  werthlos 
bleiben,  als  sie  der  Algebra  nicht  die  Wege 
zeigen,  auf  deneu  sie  in  das  bis  jetzt  nur  von 
seiner  Methode  beherrschte  Fragen  gebiet  mit 
eignen  Mitteln  eindringen  kann. 

Hamburg,  im  Juni  1877. 


Ueber    den   Bau    und    die    systematische 
Stellung  der  Gattung  Carludovica. 

Von 

Dr.  Oscar  Drude. 

Die  im  westlichen  tropischen  America  weit 
verbreitete  Gattung  Carludovica  ist  seit  den  flo- 
ristischen Arbeiten  von  Ruiz  und  Pavon  den 
Botanikern  als  eine  zu  den  Spadicifloren  hinzu 
zu  rechnende  Monocotyledone  bekannt,  ohne  daß 
bis  jetzt  ihre  ßlütheuorgauisation  so  untersucht 
wäre,  daß  eine  Vergleichnng  mit  anderen  Gat- 
tungen dieser  Gruppe  durchgeführt  werden  konnte, 
die  den  Endzweck  aller  systematischen  Arbeiten 
erfüllt,  unter  Darlegung  der  Formverhältnisse 
der  Gattung  einen  bestimmten  Platz  in  der  fort- 
laufenden Kette  der  natürlichen  Familien  anzu- 
weisen; man  pflegte  sie  ohne  weiteres  den  Pan- 
daneen  anzureihen. 

Als  vor  wenigen  Wochen  mehrere  Species 
von  Carludovica  in  den  hiesigen  Gewächshäusern 
blühten,  unterwarf  ich  diesell3en  daher  um  so  lie- 
ber einer   sorgfältigen  Untersuchung,    als  meine 


427 

Palmenarbeiten  mir  eine  möglichst  genaue  Kennt- 
niß  des  ganzen  Verwandschaftskreises  wünschens- 
werth  machen. 

Den  Habitus  von  Carludovica  darf  ich  als 
bekannt  voraussetzen ;  die  hier  herrschende  große 
Uebereinstimmung  mit  niedrigen  (sogen,  stamm- 
losen) Palmen,  deren  es  im  tropischen  America 
so  viele  giebt,  wird  durch  die  Entwicklung  der 
Blüthenkolben  sehr  vermehrt.  Tief  unten  am 
Stamm  entwickeln  die  meisten  Arten  ihre  in  den 
Blattachseln  versteckten,  1—2  Zoll  langen  und 
fingerdicken  Kolben  von  mehreren  Scheiden  um- 
=chloßen,  bis  sie  durch  Streckung  des  Stieles 
ichtbar  werden;  sie  schwellen  rasch  an  und  ent- 
falten sich  in  wenigen  Tagen  unter  starker  Wär- 
meentwicklung ,  und  indem  sie  ihre  Umgebung 
mit  intensivem  Duft  erfüllen;  die  entfalteten 
Scheiden  von  zuerst  weißer  Farbe  bräunen  sich 
alsbald  und  sinken  welk  herab,  schon  im  Mo- 
ment ihres  Entfaltens  sind  die  untersten  weibli- 
chen Blüthen  des  Kolbens  empfängnißfähig  und 
auch  die  zu  oberst  stehenden  haben  am  zweiten 
Tage  der  Blüthe  schon  ihre  Empfdnguißfiihigkeit 
wieder  verloren,  und  die  langen  Stamiuodien 
hängen  nun  welk  und  gebräunt  herab;  erst  am 
zweiten  und  dritten  Tage  platzen  die  Antheren 
uer  männlichen  Blüthen,  so  daß  wegen  der  herr- 
schenden Protogynie  nur  Kreuzbefrnchtuug  zwi- 
"heu  verschiedenen  Kolben  zur  Wirkung  kom- 
men kann;  und  nachdem  so  der  unansehnlich 
gewordene  Kolben  mit  weißlichem  Staube  dicht 
überschüttet  ist,  welkt  er  schon  am  vierten  Taue 
hin  und  beginnt  alsbald  zu  faulen ,  wenn  nicht 
eine  wirksame  Befruchtung  die  weiblichen  Blü- 
then zu  Früchten  reifen  läßt. 

Es    sei  darauf    hingewiesen ,    wie   sehr  solche 
biologische    Erscheinungen     natürliche    Familien 


428 

zu  verbinden  im  Stande  sind,  da  eine  ähnliche 
Entwicklung  von  mir  bei  den  Aroideen  und  vor- 
züglich den  Palmen  beobachtet  wurde,  bei  letz- 
teren —  wo  die  Geschwindigkeit  in  der  Entfal- 
tung dieselbe  ist  —  jedoch  mit  dem  wichtigen 
Unterschiede ,  daß  sich  in  den  Fällen ,  wo  die 
Blüthen  beiderlei  Greschlechts  auf  einem  Kolben 
sich  entwickeln,  stets  die  männlichen  in  dem  Auf- 
blühen vorangehen  und  die  weiblichen  erst  sehr 
viel  später,  oft  erst  nach  Monaten,  nachzufolgen 
pflegen.  — 

Die  Kolben  der  Carludovica  sind  ohne  Unter- 
brechung mit  deckblattlosen  Blüthen  bedeckt, 
die  sich  durch  die  dichte  Anhäufung  fest  an 
einander  pressen ;  die  männlichen  Blüthen  stehen 
zu  vier  beisammen,  die  weiblichen  stehen  ein- 
zeln zwischen  vier  Haufen  von  je  vier  männli- 
chen Blüthen. 

Die  männlichen  Blüthen  besitzen  ein  auf 
kurzem,  dicken  Stiele  stehendes  becherförmiges 
Perigon,  welches  an  der  von  den  drei  benachbar- 
ten Blüthen  abgewandten  Seite  einige  unregel- 
mäßige Zähne  besitzt  und  im  Innern  mit  safti- 
gem Gewebe  ausgefüllt  ist,  aus  welchen  sich  sehr 
zahlreiche  Staminen  mit  dicken  walzenförmigen 
Filamenten  und  auf  deren  Spitze  eingefügten 
Anthereu  von  normalem  Bau  erheben;  vom  Gy- 
näceum  ist  keine  Spur  zu  bemerken,  auch  lassen 
die  zahlreichen  Staminen  keine  genauere  Dispo- 
sition nach  Wirtein  erkennen. 

Die  weiblichen  Blüthen  sind  viereckig  und 
durchaus  sitzend,  ja  sogar  mit  dem  Untertheile 
ihres  Gynäceums  so  tief  in  die  Kolbenmasse 
eingesenkt,  daß  auch  auf  Querschnitten  keine  deut- 
liche Grenze  zwischen  Kolben  und  Ovarien  her- 
vortritt. Ein  aus  vier  kurzen,  fleischigen  Blätt- 
chen  gebildetes  Perigon  umgiebt  dieselben;  da 


429 

diesen  die  vier  fadenförmigen  Staminodien,  deren 
Länge  mehrere  Zoll  betragen  kann,  opponirt  sind, 
so  erkennen  wir  in  dem  Perigon  deutlich  den 
Kelch  allein.  Das  ans  vier  syncarpen  Ovarien 
verschmolzene  Gynäceum  ist  einfächerig  und  be- 
sitzt tief  im  Grunde  vier  in  den  Ecken  stehende 
und  gegen  die  Mitte  vorspringende  Placenten, 
welche  ebenso  wie  die  vier  oben  zusammenlaufen- 
den Stigmen  mit  den  ötaminodien  altemireu 
nnd  überall  mit  sehr  zahlreichen  Samenknospen 
dicht  bedeckt  sind ;  letztere  sind  vollständig  ana- 
trop,  besitzen  zwei  lutegumeute,  eine  Rhaphe 
von  der  Dicke  des  ganzen  Nucleus,  und  in  letz- 
terem einen  nicht  sehr  großen  Embryosack,  der 
etwa  in  halber  Höhe  der  Samenknospe  liegt. 

Die  Samen  kenne  ich  nur  aus  den  Darstellun- 
gen von  Pöppig  (Nova  genera  ac  spec.  planta- 
nim,  pag.  36  ff.).  — 

Es  ist  nun  meine  Aufgabe,  die  Stellung  von 
Carludovica  zu  den  den  Spadicifloren  augehören- 
den Familien  zu  erläutern,  und  zwar  beschränke 
ich  die  Untersuchungen  sogleich  auf  die  beiden 
entschieden  am  nächsten  stehenden  Familien  der 
Palmen  und  Pandaneen. 

Es  wurde  schon  auf  die  Uebereinstimmuug 
der  Vegetationsorgane  bei  Palmen  und  Carludo- 
vica aufmerksam  gemacht ;  zwar  pflegt  mau  den- 
selben kein  Kriterium  ersten  Ranges  beizumessen, 
doch  hat  neulich  Engler  mit  Recht  hervorgeho- 
ben, wie  sie  gerade  bei  Monocotylen  im  Stande 
seien,  vortreffliche  Merkmale  der  durchgreifend- 
sten Art  zu  liefern.  Ich  will  auch  hier  erwähnen, 
daß  nicht  allein  die  äußere  Form  der  Carludo- 
vica-Blätter  an  Palmen  (aus  der  Gruppe  der 
Geonomeen)  erinnert,  sondern  daß  sie  auch  die- 
selbe Anordnung  der  Fibrovasalsträuge  im  Blatt- 
stiel haben  und  nicht  nur  denselben   Ursprung 


m 

und  Verlauf  der  Nerven  in  der  Blattlamina  wie 
Geonoma,  sondern  auch  die  zahlreichen  subepider- 
midalen  Prosenchymstränge  besitzen ,  die  die 
Blätter  aller   Palmen  so  wesentlich   auszeichnen. 

Sehr  viele  Palmen  besitzen  beide  Geschlechter 
auf  einem  Kolben  vereinigt,  doch  hat  keine  die 
Inflorescenz  von  unserer  Gattung;  viele  Palmen 
haben  zwar  je  eine  weibliche  Blüthe  von  zwei 
männlichen  seitlich  begleitet,  jedoch  nicht  auch 
oben  und  unten ;  es  lassen  sich  verschiedene  Er- 
klärungsversuche machen,  doch  erwähne  ich  sie, 
als  bislang  rein  hypothetisch,  nicht ;  da  die  vier  Blü- 
then  jedes  männlichen  Haufens  gleichzeitig  er- 
blühen und  keine  Deckblätter  besitzen,  so  trotzen 
sie  jedem  Versuche,  sie  in  irgend  welche  mir 
anderweitig  bekannte  Inflorescenz  aufzulösen. 

Polyandrische  Blüthen  finden  sich  vielfach 
bei  den  Palmen,  doch  besitzen  dieselben  ein 
zweireihiges  trimeres  Perianthium  und  meist  ein 
Rudiment  vom  Gynäceum.  Tetram ere  weibliche 
Blüthen  besitzen  die  ächten  Palmen  nicht,  auch 
haben  sie  niemals  so  lange  Staminodien  wie  Car- 
ludovica,  ebenso  auch  immer  die  Corolle  von 
mindestens  dem  Kelch  gleicher  Größe  entwickelt ; 
der  wichtigste  Unterschied  aber  liegt  im  Bau 
des  Gynäceum,  wo  bei  den  Palmen  nie  mehr  als 
eine  der  Zahl  der  Carpelle  gleiche  Anzahl  von 
Samenknospen  entwickelt  ist,  meistens  also  drei, 
oft  auch  weniger.  Der  Bau  der  Samenknospen 
selbst  dagegen  ist  bei  Carludovica  und  Palmen 
sehr  ähnlich:  beide  sind  durch  die  Ausdehnung 
der  Rhaphe  und  die  centrale  Lage  des  Embryo- 
sackes ausgezeichnet. 

Es  giebt  aber  einige  von  den  ächten  Palmen 
abweichende  Gattungen,  welche  näher  an  Car- 
ludovica heranrücken,  vorzüglich  Phytelephas,  die 
sogar  ihr  Vaterland  theilt.    Die  männlichen  Blü- 


431 

then  dieser  Gattung  bestehen  aus  einem  becher- 
förmigen Perigon,  allseitig  gezähnt,  mit  sehr  zahl- 
reichen Staminen  ohne  Rudiment  vom  Gyuäceum; 
die  weiblichen  Blüthen  haben  Kelch  und  Blu- 
menkrone in  unregelmäßiger  Zahl  der  Blätter 
und  ein  von  sehr  vielen  Staminodien  umschlossenes 
tetrameres  Germen,  dessen  zugehörige  vier  Stig- 
men von  einem  langen  Stylus  getragen  werden. 
Die  hier  in  den  vier  Fächern  stehenden  vier  Sa- 
menknospen, welche  zu  vier  steinharten  Samen 
von  ähnlichem  Bau  wie  Manicaria  heranreifen, 
beweisen  für  Phytelephas  die  nothwendige  Zuge- 
hörigkeit zu  den  Palmen.  Der  Vergleich  mit 
dieser  Gattung  vermag  leider  die  Inflorescenz 
von  Carludovica  nicht  zu  erklären,  da  ihre  Kol- 
ben nur  eingeschlechtig  sind. 

Was  wir  bei  Carludovica  vorzüglich  abwei- 
chend von  den  Palmen  erkannten,  wird  nun  noch 
durch  die  Paudaneen  erklärt  und  auf  diese  hin- 
weisend gefunden  werden ;  auch  bei  ihnen  sind 
die  Kolben  nur  eingeschlechtig;  die  männlichen 
Blüthen  bestehen  hier  aus  an  der  Basis  verei- 
nigten Staminen  ohne  jedes  Perigon:  es  sind 
die  auf  das  äußerste  reducirten  Blüthen  von  Car- 
ludovica, welche  ähnlich  zusammengedrängt  die 
ganze  Kolbenoberfläche  bedecken.  Die  dicht  zu- 
sammeugehäuften  Ovarien  der  weiblichen  Blüthen 
enthalten  zwar  bei  Pandanus  nur  je  eine  Samen- 
knospe, bei  Freycinetia  aber  deren  sehr  viele  an 
mehreren  parietalen  Placenten.  In  den  Vegeta- 
tionsorganen herrscht  zwischen  dieser  Familie 
und  Carludovica  keine  Uebereiustimmung,  wie 
auch  die  Vertheilung  auf  der  Erdoberfläche  eine 
scharf  geographisch  getrennte  ist.  — 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  stellt 
sich  Carludovica  als  ein  Verbindungsglied  zwi- 
schen Palmen  und  Pandaneen  heraus,  und  indem 


432 

beide  Familien  Aufschluß  über  die  Theorie  ihres 
Blüthenbaues  geben,  dient  sie  selbst  dazu,  die 
Verwandtschaft  dieser  beiden  wichtigen  Familien 
zu  beweisen.  — 


Nachricht  über  Briefe  von  Gauß. 

Von 

Schering. 

Für  die  Sammlung  des  Gaußischen  Nach- 
lasses sind  durch  die  große  Güte  des  Herrn  Ber- 
trand, Sekretair  der  Academie  der  Wissenschaften 
in  Paris,  Abschriften  mehrer  Briefe  von  Gauß 
an  Bouvard,  Delambre  und  an  Andere  übersendet 
worden.  Die  Originale  der  Briefe  gehören  den 
Sammlungen  des  Herrn  Chasles ,  Boutron  und 
Dubrunfaut  an,  welche  im  Interesse  der  Wissen- 
schaft die  Mittheilung  des  Inhaltes  gestattet  haben. 

Herr  Oscar  Ulex  in  Altona  besitzt  sieben  an 
verschiedene  Gelehrte  und  Beamte  gerichtete 
Briefe  von  Gauß  und  hat  die  dankenswerthe 
Güte  gehabt,  Abschriften  dieser  zum  Theil  wis- 
senschaftliche Gegenstände  betreffenden  Briefe 
der  Sammlung  des  Gaußischen  Nachlasses  zu 
übergeben. 


llniyersität« 

Se.  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben 
AUergnädigst  geruht,  den  ordentlichen  Professor 
an  der  Universität  zu  Zürich,  Dr.  Karl  D  i  1 1  h  e  y 
zum  ordentlichen  Professor  in  der  philosophischen 
Facultät  der  hiesigen  Universität    zu   ernennen. 

Der  ordentliche  Professor  Dr.  H.  Nissen  in 
Marburg  ist  in  gleicher  Eigenschaft  in  die  philoso- 
phische Facultät  der  hiesigen  Universität  versetzt. 


433 


iVachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


'  25.  JuH.  M  18.  1877. 


[IniTersität 


Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- 
Augusts-Üniversität  zu  Göttingen  während  des 
Winterhalbjahrs  18"/78.  Die  Vorlesungen  be- 
ginnen den  15.  October  und  enden  den  15.  März. 

Theologie. 

Unterricht  in  der  christlichen  Religion  (nach  seinem 
gleichnamigen  Buche,  Bonn  1875)  für  Studirende  aller 
Facultäten:  Prof.  Ritscfd  zweistündig  Dienst,  u.  Frei- 
tags 10  Uhr. 


Einleitung  in  das  Alte  Testament :  Prof.  Duhm  fünf- 
stündig um  3  Uhr. 

Biblische  Theologie  des  Neuen  Testamentes:  Prof. 
Riüchl  fünfmal  um  11  Uhr. 


Erklärung  der  Genesis:  Prof.  Bertheau  fünfstündig 
um  10  Uhr. 

Erklärung  der  chaldäischen  Abschnitte  des  Buches 
Daniel:  Derselbe  Donnerstags  um  2  Uhr. 

Erklärung  der  Psalmen:  Prof.  Sehtdtz  fünfstündig 
um  10  Uhr. 

Erklärung  des  Buchs  des  Jesaia:  Prof.  de  Lagarde 
fünfstündig  um  10  Uhr. 

Erklärung  der  Lieder  in  den  historischen  Büchern 
des  Alten  Testaments:  Prof.  Duhm  Montag  und  Diens- 
tags 2  Uhr,  öffentlich. 

40 


434 

Erklärung  der  synoptischen  Evangelien:  Prof.  Wie- 
singer  fünfmal  um  9  Uhr. 

Erklärung  des  Evangeliums  und  der  Briefe  des  Jo- 
hannes: Prof.  Lünemann  fünfmal  um  9  Uhr. 

Erklärung  der  Korintherbriefe :  Lic.  Wendt  fünfmal 
xmi  9  Uhr. 


Kirchengeschichte  der  sechs  ersten  Jahrhunderte: 
Prof.  Reuter  sechsmal  von  11 — 12  Uhr. 

Kirchengeschichte  des  Mittelalters  und  der  Neuzeit: 
Prof.   Wagenmann  fünfmal  um  8  Uhr. 

Dogmengeschichte :   Derselbe     fünfmal     um    4  Uhr. 

Patrologie  oder  Geschichte  der  altchristlichen  Lite- 
ratur: Derselbe  Sonnabend  8 — 10  Uhr,  öffentlich. 

Geschichte  der  Theologie  im  19.  Jahrhundert:  Lic. 
Kattenbusch  zweistündig  unentgeltlich  Dienst,  u.  Donnerst, 
um  6  Uhr. 

Comparative  Symbolik  :  Prof,  Schöberlein  viermal  um 

5  Uhr;  Prof.  Eeuter  fünfmal  von  10—11  Uhr. 

Einleitung  in  die  Dogmatik:  Prof.  Schöberlein  Sonn- 
abend um  12  Uhr,  öffentlich. 

Dogmatik  Th.  I.  Derselbe  fünfstündig  um  12  Uhr. 
Dogmatik  Th.  II :  Prof.  Äcäm^^z  fünfstündig  um  12  Uhr. 

Praktische  Theologie :  Prof.  PTtesm^rer  viermal  um  3  Uhr. 

Kirchenrecht  und  Geschichte  der  Kirchenverfassung 
8.  unter  Rechtswissenschaft  S.  435. 

Die  Uebungen  des  königl.  homiletischen  Seminars 
leiten  Prof.  Wiesinger  und  Prof.  Schultz  abwechslungs- 
weise Sonnabend  von  10 — 12  Uhr  öffentlich. 

Katechetische  Uebungen  :  Prof.  Wiesinger  Mittwochs 
von  5—6  Uhr,  Prof.  Schultz  Sonnabends  von  4 — 5  Uhr 
öffentlich. 

Die  liturgischen  Uebungen  des  praktisch  -  theologi- 
schen Seminars   leitet  Prof.  Schöberlein  Mittwochs   um 

6  Uhr  und  Sonnabends  von  9 — 11  Uhr  öffentlich. 


Eine  dogmatische  Societät  leitet  Prof.  Schöberlein 
Dienstags  um  6  Uhr;  eine  historisch  -  theologische 
Socität  Prof.  Wagenmann  Freitags  um  6  Uhr;  kirchen- 
historische Uebungen  Prof.  Reuter  Montags  um  6  Uhr; 
historisch  -  dogmatische  Uebungen  über  die  Hauptent- 
wicklungsformen der  Christologie :  Lic.  Kattenbusch  wö- 
chentlich einmal. 


435 
Rechtswissenschaft. 

Greschichte  und  Institutionen  des  Römischen  Rechts : 
fünfmal  wöchentlich  von  11—12  und  von  12 — 1  Uhr 
Prof.  Hartmann. 

Geschichte  des  römischen  Civilprocesses :  Dr.  Rüme- 
lin  Dienstag,  Mittwoch  und  Freitag  von  4—5  Uhr. 

Pandekten:  allgemeiner  Theil  und  Sachenrecht  Prof. 
V.  Ihering  täglich  von  11—12  und  Sonnabends  von 
12  —  1;  Obligationenrecht  fünfmal  von  12 — 1  mit  Zugrun- 
delegung von  Amdt's  Pandekten. 

Römisches  Familien  recht:  Dr.  Hümeh'n  Mittwoch 
von  10—11  Uhr  öffentiich. 

Römisches  Erbrecht:  fünfmal  von  3—4  Uhr  Prof. 
Wolff. 

Römisches  Erbrecht:  Montag,  Dienstag,  Donnerstag 
und  Freitag  von  10—11  Uhr  Dr.  Zitelmann. 

Pandekten -Exegetikum:  Dr.  Rümelin  Dienstag  und 
Freitag  von  5 — 6  Uhr. 


Deutsche  Staats-  und  Rechtsgeschichte:  viermal  wö- 
chentlich von  3—4  Uhr  Prof.  Frensdorff. 

Uebungen  im  Erklären  deutscher  Rechtsquellen: 
Prof.  Frensdorff  Montags  um  6  Uhr  öffentlich. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehnrecht:  viermal  wö- 
chentlich von  11  —  1  Uhr  Prof.  Frensdorff. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Ausschluss  des  Handels- 
rechtes :  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  von 
9—11  Uhr  Dr.  Sichel. 

Handelsrecht  mit  "Wechselrecht  und  Seerecht:  fünf- 
mal von  9-10  Uhr  Prof.  Thöl. 

Preussisches  Privatrecht:  fünfstündig  um  11  Uhr 
Prof.  Ziebarth. 


Deutsches  Strafrecht:    fünfmal  wöchentlich  um   10 
Uhr  Prof.  John. 


Deutsches  Reichs-  und  Staatsrecht :  fünfmal  wöchent- 
lich um  12  Uhr  Prof.  Mejer. 

Einleitung  in  das  Preussische  Verwaltungsrecht: 
Sonnabend  von  11—1  Uhr  Prof.  Mejer. 

Deutsche  Verfassungsgeschichte  bis  zum  Ausgang  des 
Mittelalters:  Dr.  Sidcel  Dienstag  und  Freits^  um  5 
Uhr  unentgeltlich. 

40* 


436 

Kirchenrecht  einschliesslich  des  Eherechts:  Prof. 
Dove  täglich  von  8 — 9  Uhr. 

Geschichte  der  Kirchenverfassung  und  des  Verhält- 
nisses von  Staat  und  Kirche:  Prof.  Dove  Dienstag  und 
Freitag  von  6 — 7  Uhr  öffentlich. 

Ueber  den  deutschen  Kirchenstreit:  Prof.  Mejer 
Montag  6  Uhr  öffentliche^ 

Theorie  des  Civilprocessrechts :  fünfmal  wöchentlich 
um  11  Uhr  Prof.  John. 

Deutscher  Strafprocess :  viermal  wöchentlich  um  10 
Uhr  Prof.  Zieharth. 

Geschichte  des  Strafprocesses :  Prof.  Zieharth  Mitt- 
woch um  10  Uhr  öffentlich. 


Civilprocessprakticum :  Dienstag  und  Freitag  von 
4 — 6  Uhr  Prof.  Hartmann. 

Criminalistische  Uebungen:  Prof.  Zieharth  Mittwoch 
(oder  an  einem  anderen  Tage)  von  4—6  Uhr. 

Rechtsphilosophie  s.  S.  439. 

Medicin. 

Zoologie,  vergleichende  Anatomie,  Botanik,  Chemie 
siehe  unter  Naturwissenschaften. 


Knochen-  und  Bänderlehre:  Prof.  Henle  Montag, 
Mittwoch,  Sonnabend  von  11 — 12  Uhr. 

Systematische  Anatomie  I.  Theil:  Prof.  Henle  täg- 
lich von  12-1  Uhr. 

Topographische  Anatomie:  Prof.  Henle  Dienstag, 
Donnerst.,  Freitag  von  2 — 3  Uhr. 

Präparirübungen ,  in  Verbindung  mit  Prosector  Dr. 
V.  Brunn  täglich  von  9 — 4  Uhr. 

Mikroskopische  Uebungen  hält  Dr.  v.  Brunn  wöchent- 
lich in  vier  zu  verabredenden  Stunden. 

Mikroskopischen  Cursus  in  der  normalen  Histologie 
hält  Prof,  Krause  Dienstag,  Donnerst,  und  Freitag  von 
2-3  Uhr. 

Allgemeine  und  besondere  Physiologie  mit  Erläute- 
rungen durch  Experimente  und  mikroskopische  Demon- 
strationen: Prof.  Herhst  in  sechs  Stunden  wöchentlich 
um  10  Uhr. 

Experimentalphysiologie  II.  Theil  (Physiologie  dea 
Nervensystems  und  der  Sinnesorgane):  Prof.  Meissner 
täglich  von  10-11  Uhr. 


437 

Ueber  Auge  und  Mikroskop  tragt  Prof.  Listing  zwei 
Mal  wöchentlich  in  passenden  Stunden  privatissime  vor. 

Arbeiten  im  physiologischen  Institute  leitet  Prof. 
Meissner  täglich  in  passenden  Stunden. 

Allgemeine  Pathologie  und  Therapie  lehrt  Prof. 
Krämer  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von 
4—5  Uhr  oder  zu  anderen  passenden  Stunden. 

Allgemeine  pathologische  Anatomie  und  Physiologie : 
Prof.  Fonßck  täglich  von  12—1  Uhr. 

Demonstrativen  Cursus  der  pathologischen  Anatomie 
und  Histologie  verbunden  mit  Sectionsübungen  an  der 
Leiche  hält  Prof.  Tonfick  Montag  von  2—3,  Mittwoch 
und  Sonnabend  von  2 — 4  Uhr. 

Praktischen  Cursus  der  pathologischen  Histologie 
hält  Prof.  Ponfick  zweimal  wöchentlich  in  je  zwei 
Stunden. 

Physikalische  Diagnostik  mit  praktischen  Hebungen 
lehrt  Prof.  Eichhorst  Mittwoch  von  5— G  Uhr,  Freitag 
von  6—7  Uhr,  Sonnabend  von  4-5  Uhr.  Dasselbe  trägt 
Dr.  Wiese  viermal  wöchentlich  in  später  näher  zu  be- 
zeichnenden Stunden  vor. 

Laryngoskopische  Uebungen  hält  Prof.  £tcAAor»<  Sonn- 
abend von  6 — 7  Uhr. 

Untersuchungen  des  Harns  nait  chemischen  und  mi- 
kroskopischen Uebungen  leitet  Prof.  Eichhorst  priva- 
tissime in  einer  zu  verabredenden  Stunde. 

Pharmakologie  oder  Lehre  von  den  Wirkungen  und 
der  Anwendungsweise  der  Arzneimittel  sowie  Anleitung 
zum  Receptschreiben :  Prof.  Marx  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  2—3  Uhr. 

Experimentelle  Arzneimittellehre  und  Receptirkunde 
lehrt   Prof.   Marvie  viermal   wöchentlich  von  6—7  Uhr. 

Die  gesammte  Arzneimittellehre,  mit  Demonstration 
der  Arzneikörper  und  mit  Versuchen  über  die  "Wirkung 
der  Heilmittel  und  Gifte  erläutert,  trägt  Prof.  Husemann 
fünfmal  wöchentlich  von  2—3  Uhr  oder  zu  gele<^enerer 
Zeit  vor.  ° 

Praktische  Uebungen  im  Abfassen  ärztlicher  Ver- 
ordnungen hält  Prof.  Husemann  Montag  von  3—4  Uhr 
öffentlich. 

Pharmakologische  und  toxikologische  Untersuchun- 
gen leitet  Prof.  Martnc  im  pharmakologischen  Institut 
täglich  wie  bisher,  Prof.  Husemann  gleichMls  wie 
bisher. 


438 

Pharmacie  lehrt  Prof.  Wiggers  6  Mal  wöchentlicli 
von  8—9  Uhr;  Dasselbe  Prof.  von  TJslar  4  Stunden  um 
3  Uhr;  Dasselbe  Dr.  Stromeyer  privatissime. 

Elektrotherapeutische  Curse  hält  Professor  Marme 
in  später  zu  bestimnienden  Stunden. 


Specielle  Pathologie  und  Therapie  2.  Hälfte  Prof. 
Ebstein  Montag,  Dienstag,  Mittwoch,  Donnerstag  von 
5-6  Uhr. 

Ueber  acute  Infectionskrankheiten  trägt  Prof.  Hasse 
viermal  wöchentlich  vor. 

Ueber  Hautkrankheiten  und  Syphilis  trägt  Prof. 
Krämer  3  stündlich  vor. 

Ueber  Kinderkrankheiten  liest  Prof.  Eichhorst  Mitt- 
woch von  4  —  5,  Freitag  von  5 — 6  Uhr. 

Die  medicinische  Klinik  und  Poliklinik  leitet  Prof. 
Ebstein  täglich  von  lO^i— 12  Uhr. 

Specielle  Chirurgie:  Prof.  Lohmeyer  fünfmal  wö- 
chentlich von  8 — 9  Uhr. 

Ausgewählte  Capitel  aus  der  speciellen  Chirurgie 
von  Kopf,  Hals  und  Rumpf  trägt  Prof.  König  vierstündig 
von  4—5  Uhr  vor. 

Die  Lehre  von  den  chirurgischen  Operationen  trägt 
Prof.   Rosenbach  vier  Mal  wöchentlich  um  6    Uhr  vor; 

Die  chirurgische  Klinik  leitet  Prof.  König  täglich 
ausser  Sonnabend  von  978  —  10^/4  Uhr. 

Chirurgische  Poliklinik  wird  Sonnabend  von  9V2 — 
10%  Uhr  von  Prof.  König  u.  Prof,  Rosenbach  abwech- 
selnd Und  öffentlich  gehalten. 

Augenoperationscursus  hält  Prof.  Leber  Mittwoch 
und  Sonnabend  von  8—4  Uhr. 

Praktische  Uebungen  im  Gebrauch  des  Augenspie- 
gels leitet  Prof.  Leber  Mittwoch  und  Sonnabend  von 
12—1  Uhr. 

Klinik  der  Augenkrankheiten  hält  Prof.  Leber  Mon- 
tag, Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  12—1  Uhr, 

Geburtskunde  trägt  Prof.  Schwartz  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  um  3  Uhr  vor. 

Geburtshülflichen  Operationscursus  am  Phantom  hält 
Dr.  Hartwig  Mittwoch  und  Sonnabend  um  8  Uhr. 

Geburtshülflich-gynaekologische  Klinik  leitet  Prof, 
Schwartz  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  um 
8  Uhr. 

Ein  Examinatorium  der  Geburtshülfe  hält  Dr.  Hart' 


439 

tcig    zweimal   wöchentlich    in    noch   zn    bestimmenden 
Stunden  unentgeltlich. 

Psychiatrische  Klinik  in  Verbindung  mit  systema- 
tischen Vorträgen  über  die  Lehre  von  den  Geisteskrank- 
heiten hält  Prof.  Met/er  in  wöchentlich  vier  Stunden. 

Gerichtliche  Medicin  trägt  Prof.  Krause  Dienstag 
und  Freitag  von  4—5  Uhr  vor. 

Forensische  Psychiatrie,  erläutert  an  Geisteskranken, 
lehrt  Prof.  Meyer  wöchentlich  in  zwei  zu  verabreden- 
den Stunden.  -r.    <?  »*■  • 

Ueber  öffentliche  Gesundheitspflege  trägt  Prof.  3/ew«- 
ner  Dienstag,  Mittwoch,  Freitag  von  5—6  Uhr  vor. 

Anatomie,  Physiologie  und  specielle  Pathologie  der 
Hausthiere  lehrt  Prof.  ^aser  fünf  Mal  wöchentlich  von 
8-9  Uhr.  .^  ,      ^., 

Klinische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  halt 
Prof.  Esser  in  zu  verabredenden  Stunden. 

Philosophie. 

Geschichte  der  alten  Philosophie:  Prof.  Fe  ipers,  Moni. 
Dienst.  Donn.  Freit.,  12  Uhr.  —  Geschichte  der  neue- 
ren Philosophie  mit  Einleitung  über  Patristik  und 
Scholastik:  Prof.  Baumann,  Mont.  Dienst.  Donnerst. 
Freit.,  5  Uhr.  —  Ueber  Geschichte  und  Ziel  der  me- 
chanischen "Weltauffassung:  Br.  Müller,  Mittw.,  4  Uhr 
imentgeltlich. 

Logik  und  Encyclopädie  der  Philosophie:  Dr.  Heh- 
nisch,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit. ,  12  Uhr. 

Deductive  und  inductive  Logik :  Dr.  Ueberhorst,  vier- 
stündig, 10  Uhr. 

Psychologie:  Prof.  Lotze,  vier  Stunden,  4  Uhr. 

Ueber  die  Theorien  der  Raumanschauung:  Dr. 
Ueberhorst,  Mittwoch,  10  Uhr,  unentgeltlich. 

Rechtsphilosophie:  Prof.  Baumann,  Mont.  Dienst. 
Donn.  Freit.,  3  Uhr. 

Aesthetik:  Prof.  Bohtz,  Mont.  Dienst.  Donnerst,  u. 
Freit.,  11  Uhr. 

Ueber  die  Ausbildung  des  Willens  und  des  Cha- 
rakters: Prof.  Baumann,  Mont.  6  Uhr.,  öffentlich. 

Prof.  Peipers  wird  in  einerphilos.  Societät  das  erste 
und  zwölfte  Buch  der  Metaphysik  des  Aristoteles,  Dienst. 


44Ö     ' 

6  Uhr,  in  einer  zweiten  Leibnitz'  Monadologie,  Freit.  6 
Uhr,  behandeln,  beides  öffentlich. 


Erziehungslehre  :  Prof.  Krüger,  zwei  Stunden,  3  Uhr. 
Die  Uebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet 
Frof.  Sauppe,  Donn.  und  Freit.,  11  Uhr. 

Mathematik  und  Astronomie. 

Ausgewählte  Kapitel  der  analytischen  Geometrie: 
Prof.  Schwarz,  Mont.  und  Donnerst.  4  Uhr,    öffentlich. 

Ueber  krumme  Flächen  und  Curven  doppelter  Krüm- 
mung: Prof.  Schwarz,  fünf  Stunden,  9  Uhr. 

Algebraische  Analysis ,  mit  einer  Einleitung  über 
die  Grundbegriffe  der  Arithmetik:  Prof.  Stern,  fünf 
Stunden,  11  Uhr. 

Differential  -  und  Integralrechnung  nebst  kurzer  Ein- 
leitung in  die  analytische  Geometrie  der  Ebene:  Prof. 
Enneper,  Mont.  bis  Freit.,  9  Uhr. 

Theorie  der  elliptischen  Funktionen:  Prof.  Schwarz, 
fünf  Stunden,  11  Uhr. 

Theorie  der  Determinanten:  Prof.  Enneper,  Dienst, 
und  Freit.,  öffentlich. 

Potentialfunktionen  und  deren  Anwendung  auf  die 
Lehre  von  der  Schwerkraft,  vom  Magnetismus  und  von 
der  Electricität :  Prof.  Schering^  Mont.  Dienst.  Donn. 
Freit.,  8  Uhr. 

Mechanik:  Prof.  Stern,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit. 
10  Uhr. 

Hydrostatik:  Prof.   Ulrich,  4  Stunden,  5  Uhr. 

Mathematische  Theorie  des  Lichts:  Dr.  Fromme, 
Moni,  Dienst,  u.  Donn.  12  Uhr. 

Theoretische  Astronomie:  Prof.  Klinkerfues ,  Mont. 
Dienst.  Donnerst,  u.  Freit.  12  Uhr. 

In  dem  mathematisch-physikalischen  Seminar  leiten 
mathematische  Uebungen  Prof.  Stern,  Mittwoch  10  Uhr, 
und  Prof.  Schwarz,  Freit.  12  Uhr;  leitet  die  von  'den 
Mitgliedern  über  Analysis  gehaltenen  Vorträge  Prof. 
Schering,  Mittw. ,  8  Uhr,  giebt  Anleitung  zur  Anstel- 
lung astronomischer  Beobachtungen  Prof.  Klinkerfues, 
in  einer  passenden  Stunde.  Vgl.  Naturwissenschaften 
S.  441. 

Mathematische  CoUoquien  wird  Prof.  Schtoarz,  priva- 
tissime  und  unentgeltlich,  wie  bisher  leiten. 


441 

Naturwissenschaften . 

Vergleichende  Anatomie:  Prof.  Ehlers^  Mont.  bis 
Freit.,  3  Uhr. 

Naturgeschichte  der  Wir belthiere:  Hr.  Ludwig,  Mittw. 
u.  Sonnab.,  10  Uhr. 

Lebensgewohnheiten  und  Kunstfertigkeiten  der 
Thiere:  Prof.  Ehlers,  Mont.  u.  Dienst,  6  Uhr. 

Zootomisch  -  mikroskopischer  Kurs :  Prof.  Ehlers, 
Dienst,  und  Donnerst.  11  —  1  Uhr. 

Zoologisch -zootomische  Uebungen  wird  Prof.  Ehlers 
täglich  in  den  Vormittagsstunden  anstellen. 

Eine  zoologische  Societät  leitet  Prof.  Ehlers  prira- 
tissime,  unentgeltlich. 

Einleitung  in  die  Botanik  und  das  natürliche  Pflan- 
zensystem: Dr.  Drude,  Mont.  bis  Freit.,   12  Uhr. 

Allgemeiner  Theil  der  Physiologie  der  Pflanxen : 
Prof.  Grisebach,  Mont.  u.  Donnerstag,  4  Uhr. 

Allgemeine  Botanik  (Anatomie,  Morphologie,  Entwick- 
lung der  Pflanzen):  Prof.  Reinke ,  Mont.  Dienst.  Donn. 
Freit.,  12  Uhr. 

Einleitung  in  die  Kryptogamenkunde :  Prof.  Reinke, 
Mittw.  12  Uhr. 

Deutschlands  Flora,  Theil  11,  Kryptogamen:  Dr. 
Drude,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  3  Uhr. 

Klimatologisch  -  pflanzengeographische  Skizze  von 
Deutschland:   Dr.  Drude,  Freit.,    6  Uhr.    unentgeltlich- 

Ueber  otficinelle  Pflanzen :  Prof.  Grisebach,  Dienst,  u. 
Freit.,  4  Uhr. 

Demonstrationen  an  Treibhauspflanzen  des  botani- 
schen Gartens:  Prof.  Grisebach,  Mittw.  11  Uhr,  öfi"ent- 
lich. 

Mikroskopisch -botanischer  Kursus:  Prof.  Reinke, 
Mont.  u.  Dienst.  11—1  Uhr. 

Mikroskopisch-pharmaceutischer  Kursus:  Prof.  Reinke, 
Sonnabend  9 — 11  Uhr. 

Uebungen  in  Systematik  und  Pflanzengeographie  lei- 
tet Dr.  Drude  in  seiner  Societät,  Mittw.  2  Uhr. 

Mineralogie:  Prof.  Klein,  fünf  Stunden,  11  Uhr. 

Elemente  der  Mineralogie ,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  nutzbaren  Mineralien,  verbunden  mit 
Demonstrationen  und  Uebungen :  Dr.  Lang,  Mont.  Dienst. 
Donn.  Freit.,  2  Uhr. 


442 

Krystallograpbie  (nach  Miller)  und  Krystalloptik : 
Prof.  Listing,  Moni  Dienst.  Denn.  Freit.,  4  Uhr. 

Petrographie ,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der 
mikroskopischen  Untersuchung:  Dr.  Geinitz^  Mont.  u. 
Freit.  10  Uhr. 

Palaeontologie :  Prof.  von  Seebach,  fünf  Stunden,  9  Uhr. 

Chemische  Geologie :  Dr.  Geinitz,  Donnerst,  oder  Sonn- 
abend 10  Uhr. 

Petrographische  und  palaeontologische  Uebungen 
leitet  in  Verbindung  mit  dem  Assistenten  Dr.  Geinitz 
Prof.  von  Seebach ,  Montag ,  Dienstag  und  Donnerstag 
IOV4— 1  ^^^,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Mineralogische  Uebungen:  Prof.  Klein,  Sonnab. 
10-12  Uhr,  öffentlich. 

Die  in  der  Geologie  Fortgeschritteneren  ladet  Prof. 
von  Seebach  zu  der  geologischen  Gesellschaft  ein,  Mitt- 
woch Abends  6—8  Uhr. 

Petrographische  Uebungen  im  geologischen  Institut: 
Dr.  Geinitz,  Dienstag,  10 — 1  Uhr,  unentgeltlich. 


Experimentalphysik ,  zweiter  Theil,  Magnetismus, 
Elektricität  und  Warme :  Prof.  Stecke ,  Mont.  Dienst. 
Donnerst.   Freit.,  5  Uhr. 

Ueber  Auge  und  Mikroskop:  Prof.  Listing,  privatis- 
sime, in  zwei  zu  verabredenden  Stunden. 

Die  praktischen  Uebungen  im  physikalischen  La- 
boratorium leitet  Prof.  Rieche ,  in  Gemeinschaft  mit 
den  Assistenten  Dr.  Fromme  und  Dr.  Hoppe  (Erste  Ab- 
theilung: Dienst.  Donnerst.  Freit.  2—4  Uhr  und  Sonn- 
abend 9 — 1  Uhr;  zweite  Abtheilung:  Dienst,  u.  Freit. 
2-4  Uhr,'  Sonnabend  11-1  Uhr). 

Physikalisches  Colloquium :  Prof.  Listing ,  Sonnab. 
11—1  Uhr. 

Repetitorium  über  das  Gebiet  der  Experimentalphy- 
sik:  Dr.  Fromme,  Dienst,  u.  Freit.  6  Uhr,    privatissime. 

Magnetismus  und  Optik:  vgl.  Mathematik  S.  440. 

In  dem  mathematisch -physikalischen  Seminar  leitet 
physikalische  Uebungen  Prof.  Listing,  Mittwoch,  um 
12  Uhr.  Theorie  des  inducirten  Magnetismus  und  der 
dielektrischen  Körper:  Prof.  Rieche,  Mittwoch  11  Uhr. 
Vgl.  Mathematik  und  Astronomie  S.  440. 


Allgemeine  Chemie:  Prof.  Hübner,  sechs  Stund.,  9  Uhr. 
Grundlehren  der  Chemie :  Prof.  Hübner,  Freit.,  12  Uhr. 


443 

Organische  Chemie :  Dr.  Post,  dreimal  wSchentlicli 
(Mont.  u.  Mittw.  12  Uhr,    Freit,    in  passender  Stunde). 

Organische  Chemie  für  Mediciner:  Prof.  von  Uslar, 
in  später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Technische  Chemie,  speciell  für  Landwirthe :  Prot 
ToUens,  Mittw.  Donnerst,  u.  Freit.  10  Uhr. 

Chemische  Technologie  (begleitet  von  Eicursionen): 
Dr.  Post,  Dienst,  und  Donnerst.,  12  Uhr. 

Einzelne  Zweige  der  theoretischen  Chemie:  Dr.  Stro- 
meyer,  privatissime. 

Uebungen  in  chemischen  Rechnungen  (Stoechiome- 
trie):  Prof.  Tollem,  Dienst.,  9  Uhr,  öffentlich. 

Die  Vorlesungen  über  Pharmacie  s.  unter  Mediein 
S.  437. 

Die  praktisch-chemischen  Uebungen  u.  wissenschafl- 
lichen  Arbeiten  im  akademischen  Laboratorium  leiten 
die  Professoren  Wöhler  und  JSnbner  in  Gemeinschaft 
mit  den  Assistenten  Dr.  Jannasch,  Dr.  Post,  Dr.  Fre- 
richs,  Dr.    Wiesinger,  Dr.  Polistorf,  Dr.  Brückner. 

Prof.  Boedeker  leitet  die  praktisch  -  chemischen  Ue- 
bungen im  physiologisch- chemischen  Laboratorium,  täg- 
lich (mit  Ausschl.  d.  Sonnab.)  8—12  und  2—4  Uhr. 

Prof.  ToUens  leitet  die  praktisch-chemischen  Uebun- 
gen im  agriculturchemischen  Laboratorium  in  Gemein- 
schaft mit  dem  Assistenten  Dr.  Clemm,  Mont.  bis  Freit, 
von  8—12  vmd  von  2—4  Uhr. 

Historische  "Wissenschaften. 

Historisch  -  politische  Geographie  Europas:  Prof. 
Pauli:,  vier  Stunden,  8  Uhr. 

Entdeckungsgeschichte  und  Geographie  von  Ame- 
rika: Prof.  Wappäus,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit., 
11  Uhr. 


Methodik  und  Encyclopädie  des  Geschichtsstudiums: 
Dr.  Bernheim,  Dienst.  Donnerst.  Freit.  10  Uhr. 

Griechische  Geschichte:  Prof.  Nissen,  4  Stunden, 
12  Uhr. 

Neuere  Geschichte  bis  zum  Westphälischen  Frieden: 
Prof.  Pauli,  vier  Stunden,  5  Uhr. 

Geschichte  des  Revolutionszeitalters  von  1789:  Dr. 
Höhlbaum,  3  St. 

Neueste  Geschichte  seit  1815:  Prof.  Weizsäeker,  vier 
Stunden,  4  Uhr. 


444 

Deutsche  Geschichte  vom  Interregnum  bis  zur  Re- 
formation:   Prof.   Weizsäcker,  4  Stunden,  9  Uhr. 

Greschichte  Frankreichs  im  Mittelalter:  Prof.  Stein- 
dorff,  Mittwoch  u.  Sonnabend,  11  Uhr. 

Geschichte  Italiens  im  Mittelalter:  Assessor  Dr. 
Wüstenfeld^  Mont.  Dienst,  Donn.  Freit.,  10  Uhr,  unent- 
geltlich. 

Historische  Uebungen  über  Herodot  leitet  Prof. 
Nissen,  in  einer  noch  zu  bestimmenden  Stunde,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Pauli  ^  Mittwoch, 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Weizsäcker,  Freit. 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Steindorff,  Donnerst. 
5  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen:  Dr.  Bernheim,  Dienst.  6 — T^/j 
Uhr,  unentgeltlich. 

Kirchengeschichte:  s.  unter  Theologie  S.  434, 

Staats  Wissenschaft  und  Landwirthschaft. 

Nationalökonomie:  Dr.  Pierstorff,  4  Stunden,  5  Uhr. 

Volkswirthschaftspolitik  (praktische  Nationalökono- 
mie):  Prof.  Haussen,  vier  Stunden,  12  Uhr. 

Finanzwissenschaft,  insbesondere  die  Lehre  von  den 
Steuern:    Prof.  Hanssen,  vier  Stunden,  4  Uhr. 

Wirthschaftliche  Gesetzgebung  im  Reiche,  IV.:  Dr. 
Pierstorff,  Mittw.  6  Uhr,  unentgeltlich. 

Ueber  die  wirthschaftliche  Entwicklung  Deutschlands 
in  den  Jahren  1867  bis  1876:  Prof.  Soetbeer ,  Mont.  u. 
Donnerst.,  6  Uhr. 

Einleitung  in  das  landwirthschaftliche  Studium: 
Prof.  Drechsler,   1  Stunde,  öffentlich. 

Allgemeine  Ackerbaulehre:  Dr.  Fesca,  Montag, 
Dienst.  Mittw.  Donnerst.,  10  Uhr. 

Die  Ackerbausysteme  (Felderwirthschaft ,  Feldgras- 
wirthschaft,  Fruchtwechselwirthschaft  u.  s.  w.):  Prof. 
Griepenkerl,  in  zwei  passenden  Stunden,    unentgeltlich. 

Die  allgemeine  und  specielle  landwirthschaftliche 
Thierproductionslehre  (Lehre  von  den  Nutzungen,  Ra^en, 
der  Züchtung,  Ernährung  und  Pflege  des  Pferdes, 
Rindes,  Schafes  und  Schweines) :  Prof  Griepenkerl,  Mont. 
Dienst.  Donnerst,  und  Freit.,  5  Uhr.  —  Im  Anschluss 
an  diese  Vorlesungen  werden  Exkursionen  nach  benach- 


445 

barten  Landgütern  und   Fabriken  veranstaltet  werden. 

Landwirthschaftliche  Betriebslehre:  Prof.  Drechsler, 
vier  Stunden,  4  Uhr. 

Die  Lehre  vom  Futter:  Prof.  Henneberg,  Moni., 
Dienst,  und  Mittwoch,  11  Uhr. 

Landwirthschaftliches  Praktikum:  Prof.  Drechsler 
und  Dr.  Fesca  (üebungen  im  landw.  Laboratorium 
Freit,  u.  Sonnab.  9 — 1  Uhr;  Üebungen  in  landw.  Be- 
rechnungen, Dienstag  und  Donnerst.,  12  Uhr). 

Exkursionen  und  Demonstrationen:  Prof.  Drechsler, 
Mittw.  Nachmittag. 

Technische  Chemie  u.  praktisch-chemische  Üebungen 
f.  Landwirthe  s.  unter  Naturwissenschaften  S.  441. 

Anatomie,  Physiologie  und  Pathologie  der  Haus- 
thiere  s.  Median  S.  439. 

Literärgeschichte. 

Geschichte  der  griechischen  Historiographie:  Dr. 
Gilbert,  drei  Stunden,  5  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Dichtung  seit  dem  Anfang 
des  17.  Jahrhunderts:  Ass.  Dr.  Tittmann,  fünf  Stunden, 
11  Uhr. 

Ueber  die  Romantische  Schule :  Prof.  Goedeke,  Mittw. 
5  Uhr,  öffentlich. 

Alterthumskunde. 

Die  Religions-  und  Kunst- Symbolik  der  Griechen, 
mit  Erklärung  der  wichtigsten  Götter-  und  Heroenbilder 
der  Griechen:  Prof.  Wieseler,  vier  oder  fünf  Stunden, 
10  Uhr. 

Im  k.  archäologischen  Seminar  wird  Prof.  Wieseler 
ausgewählte  Kunstwerke  erklären  lassen,  Sonnabend  10 
Uhr,  öffentlich.  —  Die  schriftlichen  Arbeiten  der  Mit- 
glieder wird  er  privatissime  beurtheilen. 

Ueber  die  deutsche  Heldensage:  Dr.  Tittmann,  zwei 
Stunden,  5  Uhr,  unentgeltlich. 

Vgl.  Griechische  und  lateinische  Sprache  (Tacitus  Ger- 
mania) S.  446  und  Deutsche  Sprache  (Heldensage)  S.  446. 

Vergleichende  Sprachlehre. 

Vergleichende  Grammatik  der  griechischen  Sprache: 
Prof.  Fick,  vier  Stunden,  10  Uhr. 


446 

Sprachvergleichende  Societät:  Prof.  JVcä,  Mittw. 
6  Uhr. 

Orientalische  Sprachen. 

Die  Vorlesungen  über  das  A.  und  N.  Testament 
siehe  unter  Theologie  S.  433. 

Unterricht  in  der  arabischen  Sprache :  Prof.  Bertheau, 
Dienst,  u.  Freit.,  2  Uhr. 

Ausgewählte  Stücke  aus  Arabischen  Schriftstellern 
erklärt  Prof.   Wüstenfeld  privatissime. 

Die  Neupersische  Sprache  lehrt  Prof.  de  Lagärde  zu 
gelegener  Zeit  öffentlich. 

Erklärung  von  Stücken  aus  seiner  Sanskrit-Chresto- 
mathie und  von  vedischen  Liedern :  Prof.  Benfey,  Mont. 
Dienst,  u.  Donnerst.  5  Uhr. 

?  Grundzüge  derPräkrit-Grammatik  und  Erklärung  der 
^akuntalä :    Dr.  Bezzenberger,  zwei  Stunden. 

Zendgrammatik  und  Erklärung  des  Ya9na:  Dr.  Bez- 
zenberger, zwei  Stunden. 

Griechische  und  lateinische  Sprache. 

Elemente  der  griechischen  und  römischen  Epigra- 
phik:    Prof.  Sauppe,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.  9  Uhr. 

Sophokles  Elektra:  Prof.  von  Leutsch,  vier  Stunden, 
12  Uhr. 

Theokrits  Gedichte :  Tvoi.  Dilthey,  vier  Stunden,  5  Uhr. 

Aristoteles:  vgl.  Philosophie  S.  439. 

Ueber  Polybios  Leben  und  Schriften  nebst  Erklärung 
seiner  Staatslehre  in  B.  VI,  Mittw.  u.  Sonnab.,  12  Uhr, 
Prof.  Nissen. 

Terentius  Adelphi  und  Heautontimorumenos :  Prof. 
Sauppe,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit ,  2  Uhr. 

Germania  des  Tacitus :   vgl.  Deutsche  Sprache  S.  447. 

Geschichte  der  griech.  Historiographie  s.  Literaturg. 
S.  445. 

Im  K.  philologischen  Seminar  leitet  die  schriftlichen 
Arbeiten  und  Disputationen  Prof.  v.  Leutsch,  Mittw.  11 
Uhr ;  lässt  Aristoteles  Rhetorik  erklären  Prof.  Sauppe, 
Mont.  U.Dienst.,  11  Uhr;  lässt  Propertius  erklären  Prof. 
Dilthey,  Donnerst,  u.  Freit.,  11  Uhr,  alles  öffentlich. 

Im  philologischen  Proseminar  leiten  die  schriftlichen 
Arbeiten  und  Disputationen  die  Prof.  v.  Leutsch  (Mittw. 


447 

10  Uhr),    Sauppe  (Mittw.  2  Uhr)  und  Düthey  (Sonnab. 

11  Uhr);  lässt  Xenophons  Symposion  Prof.  Sauppe  Sonn« 
11  Uhr,  und  Juvenalis  Prof.  Düthey  erklären,  Sonnab. 
11  Uhr,  alles  öffentlich. 

Deutsche   Sprache. 

Gotische  Grammatik  und  Lektüre  der  gotischen  Bi- 
belübersetzung: Dr.  Beszenberger,  rvurei  Stunden. 

Altsächsische  Grammatik  und  Erklärung  des  He- 
liand:   Prof.    W.  Müller,  Mont.  u.  Donnerst.,  10  Uhr. 

Althochdeutsche  Grammatik  und  Lektüre  der  wich- 
tigsten althochdeutschen  Sprachdenkmäler;  Dr.  Wilken, 
Mittw.  u.  Sonnab.,  11  Uhr. 

Die  Germania  des  Tacitus  erklärt  Tom  Standpunkte 
der  deutschen  Alterthumskunde  Dr.  Wäken,  Mont  Dienst. 
Donn.  4  Uhr. 

Erklärung  des  Nibelungenliedes  nebst  einer  Einlei- 
tung über  die  deutsche  Heldensage:  Prot  W.  Müller^ 
vier  Stunden,  3  Uhr. 

Hartmann's  von  Aue  Gregorius  erläutert  Dr.  WWten 
Donnerst.,  6  Uhr,  unentgeltHch.  ' 

Die  Uebungen  der  deutschen  Gesellschaft  leitet  Prot, 
Wiüi.  MüUer,  Dienst.  6  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur:  s.  Literärge- 
tchichte,  S.  445. 

Neuere  Sprachen. 

Altenglische  Grammatik,  mit  Erläuterung  Ton  Chau- 
cer's  Canterbury-Erzählungen:  Prof.  Th.  Müller,  Mont. 
Dienst.  Donnerst.,  4  Uhr. 

Uebungen  in  der  französischen  und  englischen  Spra- 
che, die  ersteren  Mont.  Dienst.  Mittw.,  die  letzteren 
Donn.  Freit.  Sonnabend  12  Uhr:   Prof.  Th.  Müller. 

In  der  romanischen  Societät  wird  Derselbe,  Freit.  4 
Uhr,  öffentlich,  ausgewählte  altfranzösische  Dichtungen 
nach  Bartsch's  Chrestomathie  erklären  lassen. 

Schöne  Künste.  —  Fertigkeiten. 

Unterricht  im  Zeichnen  mit  besonderer  Rücksicht 
auf  naturhistorische  und  anatomische  Gegenstände : 
Zeichenlehrer  Peters,  Sonnabend  Nachm.  2—4  Uhr. 


448 

Geschichte  der  Musik  von  1500—1830:  Prof.  Krüger, 
vier  Stunden. 

Harmonie  und  Kompositionslehre ,  verbunden  mit 
praktischen  Uebungen:  Musikdirector  Hilh,  in  passen- 
den Stunden. 

Zur  Theilnahme  an  den  Uebungen  der  Singaka- 
demie und  des  Orchesterspielvereins  ladet  Derselbe  ein. 

Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reit- 
bahn der  Univ .-Stallmeister  Schweppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend  Morgens  von  8—12  und 
Nachm.  (ausser  Sonnabend)  von  3 — 4  Uhr. 

Fechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüne- 
klee, Tanzkunst  der  Universitätstanzmeister  Höltzke. 

Oeffentliche  Sammlungen. 

Die  Universitätsbibliothek  ist  geöffnet  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  2  bis  3,  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  2  bis  4  Uhr.  Zur  Ansicht  auf  der  Bibliothek 
erhält  man  jedes  Werk,  das  man  in  gesetzlicher  Weise 
verlangt;  verliehen  werden  Bücher  nach  Abgabe  einer 
Semesterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologi- 
schen Seminarbibliothek ,  des  Theatrum  anatomicum ,  des 
physiologischen  Instituts,  der  pathologischen  Sammlung, 
der  Sammlung  von  3Iaschinen  und  Modellen,  des  zoolo- 
gischen und  ethnographischen  Museums,  des  botanischen 
Gartens,  der  Sternwarte,  des  physikalischen  Cabinets, 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen 
Sammlung,  der  chemischen  Laboratorien^  des  archäologi- 
schen Museums,  der  Gemäldesammlung ,  der  Bibliothek 
des  k.  philologischen  Seminars,  des  diplomatischen  Appa- 
rats, der  Sammlungen  des  landwirthschaftlichen  Instituts 
bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 


Bei  dem  Logiscommissär,  V&dt.Q\\  Bartels  (Weender8t.82), 
können  die ,  welche  Wohnungen  suchen ,  sowohl  über 
die  Preise,  als  andere  Umstände  Auskunft  erhalten, 
und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


449 


Kachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


1.  August.  Mx  19.  1877. 

Königliche  Gesellscliaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am   7.  Juli. 
(Fortsetzung.) 

Ueber  einen  Tangentenmultiplikator 

und  über  die  elektromotorische  Kraft 

des  Grove'schen  Elementes. 

Von 

Eduard  Riecke. 


In  einer  in  Poggendorfs  Annalen  Band  145 
veröffentlichen  Arbeit  habe  ich  den  Satz  bewiesen. 

>Ein  spiralförmig  von  einem  galvanischen 
Strom  umzogenes  Ellipsoid  übt  auf  einen  in 
seinem  Inneren  befindlichen  magnetischen  Punkt 
eine  konstante  von  der  Lage  desselben  unab- 
hängige Wirkung  aus.  Das  Potential  dieser 
Wirkung  hat  den  Werth: 

Sii  =  wi  [  {M~An))nx-\-{P—An)  .py^[E-An) .  re  j 

"vo  xys  die  Coordinaten  des  betrachteten  Punk- 
tes mit  Bezug  auf  dieHauptaxen  des  Ellipsoides, 
n  die  Zahl  der  Windungen,  welche  auf  die 
Längeneinheit  der  Axe  kommen,  m,  p  und  r  die 

41 


450 

Richtungscos.  dieser  Axe  bezeichuen.  Endlich 
sind  M,  P  und  R  gewisse  von  den  Dimensionen 
des  Ellipsoides  abhängende  Constante.« 

Schon  in  einer  vorläufigen  Anzeige  in  den 
Nachrichten  der  Göttinger  Gesellschaft  der  Wiss. 
vom  Jahre  1870  S.  109  habe  ich  darauf  hinge- 
wiesen, daß  in  dem  vorstehenden  Satz  das  Prin- 
cip  für  die  Construktion  eines  Multiplikators 
liegt ,  bei  welchem  die  Direktionskraft  für  be- 
liebige Ablenkungen  der  Nadel  konstant  bleibt. 
Durch  wiederholte  Bestimmungen  der  Empfind- 
lichkeit von  Multiplikatoren  mit  Nadelablesung, 
welche  einen  Uebungsgegenstand  für  das  hiesige 
physikalische  Praktikum  bildeten,  bin  ich  in- 
zwischen auf  die  außerordentliche  Inkonstanz 
dieser  Empfindlichkeit  bei  den  gebräuchlichen 
Construktionen  aufmerksam  geworden  und  es 
war  dieß  die  Veranlassung  zu  der  Construk- 
tion eines  Multiplikators  nach  dem  oben  ange- 
gebenen Princip.  Da  bei  dem  nur  in  pro- 
visorischer Weise  hergestellten  Apparat  ein 
Mittel  zur  Vermeidung  der  Parallaxe  nicht  vor- 
handen war,  auch  die  über  der  Theilung  spielen- 
den Zeiger  nicht  gegen  Luftzug  geschützt  waren, 
so  bot  die  Ablesung  nicht  den  Grad  von  Ge- 
nauigkeit dar,  wie  er  bei  vollkommener  Ein- 
richtung leicht  zu  erreichen  ist,  trotz  dieser  Un- 
vollkommenheiten  ergeben  die  im  Folgenden 
mitgetheilten  Messungen  einen  solchen  Grad 
von  üebereinstimmuug  der  Versuche  mit  der 
Theorie,  daß  durch  dieselben  die  Anwendbarkeit 
des  Princips  in  vollkommen  genügender  Weise 
bewiesen  sein  dürfte. 

Es  möge  zunächst  die  aus  der  Theorie  sich 
ergebende  Formel  für  die  Empfindlichkeit  des 
Multiplikators   augegeben    werden.     Setzen    wir 


451 

an  Stelle  eines  dreiaxigen  EUipsoides  ein  abge- 
plattetes Relation  sellipsoid 

^'    .    y  *  4.  f.'  _  1 

und  lassen  wir  die  Axe  der  dasselbe  umziehenden 
Spirale  zusammenfallen  mit  der  ^-Axe  des  Coor- 
dinatensystems ,  so  werden  die  Richtungscos. 
m  und  p  gleich  Null,  r  =  1,  und  das  Poten- 
tial der  auf  das  Innere  des  Ellipsoides  ausge- 
übten Wirkung  wird  somit 

n.  =  n{Ii—4n)z. 

Setzt  man : 


so  ergiebt  sich  für  E  der  Werth 

R  =  27rA(A^-f  l)|arctgi-^-| 

die  auf  eine  im  Inneren  des  Multiplikators  be- 
findliche Magnetnadel  von  der  Einheit  des  mag- 
netischen Moments  durch  die  Einheit  der  Strom- 
intensität ausgeübte  Direktionskraft  d.  h.  die  Em- 
pfindlichkeit des  Multiplikators  erhält  den  Werth 

w(47r— jR). 


Bei  der  Herstellung  des  Multiplikators  wurde 
in  folgender  Weise  verfahren.   In  zwei  Scheiben 

41* 


452 

aus    Buxbanmholz     wurden     zwei    vollkommen 
gleiche  kreisförmige  "Vertiefungen  eingedreht,  so 
daß,  wenn  die  beiden  Scheiben  mit  diesen  Ver- 
tiefungen auf  einander  gelegt  wurden ,  ein  zur 
Aufnahme  der  Magnetnadel  hinreichender  Hohl- 
raum entstand.    Die    beiden   Scheiben    wurden 
dann  aufeinander  geleimt,    so    daß   die  Ränder 
der    Vertiefungen    genau     aufeinander    paßten, 
hierauf  zusammen  abgedreht,   so  daß  ein  abge- 
plattetes Rotationsellipsoid  entstand,  dessen  Ro- 
tationsaxe   mit  der   Axe    des   inneren   cylindri- 
schen  Hohlraums,   dessen  Aequatorialebene   mit 
der  Berührungsfläche  der  beiden  Holzstücke  zu- 
sammenfiel.   Dieses   Ellipsoid    wurde   nach   der 
Richtung    der  Rotationsaxe  durchschnitten;    in 
die  beiden  so    entstandenen  Hälften    wurden  in 
der  Richtung  der  Rotationsaxe  halbkreisförmige 
Canäle    eingefeilt;     wurden     dann    die    beiden 
Halbellipsoide    wieder  zusammengesetzt ,  so  ent- 
stand ein  kreisrundes  Loch,    durch  welches  der 
die  Magnetnadel   tragende  Stift  frei  drehbar   in 
das  Innere    des  EUipsoides   hinabgehen  konnte. 
An    dem    über    dem   Multiplikator    befindlichen 
Ende    dieses    Stiftes    war    ein    Bügel    befestigt, 
welcher  .mit  einer  feinen  Stahlspitze  in  eine  ko- 
nisch  ausgedrehte   Stahlpfanne    eingesetzt    war, 
und    gleichzeitig    die    zur  Ablesung     dienenden 
Zeiger  trug. 

Der  in  ganze  Grade  getheilte  Kreis,  sammt 
der  den  Magnet  tragenden  Pfanne  war  mit  der 
hölzernen  Fußplatte  des  Apparates  in  fester  Ver- 
bindung ;  in  diese  letztere  konnten  die  an  Schlit- 
ten befestigten  Halbellipsoide  von  beiden  Seiten 
her  eingeschoben  werden,  so  daß  sich  die  Schnitt- 
flächen fest  aneinander  legten,  und  der  Suspen- 
sionsstift frei  durch  die  in  der  Richtung  der 
Axe  bleibende  Oefi'nung  hindurchgieng.    Da  bei 


453 

der  Wicklung  des  Multiplikators  auf  die  Län- 
geneinheit der  Spiralaxe  durchweg  gleich  viel 
Windungen  kommen  mußten,  so  wurden  in  der 
Peripherie  des  Aequatorialkreises  senkrecht  ge- 
gen die  Richtung  der  Spiralaxe  Messingstiften 
eingeschlagen,  welche  nach  der  Richtung  der 
Axe  in  gleichen  Abständen  von  einander  sich 
befanden ;  beim  Wickeln  mußten  dann  zwischen 
je  zwei  aufeinanderfolgende  Stifte  gleich  viel 
Windungen  gelegt  werden. 

Die  große  Axe  des  Holzellipsoides  war  gleich 
120"™,  die  kleine  Axe  gleich  30™";  daraus  er- 
giebt  sich  für  die  Empfindlichkeit  der  Ausdruck : 

—  — -  =  3,4073.  w.  7». 

Es  wurden  im  ganzen  5  verschiedene  Win- 
dungslagen  aufgewunden  und  ihre  Empfindlich- 
keiten gemessen.  Bei  der  zuerst  gewickelten  Lage 
kamen  auf  1  Millimtr.  der  Axe  1,8505  Win- 
dungen; es  war  also  für  dieselbe 

dn. 

-^  =  19,80. 

Da  der  zu  dieser  ersten  Lage  gebrauchte 
Draht  zu  dick  war  und  die  einzelnen  Windun- 
gen sich  zum  Theil  überdeckten,  so  konnte  ohne 
zu  große  Unregelmäßigkeit  keine  zweite  Win- 
dungslage aufgewickelt  werden ;  es  wurde  daher 
die  ganze  Lage  wieder  abgenommen  und  von 
einem  erheblich  dünneren  Drahte  zwei  Lagen 
von  gleicher  Windungszahl  wie  zuvor  über  ein- 
ander aufgewunden;  der  theoretische  Werth  der 
Empfindlichkeit  war  demnach  ebenfalls 


454 


% 


=  19,80. 


Ueber  diese  beiden  Lagen  dünnen  Drahtes 
wurden  sodann  noch  zwei  Lagen  dickeren  Drah- 
tes gewickelt,  für  welche  n  =  0,4626  und  da- 
her der  theoretische  Werth  der  Empfindlichkeit 

'  ==  4,95 


dß 


war. 


IL 


Die  Empfindlichkeit  der  zuerst  aufgewunde- 
nen und  später  wieder  entfernten  Drahtlage 
wurde  in  doppelter  Weise  gemessen.  Bei  der 
ersten  Bestimmung  wurde  der  Strom  von  4  Gro- 
veschen  Elementen  zwischen  einer  Tangenten- 
boussole  und  dem  Multiplikator  verzweigt,  und 
die  Widerstände  so  abgeglichen ,  daß  die  Ab- 
lenkungen beider  nahezu  gleich  waren.  Die  bei 
verschiedeneu  in  den  unverzweigten  Theil  des 
Schließungskreises  eingeschalteten  Widerständen 
beobachteten  gleichzeitigen  Ablenkungen  sind 
in  der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt. 


Ablenkungen 

der  Tangenten- 

boussole. 

Ablenkungen 
des  Multiplikators. 

Empfindlichkeit. 

54,50 

55,0° 

18,10 

54,7<' 

55,3° 

18,17 

44,1° 

44,5" 

18,08 

34,30 

34,8« 

18,23 

23,2« 

23,6° 

18,30 

14,0» 

14,0° 

17,98 

6,8° 

7,0« 

18,53 

Mittel: 

18,20 

455 

Aus  der  bekannten  Empfindlichkeit  derTan- 
^entenboussole ,  sowie  ans  dem  Verhältniß  der 
Widerstände  der  beiden  Zweige  ergaben  sich 
die  in  der  dritten  Columme  enthaltenen  Werthe 
der  Empfindlichkeit  des  Multiplikators.  Die 
unter  den  einzelnen  Werthen  hervortretenden 
Abweichnngen  werden  den  Betrag  der  Beobach- 
tnngsfehler  nicht  übersteigen;  die  große  Ab- 
weichung von  dem  theoretischen  Werth  der 
Empfindlichkeit,  19,80,  dürfte  ihren  Grund  zum 
Theil  in  Unregelmäßigkeiten  der  Windung,  zum 
Theil  in  dem  Fehler  haben,  welcher  bei  dem 
geringen  in  den  Zweig  der  Tangenteuboussole 
eingeschalteten  Widerstand  in  dem  Verhältniß 
der  Widerstände  beider  Zweige  wohl  eintreten 
konnte. 

Bei  der  zweiten  Bestimmungsweise  der  Em- 
pfindlichkeit,  welche  bei  den  folgenden  Messun- 
gen stets  zur  Anwendung  kam,  wurde  aus  der 
bekannten  elektromotorischen  Kraft  der  vier 
zur  Stromerzeugung  dienenden  Groveschen  Ele- 
mente und  dem  bekannten  Wiederstande  des 
Schließungskreises  die  Stromstärke  berechnet ; 
diese  gab  dann  in  Verbindung  mit  der  beobach- 
teten Ablenkung  die  Empfindlichkeit  des  Multi- 
plikators. 

Die  elektromotorische  Bj*aft  der  4  Groveschen 
Elemente  wurde  zum  Zweck  der  vorliegenden 
Messungen  wiederholt  bestimmt;  die  Resultate 
dieser  Bestimmungen  sollen  am  Schlüsse  des 
Aufsatzes  mitgetheilt  werden. 

Die  Werthe  der  Empfindlichkeit,  wie  sie 
nach  der  zweiten  Methode  erhalten  wurden,  sind  in 
der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt  mit  den 
Widerständen  des  Schließungskreises  und  den 
Ablenkungen  des  Multiplikators: 


456 


Widerstanä. 

Ablenkung. 

Empfindlichkeit. 

505,8 

56,15° 

18,64 

705,8 

46,95° 

18,68 

1005,8 

36,90° 

18,68 

1405,8 

28,20° 

18,64 

2005,8 

20,65° 

18,67 

4005,8 

10,50° 

18,36 

Mittel:        18,61 


Es  zeigen  diese  Werthe  eine  weit  größere 
Uebereinstimmung  als  die  nach  der  ersten  Me- 
thode erhaltenen   (zwischen  20°  und  60°  bis  auf 

-—  des  mit  Ausschluß  der  letzten  Beobachtung 

berechneten  Mittelwerthes).  Der  Grund  liegt 
ohne  Zweifel  darin,  daß  die  Fehler,  soweit  sie 
die  relativen  Werthe  der  Empfindlichkeit  be- 
einflussen hier  allein  herrühren  von  den  Ab- 
lesungsfehlern am  Multiplikator,  während  bei 
der  vorhergehenden  Bestimmung  die  Ablesungs- 
fehler au  Taugentenboussole  und  Multiplikator 
sich  bei  jeder  einzelnen  Messung  kombiniren. 
Der  absolute  Unterschied,  welcher  zwischen  den 
nach  beiden  Methoden  erhaltenen  Mittelwerthen 
vorhanden  ist,  bestätigt  die  Annahme,  daß  das 
Verhältniß  der  Widerstände  der  beiden  Zweige 
bei  der  ersten  Messung  einen  Fehler  enthält. 

Von  den  4  Windimgslagen ,  welche  nach 
Abnahme  der  im  Vorhergehenden  besprochenen 
aufgewickelt  wurden,  besaß  die  erste  einen  Wi- 
derstand von  14,16,  die  zweite  einen  Widerstand 
von  13,85  Einheiten ;  der  Widerstand  der  beiden 
oberen  Windungen  dicken  Drathes  zusammen 
betrug  0,1  Siemens.    In  den  folgenden  Tabellen 


457 


sind  die  für  diese  4  Windungslageu  erhaltenen 
Resultate  zusammengestellt : 

I.  Lage. 


Widerstand. 

Ablenkung. 

Empfindlichkeit. 

515,7 

59,10° 

20,09 

715,7 

50,46° 

20,19 

1015,7 

40,61° 

•  20,28 

1415,7 

31,49°    . 

20,21 

2015,7 

23,31° 

20,23 

4015,7 

12,27 

22,26 

Mittel:        20,21 
n.  Lage. 


Widerstand. 

Ablenkung. 

Empfindlichkeit. 

515,3 

58.07° 

19,26 

715,3 

49.13° 

19,25 

1015,3 

39.31° 

19,36 

1415,3 

30,55° 

19,46 

2015,3 

22,43° 

19,37 

4015,3 

11,76° 

19,46 

Mittel: 


19,36 


Die  größte  Abweichung  der  für  die  Empfind- 
lichkeit sich  ergebenden  Werthe  vom  Mittelwerth 
beträgt  bei  beiden  Windungslagen  0,6°/o.  Der 
Ablesuugsfehler  dürfte  bei  der  nur  provisorisch 
ausgeführten  Theilung  auf  0,2°  anzuschlagen 
sein.  Bezeichnen  wir  durch  C  die  Empfindlichkeit, 
durch  /jG  den  in  Folge  der  üngenauigkeit  der 
Ablesung  entstehenden  Fehler,  so  ist: 


JC 


=  + 


2d<p 


C         ~  sin  2  9 


458 


also  für  den  kleinsten  Ablenkungswinkel  von  12° 


C 


=  ±  0,017. 


Für  den  größten  Ablesungswiukel  von  59° 

JC 

-—  =  +  0,008. 

Es  ergiebt  sich  hieraus  daß  die  Abweichun- 
gen der  Empfindlichkeit  von  dem  Mittelwerth 
innerhalb  der  Beobachtungsfehler  liegen.  Die  Ab- 
weichungen der  aus  den  Beobachtungen  sich 
ergebenden  Mittelwerthe  der  Empfindlichkeit 
von  den  theoretischen  Werthe  19,80  betragen 
bei  der  ersten  Lage  2,1%,  bei  der  zweiten  Lage 
2,2°/o  des  letzteren  Werthes. 


Widerstand. 

III.  Lage. 
Ablenkung. 

Empfindlichkeit. 

126,6 
201,6 
301,6 
501,6 
1001,6 

60,22° 
47,96° 
36,55° 
24,39° 
12,70° 

5,15 
5,21 
5,21 
5,30 
5,26 

Mittel: 


Widerstand. 


126,6 
201,6 
301,6 
501,6 
1001,6 


IV.  Lage. 
Ablenkung. 


5,23 


Empfindlichkeit. 


59,43° 
46,65° 
35,33° 
23,01° 
12,23° 

5,00 
4,97 
4,98 
4,96 
5,06 

Mittel: 


4,99. 


459 


Die  Äbweiclitmgen  vom  Mittelwerth  betragen 
bei  der  dritten  Lage  1,5%,  bei  der  vierten  Lage 
1,4%  desselben.  Die  Abweichungen  von  dem 
theoretischen  Werth  4,95,  bei  der  dritten  Lage 
5,67o,  bei  der  vierten  0,8%  des  letzteren.  Die 
größeren  Abweichungen,  welche  bei  diesen  bei- 
den Lagen  eintreten,  haben  ihren  Grund  ohne 
Zweifel  darin,  daß  die  Windungen  derselben  die 
Fläche  des  Multiplikators  nicht  vollständig  über- 
deckten, sondern  von  einander  durch  größere 
Lücken  getrennt  waren. 

Es  wurden  daher  die  beiden  Windungslagen 
dicken  Drathes  verbunden,  so  daß  der  Strom 
beide  nach  einander  durchfloß  und  dabei  fol- 
gende Werthe  der  Empfindlichkeit  erhalten, 
welche  in  der  That  eine  weit  bessere  Ueberein- 
stimmung  zeigen. 

in.  und  IV.  Lage  verbunden. 

Empfindlichkeit. 
Widerstand.      Ablenkung.    !  Beobachtet.       Berechnet. 


251,7 

60.17» 

10.22 

10,15 

401,7 

47,65° 

10,27 

10,18 

601,7 

36,20» 

10,26 

10,19 

1001,7 

23,50» 

10,15 

10,26 

2001,7 

12,50» 

10,32 

10,32 

Mittel 

:       10,24 

10,22 

Die  berechneten  Werthe  der  Empfindlichkeit 
sind  durch  Addition  der  entsprechenden  für 
die  dritte  und  vierte  Windungslage  gesondert 
bestimmten  Werthe  erhalten.  Nehmen  wir  das 
Mittel  aus  den  beobachteten  und  berechneten 
Werthen,  indem  wir  den  ersteren  das  doppelte 
Gewicht  beilegen,  so  ergeben  sich  die  folgenden 
Werthe : 


460 

10,20 
10,24 
10,24 
10,19 
10,32 

Mittel:  10,24 

Die  größte  Abweichung  von  Mittelwerth  be- 
trugt 0,87o ;  die  Abweichung  von  dem  theore- 
tischen Werth  9,90  beträgt  3%  dieses  Werthes. 

Mit  den  verbundenen  Windungen  der  dritten 
und  vierten  Lage  wurde  schließlich  noch  der 
Versuch  gemacht,  ob  die  Constanz  der  Empfind- 
lichkeit auch  bei  Benutzung  eines  astatischen 
Nadelpaares  sich  erhielte,  ob  also  das  zu  Grunde 
liegende  Princip  sich  auch  zur  Construktion  von 
Thermomultiplikatoren  verwenden  ließe.  Wenn 
die  erlangten  Resultate  auch  nicht  vollkommen 
befriedigend  waren,  ohne  Zweifel  in  Folge  stö- 
render Einflüsse  der  an  dem  Apparat  befindli- 
chen Messingtheile,  so  dürften  sie  doch  genügen, 
um  die  Anwendbarkeit  des  Princips  zur  Con- 
struktion von  Thermomultiplikatoren  nachzu- 
weisen. 

Das.  astatische  Paar  war  mit  einem  Cokon- 
faden  an  der  Decke  des  Zimmers  aufgehängt, 
der  Abstand  der  beiden  Magnete,  von  welchen 
der  untere  im  Inneren  des  Multiplikators  sich 
befand,  betrug  200mm.,  so  daß  die  Wirkung, 
welche  der  obere  Magnet  von  dem  Multipli- 
kator erlitt,  gegen  die  auf  den  inneren  Magnet 
ausgeübte  sehr  klein  und  jedenfalls  dem  Cosinus 
des  Ablenkungswinkels  proportional  war.  Die 
Bedingung  für  das  Gleichgewicht  des  astatischen 
Paars  bei  irgend  einer  durch  einen  Strom  i  her- 
vorgerufenen Ablenkung  ist  demnach  folgende: 


461 


m, 


Ct. cos  9  =  (»»,—  »0(1  +0——  JTsiny 

Hier  sind  ?}i-  und  7n^  die  magnetischen  Mo- 
mente des  inneren  und  äußeren  Magnets,  C  die 
Empfindlichkeit  des  Multiplikators,  0  der  Tor- 
sionskoefficient  und  T  die  Horizontalintensität; 
die  Gleichung  giebt: 

»«,  /  9    \ 

.Ch—0- .1  =  T.tgtp. 

m,- — m^     \  siny/ 

Als  Empfindlichkeit  des  Multiplikators  möge 
bezeichnet  werden  der  Ausdruck. 

m .  /  <p    \ 

D  = — .C|l-0.-^— 

»i,  —  wifl       \  sin  y  / 

Wie  man  sieht  ist  wegen  der  Torsion  die 
Empfindlichkeit  des  Multiplikators  abhängig  von 
dem  Ablenkungswinkel;  da  indessen  die  Torsion 
des  benutzten  Cokonfadens  sehr  klein  war,  so 
wurde  bei  den  im  folgenden  mitgetheilten  Mes- 
sungen keine  Rücksicht  auf  dieselbe  genommen. 

Bei  der  zuerst  getroffenen  Einrichtung  waren 
die  magnetischen  Momente  der  beiden  Stäbe: 

m.   =  2448000 

m[  =   2358000 

Die  Empfindlichkeiten  des  Multiplikators  sind 
in  der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt  mit 
den  eingeschalteten  Widerständen,  den  Ablen- 
kungen und  den  aus  den  Ablenkungen  berech- 
neten Ruhelagen  des  astatischen  Systems. 


462 


Widerstand. 

Ablenkung. 

Ruhelage. 

Empfindlich- 
keit. 

501 

55,70 

3,40 

117,4 

751 

44,40 

3,00 

115,9 

1001 

36,1° 

2,30 

115,0 

1501 

26,4« 

1,60 

117,1 

2501 

16,50 

1,30 

116,2 

5001 

8,60 

1,50 

118,5 

Es  wurde  nun  der  Magnetismus  des  oberen 
Stabes  verstärkt,  wodurch  gleichzeitig  der  Werth 
des  Torsionskoefficienten  auf  0,01  erhöht  wurde. 
Die  Resultate  der  Beobachtungen  sind  in  der 
folgenden  Tabelle  zusammengestellt. 


Widerstand. 

Ablenkung. 

Ruhelage. 

Empfindlich- 
keit. 

2001 

62,15» 

0,60 

176,4 

3001 

50,850 

359,70 

171,6 

4001 

42,250 

358,1 

169,3 

6001 

30,550 

356,1 

165,0 

9001 

21,100 

355,1 

161,8 

18001 

10,900 

354,7 

161,5 

Durch  die  in  beiden  Beobachtungsreihen 
hervortretende  Aeuderung  der  Ruhelage,  wie  der 
Größe  der  Ablenkung  wird  die  Existenz  eines 
lokalen  Einflusses  sehr  wahrscheinlich  gemacht, 
und  durch  diesen  Lokaleinfluß  finden  auch  die 
Aenderungen  der  Empfindlichkeit,  wie  sie  na- 
mentlich bei  dem  stärker  astatischen  System 
sich  zeigen,  eine  genügende  Erklärung. 

m. 

Zur  Vergleichung  mögen  im  Folgenden  die 
Empfindlichkeiten  einiger  anderen  Multiplika- 
toren mit  Zeigerablesuug  mitgetheilt  werden. 


463 


Differentialmulti 

Pl 

ikator  v.  Hipp 

Ablenkungswinkel. 

Empfindlichkeit. 

10« 

19,73 

20° 

26,40 

30° 

25,72 

40» 

21,90 

50° 

16,70 

60'' 

13,40. 

Hipp' 

sches  G 

ar 

yanoskop. 

Ablenkungswinkel. 

Empfindlichkeit. 

10« 

8,14 

20« 

12,16 

30« 

12,66 

40» 

10,41 

60° 

7,91 

60° 

6,32 

70° 

5,00. 

Melloni'scher  Mnltiplikator. 

Sehen  wir  ab  von  der  Torsion  des  Aufhän- 
gnngsfadens ,  so  wird  die  Bedingung  für  das 
Gleichgewicht  des  astatischen  Paares  bei  der 
Ablenkung  (f  in  folgender  Weise  sich  darstellen : 

i.C{m  -\~  m')cosy  =  (m  —  »«')Tsiny 
woraus 

t.C— I— ,  =  Ttgy. 

Als  Empfindlichkeit  des  Multiplikators  be- 
zeichnen wir  den  Ausdruck 

m  —  m* 


464 

in  welchem  C  die  Empfindlichkeit  der  beiden 
Multiplikatoren  für  die  einzelnen  Nadeln  des 
Systems,  m  und  m'  die  magnetischen  Momente 
der  letzteren  bezeichnen.  Es  ergaben  sich  theils 
durch  Vergleichung  mit  einer  Tangentenboussole, 
Theils  durch  direkte  Bestimmung  mit  Hülfe  der 
bekannten  elektromotorischen  Kraft  eines  Gro-' 
ve'schen  Elementes  die  folgenden  Werthe  der 
Empfindlichkeit  D 


Ausschlag. 

Empfindlichkeit. 

10° 

2965 

20« 

2982 

300 

2936 

40« 

2811 

50° 

2634 

60° 

2463 

70° 

2160 

80° 

1822. 

Nervanders  Tangentenboussole. 

Durch  eine  ziemliche  Constanz  der  Empfind- 
lichkeit zeichnet  sich  der  von  Nervander  kon- 
struirte  Multiplikator  aus,  und  zwar  ist  der 
Grund  hiefür  der,  daß  Nervander  wie  es  scheint 
durch  Tatonnement  zu  einer  Form  gelangt  ist, 
welche  sich  der  von  mir  auf  theoretischem  Wege 
gefundenen  nahe  anschließt.  Nervander  wand 
nemlich  den  Drath  um  einen  flachen  Kreiscy- 
linder,  so  daß  die  Windungsebenen  der  Axe 
dieses  Cylinders  parallel  waren.  In  der  That  er- 
giebt  sich  so  eine  Annäherung  an  die  Form 
des  abgeplatteten  Rotationsellipsoides,  in  welcher 
die  wahre  Ursache  für  die  Constanz  der  Empfind- 
lichkeit zu  suchen  ist.  Ein  direktes  Urtheil 
über  diese  letztere  läßt  sich  aus  den  Messungen 
von  Nervander   nicht   gewinnen,   die   von   ihm 


465 

ausgefülirte  Prüfang  bestand  darin ,  daß  er  zwei 
ganz  gleiche  Windungslagen  neben  einander 
auf  die  Trommel  aufwickelte  und  die  Ablenkun- 
gen bestimmte,  welche  ein  und  derselbe  Strom 
hervorbrachte,  je  nachdem  er  nur  eine  oder 
beide  Lagen  hintereinander  durchfloß.  Um  aus 
den  mitgetheilten  Messungen  ein  ürtheil  über  die 
Constanz  zu  gewinnen,  möge  angenommen  wer- 
den ,  daß  für  die  geringeren  Ablenkungen  ,  wie 
sie  bei  Anwendung  nur  einer  Windungslage  beo- 
bachtet wurden,  wirklich  eine  konstante  Empfind- 
lichkeit vorhanden  sei ;  man  kann  dann  die  Em- 
pfindlichkeit, welche  beiden  hintereinander  ein- 
geschalteten Windungslagen  zukommt  als  Viel- 
faches der  Empfindlichkeit  jener  einen  Windungs- 
lage berechnen ;  es  ergeben  sich  so  die  folgenden 
Werthe  der  Empfindlichkeit  beider  Lagen,  wenn 
die  der  einen  Lage  durch  C  bezeichnet  wird : 

Ablenkung      Empfindlichkeit 
S^öl'  2,001  .  G 

nni'  1,966 .  c 

28^30'  1,980  .  C 

36^50'  1,918  .  C 

42<>30'  1,879  .  C 

Tangentenboussole  mit  24Windungen. 

Es  ist  dieß  die  Tangentenboussole,  auf  welche 
sich  das  in  Kohlrauschs  Leitfaden  Seite  152  an- 
geführte Beispiel  bezieht: 

Ablenkung       Empfindlichkeit 

10»  1,1655 

20«  1,1635 

30»  1,1604 

40»  1,1565 

50°  1,1525 

eO''  1,1496 

42        ' 


466 

Die  Abweichung  zwischen  den  extremen  Wer- 
then  beträgt  l,47o. 

rv. 

Zum  Zweck  der  im  Vorhergehenden  mitge- 
th  eilten  Empfiudliehkeitsbestimmungen  mußte 
eine  Reihe  von  Messungen  der  elektromotori- 
schen Kraft  der  zur  Stromerregung  benutzten 
4  Groveschen  Elemente  ausgeführt  werden ;  hier- 
bei wurde  stets  die  Ohmsche  Methode  in  An- 
wendung gebracht.  Für  die  Bestimmung  der 
Empfindlichkeit  genügte  es,  die  elektromoto- 
rische Kraft  als  Vielfaches  der  Horizontaliuten- 
sität  zu  ermitteln.  Da  aber  diese  relativen  Be- 
stimmungen mit  aller  Sorgfalt  ausgeführt  waren, 
so  habe  ich  es  nicht  für  überflüssig  gehalten, 
durch  HinzufüguDg  einer  Bestimmung  der  ho- 
rizontalen Intensität  für  den  Ort  der  Beobach- 
tungen auch  den  absoluten  Werth  der  elektro- 
motorischen Kraft  Grove  in  den  Einheiten  von 
Siemens  und  Weber  zu  bestimmen. 

Die  Horizontalintensität  wurde  gemessen  mit 
einem  transportabelen  Magnetometer  von  Meyer- 
stein. Das  Trägheitsmoment  des  Hauptmag- 
nets war  bei  einer  Temperatur  von  17  Graden 
gleich  160930000.  Für  die  Schwiugungsdauer 
desselben  ergaben  sich  zu  Anfang  und  zum 
Schluß  der  Beobachtungen  die  Werthe  9,6957  sec. 
und  9,6976  sec.  Die  Ableukungsbeobachtungen 
ergaben  für  eine  Entfernung  von  450,19mm. 
Die  Ablenkungswinkel  6°  5'  10",  für  eine  Ent- 
fernung von  600,26mm.  einen  Ablenkungswinkel 
von  2°  34'  48".  Aus  diesen  Beobachtungen  be- 
rechnet sich  für  die  Horizontalintensität  der 
Werth 

T  =  1,8304. 


467 

Um  zu  nntersuchen ,  ob  dieser  "Werth  nicht 
durch  lokale  Einflüsse  des  Messingstatives  modi- 
ficirt  ist,  wurden  die  Ablenkungen  eines  kom- 
pensirten  Magnetometers  bestimmt,  dessen  Nadel 
an  diejenigen  Stellen  gebracht  wurde,  welche 
bei  den  Schwingungsbeobachtungen  von  dem 
Nord-  und  Südpol  des  Hauptmagnets  eingenom- 
men worden  waren.  Es  ergab  sich  iiir  die 
Stelle  des  Südpols  eine  Ablenkung  von  50,08^ 
für  die  Stelle  des  Nordpols  eine  solche  von 
49,88^  Wurde  das  Stativ  entfernt  und  die  Na- 
del in  die  Mitte  zwischen  den  beiden  vorigen 
Stellungen  gebracht,  so  war  die  Ablenkung 
49,95*^.  Es  ergiebt  sich  hiermit,  daß  der  Lokal- 
einfluß des  Messigstatives  weniger  als  0,2  Pro- 
ceut  betrug. 

Die  ersten  Bestimmungen  der  elektromotori- 
schen Kraft  bezogen  sich  auf  4  Elemente,  die 
schon  mehrmals  gebraucht  waren.  Die  Schwefel- 
säure derselben  besaß  bei  einer  Temperatur  von 
10°  ein  spec.  Gewicht  von  1,129,  die  Salpeter- 
säure ein  spec.  Gewicht  von  1,262.  Es  ergab 
sich  für  die  elektromotorische  Kraft  eines  sol- 
chen Elementes 

19,24  Siemens  Weber. 

Bei  den  folgenden  Bestimmungen  wurden 
die  Elemente  mit  ganz  frischer  Säure  gefüllt, 
das  specifische  Gewicht  der  Schwefelsäure  be- 
trug bei  einer  Temperatur  von  10  Graden  1,084, 
das  der  Salpetersäure  1,392. 

Die  beiden  ersten  Bestimmungen,  welche 
unmittelbar  nach  der  Füllung  und  Zusammen- 
setzung der  Elemente  angestellt  wurden,  ergaben 

1  Grove  = 

20,67  Siem.  Web. 

42* 


468 

und 

20,88  Siem.  Web. 

im  Mittel 

20.77  Siem.  Web. 

Zwei  weitere  Bestimmungen  wurden  gemacht, 
nachdem  die  Elemente  während  mehrerer  Stun- 
den in  Thätigkeit  gewesen  waren;  es  ergaben 
sich:  die  Werthe 

19,86  Siem.  Web. 

19.78  Siem.  Web. 

Im  Mittel 

1  Grove  =  19,82  Siem.  Web. 

Die  Temperatur  der  Elemente  betrug  15°. 
Eine   zweite   am   folgenden  Tag  ausgeführte 
Beobachtungsreihe  ergab  die  Werthe 

19,33 
19,46 
19,21 
19,19. 

Im  Mittel  1  Grove  =  19,30  Siem.  Web. 

Die  Temperatur  der  Elemente  betrug  11,3® 
Gels.  Die  zur  Anwendung  gebrachten  Strom- 
stärken schwankten  zwischen  2,56  und  0,86  We- 
ber. Die  Abweichungen  zwischen  den  Werthen, 
welche  bei  verschiedenen  Beobachtungsreihen 
erhalten  wurden,  können  wie  ich  glaube  ihre 
Erklärung  nicht  durch  Beobachtuugsfehler  fin- 
den, da  die  Beobachtungen  alle  mit  derselben 
Sorgfalt  und  unter  denselben  Verhältnissen  aus- 
geführt wurden,  and  die  zu  einer  und  derselben 
Beobachtungsreihe  gehörenden  Resultate  eine 
befriedigende  üebereinstimmuug  zeigen.    Es  er- 


469 

glebt  sich  somit  aus  den  Messungen  das  Resul- 
tat, daß  die  elektromotorische  Kraft  der  ange- 
wandten Groveschen  Becher  zeitlichen  Aende- 
rungen  ihrer  Große  unterworfen  war.  Crova 
fand  bei  seinen  Versuchen  eine  gesetzmäßige 
Abhängigkeit  der  elektromotorischen  Kraft  von 
der  Stromstärke  so  zwar,  daß  die  elektromoto- 
rische Kraft  wächst  mit  abnehmender  Strom- 
stärke; da  bei  der  im  Vorhergehenden  ange- 
wandten Methode  immer  zwei  Beobachtungen 
mit  verschiedener  Stromstärke  combinirt  wurden, 
so  konnte  ein  solcher  Einfluß  der  Stromstärke 
aus  denselben  nicht  nachgewiesen  werden.  Crova 
findet  nach  seiner  graphischen  Methode 

1  Grove  =  20,09  Siem.  Web. 

Die  bei  seinen  Bestimmungen  zur  Anwendung 
gebrachten  Stromstärken  waren  stets  größer  als 
0,2679  Weber.  Für  eine  gegen  Xull  konver- 
girende  Stromstärke  erhielt  er  den  Werth 

1  Grove  =  20,90  Siem.  Web. 

welcher  mit  dem  durch  die  Compensationsmethode 
gefundenen  identisch  sein  müßte. 

Kohlrausch   findet  nach  der  Compensations- 
methode 

1  Grove  =  19,98  Siem.  Web. 

nach  der  Ohm'schen  Methode  unter  Anwendung 
von  Strömen  deren  Stärke  zwischen  1,7  und  0,9 
Weber  lag 

1  Grove  =  19,09  Siem.  Web. 

Mit  Ausschluß  der  zuerst  angeführten  Beob- 
achtung würde  sich  aus  den  von  mir  mitgetheil- 


470 
ten  Messungen  im  Mittel  ergeben 

1  Grove  =  19,80  Siem.  Web. 

Aus  der  Yergleichung  sämmtlicher  Beobach- 
tungen dürfte  sich  der  Schluß  ergeben,  daß  die 
elektromotorische  Kraft  des  Grove'schen  Ele- 
mentes keine  konstante  Größe  ist,  sobald  das- 
selbe von  einem  Strom  durchflössen  wird,  sowie 
daß  die  durch  die  Wirkung  des  Stromes  verur- 
sachten Aenderungen  sich  der  Vorherbestimmung 
vorerst  noch  entziehen.  Will  man  also  die  elek- 
tromotorische Kraft  des  Grove'schen  Elementes 
unabhängig  von  der  Stromstärke  definiren,  so 
muß  man  sie  definiren  als  die  zwischen  den 
Polen  des  Elementes  bestehende  Potentialdifi'e- 
renz,  w'enn  das  Element  nicht  von  einem  Strome 
durchflössen  wird.  Es  ist  von  Interesse,  daß 
sich  bei  dieser  Definition  zwei  verschiedene  Me- 
thoden zur  Messung  der  elektromotrischen  Kraft 
darbieten ,  einmal  die  Messung  auf  elektrostati- 
schem Wege,  und  dann  auf  galvanischem  Wege 
mit  Hülfe  der  Poggendorf'schen  Compensations- 
methode.  Die  Verbindung  beider  Methoden  ist 
aber  von  besonderer  Wichtigkeit  deßhalb,  weil 
sie  zu  einer  Bestimmung  der  Weber 'sehen  Con- 
stanten c  führt.  In  der  That  ist  es  ein  hiemit 
verwandtes  Princip,  auf  dem  die  von  Thomson 
und  Maxwell  ausgeführten  Bestimmungen  von  c 
beruhen.  Um  einen  Anhaltspunkt  für  die  Aus- 
führbarkeit der  elektrostatischen  Messung  zu  be- 
kommen, habe  ich  im  Folgenden  die  zwischen 
den  Polen  des  Grove'schen  Elementes  bestehende 
Potentialdiffereuz  auf  Gruud  des  von  Weber 
gegebenen  Werthes  von  c  berechnet. 

Der  Werth  der  elektromotorischen  Kraft  in 
absolutem  Maße  ist 


471 

e  =  9717. 10«. e^ 

wenn  der  Werth  in  den  Einheiten  von  Siemens 
nnd  Weber   durch  e^^^  bezeichnet  wird.      Wenn 

wir  hier  au  Stelle  des  magnetischen  Maßes  der 
Stromstärke  das  elektrodynamische  Maß  einfüh- 
ren, so  ergiebt  sich  als  Werth  der  elektromoto- 
rischen Kraft  in  diesem  elektrodynamischen  Maße 

_  9717  J^ 

Hieraus  ergiebt  sich  endlich  der  Werth  der 
elektromotorischen  Kraft  in  dem  allgemeinen 
Maße  der  Mechanik 

2  l/f.  9717  .  106 
Je  =  -^ e    . 

Wenn  wir  andererseits  einen  Leiter  betrach- 
ten, an  dessen  Enden  die  Spannung  die  Werthe 
V  und  Vf^  besitzt,  so  ist  die  Summe  aller  auf 
denselben  ausgeübten  elektromotorischen  Kräfte 
nach  jenem  allgemeinen  Maße  gleich 

2  (»'„->'»)• 

Durch  Gleichsetzung  der  beiden  Ausdrücke 
ergiebt  sich  somit: 

Dieselbe  Beziehung  läßt  sich  auch  in  folgen- 
der  Weise  ableiten.      Wenn  die   in  absolutem 


472 

Maße  gemessene  elektromotorische  Kraft  e  in  ei- 
nem Leiter  den  Strom  i  nach  magnetischem 
Maaß  erzeugt,  so  ist  die  dabei  geleistete  Arbeit 
gleich  e.i.  Ist  andererseits  F^  —  F^  die  Poten- 
tialdifferenz für  die  Endpunkte  des  Leiters,  s  die 
Stromstärke  nach  Webers  absolutem  mechani- 
schem Maß,  so  ist  dieselbe  Arbeit  gegeben  durch 
2(F^  —  V^.s.     Somit  ergiebt  sich: 

oder  da 


a        "h 


C 


Substituiren  wir  für  das  Grove'sche  Element 
den   Werth  e      =20,   für   c   den   von  Weber 

gegebenen  Werth,  so  ergiebt  sich: 

V   —  ^717.10^.20 
«~^  ~   310756.10« 

=  0,625. 

Zur  Vergleichung  möge  angeführt  werden, 
daß  sich  bei  einem  Zerstreuungskoefficienten 
der  Luft  von  0,044  für  das  Potential  der  inneren 
Belegung  einer  kleinen  Leidner  Flasche  der  Werth 
1330  ergab. 

Würden  die  beiden  Pole  eines  Grove'schen 
Elementes  mit   zwei  Metallkugeln    von  10mm. 


473 

Halbmesser  verbunden,  so  würden  die  auf  diesen 
angesammelten  Elektricitätsmengen  gleich  3,12 
nach  elektrostatischem  Maße  sein,  würde  man 
statt  1  Element  deren  50  nehmen,  so  würde 
jene  Elektricitätsmenge  auf  156  elektrostatische 
Einheiten  anwachsen.  Unter  diesen  Umständen 
möge  die  eine  Kugel  an  den  Arm  einer  Dreh- 
wage von  der  Länge  von  150  mm.  befestigt  sein, 
während  die  andere  als  feste  Standkugel  diene. 
Wenn  die  Kugeln  nicht  geladen  sind,  so  mögen 
die  nach  denselben  hingehenden  Radien  einen 
Winkel  von  30  Graden  mit  einander  einschließen. 
Nach  Herstellung  der  Verbindung  mit  den  Po- 
len der  Groveschen  Batterie  möge  dieser  Winkel 
noch  29  Grade  betragen.  Wir  haben  dann  für 
das  Gleichgewicht  des  Wagbalkens  die  Bedingung 

156.156  ,,,,  n      ^ 

cos  14,5"^  ==   — - .  D 


4.150.sinl4,5o  '  180 

wo  D  die  Direktionskraft  der  Torsion  bezeichnet; 
es  ergiebt  sich: 

B  =  35875. 

Nach  Beer  ist  die  Direktionskraft  eines  Sil- 
berdrahtes vom  Halbmesser  r  und  der  Länge  l 
gleich 

TT. 9810. 1410.106.  y. 

Nehmen  wir  also  den  Halbmesser  r  =  0,1mm., 
so  ergiebt  sich  für  l  der  Werth 

l  =  1203  mm., 

wenn   die  Direktionskraft   gleich   dem  oben  be- 
rechneten Werthe  sein  soll. 


474 

Der  im  Vorhergehenden  beschriebene  Multi- 
plikator ist  für  den  Preiß  von  75  Mark  aus  der 
Werkstätte  des  Herrn  Dr.  Meyerstein  zu  be- 
ziehen. Bei  dem  Apparat,  wie  ich  ihn  eben 
durch  Herrn  Dr.  Meyerstein  ausführen  lasse, 
wird  die  Theilung  zur  Vermeidung  der  Parallel- 
axe  auf  Spiegelglas  ausgeführt  werden,  und  wer- 
den die  Zeiger  in  gewöhnlicher  Weise  durch 
einen  Glasdeckel  gegen  Luftströmungen  ge- 
schützt« 


Mittheilung  über  die  Pyroelectricität 
des  Turmalins. 

Von 

Dr.  Edmund  Hoppe. 
Vorgelegt  von  Ed.  Riecke. 

Seit  langer  Zeit  ist  das  pyroelectrische  Ver- 
halten des  Turmalins  bekannt  und  seit  den  Ar- 
beiten Aepinus'  Gegenstand  der  mannigfachsten 
Untersuchungen  gewesen.  Man  fand  im  Ver- 
folge derselben,  daß  nicht  allein  der  Turmaliu 
die  Eigenschaft,  beim  Erwärmen  und  Abkühlen 
electrisch  zu  werden ,  besitze ,  sondern  daß  die- 
selbe einer  großen  Anzahl  von  Erystallen,  viel- 
leicht allen,  zukomme.  In  den  letzten  Jahrzehn- 
ten ist  in  dieser  Richtung  ein  gewisser  Abschluß 
erreicht  durch  die  Untersuchungen  Hankels  ^), 
welcher  die  Vertheilung  der  Electricität  auf  der 

1)  Man  sehe  die  betreffenden  Bände  der  Abhandlung 
d.  Köuigl.  Sachs.  Gesell,  d.  Wissenschaft. 


475 

Oberfläche  der  einzelnen  Krystallindividuen  be- 
stimmte und  fdr  verwandte  Arten  allgemeine 
Regeln  fand.  Allein  es  ist  dadurch  noch  keine 
Aufklärung  über  die  Entstehung  der  Electricität 
gegeben ,  ebensowenig  wie  ein  Zusammenhang 
zwischen  der  jeweiligen  Temperatur  und  dem 
Auftreten  der  Electricität  nachgewiesen,  ein 
Umstand,  der,  wie  ich,  nachdem  diese  Unter- 
suchung l3ereits  begonnen,  nachträglich  ersehe, 
die  Fürstl.  Jablonovsk/sche  Gesellschaft  zur 
Stellung  einer  dahin  zielenden  Preisaufgabe  für 
das  Jahr  1879  veranlaßt  hat. 

Angeregt  wurde  ich,  mich  mit  dieser  Frage 
näher  zu  beschäftigen,  durch  Herrn  Professor 
Riecke,  welchem  ich  hierfür,  so  wie  für  die 
Erlaubniß  zum  Gebrauch  der  Apparat«  des  hie- 
sigen Instituts  meinen  Dank  ausspreche. 

Die  Erregung  der  Electricität  und  ihre  Yer- 
theilung  auf  der  Oberfläche  der  Krystalle  geht, 
wieErman^)  sich  ausdrückt  vom  »Inneren«  der 
Krystalle  aus  vor  sich ,  hängt  also  wesentlich 
von  der  Struktur  derselben  ab;  es  schien  mir 
daher  rathsam,  den  Krystall  in  seinem  electri- 
schen  Zustande  nach  Art  der  Magnete  aufzu- 
fassen als  einen  aus  einzelnen  mit  Electricität 
versehenen  Moleciilen  bestehenden  Stab,  deren 
je  zwei  in  Bezug  auf  den  Mittelpunkt  des  Kry- 
stalls  symmetrisch  liegende  die  gleiche  aber  ent- 
gegengesetzte Electricitätsmenge  besitzen.  Dann 
werden  wir  uns  analog  wie  bei  den  Magneten 
die  Electricitätsmengen  concentrirt  denken  kön- 
nen in  2  Punkte,  die  zum  Mittelpunkte  sym- 
metrisch und  in  der  Kjrystallographischen  Haupt- 
axe  mit  gleich  entgegengesetzter  Electricität  be- 
haftet liegen.     Der  Abstand  dieser  zwei  Punkte, 

2)  Vrgl.  auch  Brewster.  Pogg.  Ännal.  II.  297. 


476 

welche  ich  Pole  nennen  will ,  sei  gleich  &,  die 
Electricitätsmengen  in  denselben  gleich  Hh  c, 
so  soll  l  .  e  das  electrische  Moment  des 
Krystalls  genannt  werden.  Die  Veränderung 
dieses  electrischen  Momentes,  welche  offenbar 
das  sicherste  Maaß  für  die  vorhandene  Electri- 
citätsmenge  bietet,  zu  bestimmen  während  der 
Temperatur-Aenderung  ist  die  Aufgabe  nachfol- 
gender Untersuchung,  welche  ich  hier  im  Aus- 
zuge mittheile,  und  ich  hoffe  damit  einige  inte- 
ressante Notizen  für  die  Erklärung  der  Entste- 
hung der  Electricität  zu  liefern.  Um  die  nöthi- 
gen  numerischen  Rechnungen  ausführen  zu  kön- 
nen, nahm  ich  nach  dem  Vorgange  Coulombs  bei 
seinen  Versuchen  mit  Magnetstäben  an,  daß  der 
Abstand  der  Pole  =  l  annähernd  gleich  ^^/n 
des  Abstandes  der  äußeren  Enden  des  Krystalls 
sei;  doch  ist  diese  Annahme,  da  ich  nur  rela- 
tive Messungen  machte,  unwesentlich.  Meiner 
Untersuchung  diente  ein  Turmalin,  welcher  ja 
die  stärkste  Electricitätserregung  zeigt,  und  wenn 
so  die  Untersuchung  auch  einen  ganz  speciellen 
Character  gewinnt,  glaube  ich  doch,  daß  das- 
selbe Verfahren  auch  bei  andern  Pyroelectrischen 
Krystallen  zum  Ziele  führen  wird. 

Der  mir  zu  Gebote  stehende  Turmalin  war 
ein  Exemplar  von  seltener  Schönheit,  ein  dun- 
kelgrüner fast  schwarzer  Kry stall  mit  sehr  glatten 
und  ganz  reinen  Flächen.  Das  neunseitige  Pris- 
ma wie  auch  die  Rhomboeder-Flächen  waren 
vollständig  ausgebildet  und  zwar  trat  das  drei- 
seitige Prisma  abstumpfend  auf  am  sechsseitigen. 
Der  Krystall  hatte  eine  Länge  von  34™™  und 
eine  mittlere  Dicke  von  24"™.  Bei  der  Prüfung 
am  Goldblattelectrometer  zeigte  sich  eine  Di- 
vergenz der  Blättchen  von  etwa  40°  im  Ma- 
ximum. 


477 


Beschreibung  des  Apparates. 

Aus  einer  feinen  Glasröhre  bog  ich  vor  dem 
Gasgebläse  ein  Neuneck ,  welches  den  Krystall 
eng  umschloß  und  oben  eine  Ausbucht  hatte, 
in  welche  ein  Hartgummihaken  faßte,  der 
durch  Seidenfäden  und  Schellack  fest  mit  dem 
Glasgestell  verbunden  war.  Das  Glasgestell 
wurde,  theils  um  den  Krystall  fest  einzuschließen, 
theils  um  ihn  vollständig  zu  isoliren  mit  Seide 
übersponnen.  Der  Hartgummihaken  trug  an 
seinem  oberen  Ende  einen  horizontalen  Quer- 
balken, an  welchem  die  Enden  eines  hinreichend 
starken  Coconfadens  geknüpft  wurden,  welcher 
in  seiner  Mitte  über  eine  an  der  Zimmerwand 
befestigte  Rolle  ging.  Dicht  unter  dem  Quer- 
balken befand  sich  ein  Spiegel,  der  durch  ein 
symmetrisches  Uebergewicht  aequilibrirt  war. 
In  diese  Aufhängevorrichtung  schob  ich  den 
Krystall  und  keilte  ihn  mit  Hartgummikeilen 
fest.  An  dieser  Bifillarsuspension  schwebte  der 
Krystall  in  einem  12,5  Centimeter  weiten  Glas- 
cylinder,  welcher  durch  einen  Glasdeckel  mit 
Hülfe  von  Wachs  fest  verschlossen  werden 
konnte.  Jener  Deckel  hatte, 4  Durchbohrungen, 
durch  deren  Eine ,  die  länglich  war ,  um  die 
Lage  des  Krystalls  in  dem  CylLuder  verändern 
zu  können,  jener  Hartgummistiel  ragte,  sodaß 
der  Spiegel  sich  außerhalb  des  Cylinders  be- 
fand; durch  die  zweite  OeflFnung  des  Deckels, 
in  der  Verlängerung  jener  ersten  gelegen ,  ging 
ein  durch  Schellack  vollständig  isolirter,  1,5"^ 
dicker  Kupferdraht,  welcher  oberhalb  des  Deckels 
in  einen  Haken  gebogen  war,  und  an  dessen 
unteres  Ende,  welches  in  den  Glascyliuder  hin-- 
abragte  eine  massive  etwa  15™"  dicke  Messing- 


478 

kugel  geschraubt  war.  Durch  die  beiden  andern 
OeffnuDgen  ragten  2  durch  Korkscheiben  gehal- 
tenen Thermometer  in  den  Raum  des  Cylinders. 
Durch  Heben  oder  Senken  des  Cylinders  konnte 
erreicht  werden,  daß  der  Mittelpunkt  jener  Ku- 
gel mit  der  krystallographischen  Hauptaxe  des 
Turmalins  in  einer  Horizontalebne  lag,  während 
durch  Drehen  desselben  bewirkt  wurde,  daß  das 
Loth  von  dem  Mittelpunkt  der  Kugel  auf  die 
krystallographische  Hauptaxe  im  unelectrischen 
Zustande  des  Turmalins  den  Mittelpunkt  dessel- 
ben traf;  diese  Stellung  will  ich  die  »normale« 
nennen.  Die  Temperatur  der  Luft  im  Cylinder 
wurde  durch  das  arithmetische  Mittel  der  Ab- 
lesungen an  beiden  Thermometern  bestimmt, 
deren  Einer  etwas  oberhalb,  der  andere  etwas 
unterhalb  des  Turmalins  endete.  Um  die 
Schwingungsdauer  des  bifiUar  aufgehängten  Tur- 
malins regelmäßiger  zu  machen  und  den  Eintritt 
der  Ruhelage  zu  beschleunigen,  fand  ich  es  für 
gut  an  das  Glasgestell  unten  einen  4™"  breiten 
Glasstreifen  anzuschmelzen ,  welcher  unten  in 
ein  kleines  Gefäß  mit  Oel  tauchte.  Der  ganze 
Cylinder  wurde  dann  in  eine  Papphülle  gescho- 
ben, welche  zur  Erde  abgeleitet,  mit  heißem 
Sande  gefüllt  werden  konnte  und  den  Cylinder 
sowohl  unten  wie  an  den  Seiten  fest  umschloß. 
Um  eine  zu  schnelle  Abkühlung  zu  vermeiden, 
umgab  ich  dieselbe  mit  einer  dicken  Filzhülle, 
auch  der  Deckel  des  Cylinders  ward  mit  Filz 
belegt,  sodaß  ich  ganz  langsame  Abkühlung  er- 
zielte, welche  in  dem  unten  mitgetheilten  Bei- 
spiele über  7  Stunden  währte.  Die  Thermo- 
meter zeigten  fast  immer  dieselbe  Temperatur, 
ein  Beweis  für  die  gleichmäßige  Erwärmung 
der  Luft  in  dem  Cylinder. 


479 


BeobachtnDgsmethode. 

Um  die  Electricität  des  anf  diese  Weise  er- 
wärmten Turmalins  zu  messen,  wnrde  die  Mes- 
singkugel vermöge  des  Zuleitungsdrahtes,  welcher 
mit  der  inneren  Belegung  einer  Leydener  Flasche 
in  Verbindung  stand,  mit  einer  gewissen  Menge 
positiver  oder  negativer  Electricität  geladen, 
dann  entstand  Wechselwirkung  zwischen  der 
Ladung  auf  der  Kugel  und  der  Electricität  des 
Krystalls ,  indem  der  gleichnamige  Pol  abge- 
stoßen, der  ungleichnamige  angezogen,  also  der 
Krystall  aus  der  normalen  Stellung  abgelenkt 
wurde.  Bezeichnen  wir  den  Ablenkungswinkel 
mit  y,  die  Entfernung  des  Mittelpunktes  des 
Krystalls  von  dem  der  Kugel  mit  Z,  die  halbe 
Länge  der  electrischen  Axe  mit  r  =  Y2  /,  die 
Electricitätsmengen  des  Krystalls  und  der  Kugel 
mit  resp.  e  und  e\  und  nehmen  endlich  an,  daß 
die  Anziehung  oder  Abstoßung  zweier  electri- 
scher  Massen  direct  proportional  ist  dem  Product 
aus  den  Massen  und  umgekehrt  dem  Quadrat 
ihrer  Entfernung,  so  findet  man  analog  wie  bei 
den  magnetischen  Beobachtungen,  das  durch 
diese  Wechselwirkung  bedingte  Drehungsmo- 
ment Jf 

1)  J  =  e.e\  L  .r.cos(p  . 


^ -,  + ' 


\'U -{-r^  -  2 Lr sin  g))^       [L' -\-r'-^  2 Lr sin g>f\ 

Das  entgegenstehende  Drehungsmoment  der 
bifillaren  Aufhängung  ist,  wenn  B  die  Directions- 
kraft  bedeutet,  die  nebenbei  auf  20381 014,2^»«» 
berechnet  wurde, 


480 
2)  D  =  JB .  sin  y. 

Ist  also  derKrystall  bei  einer  Elongation  in 
Ruhe,  so  folgt  das  electrische  Moment  durch 
Gleichsetzung  von  1)  und  2) 


3)  E  =  2er  =  2  -.tangy. 

1 {R^  —  4:Ur^sm^(pf 

\r^  -2Lrsm  (ff  -\-{m^2Lr  sin  cpf 


I. 


wo  E  =  ]/L'^  +  r'^  und  A  =  e'  .L  gesetzt  ist. 
Ich  bemerke  gleich  jetzt,  daß  innerhalb  des 
Rahmens  meiner  Untersuchung,  wo  (f  von  0 
bis  4*^  40'  schwankte,  der  Klammerausdruck 
nahezu  constant  war,  indem  er  variirte  in  den 
Grenzen  143558,10  bis  143158,98,  es  ist  daher 
mit  geringem  Fehler 

4)  E  =  C .  tang .  y, 

d.  h.  proportional  der  Tangente  des  Ablen- 
kungswinkels zu  setzen.  Die  Messung  des  Ab- 
lenkungswinkels geschah  mit  Fernrohr,  Spiegel 
und  Scala,  Die  Verbindung  der  Messingkugel 
mit  der  inneren  Belegung  der  Leydener  Flasche 
sollte  dazu  dienen,  die  Ladung  auf  der  Kugel 
möglichst  constant  zu  erhalten,  und  erreichte 
ich  dies  auch  durchgängig,  was  zu  prüfen  der 
constante  oder  sich  allmälig  verkleinernde  Ab- 
lenkungswinkel des  Turmalins  gestattete.  Um 
jedoch  auch  bei  verschiedenen  Versuchen  die- 
selbe Ladung  auf  der  Kugel  zu  haben,  verband 
ich  die  innere  Belegung  der  Flasche  mit  einem 
Micrometerfunkeneutlader,  dessen  zweite  Kugel 


481 

mit  einem  besonders  constrnirten  Commutator, 
dessen  Beschreibung  hier  übergangen  werden 
mag ,  verbunden  war ,  welcher  gestattete  bald 
positive  bald  negative  Electricität  von  den  ver- 
schiedenen Polen  einer  Holz'schen  Influenzma- 
schine dem  Micrometerfunkenentlader  zuzu- 
führen. Als  passendste  Ladung  fand  ich  die, 
welche  durch  10"  langes  üeberspringen  2°"* 
langer  Funken  gegeben  wurde,  während  dieser 
10  Secunden  ließ  ich  die  Curbel  der  Maschine 
nach  dem  Schlage  der  Secuudenuhr  genau  10- 
mal  umdrehen,  uud  glaube  so  auf  der  Kugel 
eine  gleichmäßige  Ladung  erzielt  zu  haben. 
Selbstverständlich  wurde  zwischen  je  2  Ver- 
suchen die  Kugel  vollständig  entladen,  und  habe 
ich  stets  unmittelbar  nach  einander  positive  und 
negative  Electricität  auf  der  Kugel  angesammelt, 
um  bei  möglichst ,  gleichen  Temperaturen  des 
Krjstalls  beide  Einwirkungen  zu  prüfen  und 
etwa  auftretende  Anomalien  zu  corrigiren. 

So  untersuchte  ich  die  Aenderung  des  elec- 
trischen  Momentes  während  der  Erwärmung  und 
Abkühlung.  Zwischen  diesen  beiden  Perioden 
wechselt  bekanntlich  der  Turmalin  seine  Pola- 
rität, dabei  ist  zu  bemerken,  daß  beim  Eintritt 
der  Maximaltemperatur  eine  Zeitlang  kein  Aus- 
schlag zu  bemerken  ist,  etwa  während  5  Minu- 
ten ,  dann  aber  tritt  eine  sehr  schnelle  Electri- 
citätserregung  auf.  Auch  bestätigten  mir  fast 
alle  Versuche  die  von  Hankel  ^)  erwähnte  Er- 
scheinung, daß  der  analoge  Pol  seinen  Wechsel 
etwas  eher  vollzieht  wie  der  antiloge.  War 
nun  der  Wechsel  der  Polarität  eingetreten,  so 
konnte  ich  die  Temperatur  des  Krjstalls  und  die 
der  Luft  als  gleich  und  ihre  Abkühlung  bis  zur 

1)  Pogg.  Annal.  50,  p.  241. 

43 


Zimmertemperatur  ebenfalls  gleichförmig  anneh- 
men, da  ja  auch  die  Luft  sich  sehr  langsam  ab- 
kühlte wegen  der  Filzhüllen;  so  habe  ich  denn 
unbedenklich  die  Angaben  der  Thermometer, 
welche  sich  in  nächster  Nähe  des  Turmalins  be- 
fanden, auf  den  Krystall  selbst  bezogen,  während 
bei  der  Erwärmungsperiode  dies  natürlich  nicht 
erlaubt  war. 

Beobachtung   während   einer 
Abkühlungsperiode. 

Nach  vielen  Vorversuchen  habe  ich  endlich 
5  definitive  Beobachtungsreihen  für  die  Abküh- 
lung angestellt,  deren  Resultate  ich  graphisch 
darstellte  und  deren  Uebereinstimmung  mir  ihre 
Richtigkeit  verbürgte,  von  diesen  will  ich  die, 
bei  welcher  die  Maximaltemperatur  am  höchsten 
war  hier  reproduciren.  Es  wurden  in  der  Regel 
alle  fünf  Minuten  2  Beobachtungen  gemacht, 
eine  mit  positiver  Ladung  auf  der  Kugel ,  die 
2te  mit  negativer.  Aus  dieser  größeren  Anzahl 
von  Versuchen  stelle  ich  folgende  Tabelle  zu- 
sammen wo  immer  eine  Beobachtung  fortge- 
lassen ist.  Die  erste  Columne  enthält  die  Zeit 
nach  dem  Wechsel  der  Polarität,  die  2te  die 
beobachtete  Temperatur  (bei  ungleichen  Able- 
sungen an  den  Thermometern  das  arithmetische 
Mittel  aus  beiden) ,  die  3te  die  Electricitätsart 
auf  der  Kugel,  die  4te  die  zu  5  gehörigen  Sca- 
lenausschläge ,  die  5te  das  Mittel  aus  den  Aus- 
schlägen bei  positiver  und  negativer  Electricität, 
und  endlich  die  6te  die  zu  5  gehörende  Größe 
tang  ff.    Die  graphische  Darstellung  zeigt  Fig.  I. 


483 


CS3 

CO 

a 

B 

> 

f5 

c*- 

B 
CK} 

CO 

7« 

^ 

&; 

>— • 

•€ 

0' 

83,5 

+ 

_ 

5' 

83 

± 

18 
10 

10 

82,4 

± 

36    1 
20    i 

20 

81,3 

± 

50 
38 

30 

80,2 

± 

75 

57 

40 

78,8 

± 

92 

78 

, 

50 

77,2 

± 

99 

87 

l^  0' 

75,3 

± 

137 
93 

.; 

10' 

73,5 

± 

144 

100 

20 

71,5 

± 

156 
107 

30 

69,4 

± 

174 
124 

40 

67,2 

± 

195 
141 

50 

64,9 

± 

203 
155 

■ 

2^  0' 

62,6 

± 

239 
175 

10 

60,2 

± 

260 
212 

20 

57,7 

± 

297 
237 

14 

28 

44 

66 

85 

93 

115 

122 

132 

149 

168 

179 


0,0021 

42 

69 

96 

0,0120 

140 

160 

180 

0,0201 

23 

49 

78 

207  I  0,0310 
236  50 


;267 


92 


484 


tSJ 

CD 

B 

CD 

CD 

> 
QQ 

SO 
CS 
CR 

30 

55,2 

± 

341 

245 

293 

0,0436 

40 

52,6 

± 

367 

283 

325 

84 

50 

49,9 

± 

399 
355 

377 

0,0540 

31»  0' 

47,1 

± 

436 
370 

403 

0,0606 

10 

44 

± 

507 
461 

484 

0,0700 

20 

40,5 

± 

521 

477 

499 

0,0742 

30 

38,8 

± 

519 
479 

499 

0,0742 

40 

37,2 

± 

499 
476 

484 

0,0700 

50 

35,8 

+ 

439 
415 

427 

0,0636 

4h  0' 

84,5 

+ 

393 

387 

390 

0,0578 

10 

33,4 

± 

367 
363 

365 

18 

20 

32,4 

'± 

309 
313 

311 

0,0462 

30 

31,5 

± 

269 
283 

276 

20 

40 

30,7 

± 

255 
275 

265 

0,0380 

50 

30 

± 

213 
239 

226 

42 

485 


CS3 

Temper. 

ET 

> 

OS 

et- 

a 

h^  0' 

29,4 

+ 

191 
219  ; 

205 

04 

10 

28,8 

+ 

158 
190 

174 

0,0268 

20 

28,2 

± 

149 
177 

163 

32 

30 

27,7 

± 

109 
153 

131 

0,0200 

40 

27,2 

± 

93 
141 

117 

0,0169 

50 

26,7 

± 

70 
115 

92 

39 

6h  0' 

26,2 

± 

59 
95 

77 

0,0111 

10 

25,7 

± 

43 
71 

57 

0,0088 

20 

25,2 

± 

33 
53 

43 

67 

30 

24,8 

± 

27 
37 

32 

48 

40 

24,3 

± 

21 

29 

25 

33 

50 

23,9 

± 

15 
21 

18 

27 

7h  0' 

23,5 

± 

11 
15 

13 

0,0020 

7H0' 

21 

± 

_ 

•— 

— 

Darstellung  des  electrischen  Momentes 
als  Funktion  der  Temperatur  und  Zeit. 

Es  handelte  sich  nun  darum  die  Anhängig- 
keit  der  Curve,  welche  die  Aenderung  des  elec- 
trischen Momentes  zeigt,  von  der  Temperatur- 
curve  zu  bestimmen,  was  durch  die  Angabe  Bec- 
querels  ^),  daß  die  Menge  der  Electricität  nicht 
der  Temperatur  proportional  sei,  wesentlich  er- 
schwert wurde;  dabei  gelangte  ich  endlich  zu 
folgendem  Raisonnement.  Die  Aenderung  des 
electrischen  Momentes  war  offenbar,  wie  die  Cur- 
ven  zeigten,  von  der  Temperaturänderung 
abhängig,  diese  wird  die  Einheit  des  electrischen 
Momentes  zu  vergrößern  streben,  d.  h.  wenn 
mehr  Electricität  bereits  angesammelt  ist,  wird 
die  Aenderung  des  electrischen  Momentes  größer 
sein.  Es  wird  daher  diese  Aenderung,  bezeichnet 
mit  dE,  proportional  sein  dem  Producte  aus  der 
Temperaturänderung  in  das  schon  vorhandene 
electrische  Moment,  für  ein  kleines  Zeittheilchen. 
Dies  würde  nun  schon  zur  Erklärung  genügen, 
wenn  nicht  beständig  eine  gewisse  Menge  Elec- 
tricität an  die  Luft  abgegeben  wurde,  und  diese 
Abgabe  ist  nach  Coulomb  ^)  für  das  Zeittheilchen 
dt  gleich  b .  Edt,  wo  h  ein  dem  Zerstreuungscoef- 
ficienteu  in  Luft  proportionaler  Factor  ist.  Be- 
zeichnen also  a  und  h  zwei  Constante  und  T  die 
Temperatur,  so  wird  die  Aenderung  des  electri- 
schen Moments  dargestellt  durch 

1)  dE  =  aEdT  —  lEdt. 

Unter   Anwendung    natürlicher  Logarithmen 
ist  das  vollständige  Integral 

Ig  E  =  aT  —  It  +  G. 

1)  Pogg.  Annal.  XIII. 

2)  Hißt,  de  l'Äcad.  des  Sciences.    1785.  pag.  619. 


487 

Bezeichnen  wir  nun  für  die  Zeit  ^  =  5  die 
zugehörigen  E  und  T  mit  Eo  und  To  so  ist; 
log  Eo  =  al'o  —  hto  -f-  G^  und  für  jede  andere 
Zeit  ^1  ergiebt  sich 

lg  E,  =  Ig  E,  +  a  (Ti  -  To)  -  t^ih-Q 

oder  wenn  man  sich  gemeiner  Logarithmen  be- 
dient 

2)  logiTi  =  log£'o+0,4343 i a{Ti—To)—b{h—U) \ 
und  analog 

log£'2=log^o+0,4343  j  a{Ti—Tü)—h{tt—U)  j . 

Aus  2)  ergiebt  sich  dann 
3.      _  (^-^o)(log.E2-logJ'o)-(^»-^o)(log£'i-logjE:o) 
^  0,4343  j  h[Ti-To)+h[To-Ti)+h[Ti'Tt)  \' 

Um   diese  Constante    zu  berechnen  setze  ich 

E 

(5  =  tang  (f .  10*,  sodaß  (5  =  - .  10*  ist,   an  die 

Stelle  von  E  eine  Einsetzung,  die  die  Rechnung 
sehr  vereinfacht,  und  aus  4  Beobachtungen  für  a 
den  Werth  ergab  a  =  —  1,64474. 

Sollte  nun  mein  Raisonnement  richtig  sein, 
so  mußte ,  diesen  Werth  von  a  eingesetzt  in  2), 
für  h  stets  dieselbe  Zahl  berechnet  werden  für 
alle  Beobachtungen.  Dabei  ist  jedoch  zu  be- 
merken, daß  h  dem  Zerstreuungscoefficienteu  für 
Luft  proportional  ist,  also  nach  Coulomb  1.  c.  und 
Rieß  ^)  nicht  streng  constant  sein  kann ;  die  Art, 
wie  es  in  nachstehenden  Angaben  variirt  ist  je- 
doch mit  den  von  Rieß  angegebenen  Gründen 
für  seine  Veränderlichkeit  vollständig  zu  erklären, 
und  stand  mir  ein  solches  Verhalten  bereits  vor 
Ausführung  der  Rechnung  als  wahrscheinlich 
1)  ßiess,  Reibungselectricität.    Bd.  I.    pag.  117. 


488 

vor  Augen.  Noch  sei  bemerkt,  daß  zu  Anfang 
der  Beobachtungsreihe  keine  volle  Uebereinstim- 
mung  der  Formelwerthe  mit  den  Beobachtungen 
zu  erwarten  ist  aus  den  von  Hankel  1.  c.  ange- 
gebenen Gründen.  Die  umfassende  Erklärung 
jener  Abweichung  darf  ich  hier  wohl  übergehen. 
Setzte  ich  für  a  seinen  Werth  ein,  so  ist 

^        -  0,4343(^^-^0) 

und  so  fand  ich  Werthe  von  6  zu  den  Zeiten  t 


t 

b 

11^20' 

0,222 

2^  0' 

0,265 

3b  0' 

0,294 

3'»20' 

0,334 

4h  0' 

0,294 

5^  0' 

0,276 

eno' 

0,251 

6M0' 

0,241. 

Diese  Zahlen  beweisen  die  Richtigkeit  meiner 
Formel,  während  der  Abkühlung:  aber  auch  für 
die  Erwärmung  ist  sie  gültig. 

Verhalten  während  einerErwärmungs- 
periode. 
Oben  habe  ich  bereits  erwähnt,  daß  während 
der  Erwärmung  eine  Bestimmung  der  Temperatur 
des  Krystalls  direct  nicht  wohl  möglich  war. 
Es  sind  daher  die  Temperaturen  der  Luft,  welche 
stets  abgelesen  wurden,  nur  daher  nothwendig 
um  die  Temperatur  zu  den  Punkten  anzugeben, 
wo  die  Polarität  des  Turmalins  sich  ändert. 
[Im  während  der  Erwärmung  überhaupt  beob- 
achten zu  können ,  mußte  ich  dieselbe  verlang- 
samen, konnte  also  nicht  allen  Sand  auf  einmal 
aufschütten,  sondern   füllte  die  PappbüUe  nach 


489 


und  nach,  wobei  natürlich  nur  weniger  hohe 
Temperaturen  erzielt  wurden.  Im  Uebrigen  war 
die  Beobachtungsweise  der  obigen  gleich.  Ich 
lasse  jetzt  eine  Versuchsreihe  folgen,  wo  von 
dem  Anfang  der  Erwärmung  bis  zur  ersten  Be- 
obachtung etwa  20  Minuten  vergangen  waren. 
Columne  1  enthält  die  Zeit,  natürlich  wurde 
der  Uebereinstimmung  mit  der  obigen  Beobach- 
tung wegen  der  0  Punkt  wieder  an  den  Um- 
kehrpunkt der  Polarität  des  Turmalins  gelegt, 
die  Zeiten  also  von  da  rückwärts  gerechnet. 
Columne  2  zeigt  die  Temperatur  der  Luft,  3 
den  Scalenausschlag ,  wo  aus  dem  bei  positiver 
Ladung  auf  der  Kugel  und  dem  bei  negativer 
Ladung  das  Mittel  genommen  ist  In  Columne 
4  findet  sich  tang  y. 


Zeit 

Temperat. 

Ausschlag 

tang  q) 

—  75 

31 

139 

0,0212 

—  71 

40 

186 

82 

—  Q6 

49 

220 

0,0333 

-64 

51 

232 

51 

—  60 

51,5 

245 

88 

—  55 

52 

268 

0,0410 

—  50 

52 

274' 

20 

—  47,5 

51,8 

280 

23 

—  45 

51,5 

274 

0,0420 

—  40 

51 

263 

07 

—  35 

50 

238 

0,0361 

—  33 

49,5 

220 

0,0333 

—  25 

46,5 

163 

0,0244 

-20 

44,5 

120 

0,0182 

—  15 

42,8 

76 

10 

—  10 

41,2 

32 

0,0049 

—  5 

40.5 

15 

0,0022 

—  0 

40,2 

0 

0 

+  5 

39,8 

14 

0,0020 

u 


490 

Die  graphische  Darstellung  dieser  Beobach- 
tung findet  sich  in  Fig.  11,  wobei  zu  bemerken, 
daß  ich  wegen  der  kürzeren  Dauer  den  Maaß- 
stab  der  Zeit  doppelt  so  groß  nehmen  konnte 
wie  bei  Fig.  I.  Die  übrigen  für  die  Erwär- 
mungsperiode gemachten  Beobachtungen  stimmen 
mit  dieser  sehr  gut  überein. 

Sollte  nun  meine  Formel  auch  auf  die  Aen- 
derung  des  electrischen  Momentes  während  einer 
Erwärmuugsperiode  anwendbar  bleiben,  so  mußte 
sich,  wenn  a  und  &,  für  letzteres  der  entspre- 
chende Werth  für  die  jedesmalige  Lufttemperatur 
aus  der  im  vorigen  Paragraphen  gegebenen  Ta- 
belle entnommen  und  für  a  der  Werth 
—  1,64474 ,  in  die  Formel  2  eingesetzt  werden, 
die  Temperatur  des  Krystalls  berechnen  lassen, 
und  die  auf  einanderfolgenden  Werthe  mußten 
eine  Curve  darstellen,  welche  annährend  dasselbe 
Krümmungsmaaß  zeigt,  wie  die  Curve,  welche 
entsteht,  wenn  man  bei  Anwendung  der  Mi- 
schungsmethode zur  Bestimmung  der  specifischen 
Wärme  die  Temperaturen  des  durch  den  einge- 
tauchten warmen  Körper  erwärmten  Wassers 
zu'  verschiedenen  Zeiten  graphisch  darstellt 
und   das   Krümmungsmaß    dieser  Curve   endlich 

im  Verhältniß  Yößßö'  ^^  0,2669  die  specifische 

Wärme  der  Luft  im  Mittel  ist,  ändert  ^),  ich 
will  eine  solche  Curve,  welche  ich  für  den  Tur- 
malin  2  mal  entwarf  „Calorische"  nennen.  Die 
Gleichung  2)  des  vorigen  Paragraphen  bietet 
mir  das  Mittel  T    zu  berechnen,  es  ist. 

log  (S J^  log  @o  - «» •  0,4343  {t^  - 1„) 

"  ''^  a. 0,4343 

1)  Vergl.  hierzu  Neumann.  Pogg.  Annal.  XXIII. 
pag.  22. 


491 


__  log(5„- log  @„  + 04^5  (^o-g, 

wobei  zu  beachten,  daß  die  Zeiten  sämmtlich 
negativ  also    t^  —  t^    eine   positive  Größe    war ; 

als  ^0  wählte  ich  analog  der  Abkühlungsperiode 
die  Zeit  — 5',  dazu  gehörte  Tq  =  40,5  und 
(5o  =  0,0022,  für  b  endlich  nahm  ich  einen 
Mittel werth.  Mit  Hülfe  dieser  Formel  berech- 
nete ich  folgende  Tabelle,  die  in  Fig.  2  gra- 
phisch als  Temperaturcurve  abgebildet  ist. 

Zeit      Temperatur  Zeit      Temperatur 


—  5 

40,5 

—  10 

40 

—  15 

39,5 

—  20 

38,8 

—  25 

38 

—  30 

37,2 

—  35 

36,3 

—  40 

35,4 

—  45 

34,4 

—  50 

33,4 

—  55 

32,3 

—  60 

31,2 

—  65 

30,1 

—  70 

28,9 

—  75 

27,7 

—  95 


20,4 


Der  Verlauf  dieser  Temperaturcurve  stimmt  so 
gut  mit  einer  „calorischen"  Curve  überein,  daß 
ich  geneigt  bin,  dies  Resultat  als  einen  Beweis 
für  die  Gültigkeit  meiner  Formel  auch  für  die 
Abkühlungsperiode  anzusehen.  Die  Verhältnisse 
der  Erwärmung  des  Turmalins  durch  die  warme 
Luft  sind  aber  in  Folge  der  verzögerten  Abküh- 
lung derselben  und  durch  den  Umstand,  daß 
sich  der  Turmalin  schon  bei  Beginn  der  Erwär- 
mung in  der  Luft  befand,  so  complicirt,  daß  ich 
vor  der  Hand  kein  näheres  Eingehen  auf  die- 
selben wage,  und  ich  muß  daher  bei  folgendem 
Resultate  stehen  bleiben: 


492 

Während  die  erste  Anwendung  der  Formel  2) : 

log^i  =  log-Eo  +  0,4343 \oiTx-  T,)  - h(ti  —  t,) \ 
zur  Berechnung  der  Werthe  h  aus  der  ersten 
Beobachtungsreihe  einen  Beweis  für  die  Gültig- 
keit der  Formel  während  der  Abkühlungsperiode 
giebt,  liefert  mir  die  2te  Anwendung  zur  Be- 
rechnung der  Temperaturen  des  Turmalins  wäh- 
rend der  Erwärmungsperiode  nur  eine  große 
Wahrscheinlichkeit  für  die  Richtigkeit  der  An- 
nahmen, auf  welchen  die  Formel  beruht,  auch 
während  des  Erwärmungszustandes,  eine  Wahr- 
scheinlichkeit, welche  noch  erhöht  wird  durch 
den  Umstand,  daß  die  Formel  für  die  Zeit  —  95 
Minuten  vor  dem  0  Punkt,  wo  noch  kein  elec- 
trisches  Moment  vorhanden  war,  und  wo  die 
Erwärmung  ihren  Anfang  nahm,  die  richtige 
Temperatur  20°,  4  liefert,  welches  die  Tempe- 
ratur des  Zimmers  während  der  Beobachtung 
repräsentirt." 


Bei   der    Köiiigl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Verhandlungen  der  k.  k.  zoologisch-botanischen  Gesellsch. 
in  Wien.    Bd.  XXVI.    1877. 

Sitzungsber.  der  philos.   philol.  u.  hist.  Cl.  der  k.  Akad. 
der  Wiss.  zu  München.  1876.     5. 

J.  V.  L  a  m  0  n  t,  Meteorologische  u.  magnetische  Beobach- 
tungen d.  K.  Stemw.  z.  München.    Jahrg.  1876.    8. 

—  Annalend.K.  Sternwarte  Z.München.    Bd.  XXI.     1876. 

Monumentorum    Boicorum    coUectio    nova.      Ed.  Acad. 
scient.  Boica.    Vol.  XVI.    4. 

Abhandlungen  des  naturwiss.  Vereins  zu  Bremen.    Bd.  5. 
Hft.  2.     1877. 

(Fortsetzung  folgt.) 


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Hoppe.  Ueber  Pyroelectncität 


493 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


15.  August.  M  20.  1877. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften 

Sitzung  am  4.  August. 

Grisebach,  üeber  Weddell's  Pflanzengruppe  der  Hyp- 
seocharideen. 

Listing,  Neue  geometrische  und  dynamische  Constanten 
des  Erdkörpers. 

Schering,  Analytische  Theorie  der  Determinanten.  (Er- 
scheint in  den  Abhandlungen). 

Benfey,  Die  Spaltung  einer  Sprache  in  mehrere  lautver- 
schiedene Sprachen.    (Erscheint  in  den  Abhandlungen). 

Riecke,  Einige  Beobachtungen  an  dem  Radiometer  von 
Crookes. 

Fromme,  üeber  den  Einfluß,  welchen  bei  der  Magneti- 
sierung durch  den  galvanischen  Strom  gewisse  Modifica- 
tionen  des  Versuchs  auf  Größe  und  Zustand  des  zu  er- 
zeugenden Magnetismus  ausüben.  (Vorgelegt  von 
Riecke). 


üeber   Weddell's    Pflauzengruppe    der 
Hypseocharideen. 

Von 

A.  Grisebach. 

Auf  die  in  der  alpinen  Region  der  bolivischen 
Anden  einheimische  Gattung  Hypseocharis  meinte 
Weddell  in  seinem  vortrefflichen  Werke  über  die 
Vegetation  der  CordiUeren  Südamerikas  eine  be- 

45 


494 

sondere  Pflanzenfamilie  begründen  zu  können 
(Chloris  andina  in  Castelnau's  Reisewerk,  pag. 
288.  PI.  81).  Wiewohl  er  den  Fruchtbau  dieses 
Gewächses  nicht  untersuchen  konnte  und  derselbe 
auch  bis  jetzt  unbekannt  geblieben  ist,  hoffte  er, 
daß  man  hieraus  demnächst  neue  Gründe  für 
seine  Ansicht  würde  schöpfen  können.  In  den 
reichen  Sammlungen,  die  ich  der  wichtigen  Reise 
von  Hieronymus  und  Lorentz  nach  dem  Nord- 
westen der  Plata-Staaten  verdanke,  befindet  sich 
eine  zweite,  noch  unbeschriebene  Art  von  Hyp- 
seocharis  im  Fruchtzustande ,  welche  diese  Bo- 
taniker auf  dem  Nevado  del  Castillo  in  der  ar- 
gentinischen Provinz  Salta  entdeckt  haben.  Hie- 
durch  bin  ich  in  den  Stand  gesetzt,  den  Cha- 
rakter dieser  merkwürdigen  Gattung  zu  vervoll- 
ständigen und  über  ihre  Stellung  im  System 
urtheilen  zu  können,  wobei  ich  freilich  in  Bezug 
auf  den  Bau  derBlüthe  auf  die  nicht  vollständig 
übereinstimmenden  Darstellungen  Remy's  und 
Weddells  mich  beschränkt  finde.  Der  Beschrei- 
bung der  Frucht  lasse  ich  die  Diagnose  der  neuen 
Art  nachfolgen,  will  aber  gleich  im  Voraus  auf 
die  habituelle  Aehnlichkeit  zwischen  Hypseo- 
charis  und  gewissen  Arten  von  Poteutilla  hin- 
weisen, die  so  groß  ist,  daß  man  die  Gattung, 
ohne  Blüthe  und  Frucht  zu  kennen,  leicht  für 
eine  Rosacee  mit  fiedertheiligeu  Blättern  halten 
könnte.  So  sehr  gleichen  die  Blätter  denen  von 
Potentilla  bifurca,  die  Blättchen  wiederholen  bei 
der  neuen  Art  die  terminale  Zähuchenbildung 
vonP.  tridentata  und  die  zwischen  den  größern 
nicht  selten  eingeschalteten  kleinern  Blättchen 
erinnern  an  das  Blatt  von  Geum  und  Agrimonia. 
Uypscocharis.  Capsula  globosa,  calyce  per*, 
sistente  5partito  suffulta,  in  coccos  clausos  2 — 3^ 
»permoB  septicide  secedeus,   styli  rudimeutis  iiM 


495 

fra  apicem  cocci  cujusqne  insertis,  axi  centrali 
persistente  nullo.  Semina  loculnm  fere  implen- 
tia,  angulo  centrali  cocci  supra  basin  uniseriatim 
inserta,  e  funicnlo  brevi  suspenso  -  adscenden- 
tia,  deltoideo  -  rotundata ,  rhaphe  brevi  ab  hilo 
infra  mediam  testara  sito  ad  basin  ejus  descen- 
dente  epitropa,  testa  rugulosa,  albnmine  tenui 
embryonem  includente.  Embryo  cylindrico- 
eochlearis,  radicula  supera  cotyledonibns  brevior, 
bis  gyro  bis  fere  completo  circinatim  inflexis 
convexo-planis  linearibus. 

H.  tridentata  nov.  sp.  rbizomate  descendeute 
perennis,  foliis  omnibus  rosularibus  lyrato-pin- 
natisectis  petiolatis  glabris :  segmentis  4 — 6- 
jugis ,  lateralibus  ovato  -  oblongis ,  inferioribus 
saepe  brerioribus  ovatis,  accessoriis  triplo  raino- 
ribus  ovato  -  lanceolatis  integerrimis ,  termiuali 
majori  elliptico ,  omnibus  (praeter  accessoria) 
apice  obtusato  tridentatis :  deute  medio  lateralibus 
breviori,  pedunculis  axillaribns  foiio  brevioribus 
nnifloris  apice  bibracteolatis ,  Capsula  calycem 
excedente  glandulifera.  —  Folia  2 — 3",  segmenta 
lateralia  3—4'",  accessoria  1'",  terminales — 10"' 
longa;  pedunculi  adseendentes  (scapiformes)  IV2" 
longi;  Capsula  2'"  diam,  —  Habitat  in  monte 
Nevado  del  Castillo  pr.  Los  Potreros,  in  prov. 
argentina  Salta. 

Keine  Gattung  zeigt  mit  Hypseochoris  eine 
größere  Uebereinstimmung ,  als  Biebersteinia. 
In  den  Verwachsungen  ist  diese  bis  jetzt  nicht 
beachtete  Verwandtschaft  zunächst  angedeutet: 
die  getrennten  Kelchblätter  vereinigen  sich  bei 
der  Fruchtreife  in  beiden  Gattungen  zn  einer 
kurzen  Röhre ;  die  Staminen,  welche  bei  Hypseo- 
eharis  von  Weddell  als  gesondert  bezeichnet 
werden,  sind  nach  Remy  und  Bentham  auch 
hier,  wie  bei  Biebersteinia,  am  Grunde  ringför- 

45* 


496 

mig  verbunden;  die  reifen  Karpelle  sind  völlig 
gesondert,  ohne  in  der  Axe  den  Gewebstrang 
der  Geraniaceen  zurückzulassen,  und  der  Griffel 
ist  unterhalb  der  Spitze  eingefügt.  Der  Bau 
des  Karpells  ist  ebenfalls  übereinstimmend:  die 
Samen  sind  weder  aufrecht  noch  hängend,  son- 
dern in  der  Nähe  des  Mittelpunkts  ihrer  Axen- 
seite  befestigt  und  der  gekrümmte  Embryo  liegt, 
der  Verticalrichtung  des  Karpells  entsprechend, 
daher  quer  gegen  den  Funiculus,  mit  der  Radi- 
cula  nach  aufwärts  gerichtet,  und  diese  wegen  der 
Kürze  der  Rhaphe  um  die  halbe  Länge  des  Sa- 
mens vom  Hilum  entfernt;  die  Albumenschicht 
in  der  harten  Testa  hat  dieselbe  Beschaffenheit 
und  Stärke,  der  Embryo  dieselbe  Gestalt,  wenn 
er  gerade  gestreckt  gedacht  wird.  Hiezu  kommt 
die  vollkommene  Aehnlichkeit  des  Habitus,  der 
Blattbildung,  der  Inflorescenz,  der  Blüthengestalt 
von  Hypseocharis  pimpinellifolia  und  Bieber- 
steinia  odora:  selbst  die  Drüsen  der  letztern  se- 
hen wir  an  dem  Pistill  der  erstem  Gattung 
wiederkehrend.  Die  Verschiedenheiten  des  Baus 
sind  aus  folgendem  Schema  zu  ersehen: 

Biebersteinia.  Hypseocharis 

Corolla  imbricativ.  Corolla  »contorquirt«. 

Staminen  10   und  zwi-  Stamiuen     »15,     ohne 

sehen   ihnen  5  Drüsen.  Drüsen«. 

Karpelle  schon  zur  Zeit  Karpelle   »zur  Zeit  der 

der     Blüthe     getrennt  Blüthe  in  der  Axenlinie 

und  nur  die  Griffel  an  bis  zur  Spitze  des  Grif- 

den  kopfförmigen  Nar-  fels    und    dessen   kopf- 

ben  schwach  zusammen-  förmiger   Narbe    verei- 

hängend  (secundäre  Ad-  uigt«,     aber    bei     der 

haesion).  Fruchtreife  nach  Ver- 
lust des  Griffels  sich 
lösend. 


497 

Biebersteinia.  Hypseocharls. 

En  Ei  iu  jedem  Karpell.     »Zwei   Reihen   von  Ei- 
ern   in   jedem   Fache«, 
von  denen  nur  zwei  bis 
drei  befrachtet  werden. 
Embryo     schwach    ge-    Embryo    schneckenfor- 
bogen.  mig  eingerollt. 

Blätter  mit  zwei  dem  Blätter  mit  am  Grunde 
Blattstiel  am  Grunde  scheidenförmig  erwei- 
angewachseuen  Stipu-  tertem  Blattstiel  ohne 
len.  Stipulen. 

Dem  Typus  beider  Gattungen  gegenüber 
können  diese  generischeu  Cliaraktere  nicht  dazu 
dienen,  sie  im  System  von  einander  zu  entfer- 
nen. Weddell's  Hypseocharideen  werden  daher 
mit  Endlicher's  Biebersteinieen  zu  vereinigen 
sein,  und  Hypseocharis  kann  als  eine  vikariirende 
Gattung  betrachtet  werden,  welche  auf  den  süd- 
amerikanischen Anden  die  in  den  alpinen  Regio- 
nen des  Orients  und  Centralasiens  einheimische 
Gattung  Biebersteinia  vertritt. 

Die  wechselnden  Ansichten  der  Systematiker 
über  die  Verwandtschaften  von  Biebersteinia 
sollen  hier  nicht  näher  erörtert  werden,  um  so 
weniger  als  dies  schon  von  Agardh  geschehen 
ist  (Theoria  System,  p.  167)  und  als  die  scharf- 
sinnige Aeußeruug  de  CandoUe's  darüber  bereits 
das  Wesentliche  enthielt  (Prodr.  1.  p.  707).  Ich 
will  daher  nur  bemerken,  daß  die,  wahrschein- 
lich auf  die  Knospenlage  der  Corolle  sich  grün- 
dende Ansicht  Bentham's  und  Hooker's,  nach  wel- 
cher Hypseocharis  neben  Osalis,  Biebersteinia  hin- 
gegen zu  den  Geraniaceen  im  engern  Sinne  zu 
stellen  -wäre  (Gen.  pl.  1.  p.  271.  276),  durch  den 
nun  erst  bekannt  gewordenen  Bau  der  Frucht 
■widerlegt  wird.    Im  J.  1854    habe   ich  die  Bie- 


498 

bersteinieen  wegen  der  apokarpen  Karpelle  und 
der  habituellen  Aehnlichkeit  von  Potentilla  mit 
den  Rosaceen  verbunden  und  schließe  mich  jetzt 
der  Au£Passung  Agardh's  an,  daß  sie  ein  Verbin- 
dungsglied zwischen  diesen  und  den  Geraniaceen 
bilden.  Wie  weit  der  Umfang  einer  natürlichen 
Familie  zu  fassen  sei,  ist  nicht  eine  wissenschaft- 
liche Frage,  sondern  eine  Angelegenheit  der  Con- 
yenienz  und  des  Herkommens.  Es  verhält  sich 
damit  nicht  anders,  wie  mit  der  willkührlichen 
Umgrenzung  der  Sternbilder,  die  dazu  dient,  sich 
leichter  am  Firmament  zu  orientiren.  Gegen- 
stand der  Forschung  ist  nur,  wie  die  Lage  der 
einzelnen  Sterne,  so  im  Pfianzensystem  das  mor- 
phologische Verhältniß  der  Gattungen  und  Arten 
zu  einander  zu  bestimmen.  Der  Orientirung 
auf  diesem  Gebiete  ist  es  nicht  förderlich  ge- 
wesen, die  Gattungen,  die  dem  Charakter  größerer 
Familien  nicht  entsprechen ,  als  besondere  Fa- 
milien ihnen  gleichzustellen,  wodurch  deren  An- 
zahl unübersehbar  vervielfältigt  werden  könnte. 
Vielmehr  wäre  es  an  der  Zeit,  zwei  Fälle  zu  unter- 
scheiden, die  sich  mit  fortschreitender  Pflanzen- 
kenntniß  immer  häufiger  in  ihrer  Eigenart  un- 
terscheiden lassen.  Es  giebt  nämlich  einmal  fast 
in  jeder  natürlichen  Familie  Abweichungen  vom 
Typus,  die  für  sich  bestehend  deren  Beziehungen 
zu  andern  Typen  nicht  weiter  aufklären,  und 
solche  Gattungen  kann  man  nach  gewohnter 
Weise  als  anomale  Bestandtheile  in  ihrer  Stellung 
belassen.  Dann  aber  häufen  sich  von  Jahr  zu 
Jahr  immer  mehr  die  Beispiele ,  daß  Gruppen 
oder  einzelne  Gattungen  zwischen  zwei  größern 
natürlichen  Familien  in  der  Mitte  stehen,  und, 
indem  sie  mit  gleichem  Recht  zu  der  einen  oder 
der  andern  gestellt  werden  können,  die  Verwandt- 
schaft derselben  beurkundqn,  wie  die  Memecyleen 


409 

zwischen  den  Myrtaceeu  und  Melastomaceeu, 
oder  Trochodeudron  zwischen  den  Magnoliaceen 
und  Araliaceen  (Hedera).  In  diesem  Falle  möchte 
es  zweckmäßig  sein,  eine  besondere  Bezeichnungs- 
weise einzuführen,  nicht  einen  Namen,  nach  der 
Hauptgattung  etwa  gewählt,  festzuhalten,  wo- 
durch der  Schein  entsteht,  als  wäre  die  Gruppe 
den  großen  Gliederungen  des  Systems,  dessen 
S:ernbildern ,  gleich werthig,  sondern  die  Namen 
der  beiden  Familien  etwa  durch  eine  geeignete 
Formel  zu  combiniren,  z.  B. 
^-  I     ( Myrtaceae. 

^       ( Melastomaceae. 

Als  ein  solches  Verbindungsglied  zwischen  den 

Bosaceen    und   Geraniaceen    sind    demnach   die 

Gattungen    Biebersteinia    und    Hypseocharis    zu 

betrachten,  indem  sie  von  den  erstem  durch  hy- 

pgyuische  Insertion  und  eine  Tendenz  zur  Ver- 

linduug  der  Karpelle  und  Staminen,  sowie  durch 

bestimmtere  Wirtelgliederung    ihrer  Blüthe  und 

enen   abweichenden  Bau  des  Samens  und  Em- 

h-yo   sich  unterscheiden,   während   sie  von  den 

Geraniaceen  durch  die  Eut^vickelung  der  Frucht 

md  des  Samens  und  besonders  dadurch  abweichen, 

(kß  die  Karpelle  nicht  durch  einen  Axenfortsatz, 

S)ndern  entweder  nur  unter  sich  verbunden  oder 

aanz  getrennt  sind.     Eine  andere  Frage,  die  von 

lentham  uud  Hooker   aufgeworfen  ist,   (a.  a.  0. 

p  263)    bezieht  sich   auf  ihr  Yerhältniß  zu  den 

Z'gophylleeu,  iudem  von  ihnen  Biebersteinia  als 

eh  Verbindungsglied    zwischen    diesen    und  den 

Graniaceen   bezeichnet    wird.     In  dieser  Bezie- 

hing  aber  erscheint  die  Bemerkung  R.  Brown's, 

de  die  Familie   der  Zygophylleen  zuerst  aufge- 

stillt    hat,    noch    immer    maßgebend,    daß  ihre 

Uiterscheidung  wesentlich   nur  auf  ihren  Vege- 

taiousorgauen ,    namentlich   auf  den  opponirten 


500 

Blättern  mit  interpetiolaren  Mittelblätteru  be- 
ruhe (Verm.  Schriften,  4.  S.  45),  weshalb  er 
auch  im  Gegensatz  zu  neuern  Schrifstellern  Pe- 
ganum  davon  ausschließt.  Die  rosulirten  Blätter 
in  Spiralstellung  und  die  ächten  Nebenblätter 
von  Biebersteinia  lassen  damit  ebenso  wenig  eine 
Vergleichung  zu,  als  die  Trennung  der  Ovarien 
und  Griffel  in  dieser  Gattung  und  ihre  am  Grunde 
vereinigten  Staminen. 


Einige  Beobachtungen  an   dem  Radio- 
meter von  Crookes 

von 

Eduard  Eiecke. 

Durch  die  große  Zahl  neuer  und  überraschei- 
der  Erscheinungen,  welche  in  dem  kurzen  Zei>- 
raume  seit  der  Wiederentdeckung  der  radiome- 
trischen Bewegungen  durch  Crookes  bekamt 
geworden  sind,  dürfte  nachgewiesen  sein,  da3 
durch  diese  Erscheinungen  der  Kreis  der  phy- 
sikalischen Thatsachen  eine  ebenso  unerwartete 
wie  bedeutungsvolle  Erweiterung  erfahren  ha. 
Wenn  ich  mir  erlaube,  im  Folgenden  einige  Bi- 
obachtungen  über  die  Bewegung  des  Radiomi- 
ters  mitzutheilen ,  so  geht  meine  Absicht  nir 
dahin,  die  Aufmerksamkeit  kompetenterer  Phy- 
siker auf  eine  Methode  der  Beobachtung  zu  ria- 
ten,  welche  über  einige  der  wichtigsten  Elemeite 
dieser  Bewegung  in  sehr  einfacher  Weise  Aif- 
sehluß  zu  geben  im  Stande  ist. 

Wir  nehmen  an,  daß  die  Rotation  des  la- 
diometers  durch  einen  constanten  normal  gejen 


501 

die  eine  Seite  der  Flügel  gerichteten  Ueberdruck 
hervorgebracht  werde,  während  gleichzeitig  eine 
der  Winkelgeschwindigkeit  proportionale  Rei- 
bung der  Bewegung  entgegenwirkt.  Bezeichnen 
wir  unter  dieser  Voraussetzung  durch  7>  den  auf 
die  Flächeneinheit  ausgeübten  Druck,  durch  l 
den  Abstand,  in  welchem  sich  der  Mittelpunkt 
der  Fläche,  von  der  Drehungsaxe  befindet,  durch 
Q  die  Fläche,  durch  M  das  Trägheitsmoment  al- 
ler Flügel  zusammengenommen ,  so  ergiebt  sich 
für  die  Bewegung  des  Radiometerkranzes  die 
Differentialgleichung 

wo  q  der  Coefficient  der  Reibung. 

d(p 
Ist  für  <  =  0  sowohl  <p  als  auch  ~  gleich 

Cl  V 

Null,  so  giebt  die  erste  Integration 


das  zweite  Integral  wird  dann: 
9 


i'-«'.,_^«li.?(l_e-i') 


Q  Q  Q 

woraus  durch  Differentiation  nach  t 

d<f>        p.Q.l      p.Q.l    -^  t 

dt  Q  Q 

Für  die  von  dem  Radiometer  erreichte  con- 
stante  Endgeschwindigkeit  ergiebt  sich  der 
Werth 


502 


Substituireu  wir  denselban  in  der  Gleichung 
für  den  Drehungswiukel  y,  so  erhalten  wir: 

(p  =  a  .t  —  «.—  (1  —  e    M    }' 
Q 

Die  Curve,  welche  durch  diese  Gleichung 
dargestellt  wird,  geht  in  eine  gerade  Linie  über, 
sobald  die  Winkelgeschwindigkeit  des  Radiome- 
ters eine  constante  geworden  ist,  die  Gleichung 
dieser  geraden  Linie  ist,    wie   man   leicht  sieht, 

M 
(p  =  a  ,  t  —  a  .  — 

Q 

für  9  =  0  giebt  dieselbe 

Q 

Wenn  man  die  Bewegung  des  Radiometers 
von  der  Ruhelage  aus  in  ihrem  zeitlichen  Ver- 
laufe beobachtet,  so  sind  aus  diesen  Beobach- 
tungen die  Werthe  von 

Q 

und 

_  M 

~    Q 

unmittelbar  zu  entnehmen.  Die  Berechnung  des 
auf  die  Flächeneinheit  wirkenden  Druckes  p  und 
des  ReibuugscoSfficienteu  q  erfordert  dann  nur 


503 

noch  die  Kenntniß  der  Masse   und  der  Dimen- 
sionen der  Radiometerflagel. 

Besonders  hervorzuheben  ist,  daß  der  Werth 
von  t  von  der  schließlichen  Winkelgeschwindig- 
keit a  unabhängig  ist.  Wenn  wir  also  für  ver- 
schiedene Bewegungen  eines  und  desselben  Ra- 
diometers die  Bewegungscurven  construiren,  so 
müssen  die  geradlinigen  den  constanten  Endge- 
schwindigkeiten entsprechenden  Theile  dieser 
Curven  die  Axe  der  Zeiten  in  einem  und  dem- 
selben Punkte  schneiden. 

Es  mögen  nun  Beobachtungen  an  zwei  Ra- 
diometern mitgetheilt  werden,  welche  als  Prüf- 
steine für  die  Richtigkeit  der  bei  der  vorherge- 
henden Entwickelung  zn  Grunde  gelegten  Hy- 
pothesen dienen  köonen. 

Bei  diesen  Beobachtungen  wurden  die  Ra- 
diometer in  das  Innere  eines  Kastens  gesetzt, 
welcher  in  der  Höhe  des  Kreuzes  zwei  einander 
gegenüberliegende  Oeffnuugen  besaß,  durch  die 
vordere  Oeffnung  konnten  die  Strahlen  einer 
Gaslampe  auf  das  Radiometer  geworfen  werden, 
während  die  hintere  für  die  Beobachtung  frei 
gelassen  war.  Durch  zwei  über  die  Mitte  der 
Oeffuungen  herabhängende  Senkel  wurde  eine 
vertikale  Visirebene  hergestellt,  in  welche  die 
Drehuugsaxe  des  Radiometers  eingestellt  wurde. 
Die  Anfaugsstellung  des  Radiometers  war  immer 
so  gewählt,  daß  eines  der  Flügelpaare  gerade 
in  die  Visirebene  hineinfiel.  Bei  einem  bestimm- 
ten Secundenschlag  wurde  ein  die  vordere  OefiF- 
nung  verdeckender  Schirm  entfernt,  und  so  der 
Zutritt  des  Lichts  zu  den  Radiometer  eröffnet, 
die  aufeinanderfolgenden  Durchgänge  der  Flügel 
durch  die  Visirebene  wurden  mit  Hülfe  eines 
halbe  Secundeu  schlagenden  Chronometers  be- 
stimmt.   Die  Beobachtungen   selbst  sind  in  den 


504 


folgenden  Tabellen  zusammengestellt,  die  erste 
Columne  enthält  die  Winkel,  welche  von  dem 
zuerst  in  die  Visirebene  eingestellten  Flügel  des 
Radiometers  durchlaufen  würden,  die  zweite  Co- 
lumne enthält  die  entsprechenden  Zeiten  in  Se- 
kunden. Wurden  unter  denselben  Verhältnissen, 
d.  h.  bei  gleichem  Abstand  gleicher  Eelligkeit 
der  Flamme  mehrere  Beobachtungsreihen  ange- 
stellt, so  sind  diese  in  einer  Tabelle  zusammen- 
gestellt, und  ist  aus  den  gleichen  Winkeln  ent- 
sprechenden Zeiten  das  Mittel  genommen. 

Radiometer  Nr.  L 

Der  Kranz  desselben  trug  4  Flügel  aus  ge- 
glühtem Glimmer,  welche  auf  der  einen  Seite  be- 
russt  waren. 

Erste  Beobachtungsreihe. 
Die   Entfernung  zwischen  Flamme   und  Ra- 
diometer betrug  800  mm. 


^ 


Miltel 


n 
"2 

16,9 

19,9 

17,5 

18,1 

•    n 

24,7 

28,1 

26,2 

26,3 

!^ 

32,7 

35,9 

35,2 

34,6 

2n 

40,2 

44,0 

42,5 

42,2 

a^r 

48,5 

52,7 

50,0 

50,4 

2>n 

55,5 

60,4 

57,8 

57,9 

l^ 

63,0 

67,9 

66,2 

65,7 

4n 

70,7 

75,5 

73,4 

73,2. 

Es  ergiebt  sich  aus  diesen  Beobachtungen 
a  =  0,203. 
t  =  11,2. 


505 


Zweite  Beobachtungsreihe. 

Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
700  mm. 

9     I  t  I  Mittel 


n 
'2 

14,0 

12,9 

14,3 

13,7 

n 

20,6 

19,9 

21,5 

20,7 

^n 

27,1 

26,1 

27,1 

26,8 

2n 

32,2 

31,4 

32,7 

32,1 

^n 

37,9 

37,0 

38,2 

37,7 

371 

43,3 

42,5 

43,7 

43,2 

In 

48,7 

47,9 

48,5 

48,4 

In 

53,7 

52,9 

53,7 

53,4 

\n 

59,1 

58,3 

59,0 

58,8 

hn 

64,6 

63,4 

64,0 

64,0 

Vti 

70,1 

68,6 

68,2 

69,0 

671 

75,1 

73,5 

73,9 

74,2. 

Es  ergiebt  sich  aus  diesen  Beobachtungen 
a  =  0,303 
X  =  11,8. 

Radiometer  Nro  II. 

Die  Flügel  desselben  bestanden  aus  dünnem 
auf  einer  Seite  mit  Glimmer  bedeckten  Messing- 
blech und  waren  gegön  die  Axe  des  Radiome- 
ters geneigt. 

Erste  Beobachtungsreihe. 

Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
400  mm. 

9     I  t  I  Mittel 


n 
n 


17,2 

28,6 
37,0 


22,2 

30,2 
35,4 


19,7 

29,4 
36,2 


506 


9 


Mittel 


2n 

41,6 

39,5 

40,5 

Itt 

45,7 

44,1 

44,9 

3;r 

50,1 

48,6 

49,3 

l^ 

54,9 

52,4 

53,7 

An 

58,6 

56,1 

57,3 

l'^ 

62,2 

59,7 

60,9- 

hn 

65,7 

63,5 

64,6 

Vtt 

69,9 

67,2 

68,5 

ßn 

73,0 

70,6 

71,8 

'in 

76,2 

73,5 

74,8 

In 

79,7 

77,0 

78,3 

^n 

83,0 

80,2 

81,6 

871 

86,0 

83,2 

84,6 

a  =  0,455 
t  =  28,6 

Zweite  ßeobachtungsreihe. 

Entfernung  zwischen  Lampe  und  Radiometer 
400  mm. 


y 

t 

71 

"2" 

13,0 

n 

22,2 

|7r 

31,0 

2rr 

36,0 

|7r 

40,2 

371 

45,0 

i^ 

49,9 

47r 

53,2 

> 

56,7 

hn 

60,1 

V^ 

63,7 

67t 

66,9 

*5i»7r 

70,1 

507 


9 


In 
8» 

72,7 
76,2 

78,7 

a  =  0,494 

t  = 

28,9. 

Dritte  Beobachtiragsreihe. 

Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
400  mm. 


9      i 

t 

j 

Mittel 

n 

U,2 

15,7 

14,6 

14,8 

n 

22,0 

21,2 

21,0 

21,4 

h"^ 

28,7 

26,7 

27,1 

27,5 

2n 

33,2 

32,2 

32,9 

32,8 

^n 

37,2 

37,6 

36,5 

37,1 

dn 

40,7 

41,5 

40,6 

40,9 

In 

45,2 

45,1 

44,9 

45,1 

An 

48,2 

48,9 

48,2 

48,4 

\^ 

51,2 

52,9 

51,5 

51,9 

hn 

54,7 

56,0 

54,9 

55,2 

IE" 

58,2 

59,2 

58,0 

58,5 

OTT 

60,7 

62,0 

61,6 

61,4 

s»^ 

63,6 

65,4 

64,7 

64,6 

771 

66,5 

68,1 

67,5 

67,4 

V 

69,7 

71,2 

70,6 

70,5 

a  =  0,523 
t  =  25,0 


508 

Vierte  Beobachtungsreihe. 

Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
370  mm. 


y 

^ 

n 

2" 

15,5 

n 

21,1 

|7r 

25,0 

2n 

28,4 

4« 

31,6 

Stt 

34,7 

1^ 

37,5 

4:71 

40,1 

1^ 

42,5 

hn 

45,1 

\'7l 

47,5 

Qn 

50,1 

y^Tt 

52,1 

In 

54,5 

y/r 

56,6 

Stt 

59,0 

yTT 

61,0 

«  =  0,720 
t  =  23,3 

Fünfte  Beobachtungsreihe. 

Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
370  mm. 


9 

t 

Mittel 

n 

2" 

12,1 

12,1 

12.1 

n 

In 

18,0 
21,9 

17,0 
20,6 

17,5 
21,2 

509 


9 


Mittel 


2n 

25,0 

23,9 

24,4 

^n 

28,0 

27,1 

27,5 

3;r 

31,5 

29,9 

30,7 

In 

34,4 

32,2 

33,3 

^n 

36,6 

35,0 

35,8 

%n 

39,1 

37,0 

38,0 

hn 

41,6 

39,6  ! 

40,6 

V^ 

44,0 

41,7 

42,8 

Qn 

46,0 

44,0 

45,0 

a  =  0,690 
r  =  17,9. 
Sechste  Beobachtungsreihe. 
Entfernung  zwischen  Radiometer  und  Flamme 
ö70  mm. 


9 


t 


Mittel 


n 


n 
2n 

37» 

4n 
Irr 
Stt 

6n 

"771 

Sn 


n 


11,5 

16,2 

20,6 

23,5 

26,6 

29,5 

32,0 

34,8 

36,5 

39,0 

41,1 

43,4 

45,5 

47,5 

49,6 

51,5 

53,5 

a  = 

X  = 


11,6 

16,5 
20,6 
24,0 
26,5 
29,6 
32,1 
34,9 
37,5 
40,0 
42,2 
44,5 
46,5 
48,5 
50,5 
52,5 
54,7 

0,770 

18,7 


11,5 

16,3 
20,6 
23,7 
26,5 
29,5 
32,0 
34,8 
37,0 
39,5 
41,6 
43,9 
46,0 
48,0 
50,0 
52,0 
54,1 


46 


510 

Will  man  zu  einer  Berechnung  des  auf  die 
Flächeneinheit  der  Flügel  wirkenden  Druckes 
p  vorgehen,  so  ist  die  Kenntniß  der  Masse  und 
der  Dimensionen  der  Radiometerflügel  nothwen- 
dig;  während  die  letzteren  auch  bei  einem  fer- 
tigen Radiometer  sich  mit  hinreichender  Annä- 
herung bestimmen  lassen,  ist  man  in  Betreff  der 
Masse  auf  eine  sehr  rohe  Schätzung  angewiesen. 
Wenn  ich  im  Folgenden  versuche  auf  Grund 
einer  solchen  Schätzung  den  Druck  p  zu  bestim- 
men, so  können  die  sich  ergebenden  Zahlen  nur 
in  Betreff  der  Größenordnung  von  p  einen  An- 
haltspunkt gewähren,  aber  in  keiner  Weise  auf 
üebereinstimmung  mit  den  wirklichen  Wertheu 
von  p  Anspruch  machen. 

Radiometer  I. 

Es  wurde  gemessen: 

l  =  18,2  mm 
Q  =  eOODmm. 

Die  Masse  der  4  Flügel  zusammengenommen 
wurde  geschätzt  =  600  milligramm,  woraus 
M  =  200000. 

Es  ergeben  sich  hieraus  die  folgenden  Werthe 
von  p 

1)  für  «  ==:  0,203  p  =  0,33 

2)  für  «  =  0,303  p  =  0,47. 

Radiometer  II. 

Es  wurde  gemessen: 

?  =  16  mm 
Q  =  eOODmm. 


511 


Die  Masse  der  4  Flügel  zusammengenommen 
wurde  geschätzt  =  340  mg.  woraus 
M  ==  100000. 

Die  entsprechenden  Werthe  von  a,  q  und  p 
sind  in  der  folgenden  Tabelle  zusammengestellt, 
hiebei  sind  die  für  p  unmittelbar  sich  ergeben- 
den Werthe  noch  dividirt  durch  cos  45°  = 
0,707,  um  aus  der  zu  der  Bewegungsrichtung 
der  geneigten  Flügel  parallelen  Druckcomponente 
den  gegen  die  Oberfläche  der  Flügel  senkrechten 
Druck  zu  erhalten. 


a     1 

Q 

P 

0,455 

3500 

0,23 

0,494 

3460 

0,25 

0,523 

4000 

0,31 

0,720 

4290 

0,45 

0,690 

5590 

0,56 

0,770 

5350 

0,61 

Wie  man  sieht,  nimmt  bei  dem  zweiten  Ra- 
diometer der  Reibungscoefficient  mit  der  Ge- 
schwindigkeit der  Umdrehung  zu,  so  daß  also 
dieses  Radiometer  nicht  ganz  den  bei  der  theo- 
retischen Entwicklung  zu  Grunde  gelegten  Vor- 
aussetzungen entspricht.  Bei  dem  ersten  Ra- 
diometer dagegen  erweist  sich  der  Reibungs- 
coefficient als  constant. 

Die  Ton  1  cubicmm  Wasser  in  Folge  seiner 
Schwere  ausgeübte  Druckkraft  ist  gleich  9811 
mechanischen  Krafteinheiten,  der  kleinste  und 
größte  der  Werthe,  welche  sich  im  vorherge- 
henden für  den  Druck  p  ergeben  haben ,  würde 
demnach  dem  Gewichte  von  0,00002  und  0,00006 
cubicmm  Wasser  entsprechen.  Herr  Schuster 
fand  auf  anderem  Wege  für  eine  Rotationsge- 
schwindigkeit von  a  =  20  seines  Radiometers 

46* 


512 


einen  Werth  von  i?,  der  gleich  dem  Gewichte 
von  0,0003  cubicmm.  Wasser  war.  l^s  war  also 
die  von  ihm  beobachtete  Rotationsgeschwmdig- 
keit  beiläufig  30  mal ,  der  entsprechende  Druck 
7  mal  größer   als  bei  den  von  mir  angeführten 

"VfirsTicliöii« 

Es  möge  schließlich  auch  auf  die  Bedeutung 
aufmerksam   gemacht   werden,    welche  dem  im 
Vorhergehenden  berechneten  Druck  ^  vom  bta^^d- 
punkte  der  Emissionstheorie  aus  zukommt.     V^ir 
denken  uns  das  Kreuz  des  Radiometers  für  den 
Augenblick  festgehalten,  und  auf  der  zurückge- 
stoßenen Fläche  irgend  eines  der  Flügel  em  ^Ja- 
chenelement  von  IDmm  Inhalt  abgegrenzt.     W ir 
bilden   uns  dann  die  Darstellung,    daßjon  die- 
sem Flächenstückchen   aus  materielle  Iheilchen 
nach  allen  Richtungen  des  Raumes  emittirt  wer- 
den,   deren   Reaction  den   auf  das  Flachenele- 
ment ausgeübten  Ueberdruck  i^  verursacht.     An- 
statt eine  solche  nach  allen  Richtungen  des  Rau- 
mes vor  sich  gehende  Emission  zu  untersuchen, 
beschränken  wir  uns  im  folgenden  auf  die  ein- 
fachere Annahme,    daß  die  emittirten  Theilchen 
nur  eine  zu    der   emittirenden  Oberflache  senk- 
rechte Geschwindigkeitscomponente  besitzen,  ei- 
nen Fall   auf    welchen    sich    der    allgemeinere 
leicht  reduciren  lassen  wird. 

Wir  nehmen  an,  die  emittirten  Theilchen 
bewegen  sich  unter  der  Wirkung  einer  von  der 
Oberfläche  der  Flügel  auf  sie  ausgeübten  con- 
stanten  Kraft,  welche  wir  gleich  f*.7r  setzen 
wollend  wo  unter  ^  die  Masse  eines  einzehien 
emittirten  Theilchens  verstanden  ist  Die  W  ir- 
kmig  dieser  Kraft  erstrecke  sich  aber  nur  bis 
zu  clier  gewissen  Entfernung  A  von  der  Ober- 
fläche des  Flügels.  Legen  wir  also  i^J  der  Ent- 
fernung  A  eine  Parallelebene  zu  der  Oberflache 


513 

des  Flügels,  so  werden  alle  Theilcheu,  welche 
noch  der  Wirkung  der  Flügeloberfläche  unter- 
liegen ,  welche  also  umgekehrt  auch  eine 
Reaction  auf  den  Flügel  ausüben,  innerhalb  je- 
ner Parallelebenen  sich  befinden.  Die  emittirten 
Theilchen  mögen  in  der  Oberfläche  des  Flügels 
die  Geschwindigkeit  Null  besitzen,  sie  mögen 
die  Parallelebene  mit  der  Endgeschwindigkeit 
c  verlassen ;  die  zu  der  Durchlaufang  des  zwischen 
den  beiden  Ebenen  liegenden  Weges  l  erfor- 
derliche Zeit  sei  t,  dann  ist 

c  =  n .%. 

Alle  Theilchen,  welche  sich  in  irgend  einem 
Augenblicke  zwischen  der  Oberfläche  des  Flügels 
und  der  Parallelebene  befinden,  werden  nach 
Verfluß  der  Zeit  x  durch  die  Parallelebene  hin- 
durchgegangen sein ;  bezeichnen  wir  durch  n  die 
Anzahl  der  Theilchen,  welche  in  der  Zeiteinheit 
durch  IQmm  der  Parallelebene  hindurchgehn, 
so  ist  die  Zahl  der  in  der  Zeit  x  hindurchgehen- 
den Theilchen  gleich  n  .  i.  Ebenso  groß  muß 
aber  auch  die  Anzahl  derjenigen  Theilchen  sein, 
welche  sich  zu  jeder  Zeit  über  einem  Dmm  der 
Flügeloberfläche  in  dem  Baume  innerhalb  der 
Parallebene  befinden,  d.  h.  die  Zahl  derjenigen 
Theilchen,  deren  Reaction  auf  die  Oberfläche 
des  Flügels  in  Rechnung  zu  bringen  ist.  Die  von 
einem  einzelnen  Theilchen  auf  die  Oberfläche 
des  Flügels  ausgeübte  Kraft  ist  aber  gleich 
It.n,  somit  die  gesammte  auf  IQmm  der  Ober- 
fläche ausgeübte  Reaction 

2)  =  n  .t .  [i  .n 
oder  mit  Rücksicht  auf  den  Werth  von  z 

p  =  n  .  fji .  c 
dh  der   auf  iDmm   der  Flügeloberfläche   ausge- 


514 

übte  Druck  ist  gleich  der  Bewegungsgröße  der 
in  1  Secunde  emittirten  Theilchen;  ein  Resultat 
welches  sich  aus  dem  Priucip  der  Gleichheit  der 
Bewegungsgröße  der  emittirten  Theilchen  mit 
der  Bewegungsgröße  des  Flügels  ohne  weiteres 
ergeben  hätte. 

Nehmen  wir  für  p  den  im  Mittel  bei  mei- 
nen Versuchen  vorhandenen  Werth  0,4,  für  c 
den  Werth  640000  mm  wie  er  etwa  den  Theil- 
chen des  Wasserdampfes  nach  der  Gastheorie 
zukommen  würde,  so  ergiebt  sich 


»•'•=1600000'"^ 


lieber  den  Einfluss,  welchen  bei  der 
Magnetisierung  durch  den  galvani- 
schen Strom  gewisse  Modificatiouen 
des  Versuchs  auf  Grösse  und  Zustand 
des  zu  erzeugenden  Magnetismus  aus- 
üben, 

von 

Carl  Fromme. 

Vorgelegt  von  Eduard  Riecko. 

In  der  letzten  Mittheilung  über  meine  Unter- 
suchungen auf  dem  Gebiete  des  Magnetismus 
(Sitzung  vom  5.  Mai  d.  J.)  habe  ich  überall  be- 
tont, daß  bei  der  Gewinnung  der  dort  bespro- 
chenen Resultate  der  zu  magnetisirende  Stab 
von  weichem  Eisen  oder  von  Stahl  erst  dann  in 
die  Magnetisiruugsspirale  eingeschoben  wurde, 
nachdem  der  Strom  bereits  geschlossen  war,  so- 


515 

■wie  daß  er  immer  vor  OeflPnung  desselben 
ans  der  Spirale  entfernt  wurde,  daß  femer 
Ein-  sowohl  als  Ausschieben  äußerst  langsam 
und  mit  Vermeidung  von  Erschütterung  ge- 
schah. 

Die  Besprechung  des  Einflusses,  welchen  diese 
Art  der  Versuchsanordnung  gegenüber  anderen 
auf  den  zu  erzeugenden  Magnetismus  hat,  und 
welche  ich  auf  eine  spätere  Mittheilung  ver- 
schoben hatte,  soll  den  Gegenstand  der  heutigen 
bilden. 

Bevor  ich  mich  jedoch  hierzu  wende,  sei  es 
mir  gestattet,  einen  Punkt  meiner  früheren  zu 
verbessern  resp.  zu  ergänzen. 

An  das  Gesetz,  welches  ich  für  die  Zunahme 
des  remanenten  Magnetismus  mit  der  Zahl  der 
Impulse  der  magnetisirenden  Kraft  aufstellte, 
knüpfte  sich  die  Frage  nach  der  Ursache  dieser 
Zunahme.  Zur  Beleuchtung  der  Erscheinung  zog 
ich  die  Wirkung  von  Erschütterungen  herbei, 
welche  ebenfalls,  wenn  sie  auf  den  noch  der 
Kraft  unterworfenen  Stab  einwirken,  einen  ver- 
größernden Einfluß  auf  das  Ganze  sowohl  wie 
auf  das  remanente  Moment  ausüben. 

Es  hatte  sich  gezeigt,  daß  die  Wiederholung 
der  Impulse  in  gewissem  Maaße  die  Erschütte- 
rungen ersetzen  kann,  indem  ein  auf  das  (der 
angewandten  Kraft  entsprechende)  Sättiguugs- 
momeut  des  rem.  Magnetismus  gebrachter  Stab 
gegen  schon  lebhafte  Erschütterungen  sich  fast 
gleichgültig  verhielt,  d.  h.  mit  Bezug  auf  den 
rem.  Magn.  Während  dieser  nur  noch  unbe- 
deutend sich  vergrößerte,  wuchs  dagegen  der 
ganze  ((x3/),  also  der  temporäre  Magnetismus 
{TJM).  Folgte  nun  einem  von  Erschütterung 
begleiteten  Impuls   ein  weiterer  ohne  Erschüt- 


51Ö 

terung,  so  zeigte  sich  auch  dann  noch  ein  etwas 
größeres  TM. 

Diese  Zunahme  des  TM  nun  bezeichnete  ich 
als  permanent,  und  das  ist  es,  was  ich  als  un- 
genau zurücknehmen  möchte. 

Sie  ist  nämlich  nicht  permanent  im  Sinne 
dieses  Worts,  sie  zeigt  sich  freilich  noch  bei 
späteren  Impulsen,  aber  mit  stetig  abnehmendem 
Werth,  um  nach  einer  hinreichenden  Zahl  von 
Impulsen  ganz  zu  verschwinden. 

Die  Zunahme  des  TJf,  welche  nach  einer 
Erschütterung  auch  bei  späteren  Impulsen  noch 
zurückbleibt,  ist  demnach  nicht  permanent,  son- 
dern es  verhält  sich  damit  wie  mit  der  Erschei- 
nung, welche  S.  275  a.  E.  u.  S.  276  a.  A.  der 
früheren  Mittheilung  besprochen  ist.  Es  äußert 
sich  eben  der  Einfluß  eines  mit  Erschütterung 
vorgenommenen  Impulses  auf  die  folgenden  ge- 
rade so,  wie  wenn  eine  größere  Kraft  gewirkt 
hätte.  Denn  eine  »solche  vergrößert  die  Wir- 
kungen ihr  folgender  kleinerer  Kräfte  ebenfalls, 
aber  nicht  dauernd  (vorausgesetzt,  daß  der  per- 
manent magnetische  Zustand  ungeändert  ge- 
blieben ist,  worüber  in  der  vorhergehenden  Mit- 
theilung das  Nähere):  Nach  Vornahme  einer 
hinreichenden  Zahl  von  Impulsen  der  kleineren 
Kraft  verschwindet  die  durch  die  Wirkung  der 
vorhergegangenen  grösseren  hervorgebrachte  Er- 
höhung des  TM  der  kleineren  Kraft  vollständig. 
Ein  Impuls  einer  Kraft  i,  welcher  von  Er- 
schütterung begleitet  ist,  verhielt  sich  hierbei 
also  wie  ein  Impuls  einer  Kraft  J,  J'^i. 

Fassen  wir  die  Wirkung  der  Erschütterungen 
unter  diesem  Gesichtspunkte  auf,  so  erklären 
sich  alle  beobachteten  Thatsachen  aufs  Vollstän- 
digste. 


517 

Wenn  die  Erschütterung  beim  1 .  Impuls  ge- 
schieht, so  ist  sie  am  wirksamsten,  am  unwirk- 
samsten, wenn  sie  nach  geschehener  Sättigung 
mit  EM  ausgeführt  wird.  In  der  That,  es  läßt 
sich,  —  wie  schon  von  Bonty  bemerkt  —  zu  jeder 
Kraft  i  eine  grössere,  J  auffinden,  welche  das- 
jenige BM  durch  einen  einzigen  Impuls  hervor- 
bringt, welches  durch  i  erst  als  Sättigungsmoment 
erreicht  wird.  Eine  Erschütterung,  mit  hinläng- 
licher Stärke  beim  1.  Impuls  vorgenommen, 
müsste  also  an  die  Stelle  dieser  supponirten 
grösseren  Kraft  treten  können. 

Wenn  man  sich  der  Abnahme  des  TM  bei 
wiederholter  Einwirkung  einer  constanten  Kraft 
erinnert,  so  ist  es  klar,  daß  eine  Erschütterung 
selbst  nach  erreichter  Sättigung  immer  noch, 
wie  beobachtet,  eine  Steigerung  des  R3I,  wenn 
gleich  eine  geringe,  herbeiführen  muß,  auch 
wenn  das  Erschütterungs  -  TJIf  das  beim  1.  Im- 
puls stattgehabte  (größte)  TM  nicht  über- 
schreitet. 

Ich  wende  mich  nun  zu  der  Mittheilung  der 
anfangs  angedeuteten  Untersuchungen. 

Bei  der  Magnetisirung  durch  den  galvanischen 
Strom  ist  wohl  von  den  meisten  Beobachtern 
das  Verfahren  gewählt  worden,  welches  auch 
ich  benutzt  und  vorhin  genannt  habe. 

Seltener  hat  man  es  vorgezogen,  den  zu 
untersuchenden  Stab  fest  in  der  Spirale  liegen 
zu  lassen ,  während  der  magnetisirende  Strom 
geschlossen  und  geöffnet  wurde. 

Nehmen  wir  nun  im  Voraus  an,  daß  die 
Verschiedenheit  des  Verfahrens  Unterschiede  in 
den  magnetischen  Momenten  im  Gefolge  führt, 
so  ist  es  gewiß  wünschenswerth,  die  Größe  die- 
ses Einflusses  kennen  zu  lernen,  um  die  Resul- 
tate von  Beobachtern,  welche  das  eine  oder  an- 


518 

dere   Verfahren   befolgten,    in  Vergleich  setzen 
zu  können. 

Daß  ein  solcher  Einfluß  bereits  beobachtet 
worden  wäre,  ist  mir  bei  dem  Beginn  der  be- 
züglichen Untersuchungen  nicht  bekannt  gewe- 
sen. Erst  im  Laufe  derselben  ersah  ich  aus 
einer  Arbeit  von  Ruths,  daß  eins  meiner  Re- 
sultate, aber  eben  nur  dies  eine,  nicht  neu  war. 

V.  Waltenhofen  hat  nämlich  bemerkt,  daß 
das  remanente  Moment  sehr  weicher  Eisenkör- 
per geringer  ausfällt,  wenn  man  den  magneti- 
sirenden  Strom  plötzlich  auf  Null  reducirt, 
als  wenn  man  dasselbe  allmählich  (unter 
Einschaltung  immer  größerer  Widerstände  in 
die  Stromleitung)  bewirkt.  Die  Notiz  von  Wal- 
tenhofen findet  sich  in  mehreren  Zeitschriften, 
nachdem  seheint  der  Gegenstand  weiter  keine 
Bearbeitung  gefunden  zu  haben,  —  soviel  ich 
wenigstens  habe   in  Erfahrung  bringen  höunen. 

Die  Erklärung,  welche  Waltenhofen  von 
der  beobachteten  Thatsache  gibt,  drängte  sich 
auch  mir  sofort  auf,  und  ich  glaube,  daß  sie 
sich  einem  Jeden  zuerst  darbieten  muß,  so  na- 
türlich erscheint  sie  nach  den  jetzt  angenomme- 
nen Vorstellungen  von  dem  Vorgänge  der  mag- 
netischen Induction.  So  hat  auch  Waltenhofen 
auf  Grund  seiner  Beobachtung  der  Hypothese 
von  den  drehbaren  Molecularmagneten  eine  fast 
zweifellose  Wahrscheinlichkeit  beilegen  wollen. 

Andererseits  dagegen  hat  man  bezweifelt, 
daß  die  Erscheinung  wirklich  für  eine  Drehung 
kleinster  Magnete  spreche.  Gerade  aber  einer 
der  Begründer  dieser  Theorie,  uämlich  Wiede- 
mann,  hat  sich  mehr  gegen  als  für  die  Zuläs- 
sigkeit  einer  Erklärung  auf  Grund  der  theore- 
tischen Vorstellungen  ausgesprochen   und   einer 


519 

Erklärung  durch  sectmdäre  Ursachen  den  Vor- 
zug gegeben. 

Indeß  schreckte  mich  das  nicht  von  der  wei- 
teren Verfolgung  meiner  Untersuchungen  ab, 
zumal  es  eben  eine  vereinzelte  Erscheinung  war, 
welche  Waltenhofen  mitgetheilt  hatte,  und  welche 
das  Fundament  aller  theoretischen  Speculatio- 
nen  abgab.  Zudem  war  es  meine  Meinung,  wie 
schon  ausgesprochen,  daß  die  Untersuchung, 
selbst  wenn  sie  nur  verwickelte  und  theoretisch 
unwichtige  Resultate  förderte,  doch  eine  Lücke 
in  der  Literatur  ausfüllen,  eine  Vervollständi- 
gung der  bis  dahin  erschienenen  Arbeiten  bil- 
den würde. 

Diejenige  Erscheinung,  welche  mich  auf  eine 
Verschiedenheit  der  beiden  Beobachtungsverfah- 
ren —  ob  der  Stab  seinen  Platz  in  der  Spirale 
unverändert  behält  oder  ob  er  bei  Stromschluß 
oder  bei  der  Stromöffnung  sich  außerhalb  der 
Spirale  befindet  —  führte,  war  nicht  die  von 
Waltenhofen  beobachtete.  Als  ich  die  lang- 
wierigen Versuche  über  die  Gültigkeit  des  2. 
Jamin'schen  Gesetzes  anstellte  (s.  die  frühere 
Mittheilung  S.  277  —  279)  ließ  ich  einmal  den 
Stab  fest  in  der  Spirale  liegen,  während  er 
sonst  immer  vor  Oeffnung  des  Stroms  aus  der- 
selben entfernt  wurde.  Dabei  zeigte  sich  ent- 
gegen einem  früher  (diese  Nachr.  1875  Nr.  11 
und  Poggend.  Annal.  Ergband  VII)  von  mir 
ausgesprochenen  und  theoretisch  sehr  wahr- 
scheinlichen Gesetz,  daß  eine  kleinere  Kraft  das 
von  einer  vorangegangenen  größeren  hinterlas- 
sene  (Sättigungs-)i?ilf  noch  vergrößerte. 

Das  trat  aber  nicht  ein,  sobald  ich  vor  Oeff- 
nung des  stärkeren  Stroms  den  Stab  aus  der 
Spirale  entfernte.  So  ergab  sich  mir  bei  wei- 
terer Verfolgung   die   —    wie    ich   nun    später 


520 

fand  —  von  Waltenhofen  schon  beobachtete 
Erscheinung. 

Im  Folgenden  sollen  immer  die  Abkürzun- 
gen: Stab  fest  oder  Stab  ausgezogen  ge- 
braucht werden,  deren  Bedeutung  jetzt  klar 
sein  wird. 

Wir  stellen  uns  die  Frage: 

Wie  verhält  sich  ein  durch  eine  gewisse 
Kraft  J  erzeugtes  (Sättigungs-)i?illf  gegen  Kräfte 

,  Die  Frage  gliedert  sich : 

1)  UM    ist   erzeugt    bei    ausgezogenem 
Stab. 

a)  Wenn  auch  bei  den  Kräften  %  <  «7*  der 
Stab  ausgezogen  wird,  so  verändert 
sich  B,M.  nicht,   es  ist  constant. 

Es  ist  dies  das  früher  genauer  von  mir 
formulirte  Gesetz. 

b)  Wenn  dagegen  die  Wirkung  der  kleine- 
ren Kräfte  bei  festem  Stab  erfolgt,  so 
vermindern  diese  das  durch  J  er- 
zeugte B,M  und  zwar  desto  mehr,  je 
größer  *  ist,   je  mehr  %  sich  J  nähert. 

2)  Tl~M  ist  erzeugt  bei  festliegendem  Stab, 
es  ist  also,  wie  aus  l)b)  hervorgeht,  klei- 
ner als  das  bei  ausgezogenem  Stab  er- 
zeugte. 

a)  Wenn  bei  Wirkung  der  kleineren  Kräfte 
der  Stab  ausgezogen  wird,  so  nimmt 
UM  —  wir  wollen  es  das  deprimirte  KM 
nenuen  —  zu,  und  zwar  desto  mehr,  je 
weniger  i  von  J  verschieden  ist. 

Ist  i  =  J,  so  steigt  das  deprimirte  JIM 
zu  dem  Maximalwerth  an,  den  es  bei  1) 
besaß.  Das  Maximum  der  Zunahme  des 
deprimirten    TXM  wird  jedoch  erst  nach 


521 

wiederholten    Impulsen    der      kleineren 
Kraft  erreicht, 
b)  Wenn  auch  bei  Wirkung    der    kleineren 
Kraft  der    Stab    festliegt,    so    nimmt 
zwar  JRM  ebenfalls  zu,  aber  die  Zunahme 
wächst    nicht   continuirlich  mit    i.      Sie 
ist  gleich  Null  sowohl  wenn  i  =  0,    als 
auch  wenn  i  =  J  und  erreicht  bei  einer 
Kraft  0  <,  i  <.  J  ein  Maximum.      Auch 
hier  nimmt  die   Erhöhung  des  deprimir- 
ten   UM  durch  die  Kraft  i  mit  der  Zahl 
der  Impulse  etwas  zu. 
Fragen  wir  jetzt  weiter,  ob  auch  die  Größe 
des  ganzen  Magnetismus   {GlSf)   von  der  Ver- 
schiedenheit des  Beobachtungsverfahrens  betrof- 
fen wird? 

»In  der  That  ist  auch  der  ganze  Magnetis- 
»mus  {GM  =  BM  -{-  TM)  ein  anderer  und 
»zwar  größer,  wenn  der  Stab  fest,  als  wenn 
»er  ausgezogen.« 

Wir  haben  also  allen  Grund,  die  Resultate 
derjenigen  Beobachter,  welche  mit  festliegenden 
Stäben  arbeiteten,  zu  sondern  von  den  Resulta- 
ten derer,  welche  ihre  Stäbe  vor  Schluß  und 
Oeffnung  des  Stroms  aus  der  Spirale  entfernten. 
Die  von  ersteren  beobachteten  remanenten 
Magnetismen  sind  kleiner,  ihre  ganzen  Magne- 
tismen und  in  noch  höherem  Grade  ihre  tem- 
porären sind  größer,  als  die  bei  gleichen 
magnetisireuden  Kräften  von  den  letzteren  er- 
haltenen. 

Von  kleinsten  Kräften  au  stieg  ich  allmäh- 
lich zu  immer  größeren  auf  und  beobachtete  je- 
desmal das  der  eingetretenen  Sättigung  ent- 
sprechende GM  und  FiM  bei  ausgezogenem 
Stab.  Dann  ließ  ich  den  Stab  fest  in  der 
Spirale  liegen  und  beobachtete  wieder  GM  und 


522 

das  nach  Stromöffnung  restirende  (deprimirte) 
EM.  Ich  dividirte  die  Differenzen  der  jRülf  und 
der  GM,  die  A  b  nähme  des  UM  und  die  Z  u- 
nahme  des  GM  bei  festem  Stab  gegen  die  mit 
ausgezogenem  beobachteten  Werthe  durch  die 
Gesammtänderung,  welche  das  magnetische  Mo- 
ment bei  Oeffnung  resp.  bei  Schluß  des  Stroms 
erfuhr. 

Wenn  man  eine  Erklärung  der  Erscheinun- 
gen direkt  aus  der  Theorie  für  statthaft  hält, 
so  haben  die  so  gebildeten  Verhäitniß werthe 
eine  leicht  erklärliche  Bedeutung. 

Indem  ich  dieselben  nun  für  ein  großes  Ge- 
biet magnetisirender  Kräfte  bei  zahlreichen  Stä- 
ben bildete,  fand  ich,  daß  dieselben  mit  wach- 
sender Kraft  von  der  Null  an  bis  ?u  einem 
Maximum  wachsen  und  bei  weiterer  Steigerung 
der  Bjraft  wieder  abnehmen.  Die  auf  GM  be- 
züglichen Werthe  sind  schon  bei  schwächeren 
Kräften  von  merklicher  Größe,  steigen  langsam 
zum  Maximum  an  und  fallen  nach  Erreichung 
desselben  rasch  ab.  Die  auf  RM  bezüglichen 
werden  erst  bei  stärkeren  Kräften  von  merkba- 
rer Größe,  steigen  rascher  an  und  fallen  nach 
stattgehabtem  Maximum  langsamer  ab. 

Gegen  welche  Grenzwerthe  die  Verhältnisse 
convergireu,  hat  wegen  der  Schwierigkeit,  bei 
starken  Strömen  die  Bedingung  der  Constanz 
festzuhalten,  nicht  mit  genügender  Sicherheit 
entschieden  werden  können.  Die  Differenz  der 
GM  nahm  jedoch  in  mehreren  Fällen  bis  zur 
Null  ab,  während  eine  Abnahme  der  Differen- 
zen der  RM  nie  beobachtet  wurde.  Die  Ver- 
hältnißwerthe  der  GM  scheinen  demnach  rasch 
die  Null  zu  erreichen,  die  der  RM  dagegen  erst 
später,  wenn  sie  sich  nicht  etwa  einem  endli- 
chen Grenzwerthe  annähern. 


523 

Die  von  den  beiderseitigen  Verhältnißwerthen 
erreichten  Maxima  treten  immer  bei  nicht  sehr 
verschiedenen  Kräften  anf,  das  der  GM  wohl 
stets  etwas  früher  als  das  der  UM.  Ein  wirk- 
liches Zusammenfallen  der  Maximalwerthe  mit 
den  Wendepunkten  der  temporären  oder  rema- 
nenten  Magnetisirung  wurde  nicht  beobachtet. 
Die  Maxima  der  Verhältnißwerthe  liegen  zwar 
nie  weit  von  den  Maximis  der  Magnetisirungs- 
funktion  (des  temporären  oder  remanenten  Mag- 
netismus) entfernt,  aber  ihr  Eintritt  erfolgt 
theilweis  früher  als  der  der  letzteren,  theils  spä- 
ter, und  soviel  meine  Versuche,  die  zur  siche- 
ren Beantwortung  dieser  Frage  vielleicht  immer 
noch  zu  wenige  Stäbe  umfassen,  erkennen  lie- 
ßen,   desto  später,  je   härter  der  Stab  ist. 

Was  das  Großenverhältnlß  der  Maxima  an- 
betriflFt,  so  ist  nur  bei  2  zur  Beobachtung  ge- 
kommenen Eisenstäben  ein  größeres  Maximum 
für  GM-,  als  für  B.M  gefunden.  Sonst  verhielt 
es  sich  immer  umgekehrt. 

Am  bedeutendsten  ist  die  Größen  Verschieden- 
heit der  Maxima  bei  Stahlstäben.  Dort  ver- 
schwindet die  Zunahme  des  GM  vom  ausgezo- 
genem zum  festen  Stab  fast  zu  Null  gegen  die 
Abnahme  des  JRM. 

Mein  Streben  war  nun  darauf  gerichtes,  die 
Abhängigkeit  der  Erscheinungen  von  der  Form 
und  der  Massenvertheilung  der  Stäbe  fest- 
zustellen. 

Aus  einem  weichen  Eiseustück  wurden  drei 
cylindrische  Stäbe  verfertigt,  gleich,  was  innere 
Beschaffenheit  und  Dicke  anlangte,  verschieden 
allein  in  der  Länge.  Die  Längen  waren  hier 
wie  immer  nicht  so  bedeutend,  daß  die  äußeren 
magnetisirenden  Bj-äfte,  welche  anf  die  einzelnen 


524 

Punkte  der  Stäbe  wirken,    als  verschieden  groß 
zu  berücksichtigen  gewesen  wären. 

In  der  Größe  der  Verhältnißwertbe  konnten 
nun  bei  den  drei  Stäben  keine  ausgesprochenen 
Unterschiede  constatirt  werden.  Dagegen  traten 
die  Maxima  derselben  bei  verschiedenen  Wer- 
then  der  magnetisirenden  Kraft  ein,  nämlich  bei 
einem  desto  größeren,  je  weniger  gestreckt  der 
Stab  war. 

Dagegen  scheint  das  temporäre  Moment  (na- 
türlich auf  die  Volumeinheit  bezogen) ,  welches 
bei  dem  Eintritt  der  Maxima  stattfindet,  ziem- 
lich gleich  für  alle  drei  Stäbe  zu  sein. 

Sehr  ausgesprochen  ist  der  Einfluß  der  Mas- 

senvertheilung.  .  , ,     .       oi.  u 

Je  größer  das  specifische  Gewicht  eines  btabs, 
desto  geringere  Werthe  erreichen  die  Verhält- 
nisse. Doch  wird  GM  bedeutend  stärker  davon 
berührt  als  EM.  Wie  schon  gesagt,  ist  die 
Differenz  der  GM  bei  festem  und  ausgezogenem 
Stab  bei  Stahlstäben  so  gering,  daß  sie  voll- 
ständig außer  Acht  gelassen  werden  kann.  MM 
dao-egen  ergibt  sich  noch  immer  ganz  merkbar 
verschieden,  je  nachdem  man  es  bei  festem  oder 
bei  ausgezogenem  Stab  beobachtet,  aber  es  er- 
reicht die  Differenz  beider  erst  bei  starken 
Kräften  einigermaßen  bedeutende  Werthe;  das 
Maximum  der  Verhältnißwerthe  tritt  erst  mit 
viel  stärkeren  Kräften  ein,  als  bei  einem  gleich- 
crestalteten  weichen  Eisenstab,  und  auch  bei  ei- 
nem viel  größeren  temporären  Momente. 

Bei  kleinen  Kräften  ist  die  Differenz  zwi- 
schen dem  BM  des  ausgezogenen  und  deni  des 
festen  Stabs  aber  merkwürdigerweise  nicht  Wuü, 
sondern  negativ,  dabei  freilich  so  klein,  daß  sie 
schwer  wahrzunehmen  ist.  Doch  meine  ich, 
daß   diese  negativen  Werthe  sich  in  einfacher 


525 

Weise  erklären  lassen  müssen.  Wenn  nämlich 
das  Herausziehen  des  Stabs  aus  der  Spirale  und 
das  Einschieben  in  dieselbe  noch  so  vorsichtig 
geschieht,  geringe  Erschütterungen  werden  sich 
nie  ganz  vermeiden  lassen.  So  wird  RM  (aus- 
gezogen) immer  ein  wenig  zu  klein  beobachtet 
werden.  Ist  nun  thatsächlich  bei  kleinen  Kräf- 
ten kein  Unterschied  zwischen  i?J[f  (ausgezogen) 
und  EM  (fest)  vorhanden,  so  wird  in  Folge  un- 
vermeidlicher Erschütterungen  EM  (ausgezogen) 
kleiner  als  RM  (fest)  gefunden,  und  das  dauert 
so  lange,  als  der  Verlust  durch  Erschütterung 
den  durch  das  Ausziehen  des  Stabs  sonst  er- 
reichten Gewinn  übersteigt. 

In  welcher  Weise  der  beobachtete  Einfluß 
der  Massenvertheilung  (des  specifischen  Gewichts) 
auf  die  hier  beschriebenen  Erscheinungen  einer 
Erklärung  derselben,  welche  sich  direct  auf  die 
Vorstellungen  der  Theorie  der  drehbaren  Mo- 
lekularmaguete  stützt,  zu  Hülfe  kommen  kann, 
brauche  ich  nicht  erst  zu  sagen. 

Statt  alles  Weitern  möge  es  mir  nur  gestat- 
tet sein,  eine  Reihe  von  Versuchen  zu  beschrei- 
ben, welche  wie  ich  glaube,  zur  Beurtheilung 
der  Erscheinung  von  Wichtigkeit  sein  werden. 

Ein  Stab  sei  auf  das  einer  Kraft  i  entspre- 
chende Sättigungsmoment  gebracht;  so  können 
wir  folgende  Versuche  anstellen: 

1.  i?iUr  (ausgezogen).    Impuls    der    Kraft    i 

bei  ausgezogenem 
Stab. 

2.  EM  (au^fe  zogen).     Impuls  der  Kraft  i  bei 

festliegendem  Stab. 

3.  EM  (fest).     Impuls  der  Kraft  i  bei  ausge- 

zogenem Stab. 

4.  EM  (fest).    Impuls  der  Kraft   %   bei    fest- 

liegendem Stabe. 
56 


526 

Wir  finden  dann,  daß  —  wie  schon  be- 
kannt — 

ferner  GM^  =  GM^,  also  TM^  >  TM^, 
sodann  GM^  >  GM^,  also  TM^  >  TM^, 
und  endlich 

GM^  <  GM^,  aber  TM^  >  TM^. 

Wenn  man  also  von  einem  deprimirten  RM 
ausgeht,  so  erhält  man  das  gleiche  GM,  wie 
wenn  man  vom  Maximal -^il/  ausgegangen 
wäre,  vorausgesetzt,  dass  der  Stab  ausgezogen 
wird. 

Dagegen  erhält  man  ein  kleineres  GM, 
aber  immer  noch  ein  größeres  TM  nach  ei- 
nem deprimirten  als  nach  einem  Maximal  JRM, 
wenn  man  den  Stab  fest  in  der  Spirale  liegend 
dem  erneuten  Impuls  aussetzt. 

Es  wurde  dann  eine  Depression  des  Maximal- 
RM  dadurch  bewirkt,  daß  man  in  entgegenge- 
setzter Richtung,  wie  *,  eine  (kleinere)  Kraft  ^' 
wirken  ließ,  von  solcher  Stärke,  daß  RM  durch 
sie  gerade  um  ebensoviel  vermindert  wurde, 
wie  wenn  der  Stab  der  Wirkung  der  Kraft  {, 
aber  festliegend  ausgesetzt  wäre. 

Wirkte  nach  einem  so  deprimirten  UM  die 
Kraft  i  bei  festliegendem  Stab,  so  ergab  sich 
GM  gerade  so  groß  als  wenn  EM  seinen  Ma- 
ximalwerth  besessen  hätte. 

Der  Unterschied  zwischen  GM^  und  GM^ 
bestand  also  nicht  mehr,  wenn  an  Stelle  des 
durch  Festlegung  des  Stabs  deprimirten  UM  ein 
durch  einen  couträren  Strom  um  gleichviel  de- 
primirtes  trat. 


527 

Es  wurde  Drittens  eine  gleich  große  De- 
pression des  Maximal  -  BM  durch  passende  Er- 
schütterungen hervorgebracht.  Auch  jetzt  er- 
gab sich  wieder  kein  Unterschied  des  GM^ 
mochte  man  von  dem  so  deprimirten  oder  von 
dem  Maximal  RM  ausgehend  die  Kraft  t  auf 
den  festliegenden  Stab  einwirken  lassen. 

Weitere  Versuche  bezweckten  die  Auffindung 
ähnlicher  Unterschiede  wie  für  GM^  so  auch 
für  RM. 

Wenn  durch  die  eben  beschriebenen  Ver- 
suche schon  Unterschiede  zwischen  scheinbar 
gleichen  Zuständen  des  Stabs  nachgewiesen  sind, 
so  wird  der  nämliche  Nachweis  jetzt  noch  auf 
die  Weise  geführt ,  daß  man  ein  auf  eine  der 
drei  angeführten  Arten  deprimirtes  RM  seinem 
früheren,  größten  Werthe  wieder  zu  nähern 
sucht.  Ließ  man  nämlich  auf  den  Stab  dann 
eine  mit  i  gleichgerichtete,  aber  schwächere 
Kraft  einwirken  (wobei  der  Stab  immer  ausge- 
zogen wurde),  so  war  die  Erhöhung  des  durch 
Festlegung  des  Stabs  deprimirten  RM  immer 
am  kleinsten ,  die  des  durch  conträren  Strom 
oder  durch  Erschütterungen  deprimirten  bedeu- 
tend größer,   beide  aber  ungefähr  gleich. 

Ferner:  W^enu  man  einen  Stab  außerhalb 
der  magnetisirenden  Spirale  erschüttert,  so  wird 
sein  RM  verringert.  Es  wurden  nun  solche 
Erschütterungsversuche  einmal  an  einem  Stabe 
angestellt,  dessen  RM  den  maximalen  Werth 
besaß,  also  bei  ausgezogenem  Stabe  erzeugt 
war,  dann  an  dem  gleichen  Stab  aber  mit  de- 
primirtem,  bei  festliegendem  Stabe  erzeugtem 
RM.  Als  ich  diese  Versuche  bei  verschieden 
großem  RM  vornahm,  fand  ich,  daß  der  Quo- 
tient welcher  das  Verhältuiß  des  Verlusts  zu 
dem  vor   der   Erschütterung  vorhandenen   Mo- 


528 

ment  angibt,  immer  kleiner  ist  im  Fall  des  de- 
primirteu,  durch  Magnetisirung  bei  festliegen- 
dem Stab  erzeugten  BM. 

Endlich  müssen  noch  vor  allen  Dingen  Ver- 
suche Erwähnung  finden ,  denen  ich  wohl  mit 
die  größte  Bedeutung  beilegen  zu  müssen  glaube. 

Bei  allen  Versuchen,  welche  im  Vorherge- 
henden beschrieben  wurden,  habe  ich  Ströme 
von  der  denkbar  größten  Constanz  benutzt. 
Dieselbe  war  auch  bei  den  stärksten,  welche 
zur  Anwendung  kamen,  immer  gewahrt,  Dank 
der  bedeutenden  Dicke  meiner  Leitungsdräthe 
und  der  geringen  Dicke  der  benutzten  Stäbe, 
welche  die  Anwendung  allzu  intensiver  Ströme 
unnöthig  machten. 

Die  Zinkplatten  der  Bunsenschen  Elemente 
wurden  vor  jeder  Versuchsreihe  frisch  amalga- 
mirt  und  die  Salpetersäure  häufig  erneuert.  Ich 
überzeugte  mich  von  der  absoluten  Constanz 
der  Ströme  sofort  von  dem  Augenblick  der 
Schließung  an,  indem  ich  die  Umkehrpunkte 
der  Schwingungen,  welche  die  Nadel  der  Tan- 
gentenbussole ausführte,  gleich  nach  Stromschluß 
zu  notiren  begann. 

Ich  ging  nun  von  den  constanten  Strömen 
ab,  operirte  absichtlich  mit  incoustanten ,  die 
durch  Einfüllung  stark  desoxydirter  Salpeter- 
säure in  die  Elemente  leicht  erhalten  wurden. 
Der  Strom  zeigte  wegen  der  eintretenden  Pola- 
risation eine  anfangs  rasche,  dann  immer  lang- 
samer fortschreitende  Abnahme  seiner  Intensität. 
Nach  ungefähr  5  Minuten  war  ein  coustanter 
Werth  erreicht.  Ein  Maaß  für  die  Stärke  des 
Stromes  fast  von  seinem  Beginn  au,  bekam  ich 
wieder  durch  sofortige  Notirung  der  Umkehr- 
punkte der  Schwingungen ,  welche  jedoch  nach 
etwa   10  Umkehrpunkten    auf  jeder  Seite  auf- 


529 

tiörten,  da  dann  die  Bewegung  aperiodisch 
fvurde. 

Wurde  der  Strom  geöffnet,  so  war  die  Po- 
larisation nach  15  Minuten  soweit  verschwun- 
ien,  daß  bei  wieder  vorgenommener  Schließung 
3ie  Intensität  fast  genau  wieder  den  zuerst  be- 
obachteten abnehmenden  Gang  nahm. 

Wenn  nun  der  Strom  geschlossen  und  der 
3tab,  so  rasch  es  eben  anging,  eingeschoben 
war,  so  nahm  auch  sein  ganzer  Magnetismus 
ib,  ebenso  wie  die  Stromintensität,  aber  in  viel 
geringerem  Maaße. 

Wurde  nun  gewartet,  bis  constante  Ablen- 
kungen am  Magnetometer  und  Bussole  eintra- 
ten, dann  der  Stab  langsam  aus  der  Spirale 
and  wieder  herein  geschoben,  bei  fortwährend 
beschlossenem  Strom,  so  zeigte  sich  nun  das 
Moment  ganz  beträchtlich  geringer  und  zwar 
30  groß,  als  wenn  der  jetzt  die  Spirale  durch- 
fließende constante  Strom  sofort  auf  den  Stab 
gewirkt  hätte.  In  noch  stärkerem  Maaß  tritt 
aber  diese  Abnahme  des  Moments  auf,  wenn 
man  den  Strom  bei  festliegendem  Stab  ge- 
schlossen hat. 

Die  große  Differenz  beider  GM^  des  bei  fest- 
liegendem und  des  bei  ausgezogenem  Stab  er- 
Beugten,  ist  auffallend  bei  Stahlstäben,  die  einem 
cons tauten  Strom  unterworfen,  eine  Diffe- 
renz gleich  Null  aufweisen.  Der  Grund  liegt 
nur  darin,  daß  die  maximale  Anfangsintensi- 
tät des  Stroms  bei  dem  ausgezogenen  Stabe 
nicht  zur  Wirkung  kommt,  wie  bei  dem  fest- 
liegenden —  wie  passende  Versuche  zeigten. 

Wenn  man  einen  in  der  Spirale  der  Strom- 
wirkuug  unterworfenen  Stab  erschüttert,  so 
wächst  das  magnetische  Moment  Nicht  so 
in   dem   besprochenen  Fall  eines    inconstanten 


'   530 

Stroms,  welcher  auf  den  festliegenden  Stab 
einwirkt.  Erschüttert  man  diesen,  nachdem 
constante  Ablenkungen  eingetreten  sind ,  so 
nimmt  sein  Moment  ab  und  zwar  sehr  bedeu- 
tend. Doch  ist  es  mir  nicht  gelungen ,  durch 
fortgesetzte  Erschütterungen  das  Moment  ganz 
auf  den  Werth  herabzudrücken,  welcher  bei  von 
Anfang  an  constantem  Strom  beobachtet  wurde.' 
Das  ist  sofort  verständlich,  denn  unter  norma- 
len Verhältnissen  bewirkt  die  Erschütterung 
eine  Erhöhung  des  Moments.  Est  bei  einem 
erneuten  Impuls  des  constantem  Stroms  wurde 
dieser  Werth  ungefähr  erreicht.  Diese  das  Mo- 
ment vermindernde  Wirkung  der  Erschütterung 
hat  sich  aber,  wohl  bemerkt,  auch  nur  gezeigt, 
wenn  der  Stab  bei  Schluß  des  inconstanten 
Stroms  fest  in  der  Spirale  lag.  War  er  aus- 
gezogen, so  blieben  Erschütterungen  erfolg- 
los, sie  bewirkten  weder  Erhöhung  noch  Ernie- 
drigung des  Moments.  Es  hielt  also  hier  die 
vergrößernde  Wirkung  der  Erschütterungen  der 
vermindernden,  welche  nur  unter  besondern  um- 
ständen auftritt,  vollkommen  das  Gleichgewicht. 
Der  Stab  besaß  eben  bei  Vornahme  der  Er- 
schütterungen ein  Moment,  wie  es  durch  diese 
selbst  wohl  erreicht  worden  wäre.  Erst  als  — 
bei  geschlossen  bleibendem  Strom  —  der  Stab 
aus-  und  wieder  eingeschoben ,  also  ein  zweiter 
Impuls  erfolgt  war,  stellte  sich  der  bedeutend 
geringere  Werth  des  Moments  ein. 

Ich  unterlasse  es,  nach  Mittheilung  dieser 
Versuche  eine  Ansicht  über  die  mögliche  theo- 
retische Bedeutung  derselben  zu  äußern  und 
gebe  es,  bis  zur  Veröffentlichung  der  näheren 
Beobachtungsdaten  einem  Jeden  anheim,  sich 
seine  Meinung  darüber  zu  bilden,  wie  viel  alle 
angeführten  Thatsachen   zur  Entscheidung  prin- 


531 

cipieller  Fragen,  die  man  vom  Staudpunkte  der 
Theorie  aus  stellen  kann,   beitragen  mögen. 


Uniyersität 


Der  bisherige  außerordentliche  Professor  Dr. 
Hermann  Eichhorst  zu  Jena  ist  zum  außer- 
ordentlichen Professor  der  medicinischen  Klinik 
der  hiesigen  Universität  ernannt. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

Mai   1877. 

Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sciences  de  Belgique.    T.  43. 

Nr.  3.     1877. 
T.  A.  B.  Spratt,  travels  and  researches  in  Crete.    Vol. I. 

u.  II.    London.  1865. 
Abhandlangen    der  Königl.   böhm.  Gesellsch.  der   Wiss. 

vom  J.  1875  XX,  1876.     Sechste  Folge.     Bd.  8.    Prag. 

1877.    4. 
Sitzungsberichte  d.  K.  böhm.  Gesellsch.  d.  Wiss.  in  Prag. 

Jahrg.   1876. 
Jahresbericht  derselben.    Vom  12.  Mai  1876. 
Monatsbericht  der  Beriiner  Akademie  d.  Wiss.  Dec.  1876. 
Nyt  Magazin  for  Naturvidenskaberne.   21  de  Binds.  3  die 

og  4   de  Hefte.    1875.     22  de  Binds  1  —  4 '  de  Hefte. 

Christiania.  1876  —  77. 
Forhandlingar  i  Videnskabs  -  Selskabet  i  Christiania,    Aar 

1875. 
Axel  Blytt,  Norges  Flora.    3  die  Del.    Ebd.  1876. 
Tillaegsheftet. 
J.  Sp.  Schneider,    Enumeratio  insectorom  norvegico- 

rum.    Fase.  HI.  IV.    Ebd.  1876. 
0.  J,  Broch,    Kongeriget  Norge  og  det   norske   folk. 

Ebend.  1876. 
Beretning    cm    Bodsfaengslets    Virksomhed  i  aar    1875. 

Ebd.  1876. 


532 

Det  Kong.  norske  Frederiks  üniversitete  Aars  beretninar 

for  1876. 
C.  R.  Unger,    Heilagra  Mann  Sögur.    Ebd.  1877. 
C.  de  Seue,    Windrosen  des    südl.  Norwegens.     Ebd. 

1876.    4. 
C.  M.  Guldberg  et  H.  Mohn,    :^tudes  sur  les  mouve- 

ments  de  l'atmosphere.  Premiere  partie.  Ebd.  1876.  4. 
Norwegens   officielle  Statistik,    herausg.   in   den   Jahren 

1873  —  1876.    Ebd.    4. 

1.  Folkemaengdens  bewargelse.    1851  —  1870. 

2.  Den  norske  Staatstelegraphie  1873. 

3.  Sundhetstilstanden  og  Medicinal-forholdene.    1871. 

4.  Industrielle  forholde.     1870  —  1874. 

5.  Stats  Telegraphie  1875. 
,   6.    Skifteuraesenet  i  Norge. 

7.  Indtaegter  og  udgifter  1874. 

8.  Sundhetstilstanden  og  medicinalvaesenet.     1873. 

9.  Skolvaesenets  tilstand  1874. 

10.  De  öflfentliche  jernbaner  1874. 

11.  Skiftenvaesenet  i  Norige  1873.  B.   No.  2. 

12.  Noriges  Skebsfart.    1874. 

13.  Criminalstatistiske  Tabeller  1873. 

14.  Norges  fiskerier  1873  og  1874. 

15.  Kommunale  forholde  i  Norges  land-og  bykommu- 
ner  1869—1871. 

16.  Skolevaesenets  tilstand  1873. 

17.  Kongeriget  Norges  indtaegter  og  udgifter  for  1873. 

18.  Fattigstatistik  for  1873. 

19.  Criminalstatistiske  Tabellen  for  1872. 

20.  Norges  Handel  1873. 

21.  Sundheds  tilstanden  og  medicinal  forholdene  1872. 

22.  Tabeller  vedkommende  folkemaengdens  bewargelse 
i  aaret  1871. 

23.  Oversigt  pver  uplysnings   fonds  intaegter  og  udgif- 
ter i  aaret  1874. 

24.  Norges  Handel  og  Skibefart  i  aaret  1874. 
Den  norske  Brevpostens  Statistik  for  1872. 
Forklarioger  til  Statsregnskabet  for  1875. 
Statistique   internationale.    Navigation  maritime   et 

Jaugeage  des  navires.     Par  A.  N.  Klaer   et   T.  Sal- 
vesen.    Christiania  1876. 
Nature  393-96. 

(Fortsetzung  folgt). 


533 

iVach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


24.  August.  M  21.  1877. 

KöDisHclie  Gesellschaft  der  Wissenschafteo. 

Sitzuug  am  4.  August. 
(Fortsetzung). 

Die  Spaltung   einer    Sprache    in    meh- 
rere lautverschiedene  Sprachen. 

Von 

Theodor  Benfey. 

Diese ,  für  die  Abhandlungen  der  Kön.  Ges- 
bestimmte,  Arbeit  wird,  wie  die  anderen  noch 
rückständigen,  welche  bestimmt  sind,  die  Gram- 
matik der  vedischeu  Sprache  zu  ergänzen  ,  erst 
nach  Vollendung  derselben  veröffentlicht  werden. 
Doch  scheint  es  mir  noth wendig,  den  Inhalt 
und  Gedankengang  derselben  in  Folgendem  kurz 
anzudeuten,  da  sie  auf  die  Darstellung  der  Laut- 
umwandlungen in  der  Grammatik  von  Einfluß 
ist.  Die  Durchführung  so  wie  die  umfassen- 
deren Belege  muß  ich  dagegen  für  die  spätere 
Yeröffentlichung  aufsparen. 

§.  1.  Die  Lautumwandlungen,  welche  uns 
in  Sprachen,  die  sich  aus  einer  Grundsprache 
durch  Spaltung  derselben  entwickelt  haben,  ent- 
gegen treten,  zerfallen  zunächst  in  zwei  Eaupt- 
classen : 

48 


534 


1.  die  eine  umfaßt  diejenigen,  welche  zu  Be- 
jTriffsbestimmunffen   dienen.     Der    Art   ist  z.  r». 
S    demSanskril  eigne,  in  der  Indogemams  Jen 
Grnndsprache    aller    noch   m  keinem   Beispiele 
nacÄbare,  Umwandlnng  von  i  ---^^J.^^Jl 
%.  B.  die  des  %  in  inira,  N.  ppr.,  zu  m  in  am 
drä    adi.  .dem  Indra  angehörig.;  des  ersten  u 
T'PuZütsa,  N.  ppr.,  zu  au  in  Paurul■uts^  und 
Vaurulmtsvä  (so  zu   sprechen  itv.   V.  öo,  0,  ud 
g^en  Ä^^  Vifl    19    36),  Patrony-cum 

»chkomme  des  Purukutsa«.  Denn  m  allen 
anaWen  Fällen  ist  absolut  kein  rem  lautlicher 
Ä  zu  erkennen  oder  nachzuweisen  wekher 
diese  Umwandlung  zu  erklaren  im  Stande  wäre. 
Da  aber  analoge  Umwandlungen  im  Sanskrit - 

vorwaltend  dem  späteren  -  -  «t'ZbTndung 
len  —  und    zwar    speciell    auch  m  A'erbindung 

'Z   analogen  begriäichen  ^-^-^^^T^^^r- 
Basis  -  vorkommen,  so  darf  mit  hoher  VVanr 
scheinlichkeit  angenommen  werden    daß  sie  ein 
Element  sind,  welches  zur  Umwandlung  der  J3e 
dputuns  der  Basis  mitwirkend  war; 

2   fn  solche,  welche  sich  aus  rem  lauthchen 

Yerhältnissen  erklären     pi«^^,!^;^^7;^^.J?flile; 
bindung-  mit    so  verschiedenartigen  begnttt  cnen 
Umwandlungen  vor,  daß  es  kemem  Zweifel  un- 
teZrfen  werden  kann,   daß  sie  von  der  etwa - 
gen  Begriffsdifferenz    ganz   unabhängig  und  nur 
durch   lautliche    Einflüsse    entstanden  sind.     So 
.    R    pSt  sich    in  dem  arischen  taras ,  qner- 
^be";  ?ür^?;do^germanisches  tarans  (vg^ai^inisdi 
trans),  die  Einbuße  des  n  vor  s  duicti  eine  dc 
Xhlliche  Anzahl  von  Analogien  und  diese  Ab- 
^oriition  —  um    uns    so    auszudrucken  --  eine. 
Ärgehenden  Nasals  durch  em  nachfolgeiid  . 
«  erscheint  in   so    vielen    begrifflich   ganz   Ter 
schiedeneu  Fällen,  daß  man   unbedenklich  be- 


535 

hanpten  —  und  wenn  es  bestritten  werden 
sollte,  beweisen  —  kann,  daß  sie,  von  jedem  be- 
grifflichen Einfluß  unabhängig,  —  wie  sieh  ja 
für  diesen  einzelnen  Fall  schon  daraus  ergiebt, 
daß  arisch  taras  völlig  dieselbe  Bedeutung  be- 
hält wie  indogermanisch  tarans  —  als  ein  rein 
phonetischer  Vorgang  zu  betrachten  ist.  Das 
arische  taras  wird  nun  im  Sanskrit  zu  tirds  und 
auch  hier  kann  man  durch  eine  Fülle  von  Analogien 
beweisen,  daß  dieser  Uebergang  des  ersten  a  in  i 
—  wie  wiederum  in  diesem  Fall  schon  dadurch 
klar  ist,  daß  tirds  dieselbe  Bedeutung  hat,  wie 
arisch  taras  —  nicht  durch  irgend  einen  begriff- 
lichen Einfluß ,  sondern  einzig  durch  den  des 
Accents  auf  der  folgenden  Silbe  herbeigeführt 
ist;  denn  die  Silbe,  welche  einer  accentuirteu 
vorhergeht,  ist  die  schwächste  im  Wort  und  in 
Folge  davon  mancherlei  Schwächangen  ausge- 
setzt. 

Freilich  hat  sich  durch  tiefer  eindringende 
Erforschung  der  in  den  Indogermanischen  Spra- 
chen eingetreteneu  Lautumwandlungen  nicht 
selten  ergeben,  daß  manche,  welche  man  früher 
der  ersten  Classe  zuschrieb,  in  Wirklichkeit  der 
zweiten  angehören ,  und  es  ist  demnach  keines- 
weges  unmöglich,  daß  auch  einige  von  denen, 
welche  man  jetzt  noch  zu  jener  Categoric  rech- 
net, einst  für  diese  in  Anspruch  zu  nehmen  sein 
werden.  Allein  so  lange  der  Beweis  dafür  noch 
nicht  erbracht  ist ,  sind  wir  —  alle  Umstände 
genau  erwogen  —  nicht  berechtigt,  sie  von  jener 
zu  trennen.  Dennoch  giebt  es  nicht  wenige  Er- 
scheinungen, welche  uns  daran  mahnen,  diese 
Möglichkeit  stets  im  Auge  zu  behalten  und  auf 
deren  Verwirklichung  gefaßt  zu  sein. 

So  giebt  es  z.  B.  Fälle ,  welche  auf  den  er- 
sten Anblick  —  zumal  vom  beschränkten  Stand- 

48* 


5^6 


punkt  einer  einzelnen  Sprache  ^us-  der  ersten 
Stegorie  anzugehören  scheinen  konnj,  hei  ge 
Bane?er  Einsicht  aber  --  zumal  vom  ^^^^^^''^^^ 
indogermanischen  Standpunkt  aus  "  f  X^^^! 
vpr^leichende    Verfahren    sich   als  rem  phoneti 

lautet  der  der  Feminina  auf  a,  *,  *,  w,  u  aoer 
iuf  ]/  t%r  möchte  man  glauben  daß  diese 
Differenz  'auf  der  Differenz  zwischen  Masc  und 
?  m  beruM,  also  der  ersten  Classe  beizu  ugen 
ir  Hier  läßt  sich  aber  leicht  zeigen  T  theüs 
Z  dem  Sanskrit  selbst  theils  ^-^h  ^^^/f^ 
aleichung      der    entsprechenden     Bildungen    im 

roÄtderCL  Toeale  herbeiführte  daß 
vornerge  ^        i^^^  Consonanten  — 

Z  «dehnl  hmortreteu,  da»n  bald  den  ge- 
wÄhen  sanskritischen  Auslautgeset.en  Re- 
Itß   der  "etrfe  Consonant,  das  s   schwand  (also 

ST  von  dem  nachfolgenden  s  absorbirt  ward  (also 

'^' £  tßf  sTch  "aber   nnn    an   nicht   wenigen 

phonetische  Umwandlungen   (wie   hier  n  una 


537 

für  ursprünglicheres  ns)  eine  Form  in  mehrere 
gespalten  hatten,  in  der  nachfolgenden  Zeit  eine 
dieser  Formen  sich  entweder  zur  allein  herr- 
schenden erhebt  und  die  übrigen  verdrängt,  oder 
wenn  mehrere,  wie  hier  zwei,  sich  erhalten,  sie 
von  der  Sprache  zu  grammatischen  oder  lexica- 
lischen  Unterscheidungen  benutzt  werden.  Für 
diese  Thatsache  bildet  die  hier  hervortretende 
Benutzung  des  auf  rein  phonetischem  Wege  ent- 
standenen Unterschieds  {n  und  s  für  ns)  zur 
Unterscheidung  des  Geschlechts  einiger  Nomi- 
nalcategorien  eines  der  vielen  Beispiele,  durch 
welche  sie  vollständig  erhärtet  zu  werden  vermag. 

Die  lautlichen  Umwandlungen  der  ersten  Ca- 
tegorie  nennen  wir  grammatische,  die  der 
zweiten  phonetische. 

§.  2.  Diese  zweite  Categorie  zerfällt  eben- 
falls in  zwei  Abtheilungen.  Die  eine  umfaßt 
diejenigen  phonetischen  Umwaudlungen ,  welche 
sich  durch  bestimmte ,  oder  specielle ,  in  dem 
Worte  oder  der  Wortverbindung,  in  welchen 
sie  vorkommen,  hervortretende  Erscheinungen 
oder  Einflüsse  erklären ;  so  z.  B.  erklärte  sich 
in  §.1.  das  i  für  a  in  tirds  durch  den  Einfluß 
des  Accents;  das  erste  n  in  hhinnä ,  gespalten, 
für  ursprüngliches  d  von  hhid  mit  Affix  na,  er- 
klärt sich  durch  den  assimilireuden  Einfluß  des 
folgenden  w;  das  g  für  ursprüngliches  h  in  ^ag- 
dhi,  2  Sing.  Imptv.  von  ^ak,  durch  den  theilweis 
assimilireuden  des  tönenden  Consouauten  dh  auf 
den  ursprünglich  vorhergegangeneu  dumpfen  (A'), 
wodurch  dieser  zu  dem  ihm  entsprechenden  tö- 
nenden (g)  wird  ;  im  Präsensthema  hodha  für  indo- 
germanisches hhaudJia,  vom  indogermanischen  Ver- 
bum  hhudh,  bewußt  werden  (  1)  seiner  selbst,  d.  i.  er- 
wachen; 2) eines  andern  Objects,  d.i.  erkennen),  er- 
klärt sich  die  Einbuße  der  Aspiration  in  dem  anlau- 


538 


tenden  hh  der   indogermanisclien  Form    aus  der 
Neigung  zur  Dissimilation,  hier  speciell  aus  der, 
iedoch  keinesweges  durchgreifenden     Abneigung 
des  Sskrits  zwei  aufeinander  folgende  Silben  mit 
Aspiraten  anlauten,  oder  überhaupt  Aspiratae  m 
kurzem  Zwischenraum    auf  einander    folgen    zu 
lassen.     Auf  derselben   Neigung    zur   Dissimila- 
tion beruht  auch   die  Widerspiegelung  desselben 
indogermanischen  &ÄaM(l/^a  im  griechischen  7i€t>^o, 
iedoch  mit  dem  Unterschiede,  daß  m  Folge  des 
m  Griechischen  vielfach,  aber  nichts  wemger  als 
immer,  eingetretenen  üebergangs  der  mdogerma- 
nTsThei  töLnden  Aspiratae  in  dumpfe  das  indo- 
germanische   bh,  nach  Einbuße  der   Aspiration 
Lht,  wie  imSskrit  durch  &,  sondern  durch  die 
dumpfe  Nichtaspirata  n  widergespiegelt  wnd. 

Durchgreifend  hat  sich  diese  Abneigung  gel- 
tend gemacht  in  der  Bildung  reduphcirter  Yer- 
balformen,  daher  z.  B.  das  durch  Reduplication 
gebüdete  Präsensthema  von  Ä,, indogermanisch 
&M,  imSskrit  durch  Ä  im  fnecYnscLeu 
durch  u^f]  widergespiegelt  wird.  Im  Veda  er 
leidet  sie  eine  Beschränkung,  wenn  die  Redupli- 
cation zweisilbig  ist,  z.B.  von  hhar  im  Frequen- 
i^Tuari-hhaA  doch  erscheint  sie  auch  hier  n 
pampMn   von  pJian  und   im  spateren  Ssknt  m 

dam-dJwams  von  dJwams.  .  hpruht 

Auf  der  Neigung  zur  Dissimilation  berulit 
ini  Sanskrit  auch  die  Verwandlung  von  Guttu- 
ralen in  Palatale  in  reduplicirten  Verbalformen. 
So  z  B  entspricht  dem  Thema  des  reduplicirten 
Pertcfvon  L.  -achen ,  welches  indoger^^^^^^ 
Micar  lautete,  imSskrit  caTcar  mit Palatalisiruug 
d  sGutturai;  in  der  ßediiplicationssibe ,  ^u^^^^^ 
dieses  Verfahren  ist  ^^  Sanskrit  allein  herr 
sehend;  es  giebt  zwar  emige  wenige  ^f^^  ^"^ 
denen  die  Dissimilation  auf  den  ersten  Anblick 


539 

nicht  die  Reduplicationssilbe  sondern  die  Stamm- 
silbe ergriffen  zu  haben  scheint;  allein  dies  ist 
nur  täuschender  Schein,  welcher  verschwindet, 
sobald  man  auf  die  indogermanische  Form  zu- 
rückgeht; so  lautet  im  Sskr.  das  Thema  des  Pf. 
red.  von  ji  'siegen'  nicht  jiji ,  sondern  ji^i,  so 
daß  man  auf  den  ersten  Anblick  meinen  könnte, 
hier  habe  der  Dissimilationstrieb  das  zweite  j 
—  das  der  Stammsilbe  —  in  ^  verwandelt,  also 
gegen  alle  Analogie  einen  Palatal  in  einen  Gut- 
tural :  gegen  alle  Analogie;  denn  alle  die 
Fälle,  in  denen  man  eine  Analogie  erblicken  zu 
dürfen  glauben  könnte,  erweisen  sich  ebenfalls 
gleich  wie  dieser  als  trügerischer  Schein.  Abge- 
sehen von  andern  Gründen,  deren  Anführung 
nnnöthig,  ergiebt  sich  die  Vermuthung,  daß  g 
für  j  eingetreten  sei,  schon  dadurch  als  irrig, 
daß  die  indogermanische  Form  dieses  Verbums 
gerade  gi  lautete.  Dessen  reduplicirtes  Thema 
lautete  also  gigi  und  im  sskr.  Reflex  jigi  ist 
also  ebenfalls  das  g  der  Reduplicationssilbe  pa- 
latalisirt,  während  in  der  Stammsilbe  der 
Guttural  der  Grundsprache  bewahrt  ist. 

Auch  diese  Dissimilation  ist  vorwaltend  auf 
die  Fälle  beschränkt,  in  denen  die  Reduplication 
nur  eine  Silbe  bildet;  so  ist  in  dem  vedischen 
Intensiv  von  Jcrand  mit  zweisilbiger  Reduplication, 
Jcani-Jcrand,  der  Guttural  auch  in  der , Redupli- 
cationssilbe bewahrt;  von //awj  ebenso  ^a;?* -«7a?«;  al- 
lein auch  hier  finden  wir  —  ähnlich  wie  oben 
bei  dem  vedischen  panlphan  und  nicht- vedischen 
damdkvams  —  in  einem  Fall,  cayii-sliJiand  von 
sJcand,  die  Dissimilation  auch  im  Veda  in  zwei- 
silbiger Reduplication  durchgedrungen. 

Diese  und  alle  aus  dem  speciellen  Lautcomplex 
erklärbare  rein  phonetische  Lautumwandlungen 
mögen    wir  von  den  im  folgenden  §.   anzumer- 


540 


kenden   durcli    die    Bezeichumig :     unselbst- 
ständiffe  untersdieiden.  ^       ^ 

8    3      Es  giebt   iiämlicli  ferner  eine  überaus 
große  Anzahl   von   rein  phonetischen  Umwand- 
lungen,   welche  sich  von  den  im  vorigen  §.  be- 
sprochenen unterscheiden  und  zu  ihnen  m  einen 
Gegensatz  treten  dadurch,   daß  m  dem  Laut- 
complex,    in   welchem    sie    auftreten     kein  spe- 
cieller  Grund  für   die  eingetretene  Umwandlung 
zu  erkennen  ist.     So  wird  z.  B    indogermanisch 
Imr    mit   der   Bedeutung   'thun'  im  Sanskrit  m 
derselben   Lautform,    speciell   mit   Ä;,    bewahrt, 
während  das  gleichlautende  indogermamsche  Ur 
mit  der  Bedeutung  'gehen,  laufen'  im  Sskrit  mit 
Palatalisirung    des    1^  zu  car    geworden   ist.     In 
ähnlicher  Weise  bleibt  indogermanisches  ^r  auch 
im  Sanskrit  in  gar  'schlingen',    während   es   m 
indogerm.  gar  'altern'   palatalisirt  wird  und  das 
entsprechende  sanskritische  Verbum^ar  lautet. 

Freilich  treten   auch  bei   den  im  vorigen  b. 
besprochenen  Umwandlungen  Fälle    genug    auf, 
in  denen  auf  den  ersten  Anbhck  ähnliche  Dun- 
kelheiten herrschen,  allein  -  obgleich  es  nicht 
möglich  ist,  hier  näher  auf  sie  einzugehen  --  es 
wird  dieß  in  den  Abhandlungen  über  die  Laut- 
lehre versucht   werden  -  so  darf  ich  mir  doch 
erlauben    zu    bemerken,    daß    ich    die   Hoffnung 
hege,  sie  so  aufzuhellen,   daß  man  erkennt    daß 
Bie  aus  jener  Classe  nicht  zu  entfernen  sind;  so 
z    B    kann  es  auffallen,    daß   wahrend   ä  vor  n 
fast  stets  zu  n  wird,  es  sich  in  uäna   udnas  unver- 
ändert erhält.    Die  Abweichung  erklart  sich  aber 
dadurch;    daß  ?«?««,   uänäs   bekanntlich   für  ur- 
sprüngliches udäna,  uddnas  stehen  und  die  }hm- 
husse  des  a  in  der  Vedenzeit  noch  so  wenig  durch- 
gedrungen war,  daß  es  m  vf  e;j I^^^^^^"'  i?^^:J?" 
is  im   überlieferten  Texte  fehlt  (z.  B.  Rv.  VU, 


541 

86, 5  in  damno),  wieder  herznstellen  (hier  dSmanO 
zu  lesen)  ist.  Die  Einbuße  war  noch  in  der 
vedisehen  Zeit  arbiträr  und  demgemäß  mußte  sich, 
im  Sprachbewußtsein  das  Gefühl  erhalten,  daß 
hier  d  dem  n  eigentlich  nicht  unmittelbar  vor- 
hergehe und  die  Assimilation  hindern;  es  ist 
sogar  nicht  unmöglich,  daß  der  Vocal  sich  in  der 
Aussprache  in  jener  Schwächung  erhalten  hatte, 
welche,  von  den  Indern  svarabhakti  genannt,  der 
Regel  nach  zwar  keine  Trennung  einer  Conso- 
nantengruppe  herbeiführen  soll,  aber  doch  oft 
herbeizuführen  vermochte,  zumal  wo  wie  hier 
nicht  eine  Einschiebung,  sondern  die  Schwächung 
eines,  ursprünglich  vollen,  Vocals  Statt  gefunden 
hatte. 

Gegen  die  im  ersten  §.  gegebene  Erklärung 
der  Umwandlung  des  ursprünglichen  a  zn  i  in 
tirds  kann  man  einwenden,  daß  Fälle  in  Menge 
vorkommen,  in  denen  «  in  i  übergegangen  ist, 
ohne  daß  die  folgende  Silbe  accentuirt  erscheint, 
in  denen  vielmehr  das  i  selbst  den  Accent  trägt; 
so  z.  B.  kommt  von  demselben  Yerbum  tar,  von 
welchem  tircis  abstammt,  pra-tiram,  vi-tire,  indo- 
germanisch Jcaras  =  arisch  ^aras^  ist  im  Sskrit 
pras  geworden,  trotzdem  daß  in  allen  drei 
Fällen  der  Accent  auf  .dem  i  erscheint. 

Die  eingehende  Erörterung  dieser  und  ähn- 
licher Fälle  muß  auf  die  Abhandlungen  ver- 
schoben werden ;  hier  muß  ich  mich  darauf  be- 
schränken, zu  bemerken,  daß  sie  sich  durch  die 
Geschichte  des  Accents  in  den  Indogermanischen 
Sprachen  erklären  werden,  welche  in  einer  der 
Abhandlungen  zur  vedisehen  Lautlehre  ein- 
gehend erörtert  werden  wird. 

Andrerseits  kann  man  gegen  diese  categorische 
Unterscheidung  der  rein  phonetischen  Lautum- 
wandlung in  zwei  Classen  einwenden,  daß  Ver- 


542 

suche  gemacht  sind,  auch  die  hieher  gehörigen 
Uebergänge  aus  dem  Lautcomplexe  zu  erklären. 
So  hat  man  angenommen,  daß  die  Palatalisirung 
der  Gutturale  dadurch  entstanden  sei,  daß  sich 
zunächst  ein  schmarotzirendes  i  oder  j  hinter 
ihnen  geltend  gemacht  und  dann  in  sie  eindrin- 
gend sie  in  Palatale  verwandelt  habe. 

Ich  bin  weit  entfernt  diese  Erklärung,  welche 
in  vielen  Sprachen  unzweifelhaft  eingetreten  ist 
(vgl.  z.  B.  lateinisch  coelum,  gesprochen  lioelum^ 
italiänisch  cielo  mit  i  und  gesprochen  tschelo), 
für  unwahrscheinlich  zu  halten;  allein  dadurch 
wird  die  eigentliche  Erklärung  nur  zurück- 
geschoben ;  denn  es  entsteht  nun  die  Frage,  wie 
ist  es  zu  erklären,  daß  dieser  Eintritt  von  i  oder 
j  bei  kar  'gehen'  Statt  fand,  bei  Jcar  'machen' 
aber  unterblieb;  denn  in  dem  ursprünglich  ganz 
gleichen  Lautcomplex  ist  wenigstens  auf  dem 
jetzigen  Standpunkt  der  Wissenschaft  kein  spe- 
cieller  Grund  für  diese  Differenz  zu  erkennen. 

Ich  glaube  demnach,  daß  wir  für  jetzt  be- 
rechtigt sind,  diesen  Unterschied  aufzustellen  und 
werde  die  Lautumwandlungen  dieser  zweiten 
Categorie  im  Gegensatz  zu  denen  der  ersten  als 
selbstständige  bezeichnen. 

§.  4.  Die  hieher  gehörigen  Lautumwand- 
lungen fallen  weniger  durch  die  mehrfach  starke 
Verschiedenheit  der  sich  vertretenden  Laute  auf  — 
z.  B.  häufig  sanskritisch  c  für  indogermanisches 
7c,  zendisches  0  für  indogermanisches  gh  —  als 
durch  den  Wechsel  überhaupt,  am  meisten  durch 
die  gewöhnlich  sehr  weit  reichende,  bisweilen 
fast  durchgreifende  Regelmäßigkeit  desselben 
z.  B.  in  der  germanischen  sogenannten  Laut- 
verschiebung. 

§.  5.     Die  Erklärung  dieses  —   des  selbst- 
ständigou  —  Lautwechsels  bildet  —  da  die  des 


643 

nnselbststäncligen ,  mit  vielleicht  wenigen  Ans- 
aahmen,  keine  besondere  Schwierigkeit  darbietet, 
—  den  schwierigsten  Theil  der  Untersuchung, 
w^elche  in  der  oben  rubricirten  Abhandlung  zu 
verfolgen  sein  wird,  und  hier  drängt  sich  uns 
3ie  üeberzeugung  entgegen,  daß  die  Frage,  wie 
is  zugeht  oder  zugegangen  ist,  daß  eine  einheit- 
iiche  Sprache  sich  in  lautverschiedne  spaltet, 
flicht  vollständig  gelöst  zu  werden  vermag,  wenn 
Qiau  eine  Grundlage  für  die  Lösung  nicht  da- 
iurch  erlangt,  daß  man  zuerst  sich  klar  zu 
DQachen  sucht,  wie  eine  einheitliche  Sprache  zu 
Staude  kömmt. 

§.  5.  Wer  je  seine  besondere  Aufmerksam- 
keit auf  den  Ton  der  Sprache  in  seiner  Um- 
gebung und  den  näheren  und  weiteren  Kreisen, 
in  denen  er  sich  bewegt,  gerichtet  und  sich  so 
weit  von  den  so  häufigen  Täuschungen  der  Sinne 
durch  den  Verstand  befreit  hat,  daß  er  die  Laute 
äer  Wörter  an  und  für  sich  hört,  d.  h.  völlig 
unabhängig  von  der  Bedeutung,  welche  die 
Wörter,  in  denen  sie  vorkommen,  haben,  hat 
schwerlich  umhin  gekonnt,  sich  zu  überzeugen, 
laß  kein,  oder  wenigstens  fast  kein  einziger  der 
Menschen,  auf  welche  er  seine  Beobachtung  aus- 
gedehnt hat,  wie  der  andre  spricht.  Er  erkennt, 
daß  die  Annahme  einer  vollständigen  Ueberein- 
itimmung  in  der  Aussprache  auf  einer  Sinnen- 
itäuschung  beruht;  man  meint,  daß  die  Wörter, 
welche  mau  in  dem  Sinne  versteht,  den  man 
iselbst  mit  ihnen  verbindet,  auch  eben  so  aus- 
gesprochen seien ,  wie  man  sie  ausspricht  — 
oder  genauer:  wie  man  sich  einbildet  sie 
auszusprechen:  denn  diejenigen,  welche  gelernt 
haben  orthographisch  —  d.  h.  gewissen,  theils 
anbewußt  entwickelten  und  durch  Gebrauch  ein- 
jgebürgerten,  theils  mit  Bewußtsein  aufgestellten 


544 


und  zu  mehr   oder  weniger  allgemeiner  Gültig- 
keit gelangten  —  Regeln   gemäß  zu   sclireiben, 
glauben,    oder    geben    sich    auch    Mühe,    dieser 
herrschenden  Orthographie   gemäß   zu  sprechen. 
Daß  aber  nicht  selten,  ja  fast  gewöhnlich  dieser 
Glaube  ein  irriger  und  diese  Mühe  eine  yergeb- : 
liehe  ist,    davon  kann    man   sich    ebenlalls    mit 
Leichtigkeit   überzeugen ,    wenn  man    seine  Aut- 
merksamkeit  nur    auf  die   Lautbildung   richtet, 
wie  sie    selbst  in   naher  Umgebung    hervortritt. 
Den  Hauptbeweis  für  die  verhältnißmäßig  großen 
Differenzen,  welche  in  dieser  Beziehung  herrschen, 
liefern  aber   Briefe   und  andere   schnttliche  Ab- 
fassungen sonst  gebildeter  Menschen,  so  wie  ver- 
ständiger   ungebildeter,    welche    nicht   m    der 
Jugend     orthographisch    zu    schreiben     gelernt 
haben  und  im  Allgemeinen  wirklich  so  schreiben, 
wie    sie    sprechen.      In    Deutschland   sind   der- 
artige, für  die  Lautlehre  höchst  wichtige,  Docu- 
mente   immer   seltener    geworden, _  da    hier   die 
Kunst  orthographisch  zu  schreiben  m  sehr  weiten 
Kreisen    verbreitet   ist;    doch   liefern   die  J^ran- 
zosen  und  andere  Völker,  bei  denen  der  Jugeiid- 
unterricht  mehr   oder  weniger   weit  hinter   dem 
bei   uns    herrschenden    zurücksteht,    noch   eine 
nicht    geringe    Anzahl    von  Documenten    dieser 
Art     deren  Benutzung  neben   dem  btudium  det 
Geschichte   der   Orthographie    bei   den  jerschie- 
denen  Völkern  denen,  welche  sich  mit  der  Laut- 
lehre    zur    Erlangung     sprachwissenschalthchei 
Resultate    beschäftigen,    nicht  warm  genug  em 
pfohlen  werden  kann.     Denn  die  m  bestimintei 
Zeiten    oder     überhaupt    zur    Geltung    gelaugte 
Orthographie    einer  Sprache  lehrt  uns  nur   dai 
Gröbste    in    Bezug    auf   die    Pronunciation   de. 
Laute  und  dieses   reicht  für   emdringeude  lingu 
istische    Forschungen   selten    aus,    wahrend   di 


545 

feineren  Nuancen,  wie  sie  uns  in  den  unortho- 
graphischen  Erzeugnissen  der  Schrift  entgegen- 
treten, nicht  selten  geeignet  sind,  über  Laut- 
umwandlungen und  -Vertretungen  Aufklärungen 
anzubahnen,  welche  wir  sonst  nicht  zu  erlangen 
vermögen. 

Durch  diese,  im  Verein  mit  sorgfältiger  Be- 
obachtung lebendiger  Sprachen  an  allen  uns  zu- 
gänglichen Personen  und  Kreisen  —  eigener 
und  fremder  Nationalität  —  tritt  uns  eine  so 
große  Verschiedenheit  der  Sprachlaute,  welche 
man  nur  zu  geneigt  ist  für  identisch  zu  halten, 
entgegen,  daß  man  nicht  selten  sich  weniger 
darüber  wnudert,  daß  die  Menschen  sich  oft  ein- 
ander mißverstehen,  als  darüber,  daß  sie  in  der 
Regel  sich  zu  verstehen  im  Stande  sind.  Daß 
das  Letztere  der  Fall  ist,  erklärt  sich  wesent- 
jlich  durch  die  blitzschnelle  Thätigkeit  des  Ver- 
standes, welcher,  wo  er  die  Mittel  hat,  alles  das- 
jenige, was  ihm  die  Sinne  —  bei  der  Sprache, 
Gehör  und  Gesicht  —  nicht  liefern,  aus  sich 
selbst  ergänzt.  Dies  ergiebt  sich  insbesondere 
durch  zwei  Momente,  welche  nur  angedeutet  zu 
werden  brauchen,  da  sie  wohl  Niemand  ent- 
gangen sein  werden,  welcher  lebendiges  Sprechen 
'und  Verstehen  je  mit  Aufmerksamkeit  ver- 
;  folgt  hat. 

j  Das  eine  dieser  Momente  bildet  die  Erfahrung, 
daß  unbekannte  Namen  so  überaus  häufig  nicht 
verstanden  werden.  Der  Verstand  ist  hier  außer 
Staude  das,  was  ihm  das  Gehör  nicht  deutlich 
zur  Kenntniß  gebracht  hat,  zu  ergänzen.  Das 
i  zweite  Moment  bildet  die  Erfahrung,  daß  nicht 
selten  selbst  begriffliche  Wörter,  welche  dem 
j Verstände  ganz  geläufig  sind,  mißverstanden 
werden.  Richtet  man  nun  seine  Aufmerksamkeit 
auf  den  Grund    derartiger  Mißverständnisse,    so 


646  I 

ergiebt  sicli  in  den  meisten  Fällen  —  ich  glaube ' 
bemerkt  zu  haben:  fast  in  allen  —  daß  das 
mißverstandene  Wort  dieselben  oder  ähnliche 
Vocale  enthält,  wie  das  irrig  für  dieselbe  sub- 
stituirte.  Der  Grund  ist,  weil  bekanntlich  die 
Vocale  viel  lauter  tönen,  als  die  Geräusche,-: 
welche  man  Consonanten  nennt ;  diese  tönen  zum 
Theil  so  schwach,  daß  schon  ein  feines  Ohr  dazu 
gehört,  sie  mit  voller  Schärfe  zu  erfassen.  Ist 
nun  der  Zusammenhang,  in  welchem  das  frag- 
liche Wort  erscheint,  der  Art,  daß  sich  die 
richtige  Ergänzung  nicht  mit  logischer  Noth- 
wendigkeit  ergiebt,  daß  eine  andere  dieselben 
Vocale  enthaltende  mehr  oder  weniger  eben  so 
gut  möglich  ist  oder  scheint,  dann  wird  der 
Verstand  leicht  zu  der  letzteren  gelenkt. 

Doch  dieß  nur  beiläufig!  Die  Richtigkeit 
der  Bemerkung,  daß  fast  jeder  Mensch  anders 
spricht,  erhält  eine  schlagende  Bestätigung  durch 
die  bekannte  Thatsache,  daß  die  Sprache  eines 
der  Hauptmittel  ist,  Menschen  wieder  zu  er- 
kennen, welche  man  Jahre  —  ja  viele  Jahre  — 
lang  nicht  wieder  gesehen  hat,  deren  Aeußc 
in  der  Zwischenzeit  sich  bis  zu  vollständiger  l  u- 
kenntlichkeit  verändert  hat;  trotzdem  erkennt 
man  sie  nicht  selten  augenblicklich,  so  wie  sie 
—  wie  man  zu  sagen  pflegt  —  nur  den  Mund 
aufthun.  Diese  so  ohrenfällige  Eigenthiimlichkeit 
beruht  aber  keinesweges  bloß  auf  der  Klangfarbe 
der  Rede,  sondern  auch  —  und  vorzugsweise  — 
auf  Besonderheiten  der  Pronunciation,  der  Ln 
bildung,  z.  B.  Anstoßen  der  Zunge,  Lispeln  i,  ■ 
unzähligen  anderen  Differenzen,  welche,  oft  uii 
Einzelnen  minimal,  durch  die  im  Zusammenhang 
eintretende  Vervielfältigung,  der  Sprache  ihre 
so  ausgeprägte  Individualität  verleihen. 

§.   6.     Diese   Erfahrung    machen    wir   aber 


547 

nicht  bloß  mit  Individuen,  sondern  durch  alle 
naturgemäße  Menschencomplexe  hindurch,  von 
den  kleinsten  bis  zu  den  größten;  freilich  wird 
sie  dadurch  bedingt  sein,  daß  Gehör  und  Ge- 
dächtniß  nicht  zu  schwach  seien ;  doch  haben 
mich  meine  Erfahrungen  überzeugt,  daß  weder 
ein  sehr  feines  Gehör  noch  ein  sehr  starkes  Ge- 
dächtniß  für  Gehörtes  dazu  nothwendig  ist. 

So  machen  wir  die  Erfahrung,  daß  nicht 
selten  Mitglieder  einer  Familie  in  der  Sprache 
eine  so  große  Aehulichkeit  mit  einander  haben, 
daß  wir  ein  uns  bis  dahin  unbekanntes  mit  einem 
bekannten  verwechseln,  oder  an  seiner  Stimme 
erkennen,  daß  es  zu  einer  uns  bekannten  Familie 
gehört;  ebenso  erkennen  wir  an  der  Sprache 
nicht  selten,  daß  Jemand  einem  Orte  angehöre, 
dessen  eigenthümliche  Aussprache  uns  bekannt 
ist;  eben  so  geht  es  uns  mit  Angehörigen  von 
Provinzen.  Anerkannt  ist  ferner  die  Thatsache, 
daß  man,  wenn  man  nur  wenige  Mitglieder  eines 
fremden  Volkes,  dessen  Sprache  man  nicht  ein- 
mal versteht,  gehört  hat,  man  im  Stande  ist, 
andre  bloß  an  dem  Klang  und  den  Lauten  der 
Sprache   als   deren  Volksgenossen  zu   erkennen. 

§.  7.  Es  erheben  sich  hier  nun  zwei  Fragen, 
1)  worauf  beruht  die  lautliche  Differenz  der  In- 
dividuen ;  2)  wie  so  entsteht  trotzdem  jene  größ- 
ere oder  geringere  Gleichheit  in  den  natur- 
gemäß zusammengehörigen  Menschencomplexen. 

Was  die  erste  Frage  betrifft,  so  führt  die 
Thatsache  der  Verschiedenheit  einerseits  und  an- 
drerseits die  Gewißheit,  daß  die  Organe,  durch 
welche  die  Bildung  und  Aeßerung  der  Laute 
zu  Stande  kommt  —  abgesehen  von  patho- 
logischen Differenzen,  welche  wir  hier,  als  Aus- 
nahme von  der  Regel,  unberücksichtigt  lassen 
dürfen  —    im  Allgemeinen    bei  allen    gesunden 


548 

Menschen  identisch  sind  -  mit  Nothwendigkeit 
za   dem  Schluß,    oder    der  Annahme,    daß  diese 
Uebereinstimmung  im  großen  Ganzen  Differenzen 
im  Einzelnen    —    und  zwar  sowohl  im  mu  als 
in  der  Wirksamkeit  und  Benutzung  jener  Organe 
__   keineswegs    ausschließt.      Und    auch    dieser 
Schluß    findet    durch     anerkannte     iüatsacnen 
mehrfach   seine    Bestätigung.      Ob    die    inneren 
Organe,    welche    zur  Aeußerung    der  Laute  mit- 
wirken, die  Respirationsorgane,  Differenzen  dar- 
bieten,   wage  ich  -  der  Anatomie  und  Physio- 
logie  inkundig  -  nicht  einmal  zu  fragen;    daß 
aber  bei  den   ins  Auge  fallenden  bedeutende  - 
für  die  Bildung   der  Laute    sehr  wesenthche  - 
Verschiedenheiten    eintreten,    ist    allgemein    be- 
kannt;    so  z.  B.    stehen  bei    den  Abiponen    die 
LippeA  so  weit  auseinander,  daß  sie  sie  nur  mit 
Zwang   schließen    können   und    m  Folge    davon 
keine  Lippenlaute  verwenden;    eben  so    ist  das 
Maaß   deV  Zunge    verschieden    und   die    größere 
oder  geringere  Länge    derselben  insbesondere  m 
Bezuf  auf    die  Aussprache    der   Zischlaute   von 
Einfluß.      In   der  Wirksamkeit    und    Benutzung 
der   Organe    kann    man    sehr    auffallende    Ver- 
schiedenheiten    durchweg    nachweisen;     so     die 
stärkere    Respiration     der    Bergbewohner ,     die 
schwächere  der  Thalbewohner     welche  die  Aus- 
sprache   überhaupt    und    insbesondere     die    dei 
Kehllaute  beeinflußt;  die  verschiedne  Benutzung 
der  Nasenhöhle,  wodurch  die  verschiedenartigen 
Nasale  entstehen;    die  nur    bei  eimgen  suda  n- 
canischen    Völkern    eintretende    Benutzung     des 
Schnalzens  der  Zunge  zur  Bildung  Jon  Woi  ern 
und    anderes    der    Art.      Es    kommt   1^  erjioch 
manches  andere   in  Betracht,    dessen    bloße  Ei- 
wähnung  wenig  nützen  könnte,  wahrend  eine  gt- 
rauere  Betrachtung  zu  vielen  Raum  m  Anspruch 


k 


nehmen    würde.    Bemerken  will  ich    daher  nur 
noch,    daß   die  Physiognomie    im    Ganzen    und 
Einzelnen  für  die  Bildung  der  Laute  von  großem 
Einfluß    ist.      Die    Richtigkeit   dieser   Annahme 
tritt  uns  insbesondere  entgegen,  wenn  wir  Men- 
schen, welche  das  Talent,    die  Sprache    anderer 
nachzuahmen,    in  hohem  Grade  besitzen,    davon 
Gebrauch  machen  sehen.     Ich  bemerkte,  daß  sie 
dann    zugleich    die    Physiognomie    der   nachge- 
ahmten vollständig    annahmen,   deren  Gebärden, 
ja  deren  ganzes  Wesen,  so  daß  man  diese  nicht 
bloß    zu  hören,    sondern  leibhaftig    vor    sich  zu 
sehen  glaubte.    Mit  der  Veränderung  der  äußeren 
Erscheinung  des  Gesichts    gehen    natürlich    ge- 
wisse Veränderungen  in  der  gegenseitigen  Lage 
der   zur   Hervorbringung    der    Laute    dienenden 
Organe  Hand  in  Hand ;    in  Folge  davon  wirken 
sie    durch  Kunst    und  Absicht    eine  Zeitlang  in 
ganz  gleicher  Weise  wie  bei  denen,  bei  welchen 
sie  von  Natur   diese  Lage   oder  Verschiedenheit 
haben,    dauernd.      Bei    manchen  Besonderheiten 
in  der  Pronunciation,    z.  B.    bei   der   näselnden, 
bedarf  es  nur  einer  partiellen  Veränderung  der 
Physiognomie,   welcher  in  diesem  Falle  eine  be- 
sondere Verschließung  der  Nasenhöhle  entspricht, 
§.  8.     Die   zweite  Frage:    wie  so  sieh,  trotz 
dieser   ursprünglichen  Verschiedenheit  bezüglich 
der  Hervorbringung  der  Laute  in  den  Individuen, 
dennoch  eine    größere  oder  geringere  Gleichheit 
derselben  in  den  naturgemäß  zusammengehörigen 
Menschencomplexen  geltend  macht,    erhält   ihre 
Beantwortung  durch  den  die  Menschheit  beherr- 
schenden   Trieb     der   An-    oder    Ausgleichung. 
Dieser  beruht  auf  dem  socialen  —  gesellschaft- 
lichen —  Character  derselben   {^(äov  nohitxöv), 
d.  h.  in  letzter  Instanz   auf  dem  Bedürfniß  ge- 
sellschaftlich   mit   einander   zu  leben.     Daß  die 

49 


550 

Mittel  dieses  BedürfniB  zu  befriedigen  zum  Theil 
andere  sind,  oder  anders  wirken  wie  die,  welche 
bei  denjenigen  Thierarten,  die  ebenfalls  gesell- 
schaftlich mit  einander  leben,  hervortreten,  be- 
ruht auf  demjenigen  Character  der  Menschheit, 
durch  welchen  sie  sich  vor  allen  Thieren  unter- 
scheidet: dem  geschichtlichen  (JCujovIötoqixöv). 
Durch  diesen  ist  sie  —  im  Gegensatz  zu  der  sich 
gleich  bleibenden  oder  höchstens  durch  äußere 
Umstände  veränderbaren  Entwickelung  der  Thiere 

—  auch  zu  einer  aus  ihr  selbst  —  ihrem  Inneren 

—  hervortretenden,  sich,  wenn  auch  nicht  immer 
zu  emporsteigenden  Stufen  erhebenden,  doch 
stets,  wenn  auch  bisweilen  kaum  oder  ganz  un- 
merklich, ändernden  Entwickelung  befähigt. 
Diese  Mittel  aufzuzählen  oder  genauer  zu  be- 
trachten würde  hier  zu  weit  führen.  Haupt- 
stellen nehmen  unter  ihnen  ein :  Vererbung,  dann 
Gewohnheit  und  nicht  am  wenigsten  der  Trieb 
nach  dem  Richtigen  und  Schönen,  Ausfluß  des 
Hauptcharacteristicums  der  Menschheit,  des 
Strebens  nach  Idealen.  Bezüglich  der  Sprache 
bildet  aber  das  wesentlichste  Mittel,  die  —  wenn 
auch  in  größerem  oder  geringerem  Maaße  — 
fast  allgemein  verbreitete  Fähigkeit  jede,  auch 
die  fremdartigste  Sprache  sich  in  einem  dem 
gesellschaftlichen  Bedürfniß  genügenden  Grade 
anzueignen,  speciell  die  fremdartigsten  Laute  — 
freilich  je  nach  deren  Schwierigkeit  für  die  an- 
gebornen  Pronunciationsorgane  und  der  ver- 
schiedenartigen Anlage  zur  Nachbildung  fremder 
Laute  mehr  oder  weniger  gut  oder  richtig  — 
nachzubilden. 

§.  9.  Stellen  wir  uns  nun  den  kleinsten 
naturgemäßen  Menschencomplex ,  die  Familie, 
vor,  so  dürfen  wir  annehmen,  daß,  selbst  wenn 
durch  die   geringere    oder  größere  Verschieden- 


551 

heit  der  Pronunciationsorgane  eine  Verschieden- 
heit der  ProDnnciation  den  Kindern  angeboren 
war,  doch  durch  die  Gewohnheit  des  Zusammen- 
lebens diese  Verschiedenheit  —  unter  Beihülfe 
der  auch  nnbewußt  wirkenden  Fähigkeit  selbst 
bei  verschiednen  Pronunciationsorganen  gleiche 
Laute  hervorzubringen  und  andrer  Momente  — 
ganz  oder  fast  ganz  ihren  Einfluß  auf  die  Pro- 
nunciation  verliert  und  sich  ein  wesentlich  ge- 
meinsamer Prouunciationstypus  bildet,  welcher 
nns  in  so  unendlich  vielen  Fällen  als  der  einer 
Familie  besonders  eigenthümliche  entgegen  tritt. 

In  ähnlicher  Weise  gleichen  sich  verschiedene 
Familientypen  durch  die  Gewohnheit  des  ge- 
selligen Zusammenlebens  in  bestimmten  Oertlich- 
keiten  zu  einem  gemeinsamen  Typus  von  größerem 
Complex  —  zu  einer  Ortssprache  —  aus;  Orts- 
sprachen zu  dem  einer  provinzialen ,  Provinz- 
sprachen endlich  zu  einer  einheitlichen  Volks- 
sprache. 

Bei  allen  diesen  Bildungen  sind  aber  die 
in  der  Menschheit  mächtig  waltenden  Triebe, 
daß  ihre  Schöpfungen  richtig  und  schön  sein 
vom  größten  Einfluß.  Daß  sie  nichts  absolutes 
zu  gestalten  vermögen,  zeigt  die  Veränderlich- 
keit der  menschlichen  Schöpfungen;  allein  in 
den  Gestaltungen,  an  welche  wir  einen  umfas- 
senden Maaßstab  zu  legen  vermögen:  einen 
ethischen  oder  intellectuellen,  wie  an  Religion, 
Recht,  Staat,  Wissenschaft,  Kunst,  zeigt  sich, 
daß  sie  das  unter  bestimmten  Cultur-,  oder  über- 
haupt socialen  Zuständen  einzig  richtige  oder 
einzig  mögliche  und  schöne  waren.  Wir  sind 
daher  wohl  berechtigt,  nach  diesen  Analogien 
auch  in  Bezug  auf  Sprachen  anzunehmen,  daß 
was  in    bestimmten  Zeiten   in  ihnen  für  richtig 

49* 


552 

und  schön  galt,  ebenfalls  das  unter  diesen  Um- 
ständen einzig  mögliche  Ergebniß  dieser  Triebe 
war. 

Diese  Triebe  sind  auf  das  Allgemeine  — 
einem  Menschencomplexe  Gemeinsame  —  ge- 
richtet ;  der  größere  *€omplex  ist  in  Folge  davon 
maaßgebeud  für  die  in  ihm  enthaltenen  kleineren. 
Was  für  die  Volkssprache  als  richtig  und  schön 
anerkannt  ist,  dem  unterwirft  sich  auch  —  mit, 
oder,  häufiger  noch,  ohne  Bewußtsein  —  jedes 
Mitglied  der  kleineren  Complexe,  welches  das 
Bedürfniß  fühlt  in  den  das  ganze  Volk  umfas- 
senden Kreis  zu  treten,  welcher  durch  das  mäch- 
ligste  gemeinsame  Band ,  das  der  Sprache,  zu- 
sammengehalten wird.  Specielle  Richtungen, 
welche  in  den  kleineren  Complexen ,  im  Gegen- 
satz zu  den  allgemein  für  richtig  oder  schön 
geltenden,  hervortreten,  werden  als  Fehler  ge- 
brandmarkt und,  wo  sie  nicht  durch  den  gesel- 
ligen Verkehr,  oder  andre  Einwirkung  derer, 
welche  als  Vertreter  des  allgemein  als  recht  und 
schön  anerkannten  gelten,  von  selbst  weichen,  wer- 
den sie  mit  Absicht  vermieden  und  gegen  das  all- 
gemein gültige  vertauscht.  In  einfachen  Ver- 
hältnissen —  in  denen  noch  keine  Schrift  vor- 
handen war  —  werden  als  solche  Vertreter  Dich- 
ter, Redner  und  überhaupt  diejenigen  betrachtet 
sein,  welche  die  Gabe  besaßen,  auf  andre  durch 
entscheidende,  ergreifende,  oder  überhaupt  zweck- 
mäßige Benutzung  des  Wortes  zu  wirken  Es 
waltete  das  Gefühl,  daß  diejenigen,  welche  durch 
die  Sprache  wichtige  oder  große  Zwecke  zu  er- 
reichen wissen ,  nicht  bloß  dem  Inhalt ,  sondern 
auch  der  Form  nach  Muster  von  Sprechern  seien, 
ihre  Art  die  Sprache  zu  handhaben  die  einzig 
richtige  und  schöne.  So  wurden  sie  Autoritäten, 
nach   deren  Vorbild    sich   zunächst   die  nächste 


553 

ümgebnnpr  richtete,  welche  dann,  sich  in  immer 
weitren  Kreisen  ausdehnend  nnd  verbreitend 
eine  in  Wort  und  Lautpronuuciation  gemein- 
same Sprache  in  allen  kleineren  Complexen, 
wenn  auch  nicht  zu  allgemeiner  üebung,  doch 
zu  allgemeiner  Anerkennung  brachte. 

§.  10.  Die  Spaltung  einer  einheitlichen 
Sprache  in  mehrere  — insbesondre  lantverschiedne 
dagegen  —  ist  umgekehrt  dadurch  bedingt,  daß 
die  Herrschaft  derselben  in  Bezug  auf  einen  oder 
mehrere  Theile  des  Volkes,  welches  sie  spricht, 
ein  Ende  nimmt.  Dieses  Ende  kann  durch  ver- 
schiedene Umstände  veranlaßt  werden;  am  häu- 
figsten wohl  durch  eine  räumliche  oder  politi- 
sche Trennung,  welche  die  abgetrennten  Theile 
bestimmt  oder  nöthigt,  ein  Sonderleben  zu  be- 
ginnen. In  diesem  Sonderleben  können  besondre 
Lautneigungen  der  abgetrennten  Theile  —  wel- 
che während  der  einheitlichen  Verbindung,  als 
Fehler  betrachtet,  sich  der  Herrschaft  der  all- 
gemeinen Sprache  gebeugt  hatten ,  aber  nicht 
ausgestorben  waren  —  wieder  anfangen  unge- 
hemmt und  frei  zu  walten,  oder  —  allein  oder 
neben  jenen  —  können  sich  neue  entwickeln. 
Beides,  insbesondre  das  letztere  konnte  durch 
mancherlei  Umstände  begünstigt  werden ;  so 
konnten  z.  B.  schon  Auswanderung  aus  dem 
ursprünglich  gemeinsamen  Wohnsitz  nnd  die 
damit  verbundenen  Beschwerden  manches  in  Ver- 
gessenheit bringen ;  climatisch  und  überhaupt  phy- 
sisch verschiedue  Sitze  konnten  nicht  umhin  auch 
auf  die  lautbildenden  Organe  ihren  Einfluß  zu 
üben  ;  wahrscheinlich  auch  die  feindliche  und 
freundliche  Berührung  mit  stammverschiedenen 
Völkern  und  anderes.  Natürlich  war  es  auch  von 
großer  Bedeutung,  ob  die  getrennten  Theile  frü- 
her oder  später  zu  neuen,  festen  Sitzen  gelang- 


554 

ten;  die,  bei  denen  das  erstre  der  Fall  war, 
mochten  manche  Entwickelungen,  welche  in  der 
gemeinsamen  Sprache  bei  der  Trennung  begon- 
nen hatten,  weiter  führen,  während  die  später 
fixirten  nur  ein  oder  das  andre  darauf  beruhende 
Wort  bewahrten,  die  Richtung  aber,  da  sie  noch 
nicht  durch  viele  Bildungen  hinlänglich  gekenn- 
zeichnet war,  nicht  weiter  verfolgten. 

Diese  besonderen  Entwickelungen  dehnen 
sich  unter  der  unbewußt  wirkenden  Herrschaft 
der  Analogie  so  weit  aus,  daß  sie  fast  oder  wirk- 
lich das  ganze  Bereich  der  sprachlichen  Gebilde 
zu  umfassen  scheinen,  in  denen  sie  ihrer  Natur 
nach  überhaupt  zur  Geltung  zu  kommen  ver- 
mochten, und  so  jene  auf  den  ersten  Anblick, 
einen  so  räthselhaften ,  ja  mysteriösen  Eindruck 
machende,  Regelmäßigkeit  hevorrufen,  mit  wel- 
cher in  den  besonderten  Sprachen  eines  Stammes 
nicht  selten  ein  und  derselbe  Laut  der  Grund- 
sprache in  auffallender  Consequenz  durch  sehr 
verschiedenartige  widergespiegelt  wird. 

Dieser  mysteriöse  Schein  fällt  aber  für  jeden 
dahin,  der  einerseits  die  Macht  der  sprachlichen 
Analogie  kennt  und  andrerseits  durch  erschöp- 
fende Untersuchungen  die  Einsicht  gewonnen 
hrt,  daß  diese  Regelmäßigkeit  keinesweges  so 
durchgreifend  ist,  wie  man  gewöhnlich,  durch 
unzureichende  Beobachtung  getäuscht,  anzuneh- 
men geneigt  ist ,  daß  sie  vielmehr  speciell  in 
den  früher  fixirten  Sprachen  eine  Fülle  von 
AusDahmen  erleidet ,  während  in  den  später 
fixirten  die  Anzahl  der  Ausnahmen  zwar  viel 
geringer  ist,  aber  doch  auch  in  ihnen  deren  ge- 
nug hervortreten  ,  um  die  üeberzeugung  zu  ge- 
währen, daß  aucli  diese  Lautumwandlungen  hier 
wie  dort  sich  nicht  mit  einem  Schlage,  sondern 
erst   nach    und   nach  geltend  gemacht  und  ver- 


555 

breitet  habeu,  und  daß  ihre  weitere,  ja  wenn 
auch  noch  so  weite ,  Verbreitung  in  den  später 
fixirten  einzig  dem  Umstand  verdankt  wird,  daß 
die  späte  Fixirung  der  Macht  der  Analogie  Zeit 
genug  gewährt  hatt«,  ihre  Herrschaft  in  viel  wei- 
terem Umfang  auszudehnen,  als  dieses  bei  den  frü- 
her fixirten  möglich  war.  Freilich  ist  dabei  die  — 
übrigens  bekannte  —  Thatsache  zu  berücksich- 
tigen, daß  Lautumwandlung,  ja  Sprachumwand- 
lung überhaupt,  in  den  verschiednen  Sprachen 
in  sehr  verschiednen  Zeitmaaßen  vor  sich  geht, 
daß  speciell  manche  indogermanische  Sprachen 
Umwandlungen  in  Jahrhunderten  durchgemacht 
haben  mögen,  welche  in  andren  desselben  Stam- 
mes Jahrtausende  in  Anspruch  genommen  ha- 
ben; man  vgl.  z.  B.  den  Uebergang  von  indo- 
germanischem h  in  die  Palatale  tscJi,  und  den 
Zischlaut  f,  welcher  uns  schon  in  den  ältesten 
Phasen  des  Arischen,  Sanskrit  und  Zend,  ent- 
gegentritt, im  Italischen  dagegen  erst  in  den 
Töchtersprachen  das  Latein  (z.  B.  coelum,  ita- 
liänisch  cieh,  französisch  ciel). 

§.  IL  Was  im  vorigen  §.  kurz  ausge- 
sprochen, bedürfte  der  Belege  durch  Beispiele; 
es  giebt  deren  in  Fülle;  ich  beschränke  mich  hier 
auf  Anführung  von  zweien,  eines  für  den  selbst- 
ständigen und  eines  für  den  uuselbststäudigen 
Lautwechsel.  Das  erstre  entnehme  ich  dem 
Griechischen,  das  zweite  dem  Sanskrit. 

Im  Griechischen  hat  sich  bekanntlich  indo- 
germanisches s  in  ziemlich  weitem  Umfang  vor 
Vocalen  in  den  Spiritus  asper  verwandelt,  oder 
ist  ganz  eingebüßt;  so  ist  z.  B.  das  s  im  indo- 
germanischen sad,  sitzen,  durchweg  zu  '  gewor- 
den, iö,  indogerm.  5a,  eins,  ista,  z.B.  iüä-na^, 
oder  a-  z.  B.  in  d-deX(fdg  geworden,  indoger- 
manisch mdnasas,  Genetiv  von  numas  =  ftsrog. 


556 

lautet  griech.  (iSvsog  (für  iiiveaog^) ,  ursprüng- 
licheres Tvme-aai  ist  vermittelst  tvmsai,  in  rvTcrri 
zusammengezogen.  Wir  erklären  diese  Umwand- 
lung nach  Obigem  dadurch,  daß  wir  annehmen, 
daß  irgend  ein  naturgemäßer  Menschencomplex 
des  griechischen  Volkes ,  vielleicht  nur  ein  to- 
pischer ,  bei  welchem  die  Zunge  vorwaltend  so 
gebildet  oder  gelegen  war,  daß  die  Vorwärtsbe- 
wegung derselben  gegen  die  Zähne,  durch  welche 
sie  sich  aus  der  Lage  bei  Pronunciation  des  Spiritus 
asper  entfernt^),  einen  gewissen  Zwang  erfor- 
dert hätte ,  angefangen  habe  diese  Vorwärtsbe- 
wegung in  mehreren  Fällen  zu  unterlassen,  so 
daß  in  ihnen  nicht  mehr  s  sondern  ''  hervortrat. 
Diese  Aussprache  fing  an  durch  Umstände, 
welche  sich  nicht  mehr  erkennen  lassen,  Auto- 
rität zu  erlangen ,  für  richtig  und  schön  zu  gel- 
ten und  ward  in  Folge  davon  auch  von  Indi- 
viduen und  Complexen  angenommen,  denen  die 
Nöthigung,  welche  sie  herbeigeführt  hatte,  ganz 
fremd  gewesen  sein  konnte.  So  erhielt  sie  eine 
weite  Verbreitung;  allein  als  die  Sprache  sich 
fixirte  ,  war  in  vielen  Fällen  das  ursprüngliche 
s  noch  nicht  ganz  verdrängt,  wie  z.  B.  Gvg  ne- 
ben vg  erscheint,  tid^sGat,  neben  rti?«^;  in  andern 
hatte  es  sich  sogar  allein  erhalten,  wie  in  ^siq 
für  öS  F £Q  für  indogermanisches  savar,  aavö-aqö 
von  indog.  sus  u.  aa.  Man  kann  daraus  erken- 
nen ,  daß  dieser  Wechsel  sich  erst  nach  und 
nach  verbreitet  und  mit  der  Fixirung  der  Spra- 
che nicht  weiter  ausgedehnt  hat. 

Die  Art,  wie  er  vor  sich  gegangen  ist,  zeigt 


1)  Vgl.  die  Lage  der  Zunge  bei  Bildung  des  Spiritus 
asper  und  des  s  in  M.  Müllers  Lectures  on  the  Science 
of  Language.  Second  Series.  1864  p.  129  Fig.  12  und 
p.  133  Fig.  16. 


557 

daß  die  Sprechenden  von  der  Umwandlung  gar 
kein  Bewußtsein  hatten.  Sie  glaubten  den  Laut 
s  sicherlich  lange  Zeit  noch  zu  sprechen,  als 
er  schon  längst  durch  h  vertreten,  oder  ganz 
verschwunden  war,  gerade  wie  es  bei  uns  viele 
Städte  giebt ,  welche  Eigenthümlichkeiten  der 
Aussprache  haben,  die  dort  standhaft  abgeleug- 
net werden ;  in  denen  Laute  vollständig  ge- 
schwunden sind,  welche  die  Bewohner  deutlich 
auszuprechen  meinen ,  ja  mit  dem  größten  Eifer 
behaupten. 

Was  das  Beispiel  für  die  allmäliche  Verbrei- 
tung des  unselbständigen  Lautwechsels  betrifft, 
so  ist  es  bekannt,  daß  im  Sskrit  ein  langes  d 
durch  den  Einfluß  einer  folgenden  accentuirten 
Silbe  sehr  oft  zu  t  wird.  Dieser  Lautwechsel 
hat  sich  in  mehreren  Categorien  in  großem  Um- 
fang geltend  gemacht ,  so  z.  B.  in  der  dritten 
Conjugationsclasse  z.  B.  von  pd  ^i^ä-na,  aber 
cip-hi,  in  der  neunten  grind'ti,  aber  grinitäs.  mehr- 
fach im  Ptcp.  Pf.  z.  B.  von  ^d,  trinken,  mit  Äff. 
td:  pitd,  im  Absolutiv  von  demselben  Verbum 
pitva    und  sonst. 

Dagegen  giebt  es  unter  den  vielen  Partici- 
pien  auf  and  nur  ein  einziges,  nämlich  das  Ptcp. 
Präs.  von  ds,  sitzen,  welches  das  ä  in  t  ver- 
wandelt hat  und  zwar  im  Yeda  nur  arbiträr,  im 
classischeu  Sskrit  jedoch  regemäßig  (Pän.  TU. 
2,  83).  Im  Rigveda  erscheint  zweimal  äsänd 
und  siebenmal  d'shia.  Bemerkenswerth  ist  bei 
letzterem,  daß  trotz  der  Umwandlung  des  d  in  l  der 
Accent  nicht  auf  dem  auslautenden  a  sondern 
dem  anlautenden  d  erscheint.  Der  Grund  davon 
liegt  darin,  daß  sich  im  Sskrit  allmälig  das  Ge- 
setz geltend  machte  (den  Grund  sehe  mau  in 
der  Behandlung  der  Geschichte  des  Accents), 
daß    Verba,    welche    nur    im    Atmanepada    ge- 


558 

braucht  werden,  den  Accent  auf  der  Stammsilbe 
haben  sollen;  für  die  Veden  gilt  es  noch  nicht 
durchgreifend  und  so  hat  sich  auch  äsänä  mit 
der  ursprünglichen  Accentuation  erhalten.  Diese 
Accentuation  rief  die  Form  dsina  hervor  und 
diese,  die  später  allein  herrschende,  fügte  sich 
auch  dem  späteren  Accentwechsel ;  ob  dieser 
auch  im  Veda  schon  eingetreten  war,  ist  sehr 
zu  bezweifeln;  eben  so  sehr  für  die  alten  Hym- 
nen die  Form  mit  i  überhaupt. 

Dieses  Beispiel  zeigt  daß  dieser  Laut  Wechsel 
eben  auch  die  Ptcpia  auf  änä  ergreifen  wollte 
und  das  von  äs  zuerst  arbiträr  ergriffen  und  dann, 
als  die  Sprache  fixirt  ward,  sich  schon  ganz  un- 
terworfen hatte;  in  Folge  davon  ward  äsina  die 
einzig  gebräuchliche  Form  im  classischen  San- 
skrit, blieb  aber  auch  hier  das  einzige  Particip, 
in  welchen  das  ä  von  änä  zu  i  geworden  ist. 


lieber  das  Erdbeben    von   Iquique  vom 

9.  Mai  1877    und    die  dadurch  erzeugte 

Fluthbewegung   im  Großen  Ocean. 

Von 

Dr.  E.  Geinitz. 

Am  9.  Mai  dieses  Jahres  wurden  die  Küsten 
von  Peru  ,  Bolivia  und  Chile  von  einem  groß- 
artigen Erdbeben  heimgesucht ,  das  in  seiner 
Ausdehnung  und  seinen  Folgen  vollkommen  dem 
Phänomen  glich,  welches  im  Jahre  1868  die 
gleichen  Orte  betraf.  Wie  damals,  so  wurde 
auch   von    dem  diesjährigen   Erdbeben  eine  ge- 


559 

waltige  Fluthwelle  hervorgebracht,  die  sich  längs 
der  Westküste  Südamerikas,  sowie  über  die  ge- 
sammte  Fläche  des  Großen  Oceans  bis  an  die 
Küsten  Australiens  und  Japans  erstreckte.  Aus 
den  Angaben  über  das  Erd-  und  Seebeben  von 
18G8  berechnete  F.  von  Hochstetter  die 
Fortpflanzungsgeschwindigkeit  der  Fluthwellen, 
sowie  die  mittleren  Tiefen  dieses  Oceans.  Es 
erschien  wüuschenswerth ,  auch  das  diesjährige 
Ereigniß,  welches  mit  dem  von  1868  eine  so 
große  Uebereinstimmung  zeigte,  in  dem  ange- 
deuteten Sinne  zu  bearbeiten ,  «umal  die  inzwi- 
schen von  den  Expeditionen  des  »Challenger«, 
der  »Tuscarora«  und  der  »Gazelle«  angestellten 
Tiefenmessungen  im  Großen  Ocean  eine  will- 
kommene Controle  versprachen^). 

Die  für  diesen  Zweck  gesammelten  Nach- 
richten ergaben  folgende  Resultate. 

Als  ErschütteruDgscentrum  ist  Iqnique  in 
Peru  (20<>  12'  s.  Br.,  70«  14'  westl.  L.  Greenw.) 
oder  ein  etwas  südlich  davon  gelegener  Punkt 
anzusehen.  (Das  Centrum  des  Erdbebens  vom 
13.  August  1868  war  das  nordlicher  gelegene 
Arica).  Das  Ereigniß  fand  statt  um  8  Uhr  20 
Minuten  Abends  des  9.  Mai.  In  den  Orten  aus 
der  Nähe  von  Iquique ,  z.  B.  Pisagua,  Pabellon 
de  Pica,  Tocopilla ,  trat  das  Erdbeben  mit  glei- 
cher Heftigkeit  auf,  während  es  weiterhin  all- 
mählich an  Stärke  abnahm.  Es  wurde  nament- 
lich in  den  folgenden  Orten  beobachtet:  Mol- 
lendo,  Ilo,  Arica,  Pisagua,  Iquique  ,  Pabellon  de 
Pica,  Tocopilla,  Cobija,  Mejillones  de  Bolivia, 
Antofagasta,  Caldera,  Chanaral,  Copiapo,  Coquim- 
beo,  Valparaiso,  Concepcion ;  es  besaß  somit  eine 

1)  Eine  ausführliche  Behandlung  des  Gegenstandes  wird 
in  kurzer  Zeit  in  Petermanns  Geographischen  Mittheilun- 
gen  folgen. 


560 

Verbreitung  über  20  Breitengrade.  An  fast  allen 
Punkten  war  das  Erdbeben  von  einer  unge- 
wöhnlich langen  Dauer  (meist  3—4  Minuten) 
und  folgten  sich  meist  mehrere  Stöße;  die  Zei- 
tungen berichten  von  dem  immensen  Schaden, 
welchen  die  Erschütterung  in  der  Mehrzahl  der 
betroffenen  Orte  angerichtet  hat. 

Größer  noch  als  der  vom  Erdstoße  selbst 
verursachte  Schaden  war  das  Unheil,  welches 
die  von  dem  Erdbeben  erzeugte  Fluthbewegung 
des  Großen  Oceans  allenthalben  anstiftete.  Die 
hierbei  beobachteten  Erscheinungen  sind  die  fol- 
genden : 

An  der  Küste  des  Gebietes  der  stärksten 
Erschütterung  trat  wenige  Minuten  nach  dem 
ersten  Stoße  (in  Iquique  um  8**  25™  p.  m.  IX.) 
eine  Bewegung  des  Meeres  ein  ,  welche  als  ein 
plötzliches  Anschwellen  und  Emporsteigen  des 
Wassers  geschildert  wird.  Darauf  zog  sich  das 
Meer  weit  zurück,  um  bald  als  Welle  wieder 
zu  kehren  und  mit  verheerender  Gewalt  über 
das  Ufer-  in  das  Land  hereinzubrechen.  Diese 
Fluthungen  wiederholten  sich  in  verschieden 
langen  Intervallen  oft  noch  den  folgenden  Tag 
über.  In  den  entfernteren  Gegenden  trat  eine 
Wellenbewegung  ein,  welche  entweder  mit  einem 
Rückzug  des  Wassers  oder  dem  Heranrollen 
einer  Woge  begann.  Die  Fluthbewegung  er- 
streckte sich  auf  die  ganze  Westküste  Südame- 
rikas und  wurde  auch  in  dem  mexikanischen 
Hafen  von  Acapuloo  beobachtet,  so  daß  sie  sich 
an  der  amerikanischen  Küste  über  60  Grad  ver- 
breitet hat. 

In  gleicher  Weise,  wie  im  Jahre  1868  pflanzte 
sich  das  Seebeben  auch  diesmal  über  die  ganze 
Fläche  des  Großen  Oceans  fort.  Folgendes  sind 
die  diesbezüglichen  Daten : 


561 

Auf  den  Sandwichinseln  wurde  die  Fluthbe- 
wegung  an  mehreren  Orten  beobachtet.  In 
Hilo  auf  Hawaii  trat  die  erste  Fluth  um  4^4  ühr 
Morgens  des  10.  Mai  ein.  Diese  Zeit  ist  für 
Iquique  10  ühr  24  Min.  Vormittags  des  10. 
(Zeitdifferenz  5  Stunden  39  Min.).  Die  (berech- 
nete) Entfernung  zwischen  Iquique  und  Hilo 
von  5526  Seemeilen  (60  Sm.  =  1  Äequatorial- 
grad)  wurde  daher  von  der  Fluthwelle  in  14 
Stunden  zurückgelegt,  d.  i.  mit  einer  mittleren 
Geschwindigkeit  von  396  Seemeilen  pro  Stunde, 
oder  670  engl.  Fuß  pro  Secunde.  Mit  Hilfe 
dieser  Geschwindigkeit  läßt  sich  nach  den  For- 
meln von  Airy  oder  Rüssel  die  mittlere  Tiefe 
des  durchlaufenen  Theiles  des  Oceans  berechnen. 

Diese  beiden  Formeln   lauten  resp.:    h  =  (—1 

und  h  =  ~;  wobei  h  die  Tiefe,   v  die  mittlere 

9 
Geschwindigkeit,  Je  die  Zahl  5,671,  g  =  32, 
1908  engl.  Fuß  bedeuten.  Die  hiernach  gewon- 
nenen Tiefenwerthe  sind  resp.  13945  und  13931 
engl.  Fuß,  oder  im  Durchschnitt  2324  Faden. 
Die  nach  diesen  Formeln  berechneten  Werthe 
für  die  mittlere  Tiefe  des  Oceans  sind  natürlich 
um  so  genauer,  je  ungestörter  sich  die  Fluthwelle 
in  ihrer  Richtung  fortgepflanzt  hat;  sie  müssen 
daher  weniger  genau  sein,  wenn  die  Welle  durch 
zwischenliegende  Inselmassen  in  ihrer  Geschwin- 
digkeit verzögert  wurde.  Daher  können  wir 
uns  erklären ,  daß  die  Werthe  für  die  Tiefe  des 
Oceans  zwischen  Iquique  und  Honolulu  von  den 
eben  (für  Hilo)  gefundeneu  etwas  abweichen. 
Während  nämlich  die  Welle  auf  ihrem  Wege 
von  Iquique  bis  Hilo  auf  keinerlei  ihre  Ge- 
schwindigkeit   erheblich  hindernde    Inselmassen 


562 

stieß,  muß  sie  weiterhin,  "bis  sie  zn  dem  nord- 
westlich gelegenen  Honolulu  gelangt ,  durch  die 
zwischenliegenden  Massen  von  Hawaii,  Maui  etc. 
in  ihrer  Geschwindigkeit  beeinträchtigt  werden; 
unter  sonst  gleichen  Umständen  wird  demnach 
die  aus  den  Hilo'er  Daten  gewonnene  Tiefen- 
angabe der  Wahrheit  am  nächsten  kommen. 
Im  Hafen  von  Honolulu  trat  die  Fluthbewegung 
aus  den  eben  erwähnten  Gründen  erst  um 
b^  20™  a.  m.X.  (=  ll'^  ll'"  a.  m.  X.  Iquique- 
Zeit)  ein.  Die  Entfernung  von  5710  Sm.  wurde 
demnach  in  lA^ji^  zurückgelegt,  d.  i.  mit  einer 
mittleren  Geschwindigkeit  von  654, 5  Fuß  pro 
Secunde.  Dies  ergiebt  eine  durchschnittl.  Mee- 
jrestiefe  von  2219  Faden. 

Auf  den  Sandwichiuseln,  wie  an  den  meisten 
übrigen  Beobachtungspunkten ,  von  denen  Nach- 
richten vorliegen,  fand  die  Fluthbewegung  in 
Form  mehrerer  auf-  und  absteigender  Wellen 
statt,  von  denen  die  ersten  gewöhnlich  einander 
sehr  rasch  folgten  und  sehr  bedeutend  über  das 
gewöhnliche  Hoch-  und  Tiefwasser-Niveau  hin- 
ausgingen; die  allmählich  an  Intensität  abneh- 
mende Fluthung  setzte  sich  oft  einen  Tag  oder 
länger  fort. 

Der  Kürze  halber  mögen  die  wichtigsten 
Daten,  welche  von  anderen  Punkten  vorliegen 
und  die  daraus  gewonnenen  Berechnungen  in 
Form  einer  Tabelle  folgen: 


563 


Ankunft  der  Welle 


Ortszeit 


Iqniqae-Zeit 


Ent- 

fer- 
nQng 

Ton 
Iqui- 

qae 
in 

See- 
meilen 


zurück- 
gelegt in 


Ge- 
Bchirin 
digkeit 

der 
WeUe 


Mitt- 
lere 

Tiefe 
des 


inFoaBJOceAiui 
pro  I     in 
Se-     Faden 
conde  | 


Apia      4^30™a.in.XI. 

Lyttleton,  | 
Neuseelandj?^  a.m.  XI. 

Akaroa, 

Neuseeland  7**  a.  m.XI. 


Eamaisbi, 
Japan 


2M5p.m.X. 
gVs^a.m.XI.  l6V,''p.m.X. 


11^16™a.m.X.5739  uHff°  655.5  2225 


2^48"p.m.X.  5631 


18^23^ 


18»'2(r 


5560 


8835122^ 


518.4 
513^ 
679 


1392 
1367 
2389 


Außer  von  dieser  Orten  liegen  noch  von 
mehreren  anderen  Gegenden  Berichte  vor,  wel- 
che aber  leider  nicht  genau  genug  sind,  um  An- 
haltspunkte für  Berechnungen  zu  geben.  So 
wurde  die  Fluth  auf  der  Chataminsel ,  an  der 
gesammten  Ostküste  von  Neuseeland,  in  Sydney 
und  Newcastle  (Australien)  wahrgenommen. 

Bei  einer  Yergleichuug  der  gewonnenen  Re- 
sultate mit  den  von  Hochstet  te  r'schen  An- 
gaben und  den  directen  Tiefseemessungen  er- 
giebt  sich  eine  verhältnißmäßig  befriedigende 
Uebereinstimmung ;  die  Differenzen  beruhen 
nur  auf  den  verschieden  genauen  Beobachtungen 
und  anderen  untergeordneten  Elementen.  Die 
vorliegenden  Untersuchungen  bestätigen  auch 
im  allgemeinen  die  von  Hochstetter  ausge- 
sprochene Behauptung,  daß  die  Geschwindigkeit 
der  Erdbebenwelle  und  der  lunaren  Fluthwelle 
identisch  sei. 


564 

Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

Mai   1877. 

Verhandlungen  des  naturhistor.  medicin.  Vereins  zu  Hei- 
delberg.   Neue  Folge.    Bd.  I.     Hft.  5.     1877. 

F.  A.  T.  Winnecke,  Gauss,  ein  Umriss  seines  Lebens 
u.  Wirkens.     Braunsch.  Iö77. 

R.  Dedekind,  üeber  die  Anzahl  d.  Ideal-Classen.  Fest- 
schrift, z.  Gauss  Säcularfeier ,  dargebracht  v.  CoUeg. 
Carl.     Ebd.  1877. 

Fr,  Brioschi,  suUa  teoria  delle  forme  binarie  del  serto 
ordine  e  la  trisezione  delle  funzioni  iperelittiche  me- 
moria di  Alfr.  Clebsch,  tradotta  ed  annotata.  Milano 
1877.     4. 

K.  Bruhns  Briefe  zw.  A.  v.  Humboldt  u.  Gauss.  Leip- 
zig 1877. 

Monthlynotice8oftheR.Mathem.Soc.Vol.86.  No.;6.  1877. 

Jahrbuch  über  die  Fortschritte  der  Mathematik.  Bd.  7. 
H.  2.  Jahrg.  1875. 

Neederlandsch  Tijdschrift  voor  de  Dierkunde.  Deel  H. 
Amsterdam.  1865.  —  Deel  IlL  1866.  -  Deel  IV.  1874. 

Archives  Neerlandaises  des  Sciences  exactes  et  natur. 
T.  11.  Livr.  4—5.     1876.    Tome  12,  livr.  1. 

Verhandelingen  rakende  den  naturlyken  en  geopenbaar- 
den  Godsdienst.  Uitgeg.  door  Teyler's  genootshap. 
D.  V.     Harlem.  1876. 

Handelingen  en  Mededeelingen  van  de  Maatschappij  der 
Neederlandsche  Letterkunde  te  Leiden,  over  het  iaar 
1876. 

Bihang  tot  de  Handel,  van  1876. 

Alphabetische  List  der  Leden  van  deMaatschappj.  1876. 

Abhandl.  der  mathem.  —  physik.  Cl.  der  K.  Bayerischen 
Akad.  der  Wiss.  Bd.  XII.  Abth.  2.  u.  3.  München. 
1876.     4. 

R.  V.  Liliencron,  über  den  Inhalt  der  allgem.  Bil- 
dung in  der  Zeit  der  Scholastik.     Ebd.  1876.     4. 

E.  Trumpp,  Nänak,  der  Stifter  der  Sikh-Religion.  Ebd. 
1876.     4. 

Zeitschrift  der  Deutsch.  Morgenland.  Geaellsch.  Bd.  31. 
Hft.  1.    1877. 

Fortsetzung  folgt. 


565 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


7.  November.  M  22.  1877. 


UniTersität. 


Bericht  über  das   physikalische  Insti- 
tut,    Abtheilung     für     Experimental- 
physik, aus  den  Jahren  1871 — 1877 

von 
Eduard  Blecke. 

Wie  in  der  Chemie,  so  zerfällt  auch  in  der 
Physik  der  Unterricht  naturgemäss  in  zwei 
Theile,  welche  sowohl  nach  ihrem  Zwecke,  als 
nach  der  Art  des  Unterrichtes  wesentlich  von 
einander  verschieden  sind :  in  Vorlesung  und 
Praktikum ;  beide  können  erst  in  ihrer  Vereini- 
gung dasjenige  Maass  von  physikalischen  Kennt- 
nissen darbieten,  dessen  Besitz  von  dem  künfti- 
gen Lehrer,  dem  Chemiker,  Mineralogen  und 
Mediciner  verlaugt  werden  muss.  In  der  das 
ganze  Gebiet  umfassenden  Voi-lesung  haben  sich 
die  Studirenden  die  Kenntuiss  der  physikalischen 
Gesetze,  ihres  inneren  Zusammenhanges,  der  zu 
ihrer  Begründung  dienenden  Versuche  und  Ap- 
parate, ihrer  Anwendungen  auf  dem  Gebiete 
der  Wissenschaft  und  der  Technik  zu  erwerben. 
Die  Vorlesung  kann  aber  die  zahlreichen  quan- 
titativen Bestimmungen ,  zu  deren  praktischer 
Ausführung  in   den   eben  genannten  Disciplinen 

50 


566 

mehr  oder  weniger  häufige  Veranlassung  sich 
darbietet,  nur  in  principieller  Weise  behandeln 
und  es  ist  bekannt,  welch  großer  Schritt  von 
der  principiellen  Lösung  bis  zu  der  praktischen 
Ausführung  noch  zu  machen  ist.  Als  noth- 
wendige  Ergänzung  der  Vorlesung  tritt  daher 
das  physikalische  Praktikum  ein,  in  welchem 
der  Studirende  Gelegenheit  findet,  sich  in  der 
Anwendung  der  in  der  Vorlesung  erworbenen 
Kenntnisse,  in  der  Ausführung  physikalischer 
Messungen ,  dem  Gebrauch  physikalischer  In- 
strumente die  erforderliche  Uebung  zu  erwerben. 
Für  den  künftigen  Lehrer  der  Physik  insbeson- 
dere tritt  noch  die  Anforderung  hinzu ,  daß  er 
in  dem  Gebrauche  physikalischer  Apparate  so 
'  weit  geübt  werden  soll,  daß  ihm  die  Anstellung 
der  gewöhnlichen  Vorlesuugsversuche  keine 
Schwierigkeiten  bereitet.  Dieses  Ziel  ist  nach 
meinen  Erfahrungen  auf  direktem  Wege,  d.  h. 
dadurch  dass  man  die  Ausführung  von  Vorle- 
sungsverauchen  zum  unmittelbaren  Gegenstand 
der  Uebungen  macht,  nicht  in  befriedigender 
Weise  zn  erreichen ,  da  die  Studirenden  nur  zu 
geneigt  sind,  sich  mit  halben  Erfolgen  zufrieden 
zu  geben,  und  die  Uebung  leicht  in  eine  ober- 
flächliche Spielerei  mit  den  Apparaten  ausartet. 
Man  kann  aber  den  Gebrauch  von  Apparaten, 
deren  Kenntniß  für  den  physikalischen  Unter- 
richt unentbehrlich  ist,  verbinden  mit  quantita- 
tiven Aufgaben,  deren  richtige  Lösung  eine  sorg- 
fältige Anordnung  der  Versuche  in  all  ihren 
einzelnen  Theilen  voraussetzt.  In  demselben 
Sinne  spricht  sich  auch  Kohlrausch  in  der  Vor- 
rede zu  seinem  Leitfaden  der  praktischen  Physik 
aus,  in  welchem  er  eine  für  den  praktisch-phy- 
sikalischen Unterricht  durchaus  maßgebende 
Grundlage  geschaffen  hat. 


567 


Die  Theilung  des  Unterrichts  in  den  theo- 
retischen und  praktischen  Theil  ist  in  der  Che- 
mie schon  längst  durchgeführt ,  während  auf 
dem  Gebiete  der  Physik  erst  seit  kurzem  durch 
einen  Erlaß  des  Kgl.  Cultministeriums  die 
Einrichtung  physikalischer  Praktika  an  allen 
Universitäten  angeordnet  ist. 

In  Göttingen  wurde  ein  physikalisches  Prak- 
tikum schon  im  Jahre  1867  ins  Leben  gerufen, 
uud  hatte  sich  unter  der  Leitung  von  Kohl- 
rausch bald  in  der  erfreulichsten  Weise  ent- 
wickelt. Nach  halbjähriger  Unterbrechung 
wurde  die  Leitung  des  Praktikums  Ostern  1871 
von  mir  übernommen.  Ueber  die  Verhältnisse 
des  Besuches  in  dem  verflossenen  Zeitraum  giebt 
die  folgende  Tabelle  Auskunft: 


Studirende  der 


tä     CD 


o  .2  <» 


eä   u 
O 


Sommer  1871 

3 

0 

3 

Winter  IS'Vts 

9 

2 

11 

Sommer  1872 

19 

2 

21 

Winter  18^773 

22 

1 

23 

Sommer  1873 

19 

1 

20 

Winter  1 8^/74 

20 

0 

20 

Sommer  1874 

9 

6 

15 

Winter  18^V75 

14 

6 

20 

Sommer  1875 

16 

5 

21 

Winter  18^^76 

16 

7 

23 

Sommer  1876 

21 

5 

26 

Winter  18^^/77 

27 

12 

39 

Sommer  1877 

23 

5 

28 

Zusammen  j     218 


52 


270 


568 

Die  Gesammtzahl  derjenigen  Stndirenden, 
welche  sich  unter  der  Leitung  von  Kohlrausch 
an  den  physikalischen  Uebuugen  betheiligten 
beträgt  104,  so  dass  also  das  Göttinger  physi- 
kalische Praktikum  seit  seinem  10jährigen  Be- 
stehen von  im  Ganzen  374  Praktikanten  besucht 
worden  ist.  Die  rasch  wachsende  Zahl  der 
Praktikanten  machte  eine  weitere  Unterstützung 
in  ihrer  Beaufsichtigung  zu  einem  dringenden 
Bedürfniß,  welchem  im  Sommer  1872  durch 
Errichtung  einer  Hülfsassistentenstelle  genügt 
wurde.  Ich  habe  die  Unterstützung,  welche 
mir  in  dieser  Eigenschaft  von  den  Herrn  Dr. 
Neesen,  Dr.  Fromme,  und  nachdem  der  letztere 
in  eine  etatsmäßige  Assistentenstelle  aufgerückt 
war,  Herrn  Dr.  Hoppe  geleistet  wurde,  rüh- 
mend hervorzuheben. 

Was  die  Apparatensammlung  des  Institutes 
anbetrifft,  so  wurde  im  Laufe  der  verflossenen 
Jahre  eine  möglichst  vollständige  Trennung  der 
für  das  Praktikum  einerseits,  für  wissenschaft- 
liche Arbeiten  und  Vorlesung  andererseits  noth- 
wendigen  Apparate  durchgeführt.  Hiezu  sowie 
zu  einer  nicht  unbeträchtlichen  Erweiterung  der 
den  verschiedenen  Zwecken  des  Institutes  die- 
nenden Apparatensammlung  wurden  die  Mittel 
geboten  durch  einen  von  dem  königlichen  Cult- 
ministerium  gewährten  Extrazuschuß  im  Betrage 
von  7500  M.  Der  für  sachliche  Ausgaben  be- 
stimmte jährliche  Fonds  des  Instituts  hat  in 
dar  verflossenen  Periode  eine  Erhöhung  von 
1200  M.  auf  2200  Mark  erfahren. 

Obwohl  die  eigentliche  Aufgabe  des  Prakti- 
kums stets  im  Unterricht  durch  Uebungsauf- 
gaben,  wie  sie  der  Leitfaden  von  Kohlrausch  in 
trefflicher  Auswahl  und  Anordnung  darbietet, 
gesucht  wurde,    so  fanden  doch  einzelne  vorge- 


569 

rücktere  Praktikanten  anch  Gelegenheit  zur  Aus- 
führung selbständiger  wisseiischafilicher  Arbei- 
ten. Folgende  Untersuchungen  sind  bis  jetzt 
in  den  «Nachrichten»  und  in  den  Annalen  der 
Physik  u.  Chemie  veröffentlicht  worden: 

Börnstein:  Zur  Theorie  von  Ruhmkorffs  In- 
duktionsapparat. 

Fromme:  Die  Magnetisirnngsfunktion  einer 
Kugel  aus  weichem  Eisen. 

Dr.  Schuster:  Ueber  einseitige  Leitungsfa- 
higkeit. 

Himstedt:  Ueber  die  Schwingungen  eines 
Magneten  unter  dem  dämpfenden  Einfluß  einer 
Kupferkugel. 

Schrader:  Ueber  den  specifischen  Leituugs- 
widerstand  der  Gaskohle. 

Dr.  Hoppe:  Ueber  den  Leitungswiderstand 
der  Flammen  gegen  den  galvanischen  Strom. 

Dr.  Hoppe:  Ueber  die  Pyroelektricität  des 
Turmalins. 


Verzeichnis  der  Promotionen  der  phi- 
losophischen   Facultät  in   dem    Deca- 
natsjahre  IS?«/?. 


Dem  Hofrath  Dr.  med.  August  Grisebach, 
ordentlichem  Professor  der  Botanik  an  unserer 
Universität,  wurde  den  27.  November  1876  ho- 
noris causa  das  Diplom  der  philosophischen 
Doctorwürde  ertheilt. 


570 

I.     Von  den   unter  dem  Decanate  des  Hofraths 
von  Leutsch  beschlossenen,  aber  nicht  vollzoge- 
nen Promotionen  ist  folgende  vollzogen: 
Sept.  1876.     0.  Kays  er    aus  Offenbach.     Dis- 
sertation :  üeber  Parabromtoluol-Amidosulfo- 
säure  und  Parabromtoluol-Nitrosulfosäure. 


II.  Von  den  unter  dem  Decanate  des  Geh. 
Regierungsraths  Lotze  beschlossenen,  aber  nicht 
vollzogenen  Promotionen  ist  folgende  vollzogen: 

Juli  1876.  Joseph  Philipp  Rotheimer  aus 
Düsseldorf,  Dissertation :  De  enunciatis  con- 
ditionalibus  Plautinis. 


III.     Von  den  unter  dem  Decanate  des  Hofraths 
Bertheaa    beschlossenen    Promotionen    sind   fol- 
gende vollzogen: 

1.  Juli  1876.     Heinrich  Kolischer   aus    Lem- 

berg.  Dissertation:  Rodbertus  Ansichten  über 
den  landwirthschaftlichen  Hypothekeukredit. 

2.  Juli.  Felix  Buka  aus  Myslowitz.  Diss. : 
üeber  das  sphaerische  Kurbelgetriebe  und 
seinen  Specialfall,  das  Hooke'sche  Gelenk. 

3.  Juli.  Bernhard  Pansch  aus  Eutin.  Diss. : 
De  Deo  Piatonis. 

4.  Juli.      Arthur    Fairbanks    Taylor    aus 
Andover,    Massachusets.      Diss.:    üeber   das 
Verhalten  der  Bernsteinsäure  zu  Anilin  und 
Tolidin  und  über   die  Nitrirung  der  Succiu-' 
Anilide. 

5.  Juli.     Friedrich  Scheiding  aus  Hildesheim. 

Diss.:  üeber  Beta-Naphtylamin. 

6.  Juli     Fritz    Bechtel    aus    Durlach.     Diss.: 

üeber  gegenseitige  Assimilation  und  Dissi- 
milation der  beiden  Zitterlaute  in  den  älte- 
sten Phasen  des  liidogermauischeu. 


571 

7.  Juli  1876.  Hermann  Julins  Boettger  aus 
Bunzlau.  Diss.:  Die  deutsche  Apothekerre- 
formbewegung der  letzten  Jahrzehnte. 

8.  Jnh.     Ernst  Hoe bei    aus   Steiniahe.     Diss.: 

Ueber    die    Darstellung    doppelt-periodischer 
l^uuktionen  durch  uoendliche  Produkte 

9.  December  1 876.     Ferdiuaud  Sennewald  aus 

Hamburg.     Diss. :  Ueber  Aethyl-  und  Amyl- 
Auhydrobenzoyl-Diamidobenzol. 

10.  Januar  1877.  Georg  Alexander  Kästner 
aus  St.  Petersburg.  Diss.:  Ueber  das  refun- 
dirte  Bisthum  Reval. 


IV.     Unter    dem    Decanate    des    Professors  W 
Müller  vom  1.  Juli  1876  bis  zum  30.  Jani  1877 
sind    folgende   Promotionen    bewilligt  und  voll- 
zogen worden: 
13.  Juli  1876.     Bruno  Förster    ans    Zduui   in 
Posen.     Diss.:    Die  Plänermulde  östlich  von 
Alfeld. 
15.  Juli.     Edmund  Hoppe  aus  Burgdorf.  Diss.: 
Ueber  verschiedene  Formen  der  canonischen 
Substitution    und    deren   Anwendung  in  der 
Mechanik    und   zur  Interpretation  der  Diffe- 
rentialgleichungen erster  Ordnung. 
18.    Juli.      Karl     Stuckenberg     aus     Stade. 
Diss.:   Ueber   Paranitrosulphipheuol,  Amido- 
nitro-,  Dianido-  und  Amidodinitrophenole. 

20.  Juh.  Otto  Lücke  aus  Magdeburg.  Diss.: 
Absolute  Participia  im  Gotischen  und  ihr 
Verhältnis  zum  griechischen  Original, 

21.  Juli.  Otto  Krümmel  aus  Exin  in' Posen. 
Diss.:  Die  äquatorialen  Meeresströmungen 
des  Atlantischen  Oceans  und  das  allgemeine 
System  der  Meerescircuiation. 

-T.  Juli.     Arnold  Heinrich  Kamp    aus    Oester- 


572 

wege.  Diss. :  Schleiermacher's  Gotteslehre 
kritisch  dargestellt. 

29.  Juli.  Hermann  von  Jhering  Dr.  med.  aus 
Göttingen.  Diss. :  üeber  die  Ontogenie  von 
Cyclas  und  die  Homogenie  der  Keimblätter 
bei  den  Mollusken. 

30.  Juli.  Walther  Gröbli  aus  Oberntzwil  im 
Canton  St.  Galleu.  Diss. :  Specielle  Probleme 
über  die  Bewegung  geradliniger  paralleler 
Wirbelfäden. 

1 .  August.     Anton  Führer  aus  Limburg  a.  d.  L . 

Diss. :  De  dialecto  Boeotica. 

2.  August.  PVitz  G  i  e  s  e  1  aus  Winzig.  Diss. : 
üeber  Chrysaminsäure  und  Chrysazin. 

4.  August.     Felix  Buch  hol  tz  aus  Brandenburg. 

Diss,:  De  aulaeorum  velorunique  usu  et  in 
vita  veterum  cotidiana  et  in  anaglyptis  eorum 
atque  picturis. 

5.  August.  Hermann  Kasten  aus  Bremen. 
Diss. :  Zur  Theorie  der  dreiblättrigen  Rie- 
mann'schen  Fläche, 

7.  August.      Hippolyt    Ludwig    von    Klenze 
^aus  München,      Diss.:    Untersuchungen  über 

die    kapillare    Wasserleitung   im    Boden  und 

die  kapillare  Sättigungskapacität  desselben  für 

Wasser. 
7.  August.     Heinrich  Witte   aus' Leer.     Diss.: 

Geschichte  des  Wormser   Conkordates   unter 

den  Staufern. 

9.  August.  Ernst  von  Schack  aus  Basthorst. 
Diss. :  lieber  Nitromesitylene ,  Nitromesidine 
und  die  Nitrirung  von  Parabenztoluid. 

10.  August.  August  Vinzcnt  Tren  tepohl  aus 
Oldenburg.  Diss.:  Observationes  in  Aeschinis 
usum  dicendi. 

Fortsetzung  folgt. 


573 

.Vachrlehten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


14.  November.         M  23.  1877. 


KöDgliche  desellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  an  3,  NoTember. 

Benfey,  D  statt  N. 

Wiesel  er,  Antiken  in  der  südwestlichen  Schweiz  und 
Turin. 

ßiecke,  Versuch  einer  Theorie  der  elektrischen  Schei- 
dung durch  Reibung. 

Geinitz,  über  das  Erdbeben  von  Iquiqae  9.  Mai  1877 
und  die  dadurch  erzeugte  Fluthbewegung  im  großen 
Ocean.    (Vorgelegt  von  v.  Seebach). 

Lang,  Beiträge  zur  Physiographie  der  gesteinbildenden 
Mineralien.     (Vorgelegt  von  Wohle  r). 

Ludwig,  über  den  Nebendarm  der  Echinodeen.  (Vor- 
gelegt von  Ehlers). 

Schwarz,  Berichterstattung  über  die  vierte  Säcular« 
feier  der  Universität  üpsala. 


D  statt  N. 

Von 

Theodor  Benfey, 

§.  1. 

Im  Slavischen  erscheint  bekanntlich  in  dem 
Zahlwort  für  'neun'  statt  des  anlautenden  in- 
dogermanischen w,   z.  B.  in    sanskritisch  navan 

51 


.574 

ein  d,  z.  B.  altslavisch  dev^ti,  welcliem  indoger- 
manisch navanti  eigentlich  'Nennheit'  entspre- 
chen würde  (vgl.  Fick,  Vgl.  Wtbch  I^.  128  und 
meine  Abhandlung  über  das  Zahlwort  Zwei  in 
den  Abhdlungen  der  Kön.  Ges.  d.  Wiss.  Bd.  XXI, 
S.  21) ;  denselben  Gegensatz  finden  wir  auch 
im  Litauischen  und  Lettischen,  devym,  deveni 
'neun' ;  in  dem ,  diesen  sonst  so  nahe  stehen- 
den, Altpreußischen  dagegen  erscheint,  wie  in 
den  übrigen  indogermanischen  Sprachen,  w:  ne- 
vint-s  'der  neunte'  gegenüber  von  dem  bedeu- 
tungsgleichen litauischen  devinta-s ,  altslavischen 
dev^tü. 

Ein  zweites  Beispiel  dieser  Art  bildet  das  d 
in  lit.  debesi-s  (dehes),  lett.  debesi-s  gegenüber 
von  iudogerm.  ncihhas,  Nebel  u.  s.  w. ;  wo  aber, 
wie  bei  'neun'  im  Altpreußischen  ,  so  im  Slavi- 
schen  das  n  der  übrigen  indogermanischen  Spra- 
chen erscheint,  z.  B.  altslav.  nebo. 

Vor  einigen  Jahren  wurde  meine  Aufmerk- 
samkeit durch  einen  Zufall  auf  diese  Erschei- 
nung gelenkt  und  es  ergab  sich  mir  die  im  Fol- 
genden mitzutheilende  Erklärung  derselben.  Sie 
schien  mir  so  einfach  und  natürlich,  daß  ich 
meinte,  sie  werde  schon  irgendwo  veröfi'entlicht 
sein.  Doch  wurde  mir  dies  vor  wenigen  Wo- 
chen durch  die  Anmerkung  in  Bezzeuberger's 
Beiträgen  zur  Geschichte  der  Litauischen  Sprache 
S.  41  zweifelhaft.  Sollte  es  dennoch  der  Fall 
sein,  so  würde  sie  von  Bezzenberger  übersehen 
sein  und  was  diesem  so  umsichtigen  und  fleißi- 
gen Gelehrten  entging ,  möchte  dann  auch  an- 
dern entgangen  sein ;  ich  selbst  bin  wegen  mei- 
ner leidenden  Augen  und  der  Beschränktheit  meiner 
Zeit  nicht  mehr  im  Stande,  alles  zu  lesen,  was 
auf  dem  sich  immer  mehr  erweiternden  Gebiete  der 
Sprachwissenschaft  veröfi'entlicht  wird  und  hofl'e 


575 

daher  Entschuldigung  zu  finden,  wenn  meine 
Mittheilung  nur  etwas  schon  Bekanntes  wieder- 
holen sollte. 

§.2. 

Bekanntlich  werden  die  Ciassennasale  —  z.  B. 
der  dentale,  «,  so  wie  der  labiale,  m  — .durch  den- 
selben Verschluß  gebildet,  wie  die  entsprechen- 
den tönenden  uuaspirirten  Consonauteu,  also 
n  wie  (?,  m  wie  b.  Der  wesentliche  Unterschied 
bei  der  Bildung  liegt  nur  darin,  daß  beim  Na- 
sal die  Luft  während  des  Verschlusses  durch  die 
Nase  entlassen  wird,  beim  Consonanten  dagegen 
der  Verschluß  geöiFnet  wird ,  so  daß  die  Luft 
durch  den  Mund  entströmt  (vgl.  M.  Müller, 
Lectures  on  the  Science  of  Language  1864. 
II,  145). 

Nun  muß  aber  natürlich  auch  bei  Pronun- 
ciation  des  Nasals  der  Verschluß  geöffnet  wer- 
den ,  wenn  der  Nasal  das  Ende  eines  Wortes 
bildet,  oder  innerhalb  eines  Wortes  ihm  ein 
Laut  folgt,  welcher  die  Oeffuung  bedingt,  wie 
z.  B.  ein  Vocal,  oder  ein  Consonant,  welcher 
durch  einen  auderu  Verschluß  gebildet  wird. 
In  diesem  Fall  wird  der  dem  Nasal  entsprechende 
Cousouant  —  also  d  hiuter  «,  b  hinter  m  — 
gewissermaßen  angeschlagen  und  geschieht  dies 
auch  noch  so  schwach,  so  ist  er  doch  im  Stande 
sich  für  den  Sprechenden  fühlbar  und  auch  für 
den  Hörenden  mehr  oder  weuiger  hörbar  zu  ma- 
chen. Finden  wir  diese  Erscheinung  ja  auch 
bei  andern  Lauten,  welche  man,  weil  sie  dem 
ursprünglichen  etymologischen  Lautcomplexe 
nicht  angehörten ,  schmarotzirende  zu  nennen 
pflegt ,  wie  z.  B.  ;'  hinter  Gutturalen  insbeson- 
dre, r  hinter  ^-Lauten  —  beide  aber  auch 
sonst  — ;  bald  machen  sie  sich  nur  in  unortho- 

51* 


578 

durch  Hervortritt  des  hinter  (i  anklingenden  ß  zu 
fißgoTo  ward  und  dann  ,  wie  so  häufig  bei  an- 
lautenden Consonantengruppen ,  den  ersten  Con- 
sonanten  einbüßte.  Die  indogermanische  Form 
martä  hat  sich  im  vedischen  Sanskrit  erhalten, 
aber  mit  Accentwechsel:  märta.  Dieser  Accent- 
wechsel  beruht,  wie  ich  schon  bei  anderen  Ge- 
legenheiten bemerkt  habe,  insbesondre  auf  dem 
Uebertritt  eines  Wortes  aus  einer  Categorie  in 
eine  andre,  oder  im  Allgemeinen:  auf  Bedeutungs- 
wechsel. Das  Particip  Pf.  Pass.  drückt  im  In- 
dogermanischen bekanntlich  nicht  bloß  das  Voll- 
zogenseiia  einer  Handlung  aus,  sondern  auch  die 
Vollziehbarkeit  derselben;  so  konnte  indoger- 
manisch martä  nicht  bloß  'der  gestorbene'  son- 
dern auch  'der  Sterbliche'  bedeuten ;  letzteres 
hat  sich ,  im  Gegensatz  zu  den  unsterblichen 
Göttern,  zu  der  Bedeutung  'Mensch'  specialisirt 
und  diese  Bedeutungsdififerenz ,  in  welcher  die 
ursprüngliche  Bedeutung  für  das  gewöhnliche 
Sprachbewußtsein  ganz  verschwunden  ist,  prägt 
sich  auch  in  dem  Accentwechsel  aus.  In  diesem 
Fall  trat  der  Bedeutungswechsel  im  Sanskrit  da- 
durch sehr  stark  hervor ,  daß  martä  in  der  Be- 
deutung des  Participii  Perfecti  Passivi  durch 
Eintritt  einer  andern  Lautumwandlung  nämlich 
mritä  aus  martä,  vermittelst  maratä:  muratä, 
lautlich  auch  sonst  geschieden  war.  So  häufig 
übrigens  in  derartigen  Fällen  Accentwechsel  ein- 
trat ,  so  ist  er  doch  keinesweges  nothwendig. 
Denn  der  Categorien-  oder  Bedeutungswechsel 
konnte  —  und  das  war  wohl  verwaltend  der 
Fall  —  ganz  unmerklich  eintreten  und  die  neue 
Categorie  oder  Bedeutung  in  einem  Worte  schon 
fest  ausgeprägt  sein ,  ehe  die  Diflerenz  so  stark 
dem  Sprachbewußtsein  gegenüber  trat,  daß  die 
Unterscheidung    durch   Accentwechsel   eintreten 


579 

konnte ;  dann  blieb  der  alte  Accent  anch  in  der 
neuen  Bedeutung;  daher  sehen  wir  im  griechi- 
schen ßgoto,  trotzdem  daß  die  Bedeutung  völlig 
dieselbe  ist  wie  im  sanskritischen  vidrta,  keinen 
Accentwechsel  eintreten.  Wie  im  Sanskrit  aber 
die  Spaltung  der  Particips  in  *martd  und  mritd 
zum  Accentwechsel  im  ersteren  beigetragen  ha- 
ben mochte,  so  mochte  im  Griechischen  die  Be- 
wahrung des  ursprünglichen  Accents  in  ßqoio 
sowohl  als  fJiOQxo  sich  theilweis  auch  dadurch 
erklären ,  daß  der  Begriff  'sterben'  hier  durch 
ein  ganz  anderes  Verbum,  xfav,  bezeichnet  ward, 
während  die  alte  indogermanische  Bezeichnung 
durch  das  Yerbum  mar  sich  nur  in  wenigen 
Ableitungen  erhalten  hat. 

§.3. 

Aus  dem  in  vorigen  §  Besprochenen  erklärt 
sich  die  Veränderung,  welche  uns  hier  beschäf- 
tigt mit  Leichtigkeit  und,  wie  mir  scheint,  vol- 
ler Sicherheit.  Wie  das  dem  v  nachklingende  6 
sich  in  ävÖQÖg  u.  s.  w.  in  Jemand,  Niemand 
u.  aa.  zu  vollem  Laut  und  regelmäßigem  Be- 
staudtheil  dieser  Wörter  erhob,  ganz  ebenso  ge- 
schah es  mit  dem  d,  welches  dem  anlautenden  n 
im  indogermanischen  ndbhas  und  navan  nach- 
klang, im  Litauischen,  Lettischen  und  Slavischen : 
es  wurde  einst  zu  nd.  Wie  aber  im  griechi- 
schen ßQOio  für  ixßqoto ,  aus  liQOxö,  der  erste 
Laut  der  Gruppe  im  Wortauf ang  eingebüßt 
ward  —  ein  Vorgang  der  sich  so  oft  und  in 
den  verschiedensten  Sprachen  nachweisen  läßt  — 
so  wurde  dann  auch  hier  das  anlautende  n  ein- 
gebüßt, so  daß  die  hieher  gehörigen  Wörter, 
anstatt  des  ursprünglichen  n,  nun  mit  dem  — 
gewissermaßen  schmarotzirend  angetretenen  — 
d  anlauten.     Der   Schmarotzer   hat   die    Pflanze 


578 

durch  Hervortritt  des  hinter  fi  anklingenden  ß  zu 
(ißQOTo  ward  und  dann  ,  wie  so  häufig  bei  an- 
lautenden Cousonantengruppen,  den  ersten  Con- 
sonanten  einbüßte.  Die  indogermanische  Form 
martä  hat  sich  im  vedischen  Sanskrit  erhalten, 
aber  mit  Accentwechsel;  märfa.  Dieser  Accent- 
wechsel  beruht,  wie  ich  schon  bei  anderen  Ge- 
legenheiten bemerkt  habe ,  insbesondre  auf  dem 
Uebertritt  eines  Wortes  aus  einer  Categorie  in 
eine  andre,  oder  im  Allgemeinen :  auf  Bedeutungs- 
wechsel. Das  Particip  Pf.  Pass.  drückt  im  In- 
dogermanischen bekanntlich  nicht  bloß  das  Voll- 
zogenseia  einer  Handlung  aus,  sondern  auch  die 
Vollziehbarkeit  derselben;  so  konnte  indoger- 
manisch martä  nicht  bloß  'der  gestorbene'  son- 
dern auch  'der  Sterbliche'  bedeuten ;  letzteres 
hat  sich ,  im  Gegensatz  zu  den  unsterblichen 
Göttern,  zu  der  Bedeutung  'Mensch'  specialisirt 
und  diese  Bedeutungsdifi'erenz ,  in  welcher  die 
ursprüngliche  Bedeutung  für  das  gewöhnliche 
Sprachbewußtsein  ganz  verschwunden  ist ,  prägt 
sich  auch  in  dem  Accentwechsel  aus.  In  diesem 
Fall  trat  der  Bedeutungswechsel  im  Sanskrit  da- 
durch sehr  stark  hervor ,  daß  martä  in  der  Be- 
deutung des  Participii  Perfecti  Passivi  durch 
Eintritt  einer  andern  Lautumwandlung  nämlich 
mxitä  aus  martä,  vermittelst  maratä:  maratä, 
lautlich  auch  sonst  geschieden  war.  So  häufig 
übrigens  in  derartigen  Fällen  Accentwechsel  ein- 
trat ,  so  ist  er  doch  keinesweges  uothwendig. 
Denn  der  Categorien-  oder  Bedeutuugswechsel 
konnte  —  und  das  war  wohl  verwaltend  der 
Fall  —  ganz  unmerklich  eintreten  und  die  neue 
Categorie  oder  Bedeutung  in  einem  Worte  schon 
fest  ausgeprägt  sein ,  ehe  die  Differenz  so  stark 
dem  Sprachbewußtsein  gegenüber  trat,  daß  die 
Unterscheidung    durch   Accentwechsel   eintreten 


579 

konnte ;  dann  blieb  der  alte  Accent  anch  in  der 
neuen  Bedeutung;  daher  sehen  wir  im  griechi- 
schen ßQOxo\  trotzdem  daß  die  Bedeutung  völlig 
dieselbe  ist  wie  im  sanskritischen  mdrta^  keinen 
Accentwechsel  eintreten.  Wie  im  Sanskrit  aber 
die  Spaltung  der  Particips  in  *niartd  und  mTitd 
zum  Accentwechsel  im  ersteren  beig'etragen  ha- 
ben mochte,  so  mochte  im  Griechischen  die  Be- 
wahrung des  ursprünglichen  Accents  in  ßqoio 
sowohl  als  (iOQTo  sich  theilweis  auch  dadurch 
erklären ,  daß  der  Begriff  'sterben'  hier  durch 
ein  ganz  anderes  Verbum,  ifav,  bezeichnet  ward, 
während  die  alte  indogermanische  Bezeichnung 
durch  das  Verbum  mar  sich  nur  in  wenigen 
Ableitungen  erhalten  hat. 

§.  3. 
Aus  dem  in  vorigen  §  Besprochenen  erklärt 
sich  die  V^eränderung ,  welche  uns  hier  beschäf- 
tigt mit  Leichtigkeit  und,  wie  mir  scheint,  vol- 
ler Sicherheit.  Wie  das  dem  v  nachklingende  6 
sich  in  clvÖQÖq  u.  s.  w.  in  Jemand,  Niemand 
u.  aa.  zu  vollem  Laut  und  regelmäßigem  Be- 
standtheil  dieser  Wörter  erhob,  ganz  ebenso  ge- 
schah es  mit  dem  rf,  welches  dem  anlautenden  n 
im  indogermanischen  nahhas  und  navan  nach- 
klang, im  Litauischen,  Lettischen  und  Slavischen : 
es  wurde  einst  zu  nä.  Wie  aber  im  griechi- 
schen ßqojö  für  [xßQOTÖ,  aus  liQOxö,  der  erste 
Laut  der  Gruppe  im  Wortauiaug  eingebüßt 
ward  —  ein  Vorgang  der  sich  so  oft  und  in 
den  verschiedensten  Sprachen  nachweisen  läßt  — 
so  wurde  dann  auch  hier  das  anlautende  n  ein- 
gebüßt, so  daß  die  hieher  gehörigen  Wörter, 
anstatt  des  ursprünglichen  «,  nun  mit  dem  — 
gewissermaßen  schmarotzirend  angetretenen  — 
d  anlauten.     Der   Schmarotzer   hat  die   Pflanze 


580 

an  welcher  er  emporgewachsen  ist,  umrankt, 
erstickt  und  ist  an  ihre  Steile  getreten.  In  Alt- 
slavisch  devqti,  Litauisch  devym^  Lettisch  devini 
mit  d  statt  indogermanisch  n  in  navan,  in  Li- 
tauisch und  Lettisch  debesis  mit  d  statt  indo- 
germ.  n  in  nabhas  erklärt  sich  demnach  die  Um- 
wandlung durch  Vermittlung  von  nd  für  w. 

§.  4. 
Dieser  Eintritt  von  d  statt  ursprünglichen 
n  ist  äußerst  selten  und  bezüglich  der  erwähn- 
ten Fälle  zeigt  die  Bewahrung  des  n  von  nabhas 
im  Slavischeu,  daß  er  sich  zur  Zeit  der  Lettisch- 
Slavischen  Einheit  in  diesem  Worte  noch  nicht 
zur  Geltung  gebracht  hatte;  ja  wenn  das  n 
des  indogermanischen  navan  in  dem  altpreußi- 
schen nevints  sich  wirklich  erhalten  hat  — 
dies  wenn  wirklich  beruht  darauf,  daß  in 
Fick's  Vgl.  Wtbch  IP.  S.  740  hinter  'nevinta, 
der  neunte'  in  Klammern  'oder  devintaT  folgt 
—  dann  war  es  auch  in  indog.  navan  —  trotz 
der  Uebereinstimmung  des  Slavischen,  Litauischen 
und  Lettischen  bezüglich  desselben  —  zur  Zeit 
dieser  Einheit  noch  nicht  zur  Herrschaft  gelangt 
und  wäre  vielmehr  erst  nach  der  Spaltung  bei- 
der Zweige,  im  Slavischen  einerseits  und  Litau- 
isch-Lettischen andrerseits,  von  einander  unab- 
hängig, entstanden.  Bei  Umwandlungen,  welche 
auf  der  Lautbildung  beruhen  ,  ist  ein  von  ein- 
ander unabhängiger  Eintritt  bekanntlich  in  völ- 
lig unverwandten  Sprachen  möglich  und  viel- 
fach nachgewiesen  —  konnte  also  noch  viel  eher 
in  so  nahe  verwandten  wie  Lit.-Lettisch  und 
Slavisch  eintreten.  Ist  dagegen  devmts  auch 
für  Altpreußisch  anzusetzen ,  dann  ist  d  statt 
des  anlautenden  w  im  indog.  navan  ^  wenigstens 
mit  höchster  Wahrscheinlichkeit,   schon   für  die 


581 

Zeit  der  Lettisch-Slavischen  Einheit  anzusetzen. 
Ob  und  wie  diese  Frage  zn  entscheiden  ist,  muß 
ich  denen  überlassen,  welche  sieh  mit  der  Er- 
forschung des  Altpreußischen  beschäftigen. 

Sonst  ist  mir  diese  Umwandlung  nur  noch 
einmal  in  der  lebendigen  Sprache  und  zwar  in 
unsrer  Muttersprache  begegnet  und ,  da  dieser 
eine  Fall  mir  die  Veranlassung  bot,  über  diese 
Erscheinung  nachzudenken,  so  werde  ich  ihn 
sogleich  im  folgenden  §  erwähnen.  Vorher  will 
ich  jedoch  bemerken ,  daß  man  daraus,  daß  ich 
weiter  keine  nachzuweisen  im  Stande  bin,  nicht 
schließen  möge,  daß  weiter  keine  der  Art  be- 
stehen. Andre  Arbeiten  haben  mir  bloß  nicht 
Zeit  gelassen  jetzt  speciell  nach  ihnen  zu  su- 
chen ;  bei  methodischer  Forschung  -werden  sich 
vielleicht  noch  einige  finden  lassen ;  doch  glaube 
ich  kaum  daß  die  Anzahl  erheblich  sein  wird. 
Denn  seit  drei  ein  halb  Jahren ,  wo  meine  Auf- 
merksamkeit auf  diese  Erscheinung  gerichtet  ist, 
ist  mir  —  vielleich  in  der  That  nur  zufällig  — 
kein  hieher  gehöriger  Fall  weiter  aufgestoßen. 
Dagegen  trat  mir  noch  einiges  entgegen  ,  was 
noch  für  meine  Erklärung  spricht  und  weiterhin 
mitgetheilt  werden  möge. 

§.  5. 
Was  nun  jenen  im  vorigen  §  augedenteten 
Fall  betrifft,  so  kam  er  bei  einem  kleinen  Kinde 
vor,  welches,  bei  stark  hervortretendem  Sprech- 
talent ,  sich  insbesondre  durch  eine  sehr  voll- 
kommne,  scharf  bestimmte  Aussprache  des  Eng- 
lischen sowohl  als  Deutschen  auszeichnete.  Es 
war  drei  Jahr  alt  und  befand  sich  in  einem  Gar- 
ten, wo  es  oft  den  Ruf  'Kellner!'  hörte.  Mun- 
ter und  lebhaft,  wie  es  war,  wiederholte  es  den 
Ruf  ebenfalls,    aber  jedesmal  kam.  nicht  Kell- 


582 

ner,  sondern  deutlich  Kell  der  heraus.  Man 
machte  das  Kind  darauf  sufmerksam  ,  ließ  es  n 
und  d  einzeln  und  in  andern  Verbindungen  aus- 
sprechen; das  Kind  bildete  alles  genau  und  ganz 
richtig  nach,  sah  uns  mit  großer  Aufmerksam- 
keit nach  dem  Mund,  wenn  wir  ihm  dann  Kell- 
ner vorsprachen,  gab  sich  dann  augenschein- 
lich große  Mühe  es  genau  wie  wir  auszuspre- 
chen, aber  für  unser  Ohr  kehrte  stets  'Kell- 
der'  wieder.  Längere  Wiederholung  ermüdete 
die  Kleine  und  zwar  um  so  mehr  als  sie  das 
entschiedene  Bewußtsein  zu  haben  schien ,  das 
Wort  ganz  so  wie  wir  ausgesprochen  zu  haben. 
Als  ich  den  Grund  dieser  Umwandlung  er- 
kannt zu  haben  glaubte,  erklärte  ich  diese  Er- 
scheinung dadurch,  daß  die  Lösung  des  Ver- 
schlußes  bei  l,  dann  die  Festhaltung  desselben 
bei  n  und  die  abermalige  Lösung  desselben  vor 
e  dem  Kinde  schwer  wurde  und  daß  es  in  Folge 
davon  den  Verschluß  bei  n  vielleicht  zwar  bil- 
dete, aber  nicht  so  lange  festhielt  bis  die  Luft 
hinlänglich  in  der  Nase  vibrirt  hatte,  um  das 
n  für  uns  laut  genug  erklingen  zu  lassen,  son- 
dern ihn  so  schnell  und  so  stark  wieder  löste, 
daß  das  sonst  dem  n  fast  unmerkbar  nachklin- 
gende d  so  laut  und  deutlich  ins  Ohr  fiel,  daß 
wir  den  leisen  Ansatz  von  n  nicht  wahrzuneh- 
men vermochten;  vielleicht  aber  bildete  es  den 
Verschluß  für  ti  gar  nicht,  sondern  benutzte 
die  Lösung  des  Verschlusses  bei  l  unmittelbar 
zur  Production  des  d.  Ob  das  Kind  jenes  oder 
dieses  that,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden  ;  denn 
es  war  zu  ermüdet,  um  viele  Experimente  mit 
ihm  anzustellen;  auch  hatte  ich  damals  noch 
keine  Ahnung  davon,  wie  die  Erscheinung  zu 
erklären  sein  möchte  und  würde  demnach  gar 
nicht    im    Stande    gewesen  sein,   methodisch  zu 


583 

experimentiren.  Wenn  das  Kind  nach  der  er- 
sten Weise    verfuhr   d.  h.  das  n  leise  andeutete 

—  worauf  ich  aber  gar  nicht  gefaßt  sein  konnte, 
theils  weil  ich  damals,  wie  gesagt,  diese  Erschei- 
nung noch  nicht  zu  erklären  vermochte,  theils 
weil  wir  orthographisch  geschulten  Leute  in 
unsrer  Muttersprache  nur  die  orthographisch 
fixirten  Laute  zu  hören  gewohnt  sind,  die  Nüan- 
ciruugen  derselben  aber,  wenn  sie  nicht  zu  grell 

—  als  Fehler  —  ins  Ohr  fallen,  gewöhnlich  über- 
hören —  würde  ich  vielleicht  ein  nasalirtes  l 
vor  dem  d  zu  hören  bekommen  haben,  einen 
Laut,  welchen  die  Indische  Grammatik  kennt, 
ich  aber  bis  jetzt  weder  gehört  habe,  noch  zu 
bilden  vermag. 

§.  6. 
Einen  Fall,  welcher,  außer  den  in  §  2  her- 
vorgehobenen, meine  Erklärung  —  daß  das  d  aus 
dem  Nachklang  des  n  entstanden  ist  —  noch 
zu  unterstützen  geeignet  ist,  erblicke  ich  in  der 
Erscheinung,  daß  das  Neugriechische,  welches 
die  unaspirirten  tönenden  b,  d  bekanntlich  als 
selbststäudige  Laute  nicht  kennt ,  sie  dennoch 
in  zwei  Fällen  spricht  und  zwar  L,  statt  tc  und 
T,  sobald  diesen  Lauten  ein  Nasal  vorhergeht: 
z.  B.  avfindaxfi)  wird  gesprochen  ssimbascho,  dyn 
andi,  tr^v  nohv  fim  bolin ,  tov  %6nov  ton  dopon 
(Mullach,  Grammatik  der  Griechischen  Vulgar- 
sprache  S.  114).  Nach  der  hergebrachten  Weise 
kann  man  zwar  sagen ,  der  Nasal ,  weil  tönend, 
habe  durch  theilweise  Assimilation  die  dumpfen 
n  T  in  die  entsprechenden  tönenden  verwandelt; 
allein  einmal  ist  assimilirende  Wirkung  auf 
einen  nachfolgenden  Laut  eine  äußerst  seltene 
Erscheinung  überhaupt  und  zweitens  sehen  wir 
die  Classennasale  so   ziemlich  in  allen  Sprachen 


584 

vor  allen  Lauten  ihrer  Classe,  ohne  jeglichen 
Einfluß  auf  sie  erscheinen.  Mir  scheint  daher 
die  wahrscheinlichere  Erklärung  ,  daß  n  t  im 
Neugriechischen  hinter  Nasalen  gewissermaßen 
ihre  Selbstständigkeit  aufgeben  und  ganz  und 
gar  identisch  werden  mit  den  Nachklängen  der 
Nasale,  wie  wir  sie  im  Griechischen  äfjißQOTO  für 
dftqoTOt  (xvdQO?  für  dvgög  gefunden  haben  ,  so 
daß  die  Aussprache  nd  statt  nt  identisch  ist  mit 
der  Aussprache  des  w,  welche  wir  zur  Erklärung 
des  letto  -  slavischen  d  für  indogermanisches  n 
angenommen  haben. 

2.  Sprechen  die  Nengriechen  h  und  d  in  frem- 
den Wörtern ,  bezeichnen  sie  aber  bzw.  durch 
fiTC,  vr,  z.  B.  [jiiTTayxsQijg  Banquier,  Mnagfinii 
dov  Mrtcoxcc^s,  Barbier  du  Bocage,  vnßdvt,  divan. 
Beruht  diese  Bezeichnungsweise  einzig  auf  der 
unter  1.  erwähnten  Erscheinung,  dann  tritt  die 
Verschiedenheit  ein,  daß  in  den  Fällen  unter 
1.  der  dem  n,  z  vorhergehende  Nasal  deutlich 
ausgesprochen  wird ,  hier  aber  gar  nicht  er- 
klingen soll.  Vielleicht  beruht  sie  aber  gar  nicht 
allein  auf  jener  Umwandlung  von  n,  t  hinter 
Nasalen  in  h,  d,  sondern  zum  Theil  darauf,  daß 
die  Griechen  in  den  fremden  Lauten  J,  d  wirk- 
lich einen  leisen  Vorklang  von  bzw.  m,  n  hör- 
ten. Denn  wenn  man  sich  die  Bildung  von 
&,  d  vergegenwärtigt,  kann  man  kaum  umhin, 
zu  bemerken ,  daß  dies  wirklich  der  Fall  sein 
konnte.  Durch  den  bei  der  Bildung  von  h,  d 
eintretenden  Verschluß  wird  nämlich  ein  Theil 
der  Luft,  die  sich  in  der  Mundhöhle  befindet, 
in  die  Nase  getrieben,  so  daß  sie  in  ihr,  wenn 
auch  nur  leise,  vibrirt  und  also  ein  —  wenn 
auch  nur  leiser  —  Nasal  dem  bei  Oeffnung 
des  Verschlusses  eintretendem  h  oder  d  vorher- 
geht.    Mag  nun  die   eine  oder  die  andre  Erklä- 


585 

rung  dieser  Schreibweise  die  richtige  sein  ,  für 
das  gewöhnliche  Ohr  war  in  beiden  Fällen  — 
da  sie  bzw.  das  fremde  6,  d  widerspiegelt  — 
der  Nasal  wesentlich  in  derselben  Weise  ein- 
gebüßt, wie  das  fi  von  ursprünglichem  fiQOio  vor 
dem  aus  ihm  hervorgetretenen  Nachklang  ß 
{*(ißQ0T6  ä-fißgoTo)  in  ßgoxo  und  nach  uusrer 
Erklärung  das  n  von  ursprünglichem  navan, 
nahhas  vor  dem  aus  ihm  hervorgetretenenNach- 
klang  d  {^ndcvyiü ,  *nd€v^ti  *ndebesi-s)  in  lit. 
devyni,  altsl.  dev^i,  lit.  debesi-s. 

Für  meine  Erklärung  spricht  ferner  der  nicht 
seltene  Mangel  schriftlicher  Bezeichnung  von 
Nasalen,  trotz  dem ,  daß  sie  wahrscheinlich  — 
wenn  auch  schwach  —  intonirt  wurden ,  wie  z. 
B.  in  den  altpersischen  Keilinschriften  vor 
nachfolgenden  Cousouanten.  Endlich  auch  die 
nicht  seltene  Einbuße  von  n  vor  T-Lauten  — 
auch  andrer  Nasale  vor  entsprechenden  Couso- 
uanten, was  aber  für  unseru  Zweck  gleichgül- 
tig —  ;  so  vor  d  z.  B.  in  griechisch  XT^öoöy  (vgl. 
xTiV  in  xuig  für  xisv-g),  vor  t  in  griechisch  juazo 
für  fiav-TÖ  (in  aviöiiaxo  GWL.  II,  34),  gerade 
wie  im  Sanskrit  niatd  für  man-tä.  Da  die  hier 
erwähnten  Fälle  den  Acceut  auf  der  folgenden 
Silbe  haben  und  gerade  bei  dieser  Acceutuirung 
die  Einbuße  eines  Nasals  vor  Consonanteu  über- 
aus häufig  eintritt,  so  ist  kaum  zu  bezweifeln, 
daß  sie  eben  von  mitwirkendem  Einfluß  war. 
Der  folgende  Accent  bewirkte ,  daß  der  Ver- 
schluß, durch  welchen  die  Vibration  der  Luft 
in  der  Nase  den  Nasal  produciren  sollte,  nicht 
lange  genug  festgehalten  ward ;  er  ward  —  um 
rascher  zu  der  accentuirten  Silbe  zu  gelangen  — 
so  früh  geöffnet,  daß  zuerst  der  Nasal  ganz 
schwach  tönte  und  endlich  ganz  eingebüßt  wurde. 


586 

§.  7. 

Hiermit  könnte  unsre  Untersucliung  zu  einem 
sicheren  Abschluß  gekommen  und  das  Resultat 
derselben  unzweifelhaft  festgestellt  scheinen. 
Dennoch  erhebt  sich  noch  eine  Frage ,  welche 
auf  den  ersten  Anblick  Manchen  bestimmen 
könnte,  eine  andre  Erklärung  zu  suchen.  Wir 
dürfen  uns  daher  nicht  erlauben,  sie  zu  umgehen, 
glauben  jedoch  uns  auf  eine  kurze  Andeutung 
beschränken  zu  dürfen ,  da  wir  zeigen  zu  kön- 
nen hoffen,  daß,  wie  auch  diese  Frage  entschie- 
den werden  möge,  unser  Resultat  dadurch  nicht 
beinträchtigt  wird. 

Es  fragt  sich  nämlich,  ob  man  —  in  Ueber- 
einstimmung  mit  alter  üeberlieferung  —  6v6(po-q 
und  was  dazu  gehört,  zu  vscpog^  also  grund- 
sprachlich nahhas  ziehen  darf. 

Eine  Untersuchung  darüber  würde  zu  weite 
Dimensionen  annehmen  ,  als  daß  ich  mich  hier 
und  jetzt  darauf  einlassen  dürfte.  Denn  es 
schließt  sich  daran  unmittelbar  die  Frage  über  das 
Verhältniß  von  yvotfo-q  u.  s,  w.  zu  öv6(fo-g  und 
an  diese  dann  weiter  die  über  das  von  xvscfaq 
zu  yvocpoq.  Diese  Fragen  selbst  dürfen  wir  un- 
berücksichtigt lassen ;  wohl  aber  müssen  wir  in 
Betracht  ziehen,  welche  Folgen  die  Entscheidung 
derselben  für  unser  Resultat  haben  würde. 

Entscheidet  man  sich  nun  dafür  daß  dvd(fog 
Tl.  s.  w.  nicht  zu  nahhas  zu  ziehen  sei,  so  kömmt 
es  für  unsre  Untersuchung  natürlich  gar  nicht 
in  Betracht. 

Entscheidet  man  sich  dagegen  für  einen  Zu- 
sammenhang von  dv6(fo-g  mit  nahhas  —  worauf 
man  dann  yv6(fo-g  nach  Analogie  von  APIAFNE 
für  'AQtaövii  u.  aa.  (s.  Gott.  Gel.  Auz.  1858  S. 
1658)  daraus  und    xvi^aq  bezüglich  des  x  für  ;' 


587 

nach  Analogie  von  dfiTtXaxtXv  und  dftßlaxstp 
u.  aa.  aus  diesem  erklären  könnte  —  dann 
könnte  man  in  der  That  auf  den  ersten  Anblick 
auf  den  Gedanken  geratheu ,  daß  du  die  ur- 
sprünglichen Anlaute  gewesen  und  die  li- 
tauisch-lettischen Formeu  durch  Einbuße  des  n, 
die  übrigen  indogermanischen  aber  durch  die 
des  d  aus  *dnahhas  entstanden  seien. 

Gegen  eine  solche  Hypothese  spricht  nun 
aber  schon  mit  hoher  —  ja  höchster  —  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  alle  übrigen  indogermani- 
schen Sprachen  —  auch  das  Griechische  in  dem 
sichren  Reflex  —  bloßes  n  als  Anlaut  haben. 

Aber  gesetzt:  man  wollte  trotzdem  dn  als 
ursprüngliche  Anlaute  aufstellen,  dann  würde 
sich  das  litauisch -lettische  dennoch  kaum  mit 
irgend  einer  Sicherheit  —  ja  auch  nur  Wahr- 
scheinlichkeit —  daraus  erklären  lassen.  Denn 
wenn  von  zwei  anlautenden  Consonanten  einer 
eingebüßt  wird,  dann  ist  es  fast  ausnahmslos 
der  erste,  nicht  der  zweite;  es  hätte  alsdann 
gerade  im  Lit.-Lett.  das  Wort  nicht  mit  rf, 
sondern  mit  n  angelautet. 

Endlich  gesetzt :  man  wollte  auch  daran  kei- 
nen Anstoß  nehmen,  so  hätte  man  zwar  dadurch 
eine  aufs  äußerste  gewagte  Erklärung  für  den 
lit.-lett.  Reflex  von  indogerm.  nabhas^  aber  keine 
für  die  Lett.  -  Slavischen  Reflexe  von  indogerm. 
navan ;  denn  für  dieses  läßt  sich  keine  Spur 
eines  einstigen  dnavan  nachweisen  und  doch  ist 
nicht  zu  bezweifeln  daß  die  Erklärung  der  Re- 
flexe von  navan  mit  der  der  Reflexe  von  nahhas 
übereinstimmen  müsse. 

Es  ist  demnach  schwerlich  zu  bezweifeln, 
daß  auch  für  den  Fall ,  daß  övdqo-g  u.  s.  w. 
als  —  dann  wohl  dialektische  —  Nebenformen 
von  vi^og  zu  betrachten  sind,  unsere  Erklärung 


588 

des  ä,    im    Gegensatz    zu  n,  dadurch    nicht    im 
Mindesten  beeinträchtigt  wird. 

Wie  das  Verhältniß  von  (Jv  im  öpöcpo-g  za 
dem  V  in  vsipoq  zu  deuten  sei,  haben  wir  dem- 
nach wohl  nicht  eher  nöthig  zu  untersuchen, 
als  bis  die  Zusammengehörigkeit  dieser  Wörter 
durch  andre  Momente  vollständig  entschieden  ist. 
Sollte  dies  geschehen,  dann  glaube  ich  wird  man, 
wie  hier  für  Lettisch  Litauisch  und  Slavisch, 
auch  für  irgend  einen  griechischen  Dialekt  an- 
zunehmen haben ,  daß ,  wie  in  dvögög  u.  s.  w., 
auch  in  vscpog  das  dem  n  nachklingende  d  laut 
geworden  sei,  sich  aber  im  Anlaut  —  der  im 
Griechischen  nie  ein  vd  zeigt  —  nicht  halten 
konnte  und  sich  —  vielleicht  weil  zu  stark  ge- 
worden, um  gaaz  eingebüßt  zu  werden  —  in  die 
im  Anlaut  erscheinende  und  im  Inlaut  häufige 
Gruppe  dv  umsetzte.  Doch  darüber  eingehend 
zu  handeln,  wird  erst  dann  nothwendig  sein, 
wenn  der  Beweis,  daß  6vö(fo-s  zu  vscfog  gehört, 
wirklich  beigebracht  sein  wird. 


Verbesserangen: 


S.  533  Z.  10  füge  man  hinter  der  Ueberschrift  hinzu : 
(Auszug)  und  Z.  13  lese  man:  Die  in  der  ueber- 
schrift bezeichnete,  für  u.  s.  w. 

ebda.  Z.  15  1.  m.  welche  dazu  dienen  sollen 
statt  welche  bestimmt  sind. 

S.  546,  Z.  4  lese  man:  dasselbe  statt  dieselbe. 

»    547,    *    5  v.  u.  lese  man:  Aeußerung. 


589 

Beiträge  zur  Physiographie  gesteins- 
bildender Mineralien 


Heiur.  Otto  Lang. 
(Vorgelegt  von  Wöhler.) 

I. 

Beobachtungen  an  ceutralamerikanischen  Ge- 
steinen, welche  Herr  Professor  Aon  Seebach  auf 
seiner  Reise  gesammelt  hatte  und  mit  deren  mi- 
kroskopischer Untersuchung  er  mich  freundlichst 
betraute,  veranlassen  mich,  im  Folgenden  zwei 
Lehr-  oder  Erfahrungssätze,  welche  sich  in  der 
mikroskopischen  Diagnostik  großer  Beliebtheit 
und  allgemeiner  Anwendung  erfreuen,  dem  Miß- 
trauen und  einer  scharfen  Kritik  der  Fachge- 
nossen zu  empfehlen. 

Wer  in  Betracht  zieht,  daß  dergleichen  Lehr- 
sätze oft  auf  Beobachtung  von  verhältnißmäßig  ge- 
ringem ,  näher  erforschtem  Materiale  beruhen, 
wird  sich  allerdings  wohl  kaum  verwundern, 
wenn  mit  fortschreitender  Forschung  die  zuerst 
gewonnenen  Erfahrungs-Sätze  modificirt  werden 
müssen.  Das  meiste  Material  wird  ja  nur  nach 
Analogie  des  Habitus  bestimmt,  da  sich  einer 
eingehenderen  Erforschung  gewöhnlich  zu  große 
Schwierigkeiten  entgegenstellen.  Die  bedeutenden 
Erfolge,  welche  die  Methode  der  mikroskopischen 
Gesteinsforschung  in  kurzer  Zeit  errang,  mußte 
ferner  eine  Ueberschätzung  ihres  Werthes  im  Ge- 
folge haben  und  zu  einer  Einseitigkeit  der  Untersu- 
chung führen.  Man  vernachlässigte  die  chemischen 
Untersuchungen  auch  da,  wo  ihrer  Ausführung  keine 
unüberwindlichen  Eindernisse  durch  die  Gestein- 
structur    entgegenstanden;   man   hielt  sich  sogar 

52 


590 

berechtigt,    wo   einfache    chemische    Reactionen 
oder  die  Werthe  der  Bausch-Analyse  des  Gesteins 
betrejBfs   seines    mineralischen   Bestandes    Winke 
gaben,  welche  mit  der  mikroskopischen  Bestim- 
mung des  Gesteins-Bestandes  nicht  übereinstim- 
men wollten,    der  letzteren  mehr  Vertrauen  zu- 
zusprechen.    Wir  dürfen   wohl   jetzt  schon  diese 
Zeit    einseitig  mikroskopischer  Gesteinsforschung 
als  vergangen   ansehen;    die  Mehrzahl   der  For- 
scher   stimmt    darin  überein ,    daß   nur  die  Ver- 
bindung mikroskopischer  und  chemischer  Unter- 
suchung  sichere  Resultate  bietet.     Wohin    aber 
die    chemische   Forschung   der    mikroskopischen 
nicht  folgen  kann,  wo  man  also  nur  auf  die  Be- 
stimmung nach  Analogie  der  Erscheinungs-Weise, 
des   physikalisch-krystallographischen  Verhaltens 
angewiesen  ist,  da  soll  man  sich  der  Unsicherheit 
der  Methode  bewußt  bleiben.    Die  durch  Analogie- 
Schlüsse  gewonnenen  Regeln  der  mikroskopischen 
Diagnostik  sind  eben  immer  nur  Erfahrungs-Sä- 
tze,   bei  denen  die  Gefahr  sehr  nahe  liegt,   daß 
sie  gerade  in  eingehendere  Untersuchung  erschwe- 
renden  Fällen   trügen.     Sie    kleiden    sich   nicht 
selten    in  Formen  festbegründeter  Lehrsätze  und 
ihre    gewöhnliche    und     allgemeine   Anwendung 
verleiht  ihnen  ein  Gewohnheits-Recht  und  einen 
Nimbus,    der  zumal  Anfänger  in  der  mikrosko- 
pischen Untersuchungsmethode  blenden  muß  und 
so  der  Forschung    gefährlich    werden   kann.     Es 
läßt     sich     nicht    ermessen ,    wieviele    Gesteine 
die    eine  Controle    durch    chemische    Reactionen 
nicht    zulassen  und   auch    nicht  local  verknüpfte 
Gesteinspartien  aufweisen,  welche  eine  für  exacte 
Forschung    vortheilhaftere  Structur  des  Gesteins 
und    seiner    Geraengtheile     bieten,     auf    Grund 
jener  Erfahrungssätze  unsicher  und,  jedenfalls  zum 
Theil ,  unrichtig  bestimmt  sind ,  wobei  aber  doch 


591 

der  Besftimmung,  da  sie  ja  schal-richtig  war, 
apodictiscbe  Form  gegeben  worden  ist.  Das  Eine 
möchte  ich  jedoch  besonders  betonen ,  daß  ich 
hier  nicht  gegen  die  Giltigkeit  jener  Bestimmungs- 
Regeln  als  Erfahrun  gs-Sätze  zu  Felde  ziehe, 
sondern  nur  gegen  ihre  üe  her  Schätzung  als 
Lehrsätze.  Auch  bin  ich  mir  wohl  bewußt,  daß 
ich  nicht  der  Erste  bin,  der  > Ausnahmen  zu 
jenen  Regeln«  constatirt;  die  Bedeutung  letzerer 
aber  rechtfertigt  wohl  das  unternehmen ,  jeden 
widersprechenden  Fall  zur  allgemeineren  Kennt- 
niß  zu  bringen,  damit  auch  diejenigen,  welche 
nicht  gern  den  Glauben  an  die  Allgemeingültig- 
keit jener  Regeln  aufgeben,  durch  die  Menge 
des  Beweis-Nfaterials  dazu  bewogen  werden. 

Eine  alltägliche ,  aber  nichts  weniger  als 
leichte  Aufgabe  des  Petrographen  ist  die,  die 
FeWspathe  eines  Gesteines  zu  bestimmen ;  auch 
wenn  man  sich  mit  der  Unterscheidung  von 
monoklineu  und  triklinen  Feldspathen  genügen 
läßt,  gelingt  dieselbe  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
nicht  mit  derjenigen  Sicherheit,  welche  besonders 
schon  in  Rücksicht  der  Gesteins- Systematik  er- 
wünscht ist ;  da  letzere  die  protogenen  gemengten 
Gesteine  nach  der  Art  des  vorhandenen  oder 
vorwaltenden  feldspathigen  Gemengtheils  gruppirt, 
muß  die  Lösung  jener  Aufgabe  in  erster  Linie 
und  mit  der  größten  Sorgfalt  versucht  werden.  — 
Die  Regeln  der  Schule  für  die  mikroskopische 
Bestimmung  sind  folgende:  wenn  die  Feld- 
spath-Durchschnitte  gleicher  Form-  und  Größen- 
Ausbildung  in  einem  Gesteins-SchlifFe  sich  in  der 
Mehrzahl  einheitlich  oder  nur  in  binären  Zwil- 
lingen polarisirend  erweisen,  wenn  sie  überhaupt, 
in  Berücksichtigung  der  Ein-  und  Verwachsungen 
mit  Plagioklas,  in  größerer  Erstreckung  einheit- 
lich chromatisch  polarisiren  ,  so  liegt  monokliner 

52* 


592 

Feldspath  vor;  die  triklinen  Feldspathe  dagegen 
charakterisire  die  lamellare,  polysynthetische  Zwil- 
lings-Polarisation sämmtlicher  oder  doch  der  an 
Zahl  überwiegenden  Feldspath  -  Durchschnitte. 
Dem  Petrographen  decken  sich  mit  den  Be- 
griffen monoklinen  und  triklinen  Feldspaths  die- 
jenigen von  Kali-  und  andererseits  von  Natron- 
Kalk-Feldspath ;  es  ist  ihm  von  größerem  Wer- 
the ,  den  chemischen  Bestand  als  die  krystallo- 
graphische  Ausbildung  des  Feldspaths  zu  er- 
mitteln. Nach  der  Restitution  des  Breithaupt' 
sehen  Kali  -  Plagioklases  Mikroklin  durch  Des 
Cloizeaux  muß  mau  sich  nun  immer  schon  be- 
wußt bleiben,  daß  Kalifeldspath  auch  mit  lamel- 
larer  oder  gitterförmiger  Zwillings -Polarisation 
auftreten  kann.  Diese  Gefahr,  einen  Kalifeld- 
spath als  einen  Natron-Kalkfeldspath  zu  deuten, 
liegt  aber  dem  Petrographen  in  der  Praxis 
ferner ,  als  wie  der  umgekehrte  Fall.  Selbst 
wer  als  Petrograph  dem  Nachweise  einfacher 
Albitkrystalle  aus  dem  Schneeberge  in  Passeir 
(von  Joh.  Rumpf,  Tsch.  Miu.  Mitth.  1874.  97) 
keine  Wichtigkeit  beilegen  möchte,  und  nur  die 
als  Gesteinsgemengtheile  auftretenden  Feldspathe 
in  Betracht  zieht,  wird  doch  zugeben  müssen,  daß  a 
priori  die  solitarische  (=  einsiedlerische)  Ausbil- 
dung eines  Plagioklases  ebensogut  möglich  ist,  wie 
die  eines  Orthoklases  und  daß  wir  nur  erfah- 
rungsmäßig eine Viellings-,  d.h.  polysyntheti- 
sche Zwillingsbildung  bei  jenem  erwarten.  Würde 
für  die  Mittelglieder  der  Natron -Kalkfeldspath- 
Reihe  eine  Mengung  angenommen  und  ihre  la- 
mellare Zwillings-Bildung  analog  dem  Aufbaue 
einer  Galvanischen  Säule  aus  Zink-  und  Kupfer- 
platten erklärt,  so  wäre  wohl  für  ein  jedes  Mit- 
telglied dieser  Reihe  die  polysynthetische  Zwil- 
liugsbildung    a     priori    nothweudig.      Die    jetzt 


593 

allgemein  verbreitete  Annahme  isomorpher  Mi- 
schung jedoch  verlangt  ebenso  wenig  wie  bei 
einem  eisenschüssigen  Braunspathe  a  priori  eine 
solche  Ausbildung  für  die  Plagioklase.  Wie  bei 
jeuer  Annahme  wenigstens  für  die  Endglieder 
der  Reihe ,  ist  bei  dieser  für  sämratliche  Plagio- 
klase die  Möglichkeit  solitarischer  Ausbildung 
nicht  ausgeschlossen.  Mag  auch  die  Annahme 
von  isomorphen  Mischungen  Manchen  noch  nicht 
hinreichend  begründet  erscheinen,  mag  der  in  der 
That  nicht  so  seltene  Befund  von  polysyntheti- 
schen Plagioklasen ,  welche  sich  in  den  alterni- 
reuden  Laraellen  von  Verwitterung  ergriffen,  in 
den  zwischenliegenden  aber  frisch  zeigen ,  für 
eine  Mengungs-Theorie  sprechen,  mögen  die  Ver- 
hältnisse vielleicht  gar  nicht  so  einfach  liegen, 
daß  mau  zu  entscheiden  hat,  ob  Mengung  oder 
ob  Mischung,  sondern  mag  noch  die  Frage  zu 
erledigen  sein,  ob  nicht  aach  IMengungen  von 
bereits  isomorph  gemischten  und  einander  im 
Bestände  ähnlichen  Substanzen  vorkommen:  das 
Eine  steht  jedenfalls  fest,  daß  keineswegs  für 
alle  Plagioklase  eine  lamellare  Vielliugs- Bildung 
theoretisch  verlangt  wird.  Es  bleibt  darnach 
nur  noch  die  Erfahrung  zu  befragen ,  ob  wirk- 
lich alle  Plagioklase  derartige  Bildung  zeigen 
und  da  ist  denn  darauf  hinzuweisen,  daß  Aus- 
nahmen von  solcher  Erscheinungsweise  schon 
constatirt  sind.  C.  W.  Gümbel  erwähnt  (in  >die 
paläolithischen  Eruptivgesteine  des  Fichtelgebir- 
ges« München  1874),  daß  im  Diorit  von  Feilitz 
b.  Hof  als  kalkarmer ,  natronreicher  Labrador 
erkannter  Plagioklas  von  Tafelform  im  pol.  Lichte 
nur  einen  Farbenton  (einheitlich),  keine  Zwil- 
lings-Streifung  zeige.  Aehnliche  Verhältnisse 
sollen  nach  Gümbel  auch  sonst  häufig  beobacht- 
bar sein,    z.  B.   bei    den  Melaphyren    der  Pfalz, 


594 

besonders  beim  »Pechsteinmelaphyr«  vom  Weis- 
selberge  b.  St.  Wendel.  —  Ferner  ist  darauf  hin- 
zuweisen, daß  die  in  den  Laven  der  Insel  Sau- 
torin  enthaltenen  und  von  Zirkel  nach  ihrer 
einheitlich  chromatischen  Polarisation  als  Saui- 
dine  gedeuteten  Feldspathe  von  Fouque  (Mem. 
de  l'academ.  d.  sc.  d.  Paris,  d.  div.  savantes, 
XXII,  11)  durch  Sonder-Analysen  z.  Th.  als  La- 
bradore,  z.  Th.  als  Anorthite  bestimmt  wurden.  — 
Eine  große  Unsicherheit  für  den  Gebrauch  des 
betr.  Erfahrungssatzes  ergiebt  sich  aber  schon 
aus  dem  Begriffe  der  lamellaren  Vielliugsbildung 
selbst,  die  weder  eine  bestimmte  Zahl  der  La- 
mellen, noch  eine  bestimmte  Breite  derselben 
normiren  kann  und  erwachsen  gerade  in  dieser 
Beziehung  am  häufigsten  Schwierigkeiten.  Es 
ist  jedenfalls  eine  ganz  künstliche  Grenze  zwi- 
schen binärer  und  polysynthetischer  Zwillings- 
bildung, wenn  man  in  einem  Dünnschliffe  Feld- 
spathleisten ,  sobald  sie  im  pol.  Lichte  nur  2 
Farbenstreifen  erkennen  lassen,  dem  Orthoklase, 
sobald-  sie  aber  3  solcher  Streifen  zeigen  (von 
denen  ja  einer  einem  eingewachsenen  und  nur 
als  Interposition  zu  betrachtenden  Plagioklase 
oder  auch  einer  verdünnten  Randpartie  entspre- 
chen kann)  dem  Plagioklase  zurechnet.  Und 
wenn  nun  die  Lamellen  eines  Plagioklas-Vielliugs 
an  Breite  zunehmen,  dabei  gewöhnlich  gleichzei- 
tig an  Zahl  abnehmen,  so  bieten  sich  der  Beo- 
bachtung Feldspathe  dar,  die  »auf  größere  Er- 
streckung einheitlich  chromatisch  polarisiren« 
und  dadurch  den  Orthoklasen  ähneln.  Der  nach 
dem  Erfahrungssatze  der  Schule  Arbeitende  wird 
dieselben  um  so  eher  mit  Orthoklasen  verwech- 
seln, als  ihm  noch  eine  Erscheinung  in  die  Au- 
gen fällt ,  die ,  sonst  auch  nur  bei  den  Orthokla- 
sen beobachtet,  hier  nicht  selten  ist:  die  in  ge- 


595 

setzmäßiger  Lage  erfolgte  Interponirung  verein- 
zelter ,  dünner  Lamellen  in  diesen  auf  größere 
Erstreckuug  einheitlich  polarisirenden  Feldspath- 
Leisten;  nach  den  Regeln  der  Schule  liegt  hier 
eine  Einwachsung  von  Plagioklas  in  Orthoklas 
vor  und  doch  finden  sich  in  Wahrheit  diese  Er- 
scheinungen an  den  Kalk-Natron  Feldspathen  an- 
desitischer  Gesteine  sehr  schon  ausgebildet.  Schon 
1873  machte  C.  Dölter  (»Zur  Kenutniß  der  qnarz- 
führenden  Andesite  in  Siebenbürgen  und  Un- 
garn, c  in  Tscherm.  Min.  Mitth.)  darauf  aufmerk- 
sam, daß  die  Plagioklas-Durchschnitte  dieser  Ge- 
steine oft  nur  in  einer  ihrer  Hälften  Zwillings- 
lamellen zeigten,  während  die  andere  einfarbig 
polarisire.  An  den  untersuchten  andesitischen 
Gesteinen  Central  -  Amerikas  habe  ich  nun  die 
obenerwähnten  Verhältnisse  sehr  häufig  beobach- 
ten können;  eine  Yiellingsbildung  war  allerdings 
noch  vorhanden,  indem  sich  die  meisten  Pla- 
gioklase  als  Drillinge  erwiesen,  aber  sie  polarisir- 
ten  dabei  doch  gewöhnlich  in  breiten  Leisten 
einfarbig.  Manche  der  untersnchten  Gesteine 
zeigten  allerdings  typische  Feldspath-Viellinge 
mit  vielen,  schmalen  Lamellen,  andere  Gesteine 
aber  wiederum  (z.  B.  ein  Dacit,  sowie  ein  Ande- 
sit  von  Penna  blanca  bei  S.  Ramon)  ließen  zahl- 
reiche, groß  ausgebildete,  einheitlich  polarisirende 
Individuen  erkennen,  welche  trotzdem,  den 
Werthen  der  Bausch  -  Analyse ,  sowie  den  nach 
Szabo's  Methode  ausgeführten  Löthrohr  -  Reac- 
tionen  zu  Folge  nicht  als  Kali-,  sondern  als  Na- 
tron -  Kalkfeldspathe  angesehen  werden  mußten. 
In  diesem  letzteren  Falle  hätte  also  die  schulge- 
rechte Bestimmung  nach  dem  Polarisations- Ver- 
halten entschieden  geirrt.  Aber  auch  in  dem 
bei  Weitem  häufigeren  und  schon  erwähnten 
Falle,  daß  die  Plagioklase  mit  verbreiterten  La- 


596 

mellen  in  Drillingen  erschienen,  war  eine  Irrung 
auf  Grund  jenes  Erfahrungssatzes  leicht  möglich. 
Hatte  man  nun  gar  ein  klastisches  Aggregat 
solcher  Gesteinsgemengtheile  vor  sich,  in  dem 
die  Zwillingsverwachsung  zum  Theil  mechanisch 
wieder  zerstört  sein  mochte,  so  polarisirten  die 
Feldspath- Bruchstücke  in  der  Mehrzahl  einheit- 
lich chromatisch  und  schulgerecht  mußten  sie 
für  Sanidine  gelten.  Solche  Verhältnisse  bot 
das  erste  Gestein ,  welches  ich  aus  jener  Suite 
untersuchte,  die  vulkanische  Asche  vom  Turrialba 
in  Costarica.  Ganz  schulgerecht  bestimmte  ich 
(diese  Bestimmungen  wurden  als  »vorläufige 
Mittheilung«  in  diesen  »Nachrichten«  1875.  Nro. 
14  veröffentlicht)  die  Feldspathe  und  übrigen 
Gemengtheile  dieses  Gesteins  und  wenn  ich  spä- 
ter erkennen  mußte,  daß  ich  in  den  wichtigsten 
Bestimmungen  geirrt  hatte ,  so  kann  ich  eben 
die  Schuld  nur  jenen  Lehrsätzen  der  Diagnostik 
zuschreiben.  Betreffs  der  Natur  der  Feldspathe 
belehrte  mich  die  damals  noch  ausstehende  che- 
mische Bausch-Analyse ;  doch  würde  mich  auch 
die  Beobachtung  der  Verhältnisse  der  compacten 
Gesteine  jener  Gegend  betreffs  ihrer  Bestimmung 
ebenso  wie  betreffs  der  eines  weiteren  wesent- 
lichen Gemengtheils  nothwendig  mißtrauisch  ge- 
macht haben,  aber  in  Rücksicht  auf  andere  wich- 
tige Fragen  begann  die  Reihe  der  erwähnten  Ge- 
steins-Untersuchungen gerade  mit  jener  Asche.  — 
Aus  allem  Erwähnten  ist  wohl  ersichtlich,  wie 
berechtigt  n^eine  Warnung  ist,  bei  der  so  über- 
aus wichtigen  Entscheidung  über  die  Natur  der 
Feldspath -Gemengtheile  eines  Gesteins,  den  an- 
geführten Erfahrungssätzen  der  mikroskopischen 
Diagnostik  nicht  zu  fest  zu  vertrauen. 

Der  andere  Erfahrungssatz,   von    dem  ich  in 
Folgendem  einen  Ausnahme-Fall  constatireu  und 


597 

den  schon  bekannten  znfii gen  will,  lehrt  die  mi- 
kroskopische ünterscheiduncj  von  Hornblende 
nnd  Aücfit  nach  ihrem  Dichroisraus.  Die  be- 
kannte Tschermak'sche  Methode  der  Untersuchung 
des  Dichroismus  bietet  nicht  aliein  ein  sehr  be- 
quemes Mittel,  so  daß  schon  daraus  die  Beliebt- 
heit erklärlich  wäre,  der  sie  sich  erfreut,  sondern 
sie  giebt  den  Erfahrungen  der  ersten  Autoritäten 
zu  Folge  auch  ganz  sichere  Resultate,  F.  Zirkel 
äußert  sich  in  der  »Mikrosk.  Besch  d.  Min.  und 
Gesteine«  S.  169  dahin:  »bei  dichroskopischer 
Untersuchnijg  wäre  es  wohl  möglich,  eine  licht- 
grüne Hornblende  fälschlich  als  Augit  zu  deuten, 
während  man  wohl  niemals  Gefahr  laufen  wird, 
einen  wirklichen  Augit  für  Hornblende  zu  halten.« 
Diese  Gefahr  liegt  aber  in  der  That  nicht  ferne. 
Die  von  E.  Kalkowsky  aus  den  Augit- haltigen 
Felsitporphyren  bei  Leipzig  beschriebenen  und 
nach  meinen  Praeparaten  zwar  deutlich ,  aber 
nicht  so  überaus  dichroitischen  Augite  sind  zwar 
später  (Z.  D.  g.  Ges.  1876.  377)  von  Rosenbusch 
als  Enstatite  erkannt  worden ;  Rosenbusch  selbst 
aber  constatirt  mehrere  Vorkommen  von  dichro- 
itischem  Augite  (a.  a.  0.  1875.  363.),  wenn  er 
auch  solchen  als  besonders  auf  Nephelin-  und 
Leucit- Gesteine  beschränkt  darstellt.  Deutlich 
dichroitischen  Augit,  von  einer  Intensität  des 
•Dichroismus,  wie  ich  solchen  nur  bei  Hornblen- 
den und ,  entsprechend  der  Rosenbusch'schen 
Beobachtung,  einzig  noch  an  Augit  aus  dem  Leu- 
cit-Nosean-Phonolith  vom  Burgberge  bei  Rieden 
beobachtet  habe,  fand  ich  nun  in  mehreren  cen- 
tralamerikanischen  Andesiten.  Nach  seinem  di- 
chroitischen Verhalten  ,  welches  das  vieler  Horn- 
blende -  Torkommen  noch  übertrifft,  müßte  man 
diesen  Augit  entschieden  für  Hornblende  halten, 
als    welche    ich  ihn    auch  seiner  Zeit  in  der  er- 


598 

wähnten  vulk.  Asche  bestimmt  hatte.  Daß  hier 
aber  in  Wahrheit  Augit  vorliege,  wird  aus  der 
folgenden  eingehenderen  Schilderung  seiner  Ver- 
hältnisse ersichtlich  sein,  die  ich  bei  dem  Werthe 
obiger  Bestimmungs-Regel'  für  die  mikroskopi- 
sche Praxis  und  der  davon  abhängigen  Wichtig- 
keit dieses  Ausnahme-Falles  veröffentlichen  zu 
müssen  glaubte. 

Unter  den  untersuchten  Andesiten  boten  die- 
jenigen vom  Rio  Parita  und  Rio  Virilli  die  Ver- 
hältnisse des  Augits  der  Untersuchung  am  Deut- 
lichsten. Diese  mehr  oder  weniger  abgerundeten, 
bis  2.  mm  langen  und  gegen  0,  5  mm  dicken 
Augite  sind  nicht  arm  an  verhältnißmäßig  gro- 
ßen Einschlüssen  von  abgerundeten  Feldspathen, 
opaken  Erzkörnern,  Glas-  und  Grundmasse-Par- 
tikeln,  sowie  Dampfporen ;  auffallend  sind  rund- 
liche, dichroitische,  lederbräunliche  Körner  (von 
gegen  0,  75  mm  Drchm.),  die  nach  ihrem  ähn- 
lichen Verhalten  mit  den  Angit-Kernen  der  un- 
ten erwähnten,  zonal  aufgebauten  Individuen 
für  eingewachsene  Augite  gehalten  werden 
müssen.  '  Von  den  grünlich  gelben  bis  bräunli- 
chen Augiten  zeigen  nun  den  intensivsten  Di- 
chroismus  (braun  bis  grün)  diejenigen  Säulen- 
Längsschnitte ,  welche  zwischen  gekreuzten  Ni- 
cols  bei  Parallel  -  Stellung  ihrer  Längs  -  Axe  zu 
einer  Nicol-Hauptschwingungsrichtung  auslöschen, 
die  darnach  parallel  ooPoo  geschnitten  sind; 
solche  Schnitte  weisen  nur  unregelmäßige,  wenig 
geradlinige  Klüftung  auf;  am  Ehesten  noch  läßt 
sich  eine  Tendenz  zur  Qiierklüftung  feststellen; 
parallel  der  Längsaxe  aber  war  nur  einmal  eine 
auf  verhältnißmäßig  größere  Erstreckung  gerad- 
linig verlaufende  Kluft  zu  erkennen.  Die  Augit- 
Dachflächen  kann  man  zuweilen  deutlich  in  ihren 
Contureu  beobachten  (gemessener  Winkel  117  7« " 


599 

in  einer  oo  P  oo  annähernd  parallelen  Ebene !). 
Ein  dergl.  Augit-Sehnitt  zeigte  zonalen  Aufbau, 
indem  ein  äußerst  dichroitischer  Kern  von  einem 
Rande  mit  anderem  Farbentone  umschlossen  war; 
diese  Randpartien  löschten  zwischen  gekreuzten 
Nicols  nicht  einheitlich  aus,  sondern  in  Körnern 
nach  einander,  zum  großen  Theile  fast  zugleich, 
mit  dem  Kerne;  diese  ziemlich  großen  Körner 
trennten  dunkle  Klüfte  von  einander.  —  Einen  je 
größeren  Winkel  (bis  gegen  40 ")  die  Längs- Axe 
der  Säule  mit  einer  Nicol-Hauptschwingungs- 
richtnng  bilden  muß,  damit  der  betr.  Längs- 
schnitt bei  gekreuzten  Nicols  auslösche,  um  so 
geringer  ist  auch  der  Dichroismus;  auch  die 
Licht  -  Absorption  ist  verschwindend.  Solche 
00  P  OD  möglichst  genäherte  Schnitte  besitzen 
Längs-Klüftung  und  fällt  die  Quer-Klüftung  da- 
gegen weniger  in  die  Augen.  Für  die  Beur- 
theilung  der  Querklüfte  war  die  Beobachtung 
eines  Längsschnittes  interessant,  wo  sich  eine 
kleinere,  sehr  dichroitische  Säule  mit  einer  großen 
wenig  dichroitischen  verwachsen  zeigte;  an  der 
kleineren  konnte  manrundlichschalige,  zurLängs- 
axe  senkrechte  Absonderungsklüfte  beobachten, 
die  mit  ihren  äußersten  feinen  Enden  in  das 
ihr  verwachsene  große  Individuum  fortsetzten.  — 
Die  0,5 — 0,1  mm,  gewöhnlich  0,3 — 0,4  mm 
im  Durchmesser  haltenden  Querschnitte  sind  acht- 
seitig und  zwar  anscheinend  bei  vorwaltender 
Ausbildung  der  Pinakoide.  An  möglichst  vielen 
solcher  Sseitigen  Schnitte  ausgeführte  Winkel- 
messungen ergaben  durchweg  den  Augitwinkeln 
mehr  oder  weniger  genäherte  Werthe ;  der  Di- 
chroismus dieser  Querschnitte  ist  gering.  Aucb 
dergleichen  Querschnitte  besitzen  unter  ihren 
vielen  Klüften  ziemlich  geradlinig  und  einander 
parallel    verlaufende;    für  Spaltbarkeits- Spuren 


600 

dürften  dieselben  jedoch  nicht  zu  erklären  sein, 
da  sie  in  ihrer  Richtung  constant  durch  mit 
einander  verwachsene  Zwilliiigsindividuen  hin- 
durchgehen. Dieser  Umstand  könnte  allerdings 
darauf  zurückgeführt  werden,  daß  bei  der  Zwil- 
lingsbildung die  Spaltbarkeitsrichtungen  zusam- 
menfielen, etwa  bei  einer  Zwillingsbildung  nach 
00  P  CO  die  Spaltbarkeit  nach  oo  P  oo  ihre  Richtung 
behalte.  Letzterer  Annahme  aber  widerspricht 
die  Beobachtung,  daß  Kluftrichtung  und  Zwil- 
lings-Grrenze  nicht  senkrecht  auf  einander  stehen, 
sondern  immer  einen  spitzen  Winkel  von  etwa 
45°  mit  einander  bilden  (entsprechend  zwei  ih- 
nen parallelen  und  sich  unmittelbar  schneidenden 
Seitenkanten  des  Querschnitts).  Die  Sseitigen 
Querschnitte  löschen  in  der  Mehrzahl  zwischen 
gekreuzten  Nicols  aus,  ohne  daß  eine  krystal- 
lograph.  orientirbare  Linie  (Kluftrichtung,  Zwil- 
lings-Grenze)  zugleich  einer  der  Nicol  -  Haupt- 
schwingungs- Richtungen  parallel  laufe:  welche 
Erscheinung  nur  die  schon  durch  die  Winkel- 
messungen erkannte  Thatsache  bestätigt,  daß 
keiner  dieser  Querschnitte  genau  senkrecht  zur 
Säulen -Axe  liegt;  es  sind  alle  etwas  verzo- 
gen. Diejenigen  Querschnitte,  welche  bei  voller 
oder  annähernder  Parallelstellung  einer  Seitenli- 
nie zur  Nicol-  Diagonale  auslöschten,  zeigten, 
wohl  nur  zufälliger  Weise,  nicht  zugleich  gerad- 
linige Klüfte  oder  Zwillings-Bildung. 

Die  Zwillings-Bildung  liefert  gewöhnlich  das 
Bild,  daß  einem  großen  Lidividuum  ein  oder 
mehrere  Bündel  von  meist  sehr  feinen  Zwillings- 
Lamellen,  im  pol.  Lichte  ein  fein  gestreiftes  Band, 
eingelagert  sind ;  die  Zahl  dieser  Lamellen  ist 
sehr  verschieden  ;  oft  ist  eine  mittlere  von  ihnen 
(bis  0,  1  mm)  breit  ausgebildet  und  erscheinen 
die  anderen    feinen  dann    nur  wie  raudliche  Be- 


601 

grenzuDgen;  doch  kommen  auch  einfach  binäre 
Zwillinge  Tor.  Die  Zwillings-Verwachsung  fin- 
det parallel  der  Säulen-Axe  statt;  in  den  Quer- 
schnitten bilden  Zwillings-Grenze  und  Kluftrich- 
tung  mit  einander,  wie  angeführt,  einen  spitzen 
Winkel;  dies  würde  auch  der  Fall  sein,  wenn 
normaler  Weise  die  Zwillinge  nach  oo  P  oo  ver- 
wachsen von  der  Spaltrichtung  nach  oo  P  getrof- 
fen würden;  hier  jedoch  lassen  die  beobachteten 
Verhältnisse  ebensogut  oder  noch  besser  die  um- 
gekehrte Annahme  zu  einer  Zwillings  -  Verwach- 
sung nach  cc  P  und  Klüftuug  nach  ex;  P  öo  (wel- 
che letztere  jedoch  nicht  im  Entferntesten  an 
die  regelmäßige  und  ieine  Spaltung  des  Diallags 
erinnert!).  Für  diese  Annalame  spricht  nämlich 
die  Erscheinung,  daß  eine  Auslöschung  eines 
Querschnittes  nie  eintrat  bei  Parallelstellung 
der  Zwillingsgrenze  zu  eiuem  Nicol-Hauptschnitte 
(allerdings  manchmal  bei  nur  geringer  Abweichung 
davon),  daß  dagegen  manchmal  Auslöschung 
eines  Zwillings -Individuums  stattfand,  wenn  die 
Kluft-Richtung  diesem  (Nicol-Hauptschnitte)  pa- 
rallel war  oder  senkrecht  dazu  verlief.  Ferner 
spricht  dafür  eine  Beobachtung  an  Längs-Schuitten, 
in  denen  sich  Individuen ,  resp.  nur  dünne  La- 
mellen ,  welche  sehr  dichroitisch  sind  und  zwi- 
schen gekreuzten  Nicols  bei  Parallel  -  Stellung 
der  Säulen-Axe  zu  einer  Nicol-Diagonale  auslö- 
schen, verwachsen  zeigen  mit  wenig  dichroiti- 
schen ,  die  erst  bei  einem  Winkel  jener  beiden 
Richtungen  von  gegen  40*^  auslöschen;  es  schei- 
nen demnach  die  Flächen  c»  P  öo  und  oo  P  do  der 
Zwülings  -  Individuen  da  zusammenzufallen.  — 
Zur  Charakteristik  der  Zwillings-Bildung  seien 
noch  einzelne  Fälle  der  Beobachtung  angeführt. 
Im  Gesteine  vom  Rio  Virilli  ließ  sich  ein  Quer- 
schnitt beobachten,    der  ein  breit  lamellares  In- 


603 

dividuum  in  Zwillings -Verwachsung  mit  fein 
und  bunt  gebänderter  gerader  Zwillingsgrenze 
eingeschaltet  zeigte.  In  diesem  Querschnitte 
löschte  das  eingeschaltete  Individuum  aus  bei 
Parallelstellung  der  Kluft  -  Richtung,  resp.  des 
entsprechenden  ,  ihr  parallelen  Seiteupaares  zur 
Nicol-Diagonale,  während  das  Haupt- resp.  Doppel- 
Individuum  auslöschte  bei  einem  Winkel  von  ge- 
gen 30  "  zwischen  jenen  Richtungen ,  also  nicht 
bei  Parallellagerung  einer  Seite  zur  Nicol-Diago- 
nale. Es  stimmt  also  hier  die  krystallographisch- 
optische  Orientirung  nicht  mit  dem  umschließen- 
den größeren  Individuum,  sondern  mit  der  ein- 
gewachsenen Zwillings  -  Lamelle.  —  An  einem 
arideren  großen  Querschnitte  löschte  das  Band 
feiner,  eingeschalteter  Zwillings  -  Lamellen  zwi- 
schen gekreuzten  Nicols  zugleich  mit  dem  um- 
schließenden Haupt- Individuum  aus,  während  es 
in  allen  anderen  Lagen  schön  und  verschieden 
chromatisch  hervortrat.  —  Im  zerstreuten  Lichte 
lassen  sich  nur  sehr  selten  Spuren  der  Zwillings- 
Bildung  entdecken. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Zeitschrift  der  Deutsch.  Morgenland.  Gesellsch.    Register 

zu  Bd.  21—30.     1877. 
Annali   della  R.  Scuola  normale  super,   de   Pisa.     Della 

Serie  vol.  III.    Philos.  e  Philolog.     Vol.  II.     1877. 
Jahresbericht   des    physikal.  Vereins   zu   Frankfurt  a.  M. 

1875—1876. 
Annual  Report  of  the  Trustees  of  the  Museum  of  Compa- 

rative  Zoölogy  for  1876.    Boston. 
Atti   della  R.  Accademia  del  Lincei.     Vol.  I.     Fase.  5. 

Roma.     1877.    4. 


603 

Plateau,  Quelques  ezemples  corieox  de  discontinuite  ea 

analyse.     1877. 
Annales  de  l'Observatoire  R.  de  Bruxelles.     13. 
ObservatioDS  meteorologiques  faites  aux  stations  int«mat. 

de  la  Belgique  etc.     1877.    Fevr. 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.-Petersbourg. 

T.  XXIII.    No.  3.     1877. 
Bulletin  de  la  Soc.  mathero.  de  France.     T.  V.    No.  3. 
Abhandlungen  d.  k.  k.  Geolog.  Reichsanstalt.     Bd.  IX.  4. 
Jahrbuch  derselben.     Jahrg.  1877.     Bd.  XXVII.     No.  1. 

Mit  Tschrmak,    Mineralogische  Mittheilungen.     VI. 

Bd.     1.  H.    Wien  1577. 
Mittheilungen  der  anthropolog.  Oesellsch.  in  Wien.      Bd. 

VII.     No.  1-3. 
Verhandlungen  ders.    No.  1—6.     1877. 
Jahresbericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen  Stu- 
denten in  Prag.     1876—1877. 
Monatsbericht  der  Berliner  Akad.  d.  Wiss.     Jan.  u.  Fe- 
bruar 1877. 
Oversigt  over  det  K.  Danske  Vidensk.  Selskabs  Förhand- 

lingar.     1877.  No.  1.     1876.  No.  2. 
Tyge  Brahes  meteorologiska  Dagbok    1582—1697.     Kjö- 

benhavn  1876. 
A.  Colding,  Fremstilling  af  resultatern e  af  nogle  ünder- 

sögelser   over  de  ved  Windenskraft  fremkaldte  Ström- 

ningar  i  Havet,     Ebd.  1876. 
C.   Christransen,   Magnetische   Undersögelser.      Ebd. 

1876. 
Neues  Lausitzisches  Magazin.    Bd.  53.    H.  1.     1877. 
Sitzungsber.   der   mathem.  -  physik.  Cl.  der    k.  Akad.  der 

Wiss.  zu  München.     1876.    3. 
Bulletin  de  la   Soc.  Imp.  des  Naturalistes    de   Moscoa. 

Ann.  1876.    No.  4. 
Die  Photographie  von  Ernst  Schulze, 
Rozprawy  i  Sprawozdania  z  Posiedzeii   wydzialu   matem.- 

przyrodniczcgo  Akademie  Umiejetnosci.    T.  III.     Kra- 

kau  15  76. 

historyczno-filozofieznego.    T.  V.     1876. 

filologicznego.     T.  IV,     1876. 

Sprawozdanie  komisyi  Fizyjografigznei.     T.  10.     1876. 
Transactions  of  the  Zoological  Society  of  London.    Vol. 

IX.    P.  II. 
Proceedings  of  the  ZooL  Soc.  for  1876.      London  1877. 

Part  4. 


604 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei  anno  CCLXXI.  Ser.  2. 
Vol.  I.     1873-74.     Roma  1875.     4. 

Atti,  anno  CCLXXII.    Ser.  2.     Vol.  II.     1874-75. 

Atti,  anno  CCLXXIII.  1875—76.  Vol.  III.  Parte  prima. 
Transunti  e  Bulletino  bibliografico. 

Idem,  parte  secunda.  Memoria  delle  classe  fisiche,  ma- 
tematiche  e  naturali  1875-76.' 

Atti,   anno  CCLXXIV    1876-77.     Serie    3.      Transunti 

.  Vol.  I.    Fase.  1.  2.  6. 

Nuovo  Statuto  della  R.  Accademia  dei  Lincei.    Roma  1875. 

Leopoldina  H.  XIII.    No.  9—12.     Mai-Juni  1877. 

Proceed.  of  the  London  mathemat.  Society  No.  106  -  111. 

Vierteljahrsschrift  der  astronom.  Gesellschaft.  12.  Jahrg. 
H.  i.     1877. 

Monthly  notes  of  the  R.  Astronomical  Society.  Vol.  37 
No.  7. 

A.  S.  Ulrich,  XX.  Jahresbericht  des  schwedischen  heil- 
gymnastischen Instituts  in  Bremen.     1877. 

Nature  297—401. 

Jahresbericht  XI  der  naturforsch.  Gesellschaft  in  Bam- 
berg 1876. 

C.  H.  Davis,  Astronomical  and  meteorolog.  Observations 
during  the  year  1874,  at  the  United.  States  naval  Ob- 
servatory.     Washington  1877.     4. 

Proceedings  of  the  American  philosoph.  Society  at  Phila- 
delphia.    Vol.  XV.  No.  96.     Vol.  VVI.  No.  !18.    . 

Proceed.  of  the  American  pharmaceutical  association,  held 
in  Philadelphia,    September  1876.     Philadelphia  1877. 

Meteorol.  Beobachtungen  in  Dorpat  im  J.  1875.  10. 
Jahrg.     II.  Bd.     5.  H. 

Abhandlungen  der  philos.  -  philolog.  Classe  der  K.  Akad. 
der  Wissenschaften  zu  München.  Bd.  XIV.  Abth.  1. 
1877.     4. 

C.  V.  PrantI,  Verstehen  und  Beurtheilen.  München 
1877.    4. 

C.  W.  Gümbel,  Die  geognost.  Durchforschung  Bayerns. 
München  1877.     4. 

Astronomisch-geodätische  Arbeiten  im  Jahre  1876.  Ber- 
lin 1877.     4. 

Verhandlungen  der  physik.  -  medic.  Gesellschaft  zu  Würz- 
burg.   X.  3-4. 

(Fortsetzung  folgt.) 


605 


i\aeh  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


21.  November.  j\ä  24.  1877. 


Köuiviiche  (leselischaft  der  Hissenschafteii. 

Sitzung  am  3.  November. 
(Fortsetzung.) 

Antiken  in  der  südwestlichen  Schweiz 
und   Turin. 

Von 

Friedrich  Wieseler. 

Schon  längere  Zeit  fühlte  ich  das  Bedürfniß, 
mich  über  den  Bestand  der  Autikensammluugen 
in  der  südwestlichen  Schweiz  und  in  Turin  zu 
belehren,  welche  fast  alle  nur  ungenügend  oder 
gar  nicht  bekannt  sind.  Eine  in  den  jetzt  zu 
Ende  gehenden  Michaelisferien  nach  den  betref- 
fenden Gegenden  unternommene  Rei?e  war  zum 
Theil  dazu  bestimmt,  jenes  Bedürfniß  zu  befrie- 
digen. Ich  kann  keinesweges  sagen,  daß  ich 
dort  Alles  gesehen  habe ,  was  für  mich  sehens- 
würdig war,  nicht  einmal,  daß  ich  das  von  mir 
Gesehene  alles  zur  Genüge  betrachten  konnte. 
Wenn  es  mir  nicht  möglich  war,  in  der  Schweiz 
Avenches  zu  besuchen,  so  tröstete  ich  mich  schon 
früher  dadurch ,  daß  wir  gerade  über  diesen  Ort 
und  die  Ergebnisse  der  an  ihm  vorgenommenen 
Ausgrabungen  durch  ältere  Schritten  und  na- 
mentlich durch  die  fünf  Abhandlungen  Bursian's 

53 


606 

vorzugsweise  gut  unterrichtet  sind  ^) ,  und  hatte 
später,  als  ich  auf  der  Rückkehr  die  Philologen- 
versammlung zu  Wiesbaden  besuchte,  Gelegen- 
heit in  der  archäologischen  Section  einem  Vor- 
trage Professor  Hagen's  aus  Bern  beizuwohnen, 
der  in  Verbindung  mit  der  Vorlage  eines  großen 
auf  der  Berner  Bibliothek  aufbewahrten  Wer- 
kes mit  Abbildungen  von  Ritter  und  zahlrei- 
cher Photographien  mannigfache  Belehrung  bot. 
Aber  schmerzlich  war  es  mir,  als  ich,  bei 
Orbe  vorbeigefahren ,  in  Yverdon  durch  Herrn 
Rochat  erfuhr,  daß  ich  dort  ein  neuentdecktes 
Mosaik  hätte  sehen  können,  welches  die  früher 
dort  ausgegrabenen  weit  übertreffe^).    Ein  Miß- 

1)  Aventicura  Helvetiorum  in  den  Mittheilungen  der 
antiquar.  Gesellschaft  in  Zürich,  Bd.  XVI,  Abth.  1,  Heft 
1—5,  1867—1870,  wo  auf  S.  4  auch  die  früheren  Schriften 
angeführt  sind.  Gelegentlich  sei  hier  bemerkt,  daß  die 
von  Bursian  Taf.  XVI  nach  einer  stilistisch  untreuen 
Zeichnung  herausgegebene  Bronzegruppe  des  mit  dem 
Löwen  kämpfenden  Hercules ,  die  er  als  »eine  seither 
verschwundene«  bezeichnet ,  von  dem  Baron  von  Bon- 
stetten,  in  dem  Suppl.  au  recueil  d'Antiquites  Suisses, 
1860,  pl'.  XX  ,  n.  1  nach  dem  laut  des  Textes  p.  26  im 
Chäteau  des  Villars  befindlichen  Originale  herausgegeben 
ist,  wo  sich  unter  n.  3  auch  die  Abbildung  einer  eben- 
falls aus  Aventicum  herrührenden  und  im  Chateau  de 
Villars  befindlichen  21  cent.  hohen  Bronzest.  einer  auf 
der  unten  abgeplatteten  Kugel  stehenden  »Victoria«  fin- 
det, rücksichtlich  deren  im  Text  p.  27  wohl  hätte  ange- 
geben werden  können,  ob  sie  wirklich  flügellos  ist,  oder 
ob  nicht  Spuren  angesetzter  Flügel  auf  den  Schultern  zu 
gewahren  sind,  wie  bei  der  Bronzestatuette  aus  Ilercu- 
laneum  (Denkra.  d.  a.  Kunst  II,  73,  294.)  Ueber  em 
Mosaikbild,  welches  nach  Bursian  aus  Avenches  stammt, 
wird  unten  bei  der  Besprechung  des  Orpheusmosaiks  in 
Turin  in  einer  Anmerkung  die  Rede  sein.     (S.  656  fg.) 

2)  Von  Mosaiks  aus  Orbe  kenne  ich  durch  Abbildun- 
gen und  Beschreibungen  außer  dem  obenerwähnten  vier 
Stücke:  das  von  L.  Vulliemin  »Der  Canton  Waat«  Bd.  I, 
S.  64,  der  Deutschen  Uebers.  von  Wehrli-Boisot,  St.  Gal- 


607 

stand  war  es,  daß  ich  an  den  Schweizerischen 
Orten,  deren  Samrahingen  ich  besuchen  konnte, 
die  Vorsteher  dieser  meist  nicht  anweseud  fand, 
so  daß  ich  die  in  Glasschränken  aufbewahrten 
kleinereu  Gegenstände  in  vielen  Fällen  nur  nn- 
genügend  betrachten  uud  prüfen  konnte  und 
mir  jene  mündliche  Unterweisung  fehlte,  welche 
bei  Sammlungen ,  von  denen  es  keinen  Catalog 
giebt ,  so  nöthig  ist.  Selbst  für  Turin  ,  wo  ich 
mich  am  längsten  aufhielt,  habe  ich  diesen  Um- 
stand zu  beklagen ;  denn  wenn  auch  der  Vorste- 
her des  dortigen  Museums  trotz  seiner  stark  an- 
gegriflFenen  Gesundheit,  sich  meinetwegen  länger, 
als  es  seine  Absicht  gewesen,  in  der  drückend 
heißen  Stadt  aufhielt,  so  mochte  ich  ihn  doch 
nicht  übermäßig  bemühen,  hatte  aber  keinen 
Anderen,  von  dem  ich  zuverlässige  Kunde  hätte 
erhalten  können,  da  auffallenderweise  bei  dem 
so  umfangreichen  Museum  nur  e  i  n  wissenschaft- 
lich gebildeter  Mann  angestellt  ist. 

Nichtsdestoweniger  glaube  ich  mich  auch 
über  die  von  mir  besuchten  Schweizerischen 
Sammlungen  so  weit  unterrichtet  zu  haben,  daß 
ich  mir  über  deren  Bestand  im  Allgemeinen 
ein  Urtheil    erlauben    uud  über   manche  Werke 

len  a.  Bern  1847,  in  höchst  nngenägender  Weise  erwähnte, 
1758  aufgefandene  und  zerstörte;  ein  auch  nicht  mehr 
vorhandenes,  von  welchem  ich  durch  Hm.  Rochat's  Güte 
eine  Abbildung  sah,  vermuthlich  eins  von  den  beiden, 
welche  der  Baron  von  Bonstetten  in  dem  Reo.  d' Antiq.  Suisses, 
1855,  p.  40  zu  pl.  XIX,  als  1845  von  ihm  entdeckt  erwähnt 
(das  Hauptbild  bezieht  sich  auf  den  Neptunischen  Kreis) ; 
das  zuerst  von  Bonstetten  a.a.  0.,  dann  von  Bursian  in  den 
Mittheil,  der  Züricher  antiquar.  Gesellsch.  Bd.  XVI,  1862 
herausgegeben;  das  von  Klügmann  in  dem  Bullett.  d. 
Inst.  arch.  1863,  p.  193  fg.  nach  einer  Zeichnung  be- 
schriebene, von  welchem  es  früher  hieß,  daß  es  von  Bon- 
stetten herausgegeben  werden  werde,  was  aber  meines 
Wissens  bis  jetzt  nicht  geschehen  ist. 

53* 


608 

im  Besonderen  Auskunft  geben  darf;  und  dieses 
zu  thun,  und  zwar  umgehend  zu  thun,  halte  ich 
für  meine  Pflicht,  um  für  die  Schweiz  dort  ein- 
heimische archäologisch  gebildete  Gelehrte,  für 
Turin  jüngere  diesen  Ort  besuchende  Fachgenos- 
sen, welche  auf  die  nöthigen  Detailstudien  län- 
gere Zeit  und  angestrengtere  Arbeit  verwenden  kön- 
nen, zu  weiteren,  genaueren  Untersuchungen  und 
Berichterstattungen  zu  veranlassen.  Mein  Bericht 
soll  sich  eigentlich  nur  auf  Griechische,  Italische  und 
Griechisch-Römische  Alterthümer  und  Kunstwerke 
beziehen ;  doch  wird  aus  ihm  auch  erhellen,  wo 
Werke  anderer  Culturvölker  des  Alterthums  vor- 
handen sind. 

I. 

Schweiz. 

Die  von  mir  in  der  südwestlichen  Schweiz 
Französischer  Zunge  besuchten  Sammlungen  sind 
die  zu  Neufchatel,  Yverdon,  Lausanne, 
Genf.  Sie  sind  meistens  Bestandtheile  allgemein 
ethnographischer  Sammlungen  und  enthalten 
ganz  vorzugsweise  oder  allein  Werke  Römischer 
Arheit  aus  der  Nähe  ;  einige,  wie  das  Cantonal- 
museum  zu  Lausanne  und  das  Musee  archeolo- 
gique  de  la  ville  zu  Genf,  auch  aus  Ländern 
Asiens  und  Südeuropas  mit  Griechischer  und 
Römischer  Cultur  in  einer  Anzahl,  die  jenen  ge- 
genüber in  Betracht  kommen  kann.  Nur  eine 
größere  Sammlung  macht  eine  vollständige  Aus- 
nahme: das  in  neuerer  Zeit  gegründete  Musee 
Fol  zu  Genf,  da  es  fast  nur  aus  Werken  fremder 
Herkunft  besteht. 

1.  I 

Die  archäologische  Sammlung  zu  Neufcha-' 
tel  befindet  sich,  mit  der  ethnographischen  ver- 


609 

eint,  in  dem  stattlichen  Gymnase  nahe  an  dem 
See,  Es  fehlt  in  ihr  selbst  nicht  an  Aegypti- 
schen  Sachen.  Die  Griechische  Kunst  ist  durch 
einige  unbedeutende  bemalte  Vasen,  anscheinend 
aus  Italien,  vertreten.  Unter  den  verschiedenen, 
ebenfalls  uubedeutenden  Werken  Römischer  Ar- 
beit, zeichnet  sich  ein  gewöhnliches  Thongefäß  aus 
Yeudon  nur  durch  seine  Größe  aus,  während 
zwei  weibliche  Büsten  aus  der  Kaiserzeit  die 
Marmorsculptur  repräsentiren.  Die  eine  dersel- 
ben stammt  laut  des  angeklebten  Zettels  aus 
Avenches.  Die  andere  entbehrt  eines  gleichen 
Certificates  ihrer  Herkunft.  Unt^r  den  oben  er- 
wähnten Photographien  von  Werken  aus  Aven- 
ches fand  ich  nur  die  erste  berücksichtigt. 


Die  kleine  Sammlung  zu  Yverdon,  welche 
in  dem  Schlosse  aufbewahrt  wird ,  enthält  nur 
Gegenstände  aus  dem  Römischen  Eburodunum 
und  seiner  nächsten  Umgebung;  an  figürlichen 
Bildwerken  nur  eine  trotz  ihrer  Beschädigung 
recht  artige  Bronzestatuette  der  Minerva  und 
einen  in  einem  goldnen  Ring  gefaßten  vertieft 
geschnittenen  Stein  mit  einer  freilich  roh  ausge- 
führten, aber  in  gegenständlicher  Hinsicht  inte- 
ressanten Darstellung,  beide  abgebildet  in  L.  Ro- 
chat's  Recherches  sur  les  Antiquites  d'Yverdon 
(Mittheil,  der  antiquar,  Gesellsch.  in  Zürich  Bd. 
XIV,  H.  3,  1862),  dieses  pl.  I,  n.  20,  jenes  pl. 
II,  n.  2,  auf  welche  Schrift  wir  über  die  sonsti- 
gen Römischen  Alterthümer  der  Sammlung  ver- 
weisen, die  seitdem  keinen  erheblichen  Zuwachs 
erhalten  zu  haben  scheinen,  obgleich  es  an  Nach- 
grabungen nicht  gefehlt  hat,  s.  Rochat  im  An- 
zeiger für  Schweizer.  Alterthumskunde  Jahrg. 
V,  1872,  S.  379  fg.     Interessant  war  es  mir  — 


610 

um  das  noch  hinzuzufügen  — ,  eine  Anzahl  jener 
in  den  verschiedensten  Gegenden  gefundenen 
oben  quer  durchbohrten  Terracotta  -  Kegel  oder 
Pyramiden,  welche  zuletzt  von  Conze  und  H. 
L.  Ahrens  eingehend  besprochen  sind,  mit  der 
Etiquette :  Poids  employes  par  les  tisserands  pour 
tendte  les  fils  de  la  chaine,  bezeichnet  zu  finden 
und  zu  hören,  daß  diese  Ansicht  über  die  Be- 
stimmung jener  Thonsachen  in  Yverdon  schon 
seit  etwa  fünfzehn  Jahren  als  die  erweißlich 
richtige  gelte. 


Das  Museum  zu  Lausanne  befindet  sich 
in  einigen  Räumen  des  College,  welche  sehr 
zu  wünschen  übrig  lassen,  Ueber  dieses  »Musee 
cantonal  d'histoire  naturelle,  d'antiquite«  etc.  er- 
fahren wie  durch  Vulliemin  Waat  Bd.  II,  S. 
241  fg.  der  Deutsch,  üebers.  aus  dem  Jahre  1849, 
daß  es  1818  eröjffnet  wurde  und  daß  es  —  um 
nur  die  Abtheilungen  zu  erwähnen,  die  uns  hier 
angehen  —  enthalte  »eine  archäologische  Samm- 
lung, bestehend  aus  einer  gewissen  Anzahl  vor- 
römischer, einer  weit  größeren  römischer  Alter- 
thümer  (Darstellung   eines  Stieropfers  ^) ,    Stand- 

1)  Mit  diesem  Bildwerke  ist  sicherlich  nicht  das  eine 
der  unten  zu  erwähnenden  Friesi-eliefs  gemeint,  sondern 
das  auf  »zwei  kreisförmigen  Schilden,  die  ungefähr  8"  im 
Durchmesser  haben«  befindliche,  welche  Vulliemin,  nach 
dessen  Angabe  sie  aus  dem  Boden  der  alten  Lousonna 
stammen,  Bd. I,  S.61  so  beschreibt:  sie  »stellen  in  halb- 
erhabener Arbeit  ein  Steinopfer  dar.  Der  Priester,  der 
hinter  dem  Stiere  steht,  ist  in  ein  langes  Gewand  gehüllt, 
von  dem  eine  Falte  (so !)  sein  Haupt  bedeckt,  doch  sind  die 
Arme  frei  und  entblößt.  Mit  der  einen  Hand  stützt  er  sich 
auf  die  linke  Seite  des  Thieres ,  während  er  mit  der  an- 
deren das  Weihwasser  zwischen  die  Hörner  des  Opferthie- 
res  gießt«.      Mir   sind  diese  »Schilde«   entgangen.      Das 


611 

bildchen.  Lampen,  Tasen,  Töpferarbeit)  nnd  aas 
einigen  aus  dem  Mittelalter,«  und  eine  ethnolo- 
gische Sammlung,  bestehend  aus  ägyptischen  AI- 
terthümern  (Mumien,  einem  schönen  Tische  aus 
morgenländischem  Porphyr) ;  aus  römischen,  ans 
den  Ausgrabungen  Ton  Herkulannm,  Pompeji 
und  STräkus  herkommend),  ein(em)  Geschenk 
des  Hrn.  Begre  von  Iflferten,  schweizerischen 
Konsuls  in  Rom;  aus  ostindischen,  amerikani- 
schen, chinesischen  und  türkischen.«  Griechi- 
sche, Römische  und  Italische  Alterthümer  ver- 
schiedenen Fundortes  sind  jetzt  mit  Äegyptischen, 
Mexikanischen  und  einigen,  zum  Theil  interes- 
santen Stücken  ans  Asien  in  einem  mäßig  gro- 
ßen Zimmer  vereinigt,  wo  sie  in  Glaßschränken 
an  den  Wänden  und  auf  den  Gla&schränken  ih- 
ren Platz  gefunden  haben.  Schon  hieraus  erhellt, 
daß  es  sich  wesentlich  um  Werke  geringerer  Di- 
mensionen handelt ,  unter  denen  mehrere  Römi- 
sche Thongefaße  und  vier  Etruskische  sehr  kleine 
Aschen kisten  durch  ihre  Dimensionen  hervorra- 
gen. Zuweilen  ist  auf  den  spärlichen  Etiquetten 
die  Herkunft  bezeichnet.  Ganz  besonders  zahl- 
reich (im  Verhältnis  zu  dem  Gresammtbestande 
der  Sammlung)  sind  die  aus  der  Fremde  bezoge- 
nen bemalten  oder  mit  Reliefs  versehenen  Vasen 
und  Thonfiguren.  Unter  jenen  ragt  eine  Reihe 
älterer  asiatisirender  hervor,  von  denen  einige 
laut  den  Etiquetten  aus  den  Salzmann 'sehen  Aus- 
grabungen zu  Kameiros  stammen  (unter  ihnen 
eine  Schale  mit  der  ringsherumlaufenden  Dar- 
stellung von  Sirenen  als  Vögeln  mit  Menschen- 
kopf).  Auch  an  Italischen  bemalten  Vasen  fehlt 
es  nicht;   doch   erinnere  ich  mich    nicht,   unter 

Material  wird  vtm  Y.  oidit  anfegeben.  M  eme  YuM- 
thang  eriaabt.  ao  würde  idi  rififhrt  an  BraaBermde 
denken,   die  etwa  den  Deckel  vcm  Getithen  aamadbiai. 


612 

diesen  ein  Stück  von  Belang  bemerkt  zu  haben. 
Noch  stärker  sind  die  in  zwei  Schränke  ver- 
theilten  poteries  Etrusques  de  päte  noire  ver- 
treten. Besonders  reich  aber  ist  die  Sammlung 
an  Griechischen  Terracottafigureu ,  unter  denen 
es  auch  an  solchen  größeren  Dimeosionen  und 
an  sehr  wohl  ausgeführten  nicht  fehlt.  Manche 
erregen  auch  in  Betreff  des  Dargestellten  Inte- 
resse. Ich  war  überrascht,  eine  vollständige  Re- 
plik der  von  Gerhard  Arch.  Ztg.  1849,  Taf.  II, 
n.  1  als  »Eros  und  Agon«  herausgegebenen  Gruppe 
des  Berliner  Museums  vorzufinden ,  die  vielmehr 
einen  größeren  Eros  sein  Brüderchen  in  einem 
Rollwagen  fahrend  darstellt.  Von  besonde- 
rem Interesse  war  mir  auch  das  kleine  Stück, 
welches  auf  der  Etiquette  im  Wesentlichen 
richtig  bezeichnet  ist  als  acteur  comique  tenant 
des  deux  mains  un  lecythos.  Die  mit  dem  kur- 
zen Chiton  der  älteren  Komödie  angethane  Fi- 
gur hat  eine  Art  von  Modius  oder  Kalathos  auf 
dem  Kopfe.  Verhältnißmäßig  zahlreich  sind  die 
Vasen  in  der  Form  von  Thieren,  z.  B.  eines 
Hasen  und  eines  sitzenden  Affen.  Gefäße,  wie  das 
letztere  aus  Italien  stammend ,  signalisirt  schon 
0.  Jahn  Arch.  Beitr.  S.  435,  A.  7.  Wir  werden 
weiter  unten  zwei  ebenfalls  Italische  Exemplare 
kennen  lernen.  Von  einem  Griechischen  habe 
ich  in  dem  Arch.  Bericht  über  meine  Reise  nach 
Griechenland  S.  63  Kunde  gegeben.  Auch  Masken 
von  Terracotta  sind  zu  erwähnen.  Desgleichen 
sind  die  bekannten  Friesplatteureliefs  Griechisch- 
Römischer  Arbeit  durch  mehrere  Exemplare  ver- 
treten. Das  eine  von  diesen  zeigt  einen  zum  Opfer 
geführten  Stier  und  zwei  verhüllte  Männer. 
Anf  einem  anderen  sind  zwei  Hören,  die  des 
Winters  und  die  des  Herbstes,  dargestellt,  vgl. 
Taylor  Combe  Terrae,  in  the  Brit.  Mus.  pl.  27, 


613 

51.  Beachtenswerther  sind  zwei  andere  Platten. 
Auf  der  einen  gewahrt  der  Beschauer  zumeist 
nach  rechts  Paris,  sitzend,  und  im  Hintergründe 
Mercur,  stehend;  dann  nach  links  hin,  vor  Paris 
stehend,  Venus,  Juno  und,  als  die  hinterste,  Mi- 
nerva. Die  Darstellung  des  Parisurtheils  findet 
sich,  so  viel  ich  mich  erinnere,  auf  diesen  Terra- 
cottareliefs  sonst  jedenfalls  nur  höchst  selten. 
W-lcker  hat  in  seiner  umfassenden  üebersicht 
der  betreffenden  Bildwerke,  A.  Denkm.  Th.  V, 
S.  424,  genau  genommen,  nur  ein  sicheres  Bei- 
spiel beibringen  können.  Dieses  n.  89,  a,  hat 
die  größte  Aehnlichkeit  mit  dem  in  Rede  ste- 
henden. Ob  es  gar  dasselbe  ist  ?  Das  andere 
Relief  zeigt  Ulysses  an  dem  Mastbaume  seines 
Schiffes  angebunden  und  zu  diesem  hinanschwim- 
mend eine  mit  halbem  Leibe  aus  dem  Wasser 
hervorragende  Sirene.  Eine  Darstellung  dessel- 
ben Gegenstandes  habe  ich  als  auf  einem  Relief 
des  Etruskischen  Museums  in  Florenz  vorkom- 
mend in  diesen  Nachrichten  1874,  S.  574,  sig- 
nalisirt.  Ob  beide  Reliefs  aus  einer  gleichen 
Form  hervorgegangen  sind  oder  nicht ,  ist  mir 
nicht  mehr  erinnerlich.  Daß  es  an  Thonlampen 
schon  1849  nicht  fehlte,  ist  aus  Vulliemin's  An- 
gabe ersichtlich.  Sonst  giebt's  noch  Poleries  an- 
tiques  trouvees  dans  le  canton  Vaud  und  Bei- 
spiele de  Ceramique  Gauloise. 

Auch  die  Abtheilung  der  Gegenstände  aus 
Bronze  ist  nicht  übel  vertreten.  Sie  sind,  soviel 
ich  habe  sehen  können ,  alle  im  Canton  Waat 
gefunden,    und  fast  alle  Römischer  Arbeit. 

Zunächst  von  den  Statuetten !  Von  diesen 
sind  nur  einige  von  etwas  bedeutenderen  Dimen- 
sionen ;  besonders  der  Mercur  von  ürsins,  abge- 
bildet bei  Rochat  Antiquit.  d'Yverdon  pl.  II,  n. 
3,    welcher    eine  Höhe  'von    9  Zoll  hat  (die  ge- 


614 

nauere  Angabe  der  Höhe  bei  dieser  und  anderen, 
gleich  zu  erwähnenden  Bronzefiguren  verdanke 
ich  Zeichnungen  im  Museum  zu  Yverdon,  auf 
denen  dieselbe  beigeschrieben  war) ;  dann  der  be- 
harnischte  hahnenköpfige  und  in  Schlangen  aus- 
laufende Gott  der  Gnostiker ,  eine  als  Rundbild 
seltene  Darstellung ,  welche  aus  Aveuticum 
stammt;  auch  noch  eine  kopflose  männliche  Sta- 
tuette, an  welcher  der  rechte  Arm  fast  ganz  ab- 
gebrochen und  auch  der  linke  etwas  beschädigt 
ist.  Von  den  anderen  Statuetten  mögen  zuvör- 
derst einige,  den  Mercur  darstellende  genannt 
werden ,  welche ,  wie  die  erst  erwähnten ,  aus 
Yverdon  und  seiner  Umgegend  stammen  (wo 
noch  andere  Mercurstatuetten  gefunden  sind, 
eine  im  Castrum  von  Yverdon ,  welche,  wie  Ro- 
chat  a.  a.  0.  p.  68  bemerkt,  in  die  Troyon'sche 
Sammlung  zu  Eclepends  gekommen  ist ,  eine 
andere  zu  Nonfous,  einem  etwa  zwei  lieues  von 
Yverdon  entfernten  Orte,  von  welcher  der  Baron 
von  Bonstetten  Rec.  d'Antiq.  Suisses  pl.  XIII, 
n.  2  eine  Abbildung  gegeben  hat,  alle  vermuth- 
lich  aus  der  Zeit  von  den  Flaviern  bis  zu  den 
Antoninen.  Jene  Mercurstatuetten  findet  man 
ebenfalls  bei  Rochat  abgebildet,  die  eine,  ohne 
die  fehlenden  Unterbeine  vier  Zoll  hohe,  mit 
silbernen  Augen,  aus  den  Trümmern  im  bois  des 
tours  bei  Vuiteboeuf,  pl.  II,  n.  5,  die  andere  nur 
bis  unter  der  Brust  erhaltene,  welche  mit  einem  als 
Exomis  angeordneten  Gewände  versehen  ist,  pl.  II, 
n.  4,  Außer  diesen  Mercurstatuetten  stammt  noch 
eine  andere  Bronzefignr  des  Cantonalrauseums  aus 
der  Umgegend  von  Yverdon  (aus  Yvonand  ,  wie 
auf  der  Etiquette  und  bei  Vulliemin  a.  a.  0.  I, 
S.  69  angegeben  ist,  aus  Mordagne  nach  der 
Angabe  bei  der  im  Museum  zu  Yverdon  befind- 
Jichen  Zeichnung)  :  die  bei  Rochat  pi.  11,  n.  1  ab- 


615 

gebildete  Votoria  von  3"  6'"  Höhe.  Eine  Ve- 
nusstatuette mit  dünnem  Untergewande  und 
um  die  Scham  geknüpften  Obergewande,  deren 
linke  Hand  abgebrochen  ist,  wurde  zu  Vernex 
ausgegraben.  An  der  Statuette  eines  verhüllten 
unbärtigen  Mannes  in  der  Toga,  welcher  in  der 
Linken  eine  Rolle  hält  uud  die  Rechte  wie  re- 
dend vorstreckt,  fehlt  die  Angabe  der  Her- 
kunft (ähnliche  Figuren  finden  sich  unter  den 
kleinen  Bronzen  öfter ,  eine  auch  in  der  Samm- 
lung des  Archäol.  Instituts  zu  Göttingen).  Auch 
den  Arm  von  der  Bildsäule  eines  Kindes ,  wel- 
chen Vulliemin  a.  a.  0.  als  zu  Yvonand  aufge- 
funden erwähnt ,  glaube  ich  unter  den  Bronzen 
gesehen  zu  haben.  Diesen  Römischen  Bildwerken 
ist  das  Gallo-Römische  des  sogenannten  Hercule 
Gaulois  aus  Lausaune  zugesellt,  über  den  jetzt 
ganz  besonders  zu  vergleichen  ist  K.  Dilthey  im 
Anzeiger  für  Schweizer.  Altherthumskunde ,  Zü- 
rich 1875,  S.  634  fg.,  wo  auch  S.  637,  n'  XII 
u.  XIU,  jenes  Bild  und  ein  zweites  im  Museum 
von  Lausaune  aufbewahrtes  (das  ich  wohl 
übersehen  habe)  verzeichnet  ist.  Unter  den 
Brouzestatuetten  von  Thieren  findet  sich  die 
einer  Pauthere  femelle  tr.  ä  St.  Prex,  don  de  Mr. 
le  Syndic.  Laurent  -  Duclos ;  außerdem  der  bei 
Rochat  pl.  U,  n.  6  nebst  der  dazugehörenden 
Inschrift  (6,  a)  abgebildete  schöne  Votivbock  von 
Valeyres  bei  Yverdon  (die  Inschrift  auch  bei 
Th.  Mommseu  Inscript.  coufoederat.  Helvet.  lat. 
(Mitth.  d.  antiquar.  Gesellsch.  in  Zürich,  Bd.  X) 
p.  23,  23,  51,  n.  137,  welcher  keinen  Verdacht 
an  der  Echtheit  äußert,  während  Rochat  mir 
sagte,  daß  die  Echtheit  sowohl  des  Bockes  als  der 
Inschrift  ihm  sehr  zweifelhaft  sei). 

In   der  Abtheilung  der  Gefäße    und  Geräthe 
befinden  sich   z.  B.  eine  Schale   mit  zwei  Heu- 


616 

kein,  ein  plat  vou  Morp^es,  ein  ansehnliches 
Küchengeräth,  eine  große  Lampe  aus  Nyon,  eine 
Spiegelkapseldecke  (?)  mit  erhabenen  Figuren, 
und  zwei  Spiegel  Ich  bedauere  sehr,  diese  bei- 
den letzteren  nicht  genauer  haben  untersuchen 
zu  können.  Der  eine  ist  jedenfalls  der  wieder- 
holt abgebildete,  am  besten  nach  der  von  Ger- 
hard's  Zeichner  vorgenommenen  Reinigung  in 
den  Mittheil,  der  antiquar.  Gesellsch.  in  Zürich 
Bd.  VII  zu  A.  Jahn's  Aufsatz  »Etrusk.  Alterth. 
gef.  in  der  Schweiz,«  Taf.  IV,  dann  in  vollstän- 
diger Wiederholung  in  ders.  Ztschr.  Bd.  XIV 
zu  Bursian's  Aventicum  H.  3,  Taf.  XXII,  endlich 
auch  in  Gerhard's  Etruskischen  Spiegeln  Taf. 
CCCLXX  (wiederum  nach  derselben  Zeichnung, 
ohne  daß  angegeben  wird,  daß  die  von  Gerhard 
früher  gewünschte  Revision  des  Originals  wirk- 
lich vorgenommen  sei).  Wir  können  uns  hier 
auf  die  durch  die  letzte  Besprechung,  die  bei 
Gerhard  a.  a.  0.  Bd.  IV,  S.  12  fg.,  nicht  ab- 
geschlossene Deutung  des  Dargestellten  nicht 
genauer  einlassen ,  wollen  inzwischen  nicht  ver- 
fehlen zu  bemerken ,  daß ,  wenn  Bursian's  An- 
nahme eines  »Rrieftäfelchens«  in  der  Linken 
Mercurs  das  Richtige  trifft,  wie  es  ganz  den  An- 
schein hat,  der  in  Rede  stehende  Spiegel  ein 
neues  Beispiel  des  in  den  Götting.  Nachrichten 
1874,  S.  595  fg.  von  uns  erwiesenen  Vorkom- 
mens des  Dixtychon  bei  Mercur  liefert. 

Auch  an  Glassachen  ist  Manches  vorhanden; 
doch  schienen  mir  dieselben  sämmtlich  Römisch 
und  ohne  besondere  Erheblichkeit. 

Unter  den  objets  antiqnes  en  os,  ivoire,  ambre 
zog  eine  »tessera  theatralis«  meine  besondere 
Aufmerksamkeit  auf  sich,  von  welcher  ich  leider 
nur  eine  Seite  betrachten  konnte.  Auf  dieser 
ist    ein    oben    abgeplatteter    viereckiger   Thurm 


6U 

und,  nach  der  Rechten  des  Beschaaeus  hin  da- 
ranstoßend, ein  viersäuliger  Tempel  dargestellt. 
Da  Vulliemin  angiebt,  daß  das  Museum  auch 
Sachen  aus  Herculaneum  und  Pompeji  enthält, 
so  wird  mau  wohl  anzunehmen  haben ,  daß  das 
in  Rede  stehende  Stück  zu  diesen  gehöre.  Ich 
weiß  überall  nicht,  ob  in  der  Schweiz,  wo  es  ja  im 
Alterthum  zu  Aventicum  und  Augusta  Rauracorum 
Theater  gab,  dergleichen  Tesseren  gefunden 
sind.  Zwei  Exemplare ,  welche  ich  auf  meiner 
Rückkehr  in  der  Antikensammluug  des  Museums 
zu  Basel  fand,  sind,  so  viel  ich  mich  erinnere, 
aus  Italien  eingeführt  ^). 

Endlich  noch  eine  Angabe  verschiedener 
Werke,  die  entweder  in  gegenständlicher  Hin- 
sicht oder  wegen  ihrer  Herkunft  aus  weiterer 
Ferne  oder  in  beiden  Beziehungen  namentlich 
in  einem   kleineren  Museum    von  Interesse  sind. 

Es  giebt  cachets  d'oculistes  (woher  und  ob 
noch  unbekannt,  weiß  ich  nicht);  uue  brique 
provenant  de  Kasr,  ä  Babyloue,  mit  der  legende 

1)  Bei  dieser  Gelegenheit  mag  ich  den  Wunsch  nicht 
unterdrückea ,  daß  doch  auch  von  dieser  Sammlung  zu 
Nutz  und  Frommen  der,  wenn  auch  nicht  zahlreichen, 
Besucher  und  der  Wissenschaft  ein  genaues  Verzeichniß 
des  Bestandes  erscheinen  möge.  Die  (übrigens  dem  Raum 
nach  getrennten,  in  der  Bildergalerie  aufgestellten)  Köpfe 
des  Apollon  und  des  Herakles,  früher  im  Besitz  des  Bild- 
hauers Steinhäuser,  sind  freilich  zur  Genüge  bekannt; 
eben  so  manches  von  den  kleinen,  aber  wichtigen  Stücken, 
welche  von  dem  verewigten  W.  Vischer  der  Sammlung 
zu  Gute  gekommen  sind;  aber  es  giebt  selbst  noch  Mar- 
morwerke, welche  genauer  bekannt  zu  werden  verdienen, 
z.  B.  ein  »alterthümlicher  Athleteukopf  aus  Rom«  und 
ein  fragmentirtes  Griechisches  Votivrelief ,  welches  den 
Asklepios  darstellt,  stehend,  sich  mit  der  rechten  Achsel 
auf  den  Schlangenstab  stützend,  das  rechte  Bein  über  das 
linke  schlagend,  den  linken  Arm  an  die  linke  Hüfte  legend, 
und  rechts  von  ihm  einen  Altar. 


618 

Royale  de  Nabuchodonosor  en  caracteres  ounei- 
formes  babyloniens,  nebst  einigen  Cylindern ;  ein 
poids  asiatique,  en  niarbre  blanc,  en  forme  de 
brique  surmonte  de  deux  mamelles,  entre  les- 
quelles  est  une  anse,  pesant  2  Kilogr.  324  gr., 
auf  der  Auction  der  Sammlung  Raife  erstan- 
den *) ;  ein  poids  pheuicien ,  aus  der  Sammlung 
des  Prinzen  Napoleon ,  auch  aus  Marmor  und 
von  ähnlicher  Form ,  nur  daß  der  Henkel  zwi- 
schen den  beiden  Brüsten  fehlt ;  tesseres  de 
Palrayre  (wie  sie  jetzt  zur  Genüge  bekannt  sind); 
endlich  die  gelegentlich  schon  erwähnten  Etrus- 
kischen  Aschenkisten ,  denen  einige  mehr  oder 
weniger  rohe  Köpfe,  vermuthlich  derselben  Her- 
kunft, beigestellt  sind.  Von  den  Aschenkisten- 
reliefs  stellt  das  eine  den  so  oft  wiederholten 
Kampf  zwischen  Eteokles  und  Polyneikes  im 
Beisein  von  zwei  Dämonen ,  das  andere ,  dessen 
Bemalung  sehr  wohl  erhalten  ist,  einen  beflü- 
gelten Kopf,  mit  Phrygischer  Mütze,  den  der 
Meduse,  ganz  ähnlich  wie  der  auf  der  Terracotta- 
kiste  bei  L.  J.  L.  Janssen  De  Etrurische  Graf- 
reliefs uit  het  Mus.  van  Oudheden  te  Leyden, 
Taf.  n,  n.  5,  a,  das  dritte  Dionysos  auf  dem 
Panther  mit  Schale  in  der  Linken  dar. 

4. 

Wenden  wir  uns  jetzt  nach  Genf,  so  finden 
wir  hier  zwei  öffentliche  Sammlungen  von  Al- 
terthümern,  das  Musee  archeologique  de  la 
ville  und  das  Musee  Fol. 


1)  Daß  es  sich  bei  Werken  wie  das  in  Rede  stehende 
um  Gewichte  handele,  erkannten  bekanntlich  Ch.  Newton 
Halicarnassus  Cnidus  and  Hranchildae  T.  II,  p.  387  u.  8ü4  fg. 
und  J.  Brandis  Münz-  Maaß-  und  Gewichtswesen  in  Vor- 
derasien  bis  auf  Alexander  d.  Gr.  S.  599  fg. 


619 
A. 

Jenes  befindet  sich  im  rechten  Flagel  des  im 
Jahre  1871  vollendeten  neuen  Akademiegebäudes 
an  der  Promenade  des  Bastions ,  wo  ein  statt- 
licher Saal  im  Erdgeschoß  eine  archäologische 
und  ethnologische  Sammlung  birgt.  Unter  den 
Culturvölkern  des  Alterthums  sind  die  Aegypter, 
Etrusker ,  Griechen  und  Römer  vertreten ,  diese 
fast  durchaus  durch  Werke,  welche  diesseits  der 
Alpen  gefunden  sind.  Die  Gegenstände,  welche 
der  Kunst  und  dem  Handwerk  der  drei  letztge- 
nannten Volker  angehören ,  sind  durchweg  von 
so  geringen  Dimensionen,  daß  sie  in  Glasschrän- 
ken untergebracht  werden  konnten.  Der  Inhalt 
des  Schrankes,  welcher  sich  auf  »Etrurie,  Grece, 
Grande  Grece«  bezieht,  ist  qualitativ  sehr  dürf- 
tig. Es  verlohnt  sich  nicht ,  auf  das  Eiuzelne 
einzugehen ;  das  ansehnlichste  Stück  ist  ein  tre- 
pied  trouve  dans  un  tombeau  a  Orvieto  par  Mr. 
Staindl ,  doune  par  Gustave  R^villiod. 

Aus  der  epoque  Romaine  sind  vorhanden: 
ein  rohes  Mosaikstück,  ziemlich  zahlreiche  Glae- 
gefäße ,  darunter  auch  größere ,  uoch  mehrere 
Gegenstände  aus  Thon  (Lampen,  Gefäße,  jene 
schon  oben  S.  610  besprochenen  durchlöcherten 
Pyramidien,  Ziegel  u.  s.  w.),  Werke  aus  Stein 
und  aus  Metall. 

Wir  begnügen  uns  damit  einige  Stucke  ans 
den  beiden  letzten  Kategorien  hervorzuheben. 

Unter  den  Sculpturen  ans  Marmor  haben  die 
größten  Dimensionen  die  Büste  eines  Mannes 
(an  welcher  die  Pupille  und  das  Weiße  der  Au- 
gen angegeben  ist)  und  die  eines  Weibes,  deren 
Brusttheil  aus  farbigem  Steine  besteht:  an  ihm 
gewahrt  man  das  Frauzengewand  der  Isis,  aber 
das  Gesicht  ist    Porträt.      Die  der  Große   nach 


620 

dann  folgende  Büste  ist  die  eines  Römischen 
Kaisers  im  Harnisch  und  mit  dem  Paludamen- 
tum.  Dann  kommt  eine  beachtenswerthe  Satyr- 
büste. Von  geringereu  Dimensionen  ist  die  tete 
de  statue  en  marbre  blaue,  trouvee  a  Nismes 
(Lauguedoc),  Venus  mit  nach  links  hin  etwas 
übergebogeuem  Kopf,  an  welchem  die  Augen- 
sterne angegeben  sind.  Ein  gewöhnliches  Relief 
zeigt  den  Kopf  der  SABINA.  AVGVSTA,  wie 
die  Inschrift  besagt;  ein  anderes,  in  der  Form 
eines  kleinen  Medaillons,  den  nach  links  hin  ge- 
richteten Kopf  eines  bärtigen  Mannes,  am  Rande 
vor  dem  Gesichte  die  Inschrift  METTIVS.  Eine 
Prüfung  der  Echtheit  konnte  ich  nicht  vornehmen. 

Von  den  viel  zahlreicheren  Gegenständen  aus 
Metall  besprechen  wir  zunächst  die  aus  Bronze. 

Unter  diesen    giebt    es  Gefäße   und  Geräthe 
und  namentlich  Statuetten. 

Von  jenen  mögen  zuvörderst  die  dem  gerin- 
.gerem  Theile  nach  auch  in  Thonsacheu,  welche 
mit  denen  aus  Bronze  mit  Recht  zusammenge- 
stellt sind ,  bestehenden  Utensiles  et  meuage  du 
II  ou  III  siecle,  decouverts  ä  Martigny,  avril 
1874,  erwähnt  werden.  Staramt  dieser  Fund  aus 
einem  Grabe,  so  bietet  er  ein  neues  und  zwar 
sehr  interessantes  Beispiel  aus  Gräbern  hervor- 
gezogenen Kücheugeräthes ,  worüber  zu  verglei- 
chen C.  Friedericlis ,  Berlins  ant.  Bildw. ,  II, 
Geräthe  und  Bronzen  im  alten  Mus.,  S.  138  fg. 
Dann  gehört  hieher  ein  couvercle  de  miroir 
nebst  dem  miroir,  trouve  a  Bonvaud,  ein  Geschenk 
des  Dr.  Coindet.  Interessant  ist  auch  ein  Ge- 
fäß mit  je  einem  Schlangenhalse  zum  Ausgießen 
und  je  einem  Kopfe  au  den  entgegengesetzten 
Seiten;  ein  Candelaber  in  Form  eines  Baums, 
mit  einem  Teller  oben  ;  der  trepied  trouve  a 
Pyaud  (hte  Savoie),   Geschenk   von  Mr.  Griolet. 


621 

Die  Zahl  der  Glocken   ans  Bronze  ist  nicht  nn- 
bedeutend. 

Zu  den  Statuetten  übergehend  erwähnen  wir 
an  erster  Stelle  das,  als  don  de  la  Bibliotheque 
bezeichnete,  runde  wohlgearbeitete  Postament 
mit  der  Inschrift: 

LIBERO  PATRI 

COCLIEXSI 
P.  SEVERIVS 
LVCANVS 
V.  S.  L.  M. , 
welche  C.  Orelli  in  den  Inscript.  Helvetiae,  Tu- 
rici  MDCCCXLIV,  p.  158,  n.  134  herausgegeben 
hat,  mit  der  Bemerkung:  referunt  ad  vicum  CuUy 
entre  Lausanne  etVevey;  dummodo non sit 
titulus  commenticius.  Gerte  Troyon  hunc  non 
vidit.  Das  konnte  derselbe  auch  nicht,  wenn  er 
ihn  zu  Lausanne  oder  Yevey  suchte.  Die  In- 
schrift ist  ohne  Zweifel  ebensowohl  antik  wie 
das  Postament,  welches,  wie  schon  Vnlliemin 
Waat  Bd.  I,  S.  67  der  Dtsch.  üebers.  angiebt, 
aus  St.  Prex  stammt.  Hier,  wo  nach  demselben  II, 
2,  S.  167  ein  Bacchus  und  ein  Mercur  aus  Bronze 
gefunden  worden  ist,  außerdem  wie  wir  oben  S. 
615  sahen,  ein  Panther,  wird  noch  jetzt  der  Wein- 
bau besonders  betrieben,  wie  auch  zu  Cully,  wo 
nach  Vulliemin  I,  S.  68  das  Standbild  einer 
Bacchantin  entdeckt  wurde.  Schade ,  daß  Vulli- 
emin nicht  auch  den  damaligen  Aufenthaltsort 
des  Bacchusbildes  von  St.  Prex  bezeichnet  hat, 
welches  inzwischen  allem  Anschein  nach  nicht 
dasjenige  war,  das  einst  auf  jenem  Postamente 
stand.  Unter  den  erhaltenen  Statuetten  des 
Mnsee  archeol.  findet  sich  die  eines  stehenden 
nackten  Knaben,  welcher,  den  linken  Fuß  vor- 
setzend ,  mit  beiden  höher  als  der  Kopf  gehal- 
tenen Händen  eine  wie  zur  Bekränzung  zurecht 

54 


622 

gemachte  Tänia  emporhält,  und  ein  ebenfalls 
stehender  »Gauymede«  mit  der  Trinkschale  in 
der  Linken,  beide  Stücke  Geschenke  eines  Mr. 
Duval;  ferner  ein  komischer  Schauspieler,  der 
stehend  den  Kopf  nach  rechts  hin  etwas  senkt, 
indem  er  den  linken  Fuß  etwas  vorsetzt  und  dia 
Arme  vor  dem  Bauche  zusammenschlägt,  gefun- 
den zu  St.  Genis,  geschenkt  von  J.  Du  Par; 
»Hercule,«  der  eben  geschossen  hat;  kauernde 
Venus,  nach  links  sich  umblickend,  mit  der  Linken 
einen  Gestus  des  Schreckens  machend ,  mit  der 
Rechten  die  Scham  verhüllend ;  Venus  in  der  Hal- 
tung der  Mediceischen,  aus  Palmyra,  Geschenk  von 
H.  J.  Gosse ;  eine  fragmentirte  Maske ;  endlich  ein 
stehender  »Apollo«  oder,  wie  mir  schien,  Bacchus 
mit  Augen  von  Silber,  die  schönste  Statuette 
der  ganzen  Sammlung,  die  einer  Bekanntmachung 
durch  Abbildung  werth  ist  (sie  ist  geformt  und 
in  Gipsabguß  zu  haben). 

Wir  kommen  nun  zu  den  Silbersachen  und 
zu  dem  wenigen  Schmuckgeräthe. 

Durch  Abbildung  in  Baron  von  Bonstetten's 
Antiq.  Suisses  pl.  XIII,  fig.  1  ist  seit  1855  be- 
kannt eine  silberne  Patere  du  Musee  de  Geneve 
aus  Pregny  pres  de  Geneve,  mit  vergoldeten 
Reliefs  am  Henkel,  welche  eine  Cybelebüste 
zwischen  zwei  Bocksköpfen,  darunter  »Fortuna« 
(oder  vielleicht  genauer:  Fortuna  Nemesis  oder 
Pax)  mit  einem  belaubten  Zweig  in  der  rechten 
Hand  und  dem  Füllhorn  in  dem  linken  Arm, 
und  zu  Unterst  als  hauptsächlichsten  Gegenstand 
Opfer  von  Seiten  eines  am  Oberleibe  nackten 
Weibes  darstellen.  Dieses  Stück  ist  mir  nicht 
zu  Gesicht  gekommen  (woraus  aber  keinesweges 
gefolgert  werden  darf,  daß  es  nicht  vorhanden 
ist).  Dagegen  gewahrte  ich,  außer  zwei  silbernen 
Kasseroleu  (patinae,  patellae),  deren  Fundort  ich 


623 

nicht  angeben  kann,  objets  enfonis  pres  du 
moulin  de  St.  Genis,  darunter  eine  silberne 
Schale  ohne  figürliches  Bildwerk,  nud  einen  petit 
tresor  trouve  ä  Cinverte  Mai  1857  mit  silbernen 
Schmucksachen,  unter  denen  sich  auch  Ringe 
mit  geschnittenen  Steinen  befinden.  Außer 
jener  Schale  fand  ich  noch  zwei  andere  ähnliche 
vor,  auch  ohne  figürliches  Bildwerk,  außerdem 
zwei  interessante  Ohrgehänge.  Das  wichtigste 
Silberstück  ist  aber  die  unter  den  Werken  der 
epoque  Romaine  chretieune  aufgestellte  Vaisselle 
faisant  partie  d'une  largitas  de  Valentiuianus, 
welche,  im  Jahre  1724  in  der  Arve  bei  Genf 
gefunden ,  schon  im  vierten  Supplementbande 
von  Montfaucon's  Ant.  expl.  pl.  28  abbildlich 
mitgetheilt  ist ,  nicht  ohne  die  oben  über  den 
dargestellten  Figuren  herumlaufende  Inschrift 
LARGITAS.  D.  N. VALENTINIANI.  AVGVSTP). 
Endlich  noch  die  Bemerkung,  daß  in  dem 
Gefach  mit  der  Aufschrift  >Age  de  Fer«  die  bei- 
den im  Anz.  für  Schweizer.  Alterthumskunde 
1874,  S.  576  u.  577  abgebildeten  Statuetten 
des  vermeintlichen  Helvetischen  Hercules,  deren 
größere  von  Dilthey  ebenda  S.  635  gründlich  be- 
schrieben ist,  aufgestellt  sind  (beide  sind  in  Ab- 
güssen zu  haben),  und  daß  in  einem  Gefache 
daneben  sich  Terracotten,  Gallo-Römische  denk' 
ich,  befinden,  unter  denen  eine  Telesphorosfigur 

1)  Sinner,  der  in  den  Yoy.  dans  la  Soisse  occid.,  T. 
II,  p.  79  fg.  dieses  Werk  nach  Montfaucon  bespricht, 
erwähnt  gelegentlich,  daß  nach  dieses  Gelehrten  Zeit  noch 
ein  silberner  »bouclier«  gefunden  sei  und  zwar  in  der 
Dauphine,  aussi  grand  qae  celni  de  Scipion  (wie  man  be- 
kanntlich damals  den  Boden  der  berühmten  Silberschale 
in  der  Sammlung  bei  der  Bibliothek  zu  Paris  nannte), 
mit  der  Darstellung  eines  Löwen  bei  einem  Palmbaum. 
Wo  befindet  sich  dieses  Werk,  über  welches  mir  jede  an- 
dere Kunde  fehlt,  jetzt  ? 

54* 


624 

und  drei  weibliche  Büsten  innerhalb  einer  Grotte 
Beachtung  verdienen. 

B. 

Das  Musee  Fol  ist  in  mehreren  Zimmern 
des  Erdgeschosses  eines  in  der  Grande  Rue  n. 
11  im  Hof  liegenden  Gebäudes  aufgestellt.  Es 
ist  eine  ganz  neue  Schöpfung,  die  dem  großarti- 
gen Patriotismus  eines  Mannes,  des  Genfer 
Bürgers  Walther  Fol  verdankt  wird  ^).  Dieser 
schenkte  alle  seine  während  mehr  als  zehn  Jahren 
emsiger  Nachforschungen  vorzugsweise  in  Ita- 
lien erworbenen  Kunstwerke  und  Alterthümer 
der  Stadt  Genf,  die  ihrerseits  für  ein  angemes- 
senes Local  sorgte  und  einen  Conservator  be- 
stellte. Das  Museum  ist  also  nichts  weniger 
als  eine  Schweizerische  Localsammlung  —  von 
Schweizerischem  Boden  befinden  sich  nur  einige 
wenige   Städte  in  demselben^)  — ,  sondern  eine 

1)  Nur  den  Inhalt  eines  Glasschrankes,  mehrere  Bron- 
zesachen und  ein  großes  bemaltes  Thongefäß,  dem  sogen. 
Asiatischön  Stil  angehörend,  mit  Tänzern  und  Thierfiguren 
in  zwei  Reihen  übereinander,  fand  ich  als  don  de  M.  J. 
Simond,  1874,  bezeichnet. 

2)  Von  Gegenständen,  welche  in  der  Schweiz  gefunden 
sind,  giebt  es,  soviel  ich  sehe,  nur  drei  Beispiele,  eine 
Form  zur  Herstellung  von  Reliefvasen  aus  Moosseedorf  im 
Canton  Bern  (P.  I,  p.  161,  n.  768),  ein  Thonrelief  aus 
Vindonissa  (P.  I,  p.  177  fg.,  n.  837)  und  eine  plaque 
de  decoration  von  Bronze  aus  Burgdorf  (P.  I,  p.  245,  n. 
1127).  Das  Thonrelief  aus  V.  zeigt  Vulcan  in  der  ge- 
wöhnlichen Tracht  (nur  daß  er  braies  ou  pantalons  trägt) 
und  mit  dem  Hammer  in  der  Rechten ,  zwischen  Mercur 
und  Minerva ,  nach  welcher  er  hinblickt ,  einerseits  und 
einer  weiblichen  Figur  mit  langer  Tunica  und  Palla,  der 
Corona  muralis  auf  dem  Haupte  und  dem  Füllhorn  in  der 
linken  Hand,  so  wie  einer  jene  an  der  Rechten  fassenden 
jugendlichen  männlichen  Figur  mit  Binden  um  das  Haupt, 
die  hinter  demselben  im  Winde  flattern.  Hr.  Fol  bezieht 
die  weibliche  Figur  auf  Cybele,  die  männliche  auf  Apollo 


625 

Sammlung  von  den  verschiedenartigsten  Gegen- 
ständen, welche  durch  die  Ausgrabnnoren  haupt- 
sächlich in  Italien  und  Sicilien  zu  Tage  geför- 
dert und  in  dem  dortigen  (etwa  auch  dem  Pari- 
ser) Kunsthandel  käuflich  waren.  Es  ist  selbst- 
verständlich ,  daß  es  sich  hauptsächlich  nur  um 
Gegenstände  geringerer  Dimensionen  handelt; 
doch  fehlt  es  keinesweges  ganz  an  Werken  der 
höheren  Kunst ,  wie  man  sie  in  einer  solchen 
Schöpfung  eines  bloßen  Privaten  nicht  voraus- 
gesetzt. Ein  wesentlicher  Vorzug  der  Sammlung 
ist  der,  daß  so  gut  vne  alle  Gattungen  der  Kunst- 
übung vertreten  sind,  ausgenommen  die  Münzen, 
von  denen  nur  je  ein  Exemplar  des  As,  Semis, 
Triens,  Quadrans,  Septans  und  der  Uucia  in  der 
Abtheilung  der  Bronzesachen  unter  den  Gewichten 
stehen.  Für  das  Kunsthandwerk  ist  sie  außer- 
ordentlich wichtig.  Herr  Fol,  der  nicht  abläßt 
für  die  Vergrößerung  der  Sammlung  zu  wirken 
—  wie  er  denn  auch  zur  Zeit  meiner  Anwesen- 
heit in  Genf  sich  in  Italien  aufliielt  — ,  hat  auch 
das  Verdienst,  gleich  von  Anfang  an  für  Ver- 
zeichnisse gesorgt  zu  haben.  Der  Catalogue  du 
Musee  Fol  ist  in  drei  Theilen  erschienen,  von 
denen  die  beiden  ersten  die  Antiquites  betreffen, 
und  zwar  Thl.  I  (1874)  die  Ceramique  und  die 
Plastique ,  Thl.  II  (1875)  die  Glyptiqae  und  die 
Verrerie,  Thl.  III  (1876")  die  Peinture  artistique 
et  industrielle,  (dieser  Theil  bezieht  sich,  wie  das 
auch  mit  dem  noch  zu  erwartenden  vierten  das 
Mobilier  betreffenden  der  Fall  sein  wird,  wesent- 

oder  Atys.  Letzterer  kann  gar  nicht  gemeint  sein.  Ersterer 
kommt  allerdings  bei  Cybele  vor,  aber  wer  beweis't,  daß 
diese  gemeint  ist ,  zumal  da  das  Füllhorn  gegen  sie  Be- 
denken erregt  ?  Sollten  die  jedenfalls  beachtenswerthen 
Figuren  etwa  Fortuna  und  Bonus  Eventus  .darstellen? 
Leider  erinnere  ich  mich  des  Originals  nicht. 


626 

lieh  auf  die  modernen  Zeiten  vom  Anfange  des 
fünfzehnten  bis  zum  Ende  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts —  denn  auch  diese  sind  in  der  Samm- 
lung vertreten  ,  —  ist  aber  auch  dem  Aegypti- 
schen  und  Römischen  Alterthum  der  classischen 
Zeit  nicht  ganz  fremd,  da  die  Fol'sche  Samm- 
lung selbst  von  Malereien ,  welche  diesem  ange- 
hören, nicht  bloß  Facsimile's,  sondern  auch  Ori- 
ginale, freilich  meist  Bruchstücke,  besitzt,  welche 
eben  in  dem  dritten  Theile  berücksichtigt  werden, 
wie  anderseits  der  zweite  Theil  hinsichtlich  der 
Verrerie  etwas  über  die  Grenzen  des  eigentlichen 
Alterthums  herabgeht.  Der  erste  Theil  ist  mit 
Abbildungen  im  Text,  der  zweite  mit  15  colo- 
rirten,  die  Verres  antiques  und  Ivoire  et  os  an- 
tiques  betreffenden  Tafeln,  der  dritte  mit  Abbil- 
dungen im  Text  und  9  colorirten  Tafeln  verse- 
hen. Außerdem  ist  ein  Theil  der  Terracotten- 
gegenstände  und  der  geschnittenen  Steine  und 
Pasten  in  zwei  besonderen  Bänden  herausgegeben. 
Freilich  wird  der  Archäolog  an  diesen  Schriften 
gar  Manches  auszusetzen  haben;  auch  sind  nicht 
alle  Abbildungen  ganz  getreu  und  gut  gerathen ; 
selbst  hinsichtlich  der  Echtheit  der  Originale 
drängen  sich  hie  und  da  Bedenken  auf. 

Wenn  ich  nichtsdestoweniger  für  die  Kunde 
des  Bestandes  des  Museums  recht  wohl  auf  diese 
Schriften  verweisen  könnte,  so  will  ich  doch 
nicht  verfehlen  noch  Folgendes  zu  bemerken. 

Die  Sammlung  enthält  Werke  Aegyptischer, 
Asiatischer  (wenigstens  aus  dem  Gebiete  der 
Glyptik),  vielleicht  auch  Punischer,  dann  Grie- 
chischer (ganz  vorzugsweise  Großgriechischer 
und  Sicilischer),  mittelitalischer  (hauptsächlich 
Etruskischer) ,  (Griechisch- Römischer  (Gallo-Rö- 
mischer  nur  in  vereinzelten  Exemplaren)  Kuust- 
und  Handwerksthätigkeit. 


627 

Unter  den  Vasen  aus  Thon ,  die ,  soviel  wir 
sehen,  mit  Ausnahme  von  einem  Paar  aus  Grie- 
chenland und  Sicilien ,  aus  Italien  stammen,  fin- 
den sich  die  hier  vorkommenden  Arten  ziemlich 
vollständig  vertreten.  Doch  fehlt  es  an  Stücken, 
Vielehe  in  künstlerischer  Beziehung  hervorragen. 
Ein  seltenerer  Besitz  sind  einige  zu  Alhano  ge- 
fundene Gefäße  von  brauner  Erde  vgl.  P.  I, 
p.  12  fg. ,  namentlich  n.  1  u.  3.  Auf  einem 
bemalten  Gefäße  mit  schwarzen  Figuren  auf 
gelblichem  Grunde  erblickt  man  nach  P.  I,  p. 
37,  n.  140  d'un  cote  Mercure  portant  un  kylix 
de  chaque  main  et  poursuivant  Eos  et  Kephalos 
qui  de  l'autre  cote  sont  represeutes  fuyant.  Der 
Kenner  merkt  bald,  daß  die  Darstellungen  der 
beiden  Seiten  nicht  zusammengehören,  daß  viel- 
mehr auf  der  einen  Seite  etwa  die  Verfolgung 
des  Kephalos  durch  Eos  dargestellt  ist,  auf  der 
anderen  aber  Hermes  aller  Wahrscheinlichkeit  nach 
eher  als  Diener  der  Götter  bei  oder  auch  nach  dem 
Gastgelage,  vgl.  Sappho  Fr.  51  Bergk.  und  Lu- 
cian  Deor.  Dial.  24  (1 5) ,  denn  als  Genosse  des 
Bacchischen  Thiasos,  Trifft  jene  Deutung  das 
Wahre,  so  gehört  die  Darstellung  zu  den  selten- 
sten. Unter  den  Vasen  desselben  Stils  giebt  es 
zwei  Panathenäische  Amphoren  mit  den  ge- 
wöhnlichen Inschriften  (n.  150  u.  151).  Des- 
gleichen eine  Amphore  mit  zwei  fein  ausgeführten 
Gemälden,  welche  sich  auf  die  Geburt  derAthena 
beziehen  (auf  der  Vorderseite  geht  diese  eben 
aus  dem  Kopfe  des  Zeus  hervor ,  auf  der  Rück- 
seite steht  sie  auf  den  Knieen  des  Gottes,  n.  154). 

Noch  stärker  sind  die  Werke  der  Thonpla- 
stik  vertreten.  Sie  sind  nach  folgenden  Classen 
geordnet:  a,  Terres  cuites  etrusques  ou  latines, 
profanes,  religieuses  ou  funeraires.  b,  T.  c.  fune- 
bres  grecques,    c,  Sarcophages,  lampes,    autels, 


628 

bijoux,  d,  Marques  de  fabrique,  moules,  modeles, 
poids ,  e  ,  T.  c.  se  rapportant  ä  rornementation 
de  la  maison  antique.  Die  Terracotten  unter  b 
stammen  aus  Campanien  und  Apulien,  und  haupt- 
sächlich aus  Sicilieu ,  zudem  auch  aus  Präueste 
und  besonders  aus  Corneto;  eine  Stadt  des  Grie- 
chischen Mutterlandes  ist,  so  viel  ich  sehe,  nicht 
vertreten  (ein  paar  Terracottafiguren ,  deren 
es  mehrere  der  Publication  werthe  giebt,  hat 
jüngst  Leon  Fivel  in  J.  de  Witte's  u.  Fr.  Lenor- 
mant's  Gazette  archeol.  II,  1876,  p.  90  fg.  her- 
ausgegeben ,  eine  sehr  interessante ,  zu  Syrakus 
erworbene  Figur  eines  Schauspielers  der  älteren 
Komödie  soeben  in  derselben  Gaz.  archeol.  A.  III, 
1877 ,  p.  39.  Die  Sarcophages  unter  c.  be- 
stehen in  einer  Etruskischen  Aschenkiste  mit 
der  Darstellung  von  Eteokles  und  Polyneikes  und 
einer  Urne  cineraire  cylindrique  mit  zum  Theil 
wohl  ausgeführten  Relieffiguren,  welche  beson- 
ders gearbeitet  und  vor  dem  Brennen  auf  den 
Körper  der  Urne  aufgesetzt  sind ,  während  die 
Ornamente  der  Urne  mit  dem  Bossirholz,  Mo- 
dellirstecken ,  gemacht  zu  sein  scheinen.  Unter 
den  Lampen  befindet  sich  keine  besonders 
beachtenswerthe ,  man  möchte  denn  eine  Rö- 
mische Hängelampe  für  elf  Dochte  dahin  rech- 
nen wollen;  auch  die  Fabrikantennamen  sind 
meist  die  bekannten  Lateinischen,  ein  Griechi- 
scher oder  auch  nur  mit  Griechischen  Buchsta- 
ben eingestempelter  findet  sich  überall  nicht 
darunter.  Interessant  ist  ein  "  Autel  circulaire, 
trouve  dans  un  tombeau  grec  ä  Cornetto,  p.  153 
fg.,  n.  743.  Er  ist  auch  mit  figürlicher  Orna- 
mentation  versehen:  les  trois  supports  figurent 
exterieurement  des  creneaux  et  presentent  k 
rinterieur ,  en  bas-reliefs,  des  tetes  d'Atys  ä  lon- 
gue    barbe    coifi'ees    du    bonnet  phrygieu  et  qui 


629 

paraissent  souffler  le  feu.  Daß  an  Atys  nicht 
gedacht  werden  kann,  erhellt  schon  aus  dem 
Barte.  Auch  ist  die  Kopfbedeckung  nicht  die 
angegebene,  sondern  ein  nlXog  ,  der  oben  etwas 
spitz  zuläuft.  Die  Masken  gleichen  sehr  jenen  an 
aus  Athen  stammenden  GriflFbruchstücken  von 
Kohlenbecken  befindlichen  ,  welche  ich  nach 
Conze  in  den  Verhandl.  der  24.  Versammlung 
der  deutschen  Philologen  und  Schulmänner, 
Leipg.  1866,  S.  139  fg.,  zu  Taf.  I  u.  II,  und 
Dumont  Inscr.  ceram.  de  Grece  p.  410  fg.  in 
dem  Archäol.  Bericht  über  meine  Reise  nach 
Griechenland  S.  63  berührt  habe.  Das  von 
Conze  Taf.  II ,  la  u.  b  abbildlich  mitgetheilte 
Exemplar  zeigt  zudem  dieselbe  spitze  Mütze, 
welche  an  dem  Forschen  >autel«  vorkommt, 
welcher  sich  auch  wohl  mit  dem  bescheidenen 
Namen  eines  Kohlenbeckens  zu  begnügen  hat. 
Ich  brauche  kaum  besonders  zu  bemerken  ,  daß 
diese  üebereinstimmung  des  vermuthlich  nicht 
hloß  decorativen  Bildwerks  an  Athenischen  und 
einem  Coruetanischen  Thougeräth  von  wesent- 
lich derselben  Bestimmung  etwas  recht  Beach- 
tenswerthes  ist.  Die  Bijoux  bestehen  in  ver- 
goldeten Terracottastücken  und  einer  Corona 
sutilis  in  Silberfiligran  und  vergoldeten  Blumen 
u.  8.  w. ,  welche  sämmtlich  aus  der  Nekropole 
der  alten  Kyrene  stammen.  Die  Classe  d  ent- 
hält unter  Anderem  auch  vier  jener  thönernen 
Formen  für  Römische  Münzen,  wie  sie  zu  Lyon, 
Cöln,  Äugst  und  anderswo  gefunden  sind.  Der 
Fundort  der  in  Rede  stehenden  ist  nicht  ange- 
geben. Aus  Classe  e  wollen  wir  außer  dem  schon 
oben  S.  624  fg.  Anm.  besprochenen  nur  zwei  Stücke 
hervorheben.  Zuerst  das  p.  169,  n.  787  ver- 
zeichnete :  Antefixe,  fragment,  un  Pan  nu,  sur  la 
chevelure  luxuriante  on  voit  le  modins,  qui  etait 


630 

peut-etre  garni  de  fleurs ,  ä  en  juger  par 
le  trou  qui  y  est  pratique;  de  chaque  cote  de 
ses  epaules  on  voit  les  points  d'attache  d'ailes 
maintenant  cassees ;  il  joue  du  syrinx  — .  Also 
der  Pan  der  späteren  Orphiker  und  Neu-Pla- 
toniker,  dessen  Flügel  aus  Damascius  de  priucip. 
p.  254  bekannt  sind.  Ließe  sich  etwa  auch  an- 
nehmen, daß  das  Loch  zu  einer  Anfügung  einer 
Sphära  diente,  wie  ja  dieser  Pan  nach  Eusebius 
Praepar.  evang  3  mit  einer  goldnen  Sphära  auf 
dem  Haupte  dargestellt  wurde  ?  Dann  das  in 
Holzschnitt  mitgetheilte  Friesfragment  p.  183, 
n.  867,  welches  nicht  allein  durch  seinen  Fund-  , 
ort,  die  Villa  der  Kaiserin  Livia  zu  Prima-Porta 
bei  Rom  interessant,  sondern  auch  von  sehr 
schöner  Arbeit  ist  und  eine  unter  den  Werken 
aus  Terracotta  nur  sehr  selten  vorkommene  Dar- 
stellung betrifft,  welche  Herr  Fol  durchaus  ver- 
kannt hat.  Sicherlich  ist  Actäon  im  Kampf  mit 
seinen  Hunden  gemeint. 

Dann  ist  die  Zahl  der  verschiedenartigen  klei- 
nen Metallsachen  (deren  Material  bis  auf  wenige 
Stücke  aus  Silber,  Blei,  Eisen,  Bronze  ist)  bedeutend. 
Auch  befindet  sich  unter  ihnen  manches  interessante 
Stück.  Die  Sammlung  enthält  1 8  Bronzespiegel  und 
5  Fragmente  solcher.  Unter  jenen  stammt  einer 
sicher  aus  Griechenland,  die  meisten  anderen  aus 
Corneto  und  Palestrina,  einer  aus  Vulci.  Einige 
Spiegelzeichnungen  verdienen  in  gegenständlicher 
Hinsicht  Beachtung.  So  stellt  die  P.  L,  p.  195, 
n.  911  verzeichnete  eine  unbekannte  Sage  von 
der  Thetis  dar.  Diese,  nicht  un  genie  aux  ailes 
deployees,  wie  die  Ueberschrift  THETIS  zeigt 
—  Nereiden  kommen  ja  auch  sonst  beflügelt  vor 
und  zwar  auf  nahestehenden  Bildwerken  — ,  a 
les  -pieds  dans  la  mer  indiquee  par  des  vagues 
en   volutes   et   cherche  ä    eutrainer   uu    homme 


631 

coiffe  du  bonnet  phrygien ,  Tamictus  anar  les 
epanies,  et  qui  lui  resiste  de  tontes  ses  forces ; 
devant  son  profil  se  voit  rinscription ;  REIEA, 
du  reste  iuconiprehensible.  An  die  Aufnahme 
des  Dionysos  oder  des  Hephästos  durch  Thetis 
kann  natürlich  nicht  gedacht  werden.  Von  ei- 
sten, deren  zwei  aus  Palestrina  stammen,  die  aus- 
drücklich bezeichnet  werden ,  sind  fünf  Stück 
vorhanden,  darunter  zwei  aus  Korbweide,  salix 
viminalis,  und  mehrere  Bruchstücke;  ein  Cisten- 
griff  besteht  in  zwei  Statuen  des  Hercules  von 
Campanischem  Stil.  Der  Griff  einer  Strigilis  aus 
Capua  (P.  L  p.  202,  n.  929)  ist  wegen  des  Fa- 
brikstempels beachtenswerth.  Ein  noch  seltene- 
res Stück  ist  das  p.  204 ,  n.  934  beschriebene 
und  abbildlich  mitgetheilte  Rasirinstrument, 
von  welchem  leider  die  Herkunft  nicht  angege- 
ben ist.  Neben  den  mehrfach  vorkommenden 
Fibulae  aus  Bronze  findet  sich  auch  eine  aus 
Silber  mit  der  Inschrift  SEPV  -  LLAS  (in  zwei 
Reihen).  Ist  diese  wirklich  ä  cause  de  la  forme 
des  caracteres  als  dem  Ende  de  l'empire  romain 
angehörend  zu  betrachten  (P.  I,  p.  208,  n. 
957)  ?  Ein  Candelaber  zeigt  oben  eine  Statuette 
der  Minerva  im  alterthümlichen  Stil.  Zu  Cau- 
delabern  gehörten  auch  mehrere  kleine  Rundwerke, 
die  jetzt  getrennt  sind  ,  z.  B.  ein  Eichhörnchen, 
das  eine  Nuß,  eine  Maus,  welche  eine  Frucht, 
die  sie  zwischen  dem  Vorderpfoten  hält,  benagt. 
Ein  Fragment  eines  Vasenhenkels  von  Bronze 
aus  Ostia  zeigt  den  Medusenkopf  mit  einer  oben 
mit  Perlen  verzierten  tiare  entouree  de  raeches 
de  cheveux  (vgl.  oben  S.  618)  ein  ebendaher 
stammendes  Stück,  welches  zu  den  ornements  de 
meubles  gerechnet  wird,  die  Büste  de  Jupiter 
Ammon,  la  tiare  sur  la  tete,  porte  par  l'aigle, 
aux  ailes  deployees.     In  künstlerischer  und  tech- 


632 

nischer  Beziehung  ist  unter  jenen  ornements  beson- 
ders hervorzuheben  ein  bronzener  Eberkopf  von  sehr 
feiner  Arbeit  im  alterthümlichen  Stile ,  dessen 
Hauzähne  von  Silber  waren.  Ein  auf  der  Stätte 
der  Villa  Julius  Cäsar's  gefundener  Arm ,  wel- 
cher einer  großen  Bronzestatue  angehörte,  wird 
einem  Griechischen  Künstler  »peut-etre  Scopas 
ou  Praxitele«  zugeschrieben.  Unter  den  selbstän- 
digen Bronzestatuetten,  welche  der  Kunssthätig- 
keit  verschiedener  Völker  angehören,  findet  sich 
eine  archaische  Griechische  (mit  fehlenden  Ar- 
men) ;  auch  eine  Statuette  grecque  eginetique,  de 
Mars  ou  d'Ajax  (?) ;  die  gleiche  Beziehung  wird 
einer  vortrefflich  gearbeiteten  Statuette  der  aus- 
gebildeten Kunst  gegeben ;  die  schönste  Bronze- 
statuette aus  der  Blüthezeit  ist  eine  auf  Venus 
bezügliche  mit  zwei  goldnen  Haarnadeln  und 
Ohrringen,  welche  im  Feiner  See  gefunden 
wurde.  Die  einzige  silberne  Statuette,  eine  thro- 
nende Göttin  darstellend,  wird  trotz  des  »Pan- 
thers« ,  der  ihr  zur  Seite  am  Boden  sitzt,  auf 
Cybele  bezogen  Leider  erinnere  ich  mich  nicht 
an  das  Stück,  weiß  deshalb  nicht,  ob  man  an 
eine  Asiatische  Artemis  denken  darf. 

Von  Steinsculpturen  zählt  der  Catalog  16,  von 
Marmorsculpturen  47  Stück  auf,  unter  welchen  gar 
manche  nur  Bruchstücke  sind.  In  der  ersten 
Kategorie  sind  die  Aegyptischen  Sculpturen  die 
zahlreichsten;  die  Griechische,  Etruskische,  Rö- 
mische Bildhauerarbeit  ist  nur  durch  je  ein  Stück 
vertreten,  unter  welchen  sich  das  aus  der  ersten 
Kategorie,  ein  Kopf,  der  einem  liegenden  Weibe 
angehörte ,  künstlerisch  besonders  auszeichnet. 
Unter  den  Rundwerken  aus  Marmor  überraschte 
mich  höchlichst  eine  Replik  des  Apolloii  Sauro- 
ktonos,  die  in  der  rue  de  Serpenti  zu  Rom,  51 
Fuß   unter   dem   Boden   aufgefunden   ist.      Der 


633 

obere  Theil  depuis  le  milieu  du  torse  ist  nach 
dem  Exemplar  des  Yatican  ergänzt.  Der  Um- 
stand, daß  die  Beine  an  keinem  anderen  der  erhal- 
tenen Marmorexemplare  vollständig  erhalten 
sind,  giebt  dem  in  Rede  stehenden  noch  einen 
besonderen  Werth,  Auch  ein  Kopf,  welchen  man 
für  den  des  älteren  Sohns  des  Laokoon  hält, 
ist  vorhanden.  Er  ist  von  Griechischem  Mar- 
mor, wurde  zu  Rom  aufgefunden  und  war  in 
Besitz  Tenerani's,  der  ihn  sehr  hoch  hielt.  Man 
findet  jetzt  eine  Abbildung  in  J.  de  Witte's  und 
Fr.  Lenormant's  Gaz.  archeol.  A.  II,  1876,  mit 
eingehender  Besprechung  von  Leon  Fivet  p. 
100  fg.;  ich  zweifele  weniger  an  seiner  Echt- 
heit als  an  der  Sicherheit  der  Beziehung  auf  ei- 
nen Sohn  des  Laokoon.  In  künstlerischer  Be- 
ziehung ist  ferner  beachteus werth  das  auf  ein 
Original  der  zweiten  Attischen  Kunstschule  zu- 
rückzuführende Bruchstück  eines  jugendlichen 
Dionysos,  der  ursprünglich  zu  einer  Statue  ge- 
hörende Kopf  eines  Hermes,  auch  der  weibliche 
blnmenbekränzte  Kopf,  welcher  P.  I,  p.  290,  n. 
1329  abgebildet  ist.  In  gegenständlicher  Hin- 
sicht erregt  besonders  Interesse  die  fragmentirte 
Statue  eines  Schäfers  mit  einem  Schäfchen  in 
der  rechten  Hand,  in  geringerem  Grade  auch 
die  Statuette  eines  Priapus,  die  p.  288,  n.  1319 
irrthümlich  auf  Yertumuus  bezogen  wird.  Eine 
Doppelherme  des  bärtigen  Bacchus  und  seiner  weib- 
lichen Genossin  trägt  die  Inschrift  ^FÄ'OrprOG, 
die  natürlich  unecht  ist.  Unter  den  Marmor- 
reliefs befindet  sich  eins ,  welches  im  Catal.  P. 
I,  p.  295,  n.  1352  so  beschrieben  wird:  Un 
Amour,  le  haut  du  corps  cache  dans  un  masque 
de  satyre ,  passe  une  de  ses  mains  dans  la  bouche 
du  masque  et  cherche  ä  efi'rayer  deux  autres 
Amours  debout  devant  lui.      Aehnliche  Darstel- 


634 

luugen  haben  0.  Jahn  »lieber  ein  ant.  Gemälde 
im  Besitz  des  Malers  Chr.  Roß  in  München«, 
bes.  abgedr.  aus  der  Kieler  Monatsschrift  Jahrg. 
1853,  S.  7  fg.,  und  der  Verfasser  dieses  Berichts 
in  »Sammlungen  des  arch.  -  numism.  Instituts 
der  Georg-Augusts- Universität«,  Götting.  1859, 
S.  25,  Anm.  19,  besprochen,  vgl.  auch  Denkm. 
d.  a.  Kunst  II,  52,  659.  Dem  in  Rede  stehenden 
Relief  entsprechen  zunächst  die  Sarkophagreliefs 
in  Galer.  Giustin.  II,  128  oder  Zoega's  Bassir. 
ant.  II,  90  und  Monum.  Matthae.  111,47,  1,  und, 
hinsichtlich  des  durch  den  Mund  der  Maske  ge- 
steckten Arms  die  von  Zoega  a.  a.  0.  im  Text 
p.  192  angeführten.  Lucian  erwähnt  quom.histscr. 
X.^ill"EQ(aia  naitflvia  TiQOßconeTov'HQaxksovg ndfi- 
fieya  ri  Tnävog  ntQixetfiSPOV.  Hier  nimmt  Jahn  an 
Tnävog  Anstoß :  bei  der  Maske  eines  Titanen 
lasse  sich  schwerlich  etwas  denken ,  da  dafür 
weder  im  Schauspiel  noch  in  der  bildenden 
Kunst  eine  bestimmte  Form  ausgebildet  gewesen 
sei,  und  glaubt  daher,  daß  die  Aenderung  '^ 
IJccvog  .ebenso  leicht  als  ansprechend  sei.  Ich 
erinnere  mich  nicht  mehr  daran,  ob  die  Maske 
auf  dem  in  Rede  stehenden  Relief  die  eines 
Satyrs  oder  eines  Pan  ist.  Aber  selbst,  wenn 
Letzteres  der  Fall  sein  sollte,  würde  dadurch 
jene  Aenderung  keinen  Schein  gewinnen.  Die 
Worte,  mit  denen  Jahn  die  Maske  eines  Ti- 
tanen zurückweist ,  enthalten  auffallende  Irr- 
thümer.  Zudem  liegt  auf  der  Hand ,  daß  der 
Ausdruck  ngoacanslov  7tdiJ>fiey  a  viel  besser  zu 
der  Maske  eines  Titanen  als  zu  einer  Pansmaske 
paßt.  Uebrigens  bleibt  auch  so  die  Frage,  ob 
nicht  ein  Fehler  in  der  Stelle  Luciun's  steckt. 
Wollte  dieser  sich  mit  genügender  Schärfe  und 
Genauigkeit  ausdrücken,  so  mußte  er  zu  Tnävog 
hinzufügen  tivög,    welches  Wort  außerordentlich 


635 

leicht  ausfallen  konnte.  Doch  dies  nebenbei ! 
unter  den  Marmorreliefs  der  Sammlnng  Fol  sind 
noch  zwei,  die  wohl  Erwähnung  verdienen.  Das 
eine ,  in  sehr  schlechtem  Zustande  befindliche, 
welches  an  der  vorderen  Langseite  eines  Sarko- 
phags augebracht  ist,  stellt  Amoren  dar,  die  mit 
dem  Schmieden  von  "Waffen  beschäftigt  sind, 
hat  also  ein  ähnliches  Interesse  wie  die  von 
Jahn  in  den  Berichten  der  histor. -philol.  Classe 
d.  K.  Sachs.  Gesellsch.  d.  Wissensch.  1861,  Taf. 
YIII,  n.  2  u.  3  herausgegebenen  und  S.  317  fg. 
besproehenen  Sarkophagreliefs  und  das  von  W. 
Fröhner  Mus.  Imper.  du  Louvre ,  Notice  de  la 
sculpt.  ant.  Vol.  I,  p.  321  fg. ,  n.  341  verzeich- 
nete. Das  Relief  der  Sammlung  Fol  zeigt  zu- 
erst nach  links  dem  Beschauer  zwei  Amoren  um 
einen  zum  Schmelzen  oder  Erweichen  des  Me- 
talls dienenden  Ofen  mit  innerhalb  einer  Halb- 
kuppel brennendem  Feuer,  vgl.  Denkm.  d.  a.  Kunst 
II,  65,  839.  Besser  erhalten  ist  das  andere  durch 
die  Einfachheit,  die  Ruhe  und  den  Frieden,  wel- 
cher in  der  ganzen  Composition  herrscht,  das 
Gemüth  ansprechende  Relief  mit  der  Darstellung 
von  Amoren ,  welche  Früchte  auf  einem  Korb- 
wagen einbringeu,  abgebilJet  P.  I,  p.  299,  n.l362. 
Dagegen  sind  durch  eine  außerordentlich  große 
Zahl ,  freilich  meist  kleiner  Stücke  und  resp. 
Bruchstücke  vertreten  die  Gebiete  der  Glyptik  ^) 
und  der  Glasarbeiten ,  welche  namentlich  auch 
dadurch ,  daß  sie  mannigfach  verschiedene  Arten 
der    Technik     repräsentiren ,    Belehrung    bieten 

1)  Gelegentlich  die  Frage,  ob  wohl  der  Intaglio  »Rö- 
mischen Stils«  mit  der  Darstellung  eines  Raben  und  der 
Inschrift  OJECTOC.  P.  II.  p.  273,  2640,  mit  Recht  unter 
den  >Gnostiques  proprement  dit8<  aufgeführt  ist.  Uns 
scheint  die  Inschrift  den  bekannten  Namen  {MjädKnog 
enthalten  zu  sollen. 


636 

(einige  haben  auch  Inschriften  ;  so  steht  auf  ei- 
nem Trinkgefäße  von  bläulicher  Farbe 

KATAXAIPE  KAIEYOPAINOY 

und  auf  zwei  Fragmenten 

APTJG  ,      ABTAS 

CEUüü       "°^      SWON 
vgl.  P.  n,  p.  486,  n.  3529  und  p.  489,  n.  3542,  a, 
ein  auch  sonst  bekannter  Künstlername,  s.  Hef- 
ner  Rom.   Bayern   S.  295,     DXCI,    und  Brunn 
Gesch.  d.  Gr.  Künstler  II,  S.  743). 

Daß  endlich  die  Sachen  aus  Elfenbein  und 
Knochen  nur  gering  an  Zahl  und  Dimensionen 
sind,  wird  Niemanden  Wunder  nehmen.  Sie 
bestehen  aber  nicht  bloß  in  den  Geräthen,  welche 
uns  unter  den  kleinen  Sachen  aus  jenen  Mate- 
rialen  häufig  entgegentreten  (von  den  Haarna- 
deln sind  einige  oben  mit  figürlichem  Bildwerk 
verziert),  sondern  es  kommt  unter  ihnen  auch 
vor  ein  Vasenfragment  in  der  Form  eines  dick- 
bäuchigen Mannes,  der  eine  Flasche  in  der  einen 
Hand  hält  (T.  II,  pl.  XV,  n.  12),  eine  kleine 
oblonge  Platte  mit  der  Darstellung  gelagerter 
Frauen,  welche  wohl  als  Möbelverzierung  diente 
(»style  assyrien«?  pl.  XIV,  3),  und  verschiedene 
Tesseren,  abgebildet  im  Text  T.  II,  p.  555  und 
auf  Taf.  XIV.  Eine  von  diesen,  n.  3778,  be- 
zeichnet Hr.  Fol  selbst  als  verdächtig.  Auch 
die  tessera  consularis  P.  IV,  p.  554  fg.,  n.  3776 
u.  pl.  XIV,  n.  4,  und  die  »Tessere  de  distribu- 
tion«  P.  II,  p.  555,  n.  3777,  sind  gewiß  nicht 
antik.  Zu  den  zwei  Tesseren  aus  Knochen  in  Ge- 
stalt eines  Fisches  auf  Taf.  XIV,  u.  7.  u.  8,  die 
übrigens  durchaus  nicht  allein  den  Christen  zu- 
zuweisen sind,  gesellt  sich  eine  aus  Glas  (P.  II, 
p.  276,  n.  2651).  Auch  eine  petite  boule  en 
cristal  de  röche,  sur  laquelle  est  grave  la  chiflfre 


637 

XII  (T.  II,  p.  540,   n.  3728)    diente   gewiß  alg 
Tessera. 


Außerdem  fand  ich  nnerwarteterweise  noch 
in  einem  dritten  öfiFentlichen  Museum  der  Stadt 
Genf,  in  dem  Mosee  Rath,  welches  eine  Samm- 
lung von  Gemälden  und  Gypsabgüssen  enthält, 
unter  den  letzteren  zwei  antike  Marmorreliefs, 
welche  aus  Italien  stammen  und  von  M.  Etienne 
Duval-Marget  geschenkt  sind.  Beide  sind  von 
demselben  weißen  Italiänischen  Marmor,  dem- 
selben archaisirenden  Stil  und  entsprechen  sich 
auch  der  Form  nach.  Das  eine,  von  welchem 
nur  die  Ecke  oben  rechts  vom  Beschauer  abge- 
brochen ,  die  bildliche  Darstellung  aber  vollstän- 
dig erhalten  ist,  betrifft  den  auch  sonst  von  Re- 
liefs her  bekannten  (Welcker  A.  Denkm.  11, 
S.  299  fg.)  Streit  des  Apollo  und  des  Hercules 
um  den  Dreifuß.  Zumeist  nach  liuks  gewahrt 
man  den  Lorbeerbaum  mit  der  um  ihn  sich  win- 
denden Schlange.  Außer  den  Figuren  der  bei- 
den Kämpfer  erscheint,  wie  regelmäßig  (Welcker 
a.  a.  0.  in,  S.  268,  A.  1),  keine  andere.  Das 
andere  Relief,  welches  gebrochen  gewesen  ist, 
aber  vollständig  wieder  zusammengesetzt  werden 
konnte,  stellt  einen  Aufzug  von  drei  Figuren 
nach  rechts  hin  vor.  Voran  der  Zwergsilen,  auf 
der  Doppelflöte  blasend,  dann  zwei  Weiber,  al- 
terthümlich  drapirt,  von  denen  das  erste  in  der 
Rechten  einen  sichelförmigen  Gegenstand  hält  und, 
sich  umdrehend ,  an  der  Linken  von  dem  anderen 
gefaßt  wird,  welches  einen  Hund  nach  sich  zieht. 
Dieses  Stück  überraschte  mich  sehr.  Es  ent- 
spricht nämlich  in  den  Figuren  durchaus  dem 
aus  der  Villa  Mattei  zu  Rom  in  die  Villa  Albani 
übergegangenen  Relief,    welches    in    Amaduzzi's 

55 


638 

Monum.  Matthae.  T.  III,  t.  XXI,  fig.  2  und  in 
Zoega's  Bassir.  ant.  tav.  CII  herausgegeben  ist. 
Dagegen  weicht  das  Genfer  Relief  von  dem  Rö- 
mischen, nach  den  Abbildungen  dieses  zu  schlie- 
ßen, dadurch  ab,  daß  es  weniger  oblong  ist.  Im 
Zoega'schen  Text,  der  T.  II,  p.  258  auch  den 
cercio  grandicello  in  der  Rechten  des  vorderen 
Weibes  berührt ,  werden  die  weiblichen  Figuren 
als  Nymphen  der  Diana  gefaßt,  während  Ama- 
duzzi  dieselben  für  Bacchantinnen  hielt  (doch 
wohl  mit  mehr  Recht,  da  auch  der  Hund,  wie 
ich  schon  in  den  Götting.  gel.  Anz.  1852,  n. 
150  nachgewiesen  habe,  bei  Dionysos  vorkommt). 
Zugleich  wird  dort  ein  Zweifel  an  der  Echtheit 
des  Römischen  Exemplares  geäußert,  aber  nach- 
her durch  den  Umstand ,  daß  dasselbe  schon  in 
der  Sammlung  Mattei  gewesen  sei,  beschwichtigt^). 

n. 

Turin. 

Den  Marmorwerken  des  Museums  der  König- 
lichen Universität  zu  Turin,  welches  mit  Unrecht 
dann  und  wann  als  Königliches  Museum  bezeich- 

1)  Leider  habe  ich  in  Genf  die  Sammlungen  des  Hrn. 
Gustave  Revilliod  nicht  besichtigt,  wegen  Mangels  an 
Zeit  und  weil  ich  glaubte ,  daß  in  ihnen  nichts  aus  dem 
classischen  Alterthume  zu  suchen  sei.  Indessen  sehe  ich 
aus  einer  Bemerkung  Fol's  Catal.  P.  I,  p.  109,  A.  1,  daß 
dem  doch  nicht  so  ist.  Auch  die  Sammlung  des  Herrn 
F.  Thioly  ,  aus  deren  Bestand  Benndorf  ein  interessantes 
Gorgoneion  vom  großen  St.  Bernhard  im  Anz.  für  Schweizer. 
Alterthumskunde ,  Jahrg.  III,  1870.  Taf.  XIX,  F.  2  in 
Abbildung  gegeben  hat,  ist  mir  nicht  weiter  bekannt  ge- 
worden. Dagegen  hatte  ich  Gelegenheit,  eine  andere  Pri- 
vatsammlung von  bemalten  Vasen,  die  aus  Bari  und  Taret 
stammen,  zum  Theil  auch  wohl  in  Neapel  erstanden 
sind ,  zu  besuchen ,  ohne  inzwischen  in  derselben  etwas 
besonders  Beachtenswerthes  zu  finden. 


639 

net  worden  ist  ^) ,  siad  schon  vor  der  Mitte  des 
vergangenen  Jahrhunderts  zwei  besondere  Werke 
gewidmet  worden,  welche  allgemeine  Verbreitung 
gefunden  haben ,  Rivaatella's  und  Ricolvi's  Mar- 
mora  Taurinensia,  welche  in  zwei  Bänden  er- 
schienen, und  Maffei's  Museum  Taurinense  sive 
antiquarum  iuscriptionum  veterumque  anagly- 
phorum  in  regiae  Academiae  porticibus  circum- 
quaque  infixa  collectio,  welches  als  appendix  zu 
dem  Museum  Veronense,  p.  209 — 235,  herausge- 
geben wurde. 

Die  neuere  Literatur  über  das  Antikenmuseum 
zu  Turin  ist,  was  die  Griechisch-Römischen  Gegen- 
stände der  Kunst  und  des  Knnsthandwerks  be- 
trifft, sehr  arm.  Den  »gesamniten  Inhalt« 
im  Juli  1823  hat  Sehern  in  C.  A.  Böttiger's 
Amalthea  Bd.  III,  S.  456  fg.  verzeichnet,  zu  wel- 
cher Zeit  sich  das  Museum  noch  ganz  im  üniver- 
sitätsgebäude  befand;  mit  Ausnahme  des  Lapi- 
darium im  Hofe,  soweit  dessen  Bestand  durch  die 
Werke  von  Maffei  und  von  Rivauteila  und  Ri- 
colvi  bekannt  geworden  war.  Zum  Schluß  er- 
wähnt er  auch  vier  Statuen,   die   damals  in  der 

1)  Im  eigentlichen  unmittelbaren  Königlichen  Besitz 
sind  in  Piemont  von  antiken  Marmorwerken,  so  viel  ich 
weiß ,  nur  noch  die  auf  dem  Schlosse  Aglie  von  König 
Carl  Felix  zusammengebrachten ,  von  denen  die  durch 
Ganina  Descriz.  dell'  ant.  Tusculo  bekanntgewordenen 
aus  der  Villa  Ruffinella  bei  Frascati  einen  großen  Theil 
ausmachen  und  zu  denen  auch  der  von  Albert  de  laMar- 
mora  Voyage  en  Sardaigne ,  P.  II,  Ant.,  p.  518  fg.  be- 
sprochene und  im  Atlas  pl.  XXXV,  n.  33  abbildlich  mit- 
getheilte  Sarkophag  gehört ,  von  welchem  sich  eine  grö- 
ßere, durch  denselben  veranlaß  te  Abbildung  in  den  Memor. 
dell'  Accad.  di  Torino  T.  XXXV,  cl.  di  sc.  mor.,  istor.  e 
filol.,  t.  II  findet.  Auch  ein  aus  Frascati  stammendes  bei 
Canina  a.  a.  0.  abbildlich  mitgetheiltes  Terracottarelief 
und  die  dort  entdeckten  Wandmalereien  befinden  sich 
meines  Wissens  in  Aglie. 

55* 


640 

Halle  des  Königlichen  Schlosses  in  Nischen  auf- 
gestellt waren,  nachher  aber  an  das  Museum  ab- 
getreten sind^).  Nach  dem  Jahre  1823  ist  das 
Museum,  um  nicht  von  der  Aegyptischen  Ab- 
theilung zu  sprechen,  auch  an  Werken  der  Grie- 
chisch -  Römischen  Kunst  quantitativ  und  quali- 
tativ bedeutend  gewachsen.  Im  Frühjahre  1866 
besuchte  es  Conze  und  erstattete  danach  in  Ger- 
hard's  Archäol.  Anzeiger,  Mai  1867,  S.  71*  fg. 
einen  kurzen  Bericht,  der  über  schon  vorlängst 
Bekanntes  genauere  Angaben  und  richtigere  Ur- 
theile  und  auch  über  einige  der  bis  dahin 
noch  nicht  in  weiteren  Kreisen  bekannten 
Werke  Kunde  bringt,  aber  keineswegs  eine  Ge- 
sammtübersicht  giebt,  oder  die  bedeutendsten 
Stücke  sämmtlich  hervorhebt,  da  gerade  der 
wichtigste  Theil  der  Sammlung,  der  damals 
schon  im  Palazzo  dell'  Accademia  delle  scienze 
war ,  sich  in  einem  entsetzlichen  Zustande  der 
Unordnung  befand.  Außerdem  hat  kein  Deut- 
scher, überhaupt  kein  außerhalb  Turins  lebender 
Gelehrter  über  den  gesammten  Autikenbestand 
des  Museums  geschrieben.  Einige  Bildwerke  sind 
seit  den  ersten  Jahren  des  laufenden  Jahrhun- 
derts in  den  Schriften  der  Turiner  Akademie 
nicht  allein  besprochen,  sondern  auch  abbildlich 
mitgetheilt,  was  aber  bei  der  geringen  Verbrei- 
tung dieser  auch  nicht  das  Mindeste  zur  allge- 
meineren Bekanntwerdung  jener  beigetragen  hat. 
Wir  werden  es  um  so  mehr  nicht  unterlassen 
auf  die  betreffenden  Abhandlungen  und  Abbil- 
dungen im  Einzelnen,  mit  Ausnahme  der  auf 
Münzen  und  Inschriften  bezüglichen,  aufmerksam 

1)  Wenigstens  habe  ich  eine  dieser  Statuen  mit  Si- 
cherherheit  und  eine  zweite  mit  Wahrscheinlichkeit  in 
dem  Museum  aufgestellt  gefunden.  Die  beiden  anderen 
mögen  noch  nicht  aufgestellt  sein. 


641 

zn  machen.  Kürze  Beschreibungen,  auch  Grie- 
chisch-Römischer  Werke,  sollen  sich  in  den 
Calendarii  generali  degli  Stati  Sardi  für  die  Jahre 
1828,  1829,  1834  finden.  Besonders  aber  ist  in 
historisch -statistischer  Beziehung  zu  erwähnen 
die  übersichtliche  Schrift  des  jetzigen  Directors 
des  Museums:  II  Museo  di  Antichitä  della  E, 
Üniversitä  di  Torino,  Notizie  raccolte  ed  ordinale 
da  Ariodante  Fabretti,  Torino,  staraperia  Reale, 
1872,  in  Octav ,  welche  aber  nur  in  140  Exem- 
plaren abgezogen  und  nicht  in  den  Buchhandel 
gekommen  ist,  außerdem  vorzugsweise  die  Aegyp- 
tische  Sammlung  und  die  Manuscripte  sowie 
das  Münzcabinet  berücksichtigt.  Ein  eigentlicher 
Detail-Catalog  der  Griechisch -Römischen  Werke 
ist  nicht  vorhanden  und  wird  auch  vorraussicht- 
lich  noch  lange  nicht  erscheinen. 

Die  Antiken  werden  an  zwei  verschiedenen 
Stellen  aufbewahrt,  ein  kleiner  Theil  im  Säulen- 
hofe des  Universitätsgebäudes,  hauptsächlich  Re- 
lief- und  Inschrift-Steine  umfassend,  die  meist  ein- 
gemauert sind,  der  Hauptbestandtheil  in  dem 
Gebäude   der  K.  Akademie   der  Wissenschaften. 

Die  Sammlung  der  Alterthümer  wurde  im 
Jahre  1720  dadurch  begründet,  daß  König  Vic- 
tor Amadeus  IL  das  in  früheren  Zeiten  Erwor- 
bene, auch  den  Privatbesitz  der  Herzöge  von  Sa- 
voyen  an  die  Universität  zu  Turin  abtrat. 
Die  erste  Aufstellung  leitete  Scipio  Maffei ,  der 
im  Jahre  1723  nach  Turin  kam. 

Zu  dem  ältesten  Bestände  der  bildlichen 
Denkmäler  gehören,  abgesehen  von  den  schon 
angedeuteten  Reliefs,  von  den  noch  jetzt  vor- 
räthigeu  Stücken  verschiedene  Statuen,  darunter 
der  unten  an  zweiter  Stelle  genauer  zu  erwäh- 
nende schlafende  Amor,  und  verschiedene  Büsten 
von  Beimischen  Kaisern  und  historisch  berühmten 


642 

Personen,  wahrscheinlich  auch  einige  Bronzeidole 
von  der  Insel  Sardinien  und  die  berühmte  Ta- 
bula Isiaca,  sowie  andere  Bronzen  und  eine 
Münzsammlung,  von  der  wir  durch  einen  Führer 
aus  dem  Jahre  1753  erfahren,  daß  sie  mehr  als 
30000  Stücke  enthielt  (wobei  ohne  Zweifel  auch 
nicht  antike  Münzen  mit  eingerechnet  sind).  In 
der  Zeit  darauf  erhielt  die  Sammlung  Zuwachs 
durch  den  Ertrag  neuer  Ausgrabungen  auf  der 
Insel  Sardinien  und  in  Piemont,  namentlich  auf 
dem  Boden  der  alten  Industria,  durch  Ankäufe 
von  anderswo  in  Italien  aufgefundenen  Antiken, 
endlich  durch  die  von  Vittaliano  Donati  auf 
seiner  Reise  nach  dem  Orient  in  Aegypten  ge- 
sammelten Alterthümer,  unter  denen  zwei  Statuen 
aus  Granit,"  die  eine  Ramses  II,  die  andere  die 
Göttin  Pascht  darstellend,  besonders  hervorragten. 

Durch  diesen  Zuwachs,  namentlich  die  Sachen 
von  Aegypten  und  von  Industria  her,  erhielt  die 
Sammlung  einen  vergrößerten  Ruf  und  so  kam 
es,  daß  sie  seit  1799  wiederholt  der  Kunsträu- 
berei der  Französischen  Republik  ausgesetzt  war, 
durch  welche  schließlich  im  J.  1803  auch  die 
beiden  im  vorhergegangenen  Jahre  1802  zu  Susa 
ausgegrabenen  Torsen  mit  Harnischen,  auf  deren 
Schönheit  das  Journal  Le  Citoyen  Fran^ois  in 
einem  Artikel  vom  13  Thermidor  des  J.  X  (1 
August  1802)  aufmerksam  gemacht  hatte,  nach 
Paris  entführt  wurden. 

Diese  kamen  nach  dem  Sturze  Napoleons  I. 
im  J.  1815  vollständig  restaurirt  wieder  nach 
Turin  zurück,  zugleich  mit  den  anderen  geraubten 
Aegyptischen  und  Römischen  Denkmälern ,  mit 
Ausnahme  derjenigen,  welche  in  den  Catalogen 
nicht  genau  genug  verzeichnet  waren,  und  zwei 
Basreliefs,  welche  im  Louvre  so  stark  befestigt 
waren ,  daß  sie  nicht  ohne  Gefahr  der  Beschädi- 


643 

gang     hätten     abgenommen    werden    können*). 
Zam  Ersatz   dafür   erhielt  das   Turiner  Mosenm 

1)  Die  beiden  Reliefs  sind  das  mit  der  Inschrift 
DIÄDYMENI  (Overbeck  Gall.  Her.  Büdw.  Taf.  XVI, 
n.  12  nnd  Brunn  Troische  Miscellen.  Manchen  1868, 
S.  86  fg.)  und  das  noch  öfter  besprochene  und  abgebil- 
dete (auch  in  den  Denkm.  d.  a.  Kunst  II,  54,  568),  welchee 
Fröhner  Mus.  de  France  p.  74  zu  der  besten  Abbildung 
pl.  27  mit  Wahrscheinlichkeit  für  ein  modernes  Werk 
erklärt.  Mit  jenem  Relief  haben  Rivauteila  nnd  Ricolvi 
P.  I,  p.  70  ein  Bildwerk  zusammengestellt,  welches  sie 
auch  für  ein  Marmorwerk  hielten ,  während  es  vielmehr 
eine  Gemmenpaste  ist ,  nämlich  die  aus  MafFei's  Gemme 
ant.  fig.  P.  III,  t.  56  in  Montfaucon's  Antiq.  expliq. 
T.  I,  pl.  CLXV,  n.  3  wiederholte  pasta  di  topazio  dal 
Museo  d.  Commendatore  di  Pozzo.  Diese  Paste  entspricht 
der  Darstellung  nach  vollständig  dem  Cameol  der  Gem- 
mensammlang  bei  der  Pariser  Nationalbibliothek,  von 
welchem  Mariette  in  dem  Traite  des  pierres  grav.  T.  11, 
pl.  XLI.  und  Gravelle  Recueil  T.  II,  pl.  51 .  eine  Abbil- 
dung, Lippert  in  der  Daktylioth.  Scrin.  II ,  P.  I ,  n.  195 
einen  Abdruck  gab ,  nach  welchem  das  Werk  zu  Ger- 
hard's  Abhandl.  >Ceber  die  Minervanidoleu  Taf.  IV  (Ges. 
Abhandl.  Taf.  XXV)  n.  10,  und  in  unseren  Denkm.  d.  a. 
Kunst  II,  54,  n.  569  abbildlich  mitgetheilt  ist.  Weder 
Mariette,  noch  Gravelle,  noch  K.  0.  Müller  im  Handb.  d. 
Archäol.  §.  388,  A.  3,  noch  Gerhard  hegten  einen  Zweifel 
an  der  Echtheit  des  Steines ,  bezüglich  dessen  wir  durch 
Mariette  erfahren,  daß  er  Heinrich  IV.  von  Frankreich 
von  dem  sieur  Bagarris  geschenkt  sei,  welcher  notorisch 
gefälschte  geschnittene  Steine  in  seiner  Sammlung  hatte. 
Daß  auch  der  in  Rede  stehende  in  diese  Kategorie  gehöre, 
bemerkte  schon  Miliin  Voy.  T.  I,  p.  256,  mit  der  Angabe, 
daß  es  sich  um  ein  Werk  des  sechszehnten  Jahrhunderts 
handele;  vgl.  jetzt  auch  Chabouillet  Catal.  gen.  et  rais. 
des  camees  et  pierres  grav.  de  la  Bibl.  Imper.  p.  325  fg., 
n.  2354.  Schon  hienach  wird  man  auch  die  Paste  Pozzo 
schwerlich  für  antik  halten  wollen.  Dasselbe  grilt  ohne 
Zweifel  von  den  geschnittenen  Steinen  oder  Pasten  mit 
identischen  Darsteil angen  bei  Lippert  Scrin.  I ,  P.  1, 
n.  194  u.  195  und  Suppl.  1,  n.277,  über  deren  Herkunft 
wir  keine  Nachricht  erhalten,  bezüglich  der  beiden  ersten 
auch  nicht  über  das  Material,  so  daß  möglicherweise  die 


644 

eine  Büste  mit  einem  antiken  Kopf,  welchen 
man  als  passende  Ergänzung  für  den  einen  jener 
Torsen  von  Susa  betrachtete. 

Nicht  lange  nachher,  im  J.  1824,  erhielt  das 
Museum  den  bedeutendsten  Zuwachs,  der  ihm  je 
zu  Theil  wurde,  die  weltberühmte  Drovetti'sche, 
schon  1822  angekaufte  Sammlung  von  Aegyp- 
tischen  Alterthümern.  Die  Sammlung  der  Aegyp- 
tischen  Altorthümer  vergrößerte  sich  von  1832 
— 1869  durch  wiederholte  Ankäufe  und  Schen- 
kungen. 

Auch  andere  Abtheilungen  des  Museums  er- 
hielten mehr  oder   minder  bedeutenden  Zuwachs 

Paste  Pozzo  darunter  ist ;  klärlich  auch  von  dem  rück- 
sichtlich der  Nebenfigur  eine  auffallende  Variation  ent- 
haltenden Sardonyx  der  früheren  Brühl'schen  Sammlung 
bei  Lippert  a.  a,  0.  Supplem.  1 ,  n.  242.  Andere  ge- 
schnittene Steine  und  Pasten  stehen  dem  früher  in  Turin 
befindlichen  Marmorrelief  noch  näher ,  indem  sie  nur 
die  auf  dem  Altar  knieende  Mänade  mit  dem  Idol  in  den 
Händen  und  eine  Herme  oder  einen  Cippus  oder  Bacchi- 
sche  Attribute  oder  gar  nichts  zeigen.  So  der  Chalcedon 
unbekannten  Besitzes  bei  Lippert  I,  1,  196,  das  von  Ger- 
hard a.  a.  0.  n.  8  ohne  Angabe  der  Herkunft  und  des 
Stoffes  abbildlich  mitgetheilte  und  in  den  Denkm.  d.  a. 
Kunst  a.  a.  0.  n.  570  wiederholt  gegebene  Werk,  die 
»violette  antike  Paste«  aus  der  Stosch'schen  Sammlung, 
welche  neben  der  Bacchantin  »zwei  verschlungene  Schlan- 
gen« zeigt  (Toelken  Erkl.  Verzeichn.  Kl.  HI ,  Abth.  3, 
n.  1077),  das  schon  an  sich  auffallende  Werk,  auf  wel- 
chem man  neben  der  Bacchantin  links  eine  Schlange  und 
rechts  ein  Gefäß  mit  Blumen  (?)  gewahrt ,  bei  Lippert  I, 
1,  197,  die  in  Gori's  Mus.  Florent.  P.  I,  t.  LXXXVHI, 
n.  7.  u.  9.  herausgegebenen  geschn.  Steine,  endlich  der 
bei  der  Pariser  Nationalbibliothek  aufbewahrte  Carneol, 
von  welchem  sich  bei  Lippert  HI,  1,  166  ein  Abdruck 
findet.  Der  letzte  ist  nach  Chabouillet  a.  a.  0.  p.  356, 
n.  2355  wiederum  ein  Werk  des  sechszehnten  Jahrhun- 
derts ;  daß  auch  die  anderen  theils  verdächtig  theils  si- 
cher modern  seien,  wird  man  ,  selbst  ohne  die  Originale 
prüfen  zu  können,  wohl  aussprechen  dürfen. 


645 

oder  wurden  überall  erst  gebildet.  Mebr  darüber 
unten  !  Hier  wollen  wir  nur  darauf  aufmerksam 
machen,  daß  ein  besonders  interessanter  Bestand- 
theil  der  Monumente,  die  Römischen  aus  Pieraont, 
nicht  bloß  durch  zufällige  Funde,  sondern  noch 
mehr  durch  planmäßig  ausgeführte  Ausgrabungen 
schon  bis  jetzt  bedeutenden  Zuwachs  erhalten 
hat  und  gewiß  in  Zukunft  noch  erhalten  wird, 
da  sich  seit  dem  Jahre  1874  zu  Turin  eine  So- 
cietä  di  Archeologia  e  Belle  Arti  per  la  Provincia 
di  Torino  gebildet  hat,  die  nicht  allein  für  die 
Erklärung  und  Herausgabe  von  Piemontischen 
Kunstwerken  und  Alterthümern ,  das  Mittelalter 
mit  einbegriffen ,  sondern  auch  für  die  Auffin- 
dung derselben  thätig  sein  will  und  schon  ge- 
wesen ist.  Von  den  Atti  dieser  Societä  ist  bis 
jetzt  der  erste  Band  in  vier  Heften  in  den  Jahren 
1875,  1876,  1877  erschienen  (Roma,  Torino, 
Firenze  bei  den  fratelli  Bocca).  Man  findet  hier 
außer  mehreren  Besprechungen  Römischer  Bild- 
werke und  Inschriften  (auch  solcher,  die  nicht 
im  Turiner  üniversitätsmuseum  aufbewahrt 
werden)  Berichte  über  Ausgrabungen,  die  in  der 
bezeichneten  Zeit  statt  gehabt  haben  (unter 
denen  der  von  A.  Fabretti  herrührende  über  die 
scavi  di  Avigliano,  p.  19  fg.,  deren  Ausbeute 
dem  Turiner  Museum  zu  Theil  ward,  besonders 
hervorzuheben  ist)  und  erfährt  von  neuen  Un- 
ternehmungen, welche  vorbereitet  worden,  unter 
denen  die  auf  Susa  bezüglichen,  von  Fabretti  p. 
85  fg.  signalisirten  besonderes  Interesse  in  An- 
spruch nehmen  und  außer  ihnen  die  beabsich- 
tigte neue  Durchforschung  des  Bodens  von  In- 
dustria.  Von  den  bisher  noch  nicht  vollkom- 
men getreu  publicirten  Reliefs  und  Inschriften 
an  dem  Bogen  zu  Susa  sind  schon  jetzt  neue 
Gypsabgüsse  im  Museum  zu  Turin  zu  sehen,  die 


646 

nach  einiger   Zeit    7011  A.  Fabretti   in  den  Atti 
herausgegeben  und  erklärt  werden  sollen. 

Als  die  einzelnen  Bestandtheile  des  Museo 
di  antichitä  bezeichnet  Fabretti  in  der  angeführ- 
ten Schrift  vom  J.  1872  folgende:  1,  Antichitä 
assire,  2,  Ant.  egiziane,  3,  Ant.  greche,  4,  Ant. 
etrusche  ed  italo  -  greche ,  5 ,  Ant.  romane ,  6, 
Raccolte  nuniismatiche,  7,  Papiri  egiziani,  8,  Co- 
dici  cofti ,  9 ,  Epigrafia  romana.  Auch  von  an- 
tichitä primitive  und  monumenti  cosi  detti 
preistorici ,  an  welchen  das  Museo  civico  di  To- 
rino  (das  zur  Zeit  meines  Aufenthalts  in  Turin 
leider  geschlossen  war)  reich  sei,  besitze  da3 
Mus.  di  ant.  einiges  nicht  Unwichtige,  aber  nicht 
tanta  copia  da  formare  una  classe  importante. 
Auch  an  Monumenti  scritti ,  mit  welchem  Ge- 
sammtnamen  die  Abtheilungen  7,  8  und  9  von 
Fabretti  bezeichnet  werden,  giebt  es  vereinzelte 
Stücke,  die  in  jener  Classification  nicht  besonders 
angedeutet  sind.  Wir  erwähnen  in  dieser  Be- 
ziehung nur  die  mehrfach  besprochene  interes- 
sante Aramäische  Papyrushandschrift,  um  gele- 
gentlich die  Bemerkung  zu  machen,  daß  der  bei 
Gesenius  Scripturae  linguaeque  Phoeniciae  Mo- 
numenta  p.  233,  tab.  XXX,  a,  b  nach  zwei  ver- 
schiedenen Abschriften  mitgetheilte  Text  viel 
genauer,  ja  durchaus  getreu,  in  einem  Facsimile 
des  Papyrus  auf  einer  Fabretti's  Schrift  beigefügten 
Tafel  gegeben  ist.  Befremden  hat  es  mir  erregt, 
daß  ich  weder  bei  Fabretti  eine  Andeutung  von 
geschnittenen  Steinen  fand,  noch  dergleichen, 
abgesehen  von  den  Aegyptischen ,  in  einem  der 
Zimmer  des  Museums  erblickte,  obgleich  doch 
Gaspare  Craveri  in  seinem  1753  herausgegebenen 
Guida  —  per  la  Real  Cittä  di  Torino  bemerkt, 
daß  sich  in  dem  Mus.  delle  antichitä  außer  der 
Münzsammlung  auch  statue,  idoli,  pietre,  cammei 


647 

ed  altre  simili  cose  befänden.  Die  Cameen 
scheinen  demnach  modern  gewesen  zu  sein,  wie 
denn  alle  modernen  Werke,  die  einst  dem  Üni- 
versitätsninseum  gehörten ,  bis  auf  zwei  Werke 
Simon  Troger's  aus  Elfenbein  und  Holz  (Schorn 
S.  462  fl.)  schon  vor  1872  an  Königliche  oder 
öffentliche  Sammlungen  abgetreten  sind. 

Der  Antikenbestand  wurde  ursprünglich  in 
dem  üniversitätsgebäude  aufbewahrt,  theils  im 
Hofe ,  theils  in  einigen  feuchten  und  dunkelen 
Sälen  des  Erdgeschosses.  Nach  der  Erwerbung 
der  Sammlung  Drovetti  brachte  man  das  neue 
Museo  egizio  im  Palaste  der  Akademie  der  Wis- 
senschaften unter.  Seit  1832  wurde  auch  das 
Museo  di  antichitä  greco-romane  in  diesen  Palast 
übergesiedelt,  nur  daß  die  im  Hofe  des  üniver- 
sitätsgebäudes  befindlichen,  meist  eingemauerten 
Stücke  hier  zurückblieben.  Das  nun  sogenannte 
Museo  egizio  e  di  antichitä  greco  -  romane  hat 
seit  Kurzem  mehr  Raum  und  eine  neue  Aufstel- 
lung erhalten,  die  aber  jetzt  noch  nicht  ganz 
vollendet  ist,  so  daß  ich  einige  Stücke,  welche 
ich  suchte,  nicht  finden  konnte  ^),  während  viele, 

1)  Es  wird  zweckmäßig  sein,  aaf  eine  Anzahl  der 
von  mir  nicht  gesehenen ,  aber  von  Anderen  als  im  Mu- 
seum befindlich  bezeichneten  Stücke  aufmerksam  zu  ma- 
chen. Clarac  hat  im  Mus.  de  sc.  außer  pl.  973,  n.  2509 
(worüber  S.  651  unten  die  Rede  sein  wird)  noch  drei 
in  jene  Kategorie  gehörende  Statuen  herausgegeben, 
pl.  707,  n.  1679  u.  1682,  und  pl.  751,  n.  1829.  Da  in- 
zwischen diese  Statuen  auch  von  Schorn  nicht  vorgefun- 
den sind ,  so  neige  ich  mich  entschieden  zur  Annahme 
eines  Irrthums  von  Seiten  Clarac's.  Anders  verhält  es 
sich  mit  den  von  mir  im  Verlaufe  dieser  Abhandlung  be- 
zeichneten Stücken,  welche  von  Schom  verzeichnet ,  von 
mir  aber  nicht  angetroffen  sind.  Man  darf  wohl  anneh- 
men, daß  dieselben  noch  nicht  aufgestellt  sind.  Außerdem 
erinnere  ich  mich  nicht ,  einige  in  Baedeker's  Nordita- 
lien   aufgeführte  Terracotten    gesehen   zu    haben ,    über 


648 

welche  früheren  Beschauern  unsichtbar  blieben, 
aus  ihren  Verließen  hervorgezogen  sind.  Eine 
durchgreifende,  in  wissenschaftlicher  Beziehung 
genügende  UmstelluDg  konnte  jedoch  nicht  er- 
zielt werden,  zumal  da  einige  Stücke  keine  Ver- 
setzung zuließen. 

Die  Sammlung  zerfällt  räumlich  in  zwei  Ab- 
theilungen, von  denen  die  eine  sich  zu  ebener 
Erde,  die  andere  im  zweiten  Stockwerk  befindet. 
Jene  dient  vorzugsweise  zur  Aufbewahrung  der 
Monumente  von  größeren  Dimensionen  und  von 
Stein,  Aegyptischer  und  Griechisch -Römischer. 
In  den  beiden  Sälen,  welche  den  eigentlichen 
Aegyptischen  Sculpturen  gewidmet  sind,  befinden 
sich  aber  auch  Griechische  und  Römische  Werke, 
und  zwar  nicht  bloß  solche,  welche  in  Aegypten 
gefunden  worden  sind ,  sondern  auch  solche  die 
anderswoher  stammen ,  wenigstens  eins ,  das 
zugleich  auch  andersartig  ist,  nämlich  das  in  den 
Fußboden  des  zweiten  Saales  eingelassene  große 
Mosaik,  Orpheus  den  Thierbezähmer  darstellend, 
das  im  J.  1766  auf  der  Insel  Sardinien  (zu  Stara- 
pace,  einer  Vorstadt  von  Cagliari)  gefunden  ist. 
Auch  unter  den  Aegyptischen  Alterthümern,  die 
im  zweiten  Stockwerk  aufgestellt  sind,  trifft  man 
Griechische  und  Griechisch-Römische  von  gerin- 
geren Dimensionen ,  welche  aus  Aegypten  stam- 
men, namentlich  bemalte  Vasen  geringeren  Um- 
fangs,  vorzugsweise  Lekythvi,  darunter  auch 
solche  mit   weißer  Deckfarbe  ,    Terracotten   und 

welche  mir  andersweitige  Kunde  fehlt:  eine  als  besonders 
schön  hervorgehobene  Medusenmaske ,  eine  Gruppe  von 
Mercur  und  einem  Jüngling ,  Olympos  aus  der  Gruppe 
mit  Pan  ,  anmuthig  tanzende  Nymphen.  Diese  Werke 
sind  entweder  auch  noch  nicht  aufgestellt  oder  —  was 
ich  wenigstens  von  Allen  kaum  glauben  möchte  —  von 
mir  übersehen. 


649 

Bronzen,  unter  welchen  letztere,  anßer  einigen 
Statuetten  der  Aphrodite  mit  dem  Spiegel,  na- 
mentlich eine  etwas  fragmentirte  Schauspielerfi- 
gur in  dem  Costüm  der  neuen  Komödie  meine 
Aufmerksamkeit  auf  sich  zog.  Von  noch  bedeu- 
tenderem Interesse  ist  ein  Bronzehelm  Griechi- 
scher Arbeit  unter  den  Aegyptischen  Waffen, 
der  mit  einer  Inschrift  versehen  ist,  aus  welcher 
hervorgeht,  daß  er  einem  Makedonischen  Solda- 
ten, Alexander,  Sohn  Nikanor's,  angehörte.  An- 
derseitig  ist  auch  die  unter  Papst  Paul  III.  zu 
Rom  in  der  Villa  Caffarelli  aufgefundene  Tabula 
Isiaca  aas  Bronze  mit  Aegyptischen  Figuren  und 
Hieroglyphen,  die  zum  großen  Theil  mit  Silber 
eingelegt  sind,  unter  den  wirklich  Aegyptischen 
älteren  Bildwerken  in  dem  zweiten  Stockwerk 
ausgestellt,  obgleich  es  jetzt  schon  geraume  Zeit 
ausgemacht  ist,  daß  es  sich  vielmehr  um  ein  zu 
Rom  in  der  Zeit  Hadrians  gearbeitetes  Werk 
handelt. 

Die  Aegyptische  Abtheilung  der  Sammlungen 
überragt  alle  übrigen  zusammen  in  quantitativer 
und  qualitativer  Hinsicht.  Durch  sie  sind  zu 
ebener  Erde  zwei  große  Säle  und  im  zweiten 
Stock  drei  in  Beschlag  genommen.  Sie  hat  die 
meisten  wissenschaftlichen  Besprechungen  hervor- 
gerufen und  ist  die  einzige,  welche  sich  eines 
Catalogo  illustrativo  (von  dem  vorletzten  Conser- 
vator  Pier  Camillo  Orcurti)  erfreut,  der  in  den 
Jahren  1852  und  1855  in  zwei  Bänden  erschie- 
nen, jetzt  aber  meines  Wissens  vergriffen  ist. 
Sie  enthält  —  um  nur  dieses  zu  erwähnen  — 
das  größte  Meisterwerk  der  Aegyptischen  Sculp- 
tur,  die  sitzende  Statue  des  großen  Ramses  IL 
aus  schwarzem  Stein. 

Dagegen  sind  die  Assyrischen  Alterthümer 
an   Zahl    und    Bedeutsamkeit    sehr   geringfügig, 


650 


sieben  fragmentirte  Stücke,    darunter  m   künst- 
lerischer Hinsicht  die  hervorragendsten  ein  h.o- 
nigs-   und    ein  Eunuchenkopf   von    den    großen 
Assyrischen  Reliefs  (ersterer  mit  starken  Spuren 
rother  Farbe),  wie  sie  zur  Genüge  bekannt  sind. 
Beträchtlicher  ist  die  Anzahl  der  Cypnschen, 
verschiedenen  Perioden    und  Ausgrabungsstatten 
angehörenden  Alterthümer,  welche  mit  den  Assy- 
Tischen  in  einem  kleinen  Zimmer,  einem  Durch- 
gangsraume,    zusammen    aufgestellt  sind.     Zwei 
und  neunzig  Stück,  davon  37  in  Terracotta  und 
55  in  Stein,    aus  dem  alten  Idahum  sind  im  J. 
1874  von  MarcelloCerrutti  geschenkt;  eine  grolSe 
Anzahl,  mehr  als  150  Stück,  nebst  einigen  Gegen- 
ständen von  Alabaster  und  Eisen  sowie  Vasen  der 
mannigfaltigsten  Formen    außerdem  38  Terracot^ 
tenfragmente  aus   dem   alten  Golgoi  im  J.  1870 
von  Luigi  Palma  di  Cesnola.     Uebrigens  handelt 

es  sich  durchweg  ^"^ ^^  S^^^^-^T  ^S^  v^^^^ 
Dimensionen.  Ueber  den  im  Frühjahr  186b  vor- 
todenen  Theil  hat  Conze  S.  75*  fg,  über  die 
Sachen  aus  Golgoi  in  Kürze  Fabretti  m  den 
BuS.  d.  Inst.  arch.  1870,  p.  202  gesprochen. 
Vier  Kisten  mit  Cyprischen  Alterthümern,  eine 
neue  Gabe  Palma  di  Cesnola's,  waren  so  eben  ange- 
langt, aber  noch  nicht  ausgepackt  In  einem  der 
Glasschränke  mit  Cyprischen  Alterthümern  ge- 
wahrte  ich  auch  jene  38  zu  Golgoi  gefundenen  Am- 
phorenhenkel von  Rhodos  mit  Griechischen  Stera- 
Sschriften,  welche  einen  Bestandtheil  des  Ge- 
^henkes  von  Palma  di  Cesnola  aus  dem  J.  1870 
ausmachen  und  von  Fabretti  aa.  0  p.  202  u. 
203,    was   die  Inschriften  betrifft,    bekannt   ge- 

"'^tnde'm'^ich  mich  jetzt  zur  genaueren  Betrach- 
tung der  Griechisch-Römischen  ^^^l'}^''^t^^^ 
Alterthümer  im  Besitz  der  Universität  zu  Turm 


651 

wende,  kann  ich  die  im  Hofe  des  Ünirersitatsge- 
bäudes  befindlichen  als  längst  bekannt  übergehen, 
etwa  mit  Ausnahme  des  doch  sicher  ächten  Reliefs 
mit  der  Darstellung  des  Kairos  nnd  der  beiden 
schon  oben  erwähnten  während  ihres  Aufenthalts 
in  Paris  vollständig  restaurirten  Torsen  von  Susa. 
Hinsichtlich  des  Reliefs  bedarf  es  bloß  der  Be- 
merkung, daß  dasselbe  in  der  Arch.  Ztg.  1875, 
Taf.  I  nach  einer  Photographie  von  einem  Gyps- 
abgusse  neu  bekannt  gemacht  ist,  und  der  Hin- 
weisung auf  den  Text  von  E.  Curtius  S.  5  fg. 
Was  die  Torsen  betrifft,  so  gab  der  Französische 
Ergänzer,  Cartellier ,  dem  einen  einen  nicht  za- 
gehörigen Kopf  des  jüngeren  Drusus,  Sohnes 
des  Tiberius,  dem  anderen  den  Kopf  Napoleons, 
welcher,  nachdem  die  beiden  Werke  nach  Turin 
zurückgebracht  waren,  mit  einem  anderen,  antiken 
Kopf  vertauscht  ist.  Beide  sind  schon  im  J. 
1805  ausführlich  besprochen  von  Franchi-Pont 
in  den  Memoires  de  TAcaderaie  Imperiale  des 
sciences,  literature  et  beaux-arts  de  Turin  pour 
les  aunees  XII  et  XIII,  Literat,  et  beaux-arts, 
Turin,  an  X1II=1805,  p.  434—510,  537—542, 
der  auch  auf  zwei  Tafeln  gute  Abbildungen  der 
antiken  Bestandtheile  mitt heilte.  Eine  Abbil- 
dung des  Torso,  welchem  man  den  Drususkopf 
aufgesetzt  hat,  auch  bei  Mongez  Iconographie 
Romaine  pl.  XXIII,  n.  1.  Clarac  hat  im  Slus. 
de  sculpt.  pl.  919,  n.  2326  und  pl.  924,  n.  2354A 
die  beiden  Statuen  nach  einer  der  Ergänzun- 
gen als  Augustus  und  Tiberius  gegeben.  Auf 
pl.  973  bringt  er  unter  n.  2509  noch  eine  na- 
menlose Statue  imperiale  des  Mus.  Royal  zu  Turin, 
an  welcher  nur  der  linke  Unterarm  und  am 
rechten  die  Hand  fehlt,  wozu  im  Text  T.  V,  p. 
267  angegeben  wird,  daß  die  Statue  nicht  ergänzt 
sei,  ein  verschiedenes  Werk,  das  ich  im  Museum 


652 


zu  Turin  nicht  gesehen  habe.     Auch  die  Ahhildun- 
gen  des  .Augustus.  und  des  .Tiberms«  smd  m  Be- 
freff  des  anlken  Theils  nicht  getreu  und  die  M.- 
aaben  über  die  Restaurationen  T.  V  p.  193  sowie  p. 
|05  undanden  Abbildungen  keineswegs  durchaus 
richtig.      An    beiden    Torsen    fehlen   Kopt    und 
Hals    der  rechte  Arm  ganz,  der  linke  Arm,   so 
weit  er    nicht    von    dem   Paudamentum  bedeckt 
fs     (von   welchem  bei   dem    Augustus    nur   sehr 
weir  bei  dem  Tiberius  dagegen  Alles  bis  über 
las  linke  Knie  hinab  erhalten  ist);  von  den  beiden 
Oberbeinen  ist  unterhalb  der  Tunica  bei  jenem  nur 
wenig    bei  diesem,  wenigstens  was  das  linke  be- 
Sf'etwas  mehr'erhalten       Bei   ^^^^^^^^^ 
giebt  Clarac's  Abbildung  das  (seltene)  Bandeiier 
fiwie  den  Medusenkopf  darüber  im  We^^f  ^^^^^ 
richtig,  nur  daß  der  letztere  viel  breiter  ist      Das 
Rehetbld  unterhalb  des  Bandeliers  zeigt  Minerva 
fn  de   Vorderansicht  von  zwei  Tänzermnen  mnge- 
ifpr  ähnUch  wie  in  den  Denkm.  d.  a.  Kunst  11, 
20    214    a  und  sonst.    Die  wammsähnliche  Aegis 
und  das  runde  Schild  sind  mit  dem  Medusenkopf 
glhmückt.     Auf  dem  Helme    dessen  Schirm  m 
die  Höbe  geschlagen  ist,  sitzt  die  Eule  mit  aus 
gebraten  Flügefn..   Die  ol3erste  Darstenuug  an 
dem  Torso  des  Tiberius  zeigt  eine  gerade  ^uk^?^^^^^ 
stehende  Figur    auf   einem   mit   vier  Rossen  be 
frlrfr^ten  Wagen,  welche  sich  aus   den  angedeu- 
teten   Meereswogen    erheben,     allem    Anscheine 
nach  eher  Auro?a  als  Sol;   die   darunter  befind- 
Hohe  tei  einander  den  Rücken  zukehrende  An- 
masneir  von    denen  je   einer  einem  Greifen  eine 
?nS  hinreicht      Ueber  die  Beziehung  der  bei- 
d  n  Tonnlnoch  andere  Ansichten  laut  ge- 
worden und  ebenso  hat  man  über  den  Ursprüng- 
en Platz  der  Statuen    verschieden  geurthet 
Franch  -Pont   suchte   darzuthun,   daß   der  eine 


653 

Torso  eine  Statue  des  Agrippa,  der  andere  eine 
Statue  des  M.  Julius  regis  Donni  f(ilius)  Cottins 
praefectus  civitatium,  quae  subscriptae  sunt, 
wie  er  sieh  an  dem  von  ihm  zu  Eliren  August's 
errichteten  Bogen  zu  Susa  nennt ,  oder  seines 
Vaters  Donuus  augehört  uud  daß  dieses  Statuen- 
paar auf  dem  erwähnten  Bogen  gestanden  habe. 
Gegen  Franchi-Pont  sprach  schon  Rosa  L'Arco 
di  Susa  p.  74  fg.  und  jüngst  Ermanno  Ferrero 
in  den  Atti  della  Societä  di  archeol.  e  belle  arti 
per  la  Prov.  di  Torino,  Vol.  I,  fasc.  4,  p.  324 
fg.,  der  mit  Recht  die  Unmöglichkeit  hervorhebt, 
die  Torsen  mit  Sicherheit  auf  bestimmte  Personen 
zurückzuführen,  und  es  für  viel  wahrscheinlicher 
hält,  daß  die  betreffenden  Statuen  auf  nicht  sehr 
hohen  Postamenten  an  einem  öffentlichen  Platze, 
vielleicht  dem  Forum,  das  dem  Bogen  ganz  nahe 
lag,  aufgestellt  waren.  Auch  so  bleiben  die 
beiden  Werke  wegen  der  ausgezeichneten  Arbeit, 
die  selbst  Cauova'a  Bewunderung  erregte,  sehr 
beachteuswerth. 

Von  den  Werken  im  Palaste  der  Akademie 
der  Wissenschaften  berücksichtigen  wir  zunächst 
die  zur  ebenen  Erde  in  den  beiden  Aegyptischen 
Sälen  uud  in  einem  dritten,  der  nur  Griechisch- 
Römische  Steiuarbeiten  enthält,  befindlichen. 

Von  den  hauptsächlich  für  Aegyptische  Sculp- 
turen  bestimmten  Sälen  enthält  der  zweite  die 
meisten  der  hieher  gehörenden  Stücke.  Unter 
denen  Aegyptischen  Fundorts  nimmt  in  künst- 
lerischer Hinsicht  den  ersten  Platz  ein  der  nackte 
köpf-  arm-  und  beinlose  Torso  einer  kolos- 
salen männlichen  Statue  von  Marmor.  Die 
Figur  senkte  den  rechten  Arm  und  hob  den 
linken.  Man  denkt  wohl  zunächst  an  einen 
Zeus  oder  au  einen  als  Zeus  aufgefaßten  Herr- 
scher. —  Des  Materials  wegen  ist  beachteuswerth 

56 


654 

die  kleine  Statue  eines  Römischen  Kriegers  aus 
Porphyr,  welcher  Kopf  und  Arme  fehlen,  "wäh- 
rend die  rechte  Hand,  welche  den  Griff  des  an 
der  linken  Seite  hängenden  Schwertes  faßt,  er- 
halten ist.  —  Besondere  Beachtung  verdienen 
einige  Werke,  in  denen  sich  eine  Mischung  Ae- 
gyptischer  und  Griechischer  Religionen  bei  we- 
sentlich Griechisch-Römischer  Kunstübung  findet. 
Dahin  gehört  eine  Votivgruppe  (wie  aus  der 
Griechischen  Inschrift  hervorgeht)  rappresentaute 
Esculapio,  il  cinocefalo  col  disco  lunare  et  una 
divinitä  di  cui  non  rimangouo  che  i  piedi.  Von 
dem  Asklepios  fehlt  der  Kopf,  seine  linke  Hand 
ist  abgebrochen ,  die  rechte  auf  den  Schooß  ge- 
legt, zu  beiden  Seiten  gewahrt  man  eine  Art 
von  Säule ,  um  welche  sich  eine  Schlange  win- 
det. —  Noch  beachtenswerther  ist  eine  weit 
besser  ausgeführte  Gruppe  aus  Oberägypten,  mit 
der  schon  durch  Raoul-Rochette  bekannt  ge- 
machten und  in  das  Corp.  Inscr.  Gr.  HI,  4968 
aufgenommenen,  aber  sowohl  von  Brunn  als  von 
Overbeck  übersehenen  in  zwei  Reihen  vertheilten 
Inschrift  nPcoTTTOC  T^^XNH  |  ^PrACTHPI- 
APXOY.  Unseres  Wissens  ist  der  hier  genannte 
ÜQMTvg  oder  TlQiaTvq  noch  jetzt  der  einzige  Grie- 
chische Künstler  Aegyptens,  dessen  Namen  wir 
durch  ein  Bildwerk  kennen  lernen.  Raoul-Ro- 
chette besaß  nach  Mon.  iued.  p.  326,  Anm.  1 
auch  eine  Zeichnung  des  Monuments,  welche  er 
herausgeben  wollte,  was  aber,  so  viel  mir  be- 
kannt, nicht  geschehen  ist.  Man  gewahrt  vier 
mit  der  Rückseite  an  einander  gelehnte  weibliche 
Figuren,  an  der  vorderen  Seite  eine  im  langem 
Chiton  und  Schleiergewand,  ohne  Attribute,  vor 
ihrem  linken  Beine  eine  kleine,  wie  es  scheint 
männliche  Figur;  an  der  Hinterseite  ein  geflü- 
geltes Weib    mit   aufgeschürztem  Gewände,    das 


655 

die  Linke  auf  ein  kleines,  auf  einem  Cippus, 
an  welchen  eine  kleine,  wie  es  scheint  männ- 
liche Figur  in  sitzender  Stellung  den  Rücken 
lehnt,  stehendes  Rad  legt ;  auf  den  Nebenseiten 
je  eine  geflügelte  weibliche  Figur  in  langem 
Chiton,  mit  einem  Palmzweig  im  linken  Arme, 
welche  mit  der  Rechten  einen  Kranz  nach  dem 
Kopfe  einer  der  größeren  Figuren  der  Vorder- 
und  Hinterseite  hin  hält,  die  auf  der  Nebenseite 
rechts  vom  Beschauer  nach  dem  der  verhüllten 
Figur  der  Vorderseite ,  die  an  der  Nebenseite 
links  vom  Beschauer  nach  dem  Kopfe  der  grö- 
ßeren Figur  der  Hinterseite.  Daß  es  sich  bei 
den  beiden  größeren  Figuren  der  Nebeuseiten 
um  Niken  handelt,  bedarf  kaum  der  Bemerkung. 
Auch  hinsichtlich  der  weiblichen  Figur  an  der 
Hinterseite  steht  es  wohl  sicher,  daß  sie  Nemesis 
darstellen  soll.  Dagegen  ist  die  Deutung  des 
Weibes  an  der  Vorderseite  sehr  schwierig.  — 
Interessant  ist  ferner  ein  selbständiges  Werk 
ans  Marmor,  welches  einen  großen  Fuß  mit 
Schlaugen  daran  darstellt,  an  dessen  beiden  Lang- 
seiten man  Schlangen  gewahrt,  von  deren  dem 
Beschauer  in  der  Vorderansicht  zugekehrten 
menschlichen  Köpfen  der  allein  erhaltene  zur 
Rechten  bärtig  ist,  während  hinter  dem  Hacken 
des  Fußes  eine  kleine  männliche  mit  der  Chla- 
mys  bekleidete  Figur  mit  einem  Füllhorn  in  der 
Linken  zum  Vorschein  kommt.  Die  beiden 
schlangenköpfigen  Wesen  stellen  nach  früherer 
Annahme  Serapis  und  Isis  dar,  vgl.  etwa  Guiguiaut 
Reliq.  de  Tantiq.  pl.  XLIII,  n.  180;  die  kleine 
Figur  Horos-Harpokrates.  Gewiß  ein  Votivfuß; 
vgl.  auch  Gerhard  Text  zu  den  ant.  Bildwerken 
S.  146,  Anm.  8.  —  Minderes  Interesse  bietet 
ein  Basrelief  mit  der  auch  sonst  zum  Theil  selbst 
durch  Münzen   (Zoega  Num.  Aegypt.  imper.  II, 

56* 


65ß 

7=  Guigniaut  Rel.  de  l'Antiq.  pl.  LIII,  n.  180, 
a,  Zoeofa  a.  a.  a.  II,  9=  Gerhard  Ges.  Abhandl. 
Taf.  XLVI,  n.  7)  bekannten  Darstellung  zweier 
Schlangen,  die  anf  eine  in  ihrer  Mitte  stehende 
kleine,  mit  einem  Pinienkonos  besetzte  Ära  zu 
kriechen  und  von  welchen  die  links  vom  Be- 
schauer Aehren  und  Mohnköpfe  hinter  sich  hat. 
Jene  und  diese  Darstellung  hat  jüngst  Fr.  Le- 
normant  in  der  Gazette  archeol.  A.  III,  1877, 
p.  149  besprochen,  der  für  beide  an  Agathodä- 
mon  und  Buto  denkt. 

Zu  den  nicht  aus  Aegypten  stammenden  Bild- 
werken dieses  Saales  gehört  das  schon  oben  er- 
wähnte ansehnliche  Mosaik  von  Stampace,  welches 
in  vier  Stücken  in  den  Boden  eingelegt  ist.  Das 
größte  Stück  zeigt  den  in  Mosaikbildern  der 
Römischen  Zeit  bekanntlich  auch  sonst  noch 
dargestellten^)  Orpheus  überlebensgroß,   sitzend, 

1)  Einige  von  den  betreffenden  Mosaiks  sind  jetzt 
verloren  gegangen  und  nur  durch  Beschreibungen  oder 
Abbildungen  aus  früherer  Zeit  bekannt.  So  die  Schwei- 
zerischen von  Yverdon,  Yvonand  oder  Cheyres  und  Aven- 
ches  oder  >Grandson<  ,  welches  letzte  von  Laborde  Voy. 
pittor.  de  la  Suisse  n.  l97  und  danach  von  Miliin  Gal. 
myth.  pl.  CVII,  n.  423  oder  Guigniaut  Rel.  de  l'ant. 
pl.  CLII ,  n.  645 ,  sowie  von  Bursian  Aventicum  Helveti- 
cum  V  (Mittheil,  der  antiquar.  Gesellsch.  in  Zürich, 
Bd.  XVI ,  Abth.  1 ,  Heft  5)  Taf.  XXIII  abbildlich  mitge- 
theilt  ist,  während  man  über  die  beiden  ersten  Nach- 
richten findet  in  Levade's  (aus  nicht  zugänglichem) 
Dictionn.  geogr.  du  Canton  de  Vaud,  Vevey  1824,  und 
über  das  von  Yverdon  nach  Levade  auch  bei  L.  Rochat 
Rech,  sur  les  antiq.  d'Yverdon  (Mitth.  der  Zürich,  ant. 
Ges.  Bd.  XIV,  H.  3)  p.  76,  so  wie  bei  VuUiemin  Waat 
Bd.  I,  S.  64  der  Deutsch.  Uebers.  Das  Mosaik,  welches 
Einige,  wie  Rochat  a.  a.  0.,  das  von  Yvonand,  andere 
das  von  Cheyres  nennen,  ist  doch  gewiß  dasselbe,  obgleich 
ein  und  derselbe  Schriftsteller  VuUiomiu  a.  a.  0.  Bd.  I, 
S.  64,  Anm.  2  und  S.  69  von  dem  »Musivboden  vonl 
Cheyres«    spricht    (an    letzterer   Stelle  mit  der   Angabe, 


657 

mit  der  sogenannten  Phrygischen  Mütze  auf  dem 
besser  als  der  übrige  Körper  ausgeführten  Kopfe 

daß  er  im  letzten  Jahrhnndert  zerstört  worden  und  seine 
Oberfläche  246  Quadratfuß  betrug),   und  Bd.  II,    S.  225 
u.  d.W.   Ivonand  berichtet:  »ein  anderer.  1778  von  Bau- 
ern entdeckter  (Musivboden),  dessen  Oberfläche  264  Qdt  F. 
maß  und  den  Orpheus  darstellte,  ist  in  einer  Nacht  auch 
von  ihnen  zerstört   worden».      Die   erste  Kunde  von  die- 
sem Mosaik,    welches  jedenfalls   die   größte  Aehnlichkeit 
mit  dem,   welches  von  Bursian  dem  benachbarten  Aven- 
ches  zugeschrieben  wird,  hinsichtlich  der  Darstellung  der 
Orpheussage    gehabt   haben    muß ,    gab    meines  Wissens 
Sinner  Voy.  histor.    et  litetr.   dans   la  Suisse  occidentale 
T.  II,  p.  269  und  p.  271  fg.,  wo  er  berichtet,  im  Jahre 
1778  sei  sur  le  penchant  d'une  colline  au  dessus  du  village 
de  Cheyres,    situe  entre  Payeme   et  Yverdon,  ein  Mosaik 
in    vollkommener  Erhaltung   aufeeiunden   oder  vielmehr 
wiederausgegraben     und    dasselbe    nach    une    tres-jolie 
estampe  eines  graveur  Frangois  also  beschreibt:     II    est 
de  figure  quarree  parfaite;  chaque    cote   a  seize  pieds  et 
demi  de  roi.  —  Le  lion   qui   est  couche  aux  pieds  d'Or- 
phee ,    est   le   seul  animal  etranger   ä  la  Suisse  qu'on  y 
remarque.     Un  bouc  et  une  chevre,  un  cerf  et  une  biche 
occupent   les   quatre  coins  du    quarre   inferieur,    qui  est 
renferme  en  trois  bordures  d'un  tr^s  bon  goüt.    Un  che- 
val   et  un   ours   sont   places  anx  deux  cötes   du   tableau 
du  milieu,  oü  l'on  voit  Orphee  assis  au  pied  d'un    arbre. 
Ou  reconnait   dans  sa  main    droite    le    plectrum.      Dann 
hören   wir  durch  Vulliemin   nach  Levade    über  das  Mo- 
saikbild:   es  »stellte  Orpheus  unter  einem  Baume  sitzend 
dar  ;  zu  seinen  Füßen  lagen  ein  Löwe  und  ein  Eichhorn, 
und  rings  um  ihn  her  flogen  Vögel  und   setzten  sich  so- 
gar auf  seine  Leiere.     Von  den  anderen  Thieren  ist  gar 
nicht  die  Rede.      Ja    bei    genauerer  Betrachtung  muß  es 
für  uns   durchaus   den  Anschein    haben  ,    als   handele    es 
sich  bei   den  Mosaiks,    die  nach   Ivonand   oder  Cheyres 
und  nach  Avenches  oder  Grandson  verlegt  werden  (letz- 
teres von  Laborde ,    aber   ohne  Zweifel  irrthümlich)  um 
ein   und  dasselbe  Werk,    das   am  wahrscheinlichsten  bei 
Cheyres  vorhanden  war.      Es  wäre  sehr  wünschenswerth, 
daß  Schweizerische  Archäologen   hierüber   genauere  Aus- 
kunft gäben.  —  Besonders    hervorzuheben  ist  dann  auch 
das  Mosaik  von  ßottweü  (von  welchem  sich  im  Carlsru- 


658 

wie  Himation,  welches  den  Oberleib  vorn  nackt 
läßt  und  über  den  linken  Arm  des  Trägers  hin 
den  Untertheil  seines  Körpers  mit  Ausnahme 
des  rechten  Unterbeins  bedeckt.  Orpheus  greift 
nach  links  hin  blickend  von  hinten  mit  der  Linken 
in  das  siebenfarbige  Kothar.  Von  den  drei  klei- 
neren Mosaikstücken  stellt  das  bestgearbeitete 
einen  Löwen,  das  zweite  einen  Steinbock,  das 
dritte  einen  Esel  dar.  Der  Grund,  warum  man 
das  Mosaik  getrennt  und  nicht  wie  es  aufge- 
funden wurde,  vollständig  und  im  Zusammenhang 
in  den  Boden  eingelassen  hat,  entzieht  sich  un- 
serer Beurtheilung.  Es  giebt  nur  eine,  mangel- 
hafte Abbildung,  welche  Tarin  in  den  Mem.  der 
Turiner  Akademie  pour  les  ann.  X  et  XI,  Litt, 
et  beaux-Arts,  1863,  zu  p.  53  fg.  herausgegeben 
hat.  Hier  erblickt  man  zwölf  vierfüßige  Thiere, 
unter  denen  der  Löwe  zweimal  vorkommt,  und 
einen  Vogel,  der  auf  dem  Baume  rechts  von  Or- 
pheus sitzt.  Schorn  (S.  461  fg.),  der  auch  Eini- 
ges über  die  Farben  berichtet,  sah  außer  Orpheus 
noch  ■  vier  Vierecke  jedes  mit  einem  Thiere.  —  Au- 
ßerdem findet  man  in  demselben  Saale ,  dicht 
neben  dem  Ausgange  zu  dem  ersten  Aegyptischen 
Saale,  die  ansehnliche  Statue  einer  Minerva  aus 
weißem  Marmor  aufgestellt,  von  der  mir  der 
dienstthuende  Custode  sagte,  daß  sie  in  Italien 
gefunden  und  zu  4000  Lire  angekauft  sei,  wäh- 
rend in  dem  Gsell-Fels'schem  Reisehandbuch  an- 


her  Museum  eine  moderne  Nachbildung  findet)  ,  abgebil- 
det und  besprochen  in  Rom.  Alterth.  in  der  Umgegend 
von  R.,  Stuttgart  1836,  S.  62  fg.  Ein  Mosaik  aus  der 
Villa  zu  Newton  St.  Loe  bei  Bath  in  England  giebt  St.. 
M.  Scarth  Aquae  Solls  or  notice  of  Roman  Bath,  1864, 
pl.  LVII  in  Abbildung.  Ein  zu  Palermo  gefundenes  Mo- 
saik beschreibt  Heydemann  in  der  Arch.  Ztg.  1869, 
S.  40. 


659 

gegeben  ist,  daß  sie  aus  Aegypten  stamme.  Der 
Kopf  des  mehr  als  lebensgroßen  Werks  ist  frei- 
lich aufgesetzt,  aber  zugehörig.  Das  Gesicht 
hat  einen  weichen  Ausdruck ,  der  rechte  Arm 
fehlt,  vom  linken  der  untere  Theil. 

Eine  andere  Minervastatue  an  der  nicht  bloß 
die  Füße,  sondern  auch  Kopf  und  Hals  fehlen, 
ist  im  ersten  Aegyptischen  Saale  aufgestellt. 
Das  ursprünglich  etwa  lebensgroße  Werk  gehörte, 
was  die  Haltung  anbetrifft ,  ohne  Zweifel  in  die 
Kategorie  der  Pallas  Rospigliosi  (Denkra.  d.  a. 
K.  n,  21,  233).  Es  wird  doch  auch  wohl  aus 
Aegypten  herrühren.  Die  von  Schorn  a.  a.  0. 
S.  469  an  zweiter  Stelle  als  im  J.  1823  in 
der  Halle  des  K.  Schlosses  aufgestellt  erwähnte 
Minerva  ist  offenbar  ein  anderes  Werk. 

Dem  Ausgang  aus  dem  zweiten  Aegyptischen 
Saale  gegenüber  führt  aus  3em  ersten  Aegypti- 
schen Saale  ein  doppelter  Eingang  in  einen  für 
Griechisch-Römische  Sculptnren  bestimmten  Saal, 
welcher  in  zwei  Ahtheilungen  zerfällt,  in  deren 
erster  schon  eine  bedeutende  Anzahl  von  Rund- 
werken und  einige  Reliefs  aufgestellt  sind,  wäh- 
rend eine  geringere  Anzahl  von  mehr  oder  we- 
niger fragmentirten  Rundwerken  noch  am  Boden 
stand  oder  lag.  Letztere  sollen  erst  kürzlich 
aus  den  Magazinen  hervorgeholt  sein.  Die  hier 
befindlichen  Werke  stammen  wie  die  weiter  unten 
zu  erwähnenden,  in  einem  Zimmer  des  oberen 
Stockes  vereinigten  ,  dem  Vernehmen  nach  aus 
dem  früheren  Besitze  des  Königlichen  Hauses 
der  an  verschiedenen  Orten,  hauptsächlich  wohl 
in  Rom,  zusammengekauft  ist,  aber  sicherlich 
auch  gar  manches  aus  dem  Boden  Piemonts  her- 
vorgegangene Stück  enthielt-  Viele  unter  diesen 
Werken  machen  einen  sehr  bedenklichen  Ein- 
druck, da  sie  nicht  bloß  mehr  oder  minder  stark 


660 

restaurirt,  sondern  aucli  überarbeitet  und  polirt 
zTi  sein  scheinen.  Ich  habe  in  dieser  Beziehung 
selbst  keine  genaueren  Untersuchungen  anstellen 
können,  muß  mich  also  in  sofern  begnügen,  auf 
Schorn  zu  verweisen ,  soweit  dieser  dieselben 
Werke  erwähnt,  glaube  inzwischen,  daß  das  im 
Folgenden  Mitgetheilte  von  einigem  Interesse  sein 
wird. 

Die  Rundwerke  sind  in  zwei  Reihen  neben 
einander  aufgestellt.  In  der  die  Mitte  des  Rau- 
mes einnehmenden  stehen  (von  den  Eingängen 
aus  dem  ersten  Aegyptischen  Saale  gerechnet) 
1)  die  Statue  eines  nackten  Jünf];lings,  hinsichtlich 
deren  wir  nicht  anstehen  anzunehmen,  daß  sie  den 
mirator  Narcissus  (»Narkissos«  S.  36)  darstellt,  ob- 
gleich die  Hand  des  linken,  ausgestreckten  Armes 
abgebrochen  und  von  den  Fingern  der  Hand 
des  ebenfalls  ausgestreckten  rechten  Armes  nur 
der  Daumen  erhalten  ist,  wobei  deutlich  erhellt, 
daß  alle  Finger  gespreizt  waren  (in  Turin  bezieht 
man  das  Werk  auf  Apollo);  2)  eine  Statuette  der 
Venus  in  der  Haltung  der  Mediceischen  mit  dem 
Delphin  zur  linken  Seite  (ob  dieß  oder  das  unten 
unter  n.  9  aufgeführte  Werk  das  von  Schorn 
S.  463  verzeichnete  ist,  muß  dahin  gestellt  blei- 
ben); 3)  die  überlebensgroße  Gruppe  eines  schlan- 
genwürgenden Herculesknaben ,  eins  der  besten 
Marmorwerke  der  Sammlung,  besprochen  von 
Schorn  S.  463  fg. ,  abgebildet  bei  Clarac  Mus. 
de  sc.  pl.  782,  n.  1958  (der  dicke  Kopf  des 
Knaben  zeigt  weder  Bangigkeit  noch  Freude, 
nur  Gleichgültigkeit) ;  4)  die  gleichfalls  treffliche 
und  durch  ihre  Erhaltung  ausgezeichnete  Sta- 
tuette eines  auf  der  Löwenhaut  liegenden  schla- 
fenden Eros  im  Kindesalter,  der  Kopftheil  des 
Löwenfells  bedeckt  den  Hinterkopf  des  Schläfers, 
die  rechte  Hand  faßt  lose  die  kurze  Keule,  der 


661 

linke  von  einem  Theile  des  Fells  umwickelte 
Unterarm  dient  als  Stütze  des  Kopfes ,  hinter 
welchem  der  Köcher  liegt  (Schorn  S.  466.  n.  4); 
5)  eine  ansehnliche  Statue  der  Höre  des  Winters 
als  eines  lang  und  vollständig  bekleideten  Weibes, 
dessen  Obergewand  den  Kopf  bedeckt,  mit  zwei 
Vögeln  in  der  etwas  gehobenen  linken  und  einem 
Hasen  in  der  gesenkten  rechten  Hand,  zu  Schorn's 
Zeit,  der  auch  Ergänzungen  angiebt  (S.  469  n. 
3),  in  der  Halle  des  Königl.  Schlosses ;  6)  Ephebe 
als  Gymnast,  ohne  Zweifel  in  der  Handlung  der 
Salbung  des  Körpers  dargestellt  (auf  ein  Grie- 
chisches Original  zurückgehend  (Schorn  S.  461, 
n.  15,  Conze  S.  77*);  7)  kleine  Gruppe  eines 
unbärtigen,  baarhauptigen  Reiters  auf  spren- 
gendem, mit  einer  Schabracke  aus  Thierfell  ver- 
sehenen Rosse  (eine  Darstellung,  wie  sie  in  der 
Zeit  des  Bas-Empire  öfters  vorkommen,  vgl.  u. 
A.  den  Commodus  bei  Claras  Mus.  de  sc.  pl.  962, 
n.  2475);  8)  Diana  mit  Mondsichel  über  der 
Stirn ,  in  kurzem  Gewände ,  welches  die  linke 
Brust  entblößt  läßt,  mit  der  Hand  des  rechten 
hochgehobenen  Armes  wohl  den  Bogen  halten 
sollend,  die  linke  Hand  auf  einen  Baumstamm  le- 
gend, an  welchem  der  geöffnete  Köcher  nebst 
dem  dazu  gehörigen  Bande  aufgehängt  ist,  wäh- 
rend der  umgekehrte  Köcherdeckel,  wie  es 
scheint,  zwischen  dem  linken  Oberschenkel  der 
Figur  und  dem  Baumstämme  zum  Vorschein 
kommt  (das  interessante  Werk  aus  schwarzem 
Piemontesischera  Marmor  wird  von  Schorn  S.  464 
n.  11  ,  welcher  angiebt,  daß  Kopf,  Arme  und 
Beine,  vom  Gewand  an,  neu  seien,  als  Amazone 
gefaßt) ;  9)  größere  Statue  der  Venus  in  der 
Weise  der  Mediceischen,  auch  mit  dem  Delphin 
zur  Seite;  10)  größerer  auf  der  Löwenhaut  lie- 
gender schlafender  Amor,  ohne  weitere  Attribute 


662 

(zu  dem  ältesten  Bestände  gehörend,  während 
der  schönere  Amor  erst  nach  Millin's  Besuch  von 
Turin  in  die  Sammlung  gekommen  zu  sein  scheint, 
besprochen  von  Schorn  S.  495,  n.  1,  wo  C.  A. 
Böttiger  bemerkt,  daß  ein  Abguß  sich  im  Mengs'- 
schen  Cabinet  zu  Dresden  befinde^));  11)  Mercur 
mit  Kopflügeln,  in  der  Rechten  den  Beutel,  in 
der  gesenkten  Linken  den  Caduceus  haltend,  die 
Chlamys  von  der  linken  Achsel  herab  fallen  las- 
send ;  12)  Venus  mit  um  die  Mitte  des  Körpers 
zusammengeknotetem  Himation ,  das  Haar  mit 
der  Rechten  zurecht  machend  (Schorn  S.  463, 
n.  2)  ;  1 3)  weibliche  Figur  in  etwas  alterthüm- 
licher  Tracht,  etwa  mit  Nebris,  linke  Brust  an- 
scheinend entblößt,  auf  der  linken  Seite  liegt 
dem  Körper  etwa  in  der  Mitte  ein  Kranz  von 
Früchten  an  (vielleicht  das  von  Schorn  S.  469, 
n.  4  erwähnte  Werk  aus  dem  K.  Schlosse,  ein 
Bacchisches  Weib,  etwa  eine  Hora  als  Dionysi- 
sche Genossin,  wie  ja  Opora  auf  Vasen  als  solche 
vorkommt  und  eine  Figur,  welche  sich  durchaus 
als  die  Höre  des  Sommers  ausnimmt,  unter  den 
Bacchantinnen  des  Turiner  Reliefs  bei  Rivautella 
u.  Ricolvi  T.  I,  p.  29,  Maffei  CCXVIH,  gefunden 
wird);  13)  ansehnliche  Figur  eines  ganz  nackten 
Mercurs  mit  Kopffliigeln ,  welcher  den  Kopf 
mit  dem  Blick  nach  oben  stark  nach  rechts  ge- 
wendet hat,  in  der  Hand  des  herabhängenden 
rechten  Armes  den  Caduceus  hielt   und   mit  der 


1)  Gerhard  erwähnt  in  dem  Texte  zu  den  ant,  Bild- 
werken S.  260,  Anm.  67  die  Turiner  Statue  eines  schla- 
fenden Flügelknaben  mit  Eidechse  und  Fackel.  Allem  An- 
schein nach  muß  er  eine  von  jenen  beiden  Statuen  ge- 
raeint haben  —  wenigstens  erinnere  ich  mich  nicht,  in 
dem  Turiner  Museum  eine  dritte  ähnliche  gesehen  zu 
haben  — ,  dann  ist  er  aber  in  Betreff  der  Attribute  im 
Irrtbum. 


663 

Hand  des  erhobenen  linken  Arms  eine  redneri- 
sche Geberde  (mit  hervorragendem  gekrümmten 
Zeigefinger)  macht  (doch  sind  Kopf  und  Arme 
nach  Schorn  S.  461.  n.  13  restaurirt). 

An  der  der  Fensterwand  des  Saales  gegen- 
überliegenden Rückwand  findet  man,  von  hinten 
beginnend,  aufgestellt:  1)  die  Statue  eines  ste- 
henden (mit  linkem  Spielbein)  Amor  im  Jüng- 
lingsalter, welcher  den  Kopf  (mit  langem  Haar) 
nach  rechts  hin  wendet,  den  rechten  Arm  wie 
in  Aufmerksamkeit  hält,  mit  der  linken  Hand 
den  Köcher  faßt,  der,  geöffnet,  nebst  dem  Bogen 
an  dem  Baumstamme  neben  der  Figur  hängt 
Czu  vergleichen  mit  Clarac  pl.  281,  n.  i486); 
2)  eine  Büste  des  Antinous ;  3)  die  Statue  eines 
nackten  bekränzten  Bacchus,  der,  das  rechte  Un- 
terbein über  das  linke  schlagend ,  den  linken, 
von  dem  shawlartigen  Gewände  umschlungenen 
Arm  in  die  Hüfte  stemmend,  mit  der  Rechten 
ein  trauben gefülltes  Fell  hält,  das  auf  dem  zur 
rechten  Seite  der  Figur  befindlichen  Tronc  liegt, 
um  welchen  sich  ein  Weinstock  schlingt  (wohl 
die  Statue  bei  Schorn  S.  460,  n.6);  4)  ein  Frag- 
ment von  einem  Candelaber,  wie  es  scheint;  5) 
die  Büste  eines  Jünglings,  wie  Adonis  oder 
Narcissus  mit  trübem,  etwas  nach  rechts  gewen- 
deten Gesichte ;  6)  eine  stehende  (mit  linkem 
Spielbein)  jugendliche  männliche  mit  der  Chla- 
mys  versehene  Figur ,  mit  kurzhaarigem ,  etwas 
nach  links  gewendeten  Porträtkopfe,  in  der  vor- 
gestreckten linken  Hand  ein  Parazouium,  in  der 
Hand  des  gesenkten  rechten  Armes  etwas  Stab- 
ähnliches haltend  (Schorn  S.  461,  n.  18  bezieht 
den  Tr.onc  auf  Mercur,  Kopf,  Arme  und  Beine 
seien  schlecht  restaurirt ;  der  Restaurator  dachte 
an  einen  Römischen  Großen ,  vgl.  Denkm.  d.  a. 
Kunst  I,  87,    356,    Clarac  Mus.  de  sc.  pl.  917, 


664 

n.  2353  A,  pl.  934,  n.  2377);  7)  eine  Büste  der 
Minerva  mit  etwas  nach  links  gewendetem  Kopfe, 
das  Weiße  der  Augen  und  die  Pupille  im  Mar- 
mor angedeutet,  Helm  oben  mit  einer  Sphinx, 
auf  dem  Visir  mit  Gesicht,  Aegis  mit  Medusen- 
haupt wie  eine  schmale  Pellerine  sich  ausneh- 
mend ;  8)  überlebensgroße  Statue  des  Claudius 
in  militärischer  Tracht,  gefunden  zu  Susa,  treu 
abgebildet  und  genau  besprochen  von  Erm.  Fer- 
rero  in  den  Atti  della  Soc.  arch.  u.  s.  w.  Vol. 
I,  fasc.  4,  tav.  XVIII  und  p.  319  fg. ;  9)  Büste 
des  Antinous  als  Bacchus  mit  auf  der  linken 
Achsel  zusammengeknoteten  Nebris,  den  Kopf, 
dessen  Haar  das  dem  Antinous  eigenthümliche 
ist,  nach  rechts,  etwas  nach  oben  hin,  wendend 
(s.  Schorn  S.  461,  n.  14);  10)  Gruppe  von  Fan 
und  Olympus  (oder,  nach  Stephani  Compte  rend. 
de  la  comm.  arch.  de  St.  Petersb.  1862,  p.  89 
fg.,  Daphnis),  an  jenem  der  rechte  Arm  bis  auf 
einen  kleinen  Theil  fehlend,  an  diesem,  der  je- 
nem zuhört,  aber  das  Gesicht  nicht  nach  ihm 
hinwendet,  der  größte  Theil  des  rechten  Armes 
und  der  linke  ganz  (nach  Schorn  S.  460,  n.  11 
der  Kopf  des  »Apollo«  neu);  11)  Büste  der  jün- 
geren Faustina  (?)  als  Diana,  mit  entblößter 
rechter  Brust ;  1 2)  ansehnliche  Statue  des  ste- 
henden Jupiter,  in  weitem  Himation,  das  die 
rechte  Brust  frei  läßt,  in  der  erhobenen  rechten 
Hand  den  Blitz  haltend,  in  der  Hand  des  linken 
Armes,  dessen  unterer  Theil  vorgestreckt  ist, 
etwa  ein  Scepter  (Schorn  S.  460,  n,  2);  13)  in- 
teressante Statue  der  Diana  mit  Mondsichel  über 
der  Stirn,  minder  als  lebensgroß,  Kopf  und  Hals, 
Arme,  Füße  aus  weißlichem  Marmor,  das  lange, 
etwas  vom  Winde  bewegte  Gewand  mit  Ueber- 
schlag  aus  grünlichem,  schwarzgefleckten  Mar- 
mor,   den  Kopf  nach  links,    anscheinend  in  die 


665 

Höhe  richtend,  in  der  Hand  des  ausgestreckten 
linken  Armes  ein  Stück  vom  Bogen  haltend,  den 
rechten  Arm  erhebend  mit  ausgestrecktem  Zei- 
gefinger; 14)  stehender  Bacchus,  nackt  bis  auf 
die  Kothurne  (ein  Pautherfell  fällt  vom  linken 
Unterarm  herab),  in  der  gesenkten  Rechten  eine 
Traube  haltend,  mit  der  Linken  eine  andere  he- 
bend und  danach  emporblickend  (ob  etwa  das 
»schlechte  Pasticcio«  bei  Schorn  S.  460,  n.  8, 
vermag  ich  nicht  zu  sagen;  15)  abgebrochener 
behelmter  Kopf  eines  Sterbenden ,  an  den  sogen, 
sterbenden  Alexander  erinnernd,  ein  sehr  be- 
achtenswerthes  Werk,  wenn  es  echt  ist  (sicher- 
lich das  von  Schorn  S.  462  als  »verstümmelte 
Büste  eines  sterbenden  behelmten  Kriegers  von 
guter  Arbeit«  bezeichnete). 

Die  Reliefs  findet  mau  an  dem  breiten  Pfei- 
ler zwischen  den  beiden  Eingängen  vom  ersten 
Aegyptischen  Saal  her :  1)  Amor  als  Todesgenius, 
mit  der  Linken  die  umgekehrte  Fackel  auf  den 
Boden  setzend,  die  Rechte  auf  die  linke  Achsel 
legend,  den  Kopf  mit  betrübtem  Gesichte  nach 
rechts  hin  wendend;  2)  kleines  unbedeutendes 
Grabrelief:  sitzendes  Weib  links  vom  Beschauer, 
stehender  Mann,  in  Chiton  und  Himation  ihr  die 
Rechte  reichend,  ÖAAAIQN  KAI  H  TYNH  i:Ar- 
GAYBAITI2  (Conze  S.  77*);  3)  kräftiger  Jüng- 
ling vor  einem  Altar  stehend,  nackt,  aber  mit 
einer  haubeuähnlichen  Kopfbedeckung,  an  der 
sich  Spuren  schwärzlicher  ßemalung  erhalten  zu 
haben  scheinen ,  die  linke  Hand  vorstreckend, 
rechter  Unterarm  abgebrochen,  auch  in  der  Höhe 
nach  rechts  Etwas  abgebrochen,  was  äußerlich  (wie 
ein  Loch  zum  Befestigen  zeigt)  angefügt  war,  an- 
scheinend Griechische  Arbeit  von  geringen  Di- 
mensionen, wohl  eiuen  opfernden  Athleten  dar- 
stellend,  gewiss  nicht  einen  Apollon,  wie  Conze 


666 

S.  77*  meinte,  der  übrigens  das  betreflfende  Werk 
in  künstlerischer  Hinsicht  mit  Recht  hervorhebt; 
4)  drei  auf  einem  mit  zwei  Pferden  bespannten 
Wagen  sitzende  Personen,  den  Pferden  voran- 
schreitend ein  sich  nmblickender  Mann ;  5)  knie- 
endes  Knäbchen,  einen  Panzer  mit  beiden  Armen 
nach  links  hin  haltend,  indem  es  sich  nach  rechts 
hin  umblickt  (also  ein  Theil  einer  größeren  Com- 
position). 

Von  den  noch  nicht  gehörg  aufgestellten  Rund- 
werken stehen  zwei  an  der  Rückwand  des  Saales 
zwischen  dem  Jupiter  und  der  Artmiis  Solene, 
beide  ohne  Kopf,  eine  geflügelte  Victoria  mit  um- 
fangreicher Chlamys  und  ein  Bacchus  mit  Pan- 
therfell, das  vom  linken  Unterarm  herabhängt. 
Beachteuswerther  sind  zwei  Statueufragmente  an 
den  Seiten  des  erwähnten  Pfeilers:  ein  knieender, 
des  Kopfes  entbehrender  Jüngling  mit  Schlauch 
im  rechten  Arme  (das  rechte  Bein  trefflich  ge- 
arbeitet, vom  linken  der  untere  Theil  verloren 
gegangen ,  gewiß  zu  einer  Fontaine  gehörend) 
und  ein  todt  daliegender  Jüngling,  ein  Krieger, 
wie  man  annimmt,  ob  nicht  vielmehr  ein  Nio- 
bide  ?  Unter  den  an  der  Feusterwand  stehenden 
Statuen  mag  nur  die  eines  fragmentirten  (auch 
der  Kopf  fehlt)  Priapus  mit  Knäbchen  im  Schurze 
(Conze  S.  77*)  erwähnt  werden.  Abgesondert 
steht  in  der  Ecke  zumeist  nach  links  ein  flügel- 
loser Amor,  der  in  der  Linken  wohl  einen  Bo- 
gen hielt,  während  der  geöfi'nete  Köcher  am  Trone 
links  hängt.  • 

Auf  diesen  Raum  folgt  noch  ein  ähnlicher, 
der  aber  jetzt  den  Eindruck  einer  Rumpelkam- 
mer macht.  Auch  hier  findet  man  an  der  Fen- 
sterwand mehrere  Sculpturen  geringer  Dimensi- 
onen und  untergeordneter  Arbeit  ohne  Ordnung 
hingestellt:  eine  Fontana,  aus  Libarnia,  zu  ver- 


667 

gleichen  mit  einem  Werke  im  Vaticanischen 
Museum*);  einen  roh  gearbeiteten  sitzenden 
Panisken  mit  menschlichen  Ohren.  Der 
mit  der  rechten  Hand  die  Geberde  des  crnro- 
cxomifftv  macht,  ein  sehr  spätes  Werk,  \ne  der 
übermäßige  Gebrauch  des  Bohrers  zeigt,  Ter- 
muthlich  das  von  Schom  S.  4G6,  n.  5  erwähnte; 
einen  stehenden  Satyr  mit  Schlauch  auf  der  rechten 
Achsel  und  Pedum  im  linken  Arm  ;  eine  stehende 
verschleierte  weibliche  Gewandstatue  mit  Kopf 
aus  schwarzem  Marmor ;  eine  stehende  mit  Füll- 
horn und  eine  sitzende  verschleierte  auch  mit 
Füllhorn  im  linken  Arme,  die  zwei  letzteren 
^'erke  weit  unter  Lebensgröße. 

Steigen  wir  nun  zum  zweiten  Stockwerk  hin- 
aur,  so  gelangen  wir  zuerst  in  den  mittleren  der 
drei  großen,  reichbesetzten  Aegyptischen  Säle,  in 
welchem  sich  die  oben  S.  648  erwähnten  Grie- 
chischen bemalten  Vasen  und  Terracotten  befin- 
•den,  während  die  Bronzesachen  Griechisch-Römi- 
scher  Kunstübung  in  dem  Saale  rechts  von  dem 
Eintretenden  aufbewahrt  werden,  wo  auch  die 
Tabula  Isiaca  aufgestellt  ist.  Wir  wenden  uns 
dann  zu  dem  Aegyptischen  Saale  links,  ans  wel- 
chem der  Gang,  welcher  die  Assyrischen  und 
Cyprischen  Alterthümer  enthält,  zu  den  Räumen 
für  die  Griechisch-Römischen  Werke  führt. 

Noch  innerhalb  dieses  Durchganges,  gerade 
wo  links  und  rechts  je  eine  Thür  in  die  verschie- 
denen   einander  gegenüberliegenden  Räume  mit 

1)  Aehnliche  Brannenanfeitoe  rind  anch  ans  Pomp€Ji 
bekannt.  Ein  entspreeheode«  unter  den  Fanden  vonAven- 
ticom  Torkonmieiides  Geräth  (Barsian  Avent.  Helvet.  HL, 
S.  40  a.  Taf.  XII,  n.  9)  ist,  weil  die  in  verticaler  Bich- 
tong  gehende  Aashöhlocg  nicht  bis  so  dem  unteren  Elnde 
binabreicbt,  wohl  mit  Recht  als  Untetsats  für  eine  Am> 
pfaora  gelafii. 


668 


\ 


Griecliisch-Römisclien  Werken  fübrt,  findet  man 
die  Griechischen  und  Römischen  Glassachen  auf- 
gestellt, von  denen  natürlich  diese  weitaus  die 
zahlreichsten  sind. 

Unter  den  Glassachen  finden  sich,  abgesehen 
von  dem  zu  Millin's  Zeit  vorhandenen  und  von 
ihm  wegen  des  Interesses  für  sepulcrale  Alter- 
thümer  p.  264  hervorgehobenen  Stücke,  zwei  in 
kunsthistorischer  und  technischer  Hinsicht  beson-  m 
ders  beachtenswerthe ,  welche  dem  Museum  erst  H 
in  neuester  Zeit  zu  Theil  geworden  sind:  ein 
Gefäß  mit  der  Inschrift  QNNICVN  £noiQl  und 
ein  anderes  mit  Deckel  versehenes  ohne  den  Na- 
men des  Verfertigers ,  welches  durch  die  selte- 
nere Technik  sich  auszeichnet,  indem  es  gegos- 
sen und  dann  gedreht  ist,  Beide  sind  in  der 
Atti  der  Turiner  archäol.  Gesellsch.  abbildlich 
mitgetheilt  und  besprochen,  tav.  V  und  p.  101 
fg.  und  tav.  X,  n.  2,  u.  p.  199  fg.  Das  an  erster 
Stelle  erwähnte  Gefäß  (tassenförmig ,  mit  sehr 
eleganten  Henkeln,  von  azurblauer  Farbe)  ist  im 
Jahre  1873  gescheukweise  in  das  Museum  zu 
Turin  gekommen.  Es  wurde  zu  Caresana  im 
Gebiete  von  "Vercelli  gefunden,  zugleich  mit  ei* 
ner  Münze  des  Kaisers  Claudius,  und  ist  zuerst 
vom  Padre  Bruzza  Iscrizioni  ant.  Vercellesi,  Roma 
1814,  p.  375  besprochen.  Schon  früher  waren 
zwei  Gefäße ,  die  durch  Inschrift  als  Werke  des 
Ennion  bezeichnet  waren,  aus  oberitalischen  Fun- 
den bekannt,  das  von  Bagnolo  im  Brescianischen, 
im  Museum  zu  Modena,  welches  von  Cavedoni  in 
den  Ann.  d.  Inst,  di  corr.  arch.  Vol.  XVI ,  1874, 
besprochen  und  tav.  d'agg.  G,  abbildlich  mitge- 
getheilt  ist,  und  das  von  Borgo  S.  Douniuo,  wel- 
ches durch  Geschenk  in  das  Museum  zu  Parma 
kam^).     Jüngst,  im  Herbst  1875,  ist  ein  viertes 

1)  Ueber  das  Geiäßstück  von  Borgo  S.  Doimioo  be- 


669 

zu  Refrancore  gefnnden,    welches  in  den  Besitz 
Maggiora-Vergano's  kam  nnd  von  diesem  in  den 
Atti  a.  a.  0.    des  Textes    und   tav.  X,  n.  1    be- 
handelt und  herausgegeben  ist,  auf  welcher  Tafel 
auch    Abbildungen    der    beiden    anderen    Gefäße 
Eunion's  aus  Oberitalien  gegeben  sind.     Das  Ge- 
fäß von  Refrancore  gleicht,   was  Form    und  Di- 
mensionen anbetrifft,    wesentlich  dem  von  Care- 
sana,  ist  aber  von  meergrüner  Farbe  und  weicht 
auch  in  Betreff  der  Inschrift  ab.     Auf  der  einen 
Seite  steht  nämlich  mit  dem  Stempel  eingedrückt: 
QNNICUN^nOIHCQN.SiufdeT  anderen:  iy.\H&H 
O  ArOPAZa^iS,    also   wie   auf  dem  Gefäß  von 
Bagnolo,  nur  daß  hier  die  beiden  letzten  Buchsta- 
ben des  letzten  Wortes  versetzt  sind.    QUOIHC^N 
findet  sich  auch  auf  dem  Gefäß  von  Borgo  S.  Donnino, 
QnOIQI  auf  dem  aus  derKrimm  in  der  Petersbur- 
ger Ermitage (Antiq.  du  Bosph.  Cimmer.  pl.  88).  Die 
zweite  Inschrift  kommt  auch  auf  einem  auf  Ky- 
pros  gefundenen  Glasgefäße  vor  (nur  daß  statt  des 
Z  des  dritten  Wortes  ein  S  steht),  dessen  andere 
Inschrift    QNNICUN  QüO  6  lautet.      Eine  ganz 
ähnliche  Inschrift,    MNHC&H  O  ArOPACAG, 
zeigt  sich  auf  einem  auch  auf  Kypros  gefundenen 
Glasgefäße,  dessen  andere  Inschrift  einen  Meges 
als    Verfertiger    nennt:    MEFHC    ^DOIHC^N. 
Vgl.  Colonna  Ceccaldi  in   der  Rev.   archeol.  Fr., 
N.  S.,  XXIX,  p.  99  fg.     Bekanntlich  hat  Cave- 
doni  a.  a.  0.  die  Inschrift  des  Gefäßes  von  Bag- 
nolo gedeutet:  .uviyff^^  o  ayogä^cäv ,  »emens  me- 
minerit«,  was  Brunn  Gesch.  d.  Griech.  Künstler 
n,  S.  744  ohne  Bedenken  annimmt.     Das  C  ist 
als  vierter  Buchstabe    des    ersten   Wortes   jetzt 

richtet  G.  Mariotti  an  Fabretti,  che  il  frammento  presenta 
nn  aspetto  opalizzante  e  iridescente ,  variando  dal  color 
rosso  al  giallo  d'oro :  rigoardato  contro  la  luce  ofire  un 
bellijBsimo  colore  azzarro. 

57 


670 

bestätigt.     Inzwischen  befremdet  der  Conjunctiv. 
Man  erwartete  vielmehr:  fjtvijad^tjtci). 

Wendet  man  sich  von  dem  Durchgang  aus 
nach  links,  so  gelangt  man  in  einen  Saal,  welcher 
für  die  kleineren  Marmorsculpturen  bestimmt,  aber 
noch  nicht  vollständig  eingerichtet  ist.  An  der 
Fensterwand  stehen  Büsten  Römischer  Kaiser, 
unter  ihnen  auch  die  eines  Vitellius,  welche 
ebenso  wenig  echt  zu  sein  scheint  wie  andere 
in  oberitalischen  Museen  befindliche,  obgleich 
Schorn  S.  461  an  der  Echtheit  nicht  zweifelt.  In 
der  Ecke  links  vom  Eingange  ist  ein  höchst  in- 
teressanter, im  Jahre  1839  zu  Alba  Pompeja  aufge- 
fundener und  seit  1841  durch  Schenkung  König 
Carl  Alberts  dem  Museum  gehörender  überlebens- 
großer weiblicher  Kopf  aufgestellt,  den  man  frü- 
her für  den  einer  Venus  hielt  und  weil  er  in- 
wendig hohl  und  nach  hinten  in  der  Mitte  von 
oben  bis  unten  ein  wenig  geöfi'uet  ist  und  einen 
stark  geöffneten  Mund  hat,  als  an  einem  Was- 
serwerke angebracht  betrachtete,  während  Erm. 
Ferrero,  der  ihn  in  den  obenerwähnten  Atti  tav. 
XVII  in  guter  Abbildung  herausgegeben  und  p. 
315  fg.  eingehend  besprochen  hat,  gewiß  mit 
Recht  der  Ansicht  ist ,  daß  er  zur  Decoration 
eines  Bauwerkes  diente,  und  annimmt,  daß  er 
der  einer  Niobe  sein  solle.  Obgleich  diese  An- 
nahme schon  von  Carlo  Promis  gehegt  und  mir 
selbstständig  von  einem  Mitbeschauer  geäußert 
wurde,  wage  ich  doch  nicht,  mich  für  dieselbe 
zu  entscheiden.  Vielleicht  spricht  selbst  der 
äußerliche  Umstand ,  daß  der  Kopf  mit  einer 
Stephane  geschmückt  ist,  gegen  Niobe ^).      Ein 

1)  Nachträglich  sehe  ich  aus  H.  Hettner's  Verzeichn. 
äes  K.  Mus.  der  Gypsabpüsse  zu  Dresden  ,  dritte  Aufl., 
1872,   S.  98,  D.  118,   d&ß  sich  zu  Dr.  ein  Abgoß  des  in 


671 

anderer,  schon  länger  bekannter  größerer  Kopf 
ist  provisorisch  nebst  anderen  in  der  Mitte  des 
Saales  aufgestellt,  wo  auch  die  Kachbildung  eines 
Sardinischen  Nuraghen  Platz  gefunden  hat.  Es 
ist  die  Rede  von  jenem  Kopfe  des  Cyclopen 
Polyphem,  welchen  schon  Schorn  S.  467  kurz 
beschrieben  hat ,  zu  dessen  Bemerkungen  noch 
hinzugefügt  werden  kann,  daß  der  Hinterkopf  er- 
gänzt, das  Haar  über  der  Stirn  aufgesträubt  und 
die  Nase,  welche  an  der  linken  Seite  und  vorn 
etwas  gelitten  hat,  stumpf  ist,  die  Ohren  spitz 
sind,  auch  die  Bekränzung  anscheinend  Bacchisch 
ist. 

An  den  beiden  Schmalseiten  und  an  der  einen 
Langseite  des  Saales  sind  in  Glasschränken  zahl- 
reiche kleinere  Rundwerke  und  Reliefs  zusam- 
mengestellt, unter  denen  sich  gar  manches  ver- 
dächtige oder  offenbar  unechte  Stück  findet. 
Unter  den  Rundwerken  befinden  sich  zwei  durch 
Vortrefflichkeit  der  Arbeit  ausgezeichnete:  eine 
kleine  Wiederholung  des  bekannten  Eros  von 
Centocelle  (Mus.  Pio-Clement.  I.  12,  Denkm.  d. 
a.  Kunst,  I,  35,  144),  und  die  Statuette  einer 
Minerva,  an  welcher  das  Nackte  aus  schwarzem 
Stein,  das  Gewand  und  die  Aegis  aus  Alabaster 
gearbeitet  ist.  Auch  Schorn  hebt  S.  467  beide 
Stücke  hervor.  Ist  das  erstgenannte  Werk 
antik,  wie  es  scheint,  so  verdient  es  alle  Beach- 
tung. Zu  den  in  gegenständlicher  Hinsicht  interes- 
santen Rundwerken  gehört  eine  kleine  Darstellung 
der  dreiförmigen  Hekate,  mit  abgebrochenen 
Köpfen  und  ohne  Attribute,  und  ein  kleiner 
Kopf  mit  Stierhörnern ,  der  mit  Epheu  und 
Weintrauben    bekränzt   ist,    außerdem   oben   an 

Rede  stehenden  Kopfes   befindet  nnd  daß  Hettner  diesen 
mit  hinzugefügtem  Fragezeichen  auf  Niobe  bezog. 

57* 


672 

der  Stirn  eine  Binde  sehen  läßt  und  hinten  am 
Unterkopf  einen  Haarknauf,  entweder  Bacchus 
oder  —  was  vielleicht  noch  wahrscheinlicher  — 
eine  Bacchantin  darstellend.  Unter  den  Reliefs 
heben  wir  vier  hervor :  eins  mit  Bacchischen 
Masken,  ein  anderes  mit  zwei  Bacchantinnen, 
welche,  die  eine  mit  dem  Vordertheil,  die  andere 
mit  dem  Hintertheil  eines  Rehes  nach  entgegen- 
gesetzten Seiten  hin  sich  bewegen,  ein  drittes 
mit  einem  nackten  jungen  Manu,  der  die  Rosse 
einer  von  rechts  heran  sprengenden  Quadriga 
vor  einer  Säule ,  auf  welcher  ein  Gefäß  steht, 
anzuhalten  bestrebt  ist,  endlich  ein  viertes, 
ganz  besonders  interessantes,  welches  in  land- 
schaftlicher Umgebung  eine  Liebesscene  zwischen 
Polyphem  und  Galathea  darstellt.  Die  beiden 
ersten  Reliefs  sind  schon  vorlängst  abbildlich 
bekannt  gemacht,  das  erste  bei  Rivautella  und 
Ricolvi  I,  83,  bei  Maffei  CCXXIII,  das  zweite 
bei  jenem  I,  75,  bei  diesem  CCXV,  5.  Das 
dritte  Relief  erregte  auch  Conze's  Aufmerksam- 
keit, dessen  kurzer  Besprechung  auf  S.  76*  fg. 
ich  im  Wesentlichen  nur  beistimmen  kann.  Für 
das  vierte  darf  ich  ganz  auf  die  eingehende  Be- 
handlung durch  Heibig  in  dem  Bullett.  d.  Inst. 
arch.  1873,  p.  138  fg.  verweisen.  Beachtung 
verdient  etwa  auch  ein  zwischen  zweien  der 
Glasschränke  an  die  Wand  angelehntes  fragmen- 
tirtes  Relief  von  etwas  größeren  Dimensionen, 
einen  bärtigen  Satyr,  der  auf  einer  (sehr  dünnen) 
Doppelflöte  bläst,  darstellend. 

Zu  den  übrigen  Räumen  mit  Griechisch-Rö- 
mischen  Bildwerken  gelangt  man,  wenn  man  in 
den  erwähnten  Gang  sich  zurück  begiebt  und 
die  entgegengesetzte  Richtung  einschlägt. 

Der  erste  Saal  dieser  Seite  ist  der  hauptsäch- 
lich für  die  Vasen,  bemalte  und  unbemalte  Etrus- 


I 


673 

kische  und  Römische  (unter  denen  einige  von 
Pollenza  besonders  beachtensn'erth  sind  und 
mehrere,  namentlich  zu  Turin  ausgegrabene  durch 
die  Namensinschriften  Interesse  bieten,  welche  Ar. 
Pabretti  in  den  Mem.  dell'  Accad.  di  Torino, 
Ser.  II,  T.  XXVII,  1873,  sc.  mor.  istor.  e  filol., 
p.  381  fg.,  n.  3 — 12  u.  tav.  1  herausgegeben 
hat),  auch  für  andere  Thonsachen  bestimmte. 

Von  den  letzten  sei  hier  nur  ein  eigenthüm- 
liches  Stück,  ein  Ikosaeder  aus  smaltirter  Terra- 
cotta  erwähnt,  auf  dessen  zwanzig  Flächen  eben 
so  viele  verschiedene  Buchstaben  des  Griechi- 
schen Alphabet  in  Majuskelschrift  stehen. 
Sollte  das  Stück  etwa  beim  Unterricht  gedient 
haben? 

Der  numerisch  bedeutendste  Theil  der  be- 
malten Thongefäße  (mehr  als  900),  zugleich  der- 
jenige, welcher  die  durch  ihre  Dimensionen  her- 
vorragenden Stücke  enthält,  ist  durch  Ankauf 
von  dem  Sardinischen  Capitain  Moschini  im  J. 
1828  erworben,  der  in  Unteritalien  sammelte. 
Mehrere  dieser  Vasen  erregen  betreffs  der  Echt- 
heit Verdacht.  Einige  hat  Gerhard  besprochen 
und  herausgegeben,  ohne  von  der  Unzuverlässig- 
keit  des  durch  Moschini  Zusammengebrachten 
eine  Ahnung  zu  haben  (zu  dem  auch  jenes  von 
Couze  a.  a.  0.  S.  76*  mit  vollstem  Rechte  ver- 
dammte Thonrelief  gehört);  vgl.  Gerhard's  Rap- 
porto  Volcente  in  den  Annali  d.  Inst.  arch.  Vol. 
III,  p.  139,  n.  213,  und  Text  zu  den  ant.  Bildw. 
S.  202,  Anm.  13,  ferner  Vases  Grecs  rela- 
•tivs  aux  Mysteres,  pl.V  u.  VI,  und  Text  zu  den 
ant.  Bildw.  S.  379  fg. ,  endlich  Ges.  Abhandlun- 
gen S.  228  u.  Taf.  XXI,  n.  1—3.  Andere  be- 
malte oder  mit  Reliefs  geschmückte  Vasen  aus 
Etruskischen  Fundorten  (Corneto,  Vulci,  Bomarzo, 
Chiusi),  wurden  etwa  zwanzig  Jahre  nachher  und 


074 

später  durch  Kauf  orworben.  Die  jünj^sto  grö- 
IJoro  lOrworbuiif^  bostcjht  in  hundert  schwarzen 
ChiuHinischen  Vasen  von  den  yerschiedensten 
Kornion  (uiicli  zwei  Kanopon  sind  darunter),  die 
meist  mit  Iu^HoIh  vcn-Hohen  sind.  Zudem  besaß, 
wie  aus  Schorn's  IJericht  S.  402  hervorgeht,  das 
Muscuim  Hchou  vor  1 828  b(Hnaltü  Vasen,  worunter 
viehi  ausNoapcd,  aberinoist  rohe  und  unbedeutende. 

Die  grölSoren  bernaitfui  Vasen  sind  auf  be- 
Bonderen  Postamenten  aufgestellt,  die  kleineren 
in  (ilass(!hrilnlcen,  welche  an  den  beiden  schmalen 
Wänden  und  der  der  Fonsterwand  gegenüberlie- 
g(Mi(l(Mi  langen  stehen,  eine  Auswahl  in  einem 
besonderen  Glasschranke. 

Unter  den  in  Glasschränken  an  der  langen 
Wand  befindlichen  bemalten  Vasen  zeichnet  sich 
ein  Krat(?r  mit  der  Darstellung  von  Dionysos 
und  seinen  Thiasoten  in  röthlichon  Figuren  hin- 
sichtlich seiner  künstlerichen  Ausführung  aus. 
Im  demselben  Schranke  befindet  sich  ein  Krater 
mit  blaliröthlichen  Figuren  von  geringerem 
künsthiriseheu  Werth,  aber  von  gegenständlichem 
Interesse.  In  der  Mitte  der  bildlichen  Darstel- 
lung gewahrt  man  eine  Ära  mit  Giebel  und 
horabhängenden  Wollenbinden,  etwas  tiefer  si- 
tzend rechts  Athena  mit  Lanzo  und  Schild  in 
den  Händen  und  einen  Helm  auf  dem  Haupte, 
welcher  mit  zwei  Federn  geschmückt  ist,  und 
links  ihr  gegenüber  eine  weibliche  Göttin  in 
Chiton  mit  IJeborschlag  und  im  Himation  mit 
einem  Kalathos  auf  dem,  wie  es  scheint,  hinten 
mit  einer  Haube  bedeckten  Kopfe ,  in  der  ge- 
senkton Rechten  einen  Kranz,  in  der  Linken  ein 
Sceptor  haltend,  Hera  oder  wohl  eher  Aphrodite. 
Kranz,  Scepter ,  Federn ,  Binden  und  einige  De- 
tails an  der  Ära  haben  weiße  Befärbung.  Dann 
ist  noch  eine  Kelebe  mit  gelblichen  Figuren  un« 


675 

tergeordneter  Aaafnhrnng  wegen  des  dargegtellten 
Gegengtandes  beachtenswerth :  Herakles  und 
ApoUon  um  den  Dreifuß  streitend.  Jener,  auf 
dessen  Rücken  die  Löwenhaut,  deren  Kopftheil 
auf  seinem  Kopfe  liegt,  herabfallt,  hebt  mit  der 
Rechten  die  Keule,  indem  er  den  Dreifuß  an 
dem  ihm  zugewendeten  Fuße  faßt;  auch  der  ver- 
hältnißmäflig  kurzhaarige  Apollon  hält  den  Drei- 
fuß, setzt  sich  aber  nicht  zur  Wehre,  sondern 
hält  mit  der  gesenkten  Hand  des  linken  Armes 
um  den  ein  shawlähnliches  Gewand  geschlungen 
ist,  den  Bogen.  Die  Vase  fehlt  unter  denen  mit 
der  Darstellung  des  Dreifußraubes  in  rothen  oder 
gelben  Figuren,  welche  Welcker  A.  Deukm.  III, 
Ö.  282  fg.  verzeichnet  hat. 

Unter  den  Thongefäßen  in  dem  nicht  an  ei- 
ner der  Wände  aufgestellten  Glasschranke  be- 
findet sich  jenes  durch  seine  Form  und  seine  In- 
schriften merkwürdige  aas  Bomarzo  stammende  mit 
dem  Namen  des  Vasenmalers  Euthymides,  welches 
früher  im  Besitz  eines  Hrn  Bazzichelli  zu  Viterbo 
war  und  von  Klügmann  in  den  Annal.  d.  Inst, 
di  corresp.  arch.  Vol.  XLII,  tav.  d'agg.  0,  P 
herausgegeben  und  p.  267  fg.  besprochen  ist. 
Eine  andere,  aus  Vulci  stammende  bemalte  Vase, 
eine  Trinkschale,  wird  bald  von  Fabretti  veröf- 
fentlicht werden.  Sie  i^t  auch  in  gegenständli- 
cher Hinsicht  von  besonderem  Interesse  durch 
Darstellungen  aus  dem  Kreise  der  Gymnastik  an 
ihrer  Außenseite,  unter  denen  namentlich  zwei 
Beachtung  verdienen,  deren  eine  zwei  Agonisten 
zeigt,  welche  den  Rücken  an  einander  gestemmt 
haben ,  während  die  andere  an  vom  ßacchischen 
Kreise  her  bekannte  Schlauchtänze  erinnert. 
Ein  drittes  Geföß  aus  einem  dritten  Etruskischen 
Fundorte,  Chiusi ,  wiederum  eine  Schale,  aber 
von   geringere»   Dimensionen  als  die   eben    er- 


676 

wähnte,  zeigt  als  Innenbild  mit  gelblicheren  Fi- 
guren Semele  den  kleineren  Dionysos  küssend. 
Dieser,  der  fast  in  der  Vorderansicht  dargestellt 
ist,  hält  in  der  Rechten  den  Thyrsos  und  das 
hinabgefallene  Gewand;  sein  linker  Arm  liegt 
nebst  der  Hand  hinter  dem  Kopfe  der  Semele, 
deren  Arme  vor  dem  Leibe  des  Sohnes  mit  über- 
geschlagenen Händen  erscheinen.  Rechts  von 
Dionysos  (links  vom  Beschauer)  steht  ApoUon, 
mit  einem  um  den  Unterkörper  geschlagenen 
Himation  angethan,  das  linke  Bein  auf  einen 
hohen  Stein  setzend,  auf  das  Knie  dieses  Beines 
den  linken  Unterarm  stützend ,  auf  dessen  Hand 
die  linke  Backe  des  etwas  geneigten  Hauptes 
ruht.  Rechts  vom  Beschauer  auf  der  Seite  der 
Semele  steht  ein  von  dem  um  den  linken  Arm 
geschlungenen  Gewände  entblößtes,  mit  einem 
Halsband  geschmücktes  und  mit  Schuhen  (welche 
man  auch  an  den  Figuren  des  Dionysos  und 
der  Semele  gewahrt)  bekleidetes  Weib,  welches 
in  der  Linken  ein  Gefäß  von  der  Form  des  Ala- 
bastron  hält  und  die  Rechte  gegen  den  Kopf 
der  (ihm  übrigens  den  Rücken  zukehrenden)  Se- 
mele gehoben  hat,  indem  es  auch  den  Blick 
auf  diese  richtet.  Ich  brauche  nicht  zu  sagen, 
daß  dieses  interessante  Bild  zunächst  mit  dem 
des  berühmten  Spiegels  in  den  Denkm.  d.  a.  K. 
I,  61,  308  zusammenzustellen  ist.  Sollte  die 
an  letzter  Stelle  besprochene  weibliche  Figur 
etwa  eine  Charis  darstellen  ? 

An  der  Fensterwand  des  in  Rede  stehenden 
Saales  sind  einige  Vasen  ohne  Firniss  und  Male- 
rei von  Cascinetta  und  die  Ausbeute  an  gleich- 
falls nicht  bemalten  Vasen  und  anderen  Gegen- 
ständen aus  den  Ausgrabungen  von  Castelletto 
in  Schränken  aufgestellt,  zwischen  welchen  sich 
zwei   Nachbildungen    von   Gräbern    aus    diesem 


677 

Orte  befinden.  Unter  den  hier  ausgegrabenen 
Gegenständen  nimmt  besonderes  Interesse  in  An- 
spruch ein  mit  einem  Henkel  versehener  hori- 
zontal geriefelter  Bronzekübel  derselben  Art, 
welche  von  einigen  Gelehrten  der  Römischen 
oder  nachrömischen  Epoche  zugeschrieben  wird, 
aber  auch  in  den  Malereien  unteritalischer  Va- 
senbilder bei  Bacchischen  Scenen  vorkommt. 

Oben  auf  den  Schränken  dieses  Saales  ste- 
hen größere  Wein-  und-  Oel- Gefäße  Römischer 
Arbeit. 

In  den  Fußboden  desselben  Saales  sind  die 
vor  einiger  Zeit  zu  Acqui  gefundenen  Mosaiks 
eingelegt,  von  denen  ein  Theil  dem  Mittelalter 
angehört,  ein  anderer  aber,  wenigstens  nach  Fa- 
bretti's  Ansicht,  dem  zweiten  oder  dritten  Jahr- 
hundert unserer  Aera.  Die  Arbeit  auch  dieses 
Mosaiks  ist  roh,  mit  schwarzen  Figuren  auf  weißem 
Grunde.  In  gegenständlicher  Hinsicht  ist  es  sehr 
eigeuthümlich.  Der  Beschauer  gewahrt  zumeist 
nach  links  einen  sich  umblickenden  geflügelten 
bärtigen  Mann,  der  einigermaßen  an  den  Etrus- 
kischen  Charun  erinnert,  dann  einen  Bogenschü- 
tzen, welcher  abgeschossen  hat;  der  Pfeil  sitzt 
im  Höcker  des  darauf  folgenden  Dromedars,  wel- 
cher von  einem  Manne  geführt  wird ,  der  eine 
Lanze  in  der  Linken  hält;  zumeist  nach  rechts 
ein  nach  links  hingewendeter  Drache. 

Der  nun  folgende  Saal  ist  bis  auf  einen 
Schrank  mit  Etruskischen  Todtenköpfen  den  Me- 
tallsachen gewidmet. 

Die  Aufstellung  entspricht  der  im  Yasensaal 
insofern,  als  die  wenigen  besonders  hervorragen- 
den Stücke  von  etwas  bedeutenderen  Dimensio- 
nen ,  wie  die  in  dem  Sturzbach  Versa  bei  Stra- 
della  gefundene,  bis  auf  den  kleinen  Finger  der 
linken     Hand     vollständig     erhaltene     Minerva 


678 


(Clarac  Mus.  de  sc.  pl.  469,  E,   n.  848  ,   em 
etwa  lebensgroßer   schöner  Br<?f f  ^^^Pf.^^^f.  ^";^: 
gula,    die    meisterhaft    gearbeiete  Statuette  des 
Silen    aus  Industria   (Clarac.  pl.  719      n.  1751) 
und   der   ausgezeichnete,   1745    gefundene      von 
Miliin  S.  269  kurz   erwähnte,    ^«n  Barucchi    m 
den  Mem.   dell' Accad.   di  Torino  Tom.  XXXIII, 
182Q     Gl   di  sc.  mor.,    stör,  e  hlol.,  p.  iöö  ig. 
ausführlich  besprochene   und    ^^l^i??! j.«!  »j  ff; 
theilte  Stabdreifuß  von  Bronze   (m>t  4™  bidli- 
cheu  Schmucke  eines  Pan     einer  Sphin^,    einer 
auf  der  Kueel  stehenden  Victona,    endlich,    zu 
Oberst     S  epheubekränzten  Hermenfigur  des 
Barhüs  an  jede'm  der  drei  Füße)  auf  besonderen 
Postamenten    stehen,     die  übrigen    Gege°ätande 
aber  in  Glaschränken   an  den  vier  Wanden  des 
Saales  untergebracht  sind.      Man  hat  ,n  diesem 
alle   verschiedenen  Gegenstände   aus  MeU     Ter 
einifft   auch  die  Inschrift -Tafeln    und  Tafelchen 
aus  Bronze,   unter   denen   sich  bekanntlich  sehr 
Ltereslte'  befinden.     Daß  unter  den  Metallen 
die  Bronze  durchaas  dominirt,  versteht  s.ch  von 
selbst       Doch    sind   auch  mehrere  eegenstande 
lussliber  vorhanden.    Ebenso  selbstverstandlidi 
ist   es,    daß  der  überwiegend  größte  1  heil   der 
Werke    dem  Griechisch  -  Römischen  Kunst-  und 
Handwerksbereiche   anheimfallt,    wenn   es  auch 
"n  ienen  rohen  Idolen  von  der  Insel  Sardinien  und 
«ntirden  nicht  figürlichen  Werken  au   solcheu 
Stechen,  namentlich  Etruskischen    Kunstteß 
nicht  fehlt,    wie  denn  aus  der  letzten  Kategorie 
üne    pater;    etrusque    eu    .t™uzeven,i   schon 
Zr  Zeit  der  ersten  Französischen  Republik    der 
üeberftthrung  nach   Paris    «'    '™;<^|S  f-'f  ^'1 
wurde   die  später  wieder  zurückerstattet  ist,  und 
Tm  Mnseum^lOch  im  Jahre  1871  außer  anderen 
Sen  aus  Vulci  z.B.  ein  Dreifuß  «nd  ein  Sieb 


679 

{rid-fi6<;)  Ton  trefflicher  Arbeit  und  vollkommener 
Erhaltung  zu  Theil  geworden  ist. 

Um  zunächst  die  Werke  von  Silber  zu  be- 
rühren, 80  erwähnt  Schorn  S.  467  eine  »schöne 
Büste  der  Octavia«  ,  die  mir  entgangen  ist,  wo- 
gegen eine  niedliche  Statuette  des  Bonus  Even- 
tus  mit  den  gewöhnlichen  Attributen  meine 
Aufmerksamkeit  auf  sich  zog.  Belangreicher  ist 
eine  Anzahl  von  silbernen,  mit  figürlichen  Dar- 
stellungen am  GriflF  und  mit  Inschriften,  welche 
den  Namen  des  Besitzers  enthalten ,  versehener 
Casserolen  *).  An  dem  Griffe  findet  sich  wiederholt 
die  ganze  Figur  oder  die  Büste  Mercurs,  meist 
in  Relief,  einmal  aber,  und  zwar  in  besonders 
wohl  gelungener  Ausführung  der  ganzen  Figur, 
in  eingegrabener  Zeichnung.  Einmal  gewahrt 
man  neben  Mercur  ein  Knäbchen  anf  einem 
säulenähnlichen  Cippus,  darunter  Masken  und 
Thiere ,  also  doch  wohl  Bacchus.  Ein  paar 
Male  erscheint  bei  Mercur  der  sonst  nicht  eben 
häufig  vorkommende  Bock.  Auf  dem  Griffe 
einer  Caseerole  ist  der  nackte  stehende  Jupiter 
mit  Scepter  in  der  Rechten  und  Blitz  in 
der  Linken  als  Relieffigur  zu  sehen,  darüber 
der  Adler ,  zwei  arae  und  der  Blitz.  Auch 
die  Büste  der  Fortuna  mit  Füllhorn  kommt 
als  Reliefschmuck  des  Griffes  einer  Casserole  vor. 
Ein  silberner  Trinkbecher  von  rundlicher  Form 
ist  mit  einem  Amazonenkampf  in  Relief  verziert. 
Er  wurde   nicht,    wie  Miliin   angiebt,    auf  dem 

1)  Diese  Inschriften ,  welche  Fabretti  in  den  Mem. 
dell'  Accad.  di  Torino  a.  a.  0.  p.  382  fg.,  n.  18—21 
nndtav.  1  u.  2  bekannt  gemacht  hat,  werden  nebst  anderen 
des  Turiner  Museums  wohl  von  Th.  Mommsen  in  dem 
letzten  Bande  des  Corp.  Inscr.  lat.  herausgegeben  sein, 
der  zu  meinem  Bedauern  noch  nicht  nach  Göttingen  ge- 
langt ist. 


680 

Boden  des  alten  Industria,  sondern  zwischen  die- 
sem und  dem  des  alten  Veruea  im  Po  gefunden 
und  ist  von  Tarin  in  den  Mem.  de  l'Ac.  de  Tu- 
rin pour  les  ann.  XII  et  XIII,  Litt,  et  beaux- 
Arts,  An.  XIII,  1805,  besprochen  und  abbildlich 
mitgetheilt.  Die  Composition  besteht  in  zwei 
symmetrischen  Gruppen:  Hercules  mit  Löwenhaut 
und  Keule,  rechts  von  einer  tempelähulichen 
Baulichkeit  auf  einer  kleinen  Anhöhe,  an  deren 
Front  man  nur  drei  Säulen  gewahrt,  doch  wohl 
zur  Andeutung  von  Themiskyra,  dem  Beschauer 
den  Rücken  zukehrend,  in  siegreichem  Kampfe 
gegen  eine  Amazone  (Hippolyte),  der  eine  andere 
zu  Hülfe  eilt,  und  ein  uu bärtiger  behelmter 
Grieche,  auch  im  Kampfe  mit  einer  Amazone, 
dem  ein  unbärtiger  Mann  zu  Roß  (mit  eigenthüm- 
lichem  Helm  und  bis  auf  ein  den  Körper  bloß 
lassendes  Gewand  unbekleidet)  Unterstützung 
bringt.  Auf  dem  Rande  einer  kleinen,  ovalen 
Schüssel  sind  Thiere,  Masken  und  Bacchische 
Instrumente   als  Reliefverzierung  angebracht. 

Wenden  wir  uns  nun  zu  den  Bronzesachen, 
unter  denen  es  außer  den  schon  erwähnten 
manche  Geräthe  und  Gefäße  giebt  und  in  tech- 
nischer Hinsicht  die  eingelegte  Arbeit  an  Waf- 
fenstücken aus  Industria  besonders  beachtenswerth 
ist,  so  wollen  wir  nur  noch  einige  figürliche 
Darstellungen  etwas  genauer  besprechen.  Unter 
diesen  nehmen  die  schon  erwähnte  Minerva  und 
mehrere  Sachen  aus  Industria  das  Interesse  ganz 
besonders  in  Anspruch. 

Jene,  obgleich  nur  ein  Werk  von  geringen 
Dimensionen  (0,70  Meter  Höhe),  der  Römischen 
Kunstepoche  angehörig,  durch  Oxydation  stark 
beeinträchtigt,  hat  doch  bedeutenden  Belnng  als 
eine  der  vollkommensten  Nachbildungen  der  Par- 
thenos  des  Pheidias,   abgesehen  von  dem  Helm- 


681 

sclimuck  und  der  Form  der  Acgis.  Die  Äbbil- 
dimg  bei  Clarac  a.  a.  0.  ist  nicht  ganz  getren. 
So  sieht  man  z.  B.  von  den  beiden  auf  dieser 
deutlich  dargestellten  Fußspitzen  nichts ,  wohl 
aber  ist  an  der  linken  Seite  der  Figur  unt^n 
in  der  Gegend  des  linken  Beines  das  Gewand  in 
einer  Weise  gehoben,  die  man  sich  zunächst  aus 
dem  Umstände  erklären  wird,  daß  dasselbe  an  der 
betreffenden  Stelle  auf  dem  linken  Fnße  liege. 
Arme  und  Hände  werden  so  gehalten,  daß  man 
nicht  wohl  umhin  kann  anzunehmen ,  auf  der 
rechten  Hand  habe  die  Nike  gestanden  und  die 
linke  sei  anf  den  oberen  Schildrand  gelegt  ge- 
wesen. Dennoch  gewahrt  man  auf  der  inneren 
Fläche  der  rechten  Hand  keine  Spur  eine«  von 
dieser  getragenen  Gegenstandes  und  ebensowenig 
läßt  sich  an  der  linken  Hand  oder  an  dem  Po- 
stamente eine  Spur  von  dem  Schilde  bemerken, 
das  zudem  offenbar  auf  dem  Postamente  gar 
keinen  Platz  haben  konnte.  So  scheint  es  in 
der  That,  als  habe  der  Künstler  sich  begnügt, 
Nike  und  Schild  nur  durch  die  Haltung  der 
Hände  anzudeuten. 

Von  den  Werken  aus  Industria  mag  an  er- 
ster Stelle  der  ebenfalls  schon  erwähnte  Silen 
berücksichtigt  werden.  Die  Abbildung  bei  Cla- 
rac a.  a.  0.  zeigt  diese  nicht  die  halbe  natür- 
liche Grösse  erreichende  Statuette  in  dem  Zu- 
stande, in  welchem  sie  aufgefunden  wurde;  spä- 
ter sind  die  beiden  Arme  nach  einander  durch 
Zufall  entdeckt  und  angesetzt,  nachdem  sie  dem 
Museum  von  dem  Britischen  Gesandten  Hudson 
und  von  A.  Castellani  überlassen  waren.  So 
fehlt  der  knieenden  Figur  nur  das  rechte  Bein 
und  ein  Theil  des  Schwänzchens  hinten.  Die 
Angen  sind  ganz  hohl,  auch  in  dem  ziemlich 
weit  geöffneten  Munde  gewahrt  man  keine  Spur 


682 


^«.  Zahnfleisch,   Zähnen,   Znnge      Die   rechte 
Hand  faßt  einen  Gegenstand,   welchen  Co nze  b.    1 
^4*    gewiß  mit  Unrecht  als  >Zweig«  bezeichnet. 
Man  prüfe  einmal  genauer,   ob  sich   an  ein  in- 
strument    znm    Einerndten  Yon    Baumfruchten 
namentlich,  ob  sich  an  eine  Sichel  denken  laßt 
Ser  linke  Arm  der  Figur  streckt  sich  ^ach  dem 
Gegenstande  aus,    welchen  di^se,    wie   deutliche 
Süuren  zeigen,    auf    dem    Rucken    trug.      Die- 
serOegensLd    war.  aber   sicherlich    entweder 
ein  Schlauch    oder    ein  Ranzen   aus  Fell.      Wer 
den  Gegenstand  in  der  Linken  des  Silen  as  Ei- 
chel gelten  läßt,  wird  sich  wohl  eher  die  letztere 
Annahme  gefallen  lassen,  wonach  man  sich  den 
tanzen  als  mit  Trauben    gefüllt   zu  denken  ha- 
ben  würde.     Daß   aber  Silen  und  die  Silene  als 
Winzer  gedacht  wurden,  ist  zur  Genüge  bekannt. 
Ihnen  steht  also  die  Sichel   eben  so  gut  zu,  wie 
dem  Pan   und   den   Panisken    (s.   die   Comment 
de  Pane   et  Paniscis   atque  Satyris   cornutis   im 
Ind    schol.   in  Acad.  Georgia  Augusta  per  sem. 
aest   MDCCLXXV  habend.,    p.  21  sq.,   adn.  8). 
Auch   fehlt   es  hierfür   nicht    an  Beispielen   aut 
Bildwerken.     Wir  wollen  hier  nur  auf  ein s  aut- 
merksam   machen.     In   meinen  Denkm    d.  a^  K 
II    35,  409  ist  eine  Bronzemunze  von  Laodikeia 
in'Phrygien  nach  Eckhel  Vet.  num.  anecd.  t.  XiV, 
^12  wiederholt,   in   deren    Typus    man  früher 
den  kleinen  Dionysos    auf  dem    Arme   des  Zeus 
erkennen  zu  können  vermeinte.     Aber  schon  Ste- 
phani    bemerkte   im  Compte   rendu   de   la  com- 
Lss.  Imper.    arch.    de   St..Petersbourg   Q^^^^ 
ann    1861    p.  18,    daß    kein    alter  Schrittsteliei 
dem  Könii    der  Götter   die  Pflege  des  Dionysos 
beUege      und  wollte  deshalb  anstatt  Zeus    Silei 
erkann    wessen.     Diese  Deutung  trifft  ohne  Zwei- 
Li  das  Richtige.     Freilich  hält  J.  Fnedlaendei 


083 

Ml  Sallet's  Zeitschrift  für  Nnmismatik  Bd.  II, 
S.  108,  da  eine  andere  Münze  derselben  Stadt 
mit  dem  gleichen  Typus  deutlich  zeigt,  daß  »der 
Manu  in  der  Rechten  eine  Harpe  hält«,  es 
für  ausgemacht,  daß  >Saturn  mit  dem  kleinen 
Zeus€  dargestellt  sei.  Daß  aber  jener  nicht  ge- 
meint sein  kann ,  wird  einem  jeden  Kenner  der 
Kunstmythologie  einleuchten.  Die  Sichel  bestä- 
tigt vielmehr  die  Deutung  auf  den  Silen. 

Von  den  in  Glasschränken  aufgestellten  Sta- 
tuetten erwähnen  wir  zuerst  die  sehr  schöne,  zu 
den  größeren  Werken  gehörende  Figur  einer  ver- 
hüllten Tänzerin,  die  lebhaft  au  jüngst  bekannt 
gewordene  ähnliche  Figuren  auf  einem  Griechi- 
schen Spiegel  und  einem  Relief  aus  dem  Theater 
des  Dionysos  zu  Athen  erinnert.  Da  dieses  Werk 
kürzlich  photographirt  worden  ist  und  vermuth- 
lich  bald  veröffentlicht  werden  wird,  so  begnügen 
wir  uns  mit  dieser  Hindeutung  auf  dassselbe. 

Eine  andere  etwas  größere  Statuette  stellt 
ein  Knäbchen  dar,  welches  mit  der  gehobenen 
linken  Hand  etwas  darreichen  oder  zeigen  zu 
wollen  scheint  und  auch  in  der  Rechten  etwas 
gehalten  haben  muß.  Die  Figur  tritt  mit  den 
Zehen  des  rechten  Fußes  auf  den  Boden  und 
hält  den  linken  Fuß  rückwärts;  sie  entspricht 
also  fast  vollständig  der  Brunnenfigur  aus  No- 
cera  dei  Pagani  bei  Clarac  Mus.  de  sc.  pl.  7G1, 
C,  n.  1849  B,  deren  Haartracht  sie  auch  theilL 

Von  zwei  Statuetten  sehr  geringer  Dimensio- 
nen stellt  die  eine  die  Antiochia  (ohne  den  Oron- 
tes,  wie  auch  sonst,  s.  Götting.  Nachricht.  1874, 
S.  570),  die  andere  die  vollständig  gewandete 
Venus  mit  Amor  hinter  der  linken  Schulter  dar. 
Letztere,  die  etwa  aus  der  Zeit  Trajans  oder  Ha- 
drians  stammt  und  im  Jahre  1837  noch  im  Pri- 
vatbesitz König  Carl  Alberts  war,    ist  von  Cla- 


684 


raP  a    a    0.  pl.  632D,  n.  1293A,  und,  in  dreifa- 
L  Ansicht  Non   Gazzera  Mem.  dell' Accad^  dx 
Torino  Ser.  IL  T.I,  1839    «- -«-,  -tor   e  filo^^ 
mit  ausführlicher  Besprechung  p.  129  tg.  heraus 

^'^Ganz  vortrefflich  gearbeitet  ist  die  Statuette 
eines  Stiers  mit  schöner  grüner  Patina,  die  sonst 
an  den  Bronzen  aus  Industria  -^h  /ben  vor: 
Vnmmt  von  srößeren  Dimensionen  als  die  L> res- 
SVekhe^H.  Meyer  auf  ein  Werk  des  Stron- 
evlion  bezog,  und  als  die  Münchener. 
^^  Erwähnung  verdient  auch  ein  runder  Medu- 
aenkoüf  ein  fragmentirter  Blitz,  (der,  wenn  er 
S'etwa  ein  Votiv  war,  zu  eiiier  Colossalsta- 
tue  Jupiters  gehört  haben  muß)  und  ein  Fuß- 
fragment, beide  vergoldet,   beide  einst  nach  Pa- 

''^  Unter  "^  den  kleinen  Bronzestatuetten  anderer 
Herkunft  nennen  wir,  ohne  damit  sagen  zu  wol- 
len, daß  nicht  auch  andere  hervorgehoben  wer- 
den könnten,  als  uns  in  gegenstandhcher  Bezie- 
Sunginteressirend,  zwei  der  Minerva  mit  der  Eule 
aufLnand,  einmalauf  der  linken  das  andereMal 

auf  der  Rechten  (s.  Denkm.  da.  Kunst,  1  ext  zu 
Bd  II    n.219,  Stephani,  Compte  rendu  de  la  com- 
^;s/lmp.  arch.  de  St.  Petersbourg    pour  1  ann. 
1867,  p.  160,  KMe  Ballett^  d,Iust.  arch.  1868, 
TD    50,  n.  2,  Schöne  Griech.  Reliefs,  S.  46  U.A.), 
Le  Herm'e    des   Priap   mit   Kalathos    auf   dem 
Kopfe;  endlich  eine  Gruppe:  eme  auf  einem  Po- 
stamente stehende  weibliche  Figur  mit  goldenem 
(vergoldetem)  Kranze  auf  dem  Haapte,  zwei  gol- 
denen Bändern  an  beiden  Armen,  am  Oberleibe 
nackt,  das  Gewand    (Himation)    mit  der  Linken 
fassend,  wie  es  scheint  in  der  Rechten  emen  Apfel 
haltend,    vor   ihr   ein  Tritt  mit    einigen   Stufen 
und    daneben    zwei    kleine    Harpokratesfiguren. 


685 

Das  Weib  ist  sicherlich  Venus,  bei  der  sich  auch 
sonst  in  Bronzen  der  Schmuck  aus  Gold  oder 
vergoldet  findet,  vgl.  oben  S.  632  und  Göttiug. 
Nachr.  1874,  S.  606,  sowie  Friedrichs  Berlins 
ant.  Bildw.  II,  n.  1928.  Daß  Harpokrates  At- 
tribute von  Amor  angenommen  hat,  ist  bekannt. 
Hier  würde  man  aber,  wenn  es  sich  bei  den  un- 
geflügelten Figuren  um  Amoreu  handelte,  anneh- 
men müßeu,  daß  der  habituelle  Gestus  des  Har- 
pokrates auf  diese  übertragen  sei.  Clarac  hat 
nun  freilich  Mus.  de  sc.  T.  IV,  p.  144,  zu  pl. 
641,  n.  1455  in  einer  Statuette  der  Sammlung 
Giustiniani  einen  Amour  en  Harpocrate  erkennen 
wollen,  aber  ohne  allen  Grund.  Ich  weiß  keine 
andere  Erklärung  für  die  Bronzegruppe  zu  fin- 
den, als  die,  daß  die  Venus  die  Libitiua  sein 
soll  (als  welche  Welcker  Griech.  Götterlehre  H, 
S.  716  auch  die  nach  Plutarch  Quaest.  Rom. 
XXIII  zu  Delphi  verehrte  ^yiqQoöitrj  *Entivfißia 
faßt)  und  das  Paar  von  Knabeufigureu,  welches 
die  Hand  auf  den  Mnud  legt,  Repräsentanten 
der  Todesstille,  welche  zunächst  zusammenzustel- 
len sind  mit  jener  Marmorstatuette  zu  Oxford, 
welche  einen  ungeflügelten  Knaben  darstellt,  der 
die  linke  Achsel  auf  eine  umgestürzte  Fackel 
stützt  und  den  Zeigefinger  der  rechten  Hand  ge- 
gen den  Mund  hinhält,  vgl  Clarac  Mus.  de  sc. 
pl.  763,  n.  1876A. 

Ganz  besonders  aber  verdient  hervorgehoben 
zu  werden  ein  etwa  3*/2  oncie  hohes  und,  wo 
es  den  größten  Durchmesser  hat,  2^2  oncie  breites 
Bronzegefäßchen  unbekannter  Herkunft,  um 
welches  in  breiten  Zwischenräumen  die  Buch- 
staben ITASIR  herumlaufen  und  darunter,  am 
Bauche,  ein  höchstbeachtenswerthes,  auf  den  In- 
dischen Krieg  des  Bacchus  bezügliches  Relief. 
Schon  Miliin,    der   dieses  Stück  a.  a.  0.  S.  263 

58 


fe.  ganz  kurz  erwähnt,  besaß  eme  Zeichnung  da- 
von-   abbildlich  mitgetheilt   ist  es  auf  zwei  Ta- 
feln von  Franchi-Pont   in  den  Mem.  dell  Accad. 
di  Torino,  T.  XXIII,  1818,  Gl.  disc.mor.,  istor. 
e  filoT     Bin   genaueres  Eingehen    auf  die  einer 
rnuerten    Abbildung    und    Besprechung     sehr 
werthe  Darstellung  würde  uns  hier  zu  weit  fuhren 
An    den  Saal    mit    den  Metallsachen  schließt 
.ich  ein  A  beitszimmer    des  Directors  des  Muse- 
ums ^  welchem  zugleich  die  diesem  gehörenden 
Szen  aufbewahrt  werden.     In  Turm  befinden 
S    iMich   drei    öffentliche  Münzsammlmigen 
die  in  Rede  stehende,  die  ^^^  königlichen  Palate 
und  die   im  Museo  Civico    aufbewahrte.      Diese 
beschränkt    sich  dem  Vernehmen  nach   auf  Me- 
daillen   und  Münzen   den   Regierungen   und  Ge- 
meinden Italiens.      Auch    die    an   zweiter   Stelle 
^nannte     enthält     mittelaltrige    und    moderne 
Szen     Die  Sammlung  des  Universitatsmuseums 
st    der  classischen  Numismatik   gewidmet.      Sie 
!+    im    Tahre     1866    durch    die    Einverleibung 
der   n'cht tittelaltrigen   oder  modernen  Münzen 
der  durch  Carlo  Cornaglia's  Beschreibung  bekann- 
Z  Sammlung  Lavy  (Museo  n^--'.  ^avy  ^J 
+pnPTite  alla    R.    Accademia    di  Tonno ,    i   Voll., 
ToHno  1839-1840)  bedeutend  vergrößert ,    und 
LtSt  im  Jahre  1872  nach  Angabe  Fabretti's  m 
der  erwähnten  Schrift  über  das  Museo  di  Antich 
beläufiT  24000  Münzen.      Besonders    stark   sind 
veÄißmäßig    die   Consularmünzen    ver  re^eu, 
etwa   5000    Stück   (vgl.   über  f  .  *^^^[^f^^J^^'^ 
rnlti    numism.   del    Mus.   di   Antich.   in   iorino, 
rSTerdarh    die    Alexandriner,    über   welche 
Ol  oi'g    di  San  Quintino  Descriz.  delle  med  im- 
;:Si  Alessandrini  ined.  del  reg^  Mus.  E^^^^^^^^^ 
Ai  Tnrino   T.  1824,  geschrieben  hat.     An  Selten 
heiten  ?ehU  es  nicht    Schon  früher  ist  Manches 


687 

davon  in  den  Schriften  der  Turiner  Akademie 
herausgegeben  und  besprochen.  Einige  andere 
seltene  Stücke  signalisirt  Fabretti  Mus.  di  Ant. 
p.  39  fg. ,  darunter  auch  eine  Brouzemünze,  die 
unter  Gordianus  Pius  von  den  Bewohnern  der 
aus  Stephanus  Byzant,  und  Corp.  Inscr.  Gr. 
n.  4315  bekannten  Lykischen  Stadt  Akalessos 
oder  Akalisses  geprägt  ist  (die  Aufschrift  bietet  die 
Form  mit  I:  AKAAICC^ÜN).  Außerdem  hat 
Fabretti  a.  a  0.  p.  41  und  44  zwei  Stücke  in 
guten  Abbildungen  veröffentlicht :  das  besterhal- 
tene Exemplar  eines  zudem  wegen  seines  Ge- 
wichtes, 352  Gramm,  besonders  beachtenswerthen 
As  von  Tarquinii  mit  Eberkopf  auf  der  einen 
und  Lanzenspitze  auf  der  anderen  Seite,  und 
ein  bis  dahin  ganz  unbekanntes,  ja  noch  kürzlich 
der  großen  Kunde  J.  de  Witte's,  der  in  der 
Gazette  archeologique ,  II,  1876,  p.  26  fg.  die 
auf  Herakles  mit  der  Hindin  bezüglichen  Bild- 
werke zusammengestellt  hat,  entgangenes  Stück, 
eine  Bronzemünze  mit  schöner  Patina,  von  Gr. 
23,  29  Gewicht,  welche  über  dem  Carapanischen 
Quadrans,  von  dem  Cohen  Med.  consul.  pl.  LXXI, 
n.  5  ein  Exemplar  herausgegeben  hat,  vermuth- 
lich  in  den  letzten  Jahren  des  fünften  Jahrhun- 
derts der  Stadt  Rom  geprägt  ist,  so  zwar,  daß 
auf  beiden  Seiten  mehr  oder  weniger  starke 
Spuren  des  früheren  Gepräges  zurückgeblieben 
sind.  Der  Avers  zeigt  den  Kopf  der  Ceres ,  der 
Revers  Hercules  mit  dem  linken  Beine  auf  dem 
zusammengebrochenen  Hindin  kniend ,  deren  Ge- 
weih er  mit  beiden  Händen  gefaßt  hat ;  hinter 
ihm  die  Keule,  unt«n  im  Abschnitt:  ROMA. 
Es  handelt  sich  hier  also  um  eine  verhält niß- 
mäßig  alte  Wiederholung  der  auf  ein  berühmtes 
Original  zurückgehenden  Darstellung. 

Wir    wollen    schließlich    nicht    verfehlen   zu 

58» 


688 

bemerken,  daß  sieli  in  einer  anderen,  ganz  an- 
dersartigen Sammlung  Turins  noch  einzelne 
Werke  aus  dem  classischen  Alterthum  befinden, 
in  der  glänzenden  Armeria  Reale.  Hier  trifft 
man  nämlich  nebenbei  auch  einige  Proben  von 
sogenannten  praehistorischenundvon  Griechischen 
und  Römischen  Waffen  (darunter  zwei  Griechi- 
sche Helme),  denen  ein  besonders  seltenes  Stück 
aus  Römischer  Zeit  hinzugefügt  ist,  nämlich  ein 
hohles,  vorn  mit  einem  Eberkopf  versehenes 
bronzenes  nQOSfißöhov  (B.  Graser  Arch.  Ztg.  1873, 
S.  50,  Anm).  Wir  irren  ohne  Zweifel  nicht, 
wenn  wir  annehmen,  daß  dieses  das  früher  in 
der  Armeria  zu  Genua  aufbewahrte  ist,  dessen 
Abbildung  man  aus  der  Description  des  Beautes 
de  Genes  (ä  Genes  1778)  p.  35  in  Welcker's  A. 
Denkm.  Th.  V,  Taf.  XHI  wiederholt  findet. 


Üeber- den  Nebendarm  der  Echinoideen. 

Von 

Dr.  Hubert  Ludwig. 

(Vorgelegt  von  Ehlers.) 

Die  folgenden  Zeilen  bezwecken  einer  irr- 
thümlichen  Ansicht,  welche  bezüglich  des  Ent- 
deckers des  bei  Echinoideen  vorkommenden  Ne- 
bendarmes sich  in  die  Literatur  einzuschleichen 
begonnen  hat,  entgegenzutreten. 

Zur  Orientirung  sei  bemerkt,  daß  sich  bei 
den  Echinen  und  Spatangen  am  Darme  ein  eigen- 
tbümliches  Anhangsgebilde  befindet,  dessen  mor- 
phologische und  physiologische  Bedeutung  noch 
nicht  zu  Genüge  aufgeklärt  ist.     Dasselbe  stellt 


689 

einen  Kanal  dar,  welcher  an  beiden  Enden  in 
offener  Kommunikation  mit  dem  Darmlumen 
steht.  Ich  nenne  dieses  Organ  den  Neben- 
darm. 

Die  Entdeckung  des  Nebendarms  wird  nun 
wie  es  scheint  allgemein  C.  K.  Hoffmann  zuge- 
schrieben. Dieser  Forscher  beschrieb  nämlich 
im  Jahre  1871  in  seiner  Abhandlung:  Zur  »Ana- 
tomie der  Echinen  und  Spatangen«')  bei  Spatan- 
gus  purpareus  »ein  sehr  merkwürdiges  Organ, 
dessen  Homologie  im  ganzen  Thierreich  nicht 
bekannt  ist.  Es  ist  ein  ziemlich  langes  mehr 
oder  weniger  gewundenes,  theil weise  an  der 
großen ,  ventralen  Mesenterialplatte  verlaufendes, 
mit  zwei  Oeffnungen  in  den  Darm  einmündendes 
Organ«  und  er  nannte  dasselbe  »das  gewundene 
Organ.«  Hoffmann  hält  sich  selbst  für  den  Ent- 
decker des  Nebendarmes,  seines  »gewundenen 
Organes«,  wie  aus  der  beigefügten  Bemerkung 
hervorgeht:  »Weder  von  Job.  Müller  noch  von 
Delle  Chiaje  wird  das  Organ  erwähnt.  Nur 
Milne  Edwards  ^)  hat  dieses  Organ  gesehen ,  ob- 
gleich aus  dem  Namen ,  welchen  er  demselben 
beilegt,  hervorgeht,  daß  er  es  nur  sehr  ober- 
flächlich betrachtet  haben  muß.  Er  nennt  das- 
selbe: »le  vaisseau  ä  parois  epaisses  ayant  l'ap- 
parence  d'un  coeur.«  Er  scheint  dieses  Organ 
also  mit  dem  Blutgefäß  (Bauchgefäß) ,  welches 
unmittelbar  daneben,  verläuft,  in  Zusammenhang 
gebracht  zu  haben  was  aber  durchaus  falsch 
ist.  In  der  ganzen  Literatur  habe  ich  weiter 
keine  Angaben  über  dieses  Organ  auffinden 
können«. 

Bei  der  Bestimmtheit   der   eben   angeführten 

1)  Niederländisches  Archiv  für  Zoologie  I.     p.  41. 

2)  Cuvier.  Regne  animal.  Zoophytea  PI.  11  bis. 
Fig.  1.  i,  j. 


690 

Behauptung  ist  es  erklärlich,  daß  von  verschie- 
denen Seiten  Hofifmann  die  Entdeckung  des  Ne- 
bendarraes  zugeschrieben  wird.  So  geschieht 
dies  von  R  Leuckart^),  E.  Perrier'^),  A.  Giard^) 
und  R.  Teuscher*).  Perrier  ist  sogar  der  Mei- 
nung, Hoffmann  habe  den  Nebendarm  nicht  nur 
bei  Spatangiden,  sondern  auch  bei  Echiniden 
aufgefunden,  was  indessen  nicht  der  Fall  ist. 
Nirgends  beschreibt  Hoffmann  den  Nebendarm 
bei  Echiniden;  seine  Abbildungen  sowohl  als 
seine  Schilderung  im  Texte  beziehen  sich  nur 
auf  Spatangus. 
ajjjjjj'-|j'(yen  wir  nun  einmal  die  von  Hoffmann 
DpMo  nu'^^'""^^-  sulla  storia  e  notomia  degli 
Ch^L  "^f  "^^^'  ■^-  del  regno  di  Napoli  von 
uSii-f^""?  ^""  Neb^mann  behauptet  Delle 
BeuTL-  -  ^^^^  ^^'  ^o  W°i  ^^^^^-  ^^  Wirk- 
wL.-t^-^^  ^wohlbekannt,    er^    stehende  Organ 

2ten,^tlh:f^^«/- Entdecke   ^T   T' 
Memorie  eto     tI    V  ^^^^«^iiieneuen^g-     ^^  ^em 

^ou  öpatangus  mit  h  bezeichl*  ^^^  ^^' 

'let,  seine 

1872      n®''"'"«^^^  ^ür  1870-71      au-. 
oC  T,"-    P-  198.  ^"^"^'^  ^-  Natu 

,     ^)  Kecherches   qnr  i>„v,        .,  Tgesch. 

Arch,  de  ZoolVZiLZ"l%'  ^'^''^^^'oire  des  ou.     . 
Duthiere   T.  IV    ^oyl        ^'^„Sfener  p.   p.   jj     ■,     "^'  rsins. 


<t, 


691 

ürsprungsstelle  am  Vorderdarm  ist  genau  ange- 
geben und  in  der  Tafelerklärung  (p.  380)  ist  h 
erklärt:  »canale  che  dal  termiue  dell'  esofago 
finisce  uell'  intestiuo.«  Das  Ende  des  Organes 
ist  allerdings  in  der  Zeichnung  nicht  deutlich. 
Im  Texte  aber  gibt  Delle  Chiaje  die  Endmün- 
dung des  Nebeudarmes  in  den  Darm  mit  klaren 
Worten  an;  an  der  Uebergangsstelle  des  Oeso- 
phagus in  das  Duodenum  (ich  nenne  die  Darm- 
abschnitte nach  der  Terminologie  Delle  Chiaje's, 
die  Stelle  entspricht  der  Uebergangsstelle  des 
Magens  in  den  Dünndarm  nach  HoflFmanu)  ent- 
springt (p.  332):  >uu  canale  abbastanza  ristretto 
e  traversalmente  diretto  verso  Tincomincikmento 
del  digiuno,  ove  si   apre.« 

Hoffmaun  sagt  ferner,  er  habe  in  der  ganzen 
Literatur  weiter  keine  Angaben  über  dieses 
Organ  auffinden  können.  Er  hätte  aber  an  drei 
verschiedeneu  Orten  und  zwar  in  Werken,  die 
in  Aller  Händen  sind,  Andeutungen  über  Delle 
Chiaje's  Entdeckung  finden  können. 

In  den  Icones  zootomicae  von  Kud.  Wagner, 
Leipzig  1841,  ist  die  oben  angeführte  Original- 
abbildung Delle  Chiaje's  mit  Angabe  der  Quelle 
copirt  auf  Taf.  XXXII,  Fig.  YIII;  freilich  ist  in 
dieser  Copie  der  Nebeudarm  ohne  Erläuterung 
geblieben,  indessen  deutlich  eingezeichnet. 

In  dem  Lehrbuch  der  vergleichenden  Anatomie 
von  Siebold  u.  Staunius,  Band  I,  1848,  findet  sich 
p.  92,  Anm.  8  die  Notiz:  »Die  Bedeutung  des  von 
Delle  Chiaje  abgebildeten  Kauais,  welcher  vom 
Anfang  des  Darms  zum  mittleren  Theile  dessel- 
ben hinüberläuft,  konnte  bis  jetzt  nicht  ent- 
räthselt  werden.« 

In  den  Icones  zootomicae  von  J.  Y.  Carus, 
Leipzig  1857,  Tab.  VI,  Fig.  3  wird  wiederum 
eine    Copie    der    Delle    Chiaje'schen    Figur    mit 


692 

Angabe  der  Quelle  gegeben;  der  Nebendarm  ist 
auch  hier  in  die  Zeichnung  eingetragen,  aber 
ohne  Erläuterung. 

Aber  auch  bei  den  Echinen  hat  weder  Hoff- 
mann,  wie  Perrier  meint,  noch  auch  Teuscher, 
wie  er  selbst  zu  glauben  scheint,  den  Nebendarm 
entdeckt,  sondern  auch  hier  gebührt  das  Ver- 
dienst Delle  Chiaje.  Auf  der  Tav.  XXIV  seines 
oben  angeführten  Werkes  hat  derselbe  in  Fig.  3 
den  Nebendarm  von  Echinus  abgebildet.  Er  ist 
in  der  Figur  mit  d  bezeichnet;  d  entspringt  am 
Oesophagus  und  verläuft  am  inneren  Darmrande 
bis  zum  Uebergang  der  ersten  in  die  zweite 
Darmwindung.  In  Delle  Chiaje's  Tafelerklärung 
heißt  es  (p.  378) :  »d,  canale  che  costeggia  tutto 
l'interno  lato  del  duodeno  (=  erste  Darmwin- 
dung) e  termina  nell'  incominciamento  dell'  ul- 
timo tratto  del  canale  degli  alimenti  (=  letzte 
Darm  Windung).«  Ferner  im  Texte:  »il  duodeno 
e  nel  margine  interno  libero  costeggiato  da  un 
canale  rotondo  avente  longitudiuali  e  poco  pro- 
fonde  rughe,  che  incomincia  dal  termine  dell' 
esofago  e  finisce  al  principio  dell'  intestino  tenue ; 
stabilendosi  in  tal  modo  una  communicazion  e 
diretta  tra  questo   budello  e  Fesofago.« 

Göttingen  24.  Octob.  1877. 


693 
llniyersität. 

Die  Universität  hat  wiederum  zwei  Verluste 
zu  beklacren.  Am  17.  Sept.  starb  im  kräftigsten 
Mannesalter  und  aus  erfolgreichstem  Wirken  ab- 
gerufen der  Geheime  Justiz-Rath  und  ordentliche 
Professor  der  Rechte,  Dr.  jur.  Hart  mann,  und 
ihm  folgte  2.  Octbr.  hoch  betagt,  aber  bis  zu 
seiner  letzten  Krankheit  körperlich  rüstig  und 
wissenschaftlich  thätig,  der  Hofrath  und  ordent- 
liche Professor  der  Medicin,  Dr.  med.  Marx. 

Ernst  Joachim  Otto  Hartmann  war  am 
30.  Sept.  1822  zu  Lüneburg  geboren  und  er- 
hielt seine  wissenschaftliche  Vorbildung  auf  dem 
Johanneum  seiner  Vaterstadt  unter  dem  Director 
Hagen ,  der  den  talentvollen  Schüler  mit  beson- 
derer Liebe  geleitet  hatte  und  demselben  auch 
noch  nach  seinem  Abgange  von  der  Schule  in 
der  Wahl  seiner  Studien  und  seines  Berufes  ein 
liebevoller  Berather  geblieben  ist.  Zu  Ostern 
1841  bezog  Hartmann  die  Universität  Göttingen, 
um  dort  zuerst  Philologie  zu  studieren ,  von  der 
er  aber  bald  zum  Rechtsstudium  überging,  wel- 
ches er,  nachdem  er  Michaelis  1843  nach  Berlin 
gegangen  und  von  da  Ostern  1844  nach  Göttin- 
gen zurückgekehrt  war,  auf  dieser  Universität 
Michaelis  dieses  Jahres  beendigte,  auf  welcher 
er  auch  bei  der  akademischen  Preisvertheilung 
im  J.  1844  den  juristischen  Preis  erworben  hatte. 
Nach  abgelegtem  Staatsexamen  wurde  er  1845  als 
Auditor  bei  der  Justiz-Kanzlei  zu  Göttingen  ange- 
stellt, und  habilitierte  sich  im  Juli  desselben  Jahrs, 
nachdem  er  hier  den  juristischen  Doctorgrad  erwor- 
ben hatte,  als  Privatdocent  in  der  juristischen 
Facultät.  Das  Jahr  darauf  trat  Qr  von  der  Justiz- 
Kanzlei  zurück,  um  sich  ganz  dem  akademischen 
Berufe  zu  widmen  und  ward  am  24.  Sept.  1851 


694 


zum   ausserordentlichen   Professor   ernannt.     Im 

Herbste  1859  folgte  er  einem  I^J^f«,^  ^^^^iJX 
lieber  Professor  derRecbtswisseuscbaft  nach  Halle, 
von  wo  er  zu  Ostern  1862  in  gleicher  Eigen- 
schaft nach  Göttingen  zurückkehrte,  ^^l^'^^^ 
dieser  Universität  treu  zu  bleiben.  I^ach  Ab 
lehnung  eines  Rufes  als  Director  des  Appella- 
iionsge'richts  zu  Jena  im  Mai  1866  -rd«  f^^^ 
mann  zum  Hofrath,  und  nachdem  er  1875  das 
Ordinariat  des  Spruch  -  CoUegmms  übernommen 
hatte,  zum  Geheimen  Justiz -Rath  ernannt. 

Einer  sehr  kräftigen  Constitution  sich  erfreu- 
end und   der   akademischen  Lehrthathigkeit  mit 
grosser  Liebe  ergeben,  unterbrach  er  dieselbe  auch 
nicht    als  in  Folge  eines  zu  Anfang  des  Jahrs  18  /  b 
anscheinend  als''  Zahnfistel  auftretenden  Leidens 
während   des   Sommersemesters  schon  wiederholt 
kltnere    chirurgische     Operationen    nothwendig 
wurden.     Nachdem  das  beiden   aber  immer  zu- 
genommen  und  dann  eine  Geschwulst  des  Ober 
kiefe^s  eingetreten  war,    mußte    er   sich  zu  An- 
Wdieses  Jahres  einer  schweren  lebensgefahr- 
liehen  Operation  unterwerfen,  die  geschickt  aus- 
Geführt    seine  kräftige  Constitution  so  glücklich 
|wtd,Tß  er  in?  darauf  folgenden  "^^^ 
Semester  das  Katheder  ^^^J^er  besteigen  komie. 
Die  Hoffnung,  daß  durch  die  ^V^'f^J'Ja^l 
derkehr  des  Leidens  wenigstens  auf  e  ne  längere 
Zeit  abgewendet  worden,  hat  sich  aber  leider  nicht 
ermilt.^  Schon  zu  Anfang  Juni  mußte  eine  neue 
a  t   noch    tiefer   eingreifende   Operation    ^o^^^^^^ 
nommen  werden,  welche  er  auch  |l^^f  ^^  f  ^^^ 
stand     durch   welche   aber  seine  Kratt  doch  ge 
brolen  wurde.     Dennoch  gelang  es  semer^  selte- 
nen Willenskraft  die  Vorlesungen  nach  f  aut  Wo 
chen  wieder   fortzusetzen  und  auch  ohne  Un  er- 
brechung  zum  Schluße  zu   bringen,   und   nicht 


695 

weniger  anzuerkennen,  sowie  auch  ein  Beweis  da- 
für, was  die  Universität  an  Hartmann  verloren 
hat,  ist  es  wohl,  daß  eine  verhältnißmäßig  sehr 
große  Zahl  Zuhörer  dem  geliebten  Lehrer  bis 
zur  letzten  Stunde  treu  blieb,  obgleich  in  Folge 
der  wiederholten  Operationen  seine  Sprache  sehr 
schwer  verständlich  geworden  und  es  die  ange- 
strengteste Aufmerksamkeit  erforderte,  seinem 
Vortrage  zu  folgen.  Nach  dem  Schlüsse  der 
Vorlesungen  hatte  das  Leiden  schon  wieder  so 
um  sich  gegriffen,  daß  eine  abermalige  Opera- 
tion nicht  mehr  möglich  war  und  dasselbe  nun 
seinem  natürlichen  Verlaufe  überlassen  werden 
mußte.  Doch  erfolgte  ein  sanfter  Tod  an  einer 
hinzugetretenen  Lungenentzündung. 

Carl  Friedrich  Heinrich  Marx,  geboren  an 
Carlsruhe  10.  März  1796,  besuchte  das  Lyceum 
daselbst  und  studierte  von  1813  an  Medicin  zu 
Heidelberg,  woselbst  er  im  J.  1817  auch  den 
medicinischen  Preis  erhielt.  Im  October  1818 
machte  er  zu  Carlsruhe  sein  Staatsexamen ,  und 
trat  daselbst  die  ärztliche  Praxis  an,  begab  sich 
aber  bald  zur  weiteren  wissenschaftlichen  Aus- 
bildung auf  eine  größere  Reise  durch  das  süd- 
liche und  nördliche  Deutschland ,  die  Schweiz 
und  Oberitalien,  nach  welcher  er  im  J.  1820  zn 
Jena  den  medicinischen  Doctorgrad  erwarb  und 
zu  Ostern  1822  zu  Göttingen  sich  als  Privatdo- 
cent  habilitierte,  nachdem  er  das  Jahr  zuvor  da- 
selbst Accessist  an  der  Bibliothek  geworden, 
welche  Stelle  er  nach  seiner  Ernennung  zum 
außerordentlichen  Professor  in  der  medicinischen 
Facultät  aufgab,  welche  am  5.  Januar  1826  er- 
folgte. Am  1.  Januar  1831  wurde  er  zum  or- 
deutlichen  Professor  befördert  und  1840  zum 
Hofrath  ernannt.  —  Auch  die  Königliche  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften,  welcher  Marx  seit  dem 


696 

Jahr  1833  als  ordentliches  Mitglied  der  physi- 
kalischen Classe  angehörte,  hat  an  ihm  ein  sehr 
thätiges  Mitglied  verloren.  Noch  in  seiner  letz- 
ten Krankheit  beendigte  er  für  dieselbe  eine 
Abhandlung,  unter  dem  Titel:  »Uebersichtliche 
Anordnung  der  die  Medicin  betrejßfeuden  Aus- 
sprüche des  Philosophen  Lucius  Annaeus  Seneca.« 
Bis  zum  Jahre  1863  ist  Marx  auch  ein  sehr  flei- 
ßiger Mitarbeiter  au  den  Göttingischen  gelehrten 
Anzeigen  gewesen. 


Für   das  Jahr  vom  1.  Sept.  1877   bis  dahin 

1878  ist    der  Geheime   Regierungsrath  Professor 
Dr.  Lotze  zum  Prorector  erwählt  und  bestätigt. 

Am  1.  Sept.  schied  aus  dem  Verwaltungsaus- 
schusse der  Universität:  der  Professor  Dr.  Eb- 
stein; dafür  trat  Professor  Dr.  König  ein, 
gewählt  auf  die  Zeit  vom  1.  Sept.  1877  bis  1. 
März  1880. 

Am  1.  Sept.  1877  erlosch  das  Mandat  des 
Geh.  Justiz-Raths  Professor  Dr.  John  als  Mit- 
glied des  Rechtspflegeausschusses,  derselbe  ist 
aber  für  die  Zeit  vom  1.  Sept.  1877  bis  1.  März 

1879  wiedergewählt. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Bulletin   de  la   Soc.    mathetaatique    de  France.      T.  V. 

No.  4. 
Miltheilunpren   der  antiquarischen  Gesellschaft   in  Zürich. 

XL.  XLI.    1876-77.    4. 


697 

Schriften   der   naturforschenden   Gesellschaft    za  Danzig. 

Bd.  IV.    H.  1.     1876. 
Astron.  u.  meteorol.  Beobacht.  a.  d.  K.  K.  SterD^arte  za 

Prag  im  J.  1876.    4. 
The  5.  ann.  Report  of  the  board  of  Directors  of  the  zoo- 

logical  Society  of  Philadelphia  1877. 
The  Transactions  of  the  R.  Irish  Academy.      Vol.  XXV. 

20.     1875.     Vol.  XXVI.  1—5.     1876.    4.    Dubün. 
Proceedings  of  the  R.  Ir.  Acad.     Vol.  II.    Ser.  II.    4—6. 
List  of  the  Council  etc.  of  the  R.  Ir.  Acad.     1876. 
Memoires  de  l'Acad.  des  sciences  etc.  de  Montpellier.     Sec- 

tion   des    sciences.     T.  VIII.     3  Fase.      1875.     Montp. 

1876.  4. 

Sitzungsberichte  der  philosophisch,  etc.  Classe  der  Akad. 
d.  Wiss.  zu  München.     1877.     1. 

Desgl.  der  mathem.-physik.  Classe.     1877.     1. 

A.  Ecker,  üeber  den  queren  Hinterhauptswulst  am  Schä- 
del verschiedener  aussereuropäischer  Völker.    Freibarg. 

1877.  4. 

Zur  Kenntniss   des  Körperbaues  früherer  Einwohner   der 

Halbinsel  Florida.     Freib.  1877.     4. 
G.  Struever,  Studi  petrografici  sul  Lazio.  Roma  1877.  4, 
—   Studi  minerali    del   Lazio.      Parte   seconda.      Roma 

1877.     4. 
Bulletin   de  l'Acad.  R.  des  sciences  de  Belgique.      T.  43. 

No.  4.     1877. 
Annais  meteorologiques  de   TObservatoire  R.   de   Broxel« 

les.     Fol.  2.     1877. 
Observations   meteorologiques  faites  aux  stations  Internat. 

de  la  Belgique.     Mars  1877.     4. 
Herrm.  Franz  von  Rinecker,  Festschrift  der  med.  Fa- 

cuUät  in  Würzburg.     1877.     4. 
Bulletin    et   Memoires    de    l'Cniversite   Imp.    de    Kasan. 

1676.    No.  1—6. 
Memoires   de   l'Acad.   Imp.  des   sciences   de   St-Petera« 
bourg.    4. 

T.  XXn.  No.  11.  A.  Boettcher,    Neue  Untersu- 
chungen über  die  rothen  Blutkörperchen. 

No.  12.  0.  Heer,  Zur  Jura-Flora  Ostsibiriens  und 
des  Amurlandes. 

T.  XXllI.  No.  2.  W.  Grub  er,  Monographie  über 
das  Corpusculnm  triticcum  und  über  die  accidentelle 
Musculatur  der  ligamenta  hyothyreoidea  laterealie. 
No.  3.  M.  Nyren,  Das  Aequinoctium  für  1865. 


No.  4.  M.  A.  Boutlerow,  Condensation  des  hy- 
drocarbures  de  la  serie  ethylenique.  —  Sar  l'isodibuty- 
Ifene. 

No.  5.  L.  Masing,  Die  Hauptformen  des  serbisch- 
chorwatischen  Accents  etc. 

No.  6.  Zach,  von  Lingenthal,  Zur  Kritik  und 
Restitution  der  Basiliken. 

No.  7.  Ders.,  Die  griechischen  Nomokanones. 
No.  8.  H.  Wild,    Meteorologische  Studien, 
T.  XXIV.  No.  1.  A.  Harkavy,  Altjüdische  Denk- 
mäler der  Krim. 

No.  2.  J.  Schmalhausen,  zur  Kenntniss  der 
Milchsaftbehälter  der  Pflanzen. 

No.  3.  W.   Grub  er,    Ueber  den  Infraorbitalrand 
bei  Ausschliessung  des  Maxillare  Superius. 
Tidschrift  voor  Indische  taal-   land-  en  volkenkunde.     D. 
XIII.    No.  5—6.     D.  XIV.    No.  1-3.    Batavia  1877. 
Notulen   van   de   algem.   en  bestuurs.  vergaderingen  van 
het  Bataviaasch.   Genootschap.     D.  XIV.    No.  2—4. 
1877. 
Verslag  van  eene  Verzameling  Maleische,  Arabische,  Ja- 

vaansche  en  andere  Handschriften.     Batavia  1877. 
Catalogus   der   ethnologische  Afdeeling   van   het  Museum 
van  het  Bataviaasch  Genootschap  van  Künsten  en  We- 
tensch.    Batavia  1877. 
F.  S.  A;  de  Clercq,  Het  Maleisch  der  Molukken.    Ba- 
tavia 1876. 
Memoires  de  la  Societe  des  Sciences  de  Bordeaux.    T.  II. 

1877.     Cahier  1. 
Monatsbericht   der  Berliner   Akad.   d.   Wiss.     März  und 

April  1877. 
Abhandlungen  der  histor.  Classe  der  K.  Bayer.  Akad.  d. 

Wiss.     Bd.  XIII.  2.     1877.     4. 
J.  Roulez,   trois  medaillons  de  poteries  romaines.    Pa- 
ris 1877.    4. 
Verhandlungen  der   in  Brüssel   1876   vereinigten  perma- 
nenten   Commission    der    Europäischen   Gradmessung. 
Redig.  von  C.  Bruhns.  A,  Hirsch.    Berlin  1877.     4, 
Nature.    402.  403.  404. 

A  Report   to    the  Surgeon  General   on  the   transport  of 
sick  and  wounded  by  pac  animals.   Washington  1877.  4. 
Magister   Lorenz  Fries,    die   Geschichte   des  Bauern- 
krieges in  Ostfranken.    Lief.  1.    Bogen  1 — 10.    Würz- 
burg 1876. 


699 

Archiv  des  histor.  Vereins  von  ünterfiranken  und  Aschaf- 

fenborg.     1877. 
Archiv  des    Vereins   f.  siebenbarg.   Landeskunde.      XIII. 

1—3.    Hennannstadt  1876—77. 
Programm  des  Gymnasiums  zu  Hennannstadt.     1876. 
Jahresbericht  des  Vereins  für  siebenbürg.  Landeskunde  f. 

1875—1876. 
MonthlyNoticesoftheR.  Astron.  Society.   XXXVII.   No.  8. 
N.  Nicolai  des,  Änalectes  sur  les  divers  parties  de  ma- 

thematique.     Livr.  18  —  19.     Athen  1875—76. 
Abhandlungen  für  die  Kunde  des  Morgenlandes.    Bd.  VI. 

No.  3.     1877. 
Transactions  of  the  Zoolog.  Soc.  of  London.     Vol.  X.  P. 

1.     1877.     4. 
Proceedings  of  the  scientific  meetings  of  the  Zoolog.  So- 
ciety of  London  for  1877.  Part  1. 
Atü   della  R.  Accad.    dei  Lincei   anno  CCLXXHI.     1875 

—76.    Seria  seconda.     Vol.  HI.     Parte  terzia.     Roma 

1876.     4. 
Compte  rendu  de  la  Commission  Imp.  Archeologique  pour 

les  annees  1872—74.     4.    Avec  3  Atlas.    St.  Petersbourg 

1875—77.    Fol 
J.  Ericsson,  Contributions  to  the  centennial  exhibition. 

New  York.     1876.    4. 
Jahrbuch  über  die  Fortschritte  d.  Mathematik.      Bd.  VII. 

H.  3.     Jahrg.  1875. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sciences  de  Belgique.     T.  48. 

No.  5.     1877. 
F.  Pasquale,   sopra  alcone  monstrosita   dei  fiore  della 

Viola  odorata  etc.     4. 
Verhandlungen  der  physik. -medic.  Gesellschaft  in  Wün- 

burg.     Bd.  XI.  1-2.     1877. 
E.  Betti ,  sopra  e  sistemi  tripli  di  superficie  isoterme  e 

ortogonali.     Pisa  1877.     4. 
Instruments  and  publications  of  the  ü.  S.  Naval  Observa- 

tory.     Washington.     1845—76.     4. 
Bulletin  de   la  Soc.   mathem.  d.  France.     T.  V.     No.  5. 

1877. 
C.  Marignac,  sur  les  equivalents  chimiques etc.     Geneve 

1877. 
H.  J.  Bidermann,   die  Romanen  und  ihre  Verbreitong 

in  Oesterreich.     Graz  1877* 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbotu-g. 

T.  XXIU.    No.  4.     1877.    4. 


700 

Nature.    405—417. 

Leopoldina.     XIII.    No.  13-14.  15-16.  17—18. 

R.  Lipschitz,    Lehrbuch  der  Analysis.      Bd.  I.     Bonn 

1877. 
XVI.  Bericht  der  Oberhess.  Gesellsch.  für  Natur-  u.  Heil- 
kunde. 
Monatsbericht  der  K.  Akademie  d.  Wiss.  zu  Berlin.    Mai 

Juni,  .Juli  1877. 
Bulletin   de   la   Soc.  Imp.   des  Naturalistes    de  Moscou. 

1877.    No.  1—2. 
F.  V.  Müller,    Select  Plants  for  Industrial   Culture   in 

Victoria.     1876. 
I.  Verwaltungsbericht  der  Akad.  Lesehalle  in  Czernowitz. 

1877. 
J.  W.  Glaesher,   7  mathem.  Abhandlungen. 
Jahrbuch    der  K.  K.    geolog.  Reichsanstalt.     Bd.  XXVII. 

No.  1.     Mit  Tschermak  Mineralogische  Mitth.      Bd. 

VI.     H.  2.     1877. 
Verhandlungen    der  K.  K.    geolog.    Reichsanstalt.      1877. 

No.  7—10. 
Bidrag  tili  Kännedom  af  Finlands  natur  och  folk.     Heft 
..  20.  25.  26. 
Öfversigt   af  Finska  Vetensk.   Societetens  Förhandlingar. 

XVIII.     1875-76. 
Observations  meteorologiques.      Par   la  Soc.   de  Finlande 

1874..    Helsingfors. 
Memoires  de  la  Societe  des  Antiquaires  de  Picardie.     Do- 

cuments   inedits    concernant   la   Province.      T.  7  —  8. 

Amiens  1869  —  1871.     4. 
Memoires  de  la  Soc.  des  Antiq.  de  Picardie.     T.  V.     1876. 
Bulletin    de  la   Soc.   des    Antiq.    de  Picardie.      T.   XII. 

1874-76. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  de  Belgique.     T.  43.    No.  6.    T.  44. 

No.  7-8. 
Amtliches  Plagiat?   oder:   Was?     Ein   Circular  von  W« 

Schlötel.     1877. 
Donders  u.  Engelmann,    Onderzoekningen  eto.    Bd. 

IV.     Aufl.  2.     Utrecht  1877. 
R.  Wolf,  Astronom.  Mittheilungen  XLIV. 
R.  Born  st  ein,  der  Einfluß  des  Lichts  auf  die  electrische 

Spannung  in  Metallen. 
Atti  della  R.  Accad.  dei  Lincei.    Transunti  Vol.  I.    Fase. 

7.     1877. 

(Fortsetzung  folgt.) 


( 


701 


IVach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


28.  November.         M  25.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaffen. 

Sitzung  am  3.  November. 
(Fortsetzung.) 

Versuch  einer  Theorie  der  elektri  sehen 
Scheidung  durch  Reibung. 

Von 

Eduard  Blecke. 

Der  Yersach  für  die  mannigfach  verwickelten 
Erscheinungen  der  elektrischen  Scheidung  durch 
Reibung  einen  theoretischen  Leitfaden  zu  ent- 
wickeln konnte  so  lange  als  überflüssig  und  dem 
Bedürfnisse  der  Wissenschaft  nicht  entsprechend 
bezeichnet  werden,  als  es  an  dem  Beobachtungs- 
material zur  Prüfung  der  Brauchbarkeit  dieses 
Leitfadens  vollkommen  fehlte.  Nun  ist  es  aber 
Rieß  gelungen,  auch  auf  dem  Gebiete  der  durch 
Reibung  bewirkten  elektrischen  Scheidung  zu 
quantitativer  Messung  der  geschiedenen  Elektri- 
citäten  fortzuschreiten ,  und  wenn  auch  bei  der 
Schwierigkeit  solcher  Messungen  die  Resultate 
noch  nicht  als  endgültige  zu  betrachten  sind, 
so  genügen  sie  doch  zu  einer  vorläufigen  Prü- 
fung der  auf  theoretischem  Wege  zu  entwickeln- 
den  Gesetze.     Zu    den    Messungen    von   Rieß 

59 


702 

kommen  aber  noch  hinzu  die  Beobachtungen  von 
Zoellner  über  gewisse  bei  der  Reibung  zweier 
Körper  auftretende  elektrische  Strömungen. 
Zöllner  hat  gezeigt,  daß  Ströme  von  ganz  der- 
selben Art,  wie  sie  Quincke  bei  dem  Strömen 
von  Wasser  und  von  anderen  schlecht  leitenden 
Flüssigkeiten  durch  Diaphragmen  beobachtet 
hatte,  auch  bei  der  Reibung  zweier  fester  Kör- 
per auftreten.  Sollte  sich  nun  ergeben,  daß  die 
theoretischen  Betrachtungen  auch  für  die  Er- 
klärung dieser  Erscheinungen  eine  Möglichkeit 
offen  lassen ,  so  darf  man  wohl  erwarten ,  daß 
dieselben  für  die  weitere  experimentelle  For- 
schung auf  dem  Gebiete  der  ReibuDgselektricität 
einen  nützlichen  Leitfaden  zu  bilden  im  Stande 
sind.  Ich  erlaube  mir  daher,  die  folgenden  theo- 
retischen Betrachtungen  über  den  Vorgang  der 
elektrischen  Scheidung  durch  Reibung  vorzule- 
gen, zu  deren  weiterer  experimenteller  Prüfung 
ich  einen  meiner  Schüler  veranlaßt  habe. 

I. 

Aufgabe:  Gegeben  sei  die  unbegrenzte 
ebene  Oberfläche  eines  Isolators,  von  dem  ange- 
nommen werden  soll,  daß  er  durch  Reibung  ne- 
gativ elektrisch  werde.  Diese  Oberfläche  sei  in 
irgend  einer  gegebenen  Weise  bedeckt  mit  elek- 
trischem Fluid  um.  Der  Reiber  sei  gegeben 
durch  einen  unendlich  schmalen  Streifen  eines 
zweiten  bei  der  Reibung  positiv  elektrisch  wer- 
denden Körpers ,  der  in  einer  zu  seiner  Längs- 
richtung normalen  Richtung  mit  gegebener  kon- 
stanter Geschwindigkeit  über  die  isolireude  Ober- 
fläche weggeführt  werde.  Es  soll  die  elektri- 
sche Dichtigkeit  auf  der  Oberfläche  des  Reibers 
und  die  Aenderung  der  elektrischen  Dichtigkeit 
auf  der  isolirenden  Oberfläche  bestimmt  werden. 


7D3 

Wir  gehen  bei  der  Lösung  dieser  Aufgabe 
aus  von  folgenden  Hypothesen. 

1.  Die  in  der  Zeiteinheit  durch  den  Vor- 
gang der  Reibung  auf  der  Oberfläche  des  Rei- 
bers entwickelte  Elektricitätsmenge  ist  propor- 
tional mit  dieser  Oberfläche. 

2.  Die  Menge  der  geschiedenen  Elektricität 
ist  proportional  der  Geschwindigkeit,  mit  welcher 
der  Reiber  über  die  Oberfläche  des  Isolators 
weggeführt  wird. 

3.  Der  scheidenden  Kraft  der  Reibung  wir- 
ken entgegen  die  von  der  schon  geschiedenen 
elektrischen  Flüssigkeit  ausgeübten  Kräfte.  Es 
wird  angenommen,  daß  durch  diese  Kräfte  eine 
fortdauernde  Wiedervereinigung  der  geschiedenen 
Elektricitäten  bedingt  wird  ,  und  daß  die  Elek- 
tricitätsverluste ,  welche  in  Folge  hievon  sowohl 
der  Reiber  wie  der  geriebene  Isolator  in  jedem 
Augenblicke  erleiden,  durch  ein  Gesetz  bestimmt 
werden,  welches  formell  mit  dem  für  die  Zer- 
streuung geschiedener  Elektricität  in  der  Luft 
geltenden  Gesetze  vollkommen  analog  ist. 

Ist  also  in  irgend  einem  Momente  die  elek- 
trische Dichtigkeit  des  Reibers  gleich  «,  die  des 
Isolators  gleich  ^,  so  wird  der  Reiber  in  der 
kleinen  Zeit  dt  einen  Elektricitätsverlust  erleiden, 
der  gegeben  ist  durch  einen  Ausdruck  von  fol- 
gender Form 

o.q.(€ — ij).cU. 

Hier  bezeichnet  o  die  Fläche  des  Reibers, 
und  ist  q  eine  von  der  Natur  der  beiden  an 
einander  geriebenen  Körper  abhängende  Con- 
stante.  Gleichzeitig  muß  natürlich  auch  die 
Oberfläche  des  Isolators  einen  Elektricitätsver- 
lust erleiden ,   der    dem  Verlust  des  Reibers  ge- 

59* 


704 

rade  entgegengesetzt  ist,  und  daher  gegeben 
wird  durch  den  Ausdruck 

o.q.  {ri — s)  .dt. 

Auf  der  Richtung,  in  welcher  der  Reiber 
auf  der  Oberfläche  des  Isolators  verschoben  wird, 
werde  ein  beliebiger  Punkt  als  Ausgangspunkt 
angenommen.  Die  Breite  des  reibenden  Streifens 
sei  gleich  d^  seine  Länge  werde  gleich  1  ge- 
setzt; die  Entfernung  der  vorderen  Kante  des 
Reibers  von  dem  auf  der  Richtung  der  Verschie- 
bung angenommenen  Anfangspunkt  sei  5,  die 
Geschwindigkeit  der  Vershiebung 

ds 

Während  der  kleinen  Zeit  dt  ist  die  in  Folge 
der  Reibung  auf  der  Oberfläche  des  Reibers  ent- 
wickelte Elektricitätsmenge  gleich 

x.d.udt 

wo  X  eine  von  der  Natur  der  beiden  reibenden 
Oberflächen  abhängende  Constante;  gleichzeitig 
findet  aber  ein  Elektricitätsverlust  statt,  der 
gegeben  ist  durch 

—  q.  d .  (« — ij) dt. 

Somit  ergiebt  sich  für  den  ganzen  Zuwachs, 
welchen  die  elektrische  Dichtigkeit  des  Reibers 
während  der  Zeit  dt  erleidet  die  Gleichung 

I.  ds  =^  xudt  —  q  (fi — tj)  dt. 

Gleichzeitig  wird  auf  die  Oberfläche  des  ge- 
riebeneu Isolators  eine  Elektricitätsmenge 


705 

—  X  .  d  .  f /  f7^ 

übergehen,  während  der  Elekiricitätsverlnst  der- 
selben gegeben  ist  durch 

g  d  (tj — s)  dt. 

Die  an  der  Oberfläche  des  Isolators  vorhandene 
Elektricitätsmenge  erleidet  also  im  Ganzen  einen 
Zuwachs 

—  xdudt  —  qS (17—«)  dt. 

Aber  dieser  Zuwachs  vertheilt  sich  auf  dem 
Isolator  über  eine  größere  Fläche  vom  Inhalt 

d  +  udt. 

Machen  wir  nun  die  Annahme,  daß  die  Zeit 
dt  so  groß  genommen  werden  könne  ,  daß  d  ge- 
gen u  dt  verschwindend  klein  ist,  so  ergiebt  sich 
für  die  Zunahme ,  welche  die  elektrische  Dich- 
tigkeit der  Isolatorfläche    erleidet  die  Gleichung 

u 

wo  dann  Jfi  ein  unendlich  Kleines  zweiter  Ord- 
nung im  Vergleich  mit  d€  ist. 

Führen  wir  an  Stelle  von  t  mit  Hülfe  der 
Beziehung 

^5  =  11  dt 

s  als  unabhängige  Veränderliche  in  den  beiden 
Difi'erentialgleichungen  ein,  und  bestimmen  wir 
die  Constante  der  Integration  so,  daß  für  5  =  0 
auch  f  =  0  wird ,   so  führt  die  Integration  der 


706 

Gl.  I  zu    folgenden  Ausdrücken   für   die  elektri- 
schen Dichtigkeiten: 

III.  €  =  x.-(l-e    «*l  +  ^.e    «ie"  .^-äs. 


lY.  Jf}  =  —xde    »'^a.dii4-^Je    ''Ae'*  tjds. 


Ehe  wir  zu  der  Vergleichung  der  für  die 
elektrische  Dichtigkeit  des  Reibers  gefundenen 
Formel  mit  den  Versuchen  von  Rieß  übergehen, 
möge  die  Gleichung  IV  noch  der  folgenden  Prü- 
fung unterworfen  werden.  Die  in  irgend  einem 
Augenblicke  auf  der  Oberfläche  des  Reibers  an- 
gesammelte Elektricitätsmenge  ist 

sd  =  x^6—x-de    "      4-   -de    «  le^^'nds. 
q  q  U  } 

0 

Eine  dieser  gleiche  aber  entgegengesetzte 
Elektricitätsmenge  muß  somit  bis  zu  dem  be-  m 
trachteten  Augenblick  auf  die  geriebene  Ober-  ■ 
fläche  übergegangen  sein.  Die  gesammte  Elek- 
tricitätsmenge ,  welche  bis  zu  einer  beliebigen 
Entfernung  5  vom  Anfangspunkte  an  auf  die 
geriebene  Oberfläche  übergegangen  ist,  wird 
aber  gegeben  durch  das  Integral 

8 

XJtjds 
0 


707 

und    es    muß   somit    der  Werth  dieses  lutegrals 
gleich 

—  ed 

sein. 

Setzen  wir  fiir  //<y  seinen  Werth,  so  ergiebt 
sich : 


ll  ^. 


+  S^Xdse    »  \e«  .tida. 


Hierbei  ist  in  dem  letzten  Doppelintegral  an 
Stelle  von  s  das  einemal  gesetzt  (T,  um  für  die 
zwei  verschiedeneu  Terme,  durch  deren  Multi- 
plikation und  Addition  das  Doppelintegral  sich 
aufbaut  verschiedene  Bezeichnungen  zu  erhalten. 
Das  erste  der  in  der  vorhergehenden  Gleichung 
auftretenden  Integrale  hat  den  Werth: 


0 

"  ds 

= 

U 

2 

u   - 
e 

9 
u 

das 

Doppelini 

begral 

s 

\dse~ 

9 

— i 

u 

s 

708 

ist  zunächst  in  folgender  Weise  zu  bilden ;  für 
jede  Stelle  der  Axe  s  zwischen  s  =  0  und  s  = 
s  werden  die  Ausdrücke  aufgestellt. 


1.  äse 


Ss 


2.  e"   .rida. 

Es  wird  sodann  jeder  der  Terme  1  multipli- 
cirt  mit  allen  unter  ihm  liegenden  Termen  2  und 
die  so  erhalteneu  Produkte  werden  addirt.  Man 
kann  nun  offenbar  bei  der  Bildung  des  Integrals 
auch  umgekehrt  ausgehen  von  einem  der  Aus- 
drücke 2 ,  diesen  multipliciven  mit  allen  über 
ihm  liegenden  Termen  1  und  schließlich  die  auf 
diese  Weise  erhalteneu  Produkte  addiren.  Es 
ergiebt  sich  hieraus  die  Gleichheit  der  beiden 
Doppelintegrale : 

«'s  SS 

\dse    «  le"   rid(S  und  le"    lydale    «  ds. 

0  0  Off 

Führen  wir  in  dem  letzteren  Integral  dir 
Integration  aus,  so  ergiebt  sich: 

SS  s 

\dse    "  \e"  vdcf  =  —-e    «  Ic«   .ijda 


0 
s 


H {t]d(f. 


709 

Snbstituiren    wir   die  gefundenen   Werthe  in 


der  Gleichung  für 


i  z/iy  rfs, 


0 
80  ergiebt  sich  in  der  That 


\Jrjds  =  —  sd. 


Zur  Prüfung  der  für  die  elektrische  Dichtig- 
keit des  Reibers  gegebenen  Formel  III  kann 
die  erste  der  von  Rieß  ausgeführten  Beobach- 
tnngsreihen  benutzt  werden ,  welche  er  mit  fol- 
genden Worten  beschreibt: 

»Das  unbeschwerte  Reibzeug  wurde  auf  eine 
(27  X  12  Zoll)  große  Tafel  aus  Hartkautschuk 
mit  glänzender  Oberfläche  gestellt  und  am  Glas- 
stile  in  gerader  Linie  um  einen  Zoll  behutsam 
fortgeführt.  Die  dadurch  geriebene  Fläche 
des  Kautschuks  beträgt  (1  X  Durchmesser  des 
Reibers  x  Reiberfläche  3,267  Quadratzoll  und 
die  dabei  stattgefundene  Reibung  wird  zur  Ein- 
heit der  Reibun  g  sme  nge  genommen.  Dann 
wurde  das  Reibzeng  behutsam  abgehoben  ,  auf 
eine  frische  Stelle  der  Platte  gestellt,  wiederum 
einen  Zoll  weit  fortgeführt  u.  s.  f.  Die  An- 
zahl dieser  Operationen  bestimmt  den  Werth 
der  Reibungsmenge.  War  die  gewünschte 
Menge  erreicht,  so  wurde-  mit  dem  Reiber  der 
Knopf  des  von  mir  angegebenen  Sinuselektro- 
meters berührt,  und  die  erregte  Elektricitäts- 
menge  gemessen.« 

»Folgende    sind    die    Mittel   aus    3  Beobach- 


710 

tungen  und  die  aus    ihnen  berechneten  Verhält- 
uisse  der  erregten  Elektricitätsmengen : 

Reibungsmenge.  Erregte  Elektricitätsmenge. 

1  1 

2  1,45 
4  1,67 
8  1,93. 

Um  die  Resultate  dieser  Beobachtungen  mit 
unserer  theoretischen  Formel  zu  vergleichen, 
haben  wir  die  schon  vor  der  Reibung  auf  der 
Oberfläche  des  Isolators  vorhandene  elektrische 
Dichtigkeit  «y  gleich  Null  zu  setzen.  Die  Glei- 
chung III  kommt  dann  auf  die  einfachere  Ge- 
stalt 


u 


\l  —  e    «7. 


Der-  Reibungsmenge  1  entspricht  eine  Fort- 
führung des  Reibers  um  etwa  27  mm,  und  wir 
werden  demnach  die  dem  Werthe  s  =  27  ent- 
sprechende Dichtigkeit  «  =  1  zu  setzen  haben, 
um  Uebereinstimmung  zwischen  den  auf  theore- 
tischem Wege  berechneten  Werthen  der  elektri- 
schen Dichtigkeit  und  den  von  Rieß  beobachte- 
ten Elektricitätsmengen  herzustellen.  Es  zeigt 
sich  daß  den  Beobachtungen  von  Rieß  am  besten 
entsprochen  wird  durch  die  Annahme 

1  =  -1 
u         36* 

Die  mit  Hülfe  dieses  Werthes  berechneten 
Werthe    der  elektrischen   Dichtigkeit    sind    im 


711 

Folgenden  mit  den  von  Rieß  beobachteten  Elek- 
tricitätsmeugen  zusammengestellt. 


Berechnete  elektrische 

Beobachtete 

s.          Dichtigkeit. 

Elektricitätsmenge. 

27              1 

1 

54              1,47 

1,45 

108              1,80 

1,67 

216              1,89 

1,93. 

n. 

Aufgabe.  Ueber  eine  ebene,  unbegrenzte 
und  von  Anfang  an  uuelektrische  Isolatorfläche 
werde  ein  Reibzeug  von  endlicher  Breite  in 
einer  dieser  Breite  parallelen  Richtung  fortge- 
führt. Die  Oberfläche  des  Reibzeuges  möge  eine 
80  geringe  Leitungsfähigkeit  besitzen,  daß  von 
einer  während  der  Reibung  stattfindenden  Aus- 
gleichung der  elektrischen  Dichtigkeit  abge- 
sehen werden  kann.  Es  soll  unter  dieser  Vor- 
aussetzung die  elektrische  Dichtigkeit  an  der 
Oberfläche  des  Reibzeuges  und  des  Isolators  be- 
stimmt werden. 

Wir  betrachten  das  Reibzeug  zunächst  in 
derjenigen  Stellung,  welche  es  vor  Beginn  der 
Bewegung  einnimmt;  auf  der  Linie,  längs  wel- 
cher die  vordere  Kante  desselben  die  Isolator- 
fläche berührt,  nehmen  wir  in  der  letzteren 
einen  Punkt  0,  ;  durch  Oj  ziehen  wir  eine  Linie 
parallel  zu  der  Bewegungsrichtuug  des  Reibzeugs. 
Die  Entfernung  irgend  eines  Punktes  dieser 
Linie  von  dem  Punkt  Oj  werde  bezeichnet  durch 
Sj.  Derjenige  Punkt  der  Reibzeugfläche,  wel- 
cher in  der  Aufangsstellung  dem  Punkt  0,  ge- 
rade gegenüber  liegt,  werde  bezeichnet  durch 
Ä;   an    der   Oberfläche    des  Reibzeuges    ziehen 


712 

wir  durch  i2  eine  Axe  5,  parallel  mit  der  Breite 
des  Reibzeuges.  Es  wird  dann  die  Richtung  $ 
der  Richtung  Sj  gerade  entgegengesetzt  sein. 
Durch  Linien  senkrecht  zu  §  theilen  wir  die 
Oberfläche  des  Reibzeugs  in  lauter  unendlich 
schmale  Streifen  ;  die  Breite  der  aufeinander 
folgenden  Streifen  werde  bezeichnet  durch  d^^, 
d'^11  ^?3  •  •  •  Dem  Anfangspunkt  des  Streifens 
(^$j  liegt  in  der  Oberfläche  des  Isolators  gegen- 
über der  Punkt  0^  ;  der  dem  Anfangspunkt  von 
^?2  gegenüberstehende  Punkt  der  Isolatorfläche 
sei  O^,  der  dem  Anfangspunkt  von  d^^  gegen- 
überliegende Og,  u.  s.  f.  Durch  diese  Punkte  Oj, 
O21  O3  .  .  .,  welche  auf  derselben  der  Oberfläche 
des  Isolators  angehörenden  Linie  liegen ,  ist  auf 
dieser  eine  Reihe  verschiedener  Co or diu aten Sy- 
steme gegeben ,  zwischen  welchen  offenbar  die 
folgenden  Beziehungen  existiren : 

«2  =  *i  +  «'^i 

Sg       =      Si,      -\-      (1^2 

54    =    53    -|-    «^3 


S„   =  «1    +   ^?i    +   ^^2   +     •      •      •     +   «^'n-i 

Außer  diesen  auf  der  Oberfläche  des  Isola- 
tors festliegenden  Systemen  haben  wir  dann 
noch  das  System  §,  dessen  Anfangspunkt  S2  in 
der  vorderen  Kante  des  Reibzeuges  liegt,  und 
welches  wir  als  mit  dem  Reibzeug  fest  verbun- 
den betrachten  werden. 

Um   nun   die    im    vorhergehenden    Abschnitt 
entwickelten  Formeln   au  f  das  jetzt  vorliegende 


713 

Problem  anwenden,  um  also  mit  Hülfe  derselben 
die  elektrischen  Dichtigkeiten  auf  dem  Reibzeug 
und  dem  Isolator  berechnen  zu  können,  wenn 
das  erstere  an  einer  beliebigen  Stelle  seiner 
Bahn  angekommen  ist ,  ersetzen  wir  den  wirk- 
lich stattfindenden  Vorgang  durch  folgenden  ge- 
dachten. Wir  zerlegen  das  Reibzeug  in  seine 
einzelnen  Streifen ;  führen  zunächst  den  ersten 
derselben  in  die  der  späteren  Lage  des  Reib- 
zeuges entsprechende  Stellung  über  und  berech- 
nen mit  Hülfe  der  Formeln  des  vorhergehenden 
Abschnittes  die  durch  die  Reibung  hervorge- 
rufenen elektrischen  Dichtigkeiten.  Wir  lassen 
sodann  den  zweiten  Streifen  nachrücken  und 
berechnen  die  elektrische  Dichtigkeit  dieses  zwei- 
ten Streifens,  sowie  die  Aeuderung  der  elektri- 
schen Dichtigkeit  der  Isolatorfläche ;  dasselbe 
wiederholt  sich  bei  einen  dritten,  vierten  Streifen 
u.  s.  f.  bis  endlich  sämmtliche  Streifen  des  Reib- 
zeugs in  die  betrachtete  neue  Stellung  überge- 
gangen sind. 

Es  mögen  nun  im  Folgenden  die  Resultate 
dieser  aufeinanderfolgenden  Operationen  ent- 
wickelt werden. 

1.    Bewegung  des  Streifens  {f^j. 
Für  die  Dichtigkeit  auf  rf|,  ergiebt  sich: 


1)         ..  =  X. « (i-r»') 


für  die  Dichtigkeit  auf  der  Isolatorfläche: 


714 

2.    Bewegung  des  Streifens  d^^' 
Es  ergiebt  sicli: 


-^s. 


0 
Wir  betrachten  zuuächst  das  Integral 


In    diesem    Integral    ist    Jri^    gleich    Null    von 
s     =  0  bis  «2  =  <??j   so  daß  wir  erhalten: 


'2 

So 


r  1,  r  1, 

le«  'Jtj^ds^  =  le«  'Jiiids.^ 
0  d?i 

oder   wenn   wir  für   Jtji    seinen  Werth  substi- 


tuiren : 

8, 


.s,. 


I 


'1" 
ö 

Mit  Hülfe  dieses  Werthes  ergiebt  sich : 


715 


9 


9 


Die  erste  dieser  beiden  Gleichungen  giebt 
für  «2  =  0  nicht  wie  es  der  Fall  sein  sollte 
«2=0,  sondern 


Es  erledigt  sich  dieser  Widerspruch  in  einfacher 
Weise  dadurch  daß  die  Funktion 

für  alle  negativen  Werthe  von  5,  gleich  Null 
zu  setzen  ist,  und  daß  daher  gleiches  auch  von 
dem  zweiten  Term  des  für  s^  gefundenen  Aus- 
druckes gilt.  Es  mag  gleich  au  dieser  Stelle 
bemerkt  werden,  daß  auch  die  für  spätere  Strei- 
fen aufzustellenden  Formeln  zu  ganz  analogen 
Bemerkungen  Veranlassung  geben;  daß  also  alle 
Fälle,  in  welchen  negative  Werthe  der  Coordi- 
naten  5j,  s^  ...  in  Betracht  kommen,  einer 
gesonderten  Betrachtung  bedürfen,  oder  daß  man 
sich  bei  der  Anwendung  der  resultirenden  For- 
meln auf  Fälle  zu  beschränken  hat,  in  denen 
solche  negative  Werthe  nicht  eintreten,  d.  h. 
in  welchen  das  Reibzeug  mindestens  um  seine 
ganze  Breite  verschoben  wird. 


716 

3.    Verschiebung  des  Streifens  d^^. 
Es  ergiebt  sich: 

^3  =  x.^-(i-r^^') 


r  1 


+  fe    u'y»\Jfl,-\-Jr],)ds, 


u 

0 


*»       q 


+  !'^?8ß    «''je"''(^^,+J^,)^53. 


f.  2 

Ebenso    wie   bei   der   vorhergehenden  Rech- 
nung ergiebt  sich: 

\  e"''"  J»?i  (^53  =  1  e"  '  ^jyi  ^^53 
0  dSA<ih 


i:id^t-^ds,) 


717 

und    durch    Substitution    dieser  Werthe  in  den 
Gleichungen  für  «,  und  Jij^ 

u  I  — — »sl  Q  — — «, 


9. 


—  x.^d^^e    «    .Sa 


30     z/i?«  =  -x^^,e    «• 


s 


+  x^^t?|,cZ$,e    «\(i_^5j 


q 

u.  s.  w. 

Verschiebung  des  Streifens  d^-. 
Es  ergiebt  sich : 

„  /         _1,\  .»-1  _?, 


60 


718 

4.     Die    elektrisclie    Die.    ,,.,.,  ,       r\, 

fläche  des  Rei^^lgk«^^   ^^    ^^^   ^^^'- 
bzeuges. 

Um    den  im    Vorhergehendb  ,        „..     ,.       ,  , 

irische      Dichtigkeit     e.   gegebe^^.  ^^^  ^/^  f    C 
°  1    &  ö  ,Qjj    Ausdruck 

weiter    entwickeln    zu    können,    bem^        , 

daß    die   in   demselben  auftretenden  Coc'^^*^®,^   ^^^' 

s.  und  s^.  die  Coordinaten    eines   und   de  ""^"^^f ''^^ 
*  '  »sselben 

Punktes  der  Richtung  s  mit  Bezug  auf  die 
schiedenen    auf   ihr  angenommenenen   AnfaL 
punkte  sind.     Setzen  wir  nun:  ^^^ 

^r  =  ^?l  +  ^^2  +  ...  +  ^l,_l 

so  ist: 

Substituiren    wir    diesen   Werth  in  der  vor- 
hergehenden  Gleichung  für  s    und  ersetzen  wir 

gleichzeitig  die  auf  der  rechten  Seite  derselben 
stehenden  Summen  durch  die  entsprechenden 
Integrale,  so  ergiebt  sich  durch  Ausführung  der 
Integration 

6 .  =  x.-\l  — e     «  / 

«    ll-e     «  7 


_  1 
X  .5,  e 


u    — - 
—  X.-  e 


719 

Auf  der  Oberfläche  des  Reibzeuges  ist  die 
Stelle,  deren  Dichtigkeit  durch  die  vorstehende 
Formel  dargestellt  wird,  gegeben  durch  ihre 
Coordiuate  ^-  mit  Bezug  auf  den  der  Vorder- 
kante des  Reibzeuges  angehörenden  Punkt  i2. 
Dagegen    ist   die   Entfernung  des   Streifens  d'^^ 

von  seiner  ursprünglichen  Stellung,  in  welcher 
die  Dichtigkeit  den  obigen  Werth  erreicht 
hat,  gegeben  durch  den  Abstaud  Sy  des  Strei- 
fens d$j.  von  dem  Punkte  Oj.  Es  ist  nun  zweck- 
mäßiger als  unabhängige  Veränderliche  neben 
den  Coordinaten  |-  die  Entfernung  s  der  vorde- 
ren Kante  des  Reibzeuges  von  ihrem  Ausgangs- 
punkt Oj  d.  h.  die  ganze  Verschiebungsgröße 
des  Reibzeuges  einzuführen.  Wir  haben  dann 
in  der  vorhergehenden  Formel  zu  setzen: 

«1  =  s  —  ^. 
und  erhalten 

q        q_^ 

—  x(s  —  ^)e     «*(e"    —1)  (V 

—  x.-e     «    (e«    -1—^5). 
q  M 

Hier  ist  der  Index  bei  $  weggelassen  und 
durch  die  Klammer  (§,  s)  angedeutet,  daß  durch 
diese  Formel  e  als  Funktion  der  beiden  unab- 
hängigen  Veränderlichen  $  und  s  bestimmt  ist. 

Für  die  gesammte  Elektricitätsmenge,  welche 

CO* 


720 

sich  auf  der  Oberfläche  des  Reibzeugs  von  der 
vorderen  Kante,  d.  h.  von  5  =  0  an  bis  zu 
einer  beliebigen  Entfernung  ?  nach  irgend  einer 
Verschiebung  5  angesammelt  hat  ergiebt  sich: 

I 

0 
Die  Ausführung  der  Integration  giebt: 

q^  ^        u         11^       l 

Die  im  Vorhergehenden  gemachten  Annah- 
men entsprechen  einigermaßen  den  Verhältnissen 
der  zweiten  von  Rieß  mitgetheilten  Beobach- 
tungsreibe, bei  der  das  Reibzeug  in  einem  Zuge 
um  Strecken  von  27,  54,  108  u.  216  mm.  über 
die  Kautschukfläche  fortgeführt  wurde.  Auf  die 
erste  dieser  Verschiebungen  ist  jedoch  die  For- 
mel VI  auf  keinen  Fall  anwendbar,  da  dieselbe 
weniger  als  die  ganze  Breite  des  Reibzeuges 
beträgt.  Auch  bei  den  übrigen  Verschiebungen 
kann  aber  eine  genaue  Uebereinstimmuug  zwi- 
schen den  von  Rieß  beobachteten  und  den  nach 
der  obigen  Gleichung  berechneten  Elektricitäts- 
mengeu  nicht  stattfinden,  da  das  Reibzeug  von 
Rieß  mit  einer  dünnen  Amalgamschicht  über- 
zogen war,  während  unsere  Entwicklungen  auf 
der  Voraussetzung  einer  sehr  schlechten  Leitungs- 
fähigkeit der  Reibzeugfläche  beruhen.  Ferner 
beziehen    sich    die    Versuche   von  Rieß  auf  ein 


721 

ßeibzeug  von  kreisförmiger  Gestalt,  während 
•wir  eine  rechteckige  Form  desselben  angenom- 
men haben.  Diese  Verschiedeaheit  dürfte  sich 
dadurch  ausgleichen  lassen ,  daß  wir  an  Stelle 
des  Kreises  ein  Quadrat  von  gleichem  Inhalt 
setzen.  Für  die  Seite  dieses  Quadrats  ergiebt 
sich  mit  Rücksicht  auf  die  Dimensionen  des  von 
Rieß  benützten  Reibzeugs  eine  Länge  von  35  mm. 
Wir  haben  also  in  der  obigen  Formel  für  ?  den 
Werth  35,  für  s  der  Reihe  nach  die  Werthe 
54,  108  und  216  zu  substituiren,  um  die  diesen 
Verschiebungsgrößen  entsprechenden  Elektrici- 
tätsmengen  zu  erhalten.  Es  ergiebt  sich,  daß 
den  Beobachtungen  von  Rieß  genügt  wird  durch 
die  Annahme 


-  =  20. 


Die  hiermit  berechneten  Werthe  der  Elek- 
tricitätsmengen  sind  im  folgenden  mit  den  von 
Rieß  beobachteten  zusammengestellt. 

Berechnete  Beobachtete 

s.     Elektricitätsmenge.     Elektricitätsmenge. 
54mm.  134  134 

108"™-  1,82  1,60 

216«>°'-  1,89.  1,92. 

in. 

Ueber  Reibnngsströme. 

Die  im  vorhergehenden  Abschnitt  für  die 
elektrische  Dichtigkeit  au  der  Oberfläche  des 
Reibzeuges  gegebene  Gleichung  Y  soll  nun  dazu 
benützt  werden,  den  Werth  dieser  Dichtigkeit  an 
der  vorderen  und  hinteren  Kante  des  Reibzeugs  zu 


722 

berechnen.  Hiebei  setzen  wir  entsprechend  den  Ver- 
suchen vonRieß  die  Breite  des  Reibzeuges  gleich 

35"""-,  den  Werth  der  Constanten  -  gleich  20.     Es 

ergiebt  sich  dann  für    die  einer  beliebigen  Ver- 
schiebung s  des  Reibzeuges  entsprechende  Dich- 
tigkeit: 
An  der  vorderen  Kante  d.  h.  für  ^  =  0. 

*o  =  x.2o(l  — e    2ö) 
An  der  hinteren  Kante  d.  h.  für  |  =  35 


?i  =  x.20.(l~e    2o) 
s 
—  X. 4,76.56    ^ 


+  x. 106,4.6 


20 


In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  hieraus 
für  einige  Verschiebungen  s  sich  ergebenden 
Werthe  von  e^  und  s^  zusammengestellt. 


40 

80 
120 
160 

Der  konstante  Endwerth  20x,  welchem  sich 
die  elektrische  Dichtigkeit  an  der  vorderen  Kante 
sehr  schnell,  an  der  hinteren  langsam  nähert, 
kann    zu    einer    Bestimmung    des    numerischen 


^0 

17,3.x 

6,0 

X 

19,6.x 

14,6. 

X 

19,9.x 

18,7 

X 

20,0.x 

19,8. 

X. 

723 

Werthes  von  x  benützt  werden.  Zollner  hat 
»die  Zahl  von  elektrostatischen  Einheiten,  welche 
sich  auf  jedem  Qaadratinm.  einer  auf  trockenem 
Tuche  kräftig  geriebenen  Sigellackstange  be- 
finden«, bestimmt,  und  fand  als  Maximum  08 
elektrostatische  Einheiten  ;  nehmen  wir  hiernach 
70  als  Maximalwerth  der  zu  erreichenden  elek- 
trischen Dichtigkeit,  so  ergiebt  sich 

X  =  3,5. 

Die  Vergleichung  der  in  der  vorstehenden 
Tabelle  zusammengestellten  Werthe  der  elektri- 
schen Dichtigkeiten  zeigt,  daß  namentlich  im 
Anfange  der  Reibung  die  elektrische  Dichtig- 
keit der  vorderen  Kante  des  Reibzeugs  sehr 
beträchtlich  größer  ist,  als  die  der  hinteren 
Kante;  würde  man  also  in  irgend  einem  Mo- 
mente plötzlich  durch  einen  Schließungsdraht 
die  vordere  Kante  mit  der  hinteren  verbinden, 
80  würde  eine  Ausgleichung  der  elektrischen 
Dichtigkeiten  stattfinden,  und  es  würde  die  Elek- 
tricität  des  Reibzeuges  in  dem  Schließungsdrahte 
von  der  vorderen  Kante  nach  der  hinteren  ab- 
strömen. Ist  also  das  Reibzeug  positiv 
elektrisch,  so  erhält  man  einen  Strom, 
der  von  der  vorderen  Kante  desselben 
nach  der  hinteren  gerichtet  ist,  um- 
gekehrt, wenn  da  s  R  eibzeug  negati  v 
elektrisch  ist,  so  geht  der  positive 
Strom  von  der  hinteren  Kante  nach 
der  vorderen.  Dieser  Strom  wurde,  wie  sich 
aus  den  numerischen  Wertheu  von  f  „  und  £^  er- 
giebt, zu  Anfang  der  Reibung  eine  Stärke  be- 
sitzen, welche  sehr  wohl  vergleichbar  wäre  mit 
der  Stärke  des  Stromes,  welcher  durch  Vereini- 
gung der  Elektricität  des  Reibzeages  mit  der 
des  Isolators  entstände. 


724 

Zöllner  hat  Beobachtungen  angestellt, 
durch  welche  die  Existenz  von  elektrischen  Strö- 
mungen im  Inneren  des  Reibzeugs  während  der 
Dauer  der  Reibung  nachgewiesen  wird.  Er 
spricht  die  Resultate  dieser  Beobachtungen  in 
folgenden  Sätzen  aus. 

»Werden  zwei  verschiedene  Körper,  von  de- 
nen der  eine  ein  Isolator  (Dielectricum)  der  an- 
dere ein  sogenannter  Halbleiter  ist,  mittelst 
gleitender  Reibung  aneinander  verschoben,  so 
entstehen  in  dem  Halbleiter  elektrische  Ströme, 
deren  Richtung  von  der  Natur  und  Bewegung 
des  Isolators  in  folgender  Weise  abhängt. 

Wird  der  geriebene  Isolator  positiv 
elektrisch,  so  entstehen  an  der  Berüh- 
rungsfläche oder  im  Inneren  desReib- 
zeugs  elektrische  Ströme,  welche  pa- 
rallel aber  entgegengesetzt  der  rela- 
tiven Bewegung  des  Isolators  sind; 
wird  dagegen  letzterer  negativ  elek- 
trisch, so  sind  die  erwähnten  Ströme 
parallel  und  gleichgerichtet  der  rela- 
tiven Bewegung  des  Isolators«. 

Es  handelt  sich  ferner  bei  den  Versuchen 
von  Zöllner 

»um  die  Ausgleichung  von  Elektricitätsmen- 
gen ,  welche  keineswegs  unbedeutend ,  sondern 
vollkommen  von  der  Ordnung  derjenigen  sind, 
welche  überhaupt  nur  durch  Reilsung  an  der 
Oberfläche  zweier  heterogenen  Körper  entwickelt 
werden  können«. 

Wie  man  sieht,  stimmen  die  von  Zöllner 
beobachteten  Ströme  der  Richtung  nach  voll- 
kommen mit  denjenigen  Strömen  überein ,  auf 
deren  Existenz  wir  durch  unsere  theoretischen 
Betrachtungen  geführt  worden  sind.  Ob  aber 
in  der  nach    unserer  Theorie    zwischen  der  vor- 


725 

deren  und  hinteren  Kaute  des  Reibzeugs  auf- 
tretenden Spannungsdiffereuz  der  wahre  Grund 
der  von  Zöllner  beobachteten  Reibnngsströrae, 
und  ebenso  der  von  Quincke  und  Zöllner  unter- 
suchten Kapillarströme  gefunden  ist,  darüber 
wird  erst  durch  weitere  experimentelle  Unter- 
suchungen entschieden  werden  können. 


IV.     üeber    die  Natur  der  Scheidungs- 
kräfte der  Reibung. 

In  einem  in  dem  Jubelbande  von  Poggen- 
dorfs  Annalen  enthaltenen  Aufsatze  »zur  Theo- 
rie der  dielektrischen  Mittel«  habe  ich 
eine  genauere  Analyse  der  von  einem  Ampere- 
schen  Molekularstrome  ausgehenden  elektrischen 
Wirkungen  ausgeführt.  Die  dabei  zu  Grunde 
gelegte  Anschauung  über  die  Constitution  dieser 
Molekularströme  war  die,  daß  eine  mit  einem 
ponderabelen  Moleküle  fest  verbundene  Masse 
negativer  Elektricität,  der  Kern  des  Molekular- 
stromes, umkreist  werde  von  einem  Ringe,  über 
welchen  eine  gleich  große  Masse  positiver  Elek- 
tricität gleichförmig  vertheilt  ist.  Ich  habe  da- 
bei insbesondere  auf  eine  eigenthümliche  elek- 
trodynamische Wirkung  aufmerksam  gemacht, 
welche  von  dem  Ringe  des  Molekularstromes 
ausgeht  und  deren  Componenten  sich  darstellen 
1  asseu  durch  die  negativen  Differentialquotienten 
des  Potentiales 


Hier   bezeichnet  da  ein  Element  des  Ringes, 
g'  die  Geschwindigkeit,  mit  w  elcher  die  Elektri- 


726 

cität  sich  in  dem  Ringe  bewegt,  s  die  auf  die 
Längeneinheit  des  Rings  kommende  Menge  po- 
sitiver Elektricität ;  r  die  Entfernung  des  Ele- 
mentes du  von  dem  Punkte ,  für  welchen  das 
Potential  des  Ringes  bestimmt  werden  soll.  Es 
mag  bemerkt  werden,  daß  dieses  Potential  das- 
selbe ist,  dessen  Existenz  ich  in  einem  Aufsatze, 
der  in  den  Nachrichten  der  Gott.  Ges.  d.  Wiss. 
1873  Nr.  19  veröffentlicht  ist ,  bewiesen  habe, 
und  auf  welches  durch  ganz  dieselbe  Entwick- 
lung und  unabhängig  von  mir  auch  Clausius 
geführt  worden  ist. 

Die  Kräfte,  deren  Componenten  durch  das 
obige  Potential  bestimmt  werden  sind  insbeson- 
dere durch  die  folgenden  Eigenschaften  ausge- 
zeichnet- 

1.  Der  positive  Ring  des  Molekularstromes 
übt  eine  abstoßende  Wirkung  auf  gleichnamige, 
eine  anziehende  Wirkung  auf  ungleichnamige 
elektrische  Theilchen  aus. 

2.  Diese  Wirkungen  sind  proportional  dem 
Quadrat  der  Geschwindigkeit,  mit  welcher  die 
positive  Elektricität  in  dem  Ringe  sich  bewegt, 
sie  sind  also  unabhängig  von  der  Richtung,  in 
welcher  diese  Strömung  erfolgt. 

3.  Die  von  dem  Ringe  ansgeübte  Kraft  ist 
proportional  mit  der  Summe  seiner  einzelnen 
Elemente,  jedes  derselben  multiplicirt  mit  dem 
Quadrate  des  cosinus  desjenigen  Winkels,  wel- 
chen das  Element  mit  der  Richtung  vom  Mittel- 
punkt des  Stromes  nach  dem  abgestoßenen  odeT 
angezogenen    elektrischen    Theilchen  einschließt* 

Schon  in  dem  angeführten  Aufsatze  habe  icl 
darauf  hingewiesen ,  daß  diese  Kräfte  vielleicht 
eine  Rolle  spielen  dürften  bei  dem  Vorgange 
der  elektrischen  Scheidung  durch  Reibung  oder 
Berührung.     Ich  erlaube  mir,    diese  damals  ge- 


i'H 


machte  AndentuDg  jetzt  etwas  näher  zu  begrün- 
den. Zunächst  wird  es  zweckmäßicr  sein,  die.  in 
dem  früheren  Aufsatze  in  Betreff  der  Arapere- 
schen  Molekularströme  gemachten  Annahmen 
mit  etwas  allgemeineren  zu  vertauschen.  Wir 
werden  mit  demselben  Rechte,  mit  welchem  wir 
uns  bisher  die  negative  elektrische  Flüssigkeit 
mit  ponderabeler  Masse  verbunden  gedacht  ha- 
ben, auch  die  positiv  elektrischen  Theilchen  als 
mit  ponderabeler  Masse  behaftet  denken  können. 
Die  beiden  elektrischen  Massen,  aus  welchen 
der  Molekularstrom  besteht,  werden  dann  in 
Doppelsternbewegung  um  einander  begriffen  sein, 
und  es  wird  je  nach  dem  Ueberwiegen  der  einen 
oder  oder  der  anderen  der  beiden  ponderabelen 
Massen  die  Bahn  des  positiven  Theilchens  die 
des  negativen  umschließen  oder  umgekehrt.  Um 
nun  in  diesem  Falle  die  elektrischen  Wirkungen 
des  Molekularstromes  ermitteln  zu  können,  möge 
folgende  Hypothese  eingeführt  werden  :  die  Wir- 
kung eines  elektrischen  Theilchens,  das  eine  ge- 
schlossene Curve  mit  großer  Geschwindigkeit 
durchläuft,  kann  ersetzt  werden  durch  die  Wir- 
kung einer  über  die  ganze  Curve  stetig  ausge- 
breiteten elektrischen  A'ertheilung ,  wenn  deren 
Gesammtmasse  gleich  ist  jener  einzelnen  elek- 
trischen Masse  und  wenn  die  ganze  über  die 
Curve  vertheilte  Masse  in  dieser  mit  derselben 
Geschwindigkeit  dahinströmt ,  mit  welcher  sie 
von  jenem  einzelnen  elektrischen  Theilchen 
durchlaufen  wird.  Läßt  man  diese  Hypothese  zu, 
so  kann  die  Wirkung  eines  elektrischen  Dop- 
pelatomes  auf  einen  elektrischen  Punkt  in  der- 
selben Weise  gefunden  werden,  in  welcher  die 
Wirkungen  des  Ampereschen  Molekularstromes 
von  mir  in  dem  augeführten  Aufsatze  entwi- 
ckelt worden    sind.     Es  ergiebt  sich  also,    daß 


728 

auch  in  diesem  Falle  jene  statischen  Wirkungen 
existiren ,  welche  wir  im  Vorhergehenden  be- 
trachtet haben ;  die  Art  dieser  Wirkungen  wird 
bei  einem  elektrischen  Doppelatome  durch  fol- 
genden Satz  bestimmt; 

Ein  elektrisches  Doppelatom  übt 
auf  ein  positiv  elektrisches  Theilchen 
eine  abstoßende  Wirkung  aus,  wenn 
die  Bahn  des  positiven  Atoms  die  des 
negativen  umschließt;  wenn  dagegen 
umgekehrt  die  Bahn  des  negativen 
Atomes  die  umschließendeist,  so  fin- 
det eine  anziehende  Wirkung  statt. 
Diese  Wirkung  ist  unabhängig  von 
der  Richtung,  in  welcher  sich  die  bei- 
den Atome  um  einander  drehen  und 
proportional  dem  Quadrate  der  Dre- 
hungsgeschwindigkeit. 

Die    von    irgend  einem  Körper  ausgehenden 
Wirkungen  elektrischen  Ursprungs  können  ihren 
Grund    haben   in  einer  Vertheilung  freier  Elek- 
tricität  an  seiner  Oberfläche,  in  einer  dielektri- 
schen   oder  diamagnetischen  Polarisation;    aber 
selbst  wenn  alle  diese  Wirkungen  ausgeschlossen 
sind,    kann   derselbe    noch  der  Sitz  elektrischer 
Kräfte  sein ,    die    ihreu  Grund  in  der  Verschie- 
denheit   der    Bahnen    haben,    welche    von    den 
Theilchen  eines  und  desselben  elektrischen  Dop- 
pelatomes  durchlaufen  werden.     Wenn  die  Ober- 
flächen   zweier  Körper  in  innige  Berührung  ge- 
bracht  werden,    so    werden    dieselben  Wechsel- j 
seitig  Kräfte  auf  einander  ausüben,  durch  welche ; 
eine    Zersetzung    der    elektrischen  Atorasysteme 
angestrebt   wird.     Sind   diese    Kräfte    stark  ge-i 
nug    um    den  Zusammenhang   der  Atomsysteme| 
zu  lösen,  so  wird  derjenige  Körper,  von  welchem 
die  stärkeren  Kräfte  ausgehen,    mit  einer  elek 


729 

trischen  Ladung  ans  der  Berührung  hervorgehen, 
welche  der  von  ihm  angezogenen  Elektricitätsart 
entspricht.  Diese  Ladung  würde  natürlich  von 
einer  solchen  Größe  sein,  daß  die  von  ihr  aus- 
geübten Wirkungen  von  derselben  Ordnung  wä- 
ren, wie  die  Kräfte  durch  welche  sie  erzeugt 
wurde.     Jene    Kräfte   enthalten    nun   aber    den 

Faktor  -^,   wo    c  die  Weber  sehe  Constante;    es 

ergiebt  sich  hieraus,  daß  die  Kräfte,  um  welche 
es  sich  handelt,  äußerst  schwach  sind,  so  daß 
zu  ihrem  experimentellen  Nachweis  besonders 
günstige  Verhältnisse  und  die  feinsten  Hülfs- 
mittel  erforderlich  sein  dürften.  Daraus  ergiebt 
sich  aber  weiter,  daß  wir  durch  die  vorherge- 
henden Betrachtungen  für  die  Erklärung  der 
elektrischen  Scheidung  durch  Reibung  oder  Be- 
rührung unmittelbar  noch  nichts  gewonnen  ha- 
ben, sondern  daß  wir  die  weitere  Annahme  hin- 
zufügen müssen,  daß  das  Webersche  Gesetz  für 
molekulare  Distanzen  ebenso  modificirt  werden 
muß  wie  das  Newtonsche,  Auf  diese  Forderung 
ist  aber  von  ganz  anderer  Seite  her  auch  Neu- 
manu  geführt  worden  in  seiner  Theorie  der 
elektromagnetischen  Drehung  der  Polarisations- 
ebene des  Lichtes.  In  der  That,  wenn  wir  die 
von  ihm  für  molekulare  Distanzen  vorgeschla- 
gene Form  des  Weberscheu  Gesetzes  benützen 
so  haben  wir  in  dem  Ausdrucke  für  das  Poten- 
tial der  von  uns  betrachteten  Kräfte  an  Stelle 
von  Vr  eine  andere  unbekannte  Funktion  der 
Entfernung  zu  setzen ,  und  gelangen  im  Uebri- 
gen  zu  genau  denselben  Resultaten.  Es  ergiebt 
sich  also,  daß  die  Scheidungskräfte  der  Berüh- 
rung oder  Reibung  in  der  That  reducirt  werden 
können  auf  rein  elektrische  Wirkungen. 


730 

Es  erscheint  nicht  noth wendig,  darauf  ein- 
zugehen, wie  sich  aus  den  im  Vorhergehenden 
entwickelten  Principien  die  Existenz  einer  Span- 
nungsreihe mit  Nothwendigkeit  ergiebt,  wie  die 
elektromotorischen  Kräfte,  welche  aus  der  rela- 
tiven Bewegung  zweier  sich  berührender  Körper 
bei  der  gleitenden  Reibung  hervorgehen,  geeig- 
net erscheinen,  den  specifischen  Einfluß  der 
Reibung  zu  erklären;  nur  auf  einen  Punkt  er- 
laube ich  mir  zum  Schluß  hinzuweisen.  Man 
pflegt  die  elektrischen  Scheiduugskräfte  durch 
Reibung  oder  Berührung  aufzufassen  als  Kräfte 
von  der  Art  der  chemischen  Affinitätskräfte. 
Wenn  sich  nun  gezeigt  hat,  daß  das  Webersche 
Gesetz  mit  der  für  molekulare  Distanzen  noth- 
wendigen  Modifikation  auch  diese  Wirkungen 
zu  umfassen  vermag,  so  kann  man  daran  die 
Aussicht  knüpfen,  daß  Kräfte  von  der  Art  des 
Weber'schen  Grundgesetzes  im  weitereu  Fort- 
schritte der  Wissenschaft  auch  das  Gebiet  der 
chemischen  Erscheinungen  der  Anwendung  me- 
chanischer Principien  zu  unterwerfen  im  Stande 
sind.  Auf  eine  ganz  andere  Beziehung  zwischen 
seinem  Gesetz  und  den  Erscheinungen  der  Che- 
mie hat  Weber  selbst  in  der  sechsten  Abhand- 
lung über  elektromagnetische  Maßbestimmungen 
aufmerksam  gemacht;  durch  Anwendung  seines 
Gesetzes  auf  ein  System  zweier  gleichartiger 
elektrischer  Theilcheu  gelangt  er  zu  der  Unter- 
scheidung zweier  verschiedener  Aggregatzustände 
dieses  Systems,  einem  Vorbild  für  die  bald  be- 
harrlichen ,  bald  nicht  beharrlichen  chemischen 
Atomverbindungen. 


731 

Zusatz.  Es  giebt  gewisse  Fälle  der  Rei- 
bung zweier  Körper  auf  welche  die  in  den  bei- 
den ersten  Abschnitten  entwickelten  Principien 
nicht  unmittelbar  anwendbar  sind.  Ein  solcher 
Fall  ist  z.  B.  die  Reibung  eines  kreisförmigen 
Reibzeuges  auf  ebener  Unterlage  durch  Drehung 
um  den  Mittelpunkt  des  Kreises.  Aehnliche 
Verhältnisse  treten  aber  schon  dann  ein,  wenn 
bei  der  Bewegung  des  Reibzeuges  ein  Theil  der 
von  demselben  ursprünglich  eingenommenen 
Fläche  von  dem  Reibzeug  überdeckt  bleibt. 
Auch  aus  diesem  Grunde  ist  also  die  Anwendung 
der  Formeln  auf  Fälle  in  denen  das  Reibzeug 
nicht  um  seine  ganze  Breite  verschoben  wird  zu 
vermeiden. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft    der    ^Vis- 
senschaften  eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Vierteljahrsschrifl  d.  Astron.  Gesellsch.    Jahrg.  12.    H.  2. 
Proceedings   of  the   London  Xluthem.  Society.      No.  112 

—114. 
Annales  de  l'Observatoire  R.  de  Bruxelles.     Fol.  3.  4. 
M.  V  a  z  e  k  über  österreichische  Mastodonten.    Wien.  1877. 

Fol. 
Monumenta  medii  uevi  historica  res  gestas  Poloniae  illastr. 

T.  II.    Krakau  1876. 
Rozprawy  i  Sprawozdania  z.  posiedzen  etc     T.  VI— VIT. 

Ebd.  1877. 
Zbior  wiadomosci  do  Antropologii  Krajowej.    T.  I.    Fbd. 

1877. 
Rocznik  ^arzadu  Akademii  umiejetnosci  wKrakowie.  Rok 

1876. 
H.    G.  V.  de   Sande  Bakhoyzen,    Catalogus   van   de 

boeken  op  1  Jan.  1877  aanwezig  in  de  bibliotheek  der 

Sterrenwacht  te  Leiden.    1877. 


732 

Sitzungsbericlite  der  philos.,   philol.  u.  histor.  Gl.  der  K. 

B.  Akad.  d.  Wiss.  zu  München.    H.  IL     1877. 
Bericht   der  Budapester   Handels  -   und   Gewerbekammer 

über  Gewerbe   u.  Industrie   des  Budapester  Kammerdi- 

strictes  für  die  Jahre  1870-1875.     Budapest  1875. 
Zeitschrift  der  deutsch.  Morgenl.  Gesellsch.     Bd.  31.    H. 

2-3.     1877. 
Mittheilungen  d.  histor.  Vereins  f.  Steiermark.    H.  XXV. 

1877.  ^ 
Beiträge  zur  Kunde  Steiermark.  Geschichtsquellen.    Jahrg. 

14.     1877. 

E.  Heis,  Resultate  der  in  43  Jahren  1833  —  1875  ange- 
stellten Sternschnuppen-Beobachtungen.  Münster  1877.  4. 

Transactions  of  the  Zoological  See.  of  London.  Vol.  X. 
P.  2.     1877.     4. 

Proceedings  of  the  Scientific  Meetings  of  the  Zool.  Soc. 
for  1877.     P.  IL 

J.  K  ö  r  ö  8  i ,  Publicationen  des  statistischen  Bureaus  der 
köu.  Freistadt  Pest.     V--VIII.    Pest  1872—73. 

J.  von  Puscaria,  das  Stereometer.     Budapest  1877. 

C.  Seil,  die  actio  de.'-rupitiis  sarciendis  der  12  Tafeln  etc. 
Bonn  1877.     4. 

32.  Jahresbericht  der  naturf.  Gesellsch.  zu  Emden.     1876. 

Verhandlungen  des  naturhist.  media.  Vereins  zu  Heidel- 
berg.   Bd.  IL  1.     1877. 

J.  B  ö  c  k  h ,  Bemerkungen  zu  der  »Neue  Daten  zur  geo- 
log.  u.  palaeont.  Kenntniß  d.  südlichen  Bakony«.  No. 
3.     Budapest  1877. 

C.  A.  Peters,  Bestimmung  des  Längenunterschiedes  zwi- 
schen den  Sternwarten  von  Kopenhagen  und  Altona. 
Kopenhagen  1877.     4. 

F.  C.  NoU,  der  zoologische  Garten.  Jahrg.  XVIII.  No. 
1.  2.  3.     1877. 

Kongl.  Svenska  Vetenskabs-Akademiens  Handlingar.  Ny 
Följd.  Bd.  Xm.  Bd.  XIV.  Haft  1.  Stockholm  1874. 
75.    4. 

Bihang  tili  K.  Sv.  Vetensk.  Akad.  Handlingar.  Bd.  III. 
H.  2.     1875.  0 

Ofversigt  af  K.  Sv.  Vetensk.  Akad.  Förhandlingar.  33  Ar- 
gangen.     1876. 

Meteorolo gisk  Jakttagelser  i  Sverige.    Bd.  XVL  1874.  4. 

C.  Fr.  Waern,  Minuesteckning  öfver  A.  Ehrensvärd. 
1876. 

(Fortsetzung  folgt.) 


733 


Vacliricliteii 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


5.  December.  M  26.  1877. 

Köuiuliche  Gesellschaft  der  >Yisseuscliaf(cn. 

Oeffentliche  Sitzung  am  1.  December. 

Jahresbericht  des  Secretärs. 

Meissner,!   ^um  Andenken  an  Karl  Ernst  v  o  n  B  a  e  r. 
Grise  Dach,/ 

von  See b ach,  Ueber  den  Bau  des  Volcan  de  Faego  in 
Guatemala  und  eine  Besteigung  desselben. 

Benfey,  Einige  Worte  über  den  Ursprung  der  Sprache. 


Die  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  fei- 
erte in  der  heutigen  Sitzung  ihren  Stiftungstag 
zum  sechsundzwanzigsten  Mal  im  zweiten  Jahr- 
hundert ihres  Bestehens.  Sie  erneute  damit 
zugleich  das  Andenken  an  ihren  Gründer  und 
ersten  lebenslänglichen  Präsidenten  Albrecht 
von  H  aller.  Mit  Recht  konnte  er  als  der 
wahre  Gründer  bezeichnet  werden,  da  er  es 
war,  der  die  Statuten  in  der  Fassung  entwor- 
fen hat,  wie  sie  nachher  von  dem  K.  Curatorium 
genehmigt  worden  sind.  Und  wer  hätte  zur  Lö- 
sung dieser  Aufgabe  befähigter  sein  können,  als 
dieser  außerordentliche  Mann,  der  fast  alle  Ge- 
biete des  menschlichen  Wissens  umfaßte ,  der, 
wie    ein    geistreicher   Biograph    von    ihm    sagt, 

61 


734 

eine  gauze  Akademie  in  sich  vereinte,  dessen 
wichtige  Forschungen  und  Entdeckungen  von  so 
großem  Einfluß  auf  die  Entwickelung  der  Ana- 
tomie, der  Physiologie  und  der  Botanik  gewesen 
sind,  und  der  durch  sein  vielseitiges  Wirken  und 
die  große  Anzahl  seiner  Schriften  so  wesentlich 
zum  Rufe  der  neu  gestifteten  Universität  beigetra- 
gen hatte.  Es  wurde  ferner  der  öflPentlichen  Feier 
gedacht,  die  von  Haller's  Vaterstadt  Bern 
zum  Gedächtniß  an  die  hundertjährige  Wieder- 
kehr seines  Todestags  (am  12.  d.  M.)  beschlossen 
sei,  und  daß  auch  unsere  Universität,  eingedenk 
der  hohen  Bedeutung,  die  Hall  er  für  sie  ge- 
habt hat,  sich  an  dieser  Feier  betheiligen  werde. 

Nachdem  Hr.  Professor  von  Seebach  einen 
Vortrag  über  den  Volcan  de  Fuego  in  Guate- 
mala und  dessen  Besteigung  gehalten  und  Hr. 
Professor  Benfey  einige  Bemerkungen  über  den 
Ursprung  der  Sprache  mitgetheilt  hatte,  erstattete 
der  Secretär  den  folgenden  ordnungsmäßigen 
Jahresbericht : 

In  den  10  Sitzungen,  welche  die  K.  Societät 
in  diesem  Jahre  gehalten  hat ,  sind  6  ausführli- 
chere und  35  kürzere  Abhandlungen  oder  Mit- 
theilungen vorgetragen  oder  vorgelegt  worden. 
Die  ersteren  machen  den  Inhalt  des  in  Kurzem 
erscheinenden  XXII.  Bandes  der  »Abhandlungen 
der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften«  aus,  die 
letzteren  sind  in  den  »Nachrichten«  vom  J.  1877 
veröfl'entlicht. 


Die  für  den  November  d.  J.  von  der  histo- 
risch-philologische n  Classe  gestellte  Preis- 
frage hat  einen  Bearbeiter  nicht  gefunden  ;  sie 
wird  für  das  J.   1880  von  Neuem  aufgegeben. 


735 

Für  die  nächsten  drei  Jahre  werden  von  der 
K.  Societät  folgende  Preisaufgaben  gestellt: 

Für  den  November  1878  von  der  physika- 
lischen Classe : 

Die  Fragen,  ob  und  uelche  hesotidere  Wir- 
hingen  auf  den  thierischen  Organismus  das 
Athmen  in  reinem  Sauerstoffgase  von  der  deni 
geuöJmlichen  Luftdrucl:  entsprechenden  Dichtig- 
keit hat ,  sind  durch  die  bisher  hierüber  ange- 
stellten Untersuchungen  nicht  mit  befriedigender 
üebereinstimmung  beantwortet;  es  icerden  daJier 
neue  Untersuchungen,  sowohl  an  homoiothermen, 
als  auch,  so  weit  thunlich,  an  poikilothermen 
Tiiieren  gewünscht,  bei  detien  neben  etwa  äu- 
ßerlich am  Thier  waJirnehmbaren  Erscheinun- 
gen gam  besonders  die  Beschaffenheit  des 
Blutes  und  des  Stoffwechsels  ( Kohlensäure- Aus- 
scJieidung,  Beschaffenheit  des  Harns)  in's  Auge 
zu  fassen  sind;  mit  Rücksicht  auf  gewisse 
Angaben  wird  die  Beinheit  des  anzuwendenden 
Sauerstoffgases  von  allen  bei  dessen  Bereitimg 
etwa  zugleich  auftretoiden  fremdartigen  Stoffen 
sorgfältig  zu  beachten  sein,  während  eine  viel- 
leicht kaum  zu  vermeidende,  iw  etigen  Grenzen 
zu  haltende  Beimengung  von  atmosphärischem 
Stickstoff  dem  Sinn  der  Aufgabe  nicht  entgegen- 
treten würde. 
Für  den  November  1879  von  der  mathe- 
mathischen  Classe: 

WäJirend  in  der  heutigen  Undidationstheorie 
des  Lichtes  neben  der  Voraussetzung  transver- 
saler Oscillationen  der  Aetherfheilchen  das  me- 
chanische Princip  der  Coexistenz  kleiner  Beice- 
guiigen  zur  Erklärung  der  Bolarisaiions-  und 
der  Interferenz  -  Erscheinungen  genügt,  reichen 
diese  Unterlagen  nicht  mehr  aus,  wenn  es  sich 
um  die  Natur  des  unpolarisirten   oder  natürli- 

61* 


736 

dien  Lichtes,  oder  aber  um  den  Conflict  zwi- 
sclien  Wellenzügen  handelt ,  ivelche  nicht  aus 
derselben  Lichtquelle  stammen.  Man  hat  dem 
Mangel  durch  die  Voratissetzung  einer  sogenann- 
ten großen  Periode  von  innerhalb  gewisser  Gren- 
zen regelloser  Bauer  abzuhelfen  gesucht,  ohne 
nähere  erfahrungsmäßige  Begründung  dieser 
Hülfsvor Stellung.  Die  Königliche  Gesellschaft 
wünscht  die  Anstellung  neuer  auf  die  Natur 
des  unpolarisirten  Lichtstrahls  gerich- 
teter Untersuchungen,  ivelche  geeignet  seien,  die 
auf  natürliches  Licht  von  beliebiger  Äbhinft 
bezüglichen  Vorstellungen  hinsichtlich  ihrer  Be- 
stimmtheit denen  nahe  zu  bringen,  welche  die 
Theorie  mit  den  verschiedenen  Arten  polarisirten 
Lichtes  verbindet. 
Für  den  November  1 880  von  der  historisch- 
philologischen   Classe    (wiederholt): 

Die  K.  Societät  verlangt,  daß  gezeigt  zverdc, 
ivas  die  bildenden  und  zeichnenden  Künste 
bei  den  Griechen  und  Italern  den  Künsten 
der  Nichtgriechen  und  Nichtitaler  verdanken, 
und  hin  wiederum,  wo  sie  außerhalb  der  Grie- 
chischen und  Italischen  Länder  Wurzel  getrie- 
ben und  wiefern  sie  einen  Einfluß  auf  die  Ent- 
wicJcelung  der  Künste  bei  Nichtgriechen  und 
Nichtitalern  gehabt  haben. 

Die  Concurrenzschriften  müssen  vor  Ablauf 
des  Septembers  der  bestimmten  Jahre  an  die 
K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  portofrei 
eingesandt  sein,  begleitet  von  einem  versiegelten 
Umschlag,  welcher  den  Namen  und  Wohnort 
des  Verfassers  enthält ,  und  auswendig  mit  dem 
Motto  zu  versehen  ist,  welches  auf  dem  Titel 
der  Schrift  steht. 


737 

Das  Directorium  der  Societät  ist  zu  Michaelis 
d.  J.  von  Herrn  Wüstenfeld  in  der  historisch- 
philologischen auf  Herrn  Grisebach  in  der 
physikalischen  Classe  übergegangen. 

Die  Societät  hat  in  diesem  Jahre  zwei  ihrer 
ältesten  Mitglieder  durch  den  Tod  verloren:  den 
Oberbibliothekar  Hofrath  Carl  Friedrich  Chri- 
stian Hoeck,  er  starb  am  10.  Januar  im  84. 
Lebensjahre;  und  der  Professor  der  Medicin  Hof- 
rath Carl  Friedrich  Heinrich  Marx,  er  starb  am 
2.  October  im  82.  Lebensjahre. 

Von  ihren  auswärtigen  Mitgliedern  und  Cor- 
respondenten  verlor  sie  durch  den  Tod : 

Den  Staatsrath  Carl  Ernst  von  Baer  in 
Dorpat ,  gestorben  am  28.  November  1876  im 
84.  Jahr; 

Den  langjährigen  Herausgeber  der  Annalen 
der  Physik  Professor  Johann  Christian  P  o  g  g  e  n- 
dorff  in  Berlin,  gestorben  am  24.  Januar  d.  J. 
im  80.  Jahr ; 

Den  Professor  der  Botanik  und  Director  des 
botanischen  Gartens  Geheimen  Regierungsrath 
Alexander  Braun  in  Berlin,  gestorben  am  29. 
März  im  72.  Jahr ; 

Den  Director  der  Sternwarte  in  Paris  Urbain 
Jean  Joseph  Le  Verrier,  gestorben  am  23. 
September  im  Q6.  Jahr; 

Den  Professor  der  Anatomie  Geheimen  Me- 
dicinalrath  Alfred  Wilhelm  Volkmann  in 
Halle,  gest.  am  23.  April  im  76.  Jahr ; 

Den  Professor  der  Botanik  Wilhelm  Hof- 
meister in  Tübingen,  gest.  am  12.  Januar 
im  53.  Jahr; 

Den  Mathematiker  Hermann  Graßmann 
in  Stettin,  gest.  am  26.  September  im  69.  Jahr  ; 


738 

Den  Professor  der  Zoologie  Staatsrath  Carl 
Eduard  von  Eiehwald  in  Petersburg  am  16. 
November  1876. 


Von  der  K.  Societät  neu  erwählt  wurden. 

Zu  hiesigen  ordentlichen  Mitgliedern: 

Hr.  Wilhelm  Henne berg,  seith.  Asses. )    ■,       p^ 
Hr.  Carl  Klein.  j  pnys.i.i. 

Zu    auswärtigen    Mitgliedern: 

Hr.  John  Couch  Adams  in  Cambridge, 

Hr.  Rudolph  Julius  Emmanuel  Clausius  in  Bonn, 

Hr.  A.  L.  Descloizeaux  in  Paris, 

Hr.  Carl  von  Nägeli  in  München, 

Hr.  Charles  Newton  in  London. 

Zu   Cor r espondenten : 

Hr.  Wilhelm  Waldeyer  in  Straßburg, 

Hr.  Lawrence  Smith  in  Louisville,  V.  St. 

Hr.  Edmond  Boissier  in  Genf, 

Hr.  Theodor  Reye  in  Straßburg, 

Hr.  Pierre  Ossian  Bonn  et  in  Paris, 

Hr.  Franz  Carl  Joseph  Mertens  in  Krakau, 

Hr.  Feiice  Casorati  in  Pavia. 


739 

Zum   Gedächtniß  an 
Karl  Ernst    von    Baer. 

Am  28.  Nov.  1876  erreichte  Karl  Ernst  von 
Baer  im  Alter  von  84  Jahren  zu  Dorpat  das 
Ende  seines  ruhmvollen ,  an  wissenschaftlichen 
Thaten  reichen  Lebens. 

Das  Andenken  dieses  großen  Naturforschers 
dankbar  zu  ehren  ist  die  Pflicht  nicht  eines 
einzelnen,  sondern  vieler  der  weiten  Gebiete  der 
Wissenschaft,  in  denen  allen  er  die  unvergäng- 
lichen Spuren  des  Wirkens  eines  universellen, 
in  der  Gedankenfülle  rastlos  bis  zum  Ende  thä- 
tigen  Geistes,  eines  nicht  minder  weit  schauen- 
den als  in  die  Tiefe  durchdringenden  Forscher- 
blicks, einer  unvergleichlichen  Schärfe  und  Fein- 
heit der  Beobachtung  hinterließ.  Glänzt  ja 
doch  der  Name  des  Einen  Karl  Ernst  von  Baer 
so  wie  in  der  Biologie,  Anthropologie,  verglei- 
chenden Anatomie  und  Zoologie,  so  auch  auf 
den  Gebieten  der  Palaeontologie  und  Geologie 
der  Botanik  und  physischen  Geographie. 

Vor  allen  aber  groß  und  hervorragend  sind 
die  Verdienste ,  welche  Baer  sich  auf  dem  Ge- 
biete der  Biologie  erwarb,  als  »Vater  der  Ent- 
wicklungsgeschichte der  Thiere« ,  wie  man  ihn 
mit  Recht  genannt  hat,  denn  sein  Werk  ist  es, 
daß  die  Bildungsgeschichte  des  Menschen  und 
der  Thiere,  auf  der  von  ihm  geschaffenen  Grund- 
lage weitergeführt  von  Vielen,  die  alle  in  Baer 
ihren  Meister  verehren,  heute  als  große  Wissen- 
schaft selbstständig  inmitten  der  Anatomie,  Phy- 
siologie ,  Zoologie  dasteht  und  diesen ,  wie  Baer 
es  wollte  und  voraussah,  ein  »wahrer  Lichtträ- 
gerc  geworden  ist,  die  vor  seiner  schöpferischen 
Thätigkeit  nur  gleichsam  einzelne  ungefügte 
Stücke  zu  dem  großen  Bau,  ihres  wahren  Wer- 


740 

thes  noch  unbewußt,  zu  sammeln  und  zu  bewah- 
ren gehabt  hatten. 

Nicht  auf  gradem,  kürzesten  Wege  wurde 
Baer  an  diese  größte  Aufgabe  seines  Lebens 
herangeführt:  seine  Neigung  zur  Naturbeobach- 
tung hatte  zuerst  in  botanischen  Studien  Aus- 
druck gefunden,  und  diese,  die  zu  Guusten  eines 
mit  größtem  Ernst  unternommenen  medicinischen 
Universitäts-Studiums  gewaltsam  zurückgedrängt 
werden  mußten,  waren  es  auch,  zu  denen  er 
sich ,  um  wieder  sichern  Boden  zn  gewinnen, 
rettete,  als  er  unter  dem  ihn  entmuthigenden 
Eindruck  der  damals  in  Wien  herrschenden  Schule 
die  praktische  Medicin,  für  die  er  sich  bestimmt 
geglaubt  hatte ,  aufgab.  Aber  wenn  er  auch 
der  Beobachtung  des  Pfianzenlebens  fortan  und 
namentlich  in  späteren  Jahren  zugewendet  blieb, 
so  mußte  die  Botanik  doch  zunächst  dazu  die- 
nen, ihn  auf  andere ,  neue  Bahnen  und  zu  dem 
wichtigsten  Wendepunkte  seines  Lebens  zu  len- 
ken: einer  Begegnung  mit  dem  Botaniker  von 
Martins  verdankte  Baer  die  Aufnahme  bei  Döl- 
linger  in  Würzburg,  und  hier  war  es,  wo  er, 
beschäftigt  mit  zootomischen  Untersuchungen, 
zuerst  auf  die  Entwicklungsgeschichte  hingewie- 
sen wurde  und  derselben  den  ersten  großen  Dienst 
in  indirecter  Weise  leistete,  indem  er  es  veran- 
laßte,  daß  der  Freund  und  Studiengeuosse  Bän- 
der die  von  Döllinger  geleiteten  Untersuchungen 
am  bebrüteten  Hühnerei  zur  Ausführung  brachte, 
die,  noch  nicht  genügend  Licht  ihm  gewährend, 
bald  darauf  der  Ausgangspunkt  für  die  eigene^ 
bahnbr-jchende  Thätigkeit  wurden. 

Ef    galt    nach  der   siegreichen  Bekämpfung] 
der  sogenannten  Evolutions-  oder  Präformationsr 
theorie  durch  C.  F.  Wolf  den   leitenden  Gedan-] 
ken,  den  Flau  zu  erkennen,  nach  welchem  don 


741 

so  Zusammengesetzte  Organismus  besonders  der 
höheren  Thiere  und  des  Menschen  am  Ei  ange- 
legt und  durch  allmähliche  Umformung  und  Aus- 
gestaltung einfachster  Anfänge  herangebildet  wird; 
dies  war  den  beiden  großen  Vorgängern  Baer's 
in  der  Begründung  einer  wissenschaftlichen  Em- 
bryologie, Wolf  und  Pander.  noch  nicht  gelungen, 
nicht  so  weit  gelungen,  daß  das,  was  namentlich 
Wolf  wohl  schon  erblickt,  berührt  hatte,  in  die 
volle  Klarheit  der  Anschauung  gehoben  gewe- 
sen wäre.  Baer  erkannte  und  durchschauete, 
gestützt  auf  die  von  ihm  in's  Leben  gerufenen 
vergleichend  -  embryologischeu  Untersuchungen, 
diese  einfachen  Gesetze,  welche  in  der  verwir- 
renden Fülle  und  Manchfaltigkeit  der  zugleich 
und  in  raschem  Ablauf  sich  vollziehenden  Bil- 
dungs-  und  Gestaltungsprocesse  herrschen ,  und 
wußte  sie  zum  allgemeinen  Verständniß  zu  brin- 
gen ,  so  daß  er  sagen  konnte ,  man  werde  nun 
freilich  finden,  da  sich  der  Bildungsgang  so  un- 
endlich einfach  zeige ,  daß  sich  das  Alles  von 
selbst  so  verstehe  und  kaum  der  Bestätigung 
durch  die  Untersuchung  bedurft  hätte,  es  habe 
sich  da  einmal  wieder  die  Geschichte  vom  Ei 
des  Columbus  wiederholt. 

Unter  den  zahlreichen  Entdeckungen  im  Ge- 
biete der  Entwicklungsgeschichte,  welche  Baer's 
Namen  schmücken,  pflegt  man  als  die  glänzendste 
und  als  die,  welche  die  Bedeutung  seiner  For- 
schungen am  prägnantesten  zum  Ausdruck 
bringt,  die  Aufsuchung  und  Auffindung  des  Eier- 
stockseies des  Menscheu  und  der  Säugethiere 
überhaupt  zu  bezeichnen:  mußte  ja  doch  auch 
in  derThat  diese  wichtige,  folgenreiche  Entdeck- 
ung, als  Sieg  über  eine  festgewurzelte  Irrlehre, 
voraufgehen ,  bevor  nur  das  oberste  und  allge- 
meinste  für   die  Fortpflanzung    und   Erzeugung 


742 

der  thierischen  Organismen  gültige  Princip  er- 
kannt werden  konnte.  An  der  Aufhellung  des 
Dunkels,  welches  dort  so  lange  schwebte,  freu- 
digen Autheil  zu  nehmen,  hatte  unsere  Societät 
der  Wissenschaften  noch  besondere  Veranlassung, 
denn  auf  die  Lösung  dieser  Aufgabe  hatte  sie 
schon  ein  erstes  Mal  mit  Haller  in  der  ersten 
dieser  öffentlichen  Sitzungen  und  70  Jahre  später, 
1821,  wenige  Jahre  vor  Baer's  Entdeckung,  mit 
Blumenbach  zum  zweiten  Male  einen  Preis  ge- 
setzt: die  Erkenntniß  der  Wahrheit  aber  war 
dadurch  nicht  gefördert  worden.  — 

Der  Thätigkeit  Baer's  auf  dem  Gebiete  der 
Entwicklungsgeschichte  wurde  mit  der  definitiven 
Uebersiedelung  von  Königsberg  nach  St.  Peters- 
burg (1834)  ein  vorzeitiges  Ziel  gesetzt,  indem  hier 
äußere  Umstände  hemmend  wirkten  und  Aufgaben 
anderer  Art  sich  herandrängten.  Zahlreiche 
große  Reisen ,  deren  Beschwerden  ihn  selbst  im 
Greisenalter  nicht  schreckten,  führten  ihn,  der 
für  Alles,  was  die  Natur  ihm  bot,  das  Auge 
offen,  den  Geist  gerüstet  hatte,  zu  geographischen, 
meteorologischen,  geologischen,  ethnographischen 
Problemen ,  denen  sich  selbst  archäologische 
Fragen  ihm  anknüpften,  leiteten  seine  Thätigkeit 
wiederholt  auch  auf  volkswirthschaftliches  Ge- 
biet, während  er  zugleich  mit  zoologischen  und 
anatomischen  Untersuchungen  nach  wie  vor  fast 
ununterbrochen  beschäftigt  war,  auch  zu  ent- 
wicklungsgeschichtlichen Arbeiten  noch  ein  Mal 
zurückkehrte ,  von  welcher  reichen,  vielseitigen, 
stets  tiefe  Furchen  einschneidenden  Thätigkeit 
zahlreiche  Schriften  Zeugniß  ablegen. 

Der  Anthropologie  hatte  Baer  schon  frühzeitig 
im  Beginn  seiner  akademischen  Laufbahn  in  Kö- 
nigsberg seine  Aufmerksamkeit  zugewendet,  sich 
eingebend  auch  literarisch  damit  beschäftigt,  und 


743 

als  er  in  späteren  Jahren  in  kraniologische  Untersu- 
chungen sich  vertiefte,  neue  Gesichtspunkte,  neue 
Ziele  der  Forschuncr  sich  ihm  enthüllten,  wirkte 
er  auch  auf  diesem  Gebiete  wiederum  mit  schöpfe- 
rischer Kraft,  denn  vornehmlich  von  ihm  ging 
zu  Anfang  der  60ger  Jahre  die  Anregung  zu 
der  in  kurzer  Zeit  so  groß  und  mächtig  gewor- 
denen Bewegung  aus,  und  die  Wege,  welche  die 
neu  belebten  anthropologischen  Bestrebungen 
eingeschlagen  haben ,  hatte  Baer  gewiesen ,  der 
selbst  bis  an  sein  Lebensende  dabei  mit  emsigen 
Fleiße  thätig  blieb.  — 

Eine  andere  gewaltige  Strömung  sah  um 
dieselbe  Zeit  Baer  die  Geister  erfassen,  die  nicht 
nach  seinem  Sinne  war,  der  er  sich  entgegen- 
stellen wollte,  deren  Bekämpfung  in  einigen 
seiner  letzten  Schriften  er  gleichsam  wie  ein 
Vermächtniß,  wie  einen  Mahnruf  hinterließ:  es 
galt  dem  in  Darwin's  Lehre  entsprungenen 
Strome,  dem  Strome,  der,  nach  Baer's  Ausdruck, 
keine  Ziele,  sondern  nur  blinde  Noth wendigkeit 
anerkennt. 

Zwar  für  so  sonderlich  gefährlich  hielt  Baer 
in  seiner  ruhigen ,  besonnenen  Weise  die ,  wenn 
auch  maßlose  Ueberschätzung  und  die  keine 
Gränzen  kennenden  üebertreibungen  der  Lamarck- 
Darwin'schen  Hypothese  nicht,  hatten  ihn  doch 
die  Erfahrungen  eines  langen  Lebens  gelehrt, 
daß  auch  solche,  \ie\  Köpfe  verwirrende  Stürme 
austoben  und  nur  das  zurücklassen,  was  der  an- 
stiftende Gedanke  Wahres  enthielt.  Aber  er 
konnte  nicht  schweigend  zuschauen,  wie  die 
Lehren  der  Entwicklungsgeschichte,  die  Früchte 
der  eigenen  Arbeit,  raisbraucht  wurden,  er  mußte 
es  aussprechen,  daß  er  sich  fremd  fühle  in  dem 
neuen  Baue,  den  man  aufzurichten  versuchte, 
und    den    ihm    wohl    zugemutheten  Theil  nicht 


744 

haben  wolle  an  dieser  Verwendung  dessen,  was 
er  geschaffen,  er,  der  so  vorsichtig  und  maßvoll 
Beobachtetes  und  Gedachtes  scharf  getrennt  zu 
halten  verstanden  hatte,  durfte  die  Warnung 
nicht  unausgesprochen  lassen ,  daß  Hypothesen, 
die  als  ferne  Zielpunkte  strenger  Untersuchung 
wohl  ihren  Werth  haben ,  nicht  als  erreichte 
Errungenschaften  verkündigt  werden  dürfen. 

Baer  war  kein  Gegner  des  alten  Grundge- 
dankens einer  Wandelbarkeit  der  organischen 
Formen ;  zu  der  Hypothese  des  thatsächlichen 
allmählichen  Werdens  verwandter  Thierformen 
aus  einer  Grundform,  besonders  für  frühere  Zeit- 
perioden gültig  und  durchaus  als  planmcäßige 
innerhalb  eines  Organisaiions-Typus  sich  vollzie- 
hende Entwicklung  gedacht,  hatten  die  eigenen 
Untersuchungen  auch  ihn  geführt.  Aber  eben 
mit  der  ganz  bestimmten,  engen  Begränzung, 
innerhalb  deren  er  diesen  Gedanken  für  statthaft 
hielt,  unterscheidet  sich  Baer's  Ansicht  von  Grund 
aus  und  nicht  etwa  nur  dem  Grade  oder  der 
Ausdehnung  nach  von  der  Darwiu'schen  Lehre, 
und  Baer  durfte  es  ablehnen,  mit  jenem  Gedan- 
ken als  Vorläufer  Darwin's  gezählt  zu  werden, 
denn  zum  Wesen  der  Darwin'schen  Hypothese 
als  solcher  gehört,  was  sie  über  die  Art  und 
Weise  lehren  möchte,  wie  die  ohne  Gränzen 
statuirte  Transmutation  bedingt  und  eingeleitet 
sein  soll ,  und  eben  damit  hielt  sie  Baer  schon 
in  ihrer  ersten  Grundlage  für  irrig.  Baer  konnte 
dem  Gedanken  keine  Berechtigung  zugestehen, 
der  die  »Zielstrebigkeiten«,  die  Entelechieu  do^ 
Aristoteles,  aus  den  Vorgängen  in  der  Natur 
möglichst  zu  eliminiren  versuchte,  er  verlangte 
die  Anerkennung  planmäßiger,  auf  bestimmte 
Ziele  gerichteter  Entwicklung  für  alle  AVirk- 
samkeiten  der  Natur.    Die  organische  Entwicklung 


745 

ist  durch  und  durch  zielstrebig,  sagte  er,  denn 
die  Nachkommen  sollen  die  Organisation  der 
Erzeuger  erreichen,  das  Resultat  der  Entwicklung 
ist  vorher  bestimmt.  Eine  Natur,  die  nur  Noth- 
■wendigkeiten ,  mechanischen  Zwang  ohne  Ziele 
kennen  sollte,  Weltbildung  ohne  vernünftigen 
Plan  schien  ihm  eine  dürftige,  trostlose,  im 
Grunde  wohl  eine  für  den  Menschen  unmögliche 
Yorstelluug,  eine  Selbsttäuschung  derer,  welche 
glauben  sich  gegen  die  Verw^echselung  der  Begriffe 
von  Ursache  und  Zweck,  Mittel  und  Ziel  in  der 
Natur  durch  Leugnen  des  Zweiten  am  sicher- 
sten schützen  zu  können. 

Größer  auch  und  menschenwürdiger  solle 
man  von  sich  und  seiner  Bestimmung  denken, 
rief  Baer  den  vom  Beifall  des  großen  Haufens 
umjubelten  Verküudereu  der  neuen,  zum  Niedri- 
gen strebenden  Lehren  zu,  nicht  groß  genug 
könne,  wie  Kant  gesagt  hatte ,  der  Mensch  vom 
Menschen  denken,  und  das  solle  auch  bedeuten, 
daß  die  Menschheit  große  Aufgaben  sich  zu  stel- 
len habe. 

So  hinterließ  Karl  Ernst  von  Baer  auf  allen 
Gebieten,  die  er  betrat,  das  leuchtende  Bild  ei- 
nes bewunderungswürdigen  Forschers,  mit  wel- 
chem für  Alle,  die  in  Berührung  mit  ihm  kamen 
uud  auch  den  Menschen  kennen  lernten,  das 
Andenken  an  einen  wahren,  edlen,  hochherzigen 
Mann  verbunden  ist,  ein  Bild  ruhiger  und  er- 
habener Größe. 

Meissner. 

Um  Baer  als  Naturforscher  in  seiner  viel- 
seitigen Wirksamkeit  zu  würdigen,  müssen  nach 
der  schöpferischen  Thätigkeit  seiner  Jugend- 
periode auch  diejenigen  Arbeiten  und  Erfolge 
berücksichtigt  werden ,    die    seine   Stellung    als 


746 

Akademiker  in  Petersburg  vorzugsweise  bezeichnet 
haben,  und,  wenn  auch  berührt  von  patrioti- 
scher Hingabe,  die  natürlichen  Hülfsquellen  Ruß- 
lands zu  erweitern,  durch  seine  geistvolle  Auf- 
fassung zugleich  sein  Andenken  mit  den  Fort- 
schritten der  physischen  Geographie  für  immer 
verknüpfen  werden.  Es  reizte  ihn,  in  den 
weiten  Ebenen  umherzuwaudern,  die,  seine  Hei- 
math einschließend,  von  den  Steppen  Asiens  bis 
zur  Polarwüste  sich  ausdehnen,  und  aus  eigener 
Anschauung  die  Mannigfaltigkeit  klimatischer 
Einflüsse  auf  das  organische  Leben  kennen  zu 
lernen.  So  begegnen  wir  ihm  gleich  Anfangs 
auf  einer  denkwürdigen  Forschungsreise  nach 
Nowaja  Zembla:  in  einer  klassischen  Darstellung 
hat  er  hier  zum  ersten  Male  nachgewiesen,  mit 
welchen  Mitteln  dafür  gesorgt  ist,  unter  den  ein- 
fachsten Bedingungen  die  Keime  einer  anzie- 
henden Vegetation  auszustreuen  und  sie  einer 
feindlichen  Natur  gegenüber  dauernd  zu  erhalten. 
Seine  umfassenden  Studien  sodann  über  die  Säu- 
gethiere,  von  deren  Verbreitungsweise  der  sibi- 
rische Pelzhandel  bedingt  ist,  und  über  den, 
Fischreichthum  der  südrussischen  Ströme,  zu] 
dessen  Erhaltung  er  die  wissenschaftliche  Grund-i 
läge  legte,  zeigen  ihn  uns  bemüht,  seine  For-J 
schungen  mit  der  Interessen  des  nationalen  Wohl- 
stands zu  verknüpfen.  Die  Reihe  von  Bänden,] 
welche  er  als  Beiträge  zur  Kunde  des  russischen! 
Reichs  mit  Helmersen  herausgab,  werden  immer] 
zu  den  wichtigsten  geographischen  Quellenschrif-- 
ten  über  diesen  großen  Theil  der  Erde  gezählt] 
werden.  Aber  die  eigenen,  wiederholten  Reisen] 
iu  die  Steppen  am  kaspischen  Meere,  welche] 
Baer  im  Auftrage  der  Regierung  und  nament- 
lich wegen  der  Fischereien  unternahm,  hattenl 
eine  weit  allgemeinere,  wissenschaftliche  Tragweite. 


747 

In  seineu  kaspischen  Studien  wurde  die  Frage 
über  den  Ursprung  des  Salzgehalts  der  Steppen 
von  neuen  Gesichtspunkten  aus  behandelt.  Beob- 
achtungen am  östlichen  Gestade  des  kaspischen 
Meers  lieferten  den  Beweis,  daß  unbedeutende 
Yeränderuugen  der  Küstencoufiguration.,  wie  sie 
etwa  bei  der  Dünenbildung  vorkommen ,  genü- 
gend sind,  aus  dem  Seewasser  die  Natriumsalze 
krystalliuisch  auszuscheiden.  Aber  auch  übrigens 
enthält  diese  Publikation  einen  Schatz  von  ei- 
genthümlichen  Anschauungen ,  welche  für  die 
Geologie  der  Steppen  von  dauernder  Bedeutung 
sind. 

Die  merkwürdigste  und  die  vielleicht  am 
meisten  bewunderte  Theorie  Baer's  aber  bezieht 
sich  auf  die  sogenaunte  Wiesen-  uud  Bergseite 
der  russischen  Flüsse,  auf  die  Erscheinung,  daß 
das  rechte  Ufer  derselben  höher  liegt,  als  das 
linke,  das  erstere  steil  abstürzt,  das  letztere 
ziemlich  im  Niveau  des  Wassers  liegt.  Dies 
ist  bekanntlich  nach  ihm  die  Wirkung  der  Erd- 
rotation, zu  vergleichen  mit  der  Ablenkung  der 
Windesrichtung  von  Polar-  und  Aequatorial- 
strömen  in  der  Atmosphäre  in  Folge  der  nach 
den  Breitengraden  veränderten  Rotationsgeschwin- 
digkeit des  Planeten.  Obgleich  es  dieser  Baer'- 
schen  Theorie  nicht  an  Widerspruch  gefehlt 
hat,  so  darf  man  doch  behaupten,  daß  sie  unter 
Berücksichtigung  anderweitiger  Störungen  durch 
entsprechende  Beobachtungen  in  den  verschie- 
densten Gegenden  beider  Hemisphären  bestätigt 
und  Eigeuthum  der  physikalischen  Wissenschaften 
I   geworden  ist. 

I         Blicken    wir    auf  die    so   Mannigfaltiges  um- 

',  fassende  Wirksamkeit   des   edlen  Mannes  zurück, 

so  kann  der  Eindruck    entstehen  ,   als  hätten  in 

seinem  Geiste  verschiedene  Richtungen  unvereint 


748 

neben  einander  bestanden.  In  diesem  Sinne  er- 
zählt man  sich,  als  Baer  in  hohem  Alter  einer 
Sitzmig  der  Royal  society  in  London  beiwohnte, 
deren  auswärtiges  Mitglied  er  seit  vielen  Jahren 
gewesen  war,  es  hätten  anwesende  Gelehrte  ge- 
fragt, ob  dieser  Fremde  der  Schöpfer  der  Entwicke- 
lungsgeschichte  oder  ob  es  der  berühmte  Geo- 
graph gleiches  Namens  sei.  So  wenig  hielten 
sie  für  denkbar ,  daß  er  den  doppelten  Ruhm 
in  seiner  Person  vereinigte.  Im  Wahrheit  aber 
herrschte  vollkommene  Harmonie  in  seinen  Be- 
strebungen und  nie  hat  er,  ebenso  wie  es  im  vo- 
rigen Jahrhundert  bei  unserm  Haller  der  Fall 
war,  niit  einem  bestimmten  Gegenstände  be- 
schäftigt, das  Interesse  für  die  übrigen  aus  dem 
Auge  verloren.  Ihm  war  die  zwiefache  Gabe 
zu  Theil  geworden ,  nicht  bloß  in  den  Tiefen 
eines  Problems  durch  scharfe  Beobachtung  die 
Wahrheit  zu  finden,  sondern  auch  den  Zusam- 
menhang der  Erscheinungen  mit  umfassendem 
Blick  zum  Verständuiß  zu  bringen.  So  ent- 
sprang aus  der  Fülle  und  Genauigkeit  sei- 
nes Wissens  jene  willkürlichen  Deutungen 
abffewandte ,  den  Zwecken  und  Zielen  der 
Natur  ehrfurchtsvoll  nachsinnende  Weltbetrach- 
tung, die  seinen  spätem  Schriften  eigen  ist  und 
die  im  persönlichen  Umgange  mit  ihm  so  an- 
ziehend hervortrat.  Einige  unter  uns  erinnern 
sich  noch  des  Einflusses,  den  er  hiedurch  aus- 
übte, als  er  zum  Zweck  seiner  anthropologischen 
Forschungen  wiederholt  in  unserm  Kreise  ver- 
weilte; unvergeßlich  bleibt  ihnen  das  Andenken 
an  die  mit  ihm  verlebten  Abende,  an  denen  der 
bereits  Hoch  betagte  beredt  und  mit  jugendli- 
cher Frische  die  damaligen  Phasen  der  Natur- 
erkeuutniß  im  Spiegel  seines  Geistes  beleuchtete. 

Grisebach. 


749 


.\ach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


26.  December.  M  27.  1877. 


Königliche  Gesellschaft  der  >!issenschafteB. 


'8 


Neue  geometrische  und  dynamische 
Constanten  des  Erdkörpers. 

Von 

J.  B.  Listing. 

In  einer  früheren  Mittheilang  »üeber  unsere 
jetzige  Kenntniss  der  Gestalt  und  Grösse  der 
Erde  ^)  habe  ich  diese  Frage  hauptsächlich  von 
der  Seite  der  Gradmessungen  einer  eingehenden 
Besprechung  unterzogen  und  schliesslich  unter 
der  Beueunung  »Typus«  ein  zur  Zeit  plausibelstes 
RotatioDS-Ellipsoid  für  den  Erdkörper  aufgestellt. 

Die  Grösse  des  terrestrischen  EUipsoides 
wird  am  füglichsten  durch  den  Halbmesser  jR 
einer  Kugel  festgestellt,  welche  mit  dem  EUip- 
soid  gleiches  Volumen  besitzt,  die  Gestalt  da- 
gegen durch  die  AbplattungszifiFer  w  ausgedrückt, 
welche  gleich  ist  dem  Aequatorial- Halbmesser 
dividirt  durch  die  lineare  Abplattung,  d.  h.  durch 
den  Unterschied   zwischen    der  äquatorialen  und 

1)  B.  »Nachrichten«  1873  Feb.  5,  auch  in  besonderem 
Abdruck  in  der  Dieterich'Bchen  Verlagsbuchhandlung  1872 
erschienen. 

62 


750 

der  polaren  Halbaxe,  so  dass  w  das  Reciprok  der 
sog.  Abplattung  ist.  Diese  beiden  Grössen  waren 
für  das  erwähnte  typische  Ellipsoid 

n  ==  6370000'" 

«  =  289 

Die  Grösse  dieses  Ellipsoides  weicht  aus 
Gründen,  die  sich  in  der  früheren  Arbeit  darge- 
legt finden,  auffallend  und  beispielsweise  von  dem 
letzten  Clarke 'sehen  Ellipsoid  (18)  um  990°»,  von 
dem  Fischer'schen  (19)  um  960"»  in  Minus  ab. 
Hinsichtlich  der  Abplattung,  welche  bei  sämmt- 
licheu  dort  besprochenen  lediglich  auf  den  Grad- 
messungen beruhenden  mathematischen  Erdge- 
stalten den  Werth  von  «  nicht  unter  294  herab- 
gehen lassen ,  kommt  das  typische  Ellipsoid, 
unter  wesentlicher  Berücksichtigung  der  zeithe- 
rigen  Ergebnisse  der  Pendelmessungen  nahe  mit 
dem  Fischer'schen  Sphäroid  überein,  für  welches 
<a  =  288.5  ist. 

In  der  gegenwärtigen,  als  Nachtrag  und  Fort- 
setzung zu  jener  früheren  Mittheilung  dienenden 
Untersuchung  soll  nun  in  zweiter  Approximation 
das  typische  Sphäroid  in  seinen  Constanten  der- 
jenigen kleinen  Modification  unterzogen  werden, 
welche  aus  der  genaueren  Berücksichtigung  der 
Verhältnisse  und  Beträge  der  Schwerkraft  an 
der  Erdoberfläche,  im  Einklang  mit  dem  Clai- 
raut'schen  Satze,  folgt.  Diese  Modification  soll 
bloss  die  Gestalt,  nicht  die  Grösse,  also  bloss  die 
Zahl  CO  berühren  und ,  unter  Beibehaltung  des 
obigen  Werthes  von  R,  in  geringem  Masse  die 
beiden  Halbaxen  der  Meridian -Ellipse  sowie  die 
Beträge  der  linearen  Abplattung  c  =  a  —  6,  des 
mittleren  Meridiangrades  G  (in  Toisen)  und  der 
geographischen  Meile  M  (in  Metern). 

Indem   wir    hier    auf   die    beiden    wesentlich 


751 

Ton  einander  zu  unterscheidenden  geometrischen 
Oberflächen  des  Erdkörpers  zurückweisen,  wie 
sie  in  der  früheren  Mittheilung  unter  der  Be- 
nennung Sphäroid  und  Geoid  eingehend 
erörtert  worden,  erinnern  wir  hinsichtlich  des 
durch  einen  geschlossenen  Ausdruck  darzustel- 
lenden Sphäroids,  dass  wir  für  dasselbe  lediglich 
die  Gestalt  eines  (abgeplatteten)  Rotations -Elli- 
psoides  beibehalten  und  zum  Grunde  legen  werden, 
indem  wir  die  mannigfachen  Versuche,  welchs 
mit  den  Annahmen  sei  es  nicht  ellipsoidischer 
Rotations-Sphäroide  oder  dreiaxiger  Ellipsoide*) 
gemacht  worden,  wovon  im  Früheren  einige  Bei- 
spiele zur  Sprache  gekommen  sind,  als  erste  aber 
rohe  Schritte  der  Annäherung  betrachten,  welche 
sich  die  günstigen  Falls  erst  in  ferner  Zukunft 
zu  erwartende  Darstellung  des  Geoids  mittelst 
discoutinuirlicher  und  interpolirender  Ausdrücke 
als  ihr  Ziel  wird  zu  wählen  haben. 

Nachdem  bereits  von  Newton  und  von 
Huygheus  aus  theoretischen  Betrachtungen  auf 
eine  an  den  Polen  abgeplattete  ellipsoidische 
Form  des  Erdkörpers  geschlossen  worden,  wurde 
diese  Theorie  um  die  Mitte  des  vorigen  Jahr- 
hunderts durch  Clairaut  wesentlich  gefördert. 
Ausser  dem  Nachweise,  dass  die  Rotationsellipsoid- 
Form  den  Gleichgewichts-Bedingungen  einer  an- 
fänglich flüjisigen  und  um  eine  Axe  rotirenden 
Masse  der  Erde  Genüge  leiste  und  dass  die  Cen- 
trifugal kraft  an  der  Oberfläche  nach  dem  Quadrat 
des  Cosinus  der  geographischen  Breite  variire, 
fand  er   den    wichtigen,    vorzugsweise  nach  ihm 

1)  Mit  nicht  rotativen,  nicht  ellipsoidischen  Sphäroiden 
oder  etwa  mit  solchen,  in  welchen  entweder  nur  die 
Meridiane  oder  nur  der  Aequator  eammt  den  Parallel- 
kreisen von  der  Ellipse  abweichen,  ist  zur  Zeit  noch  kein 
Versuch  gemacht  worden. 

62* 


752 

benannten  Satz,  dass  die  Summe  der  Ab- 
plattung und  des  Verhältnisses  zwi- 
schen Zunahme  der  Schwere  vom  Ae- 
quatorbis  zum  Pol  und  der  äquatorialen 
Schwere  gleich  ist  dem  fünfhalbf achen 
Verhältniss  der  Schwungkraft  am  A  e- 
quator  zur  Schwere  daselbst,  gültigeiner- 
seits,  wenn  man  sich  mit  der  Berücksichtigung 
der  ersten  Potenz  der  (im  Falle  der  Natur  nur 
einen  Bruchtheil  eines  Procents  betragenden) 
Abplattung  begnügt,  andererseits  aber  sowohl 
für  den  Fall  gleichförmiger  Dichtigkeit  als  für 
den  Fall  ungleicher  Vertheilung  verschieden 
dichter  Bestaudtheile ,  bei  welcher  der  Schwer- 
punkt mit  dem  geometrischen  Mittelpunkt  coin- 
cidirt  ^). 

Dieses  für  die  Theorie  der  Gestalt  der  Pla- 
neten fundamentale  Theorem  stellt  sich  in  Zei- 
chen einfach  so  dar 

«+<?  =  4y  (1) 

wo  a  die  Abplattung,  6  das  Verhältniss  der  Zu- 
nahme der  Schwere  vom  Aequator  bis  zum  Pol 
zu  der  Schwere  am  Aequator,  und  y  das  Verhält- 
niss der  Schwungkraft  am  Aequator  zur  Schwere 
am  Aequator  bezeichnet. 

1)  Erweiterungen  des  Clairaut'schen  Theorems  mit 
Berücksichtigung  höherer  Potenzen  der  Abplattung,  sowie 
der  alsdann  in  Betracht  kommenden  Vertheilungsart  der 
Dichtigkeit  im  Erdinnern  sind  gegeben  von  G,  B.  Airy 
in  Phil.  Trans,  for  1826  part.  3.  pag.  548,  und  von  G. 
M.  von  Paucker  in  sieben  Artikeln  über  die  Gestalt  der 
Erde  im  Bulletin  de  ia  classe  physico  -  matbematique  de 
l'Acad.  des  sc.  de  St.  Petersbourg  tome  XIII  n"  lö.  16. 
Diese  Erweiterungen,  sofern  sie  folgerichtig  auf  Sphäroide 
von  nicht  mehr  einfach  ellipsoidischer  Form  führen, 
bleiben  hier  aus  dem  oben  hervorgehobenen  Gründe 
ausser  Betracht. 


753 

Die  ferneren  demnächst  anzuwendenden  Be- 
zeichnungen mögen  folgende  sein.  Die  Schwung- 
kraft am  Aequator,  welche  aus  der  Rotation  der 
Erde  entspringend  daselbst  der  Schwere  entgegen 
in  der  Lothlinie  von  unten  nach  oben  wirkt, 
heisse  f,  die  Schwere  am  Aequator  der  rotiren- 
den  Erde  g'^,  am  Pol  ^',  unter  45"  der  Breite 
^*,  allgemein  für  irgend  einen  Ort  der  Ober- 
fläche g,  und  ebenso  die  Länge  des  Secundenpen- 
dels  am  Aequator  /",  am  Pol  V,  unter  45°  Breite 
?*  und  allgemein  l.  Die  Umdrehungszeit  der 
Erde,  d.  i.  die  Daner  des  Sterntages,  werde  durch 
T  bezeichnet.  Dann  stellen  sich  die  drei  Con- 
stanten des  Clairaut'schen  Satzes  so  dar 

a—h  1 


a> 


(2) 


f  4m^ 

Die  Verhältnisse  der  beiden  Grössen  a  und 
S  zn  Y  bewegen  sich  je  nach  den  über  die  Dich- 
tigkeit des  Erdkörpers  zum  Grunde  zu  legenden 
Voraussetzungen  innerhalb  weiter  Grenzen,  welche 
den  von  Newton  einerseits  und  von  Huyghens 
andrerseits  ihren  Bestimmungen  der  Sphäroidici- 
tät  der  Erde  untergelegten  Annahmen  entspre- 
chen. Clairaut's  Satz  besagt,  dass  sich  a  und  6 
gemessen  durch  y  in  die  Zahl  2^  theilen  müssen. 
Diese  Theilung  kann  in  einem  Falle  so  gesche- 
hen, dass  a  =  6  wird.  Dieser  Fall  entspricht 
der  Newton'schen  Theorie,  in  welcher  der  Erde 
eine  gleichförmige  Dichtigkeit  beigelegt  wird. 
Abplattung  und  Schwerezuwachs  sind  also  beide 
I  des  Schwungkraftverhältnisses.      Newton  fand 


754 

et  =  -jlr^ ,  Laplace  ^)    in  genauerer  Analyse  auf 

gleicher  Voraussetzung  „^--s.     In  einem  zweiten 

der  Huyghens'schen  Abplattungsbestimmung  ent- 
sprechenden Falle  der  Theilung  übernimmt  ß 
vier  und  a  einen  Theil  von  %  y^  d.  h.  es  wird 
a  =  ^  y ,  6=2)'.  Huyghens  nahm  die  ge- 
sammte  Gravitationswirkung  im  Centrum  des 
Ellipsoids  an,  so  dass  also  die  Dichtigkeit  eines 
kleinen  centralen  Kerns  unendlich  gross,  der  übrige 
Raum  mit  einer  Substanz  von  verschwindend  klei- 
ner Dichtigkeit  erfüllt  gedacht  wurde.  Er  fand 
somit,  das  Schwungkraftsverhältnigs ;'  =  tj^  vor- 
ausgesetzt, die  Abplattung  des  Ellipsoids  a  =  -^1^, 
sowie  die  Rate  der  Schwerezunahme  vom  Aequa- 

tor  bis  zum   Pol  6  =  ^-rr^.      Zwischen   diese 

144.5 

beiden  extremen,  dem  Falle  der  Natur  nicht  ent- 
sprechenden Fälle  fallen  als  üebergänge  alle  übri- 
gen möglichen  Fälle,  für  welche  a  zwischen  den 
äussersten  Grenzen  ^  y  und  ^  y,  und  somit  6  zwi- 
schen den  Grenzen  ^  y  und  2;' enthalten  ist.  Der 
Zusammenhang  der  drei  fraglichen  Verhältnisse 
möge  in  der  folgenden  numerischen  Darstellung 

a  6 

simultaner  Werthe  von  —  und  — ,   so  wie  unter 

r         r 

Zugrundelegung  des  Werthes  —  =  288.4  die  zu- 
sammengehörigen genäherten  Werthe  der  Reci- 
proca  von  a  und  6  vor  Augen  treten: 

1)  Mec.  Gel.  III.  üi.  19. 


755 


r 

Y 

a 

6' 

1.25 

1.25 

230.7 

230.7 

1.20 

1.30 

240.3 

221.8 

1.15 

1.35 

250.8 

213.6 

1.10 

1.40 

262.2 

206.0 

1.05 

1.45 

274.7 

198.9 

1 

1.50 

288.4 

192.3 

0.95 

1.55 

303.6 

186.1 

0.9 

1.6 

320.4 

180.3 

0.8 

1.7 

360.5 

169.6 

0.7 

1.8 

412.0 

160.2 

0.6 

1.9 

480.7 

151.8 

0.5 

2.0 

576.8 

144.2 

(5) 


Der  Werth  des  Reciproks  von  y,  der  hier  des 

schematischen  Ueberblicks  wegen  durchweg  zu 
288.4  angenommen  ist,  mag  je  nach  den  für  a 
und  ^°  in  (4)  anzunehmenden  Werthen  variiren 
und  meistens  zwischen  288  und  289  liegen.  Der 
dargelegte  Zusammenhang  führt  für  jeden  ange- 
nommenen Werth  von  —  mittelst  der  dem  con- 
r 

creten  Falle  entsprechenden  Yerhältnisszahlen 
zur  Auswerthung  der  Reciproca  von  a  und  6^ 
welche  demnach  meistens  nur  in  den  Decimalen 
von  den  Ziffern  des  vorstehenden  Schema's  ab- 
weichen werden. 

Sind  wir  nun  hinsichtlich  der  Vertheilung 
der  Dichtigkeit  im  Innern  der  Erde,  wovon  of- 
fenbar   das    zwischen   die  Grenzen  -1  und  ^  fal- 

a 

lende  Verhältniss  —  abhängig   ist,    in  Unkennt- 

r 

niss,  so  geben  uns  doch  die  angestellten  Unter- 
suchungen einen  hinreichend  genäherten  Werth 
der  mittleren  Dichtigkeit  der  Erde,  um  erkennen 


756 

zu  lassen,  dass  von  der  Oberfläche  bis  zum  Cen- 
trum eine  entschiedene  Zunahme  der  Dichtigkeit 
stattfinden  muss.  Und  da  die  Dichtigkeit  der 
oberflächlichen  Massen bestandtheile  der  Erde  kaum 
die  Hälfte  der  mittleren  Dichtigkeit  erreicht,  so 

cc 

sieht  man  leicht,  dass  das  Verhältniss  —  von  der 

r 

oberen  wie  von  der  unteren  jener  beiden  Gren- 
zen vreitab  liegen  müsse.  In  der  That  ist  es 
das  einfachste  Verhältniss  zwischen  a  und  y,  näm- 
lich das  der  Gleichheit  dieser  beiden  Grössen,  dem 
die  meisten  der  bisherigen  sowohl  aus  Gradmes- 
sungen, wie  aus  der  Messung  des  Secundenpen- 
dels  hervorgegangenen  Resultate  bis  auf  wenige 
Procente  nahe  liegen.  Man  darf  annehmen,  dass 
diese  Ergebnisse  etwa  zwischen  die  Grenzen  285 
und  300  im  Werthe  von  w  fallen,  nämlich  bei 
den  Gradmessungen  etwa  zwischen  300  und  294, 
bei  den  Pendelmessungen  zwischen  295  und  285, 
so  dass  also  unter  Beibehaltung  des  vorhin  für 
das  Reciprok  von  y  angenommeneu  Werthes  288.4 
der  hier  in  Betracht  kommende,  in  etwas  enge- 
ren Intervallen  ausgeführte  Theil  des  obigen 
Tableaus  (5)  etwa  folgende  Zifl"ern  darbietet: 


757. 


Y 

r 

a 

tf 

1.015 

1.485 

284.1 

194.2 

1.010 

1.490 

285.6 

193.6 

1.005 

1.495 

287.0 

192.9 

1.003 

1.497 

287.5 

192.7 

1.002 

1.498 

287.8 

192.5 

1.001 

1.499 

288.1 

192.4 

1 

1.5 

288.4 

192.3 

1.999 

1.501 

288.7 

192.1 

1.998 

1.502 

289.0 

192.0 

1.997 

1.503 

289.2 

191.9 

1.996 

1.504 

289.5 

191.8 

1.995 

1.505 

289.8 

191.6 

1.990 

1.510 

291.3 

191.0 

1.985 

1.515 

292.8 

190.4 

1.980 

1.520 

294.3 

189.7 

1.975 

1.525 

295.8 

189.1 

1.970 

1.530 

297.3 

188.5 

1.965 

1.535 

298.9 

187.9 

1.960 

1.540 

300.4 

187.3 

(6) 


Von  den  drei  Verhältnisszahlen  des  Clai- 
raut'schen  Satzes  ist  y  diejenige,  welche  inmitten 
der  Terschiedenen  Gestaltbestimmnngen  des  ter- 
restrischen Sphäroides  und  den  verschiedenen 
Beträgen  welche  mau  der  Schwere  am  Aequator 
beigelegt  hat,  am  wenigsten  variirt.  Halten  wir 
uns  an  das  Reciprok  von  y,  so  können  wir,  in- 
dem wir  g^  durch  nnl^  ersetzen,  ans  (4)  ent- 
nehmen 

-  =  4  TT.~  (7) 

y         4  a  ^  ^ 

Die  von  vielen  Autoren   für    dies  Reciprok  von 


758 

y  gewohnheitsmässig  angenommene  Ziffer  289, 
das  Quadrat  von  17,  ist  entschieden  zu  gross. 
Nehmen  wir  aus  den  verschiedenen  Werthen,  die 
wir  seit  geraumer  Zeit  einerseits  dem  Halbmesser 
des  Aequators ,  andererseits  der  Pendelläuge  am 
Aequator  beigelegt  sehen,  hinreichend  von  ein- 
ander abweichende  Zahlen ,  beispielsweise  für  a 
die  Grössen  aus  den  EUipsoiden  von  Walbeck 
(1819)  6376869»  und  von  Clarke  (1858)  6378294°», 
für  Z°  die  Extreme  aus  den  weiter  unten  durch 
A  bis  F  bezeichneten  Berechnungen ,  nämlich 
990.9780  (nach  Schmidt)  und  991.0250  (nach 
Borenius)  und  führen  einmal  den  grössten  Werth 
von  a  und  den  kleinsten  von  F  in  (7)  ein ,  das 
anderemal  umgekehrt  den  kleinsten  Werth  von 
a  und  den  grössten  von  Z°,   so  ergeben  sich  für 

—  gleichsam  als  Grenzen  die  Ziffern  288.372  und 

r 

288.455,  so  dass  man  nicht  leicht  Werthen  klei- 
ner als  die  erste  und  grösser  als  die  zweite  Zahl 
begegnen  wird.  Alle  plausibelen  Werthe  müssen 
zwischen  diese  Grenzen  fallen ,  wie  es  z.  B.  der 
Fall  ist ,  wenn  wir  einmal  für  a  und  l^  beide 
Maxima,  das  andremal  beide  Minima  anwenden, 
wodurch  sich  die  Ziffern  auf  288.385  und  288.435 
stellen.  Das  Mittel  jenes  Paares  ist  288.414, 
dieses  288.410,  wodurch  sich  der  in  unseren 
Tableaus  (5)  und  (6)  angenommene  abgerundete 
Werth  288.4  rechtfertigt.  Die  Correctionen, 
welchen  man  in  den  drei  Elementen  «,  6  und  y 
begegnet,  bewegen  sich  also  in  wesentlich  un- 
gleichen Spielräumen ,  gross  für  a  und  6',  klein 
für  y ,  und  werden  sonach  für  a  und  6  zumeist 
entgegengesetzes  Zeichen  haben. 

Nach  dieser  vorbereitenden  Orieutirung  haben 
wir    uns    zunächst    mit  den    wichtigsten    Erfah- 


J 


759 

rangen,  welche  auf  dem  Wege  der  Messungen 
des  einfachen  Secundenpendels  gewonnen  worden, 
zu  befassen  und  die  verschiedenen  darauf  ge- 
gründeten Berechnungen  zu  besprechen. 

Vorerst  mag  erwähnt  werden,  dass  Laplace 
im  3.  Buch  der  Mecanique  Celeste  eine  Berech- 
nung der  Schwere -Verhältnisse  auf  der  ellipsoi- 
dischen  Erde  auf  Grund  älterer  Messungen  des 
Secundenpendels  gegeben  hat.  Die  Messungen 
sind  gemacht  von  Bouguer  in  Paris ,  in  Peru 
unter  dem  Aequator,  zu  Porto  Bello  und  Petit 
Goave ;  von  Le  Geutil  zu  Pondichery ;  von 
Campbell  zu  London  und  zu  Jamaica;  von  La- 
caille  am  Cap  d.  g.  H.;  von  Darquier  zu  Tou- 
louse ;  von  Liesganig  zu  Wien ;  von  Zach  zu 
Gotha ;  von  Graham  zu  London ;  von  Mallet  zu 
Petersburg  und  Ponoi;  von  Grischow  zu  Arens- 
burg; von  Maupertuis  und  Clairaut  zu  Pello  in 
Lapland.  Die  15,  mit  Ausnahme  des  Caps,  der 
nördlichen  Hemisphäre  angehörenden  Oerter  ver- 
theilen  sich  auf  die  Breite  von  0  bis  67  Grad. 
Das  Ergebniss  ist  eine  Abplattung  von  ca  = 
315  ^).  Bei  späteren  Berechnungen  hat  man  je- 
doch diese  älteren,  hinsichtlich  ihrer  Genauigkeit 
mit  den  späteren  nicht  mehr  auf  gleichem  Range 
stehenden  Messungen  beiseite  gelegt. 

1)  Im  Original  der  Mec.  Cel.  war  gefunden  (o  =  335.78 
in  Folge  eines  von  Nathaniel  Bowditch  entdeckten  Ver- 
sehens beim  Aufschlagen  des  Log.  Sin.  der  Breite  von 
Gotha ,  welcher  Ort  dadurch  irrthümlich  um  23-,  geogr. 
Meilen  (etwa  nach  Regensburg)  südlich  gerückt  ist. 
Bowditch  hat  in  der  amerikanischen  (mit  trefflichem  Com- 
mentar  versehenen)  Ausgabe  der  M.  C.  die  Rechnung 
redressirt.  Noch  ein  anderes,  von  Bowditch  nicht  ver- 
bessertes Veraehen  in  der  Laplace'schen  Aufzählung  der 
Beobachtungen  besteht  in  der  Vertauschung  der  geogr. 
Breiten  von  Petersburg  und  Arensburg  (nicht  Arengsberg) 
auf  der  Ostsee  •  Insel  Oesel.  Diese  Vertauschung  bleibt 
indess  ohne  nachtheiligen  Einfluss  auf  die  Rechnung. 


760 

Neuere  Berechnungen  liegen  vor  von  J.  C. 
E.  Schmidt,  von  Bowditch,  von  Sabine,  von 
Foster,  von  Baily,  von  Borenius  und  von  Pau- 
cker,  von  welchen  im  Nachstehenden  das  Wich- 
tigste erwähnt  werden  soll. 

Ed.  Schmidt^)  gründet  seine  nach  der 
Methode  der  kleinsten  Quadrate  geführte  Aus- 
gleichungsrechnung auf  sechs  Beobachtungsreihen 
aus  den  ersten  dritthalb  Jahrzehndeu  dieses 
Jahrhunderts.     Es  sind 

1)  Die  vorzugsweise  werthvoUen  Pendelmes- 
sungen von  Capt.  Edw.  Sabine  auf  seiner 
grossen  Reise,  umfassend  die  13  folgenden  Sta- 
tionen, mit  beigefügter  Breite,  wo  das  Minus- 
zeichen südliche  Breiten  bezeichnet  *) 

Bahia  -12°  59'  21'' 

Ascension  —  7  55  48 

Maranham  —  2  31  43 

St.  Thomas  0  24  41 

Sierra  Leone        8  29  28 

.      Trinidad  10  38  56 

Jamaica  17  56  7 

New-York  40  42  43 

London  51  31  8 

Drontheim  63  25  54 

Hammerfest  70  40  5 

Grönland  74  32  19 

Spitzbergen  79  49  58 

Diese  einen  Breitenumfang  von  92  Grad  um- 
fassenden Beobachtungen  sind  angestellt  mittelst 
zweier   invariabeler  Pendel   (n°  3  und  4)    durch 

1)  Lehrbuch  der  mathematischen  und  physischen 
Geographie.     1.  Bd.    S.  365—437. 

2)  An  Account  of  Experiments  to  determine  the 
figure  of  the  Earth  by  Edward  Sabine.    London  1826. 


761 

Bestimmung  der  auf  24  Stunden  (86400  Secun- 
den)  mittlerer  Sonnenzeit  kommenden  Anzahl 
von  Schwingungen  an  jeder  Station. 

2)  Die  bereits  früher  auf  der  ersten  Reise 
von  Parry  durch  Sabine  angestellten  Messun- 
gen ^)  in  3  Stationen: 

Brassa  60»     9'    42" 

Hare  Island  70     26     17 

Melville  74    47     12 

3)  Die  Messungen  von  Capt.  Henry  Kater 
in  England  *)  von  Cornwall  bis  Unst,  der  nörd- 
lichsten der  Shetlands  Inseln,  ausser  London,  an 
6  Stationen: 

Shanklin  Farm     50°  37'    24- 
Arbury  Hill  52     12     55 


Clifton 

53 

27 

43 

Fort  Leith 

55 

58 

41 

Portsoy 

57 

40 

59 

ünst 

60 

45 

28 

Kater  hat  für  London  (im  Hause  von  Mr. 
Browne,  Portland  Place)  als  Normalstation,  auf 
welche  alle  comparative  Bestimmungen  mittelst 
Schwiugungszählung  bezogen  und  auf  Peudel- 
längen  in  englischen  Zollen,  deren  39.13929 
oder  (mit  dem  1866  neu  bestimmten  Verhältniss, 
dessen  Logarithmus  1.4048298,  reducirt)  994.1288 
Millimeter  auf  die  Länge  des  auf  die  Meeres- 
fläche reducirten  Secundeupendels  daselbst  gehen, 
zurückgeführt  werden. 

4)  Die  Messungen  verschiedener  anderer  eng- 
lischer Reisenden  an  folgenden  8  Stationen  vor- 
zugsweise der  tropischen  Region: 

1)  Phil.  Trans,  for  1821,  II.  p.  189, 

2)  Phil.  Trans,  for  1819.  p.  416. 


762 


Paramatta 

-  SS^ 

48' 

43" 

Rio  Janeiro 

-  22 

55 

22 

Galopagos  Ins. 

0 

32 

19 

Madras 

13 

4 

9 

St.  Blas 

21 

32 

24 

wobei  Paramatta,  Rio  Janeiro  und  St.  Blas  dop- 
pelt zählen.  Die  Beobachter  sind  Basil  Hall 
auf  den  Galopagos  Inseln,  zu  Rio  Janeiro  und 
zu  St.  Blas,  Foster  zu  Rio  Janeiro  und  St. 
Blas,  Brisbane  zu  Paramatta,  Dunlop  zu 
Paramatta,  und  Goldingham  zu  Madras. 

5)  Beobachtungen  von  Louis  deFreyci- 
uet  auf  seiner  Reise  um  die  Welt  *)  an  9  Sta- 
tionen zwischen  5IV2  Grad  südlicher  bis  49 
Grad  nördlicher  Breite: 


Malvinen  Ins. 

—51" 

35' 

18" 

Gap  d.  g.  H. 

—33 

55 

15 

Port  Jackson 

—33 

51 

34 

Rio  Janeiro 

-22 

55 

13 

Isle  de  France 

—20 

9 

56 

Rawak 

—  0 

1 

34 

Guam 

13 

27 

51 

Mowi 

20 

52 

7 

Paris 

48 

50 

14 

Die  von  Freycinet  gegebenen  Verhältniss- 
zahlen sind  mittelst  der  von  Borda  bestimmten 
Länge  des  Secundenpendels  für  Paris  von  Schmidt 
auf  englische  Zoll  reducirt,  welche  Länge,  nach 
dem  späteren  genaueren  Anschluss  an  London, 
nahe  um  ^^  Millimeter  zu  klein  gewesen. 

6)  Beobachtungen  der  französischen  Physiker 
Biet,  Arago^),  Mathieu  und  C h a i x  in  uörd- 

1)  Voyage  autour  du  monde  par  L.  de  Freycinet. 
Obeervations  du  pendule.     p.  26. 

2)  Recueil  d'observations  geodesique,  aBtroDomiqDe6 
et  physiques  par  Biot  et  Arago. 


763 

liehen  Breiten  der  gemässigten  Zone   an  8  Sta- 
tionen : 

Formentera     38°   39'    56" 


Figeac 

44 

36 

45 

Bordeaux 

44 

50 

26 

Clermont 

45 

46 

48 

Paris 

48 

50 

14 

Düukirchen 

51 

2 

10 

Fort  Leith 

55 

58 

37 

Unst 

60 

45 

25 

Die  in  Metern  ausgedrückten  Längen  des 
Secundeupendels  für  die  decimale  Zeit-Theilung 
sind  mittels  Division  durch  (0.864)-  auf  Sexa- 
gesimal-Secuuden  und  alsdann  auf  englische  Zoll 
reducirt. 

Unter  Anwendung  unserer  oben  gewählten 
Bezeichnung ,  wonach  die  Pendellänge  für  einen 
Ort  der  geographischen  Breite  (p  auf  dem  Ro- 
tations-Ellipsoid  ausgedrückt  wird  durch 

?  =  Zo  (1  -f  ^  sin  9«)  (8) 

sowie  die  Intensität  der  beschleunigenden  Kraft 
der  Schwere  g ,  welche  sich  aas  l  durch  Multi- 
plation  mit  dem  Quadrat  der  Zahl  n  ergibt, 
durch 

5r  =  ^«  (1  +  ffsiny«)  (9) 

lässt  sich  nun  das  Ergebniss  der  Berechnung  der 
47  Beobachtungsdata  wie  folgt  darstellen. 

Schmidt  findet  die  Pendellängen,  in  Milli- 
metern ausgedrückt, 

?o  =  990.9780         A  (Schmidt) 
Z*  =  993.5548 
V   =  996.1315 
?'  — Z°  =      5.1535 


764 

e  =  0.005200480  =  ^^^^^ 

Y  =  0.003466926  =     ^ 


288.44 


und  findet  die  Abplattungsziffer  ca  =  288,20,  sie 
ergibt  sich  indessen  nach  dem  Clariaut'schen 
Satze  aus  den  vorstehenden  Werthen  von  6*  und 
Y  fast  ebenso  gross,  wie  das  Reciprok  von  y, 
nämlich 

ö)  =  288.4475. 

Die  nahe  üebereinstimmung  der  hier  her- 
vortretenden numerischen  Werthe  der  Schwung- 
krafts-Rate und  der  Abplattung  würde  durch 
eine  Modification  von  wenigen  Einheiten  der 
dritten  Decimale  in  den  Reciproken  von  6  oder 
von  Y  oder  beiden  zugleich  eine  vollkommene 
sein.  Auch  die  weiterhin  zu  besprechenden 
auf  z.  Th.  nach  genaueren  Daten  beruhenden 
Berechnungen  werden  meist  einen  sehr  kleinen 
bald  in  Plus,  bald  in  Minus  ausfallenden  Unter- 
schied zwischen  a  und  y  herausstellen. 

Wir  wenden  uns  zur  zweiten  von  Bowditch 
in  der  amerikanischen  Ausgabe  der  Mäcanique 
Celeste  ^)  geführten  Berechnung  auf  Grund  von 
52  auserlesenen  Peudelbeobachtungen. 

Es  sind  zunächst  die  bereits  von  Schmidt  be- 
nutzten Messungen ,  deren  Anzahl  hier  dadurch 
um  3  vermindert  ist,  dass  für  Paris  statt  der 
beiden  Messungen  von  Freycinet  und  von  Biot 
nur  die  eine  Messung  von  Duperrey  aufgenom- 
men, und  dass  neben  den  beiden  Messungen  für 
Rio  Janeiro   von  Hall    und  von  Foster    die    von 

1)  Vol.  II.  p.  480.  Note  (1606). 


765 

Freycinet  weggelassen  worden.  Zu  den  bleiben- 
den 44  bereits  unter  A  (Schmidt)  nebst  den  Pol- 
höhen aufgeführten  Stationen  sind  nun  noch  6 
Messungen  von  Capt.  Duperrey,  welcher  von 
den  drei  von  Freycinet  benutzten  invariabelen 
Pendeln  w°  1,  2,  3  auf  seiner  zehn  Jahre  später 
unternommenen  Reise  *)  die  beiden  n°  1  und  3 
benutzt  hat,  hinzugefügt: 

Falklands  Ins.  -51°  31'  44" 

Port  Jackson  —33  51  40 

Isle  de  France  —20  9  23 

Ascension  —  7  55  48 

Toulon  43  7  20 

Paris  48  50  14 

Ferner  ist  von  den  älteren  Messungen  Fo- 
ster's  noch 

Port  Bowen  73°   13'   39" 

und  die  Messung  von  Svanberg  in 

Stockholm  59°  20'   34* 

hinzugenommen,  wonach  im  Ganzen  52  Daten 
der  Berechnung  von  ßowditch  znm  Grunde  ge- 
legt sind. 

Bowditch  führt  successive  drei  Rechnungen 
aus,  die  beiden  ersten  nach  der  Methode  der  kl. 
Quadrate,  die  dritte  nach  einer  älteren  von  Bos- 
covich  empfohlenen  einfacheren  aber  minder 
strengen  Behandlung  der  Abweichungen.  Die 
erste  beruht  auf  den  erwähnten  52  Beobachtun- 
gen ,  die  zweite  und  dritte  nach  Ausscheidung 
von  8  mit  grösseren  Differenzen  behafteten  Be- 
obachtungen (nach  Ivory's  Vorgange)  auf  44 
Beobachtungen.  Die  8  verworfenen  Daten  sind 
die   zu  St,  Thomas    und  Ascension    von  Sabine, 

1)  In  Connaissance  des  Temps  poor  1830 

63 


766 

die  auf  den  Galopagos  von  Hall,  die  auf  Ascen- 
sion  und  Isle  de  France  von  Duperrey,  die  auf 
Isle  de  France,  Guam  und  Mowi  von  Freycinet, 
über  welches  Verfahren  wir  uus  weiterhin  miss- 
billigend werden  auszusprechen  haben. 

Die  zweite  Rechnung  liefert  6  =  0.00529 
und  «  ==  297,  die  dritte  6  =  0.00533  und 
ö)  =  301. 

Die  erste  Berechnung  aber,  welche  wir  hier 
allein  berücksichtigen,  trotzdem  dass  der  durch- 
schnittliche Betrag  der  Differenzen  zwischen 
Beobachtung  und  Rechnung  bei  der  dritten 
Rechnung  fast  nur  halb  so  gross  ausfällt,  als 
bei  der  ersten,  ergibt 

e  =  0.0051794  =  ^^ 

und  unter    der   meist  üblichen  Annahme  von  — 

Y 
=  289  die  Abplattungsziffer 

(o  =  288 

sowie  den  Ausdruck  für  die  Pendellänge  in  engl. 
Zoll 

l  —  39.01612  +  0.20208  sin  y« 

woraus  sich  in  Millimetern  (1  engl.  Zoll  = 
25.39977222  Millimeter)  für  die  Peudelläuge  am 
Aequator,  unter  45"  Breite  und  am  Pol  ergeben 

10  =  991.0002        B  (Bowditch) 
l*  =  993.5667 
l'   =  996.1332 
V  —  lo  =      5.1330 

Die  durchschnittliche  Abweichung  der  beob- 
achteten von  der  berechneten  Peudellänge  (erste 
Rechnung)    findet  Bowditch  für  die  einzelne  der 


767 

52  Beobachtungen  =  0.00227  Zoll  =  0.0577 
Millim.  Nach  Beseitigung  jener  8  mit  grossen, 
z.  Th.  über  0.007  Zoll  reichenden  Abweichun- 
gen behafteten  Messungen  kann  es  nicht  be- 
fremden, dass  die  durchschnittliche  Abweichung 
in  den  beiden  anderen  Rechnungen  auf  nahe 
den  halben  Betrag  herabgeht. 

Betrachten  wir  jetzt  die  von  den  beiden  eng- 
lischen Beobachtern  Sabine  und  Foster  auf  ihren 
grossen  Reisen  gewonnenen,  mit  invariabelen 
Pendeln  angestellten  Messungen,  deren  Resultate 
wegen  der  einheitlichen  Methode,  sowie  wegen 
der  grossen  Sorgfalt  in  den  Berichtigungen  be- 
sondere Beachtung  verdienen. 

Es  hat  zunächst  Edw.  Sabine  seine  in  den 
20er  Jahren  angestellten,  oben  aufgeführten  13 
Messungen ,  die  sich  auf  einen  Breitenumfang 
von  über  92  Grad  erstrecken,  in  seiner  bereits 
erwähnten  Schrift  berechnet  und  in  dem  Aus- 
druck für  die  Pendellänge  in  engl.  Zoll 

l  =  39.01568  +  0.20213  sin  y« 

dargestellt  und  damit 

6   =    0.00518074    =     f,r^ri;rK;= 

193.0227 
sowie  die  AbplattungsziflFer 

CO  =  288.4 

gefunden.    Wir  erhalten  hieraus  in  Millimetern: 

;o  ^  990.9890              C  (Sabine) 

l*  =  993.5561 

V   =  996.1232 

V—l^  =  5.1342 

Die  von  Capt,  Foster  auf  seiner  fünf  Jahre 
späteren  Reise  gemachten  Pendelmessungen  sind 

63  ♦ 


768 

mit  zwei  invariabelen  Pendeln  aus  Messing  (w° 
10,  11)  und  zwei  convertibelen  oder  Kater'sehen 
Pendeln,  das  eine  aus  Eisen,  das  andere  aus  Ku- 
pfer, angestellt.  Diese  gleichfalls  sehr  sorgfäl- 
tigen und  umsichtigen  Beobachtungen  an  den 
folgenden  14  Stationen: 

South  Shetland  —62°  56'  11" 

Cap  Hörn  —55  51  20 

Staten  Island  —54  46  23 

Monta  Video  —34  54  26 

Cap  g.  H.  —33  54  37 

St.  Helena  —15  56       7 

Ascension  —  7  55  23 

Fernando  da  Noronha    —  3  49  59 

Maranham  —  2  31  35 

Para  _  1  27  0 

Porto  Bello  9  32  30 

Trinidad  10  38  55 

Green  wich  51  28  40 

London  51  31  8 

bilden  insofern  das  ergänzende  Seitenstück  zu 
der  Sabine'schen  Reihe,  als  sie  sich  neben  eini- 
gen Orten  niedriger  nördlicher  Breite  vorzugs- 
weise auf  vStationen  der  Siidhemisphäre  bis  nahe 
63  Grad  erstrecken.  Seine  Beobachtungen  ^)  sind 
von  Francis  Baily  durch  die  Schluss-Messungen 
in  London  mit  den  vier  Pendeln  ergänzt  und 
vollständig  bearbeitet  und  bilden  den  Inhalt  des 
7.  Bandes  der  Memoirs  of   the  R.    Astronomical 

1)  Leider  war  es  Foster  nicht  vergönnt,  «eine  ausge- 
zeichneten Messungen  mit  der  Station  London ,  mit  der 
er  begonnen ,  nach  der  Rückkehr  abzuschliessen  und  das 
gewonnene  Material  zu  bearbeiten  und  zu  veröffentlichen. 
Auf  einer  Excursionsfahrt  auf  dem  Flusse  Chagres  in  der 
Nähe  der  Station  Porto  Bello  am  Ißthmus  von  Panama 
kam  er  durch  einen  Unglücksfall,  86  Jahre  alt,  ums  Leben. 


769 

Society^).  la  dieser  Bearbeitung  zählt  die  Sta- 
tion London  doppelt —  vor  der  Abreise:  Foster, 
nach  der  Rückkunft  der  Foster'schen  Instrumente: 
Baily,  so  dass  der  Berechnung  15  Beobachtungen 
zum  Grunde  liegen.     Die  Rechnung  ergab  nun 

«  =  0.00519605  =  ^-g 

und  mit  y  =  ^^  die  Abplattungsziffer 

(o  =  289.48 
und  femer  die  Pendellänge  in  Millimetern: 

l"  =  991.0057                D  (Foster) 

l*  =  993.5804 

Z'  =  996.1552 

l'—io  =  5.1495 

Baily  hat  mit  dem  Berichte  über  Foster's 
Pendelbeobachtungen  und  der  ausschliesslich  auf 
diese  gegründeten  Berechnung  zugleich  eine  Be- 
rechnung einer  vollständigen  Reihe  von  Messun- 
gen gegeben,  welche  mit  invariabelen  Pendeln 
von  den  bewährtesten  Experimentatoren  bis  da- 
hin (1833)  angestellt  wurden. 

Es  werden  der  Rechnung  (Methode  der  kl. 
Quadrate)  im  Ganzen  79  Daten  zum  Grunde  ge- 
legt, welche  sich  auf  51  Stationen  beziehen,  an 
denen  zu  verschiedenen  Zeiten  von  mehreren  Beob- 
achtern oder  auch  von  demselben  Beobachter  wie- 
derholentlich  Messungen  angestellt  worden.  Es 
erscheint  auf  diese  Weise  London  1  Imal,  Green- 
wich  5mal,  Paris,  Ascension  und  das  Cap  d.  g. 
H.  je  dreimal ,  Marauham ,  Trinidad ,  Guam  ,  St. 

1)  Mit  dem  Specialtitel :  Report  on  the  pendulum  ex- 
periments  made  by  the  late  Captain  Henry  Foster,  R.  N. 
in  his  scientifie  voyage  in  the  years  1828—31  with  a  view 
to  detennine  the  figure  o£  the  Earth.  Drawn  up  by  Fran- 
cis Baily,  Eeq.  y.  P.  ß.  S.,  P,  R.  A.  S.  &c.    London  1834. 


770 

Helena,  Isle  de  France,  Rio  Janeiro,  Port  Jack- 
son und  Falklands-Insel  je  2mal.  Die  aufgenom- 
menen Messungen  rühren  her  von  folgenden  Be- 
obachtern : 

1.  Henry  Kater,  die  bereits  oben  unter  A 
(Schmidt)  aufgeführten  sechs  Oerter,  nebst  der 
Normal-Station  London  ;  zusammen  7  Stationen  '). 

2.  Goldingham,  die  bereits  oben  erwähnte 
Station  Madras  ^)  und  später  auf  Veranlassung 
der  Ostindischen  Compagnie  auf  der  unter  dem 
Aequator  bei  Sumatra  liegenden    kleinen  Insel') 

Pulo  Gaunsah  Lout  0°  1'  49" 
Einschliesslich  London  3  Stationen. 

3.  Basil  Hall,  die.  drei  oben  erwähnten 
Stationen  Galopagos  Inseln,  San  Blas  und  Rio 
Janeiro*).     Mit  London  4  Stationen. 

4.  Brisbane,  die  oben  erwähnte  Messung  zu 
Paramatta^).     Mit  London  2  Stationen. 

5.  Edw.  Sabine,  die  oben  erwähnten  auf 
seiner  grossen  Reise  berührten  13  Stationen. 

6.  Henry  Foster  auf  der  dritten  Parry- 
schen  Reise  in  die  arktischen  Regionen  ^).  Vor 
und  nach  der  Reise  bestimmte  Foster  mit  dem 
einen  (w°  3)  der  beiden  von  Sabine  benutzten 
Pendel  die  Schwingungszahl  zu  Greenwich  und 
London,  auf  der  Reise  aber  zu 

Port  Bowen  73°  13'  39" 
Mit  Greenwich  und  London  3  Stationen. 

7.  Fallows,  Astronom  des  Observatorium 
am  Cap  d.  g.  H. ,  beobachtete  mit  dem  zweiten 
(m°4)  der   beiden   Sabine'schen  Pendel,    welches 

1)  Phil.  Trans,  for  1819. 

2)  Phil.  Trans,  for  1822. 

3)  In  einem  bloss  zur  Privatmittheilung  bestimmten, 
von  der  Ostind.  Comp,  ausgegebenen  Foliohefte. 

4)  Phil.  Trans,  for  1828. 
6)  Phil.  Trans,  for  1823. 
6)  Phil.  Trans,  for  1826. 


771 

ihm  von  London,  wo  Capt.  Ronald  mit  demselben 
eine  Bestimmung  vornahm,  zu  diesem  Behuf  zu- 
gesendet wurde  ^) 

Cap  d.  g.  H.  —33»  55'  56" 
Mit  London  2  Stationen. 

8.  Edw.  Sabine  unternahm  1827  eine  be- 
sondere Expedition  zur  comparativen  Verknü- 
pfung von  Paris  mit  London  *)  mittelst  zweier 
Pendel  (n°  7  und  8) 

Paris  observatoire  48°  50'  14" 
Mit  London  2  Stationen. 

9.  Edw.  Sabine  beobachtete  zu  gleichem 
Zwecke  in  Greenwich  und  London  ') 

Greenwich  51"  28'  40" 
2  Stationen. 

10.  Edw.  Sabine  verband  ebenso  Altona 
(Prof.  Schumacher's  Sternwarte)  mittelst  des 
Pendels  w°  12,  nach  vorgängiger  Revision  der 
Schneide,  mit  Greenwich  und  London*) 

Altona  530  33'  45" 
Mit  Greenwich  und  London  3  Stationen. 

11.  L.  de  Freycinet,  die  bereits  oben  auf- 
geführten 9  Stationen. 

12.  Duperrey,  die  oben  aufgeführten  6 
Stationen. 

13.  Capit.  Lütke  beobachtete  im  Anftrag 
der  E.  Russischen  Regierung  an  folgenden  Sta- 
tionen mit  dem  bereits  von  Hall  benutzten 
Pendel  ^) 

1)  Phil.  Trans,  for  1830. 

2)  Phil.  Trans,  for  1828. 

3)  Phil.  Trans,  for  1829. 

4)  Phil.  Trans,  for  1829.  1830. 

5)  Bulletin  scientifique  (Beiblatt  zu  den  Memoires)  de 
l'Acad.  J.  des  sc.  de  St.  Petersbourg.  6.  serie  vol.  I. 
1830.    Uebers.  in  Philos.  Mag.  for  Dec.  1832. 


—330 

2' 

30" 

—15 

54 

59 

5 

21 

16 

13 

26 

21 

27 

4 

12 

51 

28 

40 

53 

0 

53 

57 

2 

58 

59 

56 

31 

772 

Valparaiso 

St.  Helena 

Ualan 

Guam 

Bonin  Inseln 

Green  wich 

Petropaulowsk 

Sitka 

Petersburg 
9  Stationen. 

14.  Hierzu  kommen  nun  noch  die  oben  auf- 
geführten Foster'sehen  Messungen  in  der  tropi- 
schen und  antarktischen  Region,  wovon  das  se- 
parate Resultat  aus  der  Baily'schen  Bearbeitung 
unter  D  hervorgegangen  ist.  Mit  London  (ein- 
fach genommen)  14  Stationen. 

Die  in  diesen  vierzehn  Beobachtungsgruppen 
enthaltenen  79  Daten  bilden  nun  die  Grundlage 
der  Baily'schen  Berechnung.     Es  ergibt  sich 

e  =  0.00514491  =  ^^ 

sowie  unter  der  gewohnten  Annahme  y  =    ^^^ 
die  Abplattungsziffer 

<ö  =  285.26 
und  die  Pendellängen  in  Millimetern 

P  =  991.0217  E  (Baily) 

l*  =  993.5710 

V  =  996.1204 

?'— P  ==       5.0987 

Gleichwie  Baily  hat  auch,  neun  Jahre  spä- 
ter (1843)  H.  G.  Bore ui US  eine  allgemeine  Be- 
rechnung der  Pendelbeobachtuugen  vorgenom- 
men ^).    Borenius  legt  eine  Auswahl  aus  den  79 

1)  Bulletin  de  la  classe  phyeico-mathdmatique  de 
l'Acad.  J.  des  eo.de  St.  Petersbourg.    T.  I.  p.  1.    (1848). 


773 

von  Baily  der  Rechnung  unterworfenen  Daten 
mit  Hinzunahme  einiger  später  bekannt  gemach- 
ten ,  in  der  Baily'schen  Reihe  nicht  enthaltenen 
Messungen  zum  Grunde,  wobei  jede  Station  nur 
mit  Einem  Datum  auftritt,  um  möglichst  ver- 
schiedenen Gegenden  der  Erde  das  Stimmrecht 
einzuräumen,  sind  in  England  nur  London,  Fort 
Leith  und  ünst  aufgenommnn.  Hinzugezogen 
sind  die  Messung  von  Reinecke  ^)  in 

Kandalaks  67<»  7'  43" 
und  von  Sabine  eine  ältere  Messung*)  auf  der 
Insel 

Melville  74°  47'  12- 
Hiernach  besteht  die  Reihe   von  Daten    aus 
3  Messungen    von  Kater    an    den  drei  eben 
genannten  englischen  Stationen  (statt  der  Baily'- 
schen 7), 

12  von  Sabine  Bahia,  St.  Thomas,  Serra 
Leone,  Jamaica,  New  York,  Paris,  Altona,  Dront- 
heim,  Hammerfest,  Grönland,  Melville  und  Spitz- 
bergen (statt  20), 

2  von  Goldingham:  Pulo  Gaunsah  Lout 
und  Madras  (statt  3), 

8  von  Basil  Hall:  Rio  Janeiro,  Galopagos 
Inseln  und  St.  Blas  (statt  4), 

13  von  Foster:  Port  Bowen,  South  Shet- 
land,  Cap  Hörn,  Staten  Island,  Montevideo,  Cap 
d.  g.  H, ,  St.  Helena,  Ascension ,  Fernando  da 
Noronha,  Maranham,  Para,  Porto  Bello  und  Tri- 
nidad (statt  17), 

1  von  Brisbane   zu  Paramatta  (statt  2), 

2  von  Freycinet:  Rawak  und  Mo  wi  (statt  9), 

3  von  Duperrey:  Isle  de  France,  Toulon 
und  Falklands  Inseln  (statt  6), 

1)  Mem.  presentes  ä  l'Acad.  J.  des  «c.  de  St.  P^ters- 
bourg.    T.  III. 

2)  Phil.  Trans,  for  1821  part  IL  p.  177. 


774 

7  \rou  Lütke:  Ualau,  Guam,  Bonin  Inseln, 
Valparaiso,  Petropaulowsk,  Sitka  und  St.  Peters- 
burg ^)  (statt  9), 

1  von  Reineke  zu  Kandalaks, 
also  zusammen  47  Stationen. 

Bei  der  nach  der  Methode  der  kl.  Quadrate 
geführten  Rechnung  werden  zwei  Formeln  für 
die  Abhängigkeit  der  Peudellängen  von  der  geogr. 
Breite  benutzt,  von  denen  wir  aus  oben  er- 
wähntem Grunde  bloss  die  erste  berücksichtigen, 
indem  die  zweite,  welche  ausser  dem  Quadrat  des 
Sinus  der  Breite  noch  ein  dem  Biquadrat  pro- 
portionales Glied  enthält ,  sich  auf  ein  nicht  elli- 
psoidisches  Sphäroid  bezieht. 

Für  den  auf  das  Rotations-Ellipsoid  bezügli- 
chen gewohnten  Ausdruck  (8)  ergibt  sich  nun 

e  =  0.005162366  =  ^^^ 

und  mit  y  =  -j^^^  die  Abplattungsziffer 

w  =  286.1 
sowie  die  Pendellängen  in  Millimetern  ■ 

?o  =  991.0250  F  (Borenius)     \ 

l*  =  993.5830  \ 

V  =  996.1410  i 

V—l^  =  5.1160 

Die  zweite  Formel  würde  für  «  den  "Werth 
293.4  ergeben.  Borenius  bemerkt  hierbei  »da 
es  unentschieden  ist,  welcher  von  beiden  Wer- 
then  (286.1  und  293.4)  den  Vorzug  verdiene, 
so  wird  mau  mit  hinlänglicher  Genauigkeit  als 
mittleren  Werth  a  =  y  =  ^^  annehmen  kön- 

1)  Die  Messungen  von  Lütke  sind  nach  dessen  spä- 
terer Mittheilung  im  III.  Bande  der  Petersburger  Memoi- 
ren verbessert. 


775 

nen.«  Von  einer  für  die  Kenutnis3  der  Gravita- 
tionsverhältnisse des  Erdkörpers  so  werthvollen 
A.rbeit  hätte  man  freilich  eine  minder  vagre  Be- 
stimmung von  dessen  Gestalt  erwarten  mögen. 

Ausser  den  im  Bishericren  besprochenen  Be- 
rechnungen A  von  Schmidt,  B  von  Bowditch, 
C  von  Sabine,  D  von  Foster,  E  von  Baily,  F 
von  Borenius  darf  noch  in  Kürze  der  Arbeit  von 
Paucker^)  gedacht  werden,  worin  sowohl  die 
Gradmessungen  als  die  Pendelbeobachtungen  ei- 
ner besonderen  Berechnung  unterzogen  werden. 
Es  wird  indess  dem  terrestrischen  Sphäroid  durch 
Mitberücksichtigung  eines  von  dem  Quadrat  der 
doppelten  Breite  abhängigen  Gliedes  in  dem  allge- 
meinen Ausdruck  für  die  Pendellänge  eine  nicht 
elliptische  Gestalt  ertheilt.  Aus  diesem  Grunde 
genügt  es  die  beiden  Resultate  hinsichtlich  der 
Dimensionen  und  der  Abplattung  der  Erde  nur 
summarisch  zu  erwähnen ,  zumal  wir  auch  der 
getroffenen  Auswahl  der  aus  Borenius'  Arbeit 
entnommenen  Pendelmessungen  den  Beifall  ver- 
sagen müssen. 

Der  Berechnung  der  Gradmessungen  legt 
Paucker  11  Messungen  zum  Grunde,  nämlich  die 
Peruanische  Messung  mit  2  Stationen,  die  erste 
Ostindische  mit  2,  die  zweite  Ostindische  mit  7,  die 
Französische  mit  7 ,  die  Englische  mit  5 ,  die 
Hannoversche  mit  2,  die  Dänische  mit  2,  die 
Preussische  mit  3,  die  Russische  mit  6,  die  Schwe- 
dische mit  2  und  die  Messung  am  Cap  mit  4 
Stationen.  Es  ergibt  sich  für  das  nicht  elli- 
ptische Sphäroid,  dessen  Meridian  sich  zwischen 

1)  Bulletin  de  la  classe  physico  -  mathematique  de 
l'Acad.  J.  des  sc.  de  St.  Petersbourg  T.  III.  n°  15.  16 
in  8  Artikeln  über  »die  Gestalt  der  Erde«. 


776 

Aequator  und  Pol  über   das  Ellipsoid  von  glei- 
chen Axen-Dimensionen  erhebt, 

a  =  6378324°» 
b   =  6356323 
c   =      22001 
«  =  289.9256 

y/^Töö  =  6370983 

Der  letzte  dieser  Werthe,  der  Radius  einer 
Kugel,  welche  mit  dem  entsprechenden  Ellipsoid 
gleiches  Volumen  besitzt,  liegt  zwischen  den 
Werthen  von  B,  des  Ellipsoides  (18)  von  Clarke  i 
und  (19)  von  Fischer  unserer  früheren  Aufzäh- 
lung und  der  Radius  einer  mit  dem  Paucker'schen 
Sphäroid  gleich  grossen  Kugel  würde  also  den 
Betrag  von  6370983™  noch  überschreiten  und 
nahezu  die  Grösse  wie  bei  den  Clarke'schen  El- 
lipsoid (18)  erreichen. 

Bei  der  Berechnung  der  Pendelmessungen 
legt  Paucker  aus  dem  Complex  der  47  Bore- 
nius'schen  Daten,  nach  Ausscheidung  aller  Be- 
obachtungen ,  deren  Abweichung  von  den  von 
Borenius  berechneten  Werthen  8  Oscillationen 
pro  Tag  überschreiten,  28  Pendelbeobachtungen 
zum  Grunde,  nämlich  von  Pulo,  Galopagos, 
Ascension,  Serra  Leone,  Porto  Bello,  Jamaica,  Val- 
paraiso ,  Paramatta,  Cap,  New  York,  Toulon, 
Paris,  London,  Falkland,  Petropaulowsk,  Altona, 
Staten  Island,  Cap  Hörn,  Fort  Leith,  Sitka,  Pe- 
tersburg, Unst,  Kandalaks,  Hammerfest,  Port 
Bowen,  Grönland,  Melville  und  Spitzbergen.  Es 
werden  somit  gerade  die  wichtigen  allein  auf 
dem  Wege  der  Pendelmessung  zu  erlangenden 
Werthe  der  Schwerkraft  an  Orten  auf  weiten 
oceanischen  Flächen ,  wie  namentlich  die  Inseln, 
wo   vorzugsweise   die  Schwere   wegen  der  merk- 


777 

liehen  Depressionen  des  Geoids  unter  die  EUi- 
psoidfläche  grössere  Werthe  zeigt,  als  sie  auf  dem 
EUipsoid  besitzen  würde. 

Die    für   das    nicht  elliptische  Sphäroid   gel- 
tenden Werthe  der  drei  Verhältnisse  a,  6',  r  sind 

1 
r  =  0.003467619  = 


e  =  0.005203447  = 
a  =  0.003465601  = 


288.3824 

1 
192.1804 

1 
288.5503 


wo  wir  H  aus  \y  —  a  bestimmt  haben.  Der 
Werth  von  y  involvirt  in  der  Paucker'schen 
Rechnung  den  obigen  offenbar  zu  grossen  Werth 
von  a  und  damit  geht  die  erste  Decimale  im 
Reciprok  von  y  unter  4  herab. 

Bei  den  unserer  Zustimmung  entbehrenden 
Unterlagen  der  vorstehenden  Ergebnisse  der  in 
analytischer  Hinsicht  so  bedeutsamen  Arbeit  von 
Paucker  dürfen  wir  weder  auf  die  Kleinheit  der 
Differenz  zwischen  den  Werthen  von  y  und  a,. 
noch  auf  die  nahe  Uebereinstimmung  des  Wer- 
thes  von  o  mit  dem  weiter  unten  von  uns  ge- 
fundenen Werth  der  Abplattung  Gewicht  legen 
und  bemerken  nur  dass  bei  der  grossen  Annähe- 
rung von  a  au  y  das  Verhältniss  von  a  zw.  y 
eiu  Geringes  unter  1  bleibt. 

Um  nun  nach  der  auf  dem  Gebiete  der  Pen- 
delmessungen gewonnenen  Orientirung  unserer 
Aufgabe  näher  zu  treten,  fragen  wir  zunächst 
nach  dem  Werthe  der  Länge  des  Secundenpen- 
dels  unter  der  mittleren  Breite  45° ,  die  wir  mit 
Z*  bezeichnet  haben.  Wir  entnehmen  zu  diesem 
Behuf  aus  den  Berechnungen  A.  B.  C.  D.  E.  F 


778 

die  Werthe  von  ?*,  wobei  noch  keins  der  drei 
Verhältnisse  des  Clairaut'schen  Satzes  in  Frage 
kommt.     Diese  tVeiihe  waren 

l*  =  993.5548  A 

993.5667  B 

993.5561  C 

993.5803  D 

993.5710  E 

993.5830  F 

Wir  sehen  hier  eine  mit  hohem  Grad  von 
Präcision  bestimmte  Constante  für  die  Schwere 
an  der  Erdoberfläche  mitten  zwischen  ihren 
Extremen  am  Pol  und  am  Aequator,  als  Ergeb- 
niss  von  sechs  mehr  oder  minder  umfassenden 
Rechnungen,  beruhend  auf  zumeist  neueren  und 
umsichtig  corrigirten  Pendelmessnngen.  Bei  so 
grosser  Uebereinstimmung  obiger  6  Zahlen  würde 
schon  das  einfache  Mittel  993.56865  der  Wahr- 
heit sehr  nahe  kommen.  Wir  glauben  aber 
einen  noch  plausibeleren  Werth  zu  gewinnen, 
wenn  wir  den  sechs  Daten  statt  gleicher  un- 
gleiche Gewichte  beilegen. 

Dem  Werthe  A ,  der  auf  z.  Th.  nach  der 
älteren  Borda'schen  Methode  angestellten  Mes- 
sungen beruht,  geben  wir  das  Gewicht  1,  der 
Bestimmung  B  von  Bowditch  wegen  der  grösseren 
Anzahl  aufgenommener  Stationen  und  vorwie- 
genderer Zahl  mit iuvariabelen Pendeln  gewonnener 
Messungen  das  Gewicht  2.  Den  beiden  Resul- 
taten C  und  D  von  Sabine  und  Foster  dürften 
nahe  gleiche  Gewichte  gebühren.  Obwohl  jede 
nur  wenig  über  ein  Dutzend  Stationen  umfasst, 
so  ist  doch  jeseitig  die  Gleichförmigkeit  der  Me- 
thode und  die  Einheit  des  Beobachters  hoch 
anzuschlagen,  wie  nicht  minder  die  Erstreckung 
auf  die  extremsten  Breiten,  im  Norden  bei  C,  im 


779 

Süden  bei  D.  Die  von  Baily  1833  geführte  Be- 
rechnung dürfte  der  Zahl  D  vor  der  von  Sabine 
bereits  1825  gegebenen,  in  den  nächst  folgenden 
Jahren  in  untergeordneten  Punkten  verbesserten 
Berechnung  C  ein  wenn  auch  geringes  Vorrecht 
geben.  Wir  legen  C  das  Gewicht  3,  D  das 
Gewicht  4  bei.  Dem  Baily'schen  Resultat  E 
aber  gebührt  ohne  Zweifel  unter  allen  weitaus 
das  grösste  Gewicht  nicht  sowohl  wegen  Zulas- 
sung von  lediglich  mit  invariabelen  Pendeln  an- 
gestellten Beobachtungen  —  hierin  stehen  C  und 
D  mit  E  auf  gleichem  Range  —  als  vielmehr 
wegen  der  weit  überwiegenden  Zahl  von  Beobach- 
tnngsdaten ,  in  umsichtigster  Kritik  gehandhabt 
und  berechnet.  Wir  glauben  der  Zahl  E  billig 
das  Gewicht  10,  so  viel  als  A,  B,  C  und  D  zu- 
sammengenommen, beilegen  zu  müssen.  F  fusst 
mit  E  fast  durchweg  auf  gleichen,  nur  in  ihrer 
Zahl  beträchtlich  verminderten  Daten.  Wir  ge- 
ben ihr  das  halbe  Gewicht  von  E,  d.  h.  5. 
Diese  auf  möglichst  kleine  Zahlen  beschränkte 
Abwägung  unserer  in  Rede  stehenden  Angaben 
für  Z*,  deren  Motive  wir  in  ihren  wesentlichsten 
Momenten  nur  kurz  angedeutet  haben,  kann  der 
Einwurf  der  Willkür  in  kaum  nennenswerthem 
Masse  trefiFen,  insofern  sie  nur  auf  ein  Markten 
um  kleine  Grössen  hinausläuft,  die  unter  einem 
Fünfzigtausendstel  des  Ganzen  bleiben. 

Die  Rechnung  kann  auf  die  zweite  und  die 
folgenden  Decimalen  des  Millimeters  beschränkt 
werden,  indem  wir  mit  Zehntausendt^ln  des  Mil- 
limeters rechnen,  um  die  zu  993.5  noch  anzu- 
fügenden Decimalen  für  den  plausibelsten  Werth 
von  l*  zu  finden.  Die  bekannten  Vorschriften 
der  Wahrscheinlichkeitsrechnung   ergeben  dann: 


780 

pz  f  es  pet 


A 

I 

548 

548 

—  173 

29929 

29929 

±91.30 

B 

2 

667 

1334 

—  54 

2916 

583* 

6456 

C 

3 

561 

1683 

—160 

25600 

76800 

5271 

D 

4 

803 

3212 

+  81 

6724 

26896 

45.65 

E 

10 

710 

7100 

—  II 

IZI 

1210 

28. 90 

F 

5 

830 

4150 

+  109 

11881 

59405 

40.83 

WO  die  verabredeten  Gewichte  unter  p,  die  zu 
behandelnden  Ziffern  unter  2  stehen.  Die  Summe 
[pz]  =  18027  getheilt  durch  [p]  =  25  gibt  als 
plausibelsten  Werth  721.08.  Die  Abweichungen 
der  2  von  diesem  Mittelwerth  bilden  die  unter 
e  aufgeführten  Fehler;  ihre  Quadrate  stehen 
unter  es  und  die  ^fachen  Quadrate  unter  pss. 
In  .  der  Quadratwurzel  aus  der  durch  25 — 1  ge- 
theilten  Summe  [pes]  finden  wir  dann  den  sog. 
mittleren  Fehler  einer  einzelnen  der  sechs  An- 
gaben für  den  Fall  des  Gewichts  1 ,  wie  z.  B. 
der  ersten  A.  Die  mittleren  Fehler  der  übrigen 
Angaben  mit  andern  Gewichten  als  1  finden  sich 
mittelst  Division  durch  Vp.  Diese  mittleren 
Fehler  oder  Unsicherheiten  stehen  oben  in  letzter 
Columne  unter  m.  Den  mittleren  Fehler  des 
gefundenen  Mittels  721.08  finden  wir  durch  Di- 
vision von  +91-30  durch  V[p]  =  5.  Derselbe 
ergibt  sich  =  +^\S.2Q.  Der*"  sog.  wahrschein- 
liche Fehler  der  Ziffer  721.08  wäre  dann  +  12.18, 
d.  h.  man  dürfte  —  hinsichtlich  der  Gewichts- 
vertheilung  Einverständniss  vorausgesetzt  —  al 
pari  wetten,  dass  die  Abweichung  von  dem  wah- 
ren Werth  ebenso  oft  unter  als  über  12.18  falle*). 
Unser  Ergebniss  ist  also 

Z*  =  993.572108  (10) 

1)  Diese  Grösse  12. 18  oder  1^  Mikrum  liegt  nahezu 
auf  der  Grenze  der  heutigen  Leistung  directer  mikrosko- 
pischer Messung. 


781 

mit  der  mittleren  Unsicherheit  von  +0.00182Ö 
Millimeter,  wonach  sich  die  Genauigkeit,  mit 
welcher  wir  die  Länge  des  Secuudenpendels  unter 
dem  45.  Grad  der  Breite  zu  keunen  glauben 
dürfen,  auf  3^(,ö  des  Ganzen  stellt.  Beiläufig 
bemerkt,  muss  die  Genauigkeit  in  unserer  heu- 
tigen Kenntniss  des  zehnmillionten  Theils  des 
Erdmeridians  mindestens  12mal  geringer  veran- 
schlagt werden. 

Durch  Multiplication  von  l*  mit  nn  erhalten 
wir  sofort  den  plausibelsten  Werth  der  Schwere 
unter  45  Grad  Breite 

g*  =  9"'806165  (11) 

mit  der  mittleren  Unsicherheit  von  +^'"^^018 
und  der  gleichen  Genauigkeit  von  ^xiVöü* 

Die  Pendellänge  (10)  und  die  Schwere  (11) 
wie  wir  sie  so  oben  bestimmt  haben ,  müssen 
auf  Grund  der  Ausgleichuugsrechnungen  Ä....F 
auf  das  jeweilige  Ellipsoid  und  auf  diesem  auf 
den  Parallel  des  45.  Grades  der  Breite  bezogen 
werden ,  während  die  aus  den  unmittelbaren 
Messungen  gewonnenen  Pendelläugen,  bei  welchen 
durchweg  die  Reduction  auf  deu  Meeresspiegel 
angebracht  ist ,  dem  Geoid  angehören.  Die  aus 
den  Rechnungen  resultirenden  sog.  Fehler,  d.  h. 
die  Differenzen  der  beobachteten  und  der  be- 
rechneten Pendellängen  sind  als  wesentlich  aus 
zwei  Theilen  bestehend  zu  betrachten,  nämlich 
aus  dem  jeder  Messung  unvermeidlich  anhaftenden 
wirklichen  Beobachtungsfehler  und  aus  derjenigen 
Differenz,  welche  wesentlich  auf  Rechnung  des 
am  Beobachtungsorte  stattfindenden  Höhenunter- 
schieds zwischen  dem  Geoid  uud  dem  bei  der 
Berechnung  supponirteu  Ellipsoid  gesetzt  werden 
muss,  so  wie  in  zweiter  Linie  auf  Rechnung  geo- 

64 


782 

gnostischer  Verhältnisse  in  der  Nähe  des  Be- 
obachtungsortes, welche  bald  eine  Verstärkung 
bald  eine  Verringerung  der  Intensität  bewirken 
können.  Der  erste  Theil  darf  bei  den  besseren  und 
zumal  den  neueren  in  unserer  Discussion  zu 
Rathe  gezogenen  Beobachtungen  durchweg  als 
klein  vorausgesetzt  werden,  so  dass,  wofür  die 
namentlich  in  niederen  Breiten  beider  Hemi- 
sphären und  besonders  auf  weit  von  den  Conti- 
nenten  entlegenen  Inselstationen  nach  Ausweis 
ebensowohl  verschiedener  Ausgleichungs  -  Rech- 
nungen als  verschiedener  Beobachter  an  derselben 
Station  sprechen,  grosse  positive  Differenzen  durch 
ihren  beträchtlichen  zweiten  Theil  als  Zeugniss 
für  eine  adäquate  Vertiefung  der  Geoid-  oder 
Meeresfläche  unter  dem  regelmässigen  Ellipsoid, 
grosse  negative  Differenzen,  die  zumeist  an  Con- 
tinental-Stationen  hervortreten,  als  die  Wirkung 
geoidischer  Erhebungen  über  dem  Ellipsoid 
gelten  können  ^).  Der  erste  Theil ,  nämlich  der 
mittlere  zu  befürchtende  Beobachtuugsfehler  bei 
neuerer  Methode  mit  invariabelen  Pendeln  und 
bei  bewährten  Beobachtern  darf  auf  kaum  drei 
Fünftel  einer  Schwingung  per  diem,  oder  etwa 
^^  eines  Millimeters  in  der  Pendellänge  veran- 
schlagt  werden  ^).      Der   zweite    reale  Theil   der 


1)  Dieser  Sachverhalt  ist  bereits  von  Ph.  Fischer  in 
der  früher  genannten  Schrift  >Untersuchungen  über  die 
Gestalt  der  Erde.«  Darmstadt  1868.  in  ausführlicher 
Discussion  zur  Evidenz  gebracht. 

2)  Entnehmen  wir  aus  dem  Verzeichniss  Baily's  von 
79  Daten  eine  Anzahl  mehrfach  beobachteter  Stationen, 
nämlich  7  doppelte:  Maranham,  Trinidad,  Guam,  St.  He- 
lena ,  Isle  de  P'rance ,  Rio  Janeiro  und  Port  Jackson ; 
3  dreifache:  Asconsion ,  Cap  und  Paris;  endlich  die  fünf- 
fache: Greonwich,  so  lässt  sich  die  jeder  Station  zukom- 
mende  constante   Abweichung   als  jener  zweite    oftmals 


•7QO 

Abweichuugeu,  der  zwischen  Null  und  fast  ein 
Dutzend  Oscillationen  ganz  regellose,  sporadische 
Beträge  in  Plus  und  Minus  ausweist,  darf  als 
ein  genähertes  Mass  lothrechter  Coordinat^n  des 
Geoids  unter  oder  über  dem  Ellipsoid  angesehen 
werden,  obwohl  ein  Theil  —  auf  Inseln  weiter 
oceanischer  Flächen  indess  wahrscheinlich  nur 
ein   kleiner  —  auf  Rechnung  von    geologischen 

weit  grössere  Theil  abscheiden  und  ein  genäherter  Werth 
für  den  mittleren  za  befürchtenden  Fehler  einer  einzelnen 
Pendelmessnng  der  hier  in  Betracht  kommenden  Art  er- 
mitteln. Die  Rechnung  ergibt  denselben  aas  den  ge- 
nannten 28  Messungen  gleich 

±0.558  Oscillationen 
d.  h.  (da  hierbei  Einer  Oscillation  nahe  0.232  Millimeter 
entsprechen)   eine  Unsicherheit  in   der  Länge   des  Secun- 
denpendels  von 

±0.0129  Millim. 
welches  eine  Genauigkeit  heutiger  Pendelmessungen  von 
Tbia?7  bedeutet,  während  die  ganze  Abweichung  einschliess- 
lich des  realen  Theils,  welche  man  unpassend  schlechthin 
Fehler  genannt  hat ,  nach  der  Rechnung  A  (Schmidt)  in 
ihrem  mittleren  Betrag  =  ±  0.0697  Millimeter,  also  über 
fünfmal  grösser  ist.  Die  bei  der  gegenwärtigen  Rechnung 
hervorgetretenen  Beträge  des  zweiten  oder  realen  Theils 
der  Abweichung  für  die  genannten  11  Stationen  sind 


Oscill. 

MilUm. 

Maranham 

—6.34 

—0.1470 

Trinidad 

—5.41 

—0.1254 

Guam 

+4.94 

+0.1141 

St.  Helena 

+6.75 

+0.1565 

Isle  de  France  +6.63 

+0.1537 

Rio  Janeiro 

-4.33 

—0.1004 

Port  Jackson 

—0.18 

—0.0042 

Ascension 

+8.22 

+0.0746 

Cap  d.  g.  H. 

—2.12 

—0.0491 

Paris 

—2.25 

—0.0522 

Greenwich 

—0.78 

—0.0181 

Die  hierbei  betheiligten  Beobachter  sind  Foster  mit 
7  Messungen ,  Sabine  und  Freycinet  mit  je  6 ,  Duperrey 
mit  4,  Lütke  mit  3.  Hall  und  Fallows  mit  je  einer  Meesong. 

64* 


784 

Ungleichförmigkeiten  in  der  Intensität  der 
Schwere  kommen  mögen.  Auf  das  im  allge- 
meinen Ueberschlag  der  topischen  Verhältnisse 
des  Geoids  bereits  in  dem  ersten  Theil  dieser 
Untersuchung  Erörterte  hinweisend,  begnügen 
wir  uns  hier,  wo  von  den  Depressionen  und  Ela- 
tionen  des  Geoids  nur  gelegentlich  die  Rede  ist, 
für  ein  paar  extreme  Vorkommnisse  ins  numerische 
Detail  einzugehen ,  um  daran  die  Art  der  Aus- 
werthung  der  fraglichen  örtlichen  Tiefe  oder 
Höhe  der  Geoidfläche  zu  erläutern,  wovon  wir 
weiterhin  einige  Anwendungen  auf  das  hier  zu 
ermittelnde  Ellipsoid  zu  machen  beabsichtigen. 
Bei  den  nach  der  comparativen  Methode  der 
Schwingungszählung  augestellten  Pendelbeobach- 
tungen ist  die  übliche  Correction  zur  Reduction 
auf  die  Meeresfläche,  welche  sofern  die  Station 
in  der  Regel  über  der  Meeresfläche  liegt,  der 
beobachteten  Anzahl  von  Schwingungen  —  nach 
geschehener  Verbesserung  wegen  des  astronomisch 
controllirten  Ganges  der  Uhr,  wegen  endlicher 
Schwinguugsbogen,  wegen  Temperatur  des  Pen- 
dels und  wegen  Temperatur  und  Druck  der  um- 
gebenden Luft  (buoyancy)  —  hinzuzufügen  ist 

=  ^'^'h  (12) 

wo  N  die  Zahl  der  Schwingungen  per  diem*), 
H  der  Erdradius,  A  die  Höhe  des  schwingenden 
Pendels  über  dem  Meere  und  s  eine  Constante 
ist,  welche  von  den  Dichtigkeitsverhältuissen  der 
Erde  abhängt  und  gewöhnlich  =  ^  gesetzt  Avird. 
Es  leuchtet  ein,  dass  derselbe  Ausdruck  sich  be- 
nutzen lässt,  ans  dem  durch  die  Ausgleichuugs- 
Rechnung    für   die   EUipsoidflächen    gefundenen 

1)  Baily  fand  es  bei  Berechnung  der  Foster'schen  Be- 
obachtungen ausreichend,  N  durchweg  —  66100  zu  setzen. 


785 

Werthe  von  N  und  dem  anf  die  Meeres-,  also 
die  Geoidfläche  reducirteu  Werthe  die  Höhendif- 
ferenz zwischen  Geoid  und  Ellipsoid  zu  finden. 
Es  sei  die  in  der  Rechnung  gefundene  Abwei- 
chung JN  oder  v  die  Zahl  von  Schwingungen, 
um  welche  die  anf  die  Meeresfläche  reducirte 
Schwingungszahl  grösser  ist  als  die  durch  Aus- 
gleichung für  das  Ellipsoid  gefundene  Schwin- 
gungszahl, und  C  die  Höhe  des  Geoids  über  dem 
Ellipsoid,  so  findet  sich 

C  =  -|E.^  (13) 

Es  genügt,  R  constant  =  6370000,  also  |iJ  = 
9555000  zu  setzen,  wenn  C  in  Metern  gefunden 
werden  soll.  Für  N  ist  der  berechnete,  ausge- 
glichene Werth  zu  setzen. 

Den  extremsten  Fall  bietet  bis  jetzt  die  auf 
den  Bonin-Inseln,  im  westlichen  Pacific  zwischen 
Neu -Guinea  und  Japan,  von  Capt.  Lütke  ge- 
machte Beobachtung,  wo  N  über  1 1  Oscillationen 
grösser  gefunden  ist  als  der  berechnete  Werth. 
Nach  Baily's  Rechnung  (E)  ist  diese  Abweichung 
11.25,  nach  ßorenius  (F)  11.04.  Das  Mittel  als 
Werth  für  v  und  86310.8  für  N  gesetzt,  gibt 
f  =  —  1234™  als  Depression  der  Meeresfläche 
daselbst  unter  dem  Ellipsoid  ^).  Bei  unserer  im 
ersten  Theil  dieser  Arbeit  versuchten  ganz  rohen 
Ueberschlagsrechnung  fand  sich  die  durchschnitt- 
liche Depression  der  grossen  Oceanflächen  nur 
— 120  Meter.  Hiernach  erscheint  die  locale 
Eintiefung  der  Meeresfläche  in  der  Gegend  der 
Boniu  -  Inseln  vollauf  zehnmal  so  gross  als  die 
durchschnittliche     Depression     der     oceanischen 

1)  Etwa  die  Höhe  des  Vesuv ,  oder  halbe  Höhe  des 
Berges  Sinai,  oder  etwa  |  der  höchsten  Gipfel  des  Hi- 
malaja. 


786 

Theile  der  Erdoberfläche,  sofern  nicht  ein  Theil 
jener  11  Oscillationen  zugleich  auf  Rechnung 
einer  Vergrösserung  der  Intensität  der  Schwere 
in  Folge  grösserer  localer  Dichtigkeit  der  an  und 
unter  dem,  gerade  in  dortiger  Region  sehr  tiefen 
Meeresgrunde  vorhandenen  festen  Massen  kommen 
sollte.  Diese  Depression  vergrössert  die  Pendel- 
länge um  0.258  Millimeter  und  die  Beschleuni- 
gung der  Schwere  um  etwa  2S  Millimeter.  Eine 
Wiederholung  der  Messung  wäre  indess  dringend 
wünschenswerth. 

Als  zweites  Beispiel  diene  Maranham.  Ob- 
gleich ebenfalls  auf  einer  Insel  ganz  nahe  der 
Nordküste  Südamerika's  gelegen ,  wird  dieser 
Punkt  durch  die  nahen  Reliefmassen  des  Conti- 
nents  auf  einen  elatorischeu  Theil  des  Geoids 
erhoben,  so  dass  daselbst  die  Abweichung  in  der 
beobachteten  Schwinguugszahl  negativ  ausfällt. 
Der  Werth  von  —  v  findet  sich  in  E  aus  Sa- 
bine's  Messung  6.11,  aus  Foster's  6.51,  in  F  aus 
Foster's  Messung  6.71.  Setzen  wir  v  =  —6.5 
und  N  =  86265.37,  so  findet  sich  die  Elation 
^  =  720™  und  damit  eine  Verkürzung  der  Pen- 
dellänge von  0.15  und  eine  Verminderung  der 
Schwere  um  1^  Millimeter. 

Fälle  der  betrachteten  Art  liefern  sehr  werth- 
volles  Material  für  die  künftige  Kenutniss  der 
Irregularitäten  der  Geoidfläche.  Ihre  zur  Zeit 
noch  sehr  geringe  Zahl  wird  hoffentlich  durch 
eifrige  Wiederaufnahme  der  Pendelmessungen 
demnächst  ansehnlich  vermehrt  werden.  Ihnen 
aber  gebührt  bei  Feststellung  des  regelmässigen 
Ellipsoides  das  gleiche  Stimmrecht ,  wie  den 
übrigen,  für  welche  die  Ausgleichsrechnung  nur 
kleine  Abweichungen  herausstellt.  Das  Motiv, 
eine  Ausmerzung  solcher  Messungen,  bei  welchen 
die  Abweichung  v  drei  Einheiten  übersteigt,   zu 


787 

missbilligen,  dürfte  im  Vorsteheudeu  hinreichend 
gerechtfertigt  sein. 

Nach  Auffindung  des  plausibelsten  Werthes 
von  l*  =  993.5721  mit  der  mittleren  Unsicher- 
heit von  +0.0018  kommen  die  Pendellängen  am 
Aequator  und  am  Pol  in  Betracht,  deren  Werthe 
aus  den  sechs  Berechnungen  A  bis  F  mit  Be- 
trägen von  merklich  grösseren  Discordanzen  her- 
vorgingen ,  als  bei  der  Pendellänge  unter  der 
Breite  45^'  der  Fall  war.  Die  Werthe  von  l* 
bewegten  sich  so  zu  sagen  zwischen  den  Extre- 
men innerhalb  282  Einheiten  der  vierten  Deci- 
male  des  Millimeters ,  bei  P  zeigt  sich  dieser 
Spielraum  (A  uud  F)  =  470,  bei  V  (E  und  D) 
=  348.  Der  Sachverhalt  lässt  sich  bildlich  etwa 
so  veranschaulichen.  Sechs  Stäbe  von  nahezu, 
aber  nicht  vollkommen  gleicher  Länge  werden 
aufeinander  liegend  mit  ihren  Halbirunj^spunkten 
vorerst  zur  Coincidenz  gebracht,  dann  werden  an 
beiden  Enden  die  Nichtcoincidenzen  der  End- 
punkte symmetrisch  sein ;  sobald  nun  aber  die 
Stäbe  der  Länge  nach  gegenseitig  etwas  verscho- 
ben werden,  so  dass  ihre  Mitten  nicht  mehr  ge- 
nau zusammenfallen,  wird  die  Symmetrie  der 
Nichtcoincidenz  an  beiden  Enden  verloren  gehen 
und  zugleich  der  Gesammt betrag  derselben  auf 
beiden  Seiten  ungleich  werden.  Es  stellt  l*  an 
jedem  Stabe  seine  Mitte,  l^  und  ?'  stellen  seine 
Enden  vor. 

Bei  der  nunmehr  bloss  vorläufigen  numeri- 
schen Behandlung  der  aus  dem  Bisherigen  für 
jede  der  sechs  Berechnungen  hervorgegangenen 
Werthe  von  ?•*  uud  V  halten  wir  uns  wiederum 
bloss  an  die  letzten  Decimalen.     Wir  haben  also 


788 


^0 

£ 

f£ 

A 

9780 

—253 

64009 

B 

10002 

—  31 

961 

C 

9890 

—143 

20449 

D 

10057 

+  24 

576 

E 

10217 

+  184 

33856 

F 

10250 

+217 

47089 

Der  grösseren  Discordanzen  sowie  der  nachgehend 
vorzunehmenden  kleinen  Verschiebung  wegen 
verzichten  wir  auf  eine  scrupulöse  Abwägung, 
wie  wir  sie  bei  dem  wichtigeren  Werthe  l*  an- 
gewandt haben,  und  nehmen  (also  ohne  Gewichts- 
unterschiede) zunächst  das  einfache  arithmetische 
Mittel  10033,  für  welches  sich  die  Abweichungen 
oben  unter  «  und  ihre  Quadrate  unter  ss  beige- 
fügt finden.  Die  Summe  [«sj  getheilt  durch  6  —  1 
gibt  in  ihrer  Quadratwurzel  die  den  einzelnen 
sechs  Werthen  von  l^  beizumessende  mittlere 
Unsicherheit  +183. 

Die  analoge  Behandlung  der  auf  ?'  bezügli- 
chen Daten  ergiebt 

€  SB 

—.  26  676 

—  9  81 

—109  11881 

+211  44521 

—137  18769 

.+  69  4761 

woraus  das  vorläufige  arithmetische  Mittel  =  341 
und  die  mittlere  Unsicherheit  =  +127'). 

1)  Efl  kann  nicht  befremden,  dass  die  Unsicherheit  in 
V  jferinger  befunden  wird ,  als  in  P,  trotzdem  Beobach- 
tungen, am  Aequator  selbst  und  in  grosser  Nähe  angestellt 
(Rawak,  Pulo  Gaunsah  Lout,  St.  Thomas,  Galopagos)  zu 
Gebote  stehen ,  was  am  Pol  nicht  der  Fall  ist ,  von  wel- 
chem   die   nördlichsten   ßeobachtungsörter   (Spitzbergen, 


V 

A 

315 

B 

332 

C 

232 

D 

552 

E 

204 

F 

410 

789 

Die  beiden  erhaltenen  Mittel werthe  991.0033 
und  996.1341  liegen  aber,  wie  nicht  anders  zu 
erwarten,  noch  ungleich  weit  von  l*  =  993.5721 
ab.  Erst  durch  die  kleine  Verschiebung  von 
4-0.0034  gehen  aus  ihnen  Mittelwerthe  hervor, 
deren  Mittel  mit  l*  coineidirt.  Wir  betrachten 
also  P  =  991.0067  und  /'  =  996.1375  als  Er- 
gebnisse einer  Beobachtung  von  dem  durchschnitt- 
lichen Gewicht  der  zum  Grunde  liegenden  Daten, 
behaftet  l^  mit  der  mittleren  Unsicherheit 
+  0.0183,  l'  mit  +0.0127  und  gewinnen  nun- 
mehr einen  präciseren  Ausdruck  für  den  Spiel- 
raum, in  welchem  sich  zur  Zeit  die  aus  Berech- 
nungen, wie  unsere  sechs,  hervortretenden  Werthe 
für  l^  und  ?'  bewegen.  Es  schwankt,  in  diesem 
Sinne  betrachtet, 

Z°  zwischen  990.9884  (14) 

und       991.0250 

V  zwischen  996.1248 
und       996.1502 

und  wir  fordern  von  den  den  beiden  extremen  Pen- 
dellängen  für  das  zu  ermittelnde  Ellipsoid  bei- 
zulegenden Werthen  ,  dass  sie  nicht  ausserhalb 
der  hier  gefundenen  Grenzen  fallen.  In  Betreff 
der  Schwere  am  Aequator  und  am  Pol  stellen 
sich  diese  Grenzen  (in  Metern) 

Grönland)  zehn  Grade  und  mehr  entfernt  bleiben,  wenn 
man  berücksichtigt,  dass  die  realen,  von  den  Unregelmä- 
ssigkeiten des  Geoids  herrührenden  Discordaczen  in  der 
äqaatorischen  Region  merklich  grösser  sind,  als  in  der 
polaren.  Die  verschiedenen  EUipsoide  der  einzelnen  Aus- 
gleichsrechniingen  oscnliren  so  zu  sagen  in  mittleren 
Breiten  nahezu ,  weichen  aber  an  den  Polen  merklicher, 
und  noch  mehr  in  der  Tropenregion  aus  dem  besagten 
Grunde  unter  einander  ab. 


790 

(/  zwischen  9.780663  (15) 

und       9.781022 

g'  zwischen  9.831364 
und       9.831607 

Um  nun  die  beabsichtigte  Modification  des  im 
ersten  Theil  dieser  Untersuchung  aufgestellten 
typischen  EUipsoides  in  Angriff  zu  nehmen  ,  so 
dass  die  Aenderuug  nur  die  Abplattung,  nicht 
die  Grösse  tangirt ,  zugleich  aber  möglichst  ge- 
naue und  neben  den  Gradraessungen  zugleich  den 
Pendelmessungen  Genüge  leistende  Coucinnität 
zwischen  den  durch  den  Clairaut'schen  Satz  unter 
einander  verknüpften  Verhältnissen  a,  6',  y  und 
den  Werthen  der  Schwerkraft  hergestellt  werde, 
blicken  wir  noch  einmal  auf  das  oben  aufge- 
führte Tableau  (6)  simultaner  Werthe  von 
a,  6',  y  zurück,  aus  welchem  wir  hier  nur  die 
wenigen  Ziffern  reproduciren,  welche  der  jetzt  in 
Betracht  kommenden  Region  dieser  Werthe  an- 
gehören : 

«  tf  11 

a  1.001  1.499  288.1  192.4    (16) 

h  1  1.500  288.4  192.3 

c  0.999  1.501  288.7  192.1 

d  0.998  1.502  289.0  192.0 

e  0.997  1.503  289.2  191.9 

Wir  erinnern  uns,  dass  diese  Ziffern  nur  scheraa- 
tisch  und  für  einen  bestimmten  genäherten  Werth 

von  — ,  nämlich  288.4 ,  gültig  sind.     Die  Zahlen 

der  Ziffernreihen  h  und  d  sind  es  speciell ,  in 
denen  sich  unsere  kleine  Verbesserung  wird  zu 
bewegen  haben.      Unser   bisheriges  typisches  El- 


791 


lipsoid  steht  in  der  Linie  ti,  wo    -  =  w  =  289, 

1  a" 

--  etwa  192.0,  das  Verhältuiss  -  also  um  0.002 
6  r  f} 

unter    1 ,    und    das    Verhältniss  -     nahe     0.002 

f 

über  4  liegt.  Mit  der  ganzzahligen  Abplattungs- 
ziffer ist,  wie  bereits  bei  seiner  Aufstellung  her- 
vorgehoben wurde,  wesentlich  auf  das  Votum 
der  Pendelmessuugen  Rücksicht  genommen ,  in- 
dem wir  diesem  Zeugniss  ohne  das  der  Grad- 
messuugen  ganz  aus  den  Augen  zu  lassen ,  das 
größere  Vertrauen  glaubten  schenken  zu  sollen. 
Von  ganzen  Zahlen  für  den  Werth  von  w  konn- 
ten nur  288  und  289  in  Betracht  kommen,  von 
welchen  wir,  im  Hinblick  auf  die  entschieden 
größeren  Ziffern  der  Gradmessungen,  der  letzteren 
den  Vorzug  gaben.  Jetzt,  wo  wir  eine  genauere 
Feststellung  nicht  nur  der  Gestalt  des  Ellipsoides 
sondern  auch  seiner  dynamischen  Constanten 
versuchen,  werden  wir  im  Wertbe  von  «  um 
Bruchtheile  einer  Einheit  von  289  in  der  Rich- 
tung nach  288  geführt  werden ,  und  die  Noth- 
wendigkeit  hierzu  liegt  in  kleinen  Discordanzen, 
zu  welchen  uns  die  abgerundeten  Ziffern  des  ty- 
pischen Ellipsoides  führen  würden,  wenn  man 
sie  als  scharfe  Zahleuwerthe  in  die  Berechnung 
der  Grössen  a,  6'.  y  einschliesslich  der  Constanten 
der  Schwere  einführte,  sofern  letztere  mit  0  und 
Y  verwachsen  sind.  Kürze  halber  unterlassen 
wir  ins  numerische  Detail  dieses  Punktes  einzu- 
gehen und  erwähnen  nur,  dass  für  cö  =  289.00 
und  R  =  6370000«"  an  der  Hand  des  gefundenen 
Werthes  für  ?*  eine  Ziffer  für  das  Reciprok  von 
6  nahe  wie  in  der  Linie  d  des  Tableaus  (16), 
nämlich  192.0  erwächst,  aus  welcher  Werthe 
von   /*^  und  V    hervorgehen    würden,    die    noch 


792 

merklich  ausserhalb  der  Grenzen  (14)  fallen  und 
zwar  im  Sinne  eines  zu  grossen  Werthes  von  6. 
Diese  Andeutung  ist  hinreichend  zu  erkennen, 
in  welcher  Richtung  wir  uns  bei  der  erforderli- 
chen Verbesserung  in  den  obigen  Zahlenreihen 
in  (16)  zu  bewegen  haben  ;  wieviel,  hat  die  Rech- 
nung zu  ergeben.  Wir  haben  von  d  gegen  h 
hin  aufwärts  zu  steigen,  um  6  auf  eine  statt- 
hafte Rate  herabzubringen.  Hiermit  wird  vor- 
aussichtlich in  der  Abplattung  a  eine  kleine 
Verstärkung  Hand  in  Hand  gehen,  der  wir  aber 
immer  im  Rückblick  auf  die  Gradmessungen 
Einhalt  thun,  sobald  das  kleiner  werdende  6'  jene 
Grenzen  innezuhalten  gestattet.  Es  wird  sich 
zeigen,  dass  wir  der  Linie  h  in  (16)  ,  d.  h.  der 
Gleichheit  von  a  und  y  sehr  nahe  gebracht  wer- 
den, ohne  sie  zu  überschreiten.  Unsere  Ziffern 
lehren  uns  durch  den  blossen  Anblick  das  zu 
erwartende  Resultat  in  genäherter  Form  zu  an- 
ticipiren.  Das  Reciprok  von  6*  muss  von  192.0 
bis  zwischen  192.2  und  192.3  steigen,  w  wird 
von  289  nahe  gegen  288.4  zurückgehen ,  y  wird 
um  weniger  als  1  Tansendtel  in  seinem  Verhält- 

niss  zu  a  überlegen    bleiben,    und        wird  sehr 

Y 
wenig  über  ^  betragen. 

Nach  der  in  diesen  übersichtlichen  Andeutun- 
gen enthaltenen  Richtschnur  hat  nun  behufs  der 
zu  erzielenden  Concordanz  die  Rechnung  die 
geeigneten  Wege  einzuschlagen,  welche,  wie  sich 
zeigt,  nur  indirect  sein  können  und  durch  ange- 
messene Wiederholung  in  schrittweise  gesteigerter 
Approximation  zum  Ziele  führen. 

Man  kann  beginnen  mit  einem  roh  genäher- 
ten Werthe  von  6',  z.  B.  0.00518,  um  aus  ihm 
provisorische  Werthe  von  /°  und  //  so  abzuleiten, 


793 

dass  der  oben  gefuudeue  uud  durch  die  ganze 
Berechuuug  fest  zu  haltende  Werth  (11)  von  l* 
die  Mitte  hält  zwischen  /"  und  /'.  Man  könnte 
zu  diesem  Ende  nach  der  Regula  talsi  verfahren 
uud  mit  einem  genäherten  Werthe  von  ^",  der 
sich  leicht  aus  den  früheren  Daten  (A  . . .  F) 
entnehmen  lässt,  z.  B.  991.0  den  zugehörigen 
Werth  von  l'  =  l'^ -\- b'P  aufsuchen.  Das  Mittel 
aus  Z°  uud  r  zeigt  nuu  iu  seiner  Differenz  gegen 
993.5721,  welche  Redressur  l^  und  /'  erheischen, 
um  von  diesem  Werthe  nach  beideu  Seiten 
gleiche  Abstände  zu  ergeben ').  Indess  kann 
auch  der  gerade  Weg  eingeschlagen  werden,  um 
von  l*  mittelst  6'  zu  Z"  uud  l'  zu  gelangen.  Man 
findet  nämlich  aus  (8) 

also  l     =  l*—^P-]-6'Psm(f^ 

=  Z*_A;o(i_2giny») 
=  1*--I0cos2<p 

=  l*  —  l* cos  2  a> 

1  +  1 

oder  l     =  l*(l  —  6'  cos  2(f)  (17) 

f        RR 
wo  6'  =  — -  —      ,  demmau  bei  schärferer  Rech- 
2         4 

nung  der  letzten  Schritte,  um  die  8.  und  9.  De- 

1)  Es  verschlägt  bei  diesem  ersten  Schritte  wenig, 
dass  der  in  dieser  Weise  corrigirte  Werth  von  /'  nicht 
mit  Schärfe  um  das  Product  aus  6  und  dem  corrigirten 
l^  grösser  als  dieses  l^  ist. 


794 
ciniale  im  Coefficieuteu  von  cos  2  y  genau  zu  er- 

halteuj  noch  -j-     .hinzufügen  kann, 
ö 

Man    findet  also    l^  =  V^  —  6'V  und    kann 

l' ^0 

vorerst —  es  sei  denn  zur  ControUe  &  = 

—  die  Berechnung  von  V  ==  l*-\-6'V^  noch  un- 
terlassen, da  es  sich  zunächst  behufs  Feststellung 
von  ;'  nur  um  die  Kenntniss  von  g^  handelt, 
welches  man  aus  nnl^  findet,  wobei  auch  der 
kleine  Umweg  über  ^"   vermieden   werden  kann, 

4      a 
wenn    man    statt  (4)  schreibt  y  =  -yfrm  •  7^1  O'^er 

0,  4  JL 1    t 

=^  Ä .  —,  wo  Z;  =  -TfTrf,'      In     dem     constanten 

Factor  Iz  bedeutet  T  die  in  Secunden  mittlerer 
Sonnenzeit,  die  allen  Messungen  des  Secunden- 
pendels  zum  Grund  liegt,  ausgedrückte  Rotations- 
dauer der  Erde ,  d.  i.  den  Sterntag ,  wonach 
T  =  86164"0906 ,    log    TT  =  8.8706527    und 

log  k  =  1.7314073. 

Die  äquatoriale  Halbaxe  a  hängt  nun  aber 
von  der  Abplattung  et  ab,  die  wir  erst  suchen, 
und  mit  «  oder  «  muss  aus  unserem  constanten 
Kugelradius  R  ==  6370000'"  die  Grösse  a,  so  wie 
nachgehends  auch  />,  bestimmt  werden.  Die 
hierzu  erforderliche  Vorschrift  findet  sich  leicht 

a  =  M.[^^  (18) 

ebenso  6  =  i2.(^llj^  (19) 

oder  h^'^.a  (20) 

Auch   hier   wenden   wir   vorerst  einen  genä-. 


795 

herteu  Werth  von  «,  etwa  288.5  au  und  fiuden 
einen  genäherten  Werth  von  a,  der  einige  Meter 
grösser  ausfallen  wird  als  der  dem  typischen  El- 
lipsoid  angehörige  6377365™.  Mit  den  genä- 
herten Werthen   von  l^   und  a  fiuden    wir  danu 

a 
in  Je. -^  einen    ersten   genäherten   Werth   von  y, 

V 

dessen  Fünfhalbfaches  nach  dem  Clairaut'schen 
Satze  der  Summe  a  -\-  6  gleichkommen  soll.  Die 
Controlle  a  =  ^y  —  fj  wird  sofort  zu  erkennen 
geben,  dass  bei  den  beispielsweise  vorgeschlagenen 
Näherungswerthen  6'  =  0.00518  und  w  =  288.5, 
die  Abplattung  noch  zu  klein,  «a  noch  zu  gross 
sei.  Die  dem  6'  entsprechenden  Werthe  von  l^ 
und  P  liegen  aber  noch  entschieden  innerhalb 
der  in  (14)  vorbehaltenen  Grenzen.  Wir  befinden 
uns  indess  hinsichtlich  der  gleichzeitigen  Verän- 
derlichkeit der  drei  Grössen  a,  6',  y  *)  in  demje- 
nigen Stadium,    wo    alle    drei  zugleich  wachsen, 

*)  In  den  sechs  Bearbeituncren  A...F  der  Pendelmes- 
sungen, deren  Hauptinteresse  für  uns  in  den  berechneten 
Werthen  der  Schwerkraft  lag,  haben  wir  nicht  unterlassen, 
auch  die  Auswerthung  von  w  anzuführen,  wie  sie  von 
den  betreffenden  Autoren  in  ihren  Arbeiten  gegeben 
worden  sind,  ohne  jedoch  darauf  Werth  zu  legen,  oder 
davon  Gebrauch  zu  machen.  Bei  A  allein,  der  wir  aus 
angeführten  Gründen  gerade  das  kleinste  Gewicht  bei 
Ermittelung  des  wahrscheinlichsten  Werthes  von  /*  bei- 
legten, ist  auf  genauere  Auswerthung  von  y  Bedacht  ge- 
nommen ,  bei  allen  übrigen  ist  —  wie  bereits  oben  da- 
rauf aufmerksam  gemacht  —  nach  ungenauer  Gewohnheit 
der  entschieden  zu  grosse  ganzzahlige  Werth  289  für 
dasReciprok  von  y  angenommen,  wonach  also  y  zu  klein 
ist.  Paucker  berechnet  mit  a  =  6378324"  das  ßeciprok 
von  y  zu  288.3824  und  Ph.  Fischer  mit  a  =  6378221" 
(117m  kleiner  als  a  seines  unter  (19)  unserer  früheren 
Zusammenstellung  aufgeführten  EUipsoides)  zu  288.39 
—  beide  Ziffern  zu  klein  (y  zu  gross)  wegen  zu  grosser 
Werthe  von  a.     Pa  hierbei  lo   bezw.    288.55  und  288.5 


796 

ein  Stadium  jedoch,  welches  nach  unserer  frü- 
heren Bemerkung,  dass  sich  u  und  6  in  den  Be- 
trag I  Y  theileu  müssen,  bei  der  vorzugsweise 
langsamen  Veränderung  von  y,  ein  sehr  be- 
schränktes ist. 

Ein  zweiter  Schritt  von  6  über  y  zu  a,  wo- 
bei in  Y  <^er  Aequatorialradius  und  das  provi- 
sorische w  wie  im  ersten  Schritte  beibehalten 
und  bloss  l^  gemäss  dem  etwa  auf  0.0052  ver- 
grösserten  6  angewandt  werden  mag,  führt  zu 
etwas  grösseren  Werthen  von  y  und  «,  wobei 
in  a  sich  grosse  Annäherung   an  y  zeigen  wird. 

Bei  den  folgenden  Schritten  ziehen  wir  vor, 
die  Rechnung  im  umgekehrten  Sinn  von  a  über 

Y  nach  0  zu  führen,  und  dabei  in  der  Abplat- 
tuugsziffer  uns  bloss  in  Einheiten  der  zweiten 
Decimale  zu  bewegen ,  nachdem  in  den  bereits 
betretenen  Werthen  die  üebereiustimmung  von 
288.4  für   die  Reciproca    von  y  und  a   vorliegt. 

Die  letzten  Schritte  führen  uns  dahin,  in  w 
bei  der  Ziffer  288.48  stehen  zu  bleiben,  was  für 
6'  den  Werth  0.005201555  mit  sich  führt,  nach- 
dem zuletzt  in  ;'  die  Rechnung  (18)  für  a  mit 
w  =  288.48,  für  l^  mit  990.9948  geführt  worden, 
wie  es  sich  mittelst  (17)  für  Z*  und  den  eben 
genannten  Werth  von  6  ergibt.  Die  Pendellän- 
gen fallen  alsdann  eben  in  den  durch  die  Gren- 
zen (14)  bezeichneten  Spielraum,  ohne  sie  selbst 
ganz  zu  erreichen,  während  dies  für  o»  =  288.49 
nicht  der  Fall  sein  würde.  Es  bleibt  nämlich 
Zo  =  990.9948  um  64  Einheiten  der  vierten 
Decimale  über  der  unteren  Grenze  990.9884  und 

V  =  996.1495  um  7  Einheiten  unter  der  oberen 

angenommen  wird,  so  bleibt  auch  hier  beidemal  wiederum 
—  um  ein  Geringes  unter  der  Einheit. 

y 


797 

Grenze  996.1502  entfernt^).  Beide  Werthe  ste- 
hen zu  beiden  Seiten  von  dem  geforderten  l*  = 
993.5721  gleichweit  ab,  und  a:y  oder  288.4179 
:  288.4800  stellt  sich  dabei  auf  0.999785,  also  um 
0.000215  oder  um  fz^r  unter  die  Einheit. 

Wir  geben  nun  in  der  nachstehenden  Zu- 
sammenstellung die  gewonnenen  Resultate  für 
das  modificirte  typische  Ellipsoid  in  seinen 
geometrischen  und  dynamischen  Con- 
stanten sowie  in  den  Zahlenwerthen  der  drei 
Verhältnisse  des  Clairaut'schen  Satzes  und  den 
Vorschriften  zur  Berechnung  der  Pendellängen 
und  der  Schwerkraft  für  jede  gegebene  Breite. 
Die  linearen  geometrischen  Constanten  sind  in 
Metern,  nur  G  nach  Gewohnheit  in  Toisen  aus- 
gedrückt. Bei  den  dynamischen  Constanten  sind 
die  Pendellängeu  in  Millimetern,  die  Beträge  der 
Schwerkraft  in  Metern  gegeben.  In  Klammern 
sind  die  Logarithmen  beigelügt. 

Geometrische  Constanten. 

a    =     6  377377  [6-8046421]       (21) 

h    =      6  355270  [6.8031340] 

c    =           22107  [4.3445298] 

o)   =      288.4800  [2.4601157] 

B    =      6  370000  [6.8041394] 

Q"  =  10  017560  [7.0007620] 

M  =             7420.415  [3.8704282] 

Q   =  10  000205  [7.0000089] 

G  =          57009.41  [4.7559465] 

1)  Begreiflich  liegt  der  Grund  der  Ungleichheit  dieser 

geringen    Abstände   von   den   betreffenden    Grenzwert.hen 

;  (14)   in  der   ungleichen  Weite   der  Grenzen  für  die  Pen- 

;  dellängen  am  Aequator  und  am  Pol,  welche  für  /*"   0.0366, 

■  für  i'    0.0254  beträgt. 

65 


798 


10  = 
l*  = 
V   = 


9* 

9' 

9'-9' 

r 

6 
a 

r 

1 


Dynamische 
990.9948 
993.5721 
996.1495 
5.1547 

9.780728 
9.806165 
9.831603 
0.050875 


(O- 


l  == 


0.003467199 
0.005201555 
0.003466445 

288.4179 
192.2502 
288.4800 


Constanten. 

[2.9960714]        (22) 
[2.9971994] 
[2.9983245] 
[0.7122047] 

[0.9903711]        (28) 
[0.9914991] 
[^.9926242] 
[8.7065044] 

[T.5399778]        (24) 

[7.7161333] 

[7,5398843] 

[2.4600222] 
[2.2838667] 
[2.4601157] 


990.9948  (1  +  0.005201555.  sin  y*)    (25) 
=  990.9948  +  5.1547.sin9)2 

l  =  993.5721(1— 0.002594024.  cos  2  y) 
=  993.5721  —2.57735.  cos  2  9 

g  =  9.780728  (1 +0.005201555.  sin  y»)    (26) 
=  9.780728  +  0.050875.  sin  y* 

g  =  9.806165  (1-0.002594024.  cos  2  y) 
t=  9.806165  —  0.0254375.  cos  29) 

Die  Centrifugalkraft  am  Aequator  findet  sich 

/  =  33.9117  Millim.     [1.5303490]      (27) 

Die   vorstehenden   Ergebnisse    für   das   neue 


799 

EUlipsoid  (21)  wenden  wir  nun  auf  die  Berech- 
Qung  der  Pendellänge  für  mehrere  wichtige 
Oerter  an,  um  sie  mit  den  auf  die  Geoidfläche 
zu  beziehenden  beobachteten  Pendellängen  zu 
vergleichen. 

1.  Für  London,  welches  bei  den  neueren 
Pendel-Beobachtungen  als  Normalort  gilt,  findet 
äich  mit  der  Breite  tp  =  51°  31'  8''  des  Beob- 
achtungsplatzes  in  Mr.  Browne's  Hause  (Portland 
Place)  auf  dem  EUipsoid 

London  l  =  994.1536 
Nach  Kater's  Bestimmung  ist  die  dortige  auf  die 
Meeres-  oder  Geoidfläche  reducirte  Pendellänge 
=^  994.1288,  wonach  die  Abweichung  Jl  =  — 
0.0248  Millim,  entsprechend  einer  in  Oscillatio- 
nen  ausgedrückten  Abweichung  JN  =  — 1,07. 
Abgesehen  von  dem  eigentlichen  Beobachtungs- 
fehler (den  wir  oben  in  einer  Anmerkung  in 
seinem  mittleren  Betrage  für  eine  einmalige 
Messung  +0.0128  fanden,  der  aber  für  diesen 
Kater'schen  oftmals  bestimmten  Werth  wesent- 
lich geringer  veranschlagt  werden  darf)  läge 
unsere  EUipsoidfläche  bei  London  zwischen  den 
Ellipsoiden  von  Baily  und  von  Borenius  (nach 
den  Berechnungen  E  und  F),  indem  die  Abwei- 
chung nach  Baily  =  —0.74  Ose.  {Jl  =^  — 
0.0172),  nach  Borenius  =  —1.28  Ose.  (=  — 
0.0297)  beträgt.  Die  Höhe  ^  des  Geoids  über 
dem  EUipsoid  (21)  findet  sich  für  die  Gegend 
von  London  nach  (13) : 

C  =  HS"» 

während  diese  Grösse  aus  E  gleich  82°,  aus  F 
gleich  142'»  folgt.  Der  Beobachtungsplatz  (nach 
Sabine's  genauerer  Ermittelung  28™  über  dem 
Meere)  würde  also  nach  unserer  Rechnung  146 
iMeter  über  dem  EUipsoid  (21)  liegen. 

1  65* 


800 

2.  Für  Paris  ist  die  beachtete  Zahl  N  im 
Verzeichniss  E  nach  Freycinet  86388.01,  nach 
Sabine  86388.30,  nach  Duperrey  86388.56,  und 
im  Verzeichniss  F  das  runde  Mittel  86388.30. 
Aus  dieser  letzten  Zahl  folgt  die  auf  die  Mee- 
resfläche bezogene  Pendelläage  zu  Paris  l  = 
993.8600.  Aus  unserer  Vorschrift  (25)  findet 
sich  mit  (f  ==480  50'! 4'' 

Paris  l  =  993.9162 

und  somit  Jl  =  — 0.0562,  entsprechend  JN 
=  —  2.42,  und  die  Höhe  des  Geoids  über  unserm 
Ellipsoid  für  die  Gegend  von  Paris  nach  der 
Regel  (13) 

C  =  268» 

Nach  Baily  ist  (Mittel  aus  dreien)  JN  =  —  2.25, 
nach  Borenius  =  — 2.74.  Die  Abweichung  nach 
Baily  ergibt  ^  =  249",  nach  Borenius  =  303"». 
Auch  hier,  bei  Paris,  liegt  unsere  Ellipsoidfläche 
zwischen  den  Ellipsoiden  von  Baily  und  von 
Borenius.  Die  Elatiou  aber  ist  bei  Paris  2^  mal 
so  gross  als  bei  London,  während  am  Ellipsoid 
von  Baily  dies  Verhältniss  3,  am  Ellipsoid  von 
Borenius  2^  sein  würde. 

3.  Maranham,  ein  Küstenort  oder  viel- 
mehr eine  kleine  der  Küste  nahe  gelegene  Insel 
des  nordbrasilischen  Litorals,  als  Station  der 
Beobachtungen  von  Sabine  und  von  Foster,  zeigt 
eine  bedeutende  negative  Abweichung,  Foster's 
Station  ist  8  Secunden  im  Bogen ,  etwa  -^  Kilo- 
meter südlicher  gelegen,  als  Sabine's.  Baily 
findet  für  Sabine  jN  ==  —6.11,  für  Foster 
=  — 6.51.  Berechnen  wir  für  die  beobachteten 
Zahlen  N  =  86259.19  (Sabine),  und  86258.74 
(Foster),  im  Mittel  86258.97,  und  die  mittlere 
Breite   y   =   —2"  31' 39"    die   Pendellänge    für 


801 

das  ElHpsoid  (21)  und  für  das  Geoid,    so  finden 
wir  aus  (25) 

Maranham  l  =  991.0048 
und  die  beobachtete,  durch  das  Mittel  aus  beiden 
Beobachtungen  annähernd  vom  Beobachtungs- 
fehler befreite  Pendelläuge  auf  dem  Geoid  l  = 
990.8860,  woraus  Jl  =  —0.1188  und  JN  = 
—  5.12.  Dies  ergiebt  eine  Elation  des  Geoids 
über  dem  Ellipsoid  (21)  in  dortiger  Gegend  von 

Das  Mittel   aus  den    von  Baily  gefundenen  Ab- 
weichungen   würde    eine   Erhöhung    C   =  702™, 
also  noch  135"  grösser  ergeben.     Borenius  nimmt 
bloss  Foster's  Messung  auf.     Hier  ist  die  Rech- 
nung mit  der  Breite  —  20  31'35",    mit    der  Fo- 
ster'schen  Zahl  N  =  86258.74    allein   und    mit 
der   von   Borenius    gefundenen     noch     grosseren 
Abweichung  z/^  =  — 6.71  zu  führen.     Es  findet 
sich  dann   für    das  Ellipsoid    (21)  l  =  991.0048 
(wie  vorhin),  für  das  Geoid  l  =  990.8810,    Jl 
=  —0.1238,  JN  =  —5.34,   die  Elation  C  = 
591°'  für   unser   Ellipsoid  und   :=  743^"    für   das 
von   Borenius.       Wenn  wir  aber,    um   uns   des 
Vortheils  zweier  Beobachtungen    statt  einer   für 
dieselbe  Station  nicht,  wie  Borenius  gethan ,  zu 
begeben,  mit  denselben  Mittelzahlen,  wie  vorhin 
bei  Baily's  Sphäroid ,    verfahren  ,    so    ergibt  sich 
iV  =  86258.97  gegen  86265.45    als  den  für  das 
Ellipsoid  von  Borenius  berechneten  Werth,    die 
Abweichung  JN  =  — 6.48    statt  — 6.71,    und 
hieraus   die  Elation   C  =  718™,    während    diese 
Grösse  unseren   vorigen  Werth    567™   beibehält. 
Unsere  Ellipsoidfläche   liegt    also  diesmal    höher 
als  die  Ellipsoide  E    und  F,    nämlich    bzw.  um 
35  und  51  Meter.      Es    ist    kaum   nöthig    auch 
hier  noch  einmal  daran  zu  erinnern,    dass  diese 


802 

Auswerthungen  geoidischer  Erhöhungen  und 
Vertiefungen  nur  als  provisorische  Orientirungen 
hinsichtlich  der  Irregularitäten  des  Geoid's  zu 
betrachten  sind,  sofern  hierbei  von  dem  Theil 
der  Abweichungen  JJV  abgesehen  ist,  der  von 
localen,  aus  geologischen  Verhältnissen  entsprin- 
genden Ursachen  herrührt,  und  in  Betrefi"  dessen 
wir  uns  in  diesem  Falle,  wo  eine  locale  Verrin- 
gerung der  Schwere  vermuthet  werden  müsste, 
wie  fast  durchweg  noch  in  Unwissenheit  befin- 
den. Dass  aber  der  Spiegel  des  Caraibischen 
Meeres  sowie  der  atlantische  Ocean  in  der  Ge- 
gend der  Nordküste  Südamerika's  etwa  ein  hal- 
bes Kilometer  über  der  der  Erde  im  Oanzeu  zu- 
kommenden regelmässigen  Sphäroidfläche  em- 
porragt, dafür  zeugen  auch  die  Beobachtungen 
in  Trinidad  und  Para,  woselbst  gleichfalls  grosse 
negative  Abweichungen  auftreten,  was  auch  noch 
in  Bahia ,  Rio  Janeiro ,  Montevideo  und  ebenso 
an  der  Westküste  in  Valparaiso,  sowie  in  bedeu- 
tendem Maas^e  in  San  Blas  an  der  pacifischeji 
Küste  von  Mexico  der  Fall  ist,  so  dass  wir  darin 
den  erhöhenden  Einfloss  der  amerikanischen  Con- 
tinentalmassen  mit  ihrem  bedeutenden  Anden-Re- 
lief erkennen.  Einen  analogen  Eiufluss  der  pro- 
minenten Himalaya-Masse  bekundet  Madras ,  wo 
JN  am  EUipsoid  von  Baily  =  — 3.83,  von  Bo- 
renius  =  —  4.03  ist. 

4.  Die  Bon  in -Insel,  das  bereits  oben  be- 
sprochene extremste  Beispiel  positiver  Abwei- 
chung, soll  nun  auch  mit  unserm  EUipsoid  (21) 
zusammengehalten  werden.  Mit  der  (bei  Bore- 
nius  um  3"  verbesserten)  Polhöhe  27°4'9"  finden 
wir  die  dortige  Pendellänge  für  die  Ellipsoidfläche 
aus  (25) 

Bonin  Ins.  l  =  992.0G23 


803 

während  die  Beobachtung  von  Lütke  N  = 
86322.10  die  Pendellänge  auf  der  Meeresfläche 
=  992.3368  ergibt,  wonach  die  Meeres-  oder 
Geoidfläche  für  ^/  =  0.2745  nüdJN=  +  11.83 
eine  Depression  herausstellt  von 

^  =  -  1309» 

also  noch  75  Meter  mehr  als  oben  im  Mittel  für 
die  Ellipsoide  E  und  F  gefunden  wurde,  welche 
sich  dort  einander  bis  auf  etwa  23  Meter  nahe 
liegen,  so  dass  die  Ellipsoidfläche  von  ßorenius 
l^SS™,  von  Baily  1246  und  die  unsrige  noch 
weitere  63™  über  der  dortigen  Meeresfläche  ge- 
legen ist  —  immer  unter  der  mehrfach  erwähn- 
ten Voraussetzung,  dass  von  einer  etwaigen  Mit- 
wirkung geologischer  Ursachen  abgesehen  werde  ^). 
5.  Für  St.  Helena  stimmen  die  Beobach- 
tungen von  Foster  und  Lütke  genau  überein, 
woraus  zu  präsumiren  ist,  dass  der  eigentliche 
Beobachtungsfehler  (jener  erste  Theil  der  Abwei- 
chung) unbedeutend  klein  sei.  Mit  der  Breite 
y  =  — 15°  55'  13"  (als  Mittel  für  die  Beob- 
achtungsplätze Foster's  und  Lütke's,  von  welchen 
der  letztere  1'  8"  im  Bogen,  etwa  2070"»  nördli- 
cher liegt)  erhalten  wir  aus  (25)  die  Pendellänge 
für  das  Ellipsoid  (21) 

St.  Helena    I  =  991.3829 

Aus  Foster's  und  Lütke 's  beobachteter  Zahl  N 
=  86288.29  finden  wir  für  die  Meeresfläche  die 
Pendellänge  =  991.5602  also  M  =  -{-  0.1773, 
und  jy  =  4-  7.684,  und  hiermit  aus  (13)  eine 
geoidische  Depression  von 

t  =  -847«° 

1)  Die  obige  Depression  kommt  etwa  mit  der  Höhe 
von  Briangon  (Dep.  des  Haates-Alpes)  oder  der  Höhe  des 
mexicanischen  Yulcaüs  Jorullo  über  dem  Meere  überein. 


804 

Für  das  Ellipsoid  in  E  (Baily)  ergibt  sich  aus 
der  Abweichung  -f-  6.75  die  Depression  C  =  — 747™ 
und  für  das  Ellipsoid  F  (Borenius)  aus  -\-  6.55 
die  Depression  — 725™.  Beide  Ellipsoide  liegen 
also  in  dortiger  Gegend  des  südlichen  Atlantic 
über  700™  über  der  Meeresfläche,  das  Ellipsoid 
(21)  aber  noch  100™  über  beiden. 

Ein  ähnliches  Resultat  würde  die  Discussion 
der  beiden  von  Freycinet  und  Duperrey  auf  Isla 
de  France  angestellten  Beobachtungen    ergeben. 

In  den  vorstehenden  Beispiele  haben  wir  Orte 
mit  hervorragend  grossen  Abweichungen  sowohl 
in  Minus  als  in  Plus  ausgewählt,  bei  welchen 
sich  —  vorbehaltlich  der  eventuellen  geognosti- 
schen  Einflüsse  —  bedeutende  Elationen  oder  De- 
pressionen der  irregulären  Geoidfläche  herausstel- 
len, um  von  dem  mitunter  unerwartet  grossen 
Betrag  dieser  Unregelmässigkeiten  substantiirtere 
Vorstellungen  zu  gewinnen. 

6.  Für  Spitzbergen,  der  dem  Pole  am 
nächsten  gelegenen  Station  und  zwar  der  Nord- 
hemisphäre, wo  in  der  Breite  von  79°  49'  58" 
von  Sabine  N  =  86483.28  gefunden  wurde,  er- 
gibt sich  für  unser  Ellipsoid 

Spitzbergen  l  =  995.9889 

Die  Sabine'sche  Beobachtung  gibt  für  die 
Meeresfläche  die  Pendellänge  =  996.0462,  woraus 
Jl  =  -\-  0.0573  und  J N  =-  1.96  und  somit 

C  =  —217™ 

Diese  Depression  findet  sich  mit  JN=  -{•  3.70 
am  Ellipsoid  von  Baily  =  —  409™,  mit  -j-  2.83 
am  Ellipsoid  von  Borenius  =  — 313™.  Mit  JN 
=  3.24  und  3.06  stellt  sich  bzw.  bei  Schmidt 
(A)  und  Bowditch  (B)  die  Depression  =  —385™ 
und  —  338™  heraus.      Die  Abweichung  fällt  in- 


805 

dessen  wahrscheinlich  z.  Th.  auf  Rechnung  der 
localen  Vergrösserung  der  Schwere,  da  nach  Sa- 
bine's  Angabe  der  Boden  aus  dichtem  Quarzfels 
besteht. 

8.  Für  Berlin  und  K  ön  igsbe  rg  besitzen 
wir  die  bekannten  vorzüglichen  Messungen  Bes- 
ser s,  welche  in  absoluter  Bestimmung  ausgeführt 
für  die  Länge  des  einfachen  Secundenpendels, 
reducirt  auf  die  Meeresfläche,  zu  Berlin  {(p  = 
52«  30'  16"7)  und  Königsberg  (y  =  54^42' 50-6) 
ergeben  haben 

Berlin  l  =  994.3217 

Königsberg     l  =  994.4100 

Für  unser  Ellipsoid  (21)  ergibt  die  Vorschrift 
(25)  die  berechneten  Pendellängen 

Berlin  l  =  994.2396 

Königsberg      l  =  994.4294 

und  somit  die  Abweichungen  für  Berlin  Jl  = 
—  0.0079,  JN  =  —0.3408,  für  Königsberg  Jl 
=  —0.0194  JN  =  —0.837,  so  dass  sich  für 
beide  Orte  eine  massige  Elation  der  Meeresfläche 
über  der  regelmässigen  Ellipsoidfläche  ergibt, 
nämlich 

Berlin  ^  =  37"'7 

Königsberg  t  =  92.6 

9.  Für  Göttingen  möge  schliesslich  die 
für  unser  Ellipsoid  gültige  Pendellänge  erwähnt 
werden,  so  wie  die  Intensität  der  Schwere.  Es 
findet  sich  für  (f  =  51°31'48"  (Sternwarte)  aus 
(25)  und  (26) 

Göttingen  l  =  994.1546 
g  =  9.811912 

Eine  directe  Messung  der  Pendellänge  ist  zur 
Zeit  in  Göttingen  nicht  ausgeführt,  und  die  von 


806 

Gauss  gelegentlich^)  erwähnte  Zahl  9811. G3  als 
Betrag  der  Schwere  in  Millimetern,  welcher  die 
Pendellänge  994.1260  entspricht,  ist  nur  über- 
schlägliches Rechnungsresultat,  welches  als  für 
die  Sternwarte  gültig,  nicht  auf  die  nahe  150"* 
tiefer  liegende  Meeresfläche  bezogen  werde  dürfte, 
so  dass  sich  hieran  nicht  füglich  eine  Bestim- 
mung der  Elation  knüpfen  lässt  ^). 

Die  Unregelmässigkeiten  des  Geoids  welche 
sich  nicht  bloss  durch  die  bei  den  Gradmessun- 
gen hervortretenden  Discordanzen  zwischen  be- 
obachteten und  berechneten  Polhöhen  und  Bo- 
genlängen ,  sondern  auch ,  und  zwar  noch  in 
weitergehenden  Einzelnheiten ,  bei  den  Pendel- 
messungen durch  Abweichungen  beobachteter 
von  berechneten  Beträgen  der  Schwere  bemerk- 
lich machen,  sind  Veranlassung  gewesen  zu  den 
Versuchen ,  die  allgemeine  regelmässige  Gestalt 
der  Erde  durch  andere  Flächen  darzustellen,  als 
das  abgeplattete  Rotations-Ellipsoid.  Rotations- 
Sphäroide  mit  Meridianen,  welche  die  durch  Ae- 
quatorial-  und  Polaraxe  bestimmte  Ellipse  sei 
es  innen ,  sei  es  aussen  osculiren  ,  sollten  einen 
engeren    Anschluss     dieser    Sphäroidflächen    an 

1)  Intensitas  vis  magn.  art.  26.   Gauss'  Werke  V  S.  117. 

2)  Gesetzt  indess ,   man    wollte  die  Zabl  994.1260  als 
scbarfes    Resultat  einer    sorgfältigen    Pendelmessung    auf 
der  hiesigen  Sternwarte  betrachten,  welches  für  die  Höhe 
von  150°»  auf  die  Meeresfläche  reducirt,  994.1565  heissen 
würde,   so   ergäbe    die  Vergleichung   mit   994.1546  eine 
positive  Abweichung  Jl  =  0.019   oder  JN  —  0.08  und 
eine    ganz    geringe   Depression  f  =  ~  9"" ,    so   dass  die  | 
Sternwarte  etwa  140"»  über  der  Ellipsoid-  und  150'"  über 
der  Meeresfläche  läge.     Uebrigens   deutet  die    starke  auf] 
dem    Brocken   stattfindende    Localablenkung    des   LothesJ 
auf     erhebliche    Irregularitäten    des    Geoids    in  hiesigerj 
Gegend. 


807 

das  irreoruläre  Geoid  herstelleu.  Oder  aber  man 
suchte  EUipsoidflächen  mit  drei  Axen  zu  gleichem 
Behufe  zu  ermitteln  ,  an  welchen  Aequator  und 
Parallelen  sämmtlich  elliptisch  statt  kreisförmig 
sind  und  die,  verschiedenen  geographischen  Län- 
gen entsprechenden  Meridiane  verschiedene  Axen- 
verhältuisse  besitzen.  Beide  Verfahrungsweisen 
sind  nur  mangelhafte  Versuche  einer  Annäherung 
an  die  regellos  gekrümmte  Geoidfläche,  als  welche 
sie  sich  nach  den  in  den  wenigen  aufgeführten 
Beispielen  gewonnenen  numerischen  Details  mit 
hinreichender  Evidenz  herausgestellt  hat,  und  es 
bleibt  unseres  Erachtens  der  allein  haltbare  Weg 
zur  Darstellung  der  regelmässigen  allgemeinen 
Gestalt  der  Erde  das  bloss  mit  zwei  Constaoten 
R  und  ö)  versehene  Rotations-Ellipsoid,  insofern 
alle  jene  Versuche  in  Bezug  auf  Erreichung  ih- 
res Zieles,  nämlich  einer  möglichst  vollständigen 
Kenntniss  der  unregelmässigen  Geoidfläche,  aus- 
sichtslos erscheinen.  Jede  hinzukommende  Grad- 
messung, jede  neue  Pendelmessung  würde  in  den 
die  Zahl  Zwei  immer  weiter  übersteigenden  Con- 
stanten erhebliche  Eingriffe  oder  Abänderungen 
veranlassen  .  während  die  durch  sie  etwa  nöthig 
werdenden  Modificationen  in  den  zwei  Constanten 
des  Rotations-Ellipsoides,  je  weiterhin,  desto  un- 
erheblichere Correctionen    herbeiführen  werden. 

Insonderheit  die  im  ersten  Theil  dieser  Un- 
tersuchung zur  Sprache  gebrachten  dreiaxigen 
Ellipsoide  betreffend ,  wie  sie  in  den  dort  unter 
(11)  von  Schubert,  unter  (12)  und  (17)  von 
Clarke  aufgeführten  Ellipsoiden  dieser  Art  vor- 
liegen, zeigen  dieselben,  abgesehen  von  den  Di- 
mensionsverhältuissen,  so  starke  Unterschiede  in 
der  Lage  der  extremen  Durchmesser  des  ellipti- 
tischen  Aequators ,  dass  sich  darin  schon  die 
Mangelhaftigkeit  einer  Approximation  auf  diesem 


808 

Wege  genugsam  kund  gibt.  Nicht  unerwähnt 
darf  bei  dieser  Gelegenheit  bleiben  ,  dass  in  der 
oben  unter  F  besprochenen,  so  werthvollen  Be- 
rechnung der  Pendelmessungen  —  gegenüber  je- 
nen auf  die  Gradmessungen  gegründeten  dreiaxi- 
gen  Ellipsoiden  —  anhangsweise  auch  ein  auf 
den  Pendelmessungen  beruhender  Versuch  ent- 
halten ist,  extreme  Meridiane  und  eine  ellipti- 
sche Abweichung  des  Aequators  vom  Kreise  zu 
bestimmen.  Nicht  nur,  dass  hierbei  die  geogra- 
phische Länge  dieser  Extreme  auch  nicht  ange- 
nähert mit  denen  jener  anderen  dreiaxigen  El- 
lipsoide  übereinkommt,  liegen  jene  Extreme,  die 
geometrisch  nothwendig  einen  Längenunterschied 
von  90  Grad  besitzen  müssen ,  dadurch  dass  das 
Maximum  über  Südamerika  (Maranham ,  Bahia, 
Rio  Janeiro)  und  das  Minimum  über  den  austra- 
lischen oder  östlichen  Theil  des  stillen  Meeres 
(Bonin -Inseln,  Ualan,  Guam)  verlaufen  soll,  in 
Meridianen,  die  sich  unter  Winkeln  von  etwa 
164  und  16  Grad,  statt  rechtwinklich  kreuzen, 
und  die  am  Aequator  eine  Ellipticität  von  ^jVt 
bewirken  sollen,  —  eine  geometrische  Unge- 
reimtheit. 

Zum  Schlüsse  werfen  wir  noch  in  Kürze 
einen  Blick  auf  die  Dichtigkeitsverhältnisse  des 
Erdkörpers,  welche  im  Eingang  der  vorliegenden 
Untersuchung  zur  Sprache  gekommen  sind,  wo 
darauf  hingewiesen  worden  ,  dass  die  Dichtigkeit 
der  Erde  keine  gleichförmige  sei ,  sondern  im 
Allgemeinen  von  der  Oberfläche  aus  mit  wach- 
sender Tiefe  zunehme.  Wir  denken  uns  den 
Erdkörper  aus  concentrischeu  Schichten  beste- 
hend ,  jede  von  gleicher  Dichte ,  von  Schicht  zu 
Schicht  mit  zunehmender  Tiefe  wachsende  Dich- 
tigkeiten besitzend.     Durch  Versuche,  namentlich 


809 

mit  der  von  Cavendish  zuerst  zu  diesem  Behufe 
angewandten  Dreh  wage,  kennen  wir  mit  einer 
Genauigkeit  von  etwa  2  Procent  die  mittlere 
Dichtigkeit  (gegen  Wasser)  des  ganzen  Erdkör- 
pers, und  die  Geognosie  gibt  uns  Auskunft  über 
die  Dichte  der  verschiedenen  festen  Bestandtheile 
an  der  Erdoberfläche,  woraus  wir  für  die  ober- 
flächliche Schicht  von  etwa  1  Kilometer  Dicke 
der  festen  Erdrinde  einen  ungefähren  durch- 
schnittlichen Werth  der  Dichtigkeit  entnehmen 
können.  Aus  den  sorgfältigsten  Untersuchungen 
von  Reich  in  Sachsen  und  von  Baily  in  England 
hat  sich  für  die  mittlere  Dichtigkeit  q*  der  Erde, 
indem  wir  aus  der  Zahl  von  Reich  5.583  und 
der  von  Baily  5.67  das  abgerundete  Mittel  neh- 
men, ergeben 

Q  =  5.63 
Für  die  durchschnittliche  Dichtigkeit  ^'  der  festen 
Oberflächenschicht  setzen  wir 

q'  =  2.60 

Im  Hinblick  auf  den  massigen  Grad  der  Ge- 
nauigkeit der  vorstehenden  beiden  Zahlen  ge- 
nügt es  von  der  abgeplatteten  Gestalt  des  terre- 
strischen Sphäroids  zu  abstrahiren  und  die  Erde 
als  eine  Kugel  von  dem  Radius  jR  =  6370  Ki- 
lometer zu  betrachten.  Die  Entfernung  irgend 
eines  Punktes  im  Innern  der  Erde  von  dem 
Centrum  bezeichnen  wir  durch  r,  die  daselbst 
stattfindende  Dichtigkeit  mit  q,  sowie  die  Dich- 
tigkeit im  Centrum,  wo  r  =  0,  durch  q^. 

Für  das  Gesetz  der  Zunahme  der  Dichtigkeit 
von  der  Oberfläche  bis  zum  Erdmittelpunkt, 
welches  uns  weder  durch  Versuche  noch  durch 
Beobachtung  bekannt  ist,  müssen  wir  zur  Hypo- 
these greifen.  Man  hat  verschiedene  Functionen 
der  Abhängigkeit  der  Dichtigkeit  von  der  Tiefe 


810 

oder  von  der  Entfernung  r  vom  Mittelpunkt 
aufgestellt,  nach  denen  mit  stetig  wachsender 
Tiefe  eine  stetig  bis  zum  Centrum  wachsende 
Dichtigkeit  stattfinden  soll.  Ein  mit  der  Tiefe 
JB — r  zugleich  linear  wachsendes  q  ist  unstatt- 
haft, indem  hierbei  im  Durchgang  durch  das 
Centrum  die  Stetigkeit  der  Dichtigkeitsänderung 
bei  /  =  0  unterbrochen  würde. 

Die  gebräuchlichste  Form ,  welche  dem  Ge- 
setze der  Abhängigkeit  der  Dichtigkeit  einer  der 
concentrischen  Schichten  von  ihrem  Radius  gegeben 
wird ,   ist 

wo  A  und  H  aus  den  Beobachtungen  zu  bestim- 
mende Constanten  und  der  Exponent  "k  gewöhn- 
lich =  2  angenommen  wird.  Es  ist  alsdann 
A  =  q^  die  maximale  Dichtigkeit  am  Erdmit- 
telpunkt, 5  =  e^  —  ^'  oder  der  Unterschied  der 
extremen  Dichtigkeiten  an  der  Oberfläche  und 
im  Cent'rura.  In  diesem  Falle,  wo  A  =  2,  findet 
man  aus  den  beiden  Daten  der  Beobachtung  ^* 
und  q'  den  Werth 

und  somit  für  unsere  obigen  Werthe  von  ^*  und  g' 

pO  =  10.175 
so  dass  die  Gleichung  (27),  d.  h. 

jetzt  die  Gestalt  annimmt 


811 


Q  =  10.175-7.575.^  (28) 

=  10.175(1-0.7445.^1 

oder  durch  Vergleich  mit  der  mittleren  Dichtig- 
keit Q* 

Q  =  1.8073.C*  (1-0.7445.^1        (29) 

Roche  hat  in  einem  Memoire  sar  la  fignre 
de  la  terre  ^)  einen  Ausdruck  gleicher  Form 
gegeben 

€  =  ^(l-|aa)  (30) 

wo  Q  das  Verhältniss   der  Dichtigkeit    zur  mitt- 
le 
leren  Dichtigkeit  und  a   das  Verhältniss  -^   be- 

deutet.     Die  beiden    numerischen  Constanten 


13 

oder  1.923  und  0.8  stimmen  nicht  genügend 
mit  den  erfahrungsmässigen  Daten  für  q*  und  q\ 
Der  von  Sartoriusvon  Waltershaus  en 
gegebene  Ausdruck^)  involvirt  für  q^  den  Werth 
2.66,  der  weiterhin  auf  2.G43  vermindert  wird, 
und  nimmt  q*  nach  Reich's  früheren  Versuchen 
zu  5.43  an.  Die  centrale  Dichtigkeit  wird  hier 
9.585.     In  der  Form  von  (29)  hiesse  die  Gleichung 

Q=  1.765^*  (l -0.7225. ^y 

und  für  den  corrigirten  Werth  von  q' 

1)  1848  geschrieben  und  mitgetheilt  in  Comptes  Ren- 
dus  1854  Dec.  26. 

2)  Ueber  die  vulkanischen  Gesteine  in  Sicüien  und  Is- 
land und  ihre  submarine  Umbildung.  Göttingen  1853. 
S.  315. 


812 

Q  =  1.765  Q*  (l  -  0.7243 .  -^j        (31) 

In  einer  tiefer  gehenden  analytischen  Unter- 
suchung^) im  Anschluss  an  die  älteren  Arbeiten 
von  Clairaut,  Legendre  und  Laplace  entwickelt 
Lipschitz  eine  Gleichung  von  der  allgemeinen 
Form  (27) ,  in  welcher  die  drei  Constanteu  Ä, 
B  und  X,  yfo  A  und  B  Funktionen  von  X  sind 
und  für  X  nur  positive  Werthe  zugelassen  wer- 
den, in  einer  an  Kunstgriffen  reichen  Analyse 
zugleich  mit  der  verallgemeinerten  Unterstellung 
behandelt  werden,  dass  auf  die  Rotation  des  Pla- 
neten und  auf  die  Sphäroidicität  seiner  Schich- 
ten Rücksicht  genommen  wird.  In  der  Gleichung 
von  der  Form 

Q{b)  =  D~Eb^  (32) 

f 

nimmt    demzufolge  h   anstatt  -    die    Bedeutung 

des  Radius  einer  Kugel  an,  welche  mit  der  sphä- 
roidischen  Schicht,  auf  die  es  sich  bezieht,  glei- 
chen Oberflächeninhalt  hat,  den  Werth  von  b 
für  die  äusserste  Schicht  als  Einheit  betrachtet. 
Behufs  Anwendung  auf  die  Erde  entnimmt  Lip- 
schitz die  numerischen  Daten  für  die  Dimensio- 
nen und  Pendellängen  aus  Schmidt's  Lehrbuch 
der  math.  und  phys.  Geographie  und  setzt  für  q' 
nach  Naumann  2.5,  für  q*  nach  Reich  5.5832, 
Die  Auswerthung  der  Constanten  führt  alsdann 
auf  X  =  2.39,  D  =  q""  =  9.453,  E  =  q^—q' 

=  6.953.    Indem  b  ersetzt  wird  durch  ~,  wo  c 

c 

1)  Versuch  zur  Herleitung  eines  Gesetzes,  das  die  Dich- 
tigkeit für  die  Schichten  im  Innern  der  Erde  annähernd 
darstellt,  aus  den  gegebenen  Beobachtungen.  (1663) 
Journal  f.  d.  r.  u.  a.  Math.  Bd.  62.  S.  1. 


813 

jener  Kugelradius  für  die  Erdoberfläche  und  6 
dieser  Radius  für  die  Schicht  im  Innern,  welche 
die  Dichtigkeit  q  (b)  besitzt,  nimmt  die  Gleichung 
jetzt  die  aaf  die  Erde  bezügliche  numerische  Ge- 
stalt an 

/^>\2.39  (33) 

Q{b)  =  9.453  — 6.953  (-j  ^    ' 

oder  in  der  mit  (29),  (30)  und  (31)  analogen 
Gestalt 

Q{b)  =  1.694  e*  jl  -  0.7356  (-)     j       (34) 

Die  wenigen  hier  aufgeführten  Versuche  einer 
Darstellung  der  Dichtigkeitsverhältuisse  des  Erd- 
körpers zeigen  durch  die  bedeutenden  Verschie- 
denheiten in  den  numerischen  Werthen  der  Con- 
stanten, wie  unsicher  iu  dieser  Frage  noch  heute 
und  gewiss  für  eine  lange  Zukunft  unsere  Kennt- 
nis ist.  Die  qualitative  Verschiedenheit  der  ße- 
standtheile  unseres  Planeten  im  Innern,  die  von 
aussen  nach  innen  zunehmende  Temperatur,  der 
Unterschied  im  Aggregatzustande,  der  mit  der 
Tiefe  bis  zu  vielen  Zehntausenden  von  Atmos- 
phären zunehmende  Druck,  die  mit  diesem  enor- 
men Druck  wahrscheinlich  verbundene  Erhöhung 
der  Schmelzpunkte  in  der  grossen  Metallmasse 
des  Erdinnern  sind  Fragen,  welche  mit  der  Dich- 
tigkeit und  ihrer  Zunahme  mit  der  Tiefe  unter 
der  Oberfläche  in  engem  Zusammenhange  stehen, 
für  welche  aber  den  Boden  directer  Beobachtung 
zu  betreten  uns  zur  Zeit  noch  völlig  versagt  ist. 
Unter  den  vielen  Fragen  der  Physik  des  Erd- 
körpers ist  dessen  erstaunlich  grosses  magneti- 
sches Moment  eins  der  grössten  Räthsel,  sofern 
sowohl  der  flüssige  Zustand  als  die  hohe  Tem- 
peratur des  ponderabelen  Trägers  wie  sie  ihm  noch 
heute  die  Geologie  zuschreibt ,  mit  beharrlichem 

Co 


814 

Magnetismus  schwer  vereinbar  scheinen.  Wo 
der  inductive  Weg  noch  uneröffnet,  müssen  Hy- 
pothese und  Deduction  der  Forschung  dienen. 
Die  erwähnten  physischen  Elemente  Druck,  Dich- 
tigkeit und  Temperatur  mögen  vom  Centrum 
der  Erde  bis  zur  Oberfläche  von  einem  grössten 
bis  zu  einem  bestimmten  kleinsten  Werthe  ab- 
nehmen, das  Gesetz  der  Abnahme  mag  für 
alle  drei  sehr  verschieden  sein,  im  Allgemeinen 
aber  darf  diese  Abnahme  vom  Centrum  aus  bis 
zur  Oberfläche  als  beschleunigt,  d.  h.  anfänglich 
langsam,  weiterhin  immer  schneller,  gelten.  Die 
Vertheilung  nun  zwischen  Schnell  und  Langsam 
des  Ueberganges  von  der  einen  zur  anderen 
Grenze  wird  bestimmt  durch  den  Exponenten  X 
der  Gleichung  (27),  während  die  Grenzen  selbst 
in  den  beiden  anderen  Constanten  Ä  und  B 
enthalten  sind.  Der  grössere  Exponent,  wie  in 
(34),  verlegt  die  Beschleunigung  der  Abnahme 
mehr  gegen  die  Oberfläche  als  der  kleinere  in 
(28)  bis  (31).  Für  einen  flüssigen  centralen 
Theit  von  grossem  Volumen  dürfte  für  die  Tem- 
peraturvertheilung  ein  grosser  Werth  von  X  ge- 
genüber kleinen  die  Wahrscheinlichkeit  für  sich 
haben ,  wobei  die  Temperatur  der  grossen  flüs- 
sigen Masse  sich  einem  constanten  Werthe  nä- 
hert und  die  schleunigere  Verringerung  der  Tem- 
peratur mehr  der  Oberfläche  nahe  rückt.  Aehn- 
lich  dürfte  es  sich  mit  der  Dichtigkeit  verhalten 
für  welche,  von  aussen  nach  innen,  durch  frühere 
Verlangsamung  der  Zunahme  ein  grösseres  Vo- 
lumen centraler  Masse  nahe  constante  Dichtig- 
keit erreicht  bei  höhereu  Werthen  von  X,  als 
für  das  Quadrat  der  Fall  wäre.  Zugleich  wird 
für  einen  gegebenen  Durchschuittswerth,  wie 
z.  B.  die  mittlere  Dichtigkeit  der  Erde  q*  die 
centrale  Grenze  der  Oberflächen-Grenze  genähert. 


815 

In  (33)  liegt  der  Werth  von  Ä  der  Dichtigkeit 
des  Eisens  merklich  näher  als  z.  B.  in  (30),  wo 
dieser  Werth,  für  p*  =  5.63,  auf  10.82  kommen, 
d.  h.  die  Dichtigkeit  des  geprägten  Silbers  über- 
steigen würde.  —  Eine  weitere  Ausführung  die- 
ser Gedanken  muss  jedoch  einer  anderen  Gele- 
genheit vorbehalten  bleiben. 
Gottingen  im  August  1877. 


Berichtigung 

zu  dem  Aufsatze  des  Verfassers   in  Nr.  4.  1877 

Febr.  11.   dieser    Nachrichten    »Ein  Beitrag  zur 

Theorie  der  Beugungserscheinungen« 

von  Moritz  Rethy. 

Zu  der  dort  angegebenen  Bedingung  für  das 
Verschwinden  des  in  der  letzten  Gleichung  der 
Seite  76  stehenden  Integrals  ist  noch  die  Bedin- 
gung hinzuzufügen ,  daß  für  keinen  endlichen 
Flächentheil  B  -\-  r  =  const.  werde.  Sind  alle 
Bedingungen  erfüllt,  so  verschwindet  das  Integral 
auch  für  ein  Flächenstück. 

Auf  den  weiteren  Verlauf  des  Aufsatzes  hat 
jene  ünvollständigkeit  keinen  Einfluß. 


Nachtrag  zu  S.  686,  Mitte. 
Die  Münzsammlung  im  K.  Palaste  zu  Turin  ent- 
hält späterem  Vernehmen  nach  auch  antike  Mün- 
zen, unter  denen  namentlich  die  Griechischen  her- 
vorzuheben sind. 


lliii?ersitätf 


Se.  Majestät  der  König  haben  Allergnädigst 
geruht ,  dem  Professor ,  Hofrath  Dr.  Hermann 
Sauppe  den  Charakter  als  Geheimer  Regierungs- 
Rath  zu  verleihen. 


ei6 


Verzeichniß  der  Promotionen  der  phi- 
losophischen   Pacultät    in     dem    Deca- 
natsjahre  187777. 

(Schluß.) 

11.  August.  Theodor  Huth  aus  Wiesbaden. 
Diss. :  Ueber  die  Einwirkung  des  Phosphor- 
pentachlorid  auf  Amide  der  Sulfonsäure. 

11.  August.  Oscar  Emmerling  aus  Bendele- 
ben. Diss. :  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Pa- 
rachlorbeuzoesäure  und  über  einige  neue  De- 
rivate der  Oxyuvitinsäure. 

14.  August.  Leverett  Mears  aus  Essex  in  Mas- 
sachussetts.  Diss. :  Ueber  das  Verhalten  der 
Salpetersäure  zu  Benzanilid  und  Nitrobenza- 
niliden  und  über  die  Einwirkung  des  Jod- 
cyans  auf  Orthodiamidobenzol. 

14.  August.  Willie  Freuch  Smith  aus  Boston. 
Diss. :  Ueber  Lauthara  und  Didym. 

14.  August.  Edgar  Fahs  Smith  aus  York  in 
Pensylvanien.  Diss.:  Ueber  trisubstituirte 
Benzolverbindungen  und  über  die  Einwir- 
kungen von  Chlor  auf  Benzyltrichlorid. 

15.  August.  Gottlieb  Krause  aus  Pieskeim. 
Diss.:  Die  Beziehungen  zwischen  Habsburg 
und  Burgund  bis  zum  Ausgang  der  Trierer 
Zusammenkunft  den  25.  November  1473. 

16.  August.  Hermann  Grau  er t  aus  Pritzwalk. 
Diss.:  Die  Herzogsgewalt  in  Westfalen  seit 
dem  Sturze  Heinrichs  des  Löwen. 

17.  August.  Alfred  Raab  aus  Wetzlar.  Diss.: 
Untersuchungen  über  Derivate  des  Cuminal- 
dehyds  und  Cuminalkohols. 

17.  August.  Max  Pauly  aus  Halle.  Diss.: 
Ueber  Amidoderivate  des  BenzophenoDS  unci 
Acetons. 


817 

4.  Oktober.  Adolf  Heu  ermann  aus  Osnabrück. 
Diss.:  Die  Bedeutung  der  Statistik  für  die 
Ethik. 

29.  Oktober.  Wilhelm  Grethen  aus  Freden. 
Diss. :  Ueber  Orthonitroacetanilid  und  Ab- 
kömmlinge desselben. 

29.  Oktober.  Johannes  Neurdenburg  aus 
Rotterdam.  Diss. :  Ueber  das  Verhalten  von 
Bernsteinsäure,  Sebacinsäure  und  Metanitro- 
benzoesäure  zu  Anilin  und  über  die  Nitri- 
rung  und  Amidirung  der  dabei  entstandenen 
Anilide. 

18.  November.  Emanuel  Gl  atze  1  aus  Neustadt 
in  Oberschlesien.  Diss.:  Ueber  einige  neue 
Verbindungen  des  Titans. 

19.  November.  Ernst  von  S  c  h  w  a  r*t  z  aus  Sor- 
rento  in  Italien.  Diss. :  Ueber  Nitrirung  der 
Nitrobenzanilide. 

28.  November.  Albert  Barth  aus  Bösewig. 
Diss. :  De  Jubae  öfioio'ti^ffiv  a  Plutarcho  ex- 
pressis  in  quaestionibus  Romanis  et  in  vitis 
Romnli  Numaeque. 

18.  December.  Heinrich  Kaiser  aus  Enten- 
fang  bei  Ziegenhain.  Diss.:  Ueber  Constanz 
der  Rasse  und  Individual-Potenz  bei  Verer- 
bung der  Thiere. 

22.  December.  Carl  Jacob  K  r  i  c  k  a  u  aus  Esch- 
wege. Diss. :  Der  Accnsativ  mit  dem  Infinitiv 
in  der  englischen  Sprache,  besonders  im  Zeit- 
alter der  Elisabeth. 

31.  December.  Eduard  Rössler  aus  Hildes- 
heim. Diss.:  De  Duride  Diodori,  Hieronymo 
Duridis  in  rebus  a  successoribus  Alexandri 
magni  gestis  auctore. 

1877. 
7.  Januar.     Wilhelm  Thorner  aus  Osnabrück. 


818 

Diss. :  Ueber  einige  Derivate  des  Para-Tolyl- 
phenylketous,  besonders  die  bei  der  tleduction 
daraus  entstehenden  isomeren  Pinakoline. 

11.  Januar.  Eduard  Aander  H  e  y  d  e  n  aus  Calcar. 
Diss. :  Res  ab  Antiocho  III  magao,  Syriae 
rege,  praeclare  gestae  ad  regnum  Syriae  re- 
ficiendum,  donec  in  Graeciaui  exercitum 
trajecit. 

14.  Januar.  Oscar  Peucker  aus  Brieg.  Diss.: 
Läßt  sieh  die  Steuerfreiheit  einer  gewissen 
Klasse  von  Staatsbürgern  bei  der  Einkommen- 
steuer rechtfertigen  ? 

27.  Januar.  Emil  Nerger  aus  Königshain  bei 
Görlitz.  Diss. :  Die  goldene  Bulle  nach  ihrem 
Ursprung  und  reichsrechtlichen  Inhalt. 

17.  Februar.  Hieronyraus  van  Alphen  aus 
Leiden.  Diss. :  lieber  die  Bildung  von  Nitro- 
benzoesäure  aus  Nitrosalicylsäure. 

17.  Februar.  Johann  Heinrich  Rabe  aus  Ham- 
burg. Diss. :  Ueber  das  Verhalten  von  Anilin, 
Benzanilid  und  Parauitroanilin  und  Metani- 
troanilin. 

17.  Februar.  Ludwig  Hanemann  aus  Celle. 
Diss. :  Ueber  die  Einwirkung  von  Bersteinsäure 
auf  Nephtylamin  und  über  das  Verhalten  der 
Toluylsäure  zu  Orthonitroanilin. 

1.  März.  Carl  Schmidt  aus  Melgershausen. 
Diss. :  Die  mycotischen  Erkrankungen  der 
Respirationsorgane  der  Hausthiere  und  spe- 
ciell  der  Kaninchen. 

24.  März.  Dietrich  Plate  aus  Hamburg.  Diss.: 
Ueber  Anhydrotoluyldiamidotolüol  und  über 
ein  Orthohydroxymetauitrobenzamid. 

24.  März.  Karl  Buchka  aus  Rostock.  Diss.: 
Ueber  einige  Nitroderivate  des  Acetophenous 
und  über  Phenoxylsäure. 

25.  März.     Wilhelm  F  r  i c  k  e  aus  Borgloh,   Diss. : 


819 

üeber  die  Einwirkung  von  Paratoluylsäure- 
chlorid  auf  Xylidin  und  über  einige  Selen- 
verbiadungen. 

29.  März.  Maximilian  Busse  aus  Berlin.  Diss. : 
Die  Mark  zwischen  Neustadt  Ebw. ,  Freien- 
walde ,  Oderberg  und  Joachimsthal  geogno- 
stisch  bearbeitet. 

29.  April.  Heinrich  Vollbrecht  aus  Dorste. 
Diss.:  üeber  Tribromamido-  und  Tribrom- 
benzoesäuren  und  zwei  Sulfibeiizoesäuren. 

17.  Mai.  Carl  Peter  Baerthlein  aus  Barmen. 
Diss.:  üeber  Orthonitro-  und  Ortho-amido- 
benzonitrile   und    zur    Kenntnis    der  Cumole. 

17.  Mai.  Benno  Mendelssohn  aus  Posen. 
Diss. :  Beiträge  zur  Kenntnis  des  Buchen- 
holztheerkreosots  und  seiner  Derivate. 

Ein  Candidat  wurde  nach  der  mündlichen 
Prüfung  zurückgewiesen,  ihm  jedoch  gestattet 
sich  nach  einem  halben  Jahre  einer  zweiten 
Prüfung  zu  unterziehen. 

Ein  Candidat  wurde  nach  der  zweiten  Prüfung 
zurückgewiesen. 

Zwölf  Caudidaten  sind  abgewiesen,  weil  die 
von  ihnen  eingereichten  Dissertationen  den  An- 
forderungen der  Facultät  nicht  genügten. 

Ein  Candidat  zog  seine  Bewerbung  zurück, 
ehe  über  die  von  ihm  eingereichte  Dissertation 
berichtet  war. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung). 
H.  Scheffler,  d.  Naturgesetze  in  ihrem  Zusammenhange 

mit  den  Principien  der  abstracten  Wissenschaften.     Th. 

I — II.     Braunschweig. 
Flora  Batava.     Aflev.     237—238.    Leyden.     4. 
H.  0.  Lang,  Grundriß  d.  Gesteinskunde.    Leipzig  1877. 
VII.  Jahresber.  der  akad.  Lesehalle  in  Wien.     1876—77. 


020 

Monthly  Notices  of.  the  R.  Astron.  Soc.     Vol.  XXXVII. 

No.  9. 
A.  A gas siz,  Nord AmericanStarfishes.  Cambridge  1877.  4. 
Memoires  de  la  Soc.  de  Physique  etc.  de  Genäve.    T.XXV. 

1  Part.     1876-77. 
Journal   of  the   American    geographical   Society   of  New 

York.     Vol.  III -VI.     1872—1874. 
Journal  of  the  American   geographical  and  Statistical  So 

ciety.     Vol.  II.    No.  1.     1860.     Vol.  II.    Part  2.     1870 

New  York. 
F.  V.  Hayden,  Preliininary  Report  of  the  ü.  States  geo 

logical   survey   of  Wyoming  etc.     Washington  1871. 
W.  Matthews,  Ethnographie  and  Philologie  of  the  Hi 

datsa  Indians.     Washington  1877. 
Memoirs  of  the  Boston  Soc.  of   natural  history.      Vol.  II 

Part  4.    No.  5.     Boston  1877.     4. 
Proceedings.     Vol.  XXVIII.     P.  3-4. 
The  Canadian  Journal  of  Science,  Literature  and  History 

Vol.  XV.    No.  5.    Toronto  1674. 
Bulletin  of  the  Essex  Institute.     Vol.  8.     No.  1— 12.  1876 
Bulletin   of  the  Buffalo  Soc.   of  Nat.   Science.     Vol.  III 

No.  4.     1877. 
Proceedings  of  the  American  Academy.     New  Ser.     Vol 

IV.     1877. 
Bulletin  of  the  American  Geographical  Society.    No.  1  —  3 

New  York. 
Proceedings   of  the  Akad.  of  Nat.   Sciences   of  Philadel 

phia.     Part  I— III.     1876-77. 
Bulletin  of  the  U.  S.  entoraological  Commission.     No.  2 

Wash.  1877. 
H.  G  a  n  n  e  t ,  Lists  of  elevations  principally  in  that  per 

tion  ofthe  ü.  S.  west  of  the  Mississippi  river.  Ebd.  1877 
Proceedings  of  the  American  philos.  Society.     Vol.  XVI 

No.  99.     1877. 
Memorie  dell'  Accad.    delle  Scienze  dell'  Istituto    di  Bo 

logna.    T.  VII.     1876.    4  fasc. 
Rendiconto  dell'  Accad.     1876-77. 
Memorie  del  Reale  Istituto  Lombardo.     Classe  di  Lettere 

etc.     Vol.  Xlll.     IV  della  Seria  III.    Cl.  di  sc.  mathem. 

Vol.  XIII. -IV.    Serie  III. 
R.  Istituto  Lombardo.    Rendiconti.     Vol.  IX.    Milano  1876. 
Xlll.  und  XIV.  Jahresbericht  des  Vereins    für  Erdkunde 

zu  Dresden.     1877. 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  XXIV.    No.  1. 

(Fortsetzung  folgt.)         SchluB  des  Jahrgangs  1877. 


Register 

über 

die  Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der 

Wissenschaften  und  der  Georg- Augusts-Univer>ität 

aus  dem  Jahre  1877. 


John  Couch  Adams  in  Cambridge  zum  aus- 
wärtigen Mitgliede  der  k.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  erwählt  738. 

Hieronymus  von  A  1  p  h  e  n  ,  zum  Dr.  phil. 
prom.  817. 

Bruno  Arnold,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Oscar  Bela  Asboth,    z.  Dr.  phil.  prom.  93. 

Joh.  Aspriotis,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Carl  Assmus,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Werner  H.  Beruh.  Augustin,  z.  Dr.  phil. 
prom.  92. 

Ehme  Aukes,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Carl  Ernst  von  B  a  e  r ,  Anzeige  seines  Todes 
737.     Zum  Gedächtniß  desselben  739. 

Carl  Peter  Baerthlein,  z.  Dr.  phil.  prom. 
817. 

Albert  Barth,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Fritz  Bechtel,  z.  D.  phil,  prom.  570. 

Martin  Beer  lein,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Oscar  Beermann,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Ben eke- Preisstiftung,  s.  Göttingen.  Univer- 
sität. B.  c. 

1* 


Theodor  Benfey,  Zsvg  FsXiMv  1.  —  Kariara, 
oder  Karvara  'gefleckt,  scheckig':  Indoger- 
manische Bezeichnung  der  dem  Beherrscher 
der  Todten  gehörigen  Hunde  8.  —  Hermes, 
Minos,  Tartaros  65.  —  Nachtrag  zu  den 
»Nachrichten«  1876  No.  13  und  1877  No.  1 
65.  —  Wahrung  seines  Rechts  66.  —  svävas 
(zu  lesen  suävas)  und  svätavas  341.  —  Die 
Spaltung  einer  Sprache  in  mehrere  lautver- 
schiedene Sprachen  588.  —  D  statt  N  573. 
—  Einige  Worte  über  den  Ursprung  der 
Sprache  733. 

Bessel,  Briefe  an  Gauss   145. 

Adalbert  Bezzenberger,  Eine  neugefundene 
litauische  Urkunde  vom  Jahre  1578.     241. 

W.  Binde,  s.  Beneke-Preisstiftung. 

Carl  Anton  Bjerknes,  Zusatz  zu  dem  Aufsatz 
von  Schiötz  über  die  scheinbare  Anziehung 
und  Abstoßung  zwischen  Körpern,  welche  sich 
in  Wasser  bewegen  310. 

Otto  Boeddicker,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Hermann  Jul.  Boettger,  z.  Dr.  phil.  prom, 
571. 

Edmond  Boissier  in  Genf,  zum  Correspon- 
denten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaftei 
erwählt  738. 

Pierre  Ossiau  Bonn  et  in  Paris,  zum  Correspoi 
denten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaft« 
erwählt  738. 

Borchardt,  s.  Göttingen  I.  C. 

Carl  Friedr.  Wilh.  Borchers,  z.  Dr.  phil| 
prom.  95. 

Gerh.  Borchers,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Alexander  Braun,  Anzeige  seines  Todes  737| 

Francesco  Brioschi,  s.  Göttingen  I.  C. 

H.  Brugsch,  Königs  Darius  Lobgesang  i^ 
Tempel  der  großen  Oase  von  El-Khargeh  1 1 9 


—  Erhält    die  nachgesuchte   Dienstentlassung 

132. 
Felix  Buchholtz,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 
Wilh.  Buchholz,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 
Karl  ßuchka,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Felix  Buka,  z.  Dr.  phil.  prom.  570. 
Maximilian  Busse,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Feiice  Casorati,  in  Pavia.  zum  Corresponden- 
ten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  er- 
wählt 738. 

Rudolph  Julius  Emmanuel  Clausius  in  Bonn, 
zum  auswärtigen  Mitgliede  der  k.  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  erwählt  738. 

David  M''  Creath;  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Friedr.  C.  Hermann  von  Dechend,  z.  Dr.  phil. 
prom.  93. 

Jul.  Degenhardt,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

A.  L.  Descloizeaux  in  Paris,  zum  auswär- 
tigen Mitgliede  der  k.  Gesellschaft  der  Wis- 
senschaften erwählt  738. 

Karl  Dilthey.  zum  ordentlichen  Professor  in 
der  philosophischen  Facultät  ernannt  432. 

0.  Drude,  Ueber  den  Bau  und  die  systemati- 
sche Stellung  der  Gattung  Carludovica  426. 

Bernhard  Duhm,  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor in  der  philosophischen  Facultät  er- 
nannt 228. 

Du  bring,  Erklärung  der  philosophischen  Fa- 
cultät dessen  Geschichte  der  Principien  der 
Mechanik  betreffend  133. 

E.  Wilh.  Udo  Eggert,   z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Hermann  Eicbhorst,  als  außerordentlicher 
Professor  in  der  medicinischen  Facultät  be- 
rufen 531. 


Carl  Eduarrl  von  Eichwald,  Anzeige  seine>! 
Todes  738. 

Oscar  Eramerling,  z.  Dr.  phil.  prom    816. 

A.  Etineper,  Bemerkungen  über  einige  Trans- 
formationen von  Flächen  369. 

Bruno  Förster,  z.  Dr.  phil.  prom.  571.  ■ 

C.  Fromme,  Ueber  die  gegenseitige  Abhängig-"iJ 
keit  von  raagnetisirender  Kraft,  temporärem 
und  remanentem  Magnetismus  264.  —  üeber 
den  Einfluß,  welchen  bei  der  Magnetisierung 
durch  den  galvanischen  Strom  gewisse  Modi- 
ficationen  des  Versuchs  auf  Größe  und  Zu- 
stand des  zu  erzeugenden  Magnetismus  aus- 
üben 514. 
Anton  Führer,  z.  Dr.  phil!  prom.  572. 

Gauss,  Feier  der  hundertsten  Wiederkehr  sei-    J 
nes  Geburtstags  229.  —  Mittheilung  über  die 
Herausgnbe  seiner  Werke  (278)  282.   —  Ueber 
die  Gauss-Denkmünze    (279)    283.    —    Ueber 
Briefe  desselben  432. 

E.  Geinitz,  üeber  das  Erdbeben  von  Iquique 
vom  9.  Mai  1877  und  die  dadurch  erzeugte 
Fluthbewegung  im  Großen  Ocean  558. 

Fritz  Giesel,  z.  Dr.  phü.  prom.  572. 

Eberhard  Gieseler,  z.  Dr.  phil.  prom.  93. 

Emanuel  Glatzel.  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Göttingen: 

I.  Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

A.  Feier  des  Stiftungstages  733. 

B.  Jahresbeiicht.  erstattet  vom  Secretär  Herrn 
Geheimen  Oberraedicinalrath  Wöhler  733. 
a.  das    Directorium    der    Societät    ist  zu 

Michaelis  d.  J.  von  Herrn  Wüsten- 
feld in  der  historisch-philologischen 
Classe  auf  Herrn  Grisebach  in  der 
physikalischen  Classe  übergegangen  737. 


b.  Bericht  üher  die  1877  dnrch  Abgang 
von  hier  und  durch  den  Tod  verlorenen 
Mitglieder  und  Correspondenten  737. 

c.  Verzeichnis  der  neu  erwählten  Mit- 
glieder und  Correspondenten  738. 

C.  Feier  der  hundertsten  Wiederkehr  von 
Gauss'  Geburtstage  229. 

D.  Verzeichniß  der  gehaltenen  Vorträge  und 
vorgelegten  Abhandlungen:  Theodor  Ben- 
fey,  Zfvg  rsUaty  1.  —  Derselbe.  Kar- 
bara  oder  Karvara  'gefleckt,  scheckig': 
Indogermanische  Rezeichnungr  der  dem 
Beherrscher  der  Todten  gehörigen  Hunde 
S.  —  Friedrich  Wieseler,  Archäologi- 
sche Miscellen  25.  —  Th.  Benfey,  Her- 
mes, Minos.  Tartaros  65  (in  den  Abhand- 
lungen gedruckt).  —  Nachtrag  zu  den 
»Nachrichten«  1876  No.  13  und  1877  No. 
1.  65.  —  Wahrung  spines  Rechts  66. — 
Moritz  Rethy,  Ein  Beitrag  zur  Theorie 
der  Beugungserscheinungen  73.  —  H. 
Brugsch.  Königs  Darius  Lobgesang  im 
Tempel  der  großen  Oase  von  El-Kliargeh 
133.  —  A.  Schaumann.  Das  Testa- 
ment des  Herzogs  Georg  von  Braun- 
schweiff-Lüneburg.  1641..  i45.  —  Wöh- 
1er,  Trennung  des  Arsens  von  Nickel 
und  Kobalt  178.  —  F.  Kohlrausch, 
lieber  das  elektrische  Leitungsvermögen 
wässriger  Lösungen  u.  s.  w.  181.  —  Ju- 
lius Oppert.  Die  Daten  der  Genesis 
201.  —  J.  Thomae,  Zu  seiner  Mono- 
graphie »Ueber  eine  specielle  Classe  Abel- 
scher Functionen«  223.  —  Ernst  Sche- 
ring, Zur  Feier  der  hundertsten  Wieder- 
kehr von  Gauss'  Geburtstage  229.  — 
Wüstenfeld,  Die  üebersetzungen  Ära- 


8 


bischer  Werke  in  das  Lateinische  seit 
dem  elften  Jahrhundert  241  (in  den  Ab- 
handlungen gedruckt).  —  De  Lagard e, 
Armenische  Studien,  L  241  (in  den  Abhand- 
lungen gedruckt).  —  Adalbert  Bezzen- 
b  erger,  Eine  neugefundene  litauische 
Urkunde  vom  Jahr  1578,  241.  —  C. 
Fromme,  lieber  die  gegenseitige  Ab- 
hängigkeit von  magnetisirender  Kraft, 
temporärem  und  remanentem  Magnetis- 
mus 264.  —  0.  E,  Schiötz,  Versuche 
über  die  scheinbare  Anziehung  und  Ab- 
stoßung zwischen  Körpern,  welche  sich  in 
Wasser  bewegen  291.  —  Carl  Anton 
Bjerknes,  Zusatz  zu  dem  Aufsatz  von 
Schiötz  310.  —  Edmund  Hoppe,  Mit- 
theilung aus  einer  Experimentalunter- 
suchung  betreffend  den  Leitungswider- 
stand der  Flammen  gegen  den  galvani- 
schen Strom  313.  —  Conrad  Trieb  er. 
Die  spartanische  und  korinthische  Königs- 
liste 319.  —  Th,  Benfey,  svävas  (zu 
lesen  suävas)  und  svdtavas  341.  —  W  li- 
sten fei  d  ,  Die  Uebersetzungen  Arabischer 
Werke  in  das  Lateinische  seit  dem  XI. 
Jahrhundert,  IL  Abtheilung  369  (in  den 
Abhandlungen  gedruckt).  —  De  Lagard  e, 
Armenische  Studien,  IL  Abtheilung  369 
(in  den  Abhandlungen  gedruckt).  —  A. 
E  n  n  e  p  e  r ,  Bemerkungen  über  einige 
Transformationen  von  Flächen  369. 
G.  Quincke,  Ueber  den  Randwinkel  und 
die  Ausbreitung  von  Flüssigkeiten  auf 
festen  Körpern  396.  —  H.  Schubert, 
Ueber  geometrische  Erweiterungen  des 
Bezoutschen  Fundamentalsatzes  401.  — 
Oscar  Drude,  Ueber  den  Bau  und  die 


systematische  Stellung  der  Gattonp:  Car- 
ludovica  426. —  Eduard  Riecke.  üeber 
einen  Tangentenmultiplicator  und  über  die 
elektromotorische  Kraft  des  Grove'schen 
Elementes  449.  —  Edmund  Hoppe, 
Mittheilung  über  die  Pyroelektricität  des 
Turmalins'  474.  —  A.  Grisebach. 
üeber  Weddell's  Pflanzengruppe  der 
Hypseocharideen  493.  —  J.  B.  Listing, 
Neue  geometrische  und  dynamische  Con- 
stanten des  Erdkörpers  493.  749.  — 
Schering,  Analytische  Theorie  der  De- 
terminanten 493  (in  den  Abhandlungen 
gedruckt).  —  Benfey,  Die  Spaltung 
einer  Sprache  in  mehrere  lautverschiedene 
Sprachen  493 ,  (in  den  Abhandlungen 
gedruckt),  s.  auch  533.  —  E.  Riecke, 
Einige  Beobachtungen  an  dem  Radiome- 
ter von  Crookes  500.  —  Carl  Fromme, 
üeber  den  Einfluß,  welchen  bei  der 
Magnetisierung  durch  den  galvanischen 
Strom  gewisse  Modificationen  des  Ver- 
suchs auf  Große  und  Zustand  des  zu  er- 
zeugenden Magnetismus  ausüben  nl4.  — 
E.  Geinitz.  üeber  das  Erdbeben  von 
Iquique  vom  9.  Mai  1877  und  die  da- 
durch erzeugte  Fluthbewegung  im  Großen 
Ocean  558.  —  Theod.  Benfey,  D  statt 
N.  573.  —  Schwarz,  Berichterstattung 
tlber  die  vierte  Säcularfeier  der  Universi- 
tät Upsala  573.  —  H.  Otto  Lang,  Bei- 
träge zur  Physiographie  gesteinbildender 
Mineralien  589.  —  Friedrich  W  i  e  s  e  1  e  r, 
Antiken  in  der  südwestlichen  Schweiz 
und  Turin  605.  —  Hubert  Ludwig, 
üeber  den .  Nebendarm  der  Echinoideen 
688.    —    Ed.   Riecke,    Versuch    einer 


10 

Theorie  der  elektrischen  Scheidung  durch 
Reibung  701.  —  von  Seebach,  Ueber 
den  Bau  des  Volcan  de  Fuego  in  Guate- 
mala und  eine  Besteigung  desselben  734.  — 
Meissner  und  Grisebach,  Zum  Ge- 
dächtniß  an  Karl    Ernst  von  Baer  739. 

E.  Preisanfgaben : 

a.  der  kgl.  Gesellschaft  der  Wissenschaf- 
ten:  Die  für  den  November  d.  J.  von 
der  historisch-philosophischen  Classe  ge- 
stellte Preisaufgabe  hat  einen  Bear- 
beiter nicht  gefunden  734. 

Für  den  November  1878  von  der  phy- 
sikalischen Classe  gestellte  Preisauf- 
gabe 735. 

Für  den  November  1879  von  der  ma- 
thematischen  Classe  735. 

Für  den  November  1880  von  der  hi- 
storisch-philologischen Classe  736. 

b.  Wedekind' sehe  Preisstiftung  für 
Deutsche  Geschichte :  Neue  Preisauf- 
gaben 137.    —    Preisertheilung  237. 

F.  Verzeichniß  der  bei  der  kgl. "Gesellschaft 
der  Wissenschaften  eingegangenen  Druck- 
schriften 23,  72,  96,  133,  178,  200,  240, 
(279)  283,  339,  368,  400,  492,  531,  564, 
602,  696,  732,  819. 

Göttin  gen : 
II.  Universität. 

A.  Verzeichniß  der  während  des  Sommer- 
semesters 1877  gehaltenen  Vorlesungen  97. 
—  der  während  des  Wintersemesters  18^778 
gehaltenen  433. 

B.  a.  Preisvertheilung  an  die  Studierenden, 

eingeleitet  durch  eine  Rede  von  Prof. 
Wie  sei  er  über  den  Apollon  von 
Belvedere  285. 


u 

b.  Neue  Preisauf^ahen  289. 

c.  Be  n  eke'sche  Prpi<^fififtnng.  Preiser- 
theilung  17^.  199.  —  Neue  Preis- 
flufsrahe  280. 

C.  Oeffentliche  Institute. 

a.  Botanische  Institute:  Grisehach, 
Bericht  üb^r  die  botanischen  Insti- 
tute der  Universität  Göttingen  im  J. 
1876.    58. 

b.  Phy<?ikalische8  Institut :  Riecke,  Be- 
richt über  das  physikalische  Institut. 
Abtheilung  für  Experimentalphysik, 
aus  den  Jahren  1871  —  1877.    .565. 

D.  Promotionen  in  der  medicinischen  Facul- 
tät  338.  —  In  der  philosophischen  Fa- 
cultät  92,  569.  816. 

E.  Personalbestand  der  akademischen  Be- 
hörden 696. 

Hermann  G  r  a  ßman  n  ,  Anzeige  seines  Todes  737. 

Wilhelm  Grethen,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

A.  Grisebach.  Bericht  über  die  botanischen 
Institute  der  Universität  im  J.  1876.  58.  — 
Ueber  "WeddeH's Pflanzengruppe  der  ITypseocha- 
rideen  493.  —  Zum  Dr.  phil.  honoris  causa 
promoviert  569.  —  Zum  Gedächtniß  an  Karl 
Ernst  von  Baer  739. 

Walther  Gröbli.  z.  Dr.  phil,  prom.  572. 

Hermann  Grunert,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 

Emil  Günther,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Albrecht  von  Hall  er,  s.  Göttingen  I.  A. 
Ludwig  Hanemann,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Ernst  Joachim  Otto  Hartmann,  Anzeige  sei- 
nes Todes  693. 
Ulrich  Hausmann,  z.  Dr.  phil.  prom.  9.3. 
Friedrich  Heeren,  Doctordiplom  erneuert  95. 
E.L. H.A.  Hein tzjnann,  z.  Dr.  phil.  prom.  95. 


12 

Hermann  Heller,  z    Dr.  med.  prom.  339. 

Herrn.  Hempel,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Wilhelm  Henne berg,  zum  ordentlichen  Mit- 
gliede  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
erwählt  738. 

Coelestin  Hermanauz,    z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Adolf  Hesse,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Hermann  Hesse,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Adolf  Heuermann  ,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Eduard  Aander  Hey  den,  z.  Dr.  phil.  prom. 
817. 

Ernst  Ho e bei,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 

Carl  Friedr.  Christian  Hoeck,  Anzeige  seines 
Todes  90.  737. 

Carl  Aug.  Otto  Hoff  mann,  z.  Dr.  phil. 
prom.  93. 

Meinhard  Ho  ff  mann,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Wilhelm  Hoffraeister,  Anzeige  seines  Todes 
737. 

Edmund  Hoppe,  Mittheilung  aus  einer  Ex- 
perimentaluntersuchung betreifend  den  Leitungs- 
widerstand der  Flammen  gegen  den  galvani- 
schen Strom  313.  —  Mittheilung  über  die 
Pyroelektricität  des  Turmalins  474.  —  Zum 
Dr.  phil.  prom.  571. 

Theodor  Huth,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 

Herm.  von  Jhering,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 
Herbert  M.  Johnson,  z.  Dr.  phil.  prom.  95. 

Heinrich  Kaiser,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Arnold  Kamp,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 
Herm.  Kasten,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 
Georg  Alexander  Kästner,  z.  Dr.  phil.  prom. 

571. 
0.  Kayser,  z.  Dr.  phil.  prom.  570. 
Cai  1  Klein,  zum  orUeutlicht^u  Profeäsor  iu  dtir 


13 

philosophischen  Facultät  ernannt  200.  —  Zum 
ordentlichen  Mitgliede  der  k.  (iesellschaft  der 
Wissenschaften  erwählt  738. 

Ludw.  von  Klenze,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 

F.  Kohlrausch,  (Jeher  das  elektrische  Lei- 
tungsvermögen "wässriger  Lösungen  insbe- 
sondere von  den  Salzen  der  Alkalien  und  al- 
kalischen P>den ,  den  Aetz- Alkalien  sowie 
einigen  Säuren  181. 

Heinrich  Kolischer,  z.  Dr.  phil.  prom.  570. 

Gottheb  Krause,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 

Carl  Jacob  Krickau,   z.    Dr.  phil.  prom.  817. 

Aug.  Kropf,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Paul  Krüger,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 

Otto  Krümmel,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 

Paul  de  Lagarde,  Armenische  Studien  l.  241. 
—  II.  Abth.  369. 

Heinr.  Otto  Lang,  Beiträge  zur  Physiographie 
gesteinbildender  Mineralien  589. 

Friedr.  Laupus,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Andrew  D.  Lawrie,  z.  Dr.  phil.  prom.  95. 

Urbain  Jean  Joseph  Le  Verrier,  Anzeige  sei- 
nes Todes  737. 

Felix  Lieberraann,  z.  Dr.  phil.  prom.  93. 

J.  B.  Listing,  Neue  geometrische  und  dyna- 
mische Constanten  des  Erdkörpers  749. 

Herm.  L  o  t  z  e ,  Zum  Prorector  erwählt  und  be- 
stätigt 696. 

Ludw.  Lotze,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Rud.  Lubrecht,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Otto  Lücke,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 

Hubert  Ludwig,  lieber  den  Nebendarm  der 
Echinoideen  688. 

Rud.  Lüning,  z.  Dr.  med.  prom.  338, 

Carl  Friedrich  Heinrich  Marx,  Anzeige  seines 
Todes  695.  737. 


14 

Leverett  Mears,  z.  Dr.  phil.  proin.  816. 

Meissner,  Zum  Gedächtniß  an  Karl  Ernst 
von  Baer  739. 

Benno  Mendelssohn,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Friedr.  Meinicke,  z.  Dr.  phil.  prora.  93. 

Franz  Carl  Joseph  Mertens  in  Krakau,  zum 
Correspondenten  der  k.  Gesellschaft  der  Wis- 
senschaften erwählt  738. 

Friedr.  Mügge,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Job.  Gust.  Theodor  Müller,  z.  Dr.  phil. 
prom.  93. 

Carl  von  N  ä  g  e  1  i  in  München  ,  zum  auswärti- 
gen Mitglied  der  k.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften erwählt  738. 

Emil  N erger,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Ernst  Aug.  Niemann,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Johannes  Neurdenburg,  z.  Dr.  phil.  prom. 
817. 

Charles  Newton  in  London,  zum  auswärtigen 
Mitglied  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaf- 
ten erwählt  738. 

H.  Nissen,  als  ordentlicher  Professor  in  der 
philosophischen  Facultät  von  Marburg  nach 
Göttingen  versetzt  432. 

Hermann    Oesterley    erhält   den    Wedekind'- 

schen  Preis  237. 
Julius  Oppert,  die  Daten  der  Genesis  201. 

Bernhard  Pansch,  z.  Dr.  phil.  prom.  570. 
Oskar  Pauker,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Max  Paujy,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 
Fr.  Picht,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 
Dietrich  Plate,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Fr.  Chr'  Plath,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 
Johann  Christian  Poggendorff,   Anzeige   sei- 
nes Todes  737. 


15 

Alessandro  Portis,  erhält  den  Preis  der  philo- 
sophischen Facultät  289. 

Preisaufgabe  n:  Für  die  Studierenden  289.  — 
der  Beneke-Stiftung  280.  —  der  Wedekind'schen 
Stiftung  137.  —  der  königl.  Gesellschaft  der 
Wissenschaften  734. 

G.  Quincke,  üeber  den  Randwinkel  und  die 
Ausbreitung  von  Flüssigkeiten  auf  festen  Kör- 
pern 396. 

Alfred  Raab,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 

Joh.  Heinr.  Rabe,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Moritz  Rethy,  Ein  Beitrag  zur  Theorie  der 
Beugungserscheinuugen  73. 

Friedrich  Reuter,  z.  Dr.  phil.  prom.  93. 

Theodor  Reye  in  Straßburg,  zum  Correspon- 
denten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
erwählt  738. 

Ed.  Riecke,  Demonstration  eiues  nach  einem 
neuen  Principe  construii  ten  Tangentenmultipli- 
cators  341.  —  Ueber  einen  Tangentenmulti- 
plicator  und  über  die  elektromotorische  Kraft 
des  Grove'schen  Elementes  449.  —  Einige 
Beobachtungen  an  dem  Radiometer  von  Croo- 
kes  500.  —  Bericht  über  das  physikalische 
Institut,  Abtheilung  für  Experimentalphysik, 
aus  den  Jahren  1871 — 1877.  565.  —  Versuch 
einer  Theorie  der  elektrischen  Scheidung  durch 
Reibung  701. 

Carl  Riehn,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

Wilh.  Ritterbusch,    z.  Dr.   med.  prom.  338. 

Roch  oll,  erhält  den  zweiten  Beneke-Preis  176. 

Maximilian  Roggatz,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 
Julius    Rosenbach,     zum     außerordentlichen 
Professor    in    der    medicinischeu  Facultät    er- 
nannt 228. 


16 

Eduard  Rö ssler,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 
Joseph  Philipp  Rotheimer,  z.  Dr.  phil.  prom. 

570. 
Wilh.  Rusack,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

Hermann  Sauppe,   Bericht   über   die  Bearbei- 
tung der  Chronik  Hermann  Korner's  237.   — 
Zum  Geheimen  Regierun gs-Rath  ernannt  815. 
Ernst  von  Schack,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 

A.  Schaumann,  Das  Testament  des  Herzogs 
Georg  von  Braunschweig-Lüneburg.  1641.  Aus 
Akten  und  Urkunden  des  Archivs  zu  Hanno- 
ver 145. 

Friedr.  Scheiding,  z.  Dr.  phil.  prom.  570. 

E.  Schering,  Gedächtnißrede  auf  Gauss  232. 
—  Nachricht  über  Briefe  von  Gauss  432,  s. 
auch  Gauss.  —  Analytische  Theorie  der  Deter- 
minanten 493. 

0.  E.  Schiötz,  Versuche  über  die  scheinbare 
Anziehung  und  Abstoßung  zwischen  Körpern, 
welche  sich  in  Wasser  bewegen  291. 

Carl  Schmidt,  z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

"Wilh.  Schorse,  z.  Dr.  med.  prom.  334. 

Adolf  Schreiber,  z.  Dr.  med.  prom.  339. 

H.  Schubert,  Ueber  geometrische  Erweiterun- 
gen  des  Bezoutschen  Fundamentalsatzes  401. 

Carl  Adolf  Curt  Schur  ig,  z.  Dr.  phil.  prom.  92. 

Ernst  von  Schwartz,   z.  Dr.  phil.  prom.  817. 

Schwarz,  erstattet  Bericht  über  die  vierte  Sä- 
cularfeier  der  Universität  Upsala  573. 

Heinr.  Schweninger,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 

von  Seebach,  Ueber  den  Bau  des  Volcan  de 
Fuego  in  Guatemala  und  eine  Besteigung  deg- 
selben  734. 

Julius  Bernh.  Otto  Seemann,  z.  Dr.  phil. 
prom.  93. 

Ferdinand  Sennewald,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 


17 

Wilhelm  Sickel,  z.  Dr.  phil.  prom.  94. 
Edgar  Fahs  Smith,  z.  Dr.  phil.  prom.  816. 
Wilhe   French  Smith,    z.  Dr.  phil.  prom.  816. 
Ad.  Stapelfeld,  Zum  Dr.  phil.  prom.  92. 
Carl  Heinr.  Just.  Stein,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 
Stern,  Festrede  bei  der  Gauss-Feier  237. 
Wilhelm  Stetzer,  z.  Dr.  phil  prom.  95. 
Hemr.  Stilling,  z.  Dr.  med.  prom.  334. 
Karl  Stuckenberg,  z.  Dr.  phil.  prom.  571. 

Carl  Freiherr  von  Tautphoeus,   z.  Dr.  phil. 

prom.  94. 
Arthur   Fairbanks    Taylor,    z.    Dr.     phil. 

prom.  570. 
S.  Thomae,  üeber  die  Identität 

f    3  

(VV-l  dz 


iV{z-k)  (s-A>)  (z-f)»(=-fi)> 

'     3. 

yk'—k  dz 


+ 


22 


k]/(z-f)(z-f »)  {z-ky  (z-/t»)« 


=  0 


o. 


Wilhelm  Thörner,  z.  Dr.  phil.  prom.  817 
Aug   Vmzent    Trentepohl,   z.  Dr.  phil  prom. 

0  I  A. 

Conrad  Tri  eher,  Die  spartanische  und  korin- 
thische Königsliste  319. 

Friedr.  Wilhehn  ü  n  g  e  r ,  Anzeige  seines  Todes  88. 
Jesus  Valverde,  z.  Dr.  med.  prom.  338. 
Äf/"",-  i^?,!^^^^^^*'  2-  I>r.  phil.  prom.  817. 
des  7^7     ""  ^°^^°^a°°'  Ai^zeige  seines  To- 


18 

Otto  Wachsmuth,  z.  Dr.  med.  proni.  338. 

Wilhelm  Waldeyer  hi  Straßburg,  zum  Cor- 
respondenten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften erwählt  738. 

Herrn.  Wattenberg,  z.  Dr.  phil.  prora.  93. 

Adolf  Weber,  z.  Dr.  med.  prom,   339. 

W  edelfeind'sche  Preisstiftung  s.  Göttingen 
I.  E.  b. 

Friedr.  Wieseler,  Archäologische  Miscellen. 
I.  Zu  den  vasa  diatreta  25.  —  11.  Zu  ver- 
schiedenen Stellen  in  Pausanias'  Buch  V.  26. 
—  III.  Ueber  den  Typus  einer  Münze  von 
Kyme  in  der  Aeolis  und  einige  Darstellungen 
an  der  Puteolanischen  Basis  33.  —  IV;  Zur 
Kunstmythologie  Poseidons  42.  —  V.  Dio 
drei  Göttinnen  des  Parisurtheils  als  die  drei 
Chariten  51.  —  Antiken  in  der  südwestlichen 
Schweiz  und  Turin  605. 

Heinr.  Witte,  z.  Dr.  phil.  prom.  572. 

Wo  hier,  Trennung  des  Arsens  von  Nickel  und 
Kobalt  178.  —  Jahresbericht  733. 

Wüstenfeld,  Die  üebersetzungen  Arabischer 
Werke  in  das  Lateinische  seit  dem  elften 
Jahrhundert    241.  —    II.  Abth.  369.    s.    auch 

•    Göttingen  I.  C. 

Zahn,  zum  ordentlichen  Professor  in  der  phi- 
losophischen Facultät  der  Universität  Kiel  er- 
nannt 132. 

Friedr.  Ziller,  z.  Dr.  phil.  prom.  93. 


Berichtiguug. 
Bogen  26  ist  stÄtt  277—280    281—284  zu  paginieren. 


Nachrichten 


von  der 


K.  (jesellscliaft  der  Wissenschaften 


und  der 


Georg  -  Augusts  -  üniTersität 


aus  dem  Jahre  1878. 


Göttingen. 

In  Commission  in  der  Dieterich'schen  Buchhandlung. 
1878. 


Man  bittet  die  Verzeichnisse  der  Accessionen 
zugleich  als  Empfangsanzeigen  für  die  der  kgl. 
Societät  übersandten  Werke  betrachten  zu  wollen. 


\achrlchten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


16.  Januar.  M  1.  1878. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Sitzang  am  5.  Januar. 

Wüstenfeld,  Die  Familie  el-Zubeir.  Erste  Abtheilang, 
(Erscheint  in  den  Abhandlungen.) 

Pauli,  Karolingische  Geschichte  in  altenglischen  Annalen. 

P.  de  Lagarde,  Tertullianea. 

Dedekind,  auswärt.  Mitglied.  lieber  den  Zusammen- 
hang zwischen  der  Theorie  der  Ideale  und  der  Theorie 
der  höhern  Congruenzen.  (Erscheint  in  den  Abhand- 
lungen). 

^  achs,  auswärt.  Mitglied,  üeber  eine  Classe  von  Diffe- 
rentialgleichungen, welche  durch  Abelsche  oder  ellipti- 
sche Functionen  integrirbar  sind. 

Drude,  lieber  die  Verwandtschaft  und  systematische  Be- 
deutung von  Ceroxylon  Andicola.  (Vorgelegt  von  Gri- 
sebach). 


Karolingische    Geschichte    in    alteng- 
lischen Annalen. 

Von 

Eeinhold  Pauli. 

Wiederholte  Beschäftigung  mit  den  älteren 
Aunalen  Englands  uöthigt  mich  früher  veröffent- 
lichte Bemerkungen  durch  weitere  Ergebnisse 
zu  vervollständigen.  Aus  ihnen  geht  nunmehr 
hervor,  daß  die  Nachrichten  über  die  festländische 

1 


Geschichte  während  der  Epoche  der  Karolinger 
auf  drei  räumlich  und  zeitlich  verschiedenen 
Wegen  zu  der  Insel  hinüber  drangen. 

Die  älteste  Verbindung,  die  mit  Northum- 
"brien,  insbesondere  mit  York,  wurzelt  in  der 
von  Baeda  dem  Ehrwürdigen  ausgehenden,  gerade 
die  Pflege  der  Jahrbücher  im  christlichen  Abend- 
lande unmittelbar  beeinflussenden  Schule  und  in 
der  aus  denselben  Gegenden  lebhaft  betriebenen 
Mission  unter  Franken,  Friesen  und  Sachsen. 
Zu  dem,  was  nach  dieser  Richtung  hin  zuerst 
Stubbs  in  seiner  vorzüglichen  Ausgabe  der 
Chronik  des  Roger  von  Hoveden  Vol.  I,  p. 
XXVIII.  XXIX  vom  Jahre  1868  anregte  und 
was  ich  in  den  Forschungen  zur  Deutschen  Ge- 
schichte XII,  139  und  441  weiter  ausgeführt 
habe*),  ist  materiell  nichts  Neues  hinzugekommen. 
Nur  läßt  sich  das  Urtheil  über  die  in  des  Si- 
meon  von  Durham  Compilation  De  Regibus 
Anglorum  et  Dacorum  zwischen  den  Jahren 
731  und  803  steckenden,  vielfach  ihre  ursprüng- 
liche Form  bewahrenden  northumbrischeu  An- 
nalen  formell  noch  präciser  fassen  und  ihre  Sub- 
stanz noch  strenger  von  fremdartigen  Bestand- 
theileu  scheiden.  Diese  Gesta  veterum  Nor- 
thanhumbrorum  oder  Gesta  Anglorum, 
als  welche  sie  noch  distinct  anderen  mittelalter- 
lichen Autoren  bekannt  gewesen  sein  müssen, 
sind  aufs  engste  verwandt  mit  den  kurzen  von 
731  bis  766  reichenden  Jahrbüchern,  welche, 
bald  nach  Baedas  Tode  entstanden ,  dem  Ms. 
Phillipps  1089 ,  sowie  der  Ausgabe  seiner  Hist. 
eccles.  gentis  Anglorum  in  den  Mon,  Hist.  Brit. 
I,  288 — 289  angehängt  sind.  Beide  Reihen  sind 
handschriftlich  zwar  nur  aus  dem  zwölften  Jahr- 

1)  Vgl.  auch  Wattenbach,  Deutschlands  Geschieh ta- 
quellen  1*.  199. 


hundert  überliefert,  allein  die  Prüfung  der  ein- 
zelnen Jahre,  namentlich  auch  mit  Rücksicht 
auf  die  astronomischen  Erscheinungen,  ergibt, 
daß  beide  gleichzeitig  oder  doch  unmittelbar 
nach  den  kosmischen  und  politischen  Ereignis- 
sen, die  sie  verzeichnen,  und  nur  in  Nordengland 
an  der  Kirche  von  Lindisfarne,  York  oder  Hex- 
ham  verfaßt  sein  können.  Beide  sind  gleich 
aufmerksam  auf  die  Dinge  des  Festlands  ge- 
richtet. Wie  die  kürzere  bis  766  reichende 
Reihe  zu  741  den  Tod  Karl  Martells  und  die 
Nachfolge  seiner  Sohne  notiert  und  wie  es  in 
beiden  unter  754  von  Bonifacius  heißt:  qui  et 
Winfridus,  martyrio  corouatus  est  cum  quinqua- 
ginta  tribus  (cum  quinquagiuta  tribus  martyrio 
coronatur),  so  bewahren  die  bei  Simeon  von 
Durham  erhaltenen  und  später  auch  in  die  Chro- 
nik des  Roger  von  Hoveden  so  wie  theilweise 
in  die  des  Roger  von  Wendover  und  die  Chronik 
von  Melrose  eingeflossenen  etwas  längeren  Jahr- 
bücher unter  768  die  Nachricht  vom  Tode  Pip- 
pins  des  Kleinen  und  bis  800  inhaltreiche  An- 
gaben über  Karl  den  Großen.  Ich  bin  nunmehr 
geneigt  die  Provenienz  der  letzteren  im  Einzelnen 
noch  näher  zu  bestimmen,  als  in  dem  Aufsatz 
in  den  Forschungen  geschehen  ist.  Die  Nach- 
richten zu  771  Karlmanns  Tod  und  Karls  Allein- 
herrschaft, 772  Sachsenkrieg,  774  Unterwerfung 
des  Langobardenreichs,  775  Sachseukrieg  sind, 
wie  kaum  zu  bezweifeln ,  jenem  Aluberht  zuzu- 
weisen, der  nach  der  Angabe  unter  767  vom 
Erzbischof  Aethelberht  von  York  zum  Missions- 
bischof geweiht  wurde  —  ad  Ealdsexos  ordi- 
natus  est  episcopus  —  als  solcher  von  Ut- 
recht aus  wirkte  und  den  jungen  Liadger  nach 
dessen  Vita,  SS.  II,  407  auf  ein  Jahr  zunächst 
zu  Alcuin    auf   die   Schule   nach   York  brachte. 


Auch  Aluberht  kam  noch  einmal  herüber  um 
unter  Friesen  und  Sachsen  thätig  zu  sein.  Was 
andererseits  die  Jahre  786  die  Sendung  Papst 
Hadrians  I,  nach  England,  792  die  Uebersendung 
des  Liber  synodalis  durch  König  Karl  eben  dort- 
hin, 794  Tod  und  Bestattung  Papst  Hadrians, 
795  den  großen  Sieg  über  die  Avaren  und  800 
die  Kaiserkrönung  betrifft,  so  dürften  diese  Ein- 
tragungen bis  auf  Alcuin  selber  zurückgehen. 
Die  Notiz  zu  799  dagegen  über  die  Mißhandlung 
Papst  Leos  III.  durch  die  Römer  begegnet,  wie 
gleich  hernach  gezeigt  werden  soll,  auch  in  Süd- 
england und  beruht  auf  allgemeiner  Verbreitung. 
Eine  zweite  Leitung  zwischen  dem  karolin- 
gischen  Festlande  und  der  Lisel  ergibt  sich  aus 
den  ältesten  Annalen  von  Winchester,  wie  man 
sie  nach  Earle  ^)  fortan  getrost  wird  nennen 
dürfen.  Sie  sind  bekanntlich  noch  völlig  er- 
kennbar überliefert  in  dem  bis  891  von  einer 
Hand  redigierten  ältesten  Stück  der  sogenannten 
angelsächsischen  Chronik,  jenem  ehrwürdigen 
und  frühsten  Erzeugniß  der  Geschichtsschreibung 
in  germanischer  Prosa,  die  im  Wiederspruche 
mit  der  in  England  noch  immer  üblichen  Be- 
zeichnung thatsächlich  aus  verschiedenen  Reihen 
von  Jahrbüchern  besteht.  An  verschiedenen 
Orten  und,  über  mindestens  vier  Jahrhunderte 
hin  verfaßt,  schon  durch  die  Sprache  wesentlich 
von  den,  so  viel  wir  wissen,  nur  lateinisch  ab- 
gefaßten Annalen  Northumbrieus  verschieden, 
stammen  die  sechs  erhalteneu  vernacularen  Jahr- 
bücher (A  bis  F)  nebst  dem  Fragment  eines 
siebenten  (G)  sämmtlich  aus  Süd-  und  Mittel- 
england, wodurch  freilich  eine  Gemeinsamkeit 
mit  uordenglischen  Quellen   in  Stoff   und  Inhalt 

l)  Two  of  the  SaxoD  Cbronicles  p.  XI. 


iiiclit  ausgeschlossen  wird,  wie  denu  ein  Aus- 
tausch desselben  sich  gerade  mit  Hilfe  des  Si- 
meon  von  üurham  für  den  Anfang  des  zwölften 
Jahrhunderts  nachweisen  läßt.  A  stammt  nun 
der  Hauptsache  nach  aus  Winchester  und  hat 
erst  später  in  Canterbury  Zuthaten  und  Abän- 
derungen bis  1070  erfahren.  B  ist  eine  bis  977 
reichende  im  St.  Augustin  Kloster  zu  Canterbury 
angefertigte  Reinschrift  aus  der  ersten  Hälfte 
des  eilften  Jahrhunderts.  Bei  C,  das  bis  1066 
reicht,  weisen  unverkennbare  Zeichen  auf  das 
Kloster  Abingdon  in  der  Nähe  von  Oxford  hin. 
D,  dessen  letzte  Notiz  uuter  1079  steht,  ist  eine 
in  Worcester  unternommene  abermalige  Bear- 
beitung mit  wichtigen,  die  Landesgeschichte  be- 
treffenden Fortsetzungen.  Was  indeß  die  Karo- 
lingischen Daten  betrifft,  so  sind  B.  C.  D  von 
A.  oder  seiner  ursprünglichen  Vorlage  völlig  ab- 
hängig, so  daß  sie,  von  Orthographie  und  Dia- 
lekt abgesehen,  kaum  nennenswerthe  Abwei- 
chungen bieten.  E  dagegen,  eine  im  Kloster 
Peterborough  in  Northamptoushire  zu  Anfang 
des  zwölften  Jahrhunderts  unternommene  Re- 
daction,  die  zwar  vielfach  auf  Worcester  zurück- 
weist, aber  von  1121  bis  zum  Schluß  in  meh- 
reren Absätzen  selbständig  ist,  und  F,  eine  gleich- 
falls im  zwölften  Jahrhundert  in  Canterbury 
ausgeführte,  bis  1058  erhaltene  Bearbeitung, 
englisch  mit  Jahr  für  Jahr  lateinischer  üeber- 
setzung,  im  Original  vorhanden,  weichen,  was 
die  Karolinger  betrifft,  in  gewissen  Notizen  wie 
in  dem  Idiom  von  A.  B.  C.  D  höchst  augenfällig 
ab  und  kommen  erst  für  die  streng  abzuson- 
dernde dritte  Gruppe  in  Betracht. 

Die  zweite  Gruppe  festländischer  Nachrichten, 
die  also  in  Winchester,  dem  Mittelpunkt  von 
Kirche   und  Staat   der  Westsachsen,    gesammelt 


wurden,  wird  zunächst  repräsentiert  durch  eine 
einsame  Notiz  über  Karls  Sachsenkriege  zu  780 
(779  D,  aus  ihm  E):  Her  Aid  Seaxe  and 
Francan  gefuhton.  Sie  hat  Nichts  mit  den 
ausführlichen  Notizen  der  Northumbrier  unter 
772  und  775  oder,  wie  wir  noch  sehen  werden, 
mit  den  stets  auf  Karl  selber  Rücksicht  neh- 
menden Anmerkungen  der  dritten  Gruppe  zwi- 
schen den  Jahren  771  und  780  gemein.  Aus 
Winchester  stammt  ferner  die  Nachricht  über 
den  von  A  bis  E  unter  812,  von  F  unter  814 
verzeichneten  Tod  Karls:  Her  Carl  cyning 
foröferde.  And  he  ricsode  45  wintra. 
Viel  bedeutsamer  jedoch  sind  die  eben  dort  ein- 
getragenen folgenden  Nachrichten,  welche  einen 
dynastischen  Zusammenhang  erschließen  und 
nicht  nur  yon  genealogischem  Interesse,  sondern 
von  Aufmerksamkeit  auf  die  Geschichte  der  zer- 
fallenden Karolingischen  Reiche  eingegeben  wur- 
den :  855  die  Vermählung  König  Aethelwulfs  von 
Wessex  mit  Judith,  der  Tochter  Karls  des  Kah- 
len; 885  bei  Gelegenheit  des  Todes  des  west- 
fränkischen Karlmann  (irrig  Karl  genannt,  f  Dec. 
12.  884)  dessen  Genealogie  bis  zurück  auf  Karl 
den  Kahlen,  so  wie  fernerhin  die  Vereinigung 
des  westfräukischen  mit  dem  ostfränkischen 
Reich  unter  Karl  HI,  woran  sich  abermals  ein 
Stammbaum  bis  auf  Karl  den  Großen  und  selbst 
Pippin  den  Kleinen  schließt;  Nachricht  vom 
Tode  Karls  HI,  den  sein  Neffe  Arnulf  ausge- 
trieben, worüber  indeß  das  Reich  in  fünf  Theile, 
deren  Grenzen  augegeben  werden,  auseiuander 
bricht,  die  seither  aber  alle  in  Unfrieden  leben; 
891  König  Arnulfs  Sieg  über  die  Nordmänner, 
wie  der  Annalist  versichert,  das  gemeinsame 
Werk  der  Ostfranken,  Sachsen  und  Bayern.  Die 
Kaiserwürde  berücksichtigt  er  niemals.     Als  ein 


Spätling  solcher  dynastisch-politischeu  luteressen 
ist  unter  982  in  die  Jahrbücher  von  Abiugdon 
(C)  die  merkwürdige  Mittheilung  über  Ottos  II. 
unglücklichen  Feldzug  in  Süditalien  und  den 
Tod  seines  Neffen  Otto,  eines  Sohns  Liudolfs 
und  daher  Enkels  Ottos  des  Großen  und  der 
angelsächsischen  Eadgyth,  eingedrungen.  Unbe- 
rücksichtigt lasse  ich  die  zahlreichen  Einzeich- 
nungen  der  Winchester  Jahrbücher  (880.  881. 
=^32.  883.  884.  886.  887.  890.  893)  über  die  Be- 

egungeu  der  zu  Wasser  und  zu  Lande  verhee- 
renden Scandinaven  zwischen  England  und  den 
Gebieten  der  Westfranken  und  der  Flandrer, 
über  welche  der  gleichzeitige  Annalist  angstvoll 
genaue  Erkundigungen  einzog,  obwohl  sie  für 
die  Belagerung  von  Paris  durch  die  Nordmänner 
geradezu  den  unmittelbaren  Quellen  beigezählt 
werden  müssen.  Ferner  sei  bemerkt,  daß  alles 
Karoliugische ,  was  zwischen  855  und  887  fällt 
aus  den  Jahrbüchern ,  die  auf  Winchester  zu- 
rückgehn,  in  mehrere  lateinische  Bearbeitungen, 
nämlich  die  Gesta  Aelfredi  Assers,  die  Chronik 
Aethelwards,  die  Chronik  des  Florenz  von  Wor- 
cester,  die  Historien  des  Heinrich  von  Huntingdon 
übergegangen  ist,  wobei  bisweilen  noch  eigene 
Znthaten  begegnen.  In  zweiter  Linie  erst  schö- 
pfen daraus  wieder  der  northumbrische  Simeon 
von  Durham  und  als  Vertreter  der  späteren 
Chronistik  Roger  von  Hoveden  und  Roger  von 
Wendover  (Matthaeus  Paris). 

Nur  unter  799,    in   der  Nachricht    von   der 
Mißhandlung   Papst   Leos  IH.   und   dem  an  ihm 

-,'eschehenen  Wunder    findet    sich   ein   Einklang 

zwischen,    den    northumbrischen    Annaleu     und 

denen  von  Winchester: 


799 


Her  Romane  Leone  ^gam 
papan  his  tungan  for- 
curfon  and  his  eagan 
astungon  and  hiene  of  his 
setle  afliemdon.  And  \>  a 
sona  eft,  Gode  fultunai- 
endum,  he  meahte  ge- 
seon  and  sprecan,  and 
eft    wses   papa   swa    he    ser 

WKS. 


Romani . . .  Leonem  papam 
sanctissimum  apprehende- 
runt  ligaveruntque ,  cuius 
lingua  inter  maxillas  duri- 
ter  protracta  et  in  gutture 
crudeliter  extensa  p  r  ae  ci  sa 
est  ab  ipsis.  Eruerunt 
et  oculos  praedicti  ponti- 
ficis  radicitus ...  Dominus 
postpauci  temporis  in- 
ter stitium  sie  eum  salu- 
tifero  s  a  n  a  V  i  t  antidoto, 
ut  postmodum  videre 
clare  et  loqui  posset... 

Von  dem  Eindrucke  dieser  Unthat  zeigen 
sich ,  wie  kaum  anders  zu  erwarten ,  die  ver- 
schiedensten Annalen  drinnen  und  draußen  noch 
auf  lange  hin  erfüllt.  Man  vergleiche  unter  den 
festländischen  nur  Ann.  Einhardi  799  SS.  I, 
187,  die  von  erutis  oculis  und  lingua  am- 
putata  sprechen,  und  die  Jahrbücher  von  Lund 
(Esrom),  Usiuger,  die  dänischen  Annalen  S.  42, 
wo  es  zu  799  heißt:  Hoc  anno  Romani  lin- 
guam  Leonis  papae  amputaverunt  et 
oculos  eius  eruerunt  et  expulerunt  eum. 
Die  durch  die  gemeinsamen  kirchlichen  Canäle 
erwirkte  Gleichmäßigkeit  der  Schreckenskunde 
und  des  Wunders  erhellt  noch  aus  dem  wohl 
kaum  gleichzeitigen,  sondern  von  Simeon  her- 
rührenden Zusatz  der  northumbrischen  Annalen: 
hoc  miraculum  repeute  diffusum  est  per  c ar- 
din es  quadrati  orbis. 

Ganz  anderer,  aber,  wie  wir  sehen  werden, 
nicht  der  uninteressantesten  Herkunft  sind  die 
in  der  dritten  Gruppe  erhaltenen  Karolingischen 
Notizen,  welche  in  einer  fern  abliegenden  Be- 
zugsquelle wurzeln.  Sie  tauchen  auf  in  den 
jüngsten  Exemplaren  der  angelsächsischen  Jahr- 


9 

bücher  (E.  F),  die  erst  im  zwölften  Jahrhundert 
zu  Stande  kamen,  und  zwar  bemerkenswerth, 
stets  in  lateinischer  Fassung,  und  pflanzen  sich 
noch  über  ein  Jahrhundert  in  einer  beträcht- 
lichen Anzahl  in  England  verfaßter  Annalen 
fort ,  die  dort  bisher  zum  großen  Theil  weder 
untersucht  noch  herausgegeben  sind,  wie  sehr 
sie  beides  auch  aus  anderen,  als  ans  hier  be- 
schäftigenden Gründen  verdienen. 

Zwar  steht  mir  vollständiges  Material  noch 
lange  nicht  zur  Verfügung,  doch  glaube  ich  aus 
dem,  was  vorliegt,  zu  nachstehenden  Schlaßfol- 
geruugen  bereits  hinreichend  berechtigt  zu  sein. 
Während  die  frühsten  Jahrbücher  der  Franken, 
Alamanneu  und  Bayern  gewisse  nordbritische 
imen  an  der  Spitze  tragen  und  dadurch  an- 
ueuten ,  wie  einst  die  Annalistik  von  England 
aus  zu  den  Germanen  des  Festlands  herüber  kam, 
so  sind  umgekehrt  mit  der  normannischen  Er- 
oberung Englands  die  Jahrbücher  des  Continents 
in  altbestehende ,  nun  aber  mehr  romanisierte 
Benedictiner  Klöster,  darunter  auch  Winchester, 
Canterbury,  Worcester  u.  a.  m.  so  wie  in  die 
Häuser  der  Clnniaceuser  und  Cistercienser  einge- 
drungen.    Folgende  Beispiele  mögen  genügen. 

Ms.  E  der  angelsächsischen  Annalen,  also 
die  zu  Peterborough  um  1121  compilierte  und 
bis  1154  fortgeführte  Bodleische  Handschrift 
Land  636,  hat  mitten  im  angelsächsischen  Text : 

769  Initium  regni  Karoli  regis. 

778  Karolus  in  Hispanias  intravit.  Karolus 
Saxoniam  venit.  Karolus  Pampileniam  urbem 
destruxit  atque  Cesar  Augustam  exercitum  suum 
eouiunxitet  acceptis  obsidibus  subiugatis  Sara- 
cenis  per  Narbonam  Wasconiam  Franciam  rediit. 

788  Karolus  per  Aleraanniam  venit  ad  iines 
Banuarie. 


10 

800  Karolus  rex  Imperator  factus  est  et  a 
Romanis  appellatus  Augustus,  qui  illos,  qui  Leo- 
nem  papam  dehouestaverant,  morte  dampnavit, 
sed  precibus  pape  morte  indulta  exilio  retrusit. 
Ipse  enim  papa  Leo  imperatorem  eum  sacraverat. 

810  Karolus  cum  Niceforo  imperatore  Cou- 
stantiuopolitano  pacem  fecit. 

812  Cireneius  Karolo  imperatori  legatos  suos 
cum  pace  mittit.     Karolus  Imperator  obiit. 

Viel  dürftiger  ist  Ms.  F,  wo  unter  767  ver- 
einzelt und  verwirrt  die  Notiz :  Hie  Carlomaguus 
obiit  begegnet.  Dagegen  ist  814  Rex  Carolus 
obiit,  regnavit  autem  45  annos  lediglich  latei- 
nische Version  der  Annalen  von  Winchester  zu 
812.  Offenbar  ist  aber  auch  in  den  eigenthüm- 
lichen  Einschaltungen  zu  E  viel  verschoben  und 
verdorben,  unter  778  aus  einer  sehr  alten  Vor- 
lage der  Zug  nach  Spanien  mit  dem  Sachsen- 
zuge von  779  zusammengeworfen  und  aus  einer 
anderen  Quelle  dann  wieder  Näheres  über  die 
spanische  Expedition  hinzugefügt.  Indeß  der 
Wortlaut  dieser  Auszüge  sowohl  wie  die  Zeit 
der  Compilation  um  1121  spricht  gegen  die  Be- 
nutzung des  Sigebert,  wie  sie  etwa  die  Cistercienser 
von  Waverley  durchgeführt  haben  ^).  Dagegen 
helfen  auf  der  Fährte  weiter  die  Annalen  von 
Dore,  einem  während  der  Regierung  König  Ste- 
phans (1135 — 1154)  in  Hereford  shire  errichteten 
Cistercienserkloster,  erhalten  in  Ms.  Phillipps  12200 
und  von  einer  Hand  bis  1320  geschrieben  mit 
flüchtigen  Fortsetzungen  bis  1362.  Als  ich  im 
letzten  Sommer  gemeinsam  mit  Herrn  Geh.  Reg. 
Waitz  in  Cheltenham  arbeitete,  habe  ich  die 
Handschrift    näher  untersucht  und    für  die  Mo- 


1)  Annales  de  Waverleia  bei   Luard,   Annales  Mona« 
Btici  II,  155  ff. 


11 

numente  abgeschrieben.  Sauber  in  zwei  Colamnen 
zu  beiden  Seiten  der  Ostertafel  eingetragen  fin- 
den sich  links  Im  per ato res  et  Reges,  rechts 
Pape,  ArchiepiscopietSancti.  Folgende 
Eintragungen  kommen  hier  in  Betracht: 
687  Pipinus  maior  domus  efficitur. 

717  Karolus  filias  Pipini  maior  domus  fit. 

718  Pugna  in  Vinciaco. 
752  Pipinus  rex  efficitur. 

756  Benedictus  est  Pipinus  a  S.  Stephano 
papa  Parisius  et  filius  eius  Karolus  et  Karolo- 
mannus  et  filia  Sigila  inter  sacra  missarum  so- 
lempnia  precipiente  s.  Petro  et  s.  Paulo  et  beato 
Dionisio. 

769  Obiit  Pipinus  rex  8  Kai.  Octobris.  Ini- 
tium  regni  Karoli  regis. 

771  Obiit  Karolomannus  frater  Karoli  Nono 
Decembris. 

774  Karolus  Romam  vadit.  Inde  reversus 
Papiam  cepit  cum  rege  Desiderio  captis  civita- 
tibus  Italie  et  direptis  universis. 

777  Conversio  Saxonum. 

778  Karolus  Hispauiam  intravit.  Karolus 
Papiloniam  urbem  destruxit  apud  Cesar  Augustam 
exercitum  coniunxit  et  acceptis  obsidibus  subiu- 
gatisque  Saracenis  per  Narbonam  et  Vasconiam 
Franciam  rediit. 

780  Karolus  Saxoniam  venit  et  Saxonia  capta 
est. 

782  Karolus  Romam  vadit. 

786  Signum  crucis  in  vestibus  apparuit. 

787  Iterum  Karolus  Romam  perrexit,  deinde 
^d  s.  Benedictum  et  Capuam. 

789  Karolus  per  Alemanniam  venit  ad  fines 
Havarie. 

791  Bassilo  (sie)  dux  venit  in  Franciam  et 
Bauuaria  capta  est. 


12 

793  Karolus  pergit  in  Sclavos,  qui  dicüntur 
Uulti. 

794  Karolus  rex  Hungrorum   regnum    vastat. 
799  Karolus    rex    Imperator    factus    est    et  a 

ßomanis  appellatus  Augustus,  qui  illos,  qui  Leo- 
nem  papam  dehonestaverant,  morte  dampnavit, 
sed  precibus  pape  morte  indulta  exilio  retrusit. 
Ipse  enim  papa  Leo  imperatorem  eum  sacraverat. 

810  Karolus  cum  Niceforo  imperatore  Cou- 
stautinopolitano  pacera  fecit. 

814  Karolus  imperator  gloriosus  moritur  etc. 
nach  Sigebert,  wie  schon  Einiges  vorher  und 
manches  nachher,  das  ich  übergehe. 

Das  Vorstehende  nun  begegnet  mit  nur  ge- 
ringen Abweichungen  in  den  Worten,  aber  chro- 
nologisch weniger  verschoben  in  den  von  Delisle 
in  den  Beilagen  zu  Le  Prevosts  Ausgabe  des 
Ordericus  Vitalis  V,  139  flF.  Paris  1855  abge- 
druckten Annales  Uticenses,  den  Jahrbüchern 
von  St.  Evroult  im  Bisthum  Lisieux,  die  bis 
gegen  Ausgang  des  eilften  Jahrhunderts  von 
einer  Hand  an  den  Seiten  der  Ostertafel  ge- 
schrieben und  wesentlich  den  ältesten  Annalen 
von  Ronen  entlehnt  (V,  p.  LXVIII.  LXIX)  besser 
die  ursprüngliche  Form  der  in  der  Normandie 
entworfenen  Jahrbücher  repräsentieren,  als  was 
für  die  Zwecke  gegenwärtiger  Untersuchung  un- 
genügend Duchesne  in  den  SS.  Norm,  heraus- 
gegeben hat.  Es  leuchtet  auf  den  ersten  Blick 
ein,  daß  die  trümmerhaften  lateinischen  Ein-; 
Schaltungen  in  den  altenglischen  Jahrbüchern  | 
von  Peterborough  denselben  Ursprung  haben,  j 
Ein  ähnlicher  Zusammenhang  ergibt  sich  ferner  | 
bei  den  Annalen  der  seit  1106  eingesetzten  re- 
gulierten Chorherren  von  S.  Maria  in  Sonthwark, 
der  City  von  London  gegenüber  (heute  S.  Mary 
Overy,    auch  St.   Saviour),    die    in    Ms.    Cotton, 


13 

Faustina  A.  VIII  erhalten  und  von  mehreren 
Händen,  zuletzt  gleichzeitig  bis  1239  herabgefdhrt 
sind  1). 

In  ihnen  heißt  es: 

752  Pipiuus  rex  efficitur. 

767  8  Kai.  Octobris  obiit  Pipiuus  rex  Fran- 
corum.     Successit  filius  eins  Karolus  Magnus. 

781  Karolus  Romam  vadit.  Inde  reversus 
Papiam  cepit  cum  rege  Desiderio  captis  universis 
civitatibus  Italie  et  direptis. 

784  Karolus  magnus  ex  rege  Fraucorum  fac- 
tu3  est  imperator  et  a  Romanis  appellatus  est 
Augustus,  qui  illos,  qui  Leonem  papam  dehone- 
stati  erant,  morte  dampnavit ,  sed  precibus  pape 
morte  indulta  exilio  retrusit.  Ipse  enim  Papa 
Leo  imperatorem  eum  cousecravit. 

813  Karolus  imperator  obiit. 

Auch  an  weiteren,  zum  Verdruß  der  Wissen- 
schaft bisher  nur  handschriftlich  zugänglichen 
Beispielen  fehlt  es  nicht.  Allein  die  vorstehenden 
genügen  schon  um  das  Einströmen  karolingischer 
Notizen  auf  einem  dritten  Wege,  im  Anschluß 
nämlich  au  die  normannische  Eroberung  zu  veran- 
schaulichen. Wie  spät  und  iudirect  es  aber  auch 
eintritt,  wie  sehr  es  auch  namentlich  für  die  ka- 
rolingische  Epoche  nach  814  mit  der  Benutzung 
der  Chronik  des  Sigebert  zusammenfließt,  so  wird 
es  doch  überaus  interessant  dadurch,  daß  den 
Annalisten  von  Rouen  und  St.  Evroult,  welche 
die  Vermittler  mit  dem  eroberten  Inselreiche 
wurden,  alte,  echte ,  bisher  in  England  unbe- 
kannte Substanz  zu  Gebote  stand,  die,  wie  eine 
Vergleichung  ergibt,  bis  zu  den  ehrwürdigen 
Annales   Sangalleuses   Breves    aus    dem    Beginn 

1)  Im  vergangenem  Sommer  hat  sie  Herr  Dr.  Lieber- 
mann für  die  Monumente  abgeschrieben. 


14 

des  neunten  Jahrhunderts  SS.  I,  64  zurückreicht. 
Aus  ihnen  aber  kommt  in  Betracht : 

752  Pippinus  in  regem  elevatur. 

767  Pippinus  rex  moritur. 

771  Karolomannus  rex  obiit. 

772  Karolus  rex  in  Saxoniam. 

773  Karolus  rex  in  Italiam. 

774  Capta  est  Italia  a  Francis  et  Karolus 
rex  Romam  pervenit. 

778  Karolus  rex  Spaniam  ingreditur, 

779  Iterum  Karolus  in  Saxonia. 

780  Saxonia  capta  est. 

781  Karolus  Romara  vadit. 

786  Iterum  Karolus  rex  ad  Romam  perrexit, 
deinde  ad  Sancti  Beuedicti  et  ad  Capuam.  Crucis 
in  vestibus  apparuerunt. 

787  Karolus  per  Alemanniam  venit  ad  fines 
Baiowaria. 

788  Tassilo  venit  in  Franciam ,  et  Baiowaria 
capta  est. 

789  Karolus  rex  pergit  in  Sclavos,  qui  di- 
cuntur  Wilzi. 

791  Karolus  rex  Hunorum  vastat  regnum. 

801  Karolus  ad  imperatorem  elevatur  ad  Roma. 

814  Karolus  Imperator  obiit. 

Auch  nach  den  Bindegliedern  zwischen  diesen 
alten  alamannischen  Aufzeichnungen  und  dem 
Grundstock  der  Annalen  der  Normandie,  die  sich 
räumlich  über  Lothringen  und  Burguud  erstreck- 
ten und  bald  nach  Christianisierung  der  Nord- 
männer an  der  Seine  Mündung  zur  Geltung  ge- 
kommen zu  sein  scheinen ,  braucht  man  nicht 
lange  zu  suchen.  Es  sind  die  Anuales  Coloni- 
enses  von  776  bis  1028  SS.  I,  97  und  das  erste 
Stück  der  Annales  S.  Benigni  Divionensis  SS. 
V,  38.  In  beide  sind  jene  kurzen  Jahrbücher 
von  Sangallen  eingeflossen ,    die    also  in  dritter, 


15 

vierter  Descendenz  bis  ins  vierzehnte  Jahrhundert 
keineswegs  zur  Unkenntlichkeit  verstummelt  in 
der  Annalistik  der  Engländer  fortleben. 


Tertullianea. 

von 
Faul  de  Lagarde. 


TertuUian  ist  ein  schwer  zu  verstehender 
Schriftsteller,  da  er  mitten  aus  einem  reichen 
Leben  heraus  schreibend ,  die  Kenntnis  der  Zu- 
stände seiner  Zeit  und  seiner  Provinz  voraus- 
setzt, da  er  sich  eines  Styles  bedient,  für  dessen 
Studium  wenig  Hilfsmittel  zur  Verfügung  stehn, 
da  endlich  die  Manuscripte,  in  welchen  uns 
seine  Werke  vorliegen,  weder  sonderlich  gut 
noch  zahlreich  noch  auch  nur  genügend  ver- 
glichen sind.  Grund  genug ,  sogar  mir  einen 
Versuch  zu  gestatten ,  ob  ich  seinem  Texte  we- 
nigstens hier  und  da  helfen  kann.  Was  ich  in 
den  Symmicta  99  ff.  geboten,  ist  nicht  viel:  dort 
101,  1  habe  ich  perinde  schreiben  wollen,  und 
auch  vermutlich  geschrieben:  der  Fehler  des  er- 
sten Drucks  durfte  im  zweiten  nicht  verbessert 
werden ,  und  ist  in  den  Nachträgen  vergessen 
worden.  Ich  citiere  nach  der  dreibändigen  Aus- 
gabe Franz  Oehlers,  nicht  daß  ich  sie  irgendwie 
für  empfehlenswert  erachtete  (ihre  Mängel  liegen 
80  auf  der  Hand,  daß  sogar  Leute,  welche  nicht 
besser  sind  als  Oehler,  sie  haben  rügen  können), 
]  sondern  weil  sie  weit  verbreitet  ist :  ihre  Seiten- 
nnd  Zeilenzahlen  gebe  ich  in  Klammern  nach 
der  Kapitelnummer.  Was  ich  nicht  bespreche 
gilt  mir  darum  noch  nicht  für  richtig. 


16 


'I.    De  spectaculis. 

Die  erste  Zeile  des  Buchs  de  spectaculis  läßt 
erwarten,  daß  der  Verfasser  seine  Arbeit  in  drei 
Theile  theileu  werde :  aber  die  Erwartung  wird  ge- 
täuscht. Nach  den  einleitenden  Worten  beschäf- 
tigt sich  Tertullian  mit  den  opiniones  ethnicoruni 
über  die  von  ihm  zur  Behandlung  gestellte  Frage: 
dieser  Abschnitt  reicht  von  ad  utrumque  1  bis 
Ende  von  Kapitel  2:  3  Anfang  läßt  Tertullian 
merken,  daß  er  ein  Neues  anhebt.  Unterabthei- 
lungen bemerke  ich  drei: 

a)  nihil  obstrepere  u.  s.  w.:  1  (17,9) 

b)  sunt  qui  existimant  u.  s.  w. :  1  (18,5) 

c)  iani  vero  u.  s.  w. :  2  (18,14). 

Es  ergibt  sich^  daß  2  (18, 14)  für  iam  vero 
nemo  est,  qui  non  hoc  quoque  praetendat  geschrie- 
ben werden  muß  iam  vero  non  nemo  est,  qui 
hoc  quoque  praetendat.  In  2  ist  außer  dem  frü- 
her von  mir  gebesserten  Oehlers  datam  19,11 
(die  Handschriften  tatitam)  in  trihutam'^  zu  än- 
dern :  licitam  wäre  ein  bequemerer  Ausdruck  für 
den  Gegensatz  von  debitam ,  allein  graphisch 
liegt  licitam  von  tantam  zu  weit  ab,  wenn 
wir  nicht  die  Entstehung  des  Fehlers  erst  ins 
achte  Jahrhundert  verlegen  wollen,  und  29 
redet  Tertullian  selbst  von  voluptates  a  deo  con- 
tributae.  Weiter^  muß  19, 19  minus  ein  e  mehr 
haben :  cminus  nosse  wird  dasselbe  sein ,  was 
Tertullian  kurz  vorher  e  longinquo  nosse  genannt 
hat:  man  vergleiche  Plinius  11,240  Romae  om- 
nium  gentium  bona  comminus  iudicantur.  In 
der  zweiten  Hälfte  des  Kapitels  bemerke  man 
die  drei  Glieder  vides  (20,  7  mit  Junius,  wo  Deh- 
ler vis),  proinde  (20, 11),  ipse  honio  (20,  IC),  und 
in  dem  dritten  dieser  drei  die  Auseiuanderhaltuug 
von  corpus  (20,19)  und  Spiritus  (20,  22). 


17 

Die  eigeutliche  Behandlung  des  Gegenstandes 
beginnt  mit  Kapitel  3. 

I.  de  scripturis  audoritas  3  (22,  2): 
II.  audoritas  ipsius  signaculi  nostri  4  (24,  3): 

III.  ex  abundanti  14  (44, 1). 

In  Kapitel  3  hat  man  23.  Ö  die  Ueberlieferung 
cum  quid  aliter  etiam  special iter  interpretari  capU 
oder  gar  ohne  aliter.  Es  muß*  natürlich  dem 
specialiter  nicht  aliter^  sondern  generaliter  ge- 
genüberstehn.  TertuUian  schließt,  da  die  Bibel 
ganz  allgemein  concilium  impionim  u.  s.  w.  ver- 
biete, verbiete  sie  im  genus  auch  die  species, 
also  auch  die  Theater  u.  dgl.  m.  Aus  14  (44, 
6  ff.)  wird  man  sich  überzeugen,  daß  die  Aende- 
ruDg  im  Sinne  Tertullians  ist. 

Kapitel  4  —  13  verlaufen  fünftheilig,  und  der 
Schriftsteller  gibt  am  Ende  des  vierten  Kapitels 
seine  Disposition  selbst  an ,  wie  er  zu  Anfang 
des  dreizehnten  Kapitels  unter  ausdrücklicher 
Aufzählung  seiner  Leistungen  sich  über  die  Durch- 
führung seines  Planes  selbst  beglückwünscht. 
Das  Schema  ist,  der  Reihe  nach  für  ludi,  scaC' 
nicae  res,  agones,  munera, 
origines      4  (24, 14)  5  (25, 6)  10  (36,  8)  11  (40,  6) 

12(41,11)  13(43,1) 
tituli  4  (25, 1)  6  (28, 10)  10  (36, 9)  11  (40,  8) 

12(41,17)  13(43,1) 
apparatus  4(25,2)7(29,11)  10(36,11)11(40,11) 

12(42,V2)  13(43,V2) 
loca  4  (25,  2)  8  (31,  3)  10  (37,  4)  11  (40,13) 

12(42,6)  13(43,2) 
artes  4  (25,  3)  9  (34,  5)  10  (39,  4)  1 1  (40,  1 7) 

12(42,9)  13(43,2). 

Wenn   man    die  Behandlung    der    einzelnen 

Theile  miteinander   vergleicht,    ergibt  sich,  daß 

zu  Anfang  des   fünften  Kapitels,    wo  jetzt  Reif- 

ferscheid  aus  dem  Agobardinus  eine  Lücke  meldet, 

2 


18 

die  Anfangsperiode  des  ersten  Abschnitts ,  das 
heißt  nicht  eine  Rubrik ,  sondern  ein  Satz  des 
Schlages  fehlt,  wie  der  Kapitel  6  eröffnende :  es  ist 
mithin^  zu  Anfang  von  Kapitel  5  eine  Zeile  Punkte 
in  den  Text  zu  setzen.  Weiter  ergibt  sich,  daß 
in  Kapitel  13  (43,  2)  Franz  du  Jon  und  La  Gerda 
das  sacrificiis  der  Ueberlieferung  mit  gutem 
Grunde  in  artificiis  verändert  haben:  nur  eine 
knabenhafte  Gedankenlosigkeit  vermag  sacrificiis 
an  dieser  Stelle  im  Texte  zu  lassen.  8  (31,  15) 
ist  parent  zu  Roensch  Itala  und  Vulgata^  374 
nachzutragen.  16  (46,13)  zweifle  ich  an  der  Rich- 
tigkeit des  überlieferten  gula  und  fi^ura:  das 
weiße  Tuch,  mit  welchem  der  Praetor  das  Zei- 
chen zum  Anfange  der  Spiele  gab,  konnte  man 
doch  kaum  Kehle  oder  gar  Figur  des  Teufels 
nennen  :  ich  neme  ti  von  praecipitati  zu  gula 
hinzu,  und  schreibe^  diaboli  ab  alto  praecipitati 
ligula:  der  Satan  züngelt  nach  den  Seelen  der 
Besucher  des  Circus.  Ebenda  (47,  2)  ist''  hinter 
onaledicta  das  Zeichen  der  Lücke  zu  setzen:  da 
die  parallelen  Wörter  convicia  und  suffragia  die 
Zusätze  sine  iustitia  odii  und  sine  merito  amoris 
bei  sich  füren,  wird  auch  maledicta  ein  derartiges 
sine  gehabt  haben.  Kläglich  ist  es ,  wenn  Ri- 
galt  17  (48, 12)  ertihescant  wünscht  und  druckt, 
wo  erubescunt  das  allein  richtige  ist :  Senat  und 
alle  Stände  mögen  roth  werden,  da  sogar  die 
meretriccs  wirklich  roth  werden.  27  (59,  21) 
muß  es  für  proinde  natürlich^  ^)m«(?c  heißen  : 
was  Geßner  im  thesaurus  IV  1106  gibt,  kenne 
ich  :  aber  da  die  je  erste  Sylbe  von  proinde  und 
perinde  in  den  Handschriften  durch  ein  ver- 
schieden gehaktes^)  ausgedrückt  wird,  halte  ich 
bis  auf  weiteres  au  allen  Stelleu ,  in  denen  ^>ro- 
inde  in  der  Bedeutung  von  petitide  vorkommt, 
einen  Lesefehler  für  wahrscheinlich. 


Leber     eine   Classe     von    Dif  f  e  renzial- 

gleichungen,     welche    durch    Abelsche 

oder    elliptische    Functionen  iutegrir- 

bar  sind. 

Von 

L.  Fuchs  in  Heidelberg. 

Die  Differenzialgleichung 

A)  -—  =  [n(n-f-  l)  k*  sin*  atn X -]-h]y 

durch  welche  bekanntlich  die  Lameschen  Fnnc- 
tiouen  definirt  werden,  ist  nach  Lame  insbeson- 
dere von  Herrn  Heine  zum  Gegenstande  ein- 
gehender Untersuchungen  gemacht  worden. 
Während  man  sich  jedoch  bis  dahin  darauf  be- 
schränkte, nur  solche  Werthe  von  h  in  Betracht 
zu  ziehen,  für  welche  die  Differenzialgleichung 
durch  doppeltperiodische  Functionen  integrirbar 
ist,  hat  in  neuerer  Zeit  Herr  Hermite  es  unter- 
nommen ,  dieselbe  Differenzialgleichung  für  be- 
liebige Werthe  von  h  zu  integriren  (sur  quelques 
applications  des  fonctions  elliptiqaes  in  den 
Comptes  Rendus  de  lacademie  des  scieuces  de 
Paris  15.  Octobre  1877,  sqq.).  Unter  diesen 
Umständen  scheint  es  nicht  ohne  Interesse, 
auf  eine  Classe  von  linearen  DiSerenzialgleichun- 
gen  zweiter  Ordnung  hinzuweisen ,  welche  ich 
in  meiner  Arbeit  (Borchardt's  Journal  Band 
81  p.  116—118  Nr.  13)  durch  Abelsche  oder 
elliptische  Funktionen  integrirt  habe,  und  wo- 
von nicht  nur  die  Lamesche  Differenzialglei- 
chung (A),  sondern  auch  diejenigen  Difierenzial- 
gleichungen,  welche  Herr  Heine  (Borchardts  Jour- 

2* 


20 

nal  Band  60  p.  252)  den  Lameschen  Functionen 
höherer  Ordnung  zu  Grunde  gelegt  hat,  beson- 
dere Fälle  sind. 

1. 

Wir  resumiren  zuerst  die  Resultate  der  Nr.  13, 
p.  116 — 118  meiner  Arbeit  in  Borehardt's  Jour- 
nal B,  81. 

Die  nothwendige  und  hinreichende  Bedingung 
dafür,  daß  eine  Differenzialgleichung: 

ein  Integral  der  Form 

1)  y  =  (p(^f  e       4:)<f>{z) 

habe,  wo  (f{^y  eine  rationale  Function  von 
ß  und  k  eine  Constante,  ist  die,  daß  P  die  Form 
habe : 

1)  Ist  X  von  Null  verschieden,  so  hat  Gl.  (B) 
das  Fundamentalsystem  von  Integralen :  _ 

.V~~icJl.  ,-^IIfA      i 

2)  Ist  /l  =  0,  so  sind 

E)  2/,  =  y(^)*,  2/2  =  y(^)*J-(^)  ^ 

ein  Fuudamentalsystem. 


21 

Für  die  Werthe  von  z^  für  welche  (p[z\  nn- 
endlich  wird,  ist  P  ebenfalls  unendlich,  für  die 
Nullwerthe  h  von  if{z),  dagegen  ist  P  nur  dann 
nicht  unendlich,  wenn 

F)  if'hY  =  -  ;i,  wo  y'(ir)  =  ^^^^^ 

2. 

Wir  betrachten  nunmehr  den  speciellen  Fall : 

G)  P(^)^^H-li2'(^)|*  +  ^(^).„  =  0, 

wo  B.{z\  H{z)  ganze  rationale  Functionen  resp. 

vom  Grade  m  und  m— 2  sind  und  It'(z)  =   — , 

dz 
und   außerdem   P(^)   nur   ungleiche  Lienarfacto- 
reu  hat. 

Wendet  man  die  Substitution 

1)  u  =  Ii{z)  '.y  (s.  meine  oben  citirte  Ab- 
handlung p.  102)  an,  setzt 

2)  <f  =  G.R^ 

und  berücksichtigt,  daß  die  zu  den  singulären 
Punkten  der  Gleicliuug  G)  gehörigen  deteruiini- 
renden  Fundamentalgleichungen  die  Wurzeln  0,  \ 
haben,  so  folgt  aus  Nr.  1,  daß  die  Gleichung 
G^)dann  und  nur  dann  ein  Integral  der  Form 

y—xtJL^ 

3)  u  =  G^e      V^VR 

hat,   wenn  G  eine  ganze  rationale  Function  ist 
I 


24 

chungen  J)  noch  eine  Gleichung  hinzu,  welche 
ausdrückt,  daß  G{0)  durch  einen  quadratischen 
Factor  theilbar  wird.  Oder  man  substituire  nach 
Nr.  2  in  Gleichung  G) 

VG  =  (c'o  +  c\^+..-\-&^^)y-R[{^) 

wo  i?j(^)  eine    ganze    rationale    Function    vten 

Grades ,  welche  nur  für  die  Wurzeln  der  Glei- 
chung JR(^)  =  0  und  für  diese  nur  erster 
Ordnung  verschwindet,  und  stelle  die  Bediugungs- 
gleichungen  für  die  Coefficienten  c'q,  c',  ,  .  ,  c'  , 

J.Q,  J.J  .  .  Ä^^^_2  auf.     Nach  der  einen  oder  der 

anderen  Methode  ergiebt  sich  eine  algebraische 
Gleichung  für  den  im  allgemeinen  Falle  will- 
kürlich  verbleibenden  Coefficienten  Aq. 

4. 

Ist  G(z)  durch  keinen  quadratischen  Factor 
theilbar,  und  für  die  Wurzeln  der  Gleichung 
B{^)  =  0  von  Null  verschieden ,  so  ist  nach 
Nr.  2  X  von  Null  verschieden ,  und  man  erhält 
als  Fundamentalsystem  von  Integralen  der  Glei- 
chung G) 

r ^^3 .  dz 

K)  w  =G^e         3  gVr ,  u^G-'e  ^Wr' 

1  u 

Bezeichnen  wir  mit  ftj,  &2»  •  •  ^2«  ^^®  Wurzeln 
der  Gleichung  G{z)  =  0  und  setzen 


1) 


G^'(6.)Fi2(6^  =  *.l/-A,  I 


25 

.    dz 

so  ist  nach  Nr.  2  «   =  4-  1  uud  i  ]/  — X  \ — 

ein  Abelches  Integral  dritter  Gattung  uud  für 
z  =  b^  unendlich    wie     \s-  log  {z — b^).     Durch 

Einführung  der  A heischen  Functionen  lassen  sich 
daher  yi,  yi  durch  Thetafunctioiien  mit  q  Ar- 
gumenten darstellen,  wenn  m  =  2  q  -\-  1  oder 
2^4-2  ist. 

Indem  wir  uns  die  Ausführung  dieser  Rech- 
nung, so  wie  die  eingehendere  Untersuchung^  des 
Falles  A  =  0,  welcher  sich  auf  die  von  Herrn 
Heine  den  Lameschen  Functionen  höherer  Ord- 
nung zu  Grunde  gelegten  Differenzialgleichungen 
bezieht,  vorbehalten,  beschränken  wir  uns  gegen- 
wärtig auf  den  specielleu  Fall  der  Lameschen 
Differenzialgleichung. 

5. 

Transformirt  man  die  Gleichung  A)  durch 
die  Substitution 

dz  

1)    -  =  l/i2(4  B{z)  =  (1— ^^,(l-x«^*), 

80  erhält  man  als  besonderen  Fall  der  Glei- 
chung G) 

Cr')  R{z)^^  +  iR{z)~-[n[n  -|-  l]u^z'  +  ä]u  =  0. 

Für  diesen  Fall  genügt  der  Gleichung  H) 
für  jeden  Werth  von  h  eine  ganze  rationale 
Function  von  z,  G{z) ,  2wten  Grades,  der  Form 


2)     G(^)  =  Co  +  Ci^2_^C2^*  +  ..  +  C„ 


z'\ 


24 

chungen  J)  noch  eine  Gleichung  hinzu ,  welche 
ausdrückt,  daß  G{^)  durch  einen  quadratischen 
Factor  theilbar  wird.  Oder  man  substituire  nach 
Nr.  2  in  Gleichung  G) 


VG  =  (c'o  +  c\^+,.  +  c^^zf')yE^{,) 

wo  ^j(^)  eine    ganze    rationale    Function    »'ten 

Grades ,  welche  nur  für  die  Wurzeln  der  Glei- 
chung R{^)  =  0  und  für  diese  nur  erster 
Ordnung  verschwindet,  und  stelle  die  Bedingungs- 
gleichungen für  die  Coefficienten  c'q,  c',,  .  .  c'  , 

-4q,  J-j  .  .  Ä^^_2  auf.     Nach  der  einen  oder  der 

anderen  Methode  ergiebt  sich  eine  algebraische 
Gleichung  für  den  im  allgemeinen  Falle  will- 
kürlich  verbleibenden  Coefficienten  Aq. 

4. 

Ist  G(^)  durch  keinen  quadratischen  Factor 
theilbar,  und  für  die  Wurzeln  der  Gleichung 
Ii{s)  =  0  von  Null  verschieden ,  so  ist  nach 
Nr.  2  X  von  Null  verschieden,  und  man  erhält 
als  Fundamentalsystem  von  Integralen  der  Glei- 
chung G) 

K)  w  =ö^e         3  gVr  ,  w  =G'e  yWR\ 

1  a 


Bezeichnen  wir   mit  6  p  h^-,  ■  ■  h^^^  die  Wurzeh 
der  Gleichung  G{s)  =  0  und  setzen 

1)  G\h.)VB^)  =  e.y-=rx, 


25 

ds 

so  ist  nach  Nr.  2  «   =  +  1  uud  AI/ — X\ — 

ein  Abelches  Integral  dritter  Gattung  uud  für 
2  =  b^  unendlich    wie     \s-  log  (z—h).     Durch 

Einführung  der  Abelschen  Functionen  lassen  sich 
daher  f/i,  1/2  durch  Thetafuuctionen  mit  q  Ar- 
gumenten darstellen,  wenn  m  =  2  q  -\-  1  oder 
2q  -\-  2  ist. 

Indem  wir  uns  die  Ausführung  dieser  Rech- 
nung, so  wie  die  eingehendere  Untersuchunj^  des 
Falles  A  =  0,  welcher  sich  auf  die  von  Herrn 
Heine  den  Lameschen  Functionen  höherer  Ord- 
nung zu  Grunde  gelegten  Differenzialgleicliuiigen 
bezieht,  vorbehalten,  beschränken  wir  uns  gegen- 
wärtig auf  den  speciellen  Fall  der  Lameschen 
Differenzialgleichung. 

5. 

Transformirt  man  die  Gleichung  A)  durch 
die  Substitution 

de  

1)    -  =  yR(e\  R{z)  =  [\-z',[l-x''z% 

so  erhält  man  als  besonderen  Fall  der  Glei- 
chung G) 

&)  R{z)^,  +  ^R'{,)~-[n[n  -f  1)« V  -f  h]u  =  0. 

Für  diesen  Fall  genügt  der  Gleichung  H) 
für  jeden  Werth  von  h  eine  ganze  rationale 
Function  von  ^,  6r(^) ,  2wten  Grades,  der  Form 


2)     (?(^)  =  Co  +  Ci/  +  C2/  +  ..  +  C„^ 


.2« 


26 

Das  System  der  Gleichungen  J)  reducirt  sich 
nämlich  in  diesem  Falle  auf  die  n  folgenden: 

JO    (2Z  +  4)(2Z  +  3)(2Z  +  2)c^^2- 

{ß  +  2)  [(4?^  -f-  8Z  +  4)  (x2  +  1)  +  4Ä]  c^^i 

+  (2?  +  l)(2?— 2w)(2?+2w+2)x«c^  =^  0 

für  Z  =  0,  1,  2,  .  .  .,  n — 1,  während  die  An- 
zahl   der    Unbekannten    Cn^  Cj,  ^2,  .  .  c    gleich 

w  +  1. 

Setzen  wir 

4)  z  =  sin  am  a;,  h^  =  sin  aw?  /S^-, 

und     drücken     das     Integral     dritter    Gattung 

.   dz 

Äl/r— AI —    durch  Thetafunktionen    aus,    so 

erhält  man  unter  Berücksichtigung  der  Glei- 
chung 1)  Nr.  4  nach  Gleichung  K)  das  folgende 
Fundamentalsystem  der  Gleichung  A) 

yx  = 
p=l  "  0(.r)" 

1=1  e{xf 


27 

6. 

Eine  Ausnahme  tritt  nach  Nr.  2  dann  und 
nur  dann  ein,  wenn  die  Gleichung  G')  ein 
Integral  von  einer  der  Formen 


besitzt,  worin  F^g  eine  ganze  rationale  Function 

von  ^r  vom  Grade  n — a — ß  bedeutet. 
Setzen  wir 

SO  liefert  die  Substitution  der  Functionen  a)  in 
die  Gleichung  G')  zur  Bestimmung  der  Größen 
Cq,  Cj,  Co,  .  .  c  _„_ß  das  System  von  Glei- 
chungen 

+  x«  (Z4-«^-/J+w-l)  (/-f  a+/S-«-2)  r^_2  =  0 
für  7  =  0,  1,  2,  .  .  .  n—a—ß-\-2 

worin  a,  ß  resp.  durch  die  Combinationen  0,  0 ; 
1,  0;  0,  1;  1,  1  zu  ersetzen  sind.  Je  nachdem 
n — a—ß  gerade  oder  ungerade,  kann  man  die 
Coefficienten  von  c  mit  ungeradem  oder  geradem 
Index   gleich  Null    wählen ,    und  es  verbleiben 

zur  Bestimmung  der  übrigen \- 1,  resp. 

H      ^ R  I    \ 

Größen  c  ebenso  viele  Gleichungen. 

Setzt  man  die  Derminante  derselben  gleich  Null, 


28 

so  erhält  mau  eine  algebraische  Gleichung  für  h 
M)  iP{h)  =  0, 

welche  im  Wesentlichen  mit  derjenigen  über- 
einstimmt, welche  Lame  und  Herr  Heine  als 
Bedingung  für  die  Existenz  ganzer  Lösungen 
der  Lameschen  Differenzialgleichung  aufgestellt 
haben. 
Es  sei 


0 .  .  .  {e'-h^') 

2 


1) 

n — a—ß  = 

so  ist 

2)     F.- 

=  i,^-b^'x,^-b^ 

oder 


2a)  F^ß  =  ^(^^-b^'){0'-b.^')...{^'-^h^    1^), 

~2" 

je  nachdem  fi  gerade  oder  ungerade  ist,  worin 
die  Größen  h-  von    den    Wnrzein   der  Gleichung 

JR(^)  =  0  verschieden  sind. 

Reducirt  man  das  Integral  \ _   auf  die 

Normalform,  was  am  zweckmäßigsten  durch  das 
bekannte  Verfahren  des  Herrn  Weierstraß  ge- 
schieht (s.  meine  Arbeit  B.  71  des  Borchardt- 
schen  Journals  Nr.  9),  so  ergiebt  sich  unter 
Berücksichtigung  der  Gleichuug  :  7?(&  .)/'"(?>.) -j- 

h  ^V^i)faß('^i)  =  0'  ^^^  die  Integrale  dritter 
Gattung  herausfallen  (vergl.  Heine  Handb.  der 
Kugelf unctionen  p.  241). 

Setzen  wir  nach  geschehener  Reduction 


29 

z  ■=■  %\Viamx^  h-  =  siu «»</?., 

so  ergeben  die  Gleichungen  E),  Gl.  1  in  Nr.  2 
das  folgende  Fnndamentalsystem  von  Integralen 
der  Gleichung  A) 


f^l    =  faß  = 


M—t 


(cosama:)''(^/am:rf(sinamj-)*    /7  ^     '       ^^' 

r^[(rf-r^)x  4-    |/  «/i>  log  H{x+ßi)  B{x-ß,l 

—  sD\ogH{x)  +  arDhgHiix)  -f  /?di)log0i(a:)] 

wo  «  =  0  oder  1 ,   je    nachdem  /t*  gerade  oder 
ungerade, 


^'«VO'       .^.(1)^..([) 


1  2 

T/7r;^'*  =  2    ^/Ca/-«  +  ay  +  /J<J 


^(%/(^/)  1 


30 

Mau  hat  für  a,  ß  die  CombiDationen  0,  0 ; 
1,  0  ;  0,  1 ;  1, 1  zu  setzen.  Natürlicli  ist  die  letzte 
nur  für  «  >  2  möglich: 

Ist  z.  B.  w  =  1, 
so  ergeben  die  Gl.  I') 

Giß)  =  sin^  am  a  —  ^^ 
wenn  man  mit  Herrn  Hermite 

h  =  — 1  —  x^  -}-  x^sin^ awa 
setzt.     Die  Gleichungen  K')  werden: 

Q'(a)    „.     ,     .  0'(a)    TT/  \ 

^'         ^  '     Q{x)   '^^  0{x) 

Nach  Gleichung  L)  ist 

1)  für  «  =  0,  ß  =  0,  die  Gl.  M)    h  =— 1— x« 
f,  =  1,6  =  h  foo  =  Kö  =  ^.  die  Gl.  N): 

2/1  =  sin  aw  ä;,  2/2  =  sin  am  a;  f- x  —  JD  log  J?(a;) 

2)  für  a  ==  1,  /?  =  0  die  Gl.  ilf) :   Ä  =  — 1, 

1  x"  1 


Die  Gl.  N): 


31 


1  rJ—Kx 

cos  am  X 
x" 


,'» 


3)  a  =  0,  ß  =  h  die  Gl.  (M)  Ä  =  — x«,  /t*  =  0, 
*  =  0,  d  =  l,a,=^^x,%=  ^,.  Die  Gl.  (N): 

t/1  =;  ^a7?jj;,ya=  —  j^a»u:l  — ^-a;i-2)log0i(j;)j, 

Resultate,  welche  mit  denen  des  Herrn  Hermite 
1.  c.  p.  826  übereinstimmen. 


Während  für  ein  willkürliches  h  die  Glei- 
chung Ä]  durch  ein  Fundamentalsystem  von 
Integralen  K')  befriedigt  wird  ,  deren  logarith- 
mische Ableitung  doppelt  periodisch  ist,  fiudet 
dieses  für  diejenigen  besonderen  Werthe  von 
Ä,  für  welche  die  Gleichung  G')  durch  eine 
Function  der  Form  f^ßi'^)  befriedigt  wird, 
nicht  mehr  statt,  wie  die  Gl.  N)  zeigen.  Man 
kann  dieses  aber  auch  a  priori  ohne  Zuhülfe- 
nahme  der  Integrale  N)  erkennen.     Es  sei  näm- 

c     ^^ 
lieh  «1  =  /"  „  (^),  so  kann  zunächst  Ui  =  wiV  ^     ,_ 

nicht  algebraisch  sein.  Denn  da  die  zu  den 
siugulären  Punkten  der  Gleichung  G')  gehörigen 
determinireudeu  Fundamentalgleichungen  die 
Wurzeln  0,  ^  haben,  so  würde  sich  ein  Inte- 
gral 2(2  ergeben  der  Form  «2  =  /„'a  (-S")»  (s.  meine 

Abh.  B.  C6  des  Borchardtscheu  Journals  Nr.  6 
II),  worin  die  Combination  a  ß'  von  der  Com- 
bination  a  ß  verschieden  wäre.  Dieses  ist  aber 
nicht  möglich,  denn  da  die  zum  Punkte  2-  =  CQ 


32 

gehörige  determiuireiide  Fnndainentalgleichuiig 
der  Gleichung  G')  die  Wurzeln  —  n  und  n-\-l 
hat,  und  Z'^«,  f^,^,  beide  für  ^  =  CO  unendlich  nter 
Ordnung  werden,  so  müßte  f^,oi  =  Const.  /  ^  sein. 

Es  seien  nunmehr  a  a'  zwei  beliebige  sin- 
gulare Punkte  der  Gleichung  G'),  so  gehört 
Wi  =  f^^J<ß)  ziu    einer   der  Wurzeln  0,  ^  der  zu 

a  gehörigen  determinirenden  Fundamentalglei- 
chung, und  es  gehöre  ein  Integral  ui  resp.  zu 
\  oder  0.  Ferner  sei  lyi,  1^2  ein  zu  0,  ^  resp. 
gehöriges  auf  a'  bezügliches  Fundamentalsystem, 
so  ist 

Wl    =    Cll  tlX    -j-    C12  ^2,    W2    =    C2I  171    -f-    C22  1^2,  ^ 

wo  entweder  cii  =  0  oder  C12  =  0,  weil  mi  = 
f  Jz).    Es  sind    aber  wenigstens  für  irgend  ein 

a'  die  Größen  C21,  (^22  von  Null  verschieden,  weil 
W2  nicht  algebraisch  ist.  Nach  eine-m  Umlaufe 
um  a  und  a'  gehen  ui^  11%  resp.  über  in 

CixCii-\-cnCn        2ciiCi2W2     ^cndtüi      C2iCu-\-CiiC2i 
-  .wi  -  — ^      ,         -^^-       I  -         . 

wo  z/ =  fii  C22 — C12C21  von  Null  verschieden 
ist.  Da  C21,  C22  nicht  verschwinden  ,  so  ist  M2 
nicht  in  sich  selbst  multiplicirt  mit  einer  Con-  j 
stauten  übergegangen,  oder,  was  auf  dasselbe 
hinaus  kommt,  es  ist,  wenn  man  W2  =  f{x) 
setzt,  D  \ogf{x)  nicht  periodisch,  da  ein  Umlauf 
von  z  um  zwei  singulare  Punkte  der  Gl.  G') 
einer  Vermehrung  von  x  um  eine  der  Perioden 
gleichkommt. 

Heidelberg  15.  December  1877. 


33 

üeber   die  Verwandtschaft   und    syste- 
matische    Bedeutung     von     Ceroxylon 
Andicola. 

Von 

Dr.  Oscar  Drude. 

Wie  ich   in  meiner   letzten  Mittheilang   über 
Carludovica  eine  weit  verbreitete  und  auffallende 
Pflanzengattung  des  tropischen  Amerikas  behan- 
delte ,    welche   trotzdem    in  Bau    und  Verwandt- 
schaft sehr  unklar  geblieben  war,  so  möchte  ich 
jetzt  eine  noch  viel  berühmtere  Palme  der  bota- 
nischen Analyse  unterwerten,   die,    in  denselben 
Ländern    wachsend,    durch  ihre  äußere  Erschei- 
nung und  Lebensbedingungen  seit  lange  die  Auf- 
merksamkeit auf  sich  gelenkt  hat,  ohne  daß  bis- 
her ihr  Charakter  und   ihre  Bedeutung   für    das 
natürliche  Palmensystem  bekannt  geworden  wäre. 
Ceroxylon  Andicola  eröffnet  in  den  >Plantae 
I    aequinoctialesc  die  Reihe  neuer  Pflanzen,  welche 
j    Humboldt  uud  Bonpland  als  Früchte  ihrer  Reise 
1    publicirten ;    sie    hatten   diese    bis   zu   öO"'  hohe 
!    Palme,  deren  mit  dicker  Wachsschicht  bedeckter 
I    Stamm  eine  Krone   von  nur    zehn  (5 — 7™  langen 
i    Fiederblättern  trägt,  in  einer  Höhe  von  1750 — 
i    2800™  auf  den  Anden  Neu-Granadas  gesammelt, 
]    nur  800"°  unter  jenem  Niveau,  in  welchem  schon 
I   Schneefälle  den  Boden  bedecken ;  ihrer  Beschrei- 
1   bung  und  Abbildung  verdankt  man  bisher  Alles, 
was  man    über  diese   Palme    wußte.     Sie   wurde 
;,   demgemäß  Iriartea  beigesellt;    aber  gerade  diese 
'  Stellung  machte  eine  erneute  Prüfung  sehr  wün- 
i   schenswerth,  weil  die  Tribus  der  Iriarteen  einen 
i  vortrefflichen  vegetativen  Charakter  in  den  brei- 
ten   strahlig  -  nervigen    Blattsegmenten     besitzt, 
während  dieselben  bei  Ceroxylon  von  einem  star- 


34 


len  FiedTrpalmeu  uur  in  de.  Arecmeen  »nd  den 

,och  zweifelhaft;  Humboldt  ""*  B°¥^"\^;,. 
schreiben  sie  als  P°lyg^»'^'''^  ",the  nnd  hemä- 
ben  nur  weibliche,  andere  ".^'?°>"^'''*  "°^,^:™  h 
phroditisch  blühende,  aber  mcht  ™>^F™;'^'  ;^* 
■    '^entwickelnde  Blüthen  e--«-  ^  » '  ^Xhe 

Geschlechtstheiles  an  je  ^"^\^;,^^^^^Vrrthum  der 

ans   der  Thatsacbe    hervor ,    dali    rtiebemen  ^ 
aus   aer  |"  Kuuthia    die    manuhcbeii  Blu- 

r  nd'w  t  «n  ern^:der  e.^fernt^.ehe^,  ^o 
ännert  die  I"flo--n.  selbs^  .„nacM  an  d,e 
Hyophorbe.n  »-' .-'^^^^ nl  &en  Areci- 
der  ''««'«>S^'lt"|ufthe„  daliegen  stimmen  mit 
r"  rattut  so  s'hriiber°ei,Tals  mitWettin.a, 
keiner  faattung  so  m-i"  ,,    .  u„„„e„    Spruce's 

welche  wir  nach  den  V-^l^f2^ZJ\e  Iri- 
[Jonrn.  Lmn.  Soc.  l,  P;^  •'^„„uehen  Blüther 
artee  kennen-,  ""  '»' ";^^,';  It»  wohl  bewahr 
Td  erJÄsÄXent  entwickelt,  dage 


35 

gen  hat  auch  diese  Palme  in  den  weiblichen 
Blüthen  den  aoffaileuden  Charakter,  von  den 
drei  Ovarien  nur  eins  zu  entwickeln,  so  daß 
dieses  eine  fruchtbare  einen  langen  Stylus  mit 
drei  ausgebreiteten  Stigmen  seitlich  trägt  und 
von  den  beiden  abortirenden  Ovarien  schon  zur 
Blüthezeit  nur  die  verkümmerten,  knopfartigen 
Reste  an  seiner  Basis  aufweist.  Dennoch  wächst 
wiederum  eine  der  Wettinia  sehr  unähnliche 
Frucht  aus  diesem  Ovarium  heran :  eine  blau- 
schwarze Beere .  deren  kugiiger  Samen  mit  sei- 
nen zarten  Rapheästen  und  basilarem  Embryo 
ebenso  gut  mit  Arecineen  und  Hyophorbeen  als 
mit  Iriarteeu  verglichen  werden  kann. 

Wie  stark  daher  nun  die  wichtigsten  Merk- 
male, deren  man  sich  bei  der  Bestimmung  der 
Palmeutribus  bedienen  muß ,  in  unserer  Gattung 
schwanken,  mag  aus  folgender  Zusammenstellung 
hervorgehen: 

Habitus   der   ausgewachsenen    Pflanze :    soll     im 
Gesamratansehen  hohen  Iriarteeu  ähnlich  sein  ; 
Blatt:  sehr  ähnlich  den  Cocoineen. 
Form  und  Nervatur    der  Segmente:    Cocoineen, 

weniger  Arecineen  und  Hyophorbeen. 
Blüthenscheide :  Cocoineen. 

Kolbenverzweigung :    Arecineen    und    Hyophor- 
been. 
Geschlechtsvertheilung :    Hyophorbeen.  außerdem 
Wettinia  unter  den  Iriarteeu  und  Attalea  nebst 
Orbignia  unter  den  Cocoineen. 
Blüthenstellung:  Hyophorbeen. 
Blöthenbau:  Wettinia  auter  den  Iriarteen ;  Ent- 
wicklung des  Ovarium  zugleich  Geonoma  ver- 
wandt. 
Frucht :  Geonomeeu,  Hyophorbeen  und  Iriarteen. 
Samen:   Arecineen  und  Hyophorbeen  [Kunthia], 
dann  Geouomeen  und  Iriarteen. 


36 


Die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  erstre- 
cken   sich  daher  über  fünf  Tribus     und    da   sie 

ilsehr  die  Wage  halten,  so  -r^e  -^^^^^ 
die  Stellung  von  Ceroxylon  sehr  zweifelhaft  blei- 
ben müssen,  wenn  nicht  einige  verwand  eAHen, 
deren  interessanter  Bau  bisher  gleichfalls  unbe- 
kannt war  oder  unbeachtet  blieb,  zur  Losung 
der  gestellten  Frage  beitragen  konnten. 

In    den   Hochgebirgen    von    Venezue  a    und 

Neu-Gi-anada  sammelte  Karsten  ^^«^^  Arten  von 

Wachspalmen,  ohne  die  Hum^^l^ttn      ef bt 
species    wiederum    beobachtet  zu  haben      er  be 

;?SltlxYni  ;    251]    we.ce.be.  sowohl 
Ion  Martins  [Bist.   nat.   Palm.  III.   p.   3'*1   *'^ 
IZ  Wendlaali  in  dessen  b't.sch»  Bemerknngen 
flher  Ceroxvlon   [Bonplandia  VIII   p.    b^J  "'cnt 
anerkannt  inrde    da  in  der  That  nnter  den  von 
Karsten  anf^stellten  Charakteren  nnr  die  große 
Z^h    ™n  Bffithenscheiden  erheblich  von  Ceroxy- 
Ion  abwich.     Erst  jetzt  bei  sorgfältiger  Blnthen- 
nntetsnchunc    bin  ich  znr  Kenntniß  der  wahren 
Unterschiede"  gelangt,  welche  die  Seite  and.gke, 
der   Gattung  Klopstockia   beweisen;   die  torolle 
der  mtanlifhen  Blüthen  bildet  '»letzterer  einen 
kurzen  Tubns  nnd  ist  mit  dem  Androecenm  anf 

Shümiiche  Art  ^^^'^^^riJ:::,:^. 

SreTd^'^nreie^sLtalkre.  dedonbl^^^^^^ 
„„d  sechs  Filamente  P-™-\  ^j-^pS^rnfg^^^ 
rnTeret^v«::  el-  tn^e"  weiblicLn  Blüthen 
aber  bildet  das  sterile  Androecenm  einen  strah- 
Wn  Kranz  mit  sehr  rudimentären  Antheren, 
E-b  wie  bei  Iriartea  pubescens  Karst.,  wel- 
che von  wid  [1.  c.  l  104]  zu  der  Gattung 


37 

Catoblastus  sehr  richtig  erhoben  ist  und  ohne 
Zweifel  der  anomalen  Wettinia  sehr  nahe  kommt; 
das  Gynaeceum  endlich  besteht  hier  aus  drei 
syncarpen  Ovarien  ,  von  denen  nicht  nur  jedes 
ein  Ei  enthält  sondern  dasselbe  sogar  zum  Sa- 
men entwickeln  kann,  da  ausnahmsweise  Früchte 
aus  je  drei  apocarpen  Beeren  gebildet  beobachtet 
sind.  Diese  Unterschiede ,  welche  zur  Aufrecht- 
haltnng  der  Gattung  Klopstockia  zwingen,  ver- 
mehren zugleich  für  das  verwandte  Ceroxylon 
die  Verwandtschaft  mit  den  Palmentribus,  deren 
Scheidenzahl  eine  größere  ist,  also  mit  den 
Hyophorbeen  und  Iriarteen,  und  zeigen,  daß  sich 
in  Bezug  auf  den  Fruchtkuotenbau  Ceroxylon  zu 
Klopstockia  verhält,  wie  Wettinia  zu  Catoblastus 
und  Iriartea.  Die  Scheiden  werden  von  Karsten 
sehr  zahlreich  angegeben  und  die  fünf  oberen 
vollständigen  sollen  nach  einander  abfallen :  die- 
ser Charakter  scheint  zu  schwanken ,  da  Engel 
[Linnaea  v.  XXXIII.  p.  673]  einige  Species  ge- 
funden hat ,  welche  nur  drei  Scheiden  besitzen ; 
zwei  Scheiden  schreibt  derselbe  einer  neuen 
Wachspalme  aus  Neu-Granada  zu,  auf  welche  er 
die  ungenügend  charakterisirte  Gattung  Beetho- 
venia  stützt,  welche  bei  genauerer  Prüfung  viel- 
leicht eine  innige  Verwandtschaft  zu  Klopstockia 
zeigen  dürfte,  wenn  nicht  gar  mit  letzterer  zu- 
sammenfällt. 

Noch  eine  letzte  Palme  bleibt  aber  zu  unter- 
suchen übrig:  die  »Chonta«  der  Insel  Juan  Fer- 
nandez,  von  Bertero  entdeckt,  von  Philippi  für 
eine  Morenia  (also  eine  Hyophorbee)  gehalten, 
Ton  Martins  dagegen  als  Ceroxylon  anstrale  zu 
unserer  Gattung  gebracht,  deren  Blüthenbau  bis- 
her gleichfalls  völlig  unbekannt  war  und  in  Be- 
zug auf  die  männlichen  Blütheu  auch  noch  fer- 
BereH  Untersuchungen  überlassen  bleibt. 


38 

Die  weiblichen  Blüthen  allein  zeigen  aber 
schon  eine  so  große  Verschiedenheit  von  Ce- 
roxylon ,  dass  an  der  Selbständigkeit  der  Juan 
Fernandez-Palme  auch  nicht  der  geringste  Zwei- 
fel bleiben  kann;  das  aus  breit  sich  deckenden 
eirunden  Sepaleu  und  Fetalen  gebildete  Perian- 
thium  schließt  an  Stelle  der  vielstrahligen  An- 
dröceumscheibe  von  Ceroxylon  und  Klopstockia 
nur  sechs  sehr  zarte ,  einzeln  inserirte  Stamino- 
dien  ein,  welche  sich  fast  der  Beobachtung  ent- 
ziehen, und  wird  von  einem  langcylindrischen 
Gynäceura  überragt,  dessen  abgerundeten  Gipfel 
drei  sitzende  Stigmen  krönen ;  die  Blüthe  hat 
somit  das  Ansehen  einer  Hyophorbee,  und  that- 
sächlich  fanden  sich  im  Innern  der  drei  innig 
syncarpen  Ovarien  drei  an  der  Mittelaxe  inserirte 
hemitrope  Samenknospen  [wie  bei  Chamaedorea] ; 
da  Philippi  nur  durch  habituelle  Rücksichten 
bewogen  diese  Palme  zu  Morenia  brachte,  so  läßt 
sich  erwarten,  daß  der  Habitus  gleichfalls  den 
Hyophorbeen  entspricht,  doch  zeigten  mir  junge 
Samenpflanzen  in  Kew  noch  mehr  Aehnlichkeit 
mit  Cocoineen,  denen  ja  auch  Ceroxylon,  ihre 
nächste  Verwandte ,  so  sehr  gleicht.  Jedenfalls 
muß  aber  diese  Palme  eine  eigene  Gattung  bil- 
den, welche  ich  nach  ihrem  Wohnorte  Juania 
benenne ;  sie  bewohnt  hier  die  feuchten  Berg- 
wälder bis  zu  beträchtlicher  Höhe  und  vervoll- 
ständigt den  pflanzengeographischen  Charakter 
des  kleinen  Eilandes,  indem  sie  seinen  vier  en- 
demischen Gattungen  eine  fünfte  hinzufügt.  Auf 
der  gegenüberliegenden  Küste  von  Chile  bildet 
eine  Cocoiuee  (Jubaea)  die  Südgrenze  der  Pal- 
menverbreitung, und  80  zeigt  sich  auch  hier  die 
Selbständigkeit  des  Inselgebietes  in  hervorragen- 
der Weise  durch  die  Palmen  bestätigt,  ähnlich, 
wie  die  Gattung  Grisebachia  <lie  Selbständigkeit 


39 

der  Flora  der  Lord  Howe's  Inseln  Australiens 
Küste  gegenüber  bekräftigt ;  die  Palmen  haben 
bei  ihrer  in  engen  Grenzen  gezogenen  Verbrei- 
tung viele  Eudemismen  geliefert. 

Es   mögen   hier     nun   die    Blüthencharaktere 
der  drei  besprochenen  Gattungen  folgen: 

Ceroxylon.  »Spatha  1  completa  in  ventre 
aperta  demum  caduca«.  Fl.  d:  Petala  usque  ad 
basin  fere  libera  disco  androecei  aequali  con- 
juncta,  aequilonga;  stamina  12  (raro  plures)  in 
discum  basalem  centrum  floris  occnpantem  nn- 
dique  filamenta  exserentem  connata ;  germinis 
rudimentum  breve  trifidum.  Fl.  i  :  Calyx  bre- 
vissimus;  petala  inaequilonga  brevissime  imbri- 
cata  anguste-lanceolata.  tertium  ab  axi  remotum 
l)nge  euspidatum;  androeceum  corollä  brevius 
f  stiiminodiis  12  antheras  effoetas  gerentibus  in 
patellam  radiatam  germinis  basin  cingentem 
connatum ;  germen  corollä  brevius  globosum; 
Stylus  longus  in  stigniata  tria  excurrens  ovario 
fertili  lateraliter  insertus.  ovariis  duobus  steri- 
libus  minutis  appendiculatus. 
Spec.   1  ;  Ecuador,  Nova  Granata,  Venezuela. 

Klopstockia.     »Spathae  3-3C  ,  inferiores  incom- 
pletae ,    superiores  inflorescentiam  includentes  in 
ventre    dehisceutes    deuium     deciduaec      Fl.   5: 
Petala  in  tubum  brevem  ad  basiu  connata  inae- 
quilonga cuspidata;    stamina  9  vel  12,  tria  cum 
petalis  alteruantia  libera,  reliqua  6  vel   9  binatim 
vel  ternatim  petalis  opposita  iisque  alte  adnata  ; 
I     germinis   rudimentum     breve     trifidum.      Fl.    q  : 
I    Calyx  brevissimus ;    petala   inaequilonga    e  tubo 
'    basali  brevi  acumiuato-lanceolata,  tertium  ab  axi 
i    remotum  Jongius;  audroeceum  corollä  multo  bre- 
i    vius    e  stamiuodiis    9 — 12    antheras  miuutas  ge- 
j    rentibus    in  patellam   germinis    basin    cingentem 
I    connatum ;   germen    globosum     corollä    dimidio 


40 

brevius   ex    ovariis   tribus  syncarpis  trilobum  in 
centro  depresso    stigmatibus  tribus  sessilibus  co- 
ronatum,    ovario    solitario    plerumque  majore  in 
fructum  apocarpum  excrescente. 
Spec.  7 ;  Nova  Granata,  Venezuela. 

Juania.  »Spatha  1  aut  2,  utraque  completa». 
Fl  d :  —  Fl.  Q. :  Calyx  garaosepalus  tripartitus  corol- 
lam  dimidiam  aequaus;  petala  e  basi  brevissime 
sympetalä  augustata  eordato-ovata  acuta  late  im- 
bricata ;  staminodia  6  vel  pauciora  tenerrima  pe- 
talis  3 — 4plo  breviora  distincta  corollae  tubo 
inserta;  germen  cylindricum  e  corollä  longe  ex- 
sertum  in  apice  rotundato  stigmatibus  tribus 
crassis  reflexis  coronatum  triloculare,  loculis  an- 
gustiis  aequalibus  Ovulum  axi  iusertum  foventibus. 
Spec.  1 ;  Juan  Fernandez. 

Wir  haben  nun  durch  Hinzuziehung  der  bei- 
den Verwandten  von  Ceroxylon  den  Vortheil 
gewonnen ,  die  systematische  Stellung  derselben 
leichter  feststellen  zu  köuuen:  Klopstockia  reiht 
sich  den  Iriarteen  leichter  an  als  irgend  einer 
anderen  Tribus,  wenngleich  als  anomale  Gattung; 
Juania  dagegen  kann  nur  mit  den  Hyophorbeen 
verbunden  werden,  und  bis  auf  genauere  Kennt- 
niß  von  ihr  entspricht  einstweilen  nur  ihre  ge- 
ringe Scheidenzahl  nicht  den  Charakteren  dieser 
Tribus;  Ceroxylon  selbst  steht  zwischen  beiden 
Gattungen,  die  beiden  ohne  dies  sehr  nahe  ver- 
wandten Tribus  verbindend,  so  daß  wir  folgende 
Reihe  als  natürliche  Verwandschafts  kette  anneh- 
men können  :  Moreuia  ■ —  Kunthia  —  Juania  — 
Ceroxylon  —  Klopstockia  —  Wettinia  —  Ca- 
toblastus.  Ceroxylon  selbst  müßte  nach  der  von 
Herrii  Hofrath  Grisebach  vorgeschlagenen  Be- 
zeichnungsweise in  folgender  Weise  gestellt  werden : 
r\  1        jHyophorbeae. 

Ceroxylon     i^/^eae. 


41 

Es  darf  aber  nicht  uuberücksichtigt  bleiben, 
daß  Ceroxylon  und  seine  nächsten  Verwandten 
nicht  so  einfache  Mittelstellungen  zeigen,  wie 
wir  sie  sonst  bei  verbindenden  Gliedern  zu  sehen 
gewohnt  sind ,  sondern  wichtige  Beziehungen  zu 
einer  Reihe  von  Tribus  außerdem  besitzen.  Alle 
genannten  fünf  Tribus,  denen  ich  als  sechste 
die  bisher  unerwähnt  gebliebenen  Caryotineen 
Ostindiens  hinzufügen  will,  zeigen  nun  in  allen 
Organen  so  viel  Aehnlichkeit  und  Gleichheit  der 
Charaktere,  daß  mir  die  Nothwendigkeit  einleuch- 
tete, dieselben  in  eine  engere  Beziehung  den 
übrigen  Palnientribus  gegenüber  zu  bringen. 

Unter  letzteren  sind  die  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  viel  leichter  zu  erkennen  und  durch 
Martins  schon  vortreflFlich  verwerthet,  der  die 
drei  Gruppen  Lepidocaryinae,  Borassinae  flabelli- 
frondes  und  Coryphinae  daraus  bildete,  die  ich 
in  meinem  Palmensystem  als  drei  Unterordnun- 
gen mit  zusammen  sechs  Tribus  adoptirt  habe; 
die  vierte  Unterordnung  nun  kann  ich  mit  kei- 
ner passenderen  Gattung  als  mit  Ceroxylon  be- 
zeichnen, da  sie  von  den  vielen  in  ihr  zusam- 
mengefaßten Tribus  viele  Charaktere  gemein- 
schaftlich besitzt;  ich  bemerke,  daß  die  Bildung 
dieser  großen  Gruppe  Ceroxylinae,  deren  viel- 
seitigste Begründung  mir  lange  klar  geworden 
war,  ehe  ich  den  Bau  von  Ceroxylon  selbst  ken- 
nen gelernt  hatte ,  das  Palmensystem  natürlich 
zu  machen  bestimmt  ist  und  den  wichtigsten 
Unterschied  meiner  Anordnung  der  Palmentribus 
gegenüber  der  von  Martins  gewählten  ausmacht, 
der  nach  seinem  eigenen  Ausspruch  in  diesen 
Studien  nicht  zu  Ende  gelaugt  war. 

Die  Eigenthümlichkeit  von  Ceroxylon,  durch 
die  Vielseitigkeit  seiner  Beziehungen  als  Reprä- 
sentant einer  großen  Gruppe    dienen  zu  ködnen, 

4 


42 

maclit  aber  diese  Gattung  interessant  für  allge- 
meine Probleme  der  natürlichen  Systematik;  denn 
man  hat  hier  ein  klares  Beispiel  vor  Augen,  wie 
eine  Pflanze ,  welche  sich  nur  schwer  in  nähere 
Beziehung  zu  einer  scharf  präcisirten  Gruppe 
bringen  läßt,  durch  seine  Abweichungen  eine 
größere  Zahl  von  verwandten  Gruppen  gleich- 
mäßig berührt;  vermuthlich  werden  sich  manche 
schwer  zu  erklärende  Pflanzen  besser  unterbrin- 
gen lassen ,  wenn  man  sich  nicht  nur  bemüht, 
sie  in  eine  Zwischenstelluog  zu  bringen,  sondern 
wenn  man  zugleich  die  sich  ergebenden  Abwei- 
chungen als  auf  einen  größeren  Verwaudtschafts- 
kreis  hinzeigend  betrachtet,  dessen  Charaktere 
die  abweichende  Pflanze  in  bunter  Auswahl  zur 
Schau  trägt.  — 


Verbesserungen 

in  der  letzten  Nummer  des  vorigen  Jahrganges 
der  Nachrichten. 

S.  764  Zeile  4  v.  o.  statt  Clariaut  lies  Clairaut 

Teil      »      5  V.  o.      »       ^if^o       »  -^Tf^jss 

—       »      8  V.  o.      >       12mal       »  17mfcl 

805      >    12  V.  0.      »     994.3217    »  994.2317 
809      »    17  v.  o.      >           p           >  e* 


i 


Bei    der    Königl.    (iesellschaft    der    Wis- 
senschaften eingegangene   Druckschriften. 

(Fortsetzung). 

Nature.  418—422. 

R.  C 1  a  u  8  i  u  8 ,  die  Potentialfunctionen   u.  das   Podential. 

1877. 
K.  Weihrauch,   Zehnjährige  Mittelwerthe   für  Dorpat. 

1877. 


Bulletin  de  k  Societe  Mathem.  de  France.  T.  V  Vn.  P,. 
et  demier.     1877. 

J.  Barrande,  Cephalopodes.  Stades  generales.  Prag. 
1877. 

H.  V.  Schlagintweit-Sakünlünski,  klimatischer Cba- 
racter  der  pflanzeogeoprapbischen  Regionen  Hochasiens. 
München.     1676.     4. 

Leopoldina.     Hft.  XIII.     Nr.  19—20. 

Proceedingsof  the  London  Mathem.  Society.  Nr.  115— 118. 

Jahrbücher  der  K.  Akad.  gemeinnütziger  Wiss.  zn  Er- 
furt.    H.  8-9.     1877. 

Mittheilnngen  der  deutschen  Gesellsch.  für  Nator-  nnd 
Völkerkunde  Ostasiens.     Hft.  11.   1876. 

Schweizerisches  ürkundenregister.  Bd.  11.  H.  5.  Bern. 
1877. 

Nova  Acta  Reg.  Societatis  Scient.  Upsaliensi«.  Volamen 
extra  ordinum  editum.     1877.     4. 

Rules  and  list  of  meinbera  of  the  R.  See.  of  New-South- 
Wales.  1877. 

Transactions  of  the  Casibridge  philos.  See.  Vol.  Xi,  P.  S. 
1871.     4. 

-  Dieselben.     Vol.  XII.  P.  1—2.     1873—77.     4. 

Proceedings  of  the  Cambridge  philos  Soc  Vol.  III.  P.  1—2. 

Monatsbericht  der  Berliner  Akad.  d.  Wies.  Ao^st    1877. 

J.  G.  Droysen  u.  M.  Duncker,  Preußische  Staats- 
schriften.    Bd.  I.     Berlin.  1877. 

A.  E.  Jendrassik,  Das  neue  physiol.  Institut  an  der 
Universität  zu  Budapest.   1877.     4. 

•Der  königl.  Ungarischen  Budapester  Univeraität  Lehr- 
ordnung für  das  Schuljahr  1876— 1877.  1  u.  2.  Halbjahr. 

*Feier  zur  97  jährigen  Reorganisirung  der  Budapester  Uni- 
versität.    1877. 

*Almanach  derselben.  1876—77. 

*Reden  bei  dem  Antritt  von  Rector  n.  Senat  für  das  J. 
1876-77. 

*Rede  zur  Eröffnung  des  Schuljahrs  1876—77. 

Bulletin  de  la  Societe  Ouralienne  d'aroateurs  des  science« 
naturelles.  T.  III.  Nr.  2.  Ekaterinenburg.  1876.  4, 
(Russisch). 

Sitzungrsberichte  der  physik.  medic.  Societät  zur  Erlangen. 
Hft.  9.     1876  -  77. 

H.  Kun  drat,  die  Selbstverdauungsproceese  der  Magen- 
schleimhaut. 


•  Die  mit  *  in  ungar.  Sprache. 


44 

Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sc.  de  St.  Petersbourg.    T. 

XXIV.    Nr.  2. 
Leopoldina.     H.  XIII.    Nr.  21.  2?. 

Geologische  Karte    des  Großh.   Luxemburg    nebat  Weg- 
weiser. 1877. 
Nature.  423-426. 

The  London  Mathem.  Soc.  8.     Nov-  1877. 
ßivista  Europea.    Vol.  IV.  Fase.  2.  6.  6. 
Neaee  Lausitzieches  Magazin.     Bd.  53.     H.  2.  1877. 
Jahresbericht    45    der    Schlee.    Gesellsch.   für    vaterländ. 

Gultur.  1877. 
T.  V.  Ilayden,  Ninth  Annual  Report  of  the  U.  S.  Geo- 

logical  and    Geographica!   öurvey    of    the   Territoreis. 

For  1875, 
Annual  Report  of  the    Board   of   Regents  of  the  Smith- 

souian  Institution.     Washington.  1877. 
E.  Cüues,  Fur-bearing  animals  a  monograph   of  North 

American  Muatelidae.     Ebd.  1877. 
The  Canadian  Journal  of  Science  etc.     Vol.  XV.    No.  6. 

Toponto.  1877. 
Monthiy  Notices  of  the  R.  Astronomioal   Society.     Vol. 

38.     Nr.  1. 
Drei  Gedenktafeln  (v.  Haller,  Gauss,  Germ.  Museum.) 
Abhandl.   der  K.  Akademie   d.  Wiss.    zu    Berlin.     Jahrg. 

1876.     4. 
Sitzungsber.  d.  mathem.  physik.  Cl.  der  Akad.  d.  Wiss.  zu 

München.  1877.     2. 
Atti  della  Soci^»tä  Toscana  di  Scienze  nat.  Vol.  III.  fasc. 

1.     Pisa.  1877. 
Sitzungsberichte  der  K.  Akad.  der  Wiss.  zu  Wien.  1876. 

Philosoph.  -  histor.  Classe.     Bd.  82.     H.  3.    Bd.  83.  H. 

1—4.     Mathem.-naturwiss.  Classe.     Erste  Abth.  Bd.  73. 

H.  1—5.     Bd.  74.     H.  1—2.     Zweite  Abth.     Bd.  73. 

H.  4—5.     Bd.  74.      H.  1-2.     Dritte  Abth.     Bd.  73 

H.  1-5. 
Fontes  rerum  Austriacarum.     Bd.  39.    Wien.  1876. 
Archiv    für   Oesterreichische  Geschichte.     Bd.  64.     H.  2. 

Wien.  1876. 
Publiqations  de  l'Institut  R.  de  Luxembourg.    T.  XVI. 
Vierteljahrsfchrift    der   Astronom.  Gesellsch.      Jahrg.  12. 

-fl.  8. 
Bulletin  de  l'Acftd.  R.  des  Sciences  de  Belgique.     T.  44. 

Nr.  9-10, 

Fortsetzung  folgt. 


i 


45 

.\ach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


30.  Januar.  Aä  2.  1878. 


Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Einige  Worte    über   den   Ursprung  der 
Sprache. 

Von 

Theodor  Benfey. 

Alle  meine  Gebeine  sol- 
len sprechen. 

(Psalm.  XXXV.  10.) 

Schon  seit  ziemlich  langer  Zeit  ist  der  Vf. 
iu  Bezug  auf  das  in  der  Ueberschrift  bezeich- 
nete Problem  zu  Ueberzeugungen  gelangt,  welche 
von  den  ihm  bekannten  Darstellungen  desselben 
wesentlich  abweichen  und  auch  durch  das  Stu- 
dium der  neueren  darauf  bezüglichen  Schriften 
viel  eher  verstärkt  als  geschwächt  wurden. 
Pietät  gegen  anerkannt  bedeutende  Männer, 
welche  sich  mit  der  Lösuug  desselben  seit  mehr 
als  zwei  Jahrtausenden  in  umfassender  oder  frag- 
mentarischer Weise  beschäftigt  haben,  und  eben- 
so sehr  da?  Gefühl  mit  seinen  —  er  möchte  fast 
sagen  —  Ketzereien  vielleicht,  ja  höchst  wahr- 
scheinlich, sehr  vereinsamt  dazustehen,  hielten 
ihn    nicht  bloß    von    der   Veröffentlichung    der- 


46 

selben  ab,  sondern  legten  ihm  aucb  das  Bedürf- 
niß,  ja  die  Noth wendigkeit  nabe,  sie  wiederholt 
der  sorgsamsten  Prüfung  zu  unterwerfen.  Er 
darf  mit  gutem  Gewissen  die  Versicherung  aus- 
sprechen, daß  er  sich  alle  Mühe  gegeben  hat, 
diese  Prüfung  mit  allen  ihm  zu  Gebote  stehen- 
den Mitteln  und  Kräften,  mit  strengster  Unpar- 
theilichkeit ,  mit  Zweifeln,  —  ja  den  ungünstig- 
sten Voraussetzungen  bezüglich  seiner  Berechti- 
gung ,  oder  gar  Befähigung ,  dieser  Frage  auch 
nur  nahe  zu  treten  —  zu  vollziehen.  Aber  auch 
diese  Prüfungen  haben  nicht  vermocht ,  ihn  von 
seinen  üeberzeugungen  abzubringen.  Dennoch  ist 
er  weit  davon  entfernt  zu  verkennen,  daß  die 
große  Schwierigkeit  des  Problems  auch  ihn  in 
die  Irre  geführt  haben  könne  und  würde  dem- 
gemäß auch  jetzt  noch  nicht  wagen,  seine  üeber- 
zeugungen in  Bezug  auf  dasselbe  zu  veröffent- 
lichen, wenn  er  es  nicht  für  eine  unabweisliche 
Pflicht  gegen  die  Wissenschaft  hielte,  Resultate, 
zu  denen  gewissenhafte  und  sorgliche  Erwägung 
geführt  haben ,  mögen  sie  von  hergebrachten 
Ansichten  auch  noch  so  sehr  abweichen,  dem 
öffentlichen  ürtheil  zugänglich  zu  machen. 

§.  1. 

Bei  der  menschlichen  Sprache  treten  uns 
vor  allem  zwei  characteristische  Erscheinungen 
entgegen :  einerseits  werden  Laute  und  Laut- 
complexe  hervorgebracht,  andrerseits  werden 
diese  verstanden. 

Fragt  man  nun  nach  dem  Ursprung  der  er- 
sten Erscheinung,  oder  Thätigkeit:  der  Aeuße- 
rung  von  Lauten,  so  scheint  mir  diese  Frage 
wesentlich  auf  derselben  Stufe  zu  stehen ,  wie 
etwa  die  Frage  nach  dem  Ursprung  des  Gehens* 
d.  h.  wie   das  Gehen  entstanden    sei,   oder   wie 


47 

der  Mensch,  oder  überhaupt  die  Wesen,  welche 
gehen,  dazu  gekommen  seien,  diese  Art  der  Be- 
wegung zu  vollziehen. 

Wollte  man  z.  B.  wissen,  wie  es  komme, 
daß  die  dem  Menschen  nächststehenden  vier- 
füßigen  und  vierhäudigen  Säugethiere  gehen,  so 
glaube  ich  würde  mau  keine  andre  Antwort  zu 
erwarten  haben,  als :  der  im  Organ  des  Intellects 
unbewußt  oder  bewußt  entstehende  Wille  wirkt 
auf  die  motorischen  Nerven ,  welche  in  Folge 
davon  die  Bewegungsorgaue  bestimmen ,  oder 
nöthigen  die  gewollte  Bewegung  auszuführen. 

Fragt    mau    nun     nach    dem  Ursprung    des 
menschlichen  Gehens,    dann    wird    man  dieselbe 
Autwort  erhalten ;  will  man  aber  wissen,  Avarum 
das  Gehen    des  Menschen  von  dem  der  vierfüßi- 
geu   und    vierhäudigen   Thiere    verschieden    ist, 
dann  wird  der  Befragte   die  Verschiedenheit  der 
;schlichen  Bewegungsorgane  von  denen  jener 
ere    erläutern,    wird   hervorheben,    daß    der 
Mensch  von  jenen  vier  Extremitäten  sich  in  der 
Regel    nur    zweier    zur  Fortbewegung    bedient, 
der   andern    beiden   dagegen   zum  Greifen,    daß 
jene  beiden  einen  Bau  haben,  durch  welchen  die 
aufrechte  Stellung   und  Bewegung  derselben  be- 
dingt ist  u.  s.  w.,  würde  jedoch  zu  allem  Ueber- 
fluß  hinzufügen,  daß  aber,  trotz  dieser  Verschie- 
denheit  der  Bewegung,    der  Ursprung   oder  die 
^  ^«ache   derselben    völlig    dieselbe    sei   wie    bei 
verglicheneu  Thieren;  dies  würde  er — wenn 
hig  —  dadurch   zu   erhärten  im  Stande  sein, 
er    nachweist,    daß    auch    bei    den  Thieren 
1  schiedenheiten  der  Bewegung  bestehen,  welche 
/.ig    auf  den   Verschiedenheiten    im   Bau    der 
vv  egungsorgane  derselben  beruhen. 
Diese  Antwort   würde   wesentlich  gleichartig 
ausfallen,  mag  mau  den  Standpunkt  der  Lamarck- 


48 

Darwinschen  Theorie :  die  Entwicklung  der  Arten 
durch  Umbildung  aus  einer  oder  wenigen  ursprüng- 
lichen, einnehmen,  oder  eine  schon  ursprünglich 
verschiedne  Vielheit  von  Arten  festhalten.  In 
jenem  Fall  würde  man  aber  dann  sagen :  es 
giebt  gar  keinen  menschlichen  Ursprung  des 
Gehens,  sondern  das  menschliche  Gehen  ist  nur 
eine  Modification  des  thierischeu,  herbeigeführt 
durch  die  Veränderungen  der  Bewegungsorgane, 
welche  mit  der  Umbildung  eines  menschenähn- 
lichen Thieres  zu  einem  Menschen  verknüpft 
waren.  In  diesem  dagegen :  es  giebt  zwar  einen 
menschlichen  Ursprung  des  Gehens ,  er  beruht 
aber  wesentlich  auf  denselben  Ursachen  ,  d.  h. 
ist  identisch  mit  dem  Ursprung  des  Gehens  der 
Thiere;  von  diesem  ist  er  nur  insofern  verschie- 
den, als  die  Bewegungsorgane  der  Menschen  von 
denen  der  Thiere  schon  ursprünglich  verschie- 
den waren. 

§.  2. 
Es  darf  jetzt  als  anerkannt  verausgesetzt 
werden,  daß  Sprache  im  weitesten  Sinn,  d.  h. 
die  Fähigkeit  sich  einander  verständliche  Mit- 
theilungen zu  machen ,  auch  einer  großen  An- 
zahl von  Thieren  zuzusprechen  ist.  Die  Zei- 
chen, durch  welche  diese  Mittheilungsfähigkeit 
bei  den  Wesen,  welche  sie  besitzen,  verwirklicht 
wird,  sind  noch  nicht  vollständig  erkannt;  da 
jedoch,  so  viel  man  bis  jetzt  annehmen  darf, 
alle  Vermittlung  mit  dem,  was  sich  außer  einem 
Individum  befindet,  nur  durch  die  Sinne  ermög- 
licht wird,  so  werden  auch  diese  Zeichen  zunächst 
durch  Sinnen  Werkzeuge  erfaßbar  sein.  Nehmen 
wir  an,  daß  alle  Thiere,  welche  verständlichei 
Mittheilung  fähig  sind,  nur  dieselben  Sinne  ha- 
ben,   wie    die  den  Menschen    näher   stehenden 


49 

Thiere  uud  der  Meusch  selbst,  dann  würden 
jene  Zeichen  hörbare,  sichtbare,  fühlbare,  riech- 
bare, vielleicht  sogar  schmeckbare  sein  können. 
Allein  die  erst  jüngst  begonnenen  Untersuchun- 
gen über  die  Aufgabe  der  Fühlhörner  bei  den 
Schmetterlingen  machen  auch  diese  Annahme 
unsicher  und  bei  manchen  Thieren  —  bei  denen 
man  nur  dieselben  Sinne  wie  bei  den  Menschen 
voraussetzt  —  mag  es  noch  zweifelhaft  sein, 
durch  welchen  Sinn  sie  die  ihnen  verständlichen 
Mittheilungen  aufnehmen.  So  z.  B.  haben  Lub- 
bock's  Untersuchungen  über  die  Gewohnheiten  der 
Ameisen  (im  Fortnightly  Review  1877,  1  March, 
p.  287  ff.)  den  Beweis  geliefert,  daß  diese,  mit 
einem  auffallend  hohen  Intellect  begabten, 
Thierchen,  wie  er  sich  ausdrückt,  simple  ideas 
einander  mitzutheilen  fähig  sind,  welche  jedoch, 
wie  mir  scheint,  auf  ziemlich  complicirten  Beo- 
bachtungen und  Schlüssen  beruhen;  allein  durch 
welche  Zeichen  diese  Mittheilung  Statt  findet, 
ist,  soviel  mir  bekannt,  bis  jetzt  noch  nicht  mit 
Sicherheit  ermittelt  worden ;  sind  es  hörbare, 
dann  sind  die  Laute ,  deren  sie  sich  bedienen, 
für  ein  menschliches  Gehör  bis  jetzt  unvernehm- 
bar; ob  der  Mangel  eines  Lautapparats  bei  ihnen 
nachgewiesen  sei  —  wodurch  diese  Möglichkeit 
natürlich  ausgeschlossen  sein  würde  —  ist  mir 
nicht  bekannt. 

Doch  für  unsere  Zwecke  ist  dies  von  keinem 
Belang,  da  es  unzweifelhaft  ist,  daß  bei  den 
Thieren,  welche  dem  Menschen  nahe  ste- 
hen, die  Mittheilung,  wie  bei  diesem,  in  der 
Regel  durch  hörbare  Zeichen  Statt  findet. 
Wenn  nun  Jemand  nach  dem  Ursprung  der 
Sprache  dieser  Thiere  fragt ,  so  wird  die  Ant- 
wort wesentlich  dieselbe  sein ,  wie  in  Bezug  auf 
den  Ursprung  des  Gehens :  der  im  Intellect  oder 


50 

dessen  Orgau,  dem  Centralorgaii ,  bewußt  oder 
unbewußt  entstandene  Wille  zur  Mittheilung 
setzt  durch  Nervenleitung  die  Organe  in  Thätig- 
keit,  welche  zur  Ausführung  dieser  Mittheilung 
dienen ,  also,  wo  hörbare  Zeichen  allein  oder 
vorwallend  dazu  bestimmt  sind,  die  Werkzeuge, 
durch  welche  Laute  hervorgebracht  werden. 
Diese  Erklärurg  gilt  natürlich  in  demselben 
Maaße,  wie  für  die  Thiere,  welche  eine  Laut- 
sprache haben  ,   auch  für  den  Menschen. 

§.  3. 
Jetzt  aber  erhebt  sich  eine  große  Schwierig- 
keit. Die  Erklärung,  welche  für  den  Ursprung 
des  Gehens  ganz  genügte ,  genügt  für  den  der 
Sprache,  und  zwar  sowohl  der  der  Thiere  als  Men- 
schen, gewissermaßen  nur  zur  Hälfte ;  sie  er- 
klärt die  —  um  mich  so  auszudrücken  —  active 
Seite  derselben:  den  Ursprung  des  Sprechens, 
nicht  aber  die  andere,  so  zu  sagen,  passive:  den 
Ursprung  des  Verstehens,  d.  h.  wie  es  zuging, 
möglich  war,  oder  möglich  wurde,  daß  einer  die 
Laute  oder  Lautcomplexe ,  welche  ein  andrer 
hervorbrachte,  in  demselben  Sinn  auffaßte,  in 
welchem  dieser  sie  aufgefaßt  wissen  wollte. 
Diese  letztere  Seite  ist  aber  augenscheinlich  für 
die  Erklärung  des  Ursprungs  der  Sprache  die 
wichtigste:  denn  wie  hätte  alle  Bilduug  von 
Lauten  oder  Lautcomplexen,  oder  anderen  Zeichen 
der  Mittheilung  den  Ursprung  der  Sprache  zu 
Stande  zu  bringen  vermocht,  wenn  diese  Zei- 
chen nicht  verstanden  wären  ?  Sie  ist  aber  auch 
am  schwierigsten  zu  begreifen;  denn  auf  den 
ersten  Anblick  scheint  es  fast  unmöglich,  eine 
Lösung  der  Frage  zu  finden,  wie  so  es  zugieng, 
daß  Dinge  und  Zeichen,  zwischen  denen  gar 
kein  natürliches  Verhältniß  besteht,  durch  wel- 


chea  sie  sich  als  eiuauder  deckeud  unmittelbar 
hervortreten  konnten  (wie  z.  B.  das  Wort 
'Wald'  als  Zeichen  für  eine  größere,  einen  grö- 
ßeren Ranm  bedeckende,  Anzahl  von  Bäumen), 
in  eine  so  innige  Verbindung  mit  einander  ge- 
rietheu, daß  der  Sinn,  welchen  der  Sprechende 
oder  überhaupt  der  das  Zeichen  Gebrauchende 
damit  verbindet,  bei  dem  Hörenden,  oder  über- 
haupt bei  dem  das  Zeichen  gewahrenden,  ge- 
weckt wird,  das  Zeichen  bei  ihm  das  damit  ge- 
meinte Ding  zum  Bewußtsein  bringt. 

So  schwierig  aber  auch  die  Lösung  dieser 
Frage  scheint,  so  ist  doch  die  Aufgabe  selbst 
schon  seit  undenklicher  Zeit  gelöst  und  zwar 
nicht  bloß  von  den  Menschen,  sondern,  wie  be- 
merkt, auch  von  einer  großen  Anzahl  von  Thier- 
gattungen,  vielleicht  von  allen  lebenden  Wesen. 

Stellen  wir  uns  nun  auf  den  Darwin'schen 
Standpunkt,  so  fällt  dadurch  die  Frage  nach 
dem  Ursprung  der  menschlichen  Sprache  in 
specie  ganz  weg.  Der  aus  einem  verwandten 
Thier  durch  Umbildung  entwickelte  Mensch  hat 
schon  von  diesem  den  Anfang  oder  gar  die  An- 
fänge der  Sprache  in  die  neue  Ent Wickelung, 
durch  welche  er  Mensch  geworden  ist,  hinüber- 
genommen und  all  die  Steigerungen,  Vermeh- 
rungen und  Umwandlungen  —  gewissermaaßen 
quantitativer  und  qualitativer  Art  —  der  phy- 
sischen und  intellectuellen  Basen  der  Sprache, 
deren  er  im  Verhältniß  zu  den  Thieren  theil- 
haft  geworden  ist,  dienen  nur  dazu,  die  über- 
kommenen Anfänge  der  Sprache  zu  vermehren 
und  sie  bei  den  verschiedenen  naturgemäßen 
Menschencomplexen  zu  Systemen  von  bezeich- 
neuden  Lauten  und  Lautcomplexen  zu  entwickeln, 
welche,  trotz  ihrer  oft  sehr  großen  Verschieden- 
heiten, doch  alle  darin  übereinstimmen,  daß  sie 


52 

die  zu  demselben  Menschencomplex  gehörigen 
in  den  Stand  setzen,  durch  diese  Zeichen  alle 
Gefühle,  Empfindungen,  Wahrnehmungen,  Vor- 
stellungen, Begriffe,  Absichten,  kurz  alles,  was 
sie  sich  zum  Bewußtsein  gebracht,  mag  es  außer 
oder  in  ihnen  vorgehen ,  einander  auf  gegen- 
seitig verständliche  Weise  mitzutheilen. 

Anders  gestaltet  sich  die  Lage ,  wenn  man 
eine  schon  ursprünglich  gesonderte  Entstehung 
der  Arten,  speciell  des  Menschen  annimmt ;  dann 
ist  natürlich  auch  ein  besonderer  Ursprung  der 
menschlichen  Sprache  anzunehmen.  Im  Allge- 
meinen ist  dieser  noch  leichter  denkbar,  als  der 
der  Thiersprachen;  denn  einerseits  stehen  den 
Menschen,  wie  schon  angedeutet,  viel  mehr  Mit- 
tel der  Lautunterscheidung  zu  Gebot,  als  den 
Thieren,  so  die  verschiedensten  Grade  der  Laut- 
Intensivität  - —  die  sich  vom  hohen  Schrei  bis  zum 
leisesten  Geflüster  abstuft  —  die  mannigfachste 
Modulation ,  endlich  die  Articulation ;  ebenso 
verfügen  sie  über  Mittel  den  Sinn,  oder  die  Be- 
deutung der  lautlichen  Bezeichnungen  genauer 
zu  bestimmen ,  welche  den  Thieren ,  wie  es 
scheint,  theils  ganz  theils  fast  ganz  abgehen  und 
in  dem  kleinen  Aufsatz,  welcher  in  den  Göttin- 
ger Nachrichten  1873  S.  408  veröffentlicht  ist, 
als  Accessorien  der  Rede  bezeichnet  sind,  näm- 
lich Augensprache,  Mienenspiel  und  Gebärden. 
Anderseits  setzt  der  höhere  Intellect  der  Men- 
schen sie  in  den  Stand  die  zu  bezeichnenden 
Dinge  bestimmter  zu  erkennen,  zum  Bewußtsein 
zu  bringen,  zu  unterscheiden  und  überhaupt  zu 
bezeichnen. 

Allein  wenn  wir  erwägen ,  daß  die  Thiere 
die  Anfänge  der  Lautaprache  gewonnen  haben, 
ohne  der  Mittel  zu  bedürfen  ,  welche  die  Men- 
schen vor   ihnen   voraus  haben ,   so  können  wir 


53 

uns  der  Vermutliuug  nicht  enthalten,  daß  auch 
ein  besonderer  Urspmng  der  menschlichen  Spra- 
che einzig  den  sprachlichen  Mitteln  verdankt 
wird,  welche  die  Menschen  mit  den  Thieren  ge- 
meinsam besitzen,  so  daß,  in  Bezug  auf  den 
Ursprung  der  menschlichen  Sprache  dessen  Er- 
klärung vom  Darwin'schen  Standpunkt  aus 
auch  bei  Auffassung  des  Menschen  als  eine 
schon  ursprünglich  besondre  Gattung  kaum  mo- 
difieirt  wird.  Bei  beiden  Annahmen  sind  es  die 
thierischen  Eigenschaften  oder  Anlagen  ,  welche 
den  Ursprung  der  Sprache  zu  Stande  gebracht 
haben  und  für  den  Ursprung  selbst  macht  der 
Umstand,  daß  sie  dort  —  nach  der  Darwin'- 
schen Auffassung  —  schon  außer  dem  Men- 
sehen ,  hier,  jedoch  in  gleicher  Weise,  i  n  dem 
Menschen  wirkten ,  keinen  Unterschied.  Die 
Vermuthung,  daß  es  auch  in  letzterem  Fall  nur 
die  dem  Menschen  mit  den  ihm  nächst  verwand- 
ten Thieren  gemeinsamen  Anlagen  waren ,  wel- 
che den  Ursprung  der  Sprache  zu  Wege  brach- 
ten, erhält  aber  auch  dadurch  eine  gewisse  Be- 
stätigung, daß  die  erwähnten  physischen  Mittel 
der  Sprachbildung,  welche  der  Mensch  vor  den 
Thieren  voraus  hat  —  wie  Intensivität  und  Mo- 
dulation der  Stimme  —  schon  die  Bezeichnung 
von  Dingen  durch  Laute  —  d.  h.  den  Ursprung, 
oder  ersten  Anfang  der  Lautsprache  voraussetzen. 
Ja  in  Bezug  auf  die  Articulation  —  durch  wel- 
che die  menschliche  Sprache  sich  am  stärksten 
von  der  der  Thiere  unterscheidet  —  ist  es  von 
schwer  in's  Gewicht  fallender  Bedeutung,  daß 
mehrere  Thiere,  z.  B.  die  Papagayen  u.  s.  w. 
auch  dieser  mächtig  sind.  Freilich  bedienen  sie 
sich  derselben  nicht  unter  einander  zur  Mit- 
theilung, lernen  sogar  erst  durch  Nachahmung 
der  Menschen    articulirte    Wörter    aussprechen ; 


54 

dies  eriunevt  aber  fast  an  Verhältnisse,  welche 
auch  unter  den  Menschen  vorkommen ;  wie  %.  B. 
an  den  Gebrauch  der  Schnalzlaute,  deren  sich 
nur  einige  afrikanische  Völker  zu  sprachlichen 
Bezeichnungen  bedienen ,  während  die  übrigen 
Menschen  sie  zwar  bilden  können,  aber  nie  als 
begriffdifferenziirende  Elemente  in  ihren  Spra- 
chen verwenden. 

Ist  aber  der  Ursprung  der  Lautsprache  bei 
Thieren  und  Menschen  aus  denselben  Basen  zu 
erklären,  dann  wird  eine  Erklärung  desselben 
möglich  werden,  wenn  wir  Erscheinungen  nach- 
zuweisen im  Stande  sind,  welche  beiden  gemein- 
sam sind;  in  Bezug  auf  die  bloß  den  Menschen 
eigenthümliche  Benutzung  articulirter  Laute 
aber  werden  wir  nur  eine  Analogie  mit  jenen 
Erscheinungen  aufzuzeigen  haben. 

§.  4. 
Die  ganze  Menschheit ,  seit  manchen,  wohl 
vielen ,  Jahrtausenden ,  und  jeder  einzelne  seit 
frühester  Jugend  an  Sprachen  gewöhnt,  welche 
einen  Schatz  von  Lauten  und  Lautcomplexen 
besitzen  ,  deren  Bedeutung  den  Mitgliedern  der 
Völker,  welchen  diese  Sprachen  angehören,  be- 
kannt sind,  so  daß  der  Hörende  im  Allgemeinen 
mit  jedem  ihrer  Laute  und  Lautcomplexe  den- 
selben Sinn  verbindet,  wie  der,  welcher  sie  aus- 
spricht ,  kann  sich  kaum  eine  Zeit  vorstellen, 
in  welcher  ein  Sprechender  Laute  und  Laut- 
complexe äußerte,  deren  Sinn  er  nicht  kannte 
und  welche  dennoch  von  einem  Hörenden  in 
dem  Sinn  verstanden  wurden,  welchen  er  — 
wenn  auch  unbewußt  —  damit  verband.  Und 
dennoch  muß  Jeder,  welcher  annimmt,  daß  die 
Sprache  einen  Ursprung  hat  —  eine  Annahme, 
deren    Berechtigung     zu    beweisen     wohl    kaum 


55 

noch  uöthig  seiu  möchte  —  auch  eine  solche 
Zeit  annehmen  ,  mag  er  ihr  gleich  eine  wenn 
auch  noch  so  kurze  Dauer  zusprechen:  denn  in 
dem  Augenblick ,  in  welchem  dem  Sprechenden 
und  Hörenden  auch  nur  ein  Laut  oder  Laut- 
complex  als  Zeichen  für  ein  und  dasselbe  Ding 
oder  einen  und  denselben  Begriff  zu  bewußtem 
geistigen  Besitz  geworden  war,  war  das  erste 
Wort  geschaffen  und  damit  auch  der  Ursprung 
der  Sprache  vollendet.  Das  zweite  wie  jedes 
folgende  Wort  gehört  dem  Stadium  der  Sprach- 
entwickelung an,  auf  welche  die  Aufgabe  dieses 
Aufsatzes  nicht  einzugehen  hat.  Dafür  aber, 
daß  es  eine  Zeit  geben  konnte,  in  welcher  we- 
der der  Sprechende  noch  der  Hörende  einen 
bestimmten  Sinn  mit  den  benutzten  Lauten  ver- 
band und  beide  sich  dennoch  einander  verstan- 
den, d.  h.  eine  Zeit,  in  welcher  die  für  die  Mög- 
lichkeit eines  Ursprungs  der  Sprache  nothwen- 
digen  Bedingungen  sich  vorfanden,  sprechen 
schon  Erscheinungen ,  welche  uns  Tag  für  Tag 
in  den  höchst  ausgebildeten  Sprachen  begegnen : 
wie  oft  drückt  sich  einer  unklar  aus,  braucht 
ein  Wort,  welches  dem  von  ihm  gewollten  Sinn 
nicht  entspricht ,  verspricht  sich  u.  s.  w,,  wird 
aber  von  dem  Hörenden  durch  Wirkung  des 
Zusammenhangs  der  Rede,  der  Umstände,  unter 
denen  sie  gesprochen  wird,  oder  auf  welche  sie 
sich  bezieht  und  anderes  dennoch  ganz  richtig 
verstanden  —  und  zwar  nicht  selten  ,  ohne  daß 
der  Sprecher  oder  der  Angeredete  die  Mängel  in 
der  Form  der  Mittheilnng  erkennen  oder  auch 
nur  ahnen. 

Wie  man  sich  den  Vorgang  vorstellen  könne, 
durch  welchen  Laute  und  Lautcomplexe,  die  ur- 
sprünglich ohne  jedes  Bewußtsein  eines  begriff- 
lichen Werthes  geäußert,  dennoch  von  den  Hö- 


56 

rendeu  verstanden  und  dadurch  Elemente  der 
Sprache  wurden,  d.  h.  mit  Bewußtsein  ihres  be- 
grifflichen Werthes  vollzogene  und  verstandene 
Laute  und  Lautcomplexe,  will  ich  mir  an  einem 
Beispiel  zu  erläutern  versuchen,  welches  dem 
gemeinsamen  Thier-  und  Menschenleben  entlehnt 
werden  möge  und  an  zweien  aus  dem  mensch- 
lichen Leben. 

Das  dem  Ei  entschlüpfte  Vögelchen  piept, 
eben  geborene  Kätzchen  und  Hündchen  winseln, 
des  Menschen  Kinder  wimmern,  schreien,  weinen. 
Alle  diese  Laute  sind  von  dem  Bedürfniß  aus- 
gespreßt  Nahrung  zu  erhalten ;  zuerst  und  wohl 
noch  einige  Zeit  lang ,  am  längsten  bei  dem 
Menschen ,  unzweifelhaft  einzig  in  Folge  des 
durch  den  Mangel  hervorgerufenen  Unbehagens, 
ohne  bewußte  Verbindung  irgend  eines  Sinnes, 
einer  Bedeutung  oder  gar  eines  begrifflichen 
Werthes  mit  diesen  Tönen.  Dennoch  werden 
sie  von  den  Eltern  des  Vögelchen,  der  Mutter 
des  Kätzchen,  Hündchen,  des  Säuglings  verstan- 
den, möglicherweise  von  den  ersten  der  Gattung 
nicht  sogleich,  aber  unter  Beihülfe  der  Umstände, 
des  Naturtriebes,  des  Intellects  doch  sicherlich 
in  kurzer  Zeit.  In  dem  Augenblick,  wo  dies 
der  Fall  ist,  sind  diese  Töne  Elemente  —  wenn 
auch  noch  nicht  vollkomrane  —  der  thierischen  so- 
Avohl  als  der  menschlichen  Sprache  :  sie  sind  hör- 
bare Zeichen,  welche  ein  Verlangen  ausdrücken 
und  verstanden  werden.  Zu  vollkommnen  werden 
sie  durch  das  —  wenn  auch  nicht  in  gleichen 
Graden  —  den  Menschen  und  Thieren  gemein- 
same Erinnerungsvermögen  oder  überhaupt  ihren 
Intellect.  Mit  dem  Erstarken  desselben  merkt 
der  Sproß,  daß  sein  Piepen,  Winseln,  Wimmern, 
Schreien,  Weinen  verursacht,  daß  sein  Bedürfniß 
befriedigt  wird,  die  Mutter,  daß  das  Vögelchen, 


57 

Kätzchen,  Hüudcheu,  Kindchen,  wenn  es  Nah- 
rnng  erhalten  hat,  dadurch  beruhigt  wird.     Bei- 
derseits prägt  sich   die  Erfahrung  dem  Gedächt- 
niß    ein;  Sproß,   Eltern   und  die  ganze  etwaige 
Umgebung   lernen    die    Bedeutung-  dieser   Töne 
vollständig  kennen;   für    beide   erhalten    sie  die 
gleiche   Bedeutung:    lautliche   Zeichen  des    Be- 
dürfnisses   nach  Nahrung    zu  sein;    die    kleinen 
äußern  sie  um  ihr  Bedürfniß  durch  diese  Laute 
knnd    zu  thun ,    die  Mütter   u.  s.  w.    verstehen 
den  Sinn  dieser  Laute :  Sprecher  und  Hörer  ver- 
binden denselben  Sinn  mit  ihnen;    es  sind  voU- 
kommne  Elemente  der  Sprache,  wenn  auch  nicht 
der  articulirten.    Freilich  ist  das  Weinen,  Win- 
seln u.  s.  w.    nicht   bloß   ein  Zeichen   des  Hun- 
gers, sondern  auch  anderen  Ungemachs  und  an- 
deren  Begehrens.     Dadurch    hört   es   aber  eben 
so  wenig  auf  ein  echt    sprachliches  Element  zu 
sein,  als   Wörter   der  ausgebildetsten    menschli- 
chen Sprachen  dadurch  ,   daß  sie  sehr  viele  Be- 
deutungen  haben  oder  haben  können,  aufhören, 
echte  Wörter  zu  sein.     Wie   der  Hörer  die  ge- 
wollte Bedeutung  eines  vieldeutigen  Wortes  aus 
dem  Zusammenhange  oder  begleitenden  Umstän- 
den erkennt,  z.  B.  die   von    'Schärfe'   durch   die 
Verbindung    mit   'des  Schwerdtes',  'der  Augen' 
'des  Verstandes'  'der  Haut',  oder  indem  ein  Spre- 
chender bei  den  Worten:  'siehe  die  Schärfe'  dem 
Hörenden   ein  Messer    zeigt  u.  s.  w.,   so  suchen 
die  Eltern  auch  aus  den  begleitenden  Umständen 
die  specielle  Bedeutung  des  Weinens  zu  erschlie- 
ßen;   wenn   des   Kindes   Hunger  z.  B.  eben  erst 
gestillt  ist,  folgern  sie,    daß   in  dem    gegebenen 
Moment  nicht  dieser  die  Bedeutung  des  Weinens 
sein  könne ;   sie  werden  auf  anderes  rathen,  an- 
dere Versuche  machen,   das  Kind   zu   beruhigen 
und  wenn  ihnen  dieses  gelingt,   annehmen,  daß 


# 

das  Weinen  aucli  anderes  Ungemach  des  phy- 
sischen Lebens  bedeuten  könne,  gerade  wie 
Schärfe  sehr  verschiedene  Eigenschafteu  concre- 
ter  und  abstracter  Objecte  ausdrückt,  die  man 
sich  durch  mancherlei  geistige  Thätigkeiten  klar 
zu  machen  genöthigt  ist.  Sollte  aber  das  Kind 
in  Folge  der  Erfahrung ,  daß  ihm  Weinen  und 
Schreien  in  sehr  vielen  und  sehr  verschiedenen 
Fällen  Befreiung  von  Ungemach  und  Gewinn 
von  Annehmlichkeiten  verschafft  haben,  kraft 
des  menschlichen  Abstractionsvermögens  die  Be- 
deutung dieser  Lautzeichen  zum  Ausdruck  des 
entschiedensten,  keine  Verweigerung  zulassenden, 
Willens  erweitern,  dann  werden  vernünftige  El- 
tern auch  diese  Bedeutung  verstehen,  den  Ver- 
such aber  dazu  benutzen,  dem  Kinde  den  Un- 
terschied zwischen  vernünftigem  und  unvernünf- 
tigem Willen  beizubringen. 

Ein  Beispiel ,  wie  man  sich  den  Ursprung 
eines  articulirten  Wortes  vorzustellen  vermöge, 
entnehme  ich  meiner  eignen  Erfahrung ;  es  leben 
aber  noch  mehrere  glaubwürdige  Personen,  wel- 
che deren  Wahrheit  bezeugen  können;  auch  bin 
ich  überzeugt,  daß  analoge  Erscheinungen  in 
vielen  Häusern  vorkommen ,  aber  wenig  beach- 
tet, oder  wieder  vergessen  werden,  obgleich  deren 
Veröffentlichung  für  manche  sprachliche  Fragen 
nicht  werthlos  sein  würde. 

Ich  kannte  ein  Kind,  welches  etwa  im  sech- 
sten Monat  seines  Lebens,  wenn  ihm  Nahrung 
angeboten  wurde,  die  es  nicht  mochte,  seinen 
Kopf  zurückwarf  und  mit  den  energischsten 
Zeichen  des  Unwillens  'räch'  schrie.  Ich  war 
damals  noch  sehr  jung  —  12 — 13  Jahr  alt  — 
so  daß  ich  nicht  genau  weiß ,  wie  diese  Laute 
zuerst  auftraten ;  ich  vernmthe  jetzt ,  daß  sie 
ursprünglich    nur    eine  Verbindung    von   r  und 


59 

ch  wären,  etwa  in  der  Weise,  wie  diese,  im 
Verein  mit  einer  starken  Verziehung  des  Ge- 
sichts, beim  Eintritt  von  Ekel  von  selbst  sich 
geltend  machen  und  gewissermaßen  einen  Ansatz 
znm  Erbrechen  bilden.  Ist  das  richtig  —  wofür 
ich  aber  nicht  einstehen  will  —  so  waren  sie 
gewissermaßen  zuerst  eine  unwillkührliche  Inter- 
jectiou  des  Ekels.  Allein  schon  sehr  früh  fing 
der  Knabe  an,  diese  Laute  nicht  mehr  —  we- 
nigstens nicht  immer  —  mit  der  energischen 
oder  characteristischen  Eigenthümlichkeit ,  wie 
Interjectiouen  hervorzubrechen  pflegen  —  gleich- 
sam als  wären  sie  ungewollte  Ausbrüche  des 
Gefühls,  im  Gegensatz  zu  den  gewoJlt€n  Aeuße- 
rungen  des  Intellects  —  zu  äußeren,  sondern 
oft  ganz  ruhig,  ganz  wie  ein  Begriffswort,  ge- 
rade als  wenn  es  ruhig  sagen  wollte:  'das  mag 
ich  nicht',  oder,  wenn  bewegter,  'das  will  ich 
nicht'.  Wie  es  gewöhnlich  mit  der  Umgebung 
von  Kindern  geht,  daß  sie  mit  ihnen  ihre  Spra- 
che spricht,  so  geschah  es  auch  in  Bezug  auf 
diesen  Lautcomplex;  er  wurde  zuerst  dem  Kinde 
gegenüber  gebraucht;  wollte  man  daß  dasselbe 
etwas  nicht  berühre,  so  brauchte  man  nur  zu 
sagen  'räch'  und  man  konnte  sicher  sein,  daß 
es  von  ihm  nicht  berührt,  geschweige  in  den 
Mund  gesteckt  wurde;  als  es  die  Bedeutung  der 
Negation  kannte,  brauchte  man  umgekehrt  nur 
begütigend  zu  sagen  'nicht  räch'  und  konnte 
wenigstens  in  vielen  Fällen  dadurch  den  Ab- 
scheu ,  welchen  es  vor  manchen  Dingen  hatte, 
entfernen.  Dieser  ursprünglich  ohne  jedes  Be- 
wußtseiu  eines  begrifflichen  Werthes  hervorge- 
stoßene Laut  war  also  nach  und  nach  und  zwar 
ziemlich  rasch  zu  einem  echten  sprachlichen 
Element  geworden,  von  dem  Sprechenden  in 
einem  ganz  bestimmten  Sinn   gebraucht,  von  den 


60 

Hörenden  in  demselben  Sinn  verstanden  und 
sogar,  oft  nicht  bloß  dem  Kinde  gegenüber,  son- 
dern auch  in  der  Familie  untereinander  ange- 
wendet. Bis  zu  seinem  fünften  Jahre  —  wo 
der  Knabe  mir  für  einige  Jahre  aus  den  Augen 
kam  —  brauchte  er  'räch'  in  den  Bedeutungen 
von  'unangenehm'  bis  'abscheulich'  und  wurde 
darin  nicht  wenig  dadurch  bestärkt,  daß  das 
Wort,  wie  gesagt,  auch  in  der  Familie  in  diesen 
Bedeutungen  gebraucht  wurde.  Später  als  er 
in  seiner  Muttersprache  einen  reichen  Schatz 
von  Wörtern  für  alle  Auf-  und  Abstufungen  des 
'mißfälligen'  fand,  verschwand  das  Wort  natür- 
lich aus  seijiem  Particularlexicon,  wie  es  selbst- 
verständlich noch  weniger  in  der  Familie  seine 
Existenz  lauge  zu  fristen  vermochte. 

Es  braucht  wohl  kaum  bemerkt  zu  werden, 
daß  nach  dieser  Analogie  recht  gut  ein  erstes 
Wort  der  menschlichen  Sprache  entstehen  und 
sich  von  der  Familie  aus ,  in  welcher  es  sich 
eingebürgert  hatte,  über  immer  mehr  sich  er- 
weiternde Kreise  ausdehnen  konnte.  Dagegen 
erlaube  ich  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß 
es  auch  ganz  dazu  geeignet  gewesen  wäre,  die 
Basis  reicher  Eutwickelungen  zu  bilden;  es  läßt 
sich  in  phonetischer  Beziehung  ganz  gut  auf 
eine  Stufe  mit  der  größten  Anzahl  der  soge- 
nannten indogermanischen  Wurzeln  stellen  — 
nämlich  mit  denjenigen ,  welche  aus  einem  zwi- 
schen zwei  Consonanten  gesprochenen  Vocal 
bestehen  —  und  hätte  ganz  wie  diese  eine  Fülle 
von  verbalen  und  nominalen  Bildungen  aus 
sich  zu  erzeugen  vermocht.  Dies  wird  um  so 
unzweifelhafter  erscheinen,  wenn  ich  Recht  habe, 
ihm  eine  Art  interjectiouellen  Ursprungs  zuzu- 
schreiben. Denn  es  ist  bekannt ,  daß  die  luter- 
jectionen  die  Grundlage  für  eine  Fülle  von  ech- 


61 

teil  Sprachbilduugeu  abgegeben  habeu ,  z.  B. 
im  Griechischen  von  aT,  Interjectiou  des  Schmer- 
zes, aid^oa  n.  s.  w. ,  von  o*  in  gleichem  Sinn 
oi^v  u.  s.  w.,  wie  von  unserm  ach:  ächzen; 
sogar  von  o»  (iot  'weh  mir',  als  ein  Wort  ge- 
faßt ,  das  Verbum  oi'/icö'C«  'wehklagen'  mit  einer 
nicht  unbeträchtlichen  Zahl  von  Derivaten. 

Dies  führt  mich  auf  das  zweite  Beispiel  aus  der 
menschlichen  Sprache,  durch  welches  ich  die  Vor- 
stellung, welche  ich  mir  von  der  Entstehung  der 
Sprache,  und  speciell  der  menschlichen,  mache, 
einigermaßen  veranschaulichen  wollte.  Ich  will 
dazu  unsre  deutsche  Interjectiou  des  Absehens 'pfui' 
benutzen.  Zwar  ist  die  Entstehung  derselben,  wel- 
che ich  erwähnen  werde,  obgleich  sie  auch  von 
andern  angenommen  wird  und  unzweifelhaft 
höchst  wahrscheinlich  ist,  keinesweges  ganz  si- 
cher, eben  so  wenig  die  Vermuthung,  welche  sich, 
ebenfalls  mit  großer  Wahrscheinlichkeit .  daran 
knüpfen  lassen  wird ,  allein  für  unsren  Zweck 
würde  dieses  Beispiel  auch  dann  gebraucht  wer- 
den dürfen ,  wenn  diese  Annahmen  bloße  Mög- 
lichkeiten wären.  Daneben  bildet  es  aber  ein 
sichres  Beispiel  wiederum  für  den  Uebergaug 
von  Interjectionen  in  Begriffswörter,  worüber 
man  die  Wörterbücher  der  deutschen  Sprache, 
insbesondre  das  von  Sanders  unter  'pfui'  ver- 
gleichen möge ;  so  erscheint  es  wie  eine  Präpo- 
sition mit  dem  Genetiv ,  Dativ,  Accusativ  con- 
struirt ,  wie  ein  Adverb  mit  den  Präpositionen 
'über',  'auf  verbunden,  wird  behandelt  als  wäre 
es  ein  Substantiv,  ein  Verbum  und  erscheint 
als  zusammengesetztes  Verbum  (anpfujen)  '). 

1)  Beiläufig  bemerke  ich,  daß  dem  von  Sanders  ange- 
führten 'Pfui  dich  an'  ein  plattdeutscher  Reflex  gegen- 
über tritt,  welcher  in  meiner  Jugend  und  noch  später, 
aber  in  einem  Wort  —  nämlich  Fudekan  —   gcspro- 

6 


G2 

Der  Lautcomplex  'Pfui'  wird  wesentlich 
durch  dieselbe  Muudstellung  und  dieselbe  ge- 
waltsame Ausstoßung  des  Luftstromes  hervor- 
gebracht, welche  die  Ausspritzung  von  Speichel 
herbeiführt,  und  da  bei  außerordentlich  vielen 
Völkern  das  Ausspeien  das  stärkste  Zeichen  des 
Abscheus  ist,  auch  bei  unerzogenen  Menschen 
die  Interjection  sogar  von  einem  Ausspeien  be- 
gleitet wird,  scheint  kaum  bezweifelt  werden  zu 
dürfen,  daß  sie  den  Ansatz  zum  Ausspeien  bil- 
det, gerade  wie  uns  oben  'räch'  ursprünglich 
ein  Ansatz  zum  Erbrechen  schien.  Ist  diese 
Annahme  richtig ,  so  sehen  wir  auch  hier  eine 
beabsichtigte  Handlung  zu  einer  Interjection 
werden  und  die  Interjection  den  Character  von 
Begriffswörtern  annehmen. 

Allein  folgende  Betrachtung  macht  es  wahr- 
scheinlich ,  daß  entweder  aus  einem  nahen  Ver- 
wandten dieser  Interjection,  gerade  wie  aus  den 
oben  angeführten,  z.  B.  al:  ala^ca  —  oder  sogar 
aus  einer  Laut- Nachahmung  der  Handlung,  de- 
ren Ansatz  die  Interjection  ausdrückte  und  zwar 
in  verhältnißmäßig  früher  Zeit  —  ebenfalls  Be- 


chen ,  als  eines  der  stärksten  Schimpfwörter  galt ;  ob 
es  jetzt  noch  im  Gebrauch  ist,  weiß  ich  nicht.  Man 
sagte  z.  B.  'du  Fudekan' ,  'solch  ein  Fudekau'.  Nach 
Analogie  des  in  Münden  gebrauchten  'Sidekum'  =  hoch- 
deutsch 'Sieh  dich  um'  als  Bezeichnung  kleiner  Häus- 
chen, von  denen  aus  man  eine  schöne  Aussicht  genießt, 
nahm  ich  Fu  im  Sinn  einer  zweiten  Person  Singularis 
des  Imperativs  und  —  da  'Pfui'  Verabscheuung  ausdrückt, 
ursprünglich  aber,  wie  im  Text  (S.  62)  bemerkt  ist,  höchst 
wahrscheinlich  aus  der  Handlung  des  Ausspeiens  entstand  — , 
die  Zusammensetzung  entweder  im  Sinne  'speie  dich  an', 
oder  'rufe  dir  Pfui  zu'.  Der  Geschimpfte  wurde  demnach 
durch  das  Schimpfwort  als  ein  solcher  bezeichnet,  der 
sich  anspeien,  selbst  vor  sich  den  tiefsten  Abscheu  füh- 
len müßte. 


63 

griffswölter  in  außerordentlich  großer  Anzahl 
hervorgegangen  sind. 

Wesentlich  gleiche  Bedeutung  mit  'Pfui'  ha- 
ben nämlich  bekanntlich  die  fast  lautgleichen 
Interjectionen :  lateinisch  phui,  griechisch  yr. 
Danach  dürfen  wir  wohl  vermuthen,  daß  diese 
Interjectiou,  wenigstens  in  den  indogermanischen 
Sprachen  Europas,  schon  zur  Zeit,  in  welcher 
diese  noch  eine  Einheit  bildeten,  gebraucht  ward. 
Da  nun  aber  Verschärfung  des  Luftstroms  den 
Zischlaut  herbeiführt,  so  ist  es  gar  nicht  un- 
möglich, daß  lateinisch  spuo,  sammt  den  ihm 
entsprechenden  Wörtern  mit  der  Bedeutung 
speien  (vgl.  Fick,  P,  835  und  Pott.  Etym. 
Fschgen,  2te  Aufl.,  I.  2  [1867],  S.  1367)  die 
Reflexe  und  Derivate  eines  ihnen  zu  Grunde  lie- 
genden Verbums  sind,  welches  entweder  aus 
jener  luterjection  hervorgegangen  war,  oder, 
wie  diese  selbst ,  ebenfalls  aus  der  im  Ansatz 
zum  Speien  stehen  gebliebenen  Nachahmung 
dieser  Handlung. 

Was  die  letztere  Auffassung  betrifft,  so  läßt 
sich  wenigstens  nicht  in  Abrede  stellen,  daß 
diese  Weise,  die  Handlung  zu  bezeichnen,  eine 
sehr  nahe  liegende  war,  daß  sie  sich  wenigstens 
nach  und  nach  unwillkürlich  von  selbst  ergeben 
und  von  dem  Hörenden  unmittelbar  verstanden 
werden  konnte.  Stellen  wir  uns  z.  B.  vor,  daß 
Jemand  etwas  im  Munde  hatte  und  ein  andrer 
wünschte  —  etwa  weil  er  es  für  nachtheilig  für 
ihn  hielt  —  daß  er  es  ausspeie ,  dann  mochte 
er  ihm  zuerst  wohl  die  Handlung  des  Aus- 
speiens  vormachen :  kam  es  aber  mehrmal  vor, 
dann  durfte  der  eine  wohl  mit  Sicherheit  erwar- 
ten ,  daß  schon  die  gewaltsame  Aeußerung  der 
beim  Ausspeien  eintretenden  Laute  (sphu  oder 


64 

spu)   genügen  würde,  den  andern  zum  Vollzug 
dieser  Handlung  zu  bestimmen. 

§.  5. 
Doch  diese  Beispiele,  so  gering  auch  ihre 
Anzahl  ist,  mögen  für  den  beabsichtigten  Zweck 
genügen ;  ich  könnte  sie  mehren ;  allein  ich 
fühle  eine  gewisse  Scheu ,  mich  einem  Problem, 
dessen  vollständige  Lösung,  seiner  ganzen  Natur 
nach,  wohl  in  alle  Ewigkeit  eine  Unmöglichkeit 
bleiben  wird ,  zu  sehr  zu  näheren.  Auch  hat 
jeder  Versuch  weiter  vorzudringen,  den  Ursprung 
der  Sprache  sogar,  wie  er  thatsäclilich,  historisch 
vor  sich  gegangen  sei ,  schildern  zu  wollen,  als 
ob  man  dabei  gewesen  wäre ,  —  geradezu  und 
unumwunden  gesprochen  —  fast  immer  zu  wahr- 
haft lächerlichen  Absurditäten  geführt;  und 
zwar  keines weges  bloß  unbedeutende,  sondern 
selbst  solche  Männer,  vor  deren  geistigen  An- 
lagen man  die  höchste  Achtung  haben  muß ; 
sie  ließen  sich  von  Phantastereien  gefangen  neh- 
men, zogen  aus  Voraussetzungen,  deren  Berech- 
tigung sie  nicht  hinlänglich  geprüft  hatten,  un- 
berechtigte Folgerungen,  oft  mit  großem  Scharf- 
sinn ,  aber  zugleich  ohne  besonnenes  Urtheil. 
Ich  wage  es  nicht,  weder  das  erste  menschliche 
Wort,  noch  die  Veranlassung  des  ersten  Schreis, 
errathen  oder  ergründen  zu  wollen  ;  ich  möchte 
es  nicht  einmal  über  mich  nehmen  zu  bestim- 
men, welcher  Categorie  jenes  angehörte,  ob  der 
der  Interjectionen,  oder  der  Schalhiachahraungen, 
ob  es,  durch  einen  mächtigen  Eindruck  hervor- 
gerufen, gleichsam  als  dessen  Reflex,  oder  Echo 
ertönte,  oder  ob  es  aus  der  bloßen  Lust  an  den 
mannigfachen  Lauten  ,  deren  der  Mensch  sich 
mächtig  fühlte,  hervorbrach  und,  unter  Beihülfe 
der  erwähnton  Accessorien    der  Lautspracho,  zu 


65 

einem,  mit  dereu  Hülfe  leicht  verstäudliclieD,  Be- 
griflfwerth  gelangte.  Unter  diesen  nnd  andern 
Möglichkeiten  wage  ich  nra  so  weniger  eine 
Wahl  zn  treffen,  als  ich  glaube  überzeugt  sein 
zu  dürfen ,  daß  unter  dem  mächtigen  und  un- 
widerstehlichen Druck  des  Bedürfnisses  gegen- 
seitig verständlicher  Mittheilung,  welcher  in  den 
Anfängen  der  Sprache  herrschte  —  denn  was 
man  kann,  das  muß  man  —  aTle  physi- 
schen und  geistigen  Kräfte  sich  au  dem  ersten 
Wort  ebenso  wohl  wie  an  den  ersten  bethei- 
ligen konnten  nnd  daß,  um  jenem  Bedürfniß 
zu  genügen,  mehrere  derselben  —  vielleicht  zu- 
gleich —  thätig  waren ,  etwa  so  wie  es  der 
große  Königliche  Sänger  in  den  Worten,  welche 
ich  an  die  Spitze  dieses  Aufsatzes  gestellt  habe, 
beim  Preise  Gottes  von  sich  selbst  verlangt. 
Freilich  möchte  ich  mir  dann  erlauben  in  der 
üebersetzung  dieses  Mottos  statt  'Gebeine'  ein 
anderes  Wort  zu  unterstellen  und  die  hebräi- 
schen Worte  zu  übertragen:  'Alle  meine 
Kräfte  (die  der  Seele  wie  die  des  Leibes) 
sollen  sprechen'.  Doch  dies  droht  uns  schon 
in  die  Entwickelung  der  Sprache  hinüber  zu 
führen,  der  wir  für  jetzt  fern  zu  bleiben  beab- 
sichtigen. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 
(Fortsetzung). 

Ännales   de  l'Observatoire  R.  des  Sciences  de  Bel^que. 

T.  XXIII-XXV.     1874—77.    4. 
Annuaire  de  l'Observatoire  R.  1877.     44e  annee. 
Notices  extraites  de  TAnnuaire  pour  1875.    Idem  pour  1876. 

7 


66 

E.  Mailly,  Essai  sur  la   vie  et  les  ouvrages  de  L.  A. 

J.  Qaetelet. 
Les  Perseides  en  1874.    Aurores  boreales  du  moie  d'Oc- 

tobre.  1874. 
M.  M  eisen s,  de  l'application   du  Rhe-Electrometre  aux 

paratonneres  des  telegraphes. 
Ern.  Quetelet,   memoire    sur  la  temperature  de  l'air 

ä  Bruxelles.     1833-1872.     4. 
The  Transactions  of  the  Linnean  Society.    Ser.  II.  Zoo- 

logy.    Vel.  I.  P.  4.    4. 
Idem.   Botany.  Serie  II.     Vol.  I.  P.  4.    4. 
The  Journal  of  the  Linnean    Soc.  Botany.  Vol.  XV.   Nr. 

85-88.    Vol.  XVL    Nr.  89-92. 
Idem  Zoology.  Vol.  XII.    Nr.  64.  Vol.  XIII.  Nr.  65- 7L 
List  of  the  Linnean  Society.  1876. 
Bulletin  de  la  Soc.  mathem.  T.  VI.  Nr.  1. 
Jahresbericht  7    des  naturwiss.  Vereins    zu    Magdeburg. 

1877. 
Verhandlungen  des    naturwiss.  Vereins  von  Hamburg.  — 

Altena.     Neue  Folge.  1. 
Bulletin  of  the   American  Geographical  Society.  Session 

of  1876-1877.    Nr.  4.     New  York.  1877.    8. 
Monatsbericht   der   Königl.  Pr.  Akademie    der   Wiss.  zu 

Berlin.    Sept.  October.  1877. 


(37 

Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


20.  Februar.  M.  8.  1878. 


Königliche  (lesellschaft  der  Wissfnschaften. 

Sitzung  vom  2.  Februar. 

Wüfltenfeld,  Die  Familie  el  Zubeir.  Abth.  2.  Tod 
des  Mag'ab  ben  el-Zubeir.  Arabisch  und  Deutsch.  (Er- 
scheint in  den  Abhandlungüo). 

Benfey,  Altpersjsch  Mazdäh,  Zendisch  Mazdäonh, 
Sanskritisch  Medhä's.  Eine  grammatisch-etymologische 
Abhandlung.     (Erscheint  in  den  Abhandlungen). 

—  Mahä'm,  Nom.  sing.,  drittes  Beispiel. 

—  Die  eigentliche  Accentuation  des  Indicativ  Praesentis 
von  i?  »sein«  und  <fcc  »sprechen«. 

de  Lagarde,  Kritische  Anmerkungen  zum  Bache  Isaias. 
(Erscheint  in  den  Abhandlungen). 

J.  Petersen  in  Kopenhagen ,  Beweis  eines  Lehrsatzes 
betreffend  die  Integration  algebraischer  Differential- 
ausdrücke unter  geschlossener  Form.  (Vorgelegt  von 
Schwarz). 

Riecke,  Mittheilung  einer  Experimentaluntersuchung 
von  Carl  Schering  über  Reibungsströme. 

Marme,  Mittheilungen  aus  dem  pharmacologischen  In- 
stitut zu  Göttingen. 

1.  Exp.    Beiträge    zur   Wirkung   des   Pilocarpin   von 
Prof.  Manne. 

2.  üeber  Milchinfusionen  von  N.  Wulfsberg. 

3.  Untersuchung  einer   neu  importirten   afrikanischen 
Rinde  von  N.  Wulfsberg. 

Lang,  Beiträge  zur  Physiographie  gesteinbildender  Mi- 
neralien.   IL 


68 

Beweis  eines  Lehrsatzes  betreffend 
die  Integration  algebraischer  Diffe- 
rentialausdrücke bezi ehan g  sw  e i se 
algebrai  scher  Differentialgleichun- 
gen unter  geschlossener  Form. 

Von 

Dr.  Julius  Petersen  in  Kopenhagen. 

Bei  der  Integration  eines  algebraischen  Diffe- 
rentialausdruckes bietet  sich  die  Frage  dar: 
Welche  Gestalt  muß  ein  solcher  Ausdruck  ha- 
ben, wenn  es  möglich  sein  soll,  das  Integral 
desselben  mittelst  algebraischer  Functionen  und 
der  Function  Logarithmus  in  geschlossener  Form 
darzustellen  ? 

Diese  für  specielle  Fälle  von  Abel  beant- 
wortete Frage  ist  selbst  ein  specieller  Fall  einer 
allgemeineren. 

Erstens  kann  nämlich  an  die  Stelle  der 
Function  Logarithmus  eine  endliche,  übrigens 
beliebig  große  Anzahl  von  transcendenten  Func- 
tionen, treten,  welche  einzeln  oder  in  Verbindung 
mit  einander  sowie  mit  algebraischen  Functionen 
zur  Darstellung  des  Integrals  sollen  benutzt  wer- 
den dürfen.  Unter  dieser  allgemeineren  Voraus- 
setzung wird  man  gleichfalls  berechtigt  sein, 
von  einer  Darstellung  unter  geschlossener  Form 
zu  reden,  sobald  festgesetzt  ist,  welche  transcen- 
denten Functionen  neben  algebraischen  zu  einer 
solchen  Darstellung  sollen  benutzt  werden  dür- 
fen, wobei  dann  jede  einzelne  dieser  Functionen 
nur  eine  endliche  Anzahl  Mal  vorkommen  darf. 
Bezüglich  der  transcendenten  Functionen  wird 
hierbei  die  Voraussetzung  festgehalten,  daß  die- 
selben einzeln  durch  algebraische  Differential- 
gleichungen   erster   Ordnung    erklärt  sind,    für 


60 

weiche  ein  algebraischer  integrirender  Factor 
existirt. 

Zweitens  kann  man  an  die  Stelle  der  er- 
wähnten Integralfunction  das  allgemeine  Integral 
einer  algebraischen  Differentialgleichung  erster 
Ordnung  treten  lassen ,  indem  man  folgende 
Frage  stellt :  Die  Veränderlichen  a^,  y  sind  durch 
eine  algebraische  Differentialgleichung  erster 
Ordnung  mit  einander  verbunden;  unter  welcher 
Bedingung  ist  es  möglich ,  dem  allgemeinen 
Integrale  dieser  Differentialgleichung  die  Form 
u  =  f[x,  y,  c)  =  0  zu  geben,  wo  c  die  Con- 
stante  der  Integration  bedeutet,  während  u  in 
geschlossener  Form,  d.  h.  mittelst  algebraischer 
Functionen  und  einer  endlichen  Anzahl  gegebener 
transcendenter  Functionen  der  vorher  erwähnten 
Art  dargestellt  werden  kann? 

Diese  Frage  findet  durch  den  im  Nachfolgen- 
den zu  beweisenden  Lehrsatz  ihre  Beantwortung. 

1. 

Eine  algebraische  Function  eines  oder  meh- 
rerer Argumente  wird  erklärt  als  Wurzel  einer 
algebraischen  Gleichung ,  deren  Coefficienten 
ganze  rationale  Functionen  der  Argumente  sind. 

Die  Abgeleiteten  einer  algebraischen  Function 
sind  wieder  algebraische  Functionen  der  Argumente. 

Solche  Functionen  nun,  deren  Abgeleitet« 
algebraische  Functionen  der  Argumente  sind, 
mögen  hyperalgebraische  Functionen  ge- 
nannt werden.  Solche  sind  z.  B,  log  o;,  arc  sin  jr, 
die  elliptischen  Integrale  u.  s.  w.  Die  algebrai- 
schen Functionen  sind  hiernach  als  specielle 
Fälle  unter  den  hyperalgebraischen  enthalten. 

2. 
Jede  algebraische  Differentialgleichung  erster 

8* 


70 

Ordnung  mit  einer  abhängigen  Variablen  w  und 
n  unabhängigen  Variablen  z;,,  v^  ...  v„  läßt 
sich  auf  die  Form  bringen. 

(1)   d<o^N^dVi-{-N^dv^-\-..-\-N„dvn  =  0, 

wo  JVj,  N^  ..  Ntt  algebraische  Functionen 
der  Größen  Vj,  v^  .  .  Vn  und  w  bezeichnen, 
welche  den  bekannten  Integrabilitätsbedingungen 
genügen. 

Die  Gleichung  (1)  bestimmt  im  Allgemeinen 
a>  als  eine  transcendente  Function  der  w  Argu- 
mente «Jj,  ^2  ..  Vn-  Sind  die  Größen  iV nur  von 
den  Größen  v,  nicht  aber  von  «  explicit  ab- 
hängig, so  ist  <ö  eine  hyperalgebraische  Func- 
tion der  Größen  v. 

Es  bezeichne  (f  einen  integrirenden  Factor 
für  den  auf  der  linken  Seite  der  Gleichung  (1) 
stehenden  Differentialausdruck,  und  ü  bezeichne 
die  Function  von  f  j,  v^  •  •  v^,  o),  für  welche 
die  Gleichungen 

,^,     dU  dU  ,,  du 

2)       _     =  (p;     ^---  =  <pNi  ...—-  =  g,Nn 

erfüllt  sind.  Während  ein  Theil  der  folgenden 
Untersuchungen  allgemeine  Geltung  hat,  wird 
in  No.  7  und  im  Folgenden  die  besondere 
Voraussetzung  zu  Grunde  gelegt,  daß  es  unter 
den  unendlich  vielen  integrirenden  Factoren 
einen  gebe,  welcher  eine  algebraische 
Function  der  Größen  t',,  t;^  ...  v„  und  o)  ist. 

3. 

Sind  die  Variablen  ü,,  v^  .-•  v„,  von  denen 
die  in  No.  2  betrachtete  transcendente  Function 
w  abhängt,    algebraische  Functionen   von    aude- 


71 

ren  Variablen  w^,  lo.^  ...  w^^,  welche  anstatt 
der  Größen  ?'  als  unabhängige  Variable  betrach- 
tet werden  sollen,  so  geht  die  Transcendente  « 
in  eine  Function  der  Größen  v:  über. 

Ein  Ausdruck  nun,  welcher  nur  algebraische 
Functionen  einer  oder  mehrerer  Großen  »  und 
von  deren  Argumenten  w  enthält,  soll  eine 
transcendente  Function  erster  Stufe  der  Grö- 
ßen w  genannt  werden. 

Eine  transcendente-  Function  erster  Stufe, 
deren  Argumente  w  in  Bezug  auf  andere  Va- 
riable —  welche  anstatt  der  Größen  «;,  als  unab- 
hängige Variable  betrachtet  werden  sollen,  — 
selbst  wieder  transcendeute  Functionen  erster 
Stufe  sind,  soll  in  Bezug  auf  diese  neuen  Argu- 
mente eine  transcendente  Function  zweiter 
Stufe  genannt  werden. 

Auf  diese  Weise  können  transcendente  Func- 
tionen beliebig  hoher  Stufe  erklärt  werden. 

Wenn  man  eine  solche  Function  betrachtet, 
so  kann  man  von  vornherein  annehmen,  1)  daß 
keine  der  in  Betracht  kommenden  Transcenden- 
ten  sich  auf  eine  niedrigere  Stufe  reduciren 
lasse ;  d.h.,  daß  keine  dieser  Transcendenten 
eine  algebraische  Function  von  Transcendenten 
derselben  Art  sei,  welche  sämmtlich  von  niedri- 
gerer Stufe  sind  als  sie  selbst  und  2)  daß  die 
Anzahl  der  eingehenden  Transcendenten  höch- 
ster Stufe  möglichst  klein  sei,  d. .h.  daß  zwi- 
schen denselben  und  Transcendenten  niedrige- 
rer Stufe  keine  algebraische  Gleichung  bestehe. 
Wären  nämlich  die  unter  1)  und  2)  angegebenen 
Voraussetzungen  nicht  erfüllt,  so  ließe  sich  der 
betrachtete  Ausdruck  in  einen  anderen  und  zwar 
in  einen  einfacheren  tiberführen,  für  welchen 
jene  Voraussetzungen  erfüllt  sind. 

Hieraus  ergiebt  sich,   daß  jede  algebraische 


72 

Gleichung  zwischen  deu  erwähnten  Transcenden- 
teu  höchster  Stufe  und  anderen  Transceudeuteu 
niedrigerer  Stufe  bezüglich  der  ersteren  iden- 
tisch erfüllt  sein  muß.  Wäre  dieses  nämlich 
nicht  der  Fall,  so  könnte  eine  solche  Gleichung 
zur  Elimination  einer  der  Transcendenten  aus 
dem  Ausdruck  und  folglich  zur  Vereinfachung 
desselben  benutzt  werden. 

4. 

Es  sei 

(3)  dy  =  P,  dx,  ^P^dx^-i-...-i-  P^dxk 

eine  gegebene  algebraische  Differentialglei- 
chung erster  Ordnung.  Die  Größen  P  sind  also 
algebraische  Functionen  von  x^,  x^  .  .  ic/t  und  y, 
welche  den  Integrabilitätsbedingungen  genügen. 
Wir  nehmen  an,  es  sei  möglich,  das  allge- 
meine Integral  dieser  Differentialgleichung  in 
die  Form 

(4)  u  =  f{Xi,x,^  . .  x^^  y,  «1,  0)2  . .  ««)  =  const. 

zu  setzen,  wo  /'  eine  algebraische  Function  ihrer 
Argumente  ist,  und  die  Größen  to  transceudente 
Functionen  beliebiger  Stufen  von  x^^  x^  ...  x. 
und  y  sind.     Mau  setze  nun 

u  =  F{Xi,  a;^  ..  Xj.,  y,  m) 

indem  man  eine  der  Transcendenten  höchster 
Stufe  mit  oo  bezeichnet  und  alle  übrige  Abhän- 
gigkeit —  insofern  nämlich  auch  die  übrigen 
Größen  w  von  y  und  von  den  Größen  x  ab- 
hängen — ,  durch  das  Functiouszeichen  F^  be- 
zogen auf  die  Argumente  x  und  y  ausdrückt. 
{F  ist  demnach  in  Bezug  auf  w  eine  algebraische 
Function). 


73 

Hierbei  wird  iudeß  der  Fall  ausgenommen,  in 
welchem 

(5)  u  =  ^, -f  ^^-f  ...-f  w, 

ist,  wo  M,  eine  algebraische,  ^p^,  tp^  •••  hyper- 
algebraische Functionen  sind ,  während  unter 
den  Argumenten  dieser  Functionen  Transcenden- 
ten  nächsthöchster  Stufe  vorkommen  können. 
In  diesem  Ausnahmefalle  bezeichne  eo  eine  der 
vorkommenden  Transcendenten  nächsthöch- 
ster Stufe,  so  daß  m,  eine  algebraische, 
^1,  ^2  •••  hyperalgebraische  Functionen  von  ca 

sind.     In  allen  Fällen    wird   also  <a  in    ,—    nur 

o» 

algebraisch  und  neben  Transcendenten  von  der- 
selben oder  von  niedrigerer  Stufe  vorkommen 
können. 

Bei  den  folgenden  DiflFereutiationen  soll  un- 

du        .duöFSF        ^     , 

ter  -r—  und    .—  stets  -^-  und    ^  verstanden  wer- 
öx^  oy  ox^  oy 

den,  indem  dem  Zeichen  6  die  Bedeutung  beige- 
legt wird:  partielle  Differentiation  in  Bezug  auf 
eine  gewisse  Variable  insofern  diese  sich 
explicit  unter  den  Argumenten  der 
Function  befindet;  wir  schreiben  also  z.B. 

du    du        6u  d<a 

dxi        dxi       dtodx/ 

Die  Bedingungen  dafür,  daß  die  Differential- 
gleichung (3)  durch  die  Gleichung  (4)  allgemein 
integrirt  wird,  sind  {i  =  1,  2  .  . .  h) 

...     du    ^   du  dco    ,    /<Jf<   ,   du  d(o\  _ 


74 

Diese  Gleichungen  sind  in  Bezug  auf  die 
Transcendente  «  algebraische  Gleichungen ;  in 
Folge  der  unter  No.  3  getroffenen  Voraussetzung 
müssen  also  diese  Gleichungen  identisch  erfüllt 
sein.  Man  darf  daher  in  Bezug  auf  «  differen- 
tiiren  und  erhält 

dhi         d^u    d(o        6u  d  idca\ 
6x{d(a       d(o^ '  dx^        den  den  \dx^) 

I  d^u         ö^u    dm       du    6   /dioy. 
\dyd(o       da^'  dy        6(o  6co\dyfj     * 

Die  linke  Seite  dieser  Gleichung  multiplicire  man 
mit  a,  einer  nachher  zu  bestimmenden  Function 
von  iCji  x^  ...  und  «/,  und  setze 


du 


dann  ist 


dß  I  öhi  d(o  d^u  i       6u     da 

dxi  \dft)2  dxi      (8xi  öco]      6(ti  '  dxi 

dß  I  d^u  dca    ,     6^u   \    ,    du    da 


+  J^)  + 


dy  \  d(o^  dy        öy  da  '        da  '  dy ' 

Bestimmt   man   nun    die   Function   a   durch 
die  Gleichungen 

da    d    /ö«\       da  _        d   ida, 

^        dXi  daydxj'     dy  da\dyi 

( —  die  Möglichkeit  dieser  Bestimmung  wird 
später  bewiesen  werden  — )  so  lassen  sich  die 
Gleichungen  (7)  schreiben,  wie  folgt: 


dy     . 
oder  es  ist,  wenn  wir  für  Fi    _—  emsetzeu, 


ß  =  const. 

Hieraus  folgt:  Wenn  n  die  Gleichungen  (8)  be- 
friedigt, so  ist  ß  =  c  entweder  eine  Identität, 
oder  eine  neue  Form  der  Integralgleichung 
von  (3). 

Wir  wollen  jetzt  beweisen,  daß  es  immer  un- 
endlich viele  Functionen  a  giebt,  die  den  Glei- 
chungen (8)  genügen.     Zu  diesem  Zwecke  setzen 

wir  a  =  und  erhalten ,  indem  x  sowohl  x. 
als  y  bedeuten  kann, 

^=  dx-^'^öAdx) 
d<f>  S  ,6(0  öt'i      ^0»  dv^  j^      \ 

Nun  ist  aber  in  Folge  der  Gl.  (1) 

dv 

also,  da  die  Größen  ~-    ca  nicht  enthalten, 

ox 

dx       ^\da   dx  ^   6to  dx    '^   ") 


76 

Diese  Gleichung  ist  befriedigt,  wenn  tp  ein 
iutegrirender  Factor  von  (1)  ist,  denn  man  hat 
in  diesem  Falle 

d(f^  dcpda       d(f  dvi       ötp  dv^ 

dx         dm  dx       öv^  dx       dv,,  dx 


wo 


also 


dvi   ~      dm      ~  ^Uw  +  ^do)' 


dx  "  dm\dx^     '  dx  ^     ""  dx  ^"J 

^  ^\dm   dx  ^  dm    dx  ^   ") 

mithin,   da    die  Klammergröße    des  ersten  Glie- 
des  der   rechten  Seite   identisch  gleich  Null  ist 


d(p 
dx 


'^\6m    dx'^  dm    dx'^") 


Ist  also  (f  ein  integrirender  Factor 

von   (1),   so   befriedigt  a  =  -    die  Glei- 
^  (p 

chungen  (8). 

Es  ist  also  der  folgende  Satz  bewiesen: 

Wenn  die  Differentialgleichung 

dy  =  P,  dx,  -{-P^dx^^...^  TkäXk 

mit   einer    abhängigen    Variablen  das 
Integral 


77 

u  =  F(x^,  a^j... //,  «)  ==  c 
oder 

V.  4- ^2 +  •••  +  »,    =  c 

hat,  wo  o)  eine  der  Trausceudenten 
höchster  beziehungsweise  nächsthöch- 
ster Stufe  ist,  so  ist 

Su 

(10)  ^  =  c, 

entweder  eine  Identität,  oder  eine 
neue  Form  der  Integralgleichung. 


Die  Bedingungsgleichungen  (6)  sind  in  Be- 
zug  auf  «  identisch;  die  Abgeleiteten  —-  ent- 
halten die  Integrationsconstante  der  Function 
nicht  explicite,  sondern  nur  insofern,  als  diesel- 
ben gegebene  Functionen  von  w  sind  ;  man 
kann  daher  der  in  öj  eingehenden  Con- 
staute  jeden  Werth  beilegen,  ohne 
daß  «t  =  c  aufhört,  eine  Integralglei- 
chung von  (3)  zu  sein. 


6. 

Hat  u  nicht  die  Form 

und   ist   (10)    keine  Identität,  so   hat  mau  zwei 
Formen  der  Integralgleichung 


78 

1  du 

- . -f—  =  c,   und  u  =  c; 
g)    0(0 

man  muß  dann  haben 

(")  ,-•£  =  -(«) 

wo  ^eine  unbekannte  Function  ist.  Hieraus  folgt 

Der  Fall,  in  welchem  (10)  eine  Identität  ist, 
ist  hierunter  einbegriffen,  indem  dann  ^(u)  eine 
Constante  wird.  In  ftp  dm  ist  nur  ca  als  varia- 
bel 7Ai  nehmen. 

Die  Größe  auf  der  linken  Seite  ist  eine  Func- 
tion von  w;  sei  (w)  der  Werth  von  «,  den  wir 
aus  u  =  c  entnehmen  können,  so  ist 


(13)       •  j,-;^=U'«'», 


SO  daß 


du 
c  \w) 


Ü) 


(14)  /(pdco  =  c 
H 

eine  neue  Integralgleichung  ist.     Die  Größe  (w) 
enthält   «   nicht,   sondern   ist  eine   algebraische 
Function  der  übrigen  Transcendenten, 
Durch  Integration  von  (1)  erhält  man 

w  r,  Vi 

(15)  \<fd<o+i\<fN,-]dv,  -^[lcfN,]dv^  f ..  =  0, 

;:         1       «         J       «.* 


79 
wo  a,  &,  c . .  beliebige  Constanten  sind  und  [cfN/^] 

a,b.. 
bezeichnet,  daß  a  für  m,  h  für  r,  u.  s.  w.  ein- 
gesetzt ist.  In  Folge  dieser  Gleichung  wird 
die  Integralgleichung  (14) 

(16)     yfdco  -\-  \[(pNi\  dv^  -f-  •  •  •  =  const. 


7. 

Wir  wollen  jetzt  eine  Einschränkung  ein- 
treten lassen,  indem  wir  voraussetzen,  daß  es 
unter  den  integrirenden  Factoren  (p 
der  Differentialgleichung  (1)  einen 
giebt,  der  eine  algebraische  Function 
von  w,  r,,  t'2  •••  ist.  (Dieselbe  Voraussetzung 
bezieht  sich  auf  die  DiflFereutialgleichuugen,  durch 
welche  die  übrigen  Trauscendenteu  «,•  erklärt 
werden).    In  der  Bestimmungsgleichung  für  cd 

ü  =  c 

ist  dann  ü  eine  hyperalgebraische  Function  von 
0»,  v^  fj  ...  Da  die  Integralgleichung  (16)  aus 
U  =  c  gebildet  wird,  wenn  mau  (w)  für  lo  ein- 
setzt —  (daß  man  durch  diese  Einsetzung  eine 
neue  Form  der  Integralgleichung  erhält,  ist 
auch  unmittelbar  einleuchtend)  —  so  ist  ihre 
linke  Seite  eine  hyperalgebraische  Function  von 
(co),  v^,  V.2  ...  Unter  diesen  Größen  kommt  « 
nicht  vor. 

Der  Integralgleichung  kann  also  in  allen 
Fällen  die  Form  gegeben  werden 

(17)  V  =  const., 


80 

wo  tp  eine  hyperalgebraisch«^  Fanction  ihrer  Ar- 
gumente ist.      (Die  Form  (5)  ist  offenbar  auch  in 

(17)  enthalten).  Ist  nun  w^-  eine  der  unter  dem 
Functionszeichen  xp  enthaltenen  Transcendenten 
höchster  Stufe,  so  ist 

-L  ^  _ 
Vi '  «^«i  ~  ^' 

entweder  eine  Identität  oder  eine  neue  Form 
der  Integralgleichung.  Das  letztere  ist  nicht 
möglich,  weil  in  dieser  Gleichung  keine  neue 
Transcendente  und  auch  w  nicht  mehr  vor- 
kommt, während  vorausgesetzt  war,  daß  es  un- 
möglich wäre,  die  Anzahl  der  in  w  =  c  vor- 
kommenden Transcendenten  höchster  Stufe  zu 
verkleinern.      Wir    müssen  also  identisch  haben 

(18)  '£  =  c,v, 
somit 

(19)  ip   =   C»5^e^«»  +  [V1„_^ 


WO  a  eine  beliebige  Constante  ist.  Das  Integral 
läßt  sich  hier,  vermittelst  der  Bestimmungs- 
gleichung für  «;•  in  [t/,]ü,-=a  umformen.  Es 
hat  u  die  Form 

beibehalten,  aber  unter  den  Argumenten  der 
Functionen  tp  kommt  w,  nicht  vor. 


81 

Wir  ersehen  hieraus,  daß  u  so  lange  seine 
einfachste  Form  noch  nicht  angenommen  haben 
kann,  als  noch  Transcendenten  unter  den  hyper- 
algebraischen Functionszeichen  vorkommen  ;  also : 

Wenn  eine  algebraische  Differen- 
tialgleichung erster  Ordnung  mit 
einer  abhängigen  Variablen  das  Inte- 
gral 2<=c  hat,  wo  w  durch  beliebige 
Superposi  tion  von  Transcendenten 
der  hier  besprochenen  Art  ausdrück- 
bar ist,  so  ist  u  in  seiner  einfachsten 
Form  gleich  einer  Summe  von  hyper- 
algebraischen Functionen  erster 
Stufe. 

8. 

Wir  haben  bisher  nur  die  Form  der  Integral- 
gleichung u  =  c  betrachtet;  wir  können  aber 
beweisen,  daß  der  Fall,  in  welchem  die  Integral- 
gleichung von  (3)  die  Form 

M  =  f{Xi,  x^  ...  y,  c)  =  0 

hat,  sich  auf  den  betrachteten  Fall  zurückfuhren 
läßt. 

Ist  nämlich  u  eine  hyperalgebraische  Func- 
tion, dann  ist 

du  du 

dXi'^^idy  ^ 

Wenn  c  aus  dieser  Gleichung  nicht  identisch 
verschwindet,  so  bildet  dieselbe  eine  neue  Form 
der  Integralgleichung;  dann  hätte  aber  u  nicht 
seine  einfachste  Form;  verschwindet  aber  c  iden- 
tisch aus  dieser  Gleichung,    so  ist  (3)  auch  für 


u  =  Ci  befriedigt,   und    man    hat    dann,    weun 
man   c  einen   willkürlichen    Werth   beilegt,    die 
früher  betrachtete  Form. 
Ist  hingegen 

u  =  F(Xi,  x.^  ...  «/,  «,  c)  =  0 

eine  algebraische  Function  von  «,  so  entnehmen 
wir  aus  der  Gleichung  u  =  0  co  =  (w)  und 
setzen  den  Werth  in  die  Bestimmungsgleichung 
von  CO  U  =  0  ein.  Wir  erhalten  dadurch  eine 
neue  Form  der  Integralgleichung 

[»].  =  („)  =  0- 

Da   nun    U  eine   hyperalgebraische  Function 
ist,  so  ersehen  wir,  wie  im  ersten  Falle,  daß 

rm      ,  ,  ==  Const. 

ebenfalls  die  gegebene  Gleichung  befriedigt. 

9. 
Die  gegebene  Gleichung  war 

dy  =  P, dXi  -j-  Po.clx»  4"  •  •• 
Aus  u  =  c  erhalten  wir  aber 

ist  also  ein  integrirender  Factor  und  aus  der 

gefundenen  Forin  von  u  ersehen  wir,  daß  dieser 
Factor  eine  algebraische  Function  ist.  Wir 
können  außerdem    beweisen,    daß   eine  gewisse 


83 

Potenz  dieses  Factors  eine  rationale  Function 
der  Größen  ic,  P  und  y  ist. 

Es     sei     uämlich     (f     fler     Factor,     so     ist 
(i  =  1,  2,  ..A-) 

andererseits  sei 

(22)  F=y"  +  ^iy"~^+^,y"~'^+..4-^„=  0 

die  irreductible  algebraische  Gleichung, 
welcher  y  genügt,  und  deren  Coefficienteu  ra- 
tionale Functionen  von  j:,,  x.,  ..  y,  P,.  Pj  .. 
sind. 

Man  erhält  aus  beiden  Gleichungen 

dV      ^  dV         dVdPi 

(23)  — .  +  i',-^     -  «^  ^  ^  =  0. 
^     ^        dxi  oy  Off  oy 

Diese  Gleichung  hat  mit  (22)  eine  gemein- 
schaftliche Wurzel;  also  genügen  alle  Wurzeln 
der  Gleichung  (22)  zugleich  den  Gleichungen 
(23);  es  sind  daher  alle  Wurzeln  y^,  y.,  ..  y„ 
integrireude  Factoren.  Berücksichtigt  man 
nun,  daß 

(24)  A^  =  ±<fi<Pi  ••  y« 
eine  rationale  Function  von 

a^j,  x^  ••  X]^^  y-i  Xj,  xo  ••  x/t 

n 

ist  und  daß  Y ^n  für  (f  gesetzt  den  Gleichungen 
(21)  genügt,  so  ergiebt  sich 


84 


(25)  cp  =  vx: 

Um  den  integrirenden  Factor  zu  finden,  hat 
man  daher  zu  untersuchen,    ob  die  Gleichungen 

dxi'^    '  dy  dy 

für  einen  ganzzahligen  Werth  von  n  ein  parti- 
culäres  Integral  haben,  welches  eine  rationale 
Function  der  Größen  x,  P  und  y  ist. 

10. 

Wenn  die  Gleichung  (3)  keinen  algebraischen 
integrirenden  Factor  hat,  so  ist  die  Integration 
derselben  unter  geschlossener  Form  vermittelst  der 
erklärten  Transcendenten  nicht  möglich.  Wir 
wollen  untersuchen,  ob  es  dann  nicht  einen  inte- 
grirenden Factor  giebt,  welcher  durch  dieselben 
Transcendenten  ausdrückbar  ist. 

Geben  wir  dem  Factor  die  Form 

so  müssen  wir  haben 

Diese  Gleichungen  müssen  in  Bezug  auf  (b 
identisch  sein;  ditfereiitiiren  wir  nach  w,  so 
fällt  das  letzte  Glied  fort  und  wir  erhalten 
Gleichungen,  die  der  Form  nach  mit  den  Glei- 
chungen (7)  übereinstimmen,  nur  mit  dem  Unter- 
schiede, daß  X  an  die  Stelle  von  u  getreten  ist; 
wir  können  also  schließen,  daß 


85 

1  dl 

(27  -V-  =  c 

rp  0(0 

eine  Identität  oder  ein  Integral  der  gegebenen 
Differentialgleichung  ist.  Im  letzteren  Falle 
hätte,  wie  wir  eben  bewiesen  haben,  die  Diffe- 
rentialgleichung einen  algebraischen  integriren- 
den  Factor ;  im  ersteren  Falle  haben  wir 
identisch 

(28)  X  =  cfifddi 

und  können  dann  wie  früher  vermittelst  der  Be- 
stimmungsgleichuug  von  at  reducireu.  Der 
integrirende  Factor  muß  also  die  Form 
haben 

(29)  6^   =    6^-1+^.+..^ 

wo  die  Functionen  t//  hyperalgebrai- 
sche Transceu  deuten  erster  Stufe  sind. 
Ein  Beispiel  bietet  die  lineare  Differential- 
gleichung dar. 


11. 

Wir  haben  der  Einfachheit  wegen  ange- 
nommen, daß  die  gegebenen  Größen  P  algebrai- 
sche Functionen  von  y  und  den  Größen  x  sind. 
Nehmen  wir  indessen  au,  daß  die  Größen  P 
Transceudeuten  beliebiger  Stufen  sind,  so  bleibt 
unsere  Eutwickelung  dennoch  gültig,  wenn  wir 
überall  an  die  Stelle  algebraischer  Functionen 
von  rr,  y  algebraische  Functionen  von  x,  y  und 
P  setzen. 

9* 


86 

12. 

Als  eiue  einfache  Anwendung  des  im  Vorher- 
gehenden bewiesenen  allgemeinen  Lehrsatzes  er- 
giebt  sich  nun  Folgendes: 

Es  seien  P j ,  P^  . .  P^^  algebraische  Functio- 
nen von  X,  welche  nicht  die  Ableitungen  alge- 
braischer Functionen  sind ;  führt  man  dann  die 
Functionen 

<^i(^)  =fP,dx', 

0^{x)^f\dx  ..  0^{x)  =fP^dx 

als  Transcendenten  ein,  so  ist  es  unmöglich,  das 
Integral 

X 

fPdx 

wo  P  eine  algebraische  Function  von  x  bedeutet, 
unter  endlicher  Form  vermittelst  algebraischer 
Functionen,  der  Functionen  </>  und  ihrer  inver- 
sen  Functionen  auszudrücken,    es  sei  denn,   daß 

(30)      JPdx  =  SSc^,,  Ö>^(^^,,)  -f  X, 

wo  x        und  X  algebraische  Functionen  von  x 

bezeichnen. 

Ein  sehr  specieller  Fall  dieser  Functionen  <Z> 
ist  der  Logarithmus. 

Wenn  es  daher  überhaupt  möglich 
ist,  ein  algebraisches  Differential 
mittelst  algebraischer  Functionen 
und  mittelst  der  elementaren  Trans- 
cendenten (log  X,  iv^,  sin  X,  arc  sin  x  u.  s.w.) 


87 


in  geschlossener  Form  zu  iutegriren, 
oist  diesesnur  möglich, wennman  hat 

(31)  r^dx  =-  2c^  log  x^  +  X, 

wo  X  und  X  algebraische  Functionen  bezeich- 
nen. Man  beweist  leicht,  daß  diese  alge- 
braischen Functionen  sich  rational 
durch  X  und  P  ausdrücken  lassen. 
Jedenfalls  lassen  sie  sich  nämlich  rational  aus- 
drücken durch  X,  F  und  die  Wurzel  y,  einer  i  r- 
reductiblen  algebraischen  Gleichung,  deren 
Coefficienten  rationale  Functionen  von  x  und  P 
sind.  Durch  Differentiation  von  (31)  erhält  man 
eine  Gleichung,  welche  von  y^  und  daher  auch 
von  den  übrigen  Wurzeln  y^  . .  y^^  der  irre- 
ductiblen  Gleichung  befriedigt  wird;  man  kann 
daher  in  den  Ausdruck  für  fPdr  für  y,  jeden 
anderen  Werth  von  y  einsetzen  ;  durch  Addition 
der  sodann  erhaltenen  Gleichungen  erhält  man 
einen  neuen  Ausdruck  für  JFdx,  in  welchem 
die  Größen  y  symmetrisch  auftreten ;  die  symme- 
trischen Functionen  der  Größen  y  lassen  sich 
aber  rational  durch  x  und  P  ausdrücken. 

Hat  man  auch  die '  elliptischen  Integrale  11 
und  deren  inverse  Functionen  eingeführt,  so 
können  in  dem  Ausdruck  fnr  fPäx  auch  Glie- 
der von  der  Form 

2c,  nix,) 

vorkommen.  Ungefähr  in  dieser  Form  hat  Abel 
den  Satz  in  einem  Briefe  an  Legendre  ausge- 
sprochen, (Oeuvres  corapl.  T.  II  Pg.  262)  jedoch 
mit  der  Einschränkung,  daß  er  nur  Trauscen- 
denten  erst«  r  Stufe  und  nicht  die  inversen  Func- 
tionen in  Betracht  zieht.     Ein  Beweis   für  die- 


88 

sen  Satz  findet  sich  in  Abels  Werken  nicht;  es 
ist  mir  aber  von  Hrn.  S  y  1  o  w  in  Fredrikshald 
mitgetheilt  worden,  daß  ein  solcher  in  den  von 
Abel  hinterlassenen  Papieren  sich  vorfindet. 
Ein  Theil  der  vorstehend  mitgeth eilten  Unter- 
suchungen ist  in  einem  im  Jahre  1876  unter 
dem  Titel :  Om  Integralregningens  Transcendenter 
in  der  Zeitschrift  Zeuthen's,  3te  Reihe,  Ister  Band, 
pag.  1  bis  9  veröfientlichten  Aufsätze  des  Ver- 
fassers enthalten. 


Mittheilung  aus    einer   Experimental- 
untersuchung  über  die  »Reibungs- 
ströme«. 
Von 
Karl  Schering. 
(Vorgelegt  von  Riecke.) 

Auf  die  electrischen  Ströme,  welche  in  einem 
Leitungsdrahte  beobachtet  werden,  dessen  Enden 
mit  zwei  verschiedenen  Stellen  des  Reibzeugs 
einer  Electrisirmaschine  verbunden  sind,  ist 
neuerdings  durch  die  Beobachtungen  des  Herrn 
Prof.  Zöllner')  die  Aufmerksamkeit  gelenkt, 
welcher  die  Allgemeinheit  des  Auftretens  dieser 
electrischen  Ströme  nachgewiesen  hat. 

Die  unten  mitgetheilten  Beobachtungen  ha- 
ben den  Zweck,  die  bisher  nicht  untersuchte 
Abhängigkeit  der  Intensität  dieser  Ströme,  von 
der  gegenseitigen  Entfernung  der  mit  einander 
verbundenen    Stellen    des    lloibzeugs    zn    zeigen. 

1)  Annalen  der  Physik  und  Chemie.  Bd.  CLVIII. 
pag.  497—689. 


89 

Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  ei'giebt  sich 
dann  eine  Erklärung  der  »Reibungsströme«  als 
einer  Ausgleichung  verschieden  großer  Electrici- 
tätsraengen  mit  gleichem  Vorzeichen. 

Für  die  Veranlassung  zu  der  folgenden  Unter- 
suchung, so  wie  für  die  gütige  Erlaubnis  zur 
Benutzung  der  Instrumente  des  hiesigen  physi- 
kalischen Instituts  bin  ich  Herrn  Prof.  Riecke 
zu  Dank  verpflichtet. 

Die  Versuche  sind  auf  folgende  Weise  ange- 
stellt: Als  Isolator  diente  eine  cylindrische  Glas- 
walze, nach  Art  der  zu  den  früheren  Reibungs- 
electrisirmaschinen  gebrauchten.  Sie  wurde  um 
eine  horizontale  Achse  vermittelst  einer  Kurbel 
gedreht.  Das  Reibzeug  bildete  ein  40°"°  breiter 
Riemen  von  weichem  Leder,  der  quer  über  die 
Walze  gelegt ,  isolirt  befestigt ,  und  durch  ein 
Gewicht  an  dem  einen  Ende  gespannt  und  so  an 
die  Walze  augedrückt  wurde.  Er  berührte  diese 
in  einer  Länge  von  200 — 300"™.  Die  geriebene 
Oberfläche  des  Leders  war  nicht  mit  Amalgam 
präparirt.  Oben  in  den  Riemen  wurden  an 
zwei  verschiedenen  Stellen  Stahlspitzen  einge- 
steckt, und  jede  derselben  mit  einem  Ende 
des  Multiplicatordrahtes  eines  empfindlichen 
Wie  dem  an  n 'sehen  Galvanometers  verbunden, 
und  dieses  mit  Fernrohr   und  Scala  beobachtet. 

Als  allgemeines  Resultat  ergab  sich:  Wurde 
die  eine  in  das  Reibzeug  eingesteckte  Spitze  in 
ihrer  Stellung  ungeändert  gelassen,  die  andere 
Spitze  dagegen  in  verschiedenen  Entfernungen 
von  der  ersten  in  den  Riemen  eingesteckt,  in 
welchen  eine  Centimeterscala  eingeritzt  war,  so 
nahm  mit  zunehmender  Entfernung  der  Spitzen 
von  einander  auch  die  Ablenkung  der  Nadel  des 
Galvanometers  zu. 

Die  Berechnung  mehrerer  Beobachtungsreihen 


90 

ergab,  daß  diese  Aenderuug  der  Stromintensität 
mit  großer  Annäheruug  analytisch  dargestellt 
werden  kann  durch  die  Formel 

I  2/  =  ^0^  —  Cj  aj* 

wenn,  x  die  Entfernung  der  beiden  Spitzen  auf 
dem  Riemen  von  einander,  y  die  Ablenkung  der 
Nadel  in  Scalentheilen,  c^,  c^  positive  Constan- 
ten bedeuten. 

Eine  mit  dieser  Formel  innerhalb  der  beob- 
achteten Grenzen  gleichwerthige  ergiebt  die  von 
Herrn  Prof.  Riecke  vor  Kurzem  entwickelte: 
»Theorie  de  r  ele  et  r  ischen  Scheidung 
durch  Reibung«  ^).  Die  allgemeinen  Formeln, 
welche  sich  auf  Grund  der  in  dieser  Theorie 
aufgestellten  Differentialgleichungen,  für  die 
electrische  Dichtigkeit  auf  einer  cylindrischen, 
nicht  abgeleiteten,  Glaswalze  und  auf  dem  Reib- 
zeuge, nach  w Umdrehungen  der  Walze,  ableiten 
lassen,  stellen  diese  Dichtigkeiten  dar  als  ganze 
Functionen  ntew  Gerados  der  Zeit  und  dea  Ortes 
auf  der  Walze,  res]>.  dem  Reibzeuge,  und  als 
rationale  Functionen  der  Exponentiaifunction 
derselben  Argumente.  Da  diese  Formeln  aber 
allgemein  keiner  directen  Prüfung  fähig  sind, 
so  erscheint  ihre  Mittheiluiig  dem  Zwecke  dieser 
Experimentaluntersuchnng  zu  fernliegend.  Unter 
der  Voraussetzung  aber,  daß  die  Walze  abge- 
leitet wird,  oder  daß  wenigstens  die  durch  (w—  1) 
Umdrehungen  auf  der  Walze  und  dem  Reibzeuge 
erzeugten  Electricitätsinengeu,  keinen  merkbaren 
Einfluß  haben  bei  der  wten  Umdrehung  auf  die 
Differenzen  der  an  den  verschiedenen  Stellen 
des  ßeibzeugs  befindliehen    electrischen  Dichtig- 

1)  M ft-jhriohten :  H77.  Nov.  3  pag.  701. 


91 

keiten,  können  wir  die  in  der  eben  erwähnten 
Abhandlang  abgeleiteten  Formeln  anwenden. 
Diese  ergeben  für  die  Differenz  der  electrischen 
Dichtigkeiten,  also,  wenn  hierin  die  Ursache 
der  Reibungsströme  liegt,  für  eine  der  Ab- 
lenkung y  proportionale  Größe  den  Ausdruck: 


II  y  =  C,il-e^'^n  +  C,.xe 


C\x 


-wenn  x  die  Entfernung  der  beiden  mit  einander 
verbundeneu  Stellen  des  Riemens  bedeutet. 
Co  ist  eine  Constante,  C'^  und  C,  sind  der  Theorie 
nach  noch  von  der  Zeit  abhängig.  Die  Beob- 
achtung zeigt  aber,  daß  schon  nach  einer  ge- 
ringen Drehung  der  Walze  die  Ablenkung  der 
Nadel  vollkommen  constant  bleibt.  Es  muß 
also  auf  dem  Reibzeugo  sehr  rasch  in  Folge  der 
Ausgleichung  in  dem  Riemen  selbst,  von  der 
die  Theorie  zunächst  noch  abgesehen  hat,  ein 
mit  der  Zeit  sich  nicht  mehr  ändernder  Zustand 
hergestellt  werden.  Bei  den  augi-stellten  Beob- 
achtungen müssen  wir  also  C^  und  C,  als  con- 
stant ansehen. 

Mit  der  Formel  II  stimmt  die  folgende,    ab- 
gesehen von  Gliedern  mit  x^,  überein : 


UI  y  =  B.x.e 


Cx 


Von  diesen  Gliedern  können  wir  bei  der  Be- 
rechnung absehen,  da  die  aus  der  Beobachtung 
gewonnene  Formel  I  ergiebt,  daß  der  Coefficient 
von  x^  nicht  einmal  auf  Zehntel-Scalentheile 
einen  merkbaren  Einfluß  hat. 

Nach  der  Formel  III  sind  von  den  folgenden 
sämmtlichen  Beobachtungsreihen,  10  berech- 
net, indem  aus  den  einzelnen  Beobachtungen  die 


92 

wahrschehilicli steil  Wertbe   von  B  und  C  abge- 
leitet sind,    und    aus  diesen  wieder   znr  Prüfung 
die  Werthe  von  y: 
Es  bedeutet  also: 
X    die  Entfernung  der  beiden  Spitzen  auf  dem 

Riemen  von  einander,  in  Millim. 
1/   die  Ablenkung  der  Nadel  in  Scalenth. 
Fl   die  relative  Feuchtigkeit  |    ■,      j    n. 
F2  die  absolute         ,,  f 

Fl  und  JPg  sind  berechnet  aus  den  Tempera- 
turdifferenzen der  Thermometer  eines  August'- 
schen  Psychrometer,  die  vor  und  nach  jeder 
Beobachtungsreihe  abgelesen  wurden. 

Die  Entfernung  der  Scala  vom  Spiegel  betrug 
am  Dec.  13,  14  2,54  M, 

am  Dec.  18,  21,  22    2,37  M, 
am  Jan.      3,     5,     8    2,70  M. 
Zeitdauer     einer    Beobachtungsreihe    1    Viertel- 
stunde, mit  Ausnahme  von  I. 

Die  Walze  wurde  in  1  See.  einmal  herum- 
gedreht. 

Der  Riemen  war  durch  ein  Gewicht  von 
1  K.  gespannt. 

Die  mittlere  Abweichung  in  Procenten,  der 
beobachteten  und  berechneten  Werthe  in  den 
folgenden  Tabellen  ist  nicht  nach  der  größten 
Ablenkung  in  Scalontheilen,  sondern  nach  der 
mittleren  Ablenkung  berechnet. 


93 


y  =  B ,  X  .c~ 


C.x 


I.     IL     ni.     IV.  :      V. 
Dec.  21.  Dec.  22.  Dec.  22.  Jan.  3.  ■  Jan.  3. 


VI. 
Jan.  8. 


-5  =  0,11215  0,07318   0,12270  0,36820  0,96460  0,18322 

C  =  0,002472  ,0.00700   0,002105  0,00305  0,01159  0,001551 

jP,  =  0,64     0,68  ,  0,69  0,70  0,73  0,64 

F2=   7,24     7,79     8,90  8,23  9,13  ;9,26 


«         y  y  y      I      y      I     y  y 

mm     iBeob.  I  Ber.|!B«ob.  |  Ber.     Beob.  |Ber.  ilBeob.  \  B«r.  iBeob.     B«r.  I  B«ob.  |  Ber. 


40 
50 

60 
70 
80 
90 
100 
110 


3,6 
5,0 
6,6 
7,5 

7,i) 
9,1 
9,5 


120  10,2 
130  ;!10,7 
140  I  11.6 
150  |il2,l 
160  ,;i2,6 
170  113,6 
180  1 13,6 
190  !!l4,0 
200  Itl4,l 
210  ;  13,9 
220  !il4,7 
230  I  15,6 
240  15,0 
250  .15,2 
260  14,6 
270  ;  14,6 
280  1 14,6 
290  !il5,0 
300  i|l6,l 


2.5 
5,2 
5,8    4,4: 

6.6!  ', 

6,8 


7,8 
3,2 


7,4! 
8,1{ 

8,8 

9,4 
10,0! 
10,6 

ll,li|  8.4 
11,^1 
12,0    9,9 
12,5' 
12,9  11,4 
13,3; 
13,7  14,0 
14,0 

i  14,3  13,3 
i  14,6 
14,9.14,0 

JIM 

115,3  14,6 

15,5' 
15,&|16,5 

jl5,9i| 
1 16,01 17,0 


2,8; 
4,2 
5,5 
6,8 
8,1 


5,5      4,5  13,4   13,1  23,0 


6,1 


6,5 


7.7  !  8,3 

t 

7.8  j  9,9 

12,4  11,4 


9,3  18,8!  12,8 


10.4| 

I 

11, ei 


14,6  14,0 


17,8 ;  18,6 -25,1 
22,9123,3  26,0 

26,9|27,5!j27,8 
31,3  81,l|  29,5 


24,3;; 

i 
28,91. 


9.8 


80,6  14,2 


35,7 
88,2 


16  2!lB,l!l39,4l39,l 


30,3 
28,8 
34,2  29,2  26,7 
24,2 
21,6 


36,9 


12,7'[17,5 

J13,8jjl7,6 

1  ^^^! 

'16,9'! 

16,8 
17,8 


16,1 
17,0 


27,4 
24,0 


[40,9 '  41,0 


16,6 
19,1 


10,0 
13,6 
15,7 
18,3 


21,2  120,6 


23,3 
23,6 


43,4 
43,1 


42,6: 

43,7 


19,8  119,0  24,9 


22,9 
24,9 
26,9 


17,5(16,6 


27,0  j28,7 
28,2  130,3 


Mittlere  Abweichung 

in  Scalenth.  +0,5  1     +0,7 

in  Procent.      '4,3°;         6,4" 


±0,9 

7,30 


±0,6     ;  ±2,1 

1,9"  8,5" 


±1,0 

4,8« 


94 


X 


VII. 
Dec.  21. 


VIII. 
Dec.  22. 


IX. 
Dec.  22. 


X. 

Dec.  22. 


0,16040 

0 
0,63 
6,66 


0,15110 

0 
0,59 
6,28 


0,0240 

0 
0,68 
7,79 


0,04934 

0 
0,64 

8,44 


X 
mm 

y 

Beob.  i    Ber. 

Beob.  I    Ber. 

y 

Beob.  1    Ber. 

y 

Beob.   1   Ber. 

40 

i 

2,0 

2,0 

60 

8,8 

9,6 

1,2 

1,4 

2,5 

3,0 

80 

13,6 

12,8 

8,5 

1^1 

1,9 

1,9 

3,9 

4,0 

100 

16,1 

16,0 

14,6 

15,1 

2,5 

2,4 

5,0 

4,9 

120 

17,4 

19,2 

22,2 

18,1 

!    3,1 

2,9 

6,8 

6,9 

140 

24,6 

22,5 

24,6 

21,2 

3,5 

3,4 

6,8 

6,9 

160 

27,2 

25,7 

27,9 

24,2 

3,8 

3,8 

7,5 

7,9 

180 

31,6 

28,9 

30,4 

27,2 

4,8 

4,3 

9,7 

8,9 

200 

34,0 

32,1 

32,7 

30,2 

6,1 

4,8 

10,8 

9,9 

220 

85,0 

35,3 

34,3 

33,3 

5,0 

5,3 

11,8 

10,9 

240 

36,0 

38,5 

38,0 

36,3 

6,9 

5,8 

260 

39,6 

41,7 

36,9 

39,3 

280 

44,1 

44,9 

88,5 

42,3 

Mittl.  Abweichung 

1 

inScalenth.  +1,4 

±2,8 

±0,1      ! 

'      ±0,8 

in  Pro 

cent 

5,1" 

1 

),6'» 

i,8 

1 

^ 

1,8 

95 


XI. 

XII.  XUI. 

XIV. 

XV. 

XVI.  XVII. 

XVIII. 

XIX. 

■* 

2 

2  ! 

1 

•ä         »c 

'      cxJ 

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i 

1 

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5 

§ 

a 

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1     ^ 

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-P.=! 

1  0,66  0,68  '0,70l  0,71    0,75 

0,68 

0,70 

^'=i 

1   7,72  7,84   8,38 j  10,53  10,33 

9.36 

■ 

9,13 

X     y   \y   \   y 

y 

y      y    \    y 

y 

y 

40 

7,9 

4,3 

[ 

0,6 

5,0 

7,3 

10,0 

18,1 

50 

5,1 

' 

60 

6,0  17,4 

15,1 

1,8 

9,5 

9,4 

16,1 

19,7 

70 

10,9 1 

80 

12,2 

12,3  22,0 

20,6 

2;6 

11,2 

10,0 

21,1 

21,5 

90 

14,2 1 

100 

1 4,4 1 23,9 

22,4 

3,0 

13,2 

11,9 

23,3 

23,7 

110 

16,4 

120 

13,2 

17,2|23,3 

23,8 

3,9 

13,2 

14,5 

25,9 

25,0 

ISO 

20,5' 

140 

21,8,24,0 

25,3 

4,4 

13,2 

13,6 

25,8 

23,3 

150 

22,0} 

160 

15,4 

22.2  27,1 

26,4 

4,2 

15,1 

17,3 

28,7 

24,4 

170 

21,7 

1 

180 

23,2  28,0 

27,7 

4,8 

10,8 

18,8 

31,6 

23,1 

190 

23,6 

200 

19,5 

23,9  27,7 

26,5 

5,3 

20,9      19,1 

31,3 

19,9 

210 

24,7j 

1 

220 

128,2 

27,6, 

6,3 

19,9 

33,5  1 

16,8 

230 

' 

1 

240 

20,1 

26,7 

28,9  i 

6,4 

1 

Jede  der  angegebenen  Größen  y  ist  das  Mit- 
tel aus  3  bis  5  Ablesungen,  nach  je  10  Um- 
drehungen der  Walze  bei  fortgesetzter  und  nach 
den  Schlägen  einer  Secundenuhr  möglichst  regel- 
mäßig ausgeführten  Drehung.  Die  einzelnen  Ab- 
lesungen differirten    um  circa   1 — 2  Scalentheile. 

Die  Intensität  des  Stromes  zeigt  sich  auch 


96 

bei  denselben  Stellungen  der  beiden  Spitzen  und 
unveränderter  Drehungsgesch windigkeit  und  Span- 
nung des  Riemens  zu  verschiedeneu  Zeiten  sehr 
verschieden ;  ein  einfacher  Zusammenhang  mit 
dem  Feuchtigkeitszustande  der  Luft  läßt  sich 
nicht  erkennen.  Es  erschien  deshalb  auch  eine 
Vervverthuug  der  10  berechneten  Werthe  von  JB 
und  C  zur  Bestimmung  eiuer  von  der  Natur  der 
an  einander  geriebenen  Körper  abhängigen  Con- 
stanten nicht  angemessen,  da  diese  Werthe  auch 
nach  Reduction  auf  die  Tangente  des  Ausschlags 
sich  sehr  veränderlich  zeigten.  In  den  Reihen 
VII  bis  X  ergab  sich  C  nicht  merklich  von  Null 
verschieden. 

Bildet  man,  um  ein  Urtheil  über  die  wahr- 
scheinliche Richtigkeit  der  zur  Berechnung  an- 
gewandten Formel  III  zu  gewinnen,  die  Quadrat- 
wurzel aus  der  Summe  der  Quadrate  der  mitt- 
leren Abweichungen  in  Procenten  bei  den  10 
berechneten  Beobachtungsreihen,  dividirt  durch 
die  um  2  verminderte  Anzahl  derselben,  so  er- 
giebt  sich  eine  mittlere  Abweichung  von  6,7  Proc. 

Nach  dem  eben  angegebenen  ist  die  aus  der 
Unregelmäßigkeit  der  Drehung  entspringende 
Unsicherheit  der  Beobachtung,  1  Sealentheil  auf 
den  noch  etwas  hoch  gegriffeneu  Mittelwerth  von 
20  Scalen th.  der  Ablenkung,  d.  i.  5  Procent. 
Darnach  würde  also  die  Abweichung  der  ana- 
lytischen Curve,  diese  Beobachtungsfehler  um 
etwa  2  Scalentheile  auf  100  übertreffen,  und  es 
kann  daher,  mit  Rücksicht  auf  die,  einer  Beob- 
achtung sich  entziehende  Veränderlichkeit  des 
electrischen  Verhaltens  der  Halbleiter,  die  For- 
mel als  eine  mit  den  Beobachtungen  hinreichend 
übereinstimmende,  angesehen  werden.  Einige 
der  Beobachtuugsreihen"  sind  in  der  beigefügten 
Tafel  graphisch  dargestellt. 


97 

Der  Maximalwerth ,  welchen  y   für   x  = 

annimmt,  ist  nur  in  den  unmittelbar  nach  einan- 
der angestellten  Beobachtungsreihen  V  und  XIX 
beobachtet. 

Die  Richtung  des  Stromes  stimmte  immer 
mit  der  von  Professor  Zöllner  beobachteten 
überein.  Bezeichnet  man  dasjenige  Ende  des 
Reibzeugs,  welchem  sich  bei  der  Drehung,  noch 
nicht  geriebene  Stelleu  der  Walze  nähern,  als 
die  vordere  Kante  (T')  das  andere  Ende  als 
die  hintere  (H)  (eine  Bezeichnung,  die  sich  un- 
mittelbar ergiebt,  wenn  man  sich  die  Drehung 
der  Walze  durch  eine  Bewegung  des  Reibzeugs 
in  entgegengesetztem  Sinne  um  die  feste  Walze 
herum  ersetzt  denkt),  so  ging  der  Strvm  rtn  der 
binteren  iiir  TordereD  kante. 

Bei  den  sonst  angestellten  Beobachtungen  der 
Reibungsströme  wurde  die  Electricität  des  Isola- 
tors nicht  abgeleitet.  Geschieht  dies  aber  durch 
einen  Saugkamra ,  so  ist  die  Intensität  des  Rei- 
bungsstromes weit  stärker,  verglichen  mit  der 
unmittelbar  vorher  beobachteten  bei  Nicht- 
ableitung  der  Walze.  Die  Abhängigkeit  von 
der  Entfernung  der  Spitzen  wird  aber  dadurch 
nicht  geändert,  wie  die  Beobachtungsreihen  III, 
IV,  V,  XVI,  XVII,  XIX  zeigen,  die  bei  Ablei- 
tung der  Walze  beobachtet  sind. 

Diese  Beobachtung  führte  zu  einer  besonde- 
ren Untersuchung  des  Vorzeichens  der  auf  dem 
Reibzeuge  befindlichen  Electricität.  Es  wurde 
zunächst  jedes  Ende  des  Reibzeugs  mit  einem 
Goldblättchenelectroscop  verbanden,  die  Walze 
gedreht  und  dann  die  Electricitiiten  geprüft.  Das 
mit  der  vorderen  Kante  des  Lederriemeus  ver- 
bundene zeigte  immer  eine  größere  Menge  Elec- 
tricität an,  und  immer  negative.    Das  andere 


98 

aber  mit  der  hinteren  Kante  verbundene  war  in 
den  meisten  Fällen,  wenn  die  Walze  nicht  ab- 
geleitet wurde,  mit  positiver  Electricität  ge- 
laden (übereinstimmend  mit  den  Beobachtungen 
des  Herrn  Prof.  Zöllner).  Wurde  aber  die  Walze 
abgeleitet,  so  verschwand  auch,  mit  Ausnahme 
einer  Beobachtung,  die  -f-El.  auf  der  hinteren 
Kante  des  Reibzeugs ,  und  das  Electroscop  gab 
—  au.  Da  aber  bei  der  Beobachtung  mit  den 
Electroscopen  die  Möglichkeit  nicht  ausge- 
schlossen war,  daß  diese  Influenzelectricität  zwei- 
ter Art  von  der  Walze  enthielten,  so  wurden 
diese  Beobachtungen  auch  mit  Hülfe  des  Galvano- 
meters angestellt. 

Es  sei  der  Kürze  halber  mit  [i/,  G,  V]  die  Ver- 
bindung der  hinteren  Kante  oder  der,  der  hinteren 
Kante  zunächst  eingesteckten  Spitze,  mit  dem  Gal- 
vanometer und  der  vorderen  Kante  bezeichnet;  die 
Richtung  der  bei  dieser  Verbindung  beobachte- 
ten Ablenkung  der  Nadel  bei  Drehung  der  Walze 
sei  die  positive.  Es  wurde  dann  die  Verbindung 
der  vorderen  Kaute  mit  dem  einen  Ende  des 
Galvanometerdrahtes  gelöst,  und  dieses  Ende,  so 
wie  die  vordere  Kante ,  jede  für  sich,  mit  der 
Erde  in  leitende  Verbindung  gesetzt,  dagegen 
blieb  die  Verbindung  der  hinteren  Kante  mit 
dem  Galvanometer  ungeändert.  Verbindung 
[JB,  (x,  E].  Die  bei  der  Drehung  der  Walze 
dann  beobachtete  Ablenkung  war  dann  also  eine 
Wirkung  der  von  der  hinteren  Kaute  abströ- 
menden Electricität,  und  ifwar  mußte  das  Vor- 
zeichen derselben  -j-  sein,  wenn  die  Ablenkung 
der  Nadel  bei  gleicher  Drehungsrichtung  wie 
bei  der  Verbindung  [i/,  6r,  V\  in  gleichem 
Sinne  geschah,  und  — ,  wenn  der  Sinn  der  Ab- 
lenkung entgegengesetzt  war.  In  dieser  Weise 
ergaben  zwei  Beobachtungsreihen,  bei  denen  die 


99 


Walze  nicht  abgeleitet  wurde,  auf  der  hiuteren 
Kante  -f"  Electricität,  dagegen  9  andere,  bei  Ab- 
leitung der  Walze,  auf  dem  ganzen  Reibzeuge 
—  Electricität.  Wurde  die  Walze  abwechselnd 
abgeleitet,  und  nicht  abgeleitet,  so  trat  auch  so- 
fort bei  der  Verbindung  [H,  G^E\  ein  Wechsel 
in  dem  Sinn  der  Ablenkung  ein. 

Es  möge  noch  folgende  Beobachtungsreihe 
mitgetheilt  werden,  aus  welcher  der  electrische 
Zustand  auf  dem  Reibzeuge  leicht  ersichtlich  ist. 
Es  wurden  die  Ablenkungen  bei  den  beiden  Ver- 
bindungen [K  G,  V\  und  \H,  G,  E\  nach 
einander  beobachtet  und  abwechselnd  in  einer 
Entfernung  =:  240™™  der  beiden  Spitzen,  und 
in  einer  variablen  Entfernung  x  ausgeführt,  wo- 
bei die  Spitze  au  der  vorderen  Kante  immer  in 
ihrer  Stellung  uugeändert  gelassen  wurde. 


1878.  Jan.  10 
3h  45m_5h  Qm 


Entf.  d.  Scala  v.  Spiegel:  2,70 M. 
Walze  abgeleitet. 


£  Entf.  d.  Spitz.  » 

Entf. 

^.     =  240™'°     ^ 

der 

Verbindung : 

DiflFerenzen: 

_j    Verbindung:  -g 

Spi- 

6      I.           II.      o 

tzen. 

ni.     IV. 

i-m. :  n-iv. 

►g;H,G,V   H,G,E^ 

X 

H,G,V  H,G,E 

1 

Ablenk  in     j 
Scalenth.     ! 

Ablenk,  in 

Scalentheilen. 

1 

13,2 

—  ll.l     2 

40 

1,3 

—17,7:  11,9 

6,6 

3 

14,5 

-13,2:  4 

60 

5,1 

—19,9      9,4 

6,7 

5 

13,8 

—14,2    6 

80 

6,7 

-17,9; 

7,1 

3,7 

7 

11,9 

-14,3'  8 

100 

6,4 

-18,2| 

5,5 

3,9 

9 

10,7 

-I5,2|il0 

120 

6,7 

-i8,d 

-18,5| 

4,0 

2,8 

11 

9,4 

-16,312 

140 

6,9 

3,5 

2,2 

13 

8,6 

—16,2!  14 

160 

5,8 

—17,7: 

2,8 

1,5 

15 

7,7 

— 16,1|16 

180 

•6,4 

-17,5! 

1,3 

1,4 

17 

6,9 

-16,l!!l8 

200 

6,6 

-I6,4l 

0,3 

0,3 

Die   Differenzen    (I— III)    sind    proportional 
den   Intensitäten     der    Reibungs-ströme    für    die 

10 


100 

EntferBUDgeii  [240 — x]  der  beiden  Spitzen.  Sie 
befolgen  wieder  das  oben  angegebene  Gesetz. 
Die  algebraischen  Differenzen  II — IV  sind  pro- 
portional den  Unterschieden  der  —  electrischen 
Mengen  auf  dem  Reibzeuge  an  denjenigen  Stel- 
len, in  welche  die  um  [240 — cc]  entfernten 
Spitzen  eingesteckt  sind.  Diese  Differenzen 
ändern  sich  in  demselben  Sinne  wie  die  Inten- 
sitäten der  Ströme.  Es  weist  also  diese  Beob-- 
achtung  unmittelbar  darauf  hin,  daß  in  die- 
sen Strömen  diese  Differenzen  der  — electri- 
schen Mengen  sich  ausgleichen.  Die  Spalte  I 
zeigt  ferner,  daß  während  der  Zeit  von  75  Min. 
die  Intensität  des  Stromes  abnahm,  während 
nach  Spalte  U,  die  — electrische  Menge  an  der 
hinteren  Kante  zunahm.  Es  mußte  also  die 
Differenz  der  Electricitäten  an  der  vorderen 
und    hinteren  Kante    kleiner  werden. 

Die  Beobachtung  hat  also  die  Resultate  er- 
geben : 

Für  das  Entstehen  der  »Reibungsströme«  ist  es 
unwesentlich,  ob  die  Electricität  des  Isolators 
abgeleitet  ist  oder  nicht,  ebenso  unwesentlich 
das  Auftreten  entgegengesetzter  Electricitäts- 
mengen  an  den  beiden  Enden  des  Reibzeugs. 

Die  Electricität  des  Isolators,  welche  bei 
Nichtableitung  desselben  an  der  hinteren  Kante 
des  Reibzeugs  auftreten  kann,  ist  von  dem  Iso- 
lator auf  das  Reibzeug  übergeleitet  oder  wirkt 
influenzirend  auf  die  hintere  Kante  des  Reibzeugs 
ein,  so  daß  diese,  wenn  abgeleitet,  die  Electrici- 
tät des  Isolators  angeben  kann. 

Bei  Ableitung  des  Isolators,  bilden  die  »Rei- 
bungsströme« die  Ausgleichung  der  Differenzen 
verschieden  großer  aber  gleichartiger  electrischen 
Mengen  auf  dem  Reibzeuge. 

Die    Intensität   dieser    Ströme  (y)   läßt    sich 


101 

darstellen  als  Function  der  Entferunng  (x)  der 
beiden  mit  einander  verbundenen  Stelleu  des 
Reibzeugs,  durch  die  Formel: 

Diese  letzteren  Resultate  stimmen  also  mit 
den  von  Herrn  Professor  Riecke  theoretisch 
gewonnenen  übereiu. 

Göttingen  1878  Jan.  24. 

Anmerkung: 

Herr  Professor  Riecke  hatte  die  Gilt«,  mich 
von  einem  in  diesen  Tagen  eingelaufenen,  an 
ihn  gerichteten  Brief  von  Prof.  Riess  Kennt- 
niß  nehmen  zu  lassen.  Es  wird  hierin  der  von 
Herrn  Prof.  Zöllner  angestellte  Versuch  er- 
wähnt, in  welchem  an  den  entgegengesetzten 
Rändern  eines  Reibers  durch  ein  Electroscop 
entgegengesetzte  Electricitäten  angezeigt  werden. 

Prof.  Riess  fährt  dann  fort: 
»Diesen  Versuch  habe  ich  seiner  Zeit  wieder- 
»holt  und  gefunden,  daß  er  bei  sorgfältiger  Au- 
fstellung nicht  gelingt;  beide  Ränder  geben 
»dem  Electroscope  dieselbe  Electricität,  näm- 
»lich   die,  welche  der  Reiber  besitzte. 

»Berlin,  27.  Januar  1878«. 


10  = 


102 


Mittheilungen    aus    dem    pharmacolo- 

gischen  Institut    der  Universität 

Göttingen. 

Von 

Professor  Manne. 

I.     Experimentelle  Beiträge    zur  Wir- 
kung  des  Pilocarpin, 

von 

Prof.  Marme. 

Die  "Wirkung  des  Pilocarpin,  des  Alcaloids 
aus  den  Folia  Jaborandi,  den  Blättern  der 
brasilianischen  Rutacee,  Pilocarpus  pinna- 
tus,  welche  Coutinho  1874  nach  Paris 
brachte,  ist  von  sehr  vielen  Seiten  theils  an 
Menschen,  Gesunden  wie  Kranken,  theils  an 
Thiereu  untersucht  worden.  Die  Ergebnisse  der 
verschiedenen  Forscher  stimmen  darin  überein, 
daß  das  Pilocarpin  subcutan  applicirt  oder  intern 
genommen ,  nicht  nur  eine  ungewöhnliche 
Seh  weiß- und  Speichelsecretion,  sondern 
auch  eine aufiFallende  Vermehrung  der  meisten 
anderen  Secretionen  hervorrufen  kann. 
Hinsichtlich  dieser  letzteren  zeigen  die  Angaben 
der  verschiedenen  Autoren  nicht  unerhebliche 
Differenzen.  Da  nun  ein  Theil  dieser  Contro- 
versen  und  auch  einzelne  Fragen  hinsichtlich 
der  beiden  ersteren  Secrete  sich  der  experimen- 
tellen Prüfung  zugänglich  zeigten,  haben  wir 
eine  Reihe  von  Versuchen  an  verschiedenen 
Thieren  angestellt,  deren  Veröffentlichung  wir 
uns  gestatten,  weil  sie  neue  Thatsachen  ergeben 
und  manche  scheinbare  Widersprüche  verschie- 
dener Autoren,  wie  wir  hoffen,  in  befriedigender 
Weise  aufheben. 


103 

Das  von  uns  benutzte  krjstallinische  Pilo- 
carpinum  muriaticam  hatte  Herr  E.  Merk  in 
seiner  bekannten  Liberalität  die  daukenswerthe 
Güte  dem  Institute  zur  Verfügung  zu  stellen. 

Die  Secrete,  deren  Vermehrung  durch  Pilo- 
carpin wir  genauer  verfolgt  haben,  sind: 

1.    Die  Sduceißsecretion^). 

Die  ausgezeichnete  hydrotische  Wirkung  des 
salzsauren  Pilocarpin ,  die  sich  beim  Menschen 
auf  die  subcutane  Application  von  0,02  in  der 
Regel  10 — 25,  seltner  schon  5  und  nur  aus- 
nahmsweise erst  60  Minuten  nach  der  lujection 
geltend  macht,  ist  allgemein  anerkannt  Wäh- 
rend aber  Vul  p  i  a  n  *)  nur  die  peripheren  Enden 
der  Schweißfasern  als  AngrifFspuncte  des  Pilo- 
carpin ansieht,  hat  Luchsinger  dem  Alcaloid 
außer  der  peripheren  auch  eine  centrale  Erre- 
gung der  Schweißsecretion  vindicirt  ^).  Während 
bisher  allgemein  angenommen  war,  daß  das 
Atropin  die  Wirkung  des  Pilocarpin  auf  die 
verschiedenen  Secrete  aufhebe,  haben  Langley*) 

1)  Ich  muß  hier  bemerken,  daß  meine  sämmtlichen  auf 
die  Schweißsecretion  bezüglichen  Experimente  ausgeführt 
waren,  ehe  mir  die  von  Luchsinger  im  Octoberheft 
1877  des  Archivs  f.  d.  ges.  Phys.  veröffentlichten  fast 
ganz  gleichen  Versuche  bekannt  wurden.  Xach  Kennt- 
nißnahme  der  letzteren  war  es  mir  natürlich  wünschens- 
werth  die  doppelten  Angriffspuncte  des  Pilocarpin  für 
ein  zweites  Secret  nachzuweisen,  was  mir  namentlich  für 
die  Thraenensecretion  mit  meist  viel  eclatanterem  Er- 
folge gelungen  ist. 

2)  Vulpian  Gaz.  hebd.  IL  S.  T.  XII  1875  p.  81 
u.  82. 

3)  Luchsinger  Archiv  f.  d.  ges.  Physiol.  1877. 
Bd.  XV  S.  482-492. 

4)  Langley  Journ.  of  Anat.  and  Physiologie  XI 
p.  173  1876  and  Studies  from  the  phys.  Lab.  of  Cam- 
bridge 1S77  P.  III  S.  43. 


104 


uud  Luchsinger  gefunden,  daß  die  sogenannte 
lähmende  Wirkung  des  Atropin  durch  noch 
größere  Mengen  Pilocarpin   wieder    überwunden 

werden  kann.  ,       -rr  ,  i  n 

Die  neueren  physiologischen  Untersuchungen  ) 
über  die  secretorischen  Schweißfasern  und  deren 
Centrum  eröfineten  die  Möglichkeit  experimen- 
tell zu  entscheiden  von  welchen  Theilen  des 
Nervensystems  aus  das  Pilocarpin  die  Schweiß- 
drüsen in  Thätigkeit  versetzt. 

Katzen,    (junge  von   1700-2280  Gm.  Kor- 
pergewicht  am  leichtesten,  aber  auch  alte,  wenn 
die  Hornschicht  an   den   Pfoten  durch    warmes 
Baden  entfernt  ist)  schwitzen  an  den  imbehaarten 
Theilen  der  Pfoten  meistens    sehr  leicht  aut  ge- 
wisse Eingriffe.     Unsanftes  Anfassen,  Anbinden, 
Kneifen    des    Schwanzes   rufen  Schweißsecretion 
an   den   genannten    Theilen    hervor.  -     Ihiere 
die    auf  diese  Reize    noch   nidbt   oder  nur  sehr 
schwach  mit  Transpiration  reagiren  so  wie  auch 
solche  Thiere,    deren  Großhirn    außer  Function 
gesetzt  ist,  können  in  der  Regel  durch  folgende 
Von   Luchsinger    und    Kend all    angegebene 
Reize  a.    höhere  Temperatur  (Aufenthalt  in   ei- 
nem auf  60-70<>C  erwärmten  Brutofen),   b.  In- 
iection  von  45°  C   warmer  verdünnter  Kochsalz- 
iösung  in  eine  Vena  lugul    ext. ,    c  vorüberge- 
hende Unterbrechung    der  Respiration ,    d.   Ver- 
g^ung   mit  Nicotin   zu    reichhcher  Diaphorese 

veranlaßt  werden.  __  . 

Hatte  Luchsinger  bei  jungen  Katzen  einen 
Ischiadicus   durchschnitten    und   dann  die  unter 

5>Kendall    und  Luchsinger    Archiv   f.  d.  ges. 

Phyll  1?76  XIII  S.  212  u^  XIV  «r.^f '^«V'u  Cen 
Tahresb  v.  Hofmann  u.  Schwalbe  1876  V.u.  oen 
S  ?:  d  med.  W.  1878  No.  1.  Nawrocki  Centralb. 
1878  No.  1  u.  2  und  LuchBinger  cbend.  ^o.  8. 


105 

a — c.  geuauuteu  Reize  applicirt,  so  sah  er  immer 
uur  an  den  drei  unverletzten  Pfoten  Schweiß 
erscheinen.  Reizte  er  nun  aber  den  peripheri- 
schen Stumpf  des  Ischiadicus  electrisch,  so 
schwitzte  auch  die  operirte  Pfote,  Die  Secretion 
dieser  Pfote  zeigte  sich  wesentlich  unabhängig 
von  jeglichen  Circulatiousverhältnissen,  sie  trat 
sogar  noch  in  den  ersten  15 — 20  Minuten  nach 
der  Amputation  des  Beines  ein.  Injicirte  Luch- 
sing er  einer  Katze,  deren  N.  Ischiadicus  an  ei- 
nem Beine  durchschnitten  war,  subcutan  0,01 
Pilocarpin,  so  trat  au  allen  4  Pfoten  Schweiß 
auf.  Sechs  Tage  nach  der  Operation  rief  die- 
selbe Menge  des  Alcaloids  an  der  operirten 
Pfote  keinen  Schweiß  mehr  hervor. 

Dieselben  Experimente  haben  wir  an  einer 
großen  Zahl  von  jungen  und  alten  Katzen  an- 
gestellt. Den  N.  Ischiadicus  hatten  wir  entwe- 
der einfach  durchschnitten  oder  wir  hatten  ein 
Stück  von  1  Cm.  Länge  aus  dem  N.  excidirt. 
Immer  trat  schon  nach  subcutaner  Application 
von  0,004  Pilocarpinum  Schweiß  an  den  gesun- 
den und  etwas  später  an  der  operirten  Pfote 
auf.  Diese  eigeutkümliche  Wirkung  des  Pilo- 
carpin trat  nicht  unr  gleich  nach  der  Operation, 
sondern  (bei  an  jedem  dritten  Tage  vorgenom- 
mener Prüfung)  bis  gegen  Ende  der  zweiten 
Woche  ein.  Die  Schweißsecretion  erfolgte  selbst 
dann  noch,  wenn  an  dem  Metatarsaltheil  des 
operirten  Beines  ausgebreiteter  Decubitus  sich 
etablirt  hatte.  Bedingung  für  die  längere  Fort- 
dauer des  Schweißvermögens  an  der  operirten 
Pfote  ist  eine  sorgfältige  Behandlung  der  klei- 
neu Wunde  und  eine  gute,  reichliche  Ernährung 
und  Pflege  des  Thieres.  Schlecht  genährte  und 
schwächliche  Thiere  sch^vitzten  schon  zu  Anfang 


k 


106 

der   zweiten   Woche    selbst    auf   größere   Dosen 
von  Pilocarpin  nicht  mehr. 

Wenn  die  subcutane  Application  von  Pilo- 
carpin an  dem  operirten  Beine  keine  Schweiß- 
secretion  mehr  veranlaßt,  pflegt  auch  der  mo- 
torische Theil  des  peripheren  Ischiadicus  voll- 
ständig gelähmt  zu  sein. 

Bei  einem  von  unseren  Versuchsthieren  konn- 
ten wir  selbst  zwei  Monate  nach  Durchschnei- 
dung   des   Hüftnerven    durch  Pilocarpin  die  be- 
treffende Pfote  in  Transpiration  versetzen.     An- 
fangs November  1877  hatten  wir  den  Ischiadicus 
durchschnitten    und   die  Wunde   sorgfältigst  ge- 
schlossen.     Im    Januar    1878    demonstrirte    ich 
bei  Gelegenheit  eines  Vortrages  über  Pilocarpin 
die  Wirkung    auf  die   operirte  Pfote.      Als    das 
noch  zu  anderen  Versuchen  benutzte  Thier  spä- 
ter secirt  wurde ,    fanden   wir   die   Schnittfläche 
des  Ischiadicus  verwachsen.     Electrische  Reizung 
oberhalb  der  vernarbten  und  verdickten  Schnitt- 
stelle hatte  keine  Einwirkung  auf  die  Musculatur 
des  Beines,    Reizung   unterhalb   der  Narbe  ver- 
setzte   die    betreffenden    Muskeln    in    tetanische 
Contraction.     Hier  waren  durch  einen  günstigen 
Heilproceß  sowohl  die  motorischen  wie  die  secre- 
torischen  Fasern  des  peripheren  Theils  des  Ischia- 
dicus, obgleich  vom  Centrum  getrennt,  vor  De- 
generation bewahrt  geblieben. 

Wir  haben  auch  andere  Diaphoretica  mit  dem 
Pilocarpin  verglichen.  Injicirten  wir  Campher 
in  Oel  gelöst  subcutan  oder  Liquor  Ammonii 
acetici,  so  trat  bei  den  Versuchsthieren,  so  lange 
sie  ganz  unverletzt  waren,  an  allen  vier  Pfoten 
Schweiß  auf.  Nachdem  aber  ein  Ischiadicus 
durchschnitten  war,  erregten  die  genannte^  Hy- 
drotica  nur  mehr  an  den  nicht  operirten  Pfoten 
Schweißsecretion. 


107 

Die  secreto rischeu  Schweißfasern  für  die  Hin- 
terpfote verlaufen,  wie  unabhängig  von  einander, 
Luehsinger  in  Zürich  und  Ostroumow  in 
Moskau  fanden,  im  Bauchstrang  des  Sympathicus 
und  gelangen  aus  diesem  in  den  N.  Ischiadicus. 
In  den  Bauchsympathicus  treten  sie  nach  Luch- 
singe r  aus  den  vier  ersten  Wurzeln  des  Len- 
denraarks  und  den  zwei  bis  drei  letzten  Wur- 
zeln des Brnstraarks.  Durchschnitt  Luchsin ger 
das  Rückenmark  zwischen  8.  und  9.  Brustwirbel, 
so  bekam  er  durch  die  früheren  (a.  —  c.)  Keiz- 
mittel  gleichwohl  noch  Schwitzen  an  den  Hin- 
terpfoten, dieses  blieb  aber  constant  aus,  sobald 
er  diesen  hinteren  Abschnitt  der  Medulla  aus- 
gerottet hatte,  ohne  daß  an  dem  Transpirations- 
vermögen der  Vorderpfoten  sich  etwas  geändert 
hätte.  Nach  Luchsinger  befindet  sich  dem- 
nach das  Schweißcentrum  für  die  Hinter- 
pfoten in  dem  unteren  Theile  des  Brust- 
marks und  oberen  Theile  des  Lende n- 
marks.  Dieses  Schweißcentrum  konnte  er  durch 
die  genannten  Reizmittel  in  Action  setzen.  Daß 
in  diesen  Fällen  die  Schweißsecretiou  nicht  auf 
reflectorischem  Wege  zu  Staude  kam ,  bewies 
Luchsinger  durch  folgende  Versuche.  Es 
wurde  bei  jungen  Katzen  das  Rückenmark  zwi- 
schen 8.  und  9.  Brustwirbel  getrennt,  der  hin- 
tere Abschnitt  durch  Abtragen  der  Wirbelbogen 
bis  zum  Abgang  der  Sacralwurzeln  bloßgelegt, 
die  dura  mater  eröffnet  und  die  hintereu  Wur- 
zeln sämmtlich  auf  beiden  Seiten  durchschnitten, 
endlich  die  Wunde  sorgfältig  geschlossen.  Nach 
zwei  Stunden  wurde  das  Thierchen ,  eingehüllt 
in  Watte  in  den  Brütofen  gesetzt;  es  trat  auch 
jetzt  deutliches  Schwitzen  an  den  Hinterpfoten 
ein.  Nun  wurde  jenes  vorher  begrenzte  Mittel- 
stück   des   Marks   gänzlich    entfernt,    das  Thier 


108 

nochmals  in  den  Brütofen  gesetzt.  Während 
die  Vorderpfoten  wieder  in  Schweiß  geriethen, 
blieb  die  Secretion  an  den  Hinterpfoten  aus. 

Nawrocki,  der  im  Januar  dieses  Jahres 
ähnliche  Versuche  veröffentlicht  hat ,  ist  zu  et- 
was anderen  Resultaten  gekommen.  Er  bestä- 
tigte den  Verlauf  der  Schweißfasern  (für  die 
Hinferpfoten)  in  dem  Bauchstrang  und  Ischia- 
dicus,  fand  dann  aber,  daß  diese  Fasern  zwar 
in  der  Höhe  der  4  oberen  Lendenwirbel  und 
der  2  unteren  Brustwirbel  das  Mark  verlassen, 
aber  nicht  in  diesem  Abschnitt,  sondern  in  der 
Medulla  oblongata  ihr  Centram  erreichen.  Wenn 
er  die  Medulla  am  10.  Brustwirbel  durchschnitt, 
blieben  in  seinen  Versuchen  die  Hinterpfoten 
immer  trocken,  während  die  Vorderpfoten  reich- 
lich schwitzten.  Das  Resultat  blieb  dasselbe, 
wenn  die  Durchschneidung  am  9.,  7.  und  5. 
Brustwirbel  ausgeführt  worden  war. 

In  unseren  Versuchen  sind  wir  zu  denselben 
Ergebnissen  wie  Nawrocki  gekommen.  Nie- 
mals sahen  wir  an  den  Hinterpfoten  Schweiß- 
auftreten ,  wenn  wir  das  Rückenmark  in  der 
Höhe  des  9.  Brustwirbels  durchschnitten  hatten. 
Die  Hinterpfoten  blieben  an  dem  Tage  der  Ope- 
ration wie  auch  an  den  folgenden  trocken,  wäh- 
rend die  Vorderpfoten  schwitzten,  wenn  wir  die 
Thiere  Reizmitteln  unterwarfen.  Es  war  hin- 
sichtlich des  Erfolges  ganz  gleichgültig,  ob  wir 
die  Thiere  kurze  Zeit  nach  der  Operation  oder 
erst  an  den  folgenden  Tagen  auf  ihr  Schweiß- 
vermögen prüften  '). 

Auch    wenn   wir  solchen    Thiei^en    Campher 

1)  Die  Versuche  gelingen  am  besten,  wenn  die  Daroh- 
schneidungen  des  Rückeuinarks  an  verschiedenen  Stellen 
an  verschiedeuefD  Tagen  ausgeführt  werden. 


109 

ßubcutau  beibrachteu,  blieb  der  Erfolg  unverän- 
dert. Wenn  wir  ihnen  aber  statt  dessen  Pilo- 
carpin, muriat.  injicirten,  trat  Schweißsecretion 
an  allen  4  Pfoten  auf. 

Luclisiuger  und  Nawrocki  haben  auch 
die  Schweißfasern  der  Vorderpfoten  verfolgt. 
Ersterer  hatte  in  seinen  citirten  Arbeiten  nur 
angegeben,  daß  dieselben  in  den  Brachialnerven 
bei  Hunden  und  Katzen  verlaufen  und  daß  Rei- 
zung dieser  Nerven,  wie  auch  schon  Gölte  ge- 
sehen, häufig  starke  Schweißsecretion  an  den  im- 
behaarten  Theilen  der  Pfote  zur  Folge  hatte. 
Nachdem  dann  Nawrocki  1.  c.  seine  Versuche 
kurz  veröffentlicht  und  als  Endresultat  mitgetheilt 
hatte,  daß  das  gemeinschaftliche  Schweißcentrum 
für  Vorder-  und  Hinterpfoten  in  der  Medulla 
oblongata  liege,  ferner  daß  die  Schweißfasern 
für  die  Vorderpfoten  das  Rückenmark  am  4. 
Brustwirbel  verlassen ,  hierauf  im  Bruststrang 
nach  dem  G.  stellatum  verlaufen,  weiter  in  den 
Plexus  brachialis  übertreten  und  schließlich  bald 
im  Medianus ,  bald  in  diesem  und  im  Ulnaris 
nachgewiesen  werden  können,  machte  Luch  sin- 
ger  folgende  fast  gleichlautende  Angaben,  Cen- 
tralbl.  3.  S.  36.  „Die  Schweißfasern  der  Vor- 
derpfoten stammen  wie  jene  der  Hinterpfoten 
aus  dem  Rückenmark.  Sie  verlassen  dasselbe 
nicht  mit  den  sensiblen  und  motorischen  Fasern 
des  Beines,  sie  verlaufen  vielmehr  genau  gleich 
wie  die  entsprechenden  Gefäßnerven  (Schiff, 
Cyon)  durch  die  Bahnen  des  Sympathicus. 
Durchschneidet  man  einer  Katze  den  Grenzstrang 
unter  dem  Sternganglion,  so  ist  auf  der  entspre- 
chenden Vorderpfote  weder  durch  Hitze,  noch 
Dyspnoe  Schweiß  hervorzurufen.  Reizt  man  un- 
ter passenden  Bedingungen  jene  von  hinten  her 
in  das  Sterngangliou  führenden  Fasern  des  Grenz- 


110 


Strandes,   so   tritt   dagegen  wiederum  Schwitzen 
Ä  Cderpfote  ein.     Von  dem  SterngangUon 
gelangen  die  Schweißfasern  in  mehreren  Zweigen 
?um  Plexus  brachialis,  die  Fasern  für  die  ulnare 
Seite    verlaufen    weiter  im  N.   ^^^^^'\f^\  ^f^ 
die   radiale  Seite  im  N.  medianus".     Ueber  das 
Centrum  dieser  Fasern  l^^t  Luchsm  ger  m  der 
vorläufio-en    Mittheilung    nichts    ausgesagt    und 
Tch  an  seinen  früheren  Angaben  -cht«  g^^/^;^ 
Wenn  wir  bei   unseren  Thieren  ^^s  Rucken- 
mark in  der  Höhe  des  ersten  B^fj/^^/^t'- 
schnitten,  sahen  wir  nachher  weder  die  Vordei 
Pfoten  noch  die  Hinterpfoten  Schweiß  secerniren, 
oS^^^  vorher   reichlich  geschwitzt  hatten. 

GleLh  negativ  fielen  die  Versuche  aus,  wenn  wir 
nach  der  Operation  Carapher  apphcirten.  So- 
bald wir  aber  Pilocarpin  subcutan  injicirten,  tra- 
ten  an  allen  Pfoten   sehr    rasch    Schweißperlen 

'^  wSiend  die  bisherigen  Experimente  die  pe- 
ripherischen  Theile   der    Schweißfasern   a  s  An- 
Sunkte    des    Pilocarpin    erscheinen    lassen 
feweTsen  die  folgenden  in  Uebereinstimmunj  mit 
LiTchsinger  1  c,  daß  sie  es  nicht  allem  sind  ). 
Zunächst   wnrde    eine  .^^^^r  ge  ori^^^^^^^^ 
chealkanüle  eingelegt  (siehe  Seite  ^19);^^^  ku^;^^ 
lieh  Respiration  unterhalten,  dann  das  Thier  mit 
Turare  schwach  vergiftet;  drittens  die  vier  großen 
HalLrt  rien    0  unterbunden,  daß  beide  Subclavia« 
Seht    an    ihrem    Ursprung    verschlossen    waren, 
V  ertens  wurde  die  Abdominalaorta  oberhalb  der 
Ihaca  communis  unterbunden  und  nun  Pilocarpin 

l)   Zu  diesen  Experimenten  haben  wir  ältere  Thiere 

1/     iMB  2  Jahren  immer  vorgezogen  und   solbstver- 

von  V«   biB  2  Ja^re^^^^»;      .     %^^^^    die  Section  uns 

ständhch    nach    je^e^J^J  ^Unterbindungen,  anderseits 

tÄ^chfeidTn^r  vollständig  gelungen  waren. 


111 

ins  subcutane  Bindegewebe  injicirt.  Es  trat  an 
allen  vier  Pfoten  Schweißsecretion  auf  und  au- 
ßerdem auch  Speichel-  und  Thränenfluß.  An 
den  Vorderpfoten  erschien  der  Schweiß  zuerst, 
(etwa  2  Minuten),  an  den  Hinterpfoten  etwas 
später  (4 — 6  Minuten  nach  der  Injection)  in  all- 
mählich größer  werdenden  Wassertropfen,  die 
wie  Perlen  auf  der  bis  dahin  trocknen  Haut 
lagen.  Natürlich  hatten  wir  vor  der  Injection 
die  sämmtlichen  Pfoten  nicht  nur  gut  getrock- 
net, sondern  auch  die  Schweißdrüsen  durch  wie- 
derholtes Pressen  vollständig  entleert.  Später 
als  der  Schweiß  erschienen  Speichel  und  Thräneu. 
In  einem  Experiment  fing  der  Speichel  erst  16 
Minuten  nach  der  Injection  an  aus  dem  Munde 
zu  träufeln,  während  die  Thränen  schon  einige 
Minuten  früher  über  die  Lider  tropften.  Bei 
einzelnen  Thieren  folgte  auf  eine  wiederholte 
Gabe  von  Pilocarpin  auch  Entleerung  theils  fe- 
ster, theils  flüssiger  Faecalmassen.  Nachfolgende 
Atropininjectiou  kleiner  und  selbst  größerer  Do- 
sen, die  bei  ungestörter  Circulation  die  Schweiß- 
secretion rasch  sistirt,  hat  hier  kein  entscheiden- 
des Resultat  ergeben.  Die  Secretionen  schienen 
danach  geringer  zu  werden  und  hörten  allerdings 
nach  einiger  Zeit  auf.  Das  letztere  ist  aber 
wegen  der  Arterienligatur  auch  ohne  Atropin 
relativ  früh  der  Fall.  Eine  Einwirkung  auf  die 
Iris  ist  dabei  nicht  sicher  zu  constatiren  da,  wie 
Kußmaul  *)  bereits  betont  hat ,  durch  die  Unter- 
bindung der  flalsarterien  leicht  eine  Reizung 
von  Sympathicusfasern  gegeben  wird ,  in  Folge 
deren  eine  Erweiterung  der  Pupille  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  eintritt. 

Da  diese  letzteren  Experimente  noch  darüber 

1)  Kuß  maul,  Verhandl.  d.  ph.  med.  Ges.  zu  Würz- 
bnrg  VI.  S.  16  (1856). 


112 


im   Zweifel   ließen,    ob  das  Pilocarpin   auf  das 
in  der  Medulla  oblongata  gelegene  Schweiß  cen- 
trum  X  abgeseheS  von  ihren  periphenschen 
Endnngen   auf   die   von   ihm  ausgehenden  theils 
^Rückenmark,    theils  im  Sympathicus  yerlau- 
fendtsreißfkserneinwirkMtem^^^^^^^ 
^wai  Tf^ihen  von  Versuchen   an.      in  der  ersten 
Ee    J^Äs^nitten  wir  spontan  -hwjtze'.den 
Thieren  erst  das  Rückenmark   m   der  Hohe  to 
6    B  ustwirbels,  stillten  die  Bl»t"»f.  ""^^^^dem 
sen  die  Wunde  mit  größter  Sorgfalt.     Nachdem 
dSe  Thiere  sich  erholt,  überzengten  wir  uns,  daß 
an  den  Hinterpfoten   kein  Schweiß   .u  erzielen 
war     nnterbanden   darauf  die  Ihaca  commun   , 
rehlössen  rasch  die  "eine  Bauchwnnde  und  in^- 
rirten  subcutan  Pilocarpin.     An  den  Hinterpto 
ten  trat  Sh  jetzt  kein  Schweiß  auf,    wahrend 
Z  Vorderpfotin  mohlich   schwitzten   und   sich 
Sneichel-  und  Thränenträufeln  einstellte,     l"  «" 

die  lUaca  communis.  «J^i'^n  subcuten  P.locar- 

t-t:«  KÄS.,  d,.  M«."..  K- 

len,  wu  HU  g„„:pVip1.  und  Thranenfluß  ver- 

'~TrhS  lud  t  bei  der  Sectiou  stete 
ursaeht  hatte ,  ^'7  j'^rt^iengebiete  begegnet, 
einer  Anomalie  in  dem  Arterie  |      j^  »/„j^t, 

SdÄ^i^^^anr»-  dir^t  aus  dem  Arcus 
und  iruncus   duu  j    .    ,     •      j-     jjach  emem  re- 

^J^rge^^ÄamSetichineinforamen 


113 

intervertebrale  eiusenkte')  Naclideiu  uns  diese 
Anomalie  wiederholt  das  erwartete  Resultat  des 
Versuchs  vereitelt  hatte,  spritzten  wir,  um  des 
Erfolges  sicher  zu  sein,  dem  Versuchsthier  nach 
Unterbindung  der  großen  Halsarterien  kalt  gesät- 
tigte Lösung  von  Indigoschwefelsaurem  Natrium 
in  die  Vena  Ingularis  ext.  bis  zur  Blaufärbung 
der  Hautdecke  und  verwertheten  das  Thier  nur 
dann  zu  den  beschriebenen  Experimenten,  wenn 
die  Conjunctivae  sich  nicht  blau  gefärbt  hatten  ^). 

In  den  beiden  letzteu  Versuchsreihen  hätte 
das  Pilocarpin  auf  die  Schweißfasern  zwischen 
Centrum  und  Peripherie  einwirken  können  und 
müssen ,  um  Transpiration  zu  veranlassen.  Es 
trat  aber  kein  Schweiß  auf.  Mir  müssen  also 
annehmen,  daß  das  Pilocarpin,  wenn  es 
nicht  zur  Peripheri  e  der  Schweißfa- 
sern gelangen  kann,  von  dem  Schweiß- 
centrum aus  Diaphorese  veranlaßt. 

Ob  das  Pilocarpin  auf  die  peripheren  Enden 
der  Schweißfasern  selbst  einwirkt  oder  auf  Gang- 
lien ,  die  Langerhans  in  der  Umgebung  der 
Schweißdrüsen  gesehen  haben  will,  müssen  wir 
vorläufig  unentschieden  lassen ;  wünschen  aber, 
daß  die  von  Luchsinger  angekündigte  Unter- 
suchung über  das  Verhalten  der  Schweißfasern 
zu  dem  Schweißdrüsen -Epithel  recht  bald  die 
erwünschte  Aufklärung  bringen  möge. 

Der  von  Katzen  an  den  nackten  Partien  der 
Pfoten  secernirte  Schweiß,  mag  er  spontan  oder 

1)  Diese  Gefaßanomalie  erklärt  die  schon  von  Luch- 
singer  gemachte  Beobachtung,  daß  Katzen  bisweilen  trotz 
Unterbindung  der  4  Halsarterien  fortathmen. 

2)  Mit  Hülfe  dieser  Tinctionsmethode  kann  man  sich 
leicht  überzeugen,  daß  nicht  nur  (wie  bekannt)  bei  Hun- 
den, sondern,  daß  auch  bei  jungen  Ziegen  die  Unterbin- 
dung der  4  großen  Arterien  am  HaLae  die  Blutzufuhr 
zum  Gehirn  nicht  völlig  abschneidet. 


114 


auf  Anwendung  von  Pilocarpin  erscheinen  rea- 
girt  immer,  wie  auch  Luchsinge  r  anfuhrt  al- 
kalisch Er  färbt  nicht  nur  Curcumapapier 
bräunlich,  sondern  auch  rothes  Lakmuspapier 
intensiv  blau.  Diese  Reaction  rührt  nicht  von 
fremden  Beimischungen  her,  ^enn  in  allen  unse^ 
ren  Versuchen  (bei  einigen  30  Katzen)  haben 
wir  vor  Beginn  derselben  die  Pfoten  der  ihiere 

■'^'ttn^SpiLhweiß  gehen  A^eunittel 
über  Spritzten  wir  Katzen  von  circa  1700  (^rm 
Körpergewicht,  subcutan  0,5  Natriumsalicylat 
Pin  und  nach  15  Minuten  eine  kleine  Menge  Pi- 
bcarpTn  muriat.  sammelten  den  Pfotenschw^ß 
auf  kleinen  Streifen  Fließpapier  wahrend  1 /2 
Senden,  behandelten  ^^  Papier  mit  ange^^^^^^^^^^ 
ten  Aether,  so  konnten  wir  in  dem  AetherrucK 

and    mit    E-nchlorid   die    Salicylsäur^^^ 
weisen.     Bei  Menschen  hat  Buß^)  die  Elimma 
Tn  Ser  Salicylsäure  durch    den  Schwei     darge- 
than,     während    der  Nachweis  Furbrmger  ) 

^^1l^dftU:^licben  Schweiß  gehen  nach 
älteren  und  neueren  Beobachtungen  auch  Pig- 
mente über.  Nach  älteren  Angaben*)  soll,  ab- 
Tsehen  von  Blutfarbstoff,  das  Pigment  des  in- 
nerlich   genommenen  Rhabarbers  und  Indigo  im 

DNach   Robin   (Virchow   «•  Hirsch   ^^^^^^^^^ 
ISlJ  I.   S.  509)    reagirt   ^i^^^-^f^^^^^,  [     aK- 

4    Bei  Schu'chardt  Hdb    d.  Ar.nenn.tt^lehre  1858 

pag.  80   finden  sich  die  ^-^-^'^,:'Z!erhli  ^^n^^^^ 
fi  l  und  Andern  zusammengestellt  ,erner   be    K 

Grundzüge  der  Physiologie  1872  beit(.  /o.  ** 


115 

Schweiße  auftreten.  Bizio  hat  nach  Ranke 
im  Schweiße  Indican  nachgewiesen.  In  neuerer 
Zeit  ist  wieder  ein  Fall  von  blanem  Schweiß  in 
der  Petersburger  med.  Wochenschr.  1876  be- 
schrieben'). Kletzinsky  hat  statt  des  eigent- 
lich obsoleten  Indigo  Indigoschwefelsaure  Alka- 
lien als  Medicanient  empfohlen  ^).  Als  im  phar- 
macologischen  Institut  Infusionen  von  Indigo- 
schwefelsaurem  Natrium  gemacht  wurden,  um  die 
Heidenha  in'schen  Nierenpräparate  herzustel- 
len, benutzten  wir  die  Gelegenheit  und  infun- 
dirten  auch  jungen  Katzen  von  '/*  Jahren ,  die 
reichlich  schwitzten ,  30 — 40  CC  kalt  gesättigte 
Lösung  des  nach  Heidenhain  dargestellten 
Präparats.  Auch  wenn  wir  die  Schweißsecretion 
durch  wiederholte  Injection  von  Pilocarpin  län- 
gere Zeit  unterhielten,  blieb  der  Schweiß  immer 
frei  von  Farbstoff,  weder  Indigo  noch  Indican 
konnte  nachgewiesen  werden.  Bei  Katzen  geht 
hiernach  die  ludigoschwefelsäure  zwar  in  den 
Harn  und  andere  Secrete  über ,  aber  nicht  in 
den  Schweiß. 

Atropiu  sistirt  die  Schweißsecretion,  wenn 
es  zur  Peripherie  der  Schweißfasern  gelangen 
kann.  Von  einem  doppelseitigen  Antagonismus 
zwischen  Atropiu-  und  Pilocarpin  den  Luch- 
singer 1.  c.  beschreibt,  konnten  wir  uns 
nicht  überzeugen. 

2.     Die  Secretion  der   Gl.  ceruminosae. 

Die  den  Schweißdrüsen  im  Bau  vollkommen 
gleichen  Ohrenschmalzdrüsen  werden  bei  Katzen 
gleichfalls    durch    kleine   Dosen    von   Pilocarpin 

1)  Schmidt' s  Jahrbücher  1877  No.  26. 

2)  Hu se mann  Arzneimittelehre  I  S.  412. 

11 


116 


zur  Secretion  aügeregt.  Hat  man  die  von  Außen 
zugänglichen  Theile  der  Katzenohren  vor  dem 
Versuche  auf  das  Sorgfältigste  gereinigt  und  ge- 
trocknet, injicirt  dann  kleine  Dosen  Pilocarpin, 
so  sieht  man  während  Speichel,  Schweiß,  ihra- 
nen  und  Nasensecret  reichlich  abgesondert  wer- 
den, auch  im  Ohre  neues  Secret  erscheinen,  wel- 
ches unter  dem  Microscop  stark  fetthaltig  erscheint. 
Setzt  man  den  Versuch  längere  Zeit  fort  und 
nimmt  das  Secret  mit  Fließpapier  auf,  so  kann 
man  nach  einiger  Zeit  auch  macroscopisch  den 
Fettgehalt  des  Ohrensecrets  deutlich  erkennen  ). 
Zu  einer  weiteren  Verfolgung  dieses  Secrets  ge- 
ben die  heutigen  physiologischen  Kenntnisse  lei- 
der keinen  genügenden  Anhaltspunct. 

Atropin  sistirt  die  durch  Pilocarpin  vermehrte 
Ohrenschmalzsecretion. 

3.     Thränensecretion. 

Die  Absonderung  der  Thränen  wird,  wie 
allgemein  bekannt  ist,  leicht  vom  Centrum  aus 
durch  psychische  Einflüsse  (bei  Menschen)  be- 
wirkt. Diese  Thränenabsonderung  durfte  in  ei- 
ner centralen  Erregung  des  Trigeminus  ihren 
Ursprung  haben.  Reizung  der  Tngemiiiuswur- 
zeln  bedingt,  wieCzermak^)  experimentell  (an 
abgetrennten  Thierköpfen)  beobachtet  hat,  eine 
Zunahme  der  Augenflüssigkeit.  Nach  den  Un- 
tersuchungen  von    Herzenstein''),     Uemt- 

1)  Steigerung  der  Absonderung  des  Gehörgangs  kommt 
vor  lei  p'ersoni  welche  «tark  »^rnfPfo  schwitzen : 
Tröltsch  Lehrb.  der  Ohrenheilk.  1873  S8i. 

2)  Mole  seh  Otts  Untersuchungen  z.  Naturlehre  18bO, 

^"sf'HJr^enstein,  Beiträge  z,  Pt>«i?Är"^ ^^''" 
pie  der  Thränenorgane,  Berlin  Hirschwald  1Ö6Ö. 


117 

schenko  *)  und  Wolferz  *)  ruft  außerdem 
Reizung  des  N.  Lacrymalis  uud  des  Subcutaneus 
malae  Vermehrung  der  Thräuensecretion  hervor. 
Ferner  ist  die  Reizung  des  Haissympathicus 
auch  nach  vorgäugiger  Durchschueidung  des  N. 
Lacrymalis  und  N.  Subcutaneus  malae  von  ei- 
ner unverkennbaren  Thränenvermehrung  beglei- 
tet. Reflectorisch  kauu  bei  Integrität  eines  der 
beiden  genannten  Trigeminuszweige  und  selbst 
bei  durchtrenntem  Haissympathicus  von  sensiblen 
Hirn-  und  Rückenmarksnerven,  sowie  durch  in- 
tensiven Lichtreiz  vom  Opticus  aus  die  öecretion 
der  Thränendrüse  (die  doch  vorzugsweise  die 
Augenfeuchtigkeit  liefert)  unzweifelhaft  vermehrt 
werden. 

Wir  haben  die  Experimente  genannter  For- 
scher —  nur  die  von  C  z  e  r  m  a  k  ausgeführten 
Reizungen  des  Trigeminus  haben  wir  weggelas- 
sen —  wiederholt  und  benutzten  dazu  große 
Hunde,  welche  durch  Chloralhydrat  tief  narco- 
tisirt  waren.  Bei  diesen  haben  wir  die  von 
Herzenstein  nach  Durchschneidung  des  La- 
crymalis und  Subcutaneus  malae  beobachtete 
coutinuirliche  Thräneusecretion  nie  gesehen  ^). 
Injectionen  von  Pilocarpin  riefen,  nachdem  vor- 
her der  N,  Lacrymalis  uud  Subcutaneus  malae 
und  der  betreffende  Vagosympathicus  am  Halse 
durchtrennt  waren,  stets  deutlich  vermehrte  Thrä- 


1)  Demtschenko,  Archiv  für  die  gesammte  Phy- 
siologie 1872  VI.  ßd.  S.  191. 

2)  Wolferz,  InauguraldissertatioD.     Dorpat  1871. 

3)  Herzenstein  betrachtet  die  von  ihm  beobachtete 
coutinuirliche  Thräuenabsonderung  als  eine  paralytische 
—  ganz  gewiß  mit  Unrecht,  da  er  die  Reizeffecte,  welche 
die  complicirte  Operationswunde  zur  Folge  hat,  ganz 
außer  Rechnung  gelassen  hat. 

11* 


118 

nenabsonderung  hervor.  Nachfolgende  Injection 
von  Atropin.  sulfuric.  sistirte  die  Secretion. 

Wie  wir  schon  vorher  angeführt  haben,  er- 
regt das  subcutan  applicirte  Pilocarpin  auch  dann 
noch  Thränenfließen ,  wenn  die  4  großen  Arte- 
rien am  Halse  unterbunden  sind.  Die  einzige 
Bedingung  für  das  Zustandekommen  dieser  Se- 
cretion (wie  auch  der  Speichelsecretion)  besteht 
darin,  daß  der  Halssympathicus  nicht  durchschnit- 
ten ist. 

Zum  Beweise  führe  ich  kurz  nur  zwei  von 
vielen  Experimenten  au. 

1.  Großes,  weibliches  Kaninchen,  3680  Grm.  schwer; 
Glastrachealkanüle ,  Curare ,  künstliche  Respiration  ;  Un- 
terbindung der  vier  großen  Arterien  am  Halse  und  zwar 
so,  daß  zuerst  die  beiden  Subclaviae  mit  ligaturen  verse- 
hen und  zuletzt  erst  die  beiden  Carotiden  zugeschnürt 
werden.  Durchtrennung  der  Sympathici  am  Halse  und 
subcutane  Injection  von  Pilocarpin,  Es  erfolgt  weder 
Thränen-  noch  Speichelsecretion.  Auch  nachdem  noch- 
mals eine  zweite  Dosis  Pilocarpin  applicirt  ist,  bleibt 
Mund  und  Auge  trocken. 

2.  Großes,  männliches  Kaninchen,  3990  Grm.  schwer, 
in  gleicherweise  wie  vorher  operirt,  nur  die  Sympathici 
nicht  durchschnitten. 

12  Uhr  1  M.  subcutan  0,004  Pilocarpin,  muriat 

12     »      5   »    Thränenträufeln. 

12    »     7   »    Speichel  tropft  aus  dem  Munde. 

Bronchialsecret    tritt    reichlich    in    die 
Glaskanüle,  wird  entfernt. 
12     »    10   >    wird  der  Versuch  unterbrochen  und  bei 
der  Section  ebenso   wie  vorher   die  gelungene  Unterbin- 
dung  der  Arterien  und  Abwesenheit  von  Gefäßanomalien 
constatirt*). 

Bei  Katzen  ist  unter  gleichen  Bedingungen 
die  Thränensecretion  häufig  viel  stärker. 

Hat  man  Natriumsalicylat  in  das  subcutane 
Bindegewebe  gespritzt,  so  kann  man  schon  sehr 

1)  Kußmaul  1.  c.  gibt  schon  ausnahmweise  bei  Ka- 
ninchen vorkommende  Anomalien  an. 


119 

bald  Salicylsäure  iu  den  durch  Pilocarpin  reich- 
lich abgesouderten  Thränen  auffinden.  Indigo- 
schwefelsaures Natrium  dagegen  haben  wir  nie 
in  die  Thränen  übergehen  gesehen. 

Die  durch  Pilocarpin  stark  vermehrten  Thrä- 
nen fließen  zum  Theil  durch  die  Nase  ab  und 
erscheinen  in  den  Nasenöffnungen  meistens  frü- 
her, als  sich  eine  gesteigerte  Secretion  der  Na- 
senschleimhaut manifestirt.  Diese  letztere  Secre- 
tion haben  wir  nicht  genauer  verfolgt. 

Atropin  sistirt  die  Secretion  der  Thränen- 
drüsen  und  der  Nasenschleimhaut. 

4.     Die  Secretion  der  Bronchialschleinüiaut. 

Die  Vermehrung  der  Bronchialschleim- 
haut durch  Pilocarpin,  welche  einzelne  Autoren*) 
bei  Menschen  fast  constant  beobachtet  haben, 
wird  von  den  meisten  Beobachtern  in  Abrede 
gestellt.  Bei  Thieren  ist  sie  uns  constant  begeg- 
net, solange  wir  kräftige,  gut  genährte  Indivi- 
duen benutzen  konnten.  Bei  decrepiten  Versuchs- 
thieren  bleibt  nicht  nur  die  Vermehrung  der  Bron- 
chialsecretion,  sondern  auch  des  Schweißes  aus. 

Die  gesteigerte  Absonderung  des  Bronchial- 
secrets  kann  man  sehr  schön  beobachten,  wenn 
man  bei  Hunden,  Katzen,  Kaninchen,  Ziegen 
statt  der  von  Ludwig^)  angegebenen  Tracheal- 
kanülen T-förmige  Glaskanülen  benutzt.  Die 
senkrecht  auf  den  beiden  anderen  Schenkeln 
stehende  Mündung  wird  mit  einem  Ludwig'schen 
Excentrik  verbunden.     Der  eine  der  beiden  ge- 

1)  RobiD  1.  c.  u.  Weber  Centralblatt  f.  d.  m.  W. 
1876  No.  40  sahen  das  Bronchialsecret  bei  Erkrankungen 
der  Luftwege  flüssiger  werden  und  die  Krankheitsprocesse 
(Bronchitis  u.  Croup)  günstiger  verlaufen. 

2)  Ludwig  im  Atlas  zur  Methodik  von  Cyon  Taf. 
I.  Fig.  2  u.  Taf.  U.  Fig.  13  u.  14. 


120 

raden  Schenkel  muß  entsprechend  ausgezogen 
sein ,  damit  er  in  der  Trachea  sicher  befestigt 
werden  kann.  Die  dritte  Oeffnung  wird  mit 
einem  kurzen  in  eine  enge  Oeffnung  auslaufenden 
Glasröhrchen  und  Kautschukschlauch  nur  so 
weit  geschlossen,  daß  die  Expirationsluft  und 
die  überflüssige  Inspirationsluft  leicht  entweichen 
können^).  Sobald  in  Folge  der  Pilocarpinwir- 
kung  in  der  Glaskanüle  reichlich  Bronchialse- 
cret  erscheint,  kann  man  dasselbe  (nachdem 
man  den  Kautschukschlauch  mit  dem  zugespitzten 
Glasröhrchen  entfernt  hat)  leicht  mit  konischen 
Fließpapiercylindern  entfernen  und  zu  weiterer 
Untersuchung  sammeln.  —  In  dem  bei  Pilo- 
carpinmedication  reichlich  abgesonderten  Bron- 
chialsecret  läßt  sich  die  subcutan  eingeführte 
Salicylsäure  stets  nachweisen  ^).  Auch  das  ins 
Blut  infundirte  Indigoschwefelsaure  Natron  er- 
scheint zum  Theil  in  den  Sputis. 

Atropin  sistirt  auch  die  Vermehrung  des 
Bronchialsecrets. 

5.    Die  Speichelsecretion. 

Die  Speichelsecretion  wird  durch  Pilo- 
carpin im  höchsten  Grade  gesteigert,  Der  pro- 
fuse Speichelfluß  tritt  bei  Thieren  und  Menschen 
sehr  häufig  schon  vor  der  Schweißsecretion  auf. 
Daß  das  Pilocarpin  die  Submaxillardrüsen,  wahr- 
scheinlich auch  die  anderen  Speicheldrüsen  durch 

1)  Diese  leicht  herzustellenden  und  leicht  zu  reini- 
genden Glaskanülen  empfehlen  sich  in  allen  Fällen,  wo 
die  Respiration  längere  Zeit  künstlich  unterhalten  werden 
muß. 

2)  Büß  hat  bei  Menschen  den  Uebergang  der  Sali- 
cylsäure in  die  Sputa  nachweisen  können,  während  Für- 
bringer  1.  c.  negative  Resultate  erhielt. 


121 

peripherische  Erregung  ihrer  secretorischen  Fa- 
sern zu  gesteigerter  Function  veranlasst  und 
daß  Atropin  diese  Secretion  unterdrückt,  haben 
Carville^)  schon  1875,  Schwahn  und  Lang- 
ley  1876  experimentell  erwiesen. 

Die  Richtigkeit  der  Carville' sehen  Beob- 
achtungen können  wir  aus  eignen  Versuchen  be- 
stätigen. Nach  unseren  Experimenten  müssen 
wir  aber  weiter  hinzufügen,  daß  dasAlcaloid 
auch  vom  Speichelcentrum  in  der  Me- 
dulla  oblougata  aus  dieSecretion  noch 
anregen  kann,  solange  dasselbe  durch  die  im 
Sympathicus  verlaufenden  Fasern  mit  den  Secre- 
tionsorganen  in  Zusammenhang  steht.  Ist  der 
Halssympathicus  durchschnitten  und  dem  Pilo- 
carpin der  Zugang  zu  den  anderen  secretorischen 
Fasern  der  Speicheldrüsen  abgesperrt,  so  tritt, 
wie  die  (Seite  118)  mitgetheilten  Experimente 
lehren,  keine  Speichelsecretiou  mehr  ein. 

Weiter  haben  wir  bei  Thieren ,  welchen  In- 
digoschwefelsaures Natrium  ins  Blnt  infundirt 
worden  war,  den  aus  dem  Munde  fließenden 
Speichel  einige  Zeit  nach  der  Pilocarpininjection 
sich  schwach  blau  färben  gesehen.  Der  Subma- 
xillarspeichel,  den  wir  durch  eine  in  den  ductus 
Whartoniauus  eingelegte  Canüle  sammelten,  zeigte 
dagegen  keine  deutliche  Blaufärbung, 

Den  Uebergang  von  subcutan  applicirter  Sa- 
licylsäure  in  den  Speichel  haben  wir  bei  jungen 
Ziegen  mit  Hülfe  von  Pilocarpin  stets  leicht  con- 
statiren  können.  Dieser  Nachweis  eignet  sich 
selbst   zum  Yorlesuugsversuche.     Man   setzt  vor 

1)  Carville,  Virchow  u.  Hirsch  Jahresber.  für 
1875  S,  520  u.  Schwahn  Centralb.  f.  d.  m,  W.  1876 
No.  25  S.  440  441  mit  Folia  Joborandi ;  Langley  Vir- 
clhow  a.  Hirsch  Jahresbericht  für  1876  S.  447  mit 
Püocarpinom  uitricam. 


122 

Beginn  des  CoUegs  die  Pilocarpinwirkuug  kräf- 
tig in  Gang,  spritzt,  nachdem  man  eine  Quan- 
tität Speichel  aufgefangen  hat,  eine  Lösung  von 
Natriumsalicylat  vor  den  Augen  der  Zuhörer  ins 
subcutane  Bindegewebe  junger,  aber  schon  fres- 
sender Ziegen  und  läßt  den  Speichel  vom  Diener 
in  viertelstündig  abgesonderten  Portionen  sam- 
meln. In  der  Regel  kann  man  zu  Ende  der 
Vorlesung  in  der  zuletzt  gesammelten  Partie 
durch  einfachen  Zusatz  von  Eisenchlorid  zu  dem 
schwach  angesäuerten  Speichel  die  Salicylsäure- 
Reaction  demonstriren.  Ist  das  nicht  der  Fall, 
so  schüttelt  man  in  bekannter  Weise  den  Speichel 
mit  angesäuertem  Aether  und  setzt  Eisenchlorid 
zu  dem  in  wenig  Wasser  aufgenommenen  Aether- 
rückstand. 

6.    Die  Milchsecretion. 

Inconstant  und  nur  von  Wenigen')  bei  Frauen 
beobachtet,  ist  eine  Vermehrung  der  Milchsecre- 
tion. Wir  haben  weder  bei  Kaninchen  noch  bei 
einer  Mutterziege  eine  irgend  erhebliche  Ein- 
wirkung des  Pilocarpin  auf  die  Quantität  der 
Milch  festzustellen  vermocht.  Weil  das  letztere 
Thier  zu  einer  Reihe  anderer  Versuche  dienen 
sollte,  haben  wir  auf  jede  Infusion  von  Indigo- 
schwefelsaurem  Natrium  verzichtet.  Dagegen 
ist  es  uns  gelungen  den  Uebergaug  der  in  den 
Magen  eingeführten  Salicylsäure  und  von  Spal- 
tungsproducten  des  intern  gereichten  Salicin  in 
die   Milch    zu   constatireu. 

Nach  Feser's  Angaben^)  konnte  Fried- 
berger  bei  einer  mit  großen  Dosen  Salicylsäure 

1)  Virchow  u.  Hirsch  Jahresber.   f.    1875  S.  51G. 

2)  Feaer,  Archiv  f.  wissensch.  u.  pract.  Thierheil- 
kunde  1876  I.  S.  66  sagt    »in  die  Milch  scheint  Saiicyl- 


123 

behandelten  Kuh  die  letztere  iu  der  Milch  nicht 
wiederfinden.  Wahrscheinlich  deßhalb  nicht,  weil 
die  Milchuntersuchung  nicht  lange  genug  fortge- 
setzt wurde. 

Eine  Matterziege  erhielt  vom  28.  April  1876 
bis  zum  6.  Mai  täglich  Salicylsaures  Natrium 
in  mit  Wasser  angerührter  Kleie.  Die  täglich 
2mal  gemolkene  Milch  wurde  entschieden  auge- 
säuert und  dann  reichlich  mit  Alcohol  versetzt, 
gut  umgerührt  und  nach  einigem  Stehen  erst 
colirt  und  dann  filtrirt.  Die  Filtrate  wurden 
stets  sofort  auf  dem  Wasserbade  eingeengt  und  der 
Rückstand  mit  angesäuertem  Aether  geschüttelt. 
Nachdem  das  Thier  3  Tage  lang  Natriumsalicylat, 
im  Ganzen  22,0,  erhalten  hatte,  zeigte  am  4. 
Tage  die  Morgenmilch  exquisite  Salicylsäurereac- 
tion.  Vom  4.  Tage  an  wurde  unter  Aufsicht 
3mal  täglich  ein  junges  Ziegenlamm  direct  aus  dem 
Euter  des  Mutterthieres  gefüttert  und  nach  je- 
der Fütterung  in  einen  zur  Sammlung  des  Harns 
geeigneten  Kasten  gesetzt.  Am  4.  Mai  erschien 
die  Salicylsäure  selbst  nachdem  der  Harn  mit 
Aether  ausgeschüttelt  war,  nur  undeutlich.  Als 
aber  der  am  5.  und  6.  Mai  gesammelte  Harn 
vereinigt  untersucht  wurde,  färbte  Eisenchlorid 
den  in  Wasser  aufgenommenen  Aetherrückstand 
intensiv  violett. 

In  ähnlicher  Weise  verfuhren  wir ,  um  den 
Uebergang  der  Salicinspaltungsproducte  in  die 
Milch  der  Mutterziege  nachzuweisen  und  gelang- 
ten auch  hier  zu  demselben  positiven  Resultat. 
—    Ziegen   eignen  sich  schon  deßhalb  viel  bes- 

sänre  oder  ein  ealicylsaures  Salz  nicht  überzugehen.  Die 
Milch  der  Kuh,  welche  Prof.  Friedberger  wegen  Sep- 
ticaemie  mit  großen  Mengen  der  Substanz  (Salicylsäure) 
behandelte,  war  bei  wiederholter  Untersuchung  stets  frei 
davon.« 


124 

ser  als  Kühe  zu  diesen  Untersuchungen ,  weil 
die  kleinere  Quantität  Milch,  die  sie  liefern,  be- 
quemer und  sicherer  zu  untersuchen  ist  ^). 

7.    Die  Harnsecretion. 

Auch  über  die  Einwirkung  des  Pilocarpin 
auf  die  Harnsecretion  sind  die  Ansichten 
der  Autoren  sehr  getheilt.  Nach  unseren  Ver- 
suchen an  Thieren  vermögen  kleine  Dosen  Pi- 
locarpin bei  Katzen  und  Hunden  ein  fortdauern- 
des Ausfließen  des  Harns  aus  der  Blase  während 
der  ganzen  Zeit  der  secretionsbeförndernden 
Wirkung  des  Alcaloids  (auf  Speichel  etc.)  fast 
constant  hervorzurufen  ^).  Indeß  verlieren  große 
Dosen  auch  keineswegs  die  anregende  Wirkung 
auf  die  Nierenthätigkeit,  aber  die  Excretion  des 
Harns  pflegt  dabei  meist  nicht  mehr  einzutreten. 
Hat  man  großen  Katzen  und  Kaninchen  in  der 
früher  angegebenen  Weise  die  4  großen  Hals- 
arterien unterbunden  und  injicirt  dann  in  kur- 
zen Z\yischenräumen  den  bewußtlosen,  durch 
künstliche  Respiration  am  Leben  erhaltenen 
Thieren,  nachdem  man  das  Abdomen  eröff'net 
hat,  etwa  8 — 10  Mgrm.  Pilocarpin,  so  sieht  man 
die  Blase,  selbst  wenn  sie  schon  ziemlich  gefüllt 
war,  sich  stärker  und  stärker  mit  Harn  anfüllen, 
ohne  daß  die  Excretion  zu  Stande  kommt.  Bei 
diesen  Versuchsthieren  mag   die  Bewußtlosigkeit 

1)  Nach  dem  Jahresb.  über  die  Fortschritte  in  der 
Thierchemie  für  1876  S.  266  hat  Beneke  den  Ueber- 
gan;;  der  Salicylsäure  in  die  Frauenmilch  constatiren 
können. 

2)  Dieses  Resultat  stimmt  mit  den  Beobachtunfj^en 
von  Robin,  Cantani  1.  c.  1875  S.  516  u.Anderen  und 
läßt  vermuthon,  daß  Ringer  u.  Gould,  (ebend.)  immer 
größere  Gaben  von  Pilocarpin  resp.  Fol.  Jaborandi  ange- 
wendet haben. 


125 

und  ferner  die  Unthätigkeit  des  prelura  abdomi- 
nis  zum  Theil  die  Ausscheidunor  jrehiudert  ha- 
ben. Vielleicht  verursacht  das  Pilocarpin  aber 
auch  einen  Krampf  des  Sphiucter  vesicae.  Es 
bedarf  jedenfalls  eines  bedeutenden  Drucks  um 
die  angefüllte  Blase  zu  entleeren.  Es  ist  außer- 
dem aus  Beobachtungen  am  Krankenbett  be- 
kannt, daß  größere  Dosen  von  Pilocarpin  neben 
anderen  störenden  Nebenerscheinungen  auch 
Dysurie  und  Ischurie,  selbst  heftige  Schmerzen 
in  der  Urethra,  der  Nierengegend  und  oberhalb 
der  pubes  veranlassen  können  ^).  Unter  allen 
Umständen  bleibt  die  Vermehrung  der  Haru- 
secretion  weit  hinter  der  Vermehrung  der  übri- 
gen Secretionen  zurück. 

Die  Frage,  in  welcher  Weise  das  Pilocarpin 
in  kleinen  und  in  großen  Dosen  die  geschilderten 
Wirkungen  auf  den  uropoietischen  Apparat  her- 
vorbringt ,  ob  sie  mit  der  Beeinflussung  des 
Blutdrucks  oder  der  Nierennerven  durch  Pilo- 
carpin oder  mit  beiden  Bedingungen  in  causalem 
Zusammenhang  stehen,  haben  wir  bei  der  Un- 
möglichkeit die  Nierennerven  mit  Sicherheit  alle 
zu  isoliren  nicht  weiter  zu  lösen  versucht. 


8.    Die  Darmsecrdion  und  Excretion. 

Die  durch  Medicamente  veranlaßte  Steige- 
rung der  Darmentleerungen  wird  ziemlich  all- 
gemein auf  eine  gesteigerte  Peristaltik  zurück- 
geführt und  nicht  auf  eine  vermehrte  Transsu- 
dation.     Die   Mittelsalze    bedingen ,    wie   neuer- 

1)  Beobachtungen  von  Pilcicier,  Oehme,  Lorisch, 
Sakowski,  Dräsche,  Stampf,  Robin,  Ringer  n. 
Murrell.  (Virchow  u.  Hirsch  Jahresb.  pro  1876 
S.  518.) 


126 

liehst  Brieger^)  bewiesen  hat,  eine  vermehrte 
Secretiou  der  Drüsen  der  Darmschleimhaut. 

Da  nun  bei  Thiereu  größere  Dosen  von  Pi- 
locarpin (bei  Katzen  bis  0,008  oder  0,016)  re- 
gelmäßig nicht  nur  einfache  Darm-Entleerungen, 
sondern  eine  länger  andauernde  Excretion  von 
Flüssigkeiten  per  anum  zur  Folge  haben  und 
die  Beobachtungen  der  verschiedenen  Autoren 
bei  Menschen  hinsichtlich  dieser  Wirkung  des 
Alcaloids  sehr  auseinander  gehen ,  kam  es  uns 
zunächst  darauf  an,  zu  prüfen,  ob  Pilocarpin  im 
Stande  sei ,  die  Peristaltik  bei  Thieren  zu  stei- 
gern oder  hervorzurufen.  Bei  Kaninchen  hat 
Schwahn^)  unmittelbar  auf  Injection  von  6 
— 7  grm.  eines  wässrigen  Aufgusses  von  Folia 
Jaborandi  (1  :  4,8)  in  eine  Drosselvene  stürmi- 
sche Peristaltik  mit  stoßweißer  Kothentleerung 
gesehen. 

Die  Physiologie  lehrt  uns,  daß  die  Peristal- 
tik des  Darms,  energisch  veranlaßt  werden  kann, 
central  vom  Gehirn  aus  durch  Erregung  der 
Vagusursprünge.  Neuere  Untersuchungen  ma- 
chen es  ferner  höchst  wahrscheinlich,  daß  zwar 
nicht  jede  Veränderung  in  der  Circulation  des 
Darms ,  wie  es  D  o  n  d  e  r  s  wollte ,  wohl  aber 
vermehrter  Blutgehalt  und  verstärkter  Blutdruck 
in  den  Intestinalgefäßen  und  andererseits  auch 
eine  qualitativ  veränderte  Blutmischung  die  Pe- 
ristaltik sowohl  intra  vitam  wie  kurze  Zeit  post 
mortem  kräftig  zu  erregen  vermögen.     Anaemie 

1)  Brieger's  Experimente  (Archiv  für  experiment. 
Phath.  u.  Pharm.  1878  VIII,  S.  355—360)  eignen  eioh, 
wie  ich  hervorheben  will,  sehr  gut  zu  Vorlesangsver- 
suchen,  um  das  Interesse  der  Zuhörer  für  das  unappetit- 
liche Kapitel  der  Purgantien  durch  Demonstration  eines 
eclatanten  und  reinlichen  Erfolges  lebendig  zu  erhalten. 

1)  Schwahn,  Centralblatt  f.  d.  m.  W.  1876  S.  440 
u.  441. 


127 

des  Darms  veranlaßt  im  Widerspruch  mit  älte- 
ren Angaben  niemals  Darmbewegungeu  ').  Drit- 
tens nimmt  man  allgemein  an ,  daß  das  den 
ganzen  Darm  durchziehende,  zuerst  von  G.  Meiß- 
ner genauer  beschriebene ,  von  Anderen  bestä- 
tigte und  weiter  untersuchte  gangliöse  Nerven- 
geflecht bei  seiner  Erregung  peristaltische  Be- 
wegungen des  Darms  auslöst.  Zweifelhaft  bleibt 
es,  ob  die  N.  Splanchnici  neben  hemmenden 
auch  rein  motorische  Fasern  enthalten ,  wie  es 
ja  auch  in  neuerer  Zeit  fraglich  geworden  ist, 
ob  die  von  Pflüger ^)  constatirte  Hemmuugs- 
wirkung  der  Splanchnici  durch  wirkliche  Hem- 
mungsfasern, wie  Pflüger  annimmt,  zu  Stande 
kommt  oder  nur  dadurch  bedingt  wird,  daß  die 
Reizung  der  Splanchnici  als  vasomotorischer 
Nerven  den  ßlutgehalt  des  Darmcanals  beschränkt. 
Durch  0.  Nasse')  wissen  wir  endlich,  daß  eine 
Reihe  von  Medicamenten  und  Giften  vom  Blut 
aus  die  Peristaltik  erregen  kann  ohne  Mitwir- 
kung des  Vaguscentrums. 

Um  zu  entscheiden  durch  welches  der  ge- 
nannten Momente  und  ob  etwa  durch  Concnr- 
renz  mehrerer  derselben  die  Wirkung  auf  die 
Abdominalorgane  zu  Stande  kommt ,  haben  wir 
folgende  Experimente  angestellt,  bei  denen  es 
uns  darauf  ankam  den  Einfluß  des  Hirns  auf 
den  Darm  ohne  Anwendung  von  Narcotica  voll- 
ständig zu  eliminiren. 

Große   Katzen    oder  Kaninchen    werden  mit 

1)  van  Braam  Houckgeest,  über  Peristaltik  des 
Magens  und  Darmkanals.  Archiv  für  die  gesammte  Phy- 
siologie 1872  VI,  S.  266—302. 

2)  Pflüger,  Ueber  das  Hemmongsnervensystem  für 
die  peristaltischen  Bewegungen  der  Gedärme,  Berlin  1857. 

3)  0.  Nasse,  Beiträge  zur  Physiologie  der  Darmbe- 
wegung, Leipzig  1866. 


128 

einer  Trachealkanüle  versehen  und  schwach  mit 
Curare  vergiftet.  Während  künstlicher  Respira- 
tion, die  das  ganze  Experiment  hindurch  unter- 
halten werden  muß,  unterbinden  wir  die  4  gro- 
ßen Halsarterien  wie  früher  angegeben  und  durch- 
schneiden die  beiden  Vagi  am  Halse.  In  eine 
Vena  lugularis  ext.  wird  eine  mit  Pilocarpinlö- 
sung  gefüllte  Kanüle  eingebunden.  Oeffnet  man 
jetzt  bei  dem  Thier,  dessen  Gehirn  gänzlich  aus- 
ser Function  gesetzt  ist,  das  Abdomen,  so  findet 
man  die  Darmwindungen  in  vollkommener  Ruhe. 
Wird  dann  eine  Dosis,  etwa  0,004  Pilocarpin  in 
warmer  0,67o  Kochsalzlösung  in  die  Vena  ju- 
gularis  eingespritzt  so  tritt  nach  kurzer  Zeit 
lebhafte  Peristaltik  des  Dünndarms  ein.  Hat  man 
vor  der  Injection  die  Brustaorta  durch  ein  in 
den  Thorax  geschnittenes,  kleines  Fenster  compri- 
mirt,  so  bleibt  die  Peristaltik  aus  und  tritt  erst 
wieder  ein,  nachdem  die  Compression  aufgeho- 
ben ist. 

Um  den  Einfluß  der  atmosphärischen  Luft 
auszuschließen  ,  wird  das  Experiment  mit  glei- 
chen Erfolge  so  variirt,  daß  man  das  Abdomen 
unter  blutwarmer  0,6'*/o  Kochsalzlösung  nach 
dem  Vorgang  von  iSander  Ezu  eröffnet. 

Statt  der  Injectiou  in  eine  Vena  Jugularis  ha- 
ben wir  in  anderen  Versuchen  Injectionen  in 
eine  Mesenterialarterie  gemacht  und  auch  hier 
den  Eintritt  von  lebhaften  Darmbewegungen  ohne 
Ausnahme  beobachtet. 

Um  aber  auch  den  möglichen  Einfluß  ver- 
änderter Blutmischung  auszuschließen ,  änderten 
wir  die  Experimente  dahin,  daß  wir  einem,  wie 
angegeben,  vorbereiteten  Thiere  (bei  Katzen) 
eine  Kanüle  mit  der  Spitze  nach  dem  Darm  zu 
in  die  Pfortader  einbanden  u.  dann  durch  In- 
jectiou blutwarmer  0,G7o  Kochsalzlösung  in  eine 


129 

Mesenterialarterie  einen  Theil  der  Darmschlingen 
so  vollständig  wie  möglich  blutleer  machten. 
Spritzten  wir  dann  0,004  Pilocarpin  ein  oder 
mehrere  Male  in  dieselbe  Art.  mesenterica,  so 
beobachteten  wir  regelmäßig  in  den  möglichst 
blutleeren  Darmschlingen  peristal tische  Bewe- 
gungen. 

Wir  glauben  hieraus  schließen  zu  dürfen, 
daß  unser  Alcaloid  die  Peristaltik  bei  Thieren, 
jedenfalls  bei  Katzen  und  Kaninchen,  durch  di- 
recte  Reizung  des  gangliösen  Darmgeflechts  er- 
regen kann. 

Auf  keinen  Fall  ist  die  verstärkte  Peristal- 
tik bedingt  durch  eine  directe  Reizung  der  Darm- 
musculatur.  Denn  hatten  wir  nach  Bezold 
und  Bloebaum^)  die  Darmganglien  durch  Atro- 
pin  in  Uutbätigkeit  versetzt,  so  ließ  sich  durch 
nachträgliche  Injection  von  sonst  wirksamen 
Dosen  Pilocarpin  keine  Peristaltik  mehr  erzielen, 
obgleich  die  Darmmusculatur  nicht  gelähmt  war, 
sondern  auf  electrischeu  Reiz  sich  energisch 
contrahirte. 

Vulpian*)  hat  bei  geöfl'netem  Abdomen 
und  gleichzeitig  eröffnetem  Magen  uud  Darm 
durch  Jaborandi-Infus ,  welches  er  in  eine  Vene 
spritzte,  Vermehrung  der  Secretiou  der  Magen- 
schleimhaut ,  des  Paucreas ,  der  Leber  (Galle) 
und  der  Niere  eintreten  gesehen.  Wir  haben 
uns  in  anderer  Weise  von  der  Einwirkung  des 
Pilocarpin  auf  die  Secretiou  der  Darmdrüsen 
überzeugt. 

Bei  großen  Kaninchen  uud  Hunden  wurde 
nnter   den    üblichen   Cautelen   eiu    recht  langes 

1)  Bezold  und  Bio e bäum,  Untersuchungen  a.  d. 
phys.  Lab.  in  Würzburg  v.  1867,  I.  H.  S.  1  —  72. 

2)  Vulpian:  Gazette  hebd.  d.  med.  et  de  chir.  11, 
S.  T.  XII  1875  S.  188. 


130 

Stück  des  Dünndarms  aus  einer  kleinen  Schnitt- 
wunde in  der  liuea  alba  hervorgehoben,  an  bei- 
den Enden  unterbunden,  nach  Moreau's  Me- 
thode gereinigt  und  nach  sorgfältigem  Ver- 
schluß der  Wunden  reponirt  und  die  Bauch- 
wunde vernäht.  Alsdann  injicirten  wir  subcu- 
tan eine  relativ  große  Dosis  Pilocarpin  und  sa- 
hen nun  die  von  Zeit  zu  Zeit  controlirte  Darra- 
schlinge  sich  mit  einer  Flüssigkeit  reichlich  füllen, 
die  in  Aussehen  und  Reactionen  mit  dem  Darm- 
saft, wie  ihn  Thiry  beschrieben  hat,  überein- 
stimmte. Im  Abdomen  der  Versuch sthiere  fand 
sich  kein  Transsudat. 

Das  Pilocarpin  vermag  demnach  nicht  nur 
die  Peristaltik  anzuregen,  sondern  auch  eine 
reichliche  Secretion  der  Darmdrüsen  herbeizu- 
führen. Vielleicht  wird  die  Wirkung  auf  die 
Peristaltik  noch  verstärkt  durch  die  Veränderung 
des  Blutdrucks  und  der  Pulsfrequenz,  welche 
Pilocarpin  nach  Untersuchung  von  Langley 
1.  c.  und  von  Kahler  und  Soyka^)  bewirkt. 

Die  bei  Katzen  und  Kaninchen  durch  grö- 
ßere Dosen  Pilocarpin  verursachten  Diarrhoeen 
können  durch  Atropiu  unterdrückt  werden. 
Auch  hier  wurde  die  Wirkung  des  letzteren  Al- 
caloids  nie  durch  größere  Dosen  des  ersteren 
übercompensirt. 

Salicylsäure  subcutan  applicirt  und  Indigo- 
schwefelsaures  Natrium  ins  Blut  infundirt  er- 
scheinen auch  in  den  Darmentleerungeu. 


i 


Unsere    Experimente      begründen     folgende 
Schlußergebuisse : 

1)  Kahler  u.  Soyka,  Archiv  für  experiment.  Pathol. 
u.  Pharmacol.  VII,  S.  435—468. 


131 

1.  Das  Pilocarpin  veranlaßt  Schweißsecre- 
tion  an  den  Pfoten  von  Katzen  einerseits  durch 
periphere  Reizung  der  durch  Luchsinger, 
Ostroumow  und  Nawrocki  nachgewiesenen 
Schweißfasem,  anderseits  aber  auch,  wie  Luch- 
sing er  richtig  beobachtet  hat,  durch  Reizung 
des  Schweißcentrums. 

2.  Auf  die  Schweißfasern  in  ihrem  Verlaufe 
zwischen  Centrum  und  Peripherie  wirkt  das  P. 
nicht  erregend  ein. 

3.  Auch  die  Secretiou  der  Thränendrüsen 
vermehrt  das  Pilocarpin  einerseits  von  der  Peri- 
pherie, anderseits  von  dem  Centrum  aus. 

4.  Die  Centrale  Erregung  der  Thränense- 
cretion  vermittelt  (bei  Abschluß  der  Blutzufuhr 
vom  Hirn)  der  Sympathicus. 

5.  Das  P.  vermehrt  auch  die  Absonderung 
der  Gl.  ceruminosae. 

6.  Es  vermag  ferner  die  Secretion  der  Bron- 
chialschleimhaut zu  vermehren  und  zu  verflüs- 
sigen, 

7.  Es  vermehrt  die  Speichelsecretion  nicht 
nur  durch  periphere  Reizung  der  secretorischen 
Nervenfasern,  sondern  auch  durch  Erregung  des 
secretorischen  Speichelcentrums  in  der  medulla 
oblougata. 

8.  Auch  hier  vermittelt  der  Sympathicus 
[  die  centrale  Erregung  der  Speichelsecretion  bei 
I   Abschluß  der  Blutzufuhr  zum  Gehirn. 

i         9,     Die  Milchsecretion  vermehrt  das  P.,  wenn 

j  überhaupt,   nur  sehr  unsicher  und  unbedeutend, 

I  nach  Röhrig  nur  durch  Steigerung  des  Blutdrucks. 
,  10.     Die  Harnsecretion    und  Excretion    ver- 

i  mehrt  es  z.war,  wenn  es  in  kleinen  Dosen  ange- 

j  wendet    wird,    aber   immer   in     beschränkterem 

I  Maaße  als  die  meisten  anderen  Secrete.     In  grö- 

i  ßeren   Dosen   gebraucht,  hebt   es    die   Secretion 

I  12 


132 

zwar  nicht  auf,    erschwert  aber  uud  hindert  so- 
gar leicht  die  Excretion. 

11.  P.  erregt  die  Peristaltik  durch  direete 
ReizuDg  der  Darmganglien  und  steigert  die  Se- 
cretion  der  Darmdrüseu,  wenn  es  in  größeren 
Dosen  angewendet  wird.  In  Folge  dessen  kann 
es  nicht  nur  einfache,  sondern  selbst  wasserreiche 
Darmentleerungen  veranlassen. 

12.  Atropin  sistirt  in  geeigneter  Dosis  alle 
die  genannten  Secretionen  und  auch  die  der  Na- 
senschleimhaut. 

13.  Größere  Dosen  Pilocarpin  können  wirk- 
same Atropindosen  nicht  übercompensiren. 

14.  Innerlich  genommene  oder  subcutan  in- 
jicirte  Salicylsäure  geht  nicht  nur  in  den  Harn, 
sondern  auch  in  die  durch  Pilocarpin  vermehrten 
Secrete  der  Schweiß-,  Thränen-,  Speichel-  und 
Milchdrüsen  und  ebenso  der  Bronchial-  und 
Darraschleimhaut  über. 

15.  Auch  Derivate  des  innerlich  genomme- 
nen Salicin  erscheinen  in  der  Milch. 

16;  Die  Eh'mination  des  ins  Blut  infundirten 
Indigoschwefelsauren  Natriums  geschieht  haupt- 
sächlich, wie  längst  und  besonders  durch  Hei- 
denhain bekannt,  durch  den  Harn,  außerdem 
auch  durch  Speichel-Bronchial-  und  Darmsecret, 
nicht  durch  Schweiß  und  Thränen. 

17.  Das  Schweißcentrum  für  alle  4  Pfoten 
liegt  bei  Katzen  in  der  medulla  oblongata  wie 
Nawrocki  zuerst  angegeben  hat.  Ein  beson- 
deres Centrum  für  die  Hinterpfoten  im  unteren 
Theil  des  Brust-  und  oberen  Theil  des  Lenden-^ 
marks  existirt  bei  Katzen  nach  unseren  Versu-^ 
chen  nicht. 

18.  Das  Schweißcentrum  liegt  wahrschein- 
lich tiefer  als  das  Respirationscentrum  im  ver- 
längerten Mark.     Es  functionirt  noch  (nach  ün- 


133 

terbiüduug  der  vier  großen  Arterien  am  Halse) 
wenn  das  ßespirationscentrum  bereits  functions- 
nn^hig  ist. 

19.  Campher  erregt  im  Gegensatz  zu  Pilo- 
carpin die  Schweißsecretion  nicht  von  der  Peri- 
pherie, sondern  vom  Centrum  aus. 

20.  Wie  der  Campher  wirken  wahrschein- 
lich alle  Diaphoretica,  deren  wirksamer  Bestand- 
theil  ein  aetherisches  Oel  ist. 

21.  Der  Pfotenschweiß  der  Katzen ,  er  mag 
spontan  auftreten  oder  reflectorisch  oder  durch 
Campher  oder  Pilocarpin  veranlaßt  sein,  reagirt 
immer  alkalisch. 

22.  Pilocarpin  kann  in  bestimmten  Fällen 
von  traumatischen  Hemi-  und  Paraplegien  als 
diagnostisches  Hülfsmittel  benutzt  werden,  um 
Ernährungszustand  und  Functionsrähigkeit  secre- 
torischer  und  wahrscheinlich  auch  motorischer 
Nervenfasern  zu  controliren. 

23.  Die  secretorischen  Fasern  eines  gemisch- 
ten Nerven  scheinen  nach  einer  tiefen  Verletzung 
desselben  ziemlich  gleichzeitig  mit  seinen  moto- 
rischen Fasern  zu  degeneriren. 

24.  Unsere  Experimente  erklären  die  gün- 
stige Wirkung  des  Pilocarpin  in  Fällen  einsei- 
tiger und  doppelseitiger  Lähmungen,  wie  sie  von 
Ringer  und  Burg  (Centralblatt  f.  d.  med.  W. 
1877  No.  31  S.  576)  mitgetheilt  sind.  Ferner 
ebenso  den  Nutzen  bei  bestimmten  Bronchial- 
und  LarynxaflPectionen,  wie  sie  Robin,  Weber 
1.  c.  und  Andere  beschrieben  haben. 

25.  Wenn  die  Vielseitigkeit  seiner  secretions- 
befördernden  Wirkung  keine  Contraindication 
abgiebt  und  wenn  kleine  Dosen  genügen,  ist  P. 
ein  in  vielen  und  sehr  verschiedenen  Krankheits- 
föUen  verwerthbares  Arzneimittel. 

12* 


134 

26.  Als  schätzenswerthes  Hülfsmittel  für  die 
experimentellen  Disciplinen  erleichtert  es  nicht 
nur  die  Untersuchung  physiologischer  und  phar* 
macologischer  Probleme,  sondern  auch  die  De- 
monstration verschiedener  physiologischer  und 
arzneilicher  Wirkungen. 

27.  Bei  Katzen  entspringt  ausnahmsweise 
zwischen  Art.  Subclavia  sinistr.  und  Trunc.  ano- 
nym, eine  ziemlich  große  Arterie  aus  dem  Arcus 
Aortae,  welche  sich  in  ein  foramen  intervertebrale 
der  Halswirbel  einsenkt.  Wo  diese  vorhanden, 
schneidet  die  Unterbindung  der  4  großen  Arte- 
rien am  Halse  die  Blutzufuhr  zum  Gehirn  nicht  ab. 

28.  Trotzdem  kann  man  die  von  Sig.  Mayer 
empfohlene  Untersuchungsmethode  auch  bei 
Katzen  sehr  gut  verwerthen,  nöthigenfalls  kann 
man  sich  nach  Unterbindung  der  4  großen  Hals- 
arterien durch  Injection  von  Indigoschwefelsaurem 
Natrium  von  der  Abwesenheit  der  Gefäßanomalie 
vergewissern. 

29.  •  Ebensowenig  wie  bei  Hunden  ist  es  bei 
Ziegen  nicht  möglich  durch  Unterbindung  der  4 
großen  Arterien  am  Halse  die  Blutzufuhr  zum 
Gehirn  aufzuheben. 

30.  Wo  künstliche  Respiration  lange  Zeit 
unterhalten  werden  muß  empfiehlt  sich  die  auf 
Seite  119  beschriebene  Glastrachealkanüle. 

Zum  Schluß  erlaube  ich  mir  noch  eine  Be- 
merkung. Es  war  unvermeidlich  bei  der  häu- 
figen Anwendung  desAtropins  auch  dessen  Ein- 
fluß auf  die  Pupille  genauer  zu  untersuchen. 
Wir  verfolgten  die  Frage,  da  es  ja  immer  noch 
unentschieden  ist,  ob  das  Alcaloid  seine  mydria- 
tische    Wirkung   nur   durch  Lähmung  des  Ocu- 


135 

lomotorius  oder  gleichzeitig  durch  Reizung  des 
Sympathicus  bewirkt.  Wir  haben  aber  nicht 
nur  das  Atropin,  sondern  auch  noch  eine  Reihe 
anderer  Stoffe  in  ihrer  Einwirkung  auf  die  Pu- 
pille geprüft.  Die  zahlreichen  und  zum  Theil 
sehr  complicirten  Experimente,  zu  denen  wir 
uns,  um  ein  Resultat  zu  erlangen,  genöthigt  sa- 
hen, sind  gemeinschaftlich  mit  Herrn  Wulfs berg 
ausgeführt.  Wir  werden  dieselben  als  besondere 
Arbeit  veröffentlichen  und  darin  den  Beweis 
liefern,  daß  der  Sympathicus  bei  der  Atropin- 
mydriasis  gar  nicht  betheiligt  ist. 


Nachschrift. 

Während  des  Druckes  dieser  in  der  Sitzung 
am  2.  Februar  der  Societät  vorgelegten  Arbeit 
ist  im  Centralbl.  f.  d.  med.  W.  vom  9.  Febr. 
eine  vorläufige  Mittheilung  von  F.  Nawrocki 
über  Einwirkung  des  Pilocarpinum  muriaticum 
auf  den  thierischen  Organismus  erschienen,  in 
welcher  die  centrale  Erregung  der  Schweißse- 
cretion  durch  das  Alcaloid  bestritten  wird.  Dem 
gegenüber  muß  ich  meine  durch  zahlreiche  Ver- 
suche gesicherten  Resultate  ungeschmälert  auf- 
recht erhalten. 

Marme. 


136 

II.     U  eber  Milchinfusionen. 

Von 

N.  Wulfs berg  aus  Christiauia, 

Assistenten  am  pharmacol.  Institut  zu  Göttingen. 

Der.  bekannte  amerikanische  Gynaecologe 
GaillardThomas  hat  bei  einer  o  variotomirten 
Patientin  eine  Milchinfusion  anscheinend  mit  le- 
bensrettendem Erfolge  gemacht^).  Der  Krank- 
heitsfall ist  folgender :  Bei  einer  sehr  entkräfteten 
Kranken  hat  Thomas  eine  innerhalb  kurzer  Zeit 
zu  enormer  Größe  gediehene  doppelseitige  Ova- 
rialgeschwulst  exstirpirt.  Die  Operation  wurde 
ohne  besondere  Fährlichkeit  in  36  Minuten  zu 
Ende  geführt.  Patientin,  deren  Nachbehandlung 
ein  Dr.  Jones  leitete,  erhielt  in  den  ersten  36 
Stunden  in  mehrstündigen  Zwischenräumen  etwas 
Milch  und  außerdem ,  weil  sich  bei  einer  Tem- 
peratur von  39,9  und  sehr  frequentem  Puls 
wiederholt  Brechneigung  einstellte,  alle  3 — 4 
Stunden  kleine  Dosen  Morphin.  Die  Operation 
war  am  Donnerstag  gemacht.  Am  Sonnabend 
Morgen  und  nochmals  am  Abend  desselben  Tages 
traten  profuse  Metrorrhagien  ein.  Der  Collap- 
sus  erreichte  einen  so  hohen  Grad,  daß  der  Tod 
in  der  folgenden  Nacht  erwartet  wurde.  Die 
Kranke  erlebte  aber  noch  den  Montag,  obgleich 
die  inzwischen  per  OS  und  per  rectum  augestellten 
Ernährungsversuche  gänzlich  scheiterten.  Pa- 
tientin erbrach  sogar  die  gereichten  Eispillen 
Bei  dem  rasch  zunehmenden  Kräfteverfall  ve 
langte  Dr.  Jones  eine  Bluttransfusion.  Thomas^ 
gestützt  auf  drei  frühere  nicht  näher  beschrie- 
bene Fälle ,  verweigerte  dieselbe.  Da  aber  ir- 
gend etwas  geschehen  sollte,  vereinigten  sich  die 

1)  Americal  Journ.  of  med.  eciences,  Jan   1876. 


137 

beiden  Herrn  zu  eiuer  Milchiufusiou.  Frisch 
gemolkene,  thierwarme  Kuhmilch  wurde  der  Pa- 
tientin in  die  vena  mediana  basilica  eingespritzt. 
Nachdem  90  CC.  injicirt  waren,  klagte  Patientin 
über  sehr  heftigen  Kopfschmerz.  Trotzdem 
wurden  allmählich  circa  250  Grm.  infnndirt. 
Eine  Stunde  später  trat  ein  Frostanfall  ein,  die 
Temperatur  stieg  auf  40,0  C,  der  Puls  auf  150 — 
160.  Aber  schon  vor  Mitternacht  sank  die 
Temperatur.  Patientin  fiel  in  einen  ruhigen 
Schlaf  und  befand  sich  am  nächsten  Morgen  viel 
besser.  Es  trat  nun  eine  regelmäßige  Reconva- 
lescenz  ein,  am  21,  Tage  war  die  Kranke  außer 
Bett  und  nach  6  Wochen  völlig  hergestellt. 

Dieser  günstige  Ausgang  legte  den  Gedanken 
nahe,  daß,  besonders  bei  dem  hohen  Ansehen,  in 
welchem  G.  Thomas  nicht  nur  in  seinem  Vater- 
lande steht,  Milchinfusionen  in  ähnlichen  Fällen 
versucht  werden  könnten.  Es  schien  mir  deß- 
halb  von  Interesse,  zunächst  festzustellen,  wie 
Milchinfusionen  auf  Thiere  wirken ,  um  einige 
objective  Anhaltspunkte  für  die  Beurtheilung 
des  Werthes   von  Milchiufusionen   zu  gewinnen. 

Die  bisher  bei  Menschen  und  Thieren  ver- 
suchten Milchinfusionen  haben,  wie  bekannt,  zu 
ganz  widersprechenden  Resultaten  geführt.  Ich 
übergehe  deßbalb  die  bei  Cholerakrauken  und 
Phthisikern  von  verschiedenen  Seiten  augestellten 
Milchinfusionen  und  führe  von  den  zahlreichen, 
bis  in  früheren  Jahrhunderte  zurückreichenden 
Infusionsversuchen  nur  diejenigen  au,  welche 
D on  n  e  in  seinem  Cours  microscopique  1844  mit- 
theilt und  welche  auch  Thomas  in  seiner  obi- 
gen Mittheilung  citirt.  Donne  studirte  micros- 
copisch  und  microchemisch  die  Bestandtheile  des 
Blutes  und  gelangte  bei  seinen  Infusionsver- 
suchen zu  dem  Ergebniß,  daß  die  Milchkügelchen 


138 

sich  in  farblose  Blutkörperchen  umwandeln. 
Die  kleineren  sollen  nach  ihm  sich  zu  3  oder  4 
vereinigen  und  mit  einer  Hülle  sich  versehen, 
die  größeren  gleichfalls  eine  Hülle  annehmen 
und  sich  dann  von  der  Mitte  aus  theilen.  Das 
Blut  sah  D  0  n  n  e  einige  Zeit  nach  Milchinfu- 
sionen sehr  reich  an  farblosen  Blutkörperchen. 
Diese  Donne' sehen  Versuche  habe  ich  vielfach 
wiederholt  und  das  Endresultat  allerdings  bestä- 
tigt gefunden.  Die  Vermehrung  der  Blutkörper- 
chen habe  ich  aber  entsprechend  den  heutigen 
Anschauungen  in  ganz  anderer  Weise  zu  Stande 
kommen  gesehen. 

Werden  Kaninchen  6 — 8  Grm.  frisch  gemol- 
kener, thierwarmer  Kuh-  oder  Ziegenmilch  in 
eine  Vena  Jugularis  ext.  iujicirt,  so  sieht  man 
wenige  Minuten  später  das  Blut  gleichmäßig  ge- 
mischt mit  Milchkugeln,  die  theils  frei  umher- 
schwimmen, theils,  besonders  die  kleineren,  den 
farblosen  Blutkörperchen  anhaften.  —  Nach 
Verlauf  einer  ganzen  bis  halben  Stunde  sieht 
man  in  einer  neuen  Blutprobe  nicht  mehr  so 
viel  freischwimmende  Milchkugeln,  man  findet 
aber  schon  jetzt  einzelne  farblose  Blutkörperchen 
die  neben  Kern  und  Kernkörperchen  ein  Miich- 
kügelchen  enthalten.  Sucht  mau  weiter,  so  sieht 
man  immer  mehr  farblose  Blutkörperchen,  die 
meist  1—2,  selten  3,  ausnahmsweise  auch  4 
Milchkugeln  enthalten.  Unter  günstigen  Be- 
dingungen trifi't  man  farblose  Blutkörperchen, 
welche  an  einer  Seite  einen  Fortsatz  aussenden 
wie  eine  sproßbildende  Hefezelle  und  in  diesem 
fangarmartigen  Fortsatz  eine  Milchkugel  ent- 
halten. Gewöhnlich  liegt  die  Milchkugel  in  dem 
farblosen  Blutkörperchen  excentrisch,  indeß 
kommen  auch  ganz  central  gelagerte  vor.  Bringt 
man  Strömungen  in  demObjecte  hervor,  so  daß 


139 

die  Blutkörperchen  rotiren,  so  kanu  mau  sich 
unzweifelhaft  überzeugen,  daß  die  Milchkügelchen 
wirklich  im  Inneren  der  farblosen  Blutkörperchen 
liegen  und  nicht  nur  der  Oberfläche  angelagert 
sind.  Am  deutlichsten  wird  das  microscopische 
Bild,  wenn  man  bei  300 — 400facher,  linearer 
Vergrößerung  eine  solche  Essigsäureconcentration 
im  Objecte  trifi't,  welche  die  rothen  Blutkör- 
perchen zu  sogenannten  Schatten  reducirt,  ohne 
sie  gänzlich  zum  Verschwinden  zu  bringen.  — 
Bei  den  folgenden  Blutproben  findet  man  immer 
weniger  freie  Milchkügelchen  und  immer  mehr 
weiße  Blutkörperchen ,  welche  Milchkügelchen 
enthalten ,  sit  venia  verbo ,  gefressen  haben. 
2 — 6  Stunden  nach  der  Milchinjection  findet  man 
keine  freie  Milchkügelchen  mehr,  auch  verhält- 
nißmäßig  wenig  eingeschlossene,  dagegen  eine  auf- 
fallende Vermehrung  der  relativen  Zahl  der  farb- 
losen Blutkörperchen.  24  Stunden  nach  der 
Injection  unterscheidet  sich  das  Blut  in  keiner 
Weise  von  dem  normalen.  —  Nach  diesen  Beo- 
bachtungen bewirkt  die  Infusion  einer  geringen 
Menge  Milch  ähnlich  wie  eine  gute  Mahlzeit 
eine  vorübergehende  Vermehrung  der  farblosen 
Blutkörperchen. 

Die  weitere  sich  daran  anschließende  Frage, 
ob  es  nun  wirklich  möglich  sei,  ein  Thier  durch 
Milchinfusionen  zu  ernähren,  muß  nach  einer 
zweiten  Reihe  von  Versuchen ,  die  ich  an  ver- 
schiedenartigen Thieren  angestellt  habe ,  unbe- 
dingt verneint  werden.  Wenn  Hunde  auch  wie- 
derholte Injectionen  von  70 — 250  Grm.  Milch 
ertrugen,  so  nahm  ihr  Körpergewicht  doch  rasch 
ab  und  die  meisten  starben  sogar  nach  Injection 
der  zuletzt  genannten  Dosis.  —  Niemals  zeigten 
die  Thiere  bei  Lebzeiten  Symptome  tieferer  Er- 
krankunng.    Post  mortem  fanden  sich  im  Blute 


140 

stets  noch  unveränderte  Milchkugeln ,  in  den 
Lungen  größere  oder  kleinere  hämorrhagische 
Infarcte,  innerhalb  welcher  sich  ein  erweitertes 
mit  Blutcruor  ausgefülltes  Gefäß  nachweisen 
ließ.  Eigentliche  Fettembolien  konnten  mit 
Sicherheit  nicht  constatirt  werden.  Die  Nieren 
erwiesen  sich  bei  mikroskopischer  Untersuchung 
stets  gesund. 

Nebenbei  gesagt,  war  es  auch  nicht  möglich 
durch  subcutane  Injection  größerer  Mengen  fri- 
scher Milch  Thiere  zu  ernähren.  Die  Versuchs- 
thiere  atrophirten  und  wenn  sie  einige  Tage 
nach  der  letzten  Injection  getödtot  wurden,  fan- 
den sich  an  der  Injectionsstelle  immer  beträcht- 
liche Reste  der  geformten  Milchbestandtheile. 
Dieser  Befund  steht  allerdings  im  Widerspruch 
mit  Angaben  anderer  Autoren.  Vielleicht  haben 
diese  sehr  stark  verdünnte  (getaufte)  Milch  zu 
ihren  Injectionen  benutzt.  Auf  keinen  Fall  darf 
man  allzugroße  Hoffnungen  auf  eine  Ernährung 
durch  Milchinfusionen  oder  die  von  anderen 
Seiten  empfohlenen  subcutanen  Milchinjectionen 
setzen.  ' 

Nun  ist  es  aber  auch  durchaus  nicht  wahr- 
scheinlich, daß  G.  Thomas  bei  seiner  Patientin 
die  verweigerte  Bluttransfusion  einfach  durch 
Milchinfusion  habe  ersetzen  wollen.  Es  liegt  ja 
auf  der  Hand,  daß  die  Milch  unmöglich  die  In- 
dicationen  erfüllen  kann,  die  eine  Bluttransfusion 
bezweckt.  Im  günstigsten  Falle  könnte  man 
annehmen,  daß  nicht  lethale  Mengen  Milch  zwar 
nie  absolut,  aber  vielleicht  relativ  die  Sauerstoff 
aufnehmenden  Blutkörperchen  im  Gefäßsystem 
sehr  blutarmer  und  stark  collabirter  Individuen 
vermehren  dürften.  Es  ist  wenigstens  denkbar, 
daß  die  infundirte  Milch,  wenn  sie  ganz  unschäd- 
lich wäre,   die  in  coUabirten  Gefäßen  zurückge- 


141 

haltenen,  rothen  Blutkörperchen  wieder  in  Cir- 
cnlation  setzte.  Ob  dies  wirklich  geschieht,  ist 
freilich  eine  Frage,  die  sich  experimentell  schwer 
entscheiden  lassen  dürfte.  Um  der  Lösung  dieser 
Frage  etwas  näher  zu  treten,  habe  ich  eine  An- 
zahl von  Milchinfusionen  bei  Hunden  gemacht, 
denen  vorher  größere  Quantitäten  Blut,  bis  zu 
72  >  der  berechneten  Blutmenge  entzogen 
waren.  Es  hat  sich  dabei  herausgestellt,  daß 
auch  solche  Thiere  kleinere  Quantitäten  Milch 
ertragen,  nach  Infusion  größerer  Mengen  meist 
aber  schon  auf  dem  Operationstisch  zu  Grunde 
gehen.  Diese  Versuche  wurden  daher  nicht 
weiter  verfolgt,  einmal  weil  die  Milch  sich  kei- 
neswegs als  eine  unschädliche  Injections- Flüssig- 
keit manifestirte ,  dann  aber  hauptsächlich,  weil 
es  nicht  thunlich  ist,  das  Minimum  eines  lethal 
wirkenden  Blutverlustes  aus  der  berechneten 
Blutmenge  festzustellen. 

Die  letzteren  Versuche  führten  zur  Beobach- 
tung einer  eigenthümlichen  Einwirkung  der 
Milchinfusionen  auf  die  Herzthätigkeit.  Waren 
bei  den  Thieren  in  Folge  starker  Blutverluste 
die  Herztöne  sehr  schwach ,  fast  unhörbar  ge- 
worden, so  wurden  sie  gleich  nach  der  Milchin- 
jection  wieder  sehr  laut  und  deutlich.  Dieser 
eigenthümliche  Befund  veranlaßte  eine  letzte 
Reihe  von  Infusionsversuchen,  die  an  möglichst 
blutleeren  Thieren  und  zwar  dann  erst  angestellt 
wurden,  nachdem  bei  ihnen  die  Respiration  voll- 
ständig aufgehört  und  selbst  mit  der  Herznadel 
keine  Spur  von  Herzaction  mehr  nachweisbar 
war.  Bei  allen  diesen  Thieren  traten  gleich 
nach  der  Infusion  wieder  rythmische  Herzcon- 
tractionen,  mit  fühlbarem  Herzstoß  auf.  Etwas 
später  stellten  sich  auch  Respirationsbewegungen 
ein.     Setzten   Respiration   und  Herzaction    nach 


142 

einiger  Zeit  wieder  aus,  so  gelaug  es  meisteus 
zum  zweiten  Mal  durch  eine  geringe  Milchinfu- 
sion beide  Functionen  wieder  hervprzurufen, 
einzelne  Hunde  fingen  sogar  an  zu  bellen.  Na- 
türlich war  es  nicht  möglich,  auch  nicht  beab- 
sichtigt die  fast  ganz  blutleeren  Thiere  durch 
Infusion  kleiner  Mengen  Milch  dauernd  am  Leben 
zu  erhalten.  Aus  dieser  letzten  Versuchsreihe 
scheint  aber  hervorzugehen,  daß  kleine  Mengen 
Milch  ins  Gefäßsystem  injicirt  die  Herzthätig- 
keit,  wenn  sie  gesunken  ist,  anregen,  wenn  sie 
seit  kurzer  Zeit  erloschen  ist,  wieder  in  Gang 
setzen  können.  Ob  dieser  excitirende  Einfluß 
auf  die  Herzaction  als  eine  indirecte  durch  Rei- 
zung der  Nervencentra  bedingte  Wirkung  oder 
als  eine  directe,  vielleicht  sogar  rein  mechanische 
Reizung  des  Herzmuskels  aufzufassen  sei,  bleibt 
allerdings  unentschieden. 

Für  die  Praxis  dürfte  sich  aber  aus  diesen 
Versuchen  ergeben,  daß  trotz  des  günstigen 
Ausgangs  in  dem  Thomas'schen  Falle  die 
Milchinfusionen  nicht  zu  empfehlen 
sind.  Denn  da  nur  relativ  geringe  Quantitäten 
Milch  ohne  Schaden  injicirt  werden  dürfen ,  da 
diese  nur  ganz  vorübergehend  eine  relative  Ver- 
mehrung der  farblosen  Blutkörperchen  bedingen 
und  da  anderseits  die  Infusion  einer  großen 
Menge  Milch  zu  Lungenembolien  führt,  niemals 
aber  eine  Bluttransfusion  ersetzen  kann  und  da 
wir  endlich  die  Herzaction,  wo  es  überhaupt 
möglich  ist,  mit  unschädlicheren  Mitteln  anregen 
und  in  Gang  setzen  können  —  so  dürften  Milch- 
infusionen auch  nicht  als  ultimum  refugium  zu 
wagen  sein. 


148 

III.      üutersuöhuug    einer     aus    Africa 

(wahrscheinlicli   vo/i    Holarrhena    africana 

DC)  stammenden  Rinde, 

von  N.  Wulfsberg. 

Die  Rinde,  die  ich  auf  Veranlassung  des 
Herrn  Prof.  Marme  untersucht  habe,  stammt  aus 
Africa  von  einem  Baume,  den  die  Eingeborenen 
»Gbomi«  nennen  und  zu  allen  möglichen  häus- 
lichen Zv^ecken,  aber  auch  als  Heilmittel  gegen 
Dysenterie  benutzen.  Mitglieder  der  norddeut- 
schen Missionsgesellschaft,  welche  im  tropischen 
Africa  auf  dem  südlichsten  Theile  der  Sclaven- 
küste,  im  Ewe- Gebiete  als  Missionare  wirken 
und  welche  an  sich  selbst  die  gute  Wirkung  des 
Heilmittels  erprobt  hatten,  haben  die  Rinde 
nach  Europa  gebracht.  Durch  Vermittel ung  des 
früher  hier  thätigen  Professor  theol.  Zahn  ge- 
langte die  Drogue  an  die  Herrn  Jordan  und 
Faust  dahier.  Der  letztere  stellte  aus  dersel- 
ben ein  Alcaloid  dar,  welches  im  hiesigen  phar- 
macologischen  Institut  einer  eingehenden  Prüfung 
unterzogen  worden  ist.  —  Die  Drogue  bildet 
flach  rinnenförmige  Rindeustücke  von  länglicher, 
sehr  verschiedener  Form  und  Große,  bis  11  Cm. 
laug  und  7  Cm.  breit.  Die  Dicke  beträgt  3—4  Mm. 
Die  Oberfläche  graugelb  bis  dunkelbraun  mit 
zahlreichen,  elliptischen  bis  linienförmigen,  wel- 
lenförmig gebogenen  Erhabenheiten  von  1  —5  Mm. 
Länge,  größtentheils  längs  der  Mitte  geborsten 
und  dann  mit  ausgestülpten  Rändern.  Zuweilen 
ist  die  Rinde  mit  gelblichgrauen  Flechten  (ste- 
rilen Lecanora-Arten)  überwachsen.  Die  Unter- 
fläche glatt  oder  der  Länge  nach  zartgestreift, 
röthlichgelb,  mit  mißfarbigeu,  schimmeligen  Fle- 
cken. Der  Längsschnitt  zeigt  eine  regelmäßige 
Streifung  mit  abwechselnden  hellen  und  dunkeln 


144 

Streifen  von  V* — Va  Mm.  Breite,  indem  das  Pe- 
riderm  eine  papierdünne,  bläylichbraune  Schicht 
bildet,  während  die  innere  Einde  aus  abwech- 
selnden harten  und  weichen  Fhloemlamellen 
besteht. 

Geruchlos,   von  schwachbitterem  Geschmack. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  zeigt  ganz 
nach  Außen  eine  bräunliche  Schicht  von  ver- 
schiedener Mächtigkeit,  aus  abgestorbenen  Cel- 
lenwänden  bestehend,  deren  ursprüngliche  Struc- 
tur  nicht  mehr  deutlich  erkennbar  ist.  Zuweilen 
finden  sich  in  derselben  Reste  von  den  später 
zu  beschreibenden  Steincellen.  Nach  Innen  geht 
diese  Schicht  allmälig  in  den  Kork  über,  der 
aus  5 — 10  Cellenlager  von  gewöhnlicher  Form 
und  Beschaffenheit  besteht  und  nach  Innen  von 
der  Korkmuttercellenschicht  (dem  Phellogen)  be- 
grenzt wird.  Die  Korkmuttercellen  liegen  in 
denselben  verticalen  und  radialen  Reihen  ange- 
ordnet wie  ihre  Tochtercellen,  sind  aber  von  der 
doppelten  Größe,  enthalten  Protoplasma  und 
haben  .Cellulosewände. 

Weiter  nach  innen  kommt  zunächst  Weich - 
hast,  dessen  äußerste  Cellenschicht  gegen  die 
Korkmuttercellenschicht  mauerförmig  gelagert 
ist.  Dieser  äußere  Weichbast  grenzt  nach  Innen 
an  eine  Sclerenchymschicht  und  es  folgen  jetzt 
nach  einander  8  —  10  solche,  jede  Schicht  durch 
Weichbast  von  der  nächstfolgenden  getrennt.  In 
den  beiden  Gewebsformen  kommen  zerstreute 
Milchsaftgefässe  vor,  namentlich  zahlreich  im 
Weichbast.  Spiegelfasern  durchsetzen  beide,^ 
fehlen  jedoch  in  den  oberflächlichsten  Schichten«! 
Aechte  Bastbündel  kommen  nicht  vor. 

Der  Weichbast  besteht  hauptsächlich  au8* 
Cambiform,  enthält  aber  auch  neben  den  Milch- 
saftgefäßen   Gittercellen    und    Siebröhren.      Die 


145 

cambiformeu  Gellen  enthalten  stellenweise  sehr 
viel  Stärke  in  kleinen  runden  und  größeren  läng- 
lichen Körnern  ohne  deutliche  Schichtung,  an 
anderen  Stellen  kommen  senkrechte  Reihen  von 
dergleichen  Gellen  vor,  die  mit  rhomboedrischen 
Krystallen  erfüllt  sind,  welche  nach  ihren  mikro- 
chemischen Reactionen  als  aus  oxalsaurem  Kalk 
bestehend  betrachtet  werden  müssen. 

Das  Sclerenchyni  besteht  aus  Steincellen,  die 
nach  allen  drei  Dimensionen  ziemlich  isodiame- 
trisch sind  und  deßhalb  im  Querschnitt  sowie 
in  den  beiden  Längsschnitten  dieselben  mehr 
oder  weniger  regelmäßigen  polygonalen  Felder 
zeigen.  Die  Wände  sind  dunkel  gefärbt,  sehr 
zierlich  geschichtet  und  so  dick,  daß  nur  eine 
ganz  kleine  Höhle  übrig  bleibt,  von  der  ver- 
zweigte Porenkanälchen  nach  allen  Richtungen 
hin  ausstrahlen.  Oft  enthalten  sie  ähnliche  Kry- 
stalle  wie  die  im  Cambiform  vorkommenden. 
Das  Sclerenchym  bildet  tangentiale  Platten ,  die 
in  radicaler  Richtung  2 — 4  Gellen  zählen  und 
nur  an  wenigen  Stellen,  in  den  äußersten  Platten 
jedoch  häufiger,  von  Weichbast  unterbrochen 
sind.  Wo  die  Spiegelfasern  dasselbe  durchsetzen, 
haben  deren  Gellenwände  eine  ähnliche  Härte 
und  Dicke.  Die  zwischen  den  Sclerenchymplat- 
ten  liegenden  Weichbastschichten  sind  gewöhnlich 
etwas  mächtiger  als  jene. 

Die  Milchsaftgefäße  sind  50— 150  Mikromilli- 
meter  weit  und  mit  einem  coagulirten  krümme- 
ligen  Inhalt  erfüllt.  Wir  haben  an  denselben 
weder  deutliche  Querwände  noch  Verzweigun- 
gen unterscheiden  können. 

Die  Spiegelfasern  bestehen  in  verticaler  Rich- 
tung aus  5 — 10  Gellenreihen,  in  tangentialer  aus 
höchstens  3  oder  4.  Im  Weichbast  bilden  sie 
ein     zartwandiges ,    stärkeführendes    Parenchym 


146 

aus  parallelepipedischen ,  radial  gestreckten  Gel- 
len ,  im  Sclerenchym  haben  sie  dieselbe  Form 
und  Größe,  aber  stark  verdickte  Wände  und  zahl- 
reiche Tüpfel,  sind  somit  selbst  in  Steincellen 
verwandelt. 


Als  von  derselben  Pflanze  herrührend  liegen 
uns  noch  vor: 

1)  Die  Wurzelrinde.  Es  sind  unregel- 
mäßige Rindenstücke  von  rothgelber  Farbe  und 
verschiedener  Größe.  Die  größten  3 — 4  Cm  lang 
und  bis  1  Cm  breit,  sämmtlich  unregelmäßig 
gekrümmt,  eingebogen  oder  gerollt,  zuweilen 
rückwärts  gebogen.  Die  meisten  sind  oben  und 
unten  schmäler  und  haben  große  Aehnlichkeit 
mit  Schnittspähnen.  Unter  dem  Mikroskop  zei- 
gen sie  ähnliche  Sclerenchymschalen  wie  die 
oberirdische  Rinde  in  einem  viel  Stärke  enthal- 
tendem Parenchym  eingebettet. 

2)  Stücke  von  einem  mehrjährigen 
Aste.  Dieselben  sind  etwas  gebogen,  plattrund- 
lich, 18  und  25  Mm  dick.  Die  Rinde  1  Mm  dick, 
rothbraun,  längsruuzelig,  ohne  Risse,  stellenweise 
mit  1  bis  2  Cm  langen  eiförmigen,  von  Kork 
überzogenen  Narben  nach  abgefallenen  Aesten 
oder  sonstigen  alten  Beschädigungen.  Auf  dem 
Querschnitte  zeigt  die  Rinde  eine  äußere,  mitt- 
lere und  innere  dunkle  Schicht  durch  zwei  dazwi- 
schenliegende hellere  Schichten  getrennt.  Das 
Holz  ist  weißgelb,  fest,  von  mäßiger  Härte,  leicht 
und  vollkommen  i  n  allen  Richtungen  spaltbar. 
Der  Querschnitt  zeigt  11  deutliche,  sehr  excen- 
trische  Zuwachsringe,  zahlreiche  Gefäßöifnungen 
und  bis  an  den  Mittelpunkt  verlaufende  Spiegel- 
fasern, kein  deutliches  Mark. 


147 

3)  Stücke  von  alten,  verholzten  Wur- 
zeln. Sie  sind  mehr  weniger  cylindrisch,  oben 
und  unten  abgeschnitten,  bis  22  Cm  lang.  13 — 
18  Mm  dick.  Ein  Stück  ist  gabelförmig  ver- 
zweigt, an  zwei  anderen  hängen  noch  Reste  von 
1 — 2  Mm  starken  Seitenwurzeln, 

Die  Rinde  ist  rothbraun,  längsrunzelig  und 
längsrissig,  abschilfernd.  Sie  ist  verhältuißraäßig 
etwas  dicker,  als  an  den  Stammästen,  zeigt  zwei 
dunkle  und  zwei  nach  innen  von  diesen  liegende 
helle  Schichten.  Das  Holz  besitzt  dieselbe  Be- 
schaffenheit wie  das  oberirdische,  nur  sind  die 
Zuwachsriuge  sehr  undeutlich. 

4)  Stück  von  einem  einjährigen 
Trieb,  25  Cm  lang,  oben  und  unten  abge- 
schnitten. Von  demselben  entspringen  4  Paar 
gegenständige  Blätter  in  regelmäßigen  Abständen 
von  etwa  7  Cm.  Aus  den  Blattwinkeln  sprossen 
aufrechtstehende ,  in  ihrem  weiteren  Verlauf 
schlaff  nach  Außen  überhängende  Aeste,  die  in 
derselben  Weise  beblättert  sind.  Der  Stengel 
ist  dunkelbraun,  rund,  glatt  und  kahl,  an  den 
ürsprungsstellen  der  Blätter  schwach  aufgetrie- 
ben, einen  ringförmigen  Wulst  bildend,  ohne 
Narben  von  Nebenblättern. 

Die    ausgewachsenen    Blätter    kurz    gestielt, 
aufreehtstehend.     Blattstiel   etwas  herablaufend, 
4    Mm    lang;    keine    Nebenblätter;    Blattplatte 
elliptisch,  oben  plötzlich  verschmälert,  mit  aus- 
I   gezogener  Spitze.     Sie  sind  hautartig,  undurch- 
1   sichtig,  oben  dunkelgrün,    unten  heller,    fieder- 
j   nervig.     Hauptrippe    bis  an  die  Spitze  deutlich, 
j   an    der   Unterseite  stark  hervortretend,    seitlich 
1   zusammengedrückt,   hellbraun.     Seitenrippen  bis 
I   in  die   Nähe   des    Blattrandes  fast  gerade,  dann 
in    einer    Strecke   von  1  —  2  Cm  demselben  ent- 
lang bogenförmig  verlaufend,  überall  durch  deut- 

10 


148 

liches  aber  wenig  erhabenes  Adernetz  verbunden. 
Das  Blatt  ist  vollkommen  ganzrandig,  der  Kand 
schwach  zurückgeschlagen,  Länge  der  Blattplatte 
bis  14  Cm,  größte  Breite  bis  6,2  tm. 

Durch  eine  sinnreiche  Vermuthung  des  Herrn 
Medicinalrath  Wiggers  war  die  Untersuchung 
gleich  anfangs  darauf  gerichtet,  ob  diese  neue 
Rinde  vielleicht  mit  der  schon  im  vorigen  Jahr- 
hundert aus  Ostindien  importirten  Conessirinde 
übereinstimme.  Die  Conessi-  oder  Cudarmde 
stammt  angeblich  von  mehreren  Apocyneen,  na- 
mentlich HolarrJiena  antidysentenca  VL  und 
Wrightia  antiäysenterica  Br.^) 

Der   vorliegende    beblätterte    Zweig    unserer 
africanischen    Pflanze    zeigt    schon    beim    ersten 
Anblick  den  Habitus  der  Apocyneen.     Die  nähere 
Untersuchung  ergibt  mehrere  dieser  Famihe  ei- 
eenthümliche  Merkmale,  so  namentlich  die  gegeu- 
ttändigen ,    ungetheilten   und   ganzrandigen     im 
Großen  ovalen  Blätter  ohne  Nebenblatter.     Und 
die     Familienbestimmung     gewinnt     die    grolite 
Wahrscheinlichkeit,    wenn    man   analytisch  ver- 
fährt und  die  Unterabtheilungen  und  Gattungen 
untersucht.     Es   zeigt   sich   dann,    daß    mehrere 
auffällige    Eigenthümlichkeiten    unserer   Füanze 
gerade    solche   sind,    die  in  den  Gattungen  Ho- 
larrhena  und  Wrightia  vielfach  beschrieben  wor- 
den   sind    und   deren   verschiedenes    Zusammen- 
treten    werthvolle     Artkennzeichen     darbietet. 
Hierher  gehören:  der  kurze  Blattstiel,  die  plötz- 
lich verengte  und  dann  ausgezogene  Blattspitze, 
die  dem  Blattrand  entlang  gebogenen  secundaren 

^^Flücki^e^in  Schweizerische  Wochenschrift  für 
Phamacie  Nr.  26,  1866.  O'Shaughnessy,  The  Bengal 
Dispensatory.  Calcutta  1841.  p.  446.  De  Candolle, 
Prodromus.    Pars  VIII.    Paris  1844.  p.  413. 


149 

Blattnerveu ,  die  netzförmig  auf  der  Unterseite 
hervortretenden  tertiären  Blattnerven,  die  haut- 
artige Beschaffenheit  des  ganzen  Blatts  u.  s.  w. 

Die  mikroskopische  Untersuchung  bestätigt 
diese  Bestimmung.  Durch  die  Güte  des  Herrn 
Hofrath  Grisebach  sind  wir  im  Stande  gewe- 
sen folgende  Apocyueen  zu  vergleichen. 

Nerium  Oleander  L.  cultivirt. 

Baissea  sp.  aus  Africa. 

Strophanthus  sp.  aus  Africa. 

Wrightia  tomentosa  R.  &  Seh.     Ostindien. 
»  tinctoria  Br.     Ostindien. 

»  Wallichii  DC.         > 

Holarrhena  autidysenterica  DC.     Ostindien. 
»  pubescens  DC.     Ostindien. 

Diese  Pflanzen  zeigen  einen  bei  sämmtlichen 
übereinstimmenden  Bau  des  Holzes.  Dem  Marke 
zu  liegt  innen  ein  ein-  mehrfacher  Kranz  von 
Spiralgefäßen  [die  Blattspuren],  dann  nach  außen 
strahlenförmig  geordnete,  zahlreiche  Gefäßbündel, 
durch  Holzcellen  zu  einer  festen  Masse  verbun- 
den. Die  stammeigenen  Stränge  bestehen  aus 
großen  dünnwandigen,  oft  radial  gepaarten  Tüp- 
felgefäßen. Dieselben  sind  ziemlich  kurzgliedrig, 
mit  schräg  gestellten ,  einfach  durchlöcherten 
Querwänden  und  länglichen,  horizontal  gestellten 
Tüpfeln  versehen.  Die  Holzcellen  sind  theils 
gewöhnliches  Holzparenchym  mit  schräggestell- 
ten, gehöften  Tüpfeln ,  theils  sind  es  langge- 
streckte Cellen  mit  horizontalen  Querwänden 
und  kreisförmigen,  gehöften  Tüpfeln  an  der  ra- 
dialen Wand. 

Der  Bast  enthält  zahlreiche  Milchsaftgefäße, 
die  im  ersten  Jahre  als  senkrechte  Reihen  von 
kurzen  und  weiten  Parenchymcellen  auftreten, 
später  durch  Absorption  der  wagerechten  Zwi- 
schenwände   weite,  nicht  verzweigte  Röhren  bil- 

13* 


150 

den,  die  häufig  von  Gittercellen  und  Siebröhren 
dermaßen  urasponüen  sind,  daß  es  zunächst  so 
aussieht,  als  besaiten  die  genannten  Gefäße  eine 
selbständige  Wandsculptur,  was  sich  aber  bei 
genauerer  Untersuchung  nicht  bestätigt. 

Die  Oberhaut  besteht  an  dem  jungen  Triebe 
aus  einem  einfachen  Cellenlager,  woraus  später 
die  erste  Korkbildung  hervorgeht,  indem  die 
Gellen  sich  durch  tangentiale  Wände  theilen, 
worauf  die  äußere  Celle  ihren  Inhalt  verliert 
und  der  Verkorkung  ihrer  Wände  unterliegt, 
während  die  innere  als  Korkmuttercelle  sich 
immer  und  immer  in  derselben  Weise  theilt. 


Aus  den  soeben  beschriebenen  Organen  lassen 
sich  keine  Kennzeichen  für  engere  Abtheilungen 
herausbringen.  Solche  ergeben  sich  aber  aus 
den  mechanischen  Geweben  des  Bastes  und  aus 
der  primären  Rinde. 

Aechte  Bastfasern  kommen  bei  allen  unter- 
suchten Apocyneen  vor.  Bei  Nerium  bildet  sich 
im  ersten  Jahr  ein  unterbrochener  Kreis  von 
Bastbündeln.  Später  entstehen  alle  Jahre  in 
dem  aus  dem  Cambium  hervorgehenden  Yer- 
dickungsring  neue  Bastfasern,  zwar  mit  zuneh- 
menden Alter  sparsamer,  aber,  soweit  wir  das 
Verhältuiß  haben  verfolgen  können,  niemals  voll- 
ständig verschwindend.  Die  Gattungen  Baissea, 
Strophanihus  und  Wrightia  haben  im  Jahrestrieb 
ähnliche  zerstreute  Bastbündel.  Bei  den  unter- 
suchten Holarrhenen  findet  sich  dagegen  im 
ersten  Jahr  ein  vollkommen  zusammenhängender 
Ring  von  Bastfasern.  Im  zweiten  Jahre  bilden 
sich  aus  dem  Cambium  neue  Bastfasern  in  zer- 
streuten Bündeln,  aber  zu  gleicher  Zeit  fängt  in 
gewissen    Gellen   der   primären   Rinde   und    des 


151 

Weichbastes  eiu  weiteres  Wachstlium  an,  zu- 
folge dessen  sie  sich  in  Steincellen  umwandeln 
und  Sclerenchymplatteu  bilden.  Sobald  diese 
Bildung  angefangen  hat,  entstehen  keine  neue 
Bastfasern  mehr,  jeder  neue  Verdickuugsring 
enthält  nur  Weichbast,  aus  dessen  jüngsten 
Cellenschichten  später  eine  Sclerenchymschale 
hervorgeht. 

Die  primäre  Binde  besteht  bei  allen  den 
untersuchten  Pflanzen  aus  einem  koUeuchyma- 
tösen  Hypodjerm  und  einem  tieferliegenden  lo- 
ckeren Rinden parenchyni.  Bei  Nerium  scheint 
keine  secundäre  Korkbildung  stattzufinden ,  bei 
zunehmender  Dicke  scheinen  entsprechende ,  ra- 
diale Theilungen  der  Korkmuttercellen  sowie 
der  Gellen  der  primären  Rinde  einzutreten;  man 
findet  selbst  in  ziemlich  alten  Stämmen  unter 
der  Korkschicht  das  glänzende  Hypoderm '). 

Bei  der  Gattung  Holarrhena  hört  die  primäre 
Korkbildung  schon  im  zweiten  Jahre  auf  und  es 
gibt  eine  Zeit,  wo  die  äußere  schützende  Hülle 
des  Zweiges  von  dem  nach  und  nach  abster- 
benden Hypoderm  gebildet  wird.  Das  secundäre 
Phellogen  tritt  schon  wie  die  folgenden  im  Weich- 
baste auf.  Dieser  Entwickelungsgang  ist  am 
vollständigsten  bei  der  Holarrhena  antidysente- 
rica  untersucht  worden ,  was  wir  von  anderen 
Arten  sahen ,  war  mit  den  entsprechenden  Ent- 
wickelungsstufen  dieser  Art  völlig  übereinstim- 
mend. 

Dieselbe  vollkommene  üebereinstimmung  fin- 

1)  Daß  es  noch  das  ursprüngliche  Hypoderm  ist  und 
nicht  vielleicht  eine  Form  von  dem  uns  sehr  problema- 
tisch erscheinenden  Organ,  was  Sanio  Phelloderm  genannt 
hat,  zeigt  die  mauerförmige  Anordnung  der  äußersten 
Cellenschicht  den  Korkmuttercellen  gegenüber,  sowie  die 
gleichmäßige  Mächtigkeit  d?s  Lagers. 


152 

det  sich  duq  auch  bei  unserer  afrikanischen 
Pflanze,  so  daß  gar  kein  Zweifel  übrig  bleibt, 
daß  dieselbe  der  Gattung  Holarrhena  zugerechnet 
werden  muß.  Der  Hauptunterschied  liegt  in  der 
Zahl  der  Cellenreihen  des  Hypoderms,  die  bei 
H.  antidysenterica  4 — 5  betragen,  während  bei 
der  afrikanischen  nur  2  solche  Cellenreihen  vor- 
handen sind,  was  übrigens  bei  der  sonst  der  H. 
antidysenterica  am  Nächsten  stehenden  H.  pu- 
bescens  auch  der  Fall  ist. 

De  Candolle  (1.  c.)  beschreibt  7  Arten  der 
Gattung  Holarrhena  und  gibt  3  von  diesen  als 
africanische  an,  nämlich  die  H.  Landolphioides, 
ovata  und  Africana.  Die  erstere  unterscheidet 
sich  durch  umgekehrt  eiförmige  Blätter,  die 
zweite  durch  ihre  seidene  Behaarung  von  der 
unsrigen  Pflanze,  die  aber  völlig  mit  der  Be- 
schreibung H.  Africana  übereinstimmt.  Von  den 
nicht  africanischen  Arten  hat  Holarrhena  mitis 
lanzettförmige  Blätter  mit  lang  ausgezogener 
Spitze  und  plötzlich  abschmälerndem  Blattgrund ; 
H.  antidysenterica  und  pubescens,  von  welchen 
Arten  wir  auch  bei  Hofrath  Grisebach  Gele- 
genheit gehabt,  ostindische  Exemplare  zu  ver- 
gleichen, haben :  die  erstere  lederartige  Blätter 
mit  abgestumpftem  Blattgrund  und  an  der  un- 
teren Seite  mehr  hervortretendem  Adernetz,  die 
letztere,  die  von  De  Candolle  als  kaum  unter- 
schieden angeführt  wird ,  seidenhaarige  Blätter 
und  Zweige  nur  mit  mehr  abgestumpfter  Spitze. 
H.  Codaga  Don,  die  auch  der  H.  pubescens  sehr 
nahe  stehen  soll,  hat  ebenfalls  behaarte  Blätter 
mit  abgestumpftem  Blattgrund. 

Es  darf  hiermit  als  erwiesen  betrachtet  wer- 
den ,  daß  die  vorliegende ,  von  den  africanischen 
Missionären  geschickten  Pflanzentlieile  entweder 


153 

eiuer  neuen  Art  der  Gattung  Holarrbena  oder, 
was  wahrscheinlicher  ist,  der  von  De  Candolle 
beschriebenen  Holarrbena  Africaua  augehören. 
Vollständig  sicher  läßt  sich  ein  ürtbeil  erst 
dann  fällen,  wenn  Blüthe  und  Frucht,  deren  Zu- 
sendung bereits  in  Aussicht  steht,  untersucht 
werden  können. 


Beiträge  zur  Ph jsiographie  gesteins- 
bildender  Mineralien*) 
von 
Heinr.  Otto  Lang. 

II. 

Granat   aus  erratischem  Gneisse 
von  Wellen  bei  Bremen. 

Dieser  Granat  zeichnet  sich  anderen  Vor- 
kommen gegenüber  durch  säulenförmige 
Verzerrung  aus;  da  eine  solche  nirgends 
sonst  an  Granat  beobachtet  worden  oder,  meines 
Wissens  wenigstens,  in  der  bezüglichen  Literatur 
erwähnt  ist  und  da  auch  die  übrigen  Verhält- 
nisse dieses  Vorkommens  manches  Interessante 
bieten,  möge  seine  eingehende  Beschreibung  hier 
Platz  finden  und  zwar  um  so  mehr,  als  aus  letz- 
terer auch  der  Grund  jener  anormalen  Ausbil- 
dung ersichtlich  werden  wird.  Beifügen  muß 
ich  noch  die  Notiz,  daß  ich  auch  an  den  Indi- 
viduen eines  großkörnigen ,  homogenen  Granat- 
Aggregats,  sogenannten  »derben«  Granats  eine 
Andeutung  säulenförmiger  Verzerrung  beobachtet 
habe  und  zwar  bei  einem  ebenfalls  erratischen 
Stücke  von  Charlottenburg  (in  der  Wöhler'schen 
Sammlung). 

Wie  in  der  Ueberschrift  angedeutet,  kommt 

1)  Vergl.  Jahrg.  1877,  S.  589. 


154 

der  säulenförmig  verzerrte  Granat  in  Gueiß  aus 
einer  Massenablagerung  erratischer  Gesteine  in 
der  Nähe  von  Wellen  bei  Stubben  im  Herzog- 
thum  Bremen  vor;  die  daselbst  zusammengela- 
gerten Geschiebe  zu  beschreiben  und  ihrer  Her- 
kunft nachzuforschen  ist  eine  Aufgabe,  die  mich 
schon  längere  Zeit  beschäftigt.  Granatführend 
erwiesen  sich  mehrere  der  mir  zur  Untersuchung 
übersandten  Gneiß-Handstücke ;  die  säulenförmi- 
gen Granaten  aber  fanden  sich  in  dunklem  Gneiß 
und  zwar  in  zwei  Varietäten  desselben ,  einer 
mittel-  oder  größerkörnigen  und  einer  kleinkör- 
nigen. Beiden  Varietäten  waren  von  Gemeng- 
theilen  gemein:  Quarz,  Feldspath,  brauner,  in 
großer  Menge  vorhandener,  ferner  ziemlich  farb- 
loser Glimmer,  Granat,  sowie  endlich  ein  in  ganz 
vereinzelten,  grünen,  pleochroitischen,  rundlichen 
Körnern  auttretendes  Mineral  (wahrscheinlich 
Epidot);  der  kleinkörnige  Gneiß  war  außerdem 
verhältnißmäßig  überreich  an  Apatit  und  führte 
auch  opake  Erzkörnchen.  Als  eine  petrographisch 
wichtige  Eigenthümlichkeit  beider  Gneiße  darf 
nicht  unerwähnt  bleiben,  daß  sie  den  Plagioklas 
unter  ihren  Gemengtheilen  vermissen  lassen ;  es 
hat  wenigstens  den  Anschein,  als  ob  nur  eine 
Feldspath- Art  vorläge,  deren  Natur  bei  der  so 
überaus  unregelmäßigen  Gestalt  der  Feldspath- 
körner,  dem  Mangel  gut  ausgesprochner  Spalt- 
barkeit und  daraus  folgender  Unmöglichkeit  ge- 
nauer optischer  Orientirnng  allerdings  schwer  zu 
bestimmen  ist;  die  vorwaltend  einheitlich  chro- 
matische Polarisation  jedoch  und  besonders  die 
Beobachtung,  daß  in  vielen  solchen  Fällen,  wo 
noch  nach  Grenzlinien  oder  Spaltbarkeits-An- 
deutungen  eine  rohe  Orientirnng  möglich  war, 
Auslöschen  zwischen  gekreuzten  Nicols  ein- 
trat   bei    Parallelstelluug    solcher    Richtung    zu 


t  "  " 

einer  Nicol-Diagouale ,  spricht  für  die  Ortho- 
klas-Natur. Da  von  dem  großkörnigen  Gneiße 
nur  ein  Schliff  noch  übrig  war  (das  übersandte 
kleine  Handstück  ist  anscheinend  bei  einem 
Wohnungswechsel  abhanden  gekommen),  iu  wel- 
chem möglicher  Weise  alle  Plagioklase  ihre  Ta- 
felfläche M  der  Schliff-,  resp.  Schieferungs  Fläche 
parallel  gelagert  haben  konnten,  war  die  Abwcf 
senheit  des  Plagioklases  hier  nicht  so  sicher  zu 
constatiren,  wie  in  den  Schliffen  des  kleinkörni- 
gen Gneißes,  die  nach  drei  zu  einander  senk- 
rechten Richtungen  orientirt  waren.  Allerdings 
war  hier  nicht  so  selten  eine  lamellare  Structur 
an  Feldspathen  zu  beobachten,  z.  Th.  sogar  recht- 
winklige Gitterbildung:  einer  lamellaren  Vielr 
lingsbildung  schien  mir  diese  Erscheinung  jedoch 
nicht  zu  entsprechen,  sondern  vielmehr  auf  me- 
chanische Druckwirkungen  zurückzuführen :  die 
betreffenden  Lamellen  waren  selten ,  wenigstens 
nicht  allseitig  scharf  begrenzt;  sie  durchsetzten 
das  betr.  Feldspath-Individuum  fast  nie  in  dessen 
ganzer  Erstreckung,  sondern  keilten  sich  in  schar- 
fen Spitzen  aus;  meist  waren  diese  Lamellen- 
systeme nur  auf  die  peripherischen  Partien  der 
Individuen  beschränkt ;  die  Lamellen-Breite  und 
Länge  variirte  im  System  selbst  sehr;  auch  im 
sonstigen  Habitus  machten  die  betr.  Feldspath- 
individuen  den  Eindruck,  als  ob  sie  in  der  La- 
mellen-Richtung oder  in  einer  wenig  davon  ab- 
weichenden Richtung  einen  Druck  erlitten  hät- 
ten und  so  Gleitfläohen  producirt  worden  seien. 
Im  polarisirten  Lichte  traten  diese  Lamellen 
besoudejs  hervor,  gewöhnlich  nur  einseitig  in 
ihrer  Färbung  scharf  begrenzt ,  andrerseits  ver- 
schwimmend ;  z.  Th.  löschten  sie  zugleich  mit 
dem  Hauptindividuum,  welchem  sie  eingeschaltet 
waren,    zwischen  gekreuzten  Nicols  aus,   z.  Th. 


156 

bildeten  ihre  und  des   Hauptindividuums  Haupt- 
Schwingungsriehtungen  spitze  Winkel  bis  gegen 
AO^;    zuweilen  waren  sie  nicht   ganz  geradlinig, 
sondern   am  Rande  des  Hauptindividuums  etwas 
abgebogen;    ein    Individuum    zeigte  in  gewissen 
Lagen    zwischen   gekreuzten  Nicols  ein  Farben- 
bild, das  ganz  der  von  A.  Michel-Levy  im  Bull, 
d.  1.  soc.  geol.  d.  France,  3.  ser.  t.  V.  pl.  I.  fig.  3 
gegebenen   Photographie   eines    micropegmatit's 
entsprach,  das  aber  in  anderen  Lagen  und  auch 
bei  der  Dunkelstelluug   vollständig  verschwand; 
es  scheinen  mir  also  hier  keine  Plagioklas-Viel- 
linge,    sondern    der    Lamellarpolnrisation  Biot's 
entsprechende  Verhältnisse  vorzuliegen.  —     Mit 
den  dem  Gneiß    eigenthümlichen   Parallel-Struc- 
turen  finden  wir  an  diesen  Gneißen  die  porphyri- 
sche Structur   verknüpft,    vorzugsweise   bedingt 
durch  die  eingelagerten  Granaten ;  erstere  Structur- 
Arten  und  insbesondere  die  lineare  Parallelstructur 
beobachten  wir  in  eminentem  Grade  ausgebildet 
am    kleinkörnigen     Gneiße;     seine     verwitterte, 
weißliche  bis  hellgraue  oder  bräunliche  Geschie- 
befläche  bietet  den  Habitus  eines  großen  Holz- 
splitters;   mehr   oder  weniger  (bis  5  mm)   tiefe 
und  feine  Furchen    ziehen   in   Stränge    geschart 
und  z.  Th.  flach  wellig  gewunden  auf  der  Ober- 
fläche hin ;  die  Grate  zwischen  ihuen  bildet  durch 
Auswitterung  der  übrigen  Gemengtheile  poröser, 
grauer  bis  weißer  Quarz;    nicht    selten    verbrei- 
tern  sich   die    Grate   oder  aber  die  Furchen  er- 
weitern sich  zu  in  die  Länge  verzogenen,  spitz- 
rhombenähnlichen  „Astlöchern'',  aus  deren  Grun- 
de die  hier  rosenfarbnen  Granaten  hervortreten ; 
sind  letztere  zu  mehreren  geschart,  so  wird  die 
lineare  Parallelstructur  in  stärkerem  oder  gerin- 
gerem Maße  gestört.     Die  lineare  Parallel- 
structur   hat    nun    anscheinend  einen  mächtigen 


157 

Einfluss  ansgeübt  auf  die  Formausbildung 
und  Lagerung  aller  größeren  Gemengtheile, 
sowie  sogar  auf  die  Anordnung  ihrer  mi- 
kroskopischen luterpositionen.  Indem 
kleinkörnigen  Gneiße,  dessen  Gemengtheile  in 
der  Mehrzahl  nicht  über  0,2  mm  Größe  errei- 
chen, finden  sich  z.  B.  größere,  bis  2,5  mm  lange 
Quarz-  und  Feldspathindividuen,  die  bei  sonst 
ganz  regelloser  Form  doch  erkennen  lassen,  wie 
sie  der  Richtung  der  Gesteinsstructur  entspre- 
chend verlängert  und  gelagert  sind  und  wie  auch 
ihre  Einschlüsse  Parallelität  dazu  erstreben.  Am 
Auffallendsten  aber  ist  diese  Erscheinung  bei 
den  Granaten. 

Dieselben  besitzen  auch  keine  ganz  regelmäß- 
ige Gestalt,  aber  entschieden  säulenförmigen 
Habitus;  sie  erreichen  mehr  als  1  cm  Länge 
bei  0,5  cm  höchster  Breite,  in  der  Mehrzahl 
aber  sind  sie  3,5 — 6,0  mm  lang  und  1,2 — 2,2  mm 
breit;  sie  sind  ziemlich  von  Quarzhärte,  aber 
äußerst  bröcklich;  hin  und  wieder  lassen  sich 
rhomboederähnliche  Spaltungsformen  und  musch- 
liger  Bruch  erkennen :  auf  den  Geröllflächen  be- 
sitzen sie  rosa-  bis  fast  pfürsichblüthrothe  Fär- 
bung, die  im  Innern  z.  Th.  ins  Violblaue  über- 
geht. Unter  dem  Mikroskope  sind  die  Umrisse 
der  röthlichen  und  mit  rauher  Schlifffläche  aus- 
gestatteten Krystalloide  nicht  ganz  regelmäßige 
und  stetige ,  sondern  oft  aus-  und  eingezackte ; 
regellos  geformte,  mehr  oder  minder  große  An- 
hängsel stören  die  Säulenform  und  auch  da,  viro 
man  bei  geringerer  Vergrößerung  geradlinig  ste- 
tige Begrenzung  zu  beobachten  glaubt,  enthüllt 
stärkere  Vergrößerung  eine  flachwellige,  hin  und 
wieder  leicht  ein-  oder  ausgezackte  Linie.  Die 
Breite  der  Längsschnitte  ist  deßhalb  sehr  wech- 
selnd;  in    Folge   der   Aus-   und  Einbuchtungen 


158 


machen  manche  derselben  den  Eindruck,  als  ob 
die  Säulen  durch  Aufeinanderpfropfen  von  Kör- 
nern   resultirt    seien.      Dieser    Annahme  wider- 
streitet  jedoch    schon    die    an    allen  Individuen 
beobachtbare   Beschaffenheit    des    Kluft  -  Netzes ; 
alle  Granaten   werden   nämlich   von  .etwas  gebo- 
gen und,  soweit  sie  einander  entsprechen,  nicht 
immer    parallel    verlaufenden  Quer-  und  Längs- 
klüften durchsetzt,  von  denen  die  gleichnamigen 
einander  gewöhnlich   auslösen,    stellen weiS8  ein- 
ander   sehr    genähert,    stellenweise    (zumal    die 
Längsklüfte)    bis  über  1  mm  von   einander  ent- 
fernt laufen;   an  einem  6  mm  langen  uud  etwa 
1,2   mm     breiten    Granat -Längsschnitte    waren 
Längsklüfte  zu  beobachten,    die  bis  auf  2,3  mm 
Erstreckung  stetig  verliefen  ;  sonai;  lösen  sich,  wie 
gesagt,  diese  dunkeln,  z.  Th.  mit  Eisenoxydhydrat 
imprägnirten    und    mehr    oder    minder    breiten 
Klüfte  o-ern  aus ;  trotz  dieser  Auslösungen  hangt 
iedoch  das  Kluftnetz  in  allen  seinen  Partien  zu- 
sammen, ist  wesentlich  einheitlich  orientirt  und 
bildet   ein  zusammenhängendes  Gitterwerk,    wie 
solches  nur  bei  einem  Individuum,  nicht  bei  ei- 
nem Körner-Aggregate  zu  finden  sein  durfte.    Die 
Klüfte  entsprechen  dabei  wohl  den  Spaltbarkeits- 
richtungen  nach    ooO.  —     Neben  diesen  Granat- 
säulen, die  jedenfalls  der   linearen  Parallel- 
structur,    d.  h.    der    Fluctuation   bei  der  Ge- 
ateinsbildung  ihre  derselben  parallele  Lagerung 
und    säulenförmige     Ausbildung    verdanken, 
letztere   als    Verzerrung    nach  den  rhom- 
bischen Zwischenaxen    betrachtet,   fanden 
wir  in  dem  gröberkörnigen  Gneiße  (seine  durch- 
schnittliche   Korngröße    beträgt    1,2  mm)     noch 
kleine    Granatkörner,    allerdings   in    ganz  spär- 
licher Menge;  sie  liegen  in  nächsterjNachbarschatt 
der    großen    säulenförmigen    Krystalloide ,    und 
zwar  gewöhnlich  in  der  Verlängerung  derselben 


159 

und  besitzen  circa  0,2  mm  Durchmesser;  anch 
sie  sind  oft,  bei  gleicher  Orientirung  ihrer  betr. 
Dimensionen  und  Spaltungsklüfte  mit  den  gro- 
ßen Säulen,  in  deren  Längs-Richtung  sie  liegen, 
etwas  verzerrt;  manche  von  ihnen  zeigen  Kry- 
stallformen  und  zwar  einen  sechseckigen  Durch- 
schnitt, dessen  der  Fluidal-Richtung  und  so  auch 
der  Längsrichtung  der  benachbarten  Granatsäule 
paralleles  Seitenpaar  etwas  länger  als  die  anderen 
ist;  so  hat  z.  B.  ein  dergleichen  >Trabant<  in 
der  Fluidalrichtung  0,23  mm  Durchmesser,  quer 
dazu  aber,  in  welcher  Richtung  gewöhnlich  Klüfte 
angedeutet  sind,  nur  0,17mm.  Nach  der  Form 
dieser  kleinen  Trabanten  zu  urtheilen  ist  also 
die  Normalform  der  Granaten  dieser  Gneiße  das 
Rhombendodecaeder. 

In  BetreflF  der  mikroskopischen  Interpositio- 
nen  unterscheiden  sich  die  Granaten  der  beiden 
Gneißvarietäten  etwas,  wenn  auch  nicht  wesent- 
lich ;  unter  jenen  finden  sich  nämlich  nicht  selten 
Partikel  der  übrigen  Gesteinsgemengtheile ,  so 
z.  B.  meist  regellos  gestaltete,  aber  an  Größe 
nicht  unbedeutende  (zuweilen  schon  makrosko- 
pisch erkennbare)  Glimmer-Fetzen,  Quarz-Körner 
etc.;  in  den  GraHaten  des  kleinkörnigen  Gneißes 
beobachten  wir  deßhalb  häufig  Apatit-Säulen, 
deren  die  Granaten  aus  dem  größerkörnigen  Gneiße 
begreiflicher  Weise  ermangeln.  "Wichtiger  und 
interessanter,  dabei  den  Granaten  beider  Gesteine 
gemeinsam ,  sind  von  mikroskopischen  Interpo- 
sitionen  farblose,  nadelähnliche  Mikrolithe;  ihre 
Dimensionen  betragen  im  großkörnigen  Gneiße 
durchschnittlich  0,07  mm  in  der  Länge  bei 
0,003  mm  Breite ,  im  kleinkörnigen  aber  sind 
sie  0,5—0,025  mm  lang  und  0,025—0,002  mm 
breit;  sie  endigen  meist  flach  abgerundet,  die 
längeren  unter  ihnen  aber  sind  zuweilen  mehr- 
fach quergebrocheu.     Ihr  Lichtbrechungsvermö- 


160 

«ren    mag    wohl  von   dem  des  Granats  sehr  ab- 
weichen,   denn    sie   erscheinen    verhältnißmäßig 
dunkel  umrandet ;  dabei  zeigen  sie,  nur  mit  dem 
Polarisator  geprüft,  deutlich  Lichtabsorption,  rea- 
giren  auf  polarisirtes  Licht  schön  chromatisch  und 
löschen  zwischen  gekreuzten  Nicols  bei  (schon  bei 
angenäherter)  Parallelstellung  ihrer  Längsrichtung 
zu  einer  Nicol-Diagonale  aus.     Die  Menge,  in  der 
sie  in  den  einzelnen  Granitindividuen  auftreten,  ist 
sehr    verschieden;    einzelne    Granatdurchschnitte 
sind  so  reich  an  ihnen,  daß  sie  grau  gefasert  und 
fast  vollständig  doppeltbrechend,    allerdings  mit 
Aggregat-Polarisation    erscheinen.     Ihre   Anord- 
nung in  den  Granaten  erweist  sich  zuweilen  wenig 
gesetzmäßig;  wirr  gehäuft,  meist  aber  in  Büschel 
und    Stränge    gruppirt    vermeiden    sie  die  Lage 
quer  zur  Längsaxe  der  Granatsäulen  und  haben 
sie  ersichtlich    eine  Concordanz  mit  der  Verzer- 
rungs-Richtung   des    Granates   angestrebt.      Das 
Uebergreifeu  ihrer  einzelnen  Individuen  wie  ihrer 
Stränge    von    Granatpartikel    zu    Granatpartikel 
(Korn  zu  Korn)    bezeugt  dabei  auch  die  Zusam- 
mengehörigkeit dieser  Klüftungs-Körner  zu  einem 
Individuum;     zuweilen    schwenken    ihre    Bündel 
und  Stränge,  den  Granat-Umrissen  folgend,    an 
den     Enden     der    Granatsäulen    scharf    herum. 
Sind  diese  Mikrolithe    vorzugsweise    im  Granat 
interponirt,    so    treten    sie  doch  auch  hin    und 
wieder  in  den  andern  Gesteinsgemengtheilen  auf 
und  sind  insbesondere  im  kleinkörnigen  Gneiße, 
wo  sich  ihnen    oft  bis  1  mm   lange  Apatit-Säu- 
len gesellen,    einzelne    Feldspathindividuen    sehr 
reich  daran,  abgesehen  von  den  gewöhnlich  rei- 
nen Randzonen  des  Feldspaths;  ihre  Anordnung 
ist    dann    eine    ähnliche    wie   in   den  Granaten; 
in  diesen  völlig  farblosen  Wirthen   aber  erschei- 
nen sie,    falls   sie   nicht    zu  dünn  sind,    um  die 
Erscheinung  zum  deutlichen  Ausdruck  kommen 


161 

zu  lassen,  blußgrüulich  oder  flascbengrüulich  nud 
deutlich  dichroitisch ;  daß  die  iu  dem  Granat 
interponirten  Mikrolithe  diese  Erscheinung  nicht 
erkennen  lassen,  schreibe  ich  einzig  der  blaß- 
röthlichen,  complimentären  Färbung  des  Wirthes 
zu.  Welchem  Minerale  diese  Mikrolithe  ange- 
hören, läßt  sich  nicht  sicher  entscheiden;  sie 
ähneln  den  in  vielen  Cordieriten  vorkommenden 
Mikrolithen;  ein  Vorkommen  solcher  oder  dem- 
ähulicher  in  Granat  ist  aber  bis  jetzt  nicht  be- 
kannt; nur  »blaßbräunliche«,  dem  Turmaliue 
resp.  dem  Zirkone  zugerechnete  Mikrolithe  ha- 
ben Zirkel  und  Kalkowsky  (Mikr.  Beschaffenh. 
d.  Min.  u.  Gest.  S.  196;  Zeitschr.  d.  geol.  Ges. 
1876,  S.  682)  aus  Granat  beschrieben;  blaß- 
bräunlich  sind  sie  aber  entschieden  nicht;  ich 
möchte  eher  annehmen,  daß  sie  der  Hornblende 
angehören,  obgleich  Hornblende  unter  den  eigent- 
lichen Gesteinsgemengtheilen  dieser  Gneiße  fehlt, 
und  zwar  bin  ich  zu  dieser  Annahme  geneigt 
auf  Grnnd  ihres  optischen  Verhaltens-  —  Nur 
im  Granat  des  größerkörnigen  Gneißes  habe  ich 
weiter  äußerst  kleine,  rundliche  oder  unregel- 
mäßig schlauchförmige,  iu  Schlieren  und  Flasern 
gehäufte  Interpositionen  beobachtet;  die  in  die 
Länge  gezogenen,  ei-  oder  schlauchförmigen  In- 
terpositionen sind  concordant  der  Richtung  der 
Schlieren  und  Flasern  in  ziemlich  gleichen  Ab- 
ständen geordnet  und  diese,  nicht  gerade  zu  häu- 
figen, aber  auch  nicht  überaus  spärlichen  Schlie- 
ren durchsetzen  die  Grauatsäulen-Längsschnitte 
ungefähr  iu  querer  Richtung.  Ueber  die  Natur 
dieser  Interpositionen  konnte  ich  mir  auch  nicht 
Gewißheit  verschaffen ;  anscheinend  sind  es  Hohl- 
räume und  feste  Körperchen,  letztere  wohl  oft  in 
ersteren  (möglicher  Weise  auch  z.  Th.  träge  Bläs- 
chen führende  Flüssigkeiten !) ;  nur  soviel  ist  zu 
constatiren,  daß  die  bezeichneten  Schläuche  meist 


162 

kein  homogenes  Innere  besitzen ,  sondern  noch 
dunkle  Substanz  führen  und  dass  in  den  Schlie- 
i^eü  viele  innerhalb  oder  außerhalb  der  Schläuche 
bfefindliche  Partikel  auf  polarisirtes  Licht  reagiren. 
Vor  dem  Löthrohre  gaben  betr.  Granatsplittei? 
keine  charakteristische  Reaction,  desgleichen  nicht 
bei  Untersuchung  mit  dem  Spectral  -  Apparate, 
welche  Untersuchung  Herr  Dr.  Bente  so  freund- 
lich war  mit  dem  Apparate  des  agriculturchemi- 
schen  Laboratoriums  auszuführen.  Die  quanti- 
tative Analyse,  welche  ich  der  Freundschaft  des 
Herrn  Dr.  PolstorfiF  verdanke  und  deren  Resul- 
tate unten  folgen ,  giebt  auch  keinen  Aufschluß 
über  den  Farbstoff  des  Granats,  denn  Herr  Dr. 
Polstorff  constatirte,  daß  Mangan  vollständig 
fehle.  Diö  Analyse  ist  mit  äußerst  wenig  Sub- 
stanz, nur  0,23  grm  ausgeführt,  die  ich  mit  der 
Lupe  aus  zerstoßnem  Materiale  des  kleinkörni- 
gen Gneißes  ausgesucht  hatte.  Die  beiden  Oxy- 
dationsstufen des  Eisens  konnten  der  geringen 
Menge  des  Materials  wegen  nicht  getrennt  be- 
stimmt werden ;  es  wurde  nur  Fea  O3  bestimmt 
und  zwar  mit  43,07  %;  der  größte  Theil  des 
Eisens  dürfte  jedoch  als  Oxydul  zugegen  sein, 
wenn  auch  nicht  in  so  großer  Menge,  wie  ich, 
am  die  Summe  100  zu  erhalten,  angerechnet 
habe.     Die  Analyse  ergab  darnach: 

Si  Os    43,64  7o ;  Sauerstoff:  23,27  =  2  x  11,63 
AUOs  11,63  5,419\  k  q. 

FeaOs     1,77  0,531/  ^'^^ 

FeO     37,16  8,256  j 

MgO     3,78  1,512  10,345 

CaO       2,02  0,577  ( 

Summe7T00,00 

Wie    ersichtlich,    fugen    sich   die  erhaltenen 
Werthe  keiner  Formel  und  mag  dieser  Umstand 


163 

einerseits  daher  rühren,  daß  die  Gewichtsbestiin- 
mungen  wegen  des  zu  geringen  Analysen-Mate- 
rials zu  ungenau  sind,  andrerseits  daher,  daß  die 
mikroskopischen  Interpositionen  das  Resultat 
beeinflussen;  letzteren,  insbesondere  eingewach- 
senen Quarzpartikelchen  und  kieselsäurereichen 
Silicaten  (den  kleinen,  in  Masse  auftretenden 
Nadeln!?,  die  darnach  wohl  der  Hornblende  zu- 
gehören dürften)  ist  gewiß  der  für  Granat  allzu 
hohe  Kieselsäuregehalt  zuzuschreiben.  Hat  dar- 
nach die  Analyse  auch  nicht  alle  Räthsel  gelöst, 
so  ist  doch  wohl  sicher,  daß  der  betr.  Granat 
der  Gruppe  der  Eisenthongranate  angehört.  Es 
sei  deßhalb  erlaubt,  ihn  noch  mit  einem  andern 
Eisen-Thou-Granate  aus  Gneiß  derselben  Fund- 
stätte zu  vergleichen.  Dieser  kommt  in  einem 
großkörnigen,  dunklen  aber  nur  Biotit-haltigen 
Gueiße  vor,  erscheint  in  rundlichen  Kömern, 
schließt  keine  nadeiförmigen  ^likrolithe  ein,  son- 
dern erweist  sich  ziemlich  homogen  und  in  der 
Farbe  sehr  dem  vorbeschriebnen  ähnlich;  sein 
specifisches  Gewicht  bestimmte  ich  zu  4,09 ;  zur 
Analyse,  die  Herr  Dr.  Polstorff  ebenfalls  auszu- 
führen die  Freundlichkeit  hatte,  konnte  ich  auch 
nur  wenige  Gramm  aussuchen,  doch  erlaubte 
selbst  diese  geringe  Menge  die  Hauptwerthe  der  Ana- 
lyse mehrfach  zu  bestimmen.  Die  Werthe  sind : 
SiOj  38,32%;  Sauerstoff:  20,43  =  2        x  10,225 

F^Os'mO  1J;5^}i1,27=  1,102x10.225 

FeO  32,06  7,12J 

M^     3;S  »»8,68=0,839x10,225 

CaO      1,31  0,37J 

Alkalien  Sporen. 

100,44 
Dieser  Granat  enthält  also  merklich  weniger 
Kieselsäure,    Magnesia  und  Kalk,  an  deren  An- 

14 


1C)4 

reicheruug  im  erstbeschriebeneu  Granate,  wie 
aogedeutet,  wohl  die  in^erponirten  Mikrolithe 
die  Schuld  tragen  dürften.  Entspricht  auch  hier 
das  Verhältniß  der  Sauer stofif-Mengen  der  3  Oxy- 
dationsstufen ,  wie  zu  ersehen  (2:1,102:0,839), 
nicht  genau  dem  durch  die  Granatformel  ver- 
langten 2:1:1,  so  wird  doch  die  Verwandtschaft 
mit  anderen  Eisen-Thougranaten  ersichtlich, 
wenn  man  das  Resultat  der  Analyse  mit  denje- 
nigen anderer,  besonders  des  Almandius  vom 
Greiner  und  eines  Granats  von  Orawitza  ver- 
gleicht; letztere  beide  differiren  in  der  Kiesel- 
säuremenge von  diesem  Wellener  Granate  je  um 
0,8%  und  nimmt  dieser  Granat  von  Wellen, 
dessen  Analyse  hierunter  nochmals  (unter  II.) 
zwischen  denen  jener  beiden  folgen  soll ,  offen- 
bar (abgesehen  von  der  Thonerdemenge)  eine 
Mittelstellung  zwischen  ihnen  ein. 

I.    Almandin    (rother  Granat)    vom  Greiner  im 

Zillerthal,  nach  Kobell  in  Schwgg.  J.  64,  283. 

III.     Granat   aus   Glimmerschiefer  von  Orawitza 

im  Baniat,  nach  Kjerulf,  im  J.  f.  pr.  Ch.  65,  192. 

I.  IL         III. 

SiOs  39,12  38,32  37,52 

AlaOs  21,08  21,55  20,00 

FesOa    6,00  4,10       — 

FeO  27,28  32,06  36,02 

MnO    0,80  0,85       1,29 

MgO      ^  2,25      2,51 

CaO    5,76  1,31      0,89 


100,04  100,44    98,23. 


y  ^Jlblenk.  TU  Scalcnthcilcn 
^"I^ntf.  der  Spitzen  inMülim. 


165 


Nachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


27.  Februar.  >&  4.  1878. 

Königliche  (üfsellschaft  der  >Yissf n«»chanen. 

Sitzung  vom  2.  Februar. 

(Fortsetzung). 

Die   eigentliche   Accentuation    des    In- 

dicativ  Präsentis   von    ig  'sein'  und  (pä 

'sprechen',    so  wie  einiger  griechischen 

Präpositionen. 

Von 

Theodor  Benfey. 

§•   1- 

In  der  'Zeitschrift  für  vergleichende  Sprach- 
forschung, N.  F.  III.  S.  581'  heißt  es  in  einem 
Aufsatz  von  Osthoff  über  griechisch  »Ci?«  'sei': 

'Nebenbei  bemerkt ,  ist  dann  dagegen  im 
griechischen  Siug.  Präs.  der  Accent  von  der  alten 
Norm  abgewichen  und  hierin  haben  sich  viel- 
mehr ia-fii  «t-fi*j  ia-ai,  ia  i*  nach  den  von  alters 
her  oxytonierten  Pluralforme'n  gerichtet,  so  wie 
auch  bei  der  ebenfalls  stammabstufenden  Wurzel 
ya  die  Singularformen  (f^-{ii,  cft^-ci  ihren  Accent 
nach  dem  Plural  (fa-iiiv ,  (fa-ie,  dorisch  q:a-vti 
yeräudert  haben  müssen'. 
i;    Der  Herr    Verfasser   hegt  also  die  Ansicht, 

15 


165 


iVaclirichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen, 


27.,fe^ruar. 


Ao.  4.  1878. 


Königliche  <iles«lhchaft  der  Uisseuschaffen. 

Sitznng  vom  2.  Februar. 

(Fortsetzung). 

Die   eigentliche   Accentnation    des    In- 

dicativ  Präsentis   von    ig  'sein'  und  qiä 

'sprechen',    so  wie  einiger  griechischen 

Präpositionen. 

Von 

Theodor  Benfey. 

,     -        §.1. 

i     ''^■'■'1'. 

In  ddr  'Zeitschrift  für  vergleichende  Sprach- 
forschung, N.  F.  111.  S.  581'  heißt  es  in  einem 
Aufsatz  von  Osthoff  über  griechisch  tff.?»  'sei': 

'Nebenbei  bemerkt,  ist  dann  dagegen  im 
griechischen  Siug.  Präs.  der  Accent  von  der  alten 
Norm  abgewichen  und  hierin  haben  sich  viel- 
mehr ia-fii  il-fiij  ia-ai,  iü  i*  nach  den  von  alters 
Ifiei  oxytonierten  Pluralformen  gerichtet,  so  wie 
jfiuch  bei  der  ebenfalls  stammabstufeuden  Wurzel 
ya  die  Siugularformen  (f^-iii,  (f^-ci  ihren  Accent 
nach  dem  Plural  q)a-niv,  (pa-is ,  dorisch  (fa-vti 
Yerändert  haben  müssen'. 
lj    Der  Herr    Verfasser   hegt  also   die  Ansicht, 

15 


166 


daß  der  Accent  dieser  ludicative  des  Präsens 
einst  mit  demjenigen  identisch  gewesen  sei, 
welcher  im  Sanskrit  uns  für  as  entgegentritt 
und  nach  dessen  Analogie  auch  für  griechisch 
(fa  aufzustellen  sei.  Nehmen  wir  einen  Augen- 
blick an,  daß  griech.  tpa  'sprechen'  mit  sskr. 
lihä  'scheinen'  identisch  sei,  eine  Annahme,  welche 
sogar  viele  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat,  da 
im  Indogermanischen  das  Gewahrmachen  durch 
'Zeigen'  und  'Sprechen'  (gewissermaßen  durch 
Laut  und  Gebärde),  die  Wörter  für  die  Begriffe 
'scheinen,  zeigen ,  sprechen',  aufs  engste  zusam- 
menhängen, vgl.  z.  B.  im  Sanskrit  khyä  'schauen' 
und  'sprechen',  caksh  'sehen'  und  'sagen',  latei- 
nisch die  (z.  B.  in  dlc-are  in-dic-are,  ju-dic)  = 
griech.  dix  sskr.  dig  u.  s.  w.  'zeigen'  und  in  die 
(für  ddc,  Bildung  nach  Analogie  der  sskrit. 
ersten  Conjugations-Classe)  'sagen'.  Dann  wür- 
den sich  einander  gegenüber  treten: 

sanskritisch  griechisch  sanskritisch  griechisch 


Singular :  äsmi 
asi 
ästi 
Dual  2.     sthäs 
3.     stäs 
Plur.      smäs 
sthä 
sänti 


s^g  st 

iöwp 

iüfiiv 
iais 


bhami 

bhä'si 

bhä'ti 

bhäthas 

bhätäs 

bhämäs 

bhätha 

bhä'nti 


w 

(fCtXOV 

(fiati 

(pixol(v) 


Ich  darf  nicht  umgehen,  darauf  aufmerksam 
zu  machen,  daß  in  dieser  Uebersicht  weder  sskr. 
sänti  zu  griech.  elal(p)  noch  hhd'nti  zu  (paal{v) 
stimmt  und  ich  glaube,  daß  dies  wohl  manchen 
gegen  die  Annahme  einer  eigentlich  gleichen 
Accentuation  dieser  Formen  im  Sanskrit  und 
Griechischen  etwas  stutzig  gemacht  haben  würde. 
Denn  es  giebt  keine  einzige,  irgend  verlässige, 
Spur,   daß   in  den   indogermanischen    Sprachen 


167 

jemals  der  Accent  in  der  3ten  Person  Plur,  auf 
das  auslautende  i  gefallen  sei ;  zwar  existirt  eine 
Erscheinung,  welche  auf  den  ersten  Anblick  für 
die  Möglichkeit  einer  solchen  Accentuation  zu 
sprechen  scheinen  könnte,  aber  wer  sie  kennt, 
von  dem  bin  ich  überzeugt,  daß  er  auch  nach- 
zuweisen im  Stande  ist,  daß  eine  derartige  Fol- 
gerung aus  ihr  irrig  sein  würde,  und  halte  es 
daher  für  Papier-  und  Zeitverschwendung ,  sie 
hier  zu  discutiren. 

Ich  halte  daher  diese  Differenz  für  eine  sehr 
bedeutende  und  glaube,  daß  sie,  im  Verein  mit 
anderen  Momenten ,  uns  gegen  des  Verfassers 
Annahme,  daß  die  Accentuation  des  Duals  und 
Plurals  im  Griechischen  dadurch  zu  erklären  sei, 
daß  in  ihr  die  ursprüngliche  indogermanische 
bewahrt  sei,  sehr  bedenklich  machen  muß. 
Gegen  die  —  ohne  jeglichen  Grund  —  bloß 
durch  das  Schlußwort  'müssen'  dem  Leser  auf- 
gezwungene Erklärung  der  Umwandlung  des 
früheren  Accents  des  Singulars  durch  den  Ein- 
fluß des  Duals  und  Plurals  wird  sich  wohl  jeder 
Leser  von  selbst  auflehnen;  denn  er  wird  nicht 
umhin  können,  die  Frage  aufzuwerfen,  wie  so 
kommen  Dual  und  Plur.  dazu,  hier  eine  solche 
Macht  auszuüben ,  da  sich  sonst  auch  kein  ein- 
ziger Fall  nachweisen  läßt,  in  welchem  sie  einen 
gleichen  oder  nur  ähnlichen  Einfluß  auf  den 
Singular  ausgeübt  hätten. 

§.  2. 
Gegen  die  Annahme,  daß  die  Accentuation  im 
Dual  und  Plural  als  Bewahrung  der  ursprüng- 
lichen indogermanischen  aufzufassen  sei,  spricht 
aber ,  außer  jener  Differenz  in  der  3ten  Person 
Plur.  («ttfi(V)  gegenüber  von  sdnti,  (faai{y)  von 
noch  der  Umstand,  daß  der  einstige  in- 

15* 


168 


dogermanisclie  (im  Sskrit  bewahrte)  Acceut  auch 
sonst  in  diesen  Verben  nicht  bewahrt  ist     Wie 
so   wäre  es   z.  B.  za   erklären,    warum  der  ur- 
sprüngliche  Accent,  wenn  er  im  Dual  und  Ir'lur. 
bLahrt  wäre,  nicht  auch  z    B.  m  2  Sm^   Im- 
perativi  bewahrt  ist;    diese  Form  lautete  m  der 
Grundsprache    as-dU,    warum    nicht    auch    im 
Griechischen  ladi,  warum  i'^r^*?,   warum  ferner 
ae^enüber    von    grundsprachhchem  astat     nicht 
%Tui,    sondern    sötco,    warum    gegenüber    von 
ds-tdm  nicht  ioTÖP,   sondern  aazov ,    you  as-tam 
nicht  iözuiv  sondern  sazuiv,  von  us-ta  nicht  söis, 
sondern  s'are'i     Ebenso  von  (f>cc,    wie  Buttmann 
mit  seinem  feinen  grammatischen  Tact,  bei  dem 
Streite  der  Grammatiker,  richtig  annimmt,  nicht, 
nach  Analogie  von  grundsprachl.  hJia-dhi,   (fcc^ 

'°'' iTlein^^in*  Bezug  auf  diese  Accentuatiouen 
von  IV^*  u.  s.  w.  stehen  diese  Formen  nicht 
vereinsamt,  sondern  vielmehr  m  Analogie  mit 
andern  griechischen,  welche,  bezüglich  des  Ac- 
Cents  sich  in  demselben  Gegensatz  zu  der 
grdsp'rchlichen  und  sskr.  Accentuation  befinden; 
so  z.B.  von  i  'gehen,  grdspr.  «-rf/»  *-to^  u.s.w, 
aber  im  Griech.  i'^»,  iV«  u.s  w.,  von  ^^^c?  'wissen 
grdspr.  vid-dhi,  vid-tät,  aber  im  G/i^ch^i^^ , 
%l.     Ganz  analog  steht  dem  grundsprachlichen 

^ar-nu-^nds  (sskr.  ximmäs)  im  ^.f^i^^^^^'V";^^^* 
d^wi^^v,  sondern  o^vz^^.»'  gegenüber  dem  grund- 
sprchl.  dadhär^näs  {=  .skr.  dadhmas)  nicM  w^^- 
aip,  sondern  zi^e^sp  und  gauz  oder  wesentlich 
deich  ist  die  Differenz  in  allen  deujemgen  Bil- 
dungen, welche  im  Griechischen  sanskritischen 
Formen   der  sogenannten  2ten  Conjugation  ent- 

'^'Mlt'l'inem  Worte:  Während  im  Sanskrit  die 
Personalendungen  des  Singulars  des  Präsens  und 


I6d 

Imperfect  des  Parasmaipada,  der  ersten  Personen 
des  Imperativs,  und  der  3ten  desimperat.  Sing. 
Parasm.  auf  tu  unfähig  sind  den  Accent  zu 
tragen,  haben  die  übrigen  des  Präs.  Impf,  und 
Imptv.  in  der  2ten  Conjogation  diese  Fähigkeit 
bewahrt.  Im  Griechischen  dagegen  giebt  es 
außer  sieben  Formen  des  Präs.  Indicat.  von  ig 
und  <fa  auch  nicht  einen  einzigen  Fall  weiter, 
in  welchen  die  Personalenduugen  deu  Accent 
haben  können. 

Diesem  umfassenden  Gesetz  gegenüber  wäre 
es  doch  wahrhaft  wunderbar,  wenn  sich  die  ur- 
sprüngliche Accentuation  der  Personalenduugen 
als  eigentliche  im  Dual  und  Plural  von  ig  und 
ya  erhalten  haben  sollte  und  sogar  so  mächtig 
gewesen  wäre,  allen  Analogien  zum  Trotz,  diese 
Accentuation  auch  dem  Singular  aufzudrängen, 
welcher,  ^vie  die  sogenannte  Guuirung  der  den 
Personalendungen  vorhergehenden  Silben  iu  der 
2ten  Coujugation  zeigt,  schon  vor  der  Spaltung 
uufähig  geworden  war,  die  Personalendungen  zu 
accentuiren. 

Demgemäß  dürfen  wir  unbedenklich  anneh- 
men, daß  die  Oxytonirung  des  Präs.  Ind.  von 
ig  und  (fa  (außer  2  Sing.)  wohl  einer  anderen 
Erklärung  bedarf,  als  der  von  OsthofiF,  ohne  je- 
den Versuch  einer  Begründung,  aufgestellten. 

§.  3. 
Die  Erklärung,  welche  mir  die  richtige  scheint, 
habe  ich  schon  seit  Jahren  iu  meinen  Vorle- 
sungen über  vergleichende  Grammatik  der  Indo- 
germanischen Sprachen  mitgetheilt;  sie  findet 
sich  schon  in  einer  der  ältesten  Bearbeitungen 
derselben  (Heft  Nr.  XLVI  S.  4).  Allein  sie  ist 
nicht  in  allen  Semestern  ,  in  welchen  ich  diese 
Vorlesung  hielt,   vorgetragen.     Denn   der  große 


170 

Umfang  meines  Heftes  nöthigte  mich,  bald  die 
bald  andere  Theile  desselben  auszulassen. 

Ich  nehme  an,  daß  der  Indicativ  des  Präsens 
von  ig  sowohl  als  cpä ,  gleich  wie  deren  übrige 
Formen ,  ganz  nach  Analogie  der  übrigen  zu 
derselben  Categorie  gehörigen  Verba  im  Griechi- 
schen accentuirt  war,  d.  h.  unfähig  war,  den 
Accent  auf  den  Personalexponenten  zu  sprechen  ; 
daß  aber  in  Folge  ihres  vorwaltend  enclitischen 
Gebrauchs  —  d.  h.  beziehungsweise  völliger  Ton- 
losigkeit,  oder  —  in  Folge  des  im  Griechischen 
entwickelten  Einflusses  der  Silbenzahl  auf  die 
Accentuation  im  Satze  —  Eintritt  des  Gravis 
oder  Acut  auf  der  letzten  Silbe  —  die  ursprüng- 
liche Accentuation  —  außer  in  2  Sing,  efg  und 
(fiyg,  und  in  3  Sing,  i'art  unter  gewissen  Bedin- 
gungen —  ganz  vergessen  und  die  Oxytonirung  — 
außer  in  den  angeführten  Formen  des  2ten 
Sing.  —  irriger  Weise  als  die  ursprüngliche  an- 
genommen ward. 

Ob  diese  Auffassung  mittlerweile  von  irgend 
einem  andern  Grammatiker  —  unabhängig  von 
mir  —  veröffentlicht  ist,  wageich  weder  zu  be- 
jahen noch  zu  verneinen.  Denn  ich  darf  nicht 
verschweigen,  daß  ich  seit  1868,  in  welchem  Jahr 
mein  eines  Auge  plötzlich  erblindete ,  das  andre 
sehr  geschwächt  ward,  nicht  mehr  im  Stande 
bin ,  so  viel  zu  lesen ,  als  ich  früher  für  meine 
Pflicht  hielt. 

Eine  vollständig  verschiedene  Ansicht  ward 
vor  zwei  Jahren  von  einem  meiner  begabtesten 
Schüler,  J.  Wackernagel  in  der  Zeitschrift  für 
vergleichende  Sprachforschung  N.  F.  III.  S.  457  ff. 
vorgetragen.  Trotz  der  darin  unverkennbar  herr- 
schenden Sorgsamkeit  der  Ausführung  im  Ein- 
zelnen gestehe  ich,  daß  ich  durch  sie  nichts  we- 
niger  als   überzeugt  und   weit   entfernt  bin  ihr 


171 

beitreten  zu  können.  Die  Gründe  meines  Wi- 
derspruchs hier  anzuführen  verstattet  mir  meine 
durch  andere  Arbeiten  in  Anspruch  genommene 
Zeit  für  jetzt  nicht;  man  wird  sie  jedoch  der 
Abhandlung  entnehmen  können ,  in  welcher  ich 
die  Einbuße  und  Bewahrung  des  Verbalaccents 
in  den  Yeden  erörtern  werde.  Nur  in  Bezug 
auf  einen  Punkt  verstatte  ich  mir  einige  Worte. 
Wackernagel  bemerkt  nämlich  S.  457  in  Be- 
zug auf  die  Erklärung  dieser  Eigenthümlichkeit 
des  Präsens  Indic.  von  eifit  und  y>y/u»:  'Die  zu- 
nächst liegende  Erklärung,  die  Zurückführung 
der  Tonschwäche  auf  Schwäche  und  Farblosig- 
keit  der  Bedeutung,  die  sehr  einleuchtend  wäre, 
wenn  dfii  allein  stände,  wird  durch  (ffjf*i,  das 
gewiß  von  ebenso  voller  Bedeutung  ist,  als  jedes 
andere  Verbum,  unbedingt  ausgeschlossen'. 

Mir  scheint  diese  Unbedingtheit  sehr  zweifel- 
haft. Denn  wenn  wir  unsern  Blick  auf  die 
Wörter  werfen,  welche  in  den  verschiedenen 
Sprachen  tonlos  werden,  oder  ihren  Ton  behal- 
-jen,  dann  erkennt  man,  daß  es  äußerst  schwierig 
ist  sichere  Gründe  für  diese  Erscheinung  in  je- 
dem einzelnen  Fall  anzugeben ,  daß  man  sich 
l>egnügen  muß,  anzunehmen,  daß  in  der  einen 
Sprache  dieses  in  der  andern  jenes  bald  durch 
seine  Bedeutung  allein ,  bald  durch  Verbindung 
derselben  mit  einem  nicht  sehr  ins  Gewicht  fal- 
lenden Lautkörper  nach  und  nach  seinen  ur- 
sprünglichen Ton  verlor.  So  wird  z.  B.  das 
sskrit.  Präsens  Indic,  welches  dem  griechischen 
£i(ii  entspricht,  bezüglich  des  Accents  auch  nicht 
entfernt  anders  behandelt,  als  alle  übrigen  Prä- 
sentia ;  es  verliert  oder  behält  ihn ,  wo  auch 
diese  ihn  verlieren ,  oder  behalten.  Wie  wenig 
das,  was  uns  Farblosigkeit  der  Bedeutung  scheint, 
entscheidend  ist,  zeigt,  daß  z.  B.  das  lateinische 


172 

Verbum  substantivum  seineu  Ton  durchweg  be- 
wahrt  hat    und    eben   so    das  deutsche  und  das 
vieler  anderen  Sprachen.     Umgekehrt  wird  man 
wohl    kaum   eine    Sprache    nachweisen    können, 
wo    ein    dreisilbiges  Wort,    mit    starkem    Laut- 
körper in  der  Bedeutung  'jeder,  alle,  irgend  ei- 
ner (in  negativen  Sätzen  d.  h.  nicht  irgend  einer  == 
keiner),   ganz'    tonlos  geworden  wäre,    wie  dies 
mit  dem  sanskr.  samasmät,  samasya,  smmsmm 
samasmai^)    eben   so  sehr,   wie  in  dessen  zwei- 
silbigen Casus  samani,  same  der  Fall  ist.     l^.s  ist 
daher  nicht   im  Entferntesten   mit  Gewißheit  zu 
behaupten,  daß  das  kleine  Wörtchen  (ffifit  u.  s.  w. 
nicht  in  der    lebendigen   Sprache    -    vielleicht 
sehr  oft  —  in  einer  Weise  gebraucht  ward,  daß 
seine    Bedeutung    ganz    farblos   zu    sein    schien. 
Brauchen    wir  doch  unser  'sagt'  m  der  lebendi- 
gen Rede  oft  genug  so,  daß  es  eigentlich  über- 
flüssig ist;    ich  erinnre  in  dieser  Beziehung  nur 
an   das    bekannte    Couplet    in    'die   Wiener    m 
Berlin':  In  Berlin,  sagt  er,  mußt  du  fem,  saj^t^ 
er  und  gescheidt,  sagt  er  u.  s.  w. 

1)  Es  gehört  nicht  wie  Grassm.  unter  sa/»«  annimmt 
zu  vrikdya,  sondern,  wie  Sdyana  es  construiri,  zu  aghäi/aU. 
Das'Uebergreifen  des  Sinnes  aus  einem  btoUen  in  de» 
andern,  findet  im  Veda  zwar  nicht  sehr  häufig  statt,  aber 
doch  häufig  genug,  um  es  in  allen  Fällen  anzunehmen, 
wo  sonst,  wie  hier,  eine  falsche  Wortstellung  oder  e.n 
unangemessener  Sinn  eintreten  würde.  Leider  hat  aueh 
Ludwig  die  irrige  Construction.  Die  beiden  Stollen  hnd«n 
sich  Rv.  VI.  51,  6  und  lauten 

mä  no  vrikaya  vrikye  (zu  lesen  vrikie)  samasmä 

aghäyate  riradhatä  yjijaträh. 
Wenn   saviasmai  zu  vnkd'i/a  gehören  BoUte,   durfte 
vrikye   nicht  dazwischen   stehen.     Es    ist  zu  übersetzen: 
Üeberlaßt  uns  nicht  dem  Wolf,  der  Wölfin,  nicht  irgend 
einem  (d.  h.  keinem  irgend)  Bösgewillten  . 


tn 

§.4. 
Ich  nehme  also  an,  daß  der  Indic.  des  Prä- 
sens elfjn,  (pt)m  im  Griechischen,  nachdem  die 
Unfähigkeit  die  Personal exponeuten  zu  accen- 
tuiren,  sich  geltend  gemacht  hatte,  ganz  nach 
Analogie  des  Präsens  von  *  'gehen'  accentuirt 
ward,  also 

(fq  (ftjg 

SGU  (ffj(Jt 

soiov  (fcivov 

eöfifV  qafisv 

sffie  (fdrf 

elat,  (fdai 

Nachdem  aber  diese  Formen,  mit  Ansuahme 
von  2  Sing.,  in  den  meisten  Fällen  enklitisch  — ^ 
d.  h.  eigentlich  tonlos  und  nur  dann  accentuirt, 
wenn  die  Wortverbindung  einen  Accent  for- 
derte —  geworden  waren,  wurden  sie  ganz  so 
behandelt,  wie  andre  zweisilbige  Wörter,  welche 
ihren  ursprünglichen  Accent  einbüßten.  So  z.  B. 
xttlöq  iffn,  gerade  wie  xai  uvoq;  (fiXog  iöti,  wie 
äV.og  noTs;   avXa^  iöilv  iydxcj    wie    aiXa^  no^ 

Daß  diese  Auffassung  richtig  ist,  dafür  spricht 
die  Vergleichung  andrer  zweisilbiger  Enclitica. 

So  wird  z.  B.  das  Fragwort  %iq  in  allen 
zweisilbigen  Casus  paroxytouirt ;  wo  es  dagegen 
als  Pronomen  indefinitum  gebraucht  wird,  ist  es 
ein  Encliticum.  Es  wird  nun  aber  wohl  noch 
Niemand  eingefallen  sein  anzunehmen,  daß  es  in 
letzterer  Bedeutung  ein  ganz  andres  Wort  sei, 
als  in  ersterer,  und  wenn  es  Jemand  einfiele, 
ließe  sich  durch  Vergleichung  der  verwandten 
Sprachen  die  richtige  Auffassung  leicht  erweisen. 
Das  Verhältniß  ist  augenscheinlich  dasselbe,  AVie 
das   unsres  Frageworts   wer   zu  dem  indefiniten 


174 


wer  z.  B.  Wer  war  das?  Aber  'es  ist  wer  ge- 
kommen', lu  letztremFall  wird  ^er  Accent  des 
Fragpronomeiis  so  sehr  gedämpft,  daß  das  Wort, 
wie  we  für  tig,   tivoq  für  tivoq  u.  s.  w.,    tonlos 

^^^So^Vt"  auch 'die  ursprüngliche  Accentuation 
in  TTo^t  bewahrt,  wie  nicht  bloß  durch  die  in- 
klinationsunfähigen av^i  0-^*  ro^*  aXlo^^  av- 
x6^v  ohav6^v  UsX^i,  sondern  auch  und  vorzugs- 
weise durch  das  sskr.  ädU  erwiesen  wird.  In 
indefiniter  Bedeutung  dagegen  ist  es  tonlos  ge- 
worden, fällt  aber  unter  die  Regeln  über  die 
Bnclitica,  d.  h.  einen  Theil  der  Regeln,  welche 
im  Griechischen  die  Veränderungen  des  lones 
der  Wörter  im  Zusammenhang  der  Rede  —  im 
Satze  —  hestimmen. 

Beiläufig  bemerke  ich,  daß  man  auf  den  er- 
sten  Anblick   über    den    ursprünglichen   Accent 
von   n6^sv    schwanken   kann   (eigentlich^  n6^B, 
wie  nqög&B^niö^e,  welche  71^0?'^«'  und  omG^sv 
nur  vorVocalen  lauten,  und  die  Entstehung  der 
Endung    aus   ursprünglichem   Äs  zeigen;    daß 
auslautendes  g  im  Griechischen  bisweilen  eingebüßt 
wird,  zeigt  z.  B.  s?  neben  dq,  auch  wohl  ot.rtö  neben 
oifrcös  wo  r«e  bekanntlich  für  ursprüngliches  tö)x  = 
sskr.  tat,  altem  Ablativ  vom  Pronomen  to  =  to, 
steht;   d^ß  ferner   das  v  ephelkystikon  bisweilen 
fest  -  integrirender  Bestandtheil  eines  Wortes  ~ 
ward,  zeigt  insbesondere  die  Endung  der  3.  Plur. 
Sperativi  •v^<.v,  statt  deren  z.  B    auf  dorischen 
Monumenten,'.«,  ohne  v,  erscheint,  welches  der 
richtige  Reflex  der  indogermanischen  Form  ntat 
ist).     Im  Sskrit  erscheint  nämlich  nur  eine  ein- 
zige Bildung  auf  dhas,  nämlich  adhas  (=  griech. 
^V^.v  =  lat.    mde,    wie   sskr.   adU  =  griech. 
iV^«  =  lat.  mdu;  wegen  des  Mangels  des  n  im 
Sskrit  vgl.    man    für  jetzt  lat.  infi^ro  mßmo  = 


175 

sskr.  ddhara^  adhiund),  welche  oxytonirt  ist.  Al- 
lein die  Analogie  der  übrigen  griechischen  Bil- 
dungen auf  if^eVj  von  denen  keine  oxytonirt  ist, 
vgl.  z.  B.  i[ii&sv  aXXo&iV,  so  wie  der  auf  dt  und 
da  machen  es  mir  wahrscheinlich ,  daß  auch  in 
nödiv  die  alte  —  wenigstens  griechische  — 
Accentuation  anzuerkennen  ist.  Im  Sanskrit 
sind  noch  mehr  Differenzen  zu  notiren ,  z.  B., 
neben  ädha,  sahd  für  sadhd. 

§.  5. 
Ich  glaube,  daß  ich  zur  Begründung  meiner 
Auffassung,  daß  ««/u»  iaiov  iofitv  i<m  ttot,  so 
wie  ^<7/i*  u.  s.  w.  im  Griechischen,  so  lange  sie 
nicht  enklitisch  geworden  waren,  nach  Analogie 
von  ffs,  €0T*  also  ffju»  icrov  u.  s.  w.  accentnirt 
wurden  und  erst,  nachdem  sie  enklitisch  gewor- 
den ,  wesentlich  wie  das  indefinite  xtvog  behan- 
delt wurden,  weiter  nichts  hinzuzufügen  brauche. 
Allein,  da  ich  in  meinen  Vorlesungen  über  ver- 
gleichende Grammatik  bei  dieser  Gelegenheit 
auch  einige  Präpositionen  besprach,  deren  ei- 
gentlicher Accent  aus  ziemlich  ähnlichem  Gmnde 
in  der  Griechischen  Grammatik  verkannt  ist,  so 
möge  mir  verstattet  ^sein,  auch  das  darüber  mit- 
getheilte  hier  zu  veröffentlichen. 

§.  6. 

Daß  die  sogenannten  Proclitica  ursprünglich 
accentuirt  waren  und  nur  durch  ihre  Stellung 
vor  dem  Worte ,  mit  welchem  sie  dem  Sprach- 
bewußtsein in  innigster  Verbindung  zu  stehen 
schienen,  ihren  Accent  einbüßten,  wird  Niemand 
bestreiten.  Durch  Aufgabe  ihres  Accentes  ver- 
loren sie  gewissermaaßen  ihre  Selbständigkeit 
und  wurden  fast  ein  integrirender  Theil  des  fol- 
genden Wortes. 

Für  6  ly  wird  die  ursprüngliche  AccentTiation 


176 


durch  die  entsprechenden  accentuirten  Formen 
des  Sanskrit  sä  sa  erwiesen ;  daß  also  auch  ot 
ccl  einst  accentuirt  waren,  versteht  sich  demnach 
von  selbst.  Bekannt  ist,  daß  der  Pronommal- 
stamm  sä  eigentlich  der  und  einer  bedeutete. 
Durch  die  im  Griechischen  eingetretene  Schwä- 
chung des  Pronomens  zum  Artikel  erklärt  sich 
die  Einbuße  des  Accents,  jedoch  nur  theilweis; 
zum  nicht  geringen  Theil  ist  sie  zugleich  tolge 
des  schwachen  Lautkörpers  dieser  vier  Formen, 
wie  sich  daraus  ergiebt,  daß  in  allen  übrigen 
Casusformeu,  Ntr.  to,  Acc.  Msc.  röv  u.  s.  w.  der 
Accent  sich  erhalten  hat.  . 

Daß  oy  ursprünglich  accentuirt  war,  wird  da- 
durch erwiesen,  daß  am  Ende  des  Satzes  und 
in  einigen  andern  Fällen  ov,  mit  Acut,  erscheint. 
Auch  wQ  findet  sich  mehrfach  mit  Accent 
und  zwar  in  der  Bedeutung  von  oi)r«e  mit  Lir- 
cumflex  c5?,  also  gerade  wie  nwg,  nach  Hermann 
(de  em.gr.  Gr.  rat.  p.  119)  auch  tcö?  (statt  rws), 
so  daß  wohl  dies  für  den  eigentlich  griechischen 
Accent  •  zu  nehmen  ist;  steht  es  hinter  dem 
Worte,  dem  es  vorhergehen  sollte,  dann  erscheint 
es  mit  Acut.  , 

Endlich  hat  auch  ix,  it  wenn  es  dem  Worte, 
dem  es  vorhergehen  sollte ,  nachsteht  den  Acut, 
z.  B.  xaxwv  fi|. 

§•7. 
-  Der  letzte  Fall ,  wo  eine  sogenannte  Präpo- 
sition, wenn  sie,  wie  das  im  Griechischen  in 
weit  überwiegendem  Grad  vorherrschend  der 
Fall  ist  dem  von  ihr  näher  bestimmten  Casus 
vorhergeht,  ohne  Accent  erscheint,  dagegen,  wenn 
sie  ihm  nachfolgt,  accentuirt  ist,  kann  uns  schon 
die  Yermuthung  nahe  legen,  daß  die  sogenannte 
Anastrophe  wesentlich  auf  dieselbe  Weise  zu  er- 


m 

klärea  ist,  d.  h.,  daß  ia  diesem  Fall  im  Allge- 
meineu  nicht  der  Accent  als  ursprünglicher  zu 
betrachten  ist,  welchen  die  Präposition  hat  (oder 
vielmehr,  in  Folge  eines  falschen  Schlusses  aus 
der  Verwandlung  eines  Acuts  auf  der  letzten 
Silbe  eines  Wortes  in  den  Gravis  in  mitten  der 
Bede,  zu  haben  schien),  wenn  sie  vor  dem  von 
ihr  bestimmten  Casus  steht,  sondern  vielmehr 
derjenige,  welchen  sie  hat,  wenn  sie  hinter  dem- 
selben erscheint;  also  z.  B,  von  dno  nicht  der 
in  dno  vswv  (aus  welchem  die  Grammatiker  ir- 
rig auf  ein  einstiges  ayro  schlössen),  sondern  der 
in  V6(i5v  äno  erscheinende;  daß  also  nicht  etwa 
zu  sagen  ist,  wie  ich  in  einer  viel  gebrauchten 
Griechischen  Grammatik  lese:  'Wenn  die  Präpo- 
sition demjenigen  Worte,  dem  sie  vorangehen 
sollte,  nachgesetzt  wird,  so  wird,  um  anzuzeigen 
(NB.  was  dieser  Grammatiker  nicht  alle  weiß!), 
daß  die  Präposition  nicht  auf  das  folgende,  son- 
dern das  vorhergehende  Wort  bezogen  werden 
müsse,  der  Accent  von  ultima  auf  xjeniätima  zu- 
rückgezogen',  sondern  vielmehr:  der  ursprüng- 
liche Accent  der  Präpositionen  ist  im  Allgemei- 
nen derjenige,  welchen  sie  haben,  wenn  sie  hin- 
ter dem  Casus  stehen,  zu  welchem  sie  geböreuf 
treten  sie  dagegen  davor,  so  wurde  bei  den  ein- 
silbigen SV  (vgl.  ivt)  eiq  sx  der  Accent  einge- 
büßt: sie  wurden  Proclitica;  bei  zweisilbigen  hätte 
dies  ebenfalls  geschehen  können  oder  gar  müssen, 
weuu  die  griechische  Satzaccentuation  ein  zwei- 
silbiges accentloses  Procliticon  hätte  ertragen 
können ;  da  sie  dieses  aber  nicht  konnte,  so  wur- 
den sie  nicht  ganz  eben  so,  aber  ähnlich  wie  die 
Enclitica  behandelt,  d.  h.  statt  ihres  Accents  trat 
der  enklitische  ein,  z.  B.  wie  sau  zu  icil  wurde, 
so  ward  nigi,  zu  mQi;  allein  da  sie  durch  den 
begrifflichen  Zusammenhang  mit  dem  folgenden 


178 


Wort  an  dieses  gewissermaßen  gefesselt  wa- 
ren, erlitten  sie,  darin  von  den  Encliticis  ganz 
abweichend,  nicht  den  geringsten  Einfluß  von 
dem  ihnen  vorhergehenden,  so  daß  z.  B.  n^Qi 
nicht  —  wie  auch  sau  zu  iati  und  «(Tw  ward  — 
so  ebenfalls  auch  zu  nsQt  und  nsgi  werden  konnte. 

§.8. 
Daß   diese  Auffassung  richtig  ist,   zeigt  zu- 
nächst  der  Umstand,    daß    mehrere;  der  hieher 
gehörigen  Präpositionen    mit   den   im    banskrit 
entsprechenden  in  der  Acceutuation  übereinstim- 
men    welche  in   der  Anastrophe  eintritt,   nicht 
aber' in    der,    welche    sie  haben,    wenn  sie  vor 
dem    durch    sie    bestimmten   Casus    erscheinen. 
So  entspricht  ano,    nicht  aber  änd,  dem  sskrit. 
dpa,  sm  (nicht  ^m)  dem  sanskritischen  api   naQCc 
(nicht  n«Da)  dem  sanskritischen  i^am,  ^^^t  (nicht 
nsQl)  dem  sanskritischen  pari.     Auch  vno  (nicht 
ind)    dürfen   wir    mit  sskr.  üpa  wegen  der  Be- 
deutung und  der  Uebereinstimmung  m  den  drei 
Lauten%7ro,  zusammenstellen,  obgleich  es  sich 
durch  den  anlautenden  Spiritus  asper,  den_  treuen 
Reflex   des    lateinischen  s  in  suh,    als  eine  Zu- 
sammensetzung -  höchst  wahrschemhch  mit  in- 
dogerm.  sa,  in  Demonstrativbedeutung,  gewisser- 
maßen dar- unter  für  ^unter',  wie  im  banskrit 
z.  B.    adhäs-tät,    eigentlich  unten    von  dem, 
ganz  identisch  ist  mit  adhäs  unten,   pagca-tat 
eigentlich    hinten   von    d e m ,    ganz  identisch 
Jtpagca,    hinten  -  kund  giebt.   .Denn  die 
Einbuße    des  a  von  sa  in   vno,    so  wie  die  Be- 
wahrung des  Acceut  von  adhas ,  pagca    in  den 
Zusammensetzungen  mit  ^«^  macht  es  wahrschein- 
lich, daß  auch  in  vno  für  sa-üpa  der  Accent  von 
upa  bewahrt  ist.  , 

Präpositionen ,    welche    xcna   und   fiercc  ent- 


179 

sprechen,  finden  sich  zwar  in  Sanskrit  nicht; 
allein  in  Bezug  auf  fteia  ist  wohl  kaum  zu  be- 
zweifeln, daß  (i€  =  zend.  ma  in  mat  =  goth.  vii 
in  w?{)  dem  ma  in  sskr.  smu  entspricht,  dessen 
Neutr.  smud  in  den  Veden  die  Bedeutung  mit 
hat  *).  Dieses  vorausgesetzt,  ist  es  wohl  kaum  eine 
gewagte  Vermuthung  zu  nennen ,  wenn  wir  im 
Suffix  ra  den  Reflex  des  sskr.  Suffixes  tM,  thd 
(mit  Verkürzung  des  auslautenden  Vocals,  wie 
in  Partikeln  oft,  vgl.  z.  B.  Suffix  frä  in  asma^ 
tra,  aber  trd  in  der  Partikel  ä-tra)  sehen,  wel- 
ches gerade  aus  Pronomiualstämmen  Adverbia 
mit  der  Bed.  'in  .  .  .  Weise'  bildet  und  in  täthd 
'in  solcher  Weise'  ydthä  'in  welcher  Weise',  so 
wie  cifhä,  vedisch  cithä,  in  Paroxytonis  erscheint. 
Danach  dürfen  wir  dann  wohl  unbedenklich  anneh- 
men, daß  auch  in  fisra  die  Accentuation  in  der 
sogenannten  Anastrophe  ,  nämlich  ftha  die  ur- 
sprüngliche ist.  Dasselbe  dürfte  auch  unbedenk- 
lich für  xaT«,  also  xäta.  anzunehmen  sein,  wenn 
gleich  der  erste  Theil  des  Wortes  xa  noch  ganz 
dunkel  ist;  denn  Fick's  Aufstellung  (IP.  50)  ist 
ohne  Analogie. 

Freilich  erscheint  in  den  Veden  katha  vom 
Pronomen  interrogativum  ha  *iu  welcher  Weise  ?' 
oxytonirt,  und  diese  Accentuation  erhält  eine 
Stütze  durch  it-thä,  so  wie  ka-thdm,  it-thüm,  de- 
ren Suffix  durch  den  Accusativ  des  im  Suffix 
liegenden  Themas  tha  gebildet  ist,  so  wie  durch 
it-thä'ty  in  welchem  der  Ablativ  desselben  er- 
scheint ,  während  in  thä  dessen  alter  Instrum. 
sing,  zu  erkennen  ist.  Ja  daß  die  ursprünglichste 
Accentuation  der  Nomina  auf  sskr.  tha  griech. 
xa,  von  welchen  uns  in  diesen  adverbial  gewor- 

1)  Ich  brauche  wohl  kaom  zu  bemerken,  daß  ich  das 
anlautende  s  wie  in  mb  (S.  178)  und  super  (S.  182),  für 
Rest  von  sa  nehme. 


denen  Casus  Trümmer    erhalten    sind,     auf   die 
letzte  Silbe  fiel,  wird  höchst  wahrscheinlich  da- 
durch, daß  sich  in  fast  allen  Fallen,  wo  Oxjto- 
nirunff    mit   einer  andern  Accentuation  daneben 
erscheint,    die  erstre  als  die  ursprünglichere  er- 
giebt,  so  daß  caeterispuribus  stets  zu  vermuthen 
It    daß   sie    die   ältere   sei.      Aber   auch    dieses 
angenommen,  ist  dennoch,  wegen  der  Ueberein- 
stlmmung  de^  Griechischen  und  Sanskrit  m  den 
angeführten  Fällen  tdiU  u.  s.w.  mit  /i^T«,  x«t« 
in^der  Anastrophe,  der  Accentwechsel  als  schon 
in  der  Grundsprache    eingetreten  zu  betrachten. 
Er  erklärt  sich,  wie  in  sskrit.  diva  adv   ^^\äiva 
Instr.,  durch  den  Uebertritt  in  die  Kategorie  der 
Adve^bia.     Daß    die  Accusative  und  der  Ablativ 
nicht    ebenfalls   den    Accent    wechselten,    ünüet 
seLe  Analogie  darin,  daß  sowohl  der  Accus    des 
Neutrum  als  der  Ablat.  Sing,  überaus  häufig  ad- 
verbiale  Bedeutung  haben,  ohne  darum  den  Ac- 
cent zu  ändern;  jener  regelmäßig,  dieser  spora- 
disch (z.B.  haUt  gewaltsam  z.B.  Pancat.  27  10 
n  sonst).    Der  Zusammenhang  dieser  adverbial  ge- 
wordenen Casus  mit  dem  Nomen  ha  teteeiitweder 
fest  imSprachbewußtsein  und  bewahrte  deßhalb  den 
ursprüngUchen  Accent,    oder    der  Uebertritt    m 
die  Categorie   der  Adverbia  hatte   sich  m  ihnen 
'"unmerklich  vollzogen,    daß    dieAc^^^^^^^^^^ 
dadurch  nicht  afficirt  ward      Was  Ma    betnflt 
so    ist   die  Annahme   mcht  unmöglich ,  daß  wie 
lada   und  Udä  imVeda  nebeneinander  ersehet, 
;t  und  auch  sonst  viele  doppelte  Accentuatio- 
nen,  so  auch  UtU  neben  haiha  existirte. 

§.  9. 
Ferner  spricht  für  unsre  Auffassung,  und  fast 
noch  entscheidender,  der  Umstand    daß  sich  da- 
durch erklärt,  warum  «>yi  keine  Anastrophe  ei> 


181 

leidet.  Es  eutspricht  ihm  uämlich  imzweifelbaft 
sskr.  abhi-  in  abhi-tas  mit  den  Bedd.  1.  zu  bei- 
den Seiten,  2.  von  allen  Seiten,  rings, 
und  wir  ersehen  daraus,  daß  diese  Präposition 
schon  ursprünglich  oxytonirt  war  und  diesen 
Accent  natürlich  auch  dann  bewahren  mußte, 
wenn  sie  dem  Casus,  dessen  Bedeutung  durch 
sie  erläutert  ward,  nachfolgte.  Für  diese  Accen- 
tuation  spricht  auch  die  unzweifelhafte  Abstam- 
mung von  indogerm.  amlhd,  beide,  =  sskr. 
ubhä,  welches  nur  oxytonirt  erscheint,  und  = 
griechisch  tt(i(fo,  welches  in  dfjKfoTv  entschieden 
dfi(f'6  voraussetzt  (vgl.  ^s6:  ^eoTv ,  aber  loyo: 
loyoiv),  während  es  im  Nom.-Acc.  dfKpca  paroxy- 
tonirt  ist.  Auch  erklärt  sich  die  Einbuße  des 
m  in  sskr.  abhi-  für  ambhi,  nach  einer  Fülle  von 
Analogien ,  gerade  durch  die  Accentuation  der 
folgenden  Silbe,  welche  tiberaus  häufig  im  Sans- 
krit die  Einbuße  eines  Nasals  in  der  vorherge- 
henden Silbe  herbeiführt  (vgl.  z.  B.  indogerm. 
man-td  mit  bewahrtem  n  im  lat.  com-moi-to  von 
comminiscor,  aber  im  Sskr.  tna-td).  Manche  Ety- 
mologen betrachten  die  sskr.  Präposition  abhi 
überhaupt  als  identisch  mit  griech.  äfMcpi,  z.  B. 
auch  das  St.  Petersburger  Sanskrit-Wörterbuch ; 
mir  würde  das  nicht  unwahrscheinlich  vorkom- 
men, wenn  sich  alle  Bedeutungen  desselben  auf 
'bei'  reduciren  lassen  und  dieses  als  eine 
Schwächung  von  'rings  um' genommen  werden 
kaun;  allein  es  treten  dabei  Schwierigkeiten  ent- 
gegen, welche  ich  nicht  zu  überwinden  vermag. 
Dagegen  ist  es  keinen  Zweifel  zu  unterwerfen, 
daß  abhi  wie  in  abhi-tas  so  auch  in  einigen  an- 
dern Fällen  zu  (XfA(fi,  lat.  amb  ahd.  nmb  gehört, 
z.B.  in  der  Zusammensetzung  oZ>/«'-f?ra 'H  e  1  d  e  n 
ringsum  (sich)  habend'  (Rv.  X.  103,  5). 
Möglich  wäre  es,  daß  in  alhi  zwei  ursprünglich 

16 


182 


verscliiedeiie  Präpositionen  durch  lautliclie  Um- 
wandlungen (wie  hier  die  entschiedene  Embuöe 
des  m)  zusammengefallen  wären;  doch  ist  diese 
Frage  für  unsre  Zwecke  gleichgültig,  daher  ich 
sie  hier  nicht  weiter  erörtern  will. 

Gegen  meine  Auffassung  könnte  der  Umstand 
zu  sprechen  scheinen,  daß  vnsg  sogenannte  Ana- 
strophe erleidet;  denn  im  Sanskrit  entspricht 
upäri,  so  daß,  nach  Analogie  von  vno,  welches 
trotz  seiner  Zusammensetzung  mit  sa  den  ur- 
sprünglichen Accent  bewahrte,  auch  vmQ  trotz 
seiner  ebenfalls  eingetretenen  Zusammensetzung 
mit  sa  (vgl.  lat.  super)  als  ursprünglich  oxyto- 
nirt  angesetzt  werden  müßte  und  demgemäß 
eben  so  wenig  wie  dfKfl  der  Auastrophe  hatte 
unterworfen  werden  können.  Ja  für  die  üxyto- 
niruug  spricht  die  Form  instg,  welche,  abgesehen 
von  dem  Spiritus  asper,  mit  dem  sogenannten 
Uebertritt  des  ursprünglich  dem  q  folgenden 
Vocals  vor  denselben,  der  allertreueste  Keüex 
von  sskr.  upäri  ist  und  in  der  That  die  Ana- 
strophe nicht  erleidet. 

Bei  derartigen  Acceutvergleichungen  und 
Fragen  ist  stets  zu  beachten,  daß  der  Accent, 
in  Folge  seines  zwiefachen  Characters  -  indem 
er  eben  so  wohl  ein  logisches  als  ein  eigentlich 
musikalisches  Element  der  Sprache  ist  —  manchen 
Schwankungen  und  Wechsel  unterhegt ;  denn 
sobald  er  seine  logische  Aufgabe  -  ein  Wort 
so  zu  kennzeichnen,  daß  seine  Bedeutung  im 
Sprachbewußtsein  fixirt  ist  -  erfüllt  hat,  kann 
er  sich  ganz  seiner  musikaUschen  Natur  über- 
lassen, gerade  wie  die  articulirten  Laute  eines 
Wortes,  sobald  sie  die  Bedeutung  desselben  im 
Sprachbewußtsein  hinlänghch  fixirt  haben,  ohne 
Nachtheil  für  sie  den  phonetischen  Neigunger 
der  Sprache  folgen  können  und  sich  dadurch  otl 


so  sehr  verändern ,  daß  von  der  eigentlichen 
Grundlage  des  Wortes  kaum  oder  sogar  keine 
Spnr  übrig  bleibt  (wie  in  fido^Xj]  für  ifida&Xrj 
von  dem  Vb.  »  oder  f  'binden',  vgl.  sskr.  Si  und 
sä  wofür  5?  mehrfach  eintritt).  Die  musikali- 
schen Neigungen  der  Sprachen  sind  aber  noch 
verschiedenartiger  als  die  phonetischen.  Es  ist 
demgemäß  bei  Vergleichung  der  Accentnation 
verschiedener  Sprachen  festzuhalten,  daß  Ueber- 
einstimmnng  in  Bezug  auf  sie  weit  überwiegen- 
der ins  Gewicht  fällt  als  Abweichung.  Es  wäre 
also  nicht  unmöglich,  daß  sich  nach  Analogie 
von  vTif^og,  vnegov ,  mit  demselben  Accent  wie 
in  sskr.  t'ipara .  neben  *vniQt  in  rntlg  auch  ein 
*vnsQi  oder  erst  vnfQ  fixirt  hätte;  möglich  je- 
doch auch,  daß  vneg  zvfrar  die  eigentliche  Form 
war,  abef  mit  unrecht  sich  der  Analogie  der 
zweisilbigen  Präpositionen  anschloß,  welche  den 
Accent,  weil  er  ihr  ursprünglicher  ist,  wenn  sie 
hinter  dem  Casus  stehen  zu  dem  sie  gehören, 
mit  Recht  auf  der  ersten  Silbe  haben. 

umgekehrt  steht  es  mit  dpn.  Dieses  er- 
scheint hinter  seinem  Casus  oxytonirt,  während 
es  im  Sskrit  paroxytouirt  ist  und  dnti  lautet, 
also  eigentlich  an  dieser  Stelle  wie  ano  u.  s.  w. 
avu  accentuirt  sein  müßte.  Wenn  aber  anti  auf 
einem  zusammengesetzten  Pronominalstamra  be- 
ruht, etwa  an-ta  (für  a-na-ta),  dann  wäre  nach 
der  sogleich  folgenden  ersten  Erklärung  des  Ver- 
hältnisses von  griech.  dvd  zu  sskr.  dmi  die  Oxy- 
tonirung  die  ursprüngliche  Accentnation  gewesen 
und  die  Anastrophe  würde  mit  Recht  fehlen. 

Für  die  übrigen  Präpositionen,  welche  keine 
Anastrophe  erleiden,  haben  wir  im  Sanskrit  keine 
sichren  Reflexe  ;  denn  ob  ava  wirklich  dem  sskr. 
anu  gleichzusetzen  und  beide  aus  ursprünglichem 
anam  (sskr.   u  für  am  wie   z.    B.   in  ubM  für 

16* 


184 


mwMa)  hervorgegangen  seien,  ist  keineswegs  ganz 
sieher,  mir  jedoch,  zumal,  da  die  Entstehung 
beider  aus  anmn  durch  viele  Analogien  gesichert 
werden  kann  (vgl.  für  griech.  a  statt  am  z.  ü. 
die  Endung  der  Isten  Sing.  Aor.  grdsprchl.  sam 
griech.  oa\  kaum  auch  nur  zweifelhaft. 

Allein   es   entsteht  hier  wie   eben   auch    bei 
anti  die  Frage,   ob  das  Sanskrit  oder  das  Grie- 
chische den   ursprünglichen  Acceut  hewahrt  hat 
und  hier  vorausgesetzt,    daß   awam  wirklich  die 
gemeinsame  Grundlage  von  änu  und  ava  ist,  wird 
Sie  sich  wahrscheinhch  zu  Gunsten  des  Griechi- 
schen   entscheiden.     Denn    bei    dieser   Vorausse- 
tzung ist  fast  so  gut  wie  sicher,   daß  anam  der 
adverbial    gebrauchte  Acc.  Si.  Ntr.   des   zusam- 
mengesetzten Pronomens  ana  ist ;  dieses  aber  hat, 
wie  "im  Sanskrit    alle    zusammengesetzten  Fro- 
nominalthemen   und    im    Griechischen    mehrere, 
den  Accent   auf   dem  letzten  Ghed  der   Zusam- 
mensetzung (vgl.  im  Sanskrit  i-^nd,   e-na,  c-ta, 
eshä  (für  e-sd) ,   a-saii,    a-mü,  a-tm,   im  Griech. 
ad-.to',  i-av-TÖ,  £>-atvro);  so  erscheint  denn  von 
a-nä,  welches  keine  vollständige  Declination  im 
Sanskrit  mehr  besitzt,  sondern  nur  Nebenformen 
des  Pronomen  iddm  bildet,  anena,  anaya.anayos 
und  nach  diesen  Analogien  dürfen  wir  unbedingt 
behaupten,  daß  der  Acc.  Sing,  des  Neutrum  ur- 
sprünglich  andm  lautete.     Da  im  Sanskrit   der 
Wechsel    der    Categorie    und   Bedeutung    oft  -- 
öfter  speciell  als  im  Griechischen  -  einen  Wechsel 
des   Accents   herbeiführt    (vgl.   §.   8),   so    ließ 
sich    auch    in  dnu  für   andm  der  Wechsel  des 
Accents  dadurch  erklären,  daß  das  Wort  --  zu- 
mal  in  der  Form  dnu  —  aufgehört  hatte,  ein  basa 
des  Pronomens   and   zu  sein  und  zu  einem  Aa 
verb  dann  Präposition  geworden  war. 

Unbemerkt  darf  ich  jedoch  nicht  lassen,  dal 


185 

auch  ctva  bekanntlich  in  einem  Falle  zu  äva 
wird  (s  §.  10)  und  Hermann  zu  Eurip.  Medea 
ed.  Elmsley  y.  1143  die  Nichtanastrophi- 
rung  von  dva  überhaupt  für  eine  grundlose 
Behauptung  der  Grammatiker  erklärt.  Hat  Her- 
mann Recht,  dann  ist  auch  für  dyoj  in  Ueber- 
einstimmung  mit  sskr.  anu ,  die  Paroxytonirung 
als  die  ursprüngliche  Accentuation  aufzustellen. 
Eine  Entscheidung  dieser  Frage  ist  nur  von  ei- 
nem classischen  Philologen  zu  erwarten,  welcher 
zugleich  Linguist  ist;  ich  stehe  jener  zu  fern, 
um  sie  wagen  zu  können. 

Was  did  betrifft,  welches  ebenfalls  auch 
hinter  seinem  Casus  oxytonirt  wird,  so  ist  dieses 
wohl  eigentlich  ein  vermittelst  des  Exponenten  des 
Instrum.  Sing,  aus  dvi  gebildetes  Adverb  und 
mußte,  als  von  einem  einsilbigen  Thema  gebildet, 
den  Acceut  auf  der  Endung  haben,  so  daß  in  der 
Oxytonirung  dieser  Präposition  auch  hinter  dem 
dazu  gehörigen  Casus  der  ursprüngliche  Accent  wie 
in  d(jKfi  bewahrt  ist  (vgl.  'Das  Indogermanische 
Tlinnia  des  Zahlworts  'Zwei'  ist  DU'  im  XXI. 
1  der  Abhandlungen  der  Kon.  Ges.  der 
V>  :>>ensch.,  S.  7). 

Was  endlich  die  Oxytonirung  von  vnai,  diai^ 
naoai  hinter  ihren  Casus  betrifft,  so  ist  die  Ent- 
stehung dieser  Formen  noch  zu  dunkel,  um  über 
ihren  eigentlichen  Accent  ein  ürtheil  zu  füllen. 
Liegt  in  dem  angetretenen  »  ein  Suffix  oder  eine 
Partikel  —  etwa  das  *  in  ovvoa-i  —  so  versteht 
sich  natürlich  fast  von  selbst,  daß  inai  aus  vna 
für  vno ,  Txagai  aus  ndga  dadurch  zu  Oxytonis 
werden  mußten. 

§.  10. 
Für    meine    Auffassung   spricht    aber    ferner 
noch    der    Umstand,    daß    diese   Präpositionen, 


186  ' 

wenn  sie  iu  Adverbialbedeutung  gebraucht  wer- 
den   paroxytonirt  erscheinen,  so  z.  B.  nsgi,  wenn, 
wie  es  in  der  Grammatik  heißt,    in  der  Bedeu- 
tung von  nsgiaacog,  äno ,  wenn  in  ,der  Bed.  von 
ano&ev.     Nun,  es  weiß  jetzt  wohl  Jeder,  daß  die 
sogenannten  Präpositionen    ursprünglich  Adver- 
bia  oder   adverbial   gewordene  Casus  waren  und 
erst  später  zur   näheren  Bestimmung  von  Casus 
gebraucht  sind;    wer  es  aber  nicht  weiß,    kann 
sich  leicht  davon  überzeugen,  wenn  er  ihre  Ver- 
wendung im  Sanskrit  oder  auch  nur  im  Rigveda 
vergleicht,    was    ihm   durch    das  Grassmanusche 
Wörterbuch  leicht  gemacht  wird ;  hier  findet  er, 
daß  sie  so   ziemlich    alle   in  Adverbialbedeutung 
gebraucht  werden,  z.  B.  pari  sowohl  als  Adverb, 
wie  als  Präposition ;  ja   daß   mehrere  derselben, 
deren  Reflexe  im  Griechischen,  Latein  und  Deut- 
schen als  Präpositionen  dienen,  im  Rigveda  nur 
als  Adverbia   erscheinen,   z.  B.  dpa,   purä,  pru 
(dieses   auch   im  Avesta).     Umgekehrt   dient  aU 
im  Yeda   als  Adverb   und  Präposition,   wahrend 
dessen  Reflex   weder   im  Griechischen  noch  La- 
tein in  letztere  Categorie  übergetreten  ist.     Weui 
aber   die    adverbiale   Bedeutung   die   ursprüngli- 
chere ist,   so   versteht   es   sich    von  selbst,    daß 
auch   der  in    ihr   erscheinende    Accent    der   ur- 
sprünglichere sein  wird. 

Zu  diesem  adverbialen  Gebrauch  gehört  ua^ 
türlich  auch  der  Fall,  wo  die  zweisilbigen  Prä- 
positionen, für  welche  wir  Paroxytonirung  all 
ihre  eigentliche  Accentuation  nachzuweisen  uui 
bemühen,  wie  eine  Grammatik  sich  ziemlicl 
naiv  ausdrückt  'verkürzte  Verbalformen  vertreten 
z.  B.  näga  im  Sinne  von  naQsifit  gebrauch 
wird.  Wir  würden  natürlich  sagen  ndga  steh 
hier  im  Sinne  des  Adverbs  und  das  Verbun 
substantivum  fehlt,  wie  in  den  alten  Phasen  de 


187 

indogermanischen  Sprachen  so  häufig  und  selbst 
noch  in  den  modernsten ,  wie  z.  B.  bei  uns  im 
Appell  auf  den  Aufruf  auch  nur  mit  'hier'  ge- 
antwortet und  das  'bin  ich'  gespart  wird-  Na- 
türlich kann  auch  ein  andres  selbstverständliches 
und  daher  leicht  zu  ergänzendes  Verbum  fehlen, 
z.  B.  bei  äva,  welches  in  diesem  Fall  entschie- 
den paroxytonirt  wird  (s.  §.  9),  der  Imperativ 
2  Sing,  des  Verbum  örd,  'stehen',  gerade  wie 
auch  wir  'auf  statt  'steh  auf  sagen  können. 

§.  11. 

Es  ließe  sich  wohl  noch  anderes  für  die  Be- 
rechtigung meiner  Auffassung  geltend  machen. 
So,  um  nur  eines  anzudeuten,  läßt  sich  aus  der 
Stellung  der  sogenannten  Präpositionen ,  welche 
bekanntlich  sehr  häufig,  im  Widerspruch  mit 
ihrer  Benennung,  hinter  ihrem  Casus  Statt 
findet,  insbesondere  im  vedischen  Sanskrit  — 
z.  B.  a  etwa  186  mal  hinter  und  nur  13  mal 
davor,  säcä  38  mal  hinter,  7  mal  vor  — 
und  andren  Momenten  mit  hoher  Wahrschein- 
lichkeit feststellen,  daß  die  Präpositionen  ursprüng- 
lich —  wenigstens  vorwaltend  —  hinter  ihrem 
Casus  standeu.  Ist  das  aber  der  Fall  gewesen, 
so  ist  natürlich  der  Accent,  welchen  sie  in  dieser 
Stellung  zeigen,  auch  als  der  ursprüngliche  an- 
zuerkennen. 

Der  Wechsel  der  Stellung  läßt  sich,  wie  mir 
scheint,  in  einleuchtender  Weise  aus  der  Fülle 
von  Casus  erklären,  welche  der  Indogermanische 
Sprachstamm  noch  zur  Zeit  seiner  Spaltung  be- 
saß ,  obgleich  sie  ,  wie  sich  zeigen  läßt ,  schon 
damals  zusammengeschmolzen  war.  Diese  Fülle 
machte  die  Verwendung  von  Präpositionen  früher 
wohl  ganz  unnöthig,  da  sie  jede  Verbindung  von 
Nominibus  mit  Verben  zu  bezeichnen  im  Stande 


188 

waren.  Als  aber  die  Anzahl  der  Casus  immer 
mehr  zusammenschmolz,  indem  ein  Casus  den 
andern  absorbirte,  dadurch  aber  so  viele  Bedeu- 
tungen erhielt,  daß  eine  nähere  Bestimmung  der- 
selben zuerst  dienlich ,  dann  nothwendig  ward, 
wurden  Adverbien  zu  dieser  näheren  Bestimmung 
verwandt,  welche  auch  wohl  vorher  schon  ge- 
wissermaaßen  pleonastisch  ergänzend  hinzuge- 
fügt waren.  So  lange  sie  pleonastisch  oder  nur 
der  Dienlichkeit  wegen  hinzutraten,  nahmen  sie 
die  rhetorisch  untergeordnete  Stellung  —  der 
alten  Wortordnung  gemäß  die  ergänzende  — 
hinter  dem  Casus  ein.  Als  aber  das  richtige 
Verständniß  der  Verbal-  und  Nominal -Verbin- 
dung immer  mehr  durch  ihre  Verwendung  be- 
dingt ward,  sie  also  nothwendig  wurden, 
traten  sie  an  die  rhetorisch  hervorragende  — 
der  alten  Wortordnung  gemäß  die  bestim- 
mende —  vor  das  durch  sie  bestimmte  Wort. 
Natürlich  hing  die  Auffassung  ob  ergänzend 
oder  bestimmend  von  der  Intention  des  Spre- 
chenden ab,  so  daß  auch  die  Stellung  vor,  wenn 
gleich  später  die  vorwiegende,  doch  nie  die  ein- 
zig herrschende  ward. 

Doch  dies  und  anderes  noch  zur  Vertheidi- 
gung  meiner  Auffassung  des  weiteren  auszu- 
führen ,  scheint  mir  kaum  geboten.  Denn  ich 
glaube,  daß  das  bisher  geltend  gemachte,  Jeden 
überzeugt  haben  wird,  daß  äno  srit  Tidqu  niqt 
mit  Paroxytonirung  entschieden  die  ursprüng- 
liche Aussprache  war  und  anö  im  nagd  nfql 
nur  in  Folge  der  proklitischen  Stellung  im  Zu- 
sammenhang der  Rede  statt  jener  eintrat.  Eben 
so  wird  auch  Jeder  zugestehen,  daß  dieselbe  Auf- 
fassung für  das  Verhältniß  von  vno:  vno,  rneg: 
ifneg,  xäza:  xara,  fiha:  fistd  höchst  wahrschein- 
lich ist,    nicht    unwahrscheinlich   sogar   für  das 


189 

von  ava:  aV«  (nämlich  in  der  Voraussetzung, 
daß  Hermann  Recht  hat,  ein  dvd  zu  verwerfen). 
Dagegen  ist  dfufi  schon  vor  der  Spaltung 
oxytonirt  gewesen,  dvri  und  dtd  in  griechischer 
Zeit. 

§.  12. 

Wenn  die  hier  gegebene  Auffassung  als  er- 
wiesen betrachtet  zu  werden  verdient  —  und  ich 
glaube  kaum,  daß  man  au  ihrer  Berechtigung 
wird  zweifeln  dürfen  —  dann  kann  ich  nicht 
umhin,  den  Wunsch  auszusprechen,  daß  sie 
nicht  das  Schicksal  haben  möge,  so  lange  im 
deutschen  Reich  Quarantaine  erleiden  zu  müssen 
als  ein  großer  Theil  der  Resultate  meiner  übri- 
gen Forschungen.  Nicht  wahrlich  meinetwegen ; 
ich  kann  Geduld  haben  und  glaube,  daß  ich  hin- 
länglich gezeigt  habe,  daß  meine  wissenschaftliche 
Thätigkeit  nie  weder  von  Anerkennung  noch  Lob 
oder  Tadel  abhängig  geworden  ist. 

Allein  es  ist  nicht  besonders  rühmlich  für  die 
griechische  Philologie ,  daß ,  nachdem  sie  mehr 
als  zwei  Jahrtausende  mit  verhältnißmäßig  ge- 
ringer Unterbrechung  geübt  ist,  noch  in  ihren 
jüngsten  Lexicis  und  Grammatiken  die  Formen 
dno,  eni.  nagd,  nsoi,  ino,  matd,  jt*««' aufgestellt 
werden,  welche  in  der  Sprache  weder  je  vorkom- 
men noch  vorkommen  konnten. 

Daß  die  Lehre  von  der  Anastrophe  ganz  weg- 
fallen und  die  Umwandlung  von  dno  n.  s.  w. 
zu  dno  u.  s.  w.  unter  die  Lehre  von  den  Pro- 
cliticis  eingereiht  werden  muß,  versteht  sich  von 
selbst. 


190 


Mahd'm,      Nominativ     Singularis     von 

mahänt,    drittes    Beispiel    Rigveda   IV. 

23,  1. 

Von 

Theodor  Benfey. 

Daß  mahä'm  nicht  bloß  der  Accusativ  von 
mahänt  sei,  sondern  auch  der  Nomin.  sing.,  habe 
ich  in  meiner  Abhandlung  'Ueber  die  Entste- 
hung u.  s.  w.  der  mit  r  anlautenden  Personal- 
endungen' (Abhandlungen  der  Kön.  Ges.  der 
Wissensch.  Bd.  XV)  §.  38.  39  (vgl.  'Ueber  die 
Entstehung  des  ludogerman.  Vokativs'  (ebds. 
Bd.  XVII)  Excurs  am  Schluß)  nachgewiesen. 
Die  Variante  des  Säma-Veda  I.  5.  1.  5.  10 
maJiä'w  für  das  in  der  entsprechenden  Stelle  des 
Rig-Veda  IX.  109,  7  erscheinende  mahä'm^  die 
entschiedene  Zusammengehörigkeit  desselben  mit 
dem  Nominativ  sing,  ranväh  in  Rv.  II.  24,  11, 
welche  wir  nun  auch  in  IX.  109,  7  für  anu- 
pürvyah  (wie  statt  änu  pürvydh  mit  dem  Peters- 
burger Wörterbuch  zu  lesen  ist)  geltend  machen 
dürfen,  die  Erklärung  der  Entstehung  dieses  m 
in  Analogie  mit  dem  m  neben  n  in  Vam  (neben 
^ran)  und  den  zendischen  Vocativendungen  auf 
m,  die  einfache  Verständlichkeit  der  beiden  Stel- 
leu,  welche  dadurch  erzielt  wird,  geben  dieser 
Annahme  eine  solche  Berechtigung,  daß  wir 
selbst  ohne  derartige  entscheidende  Mo- 
mente wagen  dürfen ,  mahä'm  auch  in  solchen 
Stellen  für  Nominativ  zu  nehmen ,  wo  dadurch 
ein  angemessnerer  Sinn  erlangt  wird,  als  durch 
die  Auffassung  desselben  als  Accus,  sing,  von 
mahimt  oder  als  Genetiv  Pluralis  von  iiiah. 

Eine  derartige  Stelle  ist  die  in  der  Ueber- 
schrift  bezeichnete.     Sic  lautet 


191 

katha'  mahä'm  avridhat  kasya  hotur 
yajriam  jushänö  abbi  söniam  ü'dhah 

pibann  u^änö  jusbämäuo  ändbo 
vavakshä  rishväh  9ucate  dhänäya. 

Sayana  nimmt  mahä'm  natürlicb  als  Accus, 
ging.:  dadurcb  ist  er  aber  genöthigt,  um  in  den 
Satz  einigen  Sinn  zu  bringen ,  avridhat ,  die 
dritte  Person  Sing.  Indicativi  Aor.  IL  (nach 
meiner  Zäblung)  des  primären  Verbums  vardh 
im  Sinne  der  3ten  Sing.  Potentialis  des  Causale 
zu  nebmen  (=  vardfiayet)  und  zu  suppliren 
asmatpreritä  stutih,  so  daß  nach  ihm  zu  über- 
setzen wäre:  'Wie  (erläutert  bei  ihm  durch  'auf 
welche  Weise')  möchte  (der  von  uns  vorgetra- 
gene Lobgesaug)  den  großen  wachsen  macheu?' 
Das  Präsensthema  vdrdha  hat  freilich  neben  der 
intransitiven  auch  transitive  Bedeutung,  wie  sich 
das  in  den  Veden  bei  Präsensthemen  der  soge- 
nannten Isten  Conjugationsclasse  nicht  selten 
findet.  Daraus  folgt  aber  noch  nicht,  daß  diese 
Bed.  auch  dem  uureduplicirten  Aorist  zukomme; 
dieser  hat  im  Particip  vridhdnt  und  vridhdnd 
nur  intransitive  Bedeutung,  daher  w^ir  berech- 
tigt, ja  wohl  verpflichtet  sind,  diese  auch  hier 
anzunehmen ;  denn  Rv.  X.  81 ,  5  ist  fraglich 
mit  welchem  Verbum  tanvdm  zu  verbinden  ist; 
Ludwig  macht  es  von  yajasva  abhängig;  gehört 
es  zu  vridhänd  so  ist  es  nach  Analogie  des 
griechischen  Gebrauchs  zu  erklären,  'gewachsen 
am  Leibe';  ich  ziehe  die  letztere  Deutung  vor 
und  werde  in  der  Syntax  der  vedischen  Gram- 
matik darüber  sprechen;  in  Rv.  YIIL  2,  29  aber 
ist  in  iridJuintas  oder  Jcärinam  ein  Fehler  zu 
vermuthen.  Sayana  freilich  zieht  es  zu  stütas^ 
welches  er  zu  einem  Masculini|m  macht,  wäh- 
rend es  ein  Femininum  ist;  das  dazu  gehörige 
Femininum  yä's  aber  trennt  er  davon  und  sup- 


192 

plirt  dazu  tadtydh  stutayas.  Daß  wir  solche  un- 
grammatische und  antihermeneutische  Auffassun- 
gen nicht  mehr  gebrauchen  können,  darf  wohl 
als  zugestanden  betrachtet  werden.  Ehe  wir  zu 
derartigem  Flickwerk  unsre  Zuflucht  nehmen, 
setzen  wir  lieber  einem  Stern  an  die  Stelle  der 
Uebersetznng  und  dürfen  sie  der  Zukunft  um  so 
vertrauensvoller  überlassen,  da  wir  mit  Bestimmt- 
heit die  Ueberzeugung  aussprechen  können,  daß 
die  grammatische  Erforschung  der  Vedensprache 
mit  verhältuißmäßig  wenigen  Ausnahmen  ein 
sichres  philologisches  Verständniß  der  Veden  er- 
öffnen wird. 

■  Mit  der  Erklärung  des  übrigen  Theiles  dieser 
Strophe  sieht  es  bei  Säyana  eben  nicht  besser 
aus;  doch  wollen  wir  uns  hier  nicht  auf  eine 
Critik  derselben  einlassen ,  sondern  uns  darauf 
beschränken,  sie  kurz  mitzutheilen,  die  von  ihm 
angenommenen  Ergänzungen  und  Glossen  in 
Klammern  einfügend.  Demgemäß  lautet  das 
Weitere : 

'Wessen  Opferers  Opfer  liebend  (möchte  eben 
dieser  Indra)  heran  (kommen)?  Die  überaus  er- 
habne (atipravriddha  als  Glosse  von  udhar)  Soma 
Speise  kostend ,  (sie)  liebend  (und)  genießend 
(?  sevamänah  als  Glosse  von  jushämtmah)  trägt 
{vavdkshc  identificirt  mit  vahati  und  glossirt 
durch  dhärayati)  der  große  (Indra  sie)  zu  leuch- 
tendem Reichthum  (um  derartigen ,  als  Gold 
u.  s.  w.  gekennzeichneten,  Reichthum  dem  Opfrer 
zu  geben)'. 

Ohne  uns  bei  anderen  aufzuhalten,  wollen 
wir  uns,  um  zu  sehen,  was  dabei  heraus  kömmt, 
wenn  man  mahäm  hier  als  Accusativ  faßt,  so- 
gleich zu  Alfr.  Ludwig  wenden.  Denn  er  ist 
einer  der  besten  Kenner  der  Vedensprache  und 
der  Veden  überhaupt,  zugleich  überaus  gewissen- 


193 

haft,  augenscheinlich  bestrebt,  über  das  was  er 
nicht  zu  verstehen  vermochte  und  über  die  Art, 
wie  er  das  aufgefaßt  habe,  was  er  verstanden  zu 
haben  glaubt ,  dem  Leser  keinen  Zweifel  zu 
lassen.  Unbemerkt  darf  ich  übrigens  nicht 
lassen,  daß  diese  Strophe  bei  ihm  als  eine  solche 
bezeichnet  ist ,  zu  welcher  in  dem  noch  nicht 
veröffentlichten  Commentar  eine  Erläuterung  er- 
scheinen wird.  Sollte  in  ihr  die  AuflFassung  von 
mahä'm  als  Accusativ  an  dieser  Stelle  gerecht- 
fertigt und  meine  als  Nominativ  ernstlich  wider- 
legt werden,  dann  bin  ich  gern  bereit  sie  hier  — 
nicht  aber  an  den  früher  besprochenen  Stellen  — 
aufzugeben. 

Ludwig's  Uebersetzung  findet  sich  im  Uten 
Bande  S.  100  und  lautet 

'Wie  doch  [und]  welches  hotars  großes 
Opfer  hat  er  gedeihen  lassen.  Gefallen  findend 
am  Soma  [an  der  Quelle]  am  Euter?  trinkend 
mit  Begierde,  sich  freuend  am  Safte,  ist  ange- 
wachsen   der   hohe   zu    glänzendem   Reichthum'. 

Es  sind  hier  zwei  Fragwörter  in  Fragbedeu- 
tuug  in  demselben  Satz  angenommen  und  deß- 
halb  ein  'und'  eingeschoben.  Es  ließe  sich  ver- 
theidigen,  obgleich  ich  mich  —  wenigstens  in 
diesem  Augenblick  —  keiner  analogen  Stelle  im 
Rigveda  erinure.  Säyana  hat  es,  wie  ich  glaube, 
mit  vollem  Rechte  nicht  gewagt.  Das  einge- 
schobene 'an  der  Quelle'  scheint  eine  Erläute- 
rung des  Wortes  'Soma'  zu  sein,  deren  Begrün- 
dung   im    Commentar    abzuwarten    sein    würde. 

Ehe  ich  meine  Uebersetzung  mittheile,  muß 
ich  bemerken,  daß  somam  ii'dhah  wiederum  einen 
der  Fälle  bildet,  in  denen  zwei  Wörter,  obgleich 
unverknüpft  neben  einander  stehend  oder  nur 
durch  nä  ('gleichwie')  getrennt,  wie  eine  Zusam- 
mensetzung zu  fassen  sind.     Ich  habe  auf  diesen 


194 

vedischen  Sprachgebrauch  in  Anmerkung  690 
zu  Rv.  I.  66,  1  (in  'Orient  und  Occident'  I. 
p.  595)  im  Jahre  1862  aufmerksam  gemacht 
(vgl.  auch  Göttinger  Nachr.  1875  S.  195  wo  Z. 
10  u.  9  V.  u.  in  den  Zahlen  einige  Fehler  sind, 
welche  ich  mir  hier  zu  corrigiren  erlaube.  Es 
ist  nämlich  I.  66,  1  u.  69,  1  und  I.  S.  595  n. 
690  und  S.  597  n.  713  zu  lesen).  Leider  er- 
laubt mir  meine  Zeit  auch  jetzt  nicht,  alle  von 
mir  gesammelten  Beispiele  dieses  Gebrauches 
mitzutheilen ;  doch  will  ich  zu  den  schon  früher 
angeführten  noch  einige  fügen,  so  Rv.  VI.  66,  11 
giräyo  na  pah  'wie  Bergwasser';  I.  85,  1  jänayo 
na  säptayah  'wie  Stutengespanne'  (wegen  der 
Schnelligkeit;  auch  bei  den  Griechen  dienen 
Stuten  als  Wagengespann);  VIII.  46,  30  gä'vo 
nä  yiithäm  'wie  eineRinderheerde;  1.92,  4  gä'vo 
nd  vrajäm  'wie  einen  Kuhstall'. 

So  bedeutet  sömam  ü'dhah  wörtlich  Soma- 
euter,  bezeichnet  aber  das  Gefäß,  in  welchem  der 
Somatrank  enthalten  ist.  Indem  dieses  'Euter' 
genannt  wird ,  wird  der  Somatrank  gewisser- 
maßen mit  Milch  verglichen;  das  Gefäß  enthält 
den  Soma  wie  das  Euter  die  Milch. 

Ferner  will  ich  darauf  aufmerksam  machen, 
daß  ävridhat  nach  Pän.  I.  3,  91.  III.  1,  55  (vgl. 
Vollst. "Gramm,  d.  Sskritsprache  §.  858,  VIII, 
S.  395)  der  regelrechte  Aorist  ist.  Bezüglich 
rishvä  erinnre  ich  an  das  in  den  'Nachrichten' 
1876  S.  310  Bemerkte. 

Meine  Uebersetzung  lautet  demgemäß: 

'Wie  ist  der  Große  herangewachsen?  An 
wessen  Opfrers  Opfer  Belieben  gefunden  habend, 
mit  Lust  das  Soma-Euter  trinkend,  sich  labend 
am  Safte,  wuchs  der  Hehre  empor  zu  strahlen- 
den lleichthum?' 

Zur  Erläuterung  bemerke  ich  folgendes:  Die 


195 

erste  Frage  bedeutet:  wie  ist  Indra  so  mächtig 
geworden.  Die  Antwort  würde  dem  vedischen 
Glauben  gemäß  sein:  'Durch  das  Trinken  des 
heiligen  Somatraukes',  welcher  bekanntlich  den 
Hauptbestandtheil  des  den  Göttern  darzubrin- 
genden Opfers  bildet.  Diese  Antwort  ist  in  eine 
neue  Frage  gekleidet,  welche  eigentlich  nur  den 
Opfrer  betrefifeu  sollte,  der  ihn  mit  so  kräftig 
wirkendem  Soma  verehrt  habe.  Daraus  sind 
aber  drei  eng  in  einander  verschlungene  Satz- 
theile  gebildet ,  nämlich :  welches  Opfrers  Opfer 
gefiel  ihm  so  sehr,  daß  er  bei  ihm  den  Soma 
mit  Lust  trank  und  dadurch  zu  solcher  Macht 
gelangte,  daß  er  strahlenden  Reichthum  gewann. 

Dieser  Reichthum  ist  der  befruchtende,  alle 
Schätze  der  Erde  den  Verehrern  des  Indra  er- 
schließende, Regen,  der  himmlische  Soma  als 
Lohn  für  den  ihm  geopferten  irdischen. 

Zur  Empfehlung  meiner  Uebersetzung  mache 
ich  schließlich  darauf  aufmerksam,  daß  darin,  wie 
avridhat,  so  auch  der  Aorist  jushänds  im  Gegen- 
satz zu  dem  Präsens  jushd?tianas,  zu  seinem  Rechte 
gekommen  ist. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

Nature  427-430. 

Rivista  Europaea.    Vol.  V.    Fase.  1 — 2. 

H,  Bruns,  Die  Figur  der  Erde.    Berlin  1878.    4. 

Societa  Toscana  di  Scienze  naturali.  Adunanza  del  di 
18.  Nov.  1877. 

Sitzungsbericht  der  k.  Akad.  d.  Wiss.     Wien  1877  Nr.  27. 

A.  Orth,  üeber  die  Anforderung  der  Geographie  und  der 
Land-  und  Forstwissenschaft  an  die  geognost.  Karto- 
graphie des  Grund  und  Bodens.    1877. 


196 

H.  Wild,  Repertorium   für  Meteorologie.    Bd,  V.  H.  2. 
1877.    4. 

—  Die  Temperatur -Verhältnisse    des  Russ.  Reichs.     1. 
1877.    4. 

Leopoldina.    H.  XIII.  Nr.  23—24. 

J.  Oppert    et  J.   Menant,    Documents  juridiques   de 

l'Assyrie  et  de  la  Chaldee.    Paris  1877. 
H.  Lloyd,  Miscellaneous Papers  connected  with  Physical 

Science.    London  1877. 
Flora  Batava  239-240.     Afl. 
Memoires   de  l'Acad.  des  Sciences  etc.  de  Lyon.     Classe 

de  Sciences.     T.  22.     1876-77. 

—  de  l'Acad.     Classe  des  Lettres.     T.  17.     1876-  77. 
Annales  de  la  Societe  d'Agriculture  etc.  de  Lyon.    T.  8. 

1875. 
F.   de   Müller,    Fragmenta   Phytographiae     australiae. 

Vol.  VII- VIII.     Melbourne. 
M.  R.  de   Berlanga,  Los   nuevos  Bronces  de  Ocuna. 

Malaga  1876. 
Jahrbuch  der   k.  k.  geolog.  Reichsanstalt.     Jahrg.  1877. 

Bd.  27    mit  Tschermak,    mineralog.  Mittheii.  Bd.  VII. 

H.  3. 
Verhandl.  der  k.  k.  geolog.  Reichsanstalt  Nr.  11  —  13. 
Monthly  Notices  of  the  R.  Astron.  Society.     Vol.  38  Nr.  2. 
Verhandl.  der  phys.  med.  Gesellschaftzu  Würzburg.   Bd.  11 . 

H.  3-4. 
Jahresber.  10  des  akadera.  Lesevereins  in  Graz. 
Catalogue  of  the  scientific  papers  (1864 — 1873).     Vol.  VII. 

London  1677.     4. 
L.  Müller,  det  saakaldte  Hagekors'  Anwendelae  og  Be- 

tydning  i  Oldtiden.     Kjöbenhavn  1877. 
Oversigt  over  det  k.  Danske  Vidensk.  Selskabs  Förhandl. 

1877. 
Philosoph.  Transactions  of  the  R.  Soc.  of  London.    Vol. 

166.  P.  2.     Vol.  167.  P.  1.     1877.    4. 
Proceedings  of  the  R.  Society.    Vol.  XXV.    Nr.  175  - 178. 

Vol.  XXVL    Nr.  179-183. 
J.Plateau,    Bibliographie    analytique    des    principaux 

phenomenes  subjectifs  de  la  vision. 
Berichte   des    naturwiss.    medic.    Vereins    in   Innsbruck. 

VII.  Jahrg.     II.  1. 

(Fortsetzung  folgt). 


m 


Jffachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  üniversitUt  zu 
Göttingen. 


27.  Februar.  M.  9.  1878. 


llniTersität 

Verzeichniß  der  Vorlesungen  auf  der  Georg- 
Augusts-Universität  zu  Göttingen  während  des 
Sommerhalbjahrs  1878.  Die  Vorlesungen  be- 
ginnen den  24.  April  und  enden  den  24.  August. 

Theologie. 

Erklärung  der  Genesis:  Prof.  de  Lagard«  fünfstün- 
dig um  10  Uhr. 

Erklärung  der  Psalmen :  Prof.  Bertheau  fünfstündig 
um  10  Uhr. 

Erklärung  des  Deuteronomiums:  Prof.  Duhm  zwei- 
stündig um  7  Uhr,   öffentlich. 

Erklärung  des  Buches  Jesaia :  Prof.  Duhm  fünfstün- 
dig um  10  Uhr. 

Einleitung  in  das  Neue  Testament :  Prof.  Wiesinger 
viermal  wöchentlicTi  um  12  Uhr. 

Geschichte  des  apostolischen  Zeitalters:  Lic.  Wendt 
dreistündig'  Mönt.  Mittw.  Freit,  um  11  Uhr. 

Synoptische  Erklärung  der  Evangelien  des  Matthäus, 
Marcus  und  Lucas:  Prof.  Lüneinann  sechsstündig  um 
9  Uhr. 

Erklärung  des  Römerbriefs:  Prof.  Wiesinger  fünfimal 
ran  9  Uhr. 

Erklärung  des  Hebräerbriefs:  Prof.  Ritschi  fünfmal 
um  9  Uhr. 


Kirchengeschichte  I.  Theil :   Prof.    Wagenmann  funf- 
'      stündig  um  8  Uhr. 

17 


198 

Kirchengeschichte  des  Mittelalters:  Prof.  Reuter 
sechsmal  um  11  Uhr. 

Kirchengeschichte   der   Neuzeit:      Prof.     Wagenmann 
viermal  um  7  Uhr. 

Theologie  der  Reformatoren :  Lic.  KaUenhmch  drei- 
stündig Mo nt.  Dienst.  Donnerst,  um  4  Uhr,  unentgeltlich. 

Apologie  des  Christenthums :  Prof.  Schultz  fünf- 
stündig um  11  Uhr. 

Dogmatik  II.  Theil:  Prof.  Schöherlein  fünfmal  um  8 
Uhr  und  Sonnabend  um  12  Uhr. 

Theologische  Ethik:  Prof.  Ritschl  sechsstündig  um 
8  UTir. 

Comparative  Symbolik:  Prof.  Reuter  sechsmal  um 
12  Uhr.  

Praktische  Theologie :  Prof.  Schöherlein  fünfstündig, 
Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit,  um  5  Uhr  und  Mitt- 
wochs um  4  Uhr. 

Kirchenrecht:  s.  unter  Rechtswissenschaft. 


Die  Uebungen  des  Königl.  Homiletischen  Seminars 
leiten  abwechslungsweise  Prof.  Wiesinger  und  Prof. 
Schultz  Sonnabends  10 — 12  Uhr  öflfentlich. 

Katechetische  Uebungen:  Prof.  Wiesinger  Mittwochs 
5—6  Uhr;  Prof.  Schultz  Sonnabends  4—5  Uhr  öflfentlich. 
Die  liturgischen  Uebungen  der  Mitglieder  des  prak- 
tisch-theologischen Seminars  leitet  Prof.  Schöherlein 
Sonnabends  9-  11  Uhr  und  Mittwochs  6— 7  Uhr  öffentlich. 


Eine  dogmatische  Societät  leitet  Prof.  Schöherlein 
Donnerstags  um  6  Uhr ;  eine  historisch-theologische  Prof. 
Wagenmann  Freit,  um  6  Uhr;  kirchenhistorische  Uebun- 
gen Prof.  Reuter  Donnerstags  um  5  Uhr;  eine  theolo- 
gische Societät  Prof.  Schultz  Freitags  um  7  Uhr. 


Rechts  Wissenschaft. 

Encyklopädie  der  Rechtswissenschaft:  Prof.  John 
Montag,  Mittwoch  und  Freitag  von  12-1  Uhr. 

Institutionen  und  römische  Rechtsgeschichte:  Prof. 
V.  Ihcring  täglich  von  11  — 12  und  Dienstag,  Donnerstag 
ynd  Sonnabend  von  12—1  Uhr. 


199 

Pandekten  mit  Ausschluss  des  Familien-  und  Erb- 
rechts: Prof.  Hartmann  täglich  von  8 — 10  Uhr. 

Pandekten  zweiter  Theil,  und  zwar:  Familienrecht 
Montag  Ton  4—6  Uhr;  Erbrecht  Dienstag  und  Don- 
nerstag von  4 — 6  Uhr  Dr.   Zitelmann. 

Pandekten-Prakticum :  Prof.  r.  Ihering  Montag,  Mitt- 
wech  und  Freitag  von  12 — 1  Uhr. 

Pandekten-Exegeticum :  Dr.  Zitelmann  Dienstag  und 
Donnerstag  von  12 — 1  Uhr. 

Deutsche  Rechtsgeschichte:  Prof.  Dove  fünfmal  wö- 
chentlich von  8—9  Uhr. 

Deutsche  Rechtsgeschichte:  Dr.  Sichel  fünfmal  wö- 
chentlich von  12—1  Uhr. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehn-  und  Handelsrecht, 
Wechsel-  und  Seerecht:  Prof.  iro// täglich  von  8 — 10 Uhr. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehnrecht:  Dr.  Ehrenberg 
täglich  von  8—9,  Sonnabend  auch  von  7—8  Uhr. 

Handelsrecht  mit  Wechselrecht  und  Seerecht  nach 
seinem  Buch  (Handelsrecht  Aufl.  5;  Wechselrecht  Aufl.  4): 
Prof.   Thül  fünfmal  wöchentlich  von  7—8  Uhr. 

Preussisches  Privatrecht:  Prof.  Ziebarth  fünfmal  wö- 
chentlich von  9—10  Uhr. 


Gemeines  Strafrecht:  Prof.  Ziebarth  fünfmal  wöchent- 
lich von  11—12  Uhr. 

Deutsches  Strafrecht :  Dr.  v.  Krieg  fünfmal  wöchent- 
lich von  10—11  Uhr. 


Deutsches  Staatsrecht  (Reichs-  und  Landesstaats- 
recht): Prof.  Fr ensdorff  innim&X  wöchentlich  von  9 — 10  Uhr. 

Erklärung  der  Verfassungsurkunde  des  deutschen 
Reichs:  Prof.  Frensdorff  Mittwoch  von  11—12  Uhr 
öffentlich. 

Verwaltungsrecht  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
Preussen:  Prof .  3/e/er  viermal  wöchentlich  von  11  — 12  Uhr. 

Völkerrecht:  Prof.  i^rew»dor^  Dienstag ,  Donnerstag 
und  Sonnabend  von  12 — 1  Uhr. 


Protestantisches  und  katholisches  Kirchenrecht,  ein- 
schliesslich des  Eherechts :  Prof.  Mejer  fünfmal  wö- 
chentlich von  10 — 11  Uhr. 

K-irchenrechtliche  Uebungen  leitet  Prof.  Dave  Diens- 
tag um  7  Uhr  Abends  privatissime  und  unentgeltlich. 

17* 


^00 

th'6öne  aes  fl^ütsc^feti  CÄ^ll^YocVssfe's :  I^roir.  Ä  täg- 

"^'sI?aVr-ess:''p;of.    /oÄn    Montag,   Dienstag,  Don- 
nerstag, Freitag  von  ll-12_Uhr. 

Criminal-Prakticum :  Prof.  John  Mittwoch  von 4-eUhr. 

Medicin. 

Zoologie,    Botanik,    Chemie    s.   unter   Naturwissen- 

Schäften.  

ünochen-  und  Bänderiehre:  D'-  "7-B™"  Di™"««. 

n"^SiÄ.rÄf^  ;  und  Ne. 

woch,  Freitag  ™"";:f  „'^a' vergleichende  Anatomie 
der*Drr°tkgn°2°f  V-  Mittwoch  und  Sonn- 
abend  von  7-8  Uhr  öffenthch  vor.  ^^^^^^_ 

lehr'^tStT'.t^CT^er  Mal  wöchentlich  in  zu 
verabredenden  Stunden.  ,j,j   Histologie  hält 

Prori^J'M'^ntarDft;,   ponner^^^^^^ 

">\tf.re  td  lerntr:"/hÄe.^r|l.ute. 
ru„^^dr|E.pe..en.eu^d^^^^^^ 
'"Tp^iSIip^Äte  ••.T«  (Physiologe  der  Er- 

von  5—7  Uhr. 

i5j:St%h;l?oi:gi.^hr  %natitut    lei.et    Prof. 
Meissner  täglich  in  pas8enden_Stunden. 

ßoTnabend  von  7-8  Uhr  Donnerstag  von  4-5i  Uhr. 


201 


Praktischen  Cursus  der  pathologischen  Histologie  hält 
Prof.   Ponßck  Mittwoch  und  Sonnabend  von  2 — 4  Uhr. 

Physikalische  Diagnostik  verbunden  mit  prciktischen 
Uebungen  lehrt  Prof.  Eichhorst  Montag,  Dienstag  und 
Donnerstag  von  4 — 5  Uhr;  Dasselbe  trägt  Dr.  Wiese 
viermal  wöchentlich  in  später  näher  zu  bestimmenden 
Stunden  vor. 

Uebungen  in  der  Handhabung  des  Kehlkopfspiegels 
hält  Prof.  Eichhont  Sonnabend  von  12  —  1  Uhr. 

Diagnostik  des  Harns  und  Sputums  mit  praktischen 
Uebungen :  Prof.  Eichhorst  Mittwoch  von  3 — 4  und  Sonn- 
abend von  2—3  Uhr. 

Experimentelle  Arzneimittellehre  und  Receptirkunde 
lehrt  Prof.  Jlarnid  vier  Mal  wöchentlich  von  5 — 6  Uhr. 

Die  gesammte  Arzneimittellehre  erläutert  durch  De- 
monstrationen und  Versuche  und  mit  praktischen  Uebun- 
gen im  Abfassen  ärztlicher  Verordnungen  verbunden  trägt 
Prof.  Susemann  fünfmal  wöchentlich  um  3  Uhr  vor. 

Experimentelle  Toxikologie  trägt  Prof.  Manne  Don- 
nerstag von  6 — 7  Uhr  vor. 

Ueber  giftige  und  essbare  Pilze  trägt  Prof.  Huse- 
mann  öffentlich  Dienstag  von  5  —  6  Uhr  vor. 

Pharmakognosie  lehrt  Prof.  Wiggers  fünfmal  wöchent- 
lich von  2 — 3  Uhr  nach  seinem  Handbuche  der  Phar- 
makognosie, 5.  Aufl.  Göttingen  1864. 

Pharmacie  lehrt  Prof.  Wiggers  sechsmal  wöchentlich 
von  6—7  UTir  Morgens;  Dasselbe  lehrt  Prof.  von  Vslar 
vier  Mal  wöchentlich  um  3  Uhr;  Dasselbe  Dr.  Stro- 
meyer  privatissime. 

Organische  Chemie  für  Mediciner:   Vgl.  Naturwissen- 
schaften S.  206. 

Ein  pharmakologisches  Examinatorium  und  pharma- 
kologische und  toxikologische  Untersuchungen  leitet  Prof. 
Marme  im  pharmakologischen  Institut  unentgeltlich; 
solche  Uebungen  und  Untersuchungen  leitet  auch  Prof. 
Susemann  in  gewohnter  Weise. 

Einen  elektrotherapeutischen  Cursus  hält  Professor 
Marme  zwei  Mal  wöchentlich  von  2—3  Uhr. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie  I.  Hälfte:  Prof. 
Ebstein  täglich,  ausser  Montag,  von  7 — 8  Uhr. 

Ueber  acute  Infectionskrankheiten  trägt  Prof.  Hasse 
vier  Mal  wöchentlich  vor. 

Ueber  Kinderkrankheiten  trägt  Prof.  Eichhorst  Mon- 
tag und  Mittwoch  von  5—6  Uhr  vor. 


202 

lieber  Hautkrankheiten  und  Syphilis  trägt  Prof. 
Krämer  Mittwoch  und  Freitag  um  4  Uhr  vor. 

Die  medicinische  Klinik  uud  Poliklinik  hält  Prof. 
Ebstein  täglich  von  10|— 12  Uhr. 

Allgemeine  Chirurgie  lehrt  Prof.  Lohmeyer  fünf  Mal 
wöchentlich  von  8 — 9  Uhr;  Dasselbe  Prof.  Hosenbach 
fünf  Mal  wöchentlich  von  7—8  Uhr  Abends  oder  zu 
anderen  passenden  Stunden. 

Die  chirurgische  Klinik  hält  Prof.  König  fünf  Mal 
wöchentlich  um  9^  Uhr. 

Chirurgische  Poliklinik  hält  Prof.  König  in  Verbin- 
dung mit  Prof.  Hosenbach  Sonnabend  von  IO4 — 11-J-  Uhr. 

Einen  chirurgisch  -  diagnostischen  Cursus  hält  Dr. 
Riedel  für  jüngere  Kliniker  zweistündig. 

Uebungen  in  chirurgischen  Operationen  an  der  Leiche 
leitet  Prof.  König  Abends  von  5 — 7  Uhr. 

Verbandcursus  hält  Dr.  Riedel  einstündig. 

Augenheilkunde  lehrt  Prof.  Leber  Montag,  Mittwoch, 
Donnerstag,  Freitag  Morgens  von  7 — 8  Uhr. 

Augenspiegelcursus  hält  Prof.  Leber  gemeinschaftlich 
mit  Dr.  Deutschmann  Mittwoch  und  Sonnabend  von 
12—1  Uhr. 

Einen  Cursus  der  Functionsprüfungen  des  Auges  mit 
besonderer  Berücksichtigung  der  für  die  Praxis  nöthi- 
gen  Brillenbestimmungen  hält  Dr.  Deutschmann  zwei 
Mal  wöchentlich  in  zu  bestimmenden  Stunden. 

Die  Klinik  der  Augenkrankheiten  hält  Prof.  Leber 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  12 — 1  Uhr. 

Ausgewählte  Capitel  der  Ohrenheilkunde  trägt  Dr. 
Bürkner  wöchentlich  in  einer  zu  bestimmenden  Stunde  vor. 

Demonstrativen  Cursus  der  Pathologie  und  Therapie 
des  Ohres,  verbunden  mit  Uebungen  im  Untersuchen 
des  Gehörorgans  hält  Dr.  Bürkner  Montag  und  Don- 
nerstag von  4—5  Uhr. 

Gynaekologie  wird  Dr.  Hartwig  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag  von  3 — 4  Uhr  vortragen. 

Geburtshülflichen  Operationscursus  am  Phantom  hält 
Prof.  Schwartz  Mittwoch  und  Sonnabend  um  8  Uhr. 

Geburtshülflich-  gynaekologische  Klinik  leitet  Prof. 
Schwartz  Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  Freit,  um  8  Uhr. 

Psychiatrische  Klinik  hält  Prof.  Meyer  Montag  und  1 
Donnerstag  von  4 — 6  Uhr. 

Forensische  Psychiatrie ,  erläutert  an  Geisteskranken, 


203 

lehrt  Prof.  Meyer  wöchentlich  in  zwei  zu  verabredenden 
Stunden. 

Prof.  Baum  wird  zu  Anfang  des  Sommersemesters 
Vorlesungen  ankündigen. 

Die  äusseren  Krankheiten  der  Hausthiere  und  Beur- 
theilungslehre  des  Pferdes  und  Rindes  trägt  Prof.  Esser 
wöchentlich  fünf  Mal  von  7  —  8  Uhr  vor. 

K.linische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  wird 
Derselbe  in  zu  verabredenden  Stunden  halten. 

Philosophie. 

Geschichte  der  alten  Philosophie:  Prof.  Baumann, 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  5  Uhr. 

Allgemeine  Geschichte  der  Philosophie:  Dr.  Ueber- 
hörst,  5  St.,  5  Uhr. 

Einleitung  in  das  Studium  der  platonischen  und  ari- 
stotelischen Schriften:  vgl.  Griech.  und  Lat.  Sprache 
S.  210. 

Die  Philosophie  Schopenhauers:  Dr.  Ueberharst, 
Mittw.  6  Uhr,  unentgeltlich. 

Logik :  Prof.  Baumann,  Montag,  Dienstag,  Donners- 
tag, Freitag  8  Uhr. 

Metaphysik:  Prof.  Lotze,  4  St.,   10  Uhr. 

Psychologie:  Dr.  Müller,  4  St.,   12  Uhr. 

Religionsphilosophie :  Prof.  Bohtz,  Dienstag  und  Frei- 
tag, 4  Uhr. 

Religionsphilosophie,  Dr.  Rehnisch,  4  St.  3  Uhr. 

Praktische  Philosophie:  Prof.  Lotze,  4  St.,  4  Uhr. 

Prof.  Baumann  wird  in  einer  philosophischen  Socie- 
tät,  Montag  6  Uhr,  Abschnitte  aus  Kants  Kritik  der 
reinen  Vernunft  behandeln. 

In  der  einen  seiner  philosophischen  Societäten  wird 
Prof.  Peipers  ausgewählte  Abschnitte  aus  Aristoteles' 
Nikomachischer  Ethik,  Dienst.  6  Uhr,  in  der  andern 
Kants  Krisik  der  praktischen  Vernunft,  Freitag  6  Uhr, 
behandeln,  beides  öflfentlich. 

Geschichte  der  Erziehungslehre:  Prof.  Krüger,  2 St., 

2  Uhr. 

Die  Uebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet 
Prof.  Sauppe,  Mont.  und  Dienst.  11  Uhr,  öflfentlich. 


204 
Mathematik  und  Astronomie. 

Elementargeometrische  Herleitung  der  wichtigsten 
Eigenschaften  der  Kegelschnitte:  Prof.  Schwarz,  Mont. 
u.  Donnerst.,  4  Uhr,  öffentlich.  .         t>    e 

Einleitung  in  die  synthetische  Geometne:  l'rot. 
Schwarz,  Mont.  bis  Freit.,  9  Uhr.  „    „    „,  k 

Differential-   und    Integralrechnung:    Prof.  Stern,  5 

St. ,  7  Uhr.  ,  _  ^    t    T? 

Grundzüge   der  Differentialgleichungen:   Prof.  Jinne- 

per,  öffentlich.  t^    r     t. 

Theorie  der  bestimmten  Integrale:  Prof.  hnneper, 
Mont.  bis  Freit.,  10  Uhr. 

Variationsrechnung  und  ihre  Anwendung  auf  Mecha- 
nik: Prof.  Stern,  4  St.,  8  Uhr. 

Anwendungen  der  elliptischen  Funktionen  aut  aus- 
gewählte Aufgaben  der  Geometrie  und  der  Mechanik: 
Prof.  Schwarz,  Mont.  bis  Freit.,  11  Uhr. 

Analytische  Mechanik:  Prof.  Schering,  Mont.  Dienst. 

"t.-nerst.  Freit.,  9  Uhr.  k     mTi. 

Sphäriscue   -Geometrie:  Prof.  Ulrich,  4  läge,  5— 7  Uhr. 
Dienstag,  Mittwoch  »^nomie:  Prof.  Klinkerfues ,    Montag, 

Geometrische  Optik   e/i  Donnerstag,   12  Uhr. 
Magnetismus  und  der  Elek,nd  Mathematische  Theorie  des 
icität:  8.  Na,tujwiss.  S.  206. 

Mathematische    Colloquien :  '  -^ 
sime  und  unentg. ,  wie  bisher,  1  .Prof.    Scfitoarz  privatis- 
"^t. 

In  dem  mathematisch -physikalische 
Schwarz:  Ueber  diejenigen  Flächen,  wein  Seminar  Prof. 
ihrer  Punkte  gleich  grosse  und  entgegengekhe  in  jedem 
tete  Hauptkrümmungsradien  besitzen,  Freitag t^zt  gerich- 
Prof.  Schering:  Besondere  Theile  der  analytischtt  12  Uhr; 
chanik,  Mittwoch  9  Uhr,  Prof.  Stern:  über  dnden  Me- 
wendung  einiger  Reihen  auf  die  Zahlentheorie,  je  An- 
woch  8  Uhr.  Prof.  Klinkerfues  giebt  einmal  wöche»Mi^t- 
lich  zu  geeigneter  Stunde  Anleitung  zu  astronomisch«.  '"^" 
Beobachtungen,  alles  öffentlich.  —  Vgl.  Naturwissen- R° 
Schäften  S.  206. 

'rof. 

Naturwissenschaften.  ^^^^ ' 

Allgemeine  Zoologie:   Prof.  JShiera,  Mont.  bis  Don 
nerst.,  7  Uhr.  ' 


205 

Specielle  Zoologie,  erster  Theii:  Prof.  EkUrs,  Fieit. 
und  Sonnabend,  7  Uhr. 

Zootomischer  Kurs:  Prof.  Ehlert,  Dienst,  u.  Donnerst., 
9—11  Uhr. 

Anatomie  und  Entwickelungsgeschichte  der  Arthro- 
poden: Dr.  Ludwig,  2  St. 

Zoologische  Uebungen:  Prof.  Ehlers,  priratissime, 
wie  bisher. 

Allgemeine  und  specielle  Botanik :  Prof.  Grisebach, 
6  St.,  8  Uhr.  —  Demonstrationen  von  Pflanzen  des  bo- 
tanischen Gartens:  Derselbe,  Mittw. ,  11  Uhr,  öffentljch. 
—  Uebungen  in  der  systematischen  Botanik:  Derselbe. 
Botanische  Excursionen:  Derselbe,  in  Verbindung  ^it 
Dr.  Drude. 

Uebungen  im  Bestimmen  und  Demonstriren  der  ein- 
heimischen Pflanzen:  Prof.  Reinke ,  Dienst.,  Miitw., 
Donnerst,  u.  Freit.,  7  Uhr  Morgens.  —  Mikroskopisch- 
botanischer  Cursus:  Derselbe,  in  vier  näher  zu  bestim- 
menden Stunden.  —  Mikroskopisch  -  phinnaceutischer 
Cursus:  Derselbe,  Sonnab.  9 — 11  Uhr.  —  Mikroskopi- 
scher Cursus  zur  Untersuchung  von  Nahrungs-  und  Ge- 
nussmitteln: Derselbe,  Sonnab.,  11 — 1  Uhr.  —  Botani- 
sche Excursionen  veranstaltet  Derselbe. 

Flora  von  Deutschland ,  Phanerogamen :  Dr.  Drude, 
5  St.,  10  Uhrj  dazu  botanische  Excursionen.  —  In 
seiner  botanischen  Societät  wird  er  praktische  Uebungeij 
in  der  Pflanzen  -  Systematik  und  Morphologie  anstellen, 
Dienstag  und  Freitag  6  Uhr. 

Mineralogie:  Prof.  Klein,  5  St.,   11  Uhr, 

E.rj-8tallographie :  Prof.  Klfin,  4  St.,  4  Uhr. 

Geognosie :  Prof.  von  Seebach,  5  St.,  8  Uhr,  verbua- 
den  mit  Excursionen. 

Gesteinskunde:  Dr.  Lang,  Dienst,  u.  Freitag,  5  Uhr, 
verbunden  mit  Uebungen  und  Excursionen. 

Die  gesteinsbildenden  Mineralien :  Dr.  Geinitz,  Mont. 
u.  Donnerst.,   10  Uhr  (und  1  St.  Übungen). 

Geologie  der  Steinkohlen:  Dr.  Geinitz,  Donnei;8tag 
5  Uhr,    unentgeltlich. 

Mineralogische  Uebungen :  Prof.  Klein ,  Sonnabend, 
10—12  Uhr,  öffentlich. 

Krystallographische  Uebungen :  Prof.  Klein ,  Mittw. 
2 — 5  Uhr,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Fetrographische  und  palaeoütologische  Uebiuigea  lei- 


206 

tet  Prof.  von  Seebach  privatissime ,    aber  unentgeltlich, 
Mont.  Dienst.  Donnerst.,  9  —  1  Uhr. 

Petrographische  Uebungen  im  geologischen  Institute: 
Dr.  Geinüz,  unentgeltlich. 

Experimentalphysik,  erster  Theil:  Mechanik,  Aku- 
stik und  Optik:  Prof.  Rieche,  Montag,  Dienstag,  Don- 
nerstag und  Freitag,  5  Uhr. 

Einleitung  in  die  mathematische  Theorie  des  Magne- 
tismus und  der  Elektricität :  Dr.  Fromme,  Dienst,  und 
Donnerst.  12  Uhr. 

Geometrische  und  physische  Optik:  Prof.  Listing, 
4  St.  um  12  Uhr. 

Ueber  Auge  und  Mikroskop:  Prof.  Listing,  privatis- 
sime in  2  zu  verabredenden  Stunden. 

Physikalisches  CoUoquium:  Prof.  Listing,  Sonnabend 
11—1  Uhr. 

Repetitorium  der  Physik:  Dr.  Fromme,  privatissime, 
in  gewohnter  Weise ,  Dienst,  u.  Donnerst,  (später  drei- 
stündig), 7  Uhr  Morgens. 

Praktische  Uebungen  im  Physikalischen  Laboratorium 
leitet  Prof.  Rieche,  in  Gemeinschaft  mit  den  Assistenten 
Dr.  Fromme  und  Kand.  Niem'Oller,  Dienst.,  Donnerst., 
Freit.  2—4  Uhr  und  Sonnab.  9—1  Uhr. 

In  dem  mathematisch -physikalischen  Seminar  leitet 
physikalische  Uebungen  Prof.  Listing,  Mittwoch  12  Uhr, 
und  behandelt  Prof.  Rieche  ausgewählte  Kapitel  der 
Experimentalphysik,  Mittwoch  11  Uhr.  —  Vgl.  Mathe- 
matik S.  204.  

Allgemeine  Chemie:  Prof.  Hübner,  6  St.,  9  Uhr. 

Allgemeine  organische  Chemie :  Prof.  Hühner ,  Mon- 
tag bis  Freitag  12  Uhr. 

Organische  Chemie,  für  Mediciner:  Prof.  von  TJslar, 
in  später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Chemische  Technologie :  Dr.  Post,  3  St. 

Einzelne  Theile  der  theoretischen  Chemie:  Dr. 
Stromeyer,   privatissime. 

Agriculturchemie  (Pflanzenernährungslehre) :  Prof. 
Tollenti,  Mittw.  Donnerst.  Freit.,   10  Uhr. 

Uebersicht  der  sogenannten  Kohlenhydrate:  Prof. 
Tollens,  einmal  wöchentl.,  öffentlich. 

Die  Vorlesungen  über  Pharmacia  und  Pharmakogno- 
sie 8.  unter  Medicin  S.  200. 

Die    praktisch- chemischen     Uebungen    und    wissen- 


207 

schaftlichen  Arbeiten  im  akademischen  Laboratorium 
leiten  Prof.  Wöftler  und  Prof.  Hühner  in  Gemeinschaft 
mit  den  Assistenten  Dr.  lannaseh,  Dr.  Post,  Dr.  Fre- 
richs,  Dr.    Wiesinger,  Dr.   Polstorf,  Dr.  Brückner. 

Prof.  Baedeker  leitet  die  praktisch  -  chemischen  Ue- 
bungen  im  physiologisch -chemischen  Laboratorium  täg- 
lich (ausser  Sonnabend)  8—12  und  3—5  Uhr. 

Die  Uebungen  im  agrikulturchemischen  Laboratorium 
leitet  Prof.  Tollens  in  Gemeinschaft  mit  dem  Assistenten 
Dr.  Schmöger,  Montag  bis  Freitag.  8—12  und  2—4  Uhr. 

Historische  Wissenschaften. 

Einleitung  in  das  Studium  der  allgemeinen  Erdkunde : 
Prof.  Wappüus,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag  und 
Freitag,  11  Uhr. 

Länder-  und  Völkerkunde  des  Alterthums:  Prof. 
Nissen,  4  St.,   12  Uhr. 

Gnindzüge  der  antiken  Chronologie :  Prof.  Xisaen, 
Mittw.,    12  Uhr,  öffentlich. 

Lateinische  Palaeographie :  Prof.  Steindorff,  4  St., 
Mittw.  und  Sonnab.  10—12  Uhr. 


Historische  Propaedeutik:  Dr.  Bernkeim,  Dienst. 
Donnerst.  Freit. ,  10  Uhr. 

Geschichte  der  orientalischen  Völker  bis  Darius :  Dr. 
Gilbert,  Dienst.  Donnerst.  Freit.,  8  Uhr. 

Deutsche  Kaiserzeit  bis  zum  Interregnum :  Prof. 
Weizsücker,  4  St.,  9  Uhr. 

Allgemeine  Geschichte  in  der  Periode  des  Ueber- 
gangs  vom  Mittelalter  zur  neuem  Zeit:  Dr.  Hohlbaum, 
2  St.,  Dienst,  u.  Freitag. 

Zeitalter  Ludwigs  XIV.  und  Friedrichs  des  Grossen, 
Prof.   Pauli,  4  St.,  5  LTir. 

Zeitalter  der  französischen  Revolution:  Prof.  Weit- 
säcker, 4  St. ,  4  Uhr. 

Englische  Verfassungsgeschichte:  Prof.  Pauli,  4  St., 
8  Uhr. 

Geschichte  Italiens  im  Mittelalter:  Dr.  Th.  Wiisten- 
feld,  Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag,  10  Uhr, 
oder  in  anderen  mit  den  Zuhörern  zu  vereinbarenden  St, 

Epochen  der  orientalischen  Frage:  Dr.  Höhlbaum, 
Montag  6  Uhr,  unentgeltlich. 


208 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Pauli  Mittwoch 
6  Uhr.  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Weizsäcker  Freitag 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  über  Herodot  leitet  Prof.  Nis- 
sen in  einer  noch  zu  bestimmenden  Stunde,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Steindorff  DonnQxsi. 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Dr.  Bernheim,  Dienstag 
6  Uhr,  unentgeltlich. 

Kirchengeschichte:  s.  unter  Theologie  S.  197. 

Staats  Wissenschaft  und  Landwirthscliaft. 

Volkswirthschaftslehre  (Nationaloekonomie) :  Prof. 
Hanssen,  5  St.,  3  Uhr. 

Oeffentliche  Armenpflege:  Prof.  Hanssen,  Sonnabend 
10  Uhr,  öffentlich. 

Wirthschaftliche  Gesetzgebung  im  Reiche :  Dr.  Piers- 
torff,  Dienst.  Donnerst.  Freit.  5  Uhr. 

Geschichte  der  sozialen  Theorien :  Dr.  Pierstorff, 
1  St.,  unentgeltlich. 

Bevölkerungs-  und  Moralstatistik  (mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung der  Controverse  über  das  Verhältniss  der 
Ergebnisse  der  letzteren  zur  Willensfreiheit):  Dr.  Peh- 
nisch,  Mittw.  und  Sonnab.   12  Uhr,  unentgeltlich. 

Volkswirthschaftliche  Uebungen:  T?voL Soetbeer,  privatis- 
sime,  aber  unentgeltlich,  in  später  zu  bestimmenden  St. 

Einleitung  in  das  landwirthschaftliche  Studium :  Prof. 
Drechsler,  in  noch  zu  bestimmenden  Stunden. 

Ackerbaulehre,  speciellerTheil:  Derselbe,  4St.,  12Uhr. 

Die  Theorie  der  Organisation  der  Landgüter:  Prof. 
Griepetikerl,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag,  5  Uhr. 

Die  landwirthschaftliche  Thierproductionslehre  (Tiehre 
von  den  Nutzungen,  Racen,  der  Züchtung,  Ernährung 
und  Pflege  des  Pferdes,  Rindes,  Schafes  und  Schweines): 
Derselbe ,  Mont. ,  Dienst. ,  Donnerst. ,  Freit. ,  8  Uhr. 

Im  Anschluss  an  diese  Vorlesungen  werden  Exkur- 
sionen nach  benachbarten  Landgütern  und  Fabriken 
veranstaltet  werden. 

Die  Lehre  von  der  Futterverwerthung :  Prof.  Hen- 
nebßrg,  Mont.,  Dienst.,   11  Uhr. 

Uebungen  in  Futterbereohnungen :  Prof.  Hen^^berg, 
Mittw.,  11  Uhr  öffentlich. 


Allgemeine  und  specielle  Züchtungslehre  und  Racen- 
kunde,  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Controver- 
i6n  von  Nathusius-Settegast  (unter  Ausschluss  der  Er- 
nährungslehre): Dr.  Fesca,  Mittw.  und  Donnerst.  10  Uhr. 

LandwirthschaftüchesPracticum  (1,  Uebungen  im  land- 
wirthschafllichen  Laboratorium,  Freit.  2 — 6  Uhr,  Sonnab. 

9  —  1  Uhr;  2.  Hebungen  in  landwirthschaftlichen  Berech- 
nungen, Mont.  u.  Donnerst.  6  Uhr):  Prof.  Drechsler. 

Excursionen  auf  benachbarte  Güter:  Prof.  Drechsler. 
Krankheiten  der  Hausthiere:  s.  Medicin  S.  203. 
Agrikulturchemie,    Agrikulturchemisches  Praktikum: 
s.  Naturwiss.  S.  206. 

Literärgeschichte. 

Geschichte  der  epischen  Poesie  bei  den  Griechen : 
Prof.  Düthey,  4  St.,  8  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Dichtung  vom  Anfang  des 
17.  Jahrhunderts:  Dr.    Titlmann,  5  St.,   10  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur  von  Les- 
sings  Zeit  bis  zur  Gegenwart:  Prof.  Bohtz,  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,   11  Uhr. 

Ueber  Lessings  Leben  und  Schriften:  Prof.  Goedeke, 
Mittw.  5  Uhr,  öffentlich. 

Geschichte  der  Philosophie:  vgl.  Philosophie   S.  203. 

Alterthumskunde. 

Geschichte  der  bildenden  Künste  bei  den  Griechen 
und  Eömern:   Prof.    Wieteler,  Mont.  Dienst.  Donnerst.. 

10  Uhr. 

Umriss  der  griechischen  Münzkunde  für  Philologen 
und  Historiker:  Prof.  Wieseler,  Freit,  u.  Sonnabend, 
10  Uhr. 

Im  K.  archäologischen  Seminar  wird  Prof.  WieseUr 
öffentlich  ausgewählte  Kunstwerke  zur  Erliutening  vor- 
legen,  Sonnabend,   12  Uhr. 

Die  Abhandlungen  der  Mitglieder  wird  Derselbe  pri- 
vatissime  beurtheilen ,  wie  bisher. 

Vergleichende  Sprachlehre. 

»Die  Uebungen  der  Sprachvergleichendön  Societät  leis- 
tet Prof.  Fick,  Mittwoch  6  Uhr. 

Griechische  Dialekte  und  Nominaikomposition  der 
griech.  Sprache  vgl.    Griech.  und  lat.  Sprache  S.  210. 


210 

Orientalische  Spraclien. 

Die  Vorlesungen  über  das  A.  Testament  s.  unter 
Theologie  S.  197. 

Arabische  Grammatik:  Pioi.  Wüstenfeld ,  privatissime. 

Arabische  Schriftsteller  lässt  Prof.  de  Lagarde  er- 
klären, in  noch  zu  bestimmenden  Stunden,  öffentlich. 

Unterricht  in  der  Syrischen  Sprache:  Prof.  Bertheau, 
Dienst,  und  Freit.,  2  Uhr. 

Grammatik  der  Sanskritsprache:  Prof. £en/et/,  Mont. 
Dienst.  Donnerst.  5  Uhr. 

Interpretation  seiner  Sanskrit-Chrestomathie  und  vedi- 
scher  Lieder:  Prof.  Benfey^  Mittw.  und  Freit.  5  Uhr 
und  Donnerst.  6  Uhr. 

Erklärung  von  Yäskas  Niruktam,  Dr.  Bezzenherger, 
2  St. 

Griechische  und  lateinische  Sprache. 

Geschichte  der  epischen  Poesie  bei  den  Griechen : 
vgl.  Literärgeschichte  S.  209. 

Vergleichende  Uebersicht  der  griechischen  Dialekte: 
Prof.  Fick,  4  St.,  10  Uhr. 

Ueber  Nominalkomposition  und  Bildung  der  Eigen- 
namen in  der  griechischen  Sprache:  Prof.  Fick,  2  St., 
10  Uhr,  öffentlich. 

Herpdot :  vgl.  Historische   Wissenschaften  S.  207. 

Piatons  Gastmahl:  Prof.  Saicppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  9  Uhr. 

Einleitung  in  das  Studium  der  platonischen  und  ari- 
stotelischen Schriften:  Prof.  Peipers ,  Mont.  Dienst. 
Donnerst.  8  Uhr. 

Aristoteles  Nikomach.  Ethik:  vgl.  Philosophie  S.  203. 

Lateinische  Grammatik:  Prof.  Sauppe,  Mont.  Dienst. 
Donnerst.  Freit.,  7  Uhr  Morgens. 

Tacitus  Historien :  Prof.  von  Leutsch,  4  St.,    10  Uhr. 

Lateinische  Paläographie :  vgl.  Histor.  Wissensch.^.  10. 

Im  K.  philologischen  Seminar  leitet  die  schriftlichen 
Arbeiten  und  Disputationen  Prof.  Sauppe,  Mittwoch  11 
Uhr,  lässt  Musäos'  Gedicht  von  Hero  und  Leander  er- 
klären Prof.  Dilthey^  Montag  und  Dienstag,  11  Uhr, 
lässt  das  4.  Buch  von  Vergils  Georgica  Prof.  von  Leutsch 
erklären,  Donnerstag  und  Freitag,  11  Uhr,  alles  öffentlich. 

Im  philologischen  Proseminar  leiten  die  schriftlichen 
Arbeiten    und    Disputationen    die    Proff.    von    Leutsch, 


211 

Sauppe  und  Dtilhey ,  Mittwoch  9  und  10  und  2  Uhr ;  lässt 
das  zweite  Buch  von  Vergils  Georgica  Prof.  von  LeuUeh 
^littwoch  10  Uhr  und  den  homerischen  Hymnus  auf 
Hermes  Prof.  DüÜiey  Mittwoch  9  Uhr  erkliüvn,  alles 
öffentlich. 

Deutsche   Sprache. 

Historische  Grammatik  der  deutschen  Sprache:  Prof. 
Wüh.  Müller,  5  St.,   3  Uhr. 

Den  Parzivdl  von  Wolfram  von  Eschenbach  erklärt 
Prof.    Wüh.  Müller,  Mont.  bis  Donnerst.,   10  Uhr. 

Altdeutsche  Metrik :  Dr.  WiUcen,  Mittwoch  und  Sonn- 
abend,  11  Chr. 

Angelsächsische  Grammatik  und  Lektüre  des  Beovulf : 
Dr.    Wiiken,  Mont.  Dienst.  Donnerst.,   11  Uhr. 

Die  üebungen  der  deutschen  Gesellschaft  leitet  Prot 
n'üh.  Müller. 

Althochdeutsche  Üebungen:  Dr.  Wiiken,  einmal 
öch. ,  unentgeltlich. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur:  Tgl.  Literärge- 
-hichte  S.  209. 

Neuere  Sprachen. 

Comeille's  Cid  wird  Prof.  Th.  MüUer  in  franiöai- 
scher  Sprache  erklären ,  mit  Vergleichung  des  spanischen 
Originals,  las  mocedades  del  Cid  von  Guülen  de  Castro, 
Montag  und  Donnerstag  4  Uhr. 

üebungen  in  der  franxösischen  und  englischen  Sprache 
veranstaltet  Derselbe ,  die  ersteren  Montag,  Dienstag  und 
Mittwoch,  12  Uhr,  die  letzteren  Donnerstag,  Freitag 
und  Sonnabend,  12  Uhr. 

Oeffentlich  wird  Derselbe  in  der  romanischen  Socie- 
tät  die  Anfangsgründe  der  spanischen  Sprache  lehren, 
Freitag  4  Uhr, 

Schöne  Künste.  —  Fertigkeiten, 

Unterricht  im  Zeichnen  vrie  im  Malen  ertheilt,  mit 
besonderer  Rücksicht  auf  naturhistorische  und  anatomi- 
sche Gegenstände,  Zeichenlehrer  Peters. 

Geschichte  der  modernen  Musik:  Prof.  Krüger, 
4  St. ,   12  Uhr. 


212 

Harmonie  -  uiicl  Konlpositiorifelehre  ,  verbunden  mit 
praktischen  Uebtin^en:  Musikdirector  Hilh,  in  passen- 
den Stundeii. 

Zur  Theilütihthe  an  den  Hebungen  der  Singaka- 
demie und  des  Orchesterspielvereins  ladet  Derselbe  ein. 

Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reit- 
bahn der  Univ.-Stallmeister  Schweppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend  Morgens  von  7—11  und 
Nachm.  (ausser  Soonabend)  von  4 — 5  Uhr. 

Fechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüne- 
klee, Tanzkunst  der  Universitätstanzmeister  Höltzke. 

OeiFentliche  Sammlungen. 

Die  Unwersttätshtbliothek  ist  geöffnet  Montag,  Dienstag, 
Döhnerstäg  und  Freitag  von  2  bis  3,  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  2  bis  4  Uhr.  Zur  Ansicht  auf  der  Bibliothek 
erhält  man  jedes  Werk,  das  man  in  gesetzlicher  Weise 
verlangt;  verliehen  werden  Bücher  nach  Abgabe  einer 
Semefeterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Das  zoologische  und  ethnographische  Museum  ist  Diens- 
tag und  Freitag  von  3 — 5  Uhr  geöffnet. 

Die  Gemäldesammlung  ist  Donnerstag  von  12 — 1  Uhr 
geöffnet. 

Dei?  botanische  Garten  ist,  die  Sonn-  und  Festtage 
ausgenommen,  täglich  von  5  —  7  Uhr  geöffnet. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologi- 
schen Seminarbibliothek ,  des  Theatrum  anatomicum ,  des 
physiologischen  Instituts,  der  pathologischen  Sammlung, 
der  Sammlung  von  Maschinen  und  Modellen,  des  zoolo- 
gischen und  ethnographischen  Museums,  des  botanischen 
Gartens ,  der  Sterntvarte ,  des  physikalischen  Cabinets, 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen 
Sammlung,  der  chemischen  Laboratorien,  des  archäologi- 
schen Museums,  der  Gemäldesatnmlung ,  der  Bibliothek 
des  k.  philologischen  Seminars,  des  diplomatischen  Appa- 
rats, der  Sammlungen  des  landtoirthschaftlichen  Instituts 
bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 

Bei  dem  Logiscommissär,  Pedell  Bartels  (Weender8t.82), 
können  die,  welche  Wohnungen  suchen,  sowohl  über 
die  Preise,  als  andere  Umstände  Auskunft  erhalten, 
und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


^13 

\aeh  rieh  teil 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


13.  März.  M-  6.  1878. 

Köuigliche  Gesellschaft  der  Wisseiischafleu. 

Sitzung  Tom  2.  März. 

Henle,   Znr  vergleichenden  Anatomie  der  Krystalllinse. 

Benfey,  Einige  Derivate  des  Indogermanischen  Verbums 
*  anbh  =  sanskritisch  nabh. 

de  Lagafde,  Erklärung  chaldäischer  Wörter.  (Er- 
scheint in  den  Abhandlungen.) 

Ludwig,  Die  Bursae  der  Ophiariden  und  deren  Homo- 
logen bei  den  Pentremiten,    (Vorgelegt  von  Ehlers.) 


Zur  vergleichenden  Anatomie  der 
Krystalllinse. 

Von 

J.  Henle. 

Zu  den  manchfaltigen  verwandtschaftlichen 
Beziehungen ,  welche  zwischen  den  Classen  der 
Tögel  und  Reptilien  bestehen ,  gehört  auch  die 
Aehnlichkeit  im  Bau  der  Krystalllinse.  Charac- 
leristisch  für  das  Yogelange  ist  der  Ring  oder 
Ringwulst,  der  den  Aequator  der  Linse  umgiebt, 
bestehend  aus  Zellen ,  welche  gegen  die  Ober- 
fläche der  eigentlichen,  aus  meridionalen  Fasern 

18 


214 

zusammengesetzten  Linse  in  senkrechter  Richtung 
verlängert  und  zu  prismatischen  Fasern  ausge- 
zogen sind,  die  größte  Länge  am  Aequator  er- 
reichen und  von  da  gegen  den  vorderen  und 
hinteren  Pol  der  Linse  allmählig  kürzer  werden, 
um  nach  vorn  in  das  innere  Epithel  der  Kapsel, 
nach  hinten  in  die  meridionalen  Fasern  über- 
zugehn. 

H.  Müller  entdeckte  eine  dem  Riugwulst 
der  Vogellinse  vollkommen  ähnliche  Bildung  im 
Auge  des  Chamäleon  und  der  Eidechse;  ich  kann 
hinzufügen,  daß  die  Blindschleiche  sich  durch 
die  Structur  ihrer  Linse  als  ächter  Saurier  er- 
weist. Den  Schlangen  und  Schildkröten  sprach 
H.  Müller  den  Ringwulst  ab.  Beide  Angaben 
bedürfen  einer  Berichtigung.  Den  Schildkröten 
—  ich  untersuchte  die  Augen  der  Testudo  graeca 
und  einer  großen  Chelonia  —  fehlt  der  Ring- 
wust nicht;  er  ist  nur  verhältnißmäßig  schmal, 
noch  schmaler,  als  bei  den  Nacht-Raubvögeln. 
Die  größte  Breite  desselben  betrug  au  einer 
Schildkrötenlinse  von  6  mm  Aequatorial-Durch- 
messer  0,07  mm.  Was  aber  die  Schlangen  be- 
trifft, von  denen  mir  freilich  nur  eine  Art,  die 
Natter,  aber  in  vielen  Exemplaren  zu  Gebote 
stand,  so  besitzen  sie  die  zu  prismatischen  Stäbchen 
verlängerten  Epithelzellen,  wie  die  Vögel  und 
Saurier,  aber  an  einer  anderen  Stelle,  wo  sie 
nicht  dazu  dienen ,  den  Aequatorialdurchmesser, 
sondern  vielmehr  die  Axe  der  Linse  zu  vergrößern, 
demnach  auch  die  Bedeutung  eines  die  Linse 
umfassenden  Rings  verlieren  und  in  physiologi- 
scher Hinsicht  noch  räthselhafter  erscheinen,  als 
die  Fasern  des  Ringwulstes  der  Vögel.  Sie  er- 
reichen das  Maximum  ihrer  Länge,  0,1mm  in 
einer  fast  kugligen  Linse  von  2  mm  Durchra., 
am  vordem  Pol   der  Linse,  nehmen   von   da   au 


I 


215 

uacli  allen  Seiteu  gleiclmiäßig  au  Länge  ab  uuJ 
bind  Eocli  vor  dem  Aequator  auf  die  Mächtigkeit 
gewöhnlicher  Pflasterepithelzellen  redocirt. 

"Während  demnach  die  zu  Fasern  ausgewachse- 
nen Epithelzellen  der  Vögel,  Saurier  und  Schild- 
kröten einen  gegen  beide  Ränder  zugeschärfteu 
Ring  darstellen,  gleichen  die  entsprechenden 
Fasern  der  Schlangen  in  ihrer  Gesammtheit 
einer  auf  die  Vorderfläche  der  Linse  aufgesetzten, 
gewölbten  Platte  mit  zugeschärftem  kreisför- 
migen Rande. 

Die  Bursae  der  Ophiuren  und  deren 
Homologon  bei  den  Pentremiten. 

Von 

Dr.  Hubert  Ludwig. 
(Vorgelegt  von  Ehlers.) 

Bereits  in  meinen  Beiträgen  zur  Anatomie 
der  Asteriden  (Morpholog.  Stndien  an  Echino- 
dermen  p.  198)  habe  ich  darauf  hingewiesen, 
daß  die  herkömmliche  Auffassung  der  Genital- 
spalten der  Ophiuren  eine  irrthümliche  ist.  Die 
weitere  Verfolgung  dieses  Gegenstandes  hat  nun 
zu  Ergebnissen  geführt,  welche,  da  die  Veröffent- 
lichung meiner  ausführlichen  Abhandlung  über 
die  Anatomie  der  Ophiuren  wohl  erst  gegen 
Ende  dieses  Jahres  wird  stattfinden  können, 
einer  vorläufigen  Mittheiluug  au  dieser  Stelle 
nicht  uawerth  erscheinen  dürften. 

Bekanntlich  wird  allgemein  behauptet,  daß 
die  Geuitalprodukte  bei  den  Ophiuren  in  die 
Leibes!  öh  16  entleert  werden  und  von  hier  aus 
durch  die  sog.  Genitalspalten  nach  außen  ge- 
langen ;  letztere  sollen  direct  in  die  Leibeshöhle 


216 


führen  und  außer  zur  Ausfuhr  der  Gemtalpro- 
dukte  auch  noch  zur  Einfuhr  von  Seewasser  in 
die  Leibeshöhle  dienen.  Von  diesen  Behauptun- 
gen ist  nur  das  Eine  richtig,  daß  Eier  und  fea- 
men  durch  die  Genitalspalten  ins  Freie  gelangen; 
alles  Uebrige  ist  irrthümlich,  insbesondere  werden 
weden  die  Geschlechtsproducte  m  die  Leibes- 
höhle  entleert   noch  münden   die  Gemtaispalten 

in  die  letztere.  n     -i.  ^     „u« 

An    den    Rand    einer    jeden    Genitalspalte 
setzt  sich  ein  häutiger  Sack  an,    welcher  m  die 
Leibeshöhle  eindringt  und  in  derselben  blindge- 
schiossen  endigt.     Die  Wand   des  Sackes  ist  im 
Allcremeinen   sehr   dünn   und   leicht    zerreißlich. 
Anoden  Rändern    der  Genitalspalten  nimmt    sie 
allmälig    die    Beschaffenheit   der   äußeren    Haut 
an;  bei  einigen  Arten,  so  insbesondere  bei  den 
Arten  der  Gattung  Ophioglypha  setzen  sich  die 
Kalktafeln    der   äußeren  Haut   an   dem  der  l^e-  , 
nitalspange   gegenüberliegenden  Rande    der   Ue- 
nitalspalte    mit    einer    Tafelreihe   m    die   Wand 
des  Sackes  hinein  fort;  bei  anderen  Arten  besitzt 
die  Wand   des  Sackes   mehr   oder   minder  zahl- 
reiche   platte  Kalkkörper   z.    B.    bei  Ophiocoma 
scolopendrina  und  Ophioderma  longicauda.     Der 
Sack    ist    demnach    als    eine   Einstülpung    des 
äußeren  Integumentes  zu  betrachten.     Gegen  die 
Leibeshöhle    hin    zieht  sich   der  Sack    oder    die 
Bursa,  wie  wir  ihn  einstweilen   mit  einem  mög- 
lichst  indifferenten  Namen    nennen   wollen,    m 
mehrere  Zipfel  aus,  von  welchen  einer  sich  über 
die  Kalkstücke    des    Peristoms    hinuberlegt ,    bis 
dicht  an   das  Mundstück    des  Darmes   herantritt 
und  bei  keiner  der  von  mir  bis  jetzt  untersuchten  ) 
\)  Es  Bind  dies:    Ophiologlypba  Sarsii   u.  0.  albida, 
Oühiocoma  scolopendrina  u.  0.  nigra,    Ophiomyxa   pen- 
tagona   Oph,opholis  belli« ,  Ophiothrix  frogüi«,  Amphmra 
tilifonnis,  Ophioderma  longicauda. 


217 

Arten  fehlt.  Die  übrigen  Zipfel  scheinen  sich 
nach  Zahl,  Form  und  Lagerung  bei  den  ver- 
schiedenen Arten  und  vielleicht  selbst  bei  den  ver- 
schiedenen ludividnon  mehr  oder  weniger  un- 
gleich zu  verhalten.  Bei  der  Gattung  Ophioglypha 
ist  nur  ein  weiterer  Zipfel  der  Bursa  vorhanden, 
welcher  sich ,  was  ich  bei  keiner  der  übrigen 
untersuchten  Gattungen  beobachtete,  auf  die 
Dorsalseite  des  Darmsackes  hinüberschlägt.  Be- 
züglich der  Gattung  Ophioderma  möge  erwähnt 
sein,  daß  die  äußere  Vermehrung  der  Genital- 
spalten auf  vier  in  jedem  Interradius  nicht  von 
einer  entsprechenden  Vermehrung  der  Bursae 
begleitet  ist;  je  zwei  liintereinander  gelegene 
Spalten  führen  in  dieselbe  Bursa  und  sind  auf 
eine  einzige  in  der  Mitte  überbrückte  Spalte  zu- 
rückzuführen. 

Die  einzelnen  Genitalschläuche  verbinden 
sich  mit  einem  sehr  kurzen  Ausführungsgange 
mit  der  Wand  der  Bursa  und  münden  in  die 
letztere  mit  kleinen  doch  schon  mit  der  Loupß 
vabruehmbaren  Poren.  Jeder  einzelne  Genital- 
-chlauch  besitzt  seinen  eigenen  Porus.  Sämmt- 
liche  Poren  liegen  (ich  beziehe  mich  hier  zu- 
nächst auf  die  Gattung  Ophioglypha)  in  einer 
dem  Rande  der  Genitalspalte  im  Allgemeinen 
parallel  verlaufenden  Linie.  Da  die  letztere  dem 
Rande  der  Genitalspalte  zugleich  sehr  nahe  liegt, 
so  bleibt  in  Folge  dessen  (und  das  gilt  auch  von 
den  übrigen  untersuchten  Arten)  die  Wand  der 
Bursa  in  ihrer  größten  Ausdehnung  und  be- 
sonders an  ihren  blinden  Eudzipfeln  stets  frei 
von  Genitalschläucheu.  Das  deutet  schon  darauf 
hin,  daß  die  Bursa  nicht  nur  eine  Genitaltasche 
(Bursa  genitalis  wie  ich  sie  früher  nannte)  ist, 
sondern  daß  sie  auch  noch  eine  andere  Bedeu- 
tung haben   muß.     Dies  wird    noch   wahrschein- 


218 

lieber  durch  die  Thatsache ,    daß    die  Bursa  mit 
ihren  Zipfeln   schon    ausgebildet  ist,    bevor   die 
Geuitalprodukte    zu  reifen    beginnen.     Daß  aber 
auch  nicht  etwa  nur  die  Bildung  eines  Brutraumes 
hier  vorliegt,  geht  daraus  hervor,  daß  die  Bursae 
bei  den  männlichen  Thieren  ganz  ebenso  ausge- 
bildet   sind    wie    bei    den    weiblichen;     bei    den 
lebendiggebärenden  Arten  scheint  die  Bursa  aller- 
dings   die  Funktion    eines  Brutraumes  zu   über- 
nehmen.    Wenn  ich    eine  Vermuthung  über  die 
Function   der  Bursae   der  Ophiureu   aussprechen 
soll,    so  ist  es  die,   daß  wir  in  ihnen  die  bisher 
nicht  bekannten  Respirationsorgane  dieser  Thiere 
vor   uns    haben ;    ich   bin    mir   dabei  aber  wohl 
bewußt,  daß  es  zur  vollen  Sicherung  dieser  An- 
sicht  noch  der  Beobachtung  am  lebenden  Thier 
bedarf.      Von    den    sogen.    Kiemenbläschen    der 
Asterien   unterscheiden    sie    sich  wesentlich    da- 
durch, daß  jene   verdünnte  Parthien  der  Körper- 
wand darstellen,    welche  nach  außen  ausgestülpt 
sind,  V7ährend  die  Bursae  nach  innen  eingestülpte 
verdünnte  Parthien   der  Körperwand  sind,  sowie 
ferner  dadurch,    daß  sie  nur   in  bestimmter  An- 
zahl und  an  ganz  bestimmten  Körperstellen  vor- 
kommen.     Für   die  Ausdeutung  der   Bursae  als 
Respirationsorgane  wird  es  bei  Untersuchung  der 
lebenden  Thiere  von  besonderer  Wichtigkeit  sein 
festzustellen,  ob  eine  Erneuerung  des  Wassers  in 
denselben  durch  Wiraperbewegung  und  Contrak- 
tionen  der  Wand  stattfinde,  für  letzteres  spricht 
das    Vorhandensein     von     Muskelfasern    in    der 
Wand  der  Bursa.     Die  Verbindung  der  Gcnital- 
schläuche    mit    dem  Randtheile    der  Bursalwand 
betrachte    ich    als    eine    secundäre  Erscheinung. 
Aus  diesem  Grunde  möchte  ich  auch  die  Bezeich- 
nung  »Genitalspalte«    durch    »Bursalspalte«    er- 
setzen. 


219 

Sehen  wir  uns  nun  nach  morphologisch  den 
Bursae  der  Ophiuren  entsprechenden  Gebilden 
bei  anderen  Echinodermen  um,  so  finden  wir 
nirgends  bei  den  lebenden  Formen  etwas  Aehn- 
liches,  Wühl  aber  bei  fossilen  und  zwar  merk- 
würdigerweise bei  jener  räthselhaften  Gruppe 
der  Pentremiten.  Rofe  und  Billiugs  haben  ge- 
zeigt, daß  die  sogen.  Genitalröhren  der  Pentre- 
miten jederseits  von  jedem  Ambulacrafeld  ein 
einheitliches  Organ  darstellen,  welches  mit  seiner 
inneren  blindgeschlossenen  und  in  verschieden 
zahlreiche  Längsfalten  gelegten  Seite  in  die 
Eingeweideböhle  hineinragt,  nach  außen  aber 
durch  eine  Reihe  hintereinander  gelegener  Poren 
ausmündet^).  Am  geringsten  ist  die  Zahl  dieser 
äußeren  Oeffnungen  bei  Pentremites  caryophyl- 
latus ,  bei  welchem  jederseits  von  jedem  Am- 
bulacrum  nur  vier  schlitzförmige  Spalten  sich 
finden ,  welche  in  ihrer  Lagerung  die  größte 
üebereinstimmuug  mit  den  sog.  Genitalspalten 
der  Ophiuriden  zeigen,  bei  welchen  ja  auch  eine 
Vermehrung  der  Spalten  auf  je  zwei  bei  der 
Gattung  Ophioderma  vorkommt.  Billiugs  nennt 
das  gefaltete  Organ,  indem  er  es  als  ein  Kespi- 
ratiousorgan  in  Anspruch  nimmt,  »Hydrospire«. 
Auf  die  weitere  Zurückführung  der  Hydrospire 
der  Blastoideeu  auf  die  »pectinates  rhombs« 
der  Cystideen ,  welche  Billings  gleichfalls  als 
Respirationsorgane  betrachtet,  einzugehen  würde 
hier  zu  weit  führen ;   ich  werde   in  meiner  Ab- 

1)  John  Rofe,  Notes  on  some  Echinodermata  from 
the  Mountain-Limestone  etc.  Geol.  Mag.  Vol.  II.  London 
1865.  p.  249.  PI.  VIII.  E.  Billings,  Notes  on  the  struc- 
tnre  of  the  Crinoidea ,  Cystidea  and  Blastoidea.  Americ. 
Journ.  of  Science  and  Arts  by  Silliman  and  Dana.  2. 
Ser.  Vol.  48,  49,  50.    New  Ha?en  1869  —  1870. 


220 

handluug  diese  Verhältnisse  eingehend  zu  er- 
örtern suchen.  Hier  möchte  ich  nur  darauf 
hinweisen,  daß  ich  in  den  Bursae  der  Ophiuriden 
das  Homologen  der  »Hydrospiren«  der  Blastoideen 
glaubte  gefunden  zu  haben,  ein  Fund,  der  mir 
für  die  Erkenntniß  der  verwandtschaftlichen 
Beziehungen  der  Echinodermen  untereinander 
von  sehr  hoher  Bedeutung  zu  sein  scheint. 
Göttingen,  2.  März  1878. 


Berichtigung : 
Seite  173  Zeite  13  q>Sai,  statt  yß'rf». 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

R,  Wolf,   Memoire   sur   la  periode   commune  ä  la  fre- 

quence  des    taches  solaires  et  ä  la  Variation  de  la  de- 

clinaison  magnetique.     4. 
V.  Rosen,  Manuscrits  Arabes.     St.  Petersbourg,  1877. 
Dorn,  Monnaies  des  Khalifes  etc.     St.  Petersbourg.  1877. 
H.  C.  Rüssel,    Climate  of  New  South  Wales.     Sidney 

1877. 
Ch.  Robinson,   The   progress  and   resources   of  N.   S. 

Wales,    Sidn.  1877. 
Journal   and  Proceedings  of  the  R.  Soc.  of  N.  S.  Wales. 

Vol.  X. 
Report    of  the  Council  of  education  upon   the  conditiou 

of  the  public  Schools  for  1876.    Sidney  1877. 
(Fortsetzung  folgt). 


221 

.Vacli  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


15.  Mai.  M  7.  1878. 


Königliche  Geselli^chaft  der  Wissenschaften. 

Sitzung  am  4.  Mai. 


Grisebach,  Die  systematische  Stellung  von  Sclero- 
phylax  and  Cortesia. 

Pauli,  Drei  volkswirthschaftliche  Denkschriften  aas  der 
Zeit  Heinrichs  VIII.  von  England,  zum  ersten  Mal 
herausgeben  von  R.  Pauli.  (Erscheint  in  den  Ab- 
handlungen.) 

Stern,  Beiträge  zur  Theorie  der  BernouUi'schen  und 
Eulers'schen  Zahlen.    (Erscheint  in  den  Abhandlungen  ) 

Wüstenfeld,  Coptisch  -  Arabische  Handschriften  der 
Königl.  Üniversitäts-Bibliothek. 

Marme,  Beobachtungen  zar  Pharmacologie  des  Salicins. 

V.  B  runn  ,  lieber  die  Vena  azygos.  (Vorgelegt  von  Henle.) 

Bezzenberger,  Ueber  einige  avestische  Wörter  und 
Formen.     (Vorgelegt  von  Benfey.) 


Die  systematische  Stellung  von 
Sclerophylax  und  Cortesia. 

Von 

A.  Grisebach. 

Die  in  meiner  Abhandlung  über  die  beiden 
ersten  Pflanzensamralungen  des  Professor  Lorentz 

19 


222 

beschriebene  und  abgebildete  Gattung  Sterrhy- 
menia  hat  sich  nach  einer  brieflichen  und  später 
veröffentlichten  Mittheilung  Bentham's  durch 
Vergleichung  von  Originalexemplaren  als  iden- 
tisch mit  Sclerophylax  Mrs.  herausgestellt.  Da 
die  Ergebnisse  systematischer  Vergleichung  theils 
von  der  Beschaffenheit  des  Materials,  theils  von  der 
Zuverlässigkeit  und  Vollständigkeit  der  in  der 
Literatur  niedergelegten  Beobachtungen  bedingt 
sind,  so  war  es  in  diesem  Falle  nicht  zulässig 
gewesen ,  auf  die  Identität  beider  Pflanzen 
schließen  zu  dürfen.  Denn  Miers  hatte  von 
seiner  Gattung  Sclerophylax  eine  in  mehrfachen 
und  wichtigen  Beziehungen  irrthümliche  Charak- 
teristik entworfen:  die  Corolla  regularis  be- 
zeichnete er  als  »subbilabiata« ,  das  Ovarium 
septo  superne  inter  ovula  desinente  incomplete 
bilocnlare  als  vollständig  zweifächerig  und  den 
geraden  axilen  Embryo  als  »incurvatus».  Den- 
noch würde  ich  wahrscheinlich  seine  Beschrei- 
bung als  irrig  erkannt  haben,  wenn  mir  damals 
schon'  seine  Abbildungen  von  Sclerophylax  (Miers, 
Illustrations ,  1.  t.  25.  26.)  zugänglich  gewesen 
wären,  welche  den  Habitus  wiedergeben  und 
aus  den  analytischen  Einzelnheiten  auf  die  Ueber- 
einstimmung  mit  Sterrhymenia  schließen  lassen. 
Allein  von  den  beiden  Kupferwerken  des  Ver- 
fassers besaß  unsere  Bibliothek  nur  die  Contri- 
butions  to  Botany  und  hat  die  Illustrations  of 
South-American  plants  erst  kürzlich  erworben. 
Ueber  die  systematische  Stellung  von  Sclero- 
phylax sind  die  Ansichten  getheilt,  eine  nähere 
Verwandtschaft  der  Gattung  mit  bekanntern 
Typen  ist  bisher  überhaupt  nicht  nachgewiesen. 
Miers  verglich  sie,  zugleich  entferntere  Beziehun- 
gen berührend,  namentlich  mit  den  Solaneeu  und 
Boragineen  und  erhob  sie    sodann    zu  einer  be- 


223 

sondern  Familie,  seiuen  Sclerophylac^en.  wodurch 
die  Frage  eben  als  eine  nngelöäte  bezeichnet 
wird,  Bentham  und  Hooker  steilen  Sclerophylax 
als  ein  zweifelhaftes  Glied  der  Solaneeu  an  das 
Ende  dieser  Familie  und  bemerken,  daß  die  Gat- 
tung zwar  durch  die  nur  mit  einem  einzigen  Ei 
ausgestatteten  Abschnitte  des  Ovarium  sehr  ano- 
mal sei,  aber  doch  mit  keiner  andern  Gruppe 
besser,  als  mit  den  Solaneen  übereinstimme 
(Gen,  plant,  2.  p.  913).  Sie  würden  vielleicht 
anders  geurtbeilt  haben,  wenn  ihnen  die  Unvoll- 
ständigkeit  der  Scheidewand  des  Ovariums  be- 
kannt gewesen  wäre,  worin  abgesehen  von  andern 
Charakteren  die  entschiedenste  Abweichung  von 
dem  Typus  der  Solaneen  besteht.  Höchstens 
könnte  man  von  der  mit  eigenthümlicher  Sproß- 
bildung verbundenen  Gemination  der  Blätter 
eine  Verwandtschaft  mit  dieser  Familie  ableiten, 
allein  in  dieser  Beziehung  stimmt  unter  den 
Boragiueen  Asperugo  mit  vielen  Solaneeu  über- 
ein. Mit  dieser  Gattung  hat  bereits  Agardh 
Sclerophylax  verglichen,  und  glaubt,  jedoch  ohne 
eigene  Beobachtungen  zu  besitzen ,  den  Typus 
der  Boragineen  darin  zu  erkennen  (Theoria 
sygtematis,  p.  194),  wobei  er  ein  Hauptgewicht 
darauf  legt,  daß  bei  diesen  und  den  Hydro- 
phylleen  die  Eier  epitrop  seien ,  die  er  in  den 
meisten  andern  sympetalischen  Familien ,  und 
namentlich  auch  bei  den  Solaneen,  apotrop  ge- 
fanden hatte. 

Als  ich  nach  meiner  Untersuchung  aus 
andern  Gründen  zu  einem  ähnlichen  Ergebniß, 
wie  Agardh,  gelangt  war  und  Sterrhymenia  den 
Hydrophylleen  anreihte  (PL  Lorentzianae,  p. 
16.  183),  bemerkte  ich  zugleich,  daß  zwischen 
diesen  und  den  Boragineen  keine  scharfe  Grenze 
Torhanden  sei  und   daß  nur  der  axile,  von  flei- 

19* 


224 

schigem  Albumen  umschlossene  Embryo  mich 
veranlasse,  die  Gattung  den  erstem  anzuschließen. 
Damals  war  mir  die  als  Boraginee  aus  der 
Gruppe  der  Ehretieeu  allgemein  anerkannte  und 
mit  Sclerophylax  in  denselben  Gegenden  Ar- 
gentiniens einheimische  Gattung  Cortesia  noch 
nicht  vorgekommen,  die  erst  späterhin  von  Pro- 
fessor Hieronymus  in  der  Gegend  von  Cordoba 
aufgefunden  wurde  und  deren  bis  jetzt  nicht 
richtig  verstandener  Bau  auf  die  Stellung  von 
Sclerophylax  ein  unerwartetes  Licht  wirft. 

Miers  hat    auch  von  Cortesia   eine  ausführ- 
liche Analyse  veröffentlicht  und  Cavanilles'  ältere 
Darstellung    zu    vervollständigen    gesucht   (Con- 
tributions,  2.  p.  215.  tab,  83  B.),  aber  die  merk- 
würdigste   Eigenthümlichkeit    der  Gattung,    die 
von  ihm  zuerst  bemerkt  wurde ,    morphologisch 
nicht    zu  deuten   gewußt.     Diese   besteht  darin, 
daß  Miers  innerhalb  des  Organs,  welches  bisher 
als  Kelch  galt,  und  außerhalb  der  Corolla  blatt- 
artige Gebilde  fand,    die  aus  einem  zarten,    fa- 
denförmigen Unguis  in  einen  rhombisch   gestal-     i 
teten,  zugespitzten  Laminartheil  auslaufen,   und     j 
die    er    als    Appendices    bezeichnet,    ohne   ihre     { 
Lage  und  Bedeutung  näher   festzustellen.     Ben-     ' 
tham  und  Hooker  haben  diese  Orgaue,  die  auch    ' 
auf  Miers'   Steintafel    ungenau    gezeichnet    sind    [ 
(Fig.  4),  nicht  aufzufinden  vermocht  und  sprechen    jj 
den   Zweifel    aus,    ob    es   nicht    monströse   Bil-     ] 
düngen   gewesen   sein    möchten   (Gen.   plant.    2,    i: 
p.  841):    aber    dieser   Einwurf  ist    unbegründet     ' 
und  rührt  nur  daher,  daß  sie  frühzeitig  entfernt    ,^ 
werden    und    an  der  aufgebrochenen  Blüthe  be-    '^ 
reits    verschwunden    sind.      Glücklicher    Weise    'A 
fanden    sich   an   den   von  Hieronymus   mir  mit-     i 
getheilteu  Exemplaren  zwei  Blüthenknospen,  an    ii 
denen    die    zweifelhaft   gebliebeneu   Appendices    -^i 


225 

als  selbständige  Kelchorgane  von  ungewöhnlicher 
Form  unmittelbar  unter  der  Corolle  am  Torus 
befestigt  sich  zeigten ,  während  ihre  behaarten 
Laminartheile  über  der  Knospe  imbrikativ  ver- 
schränkt sind,  so  daß,  wenn  die  Corolle  sich 
durch  ihr  Wachsthum  verlängert,  diese  Kuospen- 
decke  einen  Druck  erfährt,  der  vermuthlich  die 
Veranlassung  ist,  daß  die  zarten  üngues  von 
ihrem  Insertionspunkt  oder  auch  in  ihrer  Con- 
tinuität  abreißen  und  somit  das  ganze  Gebilde 
mehr  oder  weniger  vollständig  abgeworfen  wird. 
Hiebei  ist,  um  die  Homologie  desselben  mit 
einem  Kelche  vollends  zu  begründen,  noch  be- 
sonders erwähnenswerth,  daß  ich  in  beiden 
Knospen  die  Zahl  dieser  Organe  den  Abschnitten 
der  Corolle  entsprechend  fand;  die  Angabe  bei 
Miers,  daß  5  bis  10  Appendices  vorkommen 
sollen,  von  denen  einige  rudimentär  blieben, 
wird  hiedurch  also  nicht  bestätigt  und  möcht« 
dadurch  zu  erklären  sein ,  daß  die  Rest«  von 
abgerissenen  üngues  leicht  mit  den  Haaren  des 
die  Blüthe  umschließenden  Organs  verwechselt 
werden  können.  Dieses  röhrenförmige  Organ, 
von  ungewöhnlich  fester  Textur  und  innen  mit 
anliegenden  Borsten  bekleidet,  bisher  als  Kelch 

fedeutet,  würde,  wenn  die  Appendices  getrennte 
^Ichblätter  sind,  als  eine  luvolucralbildung  be- 
trachtet werden  können ,  welche  nach  dem  Ver- 
lust des  Kelchs  die  Funktionen  desselben  auch 
noch  bei  der  Fruchtreife  übernimmt.  Diese 
I  Auffassung  wird  dadurch  unterstützt,  daß  zwi- 
schen demselben  und  der  Blüthe  ein  kurzes 
Internodium  sich  findet,  welches  nach  oben  durch 
den  wirklichen  Kelch  und  die  Corolle  abge- 
schlossen ist  und  von  Miers  bereits  ungenau  als 
Carpophorum  aufgefaßt  wurde  (>Ovarium  tur- 
binato-stipitatum«) ,    indem   er   nicht  bemerkte, 


226 

daß  dasselbe  unterhalb  der  ganzen  Blüthe  liegt. 
Außerdem  ist  auch  die  Zahl  der  Glieder,  aus 
denen  das  Involucrum  zusammengesetzt  ist  und 
die  an  dessen  Spitze  sieh  zu  kleinen  Zähneu  ab- 
sondern, gegen  die  Ansicht,  daß  es  ein  äußerer 
Kelch  sei,  von  Bedeutung.  Miers  giebt  die  An- 
zahl dieser  Zähne  zu  10  bis  15  an :  auch  ich 
fand  sie  schwankend,  aber  an  der  Mehrzahl  der 
Blüthen  nur  7  oder  8  und  nur  in  einem  Falle 
10.  Betrachtet  man  die  Zahl  8  als  die  typische, 
so  würde  diese  den  am  Blüthenstiel  zu  2  oder 
4  genäherten  oder  sogar  opponirten  Blättern 
entsprechen,  wogegen  die  Alternanz  mit  den 
fünfgliedrigen  Blüthenwirteln  ausgeschlossen  ist. 
Nach  diesen  Erörterungen  würde  der  Charakter 
von  Cortesia  sich  bedeutend  weiter  von  den 
übrigen  Ehretieen  entfernen,  als  bisher  ange- 
nommen wurde,  aber  dabei  ist  zu  erinnern,  daß 
auch  die  mit  Cordia  verwandten  Gattungen  dem 
Typus  der  Boragineen  gegenüber  in  der  ver- 
schiedenartigen Bildung  des  auswachsenden  Kelchs 
anomal  sind  und  daß  sowohl  Patagonula ,  wie 
Saccellium ,  gleich  Cortesia  und  Sclerophylax, 
in  den  nordwestlichen  Provinzen  Argentiniens 
einheimisch  sind. 

Cortesia  Cav.  (char.  reform.) 
Calyx  5phyllus,  inaequalis,  unguibus  te- 
nuissime  filiformibus  apice  in  limbos  rhombeo- 
cuspidatos  supra  corollam  nascentem  imbri- 
cativos  dilatatis  eaque  crescente  deciduis,  invo- 
lucello  tubuloso  duro  intus  strigoso  apice  plicato 
8  (7 — »15«)denticulato  iuternodio  brevi  tur- 
binato  a  flore  remoto  circa  drupam  persistente 
cinctus.  Corolla  regularis,  infundibuliformis,  . 
limbo  5partito  imbricativo.  Stamina  5,  iuae- 
qualia  ,  exserta ,  versus  medium  tubum  corollae 
iuserta,    filamentis    aestivatione    curvato-inflexis 


227 


basi  in  uodulum  incrassatis,  2 — 3  loogioribos, 
autheris  iucumbentibus  bilocularibus ,  localis 
distinctis  rima  profunde  sulcatis.  Ovarinm  supe- 
vum,  subglobosum,  biloculare,  localis  semisepto 
(livisis  biovulatis,  ovalis  ex  apice  loculi  pendulis. 
Stylus  terminalis,  crassiusculus,  ad  V«  bifidus  et 
incnrvatus,  ramis  inflexis  apice  in  stigma  patel- 
liforme  pallidum  dilatatis.  Drupa  involucello 
campanulato  semiinclusa ,  »dipyrena ,  pyrenis 
bilocularibus  dispermis.  Semina  oblongo-linearia, 
exalbuminosa  (sec.  icon.),  radicula  brevi  supera«. 
Wenn  schon  die  Vergleichung  der  Vegeta- 
tionsorgane ,  der  Sproßbildungen  und  der  In- 
florescenz  eine  Verwandtschaft  Fon  Cortesia  und 
Sclerophylax  nicht  verkennen  läßt,  so  geht  dies 
mit  größerer  Entschiedenheit  aus  der  folgenden 
Zusammenstellung  ihrer  Blüthencharaktere  her- 
vor, denen  ich  die  Verschiedenheiten  ihres  Baus 
abgesondert  anreihe; 


Cortesia 
Calyx  inaequalis 


cadacDs, 
involucel- 
lo tubalo- 
80  cinctas. 
infondibu- 
lifonnis, 


CoroUa  regularis, 

limbo  imbricativo 

Spartito. 

Stamina  5 ,   inae- 

qualia,  aestivatione 

inflesa ,   tubo  co- 

rollae    versus   me- 
dium inserta,  exserta. 
Antheramra     lo- 
culi     distincti, 
ovoidei,  rima  pro- 
funda sulcati. 

Ovarium  superum  biloculare. 


Sclerophylax. 
Calyx  bilabiatus    persistens, 
Dudns. 


Corolla  regularis,  tubuloso- 

^dentibus  5  imbri-  clavata. 

cativis. 

Stamina  5 ,   inae- 

qualia,  aestivatione 

jincurva,  tubo  co- 

jroUae  infeme  in- 

'  serta  inclusa. 

Antherarum    lo- 
culi distincti,  ovo- 
idei ,    rima    de- 
hiscentes. 

Ovarium  superum  incomplete 
biloculare. 


228 


Corteeia. 
Stylus  terminaliß, 


incurvaius 


Ovula   ex   apice 
ovarii  pendula 
Fructus  involucello 
indurato  semiin- 
clusus 


bifidus, 
stigmati- 
bus  patel- 
liformibus 

4. 


drupaceus, 
»bilocula- 
ris,  tetra- 
spermus«. 


Semen  pendulum  oblongo- 
lineare,ex- 
albumi- 
nosam, 

radicula  supera    brevi. 


Sclerophylax. 
Stylus  terminalis, 


incurvatus 


Ovula  ex  apice 
ovarii  pendula 
Fructus  calyce  in- 
durato inclusus 


Simplex, 
stigmate 
obtuso. 


utricularis, 
uni(»bi«)- 
locularis, 
mono(- 
»di«)sper- 
mus. 


Semen  pendulum  ovatum, 

albumino- 
sum,  em- 
bryone 
axili, 
cotyledo- 
nibus  ae- 
quilonga. 


radicula  supera 


Das  Ergebniß  dieser  Untersuchung  läßt 
sich  demnach  dahin  zusammenfassen,  daß  durch 
die  Verwandtschaft  beider  Gattungen  ein  neuer 
Beweis  für  die  enge  Verbindung  der  Boragineen 
mit  den  Hydrophylleen  gegeben  ist,  die  es  an- 
gemessen erscheinen  läßt ,  beide  Gruppen  zu 
einer  einzigen  zu  vereinigen.  Will  man  jedoch, 
wie  bisher,  die  Hydrophylleen  (mit  Einschluß  der 
Hydroleaceen)  abgesondert  bestehen  lassen ,  so 
würde  Sclerophylax  wegen  des  albuminosen 
Samens  als  anomale  Gattung  den  Schluß  der- 
selben und  Cortesia  das  Anfangsglied  der  Bora- 
gineen bilden  können. 


229 

Mittheilungen  aus  dem    pharmacolo- 
gischen  Institut    zu    Göttingen. 

Beobachtungen  zur  Pharmacologie 
des  Salicin. 

Von 

Professor  W.  Manne. 

In  den  letzten  Jahren  ist  das  vor  ungefähr 
einem  halben  Saeculum  aus  der  Weidenrinde  rein 
dargestellte,  als  Surrogat  des  Chinin  gepriesene 
und  nach  einem  kurzen  Modestadium  fast  ganz 
außer  Gebrauch  gekommene  Salicin  von  Neuem 
im  In-  und  Auslande  als  Antipyreticum  ganz  be- 
sonders zum  Ersatz  der  Salicylsäure  und  des 
Natriumsalicylats  dringend  empfohlen  und  viel- 
seitig benutzt  worden. 

Als  besondere  Vorzüge  vor  diesen  beiden 
heutigen  Lieblingen  der  antifebrilen  Therapie 
werden  zu  Gunsten  des  Salicin  angeführt,  daß 
es  selbst  in  sehr  großen  Dosen  den  Magen  gar 
nicht,  jedenfalls  nie  so  wie  die  Salicylsäure  be- 
lästige; ferner  daß  der  bittere  Geschmack  des 
Salicin  vielen  Patienten  weit  zusagender  sei,  als 
der  süßlich  fade,  bei  Manchen  nauseos  wirkende 
des  gelösten  Natriumsalicylats  und  endlich,  daß 
Salicin  sich  sehr  rasch  sowohl  bei  interner  wie 
bei  subcutaner  Application ,  ja  selbst  nach  di- 
recter  Injection  in  die  Blutbahn  zum  Theil  we- 
nigstens in  Salicylsäure  umsetze. 

Durch  die  Fähigkeit  sich  sehr  leicht  zu  zer- 
legen und  in  seinen  Spaltungsproducten  weiter 
umzusestzen  gewinnt  das  Salicin  für  den  Phar- 
macologen  ein  ganz  besonderes  Interesse.  Es 
gestattet  nämlich  wie  kaum  ein  anderes  Medica- 
ment  den  experimentellen  Nachweis  der  mannig- 


230 

fachen  Schicksale,  die  ein  Heilmittel  auf  seiner 
Wanderung  durch  den  Organismus  erfahren  kann. 
Wie  außerhalb  des  Körpers  das  Salicin ,  ab- 
gesehen von  einigen  anderen  hier  nicht  in  Frage 
kommenden  Urawandelungsproducten,  unter  dem 
Einfluß  von  Fermenten  und  rein  chemischen 
Agentien  sich  umsetzt 

1.  in  Saligeniu  oder  Oxybenzylalcobol 

o  H  iC)H 

und  Zucker;  ferner  durch  Oxydation 

2.  in  Salicylaldehyd  oder  salicylige  Säure 

und 

3.  in  Salicylsäure  CeHilp/-.  tt 

und  endlich  unter  Abgabe  von  Wasser  u.  Aufnahme 
von    Glyocoll   oder  Amidoessigsäure  | /^^^  tt    ^ 

4.  in  Salicylursäure  Ca  Hg  NO  4 

ebenso,  erleidet  es  bei  seinem  Durchgang  durch 
den  thierischen  Organismus  die  gleichen  Um- 
setzungen und  erscheint  im  Harn  theils  unzer- 
setzt,  theils  in  Gestalt  der  unter  1 — 4  genannten 
Körper. 

Merkwürdiger  Weise  unterliegt  nach  der  seit 
18  Jahren  herrschenden  Ansicht  das  Salicin  den 
genannten  Umsetzungen  nur  im  Organismus  des 
Menschen  und  der  Herbivoren,  durchwandert  da- 
gegen den  Körper  des  Hundes,  wenn  nicht  aller 
Carnivoren,  unverändert,  um  als  solches  im  Harn 
unzersetzt  wieder  zu  erscheinen. 

Diese  Lehre,  die  sich  in  allen  Handbüchern 
der  Arzneimittellehre  älteren  und  neuesten  Da- 
tums wiederfindet,  gründet  sich  auf  eine  experi- 
mentelle Untersuchung  von  Dr.  Scheffer,   die 


231 

mit  grossem  Fleiße  unter  Leitung  von  Prof.  K. 
P.  Falk  gearbeitet  ist  »Das  Salicin,  eine  phar- 
macologische  Monographie.  luaugural-Disserta- 
tion.  Marburg  18ü0.«  Die  betreffenden  An- 
gaben ,  auf  die  ich  in  mehrfaclier  Beziehung  zu- 
rückkommen muß,  lauten  S.  35  »Das  Salicin 
wird  im  Blute  des  Hundes  nicht  oder  so  gut 
wie  nicht  zersetzt,  im  Blut  des  Kaninchens  und 
des  Menschen  wird  es  aber  mit  Energie  zerlegt.« 
Verfasser  spritzte  einem  Hunde  eine  Lösung  von 
circa  2  Gramm  Salicin  in  das  Blut  und  unter- 
suchte vor  und  nach  der  Infusion  den  Urin.  Es 
gelang  ihm  sehr  bald  nach  der  Injection  mit 
Schwefelsäure  im  Urin  Rutilin  zu  bilden.  Eisen- 
chlorid dagegen  bewirkte  im  Urin  zuweilen  etwas 
dunklere  Färbung,  aber  zu  keiner  Zeit  die  cha- 
racteristisch  violette  Färbung,  welche  die  Zer- 
setzungsproducte  des  Salicin  im  Verein  mit  dem 
Eisenchlorid  hervorbringen. 

Hiernach  mußten  Hunde  die  geeigneten  Ver- 
suchsthiere  sein,  einmal  um  das  Salicin  als  Re- 
präsentant der  Medicamente  Digestiva  amara  in 
seinen  Wirkungen  auf  die  verschiedenen  Organe 
und  Systeme  des  Organismus  zu  studiren,  zweitens 
um  den  experimentellen  Beweis  zu  liefern  für 
die  aus  theoretischen  Gründen  allgemein  ange- 
nommene Ansicht,  daß  das  Salicin  nur  durch 
seine  Umwandelung  in  Salicylsäure  antipyretisch 
wirke. 

Nach  Versuchen  von  H.  Köhler  bewirken 
bittere  Mittel  »eine  Reizung  des  Gefäßnerven- 
centrum  in  der  Medulla  oblongata  bei  Gleich- 
bleiben der  Pulsfrequenz  und  Nichtafficirtwerden 
der  Herznerven  ^).«  »Reizung  dieses  Centrums 
ist,   fährt  derselbe  Autor   fort,    von  Steigerung 

1)  H.  Köhler,  Grundriß  der  Mat.  medioa,  Leipzig 
1878  S.  62. 


232 

des  Blutdrucks  im  gesammten  Blutgefäßsystem 
gefolgt  und  werden  demzufolge  sämmtliclie  Blut- 
gefäßdrüseu  stärker  secerniren.  Indem  somit 
Speichel-,  Magen-,  Pankreassaft  und  Galle  in 
größerer  Menge  als  in  der  Norm  abgesondert 
werden ,  wird  mehr  Chymus  gebildet ,  die  Blut- 
bildung befördert  und  die  Ernährung  begünstigt 
werden;  indem  aber  andererseits  auch  das  Blut 
in  den  Nierengefäßen  unter  höherem  Druck 
steht,  werden  auch  die  Excretionsorgane  eine 
erhöhte  Thätigkeit  zeigen  und  Diurese  und 
Schweißsecretion  vermehrt  werden  müssen.  Mit 
einem  Worte :  die  Amara  bedingen  eine  zu  Gun- 
sten der  Ernährung  ausschlagende  Förderung 
sowohl  der  progressiven  als  der  regressiven  Stoff- 
metamorphose.« 

Spritzten  wir  Hunden  vorsichtig  kleine  Dosen 
Salicin  gelöst  in  blutwarmer  0,5^/o  Kochsalz- 
lösung (oder  auch  in  aq.  dest.)  in  eine  V.  ju- 
gularis  ext.  ein,  so  zeigte  die  mit  Ludwig's 
Kymographium  aufgenommene  Blutdruckcurve 
durchaus  keine  Veränderung.  Sie  bleibt  auch 
ganz  constant,  wenn  man  die  Injection  im  Laufe 
einer  halben  oder  ganzen  Stunde  öfters  wieder- 
holt. Dies  Ergebniß  erhält  man  an  curaresirten 
und  künstlich  respirirten,  an  narcotisirten  und 
selbst  an  nicht  vergifteten  Thieren,  wenn  diese 
letzteren  sich  während  des  Versuches  ganz  ruhig 
verhalten.  Bei  Katzen  setzen  kleine  Dosen  Sa- 
licin gleichfalls  nicht  die  geringste  Veränderung 
des  Blutdrucks,  vorausgesetzt,  daß  die  Injection 
so  allmälig  geschieht,  daß  niemals  plötzlich  eine 
größere  Quantität  Flüssigkeit  ins  Herz  geschleudert 
wird.  Vorsichtig  injicirt  veranlassen  selbst  große 
Dosen  Salicin  bei  beiden  Carnivoren  keine  we- 
sentliche Aenderung  an  der  Blutdruckcurve,  wäh- 
rend  bei  Herbivoren,    Kaninchen    und    jungen 


I 

J 


2^ 

Ziegen,  dadurch  nach  einiger  Zeit  ein  Sinken 
des  Blutdrucks  erzielt  wird.  Weil  nach  interner 
Einführung  eines  bitteren  Mittels  durch  allmälig 
erfolgende  Resorption  möglicher  Weise  noch  viel 
kleinere  Dosen  als  nach  directer  Injection  in  ein 
Blutgefäß  zu  der  medulla  oblongata  gelangen 
und  weil  durch  solche  vielleicht  eine  Erregung 
des  vasomotorischen  Centrum  bedingt  werden 
könnte,  haben  wir  zunächst  bei  curaresirten, 
künstlich  respirirten  Katzen  den  Blutdruck,  nach- 
dem kleine  (0,1)  und  größere  Dosen  (0,5 — 1,0)  Sali- 
cin  (natürlich  bei  verschiedenen  Thieren)  in  den 
Magen  in  Lösung  injicirt  oder  in  Pillen  mittelst 
Oesophagotomie  eingebracht  waren,  Stunden  lang 
verfolgt,  aber  auch  hierbei  an  der  Curve  ver- 
gebens nach  einer  Steigerung  des  Blutdrucks 
gesucht.  —  Nach  diesen  negativen  Ergebnissen 
kann  das  Resultat,  welches  Köhler  bei  seinen 
Versuchen  erhalten  hat,  die  mit  Cetrarin  und 
Columbiu  an  Kaninchen  angestellt  wurden,  nicht 
als  ein  für  alle  Amara  gültiges  Gesetz  hinge- 
stellt, noch  als  Basis  für  so  vielseitige  Folge- 
rungen benutzt  werden. 

Außer  diesen  hinsichtlich  des  Blutdrucks  ne- 
gativen Resultaten  haben  die  Versuche  an  Katzen 
ein  anderes  positives  ergeben.  Der  3  Stunden 
nach  der  internen  Application  von  Saliciu  ent- 
leerte Harn  wird  auf  Zusatz  von  Eisenchlorid 
abgesehen  von  dem  praecipitirten  Eisenphosphat 
sofort  violett  gefärbt.  Es  erfährt  also  das  Salicin 
auch  auf  seiner  Wanderung  durch  den  Organis- 
mus eines  ächten  Carnivoren  eine  Zerlegung. 
Diese  oft  wiederholte  Beobachtung  lenkte  die 
Untersuchung  natürlich  in  andere  Bahnen,  da 
sie  es  auch  bei  Fleischfressern  unmöglich  machte, 
das  Salicin  als  Amarum  in  seiner  Wirkung  auf 
Magen  und  Darmkanal  näher  zu  prüfen. 


234 

Zimäclist  drängte  sich  natürlich  die  P'rage 
auf,  ob  die  Katze  auch  das  ihr  direct  ins  Blut 
gebrachte  Salicin  umsetze.  Folgendes  Experi- 
ment,  oft  wiederholt,   giebt  darüber  Aufschluß. 

Einem  großen  nur  mit  Fleisch  und  Milch  gefütterten 
Kater  wird  Morgens  11  Uhr  1  Grm.  reines  Salicin^)  ge- 
löst in  15  CG.  Wasser  in  eine  V.  jugul  ext.  injicirt.  12 
Uhr  30  M.  erste  Harnsecretion ;  eine  Probe  desselben 
wird  durch  Eisenchlorid  nur  getrübt.  Der  Rest  des  Harns 
mit  angesäuertem  Aether  geschüttelt,  der  Aether  durch 
etwas  abs.  Alcohol  geklärt,  abgehoben  und  der  freiwil- 
ligen Verdunstung  überlassen,  der  Rückstand  mit  wenig 
Wasser  aufgenommen,  wird  durch  Eisenchlorid  grün. 
Der  nächste  Morgenharn  ebenso  mit  Aether  ausgezogen, 
gibt  einen  nach  Salicylaldehyd  riechenden  Rückstand  und 
wird  durch  Eisenchlorid  blau.  Um  Mittag ,  etwa  25  St. 
nach  der  Injection  wird  das  Thier  getödtet,  die  prall 
gefüllte  Blase  unterbunden,  der  Inhalt  gesammelt,  eine 
Probe  gibt  mit  Eisenchlorid  einen  schmutzig  grünlich 
grauen  Niederschlag ;  der  Aetherauszug  in  Wasser  aufge- 
nommen wird  durch  Eisenchlorid  intensiv  blau.  Die 
Aetherauszüge  des  Magen-  und  Dünndarminhaltes  enthalten 
keine  Salicinderivate. 

Auf  directe  Injection  von  Salicin  in  die  Blut- 
bahn -treten  bei  Katzen  im  Harn  spurweise  Zer- 
setzungsproducte  auf,  die  nur  im  Aetherauszüge 
nachweisbar  sind.  Wird  dagegen  Salicin  in  Lö- 
sung oder  in  Pulver  in  den  Magen  der  Thiere 
gebracht,  so  lassen  sich  die  Spaltungsproducte 
des  Glycosids  direct  im  Harn  constatiren. 

Da  nach  allen  bisherigen  Anschauungen  unter 
den  Carnivoren  nicht  solche  Verschiedenheiten 
wie  zwischen  ihnen  und  den  Herbivoreu  ange- 
nommen werden,  hielten  wir  es  für  nöthig  den 
Versuch    von    Falk  und  Scheffer  zu  wieder- 

1)  Blendend  weißes,  krystallisirtes  Salicin  von  E.  Merk 
bezogen  gab  bisweilen  eine  Lösung,  welche  durch  Eisen- 
cblorid  gebläut  wurde.  Hierdurch  veranlaßt ,  haben  wir 
immer  nur  mit  Aether  gereinigtes  Salicin,  dessen  Lösung 
sich  durchaus  indifferent  gegen  Fj  Clg  zeigte ,  zu  unseren 
Yersucben  benutzt. 


235 

holen,  zumal  beide  Autoren,  soviel  aus  der  Dis- 
sertation zu  ersehen  ist,  niemals  Aetherauszüge 
des  Harns  untersucht  haben. 

Es  wird  genügen  drei  Experimente  mitzu- 
theilen : 

1.  Vormittags  11  Uhr  wird  einem  kleinen  Hunde  1 
Grm.  Salicin  in  Aq.  dest.  in  eine  Jagularvene  gespritzt. 
Am  Morgen  des  2.  Versachstages  früh  8  Uhr  erste  Ham- 
secretion  (235  CC.  von  saarer  Reaction  und  1014  sp.  G.). 
Der  neutralisirte  Ilam  auf  dem  Wasserbade  eingeengt, 
nach  dem  Erkalten  mit  angesäuertem  Aether  behandelt ; 
der  verdunstete  Aether  hinterläßt  einen  Bückstand,  dea 
Eisenchlorid  blau  färbt.  Am  3.  Tage  werden  690  C.C. 
Harn  direct  mit  angesäuertem  Aether  ausgeschüttelt;  der 
Aetherrückstand  wird  durch  Eisenchlorid  blau.  Am  4. 
Tage  zeigen  710  C.C.  Harn  von  1010  sp.  G.  dasselbe 
Verhalten.  Den  folgenden  Tag  gibt  der  Aetherrückstand 
von  540  C.C.  Harn  mit  Eisenchlorid  nur  braune  Färbung  ; 
•  benso  am  6.  7.  und  8.  Versnchstage. 

2.  Großer,  nur  mit  Fleisch  und  Milch  gefütterter 
-^chäferhuiid,  erhält  am  1.  Tage   Morgens   11  Uhr  30  M. 

n  eine  Scheukelvene  3  Grm.  reines  Salicin.  Kurz  vor 
der  Injection  sehr  reichliche  Hamsecretion.  Nach  der 
Operation  frißt  der  Hund  1  Pfund  Fleisch,  läßt  die  vor- 
gesetzte Milch  stehen.  Setzt  erst  am  2.  Tage  früh  9  Uhr 
98  C.C.  hochgestellten,  sauren  Harn  von  1030  sp.  G.  ab, 
welcher  weder  bei  directer  Prüfuner  mit  Flj  Clg  und  SO4 
H,,  noch  im  aetherischen  Auszug  irgend  eine  auf  Salicin- 
derivate  deutende  Reaction  gibt  Nachmittags  2  Uhr  des- 
selben Tages  296  C.C.  Harn  voa  saurer  Reaction  1028 
sp.  G.  und  ganz  demselben  Verhalten  wie  der  Morgen- 
ham.  Am  3.  Tage  früh  nur  46  C.C.  Harn  und  gegen  12 
IJhr  278  C.C.  sauren  Harn  von  1026  sp.  G.  Auch  diese 
Portionen  zeigen  im  Aetherauszüge  keine  Spur  von  Sali- 
cinzerlegung.  Nun  erhält  derselbe  Hund  Morgens  12  Uhr 
per  OS  2,5  Gr.  reines  Salicin  in  Fleischboli  und  gegen 
Abend  desselben  Tages  nochmals  dieselbe  Dosis.  Erst 
am  nächsten  Morgen  (4.  Tag)  früh  8  Uhr  15  M.  läßt  er 
Harn  (182  C.C.  stark  sauer,  von  1026  sp.  G.);  eine  Probe 
auf  weißem  Porzellanteller  ausgebreitet  und  mit  ver- 
dünntem möglichst  neutralem  Eisenchlorid  versetzt ,  gibt 
außer  dem  unvermeidlichen  Niederschlag  eine  schwach 
violette  Färbung;  der  übrige  Harn  gibt  im  Aetherauszug 
möglichst  intensive  Salicylreaction.     Nachmittags  4  Uhr 


236 

45  M.  die  zweite  Harnsecretion  (228  C.C.  sauer,  1028  sp. 
G.)  eine  Probe  mit  verdünntem  Eisenchlorid  versetzt 
■wird  sofort  dunkelveilchenblau. 

3.  Ein  nur  mit  Fleisch  und  Milch  gefütterter  Hund 
erhält  Morgens  9  Uhr  45  M.  3  Grm.  reines  Salicin  in 
Fleischboli;  läßt  4  Uhr  45  M.  den  ersten  Harn.  (448 
C.C.  sauer.  1015  sp.  G.),  er  wird  mit  angesäuertem  Aether 
geschüttelt;  eine  kleine  Probe  des  Aethers  verdunstet, 
der  Rückstand  färbt  sich  mit  FejClj  intensiv  blau;  der 
übrige  Aether  aufgehoben  und  der  Harn  wiederholt  mit 
neuen  Aethermengen  geschüttelt  bis  eine  Probe  nicht 
mehr  gebläut  wird.  Nachmittags  erhält  der  Hund  wieder 
3  Grm.  reines  Salicin.  In  der  nächsten  Nacht  läßt  der 
Hund  viel  Harn,  (1130  C.C.  sauer.  1013  sp.  G.)  er  wird 
wie  der  gestrige  mit  angesäuertem  Aether  vollständig 
ausgeschüttelt,  der  Aether  mit  dem  gestrigen  vereinigt. 
In  gleicher  Weise  wird  am  3.  4.  und  5.  Versuchstage 
verfahren  und  weiter  kein  Harn  gesammelt.  Die  verei- 
nigten Aethermengen  werden  mit  Aq.  destill,  versetzt  und 
nun  bei  gelinder  Wärme  der  Aether  abdestillirt.  Eine 
kleine  Probe  des  wässerigen  Rückstandes  wird  durch 
Eisenchlorid  tief  dunkelblau,  eine  andere  nach  vorsich- 
tigem Eintrocknen  durch  conc.  Schwefelsäure  characteri- 
stisch  rosenroth.  Der  ganze  wässerige  Rückstand  wird 
in  kleinem  Kolben  aus  dem  allmälig  erhitzten  Oelbad 
weiter  destillirt.  Bei  etwa  180  —  182°  C.  sieht  man  mit 
den  Wasserdämpfen  (der  Kühler  ist  von  Glas)  oelige 
Tropfen  übergehen;  das  Destillat  in  neuer  Vorlage  ist 
leicht  getrübt,  riecht  characteristisch  nach  bitteren  Man- 
deln ;  eine  Probe  wird  durch  Eisenchlorid  intensiv  violett- 
blau. Der  Hund  hatte  also  jedenfalls  das  Salicin  ge- 
spalten, im  Aetherauszug  des  Harns  sind  Saligenin  und 
Salicylige  Säure  constatirt ;  nach  Salicylsäure  wurde  nicht 
gesucht. 

Aus  diesen  Versuchen  ergiebt  sich,  daß  im 
Hundeblut,  wie  auch  Falk  und  Schaff  er  an- 
nehmen, Salicin  gar  nicht  oder  so  gut  wie  nicht 
zerlegt  wird ,  daß  dagegen  der  Hund ,  wenn  er 
Salicin  innerlich  in  Substanz  erhält,  das  Salicin 
umsetzt  und  Salicinderivate  mit  dem  Harn  aus- 
scheidet. Wie  der  Hund  verhält  sich  auch  die 
Katze.  Ich  kann  hinzufügen ,  daß  auch  fleisch- 
fressende   Vögel,    (Krähen)   Salicin,    was    ihnen 


99? 

innerlich  beigebracht  wird,  zersetzen.  KSrner- 
fresser,  (Tauben  and  Hühner)  zersetzen  es  ra- 
scher und  selbst  dann  wenn  es  ihnen  subcutan 
injicirt  wird. 

Im  Gegensatz  hierxu  stehen  die  Schlußfol- 
gerungen von  Scheffer.  Nach  seinen  Ver- 
suchen wird  nicht  nnr  im  Blute,  son- 
dern auch  im  Körper  des  Hundes  so  gut 
wie  kein  Salicin  zerlegt.  Im  Darm  und 
Magen  wird  es  weder  verändert  noch  zersetzt, 
sondern  ans  den  ersten  Wegen  unverändert  in 
das  Blut  übergeführt.  Der  Beobachtung  von 
Staedeler,  daß  Salicin  durch  Speichel  zersetzt 
wird,  soll  keine  physiologische  Bedeutung  zu- 
kommen, weil  nach  Controlversuchen  von  Prof. 
Falk  Speichel  (außerhalb  des  Körpers)  erst  nach 
12stündiger  Digestion  Salicin  in  Spuren  zersetzt 
und  weil  anderseits  schon  30  —  45  Minuten  nach 
dem  Einnehmen  des  Salicin  Zersetzungsproducte 
im  Harn  des  Menschen  nachweisbar  sind.  Eben- 
sowenig soll  dem  Magensaft,  der  Galle  und  dem 
pancreatischen  Saft  ein  zersetzender  Einfluß  auf 
das  in  die  ersten  Wege  gebrachte  Salicin  zu- 
kommen. Sehe  ff  er  spritzte  eine  Lösung  von 
Salicin  durch  den  After  in  den  Darm  des  Menschen 
und  fand  danach  im  Criu  dieselben  Stoffe  wie 
nach  der  Einführung  in  den  Magen.  Dies  wäre 
nach  seiner  Auffassung  unmöglich ,  wenn  der 
Magensaft  oder  die  Galle  oder  der  pancreatische 
Saft  einen  besonderen  Einfluß  auf  das  Salicin 
ausübten.  Auch  die  Schleimhaut  des  Darms 
darf  nachScheffer  nicht  als  Zersetzungsmittel 
des  Salicius  angesehen  werden,  weil  eine  von  ihm 
in  das  Rectum  injicirte  und  nach  \''i — 1  Stunde 
wieder  entleerte  Salicinlösung  keine  Zersetznngs- 
prodncte  enthielt.  Hierdurch  glaubt  Scheffer 
coustatirt  zu  haben,    daß  in   den  ersten  Wegen 

20 


238 

des  Hundes  Salicin  unzersetzt  bleibt  und  schließen 
zu  dürfen,  daß  es  in  den  ersten  Wegen  des 
Menschen  auch  nicht  zerlegt  wird.  S.  34.  1.  c. 
Noch  ein  Experiment  muß  ich  erwähnen, 
mit  welchem  Sehe  ff  er  den  ziemlich  raschen 
Uebergang  einer  Salicinlösung  aus  den  ersten 
Wegen  ins  Blut  darthut,  weil  auch  dieses  als 
Beweis  gegen  jede  Zersetzung  des  Salicin  in  den 
ersten  Wegen  gedeutet  werden  könnte.  »Ein 
Hund,  dem  4  Grm.  Salicin  in  wäßriger  Lösung 
in  den  Magen  gespritzt  waren,  wurde  3  Stunden 
später  geschlachtet  und  secirt.  Magen  und  Dünn- 
darm dieses  Thieres  waren  so  gut  wie  ausge- 
waschen, weder  von  Salicin  noch  von  Zersetzungs- 
producten  war  in  den  ersten  Wegen  eine  Spur 
zu  finden«.  Da  der  leere  Magen  und  Darm  nichts 
mehr  enthielten  und  in  diesem  Versuche  keine 
Untersuchung  des  Harns  vorliegt,  vermuthlich 
weil  der  Hund  innerhalb  der  3  Stunden  nach 
der  Injection  Harn  weder  se-  noch  excernirt 
hatte,  so  kann  dieses  Experiment  als  stringenter 
Bewei?  gegen  die  Möglichkeit  einer  Zersetzung 
des  Salicins  in  den  ersten  Wegen  des  Hundes 
ebenso  wenig  angesehen  werden  wie  die  vorher 
angeführten.  Denn  wenn  auch  außerhalb  des 
Körpers  der  Speichel  erst  in  12  Stunden  das 
Salicin  zersetzt,  so  folgt  daraus  nicht,  daß  inner- 
halb des  Organismus  der  Proceß  ebenso  träge 
verläuft.  Treten  nach  der  Injection  einer  Sali- 
cinlösung in  das  Rectum  Spaltungsproducte  im 
Harn  auf,  so  spricht  das  nur  dafür,  daß  die  Zer- 
setzung auch  ohne  Mitwirkung  des  Dünndarm- 
und Pancreassecrets  erfolgen  kann.  Der  Befund, 
daß  die  Salicinlösung,  welche  eine  längere  Zeit 
in  dem  Rectum  verweilt  hat ,  keine  Spaltungs- 
producte enthält,  macht  es  allerdings  wahrschein- 
lich,   daß   die  Secrete   der  Rectum -Schleimhaut 


keine  Zersetzung  veranlassen,  obwohl  nicht  über- 
sehen werden  darf,  daß  etwa  entstandene  Zer- 
setzungen rasch  resorbirt  werden  und  deßhalb 
aus  der  Salicinlösung  verschwinden  können. 

Es  läßt  sich  direct  beweisen,  daß 
das  Salicin,  wenn  es  bei  Hunden  und 
Katzen  in  die  obere  Hälfte  des  Dünn- 
darms gelangt,  hier  schon  eine  theil- 
weise  Zersetzung  erfährt. 

Zum  Belege  führe  ich  einige  an  Katzen  an- 
gestellte Versuche  an,  die  alle  an  Hunden  mit 
gleichem  Erfolge  wiederholt  worden  sind. 

1.  Einer  Katze  wird  1  Uhr  30  M.  1  Grm.  reines  Sa- 
licin in  Wasser  gelöst  in  den  Mageo  gespritzt.  Weil  bei 
anderen  Katzen  eine  solche  Injection  bisweilen  emetisch 
gewirkt  hatte,  wird  der  Oesophagus  unterbunden  und  in 
den  oberen  Theil  desselben  eine  Canüle  eingelegt,  um 
den  verschluckten  Speichel  aus  der  Wunde  abzuleiten. 
3  Uhr  15  M.  das  Thier  getödtet.  Der  Harn  aus  der  ge- 
füllten Blase  wird  durch  Eisenchlorid  sofort  violettblau. 
Der  Dünndarm  am  Pylorus,  vor  der  Einmündung  in  den 
Dickdarm  und  ungefähr  in  der  Mitte  doppelt  unterbunden. 
Der  Inhalt  beider  unterbundenen  Theile  in  je  ein  Becher- 
glas mit  Aqua  destillat  von  37,5°  C  ausgespült  und  mit 
Aether  ausgeschüttelt.  Das  Extract  der  unteren  Dünn- 
darmhälfte ohne  jede  Spur  von  Salicinderivaten ,  das  der 
oberen  Hälfte  wird  in  einer  ersten  Probe  durch  Eisen- 
chlorid blau,  in  einer  zweiten  durch  conc.  Schwefelsäure 
rosenroth ,  enthält  also  jedenfalls  ein  Spaltungsproduct, 
wahrscheinlich  das  in  Aether  lösliche  durch  die  beiden 
Reactionen  gekennzeichnete  Saligenin. 

2.  Einer  Katze  wird  1  Uhr  30  M.  durch  eine  Oeffnung 
in  der  Linea  alba  der  Düundarm  unterhalb  des  Pylorus 
und  oberhalb  der  Valv.  Bauhini  unterbunden  und  m  den 
Darm  0,5  reines  Salicin  io  10  C.C.  Wasser  gelöst  mittelst 
feiner  Stechkanüle  injicirt  und  die  Bauchwunde  geschlossen. 
8  ühr  30  M.  das  Thier  getödtet,  der  Dünndarm  auch  in 
der  Mitte  unterbunden  und  beide  Theile  wie  vorher  be- 
handelt.    Resultat  dasselbe  wie  im  1.  Experiment. 

3.  Eine  seit  8  Tagen  wie  die  beiden  vorigen  Thiere 
nur   mit  Fleisch   und   Milch   gefütterte  Katze ,   getödtet. 

20* 


240 

Der  Dünndarm  in  der  Mitte  unterbunden ,  etwas  unter' 
halb  des  Pylorus  eine  wäßrige  Lösung  von  0,5  reinen  Sa- 
licin  injicirt  u.  der  Darm  dicht  unterhalb  des  Einstichs 
unterbunden.  Das  unterbundene  Darmstück  in  einer 
0,5  %  reinen  Kochsalzlösung  eine  Stunde  lang  bei  37,5"  C. 
digerirt,  dann  der  Inhalt  nach  dem  Erkalten  mit  mög- 
lichst wasserfreiem  Aether  ausgeschüttelt.  Der  Aether- 
rückstand  wird  durch  Eisenchlorid  blau  und  mit  conc. 
Schwefelsäure  roth. 

Nach  diesen  Versuchen  kann  es  keinem  Zwei- 
fel unterliegen ,  daß  das  Salicin  in  der  oberen 
Hälfte  des  Dünndarms  zersetzt  wird.  Höchst 
wahrscheinlich  erfolgt  diese  Umsetzung  unter 
dem  Einfluß  der  in  diesen  Darmabschnitt  sich 
ergießenden  Drüsensecrete ,  obgleich  auch  noch 
andere  Agentien  die  Zersetzung  begünstigen 
können.  Wäßrige  Salicinlösuugen  zerlegen  sich 
au  der  Luft,  wie  Moitessier  gefunden  hat, 
unter  dem  Einfluß  von  Schimmelpilzen ,  unter 
dem  Einfluß  von  Bierhefe  bei  Gegenwart  von 
Natriumbicarbonat,  wie  Ranke  beobachtet  hat. 
Wir  haben  die  Zersetzung  auch  ohne  Natrium- 
salz eintreten  gesehen. 

In  eine  reine  72  Stunde  in  Siedhitze  erhaltene,  dann 
auf  ihre  Reinheit  geprüfte  Salicinlösung  wurde  gut  ge- 
waschene Bierhefe  gebracht  und  das  Kölbchen  mit  Baum- 
wolle die  auf  110"  erhitzt  war  verschlossen.  Schon  nach 
12  Tagen  war  Haligcnin  und  Zucker  gebildet. 

Außerdem  bewirken  aber  auch  Bacterien, 
wenn  sie  unter  gleichen  Cauteleu  zu  einer  Sali- 
cinlösung gebracht  werden,  schon  nach  10  Tagen 
die  Spaltung  in  Saligenin  und  Zucker.  —  Mög- 
licher Weise  begünstigen  die  im  Darme  nie  feh- 
lenden Bacterien  die  Spaltung  des  Salicin.  Daß 
sie  allein  aber  in  so  kurzer  Zeit  die  Zersetzung 
nicht  bewirken,  geht  aus  dem  oben  bereits  ange- 
führten Verhalten  des  Salicin  im  unteren  Dünn- 
darm hervor  und  wird  durch  das  folgende  öfter 
wiederholte  Experiment  bekräftigt. 


241 

Eine  5  %  Salicinlösung  in  die  untere  Hälfte  des  an» 
terbnndenen  Dünndarms  eines  lebenden  Hundes  gespritzt 
und  nach  2  Stunden  entleert,  zeigt  nur  unveränderte« 
Salicin. 

Nicht  nur  Warmblüter,  sondern  auch  Kalt- 
blüter zerlegen  das  ihnen  applicirt«  reine 
Salicin.  Durch  wiederholte  Versuche  habe 
ich  mich  überzeugt ,  daß  Frösche  und  Kröten, 
nachdem  ihnen  Salicin  in  wäßriger  Lösung  unter 
die  Rückenhaut  gespritzt  ist,  innerhalb  24  Stun- 
den ein  mit  Eiseuchlorid  sich  blau  färbendes 
Spaltungsproduct  mit  dem  Harn  in  das  sie  um- 
gebende Wasser  secerniren.  Da  namentlich 
Frösche,  wie  bekannt,  die  Exstirpation  der  gro- 
ßen Unterlei bsdrüseu  ertragen  und  auch  Tage 
lang  ohne  Athmung  leben,  wünschte  ich  festzu- 
stellen, ob  die  Thiere  auch  unter  solchen  künst- 
lich gesetzten  Bedingungen  Salicin  zerlegen  und 
veranlaßte  deßhalb  Herrn  Wulfsberg  zu  nach- 
stehenden Versuchen,  die  im  Winter  18^V""  aus- 
geführt wurden. 

1.  Curaresirten  Fröschen  wird  reines  Salicin  in  wät- 
riger  Lösung  unter  die  Rückenhaut  gespritzt,  die  Thiere 
sorgfältig  in  feuchter  Kammer  erhalten  und  nach  zwei 
Tagen  getödtet ,  fein  zerkleinert  und  mit  Aether  ausge- 
schüttelt. Der  Aetherrückstand  wird  durch  Eisen- 
chlorid blau. 

2.  Einer  größeren  Anzahl  von  Fröschen  (21)  wird 
Salicin  wie  vorher  applicirt.  Jedes  Thier  in  ein  hohes 
Cylinderglas  mit  etwas  Aq.  destill,  gebracht  und  nach 
24  Stunden  das  Wasser  mit  Aether  extrahirt.  Aether- 
rückstand wird  durch  Eisenchlorid  blau  und  durch  conc. 
Schwefelsäure  roth. 

3.  Salicin  (0,5  in  15  CC.  Kochsalzlösung  von  0,5  %) 
mit  frischem  Froschblute  versetzt,  gibt  nach  24  Stunden 
an  Aether  kein  Spaltungsproduct  ab. 

Ebenso  verhält  sich  eine  wäßrige  Salicinlösung  gegen 
Blut. 

4.  Eine  gleiche  Salicinlösung  mit  frischen  Häuten 
von  Fröschen  hingestellt.  Nach  24  Stunden  das  Wasser 
wie  vorher  bebandelt.    Aethereztract  ohne  Beaction. 


242 

5.  Eine  gleiche  Salicinlösung  zu  Wasser  gesetzt, 
•worin  Frösche  längere  Zeit  gelebt  hatten.  Nach  24 
Stunden  enthält  dasselbe  kein  Salicinspaltangsproduct, 

6.  Sechs  männliche  Frösche  entlebert  und  Mittags 
12  Uhr  am  29./11.  76  jedem  subcutan  0,022  reines  Sa- 
licin  in  wäßriger  Lösung  unter  die  Rückenhaut  gespritzt 
und  alle  in  Wasser  gesetzt;  nach  24  Stunden  wird  der 
Aetherauszug  des  Wassers  durch  Eisenchlorid  blau.  Am 
30./11.  erhalten  die  Thiere  wieder  0,022  Salicin  und  24 
Stunden  später  verhält  sich  das  erneute  Wasser  wie  das 
erste.  Am  2./ 12.  wurden  die  Thiere  decapitirt.  Die 
Section  zeigt  bei  allen  vollständig  gelungene  Exstirpation 
der  Leber. 

7.  Dasselbe  Experiment  an  8  männlichen  Fröschen 
am  6./ 12.  wiederholt,  nur  mit  dem  Unterschied,  daß  das 
Wasser  die  ersten  3  Tage  jedesmal  erneuert  und  jeden 
Tag  jedem  Thier  0,29  Salicin  injicirt  wird.  Vom  3.  bis 
5.  Tage  wird  das  Wasser  nicht  erneuert,  dasselbe  wird 
dann  am  6.  Tage  bei  directem  Zusatz  von  Eisenchlorid 
violettblau.  —  Bei  der  Section  zeigten  mehrere  Thiere 
die  Harnblase  gefüllt,  deren  Inhalt  durch  Eisenchlorid 
gebläut  wurde. 

8.  Controlversuch :  8  Frösche  mit  Salicininjection 
versehen  und  in  Wasser  gesetzt.  Eine  Probe  des  Was- 
ser nach  24  Stunden  zeigt  nur  im  Aetherextract  Blau- 
färbung.; eine  zweite  nach  48  Stunden  desgleichen.  Nach 
72  Stunden  wird  das  Wasser  auf  directen  Zusatz  von 
Eisenchlorid  gebläut. 

9.  Acht  Frösche  gen.  masc.  entniert  und  mit  Salicin- 
lösung versehen.  28./12.  —  Jeden  Tag  wird  die  Ein- 
spritzung wiederholt  und  das  umgebende  Wasser  mit 
Aether  ausgezogen.  Es  zeigt  während  des  ganzen  Ver- 
suches niemals  eine  Reaction  auf  Eisenchlorid.  Am  2. 
Januar  sind  3  Thiere  todt.  Sie  zeigen  starkes  Anasarca, 
welches  durch  conc.  Schwefelsäure  roth  und  durch  Ei- 
senchlorid nicht  gebläut  wird.  Die  todten  Thiere  wer- 
den fein  zerkleinert  und  mit  Aether  extrahirt,  der  Aether 
conservirt.  Am  3./1-  stirbt  wieder  ein  Thier,  dessen  Ana- 
sarca dasselbe  Verhalten  zeigt.  Der  Aetherauszug  wird 
mit  dem  gestrigen  vereinigt.  Am  4.  starben  die  beiden 
letzten  Thiere.  Die  Anasarceflüssigkeit  wird  durch  Ei- 
senchlorid ganz  schwach  blau  und  mit  conc.  Schwefel- 
säure roth.  Der  Aetherauszug  der  Thiere  wird  mit  den 
beiden   früheren    vereinigt ,    der  Aether   der  freiwilligen 


I 


243 

Verdanstang  überlaesen,  der  Rückstand  in  Wasser  aofge- 
nommen,  weil  sehr  trübe,  filtrirt  und  das  Filtrat  noch- 
mals mit  Aether  ausgeschüttelt.  Der  jetzt  erhaltene 
Bückstand  wird  durch  Eisenchlorid  blau.  —  Diese 
Frösche  hatten  in  6—7  Tagen  etwas  Salicin  zerspalt«n, 
während  bei  normalen  Thieren  schon  in  24  Stunden 
die  Zerlegung  im  Gange  ist  und  mit  jedem  Tage  mehr 
Salicinderivate  durch  den  Harn  excernirt  wird.  Bei 
entnierten  Thieren  enthielt  das  umgebende  Wasser 
niemals  ein  Spaltungsproduct ,  es  wird  also  die  Zerle- 
gung höchst  wahrscheinlich  nicht  durch  die  Hautdrüsen 
besorgt. 

Bei  Fröschen  wird  Salicin  nach  subcutaner 
Injection  zerlegt;  ziemlich  rasch,  wenn  die  Thiere 
normal,  ebenso  rasch  wenn  die  Thiere  ohne  Le- 
ber existireu  ,  dagegen  sehr  langsam  und  spär- 
lich wenn  die  Nieren  entfernt  sind.  Versuche, 
welche  an  entleberten  und  zugleich  entnierten 
Thieren  angestellt  wurden,  gaben  kein  entschei- 
dendes Resultat,  weil  die  Thiere  schon  am  er- 
sten Tage  zu  Grunde  gingen.  —  Entmilzte 
Frösche  verhalten  sich  wie  entleberte.  Gleich- 
zeitige Exstirpation  von  Leber  und  Milz  wurde 
nur  24  Stunden  ertragen  und  Thiere,  die  dieser 
Operation  unterzogen  worden  waren,  zersetzten 
Salicin. 

Nach  allen  bisher  mitgetheilten  Versuchen 
erfährt  das  Salicin  eine  Zersetzung  im  Körper 
von  Carnivoren,  Hunden  und  Katzen ,  wenn  es 
intern  applicirt  wird  ,  während  die  Umsetzung 
nach  directer  Injection  in  das  Blut  sehr  spärlich 
oder  gar  nicht  zu  Stande  kommt.  Nach  subcu- 
taner Injection  von  Salicin  (0,5  —  1,0)  ist  sie 
bei  Hunden  und  Katzen  gleichfalls  fast  null, 
vielleicht  weil  hier  das  Salicin  vollständig  zur 
Bildung  der  von  Baumaun  im  Harn  nachge- 
wiesenen gepaarten  schwefelsauren  Salze  ver- 
wandt wird.  Bei  Fröschen  dagegen  wird  sub- 
cutan applicirtes  Salicin  zersetzt,   allerdings  viel 


244 

langsamer  als  bei  Warmblütern  ,  aber  es  wird 
zersetzt  selbst  dann,  wenn  die  Respiration  si- 
stirt ,  wenn  die  Leber  und  die  Milz  exstirpirt 
sind.  Nur  sehr  spärlich  tritt  Zersetzung  ein, 
wenn  die  beiden  Nieren  entfernt  sind.  Daß  im 
letzteren  Falle  die  Operation  an  sich  keine 
Schuld  an  der  Hemmung  trägt,  bewies  das  Ver- 
halten zahlreicher,  kastrirter  Frösche. 

Von  der  Ueberleguug  ausgehend,  daß  viel- 
leicht die  Niere  eine  besondere  Rolle  bei  der 
Zersetzung  des  Salicins  im  Blute  der  Herbivoren 
spiele,  haben  wir  Durchströmungen  von  Nieren 
frisch  getödteter  Ziegenlämmer  mit  defibrinirtem 
salicinhaltigem ,  beständig  auf  37,5°  erhaltenem 
Blute  wiederholt  angestellt  und  bis  10  Stunden 
lang  im  Gange  erhalten.  In  dem  durch  den 
Ureter  entleerten  Harn  haben  wir  niemals  ein 
Spaltungsproduct  des  Salicin  nachweisen  kön- 
nen. Ebenso  fielen  gleich  lang  fortgesetzte 
Durchströmungen  von  Katzen-  und  Hundenieren 
mit  saligeninhaltigem ,  defibrinirtem  und  auf 
37,5o'  erhaltenem  Hunde-  und  Katzenblut  voll- 
ständig negativ  aus.  Die  Stunden  lang  durch- 
strömten Nieren  zeigten  unter  dem  Microscop 
ganz  normales  Verhalten.  Der  zu  diesen  Durch- 
strömungen benutzte  Apparat  ist  aus  der  bei- 
liegenden Zeichnung  hinreichend  verständlich. 
(Siehe  am  Schluß). 

Die  Zersetzung  des  Salicin  im  Blute  lebender 
Herbivoren  und  die  Oxydation  des  Saligenin  im 
Blute  der  Carnivoren  kann  nicht  allein  bedingt 
sein  durch  die  Function  der  Blutkörperchen. 
Es  muß  jedenfalls  noch  etwas  dazu  kommen. 
Der  herkömmlichen  Meinung  nach',  soll  der 
active  Sauerstoff  des  Blutes  das  Salicin  im  Blute 
von  Thier  und  Mensch  höher  oxydiren.  Be- 
weise  für  die  Richtigkeit  dieser  Hypothese  feh- 


i 


245- 

len  gänzlich.  Gorup  Besanez  hat  Versuche 
mitgetheilt ,  nach  welchen  das  Saliciu  außerhalb 
des  Körpers  der  Wochen  laug  fortgesetzten  Ein- 
wirkung des  Ozon  vollständig  widersteht.  Wir 
haben  ähnliche  Versuche  mit  gleichem  Resultate 
wiederholt.  Glücklicher  dagegen  waren  wir  bei 
der  Behandlung  von  Saligeniu  mit  Ozon.  Das 
von  uns  beobachtete  Verfahren  ist  folgendes. 

In  einen  kleinen  beständig  in  Bewegung  er- 
haltenen Kolben  ,  der  mit  reinem  Salicin  und 
Petroleumäther  ( worin  ersteres  unlöslich )  be- 
schickt ist,  wird  Ozon  geleitet.  Das  Ozon  wurde 
in  einer  B  a  b  o'  sehen  Röhre  *),  die  Herr  Hofrath 
Meißner  die  große  Güte  hatte  mir  anzufer- 
tigen u.  durch  welche  trockner,  reiner  Sauerstoff 
strich ,  mittelst  eines  Fuukeninductors  und  2 
Grove's  entwickelt.  Nach  7  stündiger  Einwir- 
kung des  Ozon  wurden  die  blendend  weißen  Sa- 
ligeninplättehen  an  den  Rändern  gelb  und  gelbe 
Tropfen  setzten  sich  an  den  Wänden  ab.  Diese 
Tropfen  reagirten  sauer.  Nun  wurde  der  Pe- 
troleumäther durch  dest.  Wasser  ersetzt  und  der 
Inhalt  der  Destillation  unterworfen.  Das  trübe 
Destillat  roch  characteristisch  nach  salicyliger 
Säure  und  \vTirde  durch  Eisenchlorid  gebläut. 
Höhere  Oxydationsstufen  wurden  auch  durch 
fortgesetzte  Einwirkung  von  Ozon  nicht  ge- 
wonnen. 

1)  G.  Meissner,  üntersachungen  über  den  Saner- 
stoff  1863.    Tafel  Figur  1. 

(Fortsetzung  in  der  Nummer  9). 


246 

Ueber  das  Verhältniß  der  linken  Inter- 
costalveueu  zur  Vena  azygos. 

Von 

'Dr.  A.  V.  Brunn. 

Vorgelegt  von  J.  Henle. 

Das  Verhältniß  der  Vena  azygos  zur  V.  he- 
miazygos  und  den  das  Blut  der  linken  oberen 
Intercostalräume  aufnehmenden  Venen  ist  einer 
von  den  Puncten,  über  welche  die  Angaben  der 
Handbücher  am  meisten  auseinandergehen ,  so- 
wohl in  Bezug  auf  die  Zahl  der  außer  der  He- 
miazygos  von  links  her  in  die  Azygos  tretenden 
Venen,  wie  über  die  Vereinigungsstelle  der  bei- 
den Hauptstämme. 

So  giebt  Bock  au ,  die  Hemiazygos  gehe  bis 
zum  7.  oder  8.  Brustwirbel  und  münde  hier  in 
die  Azygos;  bisweilen  trete  sie  mit  2  Zweigen 
ein,  immer  aber  sei  sie  durch  kleine  hinter  der 
Aorta,  hin  weglaufende  Communicationsgänge  mit 
ihr  verbunden.  Von  den  übrigen  linken  Inter- 
costalvenen  treten  die  mittleren  häufig  zu  einem 
Stamm  zusammen,  der  zur  Azygos  herabsteige, 
die  obersten  gehen  in  die  V.  intercost.  prima 
und  diese  in  die  Subclavia.  Hyrtl  stellt  als 
Regel  auf,  daß  die  Hemiazygos  bis  zum  7. 
oder  8.  Brustwirbel  aufsteige  und  dort  in  die 
Azygos  gehe,  sowie  daß  die  oberen  Zwischen- 
rippenvenen sich  zu  einem  in  die  Hemiazygos 
mündenden  Stamm  vereinigen. 

Rüdinger  läßt  die  beiden  Hauptstämme  sich 
vor  dem  8.  Brustwirbel  vereinigen ,  die  linken 
oberen  Intercostalvenen  gesondert  in  die  Azygos 
fließen  und  die  obersten  zu  einem  in  die  V. 
anonyma   gehenden  Stämmchen  zusammentreten. 


247 

Auch  Luschka  nennt  den  8.  Brustwirbel  als 
Mündungsstelle  der  Hemiazygos  und  sagt,  die 
oberen  Intercostalvenen  sammelten  sich  zu  einem 
bald  dicht  über  der  Hemiazygos  in  die  Azygos 
gehenden,  bald  mit  ersterer  sich  verbindenden 
Stämmchen. 

Vor  dem  8.  —  9.  Brustwirbel  läßt  Krause, 
vor  dem  7. — 9.  Hollstein,  vor  dem  7. — 10.  Hoff- 
mann die  Vereinigung  erfolgen.  Bezüglich  der 
übrigen  linken  Venen  giebt  Hollstein  die  Ver- 
einigung zu  einer  Hemiazygos  sup.  oder  access. 
als  Regel  an  und  hält  er  das  Vorkommen  von 
zwischen  eigentlicher  und  accessorischer  Hemia- 
zygos direct  in  die  Azygos  eintretenden  Venen 
für  Ausnahme,  während  die  beiden  anderen 
1  —  3  isolirt  eintretende  Intercostalvenen  für 
die  Norm  erklären. 

Nach  Henle  ist  die  Zahl  der  Verbindungs- 
zweige verschieden.  Selten  ist  es  ein  einziger, 
gegen  den  sich  der  Strom  im  unteren  Theil  der 
V.  hemiazygos  aufwärts ,  im  oberen  abwärts 
wendet;  häufiger  sind  es  zwei,  zwischen  wel- 
chen dann  die  Continuität  des  Stammes  aufge- 
hoben zu  sein  pflegt ,  so  daß  derselbe  in  ein 
unteres  Stück ,  die  eigentliche  V.  hemiazygos 
und  ein  oberes ,  V.  hemiaz.  access. ,  zerfällt. 
Nicht  minder  häufig  schaltet  sich  zwischen  die 
eigentliche  und  die  accessorische  V.  hemiaz.  ein 
drittes  transversales  Stämmchen  ein,  zu  welchem 
zwei  oder  drei  Vv.  intercostales  zusammentreten. 

Es  fehlt  also  offenbar  an  Material ,  um  aus 
den  vielen  Variationen ,  welche  dieses  Verhält- 
niß  darbietet,  dasjenige  herauszufinden,  welches 
die  Regel  bildet. 

Mein  Material  sind  bisher  auch  nur  54  Fälle ; 
dasselbe  hat  aber  bezüglich  der  Vereinigungs- 
stelle der  beiden  Hauptstämme  ein  Resultat  er- 


248 

geben ,  welches  mit  den  meisten  Angaben  nicht 
übereinstimmt  und  um  deßwiJlen  ich  schon  diese 
wenigen  Fälle  veröffentliche. 

Wie  zu  erwarten,    zeigte   sich  nun  zunächst 
eine  große  Variabilität  der  Zahl    der   von   links 
in  die  V.  azygos  mündenden  Venen.     Es  fanden 
sich  deren  1  bis  5,  nämlich  : 
18mal  2, 
14mal  3, 
12mal  4, 
6mal  1, 
4mal  5, 
sodaß  man  wohl  mit  Henle  2 — 3  Verbindungen 
als   das  Häufigste   ansehen    muß.     Jedenfalls  ist 
das    von    Hyrtl    als    Regel    angenommene    Ver- 
hältniß  die  Ausnahme;  ich  fand  in  nur  6  Fällen 
einen    einzigen  Zufluß    von   links.     Unter  ihnen 
sind  noch  zwei,  die  von  Hyrtls  Norm  abweichen, 
indem   hier   einmal   die   5 ,    das  andremal  sogar 
die   8  obersten  Intercostalvenen    sich    zu   einem 
aufwärts   gehenden    und   direct  in  die  Subclavia 
mündenden  Stamme  sammeln. 

Unter  den  18  Fällen ,  in  denen  zwei  von 
links  her  kommende  Venen  in  die  V.  azygos 
münden,  sind  9,  bei  denen  die  eigentliche  und 
accessorische  Hemiazygos  getrennt  sind  und  dicht 
über  einander  in  die  Azygos  sich  ergießen,  die 
erstere  die  unteren ,  die  letztere  die  oberen  In- 
tercostalvenen aufnehmend.  In  den  meisten  (6) 
Fällen  anastomosirte  die  V.  hemiaz.  acc.  durch 
die  V.  intercost.  supr.  mit  der  V.  subclavia,  in 
den  übrigen  ist  diese  Anastomose  nicht  vorhan- 
den ;  indem  das  Blut  der  2  —  3  obersten  Zwi- 
schenrippenräume sich  zu  einem  besonderen 
Stämrachen,  V.  intercost.  supr.,  sammelt. 

In    den   9    anderen  Fällen  dieser  Abtheilung, 
finden  sich  zwei  parallele,  die  Brusthöhle  durch-] 


249 

messende  Stämme,  die  durch  zwei  Anastomoseu 
yerbunden  sind ,  Fälle ,  in  denen  also  das  bis 
zur  unteren  Communication  reichende  Stück  der 
eigentlichen,  das  oberhalb  der  oberen  gelegene 
der  accessorischen  V.  hemiaz.  gleichzusetzen  ist. 
Von  diesen  Fällen  hat  einer  das  Besondere,  daß 
die  beiden  Anastomosen  die  Aorta  ringförmig 
umfassen,  indem  die  eine  vor,  die  andere  hinter 
derselben  verläuft,  während  ja  sonst  alle  hinter 
der  Aorta  liegen.  Anzusehen  ist  ein  solches 
Vorkommen,  dessen  auch  Luschka  gedenkt,  wohl 
als  eine  bedeutende  Erweiterung  einer  der  stets 
vorhandenen  Communicatiouen  zwischen  den  aus 
der  Aortenwand  kommenden  und  in  die  V.  azy- 
gos  und  hemiaz.  gehenden  Venen. 

Die  14  Individuen,  deren  V.  azygos  drei  Zu- 
flüsse von  Links  erhält ,  zerfallen  in  mehrere 
Kategorieen.  9mal  findet  sich  das  von  Heule 
als  sehr  häufig  augegebeue  Verhältniß,  daß  sich 
zwischen  die  getrennt  mündenden  Vv.  hemiaz. 
und  hemiaz.  access.  ein  besonderes  Stämmchen 
einschaltet,  welches  das  Blut  aus  1  —  3  Inter- 
costalräumen  sammelt;  auch  in  dreien  von  die- 
sen erreicht  die  Hemiaz.  access.  den  Anschluß 
an  die  V.  subcl.  nicht  durch  Absonderung  einer 
Intercost.  supr.  In  2  anderen  Fällen  anasto- 
mosirt  der  eingeschaltete  Stamm  mit  der  acces- 
sorischen, in  einem  mit  der  eigentlichen  V.  he- 
miaz., in  2  weiteren  mit  beiden,  sodaß  in  diesen 
letzteren  ebenfalls  zwei  senkrechte  durch  die 
ganze  Länge  der  Brusthöhle  gehende  Stämme 
a?t  sind. 

Die  12  Leichen  mit  4  und  die  4  mit  5  in 
die  Azygos  eintretenden  Venen  zeigen  so  große 
Verschiedenheiten  des  Verhaltens,  daß  sie  sich 
nicht  anders  als  einzeln  würden  beschreiben 
lassen  und  zu  ihrer  Classificiruug  eine  sehr  viel 


250 

größere  Anzahl  von  Fällen  nöthig  wäre.  Die 
Vier-  und  Fünfzahl  der  Zuflüsse  kommt  zu 
Stande  theils  durch  Einschaltung  zweier  oder 
dreier  Stämmchen  zwischen  Hemiaz.  und  Hemiaz. 
access.,  welche  dann  wieder  unter  einander  und 
mit  den  Hauptstämmen  anastomosiren  können, 
theils  durch  Erweiterung  der  zwischen  der  V. 
azygos  und  den  beiden  linken  Hauptstämmen 
normal  vorhandenen,  hinter  der  Aorta  gelegenen 
feinen  Verbindungen. 

Bei  Fällen  der  letzten  Arten  kann  es  na- 
türlich schwer  sein,  zu  entscheiden,  welcher  der 
von  Links  kommenden  Verbindungsäste  die  He- 
miaz., welcher  die  Hemiaz.  access.  sei;  in  zwei- 
felhaften Fällen  habe  ich  stets  die  stärkste  der 
fraglichen  Communicationen  als  Hemiaz.  oder 
Hemiaz.  access.  aufgefaßt. 

Was  nun  die  Einmündungsstelle  der  Hemiaz. 
in  die  V.  azygos  betrifft,  so  lag  dieselbe: 
vor  dem       6.  Brustwirbel     Imal 


7. 

3 

8. 

8 

„        9. 

12 

„   9/10.1) 

3 

„       10. 

17 

„10/11. 

4 

„      11. 

6 

Daraus  geht  hervor,  daß  für  meine  54  Fälle  die 
Angabe ,  vor  dem  7.  oder  8.  Brustwirbel  finde 
in  der  Regel  die  Vereinigung  statt  (Bock,  Hyrtl, 
Luschka ,  ßüdiuger) ,  nicht  zutreffend  ist ;  daß 
in  den  meisten  Fällen  die  Vereinigung  vor  dem 
9.  und  10.  Brustwirbel  gelegen  ist. 

Endlich  führe  ich  noch  au,  daß  unter  jenen 

1)  Soll  die  Bandscheibe  zwischen  9.  und   10.  Brust- 
wirbel bezeichnen. 


251 

54  Fällen  in  8  eine  V.  hemiaz.  access.  fehlt, 
indem  die  Intercostalvenen  bis  zar  5ten  oder 
noch  tiefer  herab,  sich  zu  einem  zur  V.  sub- 
clavia aufsteigenden  Stamme  sammeln. 

Weitere  Untersuchungen  müssen  über  die 
allgemeine  Gültigkeit  oder  Ungültigkeit  der  an- 
gegebenen Resultate  entscheiden  ;  ich  werde 
diese  Untersuchungen  fortsetzen  und  namentlich 
an  der  Hand  größeren  Materials  versuchen,  et- 
waige Einflüsse ,  welche  das  Zustandekommen 
der  einen  oder  anderen  Form  begünstigen  kön- 
nen, aufzufinden. 


Einige  avestische  Wörter  undFormen.') 
Von     ' 
A.  Bezzenberger. 

1.    Sechs  avestische  Monatsnamen. 

Die  Namen  der  sechs  Gahanbärs  sind  trotz 
der  Bemühungen  Burnoufs  (Commentaire  sur 
le  ya^na  an  verschiedeneu  Stelleu),  de  Lagarde's 
(Psalterium  juxta  Hebraeos  Hierouymi ,  Lipsiae 
1874,  p.  161  f.)  und  anderer  noch  nicht  be- 
friedigend erklärt,  weil  bislang  nicht  erkannt  ist, 
daß,  wie  ich  im  folgenden  zeigen  will,  in  jenen 
Namen     Monatsnamen    enthalten    sind  *).       Die 

1)  Das  Adjectivum  >avesti8ch« ,  das  besser  als  »alt- 
baktrisch«  oder  >zendi8chf  ist,  brauche  ich  im  AaschluB 
•n  Harlez's  etades  avestiques. 

2)  Ist  das  richtig,  so  sind  die  Aeußerungen  J.  Grimm's 
2GDS.*79f.  undF.  Justi's  im  »Ausland«  1872  S.  124  we- 
sentlich zu  berichtigen. 


252 

Gahanbärs  sind  an  verschiecjenen  Stellen  des 
Avesta  namhaft  gemacht;  ich  beschränke  mich 
hier  darauf,  eine  derselben  anzuführen,  Ya9na 
1.  9  W.  =  1.  26  fiF.  Sp.:  nivaedhayemi ,  hafi- 
kärayemi  yäiryaeibyo,  ashahe  ratubyo:  maidhyö- 
zaremyäi  ^),  ashaone  ashahe  rathwe;  niv°,  hank** 
maidhyoshmäi  2)  ^),  ash^  asho  rath";  niv°,  hafik" 
paitish'ahyäi*),  ash*^  ash°  rath";  niv°,  hank°  ayä- 
threraäi  ^)^),  fraourvaestremäi  varshni-harstäica  ^), 
ash"  ash*'  rath";  niv'',  hank^'  maidhyäiryäi ,  ash" 
ash"  rath^;  niv°,  hank°  hama9pathmaidyäi '),  ash° 
ash^rath^;  niv°  hank°  9aredhaeiby6  ashahe  ratubyo. 
D.  h.:  ich  übergebe,  ich  weihe  [dieses  Opfer] 
den  Genien  der  Jahreszeiten^),  den  Herren  des 
reinen :  dem  maidhyozaremya,  dem  reinen  Herrn 
des  reinen,  dem  maidhyoshma,  d.  r.  H.  d.  r., 
dem  paitish'ahya,  d.  r.  H.  d.  r.,  dem  ayäthrema, 
dem  Förderer  (?)  ^)  und  Regenspender  ^°) ,  d.  r. 
H.  d.  r. ,  dem  maidhyäirya.  d.  r.  H.  d.  r.,  dem 
hama9pathmaidya,  d.  r.  H.  d.  r. ;  den  Jahres- 
genien, den  Herren  des  reinen. 

Die  Namen  der  Genien  der  Jahreszeiten  oder 

1)  Sp. :  maidhyo.  zaremayäi,  var.  maidhyo.  zaremyäi, 
maidhyoizaremayäi,  maidhyoi.  zaramayäi. 

2)  »These  two  words  are  as  often  written  maidhyö- 
shema  and  ayathrima  botb  in  K5  and  in  tbe  otker  oopies« 
Westerg. 

8)  Sp.:  maidhyoshemäi,  var.  maidhyoshmäi, maidhyoi- 
semäi. 

4)  Sp. :  paitis.  hahyäi.  W 

6)  Sp.  var. :  ayätbrimäi,  yä.  thramäi.  ■ 

6)  Sp.:  varshni.  harstaica. 

7)  Sp.:  hama^pathmaedhayäi. 

8)  Nicht  »den  Jahresgenien«,  dieß  sind  die  garedha. 

9)  Wohl  eher  dem  »Vollender«,  »Beendiger«  sc.  des 
Sommers  und  der  Feldarbeit. 

10)  Statt  varshni-harstdi  leseich  varsh-niharatäi^DtX. 
Sg.  von  varsh-niharsta  »Regen -ausgießend«.  Zu  varshr 
s=  varsha-  vgl.  drmaUi  =  arümati. 


253 

—  es  läuft  das  auf  dasselbe  hiuans  —  ihrer 
Feste,  der  Gabanbars  siud  also  (ich  gebe  die 
Namen  in  der  mir  richtig  scheinenden  Form): 
maiähyozaremya,  maidhyoshema,  paitish'ahya,  ayä- 
tlirema ,  niaid/iydirya ,  hamarpathtmudya.  Diese 
Namen  zerfallen  formell  in  zwei  Gruppen,  in- 
dem drei  von  ihnen  übereinstimmend  und  im 
Gegensatz  zu  den  drei  anderen  mit  maidhya- 
(maidhyo-)  beginnen;  ebenso  zerfallen  die  sechs 
Gabanbars  in  zwei  Gruppen  indem  drei  von 
ihnen  einst  je  in  der  Mitte  eines  Monats  ge- 
feiert wurden,  die  drei  anderen  aber  nicht;  vgl. 
Anquetil  bei  Burnouf  Comm.  p.  297  ff.,  ßunde- 
hesh  ed.  Justi  Kap.  25 ,  Hyde  bist,  relig.  vet. 
Persarum  p.  164  tf. ,  Justi  W beb.  s.  vv.,  Spiegel 
Av.  Uebers.  II.  C,  4,  VuUers  Fragmente  über  d. 
Religion  d.  Zoroaster  S.  23  f. ,  West  Mainyo-i- 
khard  Glossary  p.  81  f.  ^).  Da  beide  Gruppen 
zusammenfallen,  da  die  Gabanbars,  deren  Namen 
mit  maidhya-  (maidhyo-)  beginnen,  eben  die- 
jenigen siud,  die  je  in  die  Mitte  eines  Monats 
fallen,  da  maidhya-  »Mittler,  Mitte«  bedeutet 
und  da  Composita,  deren  erstes  Glied  maidhya- 
ist,  bedeuten  können  »die  Mitte  von  — <  (sc. 
dem  durch  das  zweite  Compositionsgliede  ausge- 
sagten, vgl.  skr.  madhyähna,  madhyavxtta,  madh- 
yajihva),  so  ergiebt  sich  mit  zwingender  Noth- 
weudigkeit,  daß  zwischeu  jener  sachlichen  und 
jener  sprachlichen  Unterscheidung  ein  Zusam- 
menhang  besteht,  daß  maidhyOzaremya^   viaidh- 

1)  Maidhyozaremya  fiel  auf  d.  11. — 15.  Ardibehesht 
(April),  maidhyoshema  auf  dieselben  Tage  des  Tir  (Juni), 
nuüdbyairya  auf  d.  16.  — 20.  des  Des  (December)  oder 
Bebmen  (Januar),  paitish'ahya  auf  d.  26.— 30.  Schahriver 
(August),  ayathrema  auf  dieselben  Tage  des  Mithra  (Sep- 
tember), hamagpathmaedya  endlich  fiel  auf  die  fünf  Schalt- 
tage am  Ende  des  Espendermad  (Februar). 

21 


254 


yöshema  mid  maidhymrya  ebendeshalb  ^a^  Wort. 
Lidhya  enthalten,  weil  man  sie  J^.^^^f/Xr 
eines  Monats    feierte.      Ebenso   zwingend    aber 
wie  dieser  Schlnß,    ist  der  weitere,    daß  m  den 
IhlSeilen   dieser  drei   Namen  Mona^namen 
stecken.    Sachliche   oder  sprachliche  Schwierig- 
keTten    reten   dieser  Folgerung   nicht  entgegen ; 
denn  es    ist  keine  Schwierigkeit,    daß  -.amnya 
(in  maidhydmremya)  in  ^er  Bedeutung  >>Fruhlin^^^^^ 
vorkommt  (Hang  18.  Kap.  d  Vendid.  m  d.  Sitzungs 
her.  d.  Bayer.  Akad.  1868,  IL  534)  und  daß  m 
maidJiydshema,    das   nach  Analogie  von  matdh- 
yöshad   zu  erklären  ist,    das  Wort  ^«^^f«^; 
mer«  steckt,  da  mremya,   hania  ja  außer  ihren 
allgemeineren  Bedeutungen   sehr    wohl  auch  die 
specielleren  .Frühlingsmonat« ^),  >> Sommermonat << 
gehabt  haben  können.  -  Da  also  die  Ansicht, 
daß  in    den  Schlußtheilen    von  maidhyozarcmya, 
maidhyöshema  und  mai(?%mnya  Monatsnamen  ent- 
halten sind,   logisch   geboten  und  sach  ich     wie 
sprachlich  unbedenklich  ist,  so  liegt  aller  (.rund 
vor,    sie  festzuhalten    und  weiter   zu   verfolgen, 
zumal  da  die  die  Datirung  der  Gahanbars  betreffende 
Ueberlieferung,  auf  welche  ich  o.  Bezug  nahm, 
nur  dann  aufrecht  erhalten  werden  kann,  wenn 
man  diese  Ansicht   annimmt;  ]ede  von   ihr  ab- 
weichende    Auffassung   von   nmdhyomremya   u. 

n  Der  M&hyasht  enthält  eine  deutliche  Anspielung 
auf  de  zVölf  Monate,  vgl.  (Yt.  7.  5):  yazäi  inaonhem 
gaocithrem,  baghem  1)  raevantem  2)  q"«"-"ba"tem  ^ 
afnai.haStem  4)  tafnarihantem  5)  varecat.hantem  6)  khsta 
vSem  TUstivantem  8)  yaokhstivantem  9)  ^aokavantem 
IS  z^rimyävantem  ll)\ohvävantem  12)  baghem  ba^ha- 
z?i  Sicherweise  bezieht  sich  hjer  -»-3;«'^;»^ 
auf  den  von  mir  angenommenen  .Fruhhngsmonat« ,  den 
zaremya  (=  zairimya). 


255 

s.  w. ')  muß  sich  nothwendig  von  vornherein 
über  jene  Ueberlieferuug  hinwegsetzen. 

Waren  bei  der  Benennung  von  dreien  der 
sechs  Gahanbärs  Rücksichten  auf  die  Monate 
maßgebend,  in  welchen  sie  gefeiert  wurden,  so 
wird  das  wohl  überhaupt  der  Fall  gewesen  sein, 
und  ich  trage  kein  Bedenken,  paitish'ahya,  ayä- 
threma  und  hama^mthmacdya  für  Monatsnamen 
zu  erklären.  Da  aber,  wie  wir  aus  der  ange- 
führten Stelle  wissen,  dieselben  Namen  zugleich 
Genien  der  Jahreszeiten  und  —  was  jene  Stelle 
allerdings  nicht  sagt,  aber  zur  Genüge  bekannt 
ist  —  ihrer  Feste  bezeichnen,  so  könnte  Jemand 
einwenden,  es  sei  nicht  wahrscheinlich,  daß  die- 
selben Namen  in  so  verschiedener  Bedeutung 
gebraucht  seien.  Indessen  dieß  kommt  vor ;  ich 
erinnere  an  das,  was  ich  oben  über  -zarcmya 
und  -(s)hema  zu  bemerken  hatte ,  und  ferner 
u.  a.  daran,  daß  der  Niederdeutsche  sein  Maifest 
kurzweg  als  »Mei«  bezeichnet  (Schiller  u.  Lübben 
mndd.  Wbch.  III.  57)  und  daß  Walther  von  der 
Vogelweide  einen  >her  Meie«  kennt  (46.  30 
Lachni.).  Um  zu  leugnen,  daß  in  paitish'ahya 
u.  s.  w.  Monatsnamen  vorliegen,  müste  man  vor- 
her leugnen,  daß  solche  in  maidhyozaremya  u. 
8.  w.  enthalten  sind;  wie  willkürlich  dieß  sein 
würde,  habe  ich  oben  schon  angedeutet  und  be- 
darf keiner  Ausführung. 

Es  erübrigt  noch,  die  Namen  maidhydirya 
(er  fiel  in  den  December  oder  den  Januar,  die  An- 
gaben schwanken  hier),  paitish'ahya  (=  August), 

1)  Eine  solche  trägt  Haug  Essays  p.  173  vor;  ich 
verstehe  weder,  wie  Haug  zu  seinen  Erklärungen  von 
maidhyozaremya  als  »niid-8umnier< ,  maidhyd-shema  als 
»mid-winter< ,  maidhyäirya  »the  middle  of  the  year«  u. 
B.  w.  gekommen  ist,  noch  wie  er  sie  hätte  begründen 
können. 

21* 


256 

ayäthrenia  (=  September)  und  hamagpathmaedya 
(=  Februar)  zu  erklären,  soweit  es  möglich  ist ; 
maidhyözaremya  (April)  und  maidhyöshema 
(Juni)  sind  schon  oben  erklärt  worden.  — 
Den  Namen  7}iaidhyäirya  weiß  ich  hinsichtlich 
seines  Schlußbestandtheiles  nicht  befriedigend  zu 
erklären;  daß  derselbe,  wie  Justi  annimmt, 
yäirya  sei ,  ist  nicht  ganz  sicher.  —  Paitish'aJiya 
erkläre  ich  als  »Herr  des  Getreides«  (vgl.  den 
skr.  Namen  des  Schaltmonates  amhasaspati 
Weber  ind.  Stud.  I.  88),  indem  ich  paitis  als 
Nom.  Sg.  von  ^jmYi  »Herr«  betrachte  (wegen  der 
"Verwendung  des  Nom.  Sg.  als  erstes  Compositions- 
glied  s.  Vf.  Kbeitr.  8.  363,  hinsichtlich  der  in- 
vertirten  Stellung  der  Compositionsglieder  vgl. 
u.  a.  Justi  Gram.  §.399,  Vf.  ZGLS.  SS.  106  if., 
852).  —  Ayäthrenia  ist  gebildet  wie  aiivigridhrmna 
»das  Lauschen«^);  es  gehört  zu  a-yä  und  heißt 
»Heimkehr«  (vgl.  skr.  ä-gam  »zurückkehren«), 
der  September  ist  also  darnach  benannt,  daß  in 
ihm  die  Arbeiter,  die  Senner,  die  Hirten  und 
Heerden  beim  Herannahen  der  kälteren  Jahres- 
zeit in  ihre  vi9  zurückkehrten  (vgl.  Vend.  2.  22 
W.  in  der  Uebersetzung  Haugs,  Ess.  S.  204,  dem 

1)  Die  Tageszeit  von  Mittag  bis  zum  Eintreten  der 
Dämmerung  heißt  rapithwina  »die  Zeit,  in  der  das  Essen 
zur  Hand  ist«  (vgl.  ar^mpitu,  arhn  =  skr.  «ram;  s.  Fick 
Wbch.^  I.  874) ;  der  ursprünglich  nur  dem  Beginn  des 
Nachmittags  zukommende  Name  ist  also  auf  den  ganzen 
Nachmittag  ausgedehnt.  So  mag  auch  aiwicrdthrema, 
der  Name  der  Tageszeit  vom  Erscheinen  der  Sterne  bis 
Mitternacht,  ursprünglich  nur  der  Name  des  ersten  Theiles 
derselben  gewesen  sein ;  dieß  aber  ist  die  Zeit  des  Lau- 
schens  auf  Rede  und  Erzählung,  wie  sie  auch  Homer 
schildert:  digt]  /uty  noXioyv  juv&(oy  X.  879.  —  Was  Bumouf 
Comm.  p.  257  f.  über  aiwigrüthrema  lehrt,  ist  alles  »tire 
d'un  peu  trop  loin«  ,  ebenso  das,  was  de  Lagarde  Beitr. 
Z.  baktr.  Lexikographie  p.  7  über  rapithwina  vorträgt. 


257 

Hübschmanu  ZDMG.  28.  82  f.  folgt).  Möglich 
wäre  es  zwar  auch,  daß  ayäthrema  »Umkehr« 
hieße,  denu  mit  dem  September,  dem  siebenten 
Monat  des  parsischen  Jahres,  beginnt  die  zweite 
Hälfte  des  Jahres,  mit  seinem  Beginn  wendet 
sich  also  das  Jahr  zu  seinem  Ausgangspunkte 
zurück.  Ich  ziehe  indessen  die  erste  Erklärung 
vor;  zu  ayd^Ä/ema  »Heimkehr«  stimmt  aitcigäma 
»das  Znsammenkommen,  sich  Nähern«,  der  Name 
des  Winters  (vgl.  skr.  abhi-gam  »herbeikommen, 
sich  nähern,  kommen  zu«).  —  HamaQiathmaedya 
enthält  zunächst,  wie  mir  scheint,  den  Genit.  Sg. 
von  ham  =  hania  »Sommer«^),  ferner  das  Wort 
patknia  (Y.  46.  4  W.),  das  ich  mit  Haug  nnd 
Harlez  durch  »Weg,  Pfad«  übersetze;  über  den 
letzten  Bestandtheil  des  W^ortes  weiß  ich  nichts 
■sicheres  vorzubringen,  er  muß  »frei  machend, 
öffnend«  bedeutet  haben  ^).  Denn  der  hamaQ- 
pathnaedya  ist  der  letzte  der  winterlichen  Mo- 
nate, die  den  Sommer^)  verdrängt  haben  und 
seine  Rückkehr  hindern,  erst  der  Februar  giebt 
ihm  die  Bahn  frei. 


1)  Vom  Stamme  ham  sind  im  Av.  der  Genit.  hämo 
und  der  Instr.  hama  nachzuweisen ;  vgl.  skr.  aishdma». 

2)  Erwähnt  mag  werden,  daß  nach  Geldner  Metrik 
des  jung.  Avesta  §.  2  Yt.  13.  49  der  Acc.  Sg.  hamacpath- 
matdayam  zu  lesen  ist.  Diese  Form  ist  aber  vermuthlich 
erst  aus  hamacpathmaedyam  entstanden,  vgl.  acpaem  Yt. 
14.  31  (von  acpi/a  =  sfa:.  devi/a). 

3)  Der  Sommer  steht  im  Avesta  als  eine  Hälfte  des 
Jahres  dem  Winter  gegenüber,  s.  Justi  s.  v.  hama.  — 
Der  Verfasser  der  Glosse  zu  Vend.  1.  4  W.  (hapta  henti 
hSmino  mäonha,  panca  zayana  askare)  wies  dem  Sommer 
sieben,  dem  Winter  fünf  Monate  zu;  in  derselben  Weise 
hätte  Dirghatamäs  die  Monate  eingetheilt,  wenn  sich  wirk- 
lich, wie  Graßmann  üebers.  II.  457  vermuthete,  pänca- 
pddajn  rv.  164.  12  auf  die  fünf  feuchten,  saptdcakre  auf 
die  Bieben  trocknen  Monate  bezöge.    Diese  Vermuthung 


258 

Ick  knüpfe  hieran  einige  naheliegende  Be- 
merkungen an.  Daß  das  Volk ,  in  dem  das 
Avesta  entstand ,  sechs  Jahreszeiten  hatte ,  wie 
zum  Theil  die  Inder  (Weber  ind.  Stud.  1.  88), 
geht  klar  daraus  hervor,  daß  es  sechs  Jahres- 
zeitenfeste hatte ;  daß  auch  bei  ihm ,  wie  z.  B. 
bei  den  Indern  und  Germanen,  je  zwei  Monate 
zu  einem  Paar  verbunden  und  mit  gemeinsamen 
Namen  benannt  seien,  ist  möglich,  aber  nicht 
beweisbar.  Was  für  die  Eintheilung  des  Jahres 
in  sechs  Theile  maßgebend  war,  ob  klimatische, 
astronomische  oder  politische  Gründe,  und  ob 
zwischen  jener  Eintheilung  und  der  Eintheilung 
der  das  karshvare  qaniratha  umgebenden  Erde  in 
sechs  Theile  ein  Zusammenhang  besteht,  wage  ich 
nicht  zu  entscheiden  (vgl.  Spiegel  ZDMG,  6.  75, 
Bundehesh  Kap.  11,  12,  aber  auch  Kap.  5). 

Spiegel  Av.  Uebers.  IL  XCVIII  sagt,  es  lasse 
sich  nicht  bestimmt  angeben,  wie  alt  die  par- 
sischen  Monatsnamen  seien.  Es  scheint  mir 
nicht  zweifelhaft  zu  sein,  daß  mehrere  derselben 
älter  sind,  als  Darius,  denn  in  dem  ätriyäd^iya 
der  großen  Inschrift  von  Behistän  (I.  89,  III.  18) 
ist  der  spätere  Mar  (November)  nicht  zu  ver- 
kennen (Benfey  Keilins.  S.  75);  ferner  sind  zwei 
jener  Namen,  wenn  auch  nicht  selbst,  so  doch 
in  synonymen  Wörtern  nachzuweisen ,  ich 
meine  die  Monatsnamen  hägmjäd^i  (Beh.  I.  55) 
und  viyakhna  (Beh.  I.  37,  III.  67).  Von  ihnen 
scheint  mir  der  erstere  dem  späteren  dai  (De- 
cember)  =  av.  dadhväo  zu  entsprechen ,  denn 
dadhväo  ist  im  Avesta  Bezeichnung  des  Ormezd, 
der  in  den   apers.  Keilinschriften  als  der  größte 

ist  aber  unsicher,  s.  Haug  Sitzungsber.  d.  Münoh.  Akad. 
phil.-phil  Cl.  1876  II.  3.  S.  22  des  Separatabdruoks. 


259 

der  haga  bezeichnet  wird  und  als  haga  xat 
£|oxjyV  aufgefaßt  werden  kann.  So  laufen  dai, 
der  dem  Ormezd  heilige  Monat,  und  bägayäd^i 
der  Monat,  in  welchem  baga  verehrt  wird,  sach- 
lich auf  dasselbe  hinaus*).  V^iyakhna  ferner 
muß,  wie  mir  scheint  auf  den  Monat  mihr 
(September)  bezogen  werden;  vyukhna  ist  im 
Avesta  öfters  als  Epitheton  Mithras  verwendet 
(Windischmann  Abhandlungen  f.  d.  Kunde  d. 
Morgenlandes  I.  29).  Zu  Gunsten  dieser  etymo- 
logischen Bestimmung  der  apers.  Monatsnamen 
bägayäd^i  und  viyaJchna  sollen  gleich  sachliche 
Gründe  angeführt  werden,  vorher  aber  hebe  ich 
noch  hervor,  daß  der  Monat  garmapada  »Fuß 
=  Anfang  der  Wärme«,  wenn  wir  uns  von  der 
Etymologie  leiten  lassen,  nur  als  »Mai«  aufge- 
faßt werden  kann  und  so  dem  np.  gherma-apzhäi 
entsprechen  würde  (Benfey  Keilins.  S.  80,  Ben- 
fey  und  Stern  Monatsnamen  S.  130,  Hyde  a.  a. 
0.  p.  197).  Zwischen  gherma-apzhäi  und  dai 
liegen  sechs  Monate ;  ebenso  viele  müssen  zwi- 
schen gannapada  und  bdgayäd'^i  gelegen  haben, 
denn  Gaumäta  -  Bard'iya  trat  am  9.  Garmapada 
seine  Herrschaft  an  und  wurde  am  10.  Bägayäd'i 
getödtet*),  seine  Regierungszeit  umfaßte  aber 
nach  den  Angaben  des  Herodot  und  des  Ktesias  ^) 

1)  Spiegel  ap.  Keilins  S.  211  wendet  gegen  die  im 
Text  angenommene  Erklärung  von  bägayd^i  >die  Länge 
des  a  in  haga«.  ein.  Indessen  dieser  Einwand  ist  doch 
nicht  kräftig  genug,  um  dieselbe  zu'  widerlegen,  Bä- 
gaydd'i  verhält  sich  zu  baga,  wie  ^vf^uöfi?  zu  ayfuog. 

2)  Garmapadahya  mähyä  IX  raucabis  tbakata  aha, 
avathä  khsatram  agarbäyatä  I.  11  (42 — 43);  Bägayadais 
mähyä  X  raucabis  thakatä  aha,  avathä  adam  hadä  kama- 
naibis  martiyaibis  avam  Gaunnätam  tyam  Mag' um  aväja- 
nam  I.  13  (55  —  57). 

3)  —  anriunxi  Ka/jßvfftjy  lov  Kvqov,' ßaatkfvaayra  ftiv 
Xtt  näyjtt  tniu    hia  xai  /a^yas    nivu    Her.  3.  66,  6  di  d>j 


260 

auf  welche  bereits  Oppert  Journ.  as.  IV  serie  t. 
17  pag.  383  f.  hingewieseil  hat,  etwa  sieben 
Monate  —  folglich  steht  der  obigen  Bestimmung 
der  Monatsnamen  Garmapada  und  Bägayäd'i 
nichts  im  Wege,  sie  stimmt  vielmehr  zu  den 
historischen  Thatsachen  auf  das  Beste,  die  wir 
auf  folgende  Weise  zusammenstellen  dürfen:  am 
9.  Garmapada  warf  sich  Gaumäta  zum  Herrscher 
auf  —  auf  die  Kunde  hiervon  brach  Kambuj'iya 
gegen  jenen  auf  und  starb  unterwegs  gegen 
Ende  des  Garmapada  (nachdem  er  sieben  Jahre 
und  fünf  Monate  regiert  hatte)  —  Gaumäta 
herrschte  die  folgenden  sechs  Monate  —  im  An- 
fange des  siebenten  der  auf  den  Garmapada  fol- 
genden Monate,  oder,  wenn  wir  diesen  als  den 
ersten  Monat  der  Regierung  des  Gaumäta  be- 
trachten, im  Anfange  des  achten  Monats  der- 
selben zettelte  Utäna  seine  Verschwörung  au, 
durch  die  Gaumäta  am  10.  Bägayäd'i  gestürzt 
wurde. 

Die  Annahme,  daß  der  Monat  viyalihna  dem 
mihr  entspreche ,  läßt  sich  nicht  in  gleichem 
Grade  wahrscheinlich  machen,  aber  es  läßt  sich 
zu  ihren  Gunsten  doch  ein  Umstand  anführen: 
Gaumäta  hat  seinen  Aufstand  gewiß  nicht  plan- 
los, nicht  am  ersten,  besten  Tage  begonnen, 
sondern  er  hat  ihn  sicher  zu  einer  Zeit  erhoben, 
in  der  er  am  meisten  Aussicht  hatte  zu  reussiren, 
also  wahrscheinlich  vor  einem  der  großen  Feste, 
vor  dem  Nauroz-  oder  dem  Mithrafest,  weil  da 
seine    Gegner    durch    Vorbereitungen    zu    ihren 

fiäyog  rtXivTi^aayng  Kafißvetoi  adtaq  ißctaiXtvas,  Inißa- 
Tti'wy  Tov  ofiüivvfxov  J£fif()dioe  lovKvgov,  ^r,vttg  ima  nvs 
inikoinovs  Ka/xßvajj  fs  in  oxiw  hin  r^f  ilriQiöOios  das. 
67 ,  oydücp  dt  jutjvt  iyivin  xnmdtjloq  iporr^o  TOKodf  das. 
(o  juayos  — )  f/uä)(no ,  xat  riXos  xaTctXfyrtj&tis  vno  ■tüiv 
tniri.  unif^avf,  ßaatltvaae  /tt^ya^  inrn  Ktcs.  de  reb.  pers.  14. 


261 

Feierlichkeiten  in  Anspruch  genommen  waren 
und  weil  er  nach  ihrer  Ueberrumpeluug  das 
Volk,  das  sich  zur  Feier  jeuer  Feste  vereinigt 
hatte,  eben  deshalb  leichter  in  größeren  Massen 
für  sich  gewinnen  konnte ,  als  dieß  zu  anderen 
Zeiten  des  Jahres  möglich  war.  Das  Mithrafest 
aber  mußte,  weil  es  in  den  Herbst  fallt,  dem 
Gaumäta  für  seine  Zwecke  geeigneter  scheinen, 
als  das  in  das  Frühfahr  fallende  Naurozfest, 
schon  deshalb,  weil  der  bald  nach  dem  Mithra- 
fest beginnende  Winter  ihn  einigermaßen  vor 
einem  baldigen  Angriff  des  Kainbufija  sicherte. 
Das  Mithrafest  nun  beginnt  am  16.  Mihr,  also 
wenn  meine  Bestimmung  des  v*iyakhna  richtig 
ist,  zwei  Tage  nach  dem  Tage,  au  welchem 
nach  dier  Inschrift  von  Behistän  Gaumäta  seinen 
Aufstand  begann  ^).  —  Worauf  sich  die  dieser 
Annahme  widersprechende  Behauptung  Dnnckers 
(Gesch.  d.  Alterthums  4.  S.  441)  »Gaumäta  er- 
reichte es,  sich  zwei,  drei  Monate  nach  seinem 
Auftreten  die  Krone  förmlich  aufsetzen  zu  kön- 
nen« stützt,  weiß  ich  nicht. 

üeber  den  Rest  der  uns  bekannten  alt- 
persischen Monatsnamen  läßt  sich  wenig  sagen. 
Daß  andmaJca  =  skr.  anämaka  als  Schaltmonat 
aufzufassen  sei ,  haben  schon  andere  bemerkt 
oder  angedeutet  (z.  B.  Mordtniann  ZDMG.  24.  9, 
Kossowicz  inscr.  pal.-pers.  glos.  p.  6);  va  ad'nkani 
ist  *ad'?<  *Weg,  Pfad«  (adhtvan  und  adhu,  Nom. 
PL  adhavo  Yt.  8.  29)  enthalten.  Es  erinnert  da- 
durch an  av.  hamaepathmaedya. 

2.     Vididhväo,  Iceredushd. 

Das  erste  der  in  der  üeberschrift  genannten 
Worte  wird  von  Justi  ohne  Erklärung  der  Form 

l)  V'iyakhnahya  mähyä  XIV    raucabis   thakatä   äba^ 
yadMy  udapalalä  Beb.  I.  U  (37  -  3S). 


262 

zu  vid  »wissen,  kennen«  gestellt  und  mit  »ge- 
lehrig« übersetzt ;  Spiegel  Comm.  II.  624  über- 
setzt es  mit  »ausschauend«  und  leitet  es  von  di 
»sehen«  ab,  was  mir  grammatisch  unmöglich 
zu  sein  scheint  vgl.  cUiyusatca,  pipyüsMm,  hi- 
tviväo.  Die  Form  keredushä  nimmt  Justi  für 
»partic.  plur.  nom.«  von  Jcar  und  übersetzt  sie 
»die  wirkenden«;  Spiegel  comm.  II.  209  hält 
sie  für  »eine  Weiterbildung  aus  einem  Adjectiv 
Jcereäus«  —  eine  Erklärung,  die  der  Erklärung 
ausweicht;  Hang  Gäth.  I.  80  will  keredushä  zu 
ved.  Jcr'tvas  stellen,  was  weder  lautlich  noch 
begrifflich  angeht.  Einen  Schritt  weiter,  als  die 
Genannten,  ist  Alf.  Ludwig  Inf.  i.  Veda  S.  60 
gegangen,  welcher  die  Zusammengehörigeit  der 
Formen  vididhväo  und  keredushä  mit  einander 
und  mit  ved.  mtdhväms  erkannte,  worin  ich  ihm 
durchaus  beistimme,  während  ich  dem,  was  er 
zur  Erklärung  jener  Formen  vorbringt,  durch- 
aus nicht  beitreten  kann,  denn  daß  das  Suffix 
des  Part.  Ferf.  Act.  einen  anlautenden  Dental 
eingebüßt  habe,  ist  eine  völlig  haltlose  Behaup- 
tung, welche  durch  einen  Hinweis  auf  XsXstx- 
liiöt-  nicht  im  entferntesten  bewiesen  wird,  zumal 
da  neben  demselben  XixiKxm  und  Xtxfid^m  liegen ; 
oder  sollen  diese  aus  X^xtpäat  und  XiXTpdiui  ent- 
standen sein? 

Betrachten  wir  nun  die  Stellen,  an  denen 
vididhväo  und  keredushä  vorkommen !  Vididhväo 
findet  sich  Yt.  14.  13:  yo  histaiti  vididhväo, 
yatha  gägta  hamo-khshathrö ;  man  kann  dieß 
übersetzen :  er  steht  wissend,  wie  [ihn]  der  Herr 
belehrte,  oder:  er  steht,  wie  der  Herr  befahl, 
verständig.  Hinsichtlich  der  Bedeutung  von 
vididhväo  laufen  beide  Uebersetzungen  auf  das- 
selbe hinaus ,  beide  lassen  vididhväo  als  gleich- 
bedeutend mit  vidhväo  erscheinen.  —  Keredushä 


263 

lesen  wir  ¥911.  29.  3:  hätäm  hvo  aojisto,  yah- 
mäi  zaveng  jima  keredushä.  Ich  übersetze  dieß, 
indem  ich  yahmäi  von  jimä  (I.  Sg.  Praes.)  und 
zaveng  von  lercdushä  abhängen  lasse  und  indem 
ich  keredushä  als  dativisch  gebrauchten  Instru- 
mental auf  yahmäi  beziehe  (vgl.  Hübschmann 
z.  Casuslehre  SS.  221  f.,  265  f.):  unter  denen, 
die  sind,  ist  er  der  mächtigste,  zu  dem  ich 
komme,  sobald  er  gerufen  hat  (=  den  Ruf  ge- 
macht hat).  Zu  dem  Plur.  zaveng  vgl.  rv.  I. 
122.  6:  9rutäm  me  miträvarnnä  hävenia'.  — 
Keredushä  ist  also  Instrura.  Sg.  und  zwar,  wie 
Justi  richtig  erkannt  hat,  eines  Part.  Praet,  von 
kar  »machen«;  sein  Nom. Sg.  Msc.  würde  keredh- 
väo  lauten. 

Erklären  wir  vididhväo  und  keredhväo  für 
präteritale  Participalformeu  von  vid  und  kar 
und  sehen  wir  uns  nach  einer  Erklärung  der- 
selben um ,  so  scheint  eine  solche  sehr  nahe  zu 
liegen ,  sobald  wir  uns  an  z.  B.  lit.  Vip-davau, 
l)p-dave^s,  rq)-davusi,  gelbe-dav^^,  gelbe-davusi  und 
überhaupt  an  die  Formen  erinnern,  die  man  als 
»schwache  Praeterita«  zu  bezeichnen  pflegt,  wie 
ferner  gt.  sknlda,  nasida.  Diese  beiden  Formen  ver- 
halten sich  genau  so  zueinander,  wie  av.  keredh- 
väo zu  vididhväo;  keredhväo  beruht  wie  skulda 
auf  der  Wurzel,  dagegen  vididhväo  wie  tiasida 
auf  einem  abgeleiteten  Verbalstamm  (vidi  bez. 
vidya.  vidaija),  der  auch  in  skr.  viditd  »kennen 
gelernt,  gekannt,  bekannt«  erscheint.  Ich  er- 
kenne also  in  kere-  und  r?V7?- Verbalstämme ;  ob 
nun  aber  keredhväo  und  vididhväo  Participien 
einer  dem  schwachen  Praeteritum  der  europäi- 
schen Sprachen  unmittelbar  gleichstehenden  Form 
sind,  ob  in  ihnen  also  Zusammensetzungen  von 
kere-,  vidi-  mit  -dhväo,  dem  Part.  Perf.  von  da 


264 

vorliegen  ^)  —  diese  Frage  wage  ich  nicht  zu  ent- 
scheiden. Ein  entscheidender  Grund  spricht  gegen 
eine  derartige  Annahme  freilich  nicht  {vididhväo 
würde  sie  neben  vidväo  stellen,  wie  got.  gaggida 
neben  an.  gehh^  as.  geng^  ahd.  henc)^  aber  sie  ist 
unsicher,  denn  es  besteht  die  Möglichkeit,  daß 
Jceredhväo  und  vididhväo  unreduplicirte  Part.  Perf. 
der  Verbalthemen  ^liered,  *vidid  sind,  die  aus 
*Jceredä,  *vididä  verkürzt  und  durch  Composition 
von  liere,  vidi  mit  da  entstanden  sein  würden  (vgl. 
gnäd  neben  fwa^).  Gegen  die  letztere  Erklärung 
könnte  eingewendet  werden,  daß  man  von  dem 
mehrsilbigen  Verbalthema  *vidid  ein  periphrasti- 
sches  Praeteritum  zu  erwarten  habe ;  dieser  Ein- 
wand würde  jedoch  gegenüber  iririthare ,  irtri~ 
thushäm  und  dem  freilich  zweifelhaftem  urürudh- 
usa  (Geldner  Metrik.  S.  42  §.  56,  Spiegel  Comm. 
II.  112)  wenig  gewichtig  zu  sein.  Zu  Gunsten  der 
letzteren  Erklärung  aber  spricht  die  von  Benfey 
Gott.  Nachr.  1874  S.  370  aufgestellte  Erklärung 
von  ved.  miähväms ,  das  meines  Erachtens  von 
Jceredushä  und  vihidhväo  formell  nicht  zu  trennen 
ist;  seine  verbale  Basis  hat  sich  im  Sanskrit 
leider  nicht  enthalten. 

Eine  Entscheidung  unter   den    hier    aufge- 
stellten Erklärungen  von  vididhväo  und  Jceredushä 

.  l)  -dhväo  kann  aus  -dadhväo  verkürzt  sein ,  vgl. 
yaozhdäiti  neben  yaozhdadhäiti  oder  —  wo  freilich  nicht 
eine  Reduplicationssilbe  geschwunden  ist  —  got.  tavidu]^ 
Mat.  25.  45,  ahd.  neritumes  neben  got.  tavidedu^,  nasi- 
dedum.  —  Ob  -(ZAwa'o  Part.  Perf.  von  da  =  skr.  dhd,  oder 
von  da  =  skr.  dd  ist,  läßt  sich  nicht  entscheiden,  vgl. 
skr.  ndma  dhd:  ndma  dd,  gr.  ntQ-^u) :  lat.  per-do,  skr. 
crad-dhd:  lat.  cre{d)-do,  [got.  shul-da:  mah-ta'^7]. 

2)  Andere  Verba  der  Art  hat  Benfey  »Jubeo  und 
seine  Verwandte«  S.  22  ff.  besprochen  Ein  besondere 
interessantes  ist  das  ved.  i'd ,  das  bislang  nicht  bestimmt 
genug  erklärt  ist  (einige  Andeutungen  finden  sich  in  ßen- 
feys  Glossar  z.  Sämaveda):   es  ist  aus  yaj-dä  entstanden, 


I 


, 


265 

kaun  ich  zur  Zeit  nicht  trefifen ;  ich  bin  zufrie- 
den, wenn  es  mir  gelungen  ist;  diese  schwierigen 
Formen  ihrer  Erklärung  etwas  näher  zu  bringen. 

8.  Khshännienc. 

Va9na  29.9  findet  sich  das  Wort  klishämmne: 
atcä  geus  urvä  ra09tä  ye  anaeshem  khshäumene  ^) 
rädem  |  väcim  ueres  a^ürahyä  yem  ä  va^emi 
ishä-khshathrem.  Die  Uebersetzung  dieser  Stelle 
hängt  wesentlich  von  hhslmnmh^e  ab,  das  Spiegel 
Comm.  II.  215  an  skr.  ksham  »ertragen«  an- 
schließt, während  Haug  Gath  I.  88  es  aus  einer 
reduplicirten  Form  der  Wurzel  hmi  =  san  »spen- 
den« erklärt  und  Justi  es  zweifelnd  von  Ihshan 
»bauen,  verwunden«  ableitet.  Harlez  endlich 
(Av.  II.  107)  übersetzt  die  obige  Stelle :  malheu- 
reux  qui  n'ai  obtenu  qu'un  don  sans  valeur,  la 
voix  d'un  horame  faible  u.  s.  w.  —  Im  Folgenden 
sollen  drei  dem  für  khshännu-ne  vorauszusetzen- 
den Stamme  khshänman  etymologisch  entspre- 
chende Stämme  nachgewiesen  werden  ;  ob  einer 
voD  ihnen  in  khshätwienc  anzunehmen  ist,  muß 
ich  der  Entscheidung  der  iranischen  Philologen 
überlassen. 

Ich  habe  Gott.  gel.  Auz.  1878  S.  201  darauf 
hingewiesen,  daß  sich  der  Vorschlag  eines  Gut- 
turals vor  einem  Sibilanten  nicht  nur  in  den 
slavoletti sehen  Sprachen  findet,  sondern  auch 
sonst ,  speciell  in  der  Sprache  des  Avesta  und 
ich  füge  zu   den    a.   a.  0.   gegebenen  Beispielen 

was  sich  freilich  nnr  durch  den  Gebrauch  des  Wortes  be- 
weisen läßt.  Ich  nenne  diese  Verbum  >besonders  interes- 
sant« aus  phonologischen  Gründen,  die  jeder  Kundige  so- 
fort erkennet!  wird. 

1)  Dazu  die  Varianten  khshnänmene  (W.),  khshXnnm- 
ne,  khs^in . mene ,  khsnän.mene,  khsnänmene,  khsnän- 
maini  (Sp.). 


266 

noch  av.  Jchshnu  »kennen«  hinzu,  das  nach  mei- 
ner Meinung  zu  got.  snutrs  gehört,  was  ich  bei 
anderer    Gelegenheit     ausführen     werde,     sowie 
thwarekhstar    und    mareJchstar ,    die    direct    von 
thwareg,  *mars  abgeleitet  sein  werden.     Nehmen 
wir  au,    daß   auch  in  Jchshämnene  der  Guttural 
phonetisch   entstanden    und    etymologisch    ohne 
Werth    sei,     so    kommen    wir    zu     einer   Form 
*sänmene;   sie   erhält   weiter   Licht,    wenn    wir 
vergleichen :    frayänmaln  (Var.  frayan.  mabi  Sp. 
W.,    frayanmahi    W. ,    fryan.    mahl,    fryänmahi 
Sp.)  Ya9.  38.  4  (12  Sp.),  hvänmaJiicä  (var.  hvan. 
mahecä  W.)  Y.  35.  5  (14  Sp.)  äfr.  1.  6.     Diese 
Formen    sind,    wie   ich    im    Gegensatz    zu    Alf. 
Ludwig  Inf.  i.  Veda  S.  101    annehme ,  sehr  un- 
ursprünglich   und   aus  frayämaht ,    hvä'inalii{cä), 
weiter  aus  fr ayäniaM.,  7wama/w  entstanden,  indem 
zunächst  nach  der  Regel  ä  vor  dem  ihm  folgen- 
den Nasal  zu  ä  wurde  (analoges  ZGLS.  S.  43  f.) 
und  weiter  änm  für  dm  eintrat,    wobei   es   un- 
entschieden bleiben  muß,    ob  änm  nur   als  gra- 
phischer Vertreter  von  am  aufzufassen  ist  (vrgl. 
altlit.  Tiewunmp  ZGLS.  S.  78  Anm.  3),  oder  ob 
änm   eine    echte   phonetische    Verwandlung   von 
am  repräseutirt.     Daß    die   gegebene  Erklärung    ' 
von  frayanmahi  und  hvänmahi  nicht  nur  zuläs- 
sig, sondern  geradezu  geboten  ist,  lehrt  dänmahi 
Y.  68.  1  {dämahi  67.  1  Sp. ;  Var.  daumahe,  dan- 
mahe  W.),  das  nichts  anderes  als  dämahi  =  dä- 
mahi  sein    kann ,    wiewohl    Justi    aus   ihm  eine 
Wurzel  dän  erschließt.  —     Nach  Analogie   von 
dänmahi  ist  vielleicht  auch  dumnan  »Nebel,  Dunst«, 
das  Justi  zu  skr.  dhüniä   stellt,    zu    beurtheilen, 
es   kann   jedoch   auch    mit   dvänman  »Gewölk« 
zu  skr.  dhvan  sich  verhüllen,    dhvänta  »dunkel, 
Finsterniß«  gehören. 

Wendet  man  das  Gesagte  nun  auf  *sa,nmme 


267 

=  WisJiänmcnr  an,  so  muß  dasselbe  auf  *sdnmie 
zurückgeführt  werden,  und  diese  Form  ist  deut- 
lich Dat.  Sg.  eines  Stammes  suman,  den  wir  drei- 
mal im  Sanskrit  finden  (sä'vian)  mit  den  Be- 
deutungen 1)  Gesang  2)  Erwerb,  Besitz,  Reich- 
thum,  Fülle  3)  gute,  beschwichtigende  Worte, 
Milde,  freundliches  Entgegenkommen. 

4.     Brighu,  dregiaüt^  dritvi. 

Die  Wörter  drighu  (daregbu,  drigu,  dregu,  fem. 
drivi)  »arm«,  dregvailt  »schlechte,  dritcl  »Bettel« ^?) 
\Tg\.  driuika  »Armnth«  gehören  offenbar  zusam- 
men, aber  weder  ihre  Etymologie  noch  das  ge- 
genseitige Verhältniß  ihrer  Laute  ist  in  das 
Reine  gebracht.  Ohne  das  Letztere  hier  aus- 
führlich besprechen  zu  wollen  bemerke  ich  nur, 
daß  das  Verhältniß  von  driici  zu  drighu  nicht 
ohne  Weiteres  mit  dem  von  lat.  levis  zu  skr. 
laghü  verglichen  werden  darf  (Windischmann 
Mithra  p,  43,  Spiegel  Comment.  IL  119),  weil 
av.  w  dem  lat.  v  nicht  correspondirt.  —  Was 
die  Etymologie  von  drighu  u.  s.  w.  anlaugt,  so 
ist  sie  unschwer  zu  erkennen ,  vrgl.  lit.  dirgstu 
{]/ dirg)  »zu  nichte  werden,  versagen«,  sudirgstu 
»schwach,  elend  werden  Tvon  Menschen  und 
Thieren);  abnehmen,  herunterkommen;  schlecht 
unangenehm,  ungünstig   werden  (vom  Wetter)«. 

5.     Häidhista. 

Das  Wort  häidhista  Yt.  12.  8  (atbista ,  häi- 
dhista, jaghnista,  na9ista  täyümca  hazarihanem- 
ca  u.  s.  w.)  wird  von  Justi  dufch  »am  meisten 
tötend«,  von  Spiegel  durch  »bewaffnet«  über- 
setzt; beide  Uebersetzungen  sind  rein  conjec- 
tural,  weder  etymologisch,  noch  philologisch  hin- 
reichend gestützt.  Ich  glaube  aus  der  erwähnten 
auf  Rashnu  bezüglichen  Stelle    schließen  zu  sol- 


268 

leii,  daß  hdidhista  ein  Epitheton  Rashuus  ist, 
das  ihn  als  Freund  der  Guten  schildert,  nicht 
ein  solches,  das  ihn  als  Feind  der  Bösen 
bezeichnet,  denn  von  vier  ihm  gegebenen  Ephi- 
theten  ist  das  erste  (atbista  »nicht  grollend  = 
versöhnlich,  wohlwollend«,  vgl.  ved.  advishenyä) 
eins  der  ersten  Art,  die  beiden  letzten  dagegen 
sind  solche  der  zweiten  Art ;  nehmen  wir  nun 
an,  daß  auch  hdidhista  ein  Epitheton  der  ersten 
Art  sei,  so  erhalten  wir  einen  schönen  .Paralle- 
lismus, den  Spiegel  freilich  ganz  zerstört,  nicht 
nur  durch  seine  üebersetzuug  von  hdidhista,  son- 
dern auch  indem  er  jaghnista  für  »ganz  uunö- 
thig«  hält  (Comm.  IL  590)  und  es  demgemäß 
auch  nicht  übersetzt  (Uebers.  IIL  107).  Hat 
hdidhista  eine  bedeutung ,  wie  ich  sie  in  ihm 
^vermuthe ,  so  darf  es  unbedenklich  dem  ved. 
sadhishthah  rv.  V.  35.  1,  välakh.  5.7  »derFör- 
derndste«  (superl.  von  sddhü)  gleichgestellt  werden. 

6.    Dahmdyu,  perendyu. 

In  den  Wörtern  aetahmdyu,  dahmdyUf  peren- 
dyu (vollkommen),  vigpdyu ,  hacvardyu,  gatdyu, 
hasanrdyu  erkennt  Justi  Composita  mit  -dyu,  das 
in  ihnen  jedoch  seine  sonstige  Bedeutung  einge- 
büßt habe  und  affixartig  stehe.  Ich  halte  diese 
Annahme  für  nicht  unbedenklich  und  nicht 
sicher,  denn  einerseits  sind  die  Bedeutungen  von 
aetahmdyu,  haevaräyu ,  gatdyu ,  hazanrdyu  noch 
nicht  scharf  erkannt ,  andrerseits  zwingt  nichts, 
vtgpdyu  im  Sinne  Justis  zu  erklären,  da  mau 
es  entweder  als  -echtes  Compositum  von  vigpa 
und  dyu  übersetzen,  oder  es  zu  dahmdyu,  peren- 
dyu  stellen  kann,  die,  wie  mir  scheint,  nicht 
Composita  auf  -dyu  sind,  sondern  zu  vedischen 
Bildungen  wie  ayhdyü,  nrndyü,  prtandyn,  prga- 
ndyti  gehören.     Denn    wenn  man    auch   an  der 


269 

Stelle,  wo  jeue  beiden  Wörter  vorkommen  (Y. 
62.  2  W.),  perenayus  für  sich  als  Compositum 
aus  pcretia  -f-  äyu  auffassen  und  demgemäß  über- 
setzen könnte,  so  widerspricht  dem  doch  das 
pc^muyus  parallel  stehende  und  ihm  deshalb 
entsprechend  zu  erklärende  dahmayus,  das  nicht 
»frommes  Leben  führend«  oder  drgl,  bedeuten 
kann,  da  es  sich  auf  einen  der  yazats,  das  Feuer 
bezieht,  das  ein  Mensch  nicht  wohl  ermahnen 
kann,  ein  frommes,  gutes  Leben  zu  führen. 
Alle  Schwierigkeiten  fallen  fort,  sobald  wir  in 
pereiiäyu,  dahmäyn  nicht  -äyu  Leben  suchen  '), 
sondern  sie  zu  den  erwähnten  vedischen  Adjec- 
tiven  stellen ,  deren  Formation  vielleicht  auch 
durch  Äxxhuyu  im  Avesta  vertreten  ist.  Dann 
läßt  sich  perenäyu  durch  »mit  Fülle  versehen«, 
»von  Fülle  umgeben«,  dahmäyu  durch  »von 
Frommen  umgeben«  wiedergeben,  und  die  ganze 
in  Betracht  kommende  Stelle  wäre  zu  übersetzen : 
sei  [stets]  von  Fülle  umgeben  in  Beziehung  auf 
I deine]  Nahrung,  sei  in  Beziehung  auf  [deine] 
Nahrung  [nurl  von  Frommen  umgeben,  o  Feuer, 
Sohn  des  Ormezd;  dem  Feuer  wird  also  ge- 
wünscht, daß  es  stets  reichliche  Nahrung  finden 
möge,  daß  ihm  dieselbe  von  Frommen  besorgt 
werde,  d.  h.  von  solchen,  die  das  Feuer  in  keiner 
Weise  verunreinigen*),  es  nicht  mit  grünem 
Holze  nähren,  nicht  Haare  und  drgl.  in  es  wer- 
fen (vgl.  Ardä-Yiräf  10.  7  ff.,  34.  5  ff.)  und  daß 
ihm  nicht  Uufromme  nahen,  die  es  verunreini- 
gen, oder  gar  auslöschen  a.  a.  0.  37.  6  ff., 
55.  4  ff.) 

1)  Dis  Lesarten  peretiäytis  and  dahmdyits  in  K5  er- 
innern an  sk.  ayus;  allein  dieB  kommt  im  Avesta  nicht 
vor, 

2)  üeber  dahtna  vgl.  Hang  über  den  gegenw.  Stand 
der  Zend-Phüologie  S.  27  ff. 

22 


270 

Die  Bildungen  anf  -yu^  zu  denen  ich  pere- 
näyu  und  dahmäyu  gestellt  habe ,  sind  in  einer 
Beziehung  höchst  in structiv,  sie  veranschaulichen 
nämlich  sehr  klar  den  von  Fick  behaupteten 
Zusammenhang  der  Norainalbildung  und  Ver- 
balbildung ^),  sie  zeigen  klar  die  Entstehung  no- 

1)  Die  Arbeit  Ficks,  auf  welche  ich  hier  Bezug  nehme 
(Beitr.  I.  Iff)  scheint  einigen  deutschen  Gelehrten  großen 
Anstoß  gegeben  zu  haben ;  daß  sie  einiges  Bedenkliche 
hat,  leugne  ich  nicht,  daß  aber,  was  Fick  dort  vorge- 
tragen hat,  daß  speciell  seine  Behandlung  grundsprachli- 
cher »Wurzeln«  wie  bhar,  dram  von  bei  weitem  größerer 
Bedeutung  und  Wahrscheinlichkeit  ist ,  als  jene  meinen 
und  als  die  sinnlose  Besprechung  der  fraglichen  Arbeit 
in  der  Jen.  Lit-Ztg.  1876,  S.  760  anerkennt,  mögen  fol- 
gende Aeußerungen  beweisen : 

Herr  G.  J.  Ascoli  Studj  critici  II.  S.  29  N.  10  sagt: 
»Non  per  vana  pompa,  ma  per  la  realtä  della  storia,  e 
in  ispecie  per  notare  come  l'intima  concordanza  de'ri- 
sultati  implica  la  verita  generale  del  prinoipio,  mi  fo  le- 
cito  di  qui  avvertire  la  graudissima  somiglianza  che  corre 
fra  lo  studio  del  Fick :  Wurzeln  und  Wurzeldetermina- 
tive (Vergl.  Wörter!)."  927—1014,  "IV ,  1-120;  1870, 
1876)  .e  il  secondo  de'miei  'Studj  ario-seniitici' ,  letto 
all'  Istituto  Lombarde  nella  tornata  del  6  luglio  1865 
e  pubblicato  in  quello  stesso  anno.  Ne  io  era  il  primo 
che  si  mettesse  per  quella  via.  Che  se  in  ordine  alla 
natura  dei  'determiuativi'  in  paite  ancora  si  disscuto,  cio 
non  importa  alcuua  essenzialo  difl'crenza;  tanto  e  vero, 
che  io  rivcdü  letteralmente  nie  stesso  nellc  osscrvazioni 
generali  intorno  ai  tipi  nominali  bhara  drama  ecc, 
anteriori  alle  8iij)poste  radici  bhar  dram  ecc. ,  che  il 
Fick  prepone  a  uu  recente  suo  Articolo  (nei  'Beiträge' 
etc.  I.  1  segg.) ;  cfr.  la  uota  che  qui  seguo  a  pag.  63 
sgg.  Man  con  ciö  non  iuteiido  mica  d'accusaro  di  plagio 
qnosto  gagliardü  c  opcrosu  alonianuo!« 

Herr  Honoro  Chavoc  Idöologie  lexiologique  (Paris 
1878)  S.  611'.  sagte:  »Pour  le  moraent,  qu'il  me  soit  per- 
njis  d'etablir  unc  differcncc  profonde  entre  les  vuttables 
monusyllabiquos  premicrs ,  pronoras  et  vcrbs  siraplea 
— ,  et  une  foule  de  racines  Qionosyllabiques  ä  consonne 
finale  autre  qae  R  (ou  L  pour  R) ,   telles  que  tan ,  man, 


271 

luinaler  Stämme  ans  verbalen ,  denn  e^  kann 
keinem  Zweifel  unterliegen ,  daß  jene  Bildungen 
aus  Verbalstämmen  auf  -ya  entstanden  sind. 
Wie  das  geschah,  bedarf  noch  genauerer  Unter- 
suchung. 

Av.  gtri  =  skr.  strt  »Weib«  ist  bisher  ety- 
mologisch nicht  erklärt;  denn  die  Behauptung, 
stri  sei  ans  *sütn'  entstanden  (Graßraann  Wbch. 
c.  1596)  kann  nicht  als  Erklärung  gelten.  Sie 
ist  nicht  besser  als  die  Behauptung  Yäkas  Nir. 
m.  21,  strt  komme  von  styä  »sich  schämen« 
(apa-trap)^  denn  wie  diese  nimmt  sie  eine  un- 
verbältnißmäßige  Verstümmelung  des  Wortes 
an,  indem  sie  zugleich  unbeachtet  läßt,  daß  die 
für  strt  vorausgesetzte  Form  *siUri  sich  im 
Atbarvaveda  in  der  Bedeutung  »Geburtsglied« 
findet  (Av.  IX.  7.  14;  vgl.  PW.  s.  v.). 

Denkt  man  sich  das  aus  av.  f^ri  und  skr. 
stri'  ergebende  arische  Wort  stri'  einen  Augen- 
blick als  ans  *astri'  entstanden,  so  ist  seine  Ety- 
mologie sofort  klar»  denn  alsdann  verhält  sich 
stri  zu  asu  (av.  anhu),  das,  wie  die  begrifiF- 
liche  Uebereinstimmung  von  lat.  herus ,  crus 
(Brugman  KZs.  23.  96)  und  av.  anhu  (Justi 
s.  V.,    Hang  Sitzungsber.  d.  B.  Akad.  phil.-phil. 

pat,  päd,  vrt,  rabh,  radh,  etc.,  etc.,  formes  tronquees 
des  derives  dissyllabiques  ta-na  et  ta-na,  ma-na  et  ma-nu, 
pa-ta  et  pa-ti,  pa-da  (derive  par  le  pronom  demonstratif 
da ,  comme  pa-ta  l'eet  par  le  pronom  demonstratif  ta), 
vr-ta  ,  ra-bha  (derive  par  bha  .  paraitre,  formant  des  in- 
choatifs) ,  ra-dha  (derive  par  dha ,  faire ,  formant  des  in- 
tensifs),  etc.,  etc.« 

Zu  dem  was  ich  Ööt.  gel.  Anz.  1877  S.  834  im  Afi- 
BcWuß  an  Ficks  Ansichten  über  Formen  wie  ifn^irqa  ge« 
sagt  habe,  bitte  ich  zu  vergleicbea .  was  Henfej  Göt. 
Nachr.  1877  S.  541  über  die  Svarabhakti  bemerkt  hat. 

22* 


272 

Cl.  1872  I.  109  fif.)  wahrscheinlich  macht,  schon 
in  der  ar.  Grundsprache  die  Bedeutung  »Herr« 
hatte  —  alsdann,  sage  ich ,  verhält  sich  sfrt'  zu 
asu,  wie  skr.  hltmiri  »Erhalteriu ,  Ernährerin, 
Mutter«  zu  hharii  »Herr«.  Bhartrl'  ist  Femin. 
zu  hhartx'  (oder  bhürtv)  »Erhalter,  Ernährer, 
Herr,  Gatte« ;  demnach  ist  für  ar.  strt'  ein  mas- 
eul.  *stdr  vorauszusetzen  —  daß  dasselbe  ver- 
loren ist,  begründet  natürlich  keinen  Einwand 
gegen  die  aufgestellte  Erklärung  von  stri'. 

Ar.  dsti  »Herr«  wird  mit  Recht  zu  \/as 
»sein«  gestellt;  vergleichen  wir  mit  jenem  nun 
strt,  so  verhält  sich  jenes  zu  diesem  ebenso, 
wie  sich  die  Singularformen  skr.  dsnii,  dsi,  dsti, 
av.  ahmi,  ahi,  agfi,  zu  den  Pluralformen  skr. 
smds,  sthd,  sdiiti,  av.  mahl,  ^td,  liehti  verhalten. 
Die  verschiedene  Form  der  Wurzel  in  den 
angeführten  Singular-  und  Plural  formen  resultirt 
aus  der  Verschiedenheit  der  Betonung  dieser 
Formen ;  es  liegt  auf  der  Hand ,  daß  die  Diffe- 
renz der  wurzelhaften  Bestandtheile  in  av.  aiihii 
und  skr.  stri'  =  zend.  Qiri  sich  aue  gleichem 
Grunde  gebildet  hat.  —  Immerhin  ist  die  Bil- 
dung eines  Nomen  actoris  *stdr,  fem.  str'i'  von 
\/^as  eine  Unregelmäßigkeit,  aber  sie  steht  nicht 
vereinzelt,  vgl.  av.  Jceretar,  deretar,  herdur ,  skr. 
MSÄtr',  uptrma{?),  gr.  ioicog  (falls  es  nicht  als 
laitog  aufzufassen  und  dem  skr.  veftr  gleichzu- 
stellen ist),  lat.  «xor  neben  vector  (Fick  Wbch.' 
II.  244)  u.  A. 

Von  Wurzel  (is  sind  mit  Einbuße  des  wur- 
zelhaften Vocals  auch  skr.  sti  =  av.  ^'ti  und 
av.  gta  gebildet  (Graßmann  Wbch.  c.  1590). 
Diese  Behauptung  ist  unrichtig,  wenn  Roth  über 
Ya9na  31  S.  23  aus  der  Form  ^idi,  die  er  für 
Dativ  erklärt,  ein  msc.  Thema  {;tä  mit  Recht 
erschlossen  hat.      Hiergegen    scheint   mir   aber 


I 


273 

ein  gewichtiges  Bedenken  zu  sprechen :  wäre 
gt<yi  Dativ  eines  Thema  ^tä,  so  wäre  dieses,  wie 
Roth  selbst  bemerkt,  flectirt  wie  z.  B.  skr.  rti- 
cipci' ;  dann  aber  wäre  das  ä  in  (jfd  verbal,  dann 
läge  in  diesem  ]/f^d  »stehen«  vor  und  dann 
wäre  der  auch  von  Roth  (a.  a.  0.  und  im  Pe- 
tersb.  VVbch.  s.  v.  sti)  angenommene  und  klar 
auf  der  Hand  liegende  Zusammenhang  zwischen 
dem  für  rt/ji  angenommenen  Thema  ftu  und  dem 
von  ihm  nicht  zu  trennenden  {ii  einerseits  und 
skr.  sti  andrerseits  unmöglich,  da  dieses  letztere, 
wie  sein  nicht  aspirirter  Dental  zeigt,  nicht  von 
"]/  stJui  herkommen  kann.  Wer  diese  Consequenz 
vermeiden  will,  dem  bleibt,  wie  mir  scheint, 
nichts  übrig,  als  die  Ansicht  aufzugeben,  daß 
gföi  Dativ  eines  Thema  gtä  sei.  Wie  die  Form 
definitiv  zu  erkläreu  sei ,  weiß  ich  nicht ;  daß 
gtoi  {=  gte)  dativisch  gebrauchter  Locativ  sei, 
wäre  eine  reichlich  wohlfeile  Erklärung.  Mau 
berücksichtige  Y.  68.  14  W. :  vi9paya  vi9e  mäz- 
daya9ue.  —  Gegen  die  Annahme,  daß  av.  gti 
und  ved.  sti  zn  \/as  gehören,  kann  eingewendet 
werden ,  daß  neben  diesem  im  Veda  die  volle 
Form  *asti  in  svasti  vorkomme.  Indessen  dieser 
Einwand  würde  nicht  viel  besagen ,  denn  es 
kommt  ja  nicht  selten  vor,  daß  in  einer  Sprache 
zwei  lautlich  verschiedene  Wörter  erscheinen, 
die  sich  aus  gleichen  Elementen  gebildet  haben, 
oder  daß  —  um  mich  anders  auszudrücken  — 
eine  Sprache  ein  Wort  in  verschiedenen  Gestal- 
ten besitzt ,  deren  Bildung  dann  freilich  in  der 
Regel  verschiede  neu  Phasen  angehört.  Ich  er- 
innere hier ,  nur  an  die  schon  oben  angeführten 
lat.  Wörter  uxor  und  vector ;  einen  Monstrebe- 
jleg  für  das  Gesagte  würde  J.  Schmidt  gegeben 
haben,  wenn  er  Voc.  IL  492  lit.  ilgas  »lang« 
und  draihas  »lang  gestreckt«  mit  Recht  für  wur- 


274 

zelhaft   verwandt  erklärt   hätte.     Das   bezweifle 
ich  nun  freilich. 

Nach  der  Flexion  von  as  av.  ah  »sein«  rich- 
tet sich  ad  »essen«,  mit  dem  Unterschiede  jedoch, 
daß  dieses  in  den  schwachen  Formen  sein  a  be- 
wahrt. Nehmen  wir,  was  nicht  unwahrschein- 
lich ist,  an,  daß  einst  auch  cw?  »formabstufend«  ^) 
conjugirte ,  so  würden  z.  B.  seine  Pluralformen 
in  der  arischen  Grundsprache  dmäsi,  dfä,  dänti 
gelautet  haben.  Hierzu  würde  ein  Nom.  Actor. 
dtär  oder  dträ  (vgl.  usMy  und  tishtra  =  av. 
ustra)  stimmen.  Dasselbe  hat  sich  in  av.  hhraf- 
-gtra  erhalten,  wenn  die  von  Hang  stets  vertre- 
tene Erklärung  dieses  Wortes  als  »Fleisch-esser« 
richtig  ist  (z.  B.  Gäth.  p.  3  »carnem-devorantes« 
=  Jchrafgirä,  Ahuna-vairya-Formel  S.  125  Anm. 
1).  Ob  sie  das  ist,  will  ich  nicht  entscheiden; 
ich  wollte  nur  zeigen,  daß  sie  möglich  ist. 

8.     Bis.,  haeshas. 

Die  Wörter  bis  und  haeshaz  nebst  skr.  bhish- 
aj ,  hhishäj  ,  hhishajy ,  hhishnaj ,  hheshajd  haben 
ohne  Noth  große  Schwierigkeiten  gemacht;  eine 
einfache  Erklärung  derselben  liegt  sehr  nahe, 
und  ich  erlaube  mir,    dieselbe  hier  vorzutragen. 

Skr.  bhäsh  »reden,  sprechen«  ist  vermuthlicb 
aus  *bhäs  entstanden  (vgl.  lash,  Benfey  über 
jubeo  S.  37);  davon  konnte  ein  Nomen  bhis 
»Spruch,  Besprechung,  Hoilspruch,  Heilung«,  ge- 
bildet werden,  vgl.  ved.  *f/s  in  u^^ts  »Bitte,  Ge- 
bet, Wunsch«,  svägis  »mit  gutem  Gebete  verse- 
hen«, pragis  »Befehl,  Vorschrift«  von  \/i;äs  »be- 
lehren,    preisen«   u,  A.     Jenes    bhis   findet   sich 

1)  Weshalb  dieser  gute  Ausdruck  Bopps  jetzt  allge- 
mein durch  den  schlechteren  »stanimabstufoud«  ersetzt 
wird,  verstehe  ich  uicbt. 


275 

nun  in  av.  eredhucfbis ,  v'igpf'^bis,  htd/is,  Epitheten 
eines  wanderbaren  Baumes  (Windischmann  Zor. 
Stud.  S.  166  ff.)-  ^^^  jenem  der  arischen  Grund- 
sprache zuzuschreibenden  hhis  sind  abgeleitet: 
skr.  bhishaj  (Verb.  n.  Nom.)  aus  dem  weiter 
bhishajy  (vgl.  dhrshäj  .  sanaj.  äsvapnaj)  gebildet 
wurde,  und  bhishnaj  (vgl.  trshnäj  neben  trshyä- 
vant);  andrerseits  (mit  gunirung)  ar.  btieshaz 
und  barshasa  =  skr.  bheshaja,  baeshazya. 

Die  Richtigkeit  dieser  aufgestellten  Erklä- 
rung wird  einleuchtender  werden,  wenn  man 
vergleicht:  slav.  bajafi  »fabulari,  incantare,  me- 
deri«,  balij  »incantator,  medicus«  ,  balovati  »cu- 
rare«, balovanije  »medicina«,  balistvo  »incantatio, 
mediciua«. 

Die  Berechtigung  bhis  aus  bhus  schon  in  der 
arischen  Grundsprache  entstehen  zu  lassen,  ge- 
ben av.  v'f-mita,  fra-mifa.  berezi-mita  (daneben 
mata)  =  skr.  mitu  (Part.  Perf.  Pas.  von  tw«), 
av.  (za9t6-)w?Y/  =  skr.  miti  »Maß«  u.  A. 

A 

9.    Agyayäo,  täshyaydo,  fna^ayäo. 

Die  comparativischen  Nomin.  Sg.  Fem.  ä^ya- 
yäo  und  täschijaydo  finden  sich  Visp.  7.  3  (W.): 
uairyam  häm  varetim  yazamaide  framen-naräm 
frameu-uaro-viräm,  yä  ägaot  ä9yayäo,  yä  takhmo  ') 
täsyayäo  ^  u.  s.  w.     Eine    Erklärung    derselben 

1)  So  schreibe  ich  abweichend  von  Westergaard  und 
Justi,  die  inkhmn  nnd  das  folgfend«  Wort  zu  einem  Com- 
positum verbinden,  denn  takhmö  kann  gar  nichts  anderes 
als  Ablativ  sein ;  das  beweist  das  parallele  dmo\.  Takh- 
mö ist  aus  tukhtndi  eutatandeu,  indem  das  t  abfiel  (an- 
dere Fälle  der  Art  verzeichnet  Flühschmann  z.  Casus).  S. 
242)  und  das  </'  durch  den  Einfluß  des  vorhergehenden 
m  zn  ö  wurde. 

2)  Spiepclä  Text  (8.  14)  weicht  unwesentlich  ab;  die 
Varianten  bei  W.  und  Sp.  sind  ohne  Warth. 


276 

ist  meines  Wissens  bisher  nicht  gegeben ;  die 
meisten  scheinen  sich  mit  der  Vermuthung  be- 
friedigt zu  haben  ,  daß  -yayäo  Schreibfehler  für 
-yäo  sei,  was  ich  für  sehr  unwahrscheinlich  halte, 
um  so  mehr,  als  jene  Formen  sehr  wohl  zu  er- 
klären sind. 

Vergleicht  man  gtävacsta  mit  skr.  sthävishtha 
(Justi  s.  V.,  M.  Müller  KZs.  18.  213),  so  sieht  man, 
daß  der  Stammauslant  eines  mehrsilbigen  Adjectivs 
vor  dem  Suffix  des  Superlativs  und  folglich  auch 
des  Comparativs  in  der  Sprache  des  Avesta  erhalten 
bleiben  konnte  wie  im  Slav.  u.  Preuss.  Demnach 
trenne  ich  in  äcyaydo  und  täshyayäo^)  -yäo  alsCom- 
parativendung  des  Nom.  Sg.  Fem.  ab  ;  so  gewinnen 
wir  die  adjectivischen  Stämme  ägya-  und  täshya-. 
Diese  Stämme  sind  im  Avesta  außer  im  Compar. 
nicht  nachzuweisen ,  denn  »schnell«  heißt  ärii, 
»stark«  takhma.  Aber  darum  ist  das  bisher  Vorge- 
tragene nicht  zu  beanstanden,  denn  ein  Stamm  ägya- 
verhält  sich  zu  afw-,  wie  got.  hardia-  zu  hardu-, 
lit.  grazia-  zu  grazu-,  gr.  noXio-  zu  noXv-  (ZGLS. 

S.  153)'.  Agyayäo  neben  ägu  lehrt  also,  daß  das 
Tauschverhältniß,  welches  zwischen  adjectiv.  u- 
und  ya-Stämmen  in  mehreren  europäischen  Spra- 
chen besteht,  auch  der  Sprache  des  Avesta  nicht 
fremd  war.  Das  Nicht- Vorkommen  eines  selb- 
ständigen Stammes  täshya-  spricht  ferner  nicht 
gegen  das  Gesagte ,  weil  weder  täshyayäo  noch 
—  wenn  dieses  wirklich  falsch  sein  sollte  — 
Häshyäo  ja  doch  auf  keinen  Fall  von  takhma 
gebildet  sein  können,  mit  Nothwendigkeit  also 
neben  diesem  ein  anderer  Stamm  angesetzt  wer- 
den muß,  der  außer  in  jenem  Comparativ  nicht 

1)  So  (mit  sh)  schreibt  mit  Recht  Spiegel  Oram.  S. 
176  und  nach  seinen»  Vorgange  Hübschmann  Kbeitr.  7. 
462;  wegen  des  sh  vgl.  hasha,  hasM  neben  hakhi. 


277 

im  Ävesta  vorkommt.  Der  von  mir  angenom- 
mene Stamm  täshya  =  *tanJcia-  findet  sich  im 
Litauischen,  das  in  der  Flexion  des  Adjectivs  fan- 
]ci(S  »dicht«  mehrfach  einen  Stamm  fanha-  zeigt. 
Daß  die  Sprache  des  Avesta  jemals  neben  dem 
Stamme  *fanlia-  auch  den  im  Lit.  mit  diesem 
verbundenen  «-Stamm  gekannt  habe,  läßt  sich 
nicht  behaupten,  ist  aber,  wie  das  Nebenein- 
ander von  u^ti  und  ärya  lehrt,  wohl  möglich. 

Wie  ägifaydo  und  töshyayäo  ist  magyayäo  zu 
erklären ;  dieses  findet  sich  Vend.  5.  24  (W.) 
in  den  besten  Hss. :  mapjayäo  üfs  .  . .  ma^yayäo 
vana.  Westergaard  liest,  den  schlechteren  Hss. 
folgend,  nm^ydo;  Spiegel  hat  in  seiner  Ausgabe 
(5.  72,  73)  nia^yaydo  angenommen  ,  in  seinem 
Commentar  aber  (I.  172)  durch  mnryno  ersetzt  ^). 
Mir  scheint  es  in  Hinblick  auf  dcyayäo  und 
täshyayäo  geboten  zu  sein ,  ma^yayäo  festzuhal- 
ten. Ich  würde  dieß  noch  bestimmter  behaup- 
ten ,  wenn  ich  den  hierfür  vorauszusetzenden 
Stamm  nux^ya-  nachweisen  könnte. 

Sollte  sich  die  vorgetragene  Erklärung  der 
Formen  ä^yayäo,  täshyaydo  und  maryayäo  als 
unrichtig  herausstellen,  so  wird  es  am  nächsten 
liegen,  ihren  Ausgang  -yayäo  aus  einer  Verdopp- 
lung des  Comparativsuffixes  zu  erklären  (vgl. 
ahd,  meröro,  mcriro).  Einer  solchen  Erklärung 
stehen  aber  viel  größere  Schwierigkeiten  entge- 
gen, als  der  oben  gegebenen. 

1)  Mit  Bezug  auf  eine  dort  geäußerte  Bemerkung 
Spiegels  hebe  ich  hervor,  das  in  der  Sprache  des  Ävesta 
ein  besonderes  Thema  für  das  Femin.  des  Compar.  nicht 
gebildet  zu  werden  braucht  (was  freilich  vorkommt),  daß 
dort  vielmehr  —  wie  im  Griech.  und  Latein.  —  derselbe 
Stamm  für  Msc. ,  Fem.  und  Ntr.  des  Compar.  verwendet 
werden  kann. 


278 
Universität. 

Am  20.  März  entschlief  sanft  nach  jahrelan- 
gem Leiden  der  ordentliche  Professor  der  Theo- 
logie und  erster  Uuiversitätsprediger,  Obercon- 
sistorialrath  Dr.  theol.  Eh  reufeuchter,  Abt 
zu  Bursfelde. 

Friedrich  August  Eduard  Ehrenfeuchter 
war  am  15.  Decbr.  1814  zu  Leopoldshafen  im 
Großherzogthum  Baden  geboren  und  erhielt  seine 
wissenschaftliche  Vorbildung  auf  dem  Lyceum 
zu  Mannheim,  wohin  sein  Vater  als  Oberlehrer 
versetzt  worden.  Bereits  im  17.  Lebensjahre 
bezog  er  Michaelis  1881  die  Universität  Heidel- 
berg, auf  welcher  er  bis  Ostern  1835  Theologie 
und  Philosophie  studierte.  Nach  Beendigung 
seiner  Universitätssiudien  übernahm  er  die  Stelle 
eines  Religionslehrers  an  dem  Lyceum  zu  Mann- 
heim, wurde  vier  Jahre  darauf  Pfarrverweser  in 
Weinheim  und  bald  darauf  Hof-  und  Stadt- Vicar 
in  Carlsruhe.  Von  hier  folgte  er  im  Spätjahr 
1845  einem  Rufe  als  außerordentlicher  Professor 
der  Theologie,  Universitätsprediger  und  Director 
des  homiletischen  Seminars  nach  Göttingen,  wor- 
auf zu  Anfang  des  folgenden  Jahrs  die  theolo- 
gische Facultät  der  Universität  Heidelberg  ihm 
die  Würde  eines  Doctors  der  Theologie  verlieh. 
Im  Jahr  1849  wurde  er  zum  ordentlichen  Pro- 
fessor in  der  theologischen  Facultät  für  das  Fach 
der  praktischen  Theologie  und  i.  J.  1858  zum 
Obercousistorialrath  ernannt,  nachdem  er  i.  J. 
1857  zum  ordentliche)!  Mitgliede  des  Consisto- 
riums  zu  Hannover  und  i.  J.  1858  zum  außer- 
ordentlichen Mitglied  des  Stautsraths  ernannt 
worden.  Die  Würde  eines  Abts  zu  Bursfelde 
wurde  ihm    nach   dem  Tode  Lücke's   i.  J.    185G 


J 


279 

ertheilt.  J.  J.  1866  wurde  er  auch  außeror- 
dentliches Mitglied  des  neuerrichteten  Landes- 
Consistoriums. 

Ehreufeuchter ,  der  nnerachtet  mehrerer  und 
zum  Theil  sehr  verlockender  Rufe  Güttingen 
und  seiner  einflußreichen  Thätigkeit  in  der  Han- 
noverschen Landeskirche  mit,  deren  Geistlichen 
Gemeinschaft  auzukuüpfen  und  zu  pflegen  er 
wie  wohl  kein  anderer  Uuiversitäts- Lehrer  be- 
reit war,  treu  geblieben  ist,  hat  auch  noch 
lange  nach  dem  ersten  Auftreten  seiner  Krank- 
heit, welche,  durch  eine  Geschwulst  im  Hirn 
verursacht,  schon  vor  fünfzehn  Jahren,  damals 
Erblindung  drohend ,  sich  zeigte ,  seine  segens- 
reiche Thätigkeit  auf  Katheder  und  Kanzel  in 
treuer  Hingebung  und  mit  Aufbietung  seiner 
letzten  körperlichen  Kraft  bis  vor  zwei  Jahren 
fortgesetzt,  wo  er  sich  ganz  zurückziehen  mußte. 
Doch  behielt  er  noch  die  geistige  Kraft,  ein 
wissenschaftliches  Werk,  welches  ihn  viele  Jahre 
lang  beschäftigt  und  welches  er  als  das  Haupt- 
werk seines  Lebens  sich  vorgesetzt  hatte,  druck- 
fertig machen  zu  können. 


Se.  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben 
allergnädigst  geruht  den  Großherzoglich  Baden- 
schen  Geheimen  Hofrath  und  ordentlichen  Pro- 
fessor Dr.  Gustav  Hartmann  zu  Freiburg  i. 
Br.,  unter  Verleihung  des  Charakters  als  Gehei- 
mer Justiz-Rath,  zum  ordentlichen  Professor  in 
der  juristischen  Facultät,  und  den  ersten  anato- 
mischen Assistenten  am  pathologischen  Institute 
der  Friedrich  -  Wilhelms  -  Universität  äu  Berlin, 
Dr.  J.  Orth,  zum  ordentlichen  Professor  in  der 
medicinischen  Facultät  der  hiesigen  Universität 
zu  ernennen. 


280 

Der  ordentliche  Professor  in  der  medicini- 
sehen  Facultät  Dr.  med.  Ponfick  ist  in  glei- 
cher Eigenschaft  in  die  medicinische  Facultät 
zu  Breslau  versetzt  worden. 

Der  Privatdocent  in  der  juristischen  Facultät, 
Dr.  jur.  Gustav  Rümelin  ist  zum  außerordent- 
lichen Professor  in  dieser  Facultät  ernannt,  und 
demselben  darauf,  nachdem  er  inzwischen  einem 
an  ihn  ergangenen  Rufe  als  ordentlicher  Pro- 
fessor nach  Freiburg  i.  Br.  Folge  geleistet  hatte, 
die  von  ihm  erbetene  Dienstentlassung  von 
Ostern  ab  ertheilt  worden. 

In  der  philosophischen  Facultät  haben  sich 
als  Privatdocenteu  habilitiert : 

Dr.  phil.  Eugen  Geinitz  zu  Michaelis  1877 
für  das  Fach  der  Geologie,  und 

Dr.  phil.  Otto  Krümmel  Ostern  1878  für 
das  Fach  der  Geographie. 


Philosophische  Facultät. 

Benekesche   Preisstiftung. 

Die  chemische  Zusammenstellung  der  gleichen 
in  demselben  Entwicklungsstadium  stehenden 
Organe  ein  and  derselben  Pflanzenspecies  ist  bei 
verschiedenen  Individuen  innerhalb  gewisser 
Grenzen  eine  verschiedene.  Die  Samenkörner 
des  Weizens  z.  B.  enthalten  bald  mehr  bald 
weniger  Phosphorsäure,  bald  mehr  bald  weniger 
Eiweißstoffe,  bald  mehr  bald  weniger  Stärke. 
Von  Einfluß  auf  die  Zusammensetzung  sind  unter 
andern:  Klima  und  Witterungsverhältnisse,  Bo- 
den und  Düngung.  Die  Darlegung  der  bis  jetzt 
bekannten  Thatsachen  und  der  Versuch  einer 
Erforschung  der  hier  waltenden  Gesetze  wird 
als  Preisaufgabe  für  das  Jahr  1881    gestellt.  — 


281 

Es  wird  gewünscht; 

1.  Eine  umfassende  Zusammenstellung  der 
bis  jetzt  vorliegenden  Beobachtungen  und  Un- 
tersuchungen .  sowie  kritische  Beleuchtung  der 
bei  den  Untersuchungen  angewandten  Methoden. 

2.  Die  Anstellung  selbständiger  Versuche 
in  der  fraglichen  Richtung ,  soweit  solche  zur 
Begründung  der  Beweisführung  erforderlich  sind. 

3.  Eine  eingehende  Darlegung  der  geeig- 
netsten Mittel  und  Wege,  um  die  noch  vorhan- 
denen Lücken  in  der  Erkenntuiß  der  betreffen- 
den Gesetze  auszufüllen. 

Bewerbungsschriften  sind  in  Deutscher,  La- 
teinischer, Französischer  oder  Englischer  Sprache 
mit  einem  versiegelten  Briefe ,  den  Namen  des 
Verfassers  enthaltend,  beide  mit  gleichem  Motto 
bezeichnet,  bis  zum  31.  August  1880  an  uns 
einzusenden;  die  Entscheidung  über  die  Preise 
(1700  und  680  R-ichsmark)  erfolgt  am  11.  März 
1881,  dem  Geburtstage  des  Stifters,  in  öffent- 
licher Sitzung  der  Facultät. 

Gekrönte  Arbeiten  bleiben  unbeschränktes 
Eigenthum  ihrer  Verfasser. 

Die  Preisaufgabe  für  das  Jahr  1880  ist 
S.  280  der  Nachrichten  von  1877  bekannt  ge- 
macht worden. 


1.  Mai  1878. 


Die  philosophische  Facultät  der 
Georgia  Augusta. 

Der  Decan:    F.  Wüstenfeld. 


282 


Bei    der    Köiiigi.    Gesellschaft    der     Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

W.  R  i  d  le y ,  Kämilaröi  and  other  Australian  languages. 

Second  edition,    with  comparat.  tablcB   of  words  etc. 

Sidney  1875.     4. 
Railways   of  New   South  Wales.     Report.     From    1872 

—1875.     Sid.  1876.     Fol. 
Annual  Report   of  the  Department  of  mines    of  N.  S. 

Wales  for  1876.     4. 
Bulletin  de  l'Acad.     R.   des  Sciences   de  Belgique.    T. 

44.  No.  11. 
Mittheilungen    der    Geschichts-    und  Alterthumsforsch. 

Gesellschaft  d.  Osterlandes.    Bd.  8.    H.  2.    Altenburg. 
Nature.    431-434. 

Mittheilungen   aus   dem    naturwiss.    Vereine  in  Greifs- 
wald.    Jahrg.  9. 
Bivista  Europea.     Vol.  V.     Faso.  III. 
A.  Scacchi.    sopra    un    masso   di   pomici   trovato  in 

Pompei.     1877.     4. 
Id.  Dell  'Anglesite  sulle  lave  vesuviane.    1878.    4. 
Corrections  to  Hansen's  tables  of  the  Moon.    Washington 

1878.- 
Donders  u.  Engelmann  ,    Onderzoekingen.      Derde 

Reeks.    V.  1.    Aflev. 
Leopoldina.    XIV.     No.  1-2. 
Societa  Toscana  di  Scienze  naturali.     Proc.  verb.    13. 

1878. 
Monthly  Notes   of   the   R.  Atron.     Society.     Vol.  38. 

No.  3. 
Bulletin  de  la  Soc.  mathematique.    T.  VI.    No.  2. 
Verhandelingen   rakende   den    natuurlijken    en  geopen- 

baarden  Godsdienst.     Zesde  Deel.     Harlem.  1877. 
P.  Bleeker,     Memoire     sur    les    Chromides     marins. 

Harlem.     1877.     4. 
Archives  Neerlandaises.  T.  XII.     Livr.  2—5.  ,-J 

Catalogus  der  Bibliothek  van   de  Maatschappij  der  ne-     1 

derlandsche    Letterkunde    te    Leiden.      1.      Gedeelte 

Handschrift. 
Handelingen  en  Medeelingen  van  de  Maatschappij.  li^77. 


283 

Levensberichten  d.  afgestorvene  Medeleden  van  de  Maat- 
chappij.    Bilage  tot  de  Handelingen  von  1877.    Leiden. 

Zeitschrift  der  deutschen  Morgenländischen  Gesellschaft. 
Bd.  31.    H.  4. 

W.  Wright,  Catalogue  of  the  ethiopic  Manoscripta 
in  British  Museum. 

Monatsbericht  der  Berliner  Akademie  d.  Wias.  Nov. 
1877. 

Verhandelingen  der  K.  Akademie  van  Wet.  Amster- 
dam. 4.  Afd.  Natuurkunde.  T.  XVII.  Afd.  Let- 
terknnde.     T.  IX.  XI. 

Verslagen  en  Mededeelingen.  Natuark.  2.  XI.  Letterk. 
2.  VI. 

Jaarboek  van   de  K.  Akad.  te  Amsterdam.    Voor  1876. 

Processen— Verbaal.  1876—77. 

Pastor  bonus.     Preisachrift.    Amsterdam  1877. 

Carte  g^ologique  de  la  Snede.    No.  57—62. 

Dazu  8  Beschreibungen. 

0.  Gumaelius,  om  glaciala  bildningar.  G.  Nath- 
horst,  om  on  Cycadekotte  vid  Tinkarp  i  Skäne.  H. 
Santeson,  kemiska  Bergartsanalyser  I.  G.  Linnarson. 
ofversigt  af  Nerikes  Oefvergängsbildningar.  G.  Nath- 
fa  o  r  s  t  nya  fyndorter  for  arktiska  vaxtlemningar  i 
Skane.  0.  T  o  r  e  1 1 ,  sur  les  traces  les  plus  anciennes 
de  Tex-istence  de  rhoiurae  en  Suede. 

Transactions  of  the  Connecticut  Academy  of  Arte  and 
Sciences.    Vol.  IV.     P.  1.     New.  Haven.     1877. 

Acta  Horti  Petropolitani.     T.  V.  Fase.   1.  1877. 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.     Vol.  II.  Fase.  1 — 2. 

Abhandl.  der  naturhist.  Gesellsch.  zu  Nürnberg.  Bd.  VI. 

Annales  de  TObservat.  de  Bruxelles.    5. 

Bulletin  de  la  Soc.  Imp.  des  Naturalistes  de  Moscou. 
1877.     No.  3. 

Proceedings  of  the  London  Math.  Soc.  No.  122—  123. 

23.  Jahresbericht  des  Germ.  Museums.  Jahrg.  1.  1877.  4. 

Anzeiger  der  Kunde  der  deutschen  Vorzeit.  1877« 
1-12.     4. 

Sitzungsbericht  der  phil.  histor.  Cl.  der  Akad.  d.  W, 
München.     1877.    3—4. 

Verhandl.    des  naturf.   Vereins    in   Brunn.     XV.     1 — 2. 

Mittheil.   d.  Vereins    für  Geschichte   der  Deutschen   in 

Böhmen.     Jahrg.  XV.     No.  3—4.     Jahrg.    XVI.  1—2. 

J.  Enieschek,   der  Ackermann   aus    Böhmen.     Prae. 

1877. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sc.  de  Belgique.  T.44.  No.  12. 


284 

Nature.  435-443. 

Compte-Rendu   de  la  Soc.  Entomologique  de  Belgique. 

Serie  II.    47-49. 
Rivista  Europea.    Vol.  VI.     Fase.  1—4. 
Jahrbuch  für  Schweizerische  Geschichte.   Bd.  2.    Zürich. 

1877. 
Verhandl.  d.  naturf.  Gesellschaft  in  Basel.    Th.  6.  H.  3. 
Verhandl.  des  histor.  Vereins  von  Oberpfalz  etc.  Bd.  32. 
R.  Wolf,  Astronom.  Mittheilungen.     XLV.  XLVI. 
Monthly    Notices    of    the    R.    Astron.       Soc.    Annual 

Report.     Vol.  38. 
Me'moires  de  la  Soc.   der  Sciences  phys.  et  uatur.  de 

Bordeaux.     T.  II. 
Abhandlungen   der   K.   K.   Geolog.  Reichsanstalt.    VIII. 

Band.     Fol.     (D.  Stur,    die  Culm-Flora  der  Ostrauer 

und  Waldenburger  Schichten.) 
Jahrbuch    der  K.    K.    geolog.    Reichsanstalt.      XXVII. 

Bd.     No.  4.     Dabei: 
G.  Tschermak,  mineralog.  Mittheilungen.     Jahrgang 

1877. 
Verhandlungen  der  K.  K.  geolog.  Reichsanstalt.     1877. 

14-18. 
Leopoldiua.     Hft.  XIV.  No.  3-6. 
Annales  de  TObservatoire  de  Bruxelles.     6 — 7. 
P.  Willems,    le   Senat   de    la   Republique   Romaine. 

T.  I.     Louvain.    1878. 
S.  Ferency,  Törtenelmöböl.     Pest.     1870. 
M.    Tudom.     Akademiai   Almauach.      1873.     Budapest. 

1873. 
Revista  Euskara.    No.  1—3.    Pamplona.     1878. 
Memoires  de  la  Soc.  Roy.  des  Sciences  de  Liegb.    Ser. 

2.  T.  VI. 
Bulletin  of  the  American  geograph.  Soc.    No.  5. 
Jahrbuch    über    die  Fortschritte   der  Mathematik.     B<] 

8.    H.  1. 
Monatsbericht  der  Berliner  Akademie.    December  1877. 

Januar  1878. 
Atti   della  R.  Accademia    dei  Lincei.    Vol.   II.    Faso. 

8.  4.     Roma.     4. 

(Fortsetzung  folgt). 


285 

iVachrIchten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wlgsen- 

schaften  und  der  G.  A.  Universität  zu 

Göttingen. 


29.  Mai.  M  8.  1878. 


KöDigliche  Gesellschaft  der  Wisseiischaftea. 

C optisch-Arabische  Handschriften 
der  Königl.  Üniversitäts-Bibliothek. 

Beschrieben  von 
Ferd.  Wüstenfeld. 

Die  Königliche  Universitäts  -  Bibliothek  hat 
kürzlich  eine  Sammlung  Orientalischer  Hand- 
schriften erworben ,  welche ,  wenn  auch  in  ver- 
schiedeneu Sprachen  geschrieben,  mit  Ausuahme 
von  dreien  sämmtlich  der  Coptischen  Literatur 
angehören.  Es  soll  zwar  noch  eine  ziemlich  be- 
deutende Anzahl  Coptischer  Handschriften  in 
Aegypteu  vorhanden  sein,  sie  sind  aber  von  ih- 
ren Besitzern  sehr  schwer  zu  erlangen  und  wer- 
den nach  und  nach  zu  Grunde  gehen,  und  je 
weniger  davon  bisher  nach  Europa  gekommen 
ist,  um  so  wichtiger  ist  es,  die  erreichbaren 
üeberbleibsel  iu  Sicherheit  zu  bringen,  und  Herr 
Dr.  Brugsch  Bey,  welcher  schon  im  Jahre  1853 
eine  Sammlung  mitbrachte,  die  sich  in  der  Königl. 
Bibliothek  zu  Berlin  befindet,  hat  sich  das  Ver- 
dienst erworben,  im  Jahre  1870  aus  einem  der 
größten    und    berühmtesten  Klöster   den    letzten 

23 


286 

Rest  einer  Bibliothek  zu  retten,  nachdem  die 
immer  mehr  der  Unwissenheit  verfallenden  Mönche 
den  übrigen  Theil  derselben  nach  und  nach  ver- 
schleudert hatten ;  und  gerade  dadurch ,  daß 
diese  Sammlung  bei  einander  bleibt,  wird  ihr 
Werth  noch  erhöht. 

Das  Kloster  ist  das  des  Amba  BischoP),  beim 
Beginn  der  Libyschen  Wüste  in  der  gänzlich 
unfruchtbaren  Ebene  Askit,  welcher  Name  aus 
dem  Aegyptischen  durch  »Wage  der  Herzen« 
erklärt  wird ,  an  dem  kahlen  Berge  Schihat, 
einige  Stunden  von  dem  Wädi  Habib  entfernt, 
in  welchem  sich  die  Natron  Teiche  befinden, 
wovon  die  Klöster  den  Namen  der  Natron  Klö- 
ster erhalten  haben.  Ihre  Anzahl  betrug  vor 
Zeiten  über  Hundert,  sie  waren  in  weiter  Aus- 
dehnung in  drei  Reihen  erbaut  und  das  Kloster 
des  Amba  Bischoi'  lag  in  der  dritten  Reihe ; 
gegenwärtig  sind  außer  diesem  nur  noch  drei 
übrig,  das  des  Macarius,  das  der  Domina  (Maria) 
von  el-Baramus  und  das  der  Syrer,  alle  andern 
liegen  in  Trümmern^). 

Die  ganze  nicht  sehr  umfängliche  Literatur 
der  Gopten  besteht  vorzugsweise  aus  religiösen 
Schriften  und  solche  bilden  auch  unsere  Samm- 
lung, sie  enthält  Uebersetzungen  der  Bibel,  Com- 
meutare  dazu,  Liturgien,  theologische  Abhand- 
lungen und  Kirchengeschichte  in  der  Geschichte 
der  Coptischen  Patriarchen  und  Heiligen.     Etwa 

])  Die  Arabische  Schreibart  ist  verschieden  {Jiy*^, 


2)  Alle  hier  gebrauchten  Namen  werden  von  Ma- 
c  r  i  z  i ,  Geschichte  der  Gopten ,  erwähnt  und  kommen 
auch  in  den  Unterschriften  unserer  Handschriften  vor. 
Vergl.  H.  Brugsch,  Wanderung  nach  den  Natron- 
klöstern in  Aogypten.    Berlin  1855. 


287 

die  Hälfte  der  Handschriften  ist  datirt  und  aus 
der  Aehnlichkeit  der  übrigen  geht  hervor,  daß 
die  meisten  erst  am  Ende  des  vorigen ,  einige 
erst  in  diesem  Jahrhundert  geschrieben  sind ; 
wenn  aber  schon  eine  derselben  die  Angabe  ent- 
hält, daß  die  Vorlage,  aus  welcher  sie  copirt 
wurde,  die  Jahreszahl  1073  der  Märtyrer  (1356 
Chr.)  trug,  so  reichen  die  Verfasser  der  meisten 
in  eine  noch  viel  frühere  Zeit  zurück.  Der 
größte  Theil  ist  Arabisch  geschrieben,  es  ist 
aber  eine  eigenthümliche  Erscheinung,  daß  die 
kirchlichen  Schriften  der  Gopten  aus  einem  Ge- 
misch von  Coptisch  und  Arabisch  bestehen  und 
selbst  beim  Gottesdienst  in  den  Vorlesungen  und 
Gebeten  das  Arabische  mit  dem  Coptischen  ab- 
wechselt; zuweilen  steht  neben  dem  Coptischen 
die  Arabische  Uebersetzung  und  in  .sonst  nur 
Coptischen  Werken  sind  die  Ueberschriften  der 
Abschnitte  zugleich  Arabisch  oder  nur  Ara- 
bisch angegeben.  Aus  diesem  Grunde  habe  ich 
in  der  nachfolgenden  Beschreibung  die  mehr 
Coptischen  nicht  von  den  bloß  Arabischen  ge- 
schieden, sondern  alle  nach  dem  Inhalte  zusam- 
men geordnet. 

Die  Sprache  soll  Alt-Arabisch  sein  und  in 
den  biblischen  Schriften  ist  sie  auch  noch  er- 
träglich, so  daß  man  sieht,  daß  sie  auf  einer 
guten  Grundlage  ruhen,  die  übrigen  Werke  sind 
aber  der  Art,  daß  man  ohne  üebertreibuug  sa- 
gen kann,  daß  durchschnittlich  fast  in  jeder 
Zeile  ein  grammatikalischer  Fehler  vorkommt; 
sie  waren  von  Anfang  an  nicht  correct  und  sind 
dann  durch  die  Abschreiber  immer  schlechter 
geworden  und  diese  haben  das  selbst  gefühlt 
und  bitten  in  den  Unterschriften  wegen  der 
Fehler  um  Entschuldigung.  Indeß  verstanden 
baben   die  Mönche    noch,    was    sie    lasen,    und 

23* 


288 

■wemx  maB  sagen  wollte,  die  Litargien  sind  ohne 
Verständuiß  abgelesen  und  die  Bücher  durch 
den  täglichen  Gebrauch  so  abgenutzt,  so  würde 
dies  bei  den  Heiligenlegenden  nicht  zutreJBFen, 
welche  in  dem  schlechtesten  Arabisch  geschrie- 
ben sind  und  bei  denen  man  doch  ein  Verständ- 
uiß voraussetzen  muß  um  zu  begreifen,  warum 
gerade  diese  am  meisten  gebraucht  sind,  da 
außer  der  äußeren  Beschaffenheit  die  unzähligen 
Wachsflecken  im  Innern  auf  das  Bestimmteste 
darauf  hinweisen,  daß  sie  beim  Schein  der  Wachs- 
kerzen viel  gelesen  wurden. 

Einen  auffallenden  Gegensatz  zu  dieser  Ver- 
derbniß  in  der  Sprache  bilden  die  fast  schönen, 
großen,  deutlichen  Schriftzüge,  in  denen  alle 
diese  Handschriften  geschrieben  sind,  so  daß  mau 
einige  auf  den  ersten  Anblick  für  alt  und  aus 
der  besten  Zeit  der  Arabischen  Literatur  stam- 
mend halten  könnte ;  sie  wurden  aus  älteren 
Exemplaren  theils  von  Mönchen,  theils  von  Ab- 
schreibern von  Profession  und  auf  Bestellung 
copirt,  um  sie  dem  Kloster  zum  Geschenk  zu 
machen,  und  alle  waren  als  Wakf  d.  i.  als  un- 
veräußerliches Eigenthum  in  das  Kloster  gestif- 
tet. Die  Stiftungsurkunden  sind  vorn  oder  am 
Schluß  eingeschrieben  und  immer  in  denselben 
Wendungen  abgefaßt:  es  soll  eine  Handschrift 
unter  keinem  listigen  Vorwande  aus  dem  Kloster 
entfernt,  nicht  gestohlen  oder  verkauft  werden, 
und  wer  dagegen  fehlt,  wird  mit  Excomniuni- 
cation  und  ewigen  Strafen  bedroht,  es  soll  ihm 
ergehen  wie  Simon  dem  Zauberer,  Judas  dem 
Verstoßenen,  Diocletian  dem  Ketzer  und  Herodes 
dem  Abtrünnigen  ;  eine  der  ausführlichsten  die- 
ser Urkunden  ist  als  Muster  für  alle  unten  bei 
Nr.  14  abgedruckt. 

Es  kann  nicht  der  Zweck  dieser  Zeilen  sein, 


289 

auf  eine  Kritik  der  Texte  näher  einzugehen  nnd 
z.  B.  über  das  Alter  und  den  Ursprung  der 
Uebersetzungen  der  biblischen  Bücher  Untersu- 
chungen anzustellen  oder  wie  sich  zu  ihnen  die 
in  den  Vorlesungen  und  liturgischen  Gebeten 
vorkommenden  Texte  verhalten,  das  wird  einem 
anderen  vorbehalten  bleiben,  welcher  in  diesen 
Dingen  bewanderter  ist  als  ich.  Ebensowenig 
konnte  ich  meine  Untersuchungen  auf  die  Ver- 
fasser ausdehnen,  da  unsere  Hülfsmittel  hierfür 
zu  ungenügend  sind  und  dieselben  so  oft  wie- 
derkehrenden Namen,  wie  Macarius,  Athanasius, 
Anastasius,  leicht  zu  Verwechselungen  Anlaß 
geben.  Meine  Absicht  ist  nur,  das  mit  einiger 
Vollständigkeit  aufzuführen ,  was  wir  besitzen, 
und  ich  bemerke  dazu,  daß  fast  alle  Handschriften 
mit  der  Formel  beginnen:  ^üj^Ij  ^'^^^  V*^^  l^***^ 
lj#A\äIt  Im  Namen  des  Vaters,  des  Schnee  und 
des  heiligen  Geistes ! 

1.  j!V*Ui^  Arabische  Uebersetzung  der  Psal- 
men, der  Anfang  fehlt,  Ps.  xix  —  cli;  die  Zäh- 
lung folgt  der  Septuaginta  und  der  Syrischen 
Uebersetzung,  in  den  Ueberschriften  ist  die  Zahl 
der  Versglieder  ^^:i?gi*«5  anxov  angegeben,  am 
Rande  finden  sich  einzelne  Abweichungen  aus 
der  Syrischen ,  Griechischen  und  Coptischen 
Uebersetzung  angemerkt.     Der  apokryphe  Ps.  cli 

JuUl^  oy^^^J.?^  ^_5^L^i  jy^jVi  hat  die  Ueberschrift 

Ä«_.L_I^    j.^\jl^     vXXc    ^   ^j\j>    C>^\0J   ^y>,ji\     IJ^ 

vi^sA«  ^^  oLJl>  jjif  LI  8A>j  iuxT  (sie)  j^^.«^!^ 
Q^.Xwt  » Jlxc  »dieser  Psalm,  welcher  über  die  ge- 
wöhnliche Zahl  von  150  Psalmen  hinausgeht,  ist 
von  David  einzeln  geschrieben,  als  er  den  Kampf 


290 

gegen  Goliat  bestand,  er  hat  16  Glieder«;  zu 
zwei  Zeichen  im  Text  ist  am  Rande  bemerkt, 
daß  das  12.  und  13.  Glied  sich  nur  im  Syrischen 
finden. 

Als  Anhang  folgen,  ebenso  wie  in  der  Sep- 
tuaginta,  aus  anderen  Büchern  des  A.  Test,  die 
Loblieder  und  Gebete  des  Moses,  der  Hanna,  des 
Hiskia,  Mauasse,  Jonas  u.  s.  w.  mit  der  Angabe 
von  größeren  Zusätzen  oder  Abweichungen  im 
Coptischen  oder  Griechischen.  Das  letzte  Stück 
ist  der  Lobgesang  der  Engel  »Ehre  sei  Gott  in 
der  Höh'!«  nach  der  Ausführung  des  Athanasius, 

Patriarchen  von  Alexandria  LgJCii'^  äXj^I  ä.^^a*j 
K-j.iAJüCw'^t  <SjiJoi  ^4^*^'  u^j^:**'^^  V*^^  Hierauf 
das  Vaterunser  und  das  Glaubensbekenntniß  der 
318    in  Nicäa  versammelten  Bischöfe   üiL  äjU;."^! 

^yjÄji  iCoUSj   nebst   einer  Erwiederung  des  Jahja 

ben  'Adi  ^)  * — c>^  aJJI  ^  (^<Ac  ^  (^^t^  ^^tV^ 

ÄJwL:?-!    '»S\^'%  J,  oLc  äJoäJ  *b*il  w5y  ^^  v!>r"  — 

Den  Schluß  machen  20  U^JlS  Ka^töfiara  Sitzun- 
gen, d.i.  Gebete,  welche  hinter  ebensoviel  be- 
stimmten Psalmen  gesprochen  werden,  während 
die  Gemeine  sich  niedersetzt ;   z.  B.  ^ij'^l  UwJ'Liül 

1)  Dies  ist  der  mit  Vornamen  Abu  Zakarija  genannte 
Jacobitische  Arzt  und  Philosoph  zu  Bagdad,  welcher  sich 
durch  die  Uebersetzung  mehrerer  Griechischen  Werke 
verdient  gemacht  hat,  gest.  im  J.  Chr.  974.  Vergl.  Ge- 
schichte der  Arab.  Aerzte  §.  110.  Seine  Theologischen 
Schriften  nennt  Van  sieb,  bist,  de  l'eglise  d'Alexandriei 
pag.  Ö44. 


291 


Jo  öbLj  '^lXju  L«^  (j«>,o^t  JUu  f^^y«^5  y>t 


L^LjJj'^l   vSj>^    '^ya-JL-J'^  q.^^jLi^       Die    erste 

Ka&iO(itt^  nach  dem  8.  Psalm,  es  wird  gespro- 
chen das  äyiog  nud  das  darauf  folgende  dreimal, 
das  nateq  rmoav  und  das  xvqts  eXsrjaov  und  dies 
sind  die  roonagta  — 

200  Blätter  Octav.  Da  nach  der  Zählung 
der  Papierlageu.  vorn  vier  derselben  fehlen,  so 
müssen  diese  etwas  mehr  als  die  fehlenden  18 
ersten  Psalmen  enthalten  haben  und  der  ganz 
ähnliche  Codex  im  Britischen  Museum  Catalog. 
Codd.  Mss.  Arab,  P.  II.  Nr.  3  enthält  auch  eine 
ausführliche  Vorrede,  während  sie  in  dem  Ox- 
forder Codex,  Nie  oll,  Bibl  Bodl.  Cod.  X  nicht 
vorkommt.  Vergl.  auch  Uri,  Bibl.  Bodl.  Codd. 
Christ,  pag.  30.  Cod.  X.  XIH. 

2.  y.i-Äo  iCju,"^!  Arabische  Uebersetzung  der 
vier  Evangelien  mit  kurzen  Vorreden  und  In- 
haltsangaben.     Anfang:     ^i-jü  »Ul   ^yu  j^^JO^o 

X       «w^Xäll    jJ>\^     ^^j^^    JÜ«JÜij   ^WMWO  ttOLw.t    ^^yiM»>3 

d.  i.  Wir  beginnen  mit  Gottes  Hülfe  und  seiner 
guten  Leitung  mit  der  Abschrift  der  Vorrede  zu 
den  vier  heil.  Evangelien.  —  Ueber  Matthäus 
heisst  es :  Sein  Name  war  Lewi,  er  war  Steuer- 
eiunehmer  und  wurde  Schüler  und  Apostel;  sein 
Name  bedeutet  ^JtljL*ai\  der  Auserwählte  und  er 
gehörte  zum  Stamme  Isaschar,  aus  der  Stadt 
Nazaret,  sein  Vater  hieß  ]ii^o ,  seine  Mutter 
^^LjV.l^.  Er  schrieb  sein  Evangelium  in  He- 
bräischer Sprache,  begann  damit  in  Palästina 
und  vollendete  es  in  Indien,  als  die  Schüler  aus 
dem  Lande  Judäa  vertrieben  wurden  im  ersten 
Jahre    der   Regierung   des  Kaisers  Claudius   und 


292 

im  neunten  der  Himmelfahrt.  Er  erlitt  das  Mar- 
tyrium io  der  Stadt  ,^,jJ^  durch  Steinigung 
am  12.  des  Monats  Bäbeh  und  wurde  in  !iJs>-\h.\ 
xj.Lw-^  begraben.  Das  Evangelium  übersetzte 
Johannes  der  Sohn  des  Zebedäus  in  der  Stadt 
^-vJ"^!  und  verkündete  es  in  Indien  und  in  Je- 
rusalem.    Es  ist  in  101  Capitel  getheilt. 

Die  Vorrede  zu  dem  Evangelium  des  Mar- 
cus bewegt  sich  in  allgemeinen  Redensarten 
und  erwähnt  nichts  über  seine  Persönlichkeit ; 
es  enthält  54  Capitel. 

Nach  der  Vorrede  zum  Evangelium  des  Lu- 
cas waren  er  und  Cleophas  die  beiden ,  welche 
mit  Jesus  auf  dem  Wege  nach  Emmaus  zusam- 
mentrafen. Lucas  hielt  sich  erst  zu  Petrus,  in 
der  Folge  zu  Paulus ;  er  schrieb  sein  Evangelium 
Griechisch  in  Alexandrien  im  14.  d.  i.  letzten 
Jahre  der  Regierung  des  Claudius,  im  22.  nach 
der  Himmelfahrt.  Zuerst  verkündete  es  Paulus, 
dann. Lucas  selbst  in  der  Stadt  Macedonia;  er 
starb  zu  Rom  als  Märtyrer  am  22.  des  Monats 
Bäbeh.     86  Capitel. 

Johannes  schrieb  sein  Evangelium  Grie- 
chisch zu  Ephesus  im  8.  Jahre  der  Regierung 
des  Nero,  30  Jahre  nach  der  Himmelfahrt;  er 
verkündigte  es  zuerst  in  den  Städten  von  Asien, 
nachher  in  Ephesus  und  blieb  dort  27  Jahre, 
nämlich  unter  Nero  6,  Vespasian  10,  Titus  2, 
Domitian  0,  bis  ihn  dieser  nach  der  Insel  qm-^ 
Patmos  verbannte,  wo  er  sich  sieben  Jahre  auf- 
hielt, eine  Kirche  baute  und  die  drei  katholi- 
schen Briefe  schrieb.  Er  hatte  drei  Schüler  bei 
sich:  Ignatius,  nachher  Patriarch  von  An- 
tiochien  bis  er  in  Rom  den  wilden  Thieren  vor- 
geworfen    wurde;     (j^jjLäJLo     verschrieben     aus 


293 

(jfc^.UuJLs  Polykarpus,  nachher  Bischof  von 
li^fcjw  Smvrna,  welcher  den  Feuertod  erlitt,  und 
-c>j3  Pü'gir  (soll  wohl  Papias  sein),  welcher 
in  Ephesus  sein  Nachfolger  wurde.  Als  Trajan 
zur  Regierung  gekommen  war,  lebte  Johannes 
noch  sechs  Jahre  zu  Ephesns,  er  starb  dort  am 
4.  des  Monats  Tuba  und  wurde  dort  begraben  ; 
er  erreichte  ein  Alter  von  101  Jahr,  von  denen 
30  vor  und  71  nach  der  Himmelfahrt.  Er  hatte 
seinen  Schüler  Pü'gir  letztwillig  verpflichtet,  daß 
er  Niemanden  die  Stelle  seines  Grabes  wissen 
lasse,  und  so  ist  sie  unbekannt  geblieben,  denn 
das  Grab ,  welches  dafür  ausgegeben  wird ,  ist 
das  des  Pü'gir.  Dieser  ist  es,  welcher  die  Apo- 
calvpse  aus  dem  Munde  seines  Lehrers  Johannes 
aufschrieb.  Der  Vater  des  Johannes  hieß  Zebe- 
däus,  seine  Mutter  anfangs  Theophila,  nachher 
Maria;  er  war  aus  Bethsaida  und  gehorte  zum 
Stamme  Sebulon.  Als  Johannes  sein  Ende  nahe 
fühlte,  grub  Pü'gir  ein  Grab  nach  dem  Maaße 
seiner  Größe,  dann  schickte  ihn  Johannes  fort, 
um  für  ihn  Todtenkleider  zu  holen,  und  als  er 
zurückkam,  fand  er  das  Grab  zugeschüttet,  aber 
von  Johannes  fand  er  nichts  als  seine  beiden 
Schuhe.     Das  Evangelium  hat  46  Capitel. 

Die    Unterschrift    des  Codex  ist :    ^^»JU^j  Ji 

^^mX^  py**^  ^j  V'^^'i*^  v3^-^'  (3^Jt  ci't^^^  '^^-^ 

^;;^--äjLc5  v^I  \i,s  JCm«  (3^^!  *^.  j^  y^  vüJli»'  J:*^ 
'!i.*>*A.    i  u^ö  \ütil^^    KAJbL^t  ^«^^  ii-^H^  ^'^^ 


294 

t^l  ^Icjl^  i3j-iÄflj  ^'(cU^  Vollendet  am  29. 
Buna,  übereinstimmend  mit  dem  15.  Rabt'  I. 
1208  der  Hi'gra  nach  dem  Arabischen  Mondjahr 
übereinstimmend  mit  dem  J.  1515  der  Märtyrer 
(Chr.  21.  Oct.  1798).     200  Blätter  kl.  Quart. 

3.  Arabische  Uebersetzung  der  vier  Evan- 
gelien mit  Commentar;  die  Blätter  sind  gezählt 
von  12  bis  373,  es  fehlt  die  erste  Papierlage, 
welche  vermuthlich  eine  allgemeine  Einleitung 
und  eine  besondere  zum  Matthäus  enthielt  und 
es  beginnt  sogleich  das  Evangelium  des  Mat- 
thäus .LäJ!  ^la*a.i\  ^  J^i  in  101  Abschnit- 
ten.—  Die  Einleitung  zum  Marcus  Joc^l  '»j^'\3 
-iJi-JI  fj**^jA  ^}yMj\  giebt  an ,  daß  er  sein  Evan- 
gelium im  vierten  Jahre  der  Regierung  des  Clau- 
dius, 12  Jahre  nach  der  Himmelfahrt  Griechisch 
in  Rom  geschrieben  habe,  wo  es  sein  Lehrer 
Petrus  zuerst  verkündete;  Marcus  selbst  that 
dies  in  Alexandria,  Mi9r  (Cahira)  und  dessen 
Districten  und  in  den  fünf  Städten ;  er  starb 
als  Märtyrer  in  Alexandria.  Die  Uebersicht  der 
54  Capitel  ist  in  einer  Tabelle  enthalten.  — 
Die  Vorreden  zum  Lucas  und  Johannes  sind 
mit  dem  vorigen  Codex  fast  wörtlich  gleichlau- 
tend.   Vergl.  Nicoll  1.  1.  Cod.  XIV. 

In  den  Ueberschriften  ist  zugleich  angegeben^ 
an  vvrelchen  Sonn-  und  Festtagen  die  Abschnitte 
beim  Gottesdienste  vorgelesen  werden.  Der 
Commentar  ist  aus  den  Schriften  der  Kirchen- 
väter zusammen  getragen;  es  werden  genannt 
Johannes  Chrysosthomus  ^_^JJI  ^,  Epiphauius, 
Severus  von  Caesarea,  Cyrillus  von  Jerusalem, 
Titus,  Basilius,  Eusebius  jj*jj^Lw*j,\  oder  y^^Lvj! 
an  einigen  Stellen  y^^L«,!,  was  man  Ausonius 
lesen    könnte ,     Clemens    g^JaJuJüJ^  5     Gregorius 


295 

Theologus  (j^^^^bü!  oder  der  Wunderthäter 
j_c.jL_:5^!  ,  Apolinus ,  Athauasius ,  Timotheus, 
;j*jj^'j,   Theophilns,   Dydimus. 

Die  letzten  14  Blätter   sind   in   neuerer  Zeit 
ergänzt  und  darauf  bezieht  sich  die  Unterschrift : 

pU  .Lpl  lXs>^,^  l5^^  u^j^S  iS^  y.'*-*^  "4;^^  J»*^ 

»jJl  y5'^Li\  LT*^'  ^<y.  *^^-^^  ""^  er  ^^j*-^  o*^^ 

JjjUi^3  ^J^]  Low  ^^jjCj  iÜM^j^^  |?j!(j^tjj^i  i^\iXx^\ 
iüuJLi>  J>l  oLc^t  vL-ii^'  tr^Li.^  ^^^^UJÖ!  j^!  ^-üi^\ 
^^;  ^  _^!   ^ly!  JoiäJL  ":<  u--«^  ^^L.  ^^j   a]J\ 

Zu  Ende  sind  die  vier  EvaDgelien  des  Matthäus, 
Marcus ,  Lucas  und  Johannes ,  die  Ströme  des 
Wassers  des  Lebens ,  die  den  Durst  löschen ,  die 
Erläuterung  und  Erklärung,  durch  den  Segen 
des  Herrn  ,  Amen.  Die  Vollendung  dieser  Er- 
neuerung erfolgte  am  Donnerstag  den  12.  des 
Monats  Epep  im  Jahre  der  Märtyrer  1527  (Chr. 
1810).  Der  Abschreiber  ist  der  niedrige ,  ver- 
ächtliche, träge,  sündhafte.  Staub  und  Asche, 
das  niedrigste  und  geringste  der  Geschöpfe  Got- 
tes, dem  Namen  nach  Priester,  nicht  der  That 
nach ,  Ibrahim  Abu  Tabl  Ihn  Sam'än  el-Chawä- 
niki;   Schüler  des  seligen  Presbyter  Gnr'gis,  des 


296 

Vaters  des  ^yovfisvog  Philemou,  Diener  des  Mär- 
tyrer Mercurius,  er  bittet  euch  um  Fürbitte. 

4.  Coptische  Uebersetzung  der  vier  Evan- 
gelien 200  Blätter  gr.  Folio ,  große ,  schöne 
Schrift;  das  erste  Blatt  zeigt  ein  Kreuz  in  bun- 
ten Farben,  auch  das  erste  Blatt  jedes  Evange- 
liums ist  bunt  verziert.  Die  Ueberschriften  und 
der  Inhalt  oder  die  Anfänge  der  Capitel  sind 
am  Rande  auch  Arabisch  beigefügt,  wie  Jw^^'bJl 
shj^\  ^  y*oiAÄll  (j^iAÄl!  Cap.  I  J>^LyO  \JüS 
^?oi*m  py^.  Matthäus  hat  85,  Marcus  52,  Lucas 
84,  Johannes  40  Capitel. 

Unterschrift:     U5>^   ^j*oJüii!   J^l  J^^  J 
juiiSi  y5.Lil  (jvJo':iJt  |.o   {j^\  Vir^^  CT*  ^«^''^^  jir^^^ 

^L^'bJi  i^liA^-iJ!  (coptische  Zahlen)  1491  ^^yuji  j^ 

^L^i  jjLÄ^t  l5i^  '*^y-  f^^  oKj  *^«-H^  c;^*^^^ 
L-*-it  ^j^=d\  goyi  ^UJ!  J^UJI  v^^  »^5  *^ 

Äjwij^!  yof,  ^y^]  iC>jJlj    iijö^t  v.JÜijw!  (j*^-m«Lo! 
j.jjPI  S.Lä  ^*wwUÜ5  f^^ji^   jj^5  «-V.  er  *^j*J^  y5ÜLS) 

Zu  Ende  ist  das  Evangelium  des  heil.  Evan- 
gelisten Johannes,  Amen!  am  Dienstag  den  10. 
des  Monats  Mesore  im  J.  1491  der  Märtyrer  (Chr. 
1774);  die  alte  ursprüngliche  Zeit  (der  Hand- 
schrift, als  welcher  die  jetzige  copirt  wurde) 
war  das  J.  1073  der  Märtyrer  (Chr.  1356);  und 
der,  durch  dessen  Sorge  (auf  dessen  Kosten)  die 
neue  Abschrift  dieser  Evangelien ,  der  Ströme 
des  Wassers  des  Lebens,  bewirkt  wurde,  ist  der 


207 

vortreffliche,  wohlthätige ,  freigebige,  geehrte 
Vater  Amba  Athanasius,  Bischof  des  Districtes 
Manufia  an  der  Seeseite  von  Mi9r,  und  diese 
neue  Abschrift  ist  gemacht  dnrch  den  niedrigen 
Ibrahim,  Abschreiber  in  der  Griechen-Straße  zu 
Mi9r. 

5.    Der  von  späterer  Hand  vom  eingeschrie- 
bene Titel  ist: 

»Dieses  Buch  enthält  die  Briefe  des  Paulas,  die 
Katholischen    und    die    nqa%nq.<.      Den    Anfang 

macht  ^LmaJ!  ^  i:7^>^^  ^-^^  U*^>^  v)^.'^'^  ä^JüU 

»iLu  ^ü  U  J^  «Uöi  ÄxiL«^'  ^^  »Einleitung  in  die 

Briefe  des  Paulus,  verfaßt  von  d-Mutamin  ben 
el-Assal,  sie  besteht  aus  acht  Theilen,  wie  nach- 
her näher  angegeben  wird;«  nämlich 

»J^^l  lijj3  j.^^  »y=  S3  ^y  ^»  «^L:#  /^  vi;JUÜtj 

(j«0-»*JI^  idJ^  ui^  ^Ji/  ,ji*^'^\^  o^XUJI  *JjiÄJlj 

»1.  Seine  Lebensumstände  vor  seiner  Be- 
kehrung. 2.  Sein  Leben  nach  seiner  Bekeh- 
rung. 3.  Seine  Wunder.  4.  Sein  Lebensalter 
und   der  Tag   an  welchem  er  das  Matyrium  er- 


298 

litt  und  in  das  Himmelreich  einging.  5.  Er- 
klärung einiger  Ausdrücke  in  seinen  Briefen. 
6.  Die  Weissagungen,  welche  er  in  seinen  Brie- 
fen als  Zeugnisse  anführt.  7.  Die  Zeugnisse, 
womit  er  den  größten  Theil  der  in  seinen  Brie- 
fen enthaltenen  Aussprüche  beweist.  8.  Erklä- 
rung der  Arabischen  Ausdrücke,  welche  in  die- 
ser Einleitung  gebraucht  sind.« 

Blatt  85  beginnt  die  üebersetzung  der  Briefe 
des  Paulus  selbst;  Bl.  225  folgen  die  sieben  ka- 
tholischen Briefe,  Bl.  274  die  Apostelgeschichte. 

Den  Schluß  macht  «ÄaJLj  (j*^jywlj^J>  y^jtAäli  iüLw. 

(jy. — *wj — II  iA-mJj  ywjlj'U-Ja  (j^olXJÜI  ^t  i3ywwJ5  U^yi 
(j/*y-iai  (jw^IauJi  {^^jiMjl\  oLg.vXÄjwl  Jc>-i  Qt  j^i\4^\ 

I  er»  (jÄiwoLä-l  ^  i^y^j  '^.*^.  {j^j-^i   »Brief  des 


heil.  Dionysius,  Schülers  des  Apostel  Paulus,  an 
den  heil.  Timotheus,  Schüler  des  genannten 
Apostels,  wegen  des  Martyrium  der  beiden  gro- 
ßen Apostel  Petrus  und  Paulus  in  der  Stadt 
Rom  am  5.  Epep.«     Die  Adresse  q|^-uJI  ist: 


0^^[iitAj  j,L=>j^i  v'^'j  ^-^^  (J^^  g-»l^>^5 

»An  den  Schüler  in  Gott  und  den  Sohn  im  Geist, 
den  Diener  Gottes  und  seinen  Auser wählten  und 
den  VoUbriuger  seines  Willens,  den  Standhaften 
in  Bedrängnissen,  den  über  jedes  Lob  Erhabe- 
nen, den  Lehrer  der  Wahrheit  und  den  geisti- 
gen Vater  Timotheus.«  6  Blätter,  der  Schluß 
fehlt.  Dieser  Brief  findet  sich  auch  in  Oxford, 
Uri,  Bibl.  Bodl.  Codd.  Christ,  p.  40  Cod.  civ.  2. 


299 

Epistola  consolatoria  Dionysii  ad  Timotheuin  de 
Petri  et  Pauli  martyrio.  Wenn  man  auch  darin 
ein  späteres  Machwerk  erkennen  muß,  so  be- 
weist doch  die  Ueberschrift ,  daß  in  der  Copti- 
schen  Kirche  der  TimotheKS,  an  welchen  Diony.- 
sius  Äreopagita  seine  Schriften  richtete,  für  den 
Schüler  des  Apostels  Paulus  gehalten  wurde. 
Vergl.  Biblioth.  graeca  ed.  Migne.  Vol.  III. 
Colum.  25.  Vol.  IV.  Colum.  929. 

6.  Dasselbe  Werk  in  einer  ungleich  älteren 
Ausgabe,  nach  dem  Aussehen  zu  urtheileu  schon 
vor  mehr  als  hundert  Jahren  gänzlich  verbunden, 
so  daß  der  Text  des  Briefes  an  die  Römer  vor- 
ansteht und  die  Einleitung  an  verschiedenen 
Stellen  zwischen  geschoben  ist.  Die  Zeit  der 
Abschrift  steht  am  Ende  des  Briefes  an  die  He- 
bräer : 

g!^ — 5  vjb!^^  {j*,Jjj-»jJ3  ^  L^  vi^juj  LiLLü!  q,  L^j 


Zu  Ende  ist  der  Brief  an  die  Hebräer  und  da- 
mit enden  seine  Briefe ;  er  schrieb  ihn  aus  Ana- 
tolia^)  und  sandte  ihn  durch  Timotheus.  —  Die 
Vollendung  der  Abschrift  desselben  erfolgte  am 
Dienstag  den  25.  Babeh  985,  übereinstimmend 
mit  den  6.  ^afar  667  (Chr.  15.0ct.  1268).  Am 
Rande  sind,   mit  ^  und  ^j,  bezeichnet,    einige 

1)  So  ist  hier  und  in   dem   vorletzten  Verse  deutlich 
geschrieben  statt  des  sonst  vorkommenden  l-;<^LLut  Italia. 


300 

Varianten  der  Coptischen  und  Syrischen  Ueber- 
setzung  angemerkt.  —  246  Blätter  Octav. 

7.  Coptisch,  204  Blätter  Folio  große  deut- 
liche Schrift  ywjULä  Ka&i^fxsqog^)  Vorlesungen 
für  alle  Sonntage  in  der  Fastenzeit,  Ostern  bis 
Pfingsten.  Das  über  den  Coptischen  Titel  über- 
geklebte   Blatt    hat    die    Arabische    Aufschrift : 

(.yaJI  J>3c\ä-  (j/,^Uiaä   !JyJ>  J^l  ^\  ^Is^l  ^\s>\  J_yai 

äj,— AoÄÄ-Jt^  \X^\  {jiJtij\^  ^^jy*«.^^.!  v>^iA>3  öjULJU, 

Darunter  daß  dies  mit  der  Arabischen  Ueber- 
setzung  der  Evangelien  und  der  übrigen  Schrif- 
ten des  N.   Test,   übereinstimmt:     ^j^  ^^  !J^ 

(^  jJI  aX*»  J^      Die    Ueberschriften    für    jeden 

Sonntag  sind  Arabisch. 

8.  Lectionarium  Coptisch,  Anfang  und  Ende 
d^fect;    das    noch    erhaltene  Schlußblatt  hat  die 

Unterschrift:     (j^UIaä  L«-^!  (j.-<AfiJI  <^büi\  \Sj> 

j^^  i^jl-y«  Ab'j  c5'^^  »dies  ist  das  heilige  Buch, 

welches  KadrjfieQog  genannt  wird,  das  bedeutet 
das  täglich  Vorgeschriebne  für  den  Mouat.« 
Die  Ueberschriften   sind  Coptisch  und  Arabisch, 

die  erste :    I o,  obLyo  iu5i^A^=  q^  ^  JijJl^  q^Uü! 

^^wcjil  isy^  ^i>^^  ?y**^-    *^°^   ^^*    *^^^    Kihak, 

1)  Man  findet  auch  ^jA\hLi  und  (WjULLaä  geschrie- 
ben ;  Vansleb  1.  1.  p.  62  hat  das  Wort  nicht  erksmnt 
und  schreibt  II  •  Cotmarus. 


I 


301 

Geburtsfest  unseres  Herrn  Jesus  Christus, 
Abends,    der    Psalm;«    die   letzte:     s^ys  ^^  jS>'\ 

.y«ii!  *-y^  äni   letzten   des  Monats  Tuba,    am 

Feste  der  heiligen  Pi&tis  und  ihrer  Begleite- 
rinnen Helpis  und  Gäpis;«  auf  dem  Ueberbleib- 
sel  eines  abgerissenen  Blattes  kommen  die  drei 
Namen  wieder  vor  und  der  letzte  ist  hier  ,j(--oLtt 
Agapis  geschrieben,  also  Glaube,  Hoffnung, 
Liebe.  —  228  Blätter. 

9.  Coptisch.  schöne  große  Schrift  127  Blät- 
ter gr.  Folio,  ohne  besonderen  Titel,  enthält 
die  liturgischen  Vorlesungen  Morgens  und  Abends 
vom  4.  Sonntage  in  den  Fasten  bis  zum  Palm- 
Sonntage.      Die  Ueberschriften  sind  Arabisch  in 

Thuluth-Schrift,  die  erste  iüu^^  or  '**^^  f^^-  J^^ 

li^J   ,^ßsXi\  (jMJijm  »j*aJI   ^^f,  Äjul^l,     die   letzte 

10.  y",t  t^'**  Arabisches  Lectionarium  mit  der 
Ueberschrift :     xaLaä!!  äjuJ?  Jj!  q,  &j!Jj  ^-r"^-  ^ 

—  ^ji^A  äaAc  iV-cp?     »Was   gelesen  werden  muß 

vom  Anfang  des  Coptischen  Jahres,  dessen  An- 
fang der  Monat  Tut.  Erster  Sonntag  des  Mo- 
nats Tut,  Evangelium  am  Abend,  Matthäus  — 
(Copt.  Zählung  d.  i.  Cap,  XI,  11).«  Ausschließ- 
lich aus  dem  N.  Testament  für  alle  Sonntage 
und  einige  Festtage;  erster  Theil .  die  ersten 
sechs   Monate    euthalteud.     Am   Schluß  des   6. 

24 


302 

Mouats  Amschir  ist  eine  Stiftung,  Waef,  für 
das  Kloster  Amba  Bischoi*  von  späterer  Hand 
eingeschrieben  und  beginnt:  *A£>^i  *-*j!5j^'  ^^  f*-*^ 
J3^?  ji^^y  U*)'-*^  V^JÜ'  Dann  folgen  von  der 
Hand  des  ersten  Schreibers  noch  einige  Ab- 
schnitte für  die  Festtage  der  Maria,  des  fingeis 
Michael  und  der  Märtyrer.  209  Blätter  kl.  Quart. 
Auf  dem  ersten  Blatte  hat  sieh  ein  anderer 
Schenkgeber  für  das  Kloster  Priester  Jobannes 
aus  Fajjum  geaannt. 

11.  Arabisches  Lectionarium  für  jeden  Tag, 
den  3.  und  4.  Monat  des  Coptischen  Jahres, 
Hatür  und  Kihak ,  enthaltend  ,  auf  dem  Deckel 
und  in  der  üeberschrift  mit  dem  Titel:  ^_^  UbJ» 
w^^A^^j  .*ji^  j^  mXs^.  220  Blätter  Quart.  In 
der  Unterschrift  ist  als  die  Zeit  dieser  Abschrift 
angegeben  Dienstag  den  15.  des  Monats  Tut  im 
J.  1500  der  Märtyrer  (Chr.  1783)  und  als  Ab- 
schreiber nennt  sich^5(^  el-Sajjid,  (wie  in  Nr.  16). 

^JJ-sc^  cr^y^  «Xw*Ji  c>u*  ^JiJ^sui>^\  JJJLüi^  ^^\ 

LL^I    ^NAMuJt^    iC»jJuJI   O^^!     8tÄ>   U.«j|^  ^^4.^3jUX 

12.  Dasselbe  Lectionarium  für  dieselben 
beiden  Monate  Coptisch ,  die  Ueberschriften  für 
die  Tage  Arabisch:  _^  *J^.  ^^.'^  jj«,.Ul33  v-iLiii 
w5^^^  ^yJ?  234  Blätter  Folio.  Abschrift  be- 
endigt   am    Sonntag    den    25.  Kihak    1501     der 


30» 
Märtyrer    (CUr.    1784)    nach    der    Unterschrift: 

twXju«JI^  >''-i^^^  ^lX^^'  xaIsaÄ  ««äi!^  juU>M..«3^  kXs»|^ 

13.  Von  demselben  Werke  der  5.  und  6. 
Monat,    Tuba   and  Amsehir,    Coptisch.    %^jLi^o 

j^-^S>^\^  iuvb  j^  jwAsc?.  ^J^  u^}-*^  Ohne  Un- 
terschrift, aber  von  derselben  Hand  wie  der 
vorige  Band.     220  Blätter  Folio. 

14.  Von  demselben  Werke  der  11.  und  12. 
Monat,  Epep  und  Mesore,  Coptisch,  die  Ueber- 
sehriften  auch  Arabisch,  wie  im  Anfang  (j*.*nidi 

21  jMj^  *tv^  ---«tW'  j^      ^™  Ende   des  Jahres 

die  Vorlesungen  fnr  die  fünf  Schalttage  ^c***^S 
Den  Schluß  macht  eine  lange  Arabische  Nach- 
schrift, worin  als  die  Zeit  der  Beendigung  dieser 
Abschrift  Freitag  der  vierte  Tag  dee  Monate 
Buna  1496  der  Märtyrer  (Chr.  1779)  und  als 
der ,  welcher  sie  veraulaßte  und  stiftete ,  der 
Priester  Gor'gis  gen.  Abul-Muchli9  ange- 
geben wird. 

^^^   (hJC^.   ^\    ^j^\     ^^jjQä}>\     \j^    ^.    J 

V..S — Ä   iÜjw    WjjJ  j^  j  ^«jj  ^\j  äJ>y^\  xfc^i  j,|jj 

!iAw>*»    1!   .w^'lJ!  !cX.^AU  xa^.«.''»  (jvjcwj'^  juÜM  äjL^jI^ 

24* 


304 


^^y—^i)    UJ-^^     e5)'-^J«^^     Ci'-ÄÄJi    XcLftvCio     .^«Ä^J?    jJw    Qt 

,j>*.-^j=>  ^jlo*,  ^L^^5  ^^y^!  ^^aj^ilt  iül^j  ^bu^l 

«jU*^!  ijXo^  ^IXi!  i:;^i  »Ju  q^  Joy^M«!!  XsÜ'  I^LiJot^ 
v.^A.AA^i  Lpjt  Q^  JLmö  x^yii!  »xLäAJ!  x«.»-Lo  xx&LxMiIt 
^Lyto^l  xLi^LäJI  ^^'^\  J^  |9-^^'  ^.J^  s^Ä  «^  J^«^^ 

iüu.^l  KfcUxia  \ajUvJ\  ^♦-JLi.yj  ^5  5r^'  ijU*'--?»»»'!^ 

^^jy^Jt      \JftJ^\     'iS^    yMt.AJMÖ    ^wiÜX£^    MU.^!^    Oljl^A»> 

oy«aJI  j)ö  i^jj*^!  Llo!  «!i)^LaJI  ^LäJÖ!  IJ^  ,Uft'  qI^^ 

j^Lpuj  ^y ♦  *=^  ■>  jjObXJ'  4)^'  vJl?^  \s^'^  ^4^.^^' 
^Uoil  »jA^t  v^^xUI  ^LaJI  j^Wii  \Ä9yM  .^  oy^^ 


305 

^l— i*  *xJyjJt  ..^^Lo  J^^^^«  ^  w^i  ^^\  jui\ 
»^^LJrÄ;ujJ.  »ill  »UL^I  j^i  ÄAfl^t  ^t^^^t 

otö  ikcLiÄj*  ol^-fw^t  Oj-^aJu  ^5  vvi*^5  Äi^3y-ä  aiJ 
<3>Ä^i  (j?;^X*J!  o!^^-Ji^  ^y^^i  ,7*^5  O^^^"*^  o!cwäAJ{ 

^-uJI^  JmC^^  J^S^Xl\   ,-^Lo  OUJLLu  w<xfi  bb  e^Ut 

j  ,*A^x*il  U-H^äil  w^u  ^^  iJjL^  'u1a>5  IJu^  L^ 
"i  «^ö  Jo^!    ^   ^pU  v-i^   LiA^^  (.ijöl  J--JU  ^J 

^^  ,*,L^t  (j-^>^'  J^+^'v»-?^  cf^'y  v^<  o'>^ 
^LbU  50^^  ,j^  [a5>^^  !•]  a:>>^^  ^>>^yij^ 


306 


«^^j^   ^^j-*  >»-j^.    ly^   vi.UJ3  .«JL^>^  wJi  ^>-J»  o^ 

,4»**-^   ,^5^^.   *^5    yp^  oL^5  J^  ty»  »J^l  ;^3  fcSyw 

^^4.AAM  J-«  iu-wai  0^3,  c^Uiy  5  j;^-  j  *^^^  05^-  ^ 

At-kn-if  (^^^M«^  Uii  (H^Jk2*)i  yM^.Jütil  y^^fr-tf>^  \J>}^^ 
i^ßd^\  j-bUii  aili  j,^  v:>^'  Q^3  (>..,titlS  v«jiä^l  ^i 

321  Blätter. 

15.    .ij^^uil  (^j***-*  j^  ^O^.  ^}^J^  ,^J*JUip5  Lee- 

j  -    , 

tionarium  für  den  Monat  Mesore  Arabisch.  Un- 
terschrift :     jjl^J    ^^t   UJ;J|    ^J.,   J.X-WO    t^y*^  J^  J>-*^ 

v,^!  xüjM  xJ^y  Qi  /u! J!  u5.LI!  ^^jyjt^S  ^y,  &Ä^  AI;^^ 

I     •  «-"  ^'i^jj  .L^'!^}!  iiA^.^  ^^jytAMJf^  ju;^3  jüL/jjl^ 

^^\  »Zu  Ende  ist  der  Monat  Mesore.  Die  Be- 
endigung erfolgte  am  Dienstag  den  4.  Biina  1493 
der  Märtyrer  (Chr.  177C).«  Dann  folgen  noch 
die  fünf  Schalttage ,  welche  j-u^aJi  j%^^  »der 
kleine  Monat«  genannt  werden.  —  92  Blätter 
in  Quart. 

Bin  lose  darin  liegendes  Blatt   beschreibt    in 


807 

fehleriaftem  Arabisch,  wie  im  J.  1579  der  Märt. 
(Chr.  1862)  am  20.  des  Monats  Bermuda  in  der 
dritten  Worhe  na^h  i^fingsten  der  111.  Patriarch 
Amba  Demetrius  zum  Besuch  nach  dem  Kloster 
des  heil.  Macarius  kam  in  Begleitung  des  Amba 
Petras,  MetropolitaB  von  Cahira,  uud  des  Amba 
^ji*^]^.  Jonas  oder  Johannes,  Metropolitan  des 
Distrietes  Manufia,  und  mit  großen  Ehren  em- 
pfangen wurde;  er  begab  sich  dann  auch  nach 
den  Klöstern  der  Syrer,  des  Amba  BischoT  und 
der  Maria  in  Baramus;  in  dem  letzteren  wurden 
von  ihm  acht  Priester,  in  dem  Kloster  des  Ma- 
carius bei  seiner  Rückkehr  sechs  Priester  ein- 
gesegnet. 

«is>^^  U^^^  oLs»3^  jA-«^^  j^    A&tiphouariHiH. 

1.  Theil,  vom  Anfiang  des  Tut  bis  «um  Ende 
des  Monats  Amschir.  Die  Antiphonie  besteht 
darin,  daß  an  jedem  Tage  zwei  Sprüche  Coptisch 
4ii4t  verachiedeuer  Modulation  4er  Stiaune  yor- 
g^tragen    werden ,    die    eine    *b!  -Ja   tpaX.  tixof 

adafi.   die   andere    ^j-Jstj  -J?    ^al.   17x0g   ßavoq. 

Für  jeden  Spruch  folgt  eine  Erläuterung  Arabisch 

J\S:^\  ^Jo}\  jJjmJlj  und  u^JalJ^  rj^^  j?y*^  '"^^  ^° 

eine  derselben  ist  ebenfalls  Arabisch  eine  kurze 
Geschichte  des  Tagesheiligen  angeknüpft.  Diese 
Geschichten  stimmen  in  der  Reihenfolge  für  je- 
den Tag  uud  in  ihrem  wesentlichen  Inhalte  mit 
dem  Calender  der  Heiligenlegenden  Nr.  27.  28 
überein.  In  der  Nachschrift  wird  als  Datum 
dieser  Abschrift  der  17.  des  Monats  Bermahät 
im  J.  1504  (Chr.  1787)  angegeben  und  der  Ab- 
schreiber nennt   sich  Abd  el-Sajjid  mit  Namen, 


308 

•Möuch  im  Kloster  des  Amba  Bischoi.  J^^^  Ji 
pL^ÄiJ  i^\^  äjj  j^  IlXäjI  q^   ij^UäjlXÜ  o^  ^35"^!  ^j^t 

,  jJisA   (Aj  Jwc  (i^öj    .L^*;^!  icX-^-ÄÜJ  iwujij  iüLfw.-«J>5 

^!  j^^j-Ä-u     Eine   zweite  Nachschrift   giebt  den 

Nameu  des  Stifters  an  Gor'gis  mit  dem  Beinamen 
el-Nachili,  Mönch  wohnhaft  in  dem  Kloster  des 
heil.  Amba  Bischoi  und  wiederholt  die  Jahrszahl 
auf  doppelte  Weise  1504  der  Märtyrer  d.i.  1202 

der  Hi'gra.  v^Ui  LLot  w^^LU!  v-^LäÜI  IJv^j  ^\^ 
j-jJ^  qIjIj  v^I;  (Jii^^  «-.^äUJI  ^J>*s>^J>'  ^j^3.*}\ 

L\_s>t  lXj  Jw£  aIL:>  v^J^3  ^^  CT*  'S^  uiy^l  (t<^3^ 
tcX^Ail  »Jtij^^  KjUw.4>:>3  \,^t  xmm  (^i3^  jri<^^  ^LmäJ^ 
t^.-  y     ;.U^  v^t  xJUw  Ä^ytii  H«^-^  vjti|^t  jl-f^'^t 

^t  ^LJt^  (^^1ä!5^     226  Blätter  in  Folio. 

oLfi»5iill^  oULoj^!^  sL-^  **J^^^3  oL^ltXj  Die 
tpaXfjitoäta    für    den    Monat   Kihak,    die    sieben 

1)  So  fand  auch  Vensleb  1.1.  p.  62  u.  325  den  Titel 
und  erkannte  die  Entstellung  nicht,  indem  er  le  Defnari 
schreibt;  er  nennt  als  Verfasser  den  70.  Patriarchen  Ga- 
briel b.  Tureik,  welcher  846-861  (Chr.  1130  1144)  auf 
dem  Stuhle  saß. 


309 

^sodoxta ,  die  vier  nächtlichen  Umgänge ,  die 
xpsXha  und  die  Antiphonien.  Koptisch  und  Ara- 
bisch. Unterschrift :  iü.>jjL*ju^^  a^  J..»'^^  > 
^^\  j  Ujl«  ^t  ji!  ^^l(5  (jy«^  v^^  er  c^^  ä-mAüJ! 
(kopt.Zahlen  1516)*jL*«j5iOyoj  j^Q«j-ä^(j«>l-MJV 
Äxk*jj   ;Lfb"^i   iJ^-iJJ      Zu  Ende   sind  diese  heil. 

Psalmodien;  die  Beendigung  der  Abschrift  war 
am  16.  des  Monats  Bermuda  im  J.  1516  der 
Märtyrer  (Chr.  1799). 

Ju3^  »J>o  ^>-^^  (Js>.^5  t)jCiJ!  y-o^t  s-^l  (sie) 

gJ!   ^i^i^  ^.^Jü!   tÄP  ^  iJU  a^LiiJI  «^Ju     Der 

Stifter  dieser  Psalmodien  ist  der  liebe  Bruder, 
der  weise  Philosoph,  der  mit  Engelsgestalt  an- 
getliane,  der  einzige  seiner  Zeit,  die  Perle  seines 
Jahrhunderts,  unser  Vater  der  geehrte  Priester 
Gabriel,  einer  der  Priester  der  heil.  Domina  bei 
den  Syrern,  aus  Liebe  zu  dem  heil.  Amba  Bischoi, 
dessen  Fürsprache  er  dafür  erhofft  in  dieser  und 
der  zukünftigen  Zeit  u.s.w.  —  213  Blätter  Folio. 

18.  Auf  dem  Deckel  pLm*jÜ!^  (3'>^y5  jl-i>  w'Jli' 
qL^J\^  Gebete  bei  Leichenfeierlichkeiteu  für 
Männer,  Frauen  und  Priester.  Coptisch  und 
Arabisch.     Der  Anfang  fehlt,    eine  Ueberschrift 

lautet :  \s>j:i  ^-yar^l  ^^  j  Uj  j^  jJt  ^iyaälS  t^ 
s^^AS  Q^U^i  J^^  L^OLo»  c-Le  U^  \yuaj,^  xJ^vXs»  I.JÖ 


s 


310 

jyo^l  «iaüil   »j^   |yL}j  jy*^^  t^-7^-5  j^^^      »Dies 

sind  die  Stücke,  welche  gelesen  werden  beim 
Aufheben  der  Matte,  man  nimmt  einen  neuen 
Topf,  thut  Wasser  und  Salz  hinein,  der  Priester 
spricht  das  Dankgebet,  erhebt  das  Rauchfaß  und 
li^t  folgende  Abschnitte,  aus  dem  Psajm  — 
^L^üt  j!V^  —  xm-woU^I  j!^*^  —  Abschrift 
eendigt  am  14.  Buna  1269  der  Märtyrer  (Chr. 
1552).     102  Blätter  in  Quart. 

19.  Arabisch.  Vorn  fehlen  19  Blätter;  Bl. 
20 — 116  Theologische  Abhandlungen  in  Gesprä- 
chen zwischen  dem  Lehrer  und  dem  Schüler,  — 
Bl.  117  -  1^8  «J^—i.  ^  \j'i\  j^:xiu  jL-  Uf  vU^d 
I^jLc  äs^L;?»-.^  o"^Lg/>  »jEüie  Aiazahl  von  Fri^^u,  die 
einer  der  Väter  au  den  Verfasser  gerichtet  hatte, 
und  seine  Antworten  darauf.«  Acht  Fragen  in 
acht  Capiteln.  .^^»-ölii  vi>-JLij  -Ucul  ^5  S^"^^  v'-i^^ 
«ücc>;jj5  1.  Cap.  Erklärung  der  Dreiheit  der 
Personen  (in  Christo)  und  seiner  Einheit.  — 
Ende  fehlt. 

20.  Bruchstücke  einer  theologischen  Ab- 
handlung in  Gesprächen  zwischen  dem  Lehrer 
und  Schüler,  Arabisch.  Abth.  29  bis  43  sind 
größten    Theils    erhalten ,     die    üeberschrift   der 

29.  Abth.   ist:     jj»  ^1  ^  Aju  ^w^^  itju^j  J^ 

k>Lmiw«  \a^  iXi^  ^^M^Jl  ^^"^1  oy^^  &fi»Uuuo  \iyjtiaÄJ\ 

UxjI  ^^.«^Jb  äW  [Jf>J^^  ^JJ;  yLiJt  QjtH^  —    130 

Blätter  iu  Quart.  Die  Zahl  43  läßt  vermutheu, 
>^aß  dies  dasselbe  Buch  sei,  von  dem  Vansleb  1.1. 
p.  346  —  347  sagt :  Teäao ,  de  Haha ,  a  fait  un 
ijvra  iütüule ,  U  MaUre ,  &  h  JJisQ^e.  II  cou- 
tient  43.  colloques.  Et  j'ai  envoye  k  la  Biblio- 
thet^iie  dn  Roy  oe  livre. 


311 

21.  Theologische  uud  moralische  Abhand- 
lungen ,  Arabisch.  Quart.  Die  erste  Papierlage 
fehlt;  Blatt  13^  beginnt  der  3.  Abschnitt  Juos 
des  5.  Kapitels  ^^yö  oder  ^  über  den  Hoch- 
muth   sXijJi^  So  ^     4.  Abschu.  über  den  Mord. 

5.  Abschn.  über  Bahlerei  und  die  verschiedenen 
Arten  derselben  und  über  verbotene  Verheira- 
thnngen  Mj:^\  *-?r^^j  ssi]y\^  tüjJt  j.  El.  24\  Vom 

6.  bis  zum  49.  Kap.  Alles  wird  mit  Stellen  aus 
den  Canones  der  Kirchenväter  belegt  und  es 
«chließen  sich  daran  noch  mehrere  ungezählte 
Beweisstücke ,  das  letzte  mit  besonderer  Ueber- 
fichrift  Bl.  98:  das  Verhalten  derer,  die  ihre 
verborgenen  Sünden  bekennen,  von  Amba  Theo- 
doros,  Obern  des  Klosters  el-I^taudion.  Daß 
dieser  Theodoros  der  Verfasser  sei,  geht  aus  den 
Anfangsworten  hervor  ^^-«X»MI!  'j!  ^\.  ünter- 
«chrift  Bl.  104:  beendigt  Freitag  den  5.  Tuba 
des  Copt.  J.  1257  (Chr.  1540).     Bl.  104^   bj*j>.^^ 

i5L*oiJt  ^i  4A**«"bH  ,y>''^\  —  Kurze  Gedichte  über 

das  Erbtheil  der  Christen  nach  ihren  Classen, 
verfaßt  von  dem  berühmten  Scheich  el-As'ad  Ihn 
el-'Assäl;  zum  Schluß  drei  kurze  Gedicht«  aus 
den    Canones    des   Amba   Gabriel    LJi  i^yi  er* 

Bl.  108    N^RÄ*«!  JuoLiry«  l-*Jt  J-^^  oJ»»>5  J'j'-**^ 

^«.JLo  37  Fragen  (und  Antworten)  gefunden  von 
der  Hand  des  Amba  Michael,  Bischof  von  Mali^. 

•i^üJij^\  ■»jlkJ\  j^^JLiu.  ^^\h^\  *^:^\^      Ein« 


312 

andere  Erklärung  ausgezogen  aus  den  Canones 
der  heil.  Väter  und  Lehrer  der  orthodoxen  Kirche. 

Bi.  121^  j — ^^-  ^y«;  ^  i3^^  joU^  ^^ 

Xa^NwwII  Fragen  und  Abschnitte  über  Gegenstände 

die  sich  auf  Priester,  Mönche  und  Laien  bezie- 
hen, nach  den  Bestimmungen  der  ersten  Lehrer 
der  Christlichen  Religion. 

El.   129    (iUJ  JäXi  ^J<ÄJ^  Li  iüLsM^j  iüu*^  'f^}-*^^ 

K*h.«,ftJi  JUaJIj  äJ^^I  üyl>Äl5  iy  101  Frage,    die 

sich  daran  reihen  aus  den  apostolischen  Canones 
in  der  Coptischen  Kirche;  von  Amba  Äthan asius, 
Bischof  der  Stadt  CÜ9. 

Bl.  13B     ^'juij  iUxJI  (sie)  ^\  ^Lx^-  ^U^ 

äJL*w«  ^^JiX£j  xäa^w  27  Fragen,  deren  die  Kirche 

bedarf;   nur  bis  zur  17.  Frage  erhalten. 

22.  Ohne  Titel.  Abhandlungen  über  Fragen 
und  Stellen  aus  der  Bibel.  Arabisch.  Es  ist 
das  Autograph  des  unbekannten  Verfassers  im 
Entwurf  und  nicht  leicht  zu  lesen ,  mit  ausge- 
strichenen und  veränderten  Sätzen  und  Zusätzen 
am  Rande,  und  zwar  nur  der  vorn  defecte  zweite 
Theil  des  Werkes ,  die  Blätter  mit  coptischen 
Zahlen  von  13  bis  453  gezählt.  Li  den  ersten 
Blättern  kommt  ein  Citat  aus  der  Chronik  des 
Sa'id  Ihn  Pitrik  (Eutychius)  vor.  Bl.  23  be- 
ginnt der  /,  Absch.  des  t.  Cnp.  des  2.  Theils  : 

I — ^i  ^^  ^ooi  j_^  ^\  S^^-uiJi  J^  ^'M\  ^■y4.^:aXj 

U^  ^  Uj  L^  ^  ^J,  urj^yJ'  j^  er  ^jf:^  oy^ 


313 


Li  «5ÜÖ  ^^     »lieber  den   Baum, 


Ton  welchem  ausschließlich  unter  den  Bäumen 
des  Paradieses  Adam  zu  essen  verboten  war, 
weßhalb  er  ihm  verboten  war,  was  fiir  ein  Baum 
es  war  und  was  seine  Wirkung  und  warum  sich 
der  Tod  an  den  Genuß  desselben  knüpfte,  was 
der  Tod  war,  auf  den  hingedeutet  wurde  und 
dem  ähnliches,  worauf  die  Rede  kommt.  — 
2.  Cap.  lieber  den  Feigenbaum,  welchen  unser 
Herr  verfluchte.  —  In  dem  letzten  Abschnitte, 
über  den  orthodoxen  Glauben ,  werden  einige 
Irrlehrer  genannt:  Marcion,  Bardesanes,  Sabel- 
lius,  Paulus  von  Samosate,  Maui  der  Lügner, 
Arius,  Macedonius  und  seine  beiden  Genossen 
Eustathius  und  Ausonius,  Nestorius,  mit  Nach- 
richten über  ihre  Person,  z.  B.  über  Bardesanes. 
Seine  Eltern  lebten  auf  einem  el-Chariba  ge- 
nannten Landgute,  der  Vater  war  genöthigt  eine 
Geschäftsreise  nach  el-Ruha  (Edessa)  zu  machen 
nnd  nahm  seine  Frau  mit.  Unterwegs  an  dem 
Dei9an ,  einem  Nebenfluß  des  Euphrat,  kam  sie 
nieder  und  das  Kind  erhielt  davon  den  Namen 
Bar  Dei9an,  Sohn  des  Deigan,  am  Flusse  Dei9an 
geboren.  Sie  gingen  mit  ihm  nach  Mambi^, 
"WO  Bardesanas  unter  Götzendienern  aufwuchs; 
später  kam  er  nach  el-Ruhä,  die  dortigen  Chri- 
sten zogen  ihn  zu  sich  herüber,  er  wurde  ein 
eifriges  Glied  der  Kirche ,    verfaßte    eine   Schrift 

gegen    Marcion     und    eine    andere    gegen     J,Ji 

»(XotJiJl^,    bis  er  selbst  auf  Abwege  gerieth. 

23.     v^UI  )Le^  j5  iuJLc  ^>UX£^!  ^_,^^  U  w»^y 

»Anleitung,    wonach    sich   derjenige    zu    richten 


314 

bat,  welcher  »ich  dem  Priesteirstaude  widmen 
will.«  Die  Allleitung  selbst  ist  Arabisch ,  die 
dazwischen  fallenden  Gebete  sind  Coptisch.  80 
Blätter  in  Quart,   nicht  ganz  vollständig. 

24.  Bruchstück  einer  ausführlichen  Geschichte 
der  Coptischen  Patriarcheo,  Arabisch,  foliirt  von 
Blatt  178  bis  277,  von  dem  51.  Patriarchen 
Joseph  (nicht  ganz  von  Anfang)  bis  zum  66. 
Patriarchen  Christodulos   (nicht  ganz    zu  Ende). 

25.  y,»jj-y«jj>lj  y^.tXJiJt  I— »'IsJI  äjjuM*    Leben   des 

heil.  Vaters  Pachomius.  Anfang:  iüiJL>  aJJI  x«Ji 
^  J^  »Das  Wort  Gottes,  welches  alle  Dinge 
erschaffen  hat.«  —  Wiewohl  das  Werk  ganz 
vollständig  ist  und  der  jetzt  sehr  abgenutzte 
Einband  nicht  mehr  umfassen  konnte,  muß  doch 
ursprünglich  ein  anderer  großer  Abschnitt  vor- 
aufgegangen sein,  worauf  sowohl  die  fortlaufend 
Arabisch  gezählten  Papierlagen ,  als  auch  die 
damit  übereinstimmenden  Coptischen  Zahlen  der 
Blattseiten  von  109  bis  232  hinweisen.  Unter- 
schrift: ^Lpi  v^  1»^.  Lot  ^jL^\  LLuI  HjMissyX^ 
^^\  (;;yu^t  l;,^gjg'  xj^Uo  ii/j      Quart  in  großer 

sehr  deutlicher  Schrift. 

26.  Geschichte  der  Märtyrer,  Aethiopisch 
auf  Pergament  (Gazellenhaut)  159  Blätter  in 
Folio  in  drei  Columnen  sehr  sorgfältig  geschrie- 
ben ,  angeblich  aus  der  Bibliothek  des  Königs 
Theodor. 

oy  -^  v^ö  liji  «^Ls^l  JfjM^i*  A^jli'j  jCjL»«,ÄL»-M*.Ji: 


315 

äcLm^-Ä£  ^^\  JUS  ^*^.  ^LpJ!  Q"i     »Compendium 

der  Lebensbesehreibungen  der  Märtyrer  und 
Heiligen  für  die  Zeit  der  ersten  sechs  Monate, 
und  dies  ist  das  Buch,  welches  im  Griechischen 
xo  2vya^dQi  heißt ,  dessen  Erklärung  im  Arabi- 
schen iui\^\  »der  Sammler«  ist;  zuerst  kommt 
der  Monat  Tut,  das  ist  der  erste  der  Coptischen 
Monate  und  zwar  bei  der  Herbst-  (Tag-  und 
Nacht-)Gleiche ,  weil  der  Tag  darin  zwölf  Stun- 
den hat.« 

Das  Griechische  Wort  ist  richtig  erklärt,  hat 
aber  im  Neu  -  Griechischen  die  specielle  Bedea- 
tang  von  »Heiligenlegenden«  bekommen;  bei 
AL  da  Somavera,  Tesoro  della  lingua  Greca- 
volgare  ed  Italiana.  Parigi  1709  ist  2vva^dgt 
Libro  delle  vite  de  santi.  Daß  das  ganze  Werk 
aus  dem  Griechischen  übersetzt  sei,  würde  man 
nicht  daraus  allein  folgern  können ,  daß  viele 
Griechische  Wörter  beibehalten  sind,  denn  diese 
gehörten  der  Orientalischen  Kircheusprache  an, 
aber  die  zahllosen  grammatikalischen  Fehler, 
die  nicht  alle  den  Abschreibern  zur  Last  fallen 
können ,  wenn  sie  auch  durch  dieselben  noch 
vermehrt  sein  mögen,  lassen  es  nicht  zweifelhaft, 
daß  das  Arabische  dem  Verfasser  nur  eine  schlecht 
angelernte  Sprache  war.  — 

Unterschrift :    ^[as>  jfi^  _-yi^!    -fi  J»*/^  >' 

^J^;.JUij\^    JUk^    Ä>Uw*r>^   V,jJt   Kam  XmA&J!    ^^  —  f^| 


316 

Zu  Ende  ist  der  Monat  Amschir  und  damit 
schließt  die  Hälfte  des  Coptischen  Jahres.  Die 
Beendigung  der  Abschrift  dieses  Buches,  nämlich 
der  Heiligenlegenden  erfolgte  Freitags  in  der 
zweiten  Woche  nach  Pfingsten  im  J.  1543  der 
Märtyrer   (Chr.  1826).     112  Blätter  gr.  Folio. 

28.  Dasselbe  Wer]j    mit   einer   kurzen  Vor- 
rede,   die    beginnt:     v^UXJ!  \Sj>  ^^  6^    *-Der 

Sammler  dieses  Buches  sagt«  —  Am  Ende  der 
Vorrede  heißt  es,  dieser  Sammler  habe  schon 
ein  ähnliches  Werk  vorgefunden,  das  aber  nicht 
vollendet  war,  weil  der  Verfasser  zu  früh  ge- 
storben sei  und  bei  Lebzeiten  keine  Hülfe  ge- 
funden habe.  Diesen  Band  legte  er  zum  Grunde 
und  machte  dazu  Nachträge,  welche  er  am 
Rande  mit  vier  Punkten  in  Form  eines  Kreuzes 
bezeichnete ;  er  will  aber  dem  Anfänger  die 
Ehre  lassen ,  nicht  dem  Nachahmer.  J^AnäJl 
j^lXääJJ  "i  ^Jjuji.  Von  dieser  Bezeichnung  ist 
in  unseren  Abschriften  nichts  mehr  zu  sehen. 
An  die  Vorrede  schließt  sich  nach  der  Reihen- 
folge der  Tage  ein  Nachweiser  über  die  Fest- 
tage der  Heiligen,  um  das  Auffinden  zu  erleich- 
tern <-jl Ä iJl  IlXö»  Lg»AAa:»  t^iAJI  oLaä"^!  UwLt  li'iJO 

Lg:>.|y>t   l^JLb  Jx  u^JvÄj  J^^*^       Von    diesem 

Register  fehlt  das  Ende  des  sechsten  Monats, 
ebenso  der  Anfang  des  Werkes  selbst,  die  bei- 
den ersten  Tage  des  Monats  Tut.  Gezählt  sind 
die  Blätter  von  3  bis  8  und  13  bis  213  in  Quart. 
Unterschrift :  ^_5^L*JCL^JI  q^  Jj^I  ^j4-^  ^  Be- 
endigt ist  der  erste  Theil  von  dem  ^vva\äqi. 

29.  U^S  xi^   U  ^\  -  *=^  ■•  --  »  ^^  j^LÜi  y^\ 


317 


CT*   ^jtr^i  f^^i  V^j^^   tS*"^   t}^^-^^    ^^   \,,ÄÄam^) 

>Der  zweite  Theil  von  dem  Swa^ägi  nach  der 
AnordnuDg  des  Vaters  Bischof  Amba  Michael 
auf  dem  Stuhle  von  Atrib  und  Mali'g  und  an- 
derer Väter.«  Diese  Angabe  stimmt  nicht  ge- 
nau zu  der  des  vorigen  Codex,  wozu  wir  hier 
doch  augenscheinlich  den  zweiten  Theil  haben, 
denn  es  werden  in  gleicher  Weise  die  Legenden 
der  Heiligen  für  die  sechs  Monate  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahres  erzählt.  Ebenso  bezeichnet 
Ässefucini  das  aus  dem  Orient  mitgebrachte  und 
von  ihm  Bibl.  Orient.  Tom.  I.  pag.  624  aufge- 
führte Exemplar :  Synaxarium  s.  Martjrologium 
Coptorum,  auctore  Michaele  Episcopo  Meligensi. 
ludeß  nennt  Vaiisld)  pag.  62  u.  335  einen  Pe- 
trus Bischof  von  Mali'g  als  Verfasser  des  Synaxar, 
welches  er  in  Aegypten  in  Coptischer,  Arabischer 
und  Habessinischer  Sprache  gesehen  habe,  und 
unser  zweiter  Theil  ist  in  viel  besserem  Arabisch 
geschrieben  als  der  erste.  Die  Abschrift  datirt 
auch  schon  vom  Dienstag  den  19.  Bermuda  1198 
(Chr.  1481)  nach  der  Unterschrift  unter  dem 
Monat  Paschons;  und  nach  einer  Stiftuugsur- 
kuude  auf  dem  ersten  Blatte,  wurde  dieser  Co- 
dex am  7.  des  Monats  Tuba  1204  (Chr.  1487) 
durch  üebereinkunft  zwischen  Abd  el-Masih, 
^jai  d.  i.  ^yovfjuvog  aus  dem  Kloster  des  Amba 
Bischoi'  und  Cyriacus ,  ^j'ovfjisvog  aus  dem  Kloster 
der  Syrer  in  Gegenwart  mehrerer  Priester  aus- 
getauscht gegen  das  Buch  der  Vier  und  der 
Woche  (?)  Coptisch,  sodaß  dieses  in  das  Kloster 
der  Syrer  und  jenes  in  das  Kloster  des  Amba 
Bischoi  gestiftet  wurde.  Und  jeden,  welcher 
eines  von  diesen  Büchern  aus  einem  der  Klöster 

25 


auf  irgend  eine  listige  Weise  ausführt,  den  führe 
der  Herr  aus  dem  Leben  zum  Tode  und  er  möge 
das  Loos  mit  Judas  (Ischariot)  -  theilen.  Die 
Richtigkeit  dieser  Urkunde  bezeuge  ich  Abd  el- 
Masih  mit  Namen  ^yovfievog  gegenwärtig,  ich 
Cyriacus  mit  Namen  ^yovixsvog  gegenwärtig. 
Nach  der  Zeitrechnung  im  J.  1204  der  heil. 
Märtyrer. 

^yu  ^'Xo  ifSj  y^J\  liSjj  jLfb*^!  Ia^AJJ  1204  äJu« 
^U.f^;^t  vLi^^  '^  Ij^^^  o^j^^  ^'■♦^  ^>^ 

Uu^^s  Jt\j  j^3  i^l-^  M^  y.»^  (i^  Läjj  Q5<^aJ  Q^ 
^byJI  jiö  J^  vjiäj  Qj^aJ  o^  C5^  ^'3  **^^^^ 
lXoJ  -j^.  qJ^^  t^Lii-u  Li!  y,^>  t^  Lftjjj  ^yli  tiAPj 

^jwL.^^.  ^  *^*A*^  Q»fr-t.ij  oj-*J!  vi,!  sU^I  er»  v/^^ 

^L^^l  IcH^  1204 

Den  Schluß    machen    die  Schalttage   mit  be- 
sonderer Ueberschrift :    ^\t\  >UmJ>  ^^^  (c*^'  ^\i^ 

w^,-JLj  OjLö  yy-w  ^^!  stf*i»f^  !v3i^  jkA^  jX  ^  ^^^ 
,j**jlJ;I  J31  iüuw  äJLmJI  Der  Schalttage  sind  fünf 
und  ein  Viertel  in  jedem  Jahre    und    wenn    vier 


319 

Jahre  abgelaufen  sind,  werden  es  in  diesem  (vier- 
ten) Jahre  sechs  und  dies  ist  das  Schaltjahr  ^). — 
254  Blätter  in  Quart,  das  letzte  mit  der  Unter- 
schrift fehlt.  Beim  Einbinden  dieses  Bandes 
sind  Blätter  eines  älteren  Exemplares  desselben 
Werkes  verwandt;  das  Blatt  vom  29.  Mesore  ist 
auf  der  innern  Seite  des  Deckels  aufgeklebt,  es 
finden  sich  darin  abweichende  Lesarten. 

30.     Auf   dem  Deckel    ist   der  Titel   v^-*^» 
^_g^  LiJ^  ol^LjM  vi^o^i     »Das   Buch   der   drei 

Macarius  und  des  Amba  Bischoi.«    Im  Einzelnen 

1)  Blatt  1  —  52:     Jw-äj'uJ\  y-uJüÜ!  v*^^  j**^ 

olf/«j  j^  er  c^j-^^l^  j^UJI  ^\  j  »Memoria  ^) 

des  heil.  Vaters  Macarius,  des  Vaters  aller  Prie- 
ster in  der  Wüste  el-Askit,  geschrieben  von  dem 
Vater  Serapion,  Oberhaupt  der  Schüler  des 
Vaters  Antonius,  welcher  am  27.  des  Monats 
Bermahät  gestorben  ist.c    Unterschrift:  ».aj>«  ^y^ 

oLfA^  »Zu  Ende  ist  die  Lebensbeschreibung 
des  großen  Heiligen  Abu  Macar,   des  Vaters  der 

1)  Daher  bei  Freitag  s.  v.  ^j«^>^  nach  dem  Camus 
nicht  subtrahitur ,  sondern  additur. 

2)  j^j^A  in  diesem  Bande,  als  gleichbedeutend  mit 
öjjy*' ,  ist  vermuthlich  entlehnt  von  IriojiD  »Verkündi- 
gung ,  Vortrag« ;  das  anklingende  Wort  Memoria  schien 
mir  den  Sinn  am  deutlichsten  auszudrücken. 


320 

Klöster  in  der  Wüste  el-Asktt  am  (Berge)  Schi- 
hät.« 

2)  Bl.  53-92:  ^^,jaA\  u^Aä^5  Ijy^  »j^^  j*^ 

^jvj*dt  py*^  '»Memoria  verfaßt  von  unserem  Va- 
ter dem  heil.  Patriarchen  Amba  Dioscorus, 
Oberhaupt  der  Bischöfe  von  Alexandria,  wegen 
der  Vollendung  unseres  Vaters  Abu  Macar,  Bi- 
schof von  Cäw,  welcher  auf  den  Namen  unseres 
Herrn  Jesus  Christus    den    Märtyrertod   erlitt  ^). 

Unterschrift :  *.^?  j*:***^  lilJ^iWi  1-^^  »;-^  vi>JU5' 
JC— JL^t  ^^  t\.^.ÄJw«t  {^^\  3I9  XJütXx  „.ftiLwt    .Üw^! 

oLg^  tV-*-^.  *Zu  Ende  ist  die  Lebensbeschrei- 
bung unseres  seligen  Vaters  (nach  der  Bedeu- 
tung seines  Namens)  Abu  Macar,  Bischof  der 
Stadt  Cäw,  welcher  für  den  heil.  Glauben  den 
Märtyrertod  erlitt;  er  ist  körperlich  der  zweite 
in  der  Zahl  der  drei  Abu  Macar  am  Berge  Schi- 
hät.« 

3)  Bl.  92^—109  (fehlt  Bl.  103):    u5Ui5  s^^ 

j\äa  ^\  jfj^\  v^^t  yiJlj'  ^l^iXÄ^Aw'^t   »Leben,  from- 

1)  Dioscorus,  der  25.  Patriarch  von  Alexandria,  wider- 
setzte sich  auf  dem  Concil  zu  Chalkedon  dem  hier  ge- 
faßten Beschlüsse  über  die  Lehre  von  der  Natur  Christi 
und  wurde  deßhalb  verbannt;  Macarius  war  sein  Leidens- 
genoBse. 


321 

mer  Waudel  uud  Kampf  uuseres  heil.  Vaters, 
des  vollendeten  glückseligen  Amba  Macar,  Pres- 
byter von  Alexandria,  des  dritten  nach  dem  gro- 
ßen Vater  Abu  Macar.« 

4)  Bl.  110—150:  JJu  ^m  f^».\\  L^\  »-«- 

^^j}\  ^j*a^  JUÄitt  j  iU^  l^J  j^\  jAAaüH  ^j.*J^.^\ 
v«Ä-Ju«!  JwtoLftil  -,.ÄJÜ«"bil  (j«/bjl3'j  iüi*AJt  jjüu«  iüLJi^t 

»Lebensbeschreibung  des  großen  Lichtes,  des  in 
allen  Tugenden  vollendeten,  unseres  heil.  Vaters^ 
^yovfievog  des  Klosters  Waage  der  Herzen,  Abu 
Johannes  des  kleinen,  erzählt  aus  dem  Verlan- 
gen zu  nützen  von  dem  mit  dem  Geist  der  Wahr- 
heit angethanen  Lehrer  der  Religion,  Zacha- 
r  i  a  s ,  dem  vortrefflichen  Bischof  der  dem  Mes- 
sias lieben  Stadt  Sachä,  als  bei  ihm  lautere  Brü- 
der —  anwesend  waren  an  seinem  heil.  Gedächt- 
nißtage  d.i.  am20.Bäbeh.«     Unterschrift:  vi^JL*/ 

oL^^  (jM^.LiL«  j»/^h»!l  ^jmuJüüI  Ü..AJ     »Zu    Ende 

ist  die  Lebensbeschreibung  unseres  heil.  Vaters, 
des  großen  Lichtes,  ^yovfifvog  in  seinem  Kloster 
in  der  Wüste  des  großen  Heiligen  Macarius  am 
Schihät. « 

5)  Bl.  150^—180:    ^^«aJÜÜI  li^!  ^I^^-^  »^^^ 

_jj\  ,j*uJüü\  Ijjj!  ^y:ai\  rW^^  ^X^\jl^  JylJt 


322 

L—A-ii!   ÄxLb  «0^'  ^;;yo*";i!  ^>)^3  ^^^i^  iV-i^  li^^sx^ 

g^^.iAäil  iS'.y'j      »Leben  und  Kampf  unseres  heil. 

Vaters ,  des  jungfräulichen  Gottergebenen ,  der 
glänzenden  Leuchte,  unseres  heil.  Vaters  Abu 
Bischoi  vom  Berge  Schihät,  geschrieben  von  dem 
heil.  Vater,  dem  vortrefflichen  ^yoi'fjtsvog  Jo- 
hannes dem  kleinen,  welcher  ihm  ein  gei- 
stiger Bruder  war  bei  seinem  Eintritt  in  den 
Berg  Schihät,  als  sie  beide  unter  die  Zucht  des 
heil.  Amba  Bamujeh  kamen.«    Unterschrift:  vi>JU5' 

«_]<^  (^i-^(  L?^-"^^  W^^  (»■Ala.nii  ijMOLXfiit  ^.LmJ!  ».{MM 
yi^  (tf*iai^  V^-^J^^  ^♦■.*.^*^^  (j*^.^^5  iUj^J  u*^  viAJlj' 
oLg-i^  i)^A^  jLäx  »Zu  Ende  ist  die  Lebensbe- 
schreibung des  Gottergebenen  großen  Heiligen 
Amba  Bischoi,  dessen  Kloster  die  dritte  Reihe  in 
der  Wüste  des  großen  Heiligen,  des  glänzenden 
Sternes  Abu  Macar  am  Berge  Schihät  bildet. 

6)  B1.181'— 215:y*^.«-y*Xc^^,y*oJüüU^*-*-»J^ 
\^,  l...i^  {jm^jsI^'^  ^  i_«v^{  ii2^U{  L^*-M^  u^y.'^^}^^ 
iü^5j  UtfTir!!  iuüJuJi  »Dies  ist  das  Leben  der  bei- 
den Heiligen  Maximus  und  Dumadius,  der  bei- 
den Kinder  des  von  Gott  geliebten  Königs  Leon- 
tius,  Königs  der  Hauptstadt  Rom  ^). 

1)  Der  König  wird  im  Text  ein  Sohn  des  Theophinus 
ywji-Ojj  ^!  genannt;  der  Kaiser  Leontius  wurde  im 
J.  695  auf  den  Griechischen  Thron  erhoben. 


3^3 

1)  Bl.  216  —  227 :  ^,Jh%\\  ;j-oJüül  l3^t  i^f^ 
öyJ^S  V^y  {S^  ^'  ^C*^'^  »Lebensbeschrei- 
bung unseres  Vaters  des  heil,  großen  Märtyrers 
Abu  Musa  gen.  der  schwarze  Mönch.«  Unter- 
schrift :  öyjJ^S  ^ß^  Lit  ,j«*jjüii!  ^4^  y*^^  >    Zu 

Ende  ist  die  Memoria  des  heil.  Amba  Musa  des 
schwarzen. 

jjj>  [j>*^.j  J^^  U^^*ß  v«Äft*«t  nJJiA  uil  ^jmj^^I  i3j3 

jijjLs»  In  diesem  Titel  sind  mehrere  Fehler,  die 
sicTi  aus  den  Ueberschriften  der  einzelnen  Ge- 
schichten herstellen  lassen ;    es  muß  heißen    Lj^^ 

*^Li  Ixit  -1^  LT^o  (j*?.***'l^»^Ji      Danach  ist   der 

Titel:  »40  Geschichten  der  frommen  Heiligen 
aus  dem  Munde  des  heil.  Macarius,  Bischof  von 
Nakius,  des  Boctor,  Oberen  des  Klosters  zu  el- 
Bahsämat,  des  Amba  Ishak,  Oberen  des  Klosters 
des  Amba  Samuel  zu  el-Calamün,  des  Amba 
Ja'cub,  Amba  Benjamin  und  des  Anastasius, 
Oberen  des  Klosters  des  Amba  Pachom.«  Von 
Macarius  dem  Bischof  sind  4  Geschichten ,  von 
Amba  Ishak  von  el-Calamün  7,  von  Amba  Ja'cub 
(Bischof  von  jt-uw^^  Ausim)  2,  von  Amba  Benja- 
min 1»  von  Anastasius  3 ;  sonst  kommen  noch 
vor  Macarius  der  Secretär,  Amba  Theodoros  und 
Amba  (oder  Mari)  Ishak,  Bischof  von  Ninive  mit 


ä24 

je   einer   Geschichte;    bei   den    übrigen    sind  die 
Erzähler  nicht   genannt,     282  Blätter   in  Quart. 

32.  Vierzehn  Blätter  Pergament  in  Quart 
enthaltend  Bruchstücke  aus  dem  Coran  in  Ku- 
fischer Schrift,  nämlich  Blatt  1  —  8  Sure  43,  12 
—  77.  Bj.  9  Sure  47,  32  —  37.  Bl.  10.  11  Sure 
48,  12  —  20.  Bl.  12  Sure  48,  25  —  27.  Bl.  13. 
14  Sure  49,  12-50,  4. 

33.  ^tXjJI  \J^  »Das  Buch  der  Unterwei- 
sung«, ein  Compendium  der  Alchymie  von  Abu 
Bekr  Muhammed  ben  Zakarija  el-JRäd,  In  der 
Vorrede  sagt  der  Verfasser:  Die  Veranlassung 
zur  Abfassung  dieses  Buches  war,  daß  ein  jun- 
ger Schüler  Namens  Muhammed  ben  Juuus,  der 
in  den  mathematischen ,  naturwissenschaftlichen 
und  dialectischen  Wissenschaften  sehr  gut  be- 
wandert ist,  mich  bat,  nachdem  ich  die  12  Bü- 
cher über  die  Kunst,  die  Widerlegung  des  Kincji  *) 
und  des  Muhammed  ben  el-Sinni  el-Rasäili  be- 
endigt hatte,  ihm  etwas  über  die  Geheimnisse 
der  Kunst  zu  sammeln,  was  ihm  als  Führer  und 
Stütze  dienen  könnte;  da  habe  ich  für  ihn  die- 
ses Buch  geschrieben  und  ihm  damit  ein  Ge- 
schenk gemacht,  wie  ich  es  keinem  Fürsten  und 
keinem  Emire  gemacht  habe,  und  ihm  darin  so- 
viel von  der  Kunst  auseinandergesetzt,  daß  er 
nun  alle  meine  anderen  Bücher  in  dieser  Bezie- 
hung entbehren  kann.  Also  habe  ich  diese  Un- 
terweisung verfaßt  und  wenn  ich  nicht  wüßte, 
daß  meine  Tage  gezählt  und  mein  Ende  nahe 
ist,  und  nicht  fürchtete,  daß  das  verloren  ginge, 
wozu  ich  ihm  Hoffnung  gemacht  habe,  würde 
ich  nicht  dieses  Alles  in  meinem  Buche  gesam- 
melt und  mir  nicht  soviel  Sorge  und  Mühe  ver- 

1)  Vergl.  Geschichte  der  Arab.  Aerzte.  §.  98  Nr.  142 
und  150. 


325 

ursacht  haben.   —   Abschrift  datirt  von  Freitag 

(1.  13.  Schawwäl  ^^^;    wenn    hier    ^    zu  lesen 

wäre  und  die  Jahrszahl  676  (Chr.  1278)  ausge- 
drückt sein  sollte,  so  stimmt  der  Wochentag 
nicht.  —  143  Seiten  kl.  Quart  in  kleiner  aber 
(deutlicher  Magribinischer  Schrift. 

34.  Dieser  Sammlung  ist  noch  beigefügt  ein 
Papyrus-Streif  mit  Demotiscber  Schrift,  zwischen 
zwei  Glasplatten. 

35.  u.  36.  Zwei  Steine,  welche  Herr  Dr. 
Brngsch  Bey  in  Süd-Arabien  aus  einer  Felswaud 
hat  heraushauen  lassen;  sie  enthalten  Alt -Ara- 
bische Inschriften,  der  größere  45  cm  laug,  21 
cm  hoch  zu  vier  Zeilen ,  der  kleinere  20  cm  ins 
Gevierte  zu  fünf  Zeilen. 


Nachschrift 


Herr  Dr.  Brugsch  Bey  hat  bei  seinem 
Weggange  von  Göttingen  der  Königl.  Universi- 
täts-Bibliothek noch  mit  mehreren  werthvoUen 
Geschenken  bedacht,  wovon  wir  hier  um  so  lie- 
ber eine  kurze  Nachricht  geben,  als  die  Kennt- 
niß  davon  in  weiteren  Kreisen  erwünscht  sein 
möchte.  Außer  ein  Paar  Arabischen  und  Persi- 
schen gedruckten  Büchern ,  Fragmenten  von  be- 
schriebenen Leinenstreifen  aus  einem  Aegypti- 
schen  Grabe  und  einem  sehr  schön  verzierten, 
abwechselnd  mit  Gold ,  Roth  und  Schwarz  ge- 
schriebenen Türkischen  Ferman  vom  Jahre  11 H8 
(1755).  wodurch  Sultan  Othmän  UI.  den  Chri- 
sten im  Orient  freie  Religionsübung  zusichert,  ist 
besonders  eine  sehr  schätzbare  Sammlung  von 
Abklatschen  von  Aegyptischen  Denkmälern,  dar- 

26 


326 

unter  einige  von  bedeutender  Größe,  hervorzu- 
heben, welche  noch  uiclit  bekannt  gemacht  wur- 
den, ja  deren  Monumente  in  den  fünfundzwanzig 
Jahren ,  die  seit  der  Abnahme  der  Copien  ver- 
flossen, zum  Theil  entweder  durch  Naturereig- 
nisse und  Verfall  untergegangen,  oder  durch  die 
Anwohner  abgebrochen  und  als  Baumaterial  an- 
derweit verwandt  sind.  Wir  geben  hier  das  Ver- 
zeichnis derselben,  wie  es  nach  der  Angabe  des 
Herrn  Dr.  Brugsch  Bey  aufgestellt  ist. 

1.  Tempel  von  Dendera,    7  Tafeln. 

2.  Tempel  von  Edfu. 

3.  Stele  des  Amasis,  auf  der  Insel  Elephantine 
gefunden. 

4.  Stele    Königs    Usurtasen    I.    (Museum    zu 
Bulak). 

5.  Tempel  von  Der  el  -  Bahri  (Theben). 

6.  Aethiopenstele  König  Bianchi's. 
6.     Aethiopenstele  aus  Meroe. 

8.  Stele  aus  Mendes  in  Unterägypten. 

9.  Stele  Tutmes  I.  (Museum  zu  Bulak). 

10.  Stelen  aus  Abydos. 

11.  Stele  der  12ten  Dynastie  (aus  Bulak). 

12.  Bianchi-Stele. 

13.  Stele  aus  Mendes. 

14.  Stele  aus  üna   (5te  Dynastie). 

15.  Die  große  Alexander- Stele  (aus  Bulak). 

16.  Stele  der  18ten  Dynastie  (aus  Bulak). 

17.  Stele  des  Una  (5te  Dynastie). 

18.  Stele  des  Mendes. 

19.  Abdrücke    aus    den    Gräbern    der   4.  —  5. 
Dynastie  bei  Gizeh  und  Saggara. 

20.  Abdrücke  aus   dem  Grabe  Bekenraufs  bei 
Saggara. 


327 

llniTersität. 

Petsch  e  Stiftu  ng. 

Die  theologische  Fakultät  stallt  für  die  Preis- 
stiftuug  der  Wittwe  des  weilaud  Gastwirths 
P  e  t  s  c  h  e ,    geb.  L  a  b  a  r  r  e  die  Preisfrage  : 

„Was  Yerstelit  das  Alte  Testament  ant«r 
„der  Heiligkeit  Gottes?** 

Zur  Bewerbung  sind  alle  die  zugelassen,  welche 
in  dem  laufenden  oder  im  folgenden  Halbjahre 
an  hiesiger  Universität  als  Studirende  einge- 
schrieben sind. 

Die  Arbeiten  müssen  spätestens  bis  zum  1. 
Januar  1879  au  den  Decan  der  theologischen 
Facultät  übergeben  werden,  mit  einem  Motto 
versehen ,  welches  gleichlautend  auf  einen  ver- 
siegelten ,  inwendig  den  Namen  des  Verfassers 
enthaltenden ,  Zettel  zu  setzen  ist. 

Der  Preis  beträgt  einhundert  und  achtzig 
Reichsmark. 

Göttingen,    1.  Juni  1878. 

Die  theologische  Facultät 
der  Georgia  Augusta. 

Der  Decan  Dr.  Schultz. 


Bei    der     Köniorl.    Gesellschaft    der*  Wis- 


o 


seuschaften   eingegangene   Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

A.  Ernst,  Estudios  sobre  las  Deformationes  enferme- 
dades  y  enemigoö  dei  arbol  de  caffe  en  Venezuela. 
Caracas.  1878.   4. 


328 

Piazzi  Smith,  Astronomical  Observations  made  at  the 
R.  Observatory  Edinburgh.   Vol.  XIV.  For  1870-77.  4. 

Mömoires  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Peters- 
bourg.    VII  e  Serie.     T.  XXIV.    1877.     4. 

Nr.  4.  J.  F.  Brandt,  Monographie  der  tichorhinen 
Nashörner. 

Nr.  5.  N.  V.  Kokscharow,  über  das  russische  Roth- 
bleierz. 

Nr,  6.  A.  Wischnegradsky,  über  verschiedene 
Amylene  u.  Amylalkohole. 

Nr.  7.  Chr.  Gobi,  die  Rothtange  des  Finischen  Meer- 
busens. 

Nr.  8.  A.  von  derPahlen,  Monographie  der  bal- 
tisch -  silurischen  Arten  der  Brachiopoden  -  Gattung 
Orthisena. 

Nr.  9.  N.  von  Kokscharow,  über  das  Krystall-Sy- 
stem  des  Glimmers. 

Nr.  10.  J.  D  0  g  i  e  1 ,  Anatomie  und  Physiologie  des 
Herzens  der  Larve  von  Corethra  plumicornis. 

Nr.  11.  W.  Grub  er,  Monographie  über  das  zweige- 
theilte  erste  Keilbein  der  Fusswurzel  beim  Menschen. 

VII  e  Serie.    T.  XXV.    1877. 

Nr.  1.     A.  S  c  h  i  e  f  n  e  r ,   über  Pluralbezeichnungen  im 

Tibetschen. 
Nr.  2.     L.   Cienkowski,   zur  Morphologie  der  Bak- 
terien. 
Nr.  3.     C.  Schmidt  u.  F.  Dohrandt,  Wassermenge 

und    Suspensionschlamm   des    Amu-Darja   in    seinem 

Unterlaufe. 
Nr.  4.     N.  V.  Kokscharow,    über  Waluewit. 
Linnaeana,  in  Nederland  aanwezig.     Amsterdam.  1878. 
A.  Oudemans,  Rede  ter  herdenking  van  den  sterftag 

van  C.  Linnaeus. 
F.  C.  NoU,  der  zoologische  Garten.    Jahrg.  XVIII.  4—6. 
Memoiri  of  the  R.   Astronomical   Society.     Vol.  XLIII. 

1875  —  76.    London.    4. 
Societk    Toscana   di    scienze    naturali.      Proc.  verb.  10. 

März.  1878. 
Bericht  I    des   naturwiss.    Vereine    in  Aussig   für    1876 

und  1877. 
Bulletin  de  TAcad.  B.  des  Sciences  de  Belgique.    T.  45. 

2e  Ser.  No.  i  -  2. 

(Fortaetzung  folgt). 


329 


iVachricIlten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 

schaften  und  der  G.  A.  Universität  zu 

Göttingen. 


12.  Juni.  Aä  9.  1878. 


Inifersität 

Preisvertheilung. 

Am  4.  Juni  fand  in  alter  Weise  die  Preis- 
vertheilung der  Universität  statt  Die  Festrede 
hielt  Professor  Sauppe  über  die  Sagen  von  einer 
glücklicheren  Urzeit  und  die  ^Schilderungen  eines 
idealen  Staates  der  Zukunft. 

Die  Aufgaben,  welche  vor  dem  Jahre  gestellt 
worden  waren,  hatten  größere  Beachtung  gefun- 
den, als  dies  seit  einer  Reihe  von  Jahren  ge- 
schehen war. 

Die  Aufgabe  der  theologischen  Fakul- 
tät: Weshalb  ist  die  Kindertaufe  in  unserer 
Kirche  beibehalten  worden  und  beizubehalten? 
hatte  einen  Bearbeiter  gefunden,  der  zwar,  weil 
die  Aufgabe  nicht  vollständig  gelöst  erscheint, 
nicht  den  vollen  Preis  erhalten  konnte,  aber  bei 
den  Vorzügen  der  Arbeit  und  dem  dargelegten 
Fleiß  und  Talent  mit  Genehmigung  des  Cura- 
toriums  einen  entsprechenden  Theil  des  Preises 
bekommen  soll.  Bei  Eröffnung  ergab  sich  als 
Verfasser  der  Abhandlung  Georg  Geisenhof, 
Cand.  theol.  aus  Hannover. 

27 


330 

Die  Aufgabe  der  juristischen  Fakultät 
war  nicht  bearbeitet  worden. 

Für  die  Aufgabe  der  medicinischen  Fakul- 
tät über  die  alkalische  Reaktion  des  Harnes  war 
eine  Arbeit  eingegangen,  welcher  die  Fakultät 
den  vollen  Preis  zuerkennt.  Der  geöffnete  Zet- 
tel nannte  als  Verfasser  Theodor  Görges, 
Cand.  med.  aus  Lüneburg. 

Von  den  zwei  Aufgaben  der  philosophi- 
schen Fakultät  ist  nur  für  die  erste :  Veteris 
Testamenti  emendandi  pericula,  quae  Herderus 
aut  ipse  fecit  aut  ab  aliis  facta  coraprobavit, 
colligantur  et  examinentur.  eine  Bearbeitung 
eingegangen.  Obgleich  die  Fakultät  wegen  for- 
meller ünvollkommenheiten  sich  nicht  entschließen 
kann,  die  Arbeit  unter  ihrer  Auctorität  drucken 
zu  lassen,  so  ertheilt  sie  doch  dem  Verfasser  in 
Erwägung  der  entschiedenen  Vorzüge,  welche 
dieselbe  hat,  den  vollen  Preis.  Als  Verfasser 
nannte  sich  in  dem  eröffneten  Zettel  J.  Spanuth, 
Stud.  theol.  aus  Hannover. 


Die  neuen  Aufgaben  für  das  Jahr  1878/9 
sind  folgende: 

1.  Die  theologische  Fakultät  stellt  als 
Thema  für  die  wissenschaftliche  Arbeit:  Ecdesiae 
reformatio  a  Waldensibus  et  fratribus  hohet)iicis 
suscepta  guomodo  a  Lutheri  ratione  ecdesiae  re- 
formandae  disiincta  sit,  exponatur. 

Als  Text  für  die  Preispredigt  giebt  sie  Jo- 
hannes 17,  17. 

2.  Die  juristische  Fakultät  stellt  die 
Aufgabe  ;  Historisch-dogmatische  Darstellung  der 
Gestaltung  des  Patronatsrechts  in  den  protestan- 
tischen Gebieten  Deutschlands. 


331 

3.  Die  medicinische  Fakultät  stellt  die 
Aufgabe:  Die  neueren  auf  Experimente  sich 
sfiitzendeti  Angaben  über  den  günstigen  Einfluß, 
welchen  Jüngere  Zeit  fortgesetzte  Einführung  Mei- 
ner Dosen  von  QuecTisilbcrprüparaten  auf  die  Blut- 
mischung  und  Ernährung,  auch  bei  Gesunden,  an- 
geblich äußefi,  sollen  durch  Versuche  an  Thieren^ 
unter  genauer  BeriicJcsichtigung  der  Nahrungszu- 
fuhr, des  Körpergewichts  und  der  Körperausgaben, 
einer  eingehenden  Prüfting  unterzogen  werden. 

4.  Die  philosophische  Fakultät  stellt 
die  zwei  Aufgaben: 

/.    Docfrina  et  kantiana  et  schleiermacheriana 
de  voluptate,  quaestionum  ad  psychologiam 
et  ad   moralem  philosopJiiam  pertinentium 
maxime    ratione   habita,   explicetur   atque 
diiudicetur. 
IL   Auffindung  einer    neuen,    einfacJien   und 
lumptsächlich  ergiebigen  Darstellungsueise 
der  Orthonitrobenzoesäure  oder  des  Orthoni- 
tramidobenzols. 
Die  Bearbeitung    der  Aufgaben    wird  in  der 
Sprache  erwartet,  in  der  sie  gestellt  sind. 

Die  Bearbeitungen  müssen,  mit  einem  Motto 
versehn  und  begleitet  von  einem  versiegelten 
Zettel,  der  außen  das  gleiche  Motto  trägt  und 
innen  den  Namen  des  Verfassers  enthält,  bis 
zum  15.  April  1879  den  Dekanen  der  Fakul- 
täten übergeben  werden. 


Die  Feier  schloß,  um  den  Gefühlen  des 
Schmerzes  und  der  Entrüstung,  mit  denen  alle 
die  grauenvolle  Kunde  von  dem  wiederholten 
Mordversuch  gegen  unsern  Kaiser  und  König 
erfüllt   hat,   und   den   innigsten  Wünschen   für 

27* 


S32; 

seine  baldige  Genesung  öffentlichen  Ausdruck 
zu  geben,  mit  einem  dreima^igep.  Hpcb  der 
sehr  zahlreichen  Festyersammlung  aiif  Seine 
Majestät. 


Köuigliche  Gesellschaft  der^Wisseinnplili^^fteiiv 

Sitzung  am  1.  Juni. 

Grisebach,  Der  Dimorphismus  der  Fortpflanzangsor- 
gane  von  Cardamine  chenopodifolia  Pers.  Ein  Beitrag 
zur  Theorie  der  Befruchtung. 

Henneberg,  Chemische  Untersuchungen  auf  apiatischem 
Gebiete. 

Schwarz,  lieber  den  verstorbenen  Corresp.  der  Soc. 
Graßmann. 

de  Lagarde,  Zur  Erklärung  der  aramäischen  Inschrift 
von  Carpentras. 

Enneper,  üeber  die  Flächen  mit  planen  und  sphäri- 
schen Krümmungslinien  (erscheint  in  den  Abhandl.) 

Marme,  Beobachtungen  zur  Pharmacologie  des Öalicins. 
(Fortsetzung). 

RöntgeUi  Üeber  Entladungen  der  Electricität  in  Isola« 
toren.    (Vorgelegt  von  Riecke). 


Der  Dimorphismus  der  Fortpflanzungs- 
organe  von  Cardamine  chenopodifolia 
Pers. 

Ein  Beitrag  zur  Theorie  der  Befruchtung. 

Von 

A.  Orisebach. 

Es  ist  eine  längst  bekannte  Thatsache,    daß 


333 

die  von  Commerson  im   südlichen  Brasilien  und 
in  Uruguay  entdeckte   Cardamine  chenopodifolia 
neben    der    gewöhnlichen    Fruchtbildung    dieser 
Gattung    aus   ihrer    grundständigen  Blattrosette 
eine  zweite  Art  von  Früchten  in  der  Gestalt  von 
Schötchen  erzeugt,  wobei  jedoch  unbemerkt  blieb, 
daß  die  letzteren  sich  in  die  Erde  eingraben  und 
somit    an    einen    für    die  Keimung  ihrer  Samen 
geeigneten    Ort   gelangen.     Eine    bildliche  Dar- 
stellung  des    Dimorphismus    von    Schote q     und 
Schötchen,    wodurch    bei   derselben    Pflanze    die 
siliquosen    und   siliculoseu  Cruciferen    verknüpft 
werden,  findet  sich  in  St.  Hilaire's  südbrasiliani- 
scher Flora  (Taf.  106).     Die  genauere  Beobach- 
tung  dieser    zwiefachen  Art    der   Fortpflanzung 
schien  geeignet,  auf  die  Befruchtung  und  deren 
Bedeutung    auf  das  Pflanzenleben   einiges  Licht 
zu  werfen:  denn  hier  ist  weder  der  Dimorphis- 
mus,   wie  bei  Viola  mirabilis,   ein  Wechsel  von 
fruchtbaren    und    unfruchtbaren    Blüthen,    noch 
die    selbstthätige  Versenkung    von   Erdfrüchten, 
wie  bei  Trifolium  subterraneum    und  nidificum, 
auf   die  Leistung  eingeschränkt,    den  Samen  an 
einen  passenden  Ort  zu  versetzen,  sondern  beide 
Arten  von  Blüthen  werden    befruchtet    und  er- 
zeugen   keimfähige    Samen.      Hier    durfte    man 
also   vielleicht   einen  Aufschluß  über  die  funda- 
mentale Frage  der  Physiologie  erwarten,  weshalb 
neben  der  den  Pflanzen  allgemein  zukommenden 
Theilungsfähigkeit  und  Reproduction    des  Orga- 
nismus,  der    vegetativen  Fortpflanzung,    die  zur 
Erhaltung  der  Arten  allein  genügen  würde,    bis 
zu  den  einfachsten  Gebilden  der  organischen  Na- 
tur hinab    die  entweder  diklinische  oder  gegen- 
seitige Befruchtung  verschiedener  Individuen  be- 
steht, um  Keime  zu  erzeugen,  deren  Eigenschaf- 
ten  von  beiden  Eltern    beeinflußt  sind.     Unter 


334 

diesem  Gesichtspunkte  können  nämlich  die  Erd- 
früchte jener  Crucifere  als  eins  der  entschieden- 
sten Beispiele  von  Selbstbefruchtung  dienen,  auf 
welche  kein  zweites  Individuum  einen  Einfluß 
ausübt,  wohingegen  die  an  den  Blüthentrauben 
gebildeten  Schoten  der  gegenseitigen  Befruch- 
tung von  andern  Individuen  zugänglich  sind. 

Die  früher  im  Leben  noch  nicht  genauer  be- 
obachtete Pflanze  wurde  kürzlich  durch  Samen  aus 
der  argentinischen  Provinz  Entrerios   in  unsern 
botanischen  Garten    eingeführt    und  sowohl  aus 
den    abgesondert    gesammelten    Erdfrüchten    als 
aus    den   normal  entwickelten  Schoten   erzogen. 
Beiderlei  Samen  erwiesen  sich  in  gleichem  Maße 
keimfähig,  wobei  jedoch  Anfangs   die  Entwicke- 
lung  der  Keimpflanzen  sich  darin  ungleich  zeigte, 
daß  diejenigen,  welche  von  den  Erdfrüchten   ab- 
stammten,   den   übrigen    in   ihrem    Wachsthum 
vorauseilten.    Indessen  hatte  sich  diese  Verschie- 
denheit, als  die  Pflanzen  nach  drei  bis  vier  Mo- 
naten  (zu   Ende    April)    zur   Blüthe   gelangten, 
fast  vollständig   ausgeglichen,    und  sie  ist  wohl 
daraus    zu    erklären,   daß  in   den  Schoten  zahl- 
reiche,   in  den  Schötchen   nur  zwei  Samen  ent- 
halten   sind    und   daher    die    letztern     von    der 
Mutterpflanze    besser   ernährt  und  zur  Keimung 
vorgebildet  sein  werden,  als  die  erstem.   Uebri- 
gens  waren  bei  der  im  Mai  beobachteten  Frucht- 
reife auch  an  den  Kulturpflanzen  beide  Eier  des 
zweifächerigen  Schötchens  befruchtet,  nicht,  wie 
von  St.  Hilaire  angegeben  wurde,    nur  das  eine 
von  ihnen  zum  Samen  ausgebildet. 

Sämmtliche  in  die  traubenförmigen  Bluthen- 
stände  ausgehenden  Axen  sind  Axillarsprossen, 
sie  entspringen  als  Zweige  erster  Ordnung  aus 
den  Axillen  der  Blattrosette,  werden  16  bis  20 
Centimeter  hoch  und  tragen  einige  Laubblätter, 


335 

von  denen  die  obersten  zuweilen  kürzere  Trau- 
ben zweiter  Ordnung  unterstützen.  Die  Blatt- 
rosette selbst,  welche  aus  der  verkürzten  Haupt- 
axe  entspringt,  ist  nach  oben  durch  6  bis  10 
dicht  gedrängte  cylindrische  Nebenaxen  begrenzt, 
welche  die  Blüthenstiele  der  unterirdischen  Fort- 
pflanzungsorgane sind  und,  gleich  denen  der 
Traube  ohne  eigene  Stützblätter,  die  Hauptaxe 
nach  oben  abschließen.  Im  morphologischen 
Sinne  ist  demnach  die  Traube  der  seitlichen 
Axen  an  der  Hauptaxe  zu  einer  Dolde  verkürzt, 
die  Blüthenstiele  der  Trauben  sind  denen  der 
unterirdischen  Dolde  homolog  und  werden  in 
beiden  Fällen  durch  eine  einzige  Blüthe  abge- 
schlossen. 

Gleichzeitig  mit  dem  Aufblühen  der  Blüthens 
trauben  sind  die  Blüthenstiele  der  Dolde  bereit- 
tief in  die  Erde  hineingewachsen.  Kaum  aus 
der  Blattrosette  sichtbar  hervorgetreten,  biegen 
sie  sich  in  steilem  Bogen  nach  abwärts  und 
wachsen  neben  deu  Blattstielen  der  Rosette  nach 
allen  Seiten  sofort  senkrecht  bis  zu  einer  Tiefe 
von  durchschnittlich  zwei  Centimeter  in  den 
Erdboden  hinab.  Ihre  Blüthe  ist  mit  unbewaff- 
netem Auge  kaum  bemerkbar :  denn  sie  erreicht 
nur  die  Länge  von  einem  Millimeter  (bei  einem 
Querdurchmesser  von  etwa  zwei  Drittel  Milli- 
meter) und  gleicht  der  stumpfen  Spitze  des  Blü- 
thenstiels  um  so  mehr,  als  sie  geschlossen  bleibt. 
Aber  auch  die  normalen  Blüthen  der  Traube 
sind  von  geringer  Größe,  ihre  Blumenblätter  (etwa 
4  Millimeter  lang)  ragen  nur  wenig  aus  dem  Kelche 
hervor.  Während  aber  diese  Blüthen  den  typi- 
schen Bau  der  Cruciferenblüthe  zeigen,  bestehen 
die  der  unterirdischen  Dolde  nur  aus  4  grünen 
Kelchblättern,  4  ihnen  anscheinend  opponirten 
Staminen  und   dem,    vom  Kelch  umschlossenen, 


336 

bleichen  Pistill.  Das  letztere  enthält  in  jedem 
der  beiden  Fächer  ein  einziges,  hängendes,  ana- 
tropes  Ei  und  ist  von  der  halbkugelförmigen, 
vertikal  gefurchten  Narbe  gekrönt.  Ausnahms- 
weise gelingt  es  den  Blüthenstielen  nicht,  in 
das  Erdreich  einzudringen:  dann  liegen  sie 
schlaff  am  Boden,  wie  in  St.  Hilaire's  Abbil- 
dung, und  die  Schötchen  werden  grün,  haben 
aber  denselben  Bau,  wie  die  unterirdischen,  die, 
dem  Lichte  entzogen,  die  bleiche  Farbe  be- 
wahren. 

Die  Vorgänge  bei  der  Befruchtung  der  unter- 
irdischen Blüthen,  deren  Untersuchung^  von  Dr. 
Drude  ausgeführt  wurde,  erwiesen  sich  weit 
merkwürdiger,  als  der  abweichende  Bau  der 
Blüthen.  Von  der  Richtigkeit  der  Beobachtun- 
gen habe  ich  mich  an  den  aufbewahrten  Prä- 
paraten überzeugt,  auch  war  der  argentinische 
Botaniker  Hieronymus  bei  den  Untersuchungen 
gegenwärtig.  Die  beiden  Fächer  jeder  Anthere 
enthalten  nur  etwa  je  12  Pollenzellen  von  ku- 
geliger Form  mit  tetraedrich  geordneten  Poren 
und  einer  schwach  warzigen  Exine.  Ohne  daß 
eine  Dehiscenz  der  Anthere  stattfindet,  treiben 
die  Pollenzellen  einzeln  innerhalb  des  Fachs 
ihren  Schlauch,  der  sodann  die  Wandung  der 
Anthere  durchbricht  und,  indem  er  die  unmit- 
telbar anschließende  Narbe  erreicht,  sofort  in 
diese  hineinwächst.  Dieser  Vorgang  in  dem 
engen  Räume,  den  der  geschlossene  Kelch  übrig 
läßt,  kann  mit  der  Befruchtung  von  Zostera 
verglichen  werden.  Im  Ovarium  konnten  die 
Pollenschläuche  bis  in  die  Mikropyle  des  Ei's 
verfolgt  werden,  in  welchem  die  Befruchtung 
schon  erfolgt  war,  aber  die  Schläuche  noch 
sichtbar  blieben. 

Als   ich    die    isolirten   Pollenzellen   in    den 


337 

Antherenfächern  der  unterirdischen  Blüthen  mit 
denen  verglich,  die  in  großer  Menge  in  den  de- 
hiscirenden  Antheren  der  Luftblüthen  enthalten 
sind,  so  zeigten  diese  zwar  denselben  Bau,  aber 
mit  dem  physiologisch  bemerkenswerthen  Unter- 
schiede ,  daß  sie  vermittelst  des  von  der  Exine 
ausgeschiedenen  Klebstoffs  zu  Klümpchen  zusam- 
raenhäugen  und  in  dieser  Anhäufung  sich  frem- 
den Körpern  anhängen  können,  nachdem  sie 
unverändert  aus  dem  Fache  ausgetreten  sind. 
Wenn  man  sich  hiebei  der  schönen  Untersu- 
chungen Kerner's  über  die  Bedeutung  des  Kleb- 
stoffs am  Pollen  für  die  Befruchtung  durch  In- 
sekten erinnert,  den  er  bei  den  im  Winde  stäu- 
benden Pollenzellen  vermißte,  so  ist  es  einleuch- 
tend, daß  die  an  der  Luft  sich  öffnenden,  mit 
Blumenblättern  und  hypogynischen  Drüsen  aus- 
gestatteten Blüthen  der  Traube  zur  gegenseiti- 
gen Befruchtung  verschiedener  Individuen  durch 
fliegende  Insekten  bestimmt  sind.  Bei  den  unter- 
irdischen Blüthen  hingegen  ist  die  Selbstbe- 
fruchtung durch  unmittelbare  Beobachtung  nach- 
gewiesen. 

Gegenwärtig  sind  die  Erdfrüchte,  welche  die 
bleiche  Färbung  des  Ovariums  bewahren,  schon 
so  weit  ausgebildet,  daß  sie  an  Größe  uud  Ge- 
stalt der  Beschreibung  und  Abbildung  St.  Hi- 
laire's  entsprechen.  Wenden  wir  uns  nun  zu 
der  Frage,  welche  physiologische  Leistung  mit 
dieser  zwiefachen  Fortpflanzungsweise  erreicht 
wird,  so  kann  man  zunächst  klimatische  Bedin- 
gungen in's  Auge  fassen,  deren  störender  Ein- 
fluß zu  bekämpfen  ist.  Am  nächsten  im  Auf- 
bau der  Vegetationsorgane  steht  unserer  Cruci- 
fere  Cardamine  axillaris,  die  auf  den  feuchtem 
Anden  von  Catamarca  bis  Bolivien  wächst.  Der 
längern    Dauer    regenloser    Jahrszeiten    in    den 


338 

südamerikanischen  Ebenen   jenseits   des  Wende- 
kreises scheint  es  zu  entsprechen,  daß  die  Keim- 
kraft des  Samens  durch  Versenkung  in  den  Erd- 
boden   sicherer    gestellt    wird,    wogegen    die  in 
den  Schoten  erzeugten  Samen,  an  der  Oberflache 
durch   den    Wind  zerstreut,    leichter   zu  Grunde 
gehen.     Mit  dem  Eintritt  erneuter  Niederschläge 
können  die  Erdfrüchte  sofort  zur  Entwicklung 
gelangen,    nachdem  die  einjährige  Mutterpflanze 
auf  demselben  Boden    längst  zerstört  war.     Die 
Ausstreuung  des  Samens  in  die  Atmosphäre  hat 
aber  nicht  bloß  die  Bedeutung,  denselben  dahin 
zu    führen,    wo    seine   Ernährung    gesichert  ist, 
sondern    auch    die    Ausbreitung    der    Arten    auf 
neue  Standorte  möglich  zu  machen.     Somit  wür- 
den   die    Erdfrüchte    die  Erhaltung   der  Art    m 
einem    ungünstigen    Klima,    die    durch    die  Luft 
verbreiteten  Samen   die  Wanderungen  derselben 
sicher  stellen  oder  doch  begünstigen. 

Wenn  indessen  die  Natur  die  verschieden- 
artigsten Ziele  oft  mit  denselben  Werkzeugen 
der  Organisation  erreicht,  so  kann  man  doch 
nicht  umhin  anzunehmen,  daß  der  Befruchtung, 
als  einer  der  allgemeinsten  ihrer  Einrichtungen, 
neben  solchen  Wirkungen,  die  nur  dem  einzel- 
nen Falle  zu  Gute  kommen,  auch  eine  gemein- 
same Bedeutung  für  die  bestehende  Ordnung 
des  organischen  Lebens  zu  Grunde  liegt.  Nun 
kennen  wir,  unter  der  Voraussetzung,  daß  der 
befruchtende  Stoff  und  das  Ei  von  verschiedenen 
Individuen  erzeugt  werden,  als  allgemeine  Folge 
ihres  Zusammenwirkens  die  Thatsache,  daß  die 
Gestaltung  des  neuen  Individuums  von  beiden 
Eltern  abhängig  ihre  etwaigen  Eigenthümlich- 
keiten  vermittelt  und  ausgleicht. 

Man  kann  in  der  Bildungsgeschichte  des  Or- 
ganismus zwei  Klassen   von  Kräften   unterschei- 


339 

den,  von  denen  die  eine,  als  erbliche  Anlage 
bezeichnet,  den  Plan  der  typischen  Gestaltung 
einer  Art  zur  Ausführung  bringt,  die  andere 
jene  Variationsfähigkeit  bedingt,  durch  deren 
mannigfache  Wirksamkeit  jedem  Individuum  ein 
eigeuthümliches  Gepräge  verliehen  wird.  Es  ist 
ein  nicht  minder  großes  Gewicht  darauf  gelegt, 
die  Individuen  zu  besondern  Lebensformen  zu 
gestalten,  als  den  Typus  der  bestehenden  Arten 
festzuhalten.  Diese  letztere  Aufgabe  aber  wird 
durch  die  erstere  beeinträchtigt,  und,  wenn  die 
Variation  bald  die  verschiedensten  Organe  er- 
greift, bald  zu  Mißbildungen  sich  steigert,  so 
kann  der  Typus  zu  Grunde  gehen.  Aus  der 
Voraussetzung,  daß  auf  diesem  Wege  neue  Ge- 
bilde aus  den  vergangenen  entstanden  sind,  ist 
die  Descendenzhypothese  erwachsen. 

Die  Variationsfähigkeit  aber  ist  eine  Kraft, 
die  nur  in  den  Anfängen  der  Entwickelung  von 
Keimen  wirksam  ist,  am  erwachsenen  Indivi- 
duum geht  sie  verloren.  Ist  der  Organismus 
der  Pflanze  erst  einmal  zu  seiner  individuellen 
Eigenthümlichkeit  ausgestaltet,  so  bleibt  ihm 
nur  noch  eine  oft  Staunens werth  ausgebildete 
Reproductionsfähigkeit  seiner  Organe,  ohne  daß 
neue  Veränderungen  hervortreten.  Hierauf  be- 
ruht der  wesentliche  Charakter  der  vegetativen 
Fortpflanzung,  die  nicht  bloß  den  Bildungsplan, 
sondern  auch  die  Eigenthümlichkeiten  des  Indi- 
viduums bewahrt  und  dadurch  für  die  Erhaltung 
werthvoller  Eigenschaften  bei  den  Kulturgewäch- 
sen eine  so  hohe  Bedeutung  hat.  Dies  ist  nur 
eine  Fortsetzung  des  individuellen  Lebens,  so 
vollständig  dabei  auch  die  Vermehrung  der  Ein- 
zelwesen und  die  Erhaltung  ungeschwächter 
Reproductionskraft  erreicht  wird.  In  jedem  Or- 
gan ,    welches    von    der  Mutterpflanze    getrennt 


340 

"Wurde,  ja  in  der  einzelnen  Zelle,  wenn  sie  un- 
ter angemessene  Lebensbedingungen  gestellt 
■würde,  ruht,  darf  man  annehmen,  jene  leben- 
dige Reproductionskraft ,  die  alle  verlorenen 
Theile  des  Organismus  in  gleicher  Gestaltung 
und  Mischung  der  Stoffe  wiederherzustellen 
fähig  ist.  Die  Parthenogenesis  ist  in  diesem 
Sinne  als  vegetative  Fortpflanzung  aus  der  ein- 
aelnen  Keimzelle  aufzufassen. 

Diesen  Vorgängen  nun  entgegengesetzt  ver- 
hält sich  die  Fortpflanzung  aus  befruchteten 
Blüthen,  wenn  dabei  zwei  verschiedene  Indivi- 
duen thätig  waren.  Abgesehen  von  der  Varia- 
tionsfähigkeit,  die  hier  zur  Geltung  gelangen 
kann,  erleidet  der  Keim  eine  Einbuße  an  indi- 
viduellen Eigenschaften,  in  dem  Sinne,  daß  sie 
durch  die  Einwirkung  beider  Eltern  auf  ein 
mittleres  Maß  zurückgeführt  und  dadurch  dem 
Typus  des  Bildungsplans  um  so  mehr  genähert 
werden,  je  verschiedenartiger  die  Einflüsse  von 
beiden  Seiten  sind.  In  der  diklinischen  oder 
gegenseitigen  Befruchtung  der  Pflanzen  tritt 
demnach  ein  langsam,  aber  allgemein  und  stetig 
wirksames  Mittel  in  Thätigkeit,  die  individuellen 
Ausartungen  und  Abschweifungen  vom  Bildungs- 
plane einzuschränken  und  den  Typus  der  Arten 
in  der  unbegrenzten  Reihenfolge  der  Generatio- 
nen zu  erhalten.  Was  bei  der  Zuchtwahl  künst- 
lich vereitelt  wird ,  erreicht  die  Natur  durch 
das  zufällige  Zusammenleben  verschiedenartiger 
Individuen.  Wenn  man  wüßte,  daß  die  Varia- 
tionsfähigkeit ,  von  deren  Quellen  wir  jedoch 
nicht  unterrichtet  sind,  durch  die  äußern  Exi- 
stenzbedingungen allein  oder  wesentlich  bedingt 
würden,  ho  könnte  man  schließen,  daß  säculare 
Aenderungen  des  Klima's  oder  ähnliche  geologi- 
sche Einflüsse    den  Typus   der  Arten  verändern 


341 

müßteu,  wenn  sie  in  einer  einseitigen  Weise  die 
Organismen  beeinflußten.  Allein  da  vrir  sehen, 
daß  in  der  ganzen  organischen  Natur  eine  Ein- 
richtung besteht,  die  Variationen  abzuschwächen, 
so  ist  man  nicht  berechtigt,  die  Descendenz- 
hypothese  als  allgemeines  Princip  der  Arten- 
bildung anzusehen,  wenn  auch  in  einzelnen  Fäl- 
len neue  Formen  auf  diesem  Wege  der  Umbil- 
dung ein  selbständiges  Bürgerrecht  in  den  Flo- 
ren und  Faunen  erlaugt  haben. 

Von  dem  Ueberblick  dieser  Anschauungen 
zu  der  doppelten  Befruchtungsweise  unserer 
Crucifere  zurückzukommen,  darf  man  die  Bil- 
dung der  Erdfrüchte  mit  einer  vegetativen  Fort- 
pflanzung vergleichen,  zu  welcher  hier  ausnahms- 
weise statt  der  unterirdischen  Brutknospen 
selbstbefruchtete  Samen  verwendet  sind,  die  ver- 
möge ihrer  Hüllen  und  NährstofiFe  besser  gegen 
die  Trockenheit  der  Jahreszeit  verwahrt  sind,  als 
jene.  Und  wiewohl  zwischen  den  aus  Erd-  oder 
Luftfrüchten  gezogenen  Pflanzen  keine  Verschie- 
denheit sich  wahrnehmen  läßt,  so  wurde  doch 
die  ungleiche  Wirkung  von  Befruchtung  durch 
Insecten  und  von  Selbstbefruchtung  im  Laufe 
der  Generationen  zuletzt  zur  Geltung  kommen. 


Chemische    Untersuchungen    auf    api- 
stischem  Gebiete. 

Von 

W.  Henneberg. 

Auf  Veranlassung  des  bienenwirthschaftlichen 
Centralvereins    für  Hannover  und   von  dem    Se- 


S42 

cretär  desselben,  Herrn  Hauptlehrer  Lehzen 
in  Hannover  als  bienenwirtlischaftlicliem  Sach- 
verständigen unterstützt,  habe  ich  mich  in  Ge- 
meinschaft mit  den  Herren  Dr.  M.  Fleischer, 
Dr.  E.  Kern,  Dr.  F.  Meinecke  und  Dr.  K.  Mül- 
ler während  der  Jahre  1872,  73  und  76  theils 
in  Weende,  theils  in  Göttingen  mit  apistischen 
Untersuchungen  beschäftigt.  Ich  erlaube  mir 
der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  eine 
kurze  Mittheilung  darüber  zu  machen,  indem 
ich  wegen  aller  Einzelheiten  der  umfangreichen 
Arbeit  auf  einen  so  eben  im  »Journal  für 
Landwirthschaft«  ^)  erschienenen  ausführlichen 
Bericht  verweise. 

Es  handelte  sich  bei  diesen  Untersuchungen 
an  erster  Stelle  um  eine  der  verderblichsten 
Bienenkrankheiten,  die  sog.  bösartige  Faulbrut. 
Das  Characteristische  derselben  besteht  darin, 
daß  die  Brut  nach  dem  Bedeckelu,  während  des 
Uebergangs  aus  dem  Zustande  der  Made  (Larve) 
in  den  des  ausgebildeten  Insects  abstirbt  und  in 
eine  eigenthümliche  Fäulniß  übergeht,  deren 
höchst,  übelriechende,  zähflüssige  Producte  aus 
den  betr.  Zellen  wegzuschaffen  die  Arbeitsbienen 
sich  nicht  bequemen.  Die  Zahl  solcher  Zellen 
nimmt  mit  der  Zeit  mehr  und  mehr  zu,  das 
Volk  schmilzt  rasch  zusammen,  weil  es  nicht 
genügend  durch  neu  auslaufende  Brut  ergänzt 
wird,  und  geht  in  der  Regel  schon  im  ersten 
Jahre  des  Erkranktseins  zu  Grunde. 

Bezüglich  der  bösartigen  Faulbrut  stand,  wie 
mehrfach  sonst  in  analogen  Fällen,  der  Ansicht, 
daß  sie  eine  Infectionskrankheit  sei,  die  Ansicht 
gegenüber,  daß  mangelhafte  Ernährung  die 
grundlegende  Ursache  bilde. 

1)  25.  Jahrg.  S.  377—401  und  S.  461-589. 


343 

Zu  einer  Klärung  dieser  Ansichten  vom  che- 
mischen Standpunkte  aus  beizutragen  war  uns 
als  hauptsächlichst.e  Aufgabe  gestellt  und  da- 
durch die  Fragestellung  gegeben :  Lassen  sich 
bestimmte  qualitative  oder  quantitative  Unter- 
schiede zwischen  der  in  gesunden  und  in  kran- 
ken Stöcken  verwandten  Nahrung,  sowie  zwi- 
schen Thieren  aus  gesunden  und  aus  kranken 
Stöcken  nachweisen? 

Die  allerdings  nur  in  beschränktem  Umfange 
ausgeführten  Untersuchungen  der  Nahrung  ha- 
ben ein  negatives  Resultat  geliefert,  die  Unter- 
suchungen der  Thiere  in  ihren  verschiedenen 
Entwickeluugsstadien  dagegen  gelehrt,  daß  na- 
mentlich bei  dem  Körpergewicht  Unterschiede 
zu  Ungunsten  der  kranken  Stöcke  auftreten. 
Eine  im  Jahre  1876  gemachte  Beobachtung 
stellt  es  jedoch,  wie  mir  scheint,  außer  Zweifel, 
daß  die  durch  die  Verminderung  des  Körperge- 
wichts angedeutete  mangelhafte  Ernährung  nur 
als  eine  Folge  der  Krankheit  aufzufassen  ist 
und  daß  die  Krankheit  selbst  in  der  That  durch 
Infection  hervorgerufen  wird.  Diese  Beobach- 
tung geht  dahin: 

Am  7.  Mai  wurden  die  acht  stärksten  Völ- 
ker eines  durchaus  gesunden  Bienenstandes  von 
Weende  nach  Göttingen  auf  den  im  landwirth- 
schaftlichen  Institutsgarten  errichteten,  bis  dahin 
unbenutzten  Versuchsstand  versetzt  und  bald 
hinterher  dreien  von  diesen  Völkern  Stücke  faul- 
brütiger  Waben  in  eine  Tafel  neben  der  Brut- 
wabe eingespeilt.  Die  faulbrütigen  Waben  wa- 
ren aus  Osnabrück  geliefert  und  entstammten 
einem  im  Vorjahre  (1875)  durch  die  Krankheit 
zu  Grunde  gerichteten  Stocke;  der  faulige  In- 
halt der  kranken  Zellen  war  im  Verlauf  der 
Zeit  von  Motten  etc.  verzehrt,  die  Waben  waren 


m)^ 


vollständig  trocken  und  enthielten  nur  geschro- 
tenes  GemüU.  -  Der  Erfolg  war,    daß  sich  bei 
einer  Untersuchung  am  27.  Mai  die  drei  Stocke 
sämmtlich   als    erkrankt  erwiesen.     Die  übrigen 
fünf  Stöcke,  obgleich  nahe  zur  Seite  oder  nahe 
über  den  faulbrütig  gemachten  stehend,   blieben 
von  der  Krankheit  verschont.      Dieselbe  brtah- 
rung    hatte   man  1872  und  73    in  Weende   ge- 
macht:   auch    damals    fand  keine  üebertragung 
der   Krankheit   von   faulbrütigen    Stocken,     die 
von  auswärts  (aus  dem  Braunschweigischen  und 
Lüneburgischen)    bezogen    waren,   auf  dicht  da- 
neben   stehende    gesunde   statt.     Offenbar   wird 
dadurch  mit  Sicherheit  angedeutet,   daß  der  m- 
ficirende  Stoff   zu    den  flüchtigen    nicht  gehört. 
Neuerer  Zeit  sprechen  die  Apistiker  als  solchen 
eine    Bacterienart    an    und    haben    zur  Heilung 
der  Faulbrut  antiseptische  Mittel  erfolgreich  an- 
gewandt.    Zusammenfassende  und  kritische  Mit- 
theilungeu   darüber   hat    »Einer    der  allerersten 
Meister  der  Gegenwart«,  Herr  P.  Kleine-Lüethorst 
für    das  »Journal  für  Landwirthschatt«  in  Aus- 
sicht gestellt.  —  —  ,      1    •     • 

Unsere  Untersuchungen  haben  nebenbei  eine 
cenauere  Kenntniß  der  quantitativen  Verhaltr 
nisse  des  Gesammtstoffwechsels  der  Bienenbrat 
angebahnt  und  die  zur  Vervollständigung  dieser 
Kenntniß  einzuschlagenden  Wege  gezeigt. 

Die  hier  vorzugsweise  in  Betracht  kommen- 
den analytischen  Befunde  sind  in  den  beiden 
Tabellen  S.  346—349  zusammengestellt,  zu  deren 
Erläuterung  zu  bemerken : 

Sämmtliche  Angaben  beziehen  sich  ant  le- 
bende Brut  von  Arbeitsbienen,  bei  denen  die 
EntWickelung  den  Verlauf  nimmt,  daß  die  Made 
nach  Ablauf  des  6ten  Tages  seit  dem  Ausschlupfen 
aus  dem  Ei  zur  Bedeckelung  gelangt  (mit  einem 


345 

Wachsdeckel  iu  der  Zelle  verschlossen  wird)  nnd 
l^ach  Ablauf  von  18  Tagen  seit  dem  Aus- 
schlüpfen oder  12  Tagen  seit  dem  Bedeckein 
als  ausgebildetes  Insect  die  Zelle  verläßt,  — 
>Nymphe  ohne  Kopf«  bedeutet  bedeckelte  Brut 
mit  noch  nicht  ausgebildetem  Kopfe,  »Nymphe 
mit  Kopf«  solche  mit  bereits  ausgebildetem 
Kopfe ;  ersterer  ist  ein  durchschnittliches  Lebens- 
alter von  etwa  9  Tagen  seit  dem  Ausschlüpfen 
aus  dem  Ei  (=  3  Tagen  seit  dem  Bedeckein), 
letzterer  ein  solches  von  15  (bezw.  9)  Tagen 
beizulegen.  —  Von  den  in  den  Tabellen  aufge- 
führten Werthen  sind  die  für  »stickstofiFhaltige 
Substanz«  und  die  davon  abhängige  für  »son- 
stige stickstofffreie  Substanz«  (organische  Sub- 
stanz im  Ganzen  minus  Fettsubstanz  minus  stick- 
stoffhaltige Subst.)  nur  als  mehr  oder  weniger 
grobe  NäheruDgswerthe  zu  betrachten,  da  den- 
selben die  Annahme  zu  Grunde  liegt,  daß  die 
Thiere  ihren  sämmtlichen  Stickstoff  sämmtliche 
Entwickelungsperioden  hindurch  in  der  Form 
von  Eiweißstoffen  mit  16  Proc.  Stickstoff  ent- 
halten haben  ^).  Es  ist  also  das  schon  von  vorn 
herein,  insbesondere  aber  nach  Cntersuchungen 
von  Städeler  und  Frerichs,  C.  Schmidt  u.  A.  nicht 
zu  bezweifelnde  Vorkommen  von  stickstoffhalti- 
gen Nicht-Eiweißsloffen ,  von  Leucin,  Tyrosin, 
Harnsäure,  Chitin  etc.,  unberücksichtigt  geblie- 
ben und  es  bedarf  unsere  Arbeit  namentlich 
nach  dieser  Seite  hin  einer  wesentlichen  Ver- 
vollständigung. Ich  habe  jedoch  in  meinem 
ausführlichen  Berichte  gezeigt,  daß  die  V  e  r  1  us  t  e 

1)  Die  stickstoffhaltige  Substanz  ist  nach  dem  Ver- 
hältniß  16 ;  100  aus  dem  direct  bestimmten  Stickstoffge- 
halt berechnet  (1  Gew.  Th.  Stickstoff  =  6,25  Stickstoff  halt. 
Subst.). 

28 


U6 


I.     Dur  chschnittliches  Gewicht 
bestandtheile  pro 


Körper- 

Trocken- 

Was- 

gewicht. 

substanz  . 

ser. 

Gesunder  Stock  1873. 

Maden  unbestimmten  Alters 

94,82 

21,04 

73,76 

Nymphen  ohne  Kopf 

141,40 

30,94 

110,46 

Nymphen  mit  Kopf 

136,05 

25,96 

110,05 

Auskriechende  Bienen 

118,17 

16,59 

101,56 

Kranker  Stock  I  1873. 

Maden  unbestimmten  Alters 

108,78 

24,76 

84,02 

Nymphen  ohne  Kopf 

139,93 

32,32 

107,61 

Nymphen  mit  Kopf 

128,25 

25,68 

102,51 

Auskriechende  Bienen 

102,66 

19,75 

82,81 

Kranker  Stock  III  1873. 

Maden  unbestimmten  Alters 

80,06 

17,02 

63,0^ 

Nymphen  ohne  Kopf 

132,38 

80,55 

101,8J 

Nymphen  mit  Kopf 

127,03 

26,45 

100,56 

Auskriechende  Bienen 

100,08 

18,63 

81,4? 

Ges.  Stöcke,   bezw.   ges. 

Ableger     mit    Brut   aus 

gesunden  Stöcken  1876. 

Eier 

0,1375 

0,020 

0,117J 

Eintägige  Maden  (Ableger) 

1,339 

0,272 

1,06' 

Fünf-  bis  sechst.  Maden  (desgl.) 

144,90 

30,60 

114,3( 

Nymphen  ohne  Kopf 

149,67 

33,86 

116,3S 

Auskriechende  Bienen 

118,30 

17,88 

100,4J 

Kranke    Stöcke,     bezw. 

gesundeAblegerm.  Brut 

a.  krank.  Stöcken  1876. 

Eier 

0,135 

0,0176 

0,1171 

Eintägige  Maden  (Ableger) 

1,547 

0,321 

1,221 

Fünf-  bis  sechst.  Maden  (desgl.) 

132,11 

25,24 

106,8' 

Nymphen  ohne  Kopf 

187,53 

81,98 

105,51 

auskriechende  Bienen 

112,70 

17,60 

95,1( 

347 


des  Körpers  und  der  Körper- 
Stück  in  Milligramm. 


S^ 

. 

Organ. 

Stick- 

Son- 

-^   AD 

0/  'S 

ic8 

Fett- 

Sab- 

stoffhal- 

stige 

^^ 

E 

^ 

Stick- 

stanz 

tige  Sub- 

stick- 

1« 

!  2  g 

o 

'S, 

CO 

1 

stoff. 

sub- 

im 
Gan- 

stanz (als 
Eiweiß - 

stoff- 
freie 

si 

O 

stanz. 

zen. 

Stoffe  be- 

Sub- 

so 

Oi 

rechnet). 

stanz. 

0,94 

0,45  0,07 

1,47 

3,17 

20,10 

9,19 

7,74 

1,02 

0,38 

0,05 

1,80 

5,33 

29,92 

11,25 

13,34 

1,02 

0,36 

0,03 

1,69 

4,70 

24,94 

11,81 

8,43 

1,02 

— 

— 

2,19(?) 

1,51 

15,57 

13,69 

0,37 

1,08 

0,45 

0,07 

1,56 

3,95 

23,68 

9,75 

9,98 

1,28 

0,51 

0,07 

1,98 

5,84 

31,04 

12,37 

12,83 

1,15 

0,54 

0,06 

1,90 

4,88 

24,53 

11,87 

7,78 

1,16 

— 

— 

2,45(?) 

— 

18,60 

15,29 

— 

0,84 

0,41 

0,09 

1,34 

2,17 

16,18 

8,37 

5,64 

1,04 

0,50 

0,08 

2,10 

5,79 

29,51 

13,12 

10,60 

1,13 

0,54 

0,10 

2,06 

5,07 

25,32 

12,87 

7,38 

1,13 

2,05 

2,18 

17,50 

12,81 

2,51 

1,18 

— 

— 

2,13 

5,24 

29,42 

13,31 

10,87 

1,18 

— 

— 

2,24 

6,14 

32,17 

14,00 

12,03 

1,18 

" 

2,18 

1,49 

16,70 

13,60 

1,61 

1,12 

-r 

— 

1,60 

4,26 

24,12 

10,00 

9,97 

1,12 

— 

— 

2,11 

6,06 

30,86 

13,19 

11,61 

1,12 

— 

— 

2,15 

1,49 

16,48 

13,44 

1,65 

348 


IL    Proc^fitische 


Eier. 

Gesunde  Stöcke  1876  (0,1375  mg)») 
Kranke  Stocke  1876  (0,185  mg) 

Maden. 

Eintäg.  M.  1876  Abi.  gee.  (1,389  mg) 
»        »       »         »kr.    (1,547  mg) 

Ges.  Stock  1873  (94,82  mg) 

Krank.  Stock  I  1873  (108,78  mg) 
»         »III       »      (80,06  mg) 

Fünf-  bis  secbstäg.  M.  1876  Abi.  ges.  (144,90  tag) 
»       »         »  »       »       »       kr.  (132,11  tag) 

Nymphen  ohne  Kopf. 

Ges.  Stock  1873  (141,40  mg) 
Krank.  Stock  I  1873  (139,93  mg) 
•»    III     »      (132,38  mg) 
Ges.  Stöcke  1876 
Kranke  Stöcke  1876 

Nymphen  mit  Kopf. 

Ges.  Stock  1873  (136,05  mg) 
Krank.  Stock  I  1873  (128,25  mg) 
»  »    m     »      (127,08  mg) 

Auskriechende  Bienen. 

Ges.  Stock  1873  (118,17  mg) 
Kranker  Stock  I  1873  (102,56  mg) 
»  »     III     »       (100,08  mg) 

Ges.  Stöcke  1876  (118,30  mg) 
Kranke  Stöcke  1876  (112,70  mg) 

1)   Die   eingeklammerten    Werthe   bedeuten 
eohnittliches  Gewicht. 


349 


Znsammensetzung. 

Mineral- 

StickBtoff- 

Fett- 

Sonstige 
Stickstoff- 

Stick- 

Btofife. 

haltige 
Sabstanz. 

Substanz. 

freie  Sub- 
stanz. 

stoff". 

0,99 

9.69 

8,34 

1 
8,17 

1,55 

0,93 

8,96 

8,63 

9,18      i 

1,43 

1,05 

10,45 

2,71 

7,05      ! 

1,67 

0,81 

9,18 

3,63 

7,50      i 

1,47 

0,85 

7,57 

3,22 

7,47 

1^21 

0,72 

7,96 

3,77 

9,48      . 

1,27 

0,91 

8,84 

4,17 

9,18      ' 

1,41 

0,79 

9,91 

4,37 

8,01 

1,59 

0,79 

9,35 

4,10 

8,04 

1,50 

0,81 

9,59 

4,41 

8,44 

1,53 

0,75 

8,68 

3,45 

6,20 

1,39 

0,90 

9,26 

8,80 

6,07 

1,48 

0,89 

10,13 

3,99 

5,81 

1,62 

0,86 

11,58 

1,28 

0,32 

1,85 

1,12 

14,90 

-») 

3,24») 

;      2,38 

1,13 

12,80 

2,18 

2,51 

2,05 

1      1,00 

11,49 

1.26 

1,36 

1,84 

i      0,99 

11,93 

1,33 

1,37 

1,91 

2)  Fett  nicht  bestimmt. 

3)  incl.  Fett. 


350 

an  »sonstiger  stickstofffreier  Substanz«,  welche 
die  Thiere  im  Puppen-  und  Entpuppuugszu- 
stande  von  einer  Lebensperiode  zur  anderen  er 
leiden,  trotz  jener  mißlichen  Annahme  unbe- 
denklich aus  den  in  die  Tabelle  aufgenommenen 
Werthen  für  »sonstige  stickstöfffr.  Substanz« 
abgeleitet  werden  können.  —  Ueber  die  näheren 
Bestandtheile  der  »sonst,  stickstöfffr.  Substanz« 
fehlt  es  (ebenso  wie  bei  der  stickstoffhalti- 
gen Substanz  und  der  durch  Extraction  mit 
Aether  bestimmten  Fettsubstanz)  an  Untersu- 
chungen ;  man  darf  indeß  vermutheu,  daß  von 
der  Nahrung  herstammender  Zucker  (Honig)  den 
hauptsächlichsten  Bestandtheil  derselben  ausge- 
macht haben  wird. 

Aus  den  in  den  Tabellen  niedergelegten  und 
anderen  nebenher  gehenden  Beobachtungen  er- 
giebt  sich  u.  A. : 

Das  Bienen-Ei  hat  ein  Gewicht  von  0,13  bis 
0,14  mg.  Das  ausgeschlüpfte  Thier  wiegt  als 
»Eintägige  Made«  bereits  1,3  bis  1,5  mg,  also 
etwa  10  mal  so  viel  wie  das  Ei.  Die  Zunahme 
vertheilt  sich  jedoch  uicht  gleichmäßig  auf 
Trockensubstanz  und  Wasser,  sondern  überwiegt 
relativ  bei  der  erstereu,  indem  die  Menge  der- 
selben vom  Ei  angerechnet  in  dem  Verhältuiß 
von  1  zu  14  bis  18,  die  Menge  des  Wassers  da- 
gegen nur  in  dem  Verhältniß  von  1  zu  9  bis  10 
zunimmt.  In  Folge  davon  erhöht  sich  der  proc. 
Gehalt  an  Trockensubstanz  von  13  bis  15  beim 
Ei,  auf  20  bis  21  bei  der  eintägigen  Made. 
Das  rasche  Wachsthum  dauert  bis  zum  Be- 
deckein, am  Schluß  des  sechsten  Lebenstages 
fort;  das  Körpergewicht  beträgt  zu  jeuer  Zeit 
130  —  150  mg,  also  reichhch  das  lOOOfache  von 
dem  Gewicht  des  Eis.     Auch  in  dieser  späteren 


351 

Zeit  des  Madeulebens  überwiegt  die  relative  Zu- 
nahme der  Trockensubstanz  die  des  Wassers, 
aber  nur  noch  in  geringem  Grade ,  da  der  Ge- 
halt an  Trockensubstanz  mit  22  bis  23  Proc. 
seinen  Höhepunkt  erreicht.  An  der  Zunahme 
der  Trockensubstanz  sind  ferner  die  stickstoff- 
haltigen und  die  stickstofffreien  Stoffe  in  ver- 
schiedenem Verhältuiß  betheiligt.  Bei  Maden 
von  etwa  70  mg  Körpergewicht  —  auf  einer 
Entwickeluugsstufe,  wo  sie  ungefähr  ihr  halbes 
Endgewicht  erlangt  haben  —  beträgt  der  ab- 
solute Gehalt  an  stickstoffhaltiger  Substanz 
7  bis  8,  an  Fettsubstanz  2  mg,  am  Schluß  des 
Madenlebens  dagegen  bez.  11  bis  14  und  5  bis 
6  mg.  Die  Menge  der  stickstoffhaltigen  Sub- 
stanz ist  demnach  in  dem  betr.  Zeiträume  auf 
nicht  ganz  das  2fache,  die  der  Fettsubstanz  da- 
gegen auf  das  2V2  bis  3fache  gestiegen.  Wie 
mit  dem  Fett  verhält  es  sich  auch  mit  der  son- 
stigen stickstofffreien  Substanz.  Ihre  Menge  be- 
trägt bei  Maden  von  etwa  70  mg  Körpergewicht 
4  bis  5  mg,  bei  Maden  von  etwa  110  mg  Kör- 
pergewicht 10  bis  11  mg  und  bei  ausgewachse- 
nen Maden  13  bis  14  mg,  also  von  einem  Sta- 
dium zum  anderm  in  dem  Verhältniß  1:2  bis 
2V2 :  3  mehr. 

Nach  dem  Bedeckein  der  Brut  hört  die  Nah- 
rungszufuhr auf  und  lebt  das  Thier  nur  auf 
Kosten  des  in  seinem  Körper  bis  dahin  aufge- 
speicherten Stoffvorraths.  Die  Vorgänge  wäh- 
rend der  Entwickelung  von  »Nymphe  ohne 
Kopf«  zur  »Nymphe  mit  Kopf«  und  von 
»Nymphe  mit  Kopf«  zur  auskriechenden  Biene 
stimmen  darin  überein,  daß  Verluste  an  Stick- 
stoff nicht  stattfinden  (die  beobachteten  Verluste 
sind  entweder  minimal  oder  negativ).  Es  hat 
sich  also  auch  bei  der  Bienenbrut  die  Erfahrung 


352 


bestätigt,  welche  man  bei  allen  anderen  neuerer 
Zeit  darauf  untersuchten  Thieren  gemacht  bat, 
daß  von  dm  Sticl^stoff  der  im  Stoffwechsel  um- 
gesetzten   organischen    Stoffe   kemeswegs      vne 
Ln    früher   annahm,    em   betracbthcher    Tb^ü 
den  Körper  in  Gasform  verlaßt,     Für  ein  anae 
res   Ä    i.    einem     andern    Entw.ckeli^^^^^^^^    . 
Stadium,  für  die  fressende  Seidenraupe  ist  dieser 
mchw^is  bekanntlich  schon  ff  -  von^Pe^i^got  ) 
erbracht.    —    Die    Bienenbrut    lebt    mithin     so 
kapn    man    sagen,    vom  Beginn    bis   ^^m  Ende 
der     Yerpuppung    auf    Kosten    von     stickstoff- 
?    •  V   SLtanz       Der    Verbrauch    und     dessen 
^YertLi"^^^^   feUartige    und    nichtfet^^,^^^^^ 
Substanz  gestalten  sich  aber  während  des  Ueber- 
^anes  von  Nymphe  ohne  Kopf  zur  Nymphe  mit 
Kopf  (Nymphenperiode)  und  während  des  Ueber- 
Ss  von  Nymphe  mit  Kopf  zur  auskriechenden 
S:    EntpUungsperiode)     «f  J  J^f ^^^^^^^^ 
Je  nachdem  man  annimnat,    daß  die^rut  schop 
vor    dem  Auskriechen   oder  erst  nachher  iLxcre 
.  reute^usscheidet,    worüber    die  Ansichten   der 
ASker  noch  nicht  feststehen,  erha  t  man  fol- 
Äe  Minimal-  nnd  Maximalwerthe  für  den  Re- 
Sions^nd  Perspirationsverbrauch  und  für 
dS   dabd  gebildeten  Producte^)  ui  Milhgramm. 

'2  Se;eTnt''d''e^'ormufigen  Annahme   daß  daj 
."  fo  FpH   die  üroc.  ElementarzuBammensetzung  des 
SSÄer'E^hC-Thi^^^^  C  und  12,0  H),  d.e 

?eSte    sonstige  sückstoffire.   -J^^^"^^^^^^^^^^^ 

IjepQhränkt  haben. 


353 


Pro  Stück  im  Ganzen 


Nymphen- 
periode 
(6  Tage) 
1873 
Fett  verbraucht        0,77 
Sonst,  stickstofffreie , 

org.  Subst.  desgl. '3,40— 4,40   4,43—5,43 

Kohlensäure  ausge-'  I 

schieden  7,15—8,61  14,92—16,88 1 16,47  -  17,94 

Wasserdarapf  desgl.  5,09—5,69  21,72—22,32  17,38-  17,93 

Verlust  an  Körper-  i 

gewicht  7,46  i  23,50 


Entpuppungsperiode 

(3  Tage) 

1873        ,        1876 
3,02  j  3,78 

4,00-5,00 


20,33 


Pro  Tag  und  Stück 
1,01 


1,26 
1,33-1,67 


Fett  verbraucht       i  0,13 

Sonst,  stickstofffreie 
org.  Subst.   desgl.  0,57-0,73    1,48—1,81 

Kohlensäure  ausge- 
schieden 1,19—1,44    4,97—5,46  i  5,49—5,98 

Waseerdampf  desgl.  0,85— 0,95    7,24—7,44  !  5,78-5,98 

Verlust  an  Körper- 1 
gewicht  :  1,24  7,63  ,  6,78 

Daraus  geht  zunächst  hervor,  daß  der  Stoff- 
wechsel im  Entpuppungsstadium  weit  energi- 
scher verläuft,  als  während  des  Nymphenlebens, 
offenbar  im  Zusammenhange  damit  und  abhängig 
davon,  daß  das  Thier  dann  aus  dem  Zustande 
der  Ruhe  in  den  einer  lebhaften  Thätigkeit  und 
Bewegung  übergeht  (Durchnagen  des  Wachs- 
deckels, Herausarbeiten  aus  der  Zelle  etc.).  Die 
Unterschiede  im  Stoffverbrauch  und  was  damit 
zusammenhängt,  würden  muthmaßlich  noch  grel- 
ler hervortreten,  wenn  man  für  das  Entpuppungs- 
stadium statt  der  Stägigen  Durchschnittswerthe 
die  auf  den  3ten,  letzten  Tag  als  den  des  wirk- 
lichen Zustandekommens  der  Entpuppung  fallen- 
den Werthe  zum  Vergleich  heranziehen  könnte. 

In   den  vorstehenden  Zahlen  prägt  sich  fer- 

29 


354 

ner  auf  das  deutlichste  der  Unterschied  aus,  daß 
das  Fett  an  dem  Stoffverbrauch  im  Nymphen- 
zustande  nur  in  absolut  und  relativ  sehr  ge- 
ringem, an  dem  Stoffverbrauch  in  der  Eut- 
puppungsperiode  dagegen  in  sehr  erheblichem 
Grade  betheiligt  ist.  Während  des  Nymphen- 
lebens wird  das  Fett  geschont  und  vollzieht  sich 
die  Entwickelung  des  Thieres  vorzugsweise  auf 
Kosten  von  nichtfettartiger  stickstofffreier  Sub- 
stanz; bei  der  Entpuppung  hört  diese  Schonung 
auf  und  der  in  dem  sog.  Fettkörper  der  Nymphe 
angesammelte  Fettvorrath  kommt  unter  gleich- 
zeitig zwar,  aber  bei  weitem  nicht  ebenso  ge- 
steigertem Verbrauch  von  sonstiger  stickstoff- 
freier Substanz  zu  ausgiebiger  Verwendung.  — 
In  einem  Anhange  zu  dem  ausführlichen  Be- 
richte habe  ich  die  mir  bekannt  gewordenen 
zum  Vergleiche  mit  den  unsrigen  und  zur  Er- 
gänzung derselben  geeigneten  quantitativen  Un- 
tersuchungen bei  anderen  Insecten  (bei  Bombyx 
Mori,  Vanessa  Jo,  V.  Urticae  etc.  von  Haber- 
laudt,  Peligot,  Wicke,  Blasius,  Verson  u.  A.)  zu- 
sammengestellt. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

Annuaire  statistique  de  Belgique.  8e  ann^e.  1877.  Brux. 
Von    der  Ungarischen  K.  naturwissensch.  Gesellsch.   in 

Budapest.    4. 
E.  Stahl  berger,  die  Ebbe  und  Fluth   in  der  Rhede 

von  Fiume.  1874. 


355 

0.  Herman,  üngarnB  Spinnen-Fauna.    Bd.  I — II.  1878. 

H.  Gaza,  Monographia  Lygaeridarum  Hungariae.  1875. 

B.  Samu,   Rotatoria  Hungariae.  1877. 

A.  Krenner,    die  Eishöhle  von  Dobschad.  1874. 

E.  Tarn  äs,  Magyarovasag  Jellemzöbb  Doh4nyalinak  etc. 
1.  R.  1877. 

Kerpely  Antal,  Magyarovszag  vaskövei  es  Vaster- 
menyei  etc.  1877. 

Verhandlungen  der  K.  K.  geolog.  Reichsanstalt.  1874. 
14  —  15. 

Jahrbücher  des  Nassau.  Vereins  für  Naturkunde.  Jahrg. 
29  u.  30. 

G.  Giebel,  Zeitschrift  für  die  gesammten  Naturwissen- 
schaften. 1877.   Bd.  I. 

Openingsplechtighed  van  de  Tentoonstelling.  Amsterd. 
1878. 

Jahresbericht  der  Lese-  und  Redehalle  der  deutschen 
Studenten  in  Prag.     Vereinsjahre  1872—1876. 

Chicago  Academy  of  Sciences.     Annual  Address.    1878. 

Abhandl.  der  histor.  Gl.  der  K.  Akad.  der  Wiss.  zu  Mün- 
chen.   Bd.  XIII.  3. 

—  der  philosoph.-philolog.  Gl.     Bd.  XIV.    2. 

Bestimmung  der  geograph.  Breite  der  K.  Sternwarte  bei 
München.    4. 

J.  V.  Döllinger,  Aventin  und  seine  Zeit.  München. 
1877. 

Mittheilungen  des  Vereins  für  Geschichte  der  Deutschen 
in  Böhmen.    I.  u.  IV. 

Jahresbericht  dess.    2—5.    1863—66. 

Bibliotheque  universelle.    No.  243.    1878. 

Sitzungsberichte  d.  naturf.  Gesellsch  zu  Leipzig.  No. 
2—12.    3  fasc. 

J.  Lange,  det  joniske  Eapitaels  Oprindelse  og  tor- 
historie.     Kjöbenhavn.    1877.     4. 

VIII.  Jahresbericht  (von  1877.)  des  naturwiss.  Vereins 
zu  Magdeburg. 

H.  Wild,  Annalen  des  physikal.  Central-Observato- 
riums.    Jahrg.  1876.    St.  Petersb.    4. 

0.  Struve,  Observations  de  Poulkova.  Vol.  VIl.  St. Pe- 
tersb.   1877.    4. 

Jahresbericht  11.  Mai  1877  an  d.  Comite  Nicolai-Haupt- 
sternwarte. 

Bulletin  de  la  Soc.  mathöm.  de  France.    T.  VI.    No.  3. 

Proceedings  of  the  London  matbem.  Soc.   No.  124,  125. 


356 

Atti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  Classe  di  scienze 
fisiohe,  mathem.  e  naturali.  Vol.  I.  Dispensa  1  e 
2.— Gl.  morali,  storiche  e  filologiche.  Vol.  I.  Roma. 
1877.    4. 

K.  K.  Akademie  der  Wissenschaften  in 
Wien: 

Denkschriften.     Mathematisch  -  naturwiss.    Classe.     Bd. 

37.  4. 

—  —  Philosophisch-historische  Classe.     Bd.  26.     4. 
Sitzungsberichte.  Philosoph.-histor.  Classe.  Bd.  LXXXIV. 
H.  1-3.    Bd.  LXXXV.  H.  1-3.    Bd.  LXXXVI.  1—8. 

Bd.  Lxxxvn. 

Sitzungsberichte.    Mathem.-naturwiss.  Classe. 

Abth.  I.    Bd.  LXXIV.  H.  3-5.   Bd.  LXXV.  H.  1—5. 

Abth.  II.   Bd.  LXXIV.  H.  3-5.   Bd.  LXXV.  H.  1-5. 
Bd.  LXXVI.  H.  1. 

Abth.  III.    Bd.  LXXIV.    H.  1—5.    Bd.  LXXV.  1-5. 
Fontes  rerum  austriacarum.    XL.  Bd. 
Archiv   für  Oesterreichische  Geschichte.    Bd.  55.  1  —  2. 

Bd.  56.  1. 
Almanach  der  K.  Akademie  der  Wissensch.    Jahrg.  27. 

1877. 
Monthly  Notices  of  the  R.  Astronomical  Society.    Vol. 

38.  No.  5. 

K.  preuß.  geodätisches  Institut.  Das  rheinische  Drei- 
ecknetz,   n.  Hft.     1878.    4. 

*)Abhandlungen  u.  Berichte  aus  den  Sitzungen  der 
Akademie  d.  Wiss.  zu  Krakau.  Philol.  Abth.  T.  5. 
Mathem.  naturwiss.     T.  IV.     1877. 

Bericht  der  physiolog.  Commission  d.  Akad.  der  Wiss. 
T.  XI.     Krakau.     1877. 

Katalog  der  Handschriften  der  Jnstikonischen  üniv.- 
Bibliothek     H.  1. 

Geographische  slawische  Namen,  zusammengestellt  nach 
ihrer  deutschen,  italienischen ,  rumänischen,  ungari- 
schen, türkischen  Bedeutung  durch  S.  Zuranskiczo. 
Ebd.     1878. 

Abhandl.  der  Commission  zur  Erforschung  der  Kunst  in 
Polen.     1. 

*)  Die  Krakauer  Schriften  in  polnischer  Sprache. 
(Fortsetzung  folgt). 


S57 


Nachrichten 

Yon  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


19.  Juni.  M  10.  1878. 


KöBi^licke  Gesellschaft  der  Wisseiischaften. 

Sitzung  am  1.  Juni. 
(Fortsetzung.) 

Zur    Erklärung    der    aramäischen    In- 
schrift Ton  Carpentras. 
Von 
Paul  de  La^rde. 

In  dem  am  1  Januar  1878  fälligen,  aber  erst 
am  18  Mai  1878  in  meine  Hände  gelaugten  ersten 
Hefte  des  Bandes  XXXH  der  Zeitschrift  der  deut- 
schen morgenländischen  Gesellschaft  veröffentlicht 
Herr  C.  Schlottmann  einen  auf  der  Philologen- 
versammlung zu  Wiesbaden  am  28  September  1877 
mitgetheilten  Aufsatz  »Metrum  und  Reim  auf 
einer  aegyptisch-aramäischen  Inschrift«.  Das  in 
Wiesbaden  verlesene  Manuscript  ist  nach  192  an 
Einer  Stelle  für  den  Druck  wesentlich  geändert 
worden:  die  »Nachschrift«  trägt  kein  Datum, 
was  auch  gleichgültig  ist.  Herr  Schlottmann 
erklärt  193,  daß  er  seinen  Aufsatz  »erst  nach 
wiederholter  Prüfung  nach  Verlauf  mehrerer 
Jahre  veröffentlicht«  habe:  um  so  schwerer  fallen 
dann  seine  Fehler  ins  Gewicht,  da  sie  mit  Ueber- 
eilung  nicht  entschuldigt  werden  können. 

30 


Der  Stein  von  Carpentras  —  denn  dieser  ist  es, 
welcher  die  gereimte  und  metrisch  gemessene  ara- 
mäische Inschrift  enthalten  soll —  heißt  so,  weil 
er  in  der  Bibliothek  der  Bischöfe  von  Carpentras 
aufbewahrt  wird.  Er  bietet  eine  bildliche  Darstel- 
lung —  eine  Mumie  auf  der  Bahre,  darüber  eine 
Frau  als  ewig  Lebende  vor  Gottheiten  und  einem 
reichbesetzten  Altare  erscheinend  — ,  und  eine 
vier  Zeilen  lange  aramäische  Anrede  an  jeneTodte. 
Von  dem  Steine  besitzt  man  in  Paris  einen  Gips- 
abguß, welchen  Herr  Derenbourg  für  seine  Arbeit 
über  die  Inschrift  leider  nicht  benutzt  hat:  es 
scheint  dringend  geboten,  neuen  Versuchen  einen 
Papierabdruck  des  Originals  zu  Grunde  zu  legen : 
mit  den  vorhandenen  alten  Abzeichnungen  wird 
man  schwerlich  zu  Rande  kommen,  auch  wenn 
man  für  Untersuchung  des  semitischen  Altertums 
besser  ausgerüstet  ist  als  Herr  Schlottmann. 

Wer  über  den  Reim  eines  semitischen  Ge- 
dichtes schreiben  wollte,  hatte  vor  allem  die 
Pflicht  zu  erkunden ,  was  im  semitischen  Mor- 
genlande Reim  heißt.  Ein  Blick  in  einige  für 
Halle  gedruckte  arabische  Poeten  hätte  das  einen 
Halleschen  Professor  lehren  können :  Arnolds 
Muallaqät  und  A.  Müllers  Imrualqais  wären  wohl 
zu  erhalten  gewesen.  Sonst  boten  sich,  um  von 
französischen  und  englischen  Behandlungen  des 
Gegenstandes  abzusehen  ,  zum  Studium  dar :  G. 
W.  Freytags  1830  erschienene  Darstelhing  der 
arabischen  Verskunst  296 — 333,  P.  Zingerles 
Aufsatz  ZDMG  X  110—116,  Th.  Nöldekes  Be- 
merkungen ZDMG  XXVII  491.  Nach  altsemiti- 
schen Begriffen ,  welche  wir  bei  einem  Dichter 
der  Ptolemäerzeit  vorauszusetzen  alles  Recht 
haben ,  reimt  weder  Nn^N  auf  n^n ,  noch  ■^Enn 
auf  ■'IM  oder  Tip  oder  "»ny^a:  bei  Ausgängen 
auf  NT'(n)    entsteht    der    Reim    erst    durch    die 


359 

Identität  des  jenen  «T*(n)  vorhergehenden  Con- 
sonanten.  Man  braucht  der  Stellung,  welche 
der  Vocal  in  der  semitischen  Grammatik  ein- 
nimmt, noch  keine  besonders  gründliche  Be- 
trachtung gewidmet  zu  haben,  um  zu  wissen,  daß 
der  Vocal  aliein,  der  im  Semitischen  überhaupt 
nirgends  und  nie  existiert,  einen  Reim  zu  bilden 
unfähig  ist.  Herr  Joseph  Derenbourg,  welcher 
zuerst  in  der  Inschrift  von  Carpeutras  Reime 
gesucht,  hat  sich  als  tüchtiger  Kenner  arabischer 
Poesie  wohlweislich  gehütet,  sie  anderswo  als  in 
Snan  —  nT^h^  zu  finden:  der  Tadel,  welcher  ihm 
für  sein  nicht-Erkenuen  des  übrigen  Materials 
von  Herrn  Schlottmann  auf  Seite  191  gespendet 
wird,  dient  lediglich  zur  Characterisierung  des 
Tadeluden. 

Zu  dieser  verwende  ich  auch  die  für  die  Schlüsse 
des  die  Inschrift  von  Carpeutras  als  gereimt 
ansehenden  Herrn  ziemlich  nothwendige  Aus- 
sprache "»irt:  das  ist  ein  Hebraismus,  welchen  in 
einer  aramäischen  Rede  ohne  zwingende  Gründe 
so  leicht  niemand  annehmen  wird ,  und  welchen 
Herr  Schlottmann  nicht  einmal  als  Hebraismus 
kennzeichnet,  was  doch  Gesenius  noch  für  nöthig 
erachtet  hatte.  1837  durfte  hingehn  was  1878 
nach  dem  großen  Aufschwünge  der  semitischen 
Philologie  durchaus  unerträglich  ist,  am  uner- 
träglichsten im  Munde  eines  Vorstehers  einer 
orientalischen  Gesellschaft.  Aus  einem  in  einer 
aramäischen  Inschrift  stehenden  Femininum  "^ir:, 
das  selbstverständlich  hwäy  lautet,  auf  einen 
Reim  auf  i  zu  schließen ,  weil  man  im  Hebräi- 
schen hwi  sagte,  —  denn  so  etwa  vrird  im  bes- 
ten Falle  der  Herr  Interpret  geschlossen  ha- 
ben — ,  das  wäre  etwa  so  geistvoll,  wie  die  Behaup- 
tung geistvoll  sein  würde,  im  Deutschen  reime 
Wasser  auf  Kater,  weil  im  Englischen  für  Wasser 

30* 


360 

water  gesagt  werde.  In  den  ehaldäischen  Stü- 
cken des  alten  Testaijients  findet  sieh  nachLnz- 
zatto  §  87  88  kein  Beispiel  des  Imperativs  Eß- 
minini  Singularis  eines  Verbums  rj"b:  im  Man- 
däischen  kommt  dieser  Imperativ  von  «in  nach 
Nöldeke  §  19ö  nicht  vor,  aber  nach  demselben 
1 191  gibt  es  "»N^p,  "üHH,  '>»^Tt,  •»NDN  (die  Seite 
259  Rand  erwähnten  Beispiele  einer  Verwen- 
dung des  Masculinums  statt  des  Femininums 
scheinen  mir  auf  Schreibefehlern  zu  beruhen): 
im  Syrischen  lautet  die  entsprechende  und  sehr 
häufige  Form  "«^ii,  Uhlemann^  70  Hofi^mann  222 
Merx  337:  und  so  wird  auch  wohl  in  TalmüD  und 
Targüm  überall  gesagt  werden  müssen.  Auf  ge- 
druckte chaldäische  Grammatiken  ist  bekanutlich 
mit  Ausnahme  der  seit  1873  in  deutscher  Ueber- 
setzung  vorliegenden  Luzzattos  gar  kein  Verlaß : 
in  der  Sprache  des  Babylonischen  TalmÜD  kennt 
Luzzatto  §  87  für  die  Verba  Tib  keinen  anderen 
Imperativus  Peminini  Singularis  als  den  auf 
">t«^,  mit  ausdrücklich  geschriebener  Lesemutter: 
er' nennt  als  Beispiele  iNna,  "linn,  weiter  ■'niü), 
"'NDS'^N.  Ueber  die  Sprache  der  Targume  wird, 
wer  Wahrheit  sucht,  sich  jetzt  aus  meinem  1872 
erschienenen  Abdrucke  des  Codex  Reuchlins  orien- 
tieren: wer  die  chaldäische  Uebersetzung  in  die- 
sem alten  Zeugen  auch  nur  für  ein  Paar  der 
bekanntesten  Zeitwörter  nachschlägt ,  wird  wis- 
sen ,  was  er  über  die  Angabe  älterer  und  auf 
den  Schultern  der  älteren  stehender  neuerer 
chaldäischer  Grammatiker  von  einem  Imperati- 
vus Singularis  Feminini  ^1T]  zu  denken  hat. 
Etwa  Hebräischem  •'N'n  entspricht  "»NTn  Sam.  a 
25,17  35  lud.  16,5  und  Ntn  Isa.  49,18  60,4 
lerem.  2,  19  3,  2:  darum  ist  -^Tn  Reg.  a  17,  23 
natürlich  x*zäy  zu  lesen.  Vergleiche  Nb:»n''N  für 
■»•n!»   Isaias  52, 1    und  ähnliches.      Wenn   Herr 


3G1 

Schlotttnanu  A.  Berliners  Massorali  zum  Targum 
Onkelos  76  114  anzusehen  belieben  wollt«,  würde 
er  lernen,  daß  auch  im  jüngsten  Pentateuchtar- 
gum  die  Handschriften  ^n^"  ^^^^  "''*^l!7  oder 
"•N^r;  oder  •^»in  bieten,  wo  die  Lesemutter  M 
Herrn  Schiott männs  Aussprache  '^^n,  so  nöthig 
diese  für  seine  allerdings  auf  Privatansichten 
über  den  semitischen  Reim  ruhende  Beweisfüh- 
rung ist,  schlechterdings  unmöglich  macht.  Nach 
diesen  Auseinandersetzungen  wird  klar  sein, 
daß  in  einer  aramäischen  Inschrift  ^'^^\  als  An- 
rede an  ein  Weib  zu  suchen  so  gelehrt  ara- 
mäisch ist,  wie  Schlottmannus  docta  oder  mulier 
formosissimus  gelehrt  lateinisch  wäre.  Weder 
vor  noch  in  noch  nach  Wiesbaden  hat  man  dies 
iirr  des  Halleschen  Sachverständigen,  obgleich 
auf  ihm  die  vorgelegte  Argumentation  mit  ruhte, 
beanstandet:  nehmen  wir  an,  daß  man  nicht 
aus  Mangel  an  Kenntnis  geschwiegen,  sondern 
nur  »unnöthige  Schroffheit«  habe  vermeiden 
wollen.  Das  Zeitwort  «in,  von  welchem  jenes 
angebliche  ■>■!-  herstammt,  ist  im  Aramäischen 
soviel  wie  suni,  fui,  esse  im  Lateinischen. 

Was  nun  das  Metrum  anlangt,  so  hat  auch  in 
diesem  Punkte  Herr  Schlottmann  den  französi- 
schen Orientalisten  Herrn  Derenbourg  zum  Vor- 
gänger ,  doch  nur  insoweit ,  als  auch  dieser  die 
Inschrift  von  Carpentras  für  metrisch  hält:  im 
Einzelnen  gehn  die  beiden  Gelehrten  auseinander. 

Herr  Schlottmann  sagt  195  richtig  aus,  daß  die 
syrischen  Verse  kein  andres  metrisches  Princip 
kenneu,  als  Sylbenzählung.  Wenn  er  aber  hin- 
zufügt, dies  Princip  sei  dort  [so]  sicher  nicht 
zuföllig:  »es  ist  aus  den  Lautverhältnissen  des 
AramiÜschen ,  welches  unter  allen  semitischen 
Dialecten  am  meisten  die  ursprünglichen  Vokale 
beseitigt,   und  in  Folge  dessen  die  Hauptmassen 


362 

schwerer  Sylben  unvermittelt  nebeueiuander  ge- 
stellt hat,  mit  innerer  Nothwendigkeit  hervor- 
gegangen« ,  so  scheint  er  über  den  Sachverhalt 
doch  nicht  genügend  orientiert.  Nur  wer  auf 
dem  Boden  etwa  der  Uhlemannschen  Gramma- 
tik steht,  kann  die  allerdings  nicht  geschriebe- 
nen, aber  sehr  deutlich  (vergleiche  die  Aspira- 
tionsregeln) vorhandenen  Halbvocale  des  Ara- 
mäischen übersehen:  syrisches  "i "'S n^  hat  nur  den 
Schlußvocal  weniger  als  das  entsprechende  ara- 
bische wätibina,  syrisches  ^luJn^ö  gilt  freilich 
im  Verse  schon  zu  Ephraims  Tagen  für  zwei- 
sylbig,  entspricht  aber  nichtsdestoweniger  bis  auf 
den  Auslaut  einem  arabischen  mubaxxitioa,  ist 
also  viersylbig:  von  unvermittelter  Nebeneinan- 
derstellung der  Hauptmassen  (was  ist  das?)  schwe- 
rer Sylben  bedaure  ich  durchaus  nichts  zu  se- 
hen. Sodann  zeigen  auch  die  zum  Theil  recht 
alten  Dialecte  des  Arabischen  stark  eingeschmol- 
zenen Vocalismus,  ohne  daß  sie  in  Versen  die 
Sylben  zählten.  Vielleicht  erinnert  man  sich  auch 
mit  Nutzen  an  die  Thatsache,  daß,  wie  R.  West- 
phal,  Aurel  Mayr  und  R.  v.  Roth  (über  Ya9na  31 : 
Festschrift  für  die  Tübinger  Philologenversamm- 
luug)  gelehrt,  auch  das  Bactrische  für  die  Poesie 
die  Sylben  zählt,  trotzdem  in  ihm  nicht  »ur- 
sprüngliche Vocale  beseitigt,  und  in  Folge  dessen 
die  Hauptmassen  [was  ist  das?]  schwerer  Sylben 
unvermittelt  nebeneinander  gestellt«  sind. 

Will  man  in  der  Inschrift  von  Carpentras  »sy- 
rische« Metrik  nachweisen,  so  wird  man  vor  allem 
die  Lesung  der  einzelnen  Worte  festzustellen, 
danach  zu  fragen  haben,  ob  die  jetzigen  Halb- 
vocale von  den  Aramäern  des  Ptolemäerreiches 
noch  voll  gesprochen  worden  sind ,  und  erst  nach 
Erledigung  dieser  beiden  Vorfragen  wird  man  die 


363 

Sylben  der  Inschrift  zählen,  und  das  Ergebnis 
der  Zählung  buchen  und  verwenden  dürfen. 

Nun  steht  in  jeder  Zeile  der  Inschrift 
mindestens  Ein  Wort,  dessen  Aussprache  oder 
Lesung  ganz  unsicher  ist :  allzu  vorsichtig  ist  es 
mithin  nicht,  Schlüsse  auf  ein  Metrum  zu  ma- 
chen, welches  nur  in  der  Zahl  der  Sylben  besteht. 

Niin  und  ■'Dnn  findet  Herr  Schlottmanu  188 
von  Herrn  Fr.  Leuormant  befriedigend  nach  [so] 
dem  Aegyptischen  erklärt.  Wenn  er  Recht  hat, 
so  wird  gewiß  nicht  von  Taypi  geredet  werden 
dürfen,  denn  Herr  Lenormant  liest  »saus  aucun 
doute  possible«  TaHapi  (JAP  VI  x  513)  =  celle 
qui  appartient  ä  Apis,  wozu  Lagarde  Symmicta 
105,  35  nachgesehen  werden  mag.  TaHapi  (zu 
vergleichen  mit  der  von  Usener  Anecdoton  Hol- 
deri  44  verkannten  -veJice  =  der  Isis  gehörig) 
ist  dreisylbig,  wodurch  des  Herrn  Schlottmann 
»Metrum«  vernichtet  wird.  Man  wird  zu  mer- 
ken haben:  Herr  Lenormant  erklärte  ■'Enn  be- 
friedigend TaHapi,  folglich  ist  —  zweisylbig  — 
Taypi  zu  sagen.  Die  Aussprache  des  Gottesna- 
mens ■'•^ciN  ist  durch  'OaeiQtg  Lagarde  Clemen- 
tina 76,  21  nicht  gesichert.  Den  Hieroglyphi- 
kern  traue  ich  bitterwenig:  Diodor  deutet  a  11 
'OaiQig  nokvdcfO^aXfiog  ^  was  durch  oig  e<ig«.i  und 
das  alte,  im  Koptischen  durch  te.A  ersetzte  ipi 
erläutert  werden,  aber  nicht  richtig  sein  kann, 
da  D  von  ""IOin  unsres  Steins  und  von  -i"»sn  Isa. 
10,4  Lagarde  Symmicta  105  Semitica  I  19  bis 
auf  weiteres  zum  g  von  ouj  Ä.u}e.i  nicht  paßt. 
Wie  ■'-iSiN  gesprochen  worden,  ist  noch  durch- 
aus ungewiß. 

lu  der  zweiten  Zeile  ist  die  Lesung  der  zwei- 
ten Hälfte  unsicher,  in  der  dritten  Zeile  schwan- 
ken die  Ausleger  zwischen  "»n,"?.  ",^73  und  n'^p.rr 
oder   gar    r.'^j;;:"'?:,    in   der  vierten  verstehn  wir 


364 

TiSJüS  nicht,  und  ist  der  Schluß  unvollständig  er- 
halten: beiläufig  sei  bemerkt,  daß  im  Aramäi- 
schen, wenigstens  im  Syrischen,  nichts  davon 
bekannt  ist,  daß  t  vor  ;]üia  zu  n  wird,  also  y'2': 
ein  Hebraismus  wäre :  'j^ai ,  was  dem  syrischen 
Brauche  entspräche,  enthielte,  nach  den  Grund- 
sätzen des  Herrn  Schlottmann  gemessen ,  eine 
Sylbe  weniger  als  y:i'^,  eine  Sylbe,  welche  der 
Herr  für  sein  System  nicht  zu  entbehren  vermag. 

Die  zweite  Vorfrage  betraf  die  Halbvocale. 
Es  lohnt  mir  in  diesem  Zusammenhange  die  Mühe 
nicht ,  meine  Sammlungen  auszuschütten :  ich 
erinnere  nur  au  die  aus  dem  neuen  Testamente 
hinlänglich  bekannten  Tah&a,  Taßid^a,  Maqdv 
d&ä  Marc.  5,41  Act.  9,36  40  Cor.  a  16,22: 
nach  Herrn  Schlottmanns  Ansicht  würde  TXi^a, 
Tßt&ttj  Magav  d^a  zu  sagen  gewesen  sein:  was 
im  ersten  Jahrhundert  nach  Christus  noch  ge- 
golten hat,  ist  schwerlich  unter  einem  der  älteren 
Ptolemäer  schon  veraltet  gewesen.  Auch  die 
Aussprache  NrnbN,  was  Herr  Schlottmann  lähä 
mißt,  könnte  man  bemängeln,  da  die  Syrer  Nnbt* 
sagen,  beiläufig  eine  für  die  Ableitung  von  ö'^nbN 
recht  wichtige  Form,  da  sie  eine  Steigerungsform 
sein  könnte.  Ich  will,  Weiteres  vorbehaltend, 
anmerken,  daß  aus  dem  Eigennamen  Ntib"^^ 
Payne  Smith  590  und  ähnlichem  allerdings  ein 
M^N  folgt,  und  daß  die  eXa  griechischer  Zeugen 
erst  näher  untersucht  werden  müssen ,  ehe  man 
sie  ins  Gefecht  führen  darf. 

Ich  knüpfe  an  diese  Auseinandersetzungen 
einige  Bemerkungen  zu  den  einzelnen  Zeilen  der 
Inschrift  und  der  Lesung  des  Halleschen  Ge- 
lehrten. 

1.  Was  sagt  "»t  gegen  das  sonst  übliche  ""T 
über  die  Heimat  des  hier  vorliegenden  Dialects 
ausV    Das   von    Nöldeke    in    der    mandäischeu 


365 

Grammatik  §  46  Gegebene  verdient  eben  so  sehr 
Erwägung  wie  alles  was  0.  Blau  und  Andere 
seit  ZDMG  IX  81  über  das  "»t  der  Münzen  und 
Gewichte  geäußert:  freilich  ist  it  gewiß  nicht  die 
»ältere  Form«  von  "in.  Herrn  Schlottmann  stand 
außer  der  ZDMG  auch  Geigers  zweite  Zeitschrift 
I  204  zur  Verfügung. 

2.  Die  Deutung  des  *^"'6«2  Q5i:73  durch 
»etwas  Schlechtes«  behauptet  Herr  Schlottmann 
von  Herrn  Halevy  entlehnt  zu  haben,  Sie  lag 
völlig  auf  der  Hand:  A.  Geiger  hat  sie  schon 
1868  im  sechsten  Baude  seiner  zweiten  Zeitschrift 
158  gegeben:  dieser  Band  ist  in  der  Bibliothek 
der  Gesellschaft  vorhanden,  zu  deren  Vorstande 
Herr  Schlottmann  gehört:  ZDMG  XXH  xxxvii 
Nummer  3064  XXHI  xviii  Nummer  11:  ich  stelle 
fest,  daß  Herr  Halevy  in  den  von  Herrn  Schlott- 
mann 189  citierten  melanges  152  \C">«a  ayn3T2 
gar  nicht  im  Originale  anführt,  Herr  Schlott- 
mann also  sein  sicher  nicht  bei  ihm  selbst  ge- 
wachsenes ■»r-'Ni  ayn:72  gar  nicht  aus  Halevy 
hat:  wegen  Cyn:'^  sieht  man  seit  1875  Tb. Nöl- 
dekes  mandäische  Grammatik  §  150  ein.  Uebri- 
gens  ist  es  sehr  naiv,  wenn  Herr  Schlottmann 
sich  über  zwei  ihm  von  einem  Freunde  angelie- 
ferten Beispiele  für  "vü-iNn  &5n:72  so  herzlich 
freut:  die  Redensart  ist  im  Aramäischen  so  all- 
täglich wie  »etwas  Schlechtes«  im  Deutschen, 
xaxöv  XI  im  Griechischen.  An  das  specifisch 
hebräische  \D"'i*  hätte  man  in  einem  rein  ara- 
mäisch geschriebenen  Stücke  nie  denken  sollen: 
vergleiche  meine  Symmicta  40  flf.  Stelle  man 
sich  vor,  auf  dem  Kreuze  eines  deutschen  Gra- 
bes stehe  die  Bemerkung,  eine  Mutter  sei  drei 
Tage  after  ihrem  Kinde  gestorben ,  oder  in  ei- 
nem Schreiben  an  eine  deutsche  Behörde  werde 
von  belämmernden  Umständen  geredet,  weil  der 


366 

Engländer  after  the  death  sagen,  der  Nieder- 
länder über  omslagtige,  belemraerende  en  niet 
zelden  met  het  taaleigen  strijdende  Titulaturen 
sich  beschweren  darf:  erwäge  man  dabei,  daß 
eine  Verehrerin  des  Osiris  kaum  Veranlassung 
hatte,  ihr  gutes  niederSemitisch  gerade  mit  he- 
bräischen, wohl  allemal  etwas  nach  Adonai  rie- 
chenden Vocabeln  zu  durchsetzen:  erwäge  man 
weiter,  daß  unter  den  Ptolemäern  das  Hebräische 
■wahrscheinlich  überhaupt  nicht  mehr,  sicher 
aber  nicht  mehr  in  Aegypten  geredet  wurde, 
und  daß  ein  ;r;-^N  =  Mann  zu  entlehnen ,  kaum 
irgend  welche  Veranlassung  vorlag,  da  »Mann« 
kein  technischer  Begriff  ist.  Die  Annahme  der- 
artiger Sprachmengerei  möchte  die  Urtheilsfä- 
higkeit  derer  kaum  sonderlich  empfehlen,  welche 
uns  an  sie  zu  glauben  zumuthen. 

Selbstverständlich  ist  auch  in  der  zweiten 
Hälfte  der  zweiten  Zeile  \23it<  nicht  zu  suchen : 
ich  werde  nachher  auf  diesen  Punkt  zurückkom- 
men. Zu  Anfang  dieser  zweiten  Hälfte  fanden 
die  älteren  Ausleger  "»is-isi,  Herr  Schlottraann 
findet  '^'il'^p.  Ich  bin  nicht  Epigraphiker,  und 
darf  daher  weniger  als  viele  Andere  wagen ,  in 
dieser  Sache  dem  Gelehrten  entgegen  zu  tre- 
ten, welcher  bei  Gelegenheit  des  Ankaufs  der  Moa- 
bitischen Schätze  amtlich  für  den  besten  Kenner 
semitischer  Epigraphik  in  Deutschland  erklärt 
worden  ist:  ich  darf  über  "^is^n^T  und  •'iiip  nicht 
entscheiden.  Nur  gegen  die  Uebersetzung  des 
"irip  oder  ■'St'iD  durch  calumnias  (Gesenius),  Ver- 
leumdungen (Schlottmann)  möchte  ich  Beden- 
ken äußern.  Das  syrische  Nitnp  VsN  (niemals  sagt 
man  Nitnp  i?3N,  und  man  kann  es  der  Natur  der 
Sache  nach  nicht  sagen)  wird  von  Payne  Smith 
178  179  besprochen,  womit  mau  Nöldekes  Sätze 
in  der  ueusyrischen  Grammatik  406   vergleichen 


367 

wolle:  von  einem  yip  =  Verleumdung  ist  mir 
schlechterdiugs  nicnts  bekannt,  so  daß  mir^Herrn 
Schlottmanus  Uebersetzung  wiederum  nur  zu 
seiner  eigenen  Characterisierung  beizutragen 
scheint.  Wenn  Herr  Dereubourg  uud  der  ver- 
storbene A.  Geiger  in  ""^cisi  die  hebräische  Wur- 
zel nifc'n  suchten,  so  ist  das  um  nichts  glückli- 
cher als  was  Gesenius  und  Herr  Schlottmann 
vorgebracht:  das  hebräische  n2£"i  lautet  im  Ara- 
mäischen N^i ,  wie  aus  meinen  Semitica  I  26 
klar  hervorgeht:  Herr  Dereubourg  gibt  wenig- 
stens zu  erkennen,  daß  er  von  dem  Gesetze  selbst 
weiß.  Daß  "ntzn  am  Ende  eines  Satzes  so  stehn 
könne,  wie  Herr  Schlottmann  nach  seinen  Vor- 
gängern glaubt,  halte  ich  für  unmöglich.  Wer 
soviel  Aramäisch  gelernt  hat,  um  uj-^n^  =:'13'2 
mit  xttxoV  w  zu  geben,  möchte  in  nizn  einen  Ver- 
treter des  syrischen  tnr?:  vermuthen:  Gin?:  —  «b 
oder  Qin7372  —  «b  =  niemals.  Vergleiche  man 
bei  Titus  von  Bostra  14,  31  (gr.  11.  6)  44,  3 
(34,33)  60,  13  (48,  12)  79,23  (64,23):  besonders 
ähnlich  ist  60,  9  =  gr.  48,9  öints  b:in:i  Niai:  t<b: 
siehe  auch  Hoffmann  hermen.  Arist.  190.  man 
dürfte  abzuwarten  haben,  was  ein  Papierabdruck 
des  Originals  an  dieser  Stelle  zeigen  wird. 

3.  Gegen  Herrn  Schlottmanns  "^np  "^ö  ist 
bereits  in  Wiesbaden  bemerkt  worden,  daß  npb 
ein  hebräisches,  kein  aramäisches  Wort  ist.  Herr 
Schlottmann  beruft  sich  zur  Vertheidigung  die- 
ses Hebraismus  auf  ;I;'<^<  der  Zeile  2.  Da  er  von 
dem  ihm  nicht  nennbar  erschienenen  A.  Geiger 
für  2^  post  festum  hat  lernen  müssen,  daß  dort 
(in  einer  aramäischen  Inschrift)  ui-'Na  nicht  das 
hebräische  Hauptwort  u;"'N  mit  der  Präposition  3, 
sondern  das  aramäische  Adjectiv  uJ-iNi  ist,  über 
welches  er  auch  mich  zu  Proverbien  6, 11  nach- 
zusehen   beliebe,    so    wäre    ein    Zweifel    an  der 


368 

Richtigkeit  der  Auslegung  von  2^  vielleicht  nicht 
uuangebracht  gewesen :  wer  in  einer  Grabschrift 
unmittelbar  nach  einer  Anrede  an  die  Verstor- 
bene (mau  denkt  zunächst,  es  werde  in  der 
zweiten  Person  fortgefahren  werden),  wer  da  die 
Zeile  findet:  »Fetzen  eines  homme  hat  nicht 
gesagt  eine  accomplie«,  hat  alle  Veranlassung 
gegen  die  Genauigkeit  der  Deutung  bedenklich  zu 
sein :  wenigstens  sollte,  falls  die  Deutung  richtig 
wäre,  der  Stein  gleich  vom  ersten  Steinmetzen  eine 
Randglosse  mitbekommen  haben,  welche  uns  be- 
lehrte, daß  diese  Worte  besagen  wollen :  die  hier  Be- 
grabene hat  nie  verleumdet.  Einer  Seligen  zurufen 
>Nimm  Wasser«  ist  überhaupt  trotz  der  von  Beer 
beigebrachten  Parallele  vom  tpvxQÖv  vöooq  des 
Osiris  eigenthümlich:  auf  dem  Steine  steht  aber 
noch  dazu  nichts  weniger  als  Wasser  vor  der 
Seele:  Gesenius  erkannte  fünf  Kyphibüchsen, 
einige  Brote,  zwei  Näpfe,  eine  graue  Gans,  ein 
geköpftes  Kalb,  ein  lebendiges  Huhn,  drei  Spen- 
degefäße. Vor  diesem  Aufbaue  die  Entschlafene 
ermahnen  »Nimm  Wasser«,  oder  um  die  Sprach- 
mischung und  die  Wortstellung  wiederzugeben 
»Wasser  prenez«,  das  scheint  mir  die  Antwort  zu 
verdienen :  Ich  sehe  keines,  wo  soll  Ichs  herneh- 
men? Doch  das  wäre  vielleicht  »schrofiF«  ge- 
wesen. 

4.  Herr  Schlottmann  spricht  nnbD  aus.  Er 
sagt  190  »statt  des  gewöhnlichen  ühSd  nehme 
ich  aus  metrischem  Grunde  [er  meint:  um  meine 
Behauptung,  die  Inschrift  sei  sfifAezQog ^  zu  stü- 
tzen] eine  Form  mit  erhaltenem  i  der  mittleren 
Sylbe  an,  wie  solche  in  dem  Targum  der  Bomber- 
ger [so]  Ausgabe  vorkommt  [,]  zum  Beispiel  «'^"'ait 
sammelnd  Ruth  2,16  (wofür  Buxtorfs'nnü  hat): 
sonst  müßte  man,  um  drei  Sylben  zu  erhalten, 
eine  Intensivform  SinVe  annehmen,  wie  sie  allen 


369 

Hanptdialecten  gemeinsam  ist,  wie  sie  aber  das 
Aramäische  gerade  bei  dieser  Wurzel  nicht  auf- 
weist (vergleiche  das  arabische  fallä/  mit  ande- 
rer Bedeutung)«.  Es  zeugt  von  großer  Gründ- 
lichkeit und  vielem  Geschmacke  an  nutzloser 
Arbeit  in  Bombergs  schwer  zugänglicher,  ohne 
Zählung  der  Verse  gedruckter  Folioausgabe  zu 
lesen,  was  man  in  meinem  (vocallosen)  Octavab- 
drucke  der  Bombergiana  so  bequem  finden  konnte. 
Noch  eigenthümlicher  ist  es,  die  gemeine  Lese- 
mutter "^  (denn  eine  solche  ist  nach  Herrn  Schlotfc- 
mann  das  "<  von  NT^n::)  zur  Aufgrabung  einer 
archaischen  Form  in  Mitten  einer  aller  Archais- 
men schlechthin  haaren  Umgebung  zu  benutzen. 
Sind  die  ursemitischen  Vocale  in  der  Sprache 
dieser  Inschrift  in  syrischer  Art  behandelt  (nach 
Herrn  Schlottmann  stehn  ja  »die  Hauptmassen 
schwerer  Sylben  unvermittelt  nebeneinander« !), 
so  sieht  ein  nnbc  =  nnbo  hier  genau  so  aus, 
wie  ein  Tpanc^aw»'  oder  ein  loXg  rdv  ipätpov  (fs- 
QÖvzeaai  bei  einem  Geheimsekretäre  der  Com- 
nenenzeit  aussehen  würde.  Bomberg  hat  übri- 
gens mit  t<'J"':?2fc  gewiß  nicht  das  Femininum  des 
Particips  gemeint.  Characteristisch  ist  die  Be- 
hauptung, daß  die  Intensivform  nnVc  im  Ara- 
mäischen nicht  aufzuweisen  sei:  sie  ist  völlig 
alltäglich,  und  da  Herr  Schlottmann  sich  klar 
darüber  sein  mußte,  wie  Noth  es  ihm  thut,  ara- 
mäische Wörterbücher  einzusehen,  bevor  er  sich 
über  Aramäisches  äußert,  so  hätte  er  die  Mühe 
nicht  scheuen  sollen,  auch  in  diesem  speciellen 
Falle  den  syrischen  Castellus  in  der  Ausgabe  von 
J.  D.  Michaelis  707,  G.  H.  Bernsteins  Wörter- 
buch zur  Chrestomathie  399,  F.  Uhlemanns  Wör- 
terverzeichnis in  der  Grammatik  *  xlvi,  E.  Rö- 
digers  Lexicon  zur  Chrestomathie  ^  82  nachzu- 
schlagen:   auch   G.  Hoffmanns   im    Namen   der 


370 

Universität  Kiel  zu  Herrn  Olshausens  Jubilaenm 
herausgegebene  Festschrift  hätte  88^  45 — 89^  4 
gute  Dienste  geleistet:  wenn  das  dort  stehende 
nicht  genügt,  so  stelle  ich  die  Beispiele  schock- 
weise zur  Verfügung.  Sonst  siehe  Nöldekes  man- 
däische  Grammatik  §  lOB,  aus  welcher  sich  die 
Lehre  des  Herrn  öchlottmann ,  daß  die  Form 
qattäl  allen  Hauptdialecten  des  Semitischen  ge- 
meinsam ist,  ermäßigen  wird.  Allerdings  hätte 
ein  Andrer  als  Herr  Schlottmann  sich  vielleicht 
gefragt,  ob  tinVo  dem  Sinne  nach  möglich  sei: 
einer  Seligen  zuzurufen  »sei  eine  Bäuerin«, 
möchte  kaum  irgendwo  üblich  gewesen  sein: 
für  nicht-Orientalisten  bemerke  ich,  daß  das  auch 
in  Deutschland  sattsam  bekannte  Felläh  =  Bauer, 
das  Herr  Schlottmann  zum  üeberflusse  ja  selbst 
anführt,  das  Masculinum  zu  diesem  tinVc  ist. 
Des  Herrn  Schlottmann  nnVs  könnte  nur  die 
außerordentlich  seltene  Bildung  sein,  welche  zum 
Beispiel  in  s<D"'!:j;z3  Johannes  12,3  vorliegt:  daß 
diese  so  wenig  wie  ünVc  paßt,  brauche  ich  Ken- 
nern nicht  erst  auseinanderzusetzen. 

Herr-  Schlottmann  sagt  193  »statt  des  am 
Ende  von  Zeile  4  nach  Derenbourg  hergestell- 
ten nübuJ  forderte  man  [in  Wiesbaden] 
Nnttbu3.  Auch  hier  gilt  dasselbe  wie  [so]  in  dem 
vorhergehenden  Falle.  Man  übersah  die  Ana- 
logie von  n3">")S  Zeile  1  und  3,  nJ2n  Zeile  2, 
Jnnbo  Zeile  3,  (uicht  NnD"«-i3  u.  s.  w.).  Uebri- 
gens  wäre  auch  für  die  Lesung  Nn?:ibu;  oder 
nnXDbuJ  hinlänglicher  Raum  in  der  Lücke  vor- 
handen«. 196  kommt  er  auf  dies  nni^buj  mit 
unverkennbarer  Neigung  zurück :  daß  nntjbu;  un- 
möglich macht  von  einem  Reime  zu  reden, 
übersieht  er:  Jinabuj  und  tiTon  würden  nur  in 
Halle,  nicht  im  semitischen  Morgeulaude  reimen. 
In  Wiesbaden    ist   vielleicht   eines  der  beliebten 


371 

»Misverständuisse«  vorgekommen:  Herr  Schlott- 
mann aber  hat  jedenfalls  die  seiner  Angabe  nach 
in  Wiesbaden  gemachte  Bemerkung  für  werth- 
voll  angesehen,  wovon  ich  Akt  nehme.  NnrabttJ 
ist  ein  NtDb'iJ  mit  dem  Artikel :  Kosegarten  faßte 
1834  in  der  Vorrede  zu  K.  M.  Agrells  supple- 
menta  syntaxeos  syriacae  viii  ix  die  Regeln 
Agrells  über  das  Praedicat  im  syrischen  Satze 
zusammen.  Wenn  es  Herrn  Schlottmann  nicht 
darauf  ankommt  für  rT^V'U  Nnttba  oder  rirrob» 
zu  lesen ,  so  zeigt  er  nichts  geringeres ,  als  daß 
er  bei  lacobus  1,  19  für  eatui  taxvg  auch  sota)  o 
za^vs  duldeu  würde,  oder  im  Französischen  für 
soyez  sage  ein  soyez  le  sage.  Nnabtt)  wäre  als 
Praedicat  in  altem  Aramäisch  schlechthin  un- 
denkbar. 

Da  die  letzte  Arbeit  des  Herrn  Schlottmaun 
sich  von  seinen  früheren  in  nichts  unterscheidet, 
hätte  ich  über  sie  so  gut  schweigen  dürfen, 
wie  ich  über  die  früheren  schweigen  durfte. 
Daß  ich  diesmal  rede,  hat  in  dem  Herannahen 
einer  neuen  moabitischen  Invasion  seinen  Grund. 
Das  Athenaeum  hat  die  nöthigen  Mittheiluugen 
und  Warnungen  gebracht:  der  deutsche  Consul 
in  Jerusalem,  Herr  von  Miinchhausen,  bezeugt,  daß 
diesmal  die  Sachen  —  es  handelt  sich  aber  noch 
nicht  um  den  gleich  zn  nennenden  Hauptschatz 
—  »unmögliche  gefälscht  sein  köunen.  Für  Viele 
wird  der  Umstand  zur  Aufklärung  genügen,  daß 
die  Sammlung  auch  Bruchstücke  von  dem  bleier- 
nen Sarcophage  des  israelitischen  Richters  Sam- 
son  enthält ,  auf  welchen  Samsons  nnd  seines 
Vaters  Manoe  Namen  durch  ein  vorzugsweise 
gütiges  Geschick  besonders  geschützt  worden 
sind:  der  Verstorbene  schreibt  sich  mit  Waw 
■jiTTTa'r ,  was  wohl  den  Freunden  derartiger 
Waare    kaum    zum    ö^d   Nb«    verhelfen    wird. 


372 

Das  Dasein  einer  Vorsehung  kann  nun  in  de» 
That  nicht  weiter  geleugnet  werden ,  nachdem 
einem  zum  Christenthume  bekehrten  Juden  1877 
genau  die  Reste  jenes  Heroensarges  in  die  Hände 
gespielt  worden,  welche  die  Herrlichkeiten  — 
nicht  mir  noch  meinen  Freunden,  aber  Andern  — 
kaufwürdig  erscheinen  lassen.  Man  schlage  den 
zweiten  Band  des  Athenaeums  für  1877  auf  den 
Seiten  699  733  773  815  nach,  welche  alle  in 
den  December  des  bezeichneten  Jahres  fallen. 
Das  jüdische  Litteraturblatt  von  M.  Rahmer  fragt 
in  Nummer  1  des  laufenden  Jahrganges  bereits 
an,  ob  nicht  vielleicht  nächstens  auch  die  Grab- 
achrift  von  Adam  und  Eva  zum  Vorschein  kom- 
men werde.  Herr  Schlottmann  ist  von  der  preu- 
ßischen Regierung  für  das  erste  Unheil  als  Sach- 
verständiger benutzt  worden.  Da  wiederholte 
private  Warnungen  in  Halle  und  Leipzig  nichts 
gefruchtet  haben,  schien  es  Pflicht,  bei  erster 
Gelegenheit  öffentlich  festzustellen,  wie  es  mit 
des  Herrn  Schlottmann  Sachverständigkeit  be- 
schaffen ist:  wir  wollen  durchaus  keine  zweite 
Auflage  .Moabitica  erleben,  und  verzichten  auch 
mit  dem  alleraufrichtigsten  Vergnügen  auf  alle 
die  Zuthaten,  welche  an  der  ersten  Auflage  gehan- 
gen haben  und  noch  hangen.  Meine  Auseinan- 
dersetzung wird  hoffentlich  so  ausgefallen  sein, 
daß  etwas  weiteres  nicht  nöthig  ist,  und  sie  wird 
den  am  deutschen  Horizonte  erscheinenden  Sar- 
eophag  des  Samson  und  des  Moabitischen  Plun- 
ders muthmaßlich  einzigen,  aber  hochgestellten 
und  einflußreichen  Freund  ebenso  grell  beleuch- 
ten wie  manches  andere,  das  hier  nicht  ausdrück- 
lich aufgezählt  werden  soll. 


373 

Beobachtungen  zur  Pharmacologie 
des  Saliciu 

Von 

W.  Manne. 

(Fortsetzung  von  Seite  245). 

Die  Oxydation  zu  Salicylsäure ,  die  weder 
durch  fortgesetzte  Einwirkung  von  Ozon  noch 
durch  längere  Einwirkung  von  Wasserstoffhjpe- 
roxyd  ^)  außerhalb  der  Körper  erreicht  wird,  ge- 
lingt dem  thierischen  Organismus  innerhalb  kur- 
zer Zeit.  Erhalten  Fleischfresser  (Hunde 
und  Katzen)  innerlich  fortgesetzt  Sali- 
cin,  so  scheiden  sie  ebenso  wie  Pflan- 
zenfresser und  Omnivoren  neben  Sa- 
licin,  Saligenin  und  salicyliger  Säure 
im  Harn  auch  Salicylsäure  aus.  Sie  se- 
tzen demnach  das  Salicin  bei  interner  Applica- 
tion ganz  wie  der  Mensch  um.  Der  Nachweis 
der  Salicylsäure  gelingt  leicht ,  wenn  man  den 
täglich  gesammelten  Harn  möglichst  rasch  ver- 
dampft, mit  Weingeist  auszieht  und  den  Verdun- 
stungsrückstand dieses  Extracts  mit  angesäuertem 
Aether  ausschüttelt.  Die  im  Laufe  von  8 — 14 
Tagen  gesammelten  Aetherauszüge  hinterlassen 
nach  dem  Verdunsten  die  Salicylsäure  in  ausge- 
bildeten Krystallen  neben  der  öligen  salicyligen 
Säure. 

Der  nahe  liegenden  Annahme ,  die  Salicyl- 
säure bilde  sich  im  thierischen  Organismus  aus 
der    salicyligen  Säure    einfach   durch   Aufnahme 

1)  Die  Oxydationsvereuche  mit  einer  lO^/o  Lösung  von 
Wasserstoffhyperoxyd  (einem  englischen  im  Handel  be- 
findlichen, von  Dr.  H.  Friedländer  zu  Berlin  bezogenen 
Präparat  fielen  bis  jetzt  nicht  befriedigend  aus.  Eis  scheint 
Saliretin  statt  Saligenin  gebildet  za  werden. 

31 


3T4 

von  1  Mol.  Sauerstoff,  stehen  die  Resultate  der 
allbekannten  Untersuchungen,  die  Wöhler  und 
Frerichs^)  mit  salieyliger  Säure  und  anderen 
organischen  Substanzen  angestellt  haben,  anschei- 
nend entgegen.  Auf  wiederholte  Gaben  von  V2 
— 4  Grm.  salicylige  Säure  enthielt  der  Harn 
immer  unveränderte  spirige  Säure.  Salicylsäure 
wurde  vergebens  gesucht.  Die  salicylige  Säure 
wirkt,  wie  diese  Versuche  lehrten  und  wie  später 
Hamon  und  Falk  bestätigt  haben,  stark  rei- 
zend auf  die  Schleimhäute  der  ersten  Wege,  aber 
in  den  angewandten  Dosen  nicht  giftig.  Nach 
unseren  Versuchen  wirkt  die  freie  salicylige 
Säure  nicht  allein  irritirend  auf  die  Applications- 
organe,  sondern  auch  stark  erregend  auf  die 
Herzaction.  Wird  sie  in  nicht  zu  großen  Dosen 
innerlich  gegeben  oder  direct  ins  Blut  injicirt, 
so  wird  der  Puls  sehr  beschleunigt  (von  8  auf 
25  in  5  See.  bei  Hunden)  uud  die  Herzaction 
sehr  verstärkt.  Vielleicht  gibt  diese  erregende 
Einwirkung  auf  das  Herz  zum  Theil  die  Erklä- 
rung für  die  von  Wöhler  und  Frerichs  Con- 
sta tirte- Ausscheidung  der  eingeführten  salicyligen 
Säure  in  unverändertem  Zustande.  —  Mit  der 
Größe  der  Dosis,  in  welcher  die  salicylige  Säure 
in  den  Körper  des  Hundes  eingebracht  wird,  und 
mit  der  größeren  Beschleunigung  der  Herzaction 
wächst  die  ünwahrscheiulichkeit  für  die  Oxyda- 
tion der  salicyligen  Säure  in  ihrer  Gesammtheit 
oder  in  nachweisbarer  Quantität.  Wenn  aber 
Saligenin  vom  Darm  aus  oder  Salicin  direct  ins 

1)  Wöhler  und  Frerichs.  lieber  die  Verände- 
rungen ,  welche  namentlich  organische  Stoffe  bei  ihrem 
üebergang  in  den  Harn  erleiden.  (1848)  Annalen  der 
Chemie  u.  Ph.  Bd.  65  S.  336. 

Hamon  und  Falk  in  Canstatts  Jahresbericht  vom  J. 
18^2  V.  Bd.  S.  128. 


375 

Blut  gelangt,  so  kann  die  allmählich  sich  bil- 
dende salicylige  Säure  in  statu  nosceati  viel  eher 
eine  Oxydation  erfahren.  Obgleich  die  Möglich- 
keit, daß  das  ins  Blut  gelangte  Salicin  auch  di- 
rect  zu  Salicylsäure  sich  oxydirt,  nicht  abgewiesen 
werden  kann.  Immerhin  war  es  denkbar,  daß 
kleine  aber  fortgesetzt  in  den  Magen  eingeführte 
Dosen  von  salicyliger  Säure  im  Organismus  zum 
Theil  wenigstens  zu  Salicylsäure  oxydirt  würden. 
Indem  wir  dieser  Frage  nachgingen,  haben  wir 
in  der  Voraussetzung,  daß  sehr  kleine  Mengen 
salicyliger  Säure  in  den  ersten  Wegen  höchst 
wahrscheinlich  an  Alkalien  gebunden  und  so  erst 
resorbirt  werden,  nicht  mit  freier  Säure,  sondern 
mit  salicyligsaurem  Natrium  experimentirt  und 
außer  der  angegebenen  auch  noch  die  Frage  nach 
der  angeblich  diuretischen,  der  bestrittenen  gif- 
tigen und  einer  etwaigen  temperaturherabse- 
tzenden Wirkung  des  Salzes  näher  verfolgt. 

Das  Natriumsalz  haben  wir  aus  der  nach 
Ettling')  aus  Salicin  dargestellten  und  durch 
wiederholte  Destillation  rectificirten,  salicyligen 
Säure  dadurch  gewonnen,  daß  wir  diese  mit 
einer  kalt  gesättigten,  alkoholischen  Lösung  von 
Natriumhydroxyd  versetzten  bis  die  Mischung 
zu  einem  steifen  Brei  erstarrte.  Diesen  lösten 
wir  in  heißem  Alkohol  und  das  nach  dem  Er- 
kalten auskrystallisirte  Salz  preßten  wir,  nach- 
dem es  mit  kaltem  Alkohol  ausgewaschen  war, 
rasch  zwischen  Fließpapier  und  trockneten  es 
über  Schwefelsäure.  Die  seideglänzendeu,  blen- 
dend weißen  Krystalle  lösen  sich  leicht  in  warmen 
Wasser.  Die  Lösung  zersetzt  sich  aber  nach 
einiger  Zeit,  wie  sich  an  dem  Uebergang  ihrer 
hellgelben  in    eine  anfangs  dunkelgrüne,    später 

1)  Ettling  in  Annalen  der  Ch.  a.  Ph.  v.  J.  1840  Bd. 
89  S.  269. 

31* 


376 

fast  schwarze  Farbe  zu  erkenn  en  gibt^).  Zu 
den  Experimenten  haben  wir  immer  ganz  frisch 
bereitete  warme  Lösungen  oder  das  Salz  in  Sub- 
stanz benutzt. 

Die  Untersuchung  des  Harns  von  Hunden 
und  Ziegen,  die  fortgesetzt  kleine  Dosen  des 
Salzes  innerlich  erhalten  hatten,  können  wir  leider 
noch  nicht  als  beendet  ansehen.  Die  Versuche 
mußten  unterbrochen  werden.  Nach  vierwöchent- 
licher Dauer  derselben  war  nämlich  der  Vorrath 
an  Salz  consumirt  und  kein  neues  Salicin  aufzu- 
treiben. Jetzt  von  Neuem  aufgenommene  Ver- 
suche dürften  aber  günstig  ausfallen,  nur  müssen 
dieselben  längere  Zeit  fortgesetzt  werden."  Denn 
die  Oxydation  der  als  Salz  eingeführten  Säure 
geht  jedenfalls  nur  in  sehr  beschränktem  Maaße 
und  allmählich  vor  sich.  Dafür  spricht  auch  der 
Umstand,  daß  das  Natriumsalz  in  frisch  defibri- 
nirtem  Blute  nicht  reducirend  wirkt;  das  Blut 
behält  unverändert  die  beiden  Absorptionsstreifen 
des  Oxyhämoglobins. 

Werden  größere  Dosen  des  Salzes  bei  Hun- 
den, Ziegen  und  Kauincheu  innerlich  gegeben, 
so  wird  jedenfalls  der  größte  Theil  desselben  un- 
verändert ausgeschieden.  Die  alkoholischen  Aus- 
züge des  Harns  setzen  reichlicli  Krystalle  ab, 
welche  in  Wasser  gelöst  und  durch  Salzsäure 
zersetzt  an  Aether  die  salicylige  Säure  abgaben. 
Neben  ihr  konnten  wir  größere  Mengen  von  Sa- 
licylsäure  nicht  mit  Sicherheit  isoliren ,  obwohl 
in  der  wäßrigen  Lösung  des  Aetherrückstandes 
Brom  einen  krystalliuischen  Niederschlag  her- 
vorrief, der  neben  den  characteristischen ,  sehr 
langen  Nadeln  der  bibromsalicyligen  Säure  auch 

1)  Nach  Piria  zersetzt  eich  das  Salz  in  feuchtem  Zu- 
stand unter  Grün  und  Scbwarzfärbung  in  Melan  und  Es- 
sigsäure.   Annal.  d.  Ph.  v.  J.  1889  Bd  80.  S.  1Ü7. 


377 

kleine  farblose  Prismen  aufwies,  die  für  eine 
Bromverbindung  der  Salicylsäure  angesehen  wer- 
den konnten.  In  der  HoflPnung  diese  letzteren 
in  größerer  Anzahl  zu  erhalten,  werden  die  obigen 
Versuche  mit  kleineren  Dosen  noch  fortgesetzt. 
Die  local  irritirende  Wirkung  der  freien  sa- 
licyligen  Säure  besitzt  auch  das  Natriumsalz. 
Bei  Ziegen  und  Kaninchen  manifestirt  sich  die- 
selbe, wenn  größere  Dosen  in  Lösung  applicirt 
werden,  theils  in  Anoresie,  theils  in  profluvium 
alvi.  Bei  Hunden  und  Katzen  erregten  schon 
3,0  des  Salzes,  wenn  es  in  Substanz  gereicht 
war,  nicht  selten  Erbrechen,  was  übrigens  Ha  n- 
non  auch  bei  Anwendung  der  freien  Säure  be- 
obachtet hat  und  wenn  Falk  dies  bezweifelt, 
weil  er  wie  auch  Wöhler  undFrerichs  keine 
Emese  bei  ihren  Hunden  gesehen  haben,  so  steht 
zu  vermuthen,  daß  in  diesen  Fällen  die  ange- 
wandte Säure  in  starker  Verdünnung  und  wahr- 
scheinlich bei  mehr  oder  weniger  angefülltem 
Magen  gereicht  worden  ist.  Bei  Hunden  beob- 
achteten wir  Erbrechen  auch  dann ,  wenn  sie 
vor  der  Einführung  der  Pillen  (in  Fleischboli) 
gefüttert  worden  waren;  nur  trat  dann  die  eme- 
tische Wirkung  später  ein.  Das  Auftreten  der 
Emesis  machte  es  unmöglich  bei  Hunden  und 
ebenso  bei  Katzen,  die  gleichfalls  leicht  des 
Salzes  ausbrechen,  die  dosis  toxica  und  lethalis 
bei  innerer  Application  zu  bestimmen.  Die  gif- 
tige Wirkung  des  Salzes,  auf  die  schon  Hanno n 
(nach  Falk  ohne  experimentelle  Beweise)  hin- 
gewiesen hat,  zeigte  sich  bei  anderen  Versuchs- 
thiereu  in  entschiedenster  Weise.  Kaninchen 
von  2000  Grm.  Körpergewicht  vertragen  allerdings 
intern  1,0  — 1,5  Grm.,  erst  sehr  viel  höhere 
(^Tabeu  wirken  in  ähnlicher  Weise  giftig  wie 
geringere    nach   directer   Injection    in   die  Blut- 


378 

bahn.  Es  erklärt  sich  dies  offenbar  aus  der 
stets  vorhandenen  Anfüllung  des  Kaninchenmagens 
mit  Futterstoffen,  Spritzt  man  verdünnte  (57o) 
oder  concentrirtere  (1,5%)  Lösung  direct  in  das 
Blnt,  so  treten  intensive  Vergiftungserscheinungen 
auf,  die  mit  Tod  durch  Syncope  oder  Aophyxie 
enden.  Registrirt  man  gleichzeitig  die  Blutdruck- 
curve,  so  sieht  man  schon  bald  nach  der  Injec- 
tion  eine  sehr  bedeutende  Beschleunigung  der 
Herzaction  eintreten  ohne  wesentliche  Aenderung 
des  Blutdrucks.  Die  Vagusenden  im  Herzen 
werden  nicht  gelähmt,  sie  reagiren  bis  kurz  vor 
dem  Tode  auf  elektrischen  Reiz.  Es  stellt  sich 
aber  fast  gleichzeitig  eine  Beeinträchtigung  der 
Respiration  ein.  Die  Thiere  athmen,  wenn  sie 
nicht  narcotisirt  noch  curaresirt  sind,  mit  starker 
Anstrengung  der  In-  und  Exspirationsmuskeln. 
Erbrechen  haben  wir  bei  Hunden  nach  Injection 
des  Salzes  ins  Blut  nie  eintreten  gesehen.  So- 
bald aber  die  dosis  toxica  erreicht  ist,  stellen 
sich  sowohl  bei  Kaninchen  wie  bei  Hunden,  so- 
wohl in  der  Morphinnarcose  wie  ohne  dieselbe 
Zuckungen  ein,  die  rasch  an  Zahl  und  Intensität 
zunehmen  bis  sie  den  Character  eines  äußerst 
heftigen  Schüttelfrostes  annehmen.  Sistirt  man 
jetzt  die  Injectionen,  so  erholen  sich  die  Thiere 
nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  vollständig  und 
sind  nach  spätestens  24  Stunden  wieder  ganz 
gesund.  Bei  Hunden  von  8—10000  Grm.  Kör- 
pergewicht genügt  etwa  1,0  und  bei  2 — 3000 
Grm.  schweren  Kaninchen  circa  0,1 — 0,15  des 
Salzes  um  bei  directer  Injection  die  Schüttel- 
krämpfe hervorzurufen.  Setzt  man  nach  Eintritt 
derselben  die  Injectionen  fort,  so  steigern  sich 
die  Krämpfe  zu  ausgebildetem  Tetanus  mit  Si- 
stirung  der  Respiration.  Die  Krämpfe  treten 
selbst    bei  Thieren  auf,   deren  Cerelerum   durch 


379 

Unterbinduug  der  großen  Arterien  am  Halse 
vom  Gifte  verschont  bleibt.  Läßt  der  Krampf- 
anfall nach,  so  erscheint  die  Respiration  keu- 
chend, anfangs  etwas  beschleunigt  und  dann  wieder 
wie  vorher  verlangsamt.  Die  V* — V«  Minute 
dauernden  Anfälle  wiederholen  sich  jedoch  noch 
mehrmals  ehe  eine  durch  steiles  Absinken  des 
Blutdrucks  und  kleinste  Pulswellen  characterisirte 
Erlahmung  des  Herzmuskels  eintritt.  Der  Tod 
erfolgte  in  der  Mehrzahl  unserer  Versuche  durch 
Herzstillstand ,  auf  welchen  noch  6  —  8  tiefe, 
schnappende  Inspirationsbewegungen  folgten. 
Nur  in  einzelnen  Fällen  sistirte  bei  Kaninchen 
die  Respiration  vor  dem  Herztod. 

Zwei  Experimente  dürften  genügen  den  Symp- 
tomencomplex  darzulegen. 

1.  Mittelgroßer  Hund,  9330  Grm.  schwer.  Tracheal- 
kanüle, beide  Vagi  am  Halse  isolirt,  die  vena  jngal.  ext. 
dextra  mit  einer  Kanüle  versehen  und  die  rechte  art. 
femoralis  mit  L  u  d  w  i  g'  s  Kymographium  verbanden.  Wegen 
sehr  großer  Unruhe  werden  0,04  Morph,  hydrochl.  in  die 
Vene  injicirt.  Weil  bald  darauf  die  Respiration  still- 
steht wird  künstlich  respirirt.  Nach  15  Minuten  hat  der 
Blutdruck  die  ursprüngliche  Höhe  und  das  Herz  seine 
frühere  Energie  wiedererlangt.  Jetzt  werden  in  Zwischen- 
räumen von  5  und  10  Minuten  0,18  salicyligsaures  Na- 
trium in  blutwarmer  Lösung  injicirt.  Nachdem  bei  fast 
unverändertem  Blutdruck,  starker  Beschleunigung  der  Herz- 
action  und  erhaltener  Reizbarkeit  des  Vagus  9,0  injicirt 
sind,  treten  heftige  Zuckungen  auf,  die  an  Zahl  und 
Intensität  zunehmen  und  das  Thier  so  heftig  erschüttern, 
daß  trotz  der  Sieherheitsligatur  der  Gummiansatz  der  Glas- 
kanüle reißt.  Experiment  abgebrochen,  die  GefaRe  unter- 
bunden, die  Wunden  geschlossen  und  mit  Thymol  ver- 
bunden. Während  der  nächsten  Viertelstunde  treten  die 
Krämpfe  häufig  und  heftig  auf  und  nehmen  dann  immer 
mehr  ab.  Am  nachten  Morgen  hat  der  Hund  sich  voll- 
ständig erholt,  frißt  begierig  sein  Futter.  Erst  nach  2 
Tagen ,  als  ihm  ein  Maulkorb  angelegt  wird ,  läßt  er 
dunkelgrünen  Harn.  Er  erhält  nun  in  die  linke  vena  jugular. 
ext.  in  blutwarmer  Lösung  größere  Dosen  salicyligs.  Natr. 


380 

12  L.  22  Herzact.  8  in  5  See.  Resp.  2—3  in 5  See. 
»23 0,45  inj  icirt. 

>  24  »  20  »  »  3  » 
»  25  »  17—18  »  »  3  • 
»     26       »       15—17  j>           »  3       » 

»27      » große  Unruhe. 

»     28       >       10  »  »  3       » 

»     30       »         9 — 10  »  »     3—5     sehr  angestrengt 

»     31      >       10  >  »     4—5  desgl. 

»     33       »       10  »  »  3  » 

»34 0,45  injicirt. 

»35»       20  >  >  3     gewaltsam. 

»     36       »       18  »  »  leichte  Zuckung. 

>  87       »       14  »  die  Zuckungen  starkem,  häufiger. 
»38 intensiver    Schüttelkrampf   und 

sehr  angestrengte  Respiration. 

»     39     werden  wieder  injicirt  0,45. 

»     39,5  Herzact.  20  in  5  See. 

»  40  Die  Zuckungen  treten  mit  großer  Heftigkeit 
auf,  die  Respiration  sehr  erschwert ;  keuchend  ; 
Herztöne  nicht  zu  unterscheiden,  da  die  Zu- 
ckungen in  Schüttelkrampf  ausarten,  der  V4M. 
anhält. 

»  41  Herzaction  20  in  5  See.  Resp.  4—5  in  5  S. 
sehr  mühsam, 

»     42      Einzelne  Zuckungen. 

»     43     Herzaction  20  in  5  See.  Resp.  5  in  5  S. 

»     43,75  heftiger  Schüttelkrampf,  Respir.  setzt  aus. 

>  44,25  Krampf  läßt  nach,  Resp.  beginnt  wieder,  4— 

5  sehr  angestrengte  Resp.  in  5  See. 
»     45,5  ausgebildeter  Starrkrampf. 
»     46     Nachlaß  und  Injection  von  0,45. 

>  46,5  Herzaction  16  in  6  S.   Respirat.  3  in  5  See 
»     47     Streckkrampf. 

»     48,5  während  eines  Streckkrarapfs  0,45  injicirt. 

»     49      Herzaction  ganz   undeutlich,  Respiration   auch 

in  der  Pause  sistirt. 
»     50     Herzaction  nicht  hörbar;    einzelne  mit  Inter- 
vallen auftretende  Respirationsbewegungen. 
»     51      Die  eingeführte  Herznadel  steht  still ;  es  folgen 
noch  mehrere  schnappende,   tiefe  Inspirations- 
bewegungen in  längeren  Pausen. 
Section   nach    10  Minuten.     Schleimhaut   der  Trachea 
injicirt.     Die  Lungen  beiderseits  durchweg  lufthaltig  hoch 
und  hellroth    gefärbt.     Herz    in    beiden  Ventrikeln   mit 


381 

Blutgerinsel  gefüllt,  im  rechten  die  lockeren  Gerinsel 
dunkel,  im  linken  auffallend  hellroth.  Weder  auf,  noch 
im  Herzen  etwas  abnormes  sichtbar.  Der  Muskel  zeigt 
bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  seine  ganz  normale 
Querstreifung.  Speiseröhre  blaß,  Mngen  mit  Futter  ge- 
fällt, seine  Schleimhaut  mäßig  geröthet.  Die  Gefäße  des 
Mesenteriums  prall  gefüllt.  Schleimhaut  des  Dünndarms 
injicirt,  Leber  marmorirt.  Beide  Nieren  sehr  blutreich, 
von  normaler  Structur.  In  der  Harnblase  etwas  schmutzig 
gelber  Harn,  der  frei  von  Eiweiß  und  Zucker  ist. 

2.  Männliches  Kaninchen  von  2630  Grm.  Körperge- 
wicht ,  linke  Carotis  mit  dem  Kymograph.  verbunden, 
rechte  Ven.  jugul.  ext.  mit  Kanüle  versehen.  Inn?rhalb 
12  Minuten  werden  in  Absätzen  0,075  salicyligs.  Natr. 
injicirt.  Es  erscheinen  die  ersten  Zuckungen.  Nachdem 
in  den  folgenden  22  Minuten  nochmals  0,075  injicirt  sind, 
haben  sich  die  Zuckungen  zu  intensiven  SchSttelkrämpfen 
gesteigert ;  Respiration  sehr  angestrengt,  markirt  die  Puls- 
curve.  Während  den  Krampfespausen  beruhigt  sich  bis- 
weilen die  Respiration  und  dann  erscheinen  die  Pulscurven 
für  kurze  Zeit  unverändert  wie  vor  Eintritt  der  Zuckungen, 
die  Pulse  sind  von  16  auf  24—26  in  5  See.  beschleunigt. 
Nachdem  in  den  folgenden  7  Minuten  noch  0,09  injicirt 
sind ,  steht  die  Respiration  still ,  während  das  Herz  an 
der  steil  abgefallenen  Curve  noch  einzelne  Pulse  verzeichnet. 

Nach  diesen  und  andern  Experimenten  läßt 
sich  die  lethale  Dosis  bei  directer  lujectiou  für 
entsprechende  Hunde  auf  2—2,5  Grm.  und  für 
Kaninchen  auf  0,2 — 0,25  normiren. 

Bei  diesen  und  ebenso  bei  anderen,  aber  nur 
bis  zum  Eintritt  von  Intoxicationserscheinungen 
behandelten  Thieren  zeigte  das  ins  Rectum  ein- 
geführte Thermometer  keine  Abnahme  der  Kor- 
pertemperatur, weder  bei  Hunden  und  Katzen, 
noch  bei  Kaninchen  und  Ziegen,  während  nach 
interner  Einführung  von  großen,  aber  nicht 
toxisch  wirkenden  Dosen  von  Salicin  junge  Ziegen 
eine  Temperaturabuahme  bisweilen  um  P  C.  für 
längere  Zeit  darboten.  Das  Salicin  kann  seine  an- 
tipyretische Wirkung  nicht  einmal  zum  Theil 
seiner  Umsetzung  in  salicylige  Säure  verdanken. 


382 

Die  der  salicyligen  Säure  und  ihren  Alkali- 
salzen zugeschriebene  diuretische  Wirkung  haben 
wir  nicht  bestätigt  gefunden.  Bekanntlich  hat 
Hannon  in  Brüssel,  nachdem  Obriot  und 
Te ssier  die  Stipites  et  Herba  Spiraeae  ulraariae 
als  kräftiges  Diureticum  bei  Hydropsien  em- 
pfohlen hatten,  die  salicylige  Säure  als  wirk- 
samen Bestaudtheil  der  Drogue  zum  Ersatz  der- 
selben dringend  empfohlen.  Als  geeignete  Prä- 
parate rühmte  er  neben  einer  Tinctura  und  Potio 
salicylica  ^)  die  salicyligsauren  Alkalien.  Viel- 
leicht hat  Hannon^)  das  Kaliumsalz  gemeint, 
das  möglicher  Weise  wie  andere  Verbindungen 
des  Kaliums  mit  organischen  und  unorganischen 
Säuren  verrnöge  der  bekannten  Einwirkung  auf 
Herz  und  Gefäßnerven  eine  Steigerung  der  Diu- 
rese  bewirkt.  Nur  wird  dabei  nach  unseren 
Versuchen  die  salicylige  Säure  in  den  von  H  a  n- 
non  empfohlenen  Dosen  durchaus  ohne  Bedeu- 
tung sein. 

Sowohl  Hunde  wie  Katzen  und  ebenso  Ziegen 
und  Kaninchen ,  welche  salicyligsaures  Natrium 
innerlich  oder  subcutan  oder  direct  ins  Blut  er- 
halten hatten ,  lieferten  weder  mehr  noch  häu- 
figer Harn  als  vor  der  Application  des  Mittels. 
Es  stellte  sich  im  Gegeutheil  sogar  fast  immer 
eine  Verzögerung  der  Harnescretion  ein,  obgleich 
gewiß  keine  Iseturie  vorlag.  Denn  so  wie  sie 
auf  den  ihnen  bekannten  Operationstisch  ge- 
bracht wurden ,  lieferten  Hunde ,  Katzen  und 
Ziegen  den  vollgültigsten  Gegenbeweis. 

Das  nicht  nur  irritirend,  sondern  in  geeig- 
neten Dosen  auch  giftig  wirkende,  salicyligsaure 

1)  Siehe  bei  W.  Reil  Materia  medica  der  reinen  chemi- 
schen Pflanzenstoffe  Berlin  18B7  S.  287. 

2)  Ilannon's  Originalmittheilung  Bullet,  de  Therap. 
Dec.  1851  war  uns  nicht  zugänglich. 


383 

Natrium  wirkt  weder  antipyretisch  noch  diare- 
tisch.  Die  experimentelle  Prüfung  der  Salicin- 
spaltungsproducte  bestätigt  also  die  Annahme, 
daß  das  Saliciu  seine  febrifuge  Wirkung  nur 
seiner  Umsetzung  in  Salicylsäure  verdankt.  Denn 
da  das  Salicin  als  solches  im  Thierkörper  jeden- 
falls nur  kurze  Zeit  besteht,  das  Saligeniu  gleich- 
falls leicht  oxydirt  wird  und  die  salicylige  Saure 
nicht  antipyretisch  wirkt  bleibt  nur  die  Salicyl- 
säure als  antifebriles  Spaltuugsproduct  übrig*). 
Nachdem  der  lebhaft  geführt«  Streit  über 
die  antipyretische  Wirkung  der  Salicylsäure  po- 
sitiv zu  Gunsten  derselben  und  ihres  Natrium- 
salzes entschieden  ist,  stehen  sich  immer  noch 
die  Ansichten  über  die  Art  und  Weise  des  Zu- 
standekommens der  Wirkung  der  als  Natrium- 
salz im  Blute  circulirenden  Säure  schroff  gegen- 
über. Während  H.  Köhler  gestützt  auf  eigene 
Untersuchungen  und  die  Lehre  von  Kolbe,  daß 
nur  die  freie  Salicylsäure  antiseptisch  wirke,  in 
einer  deprimirenden  Einwirkung  des  Natrinm- 
salicylats  auf  Herz  Circulation  und  Respiration 
den  wesentlichen  Factor  der  antifebrilen  Wirkung 
sucht,  plaidirt  C.  Binz  für  eine  innerhalb  der 
Organe  durch  freie  Kohlensäure  bedingte  Zer- 
setzung des  salicylsauren  Natriums  und  legt  der 
frei  gewordenen  Salicylsäure  eine  dem  Chinin 
ähnliche,  antiseptische  Wirkung  bei.  H.  Köh- 
ler''), Fleischer')  u.  A.  haben  sich  bemüht 
die  Ünhaltbarkeit  der  Binz'schen  Hypothese, 
die    sich    auf    bekannte,    leicht    zu    bestätigende 

1)  Die  Salicylursäure  darf  wohl  ganz  außer  Rechnung 
bleiben,  da  sich  wohl  schwerlich  die  Annahme  bestreiten 
läßt,  daß  sie  ebenso  wie  nach  Meißner,  Schmiedes- 
berg und  Bange  die  Hippursäure  aas  der  Benzoesäure 
erst  in  den  Nieren  aus  der  Salicylsäure  entsteht, 

2)  Köhler  in  Centralbl.  f.  d.  m.  W.  1876  No.  32. 

3)  Fleischer  Arch.  f.  kl.  Med.  XIX.  81. 


384 

Versuche  stützt,  darzuthun.  Er  konnte  unter 
keinen  Umständen  im  normalen  Blute  lebender 
Thiere,  die  salicylsaures  Natrium  erhalten  hatten, 
freie  Salicylsäure  nachweisen;  im  Erstickungs- 
blute  gelaug  es  dagegen  leicht.  Ganz  mit  Recht 
macht  B  i  n  z  ^)  dagegen  geltend  ,  daß  ein  g  e- 
suudes  Kaninchen  keineswegs  gleich  gesetzt 
werden  dürfe  einem  fiebernden  Menschen. 
Ferner  wenn  das  Blut  und  die  Gewebe  des  ersteren 
das  Natriumsalicylat  nicht  zerlege,  sei  man  nicht 
berechtigt  zu  schließen,  daß  auch  die  des  letz- 
teren es  nicht  können.  Da  außerdem  die  Span- 
nung der  Kohlensäure  in  entzündeten  Geweben 
nach  Ewald^)  die  des  Erstickungsblutes  um 
mehr  als  die  Hälfte  übertreffen  könne,  hält  B  i  nz 
sich  immer  noch  berechtigt,  seine  Hypothese  von 
der  antipyretischen  Wirkungsweise  des  Natrium- 
salicylats  aufrecht  zu  erhalten. 

Versetzt  man  Kaninchen  nach  der  zuerst  von 
Otto^)  bei  Epileptikern  und  Pel*)  bei  Men- 
schen und  Kaninchen  gemachten  Erfahrung  durch 
subcutane  Injection  von  kleinen  Dosen  Digitalin 
für  einige  Stunden  in  Fieberzustand  und  gibt 
ihnen  gleichzeitig  möglichst  große  Dosen  Natri- 
umsalicylat innerlich,  so  läßt  sich  doch  zur  Zeit, 
wo  der  Harn  bereits  Salicylsäure  enthält,  aus 
dem  Blute  der  fiebernden  Thiere  keine  freie 
Salicylsäure  mit  reinem  Aether  ausschütteln. 

Weder  bei  Hunderr  noch  Ziegen  konnten 
wir  die  Temperatur  durch  subcutane  Injection 
kleiner  Dosen  Digitalin  steigern ,    ebenso  wenig 

1)  Binz  im  Arch.  f.  exp.  Path.  und  Pharm.  1877 
Bd.  VII.  S.  276. 

2)  Ewald  Arch.  f.  Anat.  und  Phys.  v.  Reuchert  und 
Dubois  1876  S.  446. 

8)  Otto  Arch.  f.  kl.  M.  XVI.  S.  140. 
4)  Pel  C.  f.  m.  W.  1877  S.  269. 


385 

gelang  es  dadurch  die  Pulsfrequenz  zu  vermehren 
und  größere  Dosen  setzten  bei  beiden  Thieren 
eine  Yerlangsamung  der  Herzaction.  Durch  In- 
jection  putrider  Flüssigkeit  kann  mau  aber 
(ebenso  wie  bei  Kaninchen)  für  längere  Zeit 
hohes  Fieber  erzielen.  Verabreicht  man  fiebernden 
Hunden  oder  Ziegen  größere  Dosen  Natriumsa- 
lycilat,  so  kann  auch  bei  diesen  Thieren  aus 
dem  Blute  mit  reinem  Aether  keine  freie  Salicyl- 
säure  gewonnen  werden. 

Unser  Verfahren  war  folgendes. 

Die  fiebernden  und  im  Harne  bereits  Sali- 
cylsäure  absondernden  Thiere  wurden  mit  einer 
Trachealkanüle  versehen,  mit  Morph,  hydrochl. 
narcotisirt;  dann  wurde  durch  ein  an  der  rechten 
Thoraxseite  angelegtes  Fenster  rasch  in  die  zu- 
geklemmte Vena  cava  ascendens  eine  knieförmige 
Glaskauüle  so  eingeführt,  daß  der  eine  Schenkel 
bis  zu  den  Venae  hepaticae  reichte.  Durch  die 
befestigte  Kanüle  floß  das  Blut  in  ein  mit  Aqua 
destillata  versehenes  Gefäß,  in  welchem  es  so- 
gleich mit  Aether  geschüttelt  werden  konnte. 
Um  größere  Quantitäten  Blut  zu  erhalten,  wurde 
bei  Hunden  während  künstlicher  Respiration 
gleichzeitig  die  Leber  von  der  Vena  portar.  aus 
mit  ausgekochtem,  blutwarmen  Wasser  durch- 
spült. In  keinem  Falle  enthielt  der  Aetherrück- 
stand  Salicylsäure.  Wurde  die  Respiration  nach 
Eröfi'nung  des  Thorax  nicht  in  ergiebigster  Weise 
unterhalten ,  so  gab  der  Aetherrückstaud  des 
Blutes  bisweilen  mit  Eisenchlorid  eine  blaue 
Färbung. 

Bei  diesen  Versuchsthieren  hatte  also  auch 
das  Fieberblut  in  der  Leber  keine  Spaltung  des 
Natriumsalicylats  veranlaßt.  Daß  das  Blut  des 
fiebernden  Menschen  sich  ebenso  verhält  ist 
damit  freilich  nicht  bewiesen,   aber   es   ist  min- 


386 

destens  durchaus  nicht  wahrscheinlich,  daß,  was 
im  Fieberblut  von  Fleisch   und  Pflanzenfressern 
nicht  geschieht,  im  Blute  eines  fiebernden  Men- 
schen   zu    Stande   kommen   sollte.      Wenn   dem 
aber  doch   so   wäre,    so   steht   in   keinem  Falle 
die  verlockende ,  aber  unbewiesene  und  zur  Zeit 
unbeweisbare  Annahme   der  Zersetzung    des  Na- 
triumsalicylats  durch  die  Kohlensäure  des  Fieber- 
blutes  mit  einer   von  Köhler   urgirten  depres- 
sorischen    Wirkung    der    Salicylsäure    und    ihres 
Natriumsalzes  auf  die  Circulation  und  Respiration 
im    Widerstreit.      Da   der  letztere   Autor   selbst 
zugibt,    daß   diese   letztere   Wirkung   allein    das 
rapide  Absinken  der  Körpertemperatur  nicht  er- 
klären kann  ^)    und   dieselbe    nach   den  überein- 
stimmenden Ergebnissen  sämmtlicher,  klinischen 
Beobachter  beim  fiebernden  Menschen  kaum  und 
meist  gar  nicht  zur  Geltung  gelangt,  anderseits 
aber  B  i  n  z  für  die  Salicylsäure  und  deren  Natrium- 
verbindung ebensowenig  wie  für  die  Chininsalze 
eine  ausschließliche  antiseptische  Wirkung  bean- 
sprucht^),  können   die  von  beiden  Autoren  ver- 
tretenen   Wirkungen    nebeneinander    und   neben 
anderen  noch  unaufgeklärten  Einflüssen  des  Na- 
triumsalicylats    auf  den    fiebernden    Organismas 
friedlich  und  sich    ergänzend   einhergehen.     Die 
trotzdem    immer    noch    mangelhafte  Einsicht  in 
das  Wesen  der  Wirkung  des  Salicylats  wird  er- 
heblich  vervollständigt  durch   eine   unter   Dra- 
gendorffs    Leitung    ausgeführte  Untersuchung 
von  Buchholtz  über  Antiseptiren  und  Bacte- 
rien').      Durch    diese    sorgfältig    ausgeführten, 

1)  Köhler  Separatabdruck   aus  der   deutschen  Zeit- 
schrift für  practische  Medicin  S.  22. 

2)  Binz  Arch.  f.  exp.  Path.  u.  Pharm.  Bd.  VII  S.  271. 
8)  Buchholtz  Archiv  für  exp.  Pathologie  und  Phar- 

macologie  v.  J.  1826  Bd.  IV  S.  1—81. 


i 


587 

comparativeu  Versuchen  wissen  wir  jetzt ,  daß 
Kolbe's  Lehrsatz  »nur  die  freie  Salicylsäure 
wirkt  antiseptisch«  wesentlich  eingeschränkt 
werden  muß ,  weil  das  salicylsäure  Natrium  für 
gewisse  kleinste  Organismen  ein  energisches, 
manche  andere  ähnlich  wirkende  Stoffe  weit 
übertreffendes  Antisepticum  ist.  Nach  allen  bis- 
herigen Erfahrnugen  wird  man  der  antiseptischen 
Wirkung  des  Natriumsalicylats  den  Löwenantheil, 
der  etwaigen  Depression  von  Circulation  und 
Respiration  besten  Falles  eine  begünstigende 
Nebenwirkung  bei  der  Antipyrese  zugestehen. 

Endlich  haben  wir  noch  einige  Beobachtungen 
über  die  Elimination  des  Salicin  und  seiner  Spal- 
tungsproducte  mitzutheilen.  Während  Schottin 
vergeblich  Zersetzungsproducte  des  innerlich  ge- 
nommenen Salicin  im  Schweiß  gesucht  hat,  ist 
es  uns  gelungen  mit  Hülfe  von  Pils  carpinum 
muriaticum  Salicinderivate  im  Pfotenschweiß  jun- 
ger Katzen  mit  Sicherheit  zu  constatiren  ^).  Ebenso 
gelingt  es  den  Uebergaug  derselben  Producte  in 
das  Secret  der  Speichel-  und  Thränendrüse  dar- 
zuthun.  Bei  Ziegen  lassen  sich  Spaltnngspro- 
ducte  des  Salicin  auch  an  der  Milch  (ohne  An- 
wendung von  Pilocarpin''  gewinnen. 

Eine  mehrjährige,  frisch  milchende  Ziege  er- 
hielt während  4  Tagen  innerhalb  je  24  Stunden 
10  Grm.  Salicin  innerlich  in  Eibischwurzelpillen. 
Die  täglich  gesammelte  Milch  wurde  mit  ange- 
säuertem Alcohol  extrahirt  und  am  5.  Tage  die 
sämmtlichen  Extracte  vereinigt  und  der  Yerdun- 
stungsrückstand  mit  Aether  erschöpft.  Der  in 
Wasser  aufgenommene  Rückstand  des  Aetherex- 
tracts    gab    auf  Zusatz   von  Eisenchlorid  die  in- 

1)  Der  Nachweiß  wnrde  nach  derselben  Weise  geführt 
die  in  diesen  Nachrichten  No.  3  ds.  Jahres  für  Salicyl- 
säure  angegeben  ist. 


388 

tensivste  Blaufärbung.  Der  Harn  der  Ziege 
wurde  schon  am  zweiten  Tage  durch  das  Rea- 
gens characteristisch  blau  tingirt. 

Die  Elimination  des  innerlich  gegebenen  Sa- 
licins  resp.  seiner  Derivate  wird  hauptsächlich 
durch  die  Nieren-,  zum  Theil  aber  auch  durch 
die  Schweiß-  Speichel-  Thräneu-  und  Milchdrüsen 
besorgt. 


Als  Resultate  unserer  Experimente  ergeben 
sich  folgende  Schlußsätze: 

1.  Das  Salicin,  ein  ausgesprochen  bitteres 
Mittel,  veranlaßt  keine  Reizung  des  Gefäßnerven- 
centrums,  weder  bei  directer  Injection  in 's  Blut, 
noch  bei  interner  Application. 

2.  Die  durch  H.  Köhler  1.  c.  aufgestellte 
Lehre  von  der  Wirkung  der  bitteren  Mittel  auf 
die  Circulation  und  die  daraus  abgeleiteten  Fol- 
gerungen haben  keine  allgemeine  Gültigkeit. 

3.  Im  Blute  der  Fleischfresser  wird,  wie 
Scheffer  1.  c.  angegeben,  Salicin  so  gut  wie 
nicht  umgesetzt.  Kleine  Gaben  werden,  wie 
Bau  mann  1.  c.  mittheilt,  zur  Bildung  von  ge- 
paarter Schwefelsäure  benutzt.  Nach  interner 
Application  größerer  Dosen  setzen  Fleischfresser, 
Säuger  sowohl  wie  Vögel,  das  Salicin  ebenso 
(wenn  auch  vielleicht  etwas  langsamer)  um,  wie 
Pflanzenfresser  und  der  Mensch. 

4.  Die  Umsetzung  des  Salicin  beginnt  schon 
in  dem  oberen  Theil  des  Dünndarms,  ist  bedingt 
durch  die  Einwirkung  von  Fermenten  und  wird 
vielleicht  unterstützt  durch  die  gleichzeitige  Ein- 
wirkung kleinster  Organismen. 

5.  Im  oberen  Theil  des  Dünndarms  läßt  sich 
kurze  Zeit  nach  der  internen  Application  von 
Salicin  mit  Sicherheit  Saligeuin  nachweisen. 


389 

6.  Nicht  nur  Warmblüter,  sondern  auch 
Kaltblüter  zersetzen  das  Salicin  und  zwar  inner- 
halb der  Blutbahu  und  sogar  ohne  Mitwirkung 
der  wichtigsten  Drüsen  (Leber,  Milz,  Eautdrüsen) 
und  bei  Ausschluß  der  Nieren  und  der  Lungen- 
athmung. 

7.  Außerhalb  des  lebenden  Körpers  wird  Sa- 
licin durch  defibrinirtes  bei  Körperwärme  eine 
Niere  oder  die  Leber  durchströmendes  Blut  selbst 
nach  10  Stunden  nicht  umgesetzt. 

8.  Durch  Ozon  wird  reines  krystallisirtes 
Saligenin  zu  salicyliger  Säure  oxydirt,  während 
Salicin  davon,  wie  schon  Gornp-Besanez  an- 
gegeben hat,  selbst  nach  Wochen  langer  Einwir- 
kung unverändert  bleibt. 

9.  Salicylige  Säure  wirkt  nicht  nur  im  freien 
Zustande,  sondern  auch  als  Natriumsalz  local 
irritirend  und  nach  erfolgter  Resorption  stark 
excitireud  auf  die  Herzthätigkeit. 

10.  Salicyligsaures  Natrium  in  größeren  Do- 
sen angewandt,  wirkt  giftig  und  führt  unter 
heftigen,  vom  Rückenmark  ausgehenden  Convul- 
sionen  zum  Tode  durch  Syucope  oder  Asphyxie. 

11.  Innerhalb  des  Organismus  erfolgt  jeden- 
falls nur  eine  sehr  spärliche  Oxydation  des  ein- 
geführten salicyligsauren  Natriums,  der  bei  Weitem 
größte  Theil  wird,  wie  nach  Wo  hier  und  Fre- 
r  i  c  h  s  die  freie  salicylige  Säure  ,  unverändert 
mit  dem  Harn  eliminirt. 

12.  Weder  salicylige  Säure  noch  ihr  Natri- 
umsalz wirken  antipyretisch. 

13.  Dem  salicyligsaurem  Natrium  kommt 
keine  diuretische  Wirkung  zu. 

14.  Salicin  setzt  bei  Pflanzenfressern  bes. 
Ziegen  auch  die  normale  Temperatur,  selbst  bis 
um  VC.  herab. 

32 


390 


15  Die  antipyretische  Wirkung  verdankt  es 
nachweisbar  nur  seiner  Umsetzung  in  Salicylsäure. 

16  Nach  Einführung  sehr  großer  Dosen  ba- 
licin  erscheint  im  Harn  relativ  mehr  salicyhge 
Säure  als  Salicylsäure.  ,   •     -dw 

17.  Salicylsaures  Natrium  wird  auch  im  mute 
fiebernder  Thiere  nicht  zersetzt. 

18  Die  Elimination  der  im  Körper  von  Men- 
schen und  Thieren  gebildeten  Salicinderivate  er- 
folgt zwar  hauptsächlich  im  Harn,  außerdem 
aber  auch  im  Schweiß,  dem  Speichel,  der  Thranen 

und  der  Milch.  .     -,     ^   -,      c  r    i 

19.  Salicin  ist  kein  Aequivalent  der  balicyl- 
säure  oder  des  salicylsauren  Natriums. 

20.  Das  Salicin  ist  als  Arzneimittel  entbehrlich, 
weil  es  im  Organismus  nur  zum  Theil  m  Sali- 
cylsäure umgesetzt  wird,  weil  größere  Dosen  ba- 
licin  im  Harn  relativ  mehr  salicyhge  Saure  als 
Salicylsäure  liefern,  weil  endlich  die  salicyhge 
Säure  in  größeren  Gaben    geradezu  giftig  wirkt. 


üeber    Entladungen    der    Elektricität 
in  Isolatoren. 

Von 

W.  C.  Röntgen. 

In  der  folgenden  Mittheilung  sind  die  Resul- 
tate einer  schon  seit  längerer  Zeit  angefangenen, 
jedoch  öfters  unterbrochenen  Expenmeutalunter- 
suchung  über  die  zerreißende  Entladung  der  Elek- 
tricität durch  Isolatoren  enthalten.  Ich  hatte 
mir  nämlich  die  Aufgabe  gestellt  zu  erforschen, 
ob  bei  einer  solchen  Entladung  eine  angebbare 
Beziehung  zwischen  der  physikahschen  Beschat- 


391 

feuheit  des  Isolators  uud  der  zn  einer  Entladung 
benöthigten  Potentialdifl'erenz ,  sowie  der  entla- 
deneu Elektricitätsmenge  besteht. 

Die  Untersuchung  erstreckte  sich  auf  feste, 
flüssige  uud  gasförmige  Körper;  es  ist  mir  jedoch 
bis  jetzt  nur  gelungen  bei  den  letzteren  eine 
solche  Beziehung  aufzufinden. 

Die  festen  Körper,  größten  Theils  Krystalle, 
wurden  in  Gestalt  von  dünnen  Platten  zwischen 
zwei  abgerundete  Messingspitzen  gebracht,  von 
denen  die  eine  zur  Erde  abgeleitet,  die  andere 
mit  einer  Elektricitätsquelle,  meistens  einer  Holtz'- 
schen  Maschine  verbunden  war.  Durch  lang- 
sames Drehen  der  Maschine  wurde  das  Potential 
solange  gesteigert,  bis  ein  Funke  die  dünne 
Platte  durchsetzte.  Ein  iür  den  vorliegenden 
Fall  besonders  construirtes  Elektrometer  gestattete 
den  Verlauf  des  Potentials  zu  verfolgen  und  das- 
selbe im  Augenblick  der  Entladung  genau  zu 
bestimmen.  Ich  hofi'te  nun  in  dieser  Weise  bei 
Platten  aus  verschiedenen  Substanzen  und  insbe- 
sondere bei  Platten ,  die  in  verschiedener  Rich- 
tung aus  demselben  Krystall  geschnitten  waren, 
eine  für  jede  Substanz  und  für  jede  Richtung 
charakteristische  Potentialdifferenz  zu  erhalten; 
allein  bis  jetzt  waren  meiue  Bemühungen  frucht- 
los. Es  war  mir  nicht  möglilich  bei  einer  uud 
derselben  Platte  aus  verschiedenen  auf  einander 
folgenden  Versuchen  genügend  übereinstimmende 
Werthe  dieser  Potentialdifferenz  zu  erhalten ;  die 
Ursache  dieser  Unregelmäßigkeit  ist  ohne  Zweifel 
in  einer  nicht  zu  vermeidenden  Verschiedenheit 
in  der  Anordnung  der  Elektricität  auf  den 
Spitzen  und  der  Platte  zu  suchen.  Die  zur  Fun- 
kenentladuug  benöthigte  Potentialdifferenz  ist 
wesentlich  von  dieser  Anordnung  abhängig  und 
letztere     ändert    sich    bei   der    gewählten    Ver- 

32* 


3Ö2 

suchsmethode  bevor  der  Funke  überschlägt  in 
Folae  einer  kleineren  oder  größeren  Leitungs- 
fähigkeit der  Platte  und  ihrer  Oberflache,  sowie 
in  Folge  von  durch  Convectiou  von  der  Spitze 
zugeführter  Elektricität  in  einer  unregelmäßigen 
und  nicht  controlirbaren  Weise. 

Vielleicht  würden  Versuche  mit  viel  größeren 
Platten  und  mit  sehr  schwach  gewölbten  ^lek- 
troden  im  Stande  sein,-  günstigere  Resultate  zu 

^'^^Die  Versuche,  welche  ich  mit  Flüssigkeiten 
anstellte  sind  trotz  ihrer  Zahl  noch  zu  unvoll- 
ständig und  bieten  noch  zu  wenig  allgemeine 
Gesichtspunkte  um   darüber  Näheres  mittheilen 

^"^  Bekanntermaaßen    sind   die    Elektricitätsent- 
ladungen  in  Gasen  öfters  Gegenstand  der  Lnter- 
sucSung  gewesen ;  es  wurde  sowohl  die  Funken- 
entladung bei   größeren    und   kleineren  Drucken 
a?s  aSie  unter  dem  Namen  Zerstreuung  be- 
kannte langsame  Entladung  mehrfach  untersucht. 
Es^äßt    sich    aus   diesen  Versuchen   keine  ein- 
fache  Beziehung    zwischen  irgend  welcher  kon- 
stante der  verschiedenen  Gase  und  der  jedem  Gas 
entsprechenden,  zur  Entladung   ^«"«f  ?f  «^P*^; 
Lntialdifferenz  oder  der  entladenen  Elektricitats- 
mengen  mit  Sicherheit  ableiten      Es  wurde  jedoch 
gewagt  sein  auf  Grund  dieser  Versuche  zu  schlie- 
ßen, daß  eine  derartige  Beziehung  nicht  existirt 
deni  erstens,  muß  man  bei  den  Funkenentladungen 
immer   befürchten,    daß  die   bei   einigen   Gasen 
ohne  Zweifel  stattfindende  Zersetzung,  sowie  die 
bedeutende  Temperaturändrung  in   der  Funken- 
bahn eine  solche  Beziehung  moghcherweise  ver- 
decken, und  zweitens,  haben  bis  jetzt  nicht  ver- 
öffentlichte Versuche    von  Hrn.  War  bürg   ge- 
zeigt,   daß  eine  Zerstreuung  der  Gase  nicht  mit 


393 

Sicherheit  nachweisbar  ist;  der  von  Coulomb, 
Rieß,  Warburg  etc.  beobachtete  Elektricitäts- 
verlust  von  Conductoren ,  die  in  Gasen  isolirt 
aufgestellt  sind,  wird  sehr  wahrscheinlich  nur 
durch  die  isolirenden  Stützen  und  durch  Staub- 
theilchen  bewirkt^). 

Ich  habe  mich  in  Folge  dessen  nach  manchen 
Vorversuchen  und  nach  reiflicher  Ueberlegung 
entschlossen,  für  meinen  Zweck  eine  Entladungs- 
art zu  wählen,  welche  bis  jetzt  noch  wenig  un- 
tersucht war,  nämlich  die  sogenannte  fortführende 
Entladung;  dieselbe  findet  bekannte rmaaßen  zwi- 
schen einer  sehr  scharfen  Spitze  und  einer  großen 
ebenen  Platte  bei  nicht  zu  geringen  Drucken 
statt.  Ich  glaube  es  in  der  That  dieser  Wahl 
zuschreiben  zu  können ,  wenn  es  mir  schießlich 
gelungen  ist  die  gesuchte  Beziehung  aufzufinden. 

Die  zuletzt  als  brauchbar  befundene  Ver- 
suchsmethode war  folgende.  Durch  ei  uen  Schmidt '- 
sehen  Wassermotor  wurde  eine  Holtz'sche  Ma- 
schine bei  möglichst  constanter  und  großer  Ro- 
tationsgeschwindigkeit der  Scheibe  in  Thätigkeit 
erhalten.  Die  eine  Elektrode  war  durch  die 
Gasleitung  mit  der  Erde  verbunden  und  von  der 
zweiten  führte  ein  mit  Guttapercha  überzogener 
Kupferdraht  zu  den  inneren  Belegungen  zweier 
nach  W.  Thorason's  Angabe  aus  gut  isoli- 
rendem  Glas  und  Schwefelsäure  construirten 
Leydner  Flaschen,  deren  äußere  Belegungen  zur 
Erde  abgeleitet  waren.  Diese  Flaschen  bildeten 
eiQ  elektrisches  Magazin  von  ziemlich  bedeutender 
Capacität  und  hatten  den  Zweck  die  vielleicht 
durch  unregelmäßige  Elektricitätsentwickelung 
der  Maschine  verursachten  Schwankungen  des 
Potentials  möglichst  abzuschwächen.  Hinter 
diesen   Flaschen    theilte   sich   die  Leitung :     Der 

^)  Sehe.  Boltzman.  Pogg.  Aan.  Band  155  S.  415. 


394 

eine  Zweig  ging  zu  einer  engen  mit  Glycerin 
gefüllten  Glasröhre,  welche  als  Rheostat  diente; 
durch  einsenken  oder  herausziehen  einer  metalli- 
schen Erdleitung  konnte  der  Glycerin  wiederstand  in 
stetiger  Weise  verkleinert  oder  vergrößert  werden. 
Der  zweite  Zweig  führte  zuerst  zu  der  Spitze  in 
dem  Entladungsapparat,  und  von  da  zu  einem 
eigens  für  die  Untersuchung  construirten  Elek- 
trometer. 

Der  Entladungsapparat  bestand  aus  folgenden 
Theilen.  Eine  verticale,  unten  mit  einer  ver- 
goldeten Nähnadel  versehene  Messingstauge  ging 
gut  isolirt  durch  den  Tubus  einer  weiten  Glas- 
glocke, die  luftdicht  auf  einen  Luftpumpenteller 
gesetzt  war.  In  dem  durch  die  Glocke  abge- 
sperrten Raum  stand  sorgfältig  vom  Teller  isolirt, 
in  einer  Entfernung  von  19,3  mm  der  Spitze 
centrisch  gegenüber  eine  polirte  Messingscheibe 
von  132  mm  Durchmesser;  dieselbe  war  in  lei- 
tender Verbindung  mit  dem  einen  Ende  der  Win- 
dungen eines  äußerst  empfindlichen  Spiegelgal- 
vanometers von  sehr  großer  Windungszahl;  das 
andere  Ende  der  Winduugen  führte  zur  Gaslei- 
tung. —  Durch  eine  Luftpumpe  und  weitere 
geeignete  Einrichtungen  konnte  die  Glocke  mit 
verschiedenen  Gasen,  bei  verschiedenen  Drucken, 
die  durch  ein  Manometer  bestimmt  wurden,  ge- 
füllt werden. 

Das  benutzte  Elektrometer  hat  sich  zwar  für 
die  vorliegende  Untersuchung  als  brauchbar  er- 
wiesen, dasselbe  hat  aber  noch  viele  Mängel  die 
beseitigt  werden  müssen.  Ich  bin  somit  mit  der 
Construction  eines  besseren  Apparates  beschäftigt 
und  hoffe  später  darüber  zu  berichten.  Es  sei 
nur  noch  erwähnt,  daß  dasselbe  nach  Art  des 
Thomsou'schen  Quadrantenelektrometers  ein- 
gerichtet  war   und    daß    die    Ablesungen    durch 


395 

Vergleichuug  mit  einem  long  ränge  Elektrometer, 
welches  ich  zum  größten  Theil  nach  Thomson's 
Angaben  anfertigen  ließ,  auf  vergleichbares  Maaß 
reducirt  wurden.  Es  ergab  sich  weiter,  daß  6 
der  Einheiten,  in  welchen  im  Folgenden  die  Poten- 
tialdifferenzeu  ausgedrückt  sind,  ungefähr  einer 
Potentialdifferenz  von  5  Daniell  entsprechen; 
indessen  möchte  ich  auf  diese  Angabe  kein  zu 
großes  Gewicht  legen,  da  die  mir  zur  Verfügung 
stehende  Batterie  zu  klein  war,  um  eine  genauere 
Bestimmung  ausfuhren  zu  können.  — 

Nehmen  wir  nun  an,  daß  die  mit  der  Gas- 
leitung verbundene  Elektrode  der  Holtz'schen 
Maschine  die  negative  Elektricität  wegführt, 
so  findet  die  von  der  anderen  Elektrode  weg- 
gehende positive  Elektricität  zwei  Wege,  erstens 
durch  den  Rheostaten  zur  Gasleitung  und  zwei- 
tens durch  den  Entladungsapparat  und  das  Gal- 
vanometer ebenfalls  zur  Gasleitung.  Man  kann 
nun  durch  Aendrung  des  Rheostatenwiederstandes 
die  Menge  Elektricität,  welche  durch  den  Eut- 
ladungsapparat  geht  innerhalb  weiter  Grenzen 
variiren.  Das  Galvanometer  giebt  über  diese 
Menge  Aufschluß,  und  das  Elektrometer  mißt 
die  Potentialdifferenz  zwischen  Spitze  und  Platte. 

Ich  machte  nun  bald  die  Beobachtung,  daß 
die  Entladung  nicht  bei  jeder  Potentialdifferenz 
stattfindet ,  sondern  daß  vielmehr  immer  eine 
ganz  bestimmte  Differenz  zum  Einleiten  derselben 
erforderlich  ist.  Hat  man  beim  Anfang  des 
Versuches  den  Rheostatenwiederstand  nahezu 
gleich  0  gemacht,  wobei  selbstredend  die  Aus- 
schlüge des  Galvanometers  und  des  Elektrometers 
ebenfalls  gleich  0  sind  und  vergrößert  nun  all- 
mählig  diesen  Wiederstand,  so  bemerkt  man  zwar 
am  Elektrometer  ein  stetiges  Steigen  des  Poten- 
tials;    dasselbe    muß    jedoch    einen    bestimmten 


396 


Wertli  erreicht  haben,  bevor  das  Galvanometer 
durch  einen  plötzlichen,  verhältnißmäßig  großen 
und  bei  constant  bleibendem  Rheostatenwieder- 
stand  Constanten  Ausschlag  die  eingetretene  Ent- 
ladung anzeigt.  Ist  einmal  die  Entladung  vor- 
handen, so  kann  man  den  Rheostatenwiederstand 
und  somit  das  Potential  wieder  verkleinern,  wo- 
durch die  Entladung  zwar  stetig  abnimmt,  jedoch 
nicht  sofort  auf  0  herabsinkt.  Erst  bei  einer 
Potentialdifferenz,  die  wesenthch  kiemer  ist  als 
diejenige  bei  welcher  die  Entladung  anfing,  hört 
diese  wieder  vollständig  auf.  —  ,  „       '    .    p 

Es  ergab  sich  nun  weiter,  daß  der  Anfang 
der  Entladung  von  manchen  Nebenumstanden, 
z.  B.  davon  abhängig  war,  ob  seit  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  eine  Entladung  stattgefunden  hatte ; 
auch  haben  nicht  zu  vermeidende  kleine  btaub- 
theilchen  wahrscheinlich  einen  Einfluß.  Dagegen 
lieferten  die  Bestimmungen  der  Potentialdifiereuz, 
bei  welcher  die  Entladung  aufhört,  aus  verschie- 
denen, durch  längere  Zeiträume  von  einander 
getrennten  Versuchen  Werthe,  welche  vorzuglich 
unter  einander  übereinstimmten.  Ich  habe  mich 
deßhalb  entschlossen  wenigstens  vorlaufig  meine 
Hauptaufmerksamkeit  auf  die  Bestimmung  dieser 
Potentialdifferenz,  die  wir  Minimum  Potential- 
differenz  benennen  und  der  Kürze  halber  mit 
M.  P.  bezeichnen  wollen,  zu  richten. 

Der  Moment,  wo  die  Entladung  aufhört  macht 
sich  meistens  dadurch  in  charakteristischer  Weise 
bemerkbar,  daß  der  schon  sehr  klein  gewordene, 
nur  noch  2-4  Scalentheile  betragende  Cialvano- 
meterausschlag,  nach  einer  weiteren  sehr  geringen 
Wiederstandsverminderung  im  Rheostaten  plötz- 
lich zu  Null  wird;  in  diesem  Augenb hck  wird 
am  Elektrometer  dieM.P.  abgelesen.  Ich  mochte 
diese    Erscheinung    durch   die    kleinen   bchwan- 


Uiiugeu,  welche  das  Poteutial  trotz  der  einge- 
schalteten Leydner  Flaschen  erleidet  erklären. 
Das  Elektrometer ,  welches  mit  einer  starken 
Dämpfung  versehen  ist,  giebt  den  Mittelwerth 
an  um  welchen  das  Potential  schwankt.  —  Daß 
nun  auch  wirklich  die  Entladung  aufgehört  hatte, 
habe  ich  noch  in  anderer  Weise  controlirt;  wurde 
nämlich  das  Galvanometer  durch  stärkere  Asta- 
tisiruug  bedeutend  empfindlicher  gemacht,  so 
verschwand  der  Ausschlag  desselben  genau  bei 
derselben  Potentialdifferenz  wie  früher;  ebenso 
wurde  ein  Elektroskop,  welches  anstatt  des  Gal- 
vanometers mit  der  Platte  im  Eutladungsapparat 
verbunden  wurde  nicht  geladen,  und  es  verschwand 
die  im  Dunkeln  sichtbare,  bei  einer  Entladung 
vorhandene  charakteristische,  sternförmige  Licht- 
erscheinung, wenn  die  M.  P.  erreicht  war.  — 

Bei  sämmtlichen  Versuchen,  die  im  Folgenden 
angegeben  werden,  blieb  der  Abstand  der  Spitze 
von  der  Platte  derselbe.  Weiter  war,  wenigstens 
bei  den  Versuchen,  die  direct  mit  einander  ver- 
glichen werden  sollen,  die  Temperatur  constant 
und  schließlich  ist  zu  beachten ,  daß  die  Spitze 
immer  positiv  ist,  wenn  nicht  ausdrücklich  das 
Gegentheil  erwähnt  wird. 

Leider  mußte  die  Untersuchung  unterbrochen 
werden;  erstens,  weil  die  Frühlings-  und  Sommer- 
zeit zu  Arbeiten  mit  statischer  Elektricität  sehr 
ungeeignet  ist,  und  zweitens,  weil  für  die  Fort- 
setzung der  Umbau  einiger  Apparate,  insbesondere 
des  Elektrometers  durchaus  nothwendig  geworden 
war.  Von  den  vielen  Fragen ,  die  man  sich 
stellen  kann  konnten  somit  nur  einige  beant- 
wortet werden.  Die  Resultate  sind  in  dem  Fol- 
genden mitgetheilt. 

1.  Wie  hängt  bei  einem  Gas  die  M.P.  vom 
Druck  ab?     Die  Frage  wurde  mehrfach  für  tro- 


398 


ckene,  kohlensäurefreie  Luft  beautwortet.  Fig.  1. 
stellt  das  Ergebniß  eines  Versuches  dar.  Als 
Abscisseii  wurden  die  in  Mm.  Quecksilber  ausge- 
drückten Drucke,  als  Ordinaten  die  M.P.  aut- 
getragen;  die  Einheit,  in  welcher  die  letzteren 
ausgedrückt  sind,  ist  nicht  direct  mit  der  oben 
besprochenen  vergleichbar. 

mm\lgl6l5l544|499|445|385|266|l98ll38|  68|29.o|l0.9|7.1 
"  M.  P.    |639l602|577i547|503|439|4ü2l361i301!  2581 198  1^«^ 

Es  geht  aus  diesen  Versuchen  hervor,  daß 
bei  Drucken  über  200  mm  die  Zunahme  des 
Druckes  wenigstens  sehr  nahezu  der  Zunahme 
der  M  P.  proportional  ist.  Unter  dieser  grenze 
nimmt  die  M.P.  verhältnißmäßig  viel  rascher  ab. 
Bei  anderen  Gasen  wurden  ähnliche  Verhaltniße 
gefunden. 

2  Wie  hängt  bei  einem  Gas,  welches  unter 
einem  bestimmten  Druck  steht,  die  entladene 
Menge  Elektricität  mit  der  Potentialdifferenz 
zwischen  Spitze  und  Platte  zusammen? 

Es  wurde  trockene  kohlensäurefreie  Uüt  bei 
den  Drucken  391;  294;  2034;  1097;  51.8mm 
Hg.  geprüft.  Die  größte  Potentialdifferenz,  welche 
mit  meinem  Elektrometer  bestimmt  werden  konnte, 
war  3684  Einheiten:  (6  Einh.  =  5  Dan.)  die 
größte  Menge  Elektricität,  die  gemessen  werden 
konnte  betrug  etwas  über  500  willkürlich  ge- 
wählte Einheiten.  In  den  folgenden  Tabelen 
stehen  in  der  ersten  Verticalcolumne  die  Poten- 
tialdifferen/en,  in  der  zweiten  die  entladenen, 
entsprechenden  Elektricitätsmengen  und  in  der 
dritten  habe  ich  unter  dem  Namen  »disponibele 
Potentialdifferenzen«  die  Differenzen  der  in  der 
ersten  Columne   vorkommenden  Zahlen   und   der 


399 


jedem  Druck  entsprechenden  M.  P,,  (bei  welcher 
selbstredend  die  entladene  Menge  =  0  ist)  an- 
gegeben. Ich  habe  diese  Differenzen  berechnet 
und  ihnen  den  angegebenen  Namen  gegeben, 
weil  möglicherweise  die  Anschauung  richtig  ist, 
daß  die  M.  P.  zur  Ueberwindung  eines  gewissen 
Uebergangswiederstandes  benöthigt  ist,  und  daß 
bloß  die  disponibele  Potentialdifferenz  für  die 
entladene  Menge  maaßjjebend  ist.  Die  letztere 
soll  der  Kürze  halber  mit  D.  P.  bezeichnet  werden. 

Druck  51.8 

Pol.Diff.  Enll.  Menge   D.  P. 


1462 

0 

0 

1727 

71 

265 

2004 

171 

542 

2199 

•271 

737 

2349 

371 

887 

2487 

471 

1025 

Druck  109.' 

7 

Pol.  Difl.  Enll.  Menge  D.  P. 

1806 

0 

0 

2094 

38 

288 

2859 

208 

1053 

3396 

370 

1590 

3684 

522 

1878 

Druck  203.4 

PoUDiff.  ,EnlJ.  Menge;  D.  P. 

2162 

0 

0 

2645 

45 

483 

2859 

67 

697 

3396 

138 

1234 

3684 

192 

1522 

Druck  294 

Pol.Diff.  Enll.  Menge  D.  P. 

2433 

0 

0 

2859 

29 

426 

3396 

72 

963 

3684 

105 

1251 

Druck  391. 

Pol.Diff.  Enü.  Menge  D.  P. 


2775 

0 

i      0 

3169 

24 

1  394 

3684 

65 

1  909. 

In  Fig.  2.  ist  die  erste  dem  Druck  51.8  ent- 
sprechende Tabelle  graphisch  dargestellt.  Die 
Abscissen  bezeichnen  die  entladenen  Mengen, 
die  Ordinaten  die  D.P.  Die  Curven  für  die  an- 
deren Drucke  haben  ähnliche  Gestalt. 


400 

3.  Wie  hängt  bei  einem  Gas  bei  einer  be- 
stimmten Potentialdifferenz  die  entladene  Elek- 
tricitäts-Meuge  von  dem  Drucke  ab?  Es  wurde 
in  ausführlicher  Weise  trockene,  kohlensäurefreie 
Luft  bei  der  Potentialdifferenz  3684  untersucht. 

Druck  in  mm  Hg.|641.2[466.4i391.0|294  0|203.4|109.7 
Entlad.  Menge    |    0    !41.5|    65   |  105  [  193  [  522 

Fig.  3.  stellt  die  Tabelle  graphisch  dar;  die 
Abscissen  bezeichnen  die  entladenen  Elektricitäts- 
mengeu ,  die  Ordinaten  die  Drucke.  Andere 
Gase  verhalten  sich  in  ähnlicher  Weise. 

Bei  diesen  Versuchen  war,  wie  "erwähnt,  die 
Potentialdifferenz  constant,  da  jedoch  nach  1.  bei 
verschiedenen  Drucken  die  Entladung  bei  ver- 
schiedenen Potentialdifferenzen  aufhört,  resp.  an- 
fängt, so  waren  die  D.  P.  nicht  dieselben;  es 
wäre  somit  noch  fraglich,  ob  keine  einfache  Be- 
ziehung zwischen  Druck  und  entladener  Elektri- 
citätsmenge  bestände,  wenn  bei  verschiedeneu 
Drucken  nicht  die  absolute  Potentialdifferenz, 
sondern,  die  disponibele  Potentialdifferenz  constant 
erhalten  wird.  Die  Frage  läßt  sich  aus  den  Data 
von  2.  beantworten.  Ich  habe  aus  der  graphi- 
schen Darstellung  der  Tabellen  folgende  für  die  D.  P. 
=  1000   gültige  Zusammenstellung  entnommen. 

Druck  in  mm.  Hg.  |391|294|203,4|109,7|51,8 
Entlad.  Menge    j  71  |  79  |  106  |  194  |450 

In  Fig.  4  findet  man  die  graphische  Dar- 
stellung; eine  einfache  Beziehung  ist  nicht  er- 
kennbar; allerdings  ist  das  Product  aus  Druck 
und  Menge  für  die  vier  letzten  Drucke  sehr  na- 
hezu comtant,  allein  bei  dem  Druck  391  findet 
mau  eine  bedeutende  Abweichung  von  dieser  Kegel. 

Zur  vollständigen  Beantwortung  der  Fragen 
2.  und  3.  werden  Versuche,  die  mit  verschiedenen 


401 

Gasen  zwischeu  weiteren  Grenzen  der  Potential- 
differenzen ,  der  Drucke  und  der  entladenen 
Mengen  nnbedigt  nothwendig  sein. 

4.  Besteht  eine  angebbare  Beziehung  zwischen 
der  Miniraumpotentialdifferenz  und  der  Natur 
der  verschiedenen  Gase,  worin  die  Entladung 
stattfindet?  Die  Gase  wurden  sämmtlich  bei  zwei 
Drucken,  nahezu  205  und  HO  mm.  Hg.  geprüft; 
Versuche  bei  höheren  Drucken  waren  ausge- 
schlossen, weil  das  Elektrometer  die  entsprechenden 
Potentialdifferenzen  bei  einzelnen  Gasen  nicht 
mehr  zu  messen  im  Stande  war.  Es  sei  noch 
erwähnt,  daß  diese  Versuche  nicht  direct  mit 
den  obigen  vergleichbar  sind. 

In  der  folgenden  Tabelle  sind  die  Mittel  werthe 
aus  verschiedenen  mit  einander  gut  in  Einklang 
stehenden  Bestimmungen  angegeben. 

p  iM.P.bei   M.P.bei 

^^*®         205mm  ,  UOmm 


Wasserstoff 

129ti 

1174 

Sauerstoff 

2402 

1975 

Kohlenoxyd 

2634 

2100 

Grubengas 

2777 

2317 

Stickoxvdul 

3188 

2543 

Kohlensäure 

3287 

2655 

lu  dieser  Tabelle  sind  die  Gase  nach  stei- 
genden Werthen  der  M. P.  geordnet;  vergleicht 
man  diese  Reihe  mit  derjenigen,  welche  man  er- 
hält, wenn  die  Gase  nach  abnehmenden  Werthen 
ihrer  mittleren,  molecularen  Weglängen  geordnet 
werden,  so  findet  man,  sowohl  bei  dem  Druck  von 
205  als  bei  dem  Druck  von  110  mm  eine  vollständige 
Uebereiustimmung.  Da  die  Minimumpoteutial- 
differeuz  ein  directes  Maas  für  die  Isolationsfä- 
higkeit des  Gases  ist,  so  kann  man  das  in  obiger 
Tabelle  enthaltene  Resultat   in   folgender  Weise 


402 

aussprechen:  die  Gase  haben  ein  desto  größeres 
Isolationsvermögen,  je  kleiner  ihre  Weglänge  ist. 
Nun  ist  bekanntermaaßen  die  Weglänge  desto 
größer,  je  kleiner  die  Gasmoleküle  sind,  folglich 
wird  man  auch  sagen  können:  die  Gase  sind 
desto  isolationsfähiger,  je  größer  ihreMolecüle  sind. 
Der  Zusammenhang  zwischen  der  M.  P.  und 
der  Weglänge  tritt  noch  überzeugender  hervor, 
wenn  man  für  jedes  Gas  das  Product  aus  Weg- 
länge und  M.  P.  bildet : 


Gase. 

Product  aus  Weglänge  und  M.  P. 

Druck  205  mm 

Druck  110  mm 

Wasserstoff 

240 

218 

Sauerstoff 

254 

209 

Kohlenoxyd 

259 

207 

Grubengas 

236 

197 

Stickoxydul 

217 

173 

Kohlensäure 

224 

181 

Die  Wegläugen  sind  aus  den  Graham'schen 
Transpirationsversuchen  berechnet  und  dem  Buch: 
0.  E.  Meyer,  Gastheorie  entnommen ;  der  Faktor 

— —  ist  überall  weggelassen. 

Aus  diesen  Zahlen  ergiebt  sich  nun  eine 
merkwürdige  Beziehung:  es  folgt  nämlich  sowohl 
aus  der  ersten  wie  aus  der  zweiten  Reihe,  daß 
das  Product  aus  der  Weglänge  und  der  bei  glei- 
chem Druck  gemessenen  Minimurapotentialdiffe- 
renz  bei  allen  untersuchten  Gasen  sehr  nahezu 
denselben  Werth  hat. 

Von  Stefan  wurde  auf  den  Zusammenhang 
zwischen  Weglänge  und  Brechungsexponent  auf- 
merksam gemacht  und  Boltzmann's  Versuche 
haben  gezeigt,  daß  die  Dielektricitätsconstanteder 
Gase  in  der  von  dem  MaxweH'scheu  Gesetz  ge- 
forderten  Beziehung   zum  Brechuugsexponeuten 


403 

steht;  durch  die  vorliegende  Arbeit  ist  auch  die 
Isolationsfähigkeit  der  Gase  mit  den  drei  ge- 
nannten Eigenschaften  in  Causalverband  gebracht. 
Das  Lsolatiousvermögeu  eines  Gases  ist  demzu- 
folge desto  kleiner  je  größer  sein  Yertheilungs- 
vermögen  ist,  und  umgekehrt.  — 

Es  sei  noch  erlaubt  darauf  hinzuweisen ,  daß 
ähnliche  einfache  Beziehungen  zwischen  Weg- 
länge und  M.  P.  für  ein  und  dasselbe  Gas,  aber  bei 
verschiedenen  Drucken  bestehen;  eine  einfache 
Discussion  der  unter  1.  besprochenen  Versuche 
führt  zu  diesem  Resultat. 

Außer  den  angeführten  Gasen  wurde  noch 
Ölbildendes  Gas  untersucht;  die  besprochene 
Gesetzmäßigkeit  wurde  bei  demselben  nicht  be- 
stätigt gefunden ,  denn  das  Product  aus  M.  P. 
und  Weglänge  war  bei  den  Drucken  205  und  110 
mm  =  149  resp.  =  123.  Ich  glaube  jedoch 
auf  diese  Abweichung  kein  Gewicht  legen  zu 
dürfen ,  da  die  Entladungserscheinungen  einen 
ganz  anderen  Charakter  hatten  als  bei  den  übrigen 
Gasen  und  fast  mit  Sicherheit  auf  eine  Zersetz- 
ung des  Gases  schließen  ließen. 

Zum  Schluß  sei  noch  bemerkt,  daß  bei  feuchter 
Luft  die  M.  P. ,  folglich  die  Isolationsfähigkeit 
viel  größer  war  als  bei  trockener. 

5.  Eine  Reihe  von  Versuchen  mit  Luft  und 
Wasserstoff  beweisen,  daß  die  M.  P.  unter  sonst 
gleichen  Umständen  kleiner  ist  bei  negativer 
Ladung  der  Spitze  als  bei  positiver ;  ob  auch 
ähnliches  stattfindet  in  Bezung  auf  die  Poteu- 
tialdifferenz,  bei  welcher  die  Entladung  anfängt, 
habe  ich  bis  jetzt  nicht  entscheiden  können. 


Aus  dem  Vorstehenden  geht  hervor,  daß  die 
Untersuchung    nicht  frei    von   Lücken  ist,    und 


404 

somit  nicht  als  abgeschlossen  betrachtet  werden 
darf.  Ich  behalte  mir  vor  im  nächsten  Winter 
mit  besseren  und  mehr  geeigneten  Hülfsmitteln 
die  Versuche  zu  wiederholen  und  das  Gebiet 
derselben  zu  erweiteren. 
Straßburg  i/E.  Mai  1878. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften eingegangene  Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

Die  SuUjische  Abtei.     Ein  üeberreet  der  Architectur  des 

13.  J.  H,  beschrieben  von  Wlad.  Luszctzkiwecz.     Kra- 
'  kau  1877. 
Äbhandl.  der  Akad.  d.  Wies.    Mathem.  naturwiss.  Abth. 

T.  III.    Ebd. 
Memoires  de  la  Societe  Nationale  des  Sciences  Naturelles 

de  Cherbourg.    T.  XX. 
Mittheil,  des  naturwiss.  Vereins  für  Steiermark.  Jahrg.  1877. 
Nachrichten  u.  gelehrte  Denkschriften  der  Kaiserl.  Kasan'- 

schen  Universität.    Jahrg.  44.    No.  1  —  6.    Kasan  1877. 

(Russisch). 
Memoires  de  l'Acad.  de  Montpellier.    Section  des  Sciences. 

T.  IX.  1er  fasc.  1876.  —  Section  des  Lettres.    T.  VI. 

2e  fasc.  1876.  4. 
J,  L.  Ussing,  kritiske  Bidrag   til   Graekenlands   gamle 

Geographie.    Kjöbenhavn  1878.    4. 
E   Holm,  under  den  svensk-russike  Krig  fra  1788— 1790. 

Ebd.  1868.     4. 
Yerhandelingen    van    het  ßataviaasch    Genootschap    van 

Künsten   en  Wetenschappen.      Deel   39.     St.  1.    Bata- 

via  1877.    4. 
Tijdsohrift  voor  Indische  Taal-   Land-   en  Yolkenkunde. 

Deel.  24. 
Twede  Yervolg  —  Catalogas  der  Bibliothek  van  het  Ba- 

taviaasch  Genootschap. 
Notulen  van  het  allgemeene  en  Besturs  •Vergaderingen. 

D.  15.    No.  1. 


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Fig.3. 

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405 

IVaeiirichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


19.  Juni.  M  11.  1878. 


Königliche  Gesellschaft  der  WissenschafteR. 

Preisaufgaben 

der 

Wedekindschen   Freisstiftung 

für  Deutsche  Geschichte. 


Der  Verwaltungsrath  der  Wedekindschen  Preis- 
stiftung für  Deutsche  Geschichte  macht  hierclurcli 
die  Aufgaben  bekannt,  welche  von  ihm  für  den 
vierten  Verwaltungszeitraum,  vom  14.  März  1876 
bis  zum  14.  März  1886 ,  nach  den  Ordnungen 
der  Stiftung  (§.  20)  gestellt  werden. 
Für  den  ersten  Preis. 

Der  Verwaltungsrath  verlangt  eine  allen  An- 
forderungen der  Wissenschaft  entsprechende  Aus- 
gabe der  von  dem  Mainzer  Eberhard  Windeck 
verfaßten  Denkwürdigkeiten  über  Leben  und 
Zeit  Kaiser  Sigismunds. 

Es  gilt  den  völlig  werthlosen  und  unbrauch- 
baren Abdruck  bei  Mencken  durch  eine  nach 
Seite  der  Sprache  wie  des  Inhalts  gleich  tüch- 
tige Ausgabe  zu  ersetzen.  Auch  nach  den  Vor- 
arbeiten von  Dümge,  Mone,  Aschbach,  Droysen, 
die  mehr  nur  andeutend  als  abschließend  ver- 
fahren konnten,  steht  das  Verhältniß  der  bis  an 
die  Zeit  des  Verfassers  hinaufreichenden  Hand- 
söhriften  noch  keineswegs  fest. 

Vor  allem  ist  erforderlich,  die  aus  Nürnberg 
stammende,  aber  von  da  nach  England  verkaufte 
Ebnersche  Handschrift   wieder  aufzufinden    und 

33 


406 

festzustellen,  ob  die  in  der  jetzt  zu  Cheltenham 
befindlichen  Bibliothek  des  verstorbenen  Sir 
Thomas  Phillipps  unter  No.  10,381  aufgeführte 
Handschrift  der  Beschreibung  bei  Aschbach,  König 
Siegmund  IV,  458,  entspricht.  Da  nur  auf  Grund 
einer  vollständig  zuverlässigen  Abschrift  dersel- 
ben der  Nachweis  geführt  werden  kann,  ob  in 
ihr  das  Original  vorliegt  oder  nicht,  so  wird 
der  Verwaltungsrath  so  bald  als  möglich  für 
eine  solche  Abschrift  Sorge  tragen  und  diese 
der  hiesigen  Universitätsbibliothek  übergeben, 
von  der  sie  Bearbeiter  der  Aufgabe  zur  Be- 
nutzung erhalten  können^). 

Es  wird  aber  nothwendig  sein  auch  die  übri- 
gen Handschriften  des  15.  Jahrhunderts  zu  Gotha 
und  Hannover  zu  untersuchen,  wo  möglich  noch 
unbekannte  oder  unbeachtete  heranzuziehen  und 
sowohl  ihr  Verhältniß  unter  einander  als  die  Ab- 
leitung der  späteren  Abschriften  festzustellen. 
Es  wird  dabei  vor  allem  darauf  ankommen,  die 
verschiedenen  vom  Verfasser  selbst  herrührenden 
Bearbeitungen  und  Zusätze,  auf  welche  Droysen 
eingehend  hingewiesen  hat,  in  den  Texten  selbst 
nachzuweisen ,  um  Entstehung  und  Ausbildung 
der  Denkwürdigkeiten  durchschauen  zu  können. 

Die  Urkunden  und  Aktenstücke  aller  Art, 
welche  dem  Werke  zahlreich  eingefügt  sind,  er- 
fordern genaue  Untersuchung  in  Bezug  auf  Her- 
kunft, Wiedergabe  und  anderweitige  Benutzung, 
eventuell  Ersetzung  durch  die  in  den  Archiven 
noch  vorhandenen  Originale.  Desgleichen  ist 
wenigstens  annäherungsweise  der  Versuch  zu 
machen  für  die  rein  erzählenden  Theile  Ursprung 
oder  Quelle  beizubringen ,  namentlich  in  Bezug 
auf  An-  und  Abwesenheit  des  Verfassers.  Es 
darf  dem  Text  an  Erläuterung  in  sprachlicher 
und  sachlicher  Hinsicht  nicht  fehlen. 

1)  Es  ist  geschehn:  die  Abschrift  ist  im  Besitz  der 
Kön.  Universitätsbibliothek, 


407 

Die  Sprache,  welche  auf  Mainz  als  die  eugere 
Heimath  Windecks  hinweist,  verlangt  in  der 
Einleitung  eben  so  gut  eingehende  Erörterung 
als  die  man  nich  fachen  Lebensschicksale  des  Ver- 
fassers, die  Beziehungen  zu  seiner  Vaterstadt, 
seine  Reisen,  sein  Verhältniß  zum  Kaiser  und 
zu  andern  namhaften  Zeitgenossen,  seine  übrigen 
Werke  in  Prosa  und  Dichtung.  Auch  ist  es 
sehr  wünschenswerth,  daß  die  bei  der  Untersu- 
chung und  Herstellung  des  Textes  befolgte  Me- 
thode klar  auseinandergesetzt  werde. 

Viel  Schwierigkeit  wird  voraussichtlich  das 
sprachliche  Wortverzeichniß  machen ,  doch  ist 
es,  um  eine  wirklich  brauchbare  Ausgabe  herzu- 
stellen ,  ebenso  unerläßlich ,  als  die  Wiedergabe 
der  originalen  Rubriken  und  Kapitelüberschrif- 
ten nnd  die  Zusammenstellung  eines  geschickten 
Sach-,  Personen-  und  Ortsverzeichnisses. 

Für  den  zweiten  Preis 
wiederholt  der  Verwaltungsrath  die  für  den  vo- 
rigen Verwaltungszeitraum  gestellte  Aufgabe: 

Wie  viel   auch  in    älterer    und    neuerer  Zeit 
für  die  Geschichte  der  Weifen,    und  namentlich 
des    mächtigsten    nnd    bedeutendsten    aus    dem 
jüngeren  Hause,  Heinrich  des  Löwen,  gethan  ist, 
doch  fehlt  es  an  einer  vollständigen,  kritischen, 
das  Einzelne    genau  feststellenden   und  zugleich 
die  allgemeine  Bedeutung  ihrer  Wirksamkeit  für 
Deutschland  überhaupt  und  die  Gebiete,  auf  welche 
sich  ihre  Herrschaft  zunächst  bezog,  insbesondere 
im  Zusammenhang  darlegenden  Bearbeitung. 
Indem  der  Verwaltungsrath 
eine  Oeschichte  des  jüngeren  Hanses  der 
Weifen  Ton  1055—1*235  (von  dem  ersten 
Auftreten  Weif  IV.  in  Deutschland  bis 
zur  Errichtnng  des  Herzogthums  Braun- 
st Ii  weig-Lü  uebur  g) 
ausschreibt,  verlaugt  er  sowohl  eine  ausführliche 
aus  den  Quellen  geschöpfte  Lebensgeschichte  der 


408 

einzelnen  Mitglieder  der  Familie,  namentlich  der 
Herzoge,  als  auch  eine  genaue  Darstellung  der 
Verfassung  und  der  sonstigen  Zustände  m  den 
Herzogthümern  Bayern  und  Sachsen  unter  den- 
selben,  eine  möglichst  vollständige  Angahe  der 
Besitzungen  des  Hauses  im  südlichen  wie  im 
nördlichen  Deutschland  und  der  Zeit  und  VV  eise 
ihrer  Erwerbung,  eine  Entwickelung  aller  Ver- 
hältnisse, welche  zur  Vereinigung  des  zuletzt 
zum  Herzogthum  erhobenen  Weifischen  Territo- 
riums in  Niedersachsen  geführt  haben.  Beizu- 
geben sind  Register  der  erhaltenen  Urkunden, 
fedesfalls  aller  durch  den  Druck  bekannt  ge- 
machten,  so  viel  es  möglich  auch  solcher,  die 
noch  nicht  veröffentlicht  worden  sind. 

In  Beziehung  auf  die  Bewerbung  um  diese 
Preise,  die  Ertheilung  des  dritten  Preises  und 
die^Rechte  der  Preisgewinnenden  wird  aus  den 
Ordnungen  der  Stiftung  Folgendes  wiederholt : 

1.  TIelber  die  zwei  ersten  Preise.  Die 
Arbeiten  können  in  deutscher  oder  lateinischer 
Sprache  abgefaßt  sein. 

Jeder  dieser  Preise  beträgt  1000  Thaler  in 
Gold  (3300  Reichsmark)  und  muß  jedesmal  g^nz, 
oder  kann  gar  nicht  zuerkannt  werden. 

3.  reber  den  dritten  Preis.  Für  den 
dritten  Preis  wird  keine  bestimmte  Aufgabe 
ausgeschrieben,  sondern  die  Wahl  des  Stoffs 
bleibt  den  Bewerbern  nach  Maßgabe  der  folgen- 
den Bestimmungen  überlassen. 

Vorzugsweise  verlangt  der  Stifter  für  densel- 
ben ein  deutsch  geschriebenes  Geschichtsbuch, 
für  welches  sorgfältige  und  geprüfte  Zusanimen- 
Stellung  der  Thatsachen  zur  ersten,  und  Kunsl 
der  Darstellung  zur  zweiten  Hauptbedingung  ge- 
macht wird.  Es  ist  aber  damit  nicht  bloß  eint 
gut  geschriebene  historische  Abhandlung,  sonderr 
ein     umfassendes    historisches    Werk     gemeint 


409 

Speciallaudesgeschichteu  sind  nicht  ausgeschlos- 
sen, doch  werden  vorzugsweise  nur  diejenigen 
der  größern  (15)  deutschen  Staaten  berücksichtigt. 

Zur  Erlangung  des  Preises  sind  die  zu  die- 
sem Zwecke  handschriftlich  eingeschickten  Arbei- 
ten, und  die  von  dem  Einsendungstage  des  vori- 
gen Yerwaltungszeitranms  bis  zu  demselben  Tage 
des  laufenden  Zeitraums  (dem  14.  März  des  zehn- 
ten Jahres)  gedruckt  erschienenen  Werke  dieser 
Art  gleichmäßig  berechtigt.  Dabei  findet  indes- 
sen der  Unterschied  statt,  daß  die  ersteren,  so- 
fern sie  in  das  Eigenthum  der  Stiftung  übergehen, 
den  vollen  Preis  von  1000  Thalern  in  Gold, 
die  bereits  gedruckten  aber ,  welche  Eigenthum 
des  Verfassers  bleiben ,  oder  über  welche  als 
sein  Eigenthum  er  bereits  verfügt  hat,  die  HäKt« 
des  Preises  mit  500  Thalem  Gold  empfangen. 

Wenn  keine  preiswürdigen  Schriften  der  be- 
zeichneten Art  vorhanden  sind,  so  darf  der  dritte 
Preis  angewendet  werden,  um  die  Verfasser  sol- 
cher Schriften  zu  belohnen,  welche  durch  Ent- 
deckung und  zweckmäßige  Bearbeitung  unbe- 
kannter oder  unbenutzter  historischer  Quellen, 
Denkmäler  und  ürkundensammlungen  sich  um 
die  deutsche  Geschichte  verdient  gemacht  haben. 
Solchen  Schriften  darf  aber  nur  die  Hälfte  des 
Preises  zuerkannt  werden. 

Es  steht  Jedem  frei,  für  diesen  zweiten  Fall 
Werke  der  bezeichneten  Art  auch  handschriftlich 
einzusenden.  Mit  denselben  sind  aber  ebenfalls 
alle  gleichartigen  Werke,  welche  vor  dem  Einsen- 
dungstage des  laufenden  Zeitraums  gedruckt  er- 
schienen sind,  für  diesen  Preis  gleich  berechtigt. 
Wird  ein  handschriftliches  Werk  gekrönt,  so  er- 
hält dasselbe  einen  Preis  von  500  Thaleru  in 
Gold;  gedruckt  erschienenen  Schriften  können 
nach  dem  Grade  ihrer  Bedeutung  Preise  von 
250  Thlr.  oder  500  Thlr.  Gold  zuerkannt  werden. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergiebt  sich  von  selbst, 


410 


daß  der  dritte  Preis  auch  Mehreren  zugleich  zu 
Theil  werden  kann.  ,    c.    . 

3.  Rechte  der  Erben  der  gekrönten 
Schriftsteller.  Sämmtliche  Preise  fallen,  wenn 
die  Verfasser  der  Preisschriften  bereits  gestorben 
sein  sollten,  deren  Erben  zu.  Der  dritte  Preis 
kann  auch  gedruckten  Schriften  zuerkannt  wer- 
den, deren  Verfasser  schon  gestorben  sind,  und 
fällt  alsdann  den  Erben  derselben  zu. 

4     Form  der  Preisschriften  nnd  ihrer 
Einsendung.     Bei  den  handschriftlichen  Werken, 
welche  sich  um    die    beiden    ersten    Preise 
bewerben,  müssen  alle  äußeren  Zeichen  vermieden 
werden,  an  welchen  die  Verfasser  erkannt  werden 
können.     Wird  ein  Verfasser  durch  eigene  bchuld 
erkannt,  so  ist  seine  Schrift  zur  Preisbewerbung 
nicht  mehr  zulässig.     Daher  wird  em  Jeder    der 
nicht   gewiß  sein   kann,    daß   seine   Handschrift 
den  Preisrichtern  unbekannt  ist,  wohl  thiin,  sem 
"Werk  von  fremder  Hand  abschreiben  zu  lassen. 
Jede  Schrift  ist  mit  einem  Sinnspruche  zu  ver- 
sehen, und  es  ist  derselben  ein  versiegelter  Zettel 
beizulegen,  auf  dessen  Außenseite  derselbe  binn- 
spruch    sich    findet,     während    inwendig    JName, 
Stand  und  Wohnort  des  Verfassers  angegeben  sind. 
Die  handschriftlichen  Werke,  welche  sich  um 
den  dritten  Preis  bewerben,  können  mit  dem 
Namen  des  Verfassers  versehen,  oder  ohne  den- 
selben eingesandt  werden. 

Alle  diese  Schriften  müssen  im  Laufe  des 
neunten  Jahres  vor  dem  U.März,  mit  welchem 
das  zehnte  beginnt,  also  diesmal  vor  dem  14. 
März  1885,  dem  Director  zugesendet  sein  wel- 
eher  auf  Verlangen  an  die  Vermittler  der  Uebersen- 
dung  Empfangsbescheinigungen  ausxiistellen  hat, 
5.  Ueher  Zulässigkeit  zur  Prelshewer- 
hung.  Die  Mitglieder  der  Königlichen  Socictat, 
welche  nicht  zum  Preisgerichte  gehören,  durien 
Bich  wie  jeder  Andere  um  alle  Preise  bewerben, 


411 

Dagegen  leisten  die  Mitglieder  des  Preisgerichts 
auf  jede  Preisbewerbung  Verzicht. 

6.  Verkündigung  der  Preise.     An   dem 

14.  März,  mit  welchem  der  neue  Verwaltungs- 
zeitraum beginnt ,  werden  in  einer  Sitzung  der 
Societät  die  Berichte  über  die  Preisarbeiten  vor-« 
getragen ,  die  Zettel ,  welche  zu  den  gekrönten 
Schriften  gehören,  eröflFnet,  und  die  Namen  der 
Sieger  verkündet,  die  übrigen  Zettel  aber  ver- 
brannt. Jene  Berichte  werden  in  den  Nachrich- 
ten über  die  Königliche  Societät,  dem  Beiblatte 
der  Göttingenschen  gelehrten  Anzeigen,  abge- 
druckt. Die  Verfasser  der  gekrönten  Schriften 
oder  deren  Erben  werden  noch  besonders  durch 
den  Director  von  den  ihnen  zugefallenen  Preisen 
benachrichtigt,  und  können  dieselben  bei  dem 
letzteren  gegen  Quittung  sogleich  in  Empfang 
nehmen. 

7.  Zurückforderung  der  nicht  gekrönten 
Scliriften.  Die  Verfasser  der  nicht  gekrönten 
Schriften  können  dieselben  unter  Angabe  ihres 
Sinnspruches  und  Einsendung  des  etwa  erhalte- 
nen Empfangsscheines  innerhalb  eines  halben 
Jahres  zurückfordern  oder  zurückfordern  lassen. 
Sofern  sich  innerhalb  dieses  halben  Jahres  kein 
Anstand  ergiebt,  werden  dieselben  am  14.  Octo- 
ber  von  dem  Director  den  zur  Empfangnahme 
bezeichneten  Personen  portofrei  zugesendet. 
Nach  Ablauf  dieser  Frist  ist  das  Recht  zur  Zu- 
rückforderung erloschen. 

8.  Druck  der  Preisschriften.  Die  hand- 
schriftlichen Werke,  welche  den  Preis  erhalten 
haben,  gehen  in  das  Eigenthum  der  Stiftung  für 
diejenige  Zeit  über,  in  welcher  dasselbe  den  Ver- 
fassern und  deren  Erben  gesetzlich  zustehen 
würde.  Der  Verwaltungsrath  wird  dieselben  einem 
Verleger  gegen  einen  Ehrensold  überlassen  oder, 
wenn  sich  ein  solcher  nicht  findet ,  auf  Kosten 
der  Stiftung  drucken  lassen,  und  in  diesem  letz- 


412 


teren  Falle  den  Vertrieb  einer  zuverlässigen  und 
thätigen    Buchhandlung   übertragen.     Die   Aut- 
sicht über  Verlag  und  Verkauf  führt  der  Director. 
Der  Ertrag  der  ersten  Auflage,    welche  aus- 
schließlich   der    Freiexemplare    höchstens    lOUU 
Exemplare  stark  sein  darf,  fällt  dem  verfügbaren 
Capitale   zu,    da  der  Verfasser    den    erhaltenen 
Preis  als  sein  Honorar  zu  betrachten  hat.    Wenn 
indessen   jener   Ertrag   ungewöhnlich    groß   ist, 
d    h.    wenn    derselbe    die  Druekkosten    um    das 
Doppelte  übersteigt,  so  wird  die  Königbche  bo- 
cietät   auf  den  Vortrag    des   Verwaltungsrathes 
erwägen,   ob  dem  Verfasser  nicht  eine  außeror- 
dentliche Vergeltung  zuzubilligen  sei. 

Findet  die  Königliche  Societät  fernere  Aufla- 
gen erforderlich,  so  wird  sie  den  Verfasser,  oder, 
falls  derselbe  nicht  mehr  leben  sollte,  einen  an- 
dern dazu  geeigneten  Gelehrten  zur  Bearbeitung 
derselben  veranlassen.  Der  reine  Ertrag  der 
neuen  Auflagen  soll  alsdann  zu  außerordentli- 
chen Bewilligungen  für  den  Verfasser,  oder,  falls 
derselbe  verstorben  ist,  für  dessen  Erben,  und 
den  neuen  Bearbeiter  nach  einem  von  der  Kö- 
niglichen Societät  festzustellenden  Verhältnisse 
bestimmt  werden.  „.,  ,    ,        ,v 

9.  Bemerkung  auf  dem  Titel  derselben. 
Jede  von  der  Stiftung  gekrönte  und  herausgegebene 
Schrift  wird  auf  dem  Titel  die  Bemerkung  haben  : 

Von  der  Königlichen  Societät  der^  Wissen- 
schaften in  Göttingen  mit  einem  Wedekiud- 
schen  Preise  gekrönt  und  herausgegeben. 

10.  Freiexemplare.  Von  den  Preisschnf- 
ten,  welche  die  Stiftung  herausgiebt,  erhalten 
die  Verfasser  je  zehn  Freiexemplare. 

Göttingen,    den  14.  März  1877. 

Der  Verwaltungsrath  der  WcdcJcindschcn 
Preisstiftung. 


413 


iVaehrichteu 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  WiBsen- 

sehaften  und  der  G.  Ä.  Universität  zu 

Göttingen. 


17.  Juli.  M  1«.  1878. 


Königliche  Geseilsckaft  der  Wisseiiüehaften. 

Sitzung  am  6.  Juli. 

Benfey,  Der  Bindevocal  j  im  Sanskrit. 

Kiepert,  Ueber  die  Auflösung  der  Gleichungen  fünften 

Ghtdes;     (Vorgel.  von  Schwarz.) 
Marme,  üeber  Duboisia  myoporoides. 
Schering,  üeberreichung  der  beglaubigten  Abschrifteri 

von  82  Briefen   von  and  an  Gauß  als   Geschenk   von 

Hm.  Hänselmann  in  Braonschweig. 


Mittheilungen  aus  dem  pharmacol  ogi- 

schen  Institut  der  Universität 

Göttingen. 

üeber  Duboisia  myoporoides  R.  Br. 

von 

W.  Manne. 

In  der  Duboisia  myoporoides  R.  Br.  ^),  einem 
in  Australien  und   Neu-Caledonien   ein- 

1)  Abbildungen  bei  Miers  Illust.  87  und  Journ.  d. 
Pharm,  et  de  Chimie  Juin  1878,  p.  487  u.  488  u.  a. 

34 


414 

heimischen  ^) ,  4 — 5  Meter  Höhe  erreichenden 
strauchartigen  Baume,  den  Endlicher  zu  den 
Scrophularineen  zählte,  B  e  n  t  h  a  m  und  H  o  o  k  e  r 
neuerdings  zu  den  Solaneen  stellen,  ist  der  Arz- 
neischatz in  diesem  Jahre  um  ein  Mydriaticum 
bereichert  worden ,  das  die  bisher  gebräuchlich- 
sten ,  das  Ätropin ,  Hyoscyamin  und  Daturin 
anscheinend  an  Wirksamkeit  weit  übertrifft. 
Dr.  Bancroft  in  Brisbane  entdeckte  die 
auffallend  stark  mydriatische  Wirkung  der  aus 
verschiedenen  Theilen  der  Buboisia  dargestellten 
wäßrigen  Extracte.  Dr.  Portescue  in  Syd- 
ney, dem  er  seine  Beobachtungen  mittheilte, 
sandte  zuerst  im  December  vorigen  Jahres  das 
Extract  nach  England ,  wo  Dr.  T  w  e  e  d  y ,  Arzt 
am  Royal  London  Ophthalmie  Hospital,  Syd- 
ney Ringer  und  William  Murell  das  neue 
Mittel  nach  verschiedenen  Richtungen  prüften 
und  eine  große  Aehnlichkeit  zwischen  ihm  und 
dem  Belladonuaextract  coustatirten.  Ger  rar  d 
in  London  und  Petit  in  Paris  bemühten 
sich  mit  Erfolg  den  wirksamen  Bestandtheil  aus 
dem  Extract  zu  isolireu  und  betonen  beide  die 
autfallend  große  Uebereinstimmung  seiner  che- 
mischen Eigenschaften  mit  denen  des  Atropin, 
sind  aber  doch  der  Ansicht ,  daß  das  Duboisin 
mit  dem  Alkaloid  der  Tollkirsche  nicht  iden- 
tisch sei. 

Gerrard  ^)  bediente  sich  zur  Gewinnung 
des  Duboisin  fast  ganz  derselben  Methode,  die 
zur  Darstellung  des  Atropin  von  verschiedenen 
Chemikern  empfohlen  ist.     Das  gereinigte,    mit 

1)  In  Australien  iet  Duboisia  nach  Büntbam  und 
Müller  Flora  Australiensis  L.  1869  Vol.  VI  S.  474  sehr 
verbreitet ,  ist  aber  auch  in  Neu-Caledouien  bes.  auf  Ba- 
ladea  und  der  Fichteninsel  häufig  anzutreffen. 

2)  Pharmaceutical  Journ.  a.  Tr.  April  1878. 


415 

Wasser  verdünnte  und  mit  Ammoniak  im  Ueber- 
schuß  versetzte  Extract  schüttelte  er  mit  Chloro- 
form, löste  den  Chloroformrückstand  in  ver- 
dünnter Schwefelsäure  und  zog  aus  dieser  alka- 
lisch gemachten  Lösung  das  Alcaloid  mit  Aether 
aus.  Die  gewonnene  Substanz  löste  sich  außer 
in  Aether,  Alcohol,  Chloroform,  Benzol,  Schwe- 
felkohlenstoff auch  in  Wasser,  dem  sie  eine  ent- 
schieden alkalische  Reaction  ertheilt.  Obgleich 
sie  in  ihrem  Verhalten  gegen  die  meisten  Rea- 
gentien  —  Aetzalkalien,  Gerbsäure,  Goldchlorid, 
Platinchlorid ,  Schwefelcyankalium  und  Subli- 
mat —  mit  dem  Atropin  übereinstimmt,  konnte 
Gerrard  den  neuen  Körper  nicht  krystallisirt 
erhalten.  Wahrscheinlich  war  derselbe  noch 
nicht  völlig  rein  und  deßhalb  kann  es  auch  nicht 
Wunder  nehmen ,  daß  er  bei  Behandlung  mit 
conc.  Salpetersäure  und  Schwefelsäure  etwas  an- 
dere Farbenreactionen  zeigt  als  Atropin.  Petit 
in  Paris  ist  es  nach  neuereu  Nachrichten  gelun- 
gen den  wirksamen  Bestaudtheil  in  Krystallform 
zu  gewinnen.  Er  soll  in  Wasser  zehnmal  lös- 
licher sein  als  Atropin.  Ausführlichere  Detail- 
angabe über  das  von  Petit  »Dnboisin«  ge- 
taufte Alcaloid  sind  uns  zur  Zeit  nicht  bekannt 
geworden. 

Die  in  England  und  Frankreich,  neuerdings 
auch  in  Deutschland  an  Menschen  und  Thieren 
angestellten  Versuche  mit  Duboisin  haben  das- 
selbe als  ein  energisch  wirkendes  Mydriaticum 
dargethan,  das  nach  den  Experimenten  von 
Ringer  und  Murr  eil  außerdem  ähnlich  wie 
das  Atropin  auch  die  Schweiß-  und  Speichelse- 
cretion  beschränkt  oder  sistirt,  ferner  den  durch 
Muscarin  bedingten  Herzstillstand  aufhebt  und 
bei  Fröschen  innerhalb  24  Stunden  Tetanus  ver- 
anlaßt. 

34* 


416 


Durch  meinen  verehrten CoUegen  Leber  erhielt 
ich  eine  aus  Paris  bezogene  0,5  %  farblose,  klare 
Lösung  des  Alcaloids  und  durch  Gehe  u.  Co. 
eine  kleine  Blechdose  Extractum  Duboisiae,  mit 
welchen  beiden  Präparaten  ich  eine  Reihe  von 
Experimenten  ausgeführt  habe,  die  einerseits 
iene  Resultate  der  englischen  Beobachter  bestä- 
tigen, anderseits  noch  weitere  Aehnhchkeiten 
mit  Atropin,  aber  auch  gewisse  Differenzen  zu 
Tage  gefördert  haben. 

In    der    Empfindlichkeit     und    Resi- 
stenzfähigkeit  gegen    die    giftige  Wirkung, 
des  Duboisin  zeigen  ähnlich   wie  gegen  Atropin 
die  verschiedenen  Thiere    eine    sehr    auffallende 
Verschiedenheit.     Pflanzenfresser  -  Sauger  und 
Vögel  —  werden  am  geringsten  afficirt,  Fleiscü- 
firesser  zeigen  auf  verhältnißmäßig  kleine  Dosen 
schon  ausgesprochene  Vergiftungserscheinungeu. 
—  Resorbirt  wird  das  Duboisin  von  allfen  Appü- 
cationsstellen  aus.     Bei  Fröschen,  denen  die  Lo- 
sung auf  die  unverletzte  Bauchhaut  aufgestrichen 
wird,    treten  die   Intoxicationssymptome  relativ 
spät  auf.     Nach  interner  oder  subcutaner  Appli- 
cation machen  sich  die  Wirkung  auf  Circulation 
und  Secretiouen  in  kürzester  Zeit  schon  geltend 
Wie  das  Alcaloid  rasch  resorbirt  wird,  unterliegt 
es   auch   einer   beschleunigten    Ehminatiou    und 
verläßt   jedenfalls    zum-  Theil   unverändert    den 
thierischen  Organismus,    am  raschesten  oüenbar 
den  der  Pflanzenfresser.  ,.,,,.       ,^ 

Spritzt  mau  Kaninchen  täglich  kleine  Quan- 
titäten des  Extracts  in  Wasser  gelbst  m  das 
Unterhautbindegewebe,  sammelt  den  Harn,  ver- 
setzt denselben  mit  Oxalsäure,  engt  das  neutra- 
lisirte  Filtrat  ein,  macht  es  alkalisch  und  schüt- 
telt es  mit  Chloroform  aus,  nimmt  den  Ruckstand 
in  schwach  angesäuertem  Wasser  auf,    so   kann 


417 

man  mit  dieser  Lösung  die  mydriatische  und  die 
characteristische  Wirkung  auf  den  Herzvagus 
ohne  Schwierigkeit  constatiren. 

Die  practisch  wichtigste  Wirkung  auf 
Pupille  und  Accomodation  ist  bei  Men- 
schen zuerst  beobachtet.  Die  Pupille  wird  so- 
wohl nach  Einträufelung  minimaler  Mengen  in 
den  Conjunctivalsack  wie  nach  interner  oder 
subcutaner  Application  etwas  größerer  Mengen 
stark  erweitert.  Diese  Dilatation  tritt  bei  Men- 
schen und  Thieren  innerhalb  sehr  kurzer  Zeit 
ein.  Bei  Vögeln  bleibt  sie  selbst  nach  Anwen- 
dung großer  Dosen  aus.  Bringt  man ,  um  die 
Wirkung  des  Atropin  und  Duboisin  zu  verglei- 
chen, einem  großen  Hunde  in  ein  Auge  0,00005 
Duboisin  in  Wasser  gelöst  und  ebensoviel  Atro- 
pin in  das  andere,  so  sieht  man  die  Pupille  des 
ersteren  Auges  viel  früher  sich  erweitern  als  die 
des  Atropinauges.  Die  Erweiterung  nimmt  ra- 
scher zu,  erreicht  früher  das  Maximum  und  dau- 
ert auch  1 — 2  Tage  länger.  Ebenso  tritt  die 
Unempfiudlichkeit  der  duboisinirter  Pupille  gegen 
Lichteiudrücke  und  Eserinwirkung  früher  ein 
und  erhält  sich  länger  als  bei  atropinisirten 
Augen.  Das  Duboisin  wirkt  also  (die  Richtig- 
keit der  französischen  Lösung  vorausgesetzt) 
rascher,  energischer  und  länger  auf  die  Pupille 
ein  als  Atropin.  Nach  verschiedenartigen  Be- 
obachtungen an  Menschen  soll  es,  ähnlich  wie 
nach  A.  von  Gräfe  das  Daturin,  auch  in  sol- 
chen Fällen  zweckmäßig  zu  verwerthen  sein,  wo 
Atropin  nicht  oder  nicht  mehr  vertragen  wird. 
Aehnlich  wie  die  Pupille  beeinflußt  das  Duboisin 
auch  die  Accomodation  stärker  als  das  Atropin. 
—  Bringt  man  Duboisin  in  ein  Auge  dessen 
Cornea  perforirt  ist,  so  bewirken  selbst  größere 
Dosen   (0,0001)   zunächst    gar   keine    Dilatation 


418 

der  Pupille  und  erst  nach  einiger  Zeit  stellt  sich 
eine  unbedeutende  Erweiterung  ein ,  während 
eine  gleichzeitig  auf  das  gesunde  Auge  gebrachte 
zehnfach  kleinere  Dosis  längst  die  Maximalwir- 
kung vollbracht  hat.  Diese  Beobachtung  die 
sich  theils  aus  der  starken  Reizung  des  Sphincter 
Pupillae,  theils  aus  dem  ungehinderten  Abfluß 
des  Kammerwassers  in  einfachster  Weise  erklärt, 
erscheint  uns  keineswegs  besonders  »merkwür- 
dig« und  gestattet  sicherlich  gar  keine  Schluß- 
folgerungen über  das  Vorhandensein  erweitern- 
der Kräfte  der  Irismusculatur.  ^) 

Nach  unseren  Versuchen  scheint  das  Duboi- 
sin  auch  die  Enden  der  sensiblen  Fa- 
sern des  Bulbus  in  etwa  abzustumpfen.  We- 
nigstens fiel  es  uns  auf,  daß  sowohl  Warm-  wie 
Kaltblüter  nach  der  Application  von  Duboisin 
Berührungen  der  Cornea,  Sclera  und  Conjunctiva 
viel  ruhiger  ertrugen  und  erst  auf  stärkere  An- 
griffe das  Auge  schlössen. 

Nächst  der  Einwirkung  auf  die  Nerven  des 
Auges  ist  am  kräftigsten  ausgesprochen  der  Ein- 
fluß, den  Duboisin  auf  Circulation  und  N. 
Vagus  ausübt.  Schon  sehr  kleine  Dosen  setzen 
die  Hemmungsfasern  des  Herzvagus  im  Herzen 
außer  Function.  Die  Herzaction  wird ,  soviel 
wir  bis  jetzt  gesehen  haben,  ohne  vorangehende 
Verlangsamung  unter  gleichzeitiger  Steigerung 
des  Blutdrucks  enorm,  bis  auf  die  doppelte  Puls- 
zahl beschleunigt  und  diese  Wirkung  tritt  bei 
Hunden  gleichfalls  sehr  rasch,  fast  unmittelbar 
nach  der  subcutanen  Application  oder  der  direc- 
ten  Injection  in  die  Blutbahn  auf.  Sie  ist  haupt- 
sächlich bedingt  durch  Lähmung  der  im  Herzen 

1)  Verj?l.  die  ähnliche  Wirkung  des  Atropin  nach 
Welz  bei  Nothnagel  und  Roßbach  1.  c. 


419 

gelegenen  letzten  Vagusendigungen,  vielleicht  auch 
durch  eine  gleichzeitige  directe  oder  indirecte  Erre- 
gung des  vasomotorischen  Ceutrums.  Die  stärkste, 
electrische  Reizung  des  Halsvagus  vermag,  wenn 
diese  Wirkung  ausgebildet  ist,  keine  Yerlang- 
samung  der  Herzaction  herbeizuführen,  während 
die  Reizung  der  Nu.  depressores  beim  Kaninchen 
den  Blutdruck  nach  wie  vor  herabsetzt.  Für 
diese  Wirkung  auf  den  Vagus  genügen  0,00005 
bis  0,0001  Duboisin.  Größere  Gaben  setzen  den 
Anfangs  gesteigerten  Blutdruck  herab  und  sehr 
große  lähmen  auch  die  excitomotorischen  Gang- 
lien des  Herzens,  der  Puls  verlangsamt,  die 
Coutractionen  des  Herzens  werden  schwächer 
bis  schließlich  das  Herz  in  Diastole  stillsteht 
und  der  Tod  durch  Herzlähraung  eintritt. 

Mit  der  Beschleunigung  der  Herzaction  ver- 
bindet sich  eine  auffallende  Unruhe  der 
vorher  ganz  geduldigen  Versuchshunde  ähnlich 
wie  bei  Menschen  nach  Atropinvergiftung  ein 
Stadium  der  Aufregung  sich  ausbildet.  Zur  Er- 
klärung dieser  Excitation  eine  directe  Erregung 
des  Cerebrum  durch  Duboisin  resp.  Atropin  an- 
zunehmen, können  wir  uns  nach  den  bis  jetzt 
vorliegenden  Versuchsresultaten  nicht  entschlie- 
ßen. Der  von  Einigen  geraachte  Versuch  die 
Aufregung  mit  der  gestörten  Circulation  iu  Cau- 
salnexus  zu  bringen,  scheint  uns  durchaus  nicht 
widerlegt.  Namentlich  ist  der  Einwand,  daß 
Durchschueidung  des  Vagus  zwar  Beschleunigung 
der  Herzaction  und  Steigerung  des  Blutdrucks, 
aber  keine  Aufregung  veranlasse  ganz  hinfällig. 
Die  durch  Duboisin  gesetzte  Lähmung  der  Hem- 
mungsfasern, ist  doch  nicht  gleichwerthig  mit  der 
durch  die  Discision  gleichzeitig  gesetzten  Beein- 
trächtigung sensibler,  vasomotorischer,  acceleriren- 
der  und  trophischer  Nerven  des  Vagosynipathicus. 


420 

Zu  der  Wirkung  auf  die  Herzaction  gesellt 
sich  stets  eine  nach  kurz  dauernder  Verlangsa- 
mung eintretende  starke  Beschleunigung 
der  Respiration.  Diese  letztere  erhält  sich 
wie  bei  der  Atropinintoxication  sowohl  während 
der  Erhöhung  wie  während  der  Herabsetzung 
des  Blutdrucks. 

Entsprechend  der  Einwirkung  auf  Respira- 
tion und  Circulation  wird  durch  kleinste  Gaben 
Duboisin  die  Körpertemperatur  erhöht, 
durch  größere  vermindert. 

Hinsichtlich  der  Einwirkung  des  Duboisin 
auf  die  Darmganglien  und  den  N.  splanch- 
nicus  stimmen  unsere  Resultate  nicht  ganz  mit 
den  Beobachtungen  die  Keuchel^)  und  Roß- 
bach 2)  bei  ihren  Versuchen  mit  Atropin  er- 
halten haben.  Niemals  haben  wir  auch  bei  An- 
wendung der  kleinsten  Dosen  (in  erwärmter 
Lösung  injicirt)  eine  lebhaftere  Darmbewegung 
eintreten  gesehen,  wenn  vorher  bei  den  schwach 
curarisirten ,  künstlich  respirirten  Thieren  nach 
Durchschneid ung  des  Halsvagus  das  Abdomen 
unter  0,6  7o  blutwarmer  Kochsalzlösung  eröffnet 
war  und  von  der  Luft  während  des  ganzen  Ver- 
suchs abgeschlossen  blieb.  Die  Darmschlingen 
zeigten  vielmehr  eine  ganz  auffallende  Ruhe,  die 
sich  durch  mechanischen  Reiz  nurlocal,  anschei- 
nend durch  directen  Muskelreiz  in  Bewegung 
umsetzen  ließ.  Daß  dabei  die  vasomotorischen 
Nerven  des  Splanchnicus  nicht  afficirt  waren, 
zeigte  das  Steigen  des  Blutdrucks  bei  Reizung 
des   linken    Splanchnicus    nach   der  von  Asp^) 

1)  Keachel   das  Atropin  und  die  Pemmungsnerven, 
Dissert.    Dorpat  1868. 

2)  Arzneimittellehre   von    Nothnagel    und    RoPbacli 
1878  S.  661. 

8)  Cyon,  Methodik  pg.  198. 


421 

zuerst  in  L  u  d  w  i  g's  Laboratorium  ausgeführten 
Methode  an  dem  aus  der  Salzlösung  entfernten 
Versuchsthiere  (Kaninchen,  Katze). 

Die  Thätigkeit  der  Absonderungs- 
nerven, die  Pilocarpin  in  früher  angegebener 
Weise  anregt  ^),sistirtDuboisin  schon  in  sehr  klei- 
ner Dosis.  Nachdem  jetzt  R.  Heidenhain  in 
seiner  neuesten,  klassischen  Arbeit ')  die  Existenz 
zweier  bisher  in  ihrer  Wirkungsweise  vielfach 
durcheinander  geworfener  Klassen  von  Nervenfa- 
sern, die  er  als  secretorische  und  als  trophi- 
sche  bezeichnet,  in  überzeugendster  Weise  endgül- 
tig dargethan  und  zugleich  bewiesen  hat,  daß  einer- 
seits das  Pilocarpin  wenigstens  bei  den  Speichel- 
drüsen die  hauptsächlich  (beim  Hunde  für  die 
Parotis  sogar  ausschließlich)  in  den  cerebralen 
Absonderungsnerven  und  nur  spärlich  im  Sym- 
pathicus  verlaufenden  secretorischen  Fasern  zu 
gesteigerter  Thätigkeit  erregt  und  anderseits  das 
Atropin  die  Thätigkeit  dieser  Nervenfasern  auf- 
hebt ,  dürfen  wir  für  das  Duboisin  ganz  gewiß 
dieselbe  Wirkungsweise  in  Anspruch  nehmen. 
Einen  doppelten  Antagonismus  wie  ihn  Luch- 
sing er  für  Atropin  und  Pilocarpin  behauptet, 
haben  wir  ebensowenig  beim  Duboisin  wie  beim 
Atropin  gesehen. 

Duboisin  kann  endlich  ebenso  wie  Atropin 
bei  schwerer  Morphinvergiftung  gün- 
stig wirken.  Hat  man  Hunde  mit  Morphin, 
hydrochl.  so  weit  vergiftet,  daß  die  Herzacfcion 
bis  auf  2 — 3  Contractionen  in  5.  See.  gesunken 
ist  und  die  Respiration  unregelmäßig  geworden, 
für    längere    Pausen    aussetzt    und    injicirt    nun 

1)  Diese  Nachrichten  No.  3.  1878.  

2)  Archiv  f.  d.  ges,  Physiolog.  vom  J.  1878  Bd.  XVn 
H.  1  S.  1—67. 


422 

kleine  Dosen  Duboisin  in  das  subcutane  Binde- 
gewebe oder  in  die  Blutbahn,  so  kräftigt  und 
beschleunigt  sich  sofort  die  Herzaction  und  re- 
gelt sich  in  kurzer  Zeit  die  wieder  frequenter 
gewordene  Respiration.  Anderweitige  soge- 
nannte antagonistische  Wirkungen  zeigt  das 
Duboisin  abgesehen  von  Pupillendilatation  so- 
wenig wie  das  Atropin.  Genügt  die  eingespritzte 
Dosis,  bei  den  immer  noch  tief  narcotisirten 
Thieren  ruhigen  Schlaf  zu  ermöglichen ,  so  er- 
holen sie  sich  meist  schon  nach  wenig  Stunden ; 
sind  dagegen  wiederholte  Injectionen  von  Duboi- 
sin erforderlich  um  die  gesunkene  Herzaction 
und  Respiration  zu  beleben,  so  ist  der  Ausgang 
gewöhnlich  ein  letaler. 

Bekanntlich  wird  in  allen  Sammelwerken 
das  Daturin  für  identisch  mit  Atropin  ausgege- 
ben. Diese  angebliche  Identität  stützt  sich  1. 
auf  eine  einzige  Kohlen-  und  Wasserstoffbestim- 
mung des  Daturingoldchlorids  und  2.  auf  zwei 
Stickstoffbestimmungen  des  Alcaloids,  von  wel- 
chen 1.  c.  die  eine  für  glaubwürdiger  als 
die  andere  erklärt  wird  und  auf  drei  fernere 
Kohlen-  und  Wasserstoffbestimmungen ,  deren 
Resultate,  wie  v.  Planta^)  S.  255  selbst  sagt 
»nicht  jene  Uebereinstimmungen  bieten,  wie  man 
sie  bei  guten  Analysen  zu  verlangen  gewohnt 
ist.«  Buchheim^)  hat  daher  gewiß  Recht, 
wenn  er  die  Identität  des  Atropin  und  Daturiu 
für  nicht  erwiesen  ansieht ,  so  lange  nicht  für 
das  letztere  Alcaloid  dieselben  Spaltungsproducte  ') 

1)  Annalen  der  Chemie  und  Ph.  v.  1850  Bd.  74  S. 
252-257. 

2)  Buchheim,  die  pharmacol.  Qrappe  des  Atropin, 
Arch.  f.  exp.  Path.  und  Pharm.  1876  Bd.  V  S.  470. 

8)  Kraut  und  Lossen  Annal.  d.  Ch.  B.  128.  S. 
280.  —  Bd.  181.  S.  48.  —  Bd.  133.  S.  87.  —  Bd.  188. 
S.  280.  —  Bd.  148.  S.  236. 


423 

wie  für  das  erstere  constatirt  sind.  Schroff), 
der  Altmeister  der  experimeutellen  Pharmacolo- 
gie,  hat  hei  seioeu  Üntersnchungen  über  Atro- 
pin  uud  Daturin  zwar  eine  qualitativ  gleiche, 
aber  quantitativ  so  verschiedene  Wirkung  ge- 
funden, daß  er  dem  Daturin  die  doppelte  Wirk- 
samkeit zuschreibt.  Danach  allein  schon  kann 
von  einer  Identität  beider  Alcaloide  keine  Rede 
sein.  Da  nun  das  Duboisin  in  einer  Dosis,  die 
fast  zehnfach  kleiner  als  die  des  Atropin  ist,  die- 
selbe Wirkung  wie  dieses  auf  die  Yagusenden 
und  andere  Nerven  ausübt,  schließen  wir  uns 
der  Ansicht,  die  Gerrard  und  Petit  aus  dem 
chemischen  Verhalten  des  Alcaloids  bereits  ab- 
geleitet haben,  daß  das  Duboisin  mit  Atro- 
pin nicht  identisch  sei ,  aus  experimentell- 
pharmacologischen  Gründen  an  und  kommen  so- 
mit zu  dem  Schlußresultat  daß  das  Duboi- 
sin in  seiner  Wirkung  auf  Pflanzen- 
fresser und  Fleischfresser,  in  seiner 
Einwirkung  auf  Pupille,  Accommoda- 
tion  und  sensible  Nerven,  auf  Circula- 
tion  und  N.  Vagus,  auf  die  Function 
der  Nervenceutra,  auf  Respiration  und 
Temperatur,  auf  Darmganglieu  und  N. 
splanchnicus ,  auf  die  Thätigkeit  der 
secretorischen  Nerven  und  endlich  auch 
in  seiner  Eigenschaft  als  sog.  physio- 
logisches Antidot  bei  Morphinvergif- 
tungen qualitativ  demAtropin  gleich- 
steht, quantitativ  aber  nach  allen  ge- 
nannten Richtungen  hin  das  Atropin 
und  auch  das  doppelt  so  stark  wirkende 
Daturin  weit  übertrifft. 

4)  Zeitachr.  d.  Ges.  d.  Aerzte  z.  Wien  1852.  S.  211. 


424 

lieber  die  Auflösung  der  Gleichungen 
fünften  Grades 

von 

L.  Kiepert  in  Darmstadt. 

Die  neuerdings  von  den  Herren  Klein  '), 
Brioschi^)  und  Gordan')  über  die  Auflösung 
der  Gleichungen  fünften  Grades  veröffentlichten 
Arbeiten  haben  mich  veranlaßt,  eine  Untersu- 
chung über  denselben  Gegenstand  anzustellen, 
durch  deren  Ergebniß,  wie  mir  scheint,  eine 
nicht  unbedeutende  Vereinfachung  der  von  Herrn 
Gordau  gegebenen  Ausdrücke  herbeigeführt 
wird.  Während  nämlich  Herr  Gordan  seiner 
Lösung  die  Jerrard- Her  mit  eschen  Formeln 
zu  Grunde  legt,  kann  man  mit  Anwendung  der 
von  Herrn  Weierstraß  eingeführten  Function 
pu  *)  auf  einem  kürzeren  Wege  zum  Ziel  gelan- 
gen. Der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften beehre  ich  mich  im  Nachfolgenden 
einen  Auszug  aus  meiner  Untersuchung  mit- 
zutheilen. 

§•  1. 

Es  sei  die  elliptische  Function  pii  definirt 
durch  die  Gleichung 

p'^u  =  4p^u  —  g^pu  —  g^, 

1)  Klein,  Weitere  Untersuchungen  über  das  Iko- 
sfieder  (Math.  Annalen  Bd.  12.    p.  503—560.) 

2)  Brioschi,  Ueber  die  Auflösung  der  Gleichungen 
vom  fünften  Qrade.  (Math.  Annalen  Bd.  18.  p.  lOB 
-160.) 

3)  Qordan  ,  lieber  die  Auflösung  der  Gleichungen 
vom  fünften  Grade.  (Math.  Annalen  Bd.  18.  p.  875 
-404.) 

4)  Vrgl.  Borchardt'8  Journal  Bd.  76.    p.  21—88. 


425 

während  2ö),  2w'  ein  Paar  Fuudamentalpe- 
rioden  dieser  Function  bezeichnen;  dann  sind 
für  r  =  0,  1,  2,  3, 4 


/■  = 


1 


/2<tf'4-  16rtt>\ /4tti'  +  32r«\ 

n     5  ""/    »'i     5     ; 

die  Wurzeln  der  Gleichung 

wo 

ist*.  Die  Berechnung  der  Größen  f,  /"o  >  /^i '  A '  A » ^4 
wird  erleichtert  durch  eine  Umformung,  die  man 
mit  denselben  vornehmen  kann,  und  durch  die 
man  erhält 

(2.)         f=jJ^j-hy^Tja-h 


3ni 


(1)711 


wobei  f  =  e       ist.    und    ä  ==  c  *^      berechnet 


426 
werden    kann,    sobald    man    die   absolute  Inva- 
riante  — ~  der  elliptischen  Function  kennt. 

Entwickelt  man  Zf(l  —  }?") .  f  und  n{l  — !?").( ^ 

nach  Potenzen  von  Ä,    so   findet  man   folgende 
Relationen  bestätigt: 

[/"o  +  /i  +  A  +  A  +  A  =  /Vs; 
(3.)  k  4-^A  +^r2+^y3+«Y4  =  0, 

§.  2. 

Setzt  man  jetzt 

(4.)  2/r  = 

-^  W  -  fr)  if\-V  2  -fr+s)  (/V+4  -  /V+l)l^ 
1/5     •  ^ 

80   werden   ^o'^/u^a' ^31^4    <^i6  Wurzeln   einer 
Gleichung  fünften  Grades 

(5.)    ^3^5  _j_  10 ^22^3  + 45 ^y  — 216^3  =  0. 

Auf  diese  Gleichung  läßt  sich   aber  die  all- 
gemeine Gleichung  fünften  Grades 

(6.)      x^  -\-  Äx^  -^Bx^-\-  Cx''  -\-  Dx  -\-  E  =  0 

zurückführen  durch  die  Substitution 

(7.)       .^_„.  +  .  =  -3-±|-,  =  ^, 


427 


9^ 
wobei   die  Größen  m,  r,  a,  jS,  -*  durch  Aufloscmg 

von  nur  zwei  quadratischen  Gleichungen 
bestimmt  werden.     Zunächst  folgt  aus 

daß  z  wieder  die  Wurzel  einer  Gleichung  fünf- 
ten Grades  ist,  in  der  man  aber  durch  passende 
Bestimmung  von  u  und  v  die  Summe  der  Wur- 
zeln und  die  Summe  der  Quadrate  der  Wurzeln 
gleich  Null  macheu  kann.  Dies  erreicht  man 
indem  man  setzt 

(8.)  -  (2  J.»  -  55)  w*  +  (44»  —  1  %AB  +  15C)  M  4- 

2^*— 8^^5  +  lO^CH-  3J5»-  102)  =  0. 

Man  findet  also  für  u  und  v  die  Werthe 
durch  Auflösung  einer  quadratischen  Gleichung 
uud  erhält  für  z  die  Gleichung 

(9.)  z^  4-  5L?2  —  hmz  +  n  =  0, 

wobei 

'52  =  —  10f3  -  Cu3  +  (— ^0-f  4D)u«  4- 

{ZAD  -  BC  -  5^;)  H  -  2ÄE +2BD-C*, 

5w  ==  bv*-  +  lOZt?  -Dtt*  +  (-  AD  +  5J5)  m*  + 
(10.){  {^LiE—  BD)  u^  +  {^BE  —  CD)  u  -\- 

2CE  —  D\ 

n  =  —  v^  —  Uv^  -j-  hniv  — 

E{tt''-^Au^'\-Bn^^Cu*-\-Dti-YE). 


428 

Dieselbe  Form  wie  bei  Gleichung  (9.)  erhält 
man,  wenn  man  den  andern,  aus  Gleichung  (7.) 
sich  eingebenden  Werth  von  ^,  nämlich 

^__        «  +  /% 
3  +  ^1/2 

mit  Gleichung  (5.)  zusammenstellt  und  y  elimi- 
nirt.  Damit  nun  aber  völlige  Uebereinstimmung 
mit  Gleichung  (9)  stattfindet,    müssen  a,  ß  und' 

—-  so  gewählt  werden,  daß  die  Gleichungen 

8^2  «3  __  rj2jaß^  +  21 6^3  {Ja^ß  —  ß^) ' 

J^a*  +  ISJa^ß^  —  27/J*  +  216^3  ccß^ 

=  12^  g^Jmi 

J^a^  -f-  10^2  „3^2  j^  ^^Jccß*  +  216^3  /J^ 

=    128flf3^2^ 

befriedigt  werden.  Dies  geschieht,  wenn  man  « 
aus  der  quadratischen  Gleichung 

[(Z*  -  Zww  +  m^)  «H  (1 U»  w  +  Zw*  —  2m*7i)  a  — 
^    '1  27ZSw  +  64Z2m8--mM«  ==  d 

berechnet  und  in  die  Formeln 

r±  12^2  =  la^  -f-  3wa  —  3w, 
(13.)|±  ^  =  Z*  [(Zw  —  m*)  a  -f-  mw], 

/J2  =  +  Z»  [(«2  «2  -}- 1  Uma  +  64*n2  -  27Zwl 
einsetzt. 


(ii-K 


429 

§.3. 

Zur  vollständigen  Auflösung  einer  allge- 
meinen Gleichung  fünften  Grades  sind  nach 
dem  Vorhergehenden  also  nur  folgende  Rech- 
nungsoperationen  nöthig : 

1)  Mau  berechne  aus  einer  quadratischen 
Gleichung  (8.)  die  Größe  m,  dann  geben  die 
Gleichungen  (8.)  und  (10.)  unmittelbar  die  Werthe 
von  17,  ?,  m  und  n. 

2)  Sodann  berechne  man  aus  einer  zweiten 
quadratischen  Gleichung  (12.)  a  und  setze  den 
gefundenen  Werth  in  die  Formeln  (13.)  ein. 

(tf'nt 

3)  Man  berechne  aus   j  die  Größe  h  =  e 

(Vergl.  H.  Bruns,  Ueber  die  Perioden  der  ellip- 
tischen Integrale  erster  und  zweiter  Gattung, 
Dorpat  1875). 

4)  Man  bestimme  f  und  /^  (r  =  0,  1, 2,  3,  4) 
durch  die  Gleichungen  (2.) 


'(^7^} 


berechne 
1 


V5  ^  ^    J 


und  daraus 


35 


z^  =  — 


430 


3  +  ^y!' 


dann  sind  die  Wurzeln  äj^,  x^^  x^^  x^,  x^  der 
allgemeinen  Gleichung  fünften  Grades  (6.),  wie 
unmittelbar  aus  Gleichung  (7.)  folgt,  für  r  =  0, 
1,  2,  3,  4 

—  jEJ  4-  (ü_^^)  {u^.\.Au^^Bu  ■\-G)—[v  -0^)«  (2m  +  A) 


wH^M^4--Bw^+0w+7>-(t;-^^)(3w2+2^w+5)+(t;-^^)> 


Universität. 


Se.  Majestät  der  Kaiser  und  König  haben 
allergnädigst  geruht  dem  Hofrath  Dr.  Grise- 
bach  den  Charakter  als  Geheimer  Regierungs- 
Eath  zu  verleihen. 


Promotionen   der   philosophischen  Pa- 
cultät    unter    dem    Decanate    von  Pro- 
fessor Wüstenfeld  vom  1.  Juli  1877 
bis  Ende  Juni  1878. 

I.     Zum  fünfzigjährigen  Doctor-Jubiläum  wurde 
das  Diplom  erneuert: 

15.  October  1877  dem  Hrn.  Dr.  Aug.  Fried. 
Pott,  Professor  in  Halle. 

8.  März  1878  dem  Hrn.  Dr.  Ad.  Moraht,  Pa- 
stor Primarius  in  Mollen. 

IT.     Von  den  unter  dem  Decanat  des  Professors 

W.  Müller  beschlossenen  Promotionen  wurden 

vollzogen : 

26.  Februar  1877.     Georg  Boehm   aus  Frank- 


431 

fort  a.  O.     Dissertation;  Beiträge  zur  geo- 

gnostischeu  Kenntniß  der  Hilsmulde. 
5.  Mai.     Franz  Wilkens  aus  Lüneburg.     Diss.: 

lieber  Orthochlornitro-  und  zugehörige  Chlo- 

ramido-Beuzoesäure. 
7.  Mai.     Job.    Herrn.    Kloos    aus    Amsterdam. 

Diss. :     Geognostische     Beobachtungen     im 

Staate  Minnesota. 

7.  Juni.     Ernst     Rosochatins     aus     Danzig. 

Diss.:   Ueber  Bewegungen  eines  Punktes. 

8.  Juni.     Herrn.   Hahn    aus    Hamburg.     Diss.: 

De   particnlis  quas^i  et  vehtt  apud  Tacitum. 
16.  Juni.     Maximilian    Klatt   aus    Bratwien  in 

Westfalen.     Diss. :     Studien   zur  Geschichte 

des  Kleomeuischen  Krieges. 
25.  Juni.     Georg  Huges  aus  Hannover.     Diss.: 

Ueber  die  lineare  Transformation   der  The- 

tafunctionen. 

27.  Juni.     Walter    Friedensburg    aus  Ham- 

burg. Diss.:  König  Ludwig  der  Bayer  und 
Friedrich  von  Oesterreich  von  dem  Vertrage 
zu  Trausnitz  bis  zur  Zusammenkunft  in 
Innsbruck  1325—1326. 

28.  Juni.  Samuel  Löwenfeld  aus  Posen. 
Diss.:  Leo  von  Vercelli  999—1026. 

ni.     Folgende  Promotionen  sind  unter  dem  De- 

canate  des  Professors  F.  Wüsten feld    vom  1. 

Juli  1877  bis  zum  30.  Juni  1878    bewilligt  und 

vollzogen  worden: 

11.  Juli  1877.  Friedr.  Chr.  Müller  aus  Wah- 
renholz bei  Gifhoru.  Diss.:  Untersuchungen 
über  die  Struktur  einiger  Arten  von  Elatine. 

14.  Juli.  Friedr.  Schwarzer  aus  Glatz  in 
Schlesien.  Diss. :  Ueber  Additions-  und 
Substitutionsproducte  des  Authracens. 

20.  Juli.    Joseph    Will.   Spencer  aus  Dundas 


432 

inCanada.     Diss.:  OntheNipigon  or  copper- 
bearing  rocks  of  Lake  saperior,  with  notes 
on  copper  mining  in  that  region. 
22    Juli.     Paul  Hunaeus  aus  Hannover.     Diss.: 
Ueber  gechlorte  Acrylsäuren  und  über  einige 
dem  Chlorid  analoge  Körper. 
27    Juli.     Carl  Otto  Schlutess  aus  Druxberge 
bei  Magdeburg.     Diss.:  De  Epimenide  Crete. 
29.  Juli.     Herrn.   Behaghel   v.    Adlerskron 
aus  Friedrichshof  in  Livland.     Diss.:  Ueber 
Dinitrosilicylsäure.  . 

31.  Juli.  Otto  Kern  aus  Hildesheim.  Diss.: 
Ueber  die  Einwirkung  von  Brom  auf  Me- 
tamidobenzoesäure  und  von  Chlorbenzoyl  auf 
Orthoamidobenzoesäure ,  sowie  ein  Beitrag 
zur  Kenntniß  der  Amide  der  Zimmtsaure. 

1.  August.     Carl  Z  e  u  m  e  r  aus  Hannover.     Diss  : 

Die  deutschen  Städtesteuern  im  12.  u.  13. 
Jahrhundert.  ^  j^.  • 

2.  August.    Job.  Nie.  Kruse  aus  Henustedt  im 

Ditmarschen.  Diss.:  Ueber  die  Alpha  Me- 
tänitro  ortho  amido  benzoesäure  und  die 
Ueberführung  derselben  in  Metanitro  ben- 
zoesäure. ,,  ..   , 

3  August.  Georg  Matt  ha  ei  aus  Crrunberg  in 
Schlesien.  Diss.:  Die  Klosterpolitik  Kaiser 
Heinrichs  H.  Ein  Beitrag  zur  Geschichte 
der  Reichsabteien.  . 

5  August.  Imm.  Ernst  Lausch  aus  Königs- 
berg.    Diss.:  Die  kärnthenische  Belehnungs- 

frage.  r>  lu 

7    August.     Robert  Roll  wage   aus  Sehlde    am 
Harz.     Diss.:    Ueber   gebromte  Salicylsaure 
und  Aethylimidobenzoesäure. 
(Fortsetzung  folgt.) 


433 


JKachrichten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.   Universität  zu 
Göttingen. 


24.  Juli.  ^V.  18.  1878. 

llniTersität. 

Verzeichniß     der    Vorlesungen 
auf  der  Georg-Augusts-Universität  zu  Göttingeu 

während  des  Winterhalbjahrs  18^*/79. 

Die  Vorlesungen  beginnen  den  15.  October  1S77 

und  enden   den  15.  März   1878. 

Theologie. 

Kritische  und  hermeneutische  Eiuleitung  in  die  kano- 
nischen und  apokrj'phischen  Bücher  des  Alten  Testaments : 
Prof.  Bertheau  vierstündig  um  3  Uhr. 

Einleitung  in  das  Alte  Testament:  Prot  Duhm  vier- 
stündig um  3  Uhr. 

Alttestamentliche  Theologie :  Prof.  Schultz  fünfstündig 
um  11  Uhr. 

Geschichte  des  Volkes  Israel:  Prof.  Duhm  dreistündig 
Montag,  Dienstag.  Mittwoch  um  4  Uhr. 

Leben  Jesu:  Prof.  Wagenmanti  vierstündig  um  9  Uhr. 

Erklärung  der  Genesis:  Prof.  Schultz  fünistündig  um 
10  Uhr. 

Erklärung  des  Buches  des  Propheten  Jesaia :  Prof.  Ber- 
theau fünfstündig  um  10  Uhr. 

Erklärung  der  chaldäischen  Abschnitte  dos  Buches 
Daniel:  Derselbe  Dienstags  und  Freitags  um  2  Uhr. 

Erklärung  der  Psalmen :  Prof.  de  Lagarde  fünfstündig 
um  10  Uhr. 

Erkläining  der  Bücher  der  Richter  und  Samuelis  :  Prof. 
JJuhm  Donnerstags  and  Freitags  um  4  Uhr  öffentlich. 

36 


434 

Erklärung  der  synoptischen  Evangelien:  Lic.  Wend 
fünfmal  um  9  Uhr. 

Erklärung  der  Briefe  des  Paulus  an  die  Römer  und 
Galater:  Prof.  Lünemann  fünfmal  um  9  ühr. 

Erklärung  der  paulinischen  Briefe  mit  Ausnahme  des 
Römerbriefs  und  der  Pastoralbriefe:  Prof.  Wiesinger 
fünfstündig  um  9  Uhr. 

Erklärung  der  katholischen  Briefe ;  Prof.  Ritschi  fünf- 
mal um  11  Uhr. 


Kirchengeschichte  Theil  II:  Prof.  Wagenmann  fünf- 
stündig um  8  Uhr, 

Hannoversche  Kirchengeschichte :  Derselbe  Sonnabends 
um  8  Uhr,  öflfentlich. 

Kirchengeschichte  der  neueren  Zeit  seit  der  Reforma- 
tion mit  Rücksicht  auf  Hasse's  Kirchengeschichte:  Prof. 
Reuter  sechsmal  um  12  Uhr. 

Dogmengeschichte:  Derselbe  sechsmal  um  9  Uhr. 

Ueber  die  sogen,  oecumenischen  Symbole:  Lic.  Katten- 
busch  unentgeltlich  Mittwochs  um  6  Uhr. 

Comparative  Symbolik:  Prof.  Schüber  lein  viermal  um 
5  Uhr;  Lic.  Kattenbusch  vierstündig. 


Prolegomena  zur  Dogmatik:  Prof.  SchUberleifi  Sonn- 
abend um  12  Uhr,  öfifentlich. 

Dogmatik  Th.  I.:  Prof.  Ritschi  fünfstündig  um  12  Uhr. 

Theologische  Ethik:  Prof.  Schöber  lein  fünfstündig  um 
12  Uhr.  

Praktische  Theologie:  Prof.  Wiesinger  vier-  bis  fünf- 
mal um  3  Uhr. 

Kirchenrecht  und  Geschichte  der  Kirchenverfassung 
ß.  unter  Rechtswissenschaft  S.  435. 

Die  Uebungeu  des  königl.  homiletischen  Seminars 
leiten  Prof,  Wienm/er  und  Prof.  Schultz  abwechselnd 
Sonnabend  von  9—10  und  10— -12  Uhr  öffentlich. 

Katechetische  Uebungeu :  Prof.  Jriesinger  Mitiv/ochB  von 
5— 6  Uhr,  Vroi.  Schultz  Sonnabendsvon4  — 5  Uhr  öffentlich. 

Die  liturgischen  Uebungen  dos  praktisch-theologischen 
Seminars  leitet  Prof.  Scfiöberlcin  Mittwochs  um  6  Uhr 
und  Sonnabends  von  9—11  Uhr  öffentlich. 

Eine  dogmatische  Societät  leitet  Prof,  Scliöberlein 
Donnerstags  um  6  Uhr ;  eine  historisch-theologische  Socie- 
tät Prof.    fVugenmann  Freitags   um  6  Uhrj  kircheuhisto 


' 


435 

tische  üebungen  Prof.  Reuter  Donireretags  um  6  ühr; 
eine  hebräische  Gesellschaft  leitet  zu  gelegenen  Stunden 
Prof.  de  Lagarde. 

Rechtswissenschaft. 

Institutionen  des  Römischen  Rechts:  viermal  wöchent- 
lich von  11  —  12  Uhr  Prof.  Jlartmann. 

Geschichte  des  römischen  Rechts :  fünfmal  wöchentlich 
von  12—1  Uhr  Prof.  Hartmann. 

Römischer  Civilprocess :  Prof.  Hartmann  Montags  und 
Donnerstags  von  4 — 5  ühr. 

Pandekten,  allgemeiner  Theil  und  Sachenrecht:  täglibh 
von  11  —  12  Uhr  nnd  Sonnabend  von  12  —  1  ühr  Prof. 
V.  Jhering. 

Pandekten,  Obligationenrecht:  fünfmal  von  12 — 1  ühr 
Prof.  r.  Jhering. 

Römisches  Erbrecht :  fünfmal  von  3—  4  ühr  Prof.  Wolff. 

Römisches  Erbrecht:  Dr.  Zitelmann  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  10—11  ühr. 

Pandekten-Prakticum :  Dr.  Zitelmann,  Mittwoch  von  & 
-7  Uhr.  

Deutsche  Staats-  und  Rechtsgeschichte :  fünfmal  wöchent- 
lich von  10—11  Uhr  Prof.  Mejer. 

Geschichte  des  deutschen  Städtewesens :  Prof.  Frens- 
dorff  Mittwoch  und  Sonnabend  von  12  —  1  ühr. 

Deutsches  Privatrecht  mit  Lehnrecht:  Prof.  Frensdorff 
Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  11  —  1  Uhr. 

Handelsrecht  und  Wechselrecht  und  Seerecht:  fünfmal 
von  9—10  Uhr  Prof.  Thöl.  nach  seinem  Buch  (das  Han- 
delsrecht 5.  Aufl.    Das  Wechselrecht  4.  Aufl.). 

Seerecht:  zweimal  wöchentlich  Dr.  Ehrenberg. 

Die  Lehre  von  den  Handelsgesellschaften ,  sowie  den 
Erwerbs-  und  Wirthschaftsgenossenschaften :  einmal  wö- 
chentlich unentgeltlich  Dr.  Ehrenberg. 

Preussisches  Privatrecht:  viermal  wöchentlich  von  11 
—  12  Uhr  Prof.  Ziebarth. 


Deutaches  Strafrecht:  fünfmal  wöchentlich  von  10—11 
ühr  Prof.  Joh». 

Geschichte  des  Strafrechts  und  des  Strafprocesses  Dr. 
f.  JCn'e«  Montag  und  Donnerstag  von  4 — 5ühr  unentgeltlich. 

Pressstrafrecht:  Dr.  v.  Krtes  Sonnabend  von  11 — 12 
ühr  unentgeltlich. 

36» 


436 

Deutsches  Staatsrecht :  fünfmal  wöchentlich  von  11-12 
Uhr  Prof.  Mejer. 

Königthum  und  Kaiserthum  deutscher  Nation:  Dr. 
Sickel  Freitag  5—6  ühr  unentgeltlich. 

Kirchenrecht  einschliesslich  des  Eherechts  :  täglich  von 
8—9  Uhr  Prof.  Dave. 

Geschichte  der  Kirchenverfassung  und  des  Verhält- 
nisses von  Staat  und  Kirche:  Prof.  Dove  Dienstag  und 
Freitag  von  6—7  Uhr,  öffentlich. 

Deutscher  Strafprocess :  viermal  wöchentlich  von  10 — 
11  Uhr  Prof.   Zieharth. 

Strafprocess:  viermal  wöchentlich  von  9 — 10  ühr  Dr. 
V.  Kries. 

Geschichte  des  Strafprocesses:  Prof.  Ziebarth  Mittwoch 
von  10-11  Uhr,  öffentlich. 


Civilprocessprakticum :  Dienstag  und  Freitag  von  4 — 
6  Uhr  Prof.  John. 

Criminalistische  Uebungen:  Prof.  Zieharth  Mittwoch 
(oder  an  einem  anderen  Tage)  von  4 — 6  Uhr. 

Medicin. 

Zoologie,  vergleichende  Anatomie,  Botanik,  Chemie 
siehe  unter  Naturwissenschaften. 

Knochen-  und  Bänderlehre:  Prof.  Henle  Montag, 
Mittwoch,  Sonnabend  von  11  —  12  Uhr. 

Systematische  Anatomie  I.  Theil:  Prof.  Henle  täglich 
von  12-1  Uhr. 

Topographische  Anatomie :  Prof.  Henle  Dienstag,  Don- 
nerstag, Freitag  von  2—3  Uhr. 

Präparirübungen,  in  Verbindung  mit  Prosector  Dr.  v. 
Brunn  täglich  von  9—4  Uhr. 

Mikroskopische  Uebungen  (normale  Gewebelehre)  hält 
Dr.  V.  Brunn  wöchentlich  in  vier  zu  verabredenden  Stunden, 

Mikroskopischen  Cursus  in  der  normalen  Histologie 
hält  Prof.  Krame  Dienstag,  Donnerst,  u.  Freitag  von  2 — 
8  Uhr. 

Allgemeine  und  besondere  Physiologie  mit  Erläute- 
rungen durch  Experimente  und  mikroskopische  Demon- 
strationen: Prof.  Herbst  in  sechs  Stunden  wöchentlich 
um  10  Uhr. 


437 

Experimentalpbysiologie  II.  Theil  (Physiologie  des 
Nervensystpms  und  der  Sinnesorgane):  Prof.  Meitsner 
täglich  von  10  — H  Uhr. 

üeber  Auge  und  Mikroskop  trägt  Prof.  Listing  zwei 
Mal  wöchentlich  in  passenden  Stunden  privatissime  vor. 

Arbeiten  im  physiologischen  Institute  leitet  Prof. 
Meissner  täglich  in  passenden  Stunden. 


Allgemeine  Pathologie  und  Therapie  lehrt  Prof.  Krä- 
mer Montag,  Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  4  5  ühr 
oder  zu  anderen  passenden  Stunden. 

Allgemeine  Pathologie  trägt  Prof.  Orth  Montag,  Dienstag, 
Mittwoch,  Donnerstag  von  12 — 1  ühr  vor. 

Pathologische  Anatomie  der  Knochen  und  Muskeln 
lehrt  Prof.  Orth  Sonnabend  von  12 — 1  Uhr. 

Demonstrativen  Cursus  der  pathologischen  Anatomie 
and  Histologie  hält  Prof.  Orth  Montag,  Mittwoch  ,  Sonn- 
abend von  2-3  Uhr,  verbunden  Tnit  Sectionsübungen  au 
der  Leiche  zu  passenden  Stunden. 

Praktischen  Cursus  der  pathologischen  Histologie  hält 
Prof.  Orth  in  später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Physikalische  Diagnostik  mit  praktischen  üebungen 
lehrt  Prof.  Eichhorst  Montag  von  4—5,  Donnerstag  von 
4 — 6  Uhr.  Dasselbe  trägt  Dr.  Wiese  viermal  wöchentlich 
in  später  näher  zu  bezeichnenden  Stunden  vor. 

Larjngoskopische  üebnngen  hält  Prof.  Eichhorsi 
Montag  von  5-6  Uhr. 

lieber  Diagnostik  des  Harns  und  Sputums  nebst  prak- 
tischen Üebungen  trägt  Prof.  Eichhorst  Mittwoch  von  6 
— 7  Uhr  vor. 

Experimentelle  Arzneimittellehre  verbunden  mit  prak- 
tischen UebuDgen  im  Receptircn  und  Dispeuairen  lehrt 
Prof.  Marnie  dreimal  wöchentlich  von  5—6  Uhr. 

Die  gesammte  Arzneimittellehre,  mit  Demonstrationen 
and  Versuchen  verbunden,  trägt  Prof.  Husemann  fünfmal 
wöchentlich  von  3 — 4  Uhr  oder  zu  gelegenerer  Zeit  vor. 

Ausgewählte  Capitel  aus  der  Toxikologie  demonstrirt 
experimentell  Prof.  Marme  Donnerstag  von  6 — 7  Uhr 
öffentlich. 

Ueber  die  Gifte  des  Mineralreichs  trägt  Prof.  Huse- 
mann Mittwoch  von  2     3  Uhr  öflFentlich  vor. 

Pharmakologische  und  toxikologische  Untersuchungen 
leitet  Prof.  Manne  im  pharmakologischen  Institut  täglich 
privatissime  und  gratis. 


438 

Uebungen  und  Untersuchungen  aus  dfim  Gebiete  der 
Pharmakologie  und  Toxikologie  leitet  Prof.  Husemann 
in  gewohnter  "Weise. 

Pharmakognosie,  II.  Theil,  lehrt  Prof.  Wiffgers  fünÜBal 
wöchentlich  von  2—3  Uhr. 

Pharmacie,  II.  Theil,  lehrt  Prof.  Wigffers  sechsmal  wö- 
chentlich von  8—9  Uhr;  Dasselbe  Prof.  von  Uslar  4 
Stunden  um  3  Uhr ;  Dasselbe  Dr.  Stromeyer  privatissime. 

Elektrotherapeutische  Curse  verbunden  mit  praktischen 
Uebungen  an  Gesunden  und  Kranken  hält  Prof.  Marme 
zweimal  wöchentlich  in  später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Specielle  Pathologie  und  Therapie  2.  Hälfte:  Prof.  ^6- 
stein  Dienstag,  Mittwoch,  Freit.,  Sonnab.  von  4-— 5  Uhr. 
Ueber  acute  Infectionskrankheiten    trägt   Prof.  Hasse 
viermal  wöchentlich  vor. 

Ueber  Hautkrankheiten  und  Syphilis  trägt  Prof.  Krä- 
mer dreistündig  vor. 

Ueber  Kinderkrankheiten  2.  Theil  liest  Prof.  Eichhorst 
Dienstag  und  Freitag  von  6 — 7  Uhr. 

Die  medicinische  Klinik  und  Poliklinik  leitet  Prof. 
JEis^em  täglich  von  lOVj— 12  Uhr. 

Specielle  Chirurgie :  Prof.  Lohmeyer  fünfmal  wöchent- 
lich von  8—9  Uhr. 

Ueber  die  Krankheiten  der  Gelenke  trägt  Prof.  König 
viermal  wöchentlich  von  5—6  Uhr  vor. 

Die  Lehre  von  den  chirurgischen  Operationen  trägt 
Prof.  'Rosenhach  vier  Mal  wöchentlich  vor. 

Einen  chirurgisch-diagnostischen  Cursus  hält  Dr.  Riedel 
zweistündig. 

Einen  Verband-Cursus  hält  Dr.  Riedel  einstündig. 
Die   chirurgische  Klinik    leitet   Prof.   König    täglich 
ausser  Sonnabend  von  9 — 10  Uhr. 

Chirurgische  Poliklinik  wird  Sonnabend  von  10—11 
Uhr  von  Prof.  KUnig  u.  Prof.  Rosenbach  gemeinschaftlich 
und  ö£fentlich  gehalten. 

Die  Anomalien  der  Refraction,  Accommodation  und  der 
Muskeln  des  Auges   mit  praktischen  Uebungen  lehrt  Dr. 
Deutschmann   zweimal  wöchentlich   in  zu  verabredenden,. 
Stunden. 

Augenoperationscursus  hält  Prof.  Leier  Mittwoch  und 
Sonnabend  von  3—4  Uhr. 

Praktische  Uebungen  im  Gebrauch  des  Augenspiegels 
leitet  Prof.  lieber  gemeinsohaltlioh  mit  Dr.  Deutschmann 
Mittwoch  und  Sonnabend  von  12 — 1  Uhr. 


439 

Klinik  der  Augenkrankheiten  hält  Prof.  Leber  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag,  Freitag  von  12 — 1  Uhr. 

Demonstrativen  Cursos  der  Pathologie  und  Therapie 
des  Ohres  mit  üebangen  im  Untersuchen  des  Gehörorgans 
verbunden  hält  Dr.  Biirkner  Dienst,  u.  Freit,  von  2—3  Uhr. 

Poliklinik  für  Ohrenkranke  hält  Dr.  Biirkner  an  zwei 
noch  zu  bestimmenden  Tagen  von  12—1  Uhr. 

Geburtskande  trägt  Dr.  Harhcig  Montag,  Dienstag, 
Mittwoch,  Donnerstag,  Freitag  um  3  Uhr  vor. 

Gebnrtahülflichen  Operationscursus  am  Phantom  hält 
Prof.  Sckwartz  Mittwoch  und  Sonnabend  um  8  Uhr. 

Gynaekologische  Klinik  leitet  Prof.  Schxcartz  Montag, 
Dienstag,  Donnerstag  und  Freitag  um  8  Uhr. 

Psychiatrische  Klinik  in  Verbindung  mit  systematischen 
Vorträgen  über  Geisteskrankheiten  hält  Prof.  Meyer  Mon- 
tag und  Donnerstag  von  4—6  Uhr. 


Gerichtliche  Medicin  trägt  Prof.  Krause  Dienstag  und 
Freitag  von  4 — 5  Uhr  vor. 

Ueber  öflfentliche  Gesundheitspflege  trägt  Prof.  Meissner 
Dienstag,  Mittwoch.  Freitag  von  5-6  Uhr  vor. 

Anatomie,  Physiologie  und  specielle  Pathologie  derHaus- 
thiere  lehrt  Prof.  Esser  fünf  Mal  wöchentlich  von  8  —  9  Uhr. 

Klinische  Demonstrationen  im  Thierhospitale  hält  Prof. 
Esser  in  zu  verabredenden  Stunden. 

Philosophie. 

Geschichte  der  alten  Philosophie :  Prof.  Peipers,  Mont 
Dienst.  Donn.  Freit.,  5  Uhr.  —  Geschichte  der  neueren  Phi 
losophie,  mit  Einleitung  über  Patristik  und  Scholastik :  Prof 
Banmann,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit.,  5  Uhr.  Die  Phi 
losophie  Kants:    Dr.   üeberhorst,  Mittw.  u.  Sonn.  12  Uhr 

Logik  und  Encyclopädie  der  Philosophie:  Dr.  Reh 
nisch,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit.,  11  Uhr. 

Erkenntnisstheorie  und  Metaphysik:  Prof.  Baumann, 
Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.,  3  Uhr. 

Psychologie:  Prof.  Lntze,  vier  Stunden,  4  Uhr. 

Religionsphilosophie;  Prot  Lofze,  vier  Stunden,  10 Uhr, 

Geschichte  und  System  der  Naturphilosophie:  Dr. 
Müller,  vier  Stunden,  3  Uhr. 

Aesthetik :  Prof.  Bohtz ,  Mont.  Dienst.  Donnerst,  u. 
Freit.,  11  übr. 


440 

lieber  die  Tonempfindungen:  Dr.  Müller^  Mittwoch  4 
ühr,  unentgeltlich. 

Prof.  Peipers  wird  in  einer  philos.  Sooietät  Abschnitte 
aus  Kants  Kritik  der  reinen  Vernunft,  Mittw.  4  Uhr,  be- 
handeln, öffentlich. 

Philosophische  Uebungen:    Dr.  Rehnisch. 

Dr.  Ueberhorst  behandelt  in  einer  philos.  Soc.  Hume's 
Untersuchung  in  Betreff  des  menschlichen  Verstandes 
(v.  Kirchmanns  Uebersetzung),  Donnerst.  6  Uhr,  un- 
entgeltlich. 

Dr.  Müller  wird  in  einer  psychologischen  Soc.  einige 
ausgewählte  Kapitel  der  Psychologie  behandeln ,  Freit  6 
Uhr,  unentgeltlich. 

Geschichte  der  Pädagogik:  Prof.  Krüger,  zwei  Stun- 
den, 3  Uhr. 

Grundzüge  der  Geschichte  der  neueren  Pädagogik : 
Prof.  Baumann,  Mont.,  6  Uhr,  öffentlich. 

Die  Uebungen  des  K.  pädagogischen  Seminars  leitet 
Prof.  Sauppe,  Donn.  und  Freit.,  11  Uhr,  öffentlich. 

Mathematik  und  Astronomie. 

Analytische  Geometrie :  Prof.  Schwarz,  5  Stunden,  9  ühr. 

Ueber  Maxima  und  Minima  (in  geometrischer  Behand- 
lungsweise):  Vco f.  Schwarz,  Mont. u.  Donn.,  4Uhr,  öffentlich. 

Theorie  der  realen  ,  der  imaginären  und  der  idealen 
Zahlen :  Prof.  Schering,  Mont.  Dienst.  Donnerst.  Freit.,  8  Uhr. 

Algebraische  Analysis ,  mit  einer  Einleitung  über  die 
Grundbegriffe  der  Arithmetik:  Prof.  Stern,  fünf  Stunden, 
11  Uhr. 

Differential-  und  Integralrechnung  nebst  Einleitung 
in  die  analytische  Geometrie  der  Ebene:  Prof.  Enneper, 
Mont.  bis  Freit.,  10  Uhr. 

Theorie  der  bestimmten  Integrale:  Prof.  Stern,  4 
Stunden,  10  Uhr. 

Einleitung  in  die  Theorie  der  analytischen  Functionen : 
Prof.  Schwarz,  5  Stunden,  11  Uhr. 

Theorie  der  elliptischen  Funktionen  :  Prof.  Enneper, 
Mont.  bis  Freit.,  12  Uhr. 

Molecular -Mechanik:  Prof.  Schering,  Mont.  Dienst. 
Donn.  Freit.  9  Uhr. 

Hydrostatik:  Prof.  Ulricfi,  4  Stunden,  5  ühr. 


441 

Elektrodynamik  in  mathematischer  Behandlang:  Dr. 
Fromme,    Dienst,  n.  Donn.  12  Uhr. 

Theoretische  Astronomie:  Prof.  Klinkerfues,  Mont. 
Dienst.  Donnerst,  u.  Freit.  12  Uhr. 

In  dem  mathematisch  -  physikalischen  Seminar  leiten 
mathematische  Hebungen  Prof.  Stern,  Mittwoch  10  Uhr, 
und  Prof.  Schering,-  Mittw.  B  Uhr;  leitet  geometrische 
Uebungen  Prof.  Schwarz,  Freit.  12  Uhr;  giebt  Anleitung 
zur  Anstellung  astronomischer  Beobachtungen  Prof.  Klin- 
kerfties ,  in  einer  passenden  Stande.  Vgl.  Naturwissen- 
schaften S.  441. 

Mathematische  CoUoquien  wird  Prof.  Schwarz,  priva- 
tissime  und  unentgeltlich,  wie  bisher  leiten. 

Naturwissenschaften . 

Specielle  Zoologie.  2r  Theil:  Prof.  Ehlers,  Mont. — 
Freit.  10  Uhr. 

Anthropologie:  Frol. Ehlers,  Mont. Dienst. Mittw.,  6 Uhr. 

Zootomisch-mikroskopischer  Kurs :  Prof.  Ehlers,  Dienst, 
und  Donnerst.  11  —  1  Uhr. 

Zoologische  Uebungen  wird  Prof.  Ehlers  täglich  mit 
Ausnahme  des  Sonnabend  von  10  —  1  Uhr  anstellen. 

Eine  zoologische  Societät  leitet  Prof.  Ehlers,  priva- 
tissime,  unentgeltlich. 

Allgemeine  Einleitung  in  die  Botanik:  Dr.  Drude, 
Mont.  bis  Freit.,  12  Uhr. 

Allgemeiner  Theil  der  Physiologie  der  Pflanzen:  Prof. 
Grisebach,  Mont.  a.  Donnerstag,  4  Uhr. 

Pflanzengeographie:  Prof.  Grisebach,  Dienst,  u.  Freit., 
4  Uhr. 

Allgemeine  Botanik  (incl.  Anatomie  und  Physiolog^ie 
der  Pflanzen):  Prof.  Reinke  ,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit., 
12  Uhr. 

Ueber  officinelle  und  medicinisch  -  wichtige  Pflanzen: 
Prof.  Reinke,  Dienst,  u.  Freit.,  4  Uhr. 

Ueber  die  Krankheiten  der  Cultargewächse :  Prof. 
Reinke,  Mittw.  12  Uhr. 

Demonstrationen  von  Pflanzen  des  botanischen  Gar- 
tens :  Prof.   Grisebach,  Mittw.   11   Uhr ,  öffentlich. 

Mikroskopisch  -  botanischer  Kursus :  Prof.  Reinke, 
Mittw.  von  8-12  Uhr. 

Mikroskopisch-pharmaceutischer  Korsus:  Prof.  Reinke^ 
Sonnabend  9—11  Uhr. 


442 

Mikroskopischer  Kursus  zur  Untersuchung  von  Nah- 
rungs-  und  Genussmitteln:  Prof.  Heinke ,  Sonnabend  11 
—  1  Uhr. 

Anleitung  zu  eigenen  botanischen  Untersuchungen 
giebt  Dr.  Drude,  Mittw.  2—4  und  Sonnab.  8  —  1  Uhr, 
privatissime. 

Mit  den  Fortgeschritteneren  wird  *Dr.  Drude  die  bo- 
tanische Societät  Donnerst.  Abend  6  Uhr  fortsetzen. 


Mineralogie:  Prof.  Klein,  fünf  Stunden,  11  Uhr. 

Elemente  der  Mineralogie,  mit  besonderer  Berück- 
sichtigung der  nutzbaren  Mineralien,  verbunden  mit  De- 
monstrationen und  Uebungen :  Dr.  Lauff ,  Mont.  Dienst. 
Donn.  Freit.,  2  Uhr. 

Krystallographie  (nach  Miller)  und  Krystalloptik : 
Prof.  Listing,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.  12  Uhr. 

Palaeontologie :  Prof.  von  Seebach,  fünf  Stunden,  9  Uhr. 

Petrographische  und  palaeontologische  Uebungen  leitet 
Prof.  von  Seebach,  Montag,  Dienstag  und  Donnerstag 
10—1  Uhr,  privatissime,  aber  unentgeltlich. 

Mineralogische  Uebungen:  Prof.  Klein,  Sonnabend 
10-12  Uhr,  öffentlich. 

Krystallographische  Uebungen:  Prof.  Klein,  priva- 
tissime, aber  unentgeltlich,  in  zu  bestimmenden  Stunden. 

Die  in  der  Geologie  Fortgeschritteneren  ladet  Prof.  von 
Seebach  zu  der  geologischen  Gesellschaft  ein,  Mittwoch 
Abends  6-8  Uhr. 


Experimentalphysik ,  zweiter  Theil :  Magnetismus, 
Elektricität  und  Wärme:  Prof.  Riecke ,  Mont.  Dienstag 
Donnerstag  Freitag,  5  Uhr. 

Ueber  Auge  und  Mikroskop:  Prof.  Listing^  privatis- 
sime, in  zwei  zu  verabredenden  Stunden. 

Die  praktischen  Uebungen  im  physikalischen  Labora- 
torium leitet  Prof.  Riecke ,  in  Gemeinschaft  mit  den  As- 
sistenten Dr.  Fromme  und  Kand.  Niemöller  (Ehi^te  Ab* 
theiluüg:  Dienst.  Donnerst.  Freit.  2 — 4  Uhr  und  Sonn- 
abend 9-1  Uhr;  zweite  Abtheilung:  Dienst,  u.  Freit. 
2—4  Uhr,  Sonnabend  11  —  1  Uhr). 

Physikalisches  Colloquium :  Prof.  Listint/ ,  Sonnabend 
11—1  Uhr. 

Repetitorium  der  Physik ,  in  gewohnter  Weise :  Dr. 
Promme,  Dienst,  u.  Freit.  6  Uhr,  privatissime. 

Mechanik  und  Elektrodynamik:  \g\.  Mathematik  S.440. 


443 


In  dem  mathematisch  -  physikalischen  Seminar  leitet 
physikalische  Uebangen  Prof.  Listing,  Mittwoch,  um  12 
Uhr.  Ausgewählte  Kapitel  der  Experimentalphysik  und 
der  mathematischen  Physik:  Prof.  Rieeke ,  Mittwoch  11 
Uhr.     Vgl.  Mathematik  und  Astronomie  S.  440. 


Allgemeine  Chemie:  VroL  Hubner,  sechs  Stund.,  9  Uhr. 

Allgemeine  organische  Chemie  (2r  Theil) :  Prof.  ffüb- 
ner,  Freit.,  12  Uhr. 

Organische  Chemie  für  Mediciner:  Prof.  von  Uslar,  in 
später  zu  bestimmenden  Stunden. 

Organische  Chemie  für  Landwirthe:  Prof.  ToUens, 
Mont.  u.  Dienst.  10  Uhr. 

Technische  Chemie  für  Landwirthe :  Prof.  TolUns, 
Mittw.  Donnerst,  u.  Freit.  10  Uhr. 

Chemische  Technologie,  IL  Theil:  Dr.  Post,  Dienst, 
und  Donnerst.,  12  Uhr. 

Quantitative  Analyse:  Dr.   Fost,  2  Stunden. 

Qualitative  Analyse:  Hr.  Post,  2  Stunden,  anentgeltlich. 

Einzelne  Zweige  der  theoretischen  Chemie:  Dr.  Stro' 
meyer,  privatissime. 

üebungen  in  chemischen  Rechnungen  (Stoechiometrie) : 
Prof.   ToUens,  Dienst.,  5  Uhr,  öffentlich. 

Die  Vorlesungen  über  Pharmacie  s.  unter  Medicin  S.437. 

Die  praktisch-chemischen  üebungen  und  wissenschaft- 
lichen Arbeiten  im  akademischen  Laboratorium  leiten  die 
Professoren  Wähler  und  Hühner  in  Gemeinschaft  mit  den 
Assistenten  Dr.  Jannasch,  Dr.  Post^  Dr.  Frerichs,  Dr. 
Polistorf,  Dr.  Brückner,  Dr.  Rudolph. 

Prof.  Boedeker  leitet  die  praktisch  -  chemischen  üe- 
bungen im  physiologisch -chemischen  Laboratorium,  täg- 
lich (mit  Ausschl.  d.  Sonnab.)  8 — 12  und  2-4  Uhr. 

Prof.  ToUens  leitet  die  üebungen  im  agriculturchemi- 
schen  Laboratorium  in  Gemeinschaft  mit  dem  Assistenten 
Dr.  Schmöger  ,  Mont.  bis  Freit,  von  8 — 12  und  von  2  — 
4  Uhr. 


Historische  Wissenschaften. 

Allgemeine  Erdkunde:  Dr.  Krümmet,  Mont.,  Dienst., 
Donn.,  Freit  6  LTir. 

Praktische  Diplomatik  mit  üebungen :  Prof.  Weizsäcker^ 
Mont.  und  Dienst.  9  Uhr. 


444 

Allgemeine  Geschichte  des  Mittelalters:  Prof.  Pauli, 
vier  Stunden,  8  Uhr. 

Geschichte  unserer  Zeit :  Prof.  Pauli,  4  Stunden,  5  Uhr. 

Deutsche  Geschichte  im  Mittelalter :  Dr.  Bernheim,  vier 
Stunden,  10  Uhr. 

Vergleichende  Verfassungsgeschichte  Deutschlands  und 
Frankreichs:  Prof.    Weizsäcker,  4  Stunden,  4  Uhr. 

Aeltere  Geschichte  Frankreichs :  Prof.  Steindorff,  Mitt- 
woch u,  Sonnabend,  10  Uhr. 

Geschichte  Italiens  seit  dem  Beginn  des  Mittelalters: 
Assessor  Dr.  Wüstenfeld,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit., 
10  Uhr,  unentgeltlich. 

Ueber  moderne  Geschichtsauffassung:  Dr.  Bernhehn, 
1  Stunde,  6  Uhr,  unentgeltlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Pauli,  Mittwoch,  6 
Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Weizsäcker,  Freitag, 
6  Uhr,  öffentlich. 

Historische  Uebungen  leitet  Prof.  Steindorff,  Donnerst., 
6  Uhr  öffentlich. 

Historische  Uebungen:  Dr.  Bernheim,  Dienst.,  6  Uhr, 
unentgeltlich. 

Historische  Uebungen:  Dr.  Höhlbawn,  1  Stunde,  un- 
entgeltlich. 

Kirch en geschichte :  s.  unter  Theologie  S.  434. 

Geschichte  des  deutschen  Städtewesens  s.  unter  Rechts- 
wissenschaft S.  435. 

Staatswissenschaft  und  Landwirthschaft. 

Einleitung  in  das  Studium  der  Statistik :  Prof.  Wappätis, 
Mittw.  u.  Sonn.,  11  Uhr. 

Nationalökonomie:  Dr.  Pierstorff,  4  Stunden,  5  übr. 

Volkswirthschaftspolitik  (praktische  Nationalökonomie) : 
Prof.  Hanssen,  vier  Stunden,  3  Uhr. 

Lehre  vom  Gelde  und  Kredit:  ]^roi.  Soetheer ,  Dienst, 
und  Donn.,  6  Uhr. 

Entwicklung  der  Fabrikgesetzgebung  in  England:  Dr. 
Pierstorff,  Mittw.,  6  Uhr,  unentgeltlich. 

Unterredungen  über  kameralifitische  Gegenstände:  Prof. 
Hanssen,  in  2  zu  bestimmenden  Stuuden,  privatissime, 
aber  unentgeltlich. 

Verfassungsgeschichte  von  Deutschland  und  Frank- 
reich :  vgl    Histor.    Wissensch.  S.  444. 


445 

Einleitnng  in  das  landwirthschaflliche  Stadium:  Prof. 
Drechsler,   1  Stunde,  öffentlich. 

Allgemeine  Ackerbaulehre :  Dr.  Fesca,  zweimal  wöchent- 
lich, 10—11  Uhr. 

Die  Ackerbausysteme  (Felderwirthschaft,  Feldgraswirth- 
schaft,  Fruchtwechselwirthschaft  u.  s.  w.l:  Prof.  Griepen- 
kerl,  in  zwei  passenden  Stunden,  unentgeltlich. 

Die  allgemeine  und  specielle  landwirthschaftliche  Tliier- 
productionslehre  (Lehre  von  den  Nutzungen,  Rayen  der 
Züchtung,  Ernährung  und  Pflege  des  Pferdee,  Rindes, 
Schales  und  Schweines) :  Froi.  Griepen/cert,  Mont,  Dienst.' 
Donnerst,  und  Freit.,  5  Uhr.  —  Im  Anschluss  an  diese 
Vorlesungen  werden  Exkursionen  nach  benachbarten  Land- 
gütern und  Fabriken  veranstaltet  werden. 

Landwirthschaftliche  Betriebslehre:  Prof.  Drechsler, 
vier  Stunden,  4  ühr. 

Die  Lehre  vom  Futter:  Prof.  Henneberg,  Mont.,  Dienst 
und  Mittw.,  11  ühr. 

Landwirthschaftliches  Praktikum :  Prof.  Drechsler  und 
Dr.  Fesca  (üebungen  im  landw.  Laboratorium,  Freit,  u. 
Sonnab.  9  —  1  Uhr;  Üebungen  in  landw.  Berechnungen, 
Dienst,  und  Donnerst.,  12  Uhr). 

Landwirthschaftliche  Societät :  Prof.  Drechsler,  priva- 
tissime,  unentgeltlich. 

Exkursionen  und  Demonstrationen:  Prof.  Drechsler 
Mittwoch  Nachmittag. 

Organ,  u.  techn.  Chemie  u.  praktisch-chemische  Üebungen 
f.  Landwirthe  s.  unter  Xaturwissenschaften  S.  441. 

Anatomie,  Physiologie  und  Pathologie  der  Hausthiere 
8.  Medicin  S.  439. 

Literärgeschichte. 

Geschichte  der  griechischen  Dichtung  bis  auf  Alexander 
den  Gr.:  ?rof. Dilthei/,  Mont.  Dienst.  Donn.  Freit.,  12 ühr. 

Geschichte  der  deutschen  Nationalliteratur  bis  zum  An- 
fang des  16.  Jahrhunderts:  Prof.  W.  Müller,  vier  Stunden 
3  Uhr.  ' 

üeber  die  deutsche  Dichtung  des  16.  Jahrhunderts- 
Prof.  Gotdeke,  Mittw.  5  Uhr,  öflFentlich. 

Alterthumskunde. 

Die  bauliche  Einrichtung  des  griechischen  und  römi- 
schen Theaters   ausemandersetzen ,  die  scenischen   Alter- 


W6 

thümer  der  Griechen  vortragen  und  EuripidesKyklops  er- 
klären wird  Prof.  Wieseler,  vier  oder  fünf  Stunden,  10  Uhr. 

Im  k.  archäologischen  Seminar  wird  Prof.  ^«««'^^f^ 
ausgewählte  Kunstwerke  erklären  lassen,  Sonnabend  12 
Uhr,  öffentlich.  -  Die  schriftlichen  Arbeiten  der  Mitglie- 
der wird  er  privatissime  beurtheilen. 

Römische  Staatsalterthümer:  Dr.  Gilbert,  vier  Stunden, 

A    TTVir 

Deutsche  Mythologie:  Dr.  Wüken,  Mittw.,  4  Uhr,  un- 

^^^üibe^r  'die  deutsche  Heldensage:  Dr.  Tittmann,  Dienst, 
u.  Freit.,  6  (Ihr,  unentgeltlich. 

Vergleichende  Sprachlehre. 

Ueber  die  Entwicklung  der  indogermanischen  Sprachen 
und  Völker:  Prof.  Fick,  2  Stunden,  10  Uhr,  öffentlich 

Erklärung  der  umbrischen  und  oskischen  Sprachdenk- 
mäler: Prof.  Fick,  4  Stunden,  10  Uhr.  .    ,      t,     .,. 

Litauische  Grammatik  und  Erklärung  litauischer  Texte. 
Dr.  Bezzenherger,  2  Stunden. 

Orientalische  Sprachen. 

Die  Vorlesungen  über  das  A.  und  N.  Testament  siehe 
unter  Theologie  S.  433.  „,./.,  ^  n 

Ausgewählte  Stücke  aus  Arabischen  Schriftstellern  er- 
klärt Prof.    Wnstenfeld  privatissime. 

Hebräische  Gesellschaft  s.   Theologie,  %  J^%b. 

Grammatik  der  Sanskritsprache:  Frot  Benfey,  m  drei 
zu  verabredenden  Stunden. 

Griechische  und  lateinische  Sprache. 
Aristophanes  Frösche:  Troi.  von  Leutsch,  vier  Stunden, 

Wnr^nulps  KvkloDS :   Vgl-  AUerfhutmkunde  S.  446. 
SÄe lerlriechfschen  Metrik  und  die  Elemente 
der  Rhythmik:   Prof.  von  Leuisch,  vier  Stunden,  10  Uhr. 
Griechische  Syntax :  Prof.  Sauppe,  Mont.,  Dienst.,  Donn., 

Freit.,  9  Uhr.  t  ..    «       q    aak 

Geschichte  der  griech.  Dichtung  s-  ^f '^'j^rf '  J«  ^J^„ 
Plautus  Pseudulus:  Vroi.Sauppe,  Moni.  Dienst.  Donn. 

^'Im  K."pWlologiechen  Seminar   leitet  die  schriftlichen 
Arbeiten  und  Disputationen  Vvoi.Diltheg,  Mittw.  U  Uhr, 


447 

läflst  Theognis  erklären  Prof.  fo«  i«M/«cA.  Mont.  n.  Dienst., 
11  Uhr;  lässt  Lucretius  B.  I  erklären  Prof.  Sauppe,  Don- 
nerst, n.  Freit.,  11  Uhr,  alles  öffentlich. 

Im  philologischen  Proseminar  leiten  die  schriftlichen 
Arbeiten  und  Disputationen  die  Proff.  v.  Leutsch  (Mittw. 
10  Uhr) ,  Sauppe  (Mittw.  2  Uhr)  und  Düthey  (Sonnab. 
U  Uhr);  läsBt  Tyrtäus  Prof.  v.  Leutsch  Mittw.  10  Uhr, 
und  Lucretius  B.  VI  Prof.  Sauppe  erklären,  Mittw.  2  Uhr, 
alles  öffentlich. 

Deutsche    Sprache. 

Grammatik  der  gotischen  Sprache:  Prof.  Fick,  zwei 
Stunden,  11  Uhr,  öffentlich. 

Gotische  Grammatik  und  Lektüre  der  gotischen  Bibel- 
übersetzung: Dr.    JrUken,  Mittw.  u.  Sonnab.  11  Uhr. 

Altnordische  Grammatik  und  Lektüre:  Dr.  Wilken, 
Mont.  Dienst.  Donnerst.,  9  Uhr. 

Die  althochdeutschen  Dialekte  und  ihre  Quellen:  Dr. 
Bezzenherger,   1  Stunde,  unentgeltlich. 

Erklärung  althochdeutscher  und  mittelhochdeutscher 
Dichtungen  nach  W.  Wackernagels  kleinerem  altdeutachem 
Lesebuche:  Prof.  U'.3Iü'ller.  Mont.,  Dienst.,  Donn.,  10 Uhr. 

Die  Uebungen  der  deutschen  Gesellschaft  leitet  Prof. 
WM.  Müller,  Dienst.  6  Uhr. 

Geschichte  der  deutschen  Literatur :  s.  Literärgeschichte 
S.  445. 

Neuere  Sprachen. 

Altfranzösische  Grammatik,  mit  Erläuterung  des  Ro- 
landsliedes (nach  seiner  Ausgabe,  1878) :  Prof.  Th.  Müller, 
Mont.,  Dienst.,  Donnerst.,  4  Uhr. 

Uebungen  in  der  französischen  und  englischen  Sprache, 
die  ersteren  Mont.  Dienst.  Mittw.,  die  letzteren  Donnerst. 
Freit.  Sonnabend  12  Uhr:  Prof.  Th.  Müller. 

In  der  romanischeu  Societät  wird  Derselbe,  Freitag  4 
Uhr ,  öffentlich ,  die  Elemente  der  italienischen  Sprache 
lehren. 

Schöne  Künste.  —  Fertigkeiten. 

Unterricht  im  Zeichnen  mit  besonderer  Rücksicht  auf 
naturhistorische  und  anatomische  Gegenstände:  Zeichen- 
lehrer Peters^  Sonnabend  Nachm.  2—4  Uhr. 


448 

Geschichte  der  Musik  der  letzten  Jahrhunderte:  Prof. 
Krüger,  vier  Stunden,  12  Uhr. 

Harmonie-  und  Kompositionslehre  ,  verbunden  mit 
praktischen  Uebungen:  Musikdirector  Hille ,  in  passen- 
den Stunden. 

Zur  Theilnahme  an  den  Uebungen  der  Singaka- 
demie und  des  Orchesterspielvereins  ladet  Derselbe  ein. 

Reitunterricht  ertheilt  in  der  K.  Universitäts  -  Reit- 
hahn der  Univ.-Stallmeister  Schweppe,  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag,  Freitag,  Sonnabend  Morgens  von  8  —  12  und 
Nachm.   (ausser  Sonnabend)  von  3 — 4  Uhr. 

Fechtkunst  lehrt  der  Universitätsfechtmeister  Grüne- 
klee, Tanzkunst  der  Universitätstanzmeister  Höltzke. 

Oeffentliche   Sammlungen. 

Die  üniversiüitshihliothek  ist  geöifnet  Montag,  Dienstag, 
Donnerstag  und  Freitag  von  2  bis  3,  Mittwoch  und  Sonn- 
abend von  2  bis  4  Uhr.  Zur  Ansicht  auf  der  Bibliothek 
erhält  man  jedes  Werk,  das  man  in  gesetzlicher  Weise 
verlangt;  verliehen  werden  Bücher  nach  Abgabe  einer 
Semesterkarte  mit  der  Bürgschaft  eines  Professors. 

Ueber  den  Besuch  und  die  Benutzung  der  theologi- 
schen  Seminarbibliothek ,  des  l'heatrtim  anatomicum ,  des 
physiolo'gischvn  Inntitiits,  der  pathologischen  Sammlung, 
der  Sammlung  von  Maschinen  und  Modellen,  des  zoolo- 
gischen und  cthnograiihischvn  3Iuseums ,  des  botanischen 
Gartens,  der  Sternwarte,  des  physikalische?!  Cabinets, 
der  mineralogischen  und  der  geognostisch-paläontologischen 
Sammhing,  der  chemischen  Laboratorien ,  des  archäologi- 
schen Musetims,  der  Gemäldesammlung,  der  Bibliothek 
des  k.  philologischen  Seminars,  des  diplomatischen  Appa- 
rats, der  Sammlungen  des  landtvirihschaftlichen  Institute 
bestimmen  besondere  Reglements  das  Nähere. 


Bei  dem  Logiscommissär,  Pedell  Bartels  (Weender8t.82), 
können  die ,  welche  Wohnungen  suchen ,  sowohl  über 
die  Preise,  als  andere  Umstände  Auskunft  erhalten 
und  auch  im  voraus  Bestellungen  machen. 


449 

Xach  richten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


14.  Augüst.  M  14.  1878. 

KöDiflfliche  Geselisrhaff  der  WigseHschaften. 

Sitznng  am   3.  Angnst. 

Klein,  über  den  Feldspath  im  Basalt  vom  Hohen  Hagen 
bei  Göttingen  und  seine  Beziehungen  zum  Feldspath 
von  Mte.  Gibele  auf  der  Insel  Pantellaria. 

T  h  0  m  a  e ,   corresp.  Sätze  aus  der  Fnactionstheorie. 


Ueber  deu  Feldspath  im  Basalt  vom 
Hohen  Hagen  bei  Göttingen  und  seine 
Beziehungen  zu  dem  Feldspath  von 
Mte.  Gibele    auf  der   Insel  Pantellaria. 

Von 

C.  Klein. 

In  den  Studien  des  Göttingischen  Vereins 
bergmännischer  Freunde  1849  Bd.  V  p.  83  u.  f. 
hat  Hausmann  das  A^orkommen  des  sogenannten 
glasigen  Feldspaths  vom  Hohen  Hagen  beschrie- 
ben ,  sein  specifisches  Gewicht  zu  2,5927  ange- 
geben und  zwei  von  Schuedermaun  ausgeführte 
Aualyseu  mitgetheilt,  von  denen  die  weiter  un- 
ten au  erster  Stelle  stehende  vielfach  in  Lehr- 
und  Haudbücher,  so  z.  B.  in  die  Mineralchemie 
von  Rammelsl)erg  übergegangen  ist. 

Nach  dieser  Analyse  besteht  der  Feldspath 
aus: 

37 


460 

Kieselsäure         64,86 
Thonerde  21,46 

Kali  2,62 

Natron  10,29 

Kalkerde  J 

Talkerde  j     Spuren 

Eisenoxyd  ) 


99,23 

Eine  zweite  Analyse,  wohl  mit  Rücksicht  auf 
die  Sicherstellung  des  hohen  Natrongehaltes  der 
ersten  unternommen,   ergab  (1.  c.  p.  348)  : 

Kieselsäure         64,89 

Thonerde  21,92 

Kali  4,15 

Natron  7,53 


Kalkerde 
Talkerde 


Spuren 


97,49 

In  dieser  neuen  Analyse  ist  die  Kieselsäure,  wie 
Hausmann  angibt,  aus  der  ersten  Zerlegung  ent- 
nommen, aber  es  scheint  auch  keine  neue  Prü- 
fung auf  Kalk  stattgefunden  zu  haben.  Dieser 
letztere  ist  indessen  unzweifelhaft  vorhanden  und, 
wenn  man  die  Differenz  von  97,49  zu  100  als 
Kalk  ansieht,  so  drückt  die  zweite  Schneder- 
mann'sche  Analyse  recht  befriedigend  die  Con- 
stitution des  Minerals  aus. 

Diese  zweite  Analyse  ist  indessen  unberück- 
sichtigt geblieben ;  die  Handbücher  nehmen  bis 
auf  die  Miller'sche  Mineralogie  1852  p.  307  nur 
von  der  ersten  Analyse  Notiz  und  stellen  den 
Feldspath  vom  Hohen  Hagen  zu  den  Sanidineu 
mit  hohem  Natrongehalt. 

In  der  That  zeigt  auch  dieser  Feldspath  bei 
einer  oberflächlichen  Betrachtung  Vieles,  was 
an  Sanidin  erinnert.    Mißt  man  die  Winkel  voii 


451 

Spaltstückchen  nach  Basis  und  seitlichem  Pina- 
koid,  so  weichen  sie  wenig  von  90°  ab,  geben 
oft  diesen  Werth  ganz  genau ;  die  optische  Orien- 
tirung  ist  in  SchlifiFen  nach  der  Basis  fast  der 
Kante  P  :  M  senkrecht  und  parallel  und  auf 
dem  seitlichen  Piuakoid  findet  mit  derselben 
Kante  eine  Schiefe  der  Hauptauslöschungsrich- 
tung  des  Lichtes  statt,  die  nur  wenig  von  dem 
für  den  Sanidin  bekannten  Werthe  verschie- 
den ist. 

Nach  all'  diesen  Merkmalen  könnte  man 
glauben  einen  raonoklinen  Feldspath  vor  sich 
zu  haben  und  doch  ist  dem  nicht  so. 

Wenn  man  zu  einer  genaueren  Untersuchung 
Schliffe  nach  der  Basis  herstellt  und  darauf  ach- 
tet, daß  dieselben  normal  zum  seitlichen  Pina- 
koid  seien,  so  findet  mau  stets  für  die  Haupt- 
masse des  Feldspaths  eine  schiefe  Auslöschung 
gegenüber  der  Kante  P  :  M.  Es  wurde  bei 
Anwendung  von  Na  licht  und  unter  Zuhülfe- 
nahme  der  Brezina'schen  Doppelplatte  ^)  sowohl, 
als  auch  der  Quarzplatte,  vermittelst  des  polari- 
sirenden  Mikroskops  gefunden,  daß  eine  Abwei- 
chung von  3°  —  4°    zu  beobachten   ist   und  die 

1)  Bei  dieser  Gelegenheit  wurde  meist  mit  einer  aaf 
das  Ocular  des  Mikroskops  orientirt  aufzasetzenden  Bre* 
zina'schen  Platte  gearbeitet.  —  Die  Verwendbarkeit  der- 
selben beim  Groth'scben  Stauroskop  läßt  sich  dadurch 
bedeutend  steigern,  daß  man  die  Krystallplatte  nicht 
völlig  das  Loch  des  schwarzen  Glases,  auf  das  sie  befe- 
stigt wird,  überdecken  läßt,  so  daß  noch  etwas  Licht 
seitlich  durchgeht.  Durch  Neigen  des  Auges  sieht  man 
dann  die  Erscheinung  ein  Mal  ungestört,  das  andere  Mal 
beobachtet  man  die  Veränderung  derselben,  welche  durch 
die  Krystallplatte  bewirkt  worden  ist,  kann  durch  Drehen 
des  Tisches  die  zweite  Erscheinung  immer  vollkommener 
werden  lassen  und  dieselbe  gewissermaßen  auf  die  erste 
einstellen.  — 

37* 


452 

klarsten    Stellen  Werthe    von    SVa»— 3^4^    er- 
geben. 

Vielfach  zeigten  sich  im  polarisirten  Lichte 
Zwilliügslamellen  nach  dem  Gesetze:  »Zwillings- 
axe  senkrecht  auf  ilf«  in  den  Schliffen  einge- 
schaltet. Diese  Lamellen  variiren  in  ihrem  Auf- 
treten sehr  und  verlaufen  von  breiten  nebenein- 
ander herziehenden  Bändern  bis  zu  den  feinsten 
in  einander  gekeilten  Partien^).  Letztere  wer- 
den, besonders  bei  Anwendung  der  Quarzplatte 
im  Mikroskop,  als  in  Zwillingsstellung  befindlich 
erkennbar,  die  meisten  der  ersteren  lassen,  bei 
einer  gewissen  Breite,  eine  Abweichung  der 
Hauptauslöschungsrichtung  des  Lichts  von  der 
Kante  P  :  M  bis  zu  3^  und  4®  wahrnehmen. 

Stellen,  die  sich  bezüglich  der  Kante  P :  M 
orientirt  erweisen  würden,  habe  ich  in  den  ge- 
nau senkrecht  zu  M  gefertigten  SchHfPen  nicht 
beobachten  können ,  dagegen  zeigten  sich  mir 
bisweilen  Lamellen,  die  eine  größere  Abweichung, 
als  die  vorhin  erwähnte,  nämlich  von  etwa  10^, 
darboten.  Auf  die  Deutung  dieser  übrigens  nicht 
oft  beobachteten  Lamellen  werde  ich  später  ein- 
gehen. 

Fertigt  man  Schliffe  nach  dem  seitlichen 
Pinakoid  ilf  an,  so  zeigt  sich  eine  Schiefe  von 
6^40',  gebildet  von  der  Hauptauslöschungsrich- 
tung des  Lichts  mit  der  Kante  P  :  31  und  lie- 
gend im  stumpfen  ebenen  "Winkel  der  Kanten 
P  :  31  und  31  :  1c.  Diese  Zahl  stellt  einen 
Mittelwerth  zahlreicher  mit  Na  licht  ausgeführter 
Beobachtungen  dar. 


1)  Die  überaus  feine  Bildung:  dieser  Zwillingslamellen 
gestaltet  die  Basis  %a  einer  Scheinfläche  um,  auf  der  die 
Differenzen  der  Neigungen  1'  :  M  auRgeglichen  sind,  so 
daß  dann  P  :  M  fast  unter  90°  neigt. 


453 

Schleift  man  endlich  Dünnschliffe  aus  der 
Zone  der  Basis  zum  vorderen  Pinakoid  Ä,  so 
zeigen  sich  im  polarisirten  Lichte  die  Zwillings- 
lamellen sehr  deutlich  und  die  Auslöschungs- 
schiefe nimmt  in  den  einzelnen  Individuen  ge- 
genüber der  Zwillingsgrenze  zu ,  bis  der  Schliff 
normal  zur  ersten  Mittellinie  der  optischen  Axen 
steht. 

In  Schliffen,  die  ungefähr  in  der  Richtung 
des  vorderen  Pinakoids  gefertigt  waren,  aber 
nicht  senkrecht  auf  dem  seitlichen  standen, 
konnte  ich  eine  Schiefe  von  5°  in  dem  einen, 
von  13^8*^  in  dem  anderen  Systeme  der  Zwil- 
liugslamellen  beobachten.  In  einem  besser  orien- 
tirten,  d.  h.  näher  senkrecht  auf  M  stehenden 
Schliff  derselben  Lage,  waren  diese  Abweichun- 
gen 9Vs^  und  10^ 

Waren  die  Schliffe  annähernd  senkrecht  zur 
ersten  Mittellinie  der  optischen  Axen  und  dabei 
möglichst  senkrecht  auf  dem  seitlichen  Pinakoid, 
so  beobachtete  ich  bei  Untersuchung  der  Zwil- 
lingslamelleu : 

15*^  Abweichung  in  dem  einen;  12°  in  dem  an- 
deren Individuum 

13®  Abweichung  in  dem  einen;  11  <>  in  dem  an- 
deren Individuum 

14°  Abweichung  in  dem  einen;  12<'  in  dem  an- 
deren Individuum 

IS**  Abweichung  in  dem  einen;    14^/8*'    in   dem 

anderen  Individuum, 

ein  jedes  Mal  von  der  Zwilliugsgrenze  aus  ge~ 
messen.  Ich  glaube  sonach,  daß  bei  genau  senk- 
rechter Führung  des  Schliffs  zur  ersten  Mittel- 
linie noch  größere  Werthe  erhalten  werden  kön- 
nen, wenngleich  der  von  Des-Cloizeaux  angege- 
bene Werth  für  die  von  ihm  untersuchten  Oligo- 


454 

klase  mit    18°  10'    nicht   ganz   erreicht  werden 
dürfte. 

Daß  der  vorliegende  Feldspath  aber  ein  Oligo- 
klas  und  kein  Orthoklas  sei,  das  beweisen  die 
eben  erwähnten  Schliffe  auf  das  Beste,  und  nicht 
eine  Spur  von  Feldspath,  der  Auslöschung  senk- 
recht und  parallel  der  Zwillingsgrenze  zeigen 
würde,  ist  in  ihnen  vorhanden,  wie  mich  eine 
eingehende  und  sorgfältige  Prüfung  der  biswei- 
len sehr  feinen  Zwillingslamellen  mit  der  Quarz- 
platte gelehrt  hat.  Ueberdies  beobachtet  man 
noch  in  den  beiden  letzten  Arten  von  Schliffen 
(nach  dem  vorderen  Pinakoid  und  nahe  senk- 
recht zur  ersten  Mittellinie)  Lamellen  annähernd 
nach  der  Basis  (Gesetz:  Zwillingsaxe  die  Makro- 
diagonale) eingelagert,  wodurch  das  Ansehen  der 
Schliffe  im  polarisirten  Lichte  ein  sehr  fein  git- 
terartiges wird. 

An  drei  Präparaten ,  annähernd  senkrecht 
zur  ersten  Mittellinie  geschliffen,  konnte  ich 
endlich  auch  Axenaustritt,  Dispersion  und  Cha- 
rakter der  Mittellinie  beobachten.  Wurden  die 
einheitlichsten  und  klarsten  Stellen  dieser  Prä- 
parate zur  Uirtersuchung  verwandt,  so  zeigte 
sich  ein  ziemlich  großer  Axenwiukel  mit  einer 
Dispersion  der  Axen  q'^  v ,  ferner  horizontale 
Dispersion  der  Axeuebeuen  und  negativer  Cha- 
rakter der  ersten  Mittellinien. 

Im  Axenwinkelapparat  fand  ich: 

2H^  =  620  15'  Roth  (Li) 

=  610  30'  Gelb  (Na), 

woraus    sich    unter   Berücksichtigung   der    Bre- 
chungsexponenten des  Oels: 

n  =  1,47062  (Li) 
=  1,47220  (Na) 
ergaben : 


45Ö 

2E^  =  98057V2'  (Li) 
"  =  97039'      (Na). 

Sämmtliche  Stücke,  in  denen  der  Axenaus- 
tritt  untersucht  wurde,  habe  ich  endlich  noch 
darauf  geprüft,  ob  die  Ebene  der  optischen  Axen 
mit  der  Spalttrace  des  seitlichen  Pinakoids  recht- 
winkelig sei.  In  allen  Fällen  konnte  eine  Ab- 
weichung bis  zu  15*^  constatirt  werden,  sonach 
ist  auch  dadurch  die  trikline  Natur  des  Feld- 
spaths  erwiesen. 

Sucht  man  nach  diesen  Mittheilungen  die 
Art  des  vorliegenden  Feldspaths  zu  bestimmen, 
so  ist  das  Auftreten  von  monoklinem  Feldspath 
vorab  ausgeschlossen  und  durch  die  Abweichung 
der  Hauptauslöschungsrichtung  des  Lichts  von 
30  _  40  iß  Schliffen  nach  der  Basis,  aber  senk- 
recht auf  dem  seitlichen  Pinakoid,  die  Anwesen- 
heit von  Oligoklas  erwiesen. 

In  den  Schliffen  dieser  Orientirung  kommen, 
wie  mitgetheilt,  bisweilen  Lamellen  vor,  die  un- 
ter einem  Winkel  von  10*'  und  darüber  auslö- 
schen. Ob  dieselben  Mikroklin  sind ,  wie  man 
vermutheu  könnte,  soll  am  Schlüsse  gezeigt 
werden.  Jedenfalls  erweist  sich  die  Hauptmasse 
des  Feldspaths  in  Schliffen  nach  P  als  Oligoklas. 

In  den  Schliffen  nach  dem  'seitlichen  Piua- 
koid  läßt  sich,  da  Oligoklas  und  Mikroklin  hier 
annähernd  gleiche  Schiefe  der  Auslöschung  ha- 
ben, bezüglich  des  Auftretens  dieser  beiden  Feld- 
spathe  nichts  Sicheres  aussagen;  ausgeschlossen 
sind  aber  Albit  und  Labradorit. 

In  Schliffen,  senkrecht  zu  M  und  ungefähr 
senkrecht  zu  P  weisen  die  Hauptauslöschungs- 
richtungen  des  Lichts  auf  Oligoklas,  Albit  oder 
Mikroklin  hin,  der  Labradorit  ist  hier  ausge- 
schlossen, überdies  auch  durch  die  Untersuchung 


456 

des  Axenbildes,  der  Dispersion  und  des  Charak- 
ters der  ersten  Mittellinie  der  Albit,  sodaß  nur 
Oligoklas  und  Mikroklin  in  Frage  kommen. 
Sämmtliche  Schliffe  erweisen  endlich  das  Fehlen 
des  Anorthits. 

Somit  bleibt  für  die  Hauptmasse  des  Feld- 
spaths  nur  Oligoklas  übrig,  vorbehaltlich  der 
Deutung  der  Lamellen ,  die  man  als  Mikroklin 
ansehen  könnte. 

Um  dies  Resultat  auch  durch  die  chemische 
Analyse  zu  prüfen,  ersuchte  ich  Herrn  Dr.  Jan- 
nasch ,  ersten  Assistenten  am  Wöhler  -  Hübner'- 
schen  Laboratorium  um  die  Ausführung  einer 
sorgfältigen  Analyse.  Zu  derselben  wurden  zwei 
Proben  des  Feldspaths  vom  Hohen  Hagen  ver- 
wendet, von  denen  die  eine  nur  sehr  klein  war 
und  darthun  sollte,  ob  der  betreifende  Krystall, 
von  dem  sie  genommen ,  in  der  Hauptsache 
gleiche  Zusammensetzung  mit  den  anderen  habe, 
die  etwas  eisenschüssig  waren,  aber  in  reichli- 
cherer Menge  zu  Gebote  standen. 

Die  annähernd  gleiche  Constitution  beider 
Proben,  hat  sich  bei  der  Analyse  herausgestellt 
und  die  Probe,    von    dem  reichlicheren  Material 


genommen , 

ergab : 
SiO»       =  64,337o 
APO'    =  21,97 
Fe^O^    =    0,45 
CaO       =    2,07 

MgO      =    0,13 
Ka^O     =     4,95 
Na^O     =     6,99 

100,89. 

Rechnet  man  die  0,457o  Fe^O'  als  nachträg- 
lich eingedrungen  ab,  was  durch  den  mikrosko- 
pischen Befund  völlig  bestätigt  wird,  so  enthält 
der  Feldspath  iu  100  Theilen; 


457 


Ox. 

SiO^ 

=  64,05 

34,16 

10,45 

APO^ 

=  21,87 

10,23 

3,13 

CaO 

=     2,06 

0,59 

MgO 

=     0,13 

0,05 

1 

Ka^O 

=     4,93 

0,84 

l 

Na^O 

=     6,96 

1,80 

100 
Berechnet  man  ans   den  gefundenen  Mengen 
von  CaO  (MgO),  Ka^O  und  Na^O    die    entspre- 
chenden Feldspathconstitutioneu,  so  ergiebt  sich: 
Kalkfeldspath       =  11,10% 
Kalifeldspath        =  29,19,, 
Natron  feldspath  =  58,89,, 

Es  liefert  die  Analyse  zu  wenig :  0,05o/»  SiO^ 
zu  viel:  0,87 „AP03. 
Die  optische  Untersuchung  fordert  wesentlich 
Oligoklas.  Ist  nur  dieser  Feldspath  vorhanden, 
so  gibt  die  Berechnung  seine  Zusammensetzung, 
welche  sich  zwischen  den  einfachen  Verhältnis- 
sen der  drei  Feldspathe  1  :  2V2  :  5  und  1:3:6 
bewegt,  ohne  einem  derselben  indessen  völlig  zu 
entsprechen.  Kann  neben  Oligoklas  noch  Mi- 
kroklin  angeuommen  werden ,  so  ist  eine  Be- 
rechnung der  Zusammensetzung  dieser  beiden 
Feldspathe  nicht  thunlich,  da  man  nicht  sagen 
kann,  ob  der  Oligoklas  reiner  Kalknatronfeld- 
spath  sei  und  keinen  Kalifeldspath  isomorph 
beigemischt  enthalte,  andererseits  kann  auch 
nicht  bewiesen  werden,  daß  der  auftretende  Mi- 
kroklin  aus  reinem  Kalifeldspath  bestehe. 

—  Was  schließlich  das  Auftreten  der  Kry- 
stalle  des  Feldspaths  vom  Hohen  Hagen  anlangt, 
so  habe  ich  der  Hansmann'schen  Beschreibung 
derselben  nur  das  hinzuzufügen,  daß  man  in  den 


458 

Schliffen  nach  P  an  den  unregelmäßig  begrenzten 
Berührungsstellen  der  Krystalle  mit  dem  Gestein 
eine  eigenthümliche  V2 — 1  Mm.  breite  Zone  ge- 
wahrt, die  bei  mikroskopischer  Betrachtung  zwi- 
schen den  anderen  Gesteinspartikeln  reichlich 
Feldspathsubstanz  enthält,  als  ob  diese  am  Rande 
der  Krystalle  sich  aufgelöst  und  mit  dem  Gestein 
gemengt  hätte. 

Als  ich  die  Resultate  dieser  Untersuchungen 
mit  anderen  bekannten  verglich,  fielen  mir  na- 
mentlich H.  Dr.  Förstner's  Natronorthoklase  von 
Mte.  Gibele  (Zeitschr.  f.  Kryst.  1877.  B.  I 
p.  547  u.  f.)  auf,  als  in  ihren  Eigenschaften  mit 
den  Krystallen  des  Hohen  Hagen  manche  Aehn- 
lichkeiten  darbietend. 

Da  die  Constatirung  des  Oligoklas  hier  eine 
so  schwierige  war  und  namentlich  in  Schliffen 
nach  der  Basis  und  nach  dem  seitlichen  Pinakoid, 
wegen  möglicher  Verwechselungen  mit  anderen 
Feldspathen ,  keine  absolute  Sicherheit  zu  er- 
langen ist,  so  prüfte  ich  die  Angaben  des  H.  Dr. 
Förstner  kritisch  und  kam  zu  folgendem  Re- 
sultat: • 

1.  Die  Analyse  der  Krystalle  läßt  sich,  wie 
H.  Dr.  F.  es  gethan  hat,  deuten ;  es  kann  indessen 
die  Deutung  auch  in  anderer  Weise  erfolgen. 

2.  Die  goniometrische  Untersuchung  des  be- 
treffenden Feldspaths  läßt  eine  dem  Albit  nahe 
stehende  Form  hervortreten. 

3.  Die  Schliffe  nach  der  Basis  sind  nur  dann 
entscheidend  für  die  Annahme,  der  Feldspath 
bestehe  aus  Natronorthoklas  und  Labrador,  zu 
verwerthen ,  wenn  sie  genau  senkrecht  auf  dem 
seitlichen  Pinakoid  stehen. 

4.  Der  Schliff  parallel  31  soll  die  Abweichung 
der  Hauptschwingungsrichtung  von  der  Kante 
P:M  für   den  orthoklastischeu  Theil   des  Feld- 


459 

Späths  ergeben ;  es  ist  aber  nicht  nur  nicht  nach- 
gewiesen, daß  die  Substanz  wirklich  orthoklasti- 
scherFeldspath  war,  sondern  es  haben  Oligoklaa 
und  Mikroklin  auch  dem  Orthoklas  sehr  naheste- 
hende Auslöschungsschiefen. 

5.  Der  charakteristische  Schliff  zur  Unter- 
scheidung raonoklinen  und  triklinou  Feldspaths, 
uämlich  senkrecht  zu  M  und  auch  senkrecht  zu 
P  ist  nicht  gemacht  worden. 

Danach  ersachte  ich  Herrn  Dr.  Förstner  mir 
einiges  Material  zum  Vergleich  zu  senden  und 
erhielt  mit  größter  Bereitwilligkeit  mehrere  Kry- 
stalle,  wofür  ich  hiermit  nochmals  meinen  besten 
Dank  sage. 

An  diesen  Krystallen  konnte  ich  zunächst 
alle  von  H.  Dr.  Förstner  angegebenen  optischen 
Beobachtungen  bestätigen,  aber  mich  nicht  der 
von  genannten  Herrn  gegebenen  Deutung  der- 
selben anschließen.  Die  von  mir  erhaltenen  Re- 
sultate sind  die  folgenden: 

In  einem  Schliffe  nach  dem  seitlichen  Pina- 
koid  M  beobachtet  mau  Auslöschungsschiefen 
mit  der  Kante  P:  M,  die  au  vier  verschiedenen 
Stellen  die  Werthe: 

7V4^  6°,  5V4°  und  6» 
hatten.  Dr.  F.  gibt  den  Werth  von  e*/:"  an. 
Auf  Grund  dieser  Beobachtungen  kann  man  nicht 
wissen,  ob  Orthoklas,  Mikroklin  oder  Oligoklas 
vorliegt,  dagegen  sind  Albit,  Anorthit  und  La- 
brador ausgeschlossen. 

In  Schliffen,  annähernd  unter  90°  zu  P  und 
genau  unter  90°  zu  M  geschliffen ,  erkennt  man 
dagegen  die  völlige  Abwesenheit  von  monoklinem 
Feldspath.  Zahlreiche  Zwillingslamellen  durch- 
setzen das  Mineral ,  ja  stellenweise  besteht  es 
nur  aus  solchen.  Diese  Lamellen  sind  nach  dem 
Gesetze    »Zwillingsaxe  senkrecht   auf   ü/«,    dem 


460 

gewöhnlichen  der  triklinen  Feldspathe ,  eingela- 
gert und  gebildet;  sie  werden  öfters  noch  von 
anderen,  nahezu  rechtwinkelig  zu  ihrer  Haupt- 
erstreckung  liegenden,  durchsetzt,  die  annähernd 
nach  der  Basis  (Zwillingsaxe  die  Makrbdiagonale) 
eingeschaltet  sind.  Beide  Laniellensysteme  be- 
wirken eine  deutliche  gitterförmige  Stractur. 

Einige  dickere  Schliffe  erlaubten  zunächst 
au  den  sehr  sparsam  vertheilten  hellen  Stellen 
den  Axenanstritt  zu  erkennen  (Undeutliche  Axen- 
bilder  gibt  der  ganze  Schliff,  aber  solche  die 
Färbung  der  Axenpuukte  zeigen,  trifft  man  selten 
an).     Es  fand  sich: 

2  H^^  =  60"  0'  für  weißes  Licht.     Dispersion 

der  Axen  ^  >•  v.  Dispersion  der  Mittellinien 
sehr  wahrscheinlich  horizontal  ^) ,  doch  wegen 
nicht  völliger  Durchsichtigkeit  nicht  in  aller 
Strenge  zu  constatiren.  Charakter  der  ersten 
Mittellinien  sehr  deutlich  und  unverkennbar  ne- 
gativ. Von  diesen  Daten  spricht  namentlich  der 
Charakter  der  ersten  Mittellinien  und  ihre  Lage 
gegen  Labrador  und  Albit  und  für  Oligoklas  oder 
Mikroklin. 

In  Dünnschliffen  nach  derselben  Richtung 
war  von  monoklinem  Feldspath  nichts  zu  er- 
kennen. Die  Stellen,  in  denen  sich  die  Zwil- 
lingslamellen in  einander  keilen,  zeigten  mit  dem 
empfindlichen  Ton  der  Quarzplatte  geprüft,  deut- 
lichst ihre  von  der  Zwillingsgrenze  abweichende 
Orientirung.  Wurden  größere  einheitliche  Stellen 
oder  breitere  Lamellen  in  Zwillingsstellung  ge- 
prüft, so  gaben  sich  Abweichungen  von  der 
Trace  der  nach  M  gehenden  Spaltung  im  er- 
steren  Falle   zu   15"    zu  erkennen,  im  letzteren 

1)  Jedenfalls    nicht    deutlich    geneigt ,    sondern  sehr 
wahrscheinlich  horizontal,  weniger  wahrscheinlich  gekreuzt. 


461 

betrug  die  Abweichung  nach  der  einen  Seite  15^ 
nach  der  anderen  15",  auch  kamen  Werthe  von 
IS**  und  16"  in  anderen  Schliffen  vor.  Diese 
Werthe  sprechen  für  Oligoklas,  sind  für  Mikro- 
klin,  der  etwa  noch  in  Fratre  kommen  könnte, 
schon  etwas  groß  und  würden,  wäre  nicht  die 
Beobachtungen  am  Axenbild  widersprechend, 
auch  für  Albit  gelten  können.  Während  sie 
also  ganz  wesentlich  mit  den  Beobachtungen  am 
Oligoklas  stimmen,  kommen  Labradorit  und  mo- 
nokliner  Feldspath  durch  sie  gar  nicht  in  Be- 
tracht. 

Es  war  mir  nun  darum  zu  thun.  auch  die 
Dünnschliffe  der  eben  erwähnten  Lage  auf  den 
Austritt  der  optischen  Axen  zu  prüfen  und  ganz 
besonders,  neben  der  Hauptmasse  des  Schliffs, 
die  größeren,  zu  beiden  Seiten  gleich  und  unter 
15"  auslöschenden  Lamellen,  deren  ich  soeben 
gedachte. 

Wenn  man  zu  diesem  Zwecke  das  Mikroskop 
mit  Polarisationsvorrichtung  verwendet ')  und 
das  Hartnack'sche  System  7,  sowie  das  Ocular  3 
gebraucht,  so  sieht  man  bei  gekreuzten  Nicol 
und  passender  Erhebung  des  Auges  oder,  nach- 
dem zwischen  Analysator  und  wieder  dem  Ocular 
genähertes  Auge  eine  achromatische  Loupe  gefögt 
ist,  deutlich  die  beiden  Barren  der  optischen  Axen 
und  ihre  sie  umgebenden  Corven  zum  Beweis, 
daß    auch   diese  Plättchen   annähernd    senkrecht 


1)  Diese  Methode  hat  inzwischen  völlig  unabhängig 
A.  von  Lasaulx  im  N.  Jahrb.  f.  Min.  1678  p.  377  n.  f. 
in  etvas  abgeänderter  Weise  beschrieben.  In  derselben 
Weise  beschrieben,  aber  wieder  völlig  unaV)hängig,  findet 
man  sie  von  Bertrand  dargelegt,  cf.  BalletiD  de  la  societe 
mineralogiqne  de  France  1878  p.  22  u.  f.  —  Ich  wende 
sie  schon  seit  einiger  Zeit  mit  Erfolg  an  und  beschreibe 
sie  in  der  Vorlesung. 


462 

zu  ersten  Mittellinie  der  optischen  Axen  sind. 
Entfernt  man  die  Loupe  und  senkt  das  Auge  bis 
zu  der  Lage,  die  es  bei  mikroskopischer  Beo- 
bachtung einnimmt,  so  kann  man  alsbald  wieder 
die  Plättchen  und  die  Schiefe  ihrer  Auslöschung 
gegen  die  Zwillingsgrenze  bestimmen. 

Untersucht  man  endlich  Schliffe  nach  P,  so 
findet  man,  wenn  dieselben  nicht  normal  auf  M 
sind,  auf  den  einen  Lamellen  Abweichungen,  die 
über  4"  bis  zu  6°  und  darüber  gehen,  während 
die  anderen  fast  orientirt  erscheinen.  Dies  ent- 
spricht Herrn  Dr.  Förstner's  Beobachtungen. 

Sind  aber  die  Schliffe  senkrecht  auf  M,  so 
beobachtet  man  gleichmäßige  Auslöschungen  zu 
beiden  Seiten  der  Zwillingsgrenze  und  kann  bei 
näherer  Betrachtung  drei  Fälle  unterscheiden: 

1.  Lamellen  mit  höchst  feiner,  in  einander 
gekeilter  Zusammensetzung,  die  auch  im  ge- 
wöhnlichen polarisirten  Licht  fast  orientirt  er- 
scheinen, deren  Nichtorientirung  in  Bezug  auf 
die  Zwillingsgrenze  man  qualitativ  zwar  noch 
mit  Hülfe  des  empfindlichen  Tons  der  Quarz- 
platte bestimmen,  aber  nicht  mehr  quantitativ 
genau  feststellen  kann. 

2.  Lamellen,  die  auf  beiden  Seiten  der  Zwil- 
lingsgrenzen Abweichungen  zeigen,  welche  von 
2V2*^  —  4*^  schwanken  (wohl  in  Folge  der  nicht 
breiten  Lamellen  und  der  dadurch  erzeugten  Un- 
sicherheit in  der  Messung),  Diese  Lamellen  sind 
die  häufigeren  und  gehen  oft  ganz  allmälig  in 
die  ersteren  über,  weßhalb  ich  diese  jenen  zu- 
rechne. Mit  Rücksicht  auf  die  vorhergegangenen 
Untersuchungen  können  sie  nur  dem  Oligoklas 
znge hören. 

3.  Scharf  davon  geschieden  finden  sich  iu 
denselben  Schliffen  Partien,  in  denen  die  Lamellen 
unter  je    10**,    manchmal,    aber   seltener,    auch 


463 

unter  je  14^ — 15°  gegen  die  Zwillingsgrenze  aus- 
löschen. 

Nachdem,  was  schon  in  Schliffen  gleicher 
Lage  des  Feldspaths  vom  Hohen  Hagen  beob- 
achtet wurde  und  was  hier  in  größerer  Menge 
wieder  auftritt,  sollte  man  an  Mikrokliu  denken 
und  in  der  That  liegt  dieser  Gedanke  sehr  nahe. 
Aber  eine  sorgfältige  Prüfung  läßt  ihn  als  ver- 
werflich erscheinen  und  weist  die  so  orieutirten 
Lamellen  ebenfalls  dem  Oligoklas  zu.  Prüft 
man  nämlich  die  breiteren  dieser  unter  größerer 
Schiefe  auslöschenden  Lamellen  auf  Axenaustritt, 
so  sieht  man  im  Polarisationsmikroskop  eben- 
falls, wenngleich  gegen  den  Rand  des  Gesichts- 
felds hin  geneigt,  die  optischen  Axen  austreten  *). 
Sonach  kann  der  Schliff  dieser  Lamellen ,  trotz 
der  ähnlichen  Auslöschungsschiefe  nicht  der  Ba- 
sis des  Mikroklin  entsprechen.  Vielmehr  zeigt 
es  sich ,  daß  hier  Oligoklas  in  Zwillingsbildung 
nach  dem  Gesetz:  »Zwillingsaxe  die  Verticale, 
Zusammensetzuugsfläche  M«i  vorliegt,  bei  welcher 
Zwillingsbilduug  P  des  einen  Individuums  neben 
X  des  anderen  zu  liegen  kommt.  Wird  ein 
Schnitt  nach  der  Basis  des  einen  Stücks  herge- 
stellt, so  wird  der  andere  in  Zwillingsstellung 
dazu  stehende  Krystall  ungefähr  nach  seiner 
Fläche  X  angeschnitten ,  die  au  der  Hinterseite 
des  einfachen  Krystalls  fast  gerade  so  gegen  die 
Verticalaxe  neigt,  wie  P  auf  der  Vorderseite 
gegen  dieselbe  Axe  geneigt  ist,  also  unter  etwa 
64".  Somit  würde  der  Schnitt  nach  dieser  Fläche 
zur  Basis  desselben  Krystalls  unter  etwa  128° 
stehen  und  deßbalb  um  etwa  30°  von  einem 
Schliffe   abweichen,   der    auf  der    ersten  Mittel- 

1)  Eine  Untersuchung  des  Charakters  der  ersten 
Mittellinie  ergab  denselben  als  negativ. 


464 

linie  clfer  opt.  Axeii  senkrecht  ist.  Daß  man  in 
einem  Solchen  Schliffe  noch  Axenaustritt  beob- 
achten kann,  beweist  am  besten  der  Sanidiu, 
bei  dem  man  nach  der  Fläche  Z;,  die  zur  ersten 
Mittellinie  nicht  unter  90°,  son'dern  unter  etwa 
IIP  geneigt  ist,  noch  deutlich  das  Axenbild 
•sieht.  Jedenfalls  leuchtet  ein,  daß  man  bei  dem 
wirklichen  Mikroklin ,  bei  dem  die  erste  Mittel- 
linie der  optischen  Axen  noch  fast  in  die  Basis 
fällt,  nach  dieser  Fläche  keinen  Axenaustritt  be- 
obachten kann. 

Die  in  Rede  stehenden  Zwilliugslamelleu 
sind  also  ebenfalls  nicht  anderes  als  Oligoklas; 
ein  Gleiches  gilt  von  den  im  Feldspath  des  Hohen 
Hagen  unter  denselben  Umständen  gefundenen 
Lamellen  und  von  den  beobachteten  Auslöschungs- 
werthen  ihrer  Individuen  gegen  die  Zwillings- 
grenze müssen  wohl  die  mit  etwa  10°  als  die 
richtigeren  betrachtet  werden,  die  anderen  dürften 
von  gestörten  Lagen  der  Individuen  zu  einander 
herrühren. 

Man'  sieht  hieraus  wiederum ,  mit  welcher 
Vorsicht  man  bei  dergleichen  Untersuchungen 
verfahren  muß  und  wie  leicht  man  Täuschunseu 
auheim  fallen  kann.  Sollte  nicht  mancher  als 
Mikroklin  bestimmte  Feldspath  bei  einer  genauen 
Untersuchung  sich  als  derartig  verzwillingter 
Oligoklas  erweisen?? 

Die  Schliffe  nach  der  Basis  lassen  endlich 
noch  Glaseinlagernngen  und  langgestreckte  dop- 
peltbrechendc  Krystallnadeln  erkennen.  Mit  der 
Lonpe  betrachtet,  zeigen  die  Schliffe,  in  denen 
die  unter  größeren  Winkeln  gegen  die  Zwillings- 
grenze auslöschenden  Lamellen  liegen,  schillernde 
Stellen ,  wie  sie  sonst  bei  beiden  Feldspathen 
beobachtet    werden ,    wenn    Schnitte    nach    dem 


465 

vorderen  Pinakoid  vorliegen,   ein   nener  Beweis 
für  die  Zwillingseinlagerungen. 

Berüeksichtigt  man  endlieh  die  Analyse  des 
Feldspaths  von  Mte  Gibele,  so  liefert  dieselbe 
unter  Abzug  der  3,  27  %  Fe^O^  welche  mi- 
kroskopisch nachweisbar  als  fremde  Substanz 
zu  bezeichnen  sind,  auf  100  berechnet: 


SiO^    =  65,55 

34,94 

10,40 

APO»  =  21,00 

9,82 

2,92 

CaO     =     2,85 

0,81    1 

MgO    =     0,31 

0,12 

1 

Ka^O   =     2,62 

0,45 

j. 

Na^O  =     7,67 

1,98  ) 

100 

Berechnet  man  wieder  die  Antheile  von  rei- 
nem CaO  (MgO),  Ka^O  und  Na*0  Feldspath, 
so  erhält  man: 

Kalkfeldspath         16,22  % 
Kalifeld  spatli  15,51  » 

Natronfeldspath     64,89  > 
96,62  > 

und  es  liefert  die  Analyse  zu  wenig:  0^7 7o  Al'O' 
»  »        »         i>        >       viel:  3,95%  SiO^ 

Letzterer  TJeberschuß  ist  wohl  auf  Rechnung 
der  mikroskopisch  nachgewiesenen  Glaseinschlüsse 
zu  setzen  cf.  Zeitschr.  f.  Kryst.  pag.  556. 

Das  Material  für  einen  dem  Albit  naheste- 
henden, sauren  Oligoklas  ist,  ähnlich  wie  bei 
dem  Feldspath  vom  Hohen  Hagen  auch  hier  vor- 
handen und  wahrscheinlich  ist  er  eine  isomorphe 
Mischung  der  drei  genannten  Normalzusammen- 
setzuugen  im  Yerhältniß  von  1:1:4,  welchen 
"Werthen,  die  obenstehenden  Zahlen  sich  nähern. 

Jedenfalls  kann  aber  auf  Grund  dieser  Unter- 
suchungen die  Behauptung  ausgesprochen  werden, 

38 


466 

daß  sowohl  der  Feldspath  vom  Hohen  Hagen, 
als  auch  der  von  Mte.  Gibele  aus  der  Reihe  der 
orthoklastischen  Feldspathe  ausscheiden  müssen 
und  fortan  als  Oligoklase  anzusehen  sind. 


Sätze  aus  der  Functionentheorie. 

Von 

J.  Thomae. 

In  seinen  so  interessanten  »Beiträgen  zur 
Mannigfaltigkeitslehre«  im  84ten  Baude  des 
Crelle'schen  Journals  zeigt  Herr  G.  Cautor,  wie 
man  eine  stetige  lineare  Mannigfaltigkeit  von 
n  Dimensionen  und  eine  stetige  Mannigfaltigkeit 
von  m  Dimensionen  einander  eindeutig  zuordnen 
kann,  wenn  der  Correspoudenz  die  Bedingung 
nicht  auferlegt  wird,  eine  stetige  zu  sein. 

Der  Beweis  des  umgekehrten  für  m  =  1, 
n  >•  1  evidenten  Satzes,  daß  man  zwei  solche 
Mannigfaltigkeiten  einander  in  stetiger  Corre- 
spoudenz nicht  eindeutig  zuordnen  kann,  soll 
nach  Bemerkungen  der  Herrn  Cautor  und  Lüroth 
auf  Schwierigkeiten  stoßen.  Letzterer  hat  für 
den  Fall  m  =  2  in  den  Sitzungsberichten  der 
phys. -medic.  Societät  zu  Erlangen  vom  8.  Juli 
1878  einen  Beweis  geliefert.  Mir  scheint,  daß 
der  Beweis  des  allgemeinen  Satzes  leicht  zu 
führen  sei,  wenn  man  eine  Voraussetzung  aus 
den  analysis  situs  macht,  deren  allgemeiner  Gil- 
tigkeit  keine  erheblichen  Bedenken  entgegen 
stehen  dürften.     Ich  meine  den  Satz, 

I.  Eine  zusammenhängende  continuirliche 
Mannigfaltigkeit   M^   von   n  Dimensionen    kann 

durch  eine  oder  mehrere  Mannigfaltigkeiten  von 


407 

w— 2  oder  weniger  Dimensionen  (JJf^,  J/'^,Jtf"^«,..; 
V,  v',  v",  . .  <  n  —  2)  nicht  in  getrennte  Stücke 
zerlegt  werden. 

Dabei  muß  allerdings  vorausgesetzt  werden, 
daß  nicht  die  Anzahl  der  Mannigfaltigkeiten 
M  ,  3f'  ,,  M"  „1  •  .   in  jedem   noch   so  kleineu 

Stücke  einer  continuirlichen  Mannigfaltigkeit  von 
n  —  1  Dimensionen  abzählbar  unendlich  groß 
sei.  Dieser  Fall  kommt  jedoch  hier,  wie  wir 
sogleich  sehen  werden,  nicht  in  Betracht. 

Bekanntlich  (vergl.  meine  Einleitung  in  die 
Theorie  der  bestimmten  Integrale  §.  46  und 
§.  48  Seite  32.) 

II.  Nimmt  eine  stetige  Function  Xy  von 
!/ii  ^2'  •  •  2/  ^°  einem  endlichen  Gebiete  den 
coutinuirlich  Veränderlichen  yi^  Vi,  •  -  y„  ihre 
obere  und  untere  Grenze  mindestens  je  einmal 
wirklich  au. 

Solche  Puncte  seien  A  und  B  das  Maximum 
a,  das  Minimum  h. 

III.  Verbindet  man  diese  Puncte  Ä  und  B 

im   w-dimensionalen   Räume    durch    Curven,    so 

nimmt  x^  jeden  Mittel werth  c  zwischen  a  und  b 

mindestens  einmal  auf  jeder  dersel\3en  an. 

Der  Werth  c  wird  also  in  M„  unendlich  oft 

n 

erhalten.     Ich  behaupte  nun 

IV.  Die  Puncte,  für  welche  x^  einen  festen 
Mittelwerth  c  annimmt,  erfüllen  an  mindestens 
einer  Stelle  ein  continuirliches  Gebiet  von  n— 1 
Dimensionen  {31^  _  j)  stetig. 

Denn  erfüllten  dieselben  nur  Gebiete  von 
n — 2  oder  weniger  Dimensionen  M^,  M'^,,  M"^„, . ., 

so  könnten   dieselben    nach  I.  M    nicht  zerstü- 

n 

ekeln,    d.  h.   man   könnte  Ä  mit  B  durch  eine 


468 

Curve  verbinden,  auf  welcher  x^  jenen  Miitel- 
werth  c  nicht  annähme,  was  gegen  III  ist. 

Die  Mannigfaltigkeiten  J/,,  M'^„  M"^,,,  .  • 
können   aber  auch   nicht    eine    Mannigfaltigkeit 

M      .  von  n  —  1  Dimensionen   überall  nur  ab- 
n —  1 

zählbar  unendlich  dicht  besetzen.     Denn  wegen 

der  vorausgesetzten   Stetigkeit    müßte    dann  x^ 

denselben  Werth    in   allen  Puncten   von  3I^^__^ 

annehmen  (vergl.  meine  Einleitung  in  die  Theorie 
der  bestimmten  Integrale  §.  7  Seite  6.)  Wir 
haben  also  den  Satz. 

V.  Eine  stetige  Function  x^  einer  conti- 
nuirlichen  Mannigfaltigkeit  von  n  Dimensionen 
nimmt  mindestens  einen  Werth  längs  einer  con- 
tinuirlichen  Mannigfaltigkeit  von  mindestens 
n  —  1  Dimensionen  wirklich  an. 

Ebenso  nimmt  eine  stetige  Function  x^  in 
M^  _  j  längs  einer  continuirlichen  Mannigfaltig- 
keit M^_2  von  mindestens  n  —  2  Dimensionen 

einen  gewissen  Werth  an.  So  folgt  successive 
der  Satz, 

VI.  Die  m  stetigen  Functionen  x.^,  x^^ . .  x^^ 

von  Vii  y^,  '  '  y^\   tn  <C  n  nehmen  in   einem 

continuirlichen  Gebiete  von  y^  y^  '  •  Vn  ™"i<i6~ 

stens  ein  Werthsystem  x^  x^  .  •  x^^  mindestens 

in  einem  continuirlichen  Gebiete  von  n  —  m  Di- 
mensionen wirklich  an. 

Diesem  Werthsystem  der  x  entsprechen  also 
unendlich  viele  Werthsysteme  der  ?/,  womit  die 
vorangestellte  Behauptung  erwiesen  ist. 

Freiburg  im  Juli  1878. 


469 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft   der    Wis- 
senschaften eingegangene   Druckschriften. 

(Fortsetzung.) 

1  *).    Kasanisch-Tatarifiche  Sprachstudien  gesammelt 
und  herausgegeben  von  Gabriel  Baliut  von   Szentkatolna 
Heft  I:     Kaz.-Tatar.  Texte       Budapest  1875. 
»     II:      >         »       Wörterbuch       >       1876. 
»     III:     »         »       Grammatik        »       1877. 

2.  Joseph  Budenz,  Magvarisch  -  ügrisches  verglei- 
chendes Wörterbuch.    Heft  IIL    Pest  1877. 

3.  Andreas  György,  Die  Berechtigung  und  Wirkung 
der  Differentialtarife.     Budapest  1876. 

4.  August  Helmar,  Charakteristik  des  Bonfinins  als 
Historiker.    Budapest  1876. 

5.  Alexius  Jakab,  Ueber  Archive  mit  Rücksicht  auf 
den  Stand  des  Ungarischen  Staatsarchivs.    Pcst  1877. 

6.  Kalkbrenuer,  Icones  selectae.     Fol.     1377. 

7.  Ferdinand  Enauz ,  Die  Chronologie  auf  unsere 
vaterländische  Geschichte  angewandt.    Budapest  1877. 

8.  Anton  Koch,  Geologische  Beschreibung  des  auf 
dem  rechten  Donauufer  befindlichen  Theiles  der  Donau- 
trachytgruppe.  [Mit  1  geol.  Karte  6  Steindrucken  imd 
37  Holzschnitten.]     Pest  1877. 

9.  Sammlung  alt-ungar.  Dichter.  Band  I:  Ueber- 
reste  der  mittelalterlichen  Dichter.     Budapest  1877. 

10.  Sprachdenkmäler  aus  alten  Ungarische»  Hand- 
schriften und  Drucken.     Band  IV.  V.    Pest  1876. 

11.  Franc.  II.  Rakoczi  Coufessiones  et  asperationes 
principis  Christiani.     Pest  1876. 

12.  Jakob  Rupp,  Topographische  Geschichte  Ungarns 
mit  Hauptrücksicht  auf  seine  kirchliche  Eintheilung.  Bd. 
III.     Pest  1876. 

13.  Uugaiisches  wissenschaftliches  Repertorium  der 
in-  und  ausländischen  Zeitschriften,  von  Joseph  Szinnyei. 
Abtheilg.  II.  Naturwissenschaft  und  Mathematik.  Band 
I.    Budapest  1876. 

14.  Berichte  der  Ungarischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften. Jahrg.  IX.  Heft  13—17.  1875.  X.  1—15. 
1876.    XI.  1—17.  1877.    Pest. 

*)  No.  1  bis  31  in  angarischer  Sprache. 


470 

15.  Mathemat.  u.  naturwissenschaftliche  Mittheilun- 
gen.    Band  XI— XIII.    Budapest  1873—75. 

16.  Archaeologischer  Berichterstatter.  Redigirt  von 
Emmerich  Henszlmann  u.  Theodor  Ortvay.  Bd.  IX— XI. 
Pest  1875—77. 

17.  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  Mathematik. 
Bd.  IV.     Hft.  4-9,    V.  1— 10,     VI.  1.2.     Pest  1876.  77. 

18.  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  philolog.  u. 
schönen  Wissenschaften.  Bd,  V.  Hft.  1-10.  VI.  1-10. 
VII.  1.  2.    Pest  1875-77. 

19.  Forschungen  aus  dem  Gebiete  der  philosophi- 
schen Wissenschaften.  Bd.  II.  Hft,  4.  5.  Pest  1876. 
77.  78. 

20.  Forsch,  aus  d.  Geb.  der  Staatswissenschaften. 
Bd.  III.  7—9,     IV.  1-9,    Pest  1875— 7«. 

21.  Desgl.  aus  d.  Geb.  d.  Naturwissenschaften.  Bd. 
VI.  7—12.    VII.  1-6.     Vni.  1-7.    Pest  1876.  77. 

22.  Desgl.  aus  d.  Geb.  d.  historischen  Wiss.  Bd, 
V.  2-6,    VI,  1—10.    VII.  1-4.     Pest  1875—78. 

23.  Jahrbuch  der  Ungar.  Akad.  der  Wiss.  Bd.  XIV, 
Theil  7.  8.    XV.  1—5,    XVI.  1,    Pest.     4, 

24.  Archaeologische  Mittheilungen.  Bd.  X.  1 — 3. 
Bd.  XI.  1.  2.     Pest,     4, 

25.  Philologische  Mittheilungen,  Bd.  XII.  2—3, 
XIII,  1-3.     XIV.  1.    Pest  1875-77.     4. 

26.  Monumenta  Hungariae  archaeologica.  Bd,  II, 
Theil  2..    Pest  1876,     4. 

27.  Monumenta  Hungariae  historica.  Sectio  I. 
Scriptores,  Vol.  14.  21.  28.  29,  Sectio  II,  Diplomata- 
ria. V5l,  25.  Sectio  III,  Acta  externa  aetate  domus 
Anjon  Bd.  III.  Sectio  IV,  Acta  extera  aetate  regia  Mat- 
thiae  Bd.  1—3,     Pest  1875—77. 

28.  Archivum  Rakoczianum  Francisci  Rakocz  II. 
Sectio  I.     Vol.  V.     Sect.  II  Vol.  3,     Pest  1877, 

29.  Thesaurus  historicus  Ungaricus,  Bd,  XXII.  XXIII. 
XXIV.    Pest  1877. 

30.  Monumenta  comitialia  regni  Hungariae.  Bd,  III. 
IV.  V.    Pest  1876—77. 

81.  Monumenta  comitialia  regni  Transsylvaniae. 
Bd.  I  -III.    Pest  1876—77. 

32,  Literar.  Bericht  aus  Ungarn  herausg.  v.  Paul 
Hunfalvy,    Bd,  I.     1877.    Budapest  1877. 


471 

Mai  1878. 

Verhandlangen  der  K.  Leop.-Carol.  Deutsch.  Akad.  der 

Naturforscher.    Bd.  37  —  39.     4. 
RivistÄ  Europea.    Vol.  VII.    Fase.  1  —  2. 
Proceedings  of  the  literary  and  philosoph.  Soc.  of  Liver- 
pool.   No.  31. 
Nature.  444  —  447. 

Bulletin  of  the  American  geograph.  Soc.  1878.    No.  1. 
TransactioDS  of  the  Zoological  Soc.  of  London.    Vol.  X. 

P.  3-5. 
Proceedings   of   the  Zoological  Soc.  of  London  for   the 

year  1677.    P.  3  —  4. 
Mitth.  der  deutsch.  Gesellsch.  für  Natur-  and  Völkerkunde 

Ostasiens.     13  Heft. 
Observations  meteorologiques  de  la  Belgique. 
Leopoldina.    H.  XIV.  No.  7  —  8. 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  24.  No.  IV.  4. 
W.  Schlötel,  Nachtrag  zu  seinem  vorjährigen  Circular. 
Monthly  Notices  of  the  R.  Astronomical  Soc.  Vol.  38.  No.  6. 
J.Plateau,  Bibliographie  aualytique  des  principeaux 
phenomenes  subjectifs  de  la  vision,  etc.  Deuxi^me  et 
troizieme  Section. 
Vorhandlungen   der  k.  k.  zoologisch- botan.  Gesellsch.  in 

Wien.    Bd.  XXVU. 
Abhandl.  des  naturwiss.  Vereins  zu  Bremen.  Bd.  5.  H.8 — 4. 
Beilage  Nr.  6  zu  denselben. 
0.  Hergt,    die  Valenztheorie  in  ihrer  Entwickliyig  und 

jetzigen  Form.    1678.     4. 
The  American  Ephemeris  and  Nautical  Almanac  for  1880. 

Wash.  1877. 
Proceedings  of  the  American  Acad.  of  Arts  and  Sciences. 

Vol.  V.    P.  1.    Boston. 
Proc.  of  the  Amer.  pharmaceut.  Association   at   the    25. 
Annual  Meeting  held  in  Toronto ,   Sept.  1877.    Phila- 
delphia. 1878. 
Legrand,  la  nouvelle  Societe  indo-chinoise.  Paris.  1878. 
Alex.  Agassiz,  on  the  Dredging  Operation  of  the  U.S. 

Coast  Survey  Steamer. 
Bulletin  of  the  Museum  of  comparative  zoology.  V,  1. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sciences  de  Belgique.    T.  45, 

No.  3. 
E.  E  dl  und,    Recherches  sur  l'induction  unipolaire  ete, 
Stockholm.  1878.    4. 


472 

Annales  de  la  Soc.  geologique   de  Belgique.    T.  II  —  III. 

1874  —  76. 
Kronecker,   über  Abelsche  Gleichungen. 
Schering,  Verallgemeinerung  des  Gauss'schen  Criterium 

für   den   quadratischen    Rest  -  Character   einer  Zahl   in 

Bezug  auf  eine  andere. 
Schriften  der  physik.  Ökonom.  Gesellsch.  in  Königsberg. 

Jahrg.  17.  1  —  2.    Jahrg.  18.  1. 
Bericht  XXIV  u.  XXV   des  Vereins   für   Naturkunde    in 

Cassel.   1878. 
Monatsbericht  der  Berliner  Äkad.  d.  Wiss.  Februar.  1878. 
Bulletin   de  la  Soc.  Imp.  des   Naturalistes   de  Moscou. 

1877.   No.  4. 
Zeitschrift   der   deutsch.  Morgenland.  Gesellsch.   Bd.  82. 

H.  1. 
Atti  della  R.  Accad.  dei  Lincei.     Vol.  II.  Fase.  5. 
Vierteljahrsschrift  der  Astron.  Gesellschaft.  Jahrg.  13.  H.l. 
Carte  geographique  des  vigitaux  du  Royaume  de  Norvege. 

3ieme  Ed.    Christiania,  1878. 
Festskrift   til    det  K.  ünivers.   i  üpsala   Jubiläum    1877. 

Ebd.  4. 
H.  Mohn,   Jahrbuch    des   Norweg.   meteorol.    Instituts. 

1874.  1875.     Christ.  4. 
Nyt  Magazin    for   naturvidenskaberne.    23  Binds.    1  —  4. 

H.    24  Bds.    1  -  2  H.     Ebd. 
Det  K.  Norske  vidensk.  Selskabs  Skrifter.    8.  Bind.  4  H. 

Trondhjem.  1877. 
Norges  Flora.     Trondhjem. 
Beretning  om  Bodsfängstets  virksomhed  i  aaret    1854  n. 

1876.    Christ, 
Archiv    for    Mathematik   og  Naturvidenskab.    Bd.  I  —  II. 

Ebd.  1876-77. 
C.  R.  Unger,    Heilagra  Manna  Sögur.  II.   Christ.   1877. 
0.  G.v.  Lundh,  Norske  Rigs  registrantes.    Bd.  VI.  H. 2. 

Bd.  VII.  Ilf.  1.     Ebd.   1877. 
L.  Dietrich son,  den  Norske  Träskjärerkunst.    Christ. 

1878. 
A.  N.  Kiär,    om  Soddelbanker.    Ebd.  1877. 
J.  C.  Gamborg,  Seddelbankers.     Ebd.  1877. 
E.  Hertzberg,  en  kritisk,  fremstilling  af  grundsätrin- 

gerne    for  Seddelbankers   Indretning   og    Virksomhed, 

etc.    Christ.  1877. 

(Fortsetzung  folgt). 


473 


iVaehnVhten 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


13.  November.        M  15.  1878. 

Königliche  Gesellschaft  der  Wisseuschaften. 

Sitzung  am  2.  November. 

Grisebach,  Symbolae  ad  Floram  argentinam.  (Er- 
scheint in  den  Abhandlangen.) 

R  i  e  c  k  e,  Ueber  das  ponderomotorische  Elementar-Gesetz 
der  Electrodynamik.     (Erscheint  in  den  Äbbandl). 

Reinke,  üeber  eine  Fortpöanzung  des  durch  die  Be- 
fruchtung erzeugten  Wachsthums-Reizeg  auf  vegetative 
Glieder.     (Vorgelegt  von  Grisebach). 


Ueber    eine   Fortpflanzung    des    durch 

die     Befruchtung     erzeugten    Wachs- 

thnms- Reizes  anf  vegetative  Glieder. 

Von 

J.  Reinke. 

In  einer  kürzlich  erschienenen  Mittheilung  ^) 
hat  Holle  den  fleischigen  Theil  der  Bimen- 
frucht  dahin  erklärt,  daß  derselbe  als  eine  Wu- 
cherung des  unter  den  ßlattspuren  der  Kelch- 
blätter befindlichen  Rindenparenchyms  der  Blü- 
thenaxe    aufzufassen    sei.      Da    nun    die   Birnen 

1)  Monströse  Bimenfrüchte.  Deatsche  Garten-  tmd 
Obatbauzeitung.    1878.    No.  7. 

39 


474 

und  Aepfel  in  der  Regel  längeren,  nackten  Stie- 
len aufsitzen ,  so  können  wir  auch  sagen ,  daß 
der  oberste  Theil  des  unter  dem  Kelche  stehen- 
den Internodiums  sich  zum  fleischigen  Theile 
der  Birnenfrucht  entwickele. 

Holle  stützt  diese  Deutung  auf  Thatsachen 
der  Anatomie  ,  der  Entwicklungsgeschichte  und 
der  Vergleichuug ;  insbesondere  waren  es  aber 
die  in  der  betrefiPenden  Mittheilung  beschriebe- 
nen monströs  gebildeten  Früchte,  welche  ein 
weiteres  Moment  für  diese  Auffassung  in  die 
Wagschale  legten. 

Diese  Früchte  waren  zu  Stande  gekommen 
durch  eine  abnorme  Verlängerung  der  zwischen 
Kelch-  und  Kronblättern,  sowie  zwischen  diesen 
und  den  Staubgefäßen  befindlichen  Internodien 
der  Blüthenaxe.  Die  Kelchblätter  sitzen  mit 
verschmälerter  Basis ,  aber  ohne  eigentlichen 
Stiel  nicht  auf,  sondern  seitlich  an  der  Frucht, 
sie  sind  dabei  kleineren  Laubblättern  ähnlich 
geworden.  Die  monströsen  Früchte  unterscheiden 
sich  von  normalen  hauptsächlich  dadurch ,  daß 
der  fleischige  Theil  sich  nicht  blos  aus  dem  un- 
terhalb des  Kelches  stehenden  luternodium, 
sondern  aus  den  sämmtlichen  gestreckten  Inter- 
nodien der  Blüthe  entwickelt  hatte.  — 

Die  von  Holle  vertretene  Auffassung  der 
Pomaceen  -  Frucht  wird  auch  unterstützt  durch 
das  Verhalten  der  normalen  Quitte'). 

Bei  der  Quitte  sind  die  Kelchblätter  mit 
kubblattartiger  Spreite  ausgestattet  und  mit 
Terschmälerter  Basis  inserirt.  Schon  die  Sec- 
tion  der  reifen  Frucht  läßt  hier  die  Deutung 
des  fleischigen  Theils  als  Anschwellung  des  unter 

1)  Die  Beobachtungen  wurden  angestellt  an  der  unter 
dem  Namen  Apfelquitto  bekannten  Spielart. 


475 

dem  Kelchwiftel  gelegenen  Internodiums  als  die 
natürlichste  erscheinen. 

Es  gelangt  nun  am  Quittenstranche  noch 
eine  Thatsache  zur  Beobachtung ,  welche  auch 
für  diese  Deutung  spricht,  eine  Thatsache,  die 
allen  aufmerksamen  Obstzüchtern  sicherlich  be- 
kannt ,  meines  Wissens  doch  noch  keine  wis- 
senschaftliche Verwerthung  gefunden  hat. 

Die  Qnittenblüthe  steht  terminal  auf  kurzen, 
in  der  Regel  fünf  ausgebildete  Laubblätter  tra- 
genden Seitensprosseu  ;  auf  diese  schraubig  nach 
Vs  geordneten  Blätter,  deren  oberstes  Interno- 
dium den  unteren  gegenüber  beträchtlich  ver- 
kürzt erscheint ,  setzt  die  Blüthe  unmittelbar 
mit  dem  Kelchwirtel  ein ,  ohne  daß  ein  Blü- 
thenstiel  dazwischen  eingeschaltet  wäre. 

Wenn  man  nun  im  Herbste  fertile  Sprosse, 
welche  Früchte  gezeitigt  haben,  mit  solcher  eben- 
falls fertilen  Sprossen  vergleicht,  deren  Blüthen 
aber,  ohne  Früchte  anzusetzen,  im  Frühjahr  ab-* 
gefallen  waren ,  so  fällt  der  bemerkenswerthe 
Unterschied  ins  Auge,  daß  die  fruchtbaren  Sprosse 
um  Vieles  dicker  sind,  als  die  correspondirenden 
und  oft  derselben  relativen  Hauptaxe  entsprin- 
genden unfruchtbaren  Sprosse,  welche  ihre  Blü- 
then nach  mißlungener  Befruchtung  abgeworfen 
hatten;  der  Kürze  des  Ausdrucks  wegen  wollen 
wir  die  beiderlei  Sprosse  als  befruchtete  und 
unbefruchtete  unterscheiden. 

In  der  Länge  stimmen  beide  Sprosse  über- 
ein, dieselbe  beträgt  3  bis  5  Centimeter;  Län- 
genwachsthum  ist  in  dem  laufenden  Jahre  auch 
an  den  unbefruchteten  Sprossen ,  welche  durch 
Blüthenbilduug  begrenzt  waren,  nicht  eingetreten. 

Die  Dicke  der  unbefruchteten  Sprosse 
ist  eine  fast  gleichmäßige,  nur  unter  den  Blatt- 
Insertionen  finden  sich  geringe  Anschwellungen. 

39* 


476 

Es  wurde  der  Durchmesser  von  6  Individuen  an 
je  drei  verschiedenen  Stellen  bestimmt  —  war 
der  Querschnitt  unregelmäßig,  ward  das  Mittel 
aus  dem  größten  und  kleinsten  Durchmesser  ge- 
nommen —  und  ergaben  diese  Werthe  in  Milli- 
metern 


Unbefruchteter 
Sproß 

Unten 

Mitte 

Oben 

I 

1,5 

1,5 

1,4 

II 

2,2 

2,5 

2,5 

III 

2,5 

2,2 

2,0 

IV 

2,2 

2,0 

1,7 

V 

2,5 

2,0 

2,5 

VI 

1,8 

1,8 

1,8. 

Aus  der  Messung  dieser  6  Sprosse  ergeben 
sich  folgende  Durchschuittswerthe  der  Dicke  für 
den  unbefruchteten  Sproß: 

Unten  Mitte  Oben 

2,1  2,0  2,0 

Diese  Dimension  vertheilte  sich  auf  die  einzelnen 
Gewebe  in  folgender  Weise 

Durchmesser  der  Rinde  0,6 

Durchmesser  des  Holzkörpers  0,8 
Durchmesser  des  Markes  0,6 

Die  befruchteten  Sprosse  dagegen  zeigen 
nach  oberwärts  eine  nicht  unbeträchtliche  Zu- 
nahme der  Dicke,  abgesehen  davon,  daß  sie  an 
sich  ja  dicker  sind,  als  die  unbefruchteten.  Das 
zwischen  den  beiden  obersten  La  üb  blättern  ge- 
legene ,  kurze  luternodium  zeigt  dabei  meistens 
eine  tonnenförmige  Anschwellung ;  auch  im 
zweitobersteu  Internodium  kann  eine  solche 
tonnenförmige  Verdickung  des  oberen  Stückes 
vorkommen,  die  übrigen  Stücke  sind  cylindrisch. 
Bei  den  auf  nachstehender  Tabelle  verzeich- 
neten Messungen  ward  die  Dicke  der  Mitte  des 
untersten ,  mittleren  und  obersten  Interuodiums 


477 

bestimmt;     im    obersten    Intemodium    also    die 
dickste  Stelle  der  tonnenförmigen  Anschwellung, 
in  den  beiden  andern  der  cylindrische  Theil. 
Befrachteter  Sproß     Unten        Mitte         Oben 


I 

4,5 

5,0 

7,5 

n 

5,0 

5,5 

8,0 

m 

5,5 

6,5 

6,5 

IV 

5,0 

5,0 

6,0 

V 

4,0 

5,0 

6,0 

IV 

4,5 

5,0 

6,2 

Hieraus  ergeben  sich  folgende  Durchschnitts- 
werthe  in  Millimetern  für  den  befruchteten  Sproß: 
Unten  Mitte  Oben 

4,7  5,3  6,7 

Für    die    einzelnen  Gewebe   betrug    der  Durch- 
messer : 

a)  im   cylindrischen  Theil   der    Mitte    eines 
Sprosses. 

Durchmesser  der  Rinde  1,3 

Durchmesser  des  Holzkörpers  3,3 
Durchmesser  des  Markes  1,0 

b)  In  der  Anschwellung   des   obersten  Inter- 
nodiums: 

Durchmesser  der  Rinde  1,6 

Durchmesser  des  Holzkörpers  2,2 
Durchmesser  des  Markes  3,4 

Demnach  zeigt  sich  zwischen  dem  dünneren 
unteren  Theile  des  befruchteten  und  dem  unbe- 
fruchteten Sprosse  die  üebereinstimmung ,  daß 
die  Mächtigkeit  des  Holzkörpers  größer  ist  als 
die  der  Rinde  und  des  Markes;  dagegen  zeigt 
sich  im  angeschwollenen  oberen  Theile  des  be- 
fruchteten Sprosses  dem  unteren  Theile  dessel- 
ben Sprosses  gegenüber  eine  excessive  Wuche- 
rung des  Markes,  eine  geringe  Verstärkung  der 
Rinde  und  eine  Verringerung  des  Holzkörpers. 
Die  Stiele  der  am  befruchteten  Sprosse    ste- 


47Ö 

henden  Blätter   zeigen   nicht    die   geringste  An- 
schwellung oder  Aenderung.  — 

Während  der  untere,  cylindrisehe  Theil  eines 
befruchteten  Sprosses,  dessen  Holzkörper  ja  sehr 
entwickelt  ist,  beim  Durchschneiden  dem  Messer 
einen  entsprechenden  Widerstand  entgegensetzt, 
wie  ein  unbefruchteter  oder  beliebiger  vegetati- 
ver Sproß,  ist  dagegen  der  obere,  angeschwollene 
Theil  des  befruchteten  Sprosses  viel  weniger 
fest,  er  durchschneidet  sich  leicht  und  fast  weich 
wie  die  Frucht  selbst.  Es  beruht  diese  größere 
Weichheit  auf  einer  geringeren  Verdickung  der 
Zell  wände  des  Holzkörpers;  auch  die  Markzellen 
sind  größer  und  lockerer  an  einander  gefügt, 
als  im  unteren  Theile  des  Sprosses,  so  daß  das 
ganze  Gewebe  einen  hypertrophen  Character 
gewinnt. 

Die  Laubblätter  der  Blüthen  tragenden  Sprosse 
stehen,  wie  bereits  hervorgehoben,  schraubig  nach 
2/5  mit  gestreckten  Internodien.  Das  einzelne 
Blatt  ist  dreispurig ,  das  eine  Gefäßbündel  des 
Blattstiels  theilt  sieh  beim  Eintritt  in  den  Stamm 
in  drei  Stränge,  welche  gesondert  in  der  Rinde 
des  Internodiums  nach  abwärts  laufen,  um  erst 
dicht  oberhalb  des  nächsten  Knotens  in  den 
centralen  Holzcylinder  sich  einzufügen.  Die  den 
oberhalb  des  höchsten  Laubblattes  vorhandenen 
Holzcylinder  zusammensetzenden  Gefäßbündel 
repräsentiren  das  Blattspur  -  System  der  Floral- 
blätter. 

Die  braungeförbte  Oberfläche  des  befruchteten 
Sprosses  wird  von  einer  dünnen,  durch  zalreiche 
Lenticellen  durchbrochenen  Korkschicht  gebildet. 
In  dem  noch  stengelähnlichen  Theile  des  Kelch- 
Internodiums  ist  nur  eine  Epidermis  mit  stark 
verdickter  und  gebräunter  Cuticula  vorhanden; 
beim  Uebergang   derselben  in  die  Oberhaut  der 


479 

Frucht  hört  diese  Bräunung  auf,  die  sehr  dicke 
Cuticula  wird  glashell,  so  daß  die  Farbstoffkömer 
hiudurchscheineu  können.  In  dem  oberen  Theile 
des  Kelch-Interuodiums,  den  wir  als  Fruchtfleisch 
bezeichnen ,  erweitert  der  Mark-Cylinder  seinen 
Durchmesser  nur  noch  wenig;  derselbe  setzt  sich 
fort  bis  zur  Insertionsstelle  der  Carpiden ,  d.  h. 
bis  zum  Kernhause,  wo  er  verschwindet,  um  ei- 
nem Hohlräume  Platz  zu  machen;  dagegen  be- 
ginnt nun  plötzlich  die  Aufschwellnng  der  Rinde 
und  bildet  das  eigentliche  Fruchtfleisch. 

Zur  Zeit  der  Fruchtreife  ist  der  stengelähn- 
liche Theil  des  Kelch-Internodiuma  sehr  fragil, 
dort  pflegt  mau  die  Frucht  abzubrechen.  Un- 
terhalb dieser  fragilen  Region  wird,  kurz  bevor 
die  Frucht  zeitig  ist,  das  Mark  von  einer  Kork- 
platte durchsetzt ,  welche  quer  zur  Axe  steht 
und  in  kappenförmiger  Wölbung  noch  eine 
Strecke  auf  der  inneren  Seite  der  Holzstränge 
herabläuft.  Holz,  Cambium  und  Rinde  bilden 
vor  dem  Abbrechen  keine  solche  Korkplatte 
aus,  erst  nach  der  Verletzung  kommt  es  hier 
zur  üeberwallnng.  Die  Korkplatte  des  Markes 
steht  etwa  auf  dem  durch  das  oberste  Laubblatt 
gebildeten  Knoten;  der  brüchige  Theil  der  Blü- 
thenaxe  gehört  zum  Kelch  -  Internodium.  Das 
sonst  sehr  stärkereiche  Mark  enthält  oberhalb 
der  Korkplatte  keine  Stärke. 

Der  befruchtete  Sproß  findet  seine  Fortset- 
zung durch  Äxelsprosse ,  welche  sich  entweder 
gleichzeitig  mit  der  Frucht  entwickeln  oder  erst 
im  nächsten  Jahre;  derselbe  wird  dadurch  wie 
ein  normales  Glied  in  das  System  vegetativer 
Sprosse  des  Strauches  eingeschaltet.  — 

Suchen  wir  diese  Beobachtungen  zunächst 
für  die  morphologische  Deutung  der  Quitten- 
frucht zu  verwerthen ,    so   kommt    zur  Geltung, 


480 

daß  die  Internodien  der  befruchteten  Axe 
eine  erhebliche  Verdickung  gegenüber  der  nicht 
befruchteten  zeigen,  während  die  basalen  Theile 
der^Laubblätter  so  wenig  eine  Anschwellung 
verrathen,  wie  die  der  Kelchblätter.  Die  Inter- 
nodien also  zeigen  ganz  allgemein  Tendenz  zu 
gesteigertem  Dickenwachsthum  in  Folge  der  Be- 
fruchtung, nicht  aber  die  Blätter.  Da  nun  der 
fleischige  Theil  der  Frucht  unzweifelhaft  dem 
zwischen  Kelch  und  erstem  Laubblatt  gelegenen 
Sproßglied e  angehört,  so  sprechen  auch  die  an 
der  Quitte  gemachten  Wahrnehmungen  für  die 
von  Holle  gegebene  Erklärung  der  Pomaceen- 
Frucht. 

Allein  die  geschilderten  Verhältnisse  sind 
geeignet,  auch  in  physiologischer  Hinsicht  das 
Interesse  wach  zu  rufen. 

In  überaus  zahlreichen  Fällen  sehen  wir  im 
Pflanzenreiche  durch  die  Befruchtung  Wachs- 
thums-Bewegungen  zur  Auslösung  kommen,  welche 
sich  mehr  weniger  weit  über  diejenige  Sproß- 
Region  hinaus  fortsetzen,  die  wir  morphologisch 
als  Blüthe  zu  bezeichnen  gewohnt  sind :  dadurch 
entstehen  jene  manchfaltigen  Scheinfrüchte,  von 
denen  die  Feige  eine  der  merkwürdigsten  ist. 
Aber  in  allen  diesen  Fällen  sind  wir  genöthigt, 
die  durch  den  singulären  Wachsthums  -  Proceß 
ergrifi'enen  Internodien  und  Blätter  physiologisch 
mit  zur  Frucht  zu  rechnen ,  weil  sie  zur  Unter- 
stützung des  von  der  Fruchtbildung  angestrebten 
Zieles  sich  entwickeln,  demgemäß  auch  mit  der 
reifen  Frucht  abgeworfen  werden.  In  der  That 
ist  es  ja  physiologisch  ganz  gleichgültig ,  wenn 
eine  Fleischfrucht  erzielt  werden  soll ,  ob  das 
Fruchtfleisch  aus  den  Fruchtblättern ,  aus  dem 
Kelche,  aus  den  Blüthenstiele  oder  den  Deck- 
blättern sich  bildet. 


481 

Dagegen  habe  ich  in  der  Literatur  keine  Er- 
wähnung von  Fällen  finden  können,  wie  der  an 
der  Quitte  beschriebene ,  wo  die  in  der  Frucht- 
entwicklung hervorgerufene  Wucherung  des  Ge- 
webes sich  auf  Theile  des  die  Blüthe  tragenden 
Sprosses  fortsetzt,  welche  rein  vegetative  Func- 
tionen versehen  ,  mittelst  ihrer  ganz  normalen 
Laubblätter  die  Eruährungs  -  Arbeit  der  nicht 
blühenden  Aeste  theilen  und  im  Laufe  der  Ent- 
wicklung ,  nach  Abstoßung  der  Frucht ,  in  die 
Sproßverkettung  des  vegetativen  Systems  sich 
einfügen. 

Ob  dies  abnorme  Dickenwachsthum  der 
fruchttragenden  Sprosse  der  Quitte  irgendwie 
für  die  Fruchtentwicklung  nützlich  sei,  ist  eine 
Frage,  die,  weil  schwer  zu  entscheiden,  wir  hier 
nicht  weiter  erörtern  wollen.  Begünstigt  wird 
die  in  Rede  stehende  Erscheinung  sicher  durch 
den  Umstand,  daß  die  Frucht  der  Quitte  nicht 
mit  der  scharfen  Gliederung  eines  Fruchtstiels 
gegen  den  sie  tragenden  Ast  sich  absetzt ,  wie 
bei  der  Birne,  dem  Apfel.  Wenn  wir  bei  diesen 
letzteren  beiden  Früchten  nicht  selten  fleischige 
Anschwellungen  des  Fruchtstiels  finden,  so  läßt 
sich  das  nicht  vergleichend  hierherziehen ,  weil 
die  Stiele  mit  der  Frucht  abgeworfen  werden. 

Die  Befruchtung  gehört  zu  den  Reizen,  wel- 
che specifische  Wachsthumsbewegungen  erzeugen. 
Das  Licht,  die  Schwerkraft,  äußerer  Druck  oder 
Verwundung  wirken  als  äußere  mechanische  Reize 
in  dieser  Richtung.  Reize,  welche  durch  chemische 
Impfung  eiuerheterogeuen  Substanz  eigeuthümliche 
Wucherungen  der  Gewebe  verursachen ,  liegen 
uns  vor  in  den  durch  den  Stich  von  Arthropoden 
hervorgerufeneu  Gallenbildungen  ^).       An     diese 

1)  Bereits  von  Röper  ist  die  Gallenbildang  mit  dem 
durch  Befruchtang  hervorgerufenen  Wachsthum  verglichen 


482 

Kategorie  schließt  sich  der  durch  die  Vereini- 
gung männlicher  befruchtender  Substanz  mit  der 
Eizelle  gegebene  Anstoß  zu  derjenigen  Wachs- 
thumsbewegung,  welche  in  der  Frucht-  und  Sa- 
menbildung uns  vorliegt.  Daß  hierbei  der  von 
dem  Ceutrum  des  Reizes  angezogene  intensive 
Zufluß  von  Bildungsstoffen  nicht  der  Frucht  al- 
lein zu  Gute  zu  kommen  braucht,  sondern  auch 
zur  stärkeren  Ernährung  und  selbst  Hypertro- 
phie benachbarter  vegetativer  Glieder  dienen 
kann  ,  wird  durch  das  Beispiel  der  Quitte  ge- 
lehrt. Vermuthlich  wird  dies  Beispiel  bei  wei- 
terem Umblick  kein  isolirtes  bleiben. 


Ilniyersität. 


Mittheilungen  aus  dem  pharmacologischen 
Institut  der  Universität  Göttingen. 

Beobachtungen    zur   Verwerthung   der 

Ligatur    der   großen   Hirnarterien    für 

experimentell-pharmacologische 

Untersuchungen. 

Von 

W.  Marmö. 

Die  Unterbindung  der  vier  großen  Hirnarterien, 
die  Kuß  maul  und  Ten  n  er  mit  so  glänzenden 
Resultaten  für  die  exi3e4'imentelle  Pathologie  ver- 
werthet  haben,  ist  von  S.  Mayer  auf  die  expe- 
rimentelle Prüfung  von  Arzneimittelwirkungen 
ausgedehnt   worden  ^),      Während    aber  Mayer 

worden.     Vgl.  die  üebers.  von  D.  C.  's  Pflanzenphysiolo- 
gie II.    pagr.  143. 

1)  Archiv  f.  exp.  Path.  u.  Pharm.    V.  Bd.  S.  55. 


483 

besonders  hervorhebt^)  »die  aus^ebige  Verwer- 
thunw  der  Methode  werde  leider  dadurch  beein- 
trächtigt, daß  dieselbe  nur  bei  Kaninchen  in 
der  (von  ihm)  geschilderten  Weise  anzuwenden 
sei,«  haben  Luchsin ger*)  und  ich')  unab- 
hängig von  einander  dieselbe  Methode  auch  an 
Katzen  mit  Erfolg  in  Anwendung  gebracht.  Al- 
lerdings sind  uns  beiden  unter  den  letzteren 
Versuchsthieren  wiederholt  Individuen  begegnet, 
die  trotz  der  tadellosen  Ligatur  des  Tr.  brachio- 
cephalicus  und  der  A.  subclavia  sin.,  wie  dies 
bei  Hunden  nach  den  übereinstimmenden  Beo- 
bachtungen von  A.  C 00 per*),  Panum^),  Hei- 
denhain ^)  S.  Mayer^)  u.  A.  in  der  Regel  der 
Fall  ist,  ruhig  fortathraeten  und  nicht  in  Con- 
vulsionen  verfielen.  Da  mir  derartige  unliebsame 
Begegnungen  in  den  letzten  beiden  Semestern 
noch  wiederholt  aufgestoßen  sind  und  das  Re- 
sultat des  Experiments  vereitelt  haben,  drängte 
sich  mir  die  Frage  auf,  ob  S.  Mayer  mit  seiner 
exclusiven  Ansicht  nicht  doch  im  Rechte  sei. 
Ich  sah  mich  daher,  um  jeden  Zweifel  zu  besei- 
tigen, veranlaßt,  bei  allen  im  Institut  gebrauchten 
Katzen  den  Ursprung  und  A^erlauf  der  großen 
Halsgefäße  genauer  zu  verfolgen  und  durch  In- 
jectionen  die  Bahnen  festzustellen ,  auf  welchen 
ausnahmsweise  bei  diesen  Thieren  trotz  der  Un- 
terbindung der   genannten  Arterien  dem  Gehirn 

1)  Sitzgsb.  d.  kais.  Akad.  d.  W.    73.  Bd.  S.  105. 

2)  Archiv  für  die  gesamtnte  Physiologie  1877  Bd.  XV. 
und  1878  Bd.  XVI. 

3)  Diese  Nachrichten  No.  3.  1878. 

4)  Guy's  Hosp.  Rep.     Vol.  I  p.  457—475.  (1836). 

5)  Günsburgs  Zeitschrift  für  kl.  Medicin  1856.     S. 
401—409.' 

6)  Studien  des  physiol.  Inst.  z.   Breslau   IV  H.  1868 
S   87 

7)  S.  Mayer  Sitzgsb.  d.  k.  Akad.   Bd.  73.   S.  105. 106. 


484 

sauerstoffhaltiges  Blut  zufließt.  Im  Anschluß 
an  diese  Untersuchungen  habe  ich  auch  bei 
Hunden  die  entsprechenden  Wege  aufgesucht, 
da  dieselben  auch  bei  diesen  Thieren  bisher  Nie- 
mand bestimmt  nachgewiesen  hat.  Zwar  liegt 
ein  dahinzielender  Befund  von  P  an  um  I.e.  vor, 
auf  den  ich  zurückkomme,  derselbe  hat  aber  nur 
Gültigkeit  für  das  von  ihm  allein  gewählte  Opera- 
tionsverfahren. Er  unterband  bei  einem  Hunde, 
abgesehen  von  beiden  Carotid.  com.,  die  Aa.  ve- 
tebrales  zwischen  dem  2.  und  3,  Halswirbel, 
während  alle  Anderen  vor  ihm  und  nach  ihm 
beide  Vertebralarterien  viel  näher  dem  Herzen  oder 
statt  dieser  Gefäße  die  Aa.  subclaviae  ligirt  haben. 

Meine  Untersuchungen,  die  sich  auf  etliche 
dreißig  Thiere  erstrecken,  ergeben  als  Resultat, 
daß  bei  mehr  weniger  erwachsenen  Katzen 
die  Blutzufuhr  zum  Gehirn  nach  der 
Ligatur  des  Tr.  brachioc.  und  der  A. 
subclavia  sin.  nur  durch  eine  Anomalie 
im  Ursprung  oder  im  Lumen  der  Sub- 
claviaäste  ermöglicht  wird. 

Die'  Anomalien  des  Ursprungs,  die 
mir  begegnet  sind,  betrafen  stets  die  Aeste  der 
linken  Subclavia.  Eine  derartige  habe  ich  schon 
früher  erwähnt^);  sie  betraf  die  linke  Wirbel- 
arterie, welche  aus  dem  Arcus  Aortae  zwischen 
Tr.  brachioc.  u.  A.  subclavia  sin.  entsprang.  In 
einem  anderen  Falle  zweigten  sich  von  der  Sub- 
clavia sinistra  zwischen  Aorta  und  Vertebralis 
sinistra  zwei,  in  einem  dritten  Pralle  nur  eine 
Arterie  ab,  welche  mit  der  unterbundenen  link- 
seitigen  Vertebralis  nicht  weit  von  deren  Ur- 
sprung communicirten. 

Abnorme  Stärke   der  Wirbelarterien  sah 

1)  Diese  Nachrichten  1878  v.  20.  Febr. 


485 

ich  bei  zwei  Thieren.  Hier  konute,  wie  nach- 
trägliche Injectionen  constatirten ,  das  arterielle 
Blut  nach  Unterbindung  des  Trane,  und  der  A, 
subcl.  sin.,  ähnlich  wie  wir  es  später  bei  Hunden 
sehen  werden,  durch  Vermittelung  anderer  Aeste 
der  Subclavia  und  der  Brustaorta  genügend  rasch 
und  in  genügender  Menge  in  die  Wirbelart^rien 
gelangen,  um  das  Respirationscentrum  in  Action 
zu  erhalten.  Bei  allen  anderen  untersuchten, 
großen  Katzen  zeigten  sich  die  Yertebralarterieu 
sehr  eng  und  linkerseits  gab  die  Subclavia  von 
ihrem  Ursprung  bis  zum  Abgang  der  Vertebralis 
keine  besondere  Arterie  ab. 

Während  die  angeführten  Anomalien  durch 
Injectionen  von  blauer  Leimmasse  klar  zu  Tage 
traten,  war  es  nicht  möglich,  durch  dasselbe 
Mittel  endgültig  den  Beweis  zu  liefern,  daß  die 
Ligatur  der  wiederholt  genannten  Gefäße  die 
Zufuhr  von  Blut  von  dem  Hirn  vollständig  ab- 
sperrt. Der  Grund  dafür  liegt  darin,  daß  es  an 
eiuem  Anhaltspunct  zur  Bestimmung  der  Zeit 
fehlt,  wann  die  lujection  abgebrochen  werden 
muß.  Setzt  man  dieselbe  länger  fort,  so  füllen 
sich  schließlich  sämmtliche  mit  unbewaflFuetem 
Auge  sichtbaren  Gefäße  des  Hirns  und  Rücken- 
marks und  von  der  Peripherie  aus  selbst  die 
unterbundenen  Arterien  des  Halses. 

Die  Injection  geschah  m  folgender  "Weise.  Das  Ster- 
num  der  curarisirten  oder  eben  getödteten  Katze,  wurde 
bis  zur  dritten  Rippe  entfernt,  der  Tr.  brachioc.  und 
die  Subclavia  sin.  nahe  ihrem  Ursprung  aus  der  Aorta 
und  diese  selbst  (natürlich  am  todten  Thiece)  vom  Ab- 
domen aus  dicht  über  dem  Diaphragma  unterbunden. 
Oberhalb  der  Ligatur  wurde  eine  möglichst  weite  Gias- 
kanüle  eingelegt.  Das  so  vorbereitete,  auf  einer  Bleiplatte 
befestigte  Thier  senkten  wir  in  einen  großen,  mit  40*^  war- 
mem  Wasser   gefüllten   Harting'schen  Injectionska&ten '), 

1)  Harting,  das  Mikroskop.    Bd.  1.  S.  119. 


486 

in  dessen  tieferem  Theile  schon  vorher  eine  mit  blauer 
Leimmasse  gefüllte  Woulff'sche  Flasche  untergebracht 
war.  Von  dieser  letzteren  führte  je  ein  Gummischlauch 
zu  der  Aortakanüle,  zu  einem  Qaecksilbermanometer  nnd 
zu  einem  mit  Luft  gefüllten  Gasometer,  welcher  wie  bei 
dem  auf  S.  244  No.  7  dieser  Nachr.  erwähnten  Durch- 
strömungsapparat, mit  einem  Hahn  der  städtischen  Was- 
serleitung in  Verbindung  stand.  Die  Injectionen  wurden 
stets  bei  ganz  geringem  Druck  begonnen  und  derselbe 
nur  allmälig  gesteigert,  immer  aber  weit  unter  der  Durch- 
Bchuittshöhe  des  Blutdrucks  gehalten ,  weil  ein  höherer 
Druck  schlechtere  Füllung  der  kleinen  Gefäße  zur  Folge 
hat.  Wurden  die  Injectionen  länger  als  15  Minuten  und 
höchstens  Va  Stunde  fortgesetzt,  so  fanden  wir  24  Stunden 
später  bei  der  Section  *),  alle  oben  genannten  Gefäße  und 
außerdem  die  Intercostalarterien  und  Mammariae  int.  nebst 
ihren  Anastomosen,  mit  blauem  Leim  gefüllt.  Dabei 
waren  die  Conjunctivae  ganz  blaß  geblieben  und  Mund- 
schleimhaut und  Zunge  ließen  kaum  einen  blauen  Schimmer 
erkennen. 

Da  wir  im  Gegensatz  zn  den  Katzen  bei  den 
größten  Lapins ,  wenn  die  Ligaturen  angelegt 
waren,  selbst  bei  Stunden  lang  fortgesetzter  In- 
jection  nie  eine  ebenso  vollständige  Füllung  der 
Hirn-  und  Schädelget'äße  erreichten ,  wurde  der 
Verdacht  rege,  es  könnte  vielleicht  bei  den  durch 
Curare  gelähmten  Katzen,  während  längerer 
Dauer  eines  Experimentes  art.  Blut  und  mit 
diesem  ein  Theil  des  zu  prüfenden  Arzneimittels 
oder  Giftes  allmälig  ins  Gehirn  geführt  werden. 
Um  bei  dieser  Ungewißheit  zu  einer  bestimmten 

1)  Bei  der  Section  einer  Katze  fanden  wir  im  Groß- 
hirn und  im  Rückenmark  je  einen  Blasenwurm,  den  Col- 
lege Ehlers  die  Güte  hatte  zu  bestimmen.  Es  war  nicht, 
•wie  zu  vermuthen  stand,  Cystic.  fasciolaris,  der  in  der 
Hausmaus,  oder  C.  longicollis,  der  in  der  Brusthöhle  der 
Felamaus  schmarotzt  sondern  der  gemeine  C.  cellulosoae, 
dessen  Vorkommen  im  Rückenmark  der  Katze  weder  bei 
Diesing  noch  anderwärts  angeführt  ist.  Krankheitser- 
scheinungen hatten  die  Parasitsn  bei  Lebzeiten  des  Thieres 
nicht  veranlaßt. 


487 

Entscheidung  zn  kommen,  versuchte  ich  normale 
Katzen,  bei  denen  entweder  in  der  Chloroform- 
narcose  oder  während  möglichst  schwacher  Cu- 
rarelähmuug  die  Gefäßatämme  unterbunden  worden 
waren,  durch  Stunden  lang  unterhaltene  Respi- 
ration am  Leben  zu  erhalten.  Es  stellten  sich 
aber  bei  den  Versuchsthieren  niemals  spontane 
ßespiratiousbewegungen  ein  und  auch  wenn  die 
Thiere  iu  einem  geeigneten  Wärmekasten  bei 
38°  C.  vor  jeder  nachtheiligen  Abkühlung  ge- 
schützt blieben,  gingen  sie  schließlich  doch  an 
Herzlähmuug  zu  Grunde.  —  Um  zu  entscheiden 
ob  oder  ob  nicht  Spuren  eines  in  die  Blutbahn 
gespritzten  Giftes  trotz  der  Ligatur  ins  Gehirn 
gelangen  können,  jnjicirte  ich  operirten  Kaninchen 
und  Katzen  während  künstlich  unterhaltener  Re- 
spiration eine  wässerige  Lösung  von  Thallium- 
suUat  in  eine  Schenkelvene  und  prüfte  *j  p.  m. 
das  Gehirn  auf  seinen  Gehalt  an  Thallium.  Al- 
lerdings fand  ich  niemals  im  Hirn  solcher  Thiere 
Thallium.  Da  aber  auch  bei  ganz  intacten 
Katzen  der  Nachweis  des  injicirt^n  Metallsalzes 
im  Gehirn  nicht  iu  allen  Fällen  gelang,  durfte 
ich  auch  diesen  Beweis  nicht  gelten  lassen  und 
kam  deßhalb  zu  dem  früher  schou  angegebenen  *) 
Mittel,  ich  infuudirte  den  operirten  Thieren  bei 
Lebzeiten  in  eine  Vene  Natriumindigosulfat. 
Durch  dieses  Verfahren  fand  ich  denn  bei  allen  nor- 
malen^) ausgewachsenen  Katzen  die  oben 
ausgesprochene  Annahme    vollkommen  bestätigt. 

1)  Nach  der  1867  i.  d.  Nachr.  No.  20  angegebenen 
electrolytisch-spectroscopischen  Methode. 

2)  Diese  Nachrichten  1.  c. 

3)  Es  sind  mir  übrigens  auch  Gefäßanomalien  begegnet 
welche  den  Erfolg  der  Unterbindung  mcht  alteriren,  wie 
z.  B.  Ursprung  der  Subclavia  sin.  aas  dem  Tr.  brachio- 
cephalicQs. 


488 

Nicht  so  verhielten  sich  sehr  junge  Kätz- 
chen. Experimentirt  man  an  solchen,  so  trifft 
man  unter  diesen  nicht  so  selten  Individuen,  die 
ohne  jede  nachweisbare  Gefäßanomalie  nach  re- 
gelrechter Unterbindung  der  großen  Gefäßstämme 
spontan  fortathmen.  Injicirt  man  p.  m.  die  Ge- 
fäße ,  so  läßt  sich  keine  ungewöhnliche  Anosto- 
mosenbildung  mit  Sicherheit  constatiren.  Da- 
gegen zeigen  sich  die  Aa.  vertebrales  und  mam- 
mariae  int.  sehr  stark  ausgedehnt  und  prall  an- 
gefüllt. Es  liegt  daher  nahe,  anzunehmen,  daß 
bei  diesen  jungen  Thieren  die  Gefäße  sich  leichter 
und  stärker  ausdehnen ,  als  bei  alten  Thieren 
und  daß  namentlich  die  Vertebrales  sich  inner- 
halb ihrer  noch  nicht  verknöcherten  Umgebung 
genügend  rasch  erweitern  können ,  um  dem  Ge- 
hirn trotz  der  Unterbindung ,  ähnlich  wie  bei 
Hunden ,  so  viel  arterielles  Blut  zuzuführen, 
wie  zur  Unterhaltung  der  Respiration  noth- 
wendig  ist. 

Bei  erwachsenen  Katzen  stimmen  auch  die 
Erscheinungen ,  welche  man  nach  Absperrung 
des  Blutstromes  vom  Hirn  beobachtet  im  We- 
sentlichen mit  denen  überein,  die  bei  Kaninchen 
vorkommen. 

Gleich  nach  der  Absperrung  sieht  man 
1.  Veränderungen  der  Pupille  wie  sie  Kuß- 
maul unter  gleichen  Bedingungen  bei  Kanin- 
chen beschrieben  hat.  2.  Stürmische  Athembe- 
wegungen  von  kurzer  Dauer  und  heftige  Con- 
vulsioneu ,  wie  sie  der  Straßburger  Kliniker 
gleichfalls  bei  Kaninchen  anführt.  3.  Auffallend 
starkes  Lungenoedem,  wenn  die  Thiere  nicht 
curaresirt  sind  oder  sich  von  der  Curarewirkung 
wieder  erholt  haben  und  noch  nicht  zu  sehr  er- 
schöpft sind.  4.  Ansteigen  des  Blutdrucks  mit 
nachfolgendem  Sinken  und  allmälig  eintretender 


4^^ 

Herzscbwäche  5.  kommen  nach  dem  Aufhören 
der  Hirnfunctionen  Reflexfunctionen  des  Rücken- 
marks in  exquisiter  Weise  zur  Beobachtung. 

Löst  man  die  Ligaturen  nach  etwa  10  Mi- 
nuten, so  treten  die  von  L.  Mayer^)  bei  Ka- 
ninchen geschilderten  postanämischen  Bewegun- 
gen auf. 

Katzen  vertragen  übrigens  die  Absperrung 
des  Blutes  vom  Hirn  nur  kurze  Zeit  und  wenn 
nach  Wiederberstellung  der  Hirncirculation  auch 
die  Respiration  wieder  in  Gang  kommt,  erholen 
sich,  soweit  meiue  Beobachtungen  reichen,  die 
Thiere  doch  nie  mehr  vollständig.  Bis  jetzt  ist 
es  mir  wenigstens  in  keinem  Falle  gelungen  eine 
Katze,  die  wieder  spontane  Athembewegungen 
machte,  dauernd  am  Leben  zu  erhalten.  Dieser 
negative  Erfolg  läßt  sich  nicht  auf  die  Opera- 
tionsmethode als  Ursache  zurückfiihren.  Denn 
die  Katzen,  die  am  Leben  erhalten  werden  soll- 
ten, hatte  ich  nicht  nach  der  von  Luchsin  ger 
1.  c.  angegebenen  Methode  operirt,  sondern  nach 
dem  weiter  unten  beschriebenen  Verfahren,  wel- 
ches bei  Hunden  stets  zu  dem  gewünschten  Re- 
sultate führte. 

Nach  allen  diesen  Ergebnissen  kann  man 
mit  demselben  Rechte  und  demselben  Erfolge 
wie  bei  Kaninchen  auch  bei  mehr  oder  weniger 
erwachsenen,  normalen  Katzen  die  Unterbindung 
der  großen  Halsarterien  experimentell  verwer- 
then  und  es  bedarf  kaum  einer  besondern  Her- 
vorhebung, wie  wichtig  es  für  den  experimenti- 
renden  Pharmacologen  ist  ein  Arzneimittel  oder 
Gift  unter  ganz  gleichen  Bedingungen  nicht  nur 
an  einem  Herbiroreu,  sondern  auch  an  einem 
Repräsentanten  der  Fleischfresser  untersuchen  zu 
können. 

1)  Centralblatt  f.  d.  med.  W.  No.  32  u.  33  v.  1878 

40 


490 

Ueberall  wo  man  bei  der  exp.  Prüfung  von 
Substanzen  mit  Umgehung  der  Narcotica  und 
Anaesthica  den  Einfluß  des  Großhirns,  des  re- 
spiratorischen und  vasomotorischen  Centrums 
auf  Circulation  und  Respiration,  auf  die  Organe 
der  Bewegung  und  auf  die  Function  der  ver- 
schiedenen Ünterleibsorgane  ausschalten  will, 
kann  man  die  Unterbindung  der  genannten 
Gefäße  mit  Nutzen  verwerthen.  Wenn  es  ferner 
von  Wichtigkeit  ist,  bei  irgend  einer  Untersu- 
chung ein  Arzneimittel  oder  Gift  nur  in  das  Ge- 
hirn und  die  genannten  Centra  gelangen  und 
auf  diese  Theile  einwirken  zu  lassen,  kann  man 
unter  den  von  L.  Mayer  1.  c.  angegebenen 
Cautelen  und  genauer  ausgeführten  Erweiterun- 
gen des  Experiments  gleichfalls  die  Ligatur  bei 
beiden  Thierarten  in  Gebrauch  ziehen. 

Endlich  ist,  wie  Luchsinger  betont ,  die 
vorgängige  Ligatur  der  Halsarterien  sehr  vor- 
theilhaft ,  wenn  bei  einem  Experiment  die  Dis- 
cision  der  Medulla  spinalis  erforderlich  wird. 
Durch  die  Unterbindung  kann  die  Discision  ohne 
jede  Blutung  ausgeführt  und  fast  jede  störende 
Shock- Wirkung  umgangen  werden.  — 

Bei  den  viel  leichter  zu  behandelnden  Hun- 
den und  wie  ich  hinzufügen  kann  auch  bei  Zie- 
gen, ist  die  Unterbindung  der  großen  Hirnarte- 
rien zu  gleichen  Zwecken  nicht  brauchbar. 
Hunde  leben,  wie  zuerst  A.  Co o per  dargethan 
hat,  nach  dem  Verschluß  der  Carotiden  und 
derVertebrales  in  ungetrübter  Gesundheit 
fort.  Sie  ertragen  ebensogut  die  Unterbindung 
des  Tr.  brachiocephalicus  und  der  Sub- 
clavia sinistra.  Am  5.  April  1878  injicirte 
ich  einer  kleinen  Hündin  von  c.  5000  Grm. 
Körpergewicht  in  die  rechte  Schenkel vene  0,12 
Morphin,    hydrochlor.      Dem    tief   narcotisirten 


491 

Thier  unterband  ich  daranf  unter  Thymolspray 
den  Truncns  brachiocephalicus.  Nachdem  hier- 
durch die  Carotis  com.  dext.  und  die  gleichsei- 
tige Subclavia  verschlossen  waren,  ligirte  ich  in 
gleicher  Weise  die  Subclavia  sinist.  nahe  an  ih- 
rem Ursprung  aus  der  Aorta.  Einige  Minuten 
später  legte  ich  auch  um  die  Carotis  com,  si- 
nist. eine  Ligatur.  Die  Operationswuude  wurde 
mit  carbolisirtem  Catgut  geschlossen.  Am  fol- 
genden Tage  war  das  Thier  noch  etwas  träge, 
aber  am  dritten  Tage  verzehrte  es  schon  etwas 
Futter  und  erholte  sich  dann  rasch,  während 
die  Operatiouswunde  ohne  Schwellung  und  Ei- 
terung heilte.  lu  den  folgenden  Pfingstferien 
warf  die  Hündin  drei  normale  Junge,  an  welchen 
College  Eichhorst  im  Anschluß  an  frühere 
Arbeiten  die  Discision  der  medulla  spinalis  vor- 
nahm. Am  10.  October  habe  ich  das  Thier  ge- 
tödtet,  um  das  weiter  unten  beschriebene  Injec- 
tionspräparat  zu  gewinnen. 

Bei  einiger  üebung  und  geeigneter  Assistenz 
ist  die  Operation  nicht  schwierig.  Ich  mache 
in  der  Mittellinie  des  Halses  einen  Längsschnitt 
durch  Haut  und  subcutanes  Bindegewebe,  gehe 
anfangs  mit  Hülfe  des  Messers,  später  nur  mit 
Ludwig' s  Schaber  und  Pincette  an  der  late- 
ralen Seite  des  rechten  M.  Sternocleidomast.  ein 
bis  auf  die  Carotis  com.  Von  ihr  geleitet  dringe 
ich,  während  die  Wunde  vom  Assistenten  mit- 
telst zweier  stumpfer  Haken  auseinander  gehal- 
ten wird  ,  ohne  jede  Blutung  bis  unter  den  Ur- 
sprung der  Subclavia  vor,  unterbinde  den  Trun- 
cus  und  sperre  mit  dieser  einen  Ligatur  rechter- 
seits  beide  großen  Arterienstämme  vom  Herzen 
ab.  Von  der  lateralen  Seite  des  linken  M. 
Sternocleidomast  ist  bei  kleinen  Thieren  die  A. 
Subclavia    sinist.    bald    erreicht      Sie  wird  vor- 

40* 


4S2 

sichtig  centträlwärts  isoiirt,  bis'  siob  a^i^schöW 
Aorta  uud  Vertebralis  eine  Ligatur  anbritigett 
läßt.  Zweckmäßig  pausirt  man  nun'  etwas  ehe 
man  auch  die  linke  Carotis  com.  zuschnürt.  — 
In  anderen  Versuchen  habe  ich  die  linke  Kopf- 
schlagader erst  14  Tage  später  unterbunden^ 
nachdem  die  erste  Operationswunde  vollständig  ver- 
heilt war,  weil  mir  einzelne  Thiere  ,  bei  denen 
die  vier  großen  Halsarterien  fast  gleichzeitig  vör- 
schlossen  wurden,  kurz  darauf  trotz  rasch  ein*- 
geleiteter  und  lange  Zeit  fortgesetzte^  Respiration 
zu  Grunde  gegangen  sind. 

Schon  R.  Heidenhain  hat  1.  c.  in  seiner 
schönen  Arbeit  über  die  Speicheldrüsen  darauf 
aufmerksam  gemacht,  daß  bei  Hunden  das  Ge- 
hirn noch  auf  anderen  Wegen  als  diirch  die  ge- 
nannten großen  Arterien  sauerstoffhaltiges  Blut 
erhalten  müsse.  Er  hat  wiederholt  bei  Hunden 
die  Carotiden  und  Subclavien  unterbunden,  die 
Thiere  aber  nie  am  Leben  erhalten,  sondern  zu 
weiteren  Versuchen  verbraucht.  Die  Wege,  auf 
welchen  das  Gehirn  nach  der  Opöratiön  mit 
Blut  versorgt  wird,  hat  He  i  d  e  n h  a  i  n'  nicht  ge- 
nauer ermittelt. 

S.  Mayer  hat,  wie  er  gelegentlich  seiner 
Studien  zur  Physiologie  des  Herzens  (1.  c.)  mit- 
theilt, an  zwei  Hunden  die  Carotiden  und  die 
Vertebrales,  bei  einem  dritten  die  Carotiden  und' 
die  Subclavien  unterbunden.  Die  beiden  erste röh* 
Thiere ,  welche  mit  Opium  narcotisirt  waren, 
zeigten  keine  Lähmung  der  Respiration  noch 
Circulation.  Bei  dem  dritten  Thiere  ,  welches 
mittelst  Curare  gelähmt  war,  fUnctionirte  das 
vasomotorische  Ceutrum  während'  künstlicher 
Respiration  ruhig  fort.  Am  Leben  erhalten  hat 
Mayer  seine  Thiere  nicht  und  gibt  auch  keine 
genauere   anatom.  Erklärung   für  die  Fortdauer 


493 

des  Lebens  nach  der  Operation,  hebt  aber  be- 
sonders hervor,  daß  die  Erklärung,  welche  Pa- 
tt um  vor  zweiundzwanzig  Jahren  gegebeu  hat 
nicht  für  seine  Versuche  ,  sondern  nur  für  dag 
von  Panum  und  vielleicht  noch  für  das  viel 
ältere  von  Cooper  angestellte  Experiment  Gel- 
tung haben  könne. 

Panum  war  1856  der  Meinung,  die  ein- 
zigste Stelle,  an  welcher  man  die  Vertebralarte- 
rien  beim  lebenden  Hunde  unterbinden  könne, 
sei  die,  »wo  sie  vom  Kauale  im  Epitropheus 
aus  in  den  Kanal  im  Atlas  übertritt. €  Er  isor 
lirte  und  unterband  gelegentlich  einer  Studie 
über  Embolie  1.  c.  beide  Vertebrales  an  dieser  Stelle 
und  ligirte  gleich  danach  auch  beide  Carotiden. 
Vier  Stunden  später  tödtete  er  das  Thier  und 
injicirte  durch  die  Aorta  descendens  nach- oben 
hin  eine  schwarze  Fettmasse.  Obgleich  die  Li-^ 
gaturen  sich  als  impermeabel  erwiesen ,  waren 
die  Hirnarterien  doch  von  der  schwarzen  lujec'^ 
tionsmasse  stark  angefüllt.  Die  Erklärung  hier- 
für sah  Panum  darin,  daß  die  Vert^bralis  un- 
terhalb der  Ligatur  zwischen  2.  und  3.  Hals- 
wirbel einen  sehr  starken  Arterienzweig  zum 
Rückenmark  abgab ,  welcher  sich  mit  dem  eutr 
«prechenden  Arterienzweig  von  der  anderen  Seit^ 
zu  einem  gemeinschaftlichen  Stamm  vereinigt. 
Diesen  letzteren  läßt  Panum  nachdem  derselbe 
etwas  höher  oben  nochmals  zwei  Zweige  von 
der  Vertebralis  aufgenommen  hat,  schließlich 
die  Arterie  basilaris  bilden.  Es  ist  dies  eine 
Auffassung,  die,  wenn  sie  auch  den  Erfolg  des 
P  a  u  u  m'schen  Experiments  erklären  kann ,  der 
Anschauung  heutiger  Anatomen  nicht  entspricht. 
Denn  die  im  Wirbelkanal  aufsteigende  Arterie 
Panums  ist,  wie  sich  leicht  constatiren  läßt, 
die  von  den  Vertebrales   stammende  A.  Spiualis 


494 

anterior.  Diese  letztere  gibt  beim  Hunde,  gerade 
wie  nach  Henle^)  beim  Menschen,  in  ihrem 
Verlaufe  an  variabeln  Stellen  seitliche  Zweige 
ab ,  die  ihrer  Seits  theils  mit  Zweigen  der  A. 
Spinalis  posterior,  theils  mit  tiefern  Parthien 
beider  A.  Vertebrales  und  weiter  abwärts  durch 
die  foramina  intervertebralia  mit  den  Interco- 
stalarterien  Anastomosen  eingehen. 

Auf  den  seiner  Zeit  sehr  berühmten  Versuch 
von  Astley  Co op er  paßt  Pan ums  Erklärung 
nicht.  Cooper  1.  c.  unterband  am  28.  Jan. 
1831  einem  Hunde  beide  Vertebrales  nahe  an 
ihrem  Ursprung  und  gleich  darauf  beide  Caro- 
tiden.  Der  Hund  erholte  sich  und  wurde  erst 
9  Monate  später  getödtet  und  injicirt.  Genaue 
Abbildungen  des  Injectionspräparates  zeigen  so- 
wohl die  Obliterationsstellen  wie  die  zahlreichen 
Anastomosen.  Auf  welchen  Wegen  aber  gleich 
nach  der  Operation  das  Ilirn  sauerstoffhaltiges 
Blut  erhält  lehrt  auch  der  C  o  o  p  e  r'sche  Versuch 
nicht. 

Um  diese  Bahnen  kennen  zu  lernen  präpa- 
rirte  ich  an  frischen  Hundeleichen  die  Aorta  tho- 
racica asc,  den  truncus  brachioceph.,  (aus  welchem 
bei  Hunden  wie  fast  immer  bei  Katzen  ^)  die 
rechte  Subclavia  und  beide  Carotiden  entsprin- 
gen), die  rechte  und  linke  Carotis  com.,  die  Sub- 
clavia dextra,  und  die  Aeste,  welche  aus  derselben 
entspringen  ehe  die  Subclavia  über  die  erste 
Rippe  hinweg  auf  die  Außenseite  des  Thorax 
gelangt.  Auf  dieser  Strecke  entspringen  in  der 
Regel  die  Aa.  vetebralis,  mamaria  interna,  die 
eervicalis  profunda,  intercostalis  suprema  und 
thyreoidea.     Die  drei  zuletzt  genannten  Arterien 

1)  Handb.  d.  syst.  Anat.  III  Bd.     1868.    S.  120  u.  121. 

2)  Nach  Luch  sing  er  1.  c.  entspringen  diese  Arterien 
nicht  immer  aus  dem  Truncus. 


495 

treten  oft  zu  einem  gemeinschaftlichen  Stamme, 
der  aus  der  Subclavia  entspringt,  zusammen. 
Einmal  sah  ich  sie  mit  gemeinschaftlichem  Stamme 
aus  der  Vertebralis  kommen.  Hinsichtlich  ihres 
Lumens  zeigen  diese  3  Arterien  mannigfache 
Variationen;  meist  war  die  der  Cervicalis  prof. 
beim  Menschen  entsprechende  Arterie  weiter  als 
die  Intercostalis  suprema  und  die  Thyreoidea. 
Ungefähr  von  gleicher  Weite  wie  die  Vertebralis 
ist  oft  die  Mammaria  int.  Nachdem  diese  sämmt- 
lichen  Aeste  möglichst  vollständig  isolirt  waren, 
unterband  ich  die  beiden  Carotiden,  die  Verte- 
bralis dext.,  die  rechte  Mam.  int.  an  ihrem  Ur- 
sprung und  dann  die  Subclavia  selbst  peripher 
von  der  Cervicalis  profunda.  Es  blieb  also  nur 
die  zuletzt  genannte  frei.  Dann  wurde  das  Schä- 
deldach in  seiner  ganzen  Ausdehnung  entfernt, 
das  Hirn  aus  seinen  Verbindungen  gelöst  und 
mit  der  Medulla  oblongata  so  zurückgeschlagen 
(den  Hund  in  Rückenlage  gedacht),  daß  die  Art. 
basilaris  und  die  von  ihr  ausgehenden  beiden 
Schenkel  der  Spinalis  ant.  gut  beobachtet  werden 
konnten.  Nun  injicirte  ich  in  den  Tr.  Berliner- 
blau in  Glycerin  gelöst  und  sah  fast  unmittelbar 
nach  Beginn  der  Injection  aus  der  angeschnit- 
tenen A.  basilaris  die  blaue  Flüssigkeit  austreten. 
Bei  dieser  Anordnung  des  Experiments  vermittelt 
die  Cervicalis  profunda  die  Füllung  der  Verte- 
bralis resp.  der  Basilaris. 

Wird  der  Versuch  so  variirt,  daß  nur  der 
Truncus  brachioc.  und  die  Subclavia  sinistra  dicht 
am  Arcus  Aortae  und  die  Subcl.  dextra  peripher  von 
der  Cervicalis  profunda  unterbunden  sind  und 
injicirt  man  jetzt  von  der  Aorta  thoracica  descen- 
dens  aus,  ähnlich  wie  es  Panum  gemacht  hat, 
nach  dem  Herzen  zu  blaues  Glycerin,  so  füllt 
sich  auch  jetzt  die  A.   basilaris  sehr  rasch.    Es 


496 

vermitteln  unter  den  gegebenen  Bedingungen 
rechterseits  die  Anastomosen,  welche  die  Inter- 
costales  äorticae  mit  der  Mamaria  int.  und  der 
Intercostalis  suprema  verbinden  zunächst  die 
Füllung  des  unterbundenen  Theiles  der  Subclavia 
^extr.  und  von  hier  aus  die  Füllung  der  Verte- 
bralis  und  der  beiden  Carotides  com. 

Legt  man  nach  Unterbindung  des  Trumcus 
'brachioceph.  und  der  Subclavia  sinistra  noch  be- 
sondere Ligaturen  um  die  Mamariae  int.,  die 
Cervicales'prof.,  die  Vertebrales  und  um  beidß 
Carqtides  com.,  injicirt  wieder  in  die  Aorta  tho- 
racica descendens  aufwärts,  so  dringt  auch  jetzjt 
noch  das  blaugefärb,te  Glycerin  in  die  Basilaris. 
Die  Füllung  kommt  aber  erst  längere  Zeit'  nach 
Beginn  der  Injection  zu  Stande  und  '  es  bleibt 
"zweifelhaft  ob  hier  nicht  die  Füllung  durch  die 
Venen plexus  im  Wirbelkanal   vermittelt  wird. 

Die  rasche  Versorgung  des  Hundejiirns  mit 
arteriellem  Blute  besorgen  nach  Unterbindung 
des  Truncus  brachioc.  und  der  Subclavia!  sinistra, 
wenn  nicht  allein ,  so  jedenfalls  haupjtsächlich 
die  Aa.  intercostales  äorticae,  die  Aa.  mammariae 
int.  und  in'bercostales  supremae.  Daß  (^iese  Ar- 
terien wirklich  die  hauptsächlichsten  Bahnen  sind, 
auf  welchen  nach  der  Unterbindung  das  Efii-u 
init  arteriellem  Blut  versorgt  wird,  bewies  schl^,- 
gend  die  Leim -Injection  der  am  5.  April  ope- 
rirten  und  am  10.  October  jgetodteten  Hündin. 
Die  Intercostales  sowohl  wie  die  Mammariae  und 
die  Cervicales  profund,  zeigten  sich  deutlich  aus- 
gedehnt und  von  deti  zuletzt  genannten  Arterien 
ließen  sich  schon  bald  nach  ihrer  Abzweigung 
aus  der  Subclavia  relativ  starke  Anastomosen 
lÜit  der  Vertebralis  jaloslegen. 


497 

Erklärung  der  zu  No.  7  S.  244  dieser  Nachr. 
gehörenden  Abbildung  des  Darchströmungsap- 
parates  aus  dem  pharmacologischeu.  Institut. 
A.  mit  Luft  gefüllter  Gasometer ;  B.  mit  defibrinirtem 
Blute  gefüllte  Glasbirne ;  E.  Manometer ;  F.  Glas- 
birne zur  Aufnahme  des  durch  die  Niere  getrie- 
benen Blutes;  G.  Kochflasche  in  38° C.  warmem 
Wasser,  in  welcher  das  Blut  aus  F.  gesammelt 
und  mit  Luft  geschüttelt  wird;  a.  Verbindung 
mit  der  städt.  Wasserleitung;  b.  Glashf^hn;  c. 
Bohre  von  Glas  mit  Quetschhahu,  welcher  ge- 
öffnet wird  nachdem  b,  geschlossen  ist,  weun  das 
in  G.  gesammelte  Blut  durch  den  Trichter  d.  in 
die  Birne  B.  nachgefüllt  wird  ;  e.  Gummischlauch- 
.verbindung  mit  einer  Klerampincette  verschließ- 
Tjar;  f.  Glashahn  zur  Verbindung  mit  denj  Ma- 
nometer E ;  welcher  außerhalb  des  Kastens  g.  h. 
i.  k.  steht;  g.  h.  i  k.  Zijikkasten,  welcher  biß 
zur  punctirten  Linie  1.  m.  mit  0,6%  Kochsalz- 
lösung von  37,5 — 38,0*^  C.  gefüllt  ist  und  durch 
die  Brenner  n.  und  o.  erwärmt  wird;  p.  Glas- 
kanüle £nr  die  Nierenarterie-,  q.  Metajlk^nüle, 
sie  verbindet  den  Ureter  vom  Nierenbecken  an 
mit  der  weiteren  Glasröhre  r,  welche  durch  die 
mit  Quetschhahn  versehene  engere  Glasröhre 
8.  fast  lulftleer  erhalten  werden  kann;  t.  Glas- 
kanüle für  die  Nierenvene;  u.  Glasschale  für  die 
Niere. 


498 

Promotionen  der   philosophischen  Fa- 
cultät    unter    dem    Decanate    von   Pro- 
fessor Wüstenfeld  vom  1.  Juli  1877 
bis  Ende  Juni  1878. 

(Fortsetzung.) 

7.  August.     Louis  Grube  aus  Goslar.      Diss.: 

üeber  Nitroamidobenzoesäure. 

8.  August.      Martin    Wetzel    aus  Dingelstedt. 

Diss.:  De  cousecutionetemporumCiceroniana. 

9.  August.      Heinrieh    P recht    aus   Jobber    in 

Hannover.  Diss. :  Untersuchungen  über  De- 
rivate des  Acetessigäthers  und  der  Dehy- 
dracetsäure. 

10.  August.     Wilh.  G  e  r  c  k  e  n  aus  Lesum.    Diss. : 

Ueber  die  mathematische  Theorie  der  Disper- 
sion des  Lichtes. 

H.August.  Robert  De  ttl  off  aus  Riga.  Diss.: 
Der  erste  Römerzug  Kaiser  Friedrichs  L  1154. 
1155.      Ein    Beitrag   zur   Reichsgeschichte. 

15.  August.  John  Will.  Raveil  aus  Toronto 
in  Canada.  Diss.:  Verhalten  der  Salpeter- 
säure zur  Parabrombenzoesäure  und  zum  Pa- 
rabrombenzanilid. 

15.  August.  Aug.  Bock  er  aus  Eschede  in 
Hannover.  Diss.:  Ueber  die  Natur  der  Di- 
nitrobenzoesäure    aus   Metanitrobenzoesäure. 

16.  October.      J.   G.   Rud.    Langen  beck    aus 

Göttingen.  Diss.:  Ueber  diejenigen  geodä- 
tischen Linien  auf  dem  dreiaxigen  Ellipsoid, 
welche  durch  einen  der  Nabelpunkte  des- 
selben gehen. 

23.  October.  E.  G.  Heinr.  Weudlandt  aus 
Uelzen.  Diss.:  Die  Sturmschen  Functionen 
zweiter  Gattung. 

28.  October.  Theodor  Friederici  aus  Wehlau 
in  Ostpreußen.    Diss.:  Ueber  die  Einwirkung 


499 

von  Wasserstoff  auf  Trichloracetylmetanitro- 
paratoluid  und  Monovalerylmetanitroparato- 
luid. 

1.  November.  Paul  Rieh.  Bruch  er  aus  Glan- 
dorf  in  Hannover.  Diss. :  Grnndzüge  der 
Mechanik  des  Hufes  und  einer  darauf  ge- 
stützten naturgemäßen  Diätetik  desselben. 

8.  November.  Heinr.  Schäfer  aus Calcar.  Diss.: 
De  nonnuUarum  particularumapud  Antiphon- 
tem  usu. 

10.  November.  Oscar  G  ö  1 1  s  c  h  k  e  aus  Leimbach 
Prov.  Sachsen.  Diss. :  Ueberführuns;  der 
B-Nitrosalicylsäure  in  Metauitrobenzoesäure. 

18.  November.  Robert  Heinr.  Lüning  aus 
Horneburg.  Diss. :  1.  Ueber  Natrium,  Schwe- 
felwasserstoff und  Benzonitril.  2.  Ueber 
Benzonitril,  Benzylchlorid  und  Zink  oder 
Natrium.  3.  Nitrimng  von  Paratoluidinsul- 
fat.  4.  Propionylchlorid  und  Orthodiamide. 
5.  Ueber  ein  Nitrosulfobenzol. 

20.  November.  Carl  Dyckerhoff  aus  Mann- 
heim. Diss. :  Beiträge  zur  Kenntniß  des 
Acetophenons. 

20.  November.  John  T.  Stoddard  aus  Nort- 
hampton  in  Massachusetts.  Diss. :  Ueber 
Anhydrobenzamidotoluylsäure. 

30.  November.  Georg  Rob.  Hasse  aus  Lieg- 
nitz.  Diss. :  Ueber  die  Einwirkung  von  Te- 
trachlorkohlenstoff auf  Phenole  in  alkalischer 
Lösung. 

8.  December.      Carl  Rodenberg   aus   Bremen. 

Diss. :  Die  vifa  Walae  als  historische  Quelle. 

9.  Februar  1878.     Rud.  L  e  h  m  a  n  n  aus  Crefeld. 

Diss. :  Kant's  Lehre  vom  Ding  an  sich.    Ein 
Beitrag  zur  Kantphilologie. 
12.  Februar.     Diro  Kitao  aus  Mazzäi  in  Japan. 
Diss.:  Zur  Farbenlehre. 


500 

19.  Februar.  Georg  Winter  aus  Breslau.  Diss. : 
Geschichte  des  Rathes  in  Straßburg  von 
seinen  ersten  Spuren  bis  zum  Statut  von  1263. 

26.  Februar.  Georg  W  e  n  d  t  aus  Stendal.  Diss. : 
Die  Nationalität  der  Bevölkerung  der  deut- 
schen Ostmarken  vor  dem  Beginne  der  Ger- 
manisirung. 

28.  Februar.  Oscar  Gust.  Landgre  be  aus  Düs- 
seldorf. Diss.:  üeber  Verbindungen  des 
Cyans  mit  organischen  Basen. 

2.  März.  Georg  Bockwoldt  aus  Bisdorf  auf 
Fehmarn.  Diss.:  Ueber  die  Enneper'schen 
Flächen  mit  coustantem  positivem  Krüm- 
mungsmaas, bei  denen  die  eine  Schaar  der 
Krümmungslinien  von  ebenen  Curven  ge- 
bildet wird. 

7.  März.  Carl  Heinr.  Bernh.  Hachez  aus  Bill- 
wärder.  Diss. :  De  Herodoti  itineribus  et 
scriptis. 

S.März.  Herrn.  Beutnagel  aus  Thiede  in  Braun- 
schweig. Diss.:  Ueber Metabrombenzoesäure, 
Bromnitro-  und  Bibrom-Benzoesäure. 

9.  März.  Martin  K 1  a  m  r  o  t  h  aus  Fiddichow  in 
Pommern.  Diss.:  Gregorii  Abulfaragii  bar 
Ebhraya  in  Actus  Apostolorum  et  Epistulas 
Catholicas  adnotationes  Syriace. 

12.  März.  Emil  Heikenberg  aus  Hagen  in 
Westfalen.  Diss.:  Beiträge  zur  Keuntniß 
des  Orcins. 

12.  März.      Leo  Lewy  aus  Posen.      Diss.:    Die 

bei  der  Einwirkung  von  Chloroform  auf  Re- 
sorcin  in  alkalischer  Lösung  entstehenden 
Aldehyde  und  einige  Derivate  derselben. 

13.  März.     Ed.  Aug.  Gustav  F  e  1  i  s  c  h  aus  Hey- 

debeck  in  Pommern.  Diss. :  Beitrag  zur  Hi- 
stologie der  Schleimhäute  in  den  Lufthöhleu 
des  Pferdekopfes. 


501 

14.  März.  August  Hecht  aus  Wahneberj^en  in 
Hannover.  Diss. :  üeber  die  Einwirkung 
von  Benzoesäure  auf  Bariumpaianitro-  und 
Brom-Benzoat. 

14.  März.  Carl  Krise  he  aus  Göttin  gen.  Diss.: 
I.  lieber  NitrobenznitrotoUiide  und  die  Ein- 
wirkung von  Wasserstoff  auf  dieselben.  U. 
Zur  Kenntniß  der  Sulfauilsäure. 

15.  März.  Okko  Beruh.  Ledin g  aus  Klein- 
Midlum  in  Ostfriesland.  Diss. :  Die  Freiheit 
der  Friesen  im  Mittelalter  und  ihr  Bund 
mit  den  Versammlungen   beim  üpstallsbom. 

17.  März.    Maximilian  Dohrn  ßrütt  aus  Marne 
in    Ditmarschen.      Diss.:    Die   Anfänge  der 
classischen  Tragödie  Frankreichs. 
22.  März.     P.  G.  Richard  Schwartz  aus  Stol- 
zenau.    Diss. :  Gregorii  bar  Ebhraya  in  Evan- 
gelium Johannis  Commentarius.   E  thesauro 
mysteriorum  desumptum  edidit. 
24.  März.     Adolf  W  ultze  aus  Göttingen.    Diss.: 
Ueber  die  Einwirkung  der  Salpetersäure  auf 
paranitrobenzoylirtes  Anilin  und  Beitrag  zur 
Kenntniß  der  Parachlormetauitrobenzoesäure. 
2.  April.     Ignaz  Jastrow   aus  Nakel  in  Posen. 
Diss. :    Zur     strafrechtlichen     Stellung     der 
Sklaven  bei  Deutschen  und  Angelsachsen. 
1.  Juni.     J.  E.  Carl  Schering  aus  Scharnebeck. 
Diss.:  Zur  Theorie  des  Bernhardtschen  arith- 
metisch-geometrischen Mittels  aus  vier  Ele- 
menten. 
28.  Juni.     John  Robin  Irby  aus  Lynchburg  im 
Staat   Virginia.      Diss.:    On   the    Crystallo- 
graphy  of  Calcite. 

Sechs  Candidaten  wurden  nach  der  münd- 
lichen Prüfung  zurückgewiesen,  um  sich  nach 
einem  halben  oder  einem  ganzen  Jahre  zu  einer 
zweiten  Prüfung  zu  melden. 


502 

Fünfzehn  Candidaten  konnten  wegen  der 
nicht  genügend  befundenen  Dissertationen  zur 
mündlichen  Prüfung  nicht  zugelassen  werden. 

Zwei  Candidaten  zogen  ihre  Bewerbung  zu- 
rück und  Einer  wurde  von  vornherein  abgewiesen. 


Bei    der    Königl.    Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften   eingegangene  Druckschriften 

Mai  1878. 

(Fortsetzung). 

E.  Hertzberg,  om  Kredittens  begrab  og  väsen.  Ebd. 
1877. 

A.  N.  Kiär,  Bidrag  til  Belysningen  af  Skibsfartens  öko- 

nomiske  Forhold.    Ebd.    1877. 
J.  Garn  borg,  om  Byerne  og  Landet,  etc.    Ebd.    1877. 
Norges  officielle  Statistik.     57  Hefte.     4. 

F.  Herb  ich,  Das  Szeklerland,  geolog.  u.  paläontol.  be- 
schrieben.   Pest.  1878. 

XVU.    Soc.  Toscana  di  Sc.  naturali.    Proc.  verbali. 
Neues  Lausitzisches  Magazin.     Bd.  54.    H.  1. 
Sitzungsber.  der  k.  böhm.  Gesellsch.  der  Wiss.   in   Prag. 

1877. 
VictorSchlegel,    Hermann   Grassmann's   Leben   und 

Werke.     1878. 
Nbrske  Frederiks  üniversitet  Aarsberetning.    1869.  60.  62. 

73.  74.  76. 
Forhandlinger  i  Videnskabs  Selskabet  i  Christiania.  1876. 

1877. 

Juni  1878. 

Natura,    448  —  463. 

G.  Striivar,  sopra  Spinello  Orientale.    Roma.  1878.    4. 
ßivista  Europea.    Vol.  VH.  Fase.  8. 

Leopoldina.  XIV.  No.  9  —  10. 

Astronom.,  magnet.  u.  metaorolog.  Beobachtungen  an  der 
Sternwarte  zu  Prag.   1877.   Fol. 

F.  Neumann,  zur  Laut-  und  Flexionslehre  des  Altfran- 
zösischen.   1878. 

A.  Porti 8,  über  fossile  Schildkröten  aus  der  Provinz 
Hannover.    1878.    4. 


503 

Monthly  notices  of  the  R.  Astronom.  Society.    Vol.  38. 
No.  7. 

F.  de   Müller,     Fragmenta   phytographiae    Australiae. 
Vol.  X. 

Verhandl.  der  physik.  med.  GeaellBchaft   zu   Würzborg. 

Bd.  XII.    1.  2.  H. 
J.  Schmidt,  Charte  der  Gebirge  des  Mondes.    25  Blät- 
ter.    Gross  Folio  in  Quadrat  nebst  Erläuterungs-Band. 

Klein  Foüo.     Berlin.    1878. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  Sciences  de  Belgique.    T.  45. 

No.  4. 
Schriften  der  natorforsch.  Gesellsch.  in  Danzig.    Bd.  IV. 

H.  2. 
Rivista  Europea.    Vol.  VII.  Fase.  4.   Vol.  VIH.  Fase.  1. 
Pubblicazion  i   del   R.  Istitnto    di   studi   sape- 

riori  in  Firenze: 
Sezione  di  Medicina,  Chirurgia  e  Pharmacia.  Vol.  I. 
Sez.  di  scienze  Fisiche  e  Naturali.    Vol.  I. 
Sez.  di  Filosofia  e  Filologia.     Vol.  I. 
Repertorio  Singo-Giapponese.    Fase.  1 — 2. 
Enciclopedia  Singo-Giapponese. 
In  Hegesippi  oratione  de  halonneso  etc. 
Sulla  epistola  oridiana  di  SafFo  a  Faone. 
Sei  tavolette  cerate  scoperte  in  una  antica  torre  in  Firenze. 
II  coramento  medio  di  averroe  alla  retorica  di  Aristotele, 

Miscellania. 
Studi  e  ricerche  sui  Picnoyonidi. 

Opere  pubblicate  dai  professori  della  sezione  fis.  e  natura. 
Compte-Rendu  de  la  Commission  imp.  archeologique  pour 

l'annee  1875.     Avec  aa  Atlas.     St.  Petersbourg.    1873. 

Fol. 
S.  Angelin,  Jeonographia  Crinoideorum  in  stratis  Sue- 

ciae  siluricis  fossilium.     Cum  tabulis  XXIX.     Holmiae. 

1878.    Fol. 
Memoirs   of   the  Museum   of  comp.  Zoology  at  Harvard 

College.    Vol.  V.  No.  2. 

G.  J.  Allmann,   Report  on  the  Hydroida, 
Dieselb.    Vol.  VI.  No.  2. 

L.  Lesquereux,   Report  on  the  fossil  plants  of  Sierra 

nevada. 
J.  Plateau,    Bibliographie    analytiqae    des   principaox 

phenomenes  subjectifs  de  la  vision.     Section  IV.  V.  VI. 

1877.    4. 
Sitzungsberichte    der    philosoph.-philolog.  histor.  Ciasee 

der  K.  Akademie.    München.    1878. 


504 

25.— 26.Jahresb.  der  naturhist.  Gesellschaft  in  Hannoyer. 
Jahresbericht    des    naturhist.   Vereins   Lotos    für     1877. 

(Jahrg.  27). 
Von  derselben  Zeitschrift  die  Jahrgänge  II  —  IX. 
Jahresb.  der  Lese-  und  RedehaUe  der  deutschen  Stad.  in 

Prag.    1878. 
Monatsbericht  der  Berliner  Akad.  der  W.    März  —  April. 

1878. 
F.V.  Hayden,  Report  on  the  Unit.  St.  geological  Surv^y 

of  the  Territories.     Vol.  VII.     Washington.   1878.     4. 
The  Transactions  of  the  Acad.  of  Sc.  of  St.  Louis.   Vol. 

III.   4. 
Memoirs    of   the   Boston   Soc.  of  Nat.  History.    Vol.  IL 

P.  4.  No.  6. 
Proceedings.     VoL  XIX.    Part.  1  —  2. 
J.  M.  Toner,  Adress  before  the  Rocky  Mountain  medical 

Association.    1877. 
Anales  de  la  Universidad  de  Chile.    43  Hefte.  1875—76. 

Santjago. 
R.  J.  Valdes,  Historia  de  Chile  desde  1831  hasta  1871. 

T.  L    Ebd.    1876. 
M.  L.  Amunategui,    la  Cronica   de    1810.  *  T.  I — 11. 

Ebd.  1876. 
Memoria  de  Relationes  esteriores  i  de  Colonizacion.  Ebd. 

1876. 
Memoria  del  Inferior  1876.     T.  I-II.    Ebd. 
Änuario  hidrogratico  de  la  Marina  de  Chile.    Anno  II  — 

IIL    Ebd.  1876-77. 
J.  Domeyko,   Ensaye    sobre   los    depositos   melaliferos 

de  Chile.    1876. 
Memoria  que  el  intendente  di  Valparaiso.     187 ä — 76. 
Memoria  de  justitia ,    culto  e  instruccion  publica.      Sant- 
jago. 1876. 
Memoria  de  hacunda.    Ebd.  1876. 
Memoria  de  guerra  y  marina.    Eb.  1876. 
Colleccion  de  tratados   celebrandos   por   la   republica  de 

Chile.    T.  II.    1875.    4. 
Anuario    estadistico   de    la    repub.    de  Chile.    T.   XVII. 

1874—75.    Fol. 
Sesiones  ordinarios  de  la   camera  de   diputados.    No.  I. 

1875.    Fol. 
Sesiones  estraordinarios.    No.  IL    1876. '  Fol. 

(Fortsetzung  folgt.) 


505 


Varlirirhfen 

von  der  Königl.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der  G.  A.  Universität  zu 
Göttingen. 


18.  December.         M  16.  1878. 


KöDivliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

Oeffentliche  Sitzung  am  7.  December. 

Henle,  Zur  Erinnerung  an  E.  H.  Weber. 

Listing,  Zum  Andenken  an  A.  von  Ettingshausen. 

Pauli,  Magister  Thomas  Brunns ,  Beamter  Rogers  von 
Sicilien  und  Heinrichs  II.  von  England. 

de  Lagarde,  üeber  die  koptischen  Handschriften  der 
hiesigen  Bibliothek  und  über  den  Stand  der  Arbeiten 
zur  Kritik  des  Bibeltextes.  (Erscheint  in  den  Ab- 
handlungen). 

Riecke,  üeber  das  ponderomotorische  Elementargesetz 
der  Electrodynamik. 

Enneper,  üeber  eine  Gleichung  zwischen  Theta- Func- 
tionen. 

K  r  ü  m  m  e  1 ,  Die  mittlere  Tiefe  des  Oeeans  und  das 
Massenverhältniß  von  Land  und  Meer.  (Vorgelegt  von 
Wappäus). 

W  i  e  s  e  1  e  r  ,  üeber  die  neuesten  archäologischen  Ent- 
deckungen. 

Jahresbericht  des  Secretärs. 


Die  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  feierte 
in  der  heutigen  Sitzuug  ihren  Stiftungstag  zum 
siebenundzwanzigsten  Mal  in  dem  zweiten  Jahr- 
hundert ihres  Bestehens.  Nach  den  obigen 
Vorträgen  erstattete  der  Secretär  den  folgenden 
Jahresbericht : 

Die  Societät  hat  in  diesem  Jahre  9  Sitztin- 
gen   gehalten,   in  denen    12  ausführlichere  Ab- 

41 


506 

handluugen  und  40  kürzere  Mittheilungen 
vorgetragen  oder  vorgelegt  worden  sind.  Die 
ersteren  machen  den  Inhalt  des  bereits  im  Druck 
vollendeten  XXIII.  Bandes  der  »Abhandlangen 
der  K.  Gesellschaft  der  Wissenschaften«  aus; 
die  letztern  sind  in  dem  gegenwärtigen  Jahr- 
gang der  »Nachrichten«  enthalten. 

Die  für  den  November  d.  J.  von  der  physi- 
kalischen Classe  gestellte  physiologische  Preis- 
frage hat  einen  Bearbeiter  nicht  gefunden ;  sie 
wird  nicht  von  Neuem  aufgegeben. 

Für  die  nächsten  drei  Jahre  werden  von  der 
K.  Societät  folgende  Preisfragen  gestellt: 

Für  den  November  187y  von  der  mathe- 
matischen Classe: 

Während  in  der  heutigen  Undulationstheorie 
des  Lichtes  neben  der  Voraiisseizuiig  transver- 
saler Oseillationen  der  Aethertheilchen  das  me- 
chanische Princip  der  Coexistenz  kleiner  Betve- 
gungen  zur  Erklärung  der  Polarisations-  und 
der  Interferenz  -  Erscheinungen  genügt,  reichen 
diese  Unterlagen  nicht  mehr  aus,  wenn  es  sich 
um  die  Natur  des  unpolarisirten  oder  natürli- 
chen Lichtes^  oder  aber  um  den  Conflict  zwi- 
schen Wellenzügen  handelt,  welche  Glicht  aus 
derselben  Lichtquelle  stammen.  Man  hat  dem 
Mangel  durch  die  Voraussetzung  einer  sogenann- 
ten großen  Periode  von  innerhalb  gewisser  Gren- 
zen regelloser  Dauer  abzuhelfen  gesucht^  ohne 
nähere  erfahrungsmäßige  Begründung  dieser 
Hülfsvor Stellung.  Die  K.  Societät  ivünscht  die 
Anstellung  neuer  auf  die  Natur  des  unpola- 
risirten Lichtstrahls  gerichteter  Unter- 
suchungen ,  welche  geeignet  seien  ,  die  auf  na- 
türliches Licht  von  beliebiger  Abkunft  bezüglichen 
Vorstellungen  Jiinsichilich  ihrer  Bestimmtheit 
denen  nahe  zu  bringen^  welche  die  Theorie  mit 


507 

den    verschiedenen  Arten    polarisirten  Lichtes 
verbindet. 
Fürdeu  November  1880  von  der  historisch- 
philologischen Claase  (wiederholt): 

Die  K.  Societät  verlangt,  daß  gezagt  werde, 
was  die  bildenden  und  zeichnenden  Künste 
bei  den  G-riechen  und  Italern  den  Künsten 
der  JSichtgriechen  und  Nichtitaler  verdanken, 
und  hinwiederum,  wo  sie  außerhalb  der  Grie- 
chischen u)id  Italischen  Länder  Wurzel  getrie- 
ben und  wiefern  sie  einen  Einfluß  auf  die  Ent- 
wickelung  der  Künste  bei  JSicJitgriechen  und 
NicMitalern  gehabt  haben. 
Für  den  November  1881  von  der  physika- 
lisch eu  Classe : 

Die  K.  Societät  verlangt  eine  auf  neue  Un- 
tersuchungen gestützte  Darstellung  derjenigen 
Entwicklungsvorgänge,  durch  welche  die  Gestal- 
tung des  ausgebildeten  Echinodermenleibes  her- 
beigeführt wird.  Es  soll  darin,  in  Anschluß 
an  die  gesicherten  Kenntnisse  von  der  Em- 
bryonenentivicklung  der  Echinodermen,  besonders 
gezeigt  tcerden,  in  welcher  Weise  das  Tliier 
aus  der  Larvenform  bis  zur  völligen  Anlage 
sämmtUcher  Organsysteme  erwächst.  Dabei 
bleibt  es  der  Untersuchung  überlassen,  ob  an 
einer  characteristiscJien  Art  der  Enticicklungs- 
gang  in  allen  Einzelnheiten  erforscht  wird, 
oder  ob  durch  die  Feststellung  der  Entwicklung 
verschiedener  Formen  ein  für  den  ganzen  Kreis 
geltendes  Verhalten  dargelegt  wird;  in  letzterem 
Falle  müßte  aber  die  Untersuchung  soweit  ein- 
dringen, daß  die  hauptsächlichen  Uebereinstim- 
mungen  und  Abiceichungen  in  der  Ausbildung 
der  Organsysteme  bei  den  verschiedenen  Echi- 
nodermenformen  von  ihrem  frühsten  Auftreten 
an  gekennzeichyiet  werden. 

41  * 


508 


Die  Concurrenzschriften  müssen ,  mit  einem 
Motto  versehen ,  vor  Ablauf  des  Septembers 
des  bestimmten  Jahrs  an  die  K.  Gesellschaft  der 
"Wissenschaften  portofrei  eingesandt  werden,  be- 
gleitet von  einem  versiegelten  Zettel,  welcher 
den  Namen  und  Wohnort  des  Verfassers  ent- 
hält und  auswendig  mit  dem  Motto  der  Schrift 
versehen  ist. 

Der  für  jede  dieser  Aufgaben  ausgesetzte 
Preis  beträgt  mindestens  fünfzig  Ducaten. 


Die  Preisaufgabeu  der  Wedekind'  sehen 
Stiftung  sind  in  den  »Nachrichten«  von  1877 
S.  137  veröfiFentlicht. 


Das  Directorium  der  Societät  ist  zu  Michaelis 
von  Herrn  Grisebach  in  der  physikalischen, 
auf  Herrn  Weber  in  der  mathematischen  Classe 
übergegangen. 

Von  ihren  auswärtigen  Mitgliedern  und  Cor- 
respondenten  verlor  die  Societät  in  diesem  Jahre 
durch  den  Tod: 

Den  Professor  der  Anatomie  und  Physiologie 
Geheimen  Medicinalrath  Ernst  Heinrich  Weber 
in  Leipzig ,    starb  im  83.  Lebensjahre ; 

Den  Professor  der  Physik  Andreas  Freiherrn 
von  Ettingshausen  in  Wien,    im  82.  Jahr; 

Den  Physiker  und  Director  der  Porzellanfabrik 
zu  Sevres  Henri  Victor  Regnault,  im  68.  Jahr; 

Den  Archäologen  und  Curator  der  Universität 
Josoph  Emmanuel  Roulez  in  Gent,  im  72.  Jahr; 

Den  Professor  der  Philologie  K.  Lehrs  in 
Königsberg,  im  76.  Jahr; 

Den  Professor  der  Chemie  Eugen  von  Go- 
rup-Besauez  in  Erlangen,  im  62.  Jahr. 


509 

Von  der  Societät  neu  erwählt  wurden : 

Zu   auswärtigen  Mitgliedern: 

Hr.  Theodor  Schwann  in  Lüttich, 
Hr.  Heinrich  Eduard  Heine  in  Halle. 

Zu  Co rr es pon deuten: 

Hr.  Heinrich  Ernst  Beyrich  in  Berlin, 
Hr.  Joseph  von  Lenhossek  in  Pest, 
Hr.  Georg  Cantor  in  Halle, 
Hr.  Gösta  Mittag-Leffler  in  Helsingfors, 
Hr.  Ludwig  Hänselmann  in  Braunschweig. 


Zur  Erinnerung  an  E.  H.  Weber. 

Von 

J.  Henle. 

Dem  auswärtigen  Mitgliede,  E.  H.  Weber, 
dessen  Verlust  wir  beklagen,  ein  Wort  des  Ge- 
denkens zu  widmen,  sind  wir  nicht  nur  durch 
seine  wissenschaftliche  Bedeutung  und  unsere 
wissenschaftliehe  Verbindung  veranlaßt ;  im  glück- 
lichen Besitze  des  Einen  der  Trias,  welcher  der 
Verstorbene  angehörte,  durften  wir  ihn  in  einem 
wärmern  Tone  den  Unsrigen  nennen,  sahen  wir 
ihn  oft  bei  uns  verweilen  und  es  sind  gewiß 
Wenige  unter  uns,  denen  nicht  in  diesem  Augen- 
blicke die  Erinnerung  an  deu  warmen  Druck 
seiner  Hand,  an  die  von  Herzen  zu  Herzen  drin- 
gende Stimme  vor  der  Seele  schwebt. 

Es  darf  wohl  als  eine  providentielle  Veran- 
staltung gepriesen  werden,  daß  um  die  Wende 
unsers  Jahrhunderts  die  Natur  in  dreifacher 
Zahl  und   in   drei  Zweigen  Eines  Stammes    die 


510 

Geister  scliuf,  die  unsere  Wissenschaft  aus  den 
Träumen  der  Naturphilosophie  zu  dem  ernsten 
Tagewerk  methodischer  Forschung  wiedererwe- 
cken  sollten.  Und  sie  vollbrachten  dies  ohne 
Polemik,  ohne  ein  hartes  Wort  gegen  die  Träu- 
mer, ohne  gewaltsames  Rütteln  derselben.  Sie 
vollbrachten  es  durch  ihr  Beispiel ,  durch  den 
sichern ,  festen  Schritt ,  mit  dem  sie  ihre  Bahn 
betraten. 

Wir  wollen  uns  kein  Urtheil  über  die  Art 
der  Arbeitstheilung  in  der  geistigen  Werkstatt 
der  Brüder  erlauben;  möchte  es  doch  ihnen  selbst 
schwer  geworden  sein,  bei  dem  steten  Gedanken- 
austausch, am  häuslichen  Uerd,  auf  Wanderungen, 
im  Verkehr  mit  Freunden,  den  Ort  und  die 
Stunde  zu  bestimmen,  wo  eine  folgenreiche  Idee 
empfangen,  wo  sie  geboren  wurde.  Aber  das 
darf  ohne  Indiscretion  als  eine  geschichtliche 
Thatsache  ausgesprochen  werden,  daß  das  Fa- 
milienglied ,  welches  seinen  Namen  im  physika- 
lischen Gebiete  verewigen  sollte,  wie  es  den 
Jahren  nach  die  Mitte  zwischen  den  beiden  An- 
dern einnahm,  so  auch  an  Beider  Epoche -ma- 
chenden Werken  sich  betheiligte.  Als  Frucht 
gemeinsamer  Arbeit  der  beiden  altern  Brüder 
erschien  im  J.  1825  die  Wellenlehre,  als  Frucht 
gemeinsamer  Arbeit  der  beiden  jüngeren  im  J. 
1836  die  Mechanik  der  menschlichen  Gehwerk- 
zeuge. Beide  aber  verfolgten ,  die  Eine  mittel- 
bar, die  andere  unmittelbar  das  Ziel,  die  Gel- 
tung physicalischer  Gesetze  im  Reiche  des  Orga- 
nischen nachzuweisen  und  damit  die  Physiologie 
zum  Range  einer  exacten  Wissenschaft  zu  erheben. 

Ich  erinnere  mich  noch  der  Sensation,  welche 
es  erregte,  als  Wilh.  und  Ed.  Weber  an  Ab- 
drücken von  Durchschnitten  der  Gelenke ,  auf 
welche  die  Druckerschwärze    direct   aufgetragen 


511 

war,  den  Beweis  lipferten,  daß  es  mit  der  Kugel- 
form des  Schulter-  und  Hiiffcgelenkkopfs,  mit  der 
Cylinderform  der  Scharniergelenke  vollkommener 
Ernst  sei.  So  tief  hatte  man  sich  in  den  Ge- 
gensatz von  Vitalismus  und  Mechanismus  ver- 
strickt, daß  man  mathematische  Genauigkeit 
nicht  einmal  in  den  Fällen  erwartete,  in  welchen 
der  organische  Apparat  sein  Vor-  oder  vielmehr 
Abbild  in  nnsern  künstlichen  Maschinen  findet. 
Ernst  Heinrich  hatte  mit  der  Wellenlehre 
den  Grund  zu  einer  Theorie  des  Blutkreislaufs, 
einer  Hydraulik  des  thierischen  Körpers  gelegt, 
die  noch  heute  in  der  Methode  unübertroffen, 
in  den  Resultaten  unangefochten  dasteht.  Er 
fand  die  Meinung  vor,  die  sich  auf  die  Autorität 
von  Hall  er  und  Bichat  stützte,  daß  der 
Puls  in  allen  Arterien  des  Körpers  gleichzeitig 
Statt  finde.  Seine  erste  Abhandlung  (1827)  wi- 
derlegte diesen  Irrthum  und  bestimmte  das  Zeit- 
intervall, welches  zwischen  dem  Pulsschlag  der 
dem  Herzen  näheren  und  der  vom  Herzen  ent- 
fernteren Arterien  verstreicht.  Hieran  reihten 
sich  Aufklärungen  über  den  Antheil  des  Her- 
zens und  der  Arterien  an  den  Erscheinungen 
des  Pulses.  Weber  verdankt  man  die  Unter- 
scheidung der  Wellenbewegung  und  der  Strö- 
mung des  Blutes,  der  Wellenbewegung,  die  eine 
directe  Folge  des  Herzstoßes  ist  und  sich  im 
Pulse  offenbart,  und  der  Strömung,  welche  das 
Herz  indirect  durch  Herstellung  und  Unterhal- 
tung der  Druckdifferenz  an  seinen  Mündungen 
zu  Stande  bringt.  Er  auch  unternahm  es  zuerst, 
experimentell  die  Modificationen  zu  prüfen,  wel- 
che die  Gesetze  der  Bewegung  von  Flüssi^rkeiten 
in  Röhren  dadurch  erfahren .  daß  die  Röhren 
elastisch  sind.  Der  Apparat,  den  er  zur  Erläu- 
terung  der  complicirten  Verhältnisse  des  Kreis- 


512 

laufs  ersonnen  hatte,  fand  Eingang  in  alle  phy- 
siologischen Hörsaale. 

Wenn  mit  diesen  Arbeiten  und  denjenigen, 
welche  sich  an  dieselben  anschlössen ,  die  iatro- 
mathematische  Schule  des  17ten  Jahrhunderts 
eine  Wiederauferstehung  in  veredelter  Gestalt 
feierte,  so  eröflFnete  dagegen  eine  andere  Reihe 
Weber'scher  Abhandlungen,  die  unter  dem  be- 
scheidenen Titel  »de  subtilitate  tactus«  erschien, 
dem  Versuche  und  der  Rechnung  ein  Feld,  auf 
welches  die  Physiologie  sich  noch  nicht  gewagt, 
welches  sie  bis"  dahin  fast  unbestritten  der  Psy- 
chologie überlassen  hatte. 

Ein  Resüme  seiner  Beobachtungen  in  Müller' s 
Archiv  v.  Jahre  1835  leitet  Web  er  mit  folgen- 
den Worten  ein:  *Die  Lehre  von  den  Sinnen 
ist  ein  Punkt,  in  welchem  einmal  in  Zukunft 
die  Forschungen  der  Physiologen,  der  Psycho- 
logen und  der  Physiker  zusammenstoßen  müssen. 
Denn  es  ist  vorauszusehen,  daß,  wenn  man  die 
Naturkräfte  gehörig  definirt  und  die  Gesetze, 
nach  welchen  sie  wirken,  aufgefunden  haben 
wird ,  es  ein  sehr  dringendes  Bedürfniß  werden 
wird,  einzusehn,  wie  nun  die  in  der  Natur  Statt 
findenden  Bewegungen  auf  unsere  Siuuorgaue 
einwirken  und  die  Vorstellungen  von  den  Er- 
scheinungen der  Welt  in  uns  erzeugen.« 

Daß  Weber  zur  Beantwortung  der  Frage, 
wie  wir  zu  unsern  Vorstellungen  gelangen,  sich 
zuerst  an  das  Tastgefühl  wandte,  dazu  bestimmte 
ihn  die  Zugäuglichkeit  der  Haut,  die  Unschäd- 
lichkeit der  mit  ihr  anzustellenden  Experimente, 
vor  Allem  aber  eine  Erfahrung,  die  ihn  alsbald 
mitten  in  den  Ideenkreis  versetzen  mußte,  in 
welchem  die  Untersuchung  sich  bewegt.  Er 
hatte  beobachtet,  daß  zwei  gleichzeitig  auf  die 
Haut  gesetzte  Zirkelspitzeu ,    wenn  sie    die  Em- 


613 

pfinduDg  von  zwei  gesonderten  Berührungen  er- 
wecken sollen,  um  eine  gewisse  Distanz  von  ein- 
ander entfernt  sein  müssen  und  daß  die  Distanz, 
die  gefordert  werde,  um  die  Eindrücke  gesondert 
zu  erhalten,  je  nach  den  Körpergegenden  ver- 
schieden sei.  So  fließen  z.  B.  am  Rücken  und 
au  der  innem  Schenkelfläche  die  beiden  Empfin- 
dungen schon  dauu  zu  einer  einzigen  zusammen, 
wenn  die  Cirkelspitzeu  4  —  6  cm.  von  einander 
abstehn,  indeß  die  Zungenspitze  die  beiden  Ein- 
drücke schon  bei  einem  Abstände  der  Zirkel- 
spitzen von  wenig  mehr  als  1  mm.  unterschei- 
det. Auch  ist  es  nicht  gleichgültig,  ob  die  Cir- 
kelspitzeu in  einer  der  Axe  der  Glieder  paralle- 
len Linie  übereinander,  oder  ob  sie  senkrecht 
zur  Axe  nebeneinander  aufgesetzt  werden.  Im 
letztern  Fall  ist  die  Unterscheidung  feiner,  als 
im  ersten. 

Als  Weber  die  eben  geschilderte  Versuchs- 
reihe unternahm,  befand  sich  die  feinere  Ana- 
tomie des  Nervensystems  noch  in  ihrer  Kindheit. 
Der  isolirte  Verlauf  der  Nervenfasern  war  mehr 
geahnt ,  als  bewiesen.  Von  der  peripherischen 
Endigungsweise  der  Nerven  hatt«  man  nicht 
einmal  eine  falsche  Vorstellung;  daß  aber  die 
Nerven  und  namentlich  die  Nerven -Enden  in 
der  Haut  ungleich  vertheilt  seien,  darüber  konnte 
nach  dem  Weber'scheu  Versuch  kein  Zweifel 
aufkommen.  Seine  Erklärung  desselben,  daß 
wir  ein  Bewußtsein  von  allen  selbständig  fühlen- 
den Paukten  der  Haut  haben  und  die  Entfer- 
nung der  berührten  Stelleu  nach  der  Zahl  der 
zwischen  ihnen  liegenden  fühlenden  Punkte 
schätzen,,  ist  auf  Widerspruch  gestoßen ;  im- 
merhin bildet  sie  den  Ausgangspunkt  aller 
Bestrebungen  der  modernen  Psychologie ,  die 
Raumanschauung ,    im  Gegensatze  zur  Annahme 


614 

angeborener  Kategorien,  aus  der  Erfahrung  abzu- 
leiten. 

Die  Regionen  der  Haut,  welchen  der  feinste 
Ortssinn  inne  wohnt,  fand  Weber  auch  am 
empfindlichsten  für  Unterschiede  der  Belastung 
und  der  Temperatur.  Dabei  trat  eine  fast  un- 
glaubliche Schärfe  des  Unterscheidungsvermögens 
zu  Tage,  und  es  wurden  nebenbei  Resultate  ge- 
wonnen ,  die  nur  ihrer  Verwerthung  für  eine 
Physiologie  des  Vorstellens  harrten,  wie  daß  von 
zwei  nicht  zu  weit  auseinanderliegenden  Tempe- 
raturen diejenige  als  die  höhere  empfunden 
wird ,  die  sich  über  einen  größern  Theil  der 
Hautoberfläche  erstreckt;  daß  die  Seele  sicherer 
ist  im  Vergleichen  von  zwei  Eindrücken,  wenn 
sie  dieselbe  Hautstelle  nacheinander,  als  wenn 
sie  verschiedene  Hautstellen  gleichzeitig  treffen. 
Selbst  die  Zeit,  während  welcher  sinnliche  Vor- 
stellungen haften  ,  wurde  der  Rechnung  unter- 
worfen, indem  man  die  zu  vergleichenden  Ein- 
drücke der  Gewichte ,  Striche  oder  Töne  in 
gewissen  Zwischenräumen  nach  einander  wirken 
ließ  und  die  Zahl  der  Secunden  bestimmte,  in- 
nerhalb deren  die  Vergleichung  noch  mit  Erfolg 
geübt  werden  konnte.  So  erwuchs  denn  in  der 
That  aus  diesen  Anfängen  die  von  dem  jungem 
Geschlecht  der  Philosophen  eifrig  gepflegte 
Wissenschaft,  welcher  Fechner  den  Namen 
Psychophysik  ertheilte  und  es  war  unserm  ver- 
ewigten Mitgliede  beschieden ,  im  Genuß  einer 
würdigen  und  wohlverdienten  Muße  das  Zusam- 
menstoßen der  Physiologen  ,  Psychologen  und 
Physiker,  das  er  prophetisch  verkündet  hatte, 
noch  mit  anzusehn. 

Um  den  Antheil  zu  bezeichnen,  welchen 
E.  H.  Weber  an  der  Entwicklung  unserer 
Wissenschaft   genommen,  mußte    ich  der  Disci- 


515 

plin  den  Vortritt  lassen,  der  er  vorzugsweise 
den  Stempel  seines  Geistes  anfgepräort  hat.  Doch 
sollen  neben  der  Umgestaltung,  die  die  Physio- 
logie durch  ihn  erfuhr,  die  Bereicherungen  nicht 
vergessen  werden  ,  welche  die  vergleichende  und 
menschliche  Anatomie  seinem  Scharfblick  und 
seinem  rastlosen  Fleiße  verdankt.  Ich  darf  nur 
die  wichtigsten  erwähnen:  sein  Erstlingswerk 
über  das  sympathische  Nervensystem,  seine  Ent- 
deckung der  den  Zusammenhang  des  Gehöror- 
gans mit  der  Schwimmblase  vermittelnden  Kno- 
chenkette bei  einer  Anzahl  von  Fischen ,  seine 
Entdeckungen  in  der  Anatomie  der  (ienitalien, 
vor  Allem  die  Wiederauffindung  des  Sinus  pro- 
staticus,  der  nun  nicht  mehr  in  Vergessenheit 
gerathen  kann  nach  der  Bedeutung,  die  er  für 
die  Homologie  der  männlichen  und  weiblichen 
Geschlechtsorgane  gewonnen  hat.  Unter  den 
Arbeiten  über  den  feinern  Bau  der  Drüsen  neh- 
men die  von  Weber  der  Zeit,  wie  dem  Range 
nach,  eine  der  ersten  Stellen  ein:  seine  Injectio- 
nen  lehrten  die  Vasa  aberrantia  der  Gallengänge 
kennen  und  gaben  die  langersehnte,  sichere 
Auskunft  über  die  Endigungsweise  der  Ausfüh- 
rungsgänge  in  den  tranbigen  Drüsen  und  über 
das  Verhältniß  der  Blntgefäße  zu  den  Drüsen- 
läppchen. In  die  weitesten  Kreise  trug  seinen 
Namen  die  Bearbeitung  des  Hildebrand t'schen 
anatomischen  Handbuchs.  Der  specielle  Theil 
behauptete  sich  eine  lange  Reihe  von  Jahren 
als  Canon  unseres  anatomischen  Wissens.  Der 
histologische  Theil,  der  von  Grund  aus  neu  zu 
schaflFen  war,  zeichnet  sich  aus  durch  die  bevor- 
zugte Stellung,  welche  der  Verfasser  den  mikros- 
kopischen Thatsachen  anweist.  Mit  äußerster 
Sorgfalt  sammelte  und  sichtete  er.  was  bis  auf 
seine  Zeit  das  noch  wenig  bekannte  Hülfsmittel 


516 

der  Untersuchung  zu  Tage  gefördert  hatte.  Und 
wenn  bald  danach,  in  Folge  der  Popularisirung 
des  Mikroskops,  das  Gebiet  der  Histologie  in  ei- 
ner Weise  überfluthet  wurde,  daß  eine  systema- 
tische Bearbeitung  desselben  für  lange  Zeit  un- 
thuulich  erschien,  so  bleibt  dem  Weber'schen 
Werke  der  Ruhm ,  den  sich  in  einem  andern 
Zweige  Haller's  »Elemente  der  Physiologie« 
erwarben,  Eine  Aera  abgeschlossen  und  zugleich 
die  Keime  einer  neuen  gepflanzt  zu  haben. 


Zum  Andenken  an  A.  von  Ettings- 
hausen. 

Von 
J.  B.  Listing. 

Am  25.  Mai  d.  J.  starb  zu  Wien  Freiherr 
Andreas  von  Ettingshausen,  seit  1864  als 
Correspondent  der  mathematischen  Classe  unserer 
Gesellschaft  angehörend. 

Ettingshausen  ist  geboren  1796  den  25.  No- 
vember zu  Heidelberg,  wo  sein  Vater,  zur  Zeit 
Major  im  österreichischen  Geueralstabe ,  später 
Generalmajor,  stationirt  war.  Den  Schulunter- 
richt genoß  er  bis  zum  13.  Jahre  in  Folge  des 
vielfach  wechselnden  Domicils  des  Vaters  an  ver- 
schiedenen Orten  Ungarns,  zuerst  in  Essek,  dann 
in  Zombor,  Neusatz,  Pest  und  Erlau.  Nach  be- 
endetem Gymnasialstudium  zu  Wien  besuchte 
er,  vom  Vater  zunächst  für  die  militärische 
Laufbahn  bestimmt,  außer  den  Universitäts- Vor- 
lesungen noch  die  dortige,  damals  in  hohem 
Ansehen  stehende  Bombardierschule ,  in  der  er 
hauptsächlich  den  Grund  zu    seiner   gediegenen 


517 

mathematischen  Bildung  legte.  Mit  Eintritt  des 
Friedens  wandte  er  sich  von  der  militärischen 
Laufbahn  dem  Lehrfach  zu  und  wurde  1817 
Adjnnct  der  Wiener  Lehrkanzel  für  Mathematik 
und  Physik,  1819  Professor  der  Physik  an  der 
Universität  zu  Innsbruck  und  kehrte  zwei  Jahre 
darauf  als  Professor  der  höheren  Mathematik 
wieder  nach  Wien  zurück.  Das  mathematische 
Studium  nahm  an  dieser  Universität  unter  Et- 
tingshausen's  Thätigkeit  einen  neuen  Aufschwung. 
In  jener  Zeit  schrieb  er  die  1827  erschienenen 
»Vorlesungen  über  höhere  Mathematik c  in  zwei 
Bänden. 

Als  im  Jahr  1834  Baumgartner,  der  zeitherige 
Professor  der  Physik  in  den  administrativen 
Staatsdienst  übertrat,  wurde  Ettingshausen  dessen 
Nachfolger.  In  dieser  Stellung,  die  er  bis  zum 
Jahre  1848  innehatte,  erschienen  von  ihm  die 
»Anfangsgründe  der  Physik«,  ein  Compendium 
nicht  gewöhnlicher  Art,  welches  sich  durch  den 
gelungenen  Versuch  auszeichnet,  die  elementar- 
mathematische Begründung  möglichst  gleichförmig 
durch  das  ganze  Gebiet  der  Physik  durchzuführen. 
Von  1844  an  erschienen  davon  bis  1860  vier 
Auflagen.  Seine  experimental- physikalischen 
Vorlesungen  an  der  Universität  wurden  von  allen 
Ständen  reich  besucht,  aber  daneben  fanden 
seine  mathematisch  -  physikalischen  Vorträge 
wegen  des  Umfangs  und  der  gediegenen  Be- 
handlung den  Beifall  seiner  zahlreichen  Fach- 
Schüler. 

An  der  Wiener  Akademie  der  Wissenschaften, 
zu  deren  Gründung  Ettingshausen  bereits  1837 
in  einer  Denkschrift  die  erste  Anregung  ge- 
geben, bekleidete  er  gleich  anfänglich  die  Stelle 
eines  Generalsecretärs.  Schon  im  Jahre  1848 
aber  übernahm  er  die  Leitung  des  mathematischen 


518 

Studiums  an  der  neu  umgestalteten  K.  Ingenieur- 
Akademie,  trat  jedoch  1852,  als  diese  Austalt  in 
«eine  rein  militärische  Schule  verwandelt  wurde, 
zu  dem  polytechnischen  lustitute  über,  wo  er 
ein  Jahr  hindurch  das  angewandt  mathematische 
und  das  Ingenieurfach  vertrat.  Aber  schon  ein 
Xahr  später,  nach  Doppler's  Tode,  wandte  er 
sich  zur  Universität  zurück,  um  die  Leitung  des 
wenige  Jahre  vorher  gegründeten  physikalischen 
Institutes  der  Universität  zu  übernehmen,  welches 
seine  reiche  Ausrüstung  mit  vorzüglichen  Appa- 
raten und  Meßinstrumenten  hauptsächlich  Et- 
tingshausen   verdankt. 

Im  Jahre  1862,  während  seines  Rectorats 
der  Universität,  verfiel  er  in  eine  schwere  und 
langwierige  Krankheit,  welche  seine  Kräfte  dau- 
ernd schwächte,  und  trat  1866  in  den  Ruhestand, 
nach  fast  fünfzigjähriger  erfolgreicner  Lehrtliä- 
tigkeit  in  den  ersten  Stellungen  an  den  verschie- 
den^;n  wissenschaftlichen  Anstalten  Wiens,  und 
ihr  wurde  alsbald  auch  durch  seine  Erhebung 
in  den  Freiherrnstand  die  kaiserliche  Anerken- 
nung zu  Theil.  Von  nun  ab  war  er  zwar  wi.s- 
senschaftlich  nicht  mehr  productiv,  aber  noch 
im  vollem  B  sitz  geistiger  Kraft.  Er  las  und 
studirte  fleißig  für  sich.  Die  letzten  Lebensjahre 
verbrachte  er  in  stiller  Zurückgezogenheit  mit 
zwei  verwittweten  Töchtern,  während  der  Som- 
merzeit meistens  in  der  stärkenden  Laudluft 
Aussee's  in  Obersteyermark.  In  Folge  eines  er- 
neuerten Nervenanfalls  endete  im  Alter  von  81 '/s 
Jahr  sein  Leben  mit  einem  sanften  Tod  am  25. 
Mai  dieses  Jahres. 

Wir  haben  in  üöttingen  im  Sommer  1840 
wo  sein  Besuch  der  persönlichen  Bekanntschaft 
mit  Gauß  nah,  der  ihm  von  den  damals  noch 
wenig   bekannt  gewordenen  Ergebnissen  theore- 


519 

tischer  Untersuchungen  im  Gebiet  des  Magne* 
tismus  und  der  Electrodynamik  Manches  bereit- 
willig mittheilte,  Gelegenheit  gehabt,  in  Ettings- 
hausen  nicht  nur  den  Gelehrten,  sondern  auch 
den  vielseitig  gebildeten  und  in  geselliger  Hin- 
sicht liebenswürdigen  Mann  kennen  zu  lernen. 

Die  hervorragende  Wirksamkeit  Ettingshau- 
Sens  als  Lehrer  auf  dem  Gebiete  der  exacten 
Wissenschaften  uud  nicht  minder  die  kritische 
Strenge,  die  er  ebensowohl  bei  seinen  eigenen 
Productionen  übte  wie  gegen  die  Leistungen 
Anderer,  so  daß  er  in  Fällen  lange  vorbereiteter 
Werke  noch  während  des  bereits  begonnenen 
Druckes  die  Arbeit  wieder  vernichtete  ,  weil  sie 
seineu  Anforderungen  nicht  mehr  genügte,  wa- 
ren Ursache  ,  daß  seine  VeröflFentlichungen  we- 
niger durch  iliren  Umfang  als  durch  die  Klar- 
heit uud  Gediegenheit  der  Darstellung  hervor- 
traten. 

Seine  Schriften  sind : 

Die  combiuatorische  Aualysis  ,  als  Vorberei- 
tungslehre zum  Studium  der  höheren  Mathema- 
tik.    Wien   1826. 

Vorlesungen  über  höhere  Mathematik.  Zwei 
Bände.     Wien  1827. 

Anfangsgründe     der     Physik.        1.    Auflage.' 
Wieu  1844.  2.   1845,  3.  1853,  4.   1860. 

Gemeinschaftlich  mit  Andreas  Baumgartner 
bearbeitet:  des  letzteren  »Naturlehre  mit  Rück- 
sicht auf  mathematische  Begründung«.  6.  Aufl. 
Wien  1839,  7.   1842. 

In  der  Zeitschrift  für  Physik  und  Mathema- 
tik, herausgegeben  von  A.  Baumgartner  und  A, 
von  Ettingshausen.  Zehn  Baude.  Wien  1826 
-1832: 

Ueber  die  Formeln,  welche  die  Potenzen  des 
Sinus  oder  Cosinas   eines  Kreisbogens  dnrch  die 


520 

Sinus  oder  Cosinus  der  Vielfachen  dieses  Bogens 
darstellen.     Bd.  I.    S.  96. 

Ueber  den  Gebrauch  der  Methode  der  unbe- 
stimmten Coefficienten  bei  der  Entwickelang  der 
Potenzen  des  Cosinus  eines  Bogens  nach  dem 
Cosinus  seiner  Vielfachen.     I.  374. 

Analytische  Hebungen  (Ausdruck  der  Glieder 
einer  Reihe  durch  die  Glieder  der  Differenzrei- 
hen. —  Allgemeines  Glied  einer  arithmetischen 
Reihe.  —     Bernoulli'sche  Zahlen)  I.  493. 

Des  Wiener  Optikers  Plößl  aplanatische  diop- 
trische  Mikroskope  V.  94. 

Ueber  die  Auflösung  eines  Systems  mehrerer 
Gleichungen  vom  ersten  Grade  mit  ebenso  viel 
unbekannten  Größen.     V.  209. 

Auflösung  zweier  arithmetischer  Aufgaben. 
V.  287. 

Ueber  die  Bestimmung  des  Vergrößerungs- 
Verhältnisses  bei  zusammengesetzten  Mikrosko- 
pen und  über  die  Vergleichung  und  Controlli- 
rung  der  Mikrometer.     V.  316. 

Leichtes  Verfahren,  die  Gleichungen  zwischen 
den  Kanten  der  einfachen  Gestalten  des  tessula- 
rischen  Krystallsystems  darzustellen.     V.  385. 

Ueber  die  Entwickelung  zusammengesetzter 
Krystallgestalten.     VI.  1. 

Ueber  Gauß'  Methode  zur  näherungsweisen 
Berechnung  bestimmter  Integrale.     VII,  429. 

Sturm's  Regel  zur  Bestimmung  der  Anzahl 
der  zwischen  zwei  gegebenen  Zahlen  liegenden 
Wurzeln  einer  von  wiederholten  Wurzeln  freien 
numerischen  Gleichung  mit  Einer  unbekannten 
Größe,  nebst  einem  Beweise  derselben.     VII.  444. 

Ueber  die  ebenen  Curven,  welche  ihren  Evo- 
luten ähnlich  sind,    IX.  178. 

In  den  Sitzungsberichten  der  mathematisch- 
naturwissenschaftlichen Classe   der  Kaiserl.  Aka- 


521 

demie  der  Wissenschaften  zu  Wien  finden  sich 
Mittheiluugen  von  Ettiugshaasen  von  Beginn 
1848  (Bd.  I)  bis  zum  Jahre  1867  (Bd.  XXIV), 
nämlich : 

üeber  die  Differentialgleichungen  der  Licht- 
8chwingun>.en ,  Bd.  I.    S.  (32. 

Ceber  Soleil's  Saccharometer,  I.  138. 

lieber  eine  directe  und  strenge  Ableitung 
der  Taylor'schen  Formel,  I.  238. 

Ueber  einen  Satz  Green 's,  das  electrische 
Potential  betreffend,  I.  282. 

üeber  den  Ausdruck  der  zwischen  einem 
galvanischen  Strome  und  einem  magnetischen 
Punkte  stattfindenden  Action ,  1.  266. 

Beitrag  zum  Beweis  des  Lehrsatzes  vom  Pa- 
rallelogramm der  Kräfte,    II.  155. 

Bericht  über  Page's  Inteirration  der  Differen- 
tialformela  ,  worin  die  Quadratwurzel  aus  einem 
Polynom  des  4.  Grades  vorkommt,  II.  315. 

Zur  Nachweisung  der  Existenz  der  Wurzeln 
algebraischer  Gleichungen,  V,  31. 

Beitrag  zur  Integration  irrationaler  Differen- 
tialformeln ,    V.  34. 

üeber  Gauß'  dritten  Beweis  der  Zerletjbarkeit 
ganzer  algebraischer  Functionen  in  reelle  Fac- 
toren,  ibid. 

Bericht  über  drei  Abhandlungen  des  H. 
Spitzer  zur  Theorie  numerischer  Gleichungen, 
V.  82. 

üeber  einige  Eigenschaften  der  Flächen, 
welche  zur  Construction  der  imaginären  Wurzeln 
der  Gleichungen  dienen,   V.  119. 

Bericht  über  zwei  Abhandlungen  Theod. 
Schönemann's:  1.  über  die  Beziehungen,  welche 
zwischen  Wurzeln  irreductibeler  Gleichungen 
stattfinden  ,  besonders  wenn  der  Grad  derselben 
eine  Primzahl    ist;    2.  von    der  Empfindlichkeit 

42 


522 

der  Brückeowageu  und  der  einfachen  und  zu- 
sammengesetzten Hebel  -  Ketten  -  Systeme.  VIII. 
442. 

Bemerkungen  zu  Petzval's  Aufsatz,  über  ein 
allgemeines  Princip  der  ündulations  -  Lehre, 
VIII.  593. 

Weitere  Bemerkungen  zu  demselben,  IX.  27. 

Bericht  über  das  von  J.  Anathon  eingesen- 
dete Manuscript  »die  natürlichen  Gesetze  der 
Musik«  ,   XII.  464. 

Ueber  die  neueren  Formeln  für  das  an  ein- 
fach brechenden  Mitteln  reflectirte  und  gebro- 
chene Licht,  XVIII.  369. 

Bericht  über  den  Arithmometer  von  Thomas, 
XXIV.  16. 

Ferner  sind  zu  erwähnen  : 

Cauchy's  Methode  zur  Bestimmung  der  In- 
tensität des  reflectirten  und  gebrochenen  Lichtes, 
frei  dargestellt,  Poggendorft's  Auualen,  Bd.  L. 
S.  409. 

Note  sur  les  equations  differentieles  des  on- 
dulations  lumineuses  dans  les  milie'ux  isphanes. 
Comptes  Rendus  de  TAcad.  Paris.  7.  xxiv  (1847) 
p.  801.  ■ 

Ueber  die  Einrichtung  und  den  Gebrauch 
der  magnetoelectrischen  Maschine,  welche  den 
im  September  1837  zu  Prag  versammelten  Na- 
turforscliern  und  Aerzten  vorgezeigt  wurde,  im 
amtl.  Berichte  über  die  Versammlung  deutscher 
Naturforscher  und  Aerzte  zu  Prag.     1837. 

Die  Principien  der  heutigen  Physik.  Bei 
der  Feier  der  Uebernahme  des  ehemaligen  üni- 
versitätsgebäudes  von  der  K.  Akademie  der 
Wissenschaften,  am  29.0ctober  1857  vorgetragen 


523 


Magister    Thomas  Brunns,    Beamter 

Rogers  von  Sicilien  und  Heinrichs  II. 

von  England. 

Von 

R.  Pauli 

Das  geistvolle,  staatengründeude  Volk  der 
Normannen  hat  bekanntlich  um  eiue  und  die- 
selbe Zeit  gegen  Ausgang  des  11.  Jahrhunderts 
und  unter  vielfach  ähulicheu  Cmständen,  nament- 
lich unter  dem  Segen  der  römischen  Kirche,  sich 
zu  Herreu  in  Sicilien  und  in  England,  in  zwei 
Inselreichen,  zu  machen  gewußt.  Es  hat  in  dem 
mediterranen  Eiland  auf  älteren  Culturelementen, 
hauptsächlich  hellenischen  und  arabischen,  zuerst 
unter  normannischen  P'ürsteu  und  dann  unter 
dem  großen  schwäbischen  Kaiserhause  ein  Staats- 
wesen aufgerichtet,  das  auf  die  Entwicklung  des 
Reichs  wie  auf  die  Berührung  des  Occidents 
mit  dem  Orient  während  der  Kreuzzüge  wesent- 
lich eingewirkt,  in  der  kurzen  Spanne  von  kaum 
zwei  Jahrhunderten  aber  auch  seine  glänzende 
Bestimmung  erfüllt  hat.  Es  bat  in  Britannien 
gleichfalls  zuerst  unter  normannischen ,  dann  in 
der  Descendenz  französischer  und  einheimischer 
Fürsten  Institutionen  schafiFen  helfen  ,  die  nicht 
nur  durch  Auswanderung  in  beide  Hemisphären 
verpflanzt  worden  sind,  sondern  heute  im  mo- 
dernen Europa  gleich  sehr  zur  Nachahmung  und 
zur  Abwehr  anregen  wie  mit  Ausnahme  der  alt- 
römischen keine  andere  einheitliche  Gesetzgebung, 
von  der  die  Geschichte  weiß. 

Die  historische  Forschung,  namentlich  in  der 
Richtung  vergleichender  Verfassuu^sgeschichte 
ist  daher  mit  Recht  wiederholt  den  Ursprüngen 
nachgegangen  um  die  Gründe  aufzudecken,  wes- 

42* 


524 

halb  gewisse  Principien  der  Verfassung  und  Ver- 
waltung in  Sicilien  mit  denen  in  England  über- 
einstimmen,   weshalb   die    beiden  Inseln  aber  in 
der  Folge    vielfach  entgegengesetzte  Wege   ein- 
schlagen  mußten.      Daß   solche  Unsersuchungen 
nicht  zu  großen,  vollen  Resultaten  geführt  haben, 
liegt  einmal  darin,    daß  wir   im  Einzelnen  über 
Ausdehnung    und  Stärke  der   unmittelbaren  Be- 
rührung zwischen   den   beiden  Staaten   selbst  in 
der  kurzen,    streng  normannischen  Periode,    die 
sich    beider   Orten    kaum   über   ein  Jahrhundert 
erstreckt,  aus  den  vorhandenen  Quellen  nur  sehr 
unzulänglich  unterrichtet  sind,  und  zweitens  daß 
man  aus  demselben  Grunde  sich  gern  Annahmen 
hingibt,   denen   die  Beweiskraft  fehlt.      Es  liegt 
ja  nahe,  die  Herkunft  der  Eroberer  Siciliens  und 
Englands  aus  dem  gemeinsamen  Mutterlande  an 
der  Seine  zu   verwenden.      Aber    während  z.  B. 
die  Familiengeschichte  mancher  zu  beiden  Seiten 
des  Canals  auftretender  Geschlechter,  die  Wirk- 
samkeit von  Klerikern  und  Staatsmännern  hüben 
und   drüben   ziemlich    bekannt   ist,    haben    sich 
über   die   Verbindung    der    Stammgeuossen    am 
Faro  mit   der   alten   neustrischen  Heiraath  doch 
nur  äußerst  dürftige  Angaben  erhalten.    Anderer- 
seits ist  die  Kritik  heute  eher  geneigt  englischen 
Institutionen   ihr  Normannenthum   abzusprechen 
oder  doch  wesentlich  zu  beschränken,  indem  sie 
älteren,  angelsächsischen,  oder  gemeinsamen,  nor- 
dischen,   Ursprung   nachweist  und  insbesondere 
nur  die  Ausprägung  scharfer  Formen  der  Staats- 
kunst   normannischer    Herrscher    und   ihrer  Be- 
amten zuerkennt.    Die  Mitwirkung  der  Normannen 
an  dem  Ausbau  der  englischen  Verfassung  wird 
dadurch  sehr  bestimmt  abgegrenzt  sowohl  gegen 
die  alle  Grundelemente  enthaltende  angelsächsische 
Periode  wie   gegen  die    mit   dem   ersten  Könige 


525 

aus  dem  Hause  Anjou  anhebende  zukunftreiche 
Weiterbildung. 

Trotzdem  verlohnt  es  sich  wohl  allen  vor- 
handenen Spuren  des  Austausches  zwischen  den 
beiden  Inselstaaten  sorgfältig  prüfend  nachzu- 
gehn.  Sie  sind  besonders  zahlreich  im  12.  Jahr- 
hundert, bleiben  aber  an  dynastischen,  kirch- 
lichen und  culturlichen  Beziehungen  bis  gegen 
den  Untergang  der  Hohenstaufen  erkennbar. 
Man  wird  indeß  für  das  12.  Jahrhundert  schon 
zwei  Epochen  unterscheiden  dürfen:  die  bedeu- 
tende Regierung  Rogers  von  Sicilien  (1101 — 1154, 
König  seit  1130),  auf  dessen  Verwandschaft  Erz- 
bischof Wilhelm  der  heilige  von  York,  ein  Neffe 
König  Stephans,  sich  beruft,  und  die  Zeit  seiner 
Nachfolger,  von  denen  Wilhelm  II.  eine  Tochter 
Heinrichs  II.  von  England  heirathet.  Der  ersteren 
gehört  an  Nicolaus  Breakspear,  als  Hadrian  IV. 
der  einzige  Papst  englischer  Nation,  durch  eigenen 
Verkehr  mit  den  italischen  Zuständen  ^)  eben  so 
gut  wie  mit  denen  Scandinaviens  vertraut,  dessen 
geographische  und  ethnographische  Kunde  ihn 
befähigte  den  ersten  Anstoß  zur  Bekehrung 
Finnlands  von  Schweden  aus'  und  zur  Unterwer- 
fung Irlands  durch  englische  Normannen  zu 
geben.  Ferner  Johannes  von  Salisbury,  bekannt 
als  Kirchenmann,  Staatsmann  und  Philosoph,  der 
in  seinen  Briefen  und  philosophischen  Schriften 
nicht  nur  unschätzbare  Nachrichten  über  seinen 
Freund  und  Landsmann,  Papst  Hadrian,  bewahrt, 
sondern  selber  recht  eigentlich  als  ein  geistiger 
Zwischenträger  zwischen  Nord-  und  Südnor- 
mannen   gelten    kann*).       Sodann    Robert    von 

1)  Residiert    von   November   1155    bis  Juli   1156    in 
Benevent,  Jaffe  R.  P.  R.  6900  ff. 

2)  Durchreiste,  wie  er   erzählt,   zweimal  Unteritalien, 
und  war   befreundet   mit  seinen  Landsmännern   Kanzler 


526 

Salisbury,  der  im  Jahre  1147  dem  Könige 
Roger  als  Kanzler  ^)  und  Thomas  Brunns, 
der ,  wie  wir  gleich  näher  sehen  werden ,  dem- 
selben Fürsten  nachweislich  längere  Zeit  in  einem 
anderen  wichtigen  Staatsamte  diente.  In  der 
zweiten  Epoche  scheint  der  weite  Ruhm,  welchen 
Thomas  Becket  als  Anstifter  der  geistlichen  Op- 
position gegen  König  Heinrich  II.  und  durch 
seinen  Märtyrertod  in  der  abendländischen  Kirche 
gewann,  hauptsächlich  dazu  beigetragen  zu  haben, 
daß  eine  Reihe  englischer  Geistlicher  auf  sici- 
lische  Bischofsstühle  erhoben  wurde.  Richard 
der  Pilger  (Palmer)  erscheint  als  erwählter  Bi- 
schof von  Syrakus  und  später  als  Erzbischof 
von  Messina  unter  den  Correspondenten  Beckets^), 
Herbert  von  Middlesex  war  zwischen  1169  und 
1180  Erzbischof  von  Conza^).     Walter,  in  sici- 

Robert  und  Papst  Hadrian,  bei  dem  er  drei  Monate  in 
Benevent  zubrachte,  Policraticus  VI,  c.  24  (Opera  ed. 
GilesIV,  p.59),  vgl.  Schaarschmidt,  Johannes  Saresberien- 
sis  S.  81. 

1)  Willielmus  (archiepiscopus  Eboracensis) ...  ad  Ro« 
gerum  regem  Siciliae,  cognatum  suum,  divertit  et 
cum  Rodberto  cancellario  eiusdem  regis  ori- 
undo  de  Änglia,  scilicet  in  Salesberia,  plurimis 
diebns  commoratus  est.  Erat  autem  Rodbertos  potentis- 
simus  inter  amicos  regis,  pecuniosus  et  donatus  honoribus 
magnis.  Job.  Hagustald.  contin.  Hist.  Simeon.  Dunelm. 
apud  Twysden  Decem  Scriptores  col.  276.  Job.  Saresb. 
Policraticus  VII  c.  19  (Opp.  IV,  p.  155)  Robertus  iam 
dicti  regis  can'cellarius  .  ..  eoque  mirabilior  in  partibus 
illia,  quod  inter  Langobardos,  quos  parcissimos,  ne  avaros 
dioam ,  esse  constat  .  . .  faciebat  sumptus  immensos  et 
gentis  suae  magnificentiara  exhibebat . . .  erat  enim  A  n« 
g  1  i  c  u  8  natione. 

2)  S.  Thom.  Cant.  Opp.  ed.  Giles  III,  128.  819.  820. 
Pirri  in  Graevii  Thesaurus  Antiq.  Sicil.  II,  293. 

8)  Ughelli,  Italia  Sacra  ed.  1659  VI  col.  999,  von  Rad. 
de  Dioeto  Ymagines  Historiarum  ed.  Stubbs  II,  37  Her- 
bertus  Aiiglicus  uatiouo,   uatua   in  Middelscxia  etc.  mit 


527 

lischen  Nachrichten  mit  dem  vermuthlich  eng- 
lischen Beinamen  Offamilio,  der  von  1169  bis 
1187  auf  dem  Erzstuhl  von  Palermo  saß,  cele- 
brierte  am  13.  Februar  1177  eben  dort  die  Ver- 
mählung der  Johanna  Plantagenet  mit  Wilhelm 
II.*).  Ihm  folgte  im  Erzbisthura  sein  Bruder 
Bartholomaeus,  nachdem  er  von  1172  1187  Bi- 
schof von  Girgenti  gewesen  *),  Auch  wird  man 
den  eingehenden  Bericht  nicht  übersehen  dürfen, 
den  Johannes  von  Oxford,  Bischof  von  Norwich, 
ein  von  Heinrich  IL  oft  verwendeter  Staatsmann, 
über  seine  im  Jahre  1176  in  Sachen  jener  kö- 
niglichen Heirath  in  Begleitung  von  Richard  von 
Camville,  Balduiu  Buelot  und  Paris,  dem  Erz- 
dechanten  von  Rochester,  nach  Palermo  unter- 
nommene Reise  abgestattet  und  dem  ihm  befreun- 
deten Geschichtschreiber  Ralph  de  Diceto,  De- 
chanten  der  Paulskirche  in  London,  mitgetheilt 
hat^).  Endlich  ist  der  bekannte  Briefsteller  Peter 
von  Blois  zu  erwähnen ,  der  jüngere  Zeitgenosse 
des  Johannes  von  Salisbury,  der,  nachdem  er 
am  Hofe  von  Palermo  beschäftigt  gewesen,  von 
König  Heinrich  IL  in  seine  Nähe  gezogen  wurde. 
Unter    den   genannten  nun    hat    keiner  ver- 

dem  Bischof  Ruffas  von  Cosenza  verwechselt,  welcher  1184 
bei  einem  Erdbeben  zu  Grande  gieng,  üghelli  IX,  261. 

1)  Walterus  eiasdem  sedis  archiepiscopas  celebravit 
divina  idus  Februarü,  Rad.  de  Diceto  Ymaginea  Historia- 
rum  I,  418. 

2)  Pirri  bei  Graevius  11,  77.  Die  Citate  gesammelt 
von  Stubbs,  Chronica  Rogeri  de  Hoveden  III  p.  XCII  und 
Rad.  de  Diceto  II  p  XXXI. 

3)  Ymagines  Hietoriarum  I,  416.417,  doch  auch  in 
den  Gest.  Henr.  II  des  sog.  Benedict  I,  117  (Hoveden  II, 
95).  Dazu  die  Urkunde  Wilhelms  II.  vom  Februar  1177, 
unter  anderen  auch  von  Erzbischof  Walter  von  Palermo 
und  Bischof  Bartholomaeus  von  Girgenti  bezeugt,  Bene- 
dict I,  71  (Hoveden  U,  97). 


528 

fassungsgeschichtlich  einen  ähnlichen  Namen  hin- 
terlassen wie  Thomas  Brunns,  oder  neuenglisch 
Thomas  Brown,  der  zwar  in  keinem  Geschichts- 
werke der  Zeit,  in  keinem  der  zahlreichen 
Briefe  erwähnt  wird,  dagegen  aber  auf  englischer 
und  sicilischer  Seite  in  Urkunden  begegnet  und 
in  dem  ältesten  gleichzeitigen  Werke  zum  eng- 
lischen Verwaltungsrecht  rühmlichst  genannt 
wird.  Diese  merkwürdige  Schrift  ist  der  Dia- 
logus  de  Scaccario,  eine  ausführliche  Abhandlung 
über  das  Recht  des  Exchequer,  der  Schatz- 
kammer, der  in  ihrer  ältesten  Gestalt  bis  an  die 
Tage  Wilhelms  des  Eroberers  hinaufreichenden, 
am  frühsten  aus  der  Curia  regis  abgesonderten 
obersten  fiscalischen  Behörde,  durch  welche  ge- 
wissermaßen wie  in  der  altpreußischen  Hof-, 
Kriegs-  und  Domänenkammer  die  sämmtlichen 
Aemter  des  Staatswesens  zusammengefaßt  waren. 
Der  Dialogus  hält  sich  an  die  vorhandene  Ein- 
theilung  in  ein  Scaccarium  inferius  und  superius, 
jenes  ein  Amt  zur  Aus-  und  Einzahlung,  dieses 
eine  hohe  collegialische  Behörde,  der  eben  so 
gut  wie  der  Curia  regis  die  oberste  Gerichtsin- 
stanz zustand. 

Dies  die  Aemter  im  Einzelnen  so  wie  das 
gesammte  Geschäfts  verfahren  genau  darstellende 
Werk  wurde  zuerst  im  Jahre  1711  von  Madox 
als  Beilage  zu  seiner  Geschichte  und  Alterthümer 
des  Exchequer  der  Könige  von  England  von  der 
normannischen  Eroberung  bis  zum  Ende  Eduards 
IL,  einer  wegen  gediegener  Forschung  und  guter 
Methode  heute  noch  bewunderungswürdigen  Ar- 
beit, herausgegeben  ^).  Mit  Recht  ist  der  Dia- 
logus neuerdings  von  Stubbs  in  sein  handliches 
Urkundenbuch     zur    englischen     Verfassungsge- 

1)  Madox,  the  History  and  Antiquities  of  the  Exche- 
quer 1711  fol.     1769  2  Vol8  4°. 


529 

schichte  *)  vollständig  aufgenommen  worden.  Als 
Quelle  ersten  Ranges  haben  ihn  die  namhaftesten 
Autoritäten  der  Gegenwart,  wie  Stubbs  selber 
in  der  Constitutional  History  of  England  so 
Gneist  in  dem  Easjlischeu  Verwaltungsrecht  und 
Brunner  in  der  Entstehung  der  Schwurgerichte, 
zu  Rathe  gezogen  und  erläutert.  Der  Dialogus 
wurde,  wie  aus  ihm  selber  hervorgeht,  im  Jahre 
1178,  spätestens  bis  zum  April  1179  verfaßt 
von  dem  damaligen  Thesaurarius  Richard  Fitz 
Nigel,  der  von  1189 — 1198  auch  das  Bisthum 
London  bekleidete.  üeber  diesen  in  die  Ge- 
schichte des  Landes,  der  Institutionen,  der  Li- 
teratur eingreifenden  Autor ,  den  Sprossen  einer 
fast  bis  in  den  Anfang  des  Jahrhunderts  zurück- 
zuverfolgenden um  die  Staatsverwaltung  der  Zeit 
hoch  verdienten  Beamtenfamilie  so  wie  über  das 
Werk  selber  handelt  eingehend  die  aus  den 
Göttiuger  Studien  hervorgegangene  treffliche 
Dissertation  von  Felix  Liebermann,  Einleitung 
in  den  Dialogus  de  Scaccario,  Göttingen  1875. 
Im  5.  Paragraphen  des  ersten  Buches  sagt 
nun  der  Magister:  >Auf  der  vierten  Bank,  dem 
Großjnsticiar  gegenübersitzt  oben  an  Magister 
Thoraas,  geheißen  Brunns,  mit  dem  dritten 
Rütulus,  der  nach  einer  neuen  Verordnung  un- 
seres Herrn  des  Königs  hinzugefügt  wurde,  weil 
geschrieben  steht :  ein  dreifacher  Strick  wird 
schwerer  reißen.«  und  §  6  sagt  der  Magister: 
»Weiter  zu  Häupten  der  vierten  Bank  den  Ju- 
sticiarien  gegenüber  sitzt  Magister  Thomas,  ge- 
heißen Brunns.  Der  hat  in  der  Schatzkammer 
kein  geringes  Ansehn.  Seine  Treue  und  Gewis- 
senhaftigkeit ist  die  große  und  mächtige  Ur- 
sache,   weshalb    er    von    einem   Fürsten    von  so 

1)  Select  Charters  and   other  lUustrations   of  English 
Constitutional  History,  Oxford  1870,     2  Ed.  1874. 


'530 

außerordentlicher  Einsicht  auserlesen  wurde  um 
gegen  den  alten  Brauch  einen  dritten  Rotulus 
zu  führen ,  in  denselben  die  Gesetze  des  Reichs 
und  des  Königs  Geheimnisse  (secreta  regis)  ein- 
zutragen und  ihn  in  seiner  Verwaltung  mit  sich 
zu  nehmen  wohin  er  will.  Er  hat  auch  seinen 
eigenen  Schreiber  (clericum)  in  der  unteren 
Schatzkammer,  der  neben  dem  Schreiber  des 
Schatzmeisters  sitzend  die  unbehinderte  Befugniß 
hat  zu  verzeichnen  was  vom  Schatz  eingenommen 
und  ausgegeben  wird.«  Nun  fragt  der  Disci- 
pulus:  »Ist  denn  dem  Fürsten  seine  Treue  und 
Gewissenhaftigkeit  der  Art  bekannt,  daß  zu  dieser 
Arbeit  kein  anderer  so  würdig  befunden  wurde 
wie  er?«  Worauf  wieder  der  Magister:  »Er  war 
groß  am  Hofe  des  großen  siculischen  Königs, 
vorsichtig  in  seinen  Rathschlägen  und  im  ge- 
heimen Vertrauen  des  Königs  beinah  der  erste. 
Da  kam  aber  ein  anderer  König,  der  von  jenem 
Nichts  wußte,  der,  schlechte  Leute  zur  Seite 
habend,  den  Vater  in  dessen  Leuten  verfolgte. 
So  wurde  jener  Mann  genöthigt,  als  das  Glück 
sich  wandte ,  für  sein  Leben  Sorge  zu  tragen, 
und,  obgleich  ihm  mit  den  höchsten  Ehren  der 
Eintritt  zu  den  meisten  Reichen  offen  stand,  so 
zog  er  doch  vor ,  wiederholt  von  Heinrich  dem 
erlauchten  Könige  der  Engländer  eingeladen, 
dessen  Ruhm  nur  geringer  ist  als  die  Wirklich- 
keit, in  das  Heimathland  und  zu  seinem  erbbe- 
rechtigten und  besonderen  Herrn  zurückzukehren 
(ad  natalesolumet  successorium  ac  siugularem 
dominum  suum  accedere).  Von  ihm  aufgenommen, 
wie  es  beiden  geziemte,  ist  er  auch  hier,  wie  er 
einst  bei  dem  Sicilier  Großem  vorgestanden,  mit 
den  großen  Geschäften  der  Schatzkammer  betraut. 
So  hat  er  gleich  wie  den  Platz  auch  das  ehren- 
volle Amt  erhalten ;  auch  wird  er  mit  den  großen 


531 

Herren  zu   allen   großen  Geschäften  der  Schatz- 
kammer zugezogen.« 

Hierin  steckt  schon  ein  Stück  Lebensge- 
scbichte.  Ein  aus  England,  nicht  aus  der  Nor- 
mandie  gebürtiger  Kleriker  ist  auf  unbekannten, 
vermuthlich  nicht  weniger  schicksalsvollen  Wegen 
wie  sein  Landsmann  und  Zeitgenosse  Nicolaus 
Breakspear  au  die  römische  Curie,  an  den  Hof 
des  ersten  Normannenkönigs  von  Sicilien  ge- 
kommen uud  dort  zu  einem  hohen  Vertrauens- 
amt emporgestiegen.  Derjenige  König  aber,  der 
von  Joseph  Nichts  wußte,  ist  Wilhelm  der  Böse, 
welcher  1154  auf  Roger  folgte  in  demselben 
Jahre,  in  welchem  Heinrich  IL,  der  erste  Plan- 
tagenet, den  englischen  Thron  bestieg.  Es  scheint, 
daß  Thomas  gleich  anderen  Dienern  des  Vor- 
gängers ausgetrieben  wurde  und  für  sein  Leben 
fliehen  mußte.  Erst  seit  dem  Jahre  1159  taucht 
er  in  seiner  englischen  Heimath  auf.  Man  er- 
fährt aber  nicht,  wohin  er  sich  mittlerweile  ge- 
wandt hatte;  doch  hat  ihn  Heinrich  öfter  ein- 
geladen (frequenter  vocatus).  Wahrscheinlich 
doch  hat  er  alsbald  die  im  Dialogus  so  ausführ- 
lich geschilderte  hervorragende  Stellung  in  der 
oberen  Schatzkammer  eingenommen,  die  er  noch 
zwanzig  Jahre  später  nach  dem  Urtheil  des  Ri- 
chard Fitz  Nigel  mit  so  viel  Ruhm  ausfüllt. 

In  mehreren  sorgfältig  von  Madox^)  gerade 
aus  den  Schatzkammerrollen,  den  ältesten  des 
englischen  Staatsarchivs,  dem  Jahr  für  Jahr  ab- 
geschlosseneu sogenannten  Rotulus  Magnus  Pipae, 
wird  uns  seiu  Dasein  vor  1178  so  wie  späterhin 
seine  Hinterlassenschaft  noch  unter  Richard  Lö- 
wenherz bezeugt.  Im  5.  Jahre  Heinrichs  IL  (19. 
December   1158  — 18.    December   1159)    werden 

1)  Note  zu  p.  17  des  Dialogus  in  der  Ausgabe  von  1711. 


532 

seinem  Neffen  Ralph  bei  der  Schatzkammer  6  L 
20  d.  ausbezahlt^).  Im  14.  Jahre  Heinrichs,  also 
1168,  bezieht  er  selber  sein  Quartalgehalt  im 
Betrage  von  9  L.  ^}.  Im  15  Jahre  erscheint  er 
mit  dem  Titel  elemosinarius  regis,  wie  es  noch 
im  16.  Jahrhundert  Wolsey  als  der  allmächtige 
Minister  Heinrichs  VIII.  war,  und  wurden  ihm 
L.  7.  12.  1  angewiesen  3).  Im  22,  d.  i.  1176  er- 
hält er  als  halbjährliche  Bezahlung ,  man  sieht 
nicht  recht  für  welche  Leistung,  76  s.  1  d.  ^).  Da 
diese  Buchungen  sämmtlich  durch  den  Sheriff 
von  Hereford  unter  der  Rubrik  Herefordescira 
erfolgen,  wird  er  dort  an  der  Waliser  Mark  be- 
gütert, vermuthlich  auch  gebürtig  gewesen  sein. 
Eine  nähere  Bezeichnung  des  von  ihm  in  der 
Schatzkammer  bekleideten  Amts  begegnet  dabei 
nicht  Er  heißt  stets  Magister  Thomas  Brunns, 
einmal  normannisiert  le  Brun. 

Später  wird  sein  Name  wieder  angetroffen 
in  der  großen  Rolle  des  1.  Jahrs  Richards  I.  (3. 
September  1189  —  2.  September  1190),  die  von 
der  Record  Commission  herausgegeben  wurde. 
Der  Sheriff  von  Hereford  legt  vor  der  Schatz- 
kammer Rechnung  ab  über  Verwaltung  und  Er- 
träge von  Land  und  mehreren  Häusern  des  Tho- 
mas Brunns  bei  der  Stadt  Hereford.  Der  Sheriff 
von  Hampshire  thut  dasselbe  über  Land,  welches 
Thomas  Bronus  in  der  Stadt  Winchester  besessen^). 

1)  Et  in  liberatione  constituta  Radulfo  nepoti  Thomae 
Bruni  VI  L.  XX  d. 

2)  In  Boltis  per  breve  regis  Magistro  Thomae  le  Brun 
IX  L.  de  liberatione  sua  de  qaarta  parte  anni. 

3)  Et  Maglstro  Thomae  Brun  elemosinario  regis  VII  L. 
12  8.  1  d. 

4)  Et  Magistro  Thomae  Bruno  76  s.  et  ob.  de  dimidio 
anno. 

6)  Magnus  Rotulus  Pipae  1  Ric.  I,  1844  p.  142  de 
exitu  terre  Thomae  Bruni  extra  villam  de  Hereford ...  in 


533 

Auch  in  der  Rolle  des  2.  Jahrs  Richards!.,  die 
vollständig  durch  Lichtdruck  in  den  Facsimiles 
of  National  Mauuscripts  Part  I  1865  wiederge- 
geben worden  ist,  heißt  es  auf  Blatt  13:  vice- 
comes  debet  sex  solidos  de  terra,  quae  fuit  Ma- 
gistri  Brnni  in  civitate  Wintoniense.  Obwohl 
Thomas  in  diesen  Documenten  nicht  jedesmal 
als  Magister  betitelt  wird,  so  ist  doch  an  der 
Identität  des  Mauns  so  wenig  zu  zweifeln  wie 
an  der  Thatsache,  daß  er  im  Jahre  1189  bereits 
todt  war  und  in  West-  und  Südengland  ein  nicht 
unbeträchtliches  Eigenthum  an  liegender  Habe 
hinterlassen  hatte,  dessen  Verwaltung  und  Con- 
trole  dem  königlichen  Fiscus  zustand. 

Da  ist  es  nun  von  nicht  geringem  Interesse, 
daß  derselbe  Name  mit  genau  denselben  drei 
Bestandtheilen  in  Süditalien  in  lateinisch  und 
griechisch  abgefaßten  in  Köuig  Rogers  Namen 
ausgestellten  Urkunden  begegnet.  Vor  wenigen 
Jahren  ist  auch  wieder  hier  in  Göttingen  ein 
jüngerer  Gelehrter,  der  sich  mit  Forschungen  in 
süditalieniscber  Geschichte  befaßte ,  Herr  Wil- 
helm Behring  aus  Elbing,  auf  die  hervorragende 
Bedeutung  aufmerksam  geworden,  die  derselbe 
Mann  nach  dem  Wortlaut  der  Documente  bei 
dem  Könige  von  Sicilien  gehabt  haben  muß. 
Die  Herausgeber  der  Urkunden  hatten  keine 
Ahnung,  daß  sie  es  mit  einem  Engländer  zu 
thun  hatten.  Noch  hatte  bisher  die  neueste 
Geschichtschreibung  Süditaliens  von  ihm  Notiz 
genommen.  Zunächst  sind  in  der  Vita  Willelmi 
abbatis  auctore  Joanne  a  Nusco  c.  7  in  den 
AA.  SS.  25.  Juni  *)  zwei  Urkunden  König  Ro- 
gers  für  das  Kloster  S.  Maria    di    Moutevergine 

emendatione  domornm  eiasdem  Tbomae  p.  205 de  terra 

quae  foit  Thomae  Bruni  in  civitate  Wintoniense. 

1)  Neue  Ausgabe  von  1867  Junius  YoL  YU    p-  113. 


534 

erhalten,  datiert  Palermo  8.  Kai.  Sept.  (25.  Au- 
gust) ind.  15.  1137,  und  Palermo  8  Kai.  Dec. 
(24.  November)  ind.  13.  1140,  ausgestellt  per 
manus  Magistri  Thomae  capellani  regis  und 
werthvoll  wegen  der  Zeitbestimmung  so  wie 
der  auf  die  christliche  Kanzlei  des  Königs  hin- 
weisenden Amtsstellung.  Sodann  fand  Behring 
bei  Cusa,  Diplomi  greci  et  arabi  di  Sicilia  I, 
303  ein  von  König  Roger  in  Palermo  erlassenes 
Diplom,  dem  der  Herausgeber  kein  Datum  hin- 
zufügt. In  dem  Auszuge  bei  Pirri,  Sicilia  Sacra 
I,  391  steht  die  irrige  Jahrzahl  1144,  die  wegen 
der  Indiction  und  des  Regierungsjahrs  iu  1143 
verbessert  werden  muß.  In  dem  griechischen 
Texte  hebt  die  Zengenliste  au :  zavia  de  nävia 
xarofio^oyrjaag  nax'  ivvontov  Qoyegiov  tov  vnfQ' 
Xccfingov  dovxog  xal  ^oysgiov  vnoipKfiov  navög- 
fiov  *al  xofjuTÖg  Gififcov  lov  dveipiov  ^ftdav  xal 
(iäaiQO  O^cofiä  lov  ßgovvov  xal  yovXiilfiov  nvQÖXov 
X.  T.  A.i) 

Diese  von  Cusa  verzeichnete  Urkunde  war 
aber  inzwischen  auch  dem  Scharfblick  des  Dr. 
0.  Hartwig,  gegenwärtig  Vorstand  der  Univer- 
sitäts-Bibliothek zu  Halle,  nicht  entgangen,  des- 
sen Forschungen  seit  Jahren  die  sicilische  Ge- 
schichte betrefiFen.  Er  hatte  bereits  den  Magi- 
ster Thomas  in  zwei  Diplomen  bemerkt,  die  im 
ersten  Heft  der  Documenti  per  servire  alla  sto- 
ria  di  Sicilia  p.  12  begegnen.  In  dem  ersten 
fertigt  Thomas  die  Urkunde  im  Namen  des  Kö- 
nigs aus ,  ist  also  der  mit  den  Geschäften  der 
Kanzlei  vom  Könige  betraute  Beamte.  Das 
zweite,  wieder  irrig  1144  statt  1143  datiert,  be- 
trifit  in  lateinischer ,  etwas  abweichender  Fas- 
sung   dieselbe  Angelegenheit  wie   die    bei  Cusa 

1)  Vgl.   auch  Radulfi  de  Diceto  Opera  Historica  ed. 
StubbB  II  p.  XXXII. 


535 

abgedruckte  griechische  Urkunde  mit  derselben 
Zeugenreihe:  astantibas  Rogerio  duce  Apaliae 
dilecto  filio  nostro  et  Rogerio  venerabili  electo 
Panormi,  Simone  comite  nepote  nostro  et  Ma- 
gistro  Thoma  nostro  familiari  et  Gulielmo 
de  Perolio  etc.  Mitten  unter  den  Großen  des 
Reichs  erscheint  hier  Thomas  mit  seinem  schlich- 
ten Magistertitel  als  farailiaris   noster. 

Da  hat  nun  Herr  Doctor  Hartwig,  nachdem 
ich  ihn  auf  den  Dialogus  und  die  Verfassungs- 
geschichte von  8tubbs  hingewiesen,  ein  ausführ- 
liches Schreiben  über  diese  merkwürdigen  insti- 
tutionellen Beziehungen  der  beiden  Reiche  an 
Amari ,  den  berühmten  Verfasser  der  Storia  de' 
Muselmani  in  8icilia  ,  gerichtet,  der  dasselbe  in 
den  diesjährigen  Abbandhmgen  der  Reale  Acca- 
demia  dei  Lincei,  Sui  divani  dell'  azienda  Nor- 
manna in  Palermo,  abgedruckt  und  eingehend 
vou    seinem  Standpunkt    aus    commentiert  hat. 

Hartwig  beleuchtet  die  großartig  organisa- 
torische Tliätigkeit  König  Rogers,  der  wie  Hugo 
Falcandus,  der  Chronist  des  12.  Jahrhunderts, 
schreibt*):  aliorum  quoque  regum  ac  gentium 
consuetudines  diligentissime  fecit  inquiri,  ut 
quod  in  eis  pulcherrimum  aut  utile  videbatur 
sibi  transumeret.  Quoscumque  riros  autconsilii 
utiles  aut  hello  claros  compererat,  cumulatis 
apud  eos  ad  viitutem  beuefieiis,  invitabat,  was 
vollständig  auf  den  Engländer  Thoraas  paßt. 
Hartwig  hält  sich  dann  vor  Allem  an  die  Aus- 
führung^^n  Amaris  selber  über  die  besonders  den 
fatimidischen  Khalifeu  nachgebildete,  auch  unter 
christlichen  Herrschern  bestehende  Amtseinrich- 
tung in  Sicilien  ,  die  namentlich  einer  sehr  ge- 
nauen Buchführung  über  die  Finanzen  gewidmet 

1)  Garasios,  BibL  hist.  Siciliae  I,  410. 


536 

war.     Er  findet  üebereinstimmung  zwischen  dem 
Dl  van   oder  der  Dohana    de   secretis  und 
dem  Scaccarium ,    um    so    mehr    als    bei    beiden 
die  fiscalischeu  mit  richterliehen  Geschäften  ver- 
bunden   wären,    und  behandelt   die   I^Vage    nach 
der  Priorität,    resp.  der  Nachahmung  des  einen 
Instituts   durch  das  andere.      Was   läge    nun  in 
der  That  näher ,  als  in  Ma^jister  Thomas  denje- 
nigen zu  suchen ,  der,  nachdem  er  das  treffliche 
saracenische  Rechnungsvyesen  kennen  gelernt,  es 
auch  nach  England  verpflanzt  hätte.     Sogar  die 
Worte    des   Dialogus,    daß   er    von   Heinrich  II. 
contra    antiquam    consuetudinem    zur    Festigung 
der  Controle  mit  der  Führung  eines  dritten  Ro- 
tulus  beauftragt  worden  sei,  würden  dafür  spre- 
chen.     Vielleicht   gar    wäre    auf  diesem    Wege, 
füge    ich    hinzu,    die    orientalische  Bezeichnung 
Scaccarium,  Echiquier,  Exchequer  von  der  schach- 
brettartigen Einrichtung  des  großen  Zahltisches, 
um  den  in   Westminster  die   Bänke  standen,  am 
einfachsten  zu   erklären.      A.  van   der  Linde  in 
dem  gelehrten  Werke:  Geschichte  und  Litteratur 
des  Schachspiels  1874  II,   165  findet  freilich  die 
Ableitung  von   »der  Vierung  äußerst  verdächtig« 
und    läßt    dem   Namen  Scaccarium    altgermani- 
sches schach,  Raubmord,  wie  es  in  ags.  scäcan, 
concutere,      scaher     bei     Otfried,      hochdeutsch 
Schacher  erscheint,  zu  Grunde  liegen.     Aber  wie 
soll  im  12.  Jahrhundert    in  Neustrien    und  Bri- 
tannien  eine   rein   deutsche  Wurzel   zu  einer  so 
entschieden  romanischen  Wortbildung ,  und  gar 
dem  Fiscus  als  Raubnest   zu   einem  Spottnamen 
verholfen   haben  ?     Auch    spricht    der    Dialogus 
I,    1    nicht   nur    von  tabula   quadrata,   sondern 
auch  von  dem  darüber  gebreiteten   pannus  .  .  . 
niger  virgis  distinctus.      Da    nun    aber   die  Do- 
hana de  secretis  in  Sicilien  nicht  bis  hinter  das  ' 


537 

Jahr  1149  zurück  zu  verfolgen  ist  und  anderer- 
seits in  England  der  Name  Scaccarium  einzeln 
schon  unter  Heinrieh  L,  des  Eroberers  Sohn, 
(1100 — 1135)  vorkommt  und  das  Rechnungswesen 
dieser  Behörde  bereits  in  dem  Muster  einer  frü- 
heren großen  Aufnahme,  nämlich  im  Domesday 
Wilhelms  I. ,  vorgezeichnet  erscheint ,  kommt 
Hartwig  zu  dem  Schluß,  daß  die  Dohana  de  se- 
cretis  jedenfalls  von  König  Roger  errichtet 
wurde ,  woan  der  Engländer  Thomas  mit  seiner 
Kenntniß  normannisch-englischer  Einrichtungen 
betheiligt  gewesen. 

Gegen  diese  ansprechende  Hypothese  erhebt 
nun  Aman  als  Patriot  und  erster  Kenner  der 
saracenischen  Epoche  seiner  Heimathinsel  eine 
Reihe  gewichtiger  Einwendungen.  Er  möchte 
hyperkritisch  selbst  die  Identität  des  Magister 
Thomas  capellanus  regis  vom  Jahre  1137  mit 
dem  fiaCiQO  &(Ofitt  tot  ßqovvov  vom  Jahre  1 143 
und  dem  Beisitzer  des  Scaccarium  zu  Westmin- 
ster  im  Jahre  1179  bezweifeln  und  hält  den  un- 
ter König  Roger  vermuthlich  noch  jungen  Fremd- 
ling für  ganz  ungeeignet  um  ein  auswärtiges 
Vorbild  zur  Nachahmung  in  Sicilien  zu  empfeh- 
len. Dagegen  geht  er  noch  einmal  in  einer  ge- 
lehrten ,  aus  den  arabischen  Quellen  schöpfen- 
den Abhandlung  die  Aemter  und  Behörden  durch, 
die  von  den  Sitzen  der  Khalifen  in  Persien  und 
Egypten  nach  Sicilien  übertragen  allenfalls  wie- 
der von  dort  aus  auch  den  christlichen  Occideu- 
talen  zur  Nachahmung  hätten  dienen  können. 
Er  beweist,  daß  die  normannischen  Eroberer 
durchaus  die  unter  den  Muhamedanern  bewährte 
fiscalische  Registratur  beibehalten  hätten  und 
daß  die  Finanzämter  während  des  12.  Jahrhun- 
derts insonderheit  unverändert  geblieben  wären. 
Von   einer  ähnlichen  Eintheilung  wie  die  durch 

43 


538 

den  Dialogus  und  in  der  späteren  englischen 
Praxis  bezeugte  zwischen  einem  Scaccarium  sn- 
perius  und  inferius,  auf  welche  Hartwig  schließt, 
und  gar  von  einem  collegialisch  berathenden 
Oberfinanzgerichtshof  wie  die  Curia  scaccarii, 
Court  of  exchequer,  zu  dem  die  Dohana  de  se- 
cretis  passen  würde ,  will  er  auch  nicht  die  ge- 
ringste Spur  entdeckt  haben.  Er  kann  deshalb 
namentlich  auch  der  gelegentlich  von  Stubbs  ^) 
hingeworfenen  Vermuthung  nicht  zustimmen, 
daß  Thomas  die  sicilische  Schatzkammer  einge- 
richtet habe.  Er  glaubt  überhaupt  nicht  an 
Nachbildung  von  einer  oder  der  anderen  Seite, 
weil  die  Grundlagen  und  die  Structur  der  mit- 
telalterlichen Institutionen  in  Sicilien  zunächst 
die  arabischen  geblieben  sind.  Trotzdem  will 
er  nicht  leugnen,  daß  zumal  unter  einem  so  er- 
leuchteten Fürsten  wie  König  Roger  besonders 
von  der  Normandie  und  von  England  her  refor- 
mierende Einflüsse  zugelassen  sein  mögen,  »ob- 
gleich« wie  er  sagt,  »die  Beweise  fehlen.«  Dies 
Urtheil  erscheint  jedenfalls  nach  Allem,  was, 
wie  wir  sehen,  nunmehr  über  Magister  Thomas 
Brunus  fest  steht,  viel  zu  schrojff  ablehnend. 

Obschon  der  Mann  uns  urkundllich  nur  zwi- 
schen den  Jahren  1137  und  1179  bekannt  ge- 
worden, obschon  wir  weder  Geburts-  noch  To- 
desjahr kennen  und  nur  wissen ,  daß  letzteres 
vor  1189  fällt ,  so  dürfen  wir  doch  annehmen, 
daß  er  etwa  dreißigjährig ,  bald  nachdem  Ro- 
ger die  Königskrone  aufsetzte,  vielleicht  zugleich 
mit  dem  Kanzler  Robert  von  Salisbury  an  den 
sicilischen  Hof  kam  und  seinen  Verbindungen 
und  Fähigkeiten  eine  nicht  gewöhnliche  Ver- 
trauensstellung,   wie  die  eine  Urkunde  von  dort 

1)  Conetitutional  History  of  England  I,  8tö. 


539 

bezeugt,  als  fa miliaris  noster  verdankte. 
Seine  Verwendung  spricht  für  die  Weisheit  und 
den  erleuchteten  Siun  Rogers,  die,  wie  Amari 
selbst  hervorhebt,  kein  anderer  in  so  hohen 
Tönen  gepriesen  hat  wie  Edrisi  in  der  Einlei- 
tung zu  seinem  berühmten  geographischen  Werke, 
der  ohne  alle  Frage  die  größte  Zierde  des  Hofs 
von  Palermo  war.  Der  Sturz  des  Magister  Tho- 
mas geschah  beim  Thronwechsel  des  Jahrs  1154, 
nicht  beim  Regierungsantritt  Wilhelms  II.  im 
Jahre  1166,  weil  sein  Name  schon  in  der  Schatz- 
kammerrolle von  1159  erscheint.  Seiner  ver- 
dienstvollen Thätigkeit  in  Sicilien,  derentwegen 
Heinrich  II.  nicht  abließ,  bis  er  ihn  in  seine 
Dienste  gezogen,  hat  der  Verfasser  des  Dialogus 
doch  ein  schönes  Denkmal  gesetzt,  welches  auf- 
recht bleibt,  mögen  die  Aemter  in  Sicilien  und 
in  England,  in  denen  er  gedient,  auch  noch  so 
wenig  mit  einander  zu  schaffen  haben. 

In  Bezug  auf  das  englische  Exchequer  schließe 
ich  mich  dem  Ürtheil  von  Stubbs  ^)  au ,  der  es 
wie  der  Verfasser  des  Dialogus  selber  unentschie- 
den läßt,  ob  das  Institut  des  Fiscus  von  Wilhelm 
dem  Eroberer  oder  schon  von  den  Angelsach- 
senkönigen errichtet  worden.  Nach  seiner  Mei- 
nung ist  dasselbe  in  England  und  in  der  Nor- 
mandie  neben  einander  gediehen ,  wobei  denn 
vielfache  Berührung  unvermeidlich  war.  Dort 
erscheint  der  Name  Scaccarium  unstreitig  zuerst 
unter  Heinrich  I. ,  diesseits  erst  unter  Heinrich 
II.,  wodurch  freilich  für  oder  gegen  die  Priorität 
Nichts  entschieden  wird.  Eine  'Ueberführung 
aus  der  Normandie  nach  England  ist  früher 
weder  durch  Madox,  noch  neuerdings  durch 
Gneist  oder  Brunner  mit  Sicherheit  nachgewiesen 

1)  Constitational  History  of  England  I,  378.  438. 

43* 


540 

worden,  so  daß  auch  Liebermann,  der  wie  jene 
beiden  Gelehrten  S.  110  mit  Recht  an  der  Dar- 
stellung des  Dialogus  den  normannischen  Geist 
hervorhebt,  diese  Frage  offen  läßt.  Daß  das 
altenglische  Staatswesen  schön  vor  der  Eroberung 
eine  ausgebildete  fiscalische  Behörde  besaß,  die 
wie  so  manches  Andere  von  den  Normannenkö- 
nigen nicht  unterdrückt,  sondern  nur  in  festere 
Formen  gegossen  wurde,  daß  ihnen  fernerhin 
auch  geborene  Engländer  so  gut  wie  ihre  Lands- 
lente  und  oft  treuer  als  diese  dienten,  daran  ist 
auf  Grund  der  Quellen  nicht  zu  zweifeln.  Ich 
kann  daher  auch  der  Auffassung  Freeman's '), 
den  wir  gleich  Stubbs  zu  den  Correspondenten 
unserer  Gesellschaft  zu  zählen  die  Ehre  haben, 
keineswegs  widersprechen ,  wenn  er  den  alteng- 
lischen Ursprung  der  Schatzkammer,  die  Conti- 
nuität  zwischen  ags.  hord,  norm,  fiscus,  the- 
saurus,  scaccarium  —  letzteres  ein  Name,  der 
Anfangs  spielend  gebraucht  worden  sei  —  mit 
ähnlich  insularem  Patriotismus  wie  Amari  noch 
stärker  betont  als  Stubbs.  Nach  Allem,  was  vor- 
liegt, war  auch  der  einfache  Kleriker  Thomas 
mit  dem  seinem  Aeußeren  (Haar  und  Haut)  ent- 
nommenen Beinamen,  ags.  b  r  ü  n,  fuscus,  so  wenig 
wie  Nicolaus,  der  auf  dem  Stiftslande  von  St. 
Albans  geborene  spätere  Papst  Hadriau  IV.  nor- 
mannischer, sondern  englischer  Herkunft,  aber 
eines  der  vielen  Beispiele,  wie  rasch  sich  die 
beiden  Nationalitäten  bereits  einander  näherten 
um  drinnen  und  draußen  dem  Staat  mit  schöpfe- 
rischer Kraft  4u  dienen. 

1)  History  of  the  Norman  Conquest  of  England,  V,  435. 


541 


Ueber  das  ponderomotorische  Elemen- 
targesetz der  Elektrodynamik. 

Von 

£.  Eiecke. 

Es  liegt  in  der  Natur  der  physikalischen 
Forschung,  daß  deujenigen  Vorstellungen,  welche 
wir  mit  den  beobachteten  Erscheinungen  ver- 
knüpfen, eine  absolute  Wahrheit  nie  zugeschrie- 
ben werden  kann.  Wir  werden  dieselben  so 
lange  für  wabr,  d.h.  für  der  Wirklichkeit  ent- 
sprechend halten,  als  keine  Thatsachen  bekannt 
sind,  welche  mit  denselben  in  Widerspruch  sich 
befinden,  wir  werden  unsere  Vorstellungen  än- 
dern oder  durch  neue  Vorstellungen  zu  ersetzen 
suchen,  sobald  wir  auf  Thatsachen  geführt  wer- 
den, welche  in  den  bisherigen  Vorstellungskreis 
nicht  eingeordnet  werden  können.  In  der  Mög- 
lichkeit verschiedener  Vorstellungskreise  für  ein 
und  dasselbe  Gebiet  von  Erscheinungen,  welche 
eine  charakteristische  Eigenthümlichkeit  aller 
physikalischen  Forschung  bildet,  liegt  aber  auch 
ein  wesentliches  Moment  für  ihre  weitere  Ent- 
wicklung ;  denn  wenn  verschiedene  Vorstellungen 
auf  ein  gewisses  Gebiet  von  Erscheinungen  gleich- 
mäßige Anwendung  finden,  so  erwächst  dadurch 
immer  die  Aufgabe,  neue  experimentelle  Thatsa- 
chen zu  entdecken,  durch  welche  die  Alternative 
zwischen  den  verschiedenen  Vorstellungskreisen 
entschieden  wird.  Wenn  nun  auch  für  das  Ge- 
biet der  elektrischen  Erscheinungen  in  neuerer 
Zeit  mehrfach  der  Versuch  gemacht  worden  ist, 
die  bisherigen  Grundlagen  der  Theorie  durch 
andere  zu  ersetzen,  so  kann  mit  Bezug  auf  diese 
Versuche    von  vornherein  bemerkt  werden,   daß 


542 

es  sich  bei  denselben  nicht  um  eiue  Aenderung 
jener  Grundlagen  handelt,  welche  durch  neue 
experimentelle  Thatsachen  mit  Nothwendigkeit 
gefordert  würde,  und  daß  ebensowenig  unsere 
Grundvorstellung  von  der  Existenz  impouderab- 
1er  elektrischer  Flüssigkeiten  durch  jene  Unter- 
suchungen berührt  wird.  Dieselben  beziehen 
sich  vielmehr  nur  auf  die  Kräfte ,  welche  ent- 
weder von  den  einzelnen  Elementen  eines  galva- 
nischen Stroms  auf  andere  ebensolche  Elemente 
und  auf  bewegte  Leitereiemeute  ausgeübt  wer- 
den ,  d.  h.  auf  die  elektrodynamischen  Elemen- 
targesetze, oder  auf  die  elektrischen  Gruudkräfte, 
welche  zwischen  den  einzelnen  in  Bewegung  be- 
griffenen elektrischen  Theilchen  anzunehmen 
sind ,  damit  sich  aus  ihrer  Gesammtwirkung  die 
Gesetze  jener  Elementarwirkungen  ergeben.  Die 
Entdeckung  dieser  elektrischen  Grundkräfte  bil- 
det nur  auf  dem  Gebiete  der  elektrostatischen 
Erscheinungen  eine  Aufgabe  ,  welche  principiell 
denselben  Grad  von  Einfachheit  besitzt,  wie  die 
entsprechende  Aufgabe  der  Bestimmung  der 
zwischen  den  ponderablen  Körpern  stattfindenden 
Gravitationskräfte.  Alle  elektrodynamischen  Wir- 
kungen sind  Gesammtwirkungen  der  gleichzeitig 
bewegten  positiven  und  negativen  elektrischen 
Theilchen;  eine  direkte  Bestimmung  der  Grund- 
kräfte ist  daher  hier  nicht  möglich ,  vielmehr 
muß  das  Gesetz  derselben  errathen  werden  aus 
dem  Gesetz  der  gesammten  von  allen  in  einem 
Leiterelement  bewegten  elektrischen  Theilchen 
ausgehenden  Wirkung,  d.  h.  aus  dem  Elemen- 
targesetz. Die  Aufgabe,  die  elektrischen  Grund- 
kräfte zu  bestimmen,  wird  aber  noch  weiter 
erschwert  dadurch,  daß  auch  die  von  den  ein- 
zelnen Elementen  eines  galvanischen  Stroms 
ausgehenden    Elementarwirkungen  nicht    unmit- 


543 

telbar  Gegenstand  der  Beobachtung  sind,  son- 
dern daß  wir  immer  nur  die  Gesammt Wirkungen 
beobachten,  welche  von  geschlossenen  Stromrin- 
geu  auf  andere  eben  solche  Ringe  oder  auf  be- 
wegliche Theile  derselben  ausgeübt  werden.  Es 
ist  nun  zuerst  Ampere  gelungen,  für  die  ponde- 
romotorische  Wechselwirkung  galvanischer  Ströme 
ein  Elementargesetz  zu  entdecken,  welches  wir 
nach  ihm  als  das  Ämperesche  Gesetz  bezeich- 
nen; er  hat  es  aber  versäumt  für  dieses  Gesetz 
einen  directen  thatsächlichen  Beweis  durch  ex- 
acte  Messungen  zu  geben.  Ein  solcher  Beweis 
wurde  wenigstens  für  den  Fall ,  daß  die  beiden 
auf  einander  wirkenden  Stromelemente  zweien 
geschlossenen  Stromringen  angehören,  erst  durch 
die  elektrodynamischen  Messungen  geliefert, 
welche  Weber  in  der  ersten  Abhandlung  über 
elektrodynamische  Maaßbestimmungen  mitgetheilt 
hat.  Weber  hat  sich  aber  nicht  mit  dieser 
Bestätigung  des  Ampereschen  Gesetzes  durch 
genaue  Messungen  begnügt,  sondern  er  hat  von 
diesem  Gesetze  aus  den  Weg  gebahnt  zu  der 
Erforschung  der  elektrischen  Grundkräfte ,  und 
hat  für  die  Wechselwirkung  elektrischer  Theil- 
chen  das  nach  ihm  genannte  Grundgesetz  ent- 
wickelt. Dieses  Gesetz  findet  dann  unmittelbar 
Anwendung  auf  die  Bestimmung  derjenigen 
Kräfte,  welche  hervortreten,  wenn  in  einem  Lei- 
terelement die  Stärke  der  galvanischen  Strömung 
irgend  welchen  Aenderungen  unterworfen  oder 
wenn  dasselbe  in  irgend  einer  relativen  Bewegung 
gegen  ein  anderes  Leiterelement  begriffen  ist, 
d.  h.  es  ergeben  sich  ans  dem  Weber'schen 
Grundgesetz  Elementargesetze  für  die  Erschei- 
nungen der  Yoltainduction,  Da  nun  die  so 
ermittelten  Inductionsgesetze  mit  den  beobach- 
teten Erscheinungen  in  vollkommener  Ueberein- 


544 

Stimmung  sich  befinden,  so  umfaßt  die  auf  dem 
Weber'schen  Grundgesetze  sich  aufbauende  Theo- 
rie in  der  That  das  ganze  Gebiet  der  elektri- 
schen Erscheinungen.  Diese  von  Weber  begrün- 
dete Theorie  wurde  in  neuerer  Zeit  angegrif- 
fen durch  die  Arbeiten  von  Helmholtz  und 
Clausius,  und  es  wurde  von  beiden  der  Versuch 
gemacht,  die  ihrer  Meinung  nach  fehlerhafte 
Theorie  durch  eine  neue  zu  ersetzen.  Helmholtz 
hat  im  Wesentlichen  zwei  Einwände  gegen  das 
Weber'sche  Gesetz  erhoben,  von  welchen  übri- 
gens der  eine  nicht  so  wohl  dieses  Gesetz,  als 
vielmehr  gewisse  accessorische  Annahmen  betrifft, 
die  zum  Zweck  der  Untersuchung  der  galvani- 
schen Strömung  im  Inneren  der  Conduktoren  ge- 
macht worden  sind.  Der  zweite  Einwand  be- 
steht darin,  daß  nach  Helmholtz  das  Weber'sche 
Gesetz  einen  Widerspruch  gegen  das  Princip  der 
Erhaltung  der  Energie  enthalten  sollte.  Das 
Gesetz,  welches  Helmholtz  an  Stelle  des  Weber'- 
schen vorgeschlagen  hat,  ergab  sich  dadurch,  daß 
er  einen  gewissen  formalen  Zusammenhang,  wel- 
chen F.  .Neumann  zwischen  der  ponderomotorischen 
und  elektromotorischen  Wirkung  geschlossener 
Ströme  entdeckt  hatte,  auf  die  elementaren  Wir- 
kungen der  galvanischen  Strömung  übertrug; 
dieses  Gesetz  macht  also  nicht  den  Anspruch 
ein  Grundgesetz  der  elektrischen  Wirkungen 
zu  sein ,  sondern  es  giebt  zunächst  nur  einen 
einfachen  matbematischen  Ausdruck,  aus  wel- 
chem als  aus  einer  gemeinsamen  Quelle  die 
verschiedenartigen  elektrodynamischen  Wirkun- 
gen nach  bestimmten  Regeln  abgeleitet  werden 
können.  Die  von  Helmholtz  gegen  das  Weber'sche 
Gesetz  erhobenen  Einwände  sind  durch  die  Ar- 
beiten von  Weber  und  C.  Neumann  widerlegt 
worden;    es   kann  sich    also  jetzt  nur  noch  um 


545 

die  Frage  handeln,  ob  die  Gesetze  von  Helm- 
holtz  und  Weber  beide  den  gegenwärtig  be- 
kannten experimentellen  Thatsachen  genügen, 
ob  sie  also  diesen  gegenüber  als  gleichberechtigt 
zu  betrachten  sind,  oder  ob  wir  gegenwärtig 
schon  gewisse  Erscheinungen  nachweisen  können, 
welche  die  Alternative  zwischen  den  beiden  Ge- 
setzen entscheiden.  Der  von  Clausi  us  erhobene 
Einwand  gründet  sich  auf  eine  Folgerung  aus 
dem  Weber'scheu  Gesetze ,  auf  welche  ich  be- 
reits einige  Jahre  früher  aufmerksam  gemacht 
hatte  und  welche  darin  besteht ,  daß  eir.e  um 
ihre  Äxe  gedr-hte  uud  von  einem  galvanischen 
Strom  durchflossene  Spirale  nach  dem  Weber'- 
scheu Gesetze  auf  einen  benachbarten  Conduc- 
tor  eine  vertheilende  Wirkung  ausübt ,  ganz 
ebenso  wie  sie  von  einem  elektrisch  geladenen 
Conductor  ausgehen  würde.  Die  Prüfung  dieser 
Folgerung  schien  mir  die  Sache  einer  erst  an- 
zustellenden experimentellen  Untersuchung  zusein, 
während  Clausius  aus  dem  Umstände ,  daß  diese 
Wirkung  bisher  der  Beobachtung  sich  entzogen 
hat,  die  ünzulässigkeit  des  Weber'schen  Gesetzes 
folgern  zu  müssen  glaubte.  Clausius  hat  dann 
ein  anderes  Grundgesetz  der  elektrischen  Wir- 
kung aufgrestellt,  nach  welchem  jene  elektro- 
statische Wirkung  nicht  eintreten  würde. 

Es  möge  mir  nun  gestattet  sein,  einen  üeber- 
blick  über  den  Inhalt  der  Abhandlung,  welche 
ich  der  K.  G.  vorzulegen  die  Ehre  hatte  und 
eine  kurze  Charakterisirung  der  Stellung,  welche 
dieselbe  den  im  Vorhergehenden  erwähnten  Ar- 
beiten gegenüber  einnimmt,  zu  geben.  Nach  einer 
Vorbemerkung  über  diejenigen  Anforderungen, 
welche  sich  aus  dem  Princip  der  Gleichheit  von 
Action  und  Reaction  für  die  elektrodynamischen 
Wechselwirkungen   ergeben ,    liefert  der   zweite 


546 

Abschnitt  der  Abhandlung  einen  auf  möglichst 
sicheren  Grundlagen  ruhenden  und  zugleich 
möglichst  einfachen  Beweis  des  Ampereschen 
Gesetzes.  Derselbe  schließt  sich  unmittelbar 
an  die  von  Stefan  über  das  Grundgesetz  der 
Elektrodynamik  angestellten  Untersuchungen 
an ,  indem  er  zu  den  von  Stefan  gemachten 
Annahmen  nur  noch  das  Princip  der  Gleichheit 
von  Action  und  Reaction  in  seiner  strengen 
Fassung  hinzufügt.  Es  ergiebt  sich  gleichzeitig, 
daß  das  von  Stefan  aufgestellte  Gesetz  jenem  Prin- 
cip nur  mit  Bezug  auf  translatorische  Verschiebun- 
gen genügt,  während  das  Gesetz  von  Clausius, 
welches  als  ein  specieller  Fall  in  dem  Gesetz 
von  Stefan  enthalten  ist,  mit  jenem  Princip  un- 
ter allen  Umständen  in  Widerspruch  sich  befin- 
det. Der  dritte  Abschnitt  bespricht  einen  ähn- 
lichen von  Carl  Neumann  gegebenen  Beweis 
des  Ampereschen  Gesetzes  und  zeigt  daß  derselbe 
von  einer  gewissen  speciellen  von  Neumann  ge- 
machten Annahme  unabhängig  ist.  Während 
die  beiden  erwähnten  Beweise  des  Ampereschen 
Gesetzes  synthetischer  Natur  sind,  d.  h.  von  einer 
Reihe  gegebener  Bedingungen  aus  das  Gesetz 
allmälig  zu  konstruiren  suchen ,  enthält  der 
folgende  Abschnitt  eine  analytische  Zerlegung 
des  Ampereschen  Gesetzes  in  einzelne  Kraft- 
componenten ,  welche  im  Wesentlichen  identisch 
ist  mit  der  in  den  Abhandlungen  d.  K.  G.  d. 
W.  vom  Jahre  1875  von  mir  mitgetheilten  Zer- 
legung. Will  man  nun  auf  Grund  dieser  Zerle- 
gung einen  Beweis  dafür  gewinnen ,  daß  das 
Amperesche  Gesetz  die  in  Wirklichkeit  zwischen 
zwei  Stromelementen  vorhandene  ponderomotori- 
sche  Kraft  darstellt,  so  wird  einmal  zu  zeigen 
sein,  daß  allen  jenen  Kraftcomponenten,  in  welche 
die  Amperesche  Kraft    sich  auflösen  läßt,    meß- 


547 

bare  elektrodynamische  Wirkongen  entsprechen, 
und  zweitens,  daß  keine  außerhalb  des  Ampere- 
schen  Gesetzes  stehenden  Wirkungen  exsistiren 
d.  h.  es  muß  nachgewiesen  werden,  daß  das  Am- 
peresche  Gesetz  nicht  allein  der  wirkliche,  son- 
dern auch  der  vollständige  Ausdruck  der  elek- 
trodynamischen Kräfte  ist.  Es  ergiebt  sich, 
daß  unter  der  Voraussetzung  rein  translatorischer 
Wirkungen  zwischen  zwei  Stromelementen  die 
Verbindung  der  Gesetze  der  Wechselwirkung 
geschlossener  Ströme ,  mit  den  Erscheinungen 
der  elektrodynamischen  Rotationen  einerseits 
oder  mit  den  Erscheinungen,  welche  die  elektri- 
sche Entladung  in  Geißlerschen  Röhren  unter  mag- 
netischer Einwirkung  darbietet,  andererseits 
zum  Beweise  des  Ampereschen  Gesetzes  genügt. 
Die  angeführte  Zerlegung  des  Ampereschen  Ge- 
setzes stellt  eine  eigenthümliche  Beziehung  zwi- 
schen demselben  und  dem  Gesetze  von  Helmholtz 
her,  eine  Beziehung,  welche  mir  schon  früher 
zum  Bewußtsein  gekommen  war ,  zu  deren  wei- 
terer Verfolgung  ich  aber  erst  durch  ein  genaue- 
res Studium  der  dritten  Abhandlung  von  Helm- 
holtz veranlaßt  wurde,  in  welcher  dieselbe  Bezie- 
hung nur  von  dem  entgegengesetzten  Standpunkte 
aus  sich  bereits  entwickelt  fand.  Die  Beziehnng 
ist  einfach  die,  daß  bei  meiner  Zerlegung  des 
Ampereschen  Gesetzes  das  Helmholtzsche  sich 
als  ein  Theil  des  Ampereschen  ergab,  während 
Helmholtz  umgekehrt  gezeigt  hatte,  daß  das  Am- 
peresche  Gesetz  einen  Thejl  des  seinigen  bildet. 
Diese  Bemerkung  wird  nun  benützt  um  ans  der 
im  vierten  Abschnitt  gegebenen  Theorie  des  Ampe- 
reschen Gesetzes  eine  entsprechende  Theorie  des 
Helmholtzschen  Gesetzes  abzuleiten,  in  welcher 
einige  Punkte  konsequenter  und  vollständiger 
durchgeführt  zu  sein  scheinen ,    als    in  der  v  on 


548 

Helmholtz  selber  der  Oeffentlichkeit  übergebenen 
Theorie.  Es  folgt  aus  dieser  Theorie,  daß  die  von 
Zoellner  zur  Widerlegung  des  Helmholtzschen  Ge- 
setzes augestellten  Experimente  in  der  That  keine 
Beweiskraft  gegen  dasselbe  besitzen.  Dagegen  er- 
giebt  sich,  daß  die  bereits  erwähnten  Erschei- 
nungen der  elektrischen  Entladung  in  Geißler- 
schen  Röhren  mit  dem  Gesetze  von  Helmholtz 
sich  in  Widerspruch  befinden,  so  daß  also  durch 
diese  Erscheinungen  die  Alternative  zwischen 
den  Gesetzen  von  Weber  und  Helmholtz  zu  Gun- 
sten des  Weberschen  Gesetzes  entschieden  wird. 
Das  von  Helmholtz  vorgeschlagene  Gesetz  ist  ein 
Potentialgesetz,  d.h.  es  giebt  unmittelbar  nicht 
die  zwischen  zwei  Stromelementen  wirkenden 
Kräfte,  sondern  die  Arbeit,  welche  von  jenen 
Kräften  bei  einer  beliebigen  relativen  Verschie- 
bung der  beiden  Elemente  geleistet  wird.  In 
diesem  Sinne  besitzt  nun  auch  das  Webersche 
Grundgesetz  der  elektrischen  Wechselwirkung 
ein  Potential,  und  daraus  schien  mit  Noth wen- 
digkeit hervorzugehen,  daß  auch  nach  dem  We- 
berschen' Gesetze  ein  Potential  zweier  Stromele- 
mente existiren  müsse.  Dieses  Potential  wird 
im  sechsten  Abschnitte  wirklich  aufgestellt  und  es 
zeigt  sich  daß  dasselbe  identisch  ist  mit  dem 
Helmholtzschen  Potentiale;  nur  die  Regel,  nach 
welcher  die  wirksamen  Kräfte  aus  dem  Poten- 
tiale abzuleiten  sind,  ist  nach  dem  Weberschen 
Grundgesetze  eine  andere  als  die  von  Helmholtz 
befolgte.  Mit  Rücksicht  auf  dieses  Resultat 
könnte  man  also  sagen,  daß  das  Plelmholtzsche 
Gesetz  sich  nicht  in  Widerspruch  befinde  mit 
dem  Weberschen,  sondern  vielmehr  eine  Folge 
des  letzteren  sei,  daß  aber  aus  dieser  Zurückfüh- 
rung  des  Helmholtzschen  Gesetzes  auf  seine  tiefer 
liegende    Quelle    eine    von     den    gewöhnlichen 


549 

Vorschriften  abweichende  Behandlung  desselben 
resultire,  bei  deren  Bafolgung  alle  aas  dem 
Helniholtzschen  Gesetze  gezogenen  nicht  zuläbsi- 
gen  Folgerungen  verschwinden.  Der  letzte  Ab- 
schnitt der  Abhandlung  enthält  einige  Bemer- 
kungen über  das  Gesetz  von  Clausins.  Dieses  Ge- 
setz steht  nicht  in  Widerspruch  mit  irgend  wel- 
chen bekannten  Thatsachen,  aber  in  Widerspruch 
mit  dem  Priucip  der  Gleichheit  von  Action  und 
Reaction.  Der  schwerwiegende  Einwand  welcher 
sich  hieraus  gegen  das  Gesetz  von  Clausius  er- 
geben würde,  wird  dadurch  gehoben,  daß  dasselbe 
ein  fragmentarischen  Gesetz  ist ,  da  nach  der 
Vorstellung  von  Clausius  die  Wechselwirkung 
zweier  elektrischer  Theilchen  keine  unmittelbare 
ist,  sondern  vermittelt  durch  ein  unbekanntes 
den  Zwischenraum  zwi^chen  denselben  erfüllen- 
des Medium  ;  das  Gesetz  von  Clausius  bestimmt 
nur  die  auf  die  elektrischen  Theilchen  resulti- 
rende  Wirkung  und  läßt  die  auf  jenes  vermit- 
telnde Medium  wirkenden  Kräfte  ganz  unbestimmt. 
Doch  dürfte  von  unserem  gegenwärtigen  Stand- 
punkte aus  die  Wahl  zwischen  den  Gesetzen 
von  Weber  und  Clausius  nicht  zweifelhaft  sein, 
da  zwar  beide  mit  den  beobachteten  Erschei- 
nungen in  Uebereiustimmuug  sich  befinden, 
aber  das  Gesetz  von  Weber  diese  Erscheinungen 
nur  von  bekannten  Verhältnissen  abhängig 
macht,  während  das  Gesetz  von  Clausius  eines 
vermittelnden  Körpers  bedarf,  von  dessen  Exi- 
stenz und  Eigenschaften  wir  nicht  die  mindeste 
Kenntuiß  besitzen. 

Die  seit  einer  Reihe  von  Jahren  über  das 
Webersche  Gesetz  geführte  Controverse  hat  das 
eigenthümliche  Resultat  gehabt,  daß  gerade  da, 
wo  die  Gegner  desselben  eine  schwache  Stelle, 
einen  Widerspruch    mit  den  Principien  der  Me- 


550 

cbauik  zu  entdecken  glaubten ,  ein  unerwarteter 
Reichthum  und  eine  vollkommene  Harmonie  mit 
jenen  Principien  durch  die  Abhandlungen  von 
Weber  enthüllt  wurde.  In  diesem  Sinne  dürf- 
ten auch  die  in  der  vorliegenden  Abhandlung 
mitgetheilten  Untersuchungen  einen  Beitrag  zu 
unserer  Kenntniß  des  Weberschen  Gesetzes  ent- 
halten. 


üeber  eine  Gleichung  zwischen  Theta- 
Functionen. 

Von 

A.  Enneper. 

In  den  „Comptes  Rendus"  vom  Jahre  1877 
(t.  LXXXV  p.  731)  hat  Herr  Her  mite  eine  be- 
merkenswerthe  Relation  zwischen  Theta-Functio- 
nen  mitgetheilt  und  dieselbe  zur  Integration 
einer  Differentialgleichung  verwandt.  Die  be- 
merkte Relation  läßt  sich  ohne  große  Rech- 
nung aus  Jacobi's  Multiplications-Theorem  der 
Theta -Functionen  ableiten,  wie  im  Folgenden 
gezeigt  werden  soll. 

Die  Argumente  w^  w^  etc.  seien  durch  fol- 
gende Gleichungen  verbunden: 


1) 


w-{-x-\-y-{-z              w-\-x  —  y  —  0 
^v^  =  2 '  "'^  =  2 ' 

w — x-\-i/ — £f        w — X — y  +  ^ 

yi  =  ö         '  ^1  =  ~~~'  9         • 


Man  setze; 


551 

2)  s  =  At^x)A(^i)A(yi)/^sW, 

^0  ft  A»  A'  ^"^  A  beliebige  Functionen  ihrer 
Argumente  sind.  Mit  Rücksicht  auf  die  Glei- 
chungen (1)  findet  man  leicht: 

Sdw'^  Sdx  "^  Sdy'^  Sde  ""     Ä«^* 

Multiplicirt  man  mit  5,  so  ist  nach  2) 

dS      d^      d^      dS  _ 
dw      dx      dy      dz 

3)  '^f>,)fr{x,)f^{jy,)f,{z,). 

Setzt  man  ic  = — {^-{-y-\-e),  dann  aus  1) 
die  Werthe  von  x^  ,  ^j  und  z^ ,  so  geht  die 
Gleichung  (3)  in  folgende  über: 


\iS.d^dJd_S^ 
^    Idw^  dx'^du^djsi 


dy      dzJw-\-x-\-t/-{-z  =  0 

^no)f^i-y-^)fA-^-^)fA-y-^)^ 

Mit  Hülfe  dieser  allgemeinen  Gleichung  läßt 
sich  die  von  Hrn.  Herrn ite  gegebene  Relation 
ohne  Schwierigkeit  ableiten. 

Man  setze  mit  Jacobi: 


552 

In  den  vorstehenden  Summen  ist  i  =  ]/^, 
das  sumrairende  Element  n  nimmt  alle  ganz- 
zahligen Werthe  von  — 00  bis  -{~  00  an. 

Aus  dem  Fundamental -Theorem  Jacobi's, 
enthalten  in  der  Gleichung: 

+  ^2  («^1) '^2  (^1)^2  (2/1)  ^2(^1) 

leite  man   zwei   weitere  Gleichungen  ab,   indem 

n 
zuerst    m;,  x,  y,  z   sämmtlich    um  —  zunehmen, 

in  der  so  erhaltenen  Gleichung  lasse  man  darauf 
w  allein  um  n  zunehmen.  Die  Summe  der  bei- 
den bemerkten  Gleichungen  führt  zu  dem  fol- 
genden Resultate: 

5)  'l^{w)a\x)^{y)^{,z)  = 

—  '>2(^^l)^2(^l)^2(yi)"^2(^l) 

+  ^w,)d{x,)^y,)^z,) 

-^i(«'i)^i(^i)^i(2/i)^i(^i)' 

Man  identificire  jedes  der  rechts  stehenden 
Producte  von  vier  Theta- Functionen  mit  dem 
in  2)  aufgestellten  Ausdruck  für  Ä,  wende  dann 
auf  jedes  dieser  Producte  die  Gleichung  4)  an.     Da 

^'(0)  =  0,  ^',(0)  =  0,  ^'3(0)  =  0, 

so  bleibt  rechts  nur  das  Product  übrig,  welches 
von  ^1  abhängt.  Wendet  man  also  die  Glei- 
chung 4)  auf  die  Gleichung  5)  an,  so  folgt,  nach 
Division  durch  2 


553 

6)  ^^'^x^y^z)^{x)&iif)&{z) 

+  ^x^y  +  z)^x)d'{y)a{z) 
J^i^{x-{-y^z)a{x)^y)&-{^)  = 

was  die  zn  beweisende  Relation  ist.  Statt  von 
der  Gleichung  5)  auszugehn,  kann  man  ähnli- 
che Gleichungen  zu  Grunde  legen,  bei  welchen 
auf  der  linken  Seite  das  Product  von  vier  Fune- 
tionon  i?  durch  die  Producte  von  vier  Func- 
tionen v^3,  i9-jj  oder  i^^  ersetzt  ist.  Die  vier 
Terme  aut  der  rechten  Seite  wechseln  dabei  be- 
kanntlich nur  ihre  Vorzeichen.  Die  Resultate, 
welche  sich  so  ergeben ,  lassen  sich  auch  aus 
der  Gleichung  6)  herleiten,  wenn  x,  y,  z  sämmt- 

lieh  um  eine  der  Quantitäten  — ,  — ^— ,  —  -j 2_i 

zunehmen.  Auf  der  rechten  Seite  der  Gleichung 
6)  werden  die  Functionen  ^^ ,  abgesehn  von 
einem  Factor,  reproducirt,  während  auf  der  lin- 
ken Seite  der  Reihe  nach  die  Functionen  ^3,  d-^ 
und  v^2  an  Stelle  der  Function  ^  treten. 

Eine  andere  Art  von  Relationen  ergiebt  sich, 
wenn   in   der   Gleichung  6)   je   zwei  der  Quanti- 

....                      ,              n    ilog^    n       ilogg 
taten   a;,  2/  und  ^  um  -,  — ^,  -  -j ^  zu- 
nehmen. 

Von    diesen    Relationen    hat    Hr.  Her  mite 
eine  aufgestellt,  welche  aus  der  Gleichung  6)  für 

44 


554 

folgt.    Man  erhält  in  diesem  Falle  die  nachste- 
hende Gleichung: 

— ^'(a;  +  a  +  &)  d-{x)  »M  ^M 
-f-  ^(a;  +  a  +  &)  ^'(x)  ^i(a)  ^^{b) 
']-^x  +  a+h)^{x)^\{a)&^{h) 

-\-^x  +  a-\-b)d-{x)»M^\i^)  = 
^\{0)^,(a  +  b)d;{x-^b)&,{x-\-a). 

Weitere  Aufstellungen  ähnlicher  Gleichungen 
mit  Hülfe  der  Gleichung  6)  bieten  keine  Schwie- 
rigkeiten dar,  so  daß  eine  Ausführung  solcher 
Gleichungen  hier  unterbleiben  kann. 

Nimmt  man  in  der  Gleichung  6)  ^  =  0,  di- 
vidirt  durch  ^0)  d(x)  ^(ij)  ^ix-\-y)  setzt  &\{0) 
—  ^(0)  »^aW  "^aW'  führt  rechts  die  elliptischen 
Functionen  ein ,  so  erhält  man  die  bekannte 
Gleichung  Jacobi's 

^ix)'^yiy)     »(x  +  ij)'^ 

2Kh^  .         'iKx  .        2Ky  .        2K.     .    , 

— —  sm  am sm  am sin  am  —  [x-\-  y). 

n  TT  n  n 

Ans  dieser  Gleichung  leitet  man  leicht  die 
folgende  ab: 

1     ^"^±11 

dx  ^(2/) 

2JO;»  .         2Kx  .        2Ky  .   „^2^/^  ,  „% 

sm  am sm  am  — -  sin  am  —  k<^-t  y)- 

n  n  n  n 


555 

Bedeutet   6  eine    beliebige    Constante,   setzt 
man 

und: 

2Ky  2Ky 

Sin  am 


so  folgt: 


2Ky  ^      2Ky 

cos  am J  am 

n  n 


dt_  ___  2^r 

dx  ~         "tT  2Z« 

L  sin  am 


smam 

n 


.   ,     .         2JKa;  .         2Zy  .        2K 
-\-  k^  sin  am sm  am sm  am 


IK  1 


Diese  Gleichung  führt  für  t  auf  folgende  li- 
neare Diflferentialgleichung  zweiter  Ordnung: 

d^  ^ 
dx*  ~ 


^)'{2i.sin.ao.f^-(l+.»)  +  --i        ]. 


(2K\\[^,^  .   „      2Kx 

l  l-4-A-2  1_I_ 

2Ky. 

DIU  aul 

n 

44* 


556 

Die  vorstehende  Differentialgleichung,  in  un- 
wesentlich anderer  Bezeichnung,  fällt  mit  einer 
der  Gleichungen  zusammen,  welche  Hr.  Her- 
rn ite  (1.  c.  p.  824)  auf  ganz  verschiedenem 
Wege  aufgestellt  hat. 


Die  mittlere  Tiefe  der  Oceane  und  das 
Massen verhältniß  von  Land  und  Meer. 

Von 

Dr.  Otto  Krümmel. 
(Vorgelegt  von  Wappäus.) 

Die  UnZuverlässigkeit  der  vagen  und  sehr 
schwankenden  Schätzungen,  welche  in  den  Lehr- 
büchern für  die  mittlere  Tiefe  der  Oceane  gegeben 
werden,  bewog  mich  vor  längerer  Zeit,  an  der 
Hand  des  in  den  letzten  Jahren  so  reichlich  gefloß- 
nen  Materials,  eine  möglichst  sorgsame  Berech- 
nung der  mittleren  Beckentiefe  der  Meeresräume 
vorzunehmen.  Es  lagen  für  den  nordatlautischen 
Ocean  eine  große  Zahl  von  Sondirungen,  kar- 
tographisch dargestellt  von  Hermann  Berg- 
haus (in  Stiele r's  Handatlas)  vor,  für  die 
Südsee  gleichfalls  eine  hinreichende  Zahl  von 
Messungen,  welche  Peter  man  n  auf  einer  schö- 
nen Tiefenkarte  niedergelegt  hat,  deren  leere 
Räume  sich  in  erwünschter  Weise  durch  die  Be- 
obachtungen an  den  Meerbebenwellen  ergänzen 
lassen.  Für  den  südatlautischen  Ocean  entwarf 
ich  nach  den  Messungen  zweier  englischer  Ex- 
peditionen (Hydra  und  Challenger)  und  der 
deutschen  (S.  M.  S.  Gazelle)  selbst  eine  Tie- 
fenkarte ;  für  den  indischen  Ocean ,  sowie  für 
die  ostasiatischen  Randmeere,  den  australasiati- 
schen  Archipel,  das  Mittelmeer  und  die  Ostsee 
benutzte  ich  die  englischen ,  für  die  Nordsee  die 


557 


deutschen  Admiralitätskarteu ,  welche  sämmtlich 
ein  reichhaltiges  Material  darboten.  Für  den 
größten  Theil  der  Nordpolarräume  ergaben  die 
zahlreichen  wichtigen  Karten  in  Petermann' s 
„Mittheilungen"  erwünschten  Aufschluß.  Gar 
kein  Material ,  auch  nicht  einmal  ein  Anhalt  für 
Schätzungen,  lag  vor  aus  dem  antarktischen  und 
einem  Theile  des  nordischen  Eismeers,  zusam- 
men für  etwa  475000  Quadratmeilen  oder  7% 
der  Gesammtmeeresfläche.  Das  Resultat  meiner 
Berechnungen  kann  in  Folge  dessen  nur  eine 
Reihe  von  Näherungswerthen  sein,  und  als  et- 
was anderes  beanspruchen  die  im  Folgenden 
mitgetheilten  ZifiFern  nicht  betrachtet  zu  werden 

Dimensionen  der  Meeresräume. 

IMittlere  Tiefe  j  Areal  inQaa- 
Faden  I  EilomJ  dratmeilen 


1.  Atlantiscber  Ocean 

2013     3.681 

1  394  375 

2.  Indischer  Ocean .     .     . 

1829     3.344 

1  340  295 

3.  Südsee 

2126     3.887 

2  850  890 

4.  Südliches  Eismeer  .     . 

1800?  3.3? 

375  000? 

5.  Nördliches  Eismeer     . 

845 

1.545 

246  600 

6.  Australasiatisclier  Arch. 

487 

0.891 

142  700 

7.  Amerikan.  Mittelmeer 

1001 

1.832 

82  710 

8.  Romanisches  Mittelmeer 

729 

1.339 

52  405 

9.  Baltisches  Mittelmeer 

36 

0.067 

7  545 

10.  Rothes  Mittelmeer  .    . 

243 

0.444 

1          8  075 

11.  Persisches  Mittelmeer 

20 

0.037 

1           4  300 

12.  Die  Nordsee   .... 

48 

0.089 

1           9  945 

13.  Der  Canal  etc.    .     .     . 

47 

0.086 

i           3  700 

14.  St.  Lorenz-Golf  .    .     . 

160 

0.290 

4  775 

15.  Ostchinesisches  Meer  . 

66 

0.121 

22  310 

16.  Japanisches  Meer    .     . 

1200 

2.200 

!         18  105 

17.  Ochotskisches  Meer     . 

1     830 

1.515 

26  130 

18.  Berings-Meer     .     .    . 

i     550 

1.000 

40  845 

Die  3  offenen  Oceane  (1—3 

2026 

3.705 

j  5  585  560 

Die  Mittelmeere  (5-11)   . 

;     740 

1.353 

!       544  335 

Die  Randmeere  (12—18)  . 

'     386 

0.706 

1       125  810 

Das  Weltmeer  (1—18)      . 

n87r 

8.432 

'  6  630  705 

558 

Es  beträgt  also  die  mittlere  Tiefe  der  ge- 
sammten  Meeresräume  ungefähr  1877  FathomS 
oder  3432  Meter  oder  0.4624  Geogr.  Meilen. 
Die  Details  der  Berechnung  ^)  und  Näheres  über 
die  in  der  Tabelle  angedeutete  neue  Eiutheilung 
der  Meeresräume  sollen  andern  Orts  ausführli- 
cher mitgetheilt  werden.  Es  sei  hier  nur  be- 
merkt, daß  ich  die  Gesammtmeeresfläche  wahr- 
scheinlich um  etwa  156000  Quadratmeilen,  also 
um  2%  zu  klein  gefunden  habe  —  eine  Folge 
der  rohen  Methode  der  Arealberechnung,  auf 
welche  ich  angewiesen  war.  In  den  nachfolgen- 
den Berechnungen  nehme  ich  eine  größere  Fläche, 
nemlich  6786000  Quadratmeilen  dafür  an,  welche 
sich  ergiebt,  wenn  man  das  Areal  der  fünf  Con- 
tinente  (2  454  000  nach  H.  Wagner),  ver- 
mehrt um  das  der  Polarländer  (etwa  21000  Qua- 
dratmeilen), von  der  Gesammtoberfläche  der  Erde 
(9  261  000  Q.  M.)  abzieht.  Wir  bleiben  also  bei 
dem  gegenwärtig  geltenden  Flächenverhältniß 
von  Land  zu  Wasser  wie  1 : 2.75. 

Es  liegt  nahe,  die  mittlere  Erhebung  der 
Festländer  über  dem  Meeresniveau  mit  der  mitt- 
leren Tiefe  der  Oceane  zu  vergleichen.  Es  man- 
gelt aber  noch  an  einem  zufriedenstellenden 
Werthe  für  die  erstere.  Die  Berechnung  H  u  m- 
boldt's  (Kleinere  Schriften  S.  438)  auf  die  wir 
uns  allein  beziehen  können,  muß  als  gegenwär- 
tig völlig  veraltet  betrachtet  werden.  Er  hatte 
erhalten  als  Mittelhöhen  für: 

Asien 350  Meter 

Südamerika 345       » 

Nordamerika 228       » 

Ganz  Amerika    ....  284       » 

Europa 205      » 

1)  Die  Methode  hat  P  esc  hei  in  seinen  Neuen  Prob- 
lemen (S.  78  der  2.  Aufl.)  angegeben. 


559 

Für  Afrika  und  Australien  hat  er  vermieden 
Hittelzahlen  auszuwerthen ;  doch  glaubte  er  die 
für  Europa,  Asien  und  Amerika  allein  gefunde- 
nen Ziffern  benutzen  zu  dürfen,  um  darnach 
eine  annähernde  Mittelerhebung  sämmtlicher  Con- 
tinente  über  den  Meeresspiegel  zu  berechnen. 
Er  fand  sie  zu 

Cj  =  308  Meter. 

Seitdem  haben  sich  wohl  die  Hohenmessun- 
gen  in  allen  Ländern  beträchtlich  vermehrt,  aber 
der  Versuch  Humbold t's  hat  bisher  nur  für 
Europa  Nachahmung  gefanden.  Die  Berechnun- 
gen von  Gustav  Leipoldt,  mit  musterhafter 
Sorgfalt  und  strenger  Methode  ausgeführt,  er- 
gaben jedoch  einen  von  dem  flumboldt'schen 
stark  abweichenden  Werth;  Leipoldt  fand 
nemlich  die  Mittelhöhe  Europas  zu  296.84  oder 
rund  300  Meter.  Humbold  t's  Ziffer  ist  also 
also  um  0.44  zu  klein.  Setzen  wir  den  Fall, 
Humboldt  habe  sich  auch  bei  den  andern  Con- 
tinenten  um  die  gleiche  Quote  geirrt,  so  wür- 
den wir  nach  Verbesserung  dieses  Fehlers  er- 
halten : 

Europa 300  Meter 

Asien 500       > 

Amerika 330       > 

Geben  wir  nun  Afrika  dieselbe  Höhe  wie 
Asien ,  Australien  aber  eine  Mittelhöhe  von  250 
Meter,  so  würden  wir  als  mittlere  Erhebung 
aller  Festländer  über  der  Meeresoberfläche  er- 
halten : 

c  =  420  m  =  0.0566  Meilen. 

Also  darnach  als  Volum  aller  Festländer  über 
dem  Meeresniveau: 

C  =  140  086  Cubikmeilen. 

Dagegen  erhalten  wir  als  Inhalt  der  Meeres- 


560 

räume,  deren  Fläche  zu  6  786  000  Quadratmei- 
len, und  Tiefe  zu  i  =  0.4624  gesetzt,  den  Werth : 
0  =  3  138  000  Cubikmeilen. 

Während  sich  also  die  Continentalf  l  äche 
verhält  zur  Meeresfläche  wie  1:2.75,  verhal- 
ten sich  die  Volumina  beider  wie  1  :  22,4.  Man 
könnte  also  die  Continente,  soweit  sie  über  dem 
Meeresspiegel  liegen,  22.4  mal  in  die  Meeres- 
becken hineinschütten. 

Die  Continente  aber  sind,  nach  H  u  m  b  o  1  d  t's 
Ausdruck,  gewaltige  Plateaus,  die  vom  Meeres- 
boden aufsteigen.  Die  uns  sichtbaren  Festlän- 
der ruhen  also  auf  mächtigen  Sockeln,  deren 
Höhe  gleich  ist  der  Mitteltiefe  der  Meere.  Die 
Gesammterhebung  dieser  Festlandmassive  oder 
Erdfesten  beträgt  also 

t-\-c  =  0.519  Meilen  ==  3.852  Km. 

Das  Volum  der  Erdfesten  also: 

F  =  1  284  500  Cubikmeilen. 

Es  könnten  also  die  Festlandmassive  (gerech- 
net vom.  Niveau  des  Meeresbodens  an)  in  den 
Meeresbecken  nur  2.443  mal  untergebracht 
werden. 

Was  wir  bisher  verglichen  haben,  waren  nur 
die  Räume  des  Meeres  und  Festlandes;  wollen 
wir  auch  die  Massen  beider  vergleichen,  so 
müssen  wir  die  Volumina  mit  den  entsprechen- 
den specifischeu  Gewichten  multipliciren. 

Bei  0°C  und  einem  Salzgehalte  von  3.5% 
ist  das  specifische  Gewicht  des  Meerwassers 
=  1.02946,  und  es  ändert  sich  nach  der  von 
J.  Hann  gegebenen  Formel; 

5=  1.02946— 0.000  006  (6.7-f  !f>+0.0O77(p— 3.5) 

wobei  s  das  specifische  Gewicht,    t  die  Tempe- 
ratur  nach    der    hunderttheiligen   Skala   und  p 


561 

den  Salzgehalt  in  Procenten  bedeutet.  Wir  neh- 
men für  unsre  Rechnung  den  Salzgehalt  der  ge- 
sammten  Meeresräurae  zu  3.5°/o  an ,  da  kein 
Grund  vorliegt,  von  diesem  Mittelwerthe  abzu- 
weichen. Die  mittlere  Temperatur  der  Meeres- 
gewässer aber  haben  wir  nach  10  Temperatur- 
profilen, entworfen  nach  den  Messungen  der 
Challenger  Expedition ,  zu  3.8°  C.  gefunden. 
Setzen  wir  diese  Werthe  in  die  obige  Formel 
ein,  80  erhalten  wir  s  =  1.02922.  Daraus  er- 
giebt  sich  als  Masse  der  Meeresräume: 

Jlfo  =  3  229  700  Cubikmeilen. 

Dem  gegenüber  finden  wir  als  Masse  der  Erd- 
festen, deren  specifisches  Gewicht  nach  der  all- 
gemeinen Annahme  gleich  2.5  gesetzt, 

M^  =  3  211  310,    also 
Mo  —  M^  =  18  390. 

Es  zeigen  sich  also  die  Massen  der  Erdfesten 
(vom  Meeresboden  ab  gerechnet)  und  des  Meeres 
nahezu  gleich;  wir  brauchen  das  specifische  Ge- 
wicht des  Festlandes  nur  von  2.5  auf  2.51432 
zu  erhöhen ,  um  das  Gleichgewicht  beider  Mas- 
sen völlig  herzustellen. 

Die  Massen ,  die  sich  hier  gegenübergestellt 
werden ,  sind  so  gewaltige ,  daß  die  Fehler  in 
unseren  Mittelwerthen  am  Gesammtresultat  we- 
nig ändern.  Setzen  wir  beispielsweise  als  Mit- 
telhöhe der  Festländer  über  dem  Meeresspie- 
gel den  älteren  Humboldt'schen  Werth  ein, 
Ci  =  0,0415  Meilen,  so  würden  wir  erhalten:) 

Ci  =  1  02^7  300  Cubikmeilen 
Fl  =  1  247  120 
M^^  =  3  117  880 
m—M^^  =       111  820 
Wir  müssen ,  um  iLTo  =  Jtfp    zu  machen,  das 


562 

specif.  Gewicht  des  Festlands  immer  nur  auf 
2.5897  erhöhen  —  was  innerhalb  der  bisheri- 
gen Sehätzungen  bleibt,  welche  von  2.5  bis  2.6 
schwanken. 

Nehmen  wir  ferner  versuchsweise  an,  die  von 
uns  gefundene  (wahrscheinlich  um  2%  zu  kleine) 
Meeresfläche    (6  630  705    Q.    Meilen)   wäre  die 
richtige,  so  würden  wir  darnach  erhalten: 
Ol  =  3  066  260  Cubikmeilen 
Mo,  =  3  155  850  > 

Mo^  —  M^  =  —55  460  » 

Moi-M^^=       37  970 
Um   Mo,  =  Mjj   zu  machen,  müßte  das  specifi- 
sche  Gewicht  des  Festlands  =  2.4557,  und  um 
Moi  ==  Mf,    zu  machen,  =  2.5043  werden. 

Man  sieht,  wie  wenig  etwaige  Fehler  in  den 
von  uns  zu  Grunde  gelegten  Arealen  oder  Hö- 
henziffern im  Stande  sind,  das  Gesammtresultat 
zu  beeinflussen.  Wir  dürfen  somit  aussprechen, 
daß  es  mehr  als  wahrscheinlich  ist,  daß 
Gleich.ge  wicht  herrscht  zwischen  der 
irdischen  Meeresdecke  und  den  Erd- 
festen. Wir  unterlassen  mit  Vorbedacht,  über 
die  Ursachen  dieses  Gleichgewichts  Speculatio- 
nen  anzustellen;  wir  wissen  nicht,  ob  und 
warum  esnothwendig  so  ist.  Hier  mag  es 
gestattet  sein,  noch  auf  eine  Schlußfolgerung 
geologischer  Natur  hinzuweisen.  Es  wird  viel- 
fach angenommen,  daß  in  zurückliegenden  Welt- 
altern das  Areal  der  Landflächen  beträchtlich 
kleiner  gewesen  sei  als  heute.  W^enn  nun  das 
Gleichgewicht  der  Land-  und  Wassermassen  sich 
nicht  nur  als  ein  momentan  und  zufällig,  son- 
dern nothwendig  und  dauernd  herrschendes  Ge- 
setz erweisen  sollte,  so  müßte  damals  das  spe- 
cifische   Gewicht    der  Festlandmassive   ein    ent- 


563 

sprechend  höheres  gewesen  sein  als  hente:  eine 
Schlußfolgerung,  welche  wirklich  in  der  That- 
sache  Bestätigung  finden  würde,  daß  die  älte- 
ren Gesteine  auch  immer  die  specifisch  schwere- 
reu sind. 


DniTersität 


Der  ordentliche  Professor  der  juristischen 
Facultät  in  Breslau  Dr.  L.  von  Bar  ist  vom  1, 
April  nächsten  Jahrs  ab  als  ordentlicher  Professor 
in  die  juristische  Facultät  dieser  Universität 
versetzt. 

Als  Privatdocent^n  haben  seit  der  letzten  Be- 
richterstattung darüber  sich  habilitiert : 

in  der  juristischen  Facultät  23.  July  1876  Dr. 
Wilh.  Sickel  aus  Roßlebeu  für  deutsche  Rechts- 
geschichte und  deutsches  Privatrecht  mit  Aus- 
schluß des  Handels-  und  Seerechts;  Dr.  Victor 
Ehrenberg  31.  Jul.  1877  aus  Wolfenbüttel 
für  deutsches  Privatrecht,  deutsche  Rechtsge- 
schichte und  Handelsrecht;  23.  Oct.  1877  Dr.  Aug. 
von  Kries  für  Criminalrecht  und  Criminalprozeß. 

in  der  niedicinischen  Facultät;  11.  Juli  1877 
Dr.  Richard  Deutschmann  aus  Liegnitz,  Assi- 
stent an  der  Üniversitäts-Augenklinik,  für  Augen- 
heilkunde ;  27.  Oct.  1877  Dr.  B.  R i  e  d  e  1  aus  Laage 
in  Mecklenburg,  Assistent  an  der  hiesigen  chirur- 
gischen Klinik,  für  Chirurgie  und  22.  Decbr. 
1878  Dr.  Kurd  Bürkner  aus  Dresden  für  Ohren- 
heilkunde. 

in  der  philosophischen  Facultät:  Dr.  Fritz 
B e c h  t el,  aus  Durlach  für  vergleichende  Sprach- 
wissenschaft. 


564 

Seit  unserem  letzten  Berichte  über  die  Uni- 
versität hat  dieselbe  die  Jubiläen  dreier  Profes- 
soren gefeiert:  am  30.  Juli  das  Doctorjubiläum 
des  Professors  Bohtz,  am  1.  October  das  Dieust- 
und  Lehrerjubiläum  des  Prof.  und  Medicinalraths 
Wiggers  und  am  24.  October  das  Doctorjubi- 
läum des  Professors  Benfey. 

Se.  Majestät  der  Kaiser  und  König  geruheten 
huldreichst  den  Jubilaren  den  Kronenorden  3. 
Classe  zu  verleihen,  welcher  ihnen  von  dem  Herrn 
Curator  der  Universität  mit  seinen  persönlichen 
Glückwünschen  übergeben  wurde.  Die  Universität 
und  die  philosophische  Facultät  beglückwünschten 
die  Jubilare  in  üblicher  Weise  durch  Deputationen. 

Außerdem  empfingen  die  Jubilare  noch  son- 
stige vielfache  Beweise  herzlicher  Theilnahme 
und  Ehrenbezeugungen. 

Herr  Prof.  Boh  tz  ward  insbesondere  erfreut 
durch  ein  herzlichstes  Glückwunschschreiben 
eines  seiner  ältesten  Freunde  und  Fachgenossen, 
des  Professors  der  Philosophie  Rosenkranz  in 
Königsberg. 

Herr  Medicinal-Rath  Wiggers  empfing  von 
Sr.  Durchlaucht  dem  Fürsten  von  Schaumburg- 
Lippe  den  Lippschen  Hausorden  2.  Classe  und 
von  den  Schauraburg-Lippe'schen  Regierungs- 
räthen  ein  außerordentlich  herzlich  und  wohl- 
wollend abgefaßtes  Glückwunschschreiben  mit 
besonderer  Anerkennung  der  auch  nach  Aufhe- 
bung der  von  dem  Jubilar  langjährig  im  Königreich 
Hannover  ausgeführten  General  -  Inspectiou  der 
Apotheken  für  das  Fürsteuthum  beibehaltenen  In- 
spectiou der  Apotheken.  Die  hiesige  medicinische 
Facultät  verlieh  dem  Jubilar  die  medicinische 
Doctorwürde  honoris  causa.  —  Eine  eben  so 
herzlich  wie  sinnreich  abgefaßte  und  prachtvoll 
ausgestattete  Glückwuuschadresse    mit  eigenhän- 


565 

diger  Unterschrift  von  329  Apotheken-Besitzern 
und  sonstigen  früheren  Schülern,  sprach  dem 
Jubilar  aufs  Neue  die  Liebe  und  Dankbarkeit 
aus,  welche  ihm  auch  schon  nach  Aufhebung  der 
Geueral-Inspection  der  Apotheken  in  der  Provinz 
Hannover  von  sämmtlichen  Apotheken-Besitzern 
derselben  durch  Stiftung  einer  Wiggers-Stiftung 
zu  Stipenden  für  hier  studierende  Pharmaceuten 
bezeugt  worden  waren.  Eiu  dem  Jubilar  zuge- 
dachter Fackelzug  ward  der  Ferien  wegen  bis  zu 
Anfang  des  nächsten  Semesters  aufgeschoben. 

Herr  Prof.  Benfey  wurde  außer  durch  die 
Üniversitätä-Deputation  auch  durch  eine  Depu- 
tation der  Königlichen  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften beglückwünscht,  bestehend  aus  dem  be- 
ständigen Secretär,  dem  Herrn  Geheimen  Ober- 
Medicinal-Rath  Wo  hier,  dem  zeitigen  Director, 
Herrn  Geheimen  Hofrath  Weber  und  dem  Herrn 
Professor  Wüstenfeld,  der  zugleich  als  Depu- 
tierter der  deutschen  Morgenländischen  Gesell- 
schaft ein  Diplom  übergab,  durch  welches  der 
Jubilar  zum  Ehrenmitgliede  dieser  Gesellschaft 
ernannt  ward.  —  Eine  Deputation  früherer  Schü- 
ler, bestehend  aus  den  Herren  Dr.  Georg  Bühler, 
Educational  Inspector  der  Präsidentschaft  Bom- 
bay in  Ostindien,  Dr.  Adalb.  Bezzenberger 
und  Dr.  Bechtel,  überreichte  eine  zu  Ehren 
des  Jubilars  veröffentlichte  und  demselben  ge- 
widmete Festschrift,  enthaltend  Abhandlungen 
von  Leo  Meyer,  Staatsrath  und  Professor  zu 
Dorpat,  Theodor  Nöldeke,  Professor  in  Straß- 
burg, Georg  Bühl  er,  August  Fick,  Professoi* 
hieselbst ,  Joseph  B  u  d  e  n  z,  Professor  und  Aka- 
demiker in  Budapest,  Dr.  Jacob  Wackernagel, 
Docent  in  Basel,  Dr.  Ad.  Bezzenberger,  Do- 
cent  hieselbst  und  Dr.  Theodor  Zachariae  in 
London.  —  Herr  Director  Schöuing  beglück- 


566 

wünschte  den  Jubilar  im  Namen  des  gesammten 
Lehrkörpers  des  hiesigen  Gymnasiums  in  wel- 
chem der  Jubilar  seine  Schulbildung  empfangen 
hatte.  Von  der  Deputation  der  philosophischen 
Facultät  überreichten  Herr  Hofrath  ßertheau 
zugleich  im  Namen  der  philosophischen  Facultät 
zu  Heidelberg  eine  höchst  ehrenrolle  Votivtafel 
und  Hr.  Professor  Stern  eine  gleiche  im  Namen 
der  philosophischen  Facultät  zu  Kiel.  —  Außer 
diesen  beiden  Gratulationstafeln  waren  ähnliche 
unmittelbar  an  den  Jubilar  gesandt  von  den  phi- 
losophischen Facultäten  zu  Halle ,  Straßburg, 
Marburg  und  München.  —  Ebenso  hatten  die  Aka- 
demien der  Wissenschaften  zu  Berlin  und  Mün- 
chen Gratulationsschreiben  eingesandt.  —  Eine 
Schrift,  welche  vom  Professor  Angelo  de  Gu- 
bernatis  dem  Jubilar  zu  Ehren  seines  Ju- 
biläums gewidmet  ist,  nämlich  Gli  scritti  del 
Padre  Marco  della  Tomba  u.  s.  w.  diente  zum 
Empfange  der  Mitglieder  des  Internationalen 
Orientalisten -Congresses  welcher  im  September 
in  Florenz  versammelt  gewesen  und  war  ihm 
schon  am  12.  September  eingehändigt.  Am  24. 
October  traf  dann  noch  der  ihm  vom  Professor 
Alb.  Weber  zu  diesem  Tage  gewidmete  15. 
Band  der  Indischen  Studien  ein.  —  Die  Studen- 
tenschaft hieselbst  bewies  ihre  Theilnahme  durch 
einen  solennen  Fackelzug  und  einen  Commers 
zu  welchen  sie  ihn  so  wie  den  Herrn  Medici- 
nalrath  Wiggers,  dem  der  Fackelzug  gleichfalls 
galt,  einlud. 


Außer  über  diese  glücklichen  Ereignisse  ist 
auch  noch  über  zwei  Todesfälle  zu  berichten, 
welche  die  Universität  in  diesem  Jahre  noch 
betroffen  hat.  Am  14.  August  starb  der  Unter- 
Bibliothekar, Rath  Dr.  Stromeyer,   Privatdo- 


567 

Cent  in  der  medicinischen  Facultät  und  am  25. 
November  der  außerordentliche  Professor  iu  der- 
selben Facultät  Dr.  Kraemer. 

Eduard  Christian  Friedrich  Stromeyer, 
Sohn  des  i.  J.  1835  verstorbenen  Professors  der 
Chemie,  Friedrich  Stromeyer  war  geboren  zu 
Göttiugen  am  18.  Octb.  1807,  besuchte  die  Schule 
daselbst  und  in  Holzminden  und  studierte  in 
Göttingen  Medicin  uud  Naturwissenschaften  seit 
Michaelis  1826,  nachdem  ihm  schon  i.  J.  1822 
bei  der  Feier  des  Doctorjubiläums  seines  Groß- 
vaters, des  Hofraths  Dr.  med.  Johann  Frie- 
drich Stromeyer  von  dem  damaligen  Prorector, 
Professor  Bergmann  die  Matrikel  eines  Zög- 
lings der  Georgia-Augusta  ertheilt  worden.  Am 
26.  Nov.  1831  erhielt  er  hier  die  medicinische 
Doctorwürde ,  und  trat  hier,  nachdem  er  auf 
einer  wissenschaftlicheu  Reise  noch  Würzburg, 
Berlin,  Prag,  Wien  und  Paris  besucht  hatte, 
nach  abgelegtem  Staatsexamen  im  Jahre  1835 
als  praktischer  Arzt  und  Ostern  1836  als  Privat- 
docent  in  der  medicinischen  Facultät  auf.  Ostern 
1838  wurde  er  Accessist  bei  der  Bibliothek,  wo- 
rauf er  seine  medicinische  Praxis  aufgab  und 
fortan  seine  Hauptthätigkeit  der  Bibliothek  ge- 
widmet hat,  an  welcher  er  1844  zum  Secretär 
und  1872  zum  Unter-Bibliothekar  ernannt  wurde, 
nachdem  ihm  schon  i.  J.  1866  als  Zeichen  be- 
sonderer Anerkennung  seiner  Amtsführung  das 
Prädicat  »Königlicher  Rath«  ertheilt  worden. 

Der  Verstorbene  war  auf  der  Bibliothek  über 
dreißig  Jahre  lang  mit  der  Ausgabe  der  hier 
und  nach  auswärts  verliehenen  Bibliotheks-Bücher 
betraut  und-  hat  dies  immer  umfangreicher  ge- 
wordene Geschäft  bis  kurze  Zeit  vor  seinem 
Tode  stets  mit  so  ausgezeichneter  Pünktlichkeit 
und  Liebenswürdigkeit   besorgt,    daß   ihm   auch 


568 

außerhalb  der  Universität  in  weiten  Kreisen  ein 
dankbares  Andenken  bewahrt  werden  wird. 

Johann  Christian  Albert  Kraenier  ist  zu 
Göttingen  31.  März  1816  geboren,  erhielt  da- 
selbst seine  wissenschaftliche  Vorbildung  und 
studierte  hier  Medicin.  Im  Jahre  1842  erwarb 
er  hier  die  medicinische  Doctorwürde,  besuchte 
danach  zu  seiner  ferneren  Ausbildung  mit  dem 
jetzt  gleichfalls  verstorbenen  Professor  Dr.  Max 
Langenbeck  noch  die  Pariser  Hospitäler,  ha- 
bilitierte sich  darauf  zu  Ostern  1843  hier  als 
Privatdocent  in  der  medicinischen  Facultät  und 
trat  als  Assistent  des  unter  der  Direction  des 
verstorbenen  Hofraths  Conradi  stehenden  aka- 
demischen Hospitals  ein,  in  welcher  Stellung  er 
bis  Ostern  1845  blieb.  Zu  Ostern  1847  wurde 
er  zum  außerordentlichen  Professor  der  Medicin 
ernannt. 


Bei    der     Köiiigl.    Gesellschaft    der    Wis- 
senschaften   eingegangene   Druckschriften 

(Fortsetzung.) 

Ses.  ord.  de  la  camera  de  senadores.  No.I — II.  1875.  Fol. 

Ses.  de  la  comission  conservadora.     1876.     FoL 

Ed.  Seve,  le  Chili  tel  qu'il  est.     T.  I.     Valpar.  1876. 

Quinto  censo  jeneral  de  la  poblacion  de  Chile.  1875. 
Ebd.    Fol. 

Ätti  della  R.  Accademia  dei  Lincei.  Vol.  II.  Fase.  6. 
1878. 

Revista  Euskara.     Anno  I.  No.  4.    Pamplona.  1878. 

Annales  meteorol.  de  l'Obs.  R.  de  Bruxelles.  1  —  2.  Bru- 
xelles.  1878.     4. 

List  of  surviving  merobers  of  the  Amer.  phil.  Soc.  at  Phi- 
ladelphia. 

Proceedings  of  the  Amer.  phil.  Society.  Vol.  XVII. 
No.  100. 

F.  Klein,  die  Qleichungen  siebenten  Grades.  München. 
1878. 


569 

Proceedings  of  the  Davenport  Academy.    Vol.  11.    P.  1. 
Mittheilangen  d.  Antiquar.  GeseÜsch.  in  Zörich.  H.  XLII. 

It578.     4. 
Proceedings  of  the  Lond.  mathem.  Society.  No.  126— 127. 

Juli  1878. 

Leopoldina.     H.  XIV.     No.  11  -  l2. 

Revista  Euskare.     Ann.  I.     No.  5. 

Onoranze  ad  Allessandro  Volta     Pavia.  1878. 

Jahresbericht  d.  physik.  Vereins  zu  Frankfurt  a.M.  1876  —  77. 

Monatsbericht  d.  Berliner  Akad    der  Wiss.     Mai  1878. 

Bulletin  de  l'.Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  XXV.     No.  I. 
A.  Dillmann,  die  Handschriften-Verzeichnisse  der  k.  Bi- 
bliothek  zu    Berlin.      Dritter    Band.      Verzeichniß   der 

Abessinischen  Handschr.     1878.     4. 
Nature      454  -  456. 

Bulletin  de  la  Soc.  de  Mathematique.     T.  VI.     No.  4. 
American  Journal  of  Mathematics  pure  and  applied.  Vol.  I. 

No.  1.  2.     Baltimore.     1878.     4. 
Abhandl.  der  mathem.  physik.  Classe  der  K.  bayer.  Aka- 
demie der  Wiss.     Bd.  XIII.  I    4. 
—  der  historischen  Classe.     Bd.  XIV.  I.  4. 
Sitzungsberichte  der  philos.  philoiog.  hist.  Cl.     1878.    H.  2. 
Almanach  für  das  J.  1S78. 

A.  Spengel,  über  die  lateinische  Komödie.  Festrede.  1878. 
J.  V.  Lamont,  Meteorol.  u.  magnet.  Beobachtungen  der 

Sternwarte  bei  München.     Jahrgang  1877. 
Transactions  of  the  Zoological  Society  of  London.     Vol.  X. 

P.  6.     1878. 
Proceedings   of  the  Zoological  Society  for  1878.     Part.  1. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.   des  Sciences  de  Belgique.     T.  46. 

No.  5—6. 
Monthly  Notices  of  the  R.  Astronomical  Society.     Vol.  X. 

L  II.  VL  XXXII-XXXV.    IdemVol  XXXVIII.    No.  8. 
Zeitschrift  der  deutsch,  morgenländ.  Gesellschaft.    Bd.  32. 

H.  2. 
Verhandl.  des   naturhist.  medicin.  Vereins  zu  Heidelberg. 

Bd.  II.     H.  2.     1878. 
Rivista  Europea.     Vol.  VIII.    Fase.  2. 
Proceedings  of  the  London  Mathem,  Society.    No.  128. 129. 
Transactions    of   the   Connecticut   Academy   of  Arts  and 

Sciences.     Vol.  IE.     P.  2. 
Jahresbericht  VI  des  Westfälischen  Provincial- Vereins  für 

Wiss.  o.  Kunst.  1877. 

45 


570 

Bericht  15  u.  16  des  Offenbacher  Vereins  für  Naturkunde. 
1876. 

Mittheilungen  für  Natur-  u.  Völkerkunde  Ostasiens.  Hft.  14. 
April  1878. 

Jahrbuch  der  K.  K.  geolog.  Reichsanstalt.  Bd.  XXVIII. 
No.  1—2.     1878. 

Verhandlungen  ders.     1878.    N.  1  —  10. 

W.  H.  Dali,  sieben  zoologische  Abhandlungen. 

Proceedings  of  tbe  Academy  of  natur.  Science  of  Phila- 
delphia.    Part.  I  -  III. 

0.  Loth,  Abhandl.  für  die  Kunde  des  Morgenlandes. 
Bd.  VI.    No.  4.     1878. 

Atti  della  R.  Accad    dei  Lincei.     Vol.  H.     1877—78. 

Schlötel,  W.,  Amtliches  Plagiat? 

August,  September,   October. 

Rivista  Europea.  Vol.  VIII.  Fase.  3-4.  Vol.  IX.  T.  1-4. 
C.W.  B  orc  ha  rd  t,  zur  Theorie  der  Elimination.  1878.4. 
Derselbe,  über  die  Darstellung  der  Eummeischen  Flächen. 

4.  Ord.  etc.  4. 
Leopoldina,  H.  XIV.     No.  13-18. 
Atti  della  Societa  Toscana.     Vol.  III.     Fase.  2. 
Sitzungsberichte   der    k.  Akad.    der    Wiss.   zu    München. 

Mathem.-physik.  Classe.      1878.     H.  I— II.     Philosoph.- 

philolog.  u.  histor.  Classe.     1878.     H.  III.  (IV). 
Expose    de    la    Situation    du  Royaume  de  la  Belgique  de 

1861  u.  1875. 
0 versigt    over   det  K.  Danske  Videnskab.    Selskabs    För- 

handl.    1876.     No.  3.     1877.     No.  3.     1878.     No.  1. 
Bulletin   de  la  Soc.    Imp.   des   Naturalistes   de    Moscoa. 

1878.     No.  1. 
Verhandlungen  der  5.  allgem.  Conferenz  der  Europ.  Grad- 
messung.    4. 
Astron.  geodätische  Arbeiten  im  J.  1877.     4. 
W^.  Seibt,    Präcisions-Nivellement  der  Elbe.     1878.     4. 
Nature,  459,  464—469. 
J.  J.  Seh  Wickert,    Commentationes  Pindaricae.     Aug. 

Trev.     1878.     4. 
F.  C    Nol],  der  zoologische  Garten.  Jahrg.XIX.  No.l  — 6. 
Societa   Toscana    di    Scienze    naturali.       Proc.    verb.    7. 

luglio.     1878. 
Transactions  oi  the  Zoolog.  Soc.    of  London.      Vol.  X. 

Part.  7-9. 
Proceedings   of  the  Zoolog.  Soc.   of  London.     For  1678. 

P.  II. 


571 

Catalogrues  des  manuscrita  Syriaques  et  Sabeens  (Man- 
da'ites)  de  la  bibliotheque  nationale.     1874.     4. 

Catalogues  des  mannscrits  Hebreux  et  Samaritains  de  la 
biblioth.  nat.     1866.     4. 

Catalogues    des    manascr.    Eihiopienfl    de   la   bibl.    nat. 

1877.  4. 

Annales  de  l'Observ?toire  R.  de  Bruxelles.   Fol.  3.  1878.  4. 
2.  Verwaltungsbericht  der  akad.  Lesehalle  in  Czemowitz. 

1878. 
Bulletin  de  la  Societe  mathematique   de  France.     T.  VI. 

No.  5. 
Monatsbericht   der  Berliner  Akad.   d.  "Wiss.     Juni  —  Au- 
gust.    1878. 
Memoires    de    la   section    de    medecine    de   l'Acad.    des 

Sciences  et  Lettres   de   Montpellier.     T.  V.      1    Fase. 

1872-76.     4. 
Memorie    della  Accademia   delle  scienze  dell'  Istituto  di 

Bologna.    Serie  III.    Tomo  VIII.     T.  IX.    Fase.  1.  2. 

Ebd.     1877-78.    4. 
Bendiconto    delle    sessioni    dell'   Acc.    di    Bei.      Anno 

1877—78. 
19.  Bericht  der  Philomathie  in  Neisse.     1874—1877. 
Bulletin  de  l'Acad.  R.  des  sciences  de  Belgique.      T.  46. 

No.  7-8. 
R.  Wolf,    Astronomische  Mittheilungen.     XLVII. 
Proceedings  of  the  American  pharmaceutical  Association. 

1852-55.     1857—60.  —     1862—64.     Philadelphia. 
Minntes  of  the  Convention  of  Pharmaceutists  and  Druggists. 
Proceedings  of  the  Ajner.  philosoph.  Society.     Vol.  XVII. 

No.  100. 
List  of  surviving  Members  of  the  Soc. 
Bulletin  of  the  Essex  Institute.     Vol.  9.     Salem.     1877. 
J.  G.   Pangborn,    the    new    Rocky  Mountain    Tourist. 

Chicago.     1878. 
Illustrations  of  cretaceous  and  tertiary  Plauts  of  the  we- 

stem    Territories    of    the    Unit.    States.      Washington. 

1878.  4. 

F.  W.  Hayden,    Report    of  the  Unit.  States  geological 

Survey   of   the   Territories.       Vol.  XI.      Washington. 

1877.     4. 
Map  of  the  sources  of  Snake  River. 
Map  of  the  lower  Geyser   basin  on    the  upper  Madison 

River. 
Map    of  the  upper  Geyser   basin  on  the  npper  Madison 

River. 


572 

G.  C.  W  i  1 1  s  t  e  i  n,  the  organic  constituents  of  plants  etc. 
Enlarged    with    numerous   additions   by   F.  v.  Müller. 
Melbourne.     1878. 
W.  Holtz,  Theorie,  Anlage  u.  Prüfung  der  Blitzableiter. 

Greifswald.     1878. 
Jahrbuch  über  die  Fortschritte   der  Mathematik.     Bd.  8. 

H.  2-3. 
Bulletin   of  the  American   Geographical   Society.      1878. 

No.  2. 
Archives  Neerlandaises.    T.  XIII.     Livr.  1  —  3. 
Natuurkundig  Tijdschrift  vor  Nederlandsch  Indie.      Deel 

35—37. 
Annales   del  Institute  y  Observatorio    de  Marina    de  San 

Fernando.    Publicados  per  Don  C.  Pujazon.    Seccion  2. 

Observationes    meteorologicas.      Anno   1875   u.    1876. 

San  Fernando.     1877.    Folio. 
Annales  de  la  Soc  d'Agriculture  etc.  de  Lyon.     4  ieme 

Serie.     T.  IX.     1876. 
Annales    de  la    Soc.    Linneenne    de  Lyon.      An.    1876. 

T.  XXIII. 
Tijdschrift  voor  Indische  Taal-,   Land-  en  Volkenkunde. 

Deel  XXIV.    Afl.  6. 
Notulen  van  de   algem.    en  Bestuurs  -  Vergaderingen  van 

het  Bataviaasch  Genootschap   van  Künsten  en  Weten- 

schappen.     D.  XV,  2-4.     1877. 
Jahresbericht    des   histor.  Vereins  von    ünterfranken  für 

1877. 
L.  Fries,  die  Geschichte  des  Bauernkriegs  in  Ostfranken. 

Lief.  2. 
Mittheilungen  des  histor.  Vereins  für  Steiermark.    XXVI. 

Heft.     Graz.     1878. 
Beiträge   zur  Kunde   Steiermark.  Geschichtsquellen.      15. 

Jahr.    Ebd.     1878. 
Sitzungsb.  der  philos.  philolog.  u.  histor.  Classe  der  Akad. 

d.  Wiss.  in  München.     1878.     4. 
Historia   e   Memorias    da   Academia   R.   das  Sciecias    de 

Lisboa.     Classe  de  sciencias  morales,  politicas  e  belle- 

lettras.    T.  IV.    P.  4. 
Ribeir  0,  Historia  dos  Estabelecimentos  BoientificoR  etc.  de 

Portugal.    Ebd.    T.  V.  VH. 
Journal  de  sciencias  mathematicas ,   physicas  e  naturales. 

T.  V. 
J.  J.  Ferreira  Lapa  chimica  agrioola.     Lisboa.  1875. 
SesBoo  publica   da  Academia  R.  das  sciencias  de  Lisboa. 

1878. 


573 

Sessäo 1877. 

Journal  de  scienc.  matbem.  etc.    No.  XXI.  XXIT.   Lisboa. 

P.  F.  Da  Costa  Alvarenga,  Lecons  cliniqaes  sor  les 
maladies  du  coeur.  Tradait  da  Portugals  par  F.  Ber- 
therand.    Lissabon.     1878. 

J.  W.L.  Glaisher,  on  factor tables.     Cambridge.     1878. 

Mitth.  der  Antiquar.  Gesellsch.  in  Zürich.     1876.     4. 

L.  Delisle,  notice  sur  un  manuscrit  merovingeen  de  la 
bibliotheque  d'Epinal.     Paris.     1878.     4. 

*)Wladi8law  Wislocki,  Katalog  d.  Handschriften  d. 
Jagiellon.  Universitätsbibliothek.  Lief.  2.  3.  Krakaa. 
1878. 

Denkschriften  der  Akademie  der  Wiss.  in  Krakau.  Phi- 
lol.  u.  histor.  philos.  Cl.     Bd.  8.     Ebd.  1876. 

Jahrbuch  der  Verwaltung  d.  Akademie  der  Wiss.  zu  Kra- 
kau.   Jahr.  1677.     Ebd.     1878. 

Abhandlungen  u.  Berichte  aus  den  Sitzung,  d.  Akad.  d. 
Wiss.     Histor.- philos.  Abth.     Bd.  8.     Ebd.     1878. 

Publication  de  la  Commission  Archeologique  de  I'Acad. 
des  Sciences.     Livr.  1.     Ebd.   1877. 

Abhandlungen  der  Commission  z.  Erforschung  d.  Ge- 
schichte der  Kunst  in  Polen.     Liefr.  2.     Ebd.     1878. 

Sammlung  v.  Nachrichten  d.  anthropol.  Commission  d. 
Akademie  d.  Wiss.     Bd.  2.     Ebd.     1878. 

Scriptores  rerum  Polonicarum.     T.  4.     Ebd.     1878. 

Monumenta  med!  aevi  historica  resgestas.  Poloniae  ü- 
lustrantia.     T.  4.     Ebd.     1878. 

Chr.  Lütken,  til  Kundskab  om  to  arktiska  slaegter  af 
Dybhavs-Tudsefiske :  Himantolophus  og  Ceratias.  Kjö- 
benhavn.     1878.     4. 

American  Journal  of  Mathematics.  Vol.  L  No.  3.  Bal- 
timore.    1878.     4. 

63.  Jahresbericht  der  naturf.  Gesellsch.  in  Emden.    1877. 

Zeitschrift  der  deutsch,  morgenl.  Gesellsch.  Bd.  32.  H.  3. 
1878. 

Verhandl  der  naturf.  Gesellsch.  in  Basel.   Th.6.  H.  4.  1878. 

Memorie  del  R  Istituto  Lombarde.  Cl.  di  scienze  math. 
enaturali.   Vol.  XIV- V  della  Ser.  HI.    Milano.    1878.  4. 

R.  Istituto  Lombarde  di  Scienze  e  Lettere.  Rendiconti. 
Ser.  2.     Vol.  X.     1877. 

Mitth.  der  deutschen  Gesell,  für  Natur-  u.  Völkerkunde 
Ostasiens.     15  H.    August  1878.    Yokohama.    Fol. 

*)  Die  Krakauer  Schriften  in  polnischer  Sprache. 


574 

Vierteljahrsschrift  der  Ästron.  Gesellsch.    Jahrg.  12.  H.  4. 

J.  13.    H.  4. 
Proceedings  of  the  London  Mathem.  Society.   No.  130—133. 
ListofpublicationsoftheSmithsonianlnstitution.   July  1877. 
Bulletin  de  l'Acad.  Imp.  des  Sciences  de  St.  Petersbourg. 

T.  XXV.    No.  2. 
Memoires  de  la  Soc.  desAntiquaires  de  Picardie.     T.  IV. 

1878. 
Mem.  de  la  Soc.  des  Sc.  phys.  et  naturelles  de  Bordeaux. 

T.  II.     1878. 
H.  Eisenaeh,   Uebersicht  der  um  Cassel   beobachteten 

Pilze.     1878. 
Flora  Batava.     Aflev.     241     242.     Leyden.     4. 
Bericht  II.   Lief.  2.  der  naturf.  Gesellsch.  in  Bamberg.  1877. 
Monthly  notices   of   the   R.  Astron.  Soc.     Vol.  XXVIII. 

No.  9. 
Acta  Societatis  pro  Fauna  et  Flora  Fennica.     Vol.  I.    Hel- 

singfors.     1875-77. 
Notiser  ur  Sällskapets   pro  Fauna    et  Flora  Fennica  för- 

handlingar.     Andra  haftet  1852,  tredje  haftet  1857.     4. 
Notiser,  Haftet  5-7,  9—14.     1861-1875. 
Meddelanden  af  Societas  pro  Fauna  etc.     Haft.  1—4.   1876 

-78. 
Sällskapets  inrättning  och  verksamhet    Ifrän  1821  tili  1871 
Sällskapets  frän  1821  tili  1871. 
Th.  M.  Fries,  Genmäle  med  aledning  af  Sällskapets  No 

tiser.     H.   5-6.     üpsala.  1862. 
J.  Wormstall,  Hesperien.     Zur  Lösung  der  religiös-ge 

schichtlichen  Probleme  der  alten  Welt.      Trier.     1878 
Publications  of  the  Cincinnati  Observatory.     1877. 
Proceedings  of  the  California  Academy  of  Sc.  Vol.  VI.  1875 
Bibliography   of  N.  American    invertebrate  Paleontology 

1878. 
First  annual  Report  of  the  ü.  States  entomological  Com 

mission  for  the  year  1877  relating  to  the  Rocky  Moun 

tain  Locust.    Wash.  1878. 
Proceedings   of   the  American  Academy  of  Arts  and  Sei 

ences.     New  Serie.     Vol.  V.     Whole  Serie   vol.'  XIII 

Part.  2-3.     Boston  1878. 
Proo.    of  the   Amer.   philosophical   Society.     Vol.  XVII 

No.  101.     Philadelphia. 
Catalogue  of  the  American  philos.  Soc.  Library.     P.  III 

Ebd.  1878. 
C.  Struckmann,   der    obere  Jura  der  Umgegend  von 

Hannover.    1878. 


575 

Memoires  de  la  Societe  de  Physique  et  d'Histoire  naturelle 
de  Geneve.  T.  XXV.  Seconde  Partie.  T.  XXVI,  prä- 
miere P.  1877-78. 


November  1878. 

Nature.    470—473. 

Abhandlungen    der   E.  Akademie    der    Wiss.   zu   Berlin. 

Jahr  1877. 
Jornal  de  scienciasmathem.  phys.  e  natural.    No.  23.  1878. 
Rivisia  Europea.     Vol.  X.     Fase.  1—3. 
Jahrbuch  der  k.  k.    geolog.  Reichsanatalt.     Bd.  XXVIII. 

No.  3.     1878. 
Verhandluogen  derselben.     No.  11  —  13.     1878. 
Proceed.    of   the    California    Academy   of  Sc.      Vol.  VII. 

P.  1.     1876, 
Annales  de  la  Soc.  geologique  de  Belgique.     T.  4.     1877. 
Vierteljahrsschrit't  der    naturf.  Gesellsch.  in  Zürich.    Bd. 

21  —  22. 
Leopoldina.     Hft.  XIV.     No.  19—20. 
Proceed.  of  the  London  mathem.  Society.     No.  134.  135. 
Sitzungsb.  der  mathem.  phys.  Gl.  der  Akad.  d.  Wiss.  zu 

München.     1878.     3. 
Jahrbuch    für  Schweizerische  Geschichte.      Bd.  3.     1878. 
55.  Jahresb.  der  Schles.  Gesellsch.  für  vaterländCultur.  1878. 
Fortsetzung  d.  Verzeichnis  ihrer  .arbeiten  von  1864 — 1876. 
W.  G.  ßinney,    the    terrestrial    air-breathing   Mollusks. 

Vol.  V.     Cambridge.  U.  S.     1878. 
Idem,  plates,  vol.  V. 
Bulletin  of  the  Museum  of  Comparative  Zoology.     Vol.  V. 

No.  2—5. 
Bulletin  de  la  Soc.  Mathem.  de  France.     T.  VI.     No.  6. 
L.  F.  Freiherr  eon  Eberstein,  Geschichte  des  Frei- 
herrn von  Eberstein  und  ihren  Besitzungen.     Lief. 

I — VI.     Sondershausen  1865. 
Derselbe,  urkundliche  Nachträge.     Dresden.    1878.     Fol. 
Derselbe,  Beigabe  zu  den  geschichtl.  Nachrichten.     Ebd. 

1878.     Fol. 
VI.  Bericht  der  natorwiss.  Gesellsch.  zu  Chemnitz.    1875 

—77. 
XVII.  Bericht  der  Oberhess.  Gesellsch.  für  Natur-  u.  Heil- 
kunde. 
Verhandl.   der   physik.   medicin.  Gesellsch.  in  Würzburg. 

XII,  3-4. 


576 

December. 

Balletin   de  la  Soc.  Imp.   des   Naturalistes   de   Moscaa. 

1878.    2. 
C.  Marignac,  sur  l'Ytterbine.     Genfeve.     1878. 
Societä  Toscana  di  Scienze  nat.  10.  Nov.  1878. 
Proceedings  ofthe Zoolog.  Soc.  of  London  for  1878.    P.S. 
Proceedings  of  the  Royal  Soc.  of  Edinburgh.    1832—1840. 


Register 

über 

die  Nachrichten  von  der  Königl.  Gesellschaft  der 

Wissenschaften  und  der  Georg- Augnsts-üniversität 

aus  dem  Jahre  1878. 


L.  von  Bar  als  ordentlicher  Professor  in  die 
juristische  Facultät  zu  Göttingen  versetzt  563. 

Fritz  Bechtel,  Habilitation  in  der  philos.  Fa- 
cultät 563. 

H.  Behagel  v.  Adlerskron,  z.  Dr.  phil. 
prom.  432. 

B  e  n  e  k  e  -  Preisstiftung  ,  s.  Götting.  11  B.  c. 

Theodor  Benfey,  Einige  Worte  über  den  Ur- 
sprung der  Sprache  45. 

Altpersisch   Mazdäh,  Zendisch  Mazdäonh, 

Sanskritisch  Medhä's.  Eine  grammatisch-ety- 
mologische Abhandlung  67. 

Die    eigentliche  Accentuation  des  Indica- 

tiv  Präsentis  von  ig  »sein«  und  yä  »spre- 
chen« 165. 

MahSm,  Nom.  sing,  von  mahdnt,   drittes 

Beispiel  Rigveda  IV,  23,  1   190. 

—  —  Einige  Derivate  des  Indogermanischen 
Verbums  *anhh  =  sanskritisch  nabh  213. 

Der  Bindevocal  t  im  Sanskrit  413. 

Jubiläumsfeier  564. 


Heinrich  Ernst  Beyrich  in  Berlin  zum  Cor- 
respondenten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften erwählt  509. 

Adalb.  Bezzenberger,  Ueber  einige avestische 
Wörter  und  Formen  251. 

Äug.  Bock  er,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Georg  Böhm,  z.  Dr.  phil.  prom.  430. 

Professor  Bohtz,  Jubiläumsfeier  564. 

Paul  Rieh.  Bruch  er,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

A.  V.  Brunn,  üeber  die  Vena  azygos  246. 

Kurd  Bürkner,  Habilitation  in  der  medicini- 
schen  Facultät  563. 

Georg  Cantor  in  Halle  zum  Correspondenten 
der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften  er- 
wählt 509. 

D  e  d  ek  i n  d ,  üeber  den  Zusammenhang  zwischen 
der  Theorie  der  Ideale  und  der  Theorie  der 
höheren  Congruenzen  1. 

Rob.  Dettloff,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Richard  Deutschmann,  Habilitation  in  der 
medicinischen  Facultät  563. 

0.  Drude,  üeber  die  Verwandtschaft  und  sy- 
stematische Bedeutung  von  Ceroxylon  Andi- 
cola  33. 

Carl  Dyckerhoff,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Victor  Ehrenberg,  Habilitation  in  der  juri- 
stischen Facultät  563. 

Friedr.  August  Eduard  Ehrenfeuchter,  An- 
zeige seines  Todes  278. 

A.  Enneper,  üeber  die  Flächen  mit  planen 
und  sphärischen  Krümmungslinien  332. 

üeber    eine   Gleichung    zwischen    Theta- 

Functionen  550. 


Andreas  Freiherr  von  Ettingshausen,  An- 
zeige seines  Todes  508.  Zum  Andenken  an 
denselben  516. 

Walter  Friedens  bürg,  z.  Dr.  phil.  prom. 
431. 

J.  Fuchs,  Ueber  eine  Classe  Ton  Differenzial- 
gleichungen ,  welche  durch  Abelsche  oder 
elliptische  Functionen  integrirbar  sind  19. 

Theod.  Fried erici,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Eugen  Geinitz,  Habilitation  in  der  philoso- 
phischen Facultät  280. 

Georg  Geisenhof,  erhält  einen  Theil  des  Prei- 
ses der  theologischen  Facultät  329. 

"Wilh.  Gercken,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Oskar  Göltschke,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Theodor  Görges,  erhält  den  Preis  der  medici- 
nischen  Facultät  330. 

Eugen  von  Gorup-Besanez,  Anzeige  seines 
Todes  508. 

Göttingen: 
I.  Königliche  Gesellschaft  der  Wissenschaften. 

A.  Feier  des  Stiftungstages  505. 

B.  Jahresbericht ,  erstattet  vom  Secretär, 
Herrn  Geheimen  Obermedicinalrath  W  ö  h- 
1er  505. 

a.  das  Directorium  der  Societät  ist  zu 
Michaelis  d.  J.  von  Herrn  Grisebach 
in  der  physikalischen  auf  Herrn  W  e- 
b  e  r  in  der  mathematischen  Classe 
übergegangen  508. 

b.  Bericht  über  die  1877  durch  den  Tod 
verlorenen   Mitglieder    und   Correspon- 

.     denten  508. 

c.  Verzeichniß  der  neu  erwählten  Mit- 
glieder und  Correspondenten  509. 

C.  Verzeichniß  der  gehaltenen  Vorträge  und 


vorgelegten  Abhandlungen :  Fr.  Wüsten- 
feld,  die  Familie  el-Zubeir  1.  Abth.  1 
(in  den  Abhandlungen  gedruckt).  —  R. 
Pauli,  Karolingische  Geschichte  in  alteng- 
lischen Annalen  1.  —  Dedekind,  Ueber 
den  Zusammenhang  der  Theorie  der  Ideale 
und  der  Theorie  der  Congruenzen  1  (in 
den  Abhandlungen  gedruckt).  —  P. 
de  Lagard e,  Tertullianea  15.  —  J. 
Fuchs,  Ueber  eine  Classe  von  Differen- 
tialgleichungen, welche  durch  Abelsche 
oder  elliptische  Functionen  integrirbar 
sind  19.  —  0.  Drude,  Ueber  die  Ver- 
v^andtschaft  und  systematische  Bedeutung 
von  Ceroxylon  Andicola  33.  —  Th.  Ben- 
fey,  Einige  Worte  über  den  Ursprung 
der  Sprache  45.  —  F.  Wüsten  fei  d, 
Die  Familie  el-Zubeir  2.  Abth.  67  (in 
den  Abhandlungen  gedruckt).  —  Th. 
Benfey,  Altpersisch  Mazdäh,  Zendisch 
Mazdäorih ,  Sanskritisch  Medha  s  67  (in 
den  Abhandlungen  gedruckt).  —  P.  d  e 
Lagarde,  Kritische  Anmerkungen  zum 
Buche  Isaias  67  (in  den  Abhandlungen 
gedruckt).  —  J.  Petersen,  Beweis  eines 
Lehrsatzes  betreffend  die  Integration 
algebraischer  Differentialausdrücke  be- 
ziehungsweise algebraischer  Differential- 
gleichungen unter  geschlossener  Form  68. 
—  Karl  Schering,  Mittheilung  aus  einer 
Experimentaluntersuchung  über  die  »Rei- 
bungsströme« 88.  —  Marme,  Mittheilun- 
gen aus  dem  pharmacologischen  Institute  zu 
Göttingen  102.  —  H.  0.  Lang,  Beiträge 
zur  Physiograpbie  gesteinsbildender  Mi- 
neralien II.  153.  —  Th.  Benfey,  Die 
eigentliche  Accentuation  des  Indicativ  Prä- 


sentis  von  ig  »sein«  und  yä  >sprechen« 
so  wie  einiger  griechischer  Präpositionen 
165.  —  Derselb;e,  MaMm,  Nom.  sing. 
Drittes  Beispiel  190.  —  J.  He  nie,  Zur 
vergleichenden  Anatomie  der  Krystalllinse 
213. —  Th.  Benfej,  Einige  Derivate  des 
Indogermanischen  Yerbums  *anbh  =  san- 
skritisch nahh  213.  —  P.  de  Lagarde, 
Erklärung  chaldäischer  Wörter  213  (in 
den  Abhandlungen  gedruckt).  —  H.  Lud- 
wig, Die  Bursae  der  Ophiurenen  und  de- 
ren Homologon  bei  den  Pentremiten  215. 

—  A.  Grisebach,  Die  systematische 
Stellung  von  Sclerophylax  und  Cortesia 
221.  —  R.  Pauli,  Drei  volkswirthschaft- 
liche  Denkschriften  aus  der  Zeit  Hein- 
richs VHI.  von  England ,  zum  ersten  Mal 
herausgegeben  221  (in  den  Abhandlungen 
gedruckt).  —  M.  Stern,  Beiträge  zur 
Theorie  der  Bernoulli'schen  und  Euler'- 
schen  Zahlen  221  (in  den  Abhandlungen 
gedruckt).  —  W.  Marme,  Beobachtun- 
gen   zur  Pharmakologie    des  Salicin   229. 

—  A.  v.  Brunn,  lieber  das  Verhältniß 
der  linken  Intercostalvenen  zur  Vena  azjgos 
246.  —  Adalb.  Bezzenberger,  Ueber 
einige  avestische  Wörter  und  Formen 
251.  —  F.  Wüstenfeld,  Coptisch- 
Arabische  Handschriften  der  König!.  Uni- 
versitäts-Bibliothek 285.  —  A.  Grise- 
bach, Der  Dimorphismus  der  Fort- 
pflanzungsorgane von  Cardamine  cheno- 
podifolia  Pers.  332.  —  A.  Enneper, 
üeber  die  Flächen  mit  planen  und  sphä- 
rischen Krümmungslinien  332  (in  den  Ab- 
handlungen gedruckt).  —  W.  Henne- 
berg,   Chemische    Untersuchungen    auf 


8 

apistischem  Gebiete  341.  —    Schwarz, 
Ueber  den  verstorbenen  Corresp.  der  Soc. 
Graßmann  332.  —  P.  de  Lagarde,  Zur 
Erklärung   der  aramäischen  Inschrift  von 
Carpentras    357.  —   Marme,    Beobach- 
tungen   zur   Pharmakologie    des    Salicin 
373.  —  W.  C.  R  ö  n  tg  e  n ,  Ueber  Entladun- 
gen der  Elektricität  in  Isolatoren  390.  — 
Th.  Benfey,   Der  Bindevocal  i  im  San- 
skrit 413  (in  den  Abhandlungen  gedruckt). 
W.  Marme,  Ueber Duboisia myoporoides 
R.  Br.  413.  —  L.  Kiepert,    Ueber  die 
Auflösung  der  Gleichungen  fünften  Grades 
424.  —  C.  Klein,  Ueber   den   Feldspath 
vom    Hohen    Hagen    bei   Göttingen    und 
seine    Beziehungen    zu     dem    Feldspath 
von    Mte.    Gibele    auf    der    Insel    Pan- 
tellaria    449.    —    J.    Thomae,    Sätze 
aus    der   Functionentheorie    466.   —   A. 
Grisebach,   Symbolae   ad   Floram   ar- 
gentinam    473     (in     den    Abhandlungen 
gedruckt).   —  E.    Riecke,    Ueber   das 
pond eromotorische  Elementar-Gesetz   der 
Elektrodynamik  473   (in  den  Abhandlun- 
gen  gedruckt).    --    J.   Reinke,    Ueber 
eine   Fortpflanzung    des    durch   die    Be- 
fruchtung   erzeugten    Wachsthums-Reizes 
auf   vegetative    Glieder   473.   —    P.    de 
Lagarde,    Ueber  die  koptischen  Hand- 
schriften der  hiesigen  Bibliothek  und  über 
den  Stand    der  Arbeiten    zur  Kritik    des 
Bibeltextes    505    (in    den  Abhandlungen 
gedruckt).  —  Fr.  Wieseler,  Ueber  die 
neuesten    archäologischen     Entdeckungen 
505.  —  J.  Henle,    Zur  Erinnerung   an 
E.     H.    Weber    509.    —    B.    Listing, 
Zum  Andenken  an  A.  von  Ettingshausen 


516.  —  R.  Pauli,  Magister  Thomas 
Brunns ,  Beamter  Rogers  von  Sicilien  und 
Heinrichs  IL  von  England  523.  —  R. 
Riecke,  Ueber  das  pondercmotorische 
Elementargesetz  der  Elektrodynamik  541. 

—  A.  Enneper,  Ueber  eine  Gleichung 
zwischen  Theta-Functionen  550.  —  0. 
Krümmel,  Die  mittlere  Tiefe  der 
Oceane  und  das  WasserverhäJtniß  von 
Land  und  Meer  556. 

D.  Preisaufgaben : 

a.  der  kgl.  Gesellschaft  der  Wisserschaf- 
ten :  Die  für  den  November  d.  J.  von 
der  physikalischen  Classe  gestellte  phy- 
siologische Preisaufgabe  hat  einen  Be- 
arbeiter nicht  gefunden ;  sie  wird  nicht 
von  Neuem  aufgegeben  506. 

Für  den  November  1879  von  der  ma- 
thematischen Classe  gestellte  Preis- 
aufgabe 506. 

Für  den  November  1880  von  der  hi- 
storisch-philosophischen Classe  507. 

Für  den  November  1881  von  der  phy- 
sikalischen Classe  507. 

b.  Wedekind'sche  Preisstiftung  für 
Deutsche  Geschichte.  Preisaufgaben 
405. 

E.  Yerzeichniß  der  bei  der  kgl.  Gesellschaft 
der  Wissenschaften  eingegangenen  Druck- 
schriften 42,  65,  195,  220,  282,  327,  354, 
404,  469,  500.  568. 

Göttingen: 
II.  Universität. 

A.  Verzeichniß  der  während  des  Sommerse- 
mesters 1878  gehaltenen  Vorlesungen  197 

—  der  während  des  Wintersemesters 
18'V79  433. 


10 

B.  a.  PreisvertheiluDg   an  die  Studierenden, 

eingeleitet  durch  eine  Rede  von  Geh. 
Regierungsrath  Sauppe  über  die  Sa- 
gen von  einer  glücklicheren  Urzeit  und 
die  Schilderungen  eines  idealen  Staates 
der  Zukunft  329. 

b.  Neue  Preisaufgaben  330. 

c.  Beneke'sche     Preisstiftung.       Neue 
Preisaufgabe  280. 

d.  Petsche- Stiftung  ,    Neue    Preisauf- 
gabe 327. 

C.  Oeffentliche  Institute. 
Pharmakologisches  Institut  102,  229,  373, 

413,  482. 

D.  Habilitationen     ' 

in  der  medicinischen  Facultät  563. 

in  der  juristischen  Facultät  563. 

in  der  philosophischen  Facultät  280,  563. 

E.  Promotionen  in  der  philosophischen  Fa- 
cultät 430,  498. 

A,  Grisebach,  Die  systematische  Stellung  von 
Sclerophylax  und  Cortesia  221. 

Der  Dimorphismus  der  Fortpflanzungs- 
organe von  Cardamine  chenopodifolia  Pers. 
Ein  Beitrag  zur  Theorie  der  Befruchtung  332. 

—  —  Symbolae  ad  Floram  argentinam  473. 

Louis  Grub  er,  z,  Dr.  phii.  prom.  498. 

Herrn.  Hahn,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

Ludw.  Hansel  mann,  Geschenk  beglaubigter 
Abschriften  von  82  Briefen  von  und  an  Gauß 
413. zum  Correspondenten  der  k.  Gesell- 
schaft der  Wissenschaften  erwählt  509. 

Gustav  Hart  mann,  zum  ordentlichen  Profes- 
sor in  der  juristischen  Facultät  berufen  279. 

Georg  Rob.  Hasse,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Heinrich  Eduard  Heine  in  Halle   zum  auswar- 


I 


11 

tigen  Mitgliede  der  k.  Gesellschaft  der  Wis- 
senschaften erwählt  509. 

J.  He  nie,  Zur  vergleichenden  Anatomie  der 
KrystalUinse  213. 

Zur  Erinnerung  an  E.  H.  Weber  509. 

W.  Henneberg,  Chemische  Untersuchungen 
auf  apistischem  Gebiete  341. 

Georg  Huges,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

Paul  Hunaeus,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 

Otto  Kern,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 

Diro  Kitao,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Maximilian  Klatt,  z.  Dr.  phil.  prom.  431, 

C.  Klein,  üeber  den  Feldspath  im  Basalt  vom 
Hohen  Hagen  bei  Göttingen  und  seine  Beziehun- 
gen zum  Feldspath  von  Mte.  Gibele  auf  der 
Insel  Pantellaria  449. 

Job.  Herm.  Kloos,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

Professor  Dr.  Kraemer,  Anzeige  seines  Todes 
568. 

Aug.  von  Kries,  Habilitation  in  der  juristischen 
Facultät  563. 

Otto  Krümmel,  Habilitation  in  der  philoso- 
phischen Facultät  280. 

Die  mittlere  Tiefe    der  Oceane    und    das 

Massenverhältniß  von  Land  und  Meer  556. 

Joh.  Nie.  Kruse,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 

P.  d  e  Lagarde,  Tertullianea.  15. 

—  —  Kritische  Anmerkungen  zum  Buche 
Isaias  67. 

• Erklärung  chaldäischer  Wörter  213. 

Zur  Erklärung  der   aramäischen  Inschrift 

von  Carpentras  357. 

—  —  üeber  die  koptischen  Handschriften  der 
hiesigen  Bibliothek  und  über  den  Stand  der 
Arbeiten  zur  Kritik  des  Bibeltextes  505. 


12 

H.  0.  Lang,  Beiträge  zur  Physiographie  ge- 
steinsbildender Mineralien  II.  153. 

J.  G.  Rud.  Langenbeck,z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Ernst  Lausch,  z.  Dr.  phil.  prom.  432, 

Rud.  Lehmann,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Joseph  von  Lenhossek  in  Pest,  zum  Correspon- 
denten  der  k.  Gesellschaft  der  Wissenschaften 
erwählt  509. 

B.  Listing,  Zum  Andenken  an  A.  von  Ettings- 
hausen  516. 

Samuel  Löwenfeld,  z.  Dr.  phil.  prom.  431, 

H.  Ludwig,  Die  Bursae  der  Ophiuren  und 
deren  Homologon  bei  den  Pentremiten  215. 

Rob.  Heinr.  Lüning,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

W.  Marme,  Experimentelle  Beiträge  zur  Wir- 
kung des  Pilocarpin  102. 

Beobachtungen    zur    Pharmakologie    des 

Salicin  229.  —  Erklärung  der  dazu  gehören- 
den Abbildung  497. 

Beobachtungen    zur   Pharmakologie    des 

Salicin,  Fortsetzung  373. 

üeber  Duboisia  myoporoides  R.  Br.  413. 

—  —  Beobachtungen  zur  Verwerthung  der  Li- 
gatur der  großen  Hirnarterien  für  experimen- 
tell-pharmakologische  Untersuchungen  413. 

Georg  Matthaei,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 

Pastor  prim.  Ad.  Morath,  Erneuerung  des 
Doctordiploms  480. 

Fr.  Chr.  Müller,  z.  Dr.  phil.  prom.  482. 

J.  Orth,  zum  ordentlichen  Professor  in  der 
medicinischen  Facultät  ernannt  279. 

Reinhold    Pauli,    Karolingische   Geschichte  in 

altenglischen  Annalen  1. 
Drei   volkswirthschaftliche   Denkschriften 


13 

aus  der  Zeit  Heinrichs  YHL  von  England, 
zum  ersten  Mal  herausgegeben  221. 

R.  Pauli,  Magister  Thomas  Brunns,  Beamter 
Rogei-s  von  Sicilien  und  Heinrichs  11.  von  Eng- 
land 523. 

J.  Petersen,  Beweis  eines  Lehrsatzes  betref- 
fend die  Integration  algebraischer  Differen- 
tialausdrücke beziehungsweise  algebraischer 
Differentialgleichungen  unter  geschlossener 
Form  68. 

Petsche-  Stiftung,  s. Göttingen.  Universität  ß. d. 

Ponfick  nach  Breslau  versetzt  280. 

Aug.  Friedr.  Pott,  Erneuerung  des  Doctor- 
diploms  430. 

Heinrich  P recht,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Preisaufgaben  der  Universität,  s.  Göttingen 
U.  B.  b.  —  der  kgl.  Gesellschaft  der  "Wissen- 
schaften 506.  —  der  Beneke-Stiftung  280.  — 
der  Petsche-Stiftung  327.  —  der  Wedekind'- 
schen  Preisstiftung  405. 

John  Will.  Raveil,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Henri  Victor  Regnault,  Anzeige  seines  Todes 
508. 

J.  Reinke,  Ueber  eine  Fortpflanzung  des  durch 
die  Befruchtung  erzeugten  Wachsthums-Reizes 
auf  vegetative  Glieder  473. 

E.  Riecke,  Ueber  das  ponderomotorische  Ele- 
mentar-Gesetz   der  Elektrodynamik  473.  541. 

B.  Riedel,  Habilitation  in  der  medicinischen 
Facultät  563. 

Carl  Rodenberg,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Rob.  Roll  wage,  z.  Dr.  phil,  prom.  432. 

W.  C.  Röntgen,  Ueber  Entladungen  der  Elek- 
tricität  in  Isolatoren  390. 

Ernst  Rosochatius,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

Gustav  Rümelin  zum  außerordentlichen  Pro- 
fessor  in   der  juristischen  Facultät   ernannt; 


14 

folgt   einem  Rufe   als   ordentlicher   Professor 
nach  Freiburg  i.  Br.  280. 

Heinr.  Schäfer,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Karl  Schering,  Mittheilung  aus  einer  Experimen- 
taluntersuchung  über  die  »Reibungsströme«  88. 

C.  Otto  Schulte  SS,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 

Theodor  Schwann  in  Lüttich,  zum  auswärti- 
gen Mitgliede  der  k.  Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften erwählt  509. 

Schwarz,  Ueber  den  verstorbenen  Correspon- 
denten  der  Soc.  Graßmann  332. 

Friedr.  Schwarzer,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

J.  Spanuth  erhält  den  Preis  der  philosophi- 
schen Facultät  330. 

Jos.  Will.  Spencer,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

M.  Stern,  Beiträge  zur  Theorie  der  Bernoulli'- 
schen  und  Euler'schen  Zahlen  221. 

John  T.  Stoddard,  z.  Dr.  phil.  prom.  499. 

Unter-Bibliothekar  Dr.  Stromeyer,  Anzeige 
seines  Todes  566. 

J.  Thoinae,  Sätze  aus  der  Functionentheorie 
466. 

Ernst  Heinrich  Weber,  Anzeige  seines  Todes 
508.  —  Zur  Erinnerung  an  denselben  509. 

Wedekind'sche  Preisstiftung  für  Deutsche 
Geschichte  405. 

Heinrich  W  e  n  d  1  a  n  d  t ,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Martin  Wetzel,  z.  Dr.  phil.  prom.  498. 

Professor  Wiggers  Jubiläumsfeier  564. 

Franz  Wilkens,  z.  Dr.  phil.  prom.  431. 

N.  Wulfsberg,  Ueber  Milchinfusionen  136. 

Untersuchung  einer  aus  Afrika  stammen- 
den Rinde  143. 


15 

Fr.  Wi eseler,  üeber  die  neuesten  archäologi- 
schen Entdeckungen  505. 

F.  Wüstenfeld,  Die  Familie  el-Zubeir.  1. 
Abth.  1.     2.  Abth.  67. 

Coptisch-Arabische    Handschriften    der 

Königl.   Üniversitäts-Bibliothek  285. 

Carl  Zeumer,  z.  Dr.  phil.  prom.  432. 


fiöttlnfen, 

Druck  <it)t  Uiotoi'ichscbon  Uaiv. -nDchdnickerai. 
Fr.    W.   Kaestner. 


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AS        Akademie  der  Wissenschaften, 

182       Cföttingen 

0834         Nachrichten  von  der  K. 

1877-78    Gesellschaft  der  Wissen- 
schaften und  der 
Georg-Augusts-Universität 


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