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Full text of "Nataly von Eschstruth. Am Ende der Welt"

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Am Ende der Welt 





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Am Ende der Welt 


Nataly von Eſchſtruth 


7. Auflage 


Leipzig 
Verlagsbuchhandlung von Paul Liſt 


Ale Verlagsrechte vorbehalten 
Eopyright 1920 by Paul Lift, Leipzig 


Drud: Joſeſ Hirſch, Leipzig-R 


Am Ende der Welt 


J. 

Droben im Hochgebirge, wo die Fahrſtraße 
ſich mühſam über den Paß windet und die letzten, 
hohen, ſchwarzgrünen Tannen den Weg ſäumen, 
ehe ſie mehr und mehr zuſammenſchrumpfen zu 
Unterholz und niederem Buſch, ſteht ein kleines, 
dürftiges Häuschen, in welchem der Wildhüter 
jahraus, jahrein in tiefſter Weltabgeſchiedenheit 
hauſt. 

Obwohl das armſelige Gebäude ſehr geſchützt 
ſteht, eine hohe Felswand die eine Seite und die 
mächtige Tannenkuliſſe jenſeits der Fahrſtraße 
ſeine Front ſchützt, iſt das tief niederhängende 
Dach doch mit gewaltigen Felsſteinen beſchwert, 
die winzigen Fenſterchen tragen verwitterte Holz⸗ 
läden und die Haustür iſt durch einen dicken Quer- 

N. dv. Efhftruth, Am Ende ber Welt. 1 


— 


balken geſchloſſen, als gälte es, eine Feſtung vor 
dem Feind zu ſchützen. 

Der Poſtillon, welcher alle zehn oder vierzehn 
Tage, je nachdem im Sommer Verkehr und Be— 
ſtellgut vorhanden, an dem Häuschen vorüber— 
fährt, hat ſelten, faſt nie, Fenſter und Türen 
offen geſehen. 

Er kennt den Wildwärter kaum von Ange— 
ſicht, denn der hat tagsüber in den Forſten ſeinen 
Dienſt zu verſehen, und trifft es ſich zufällig mal, 
daß eine Extrapoſt mit eiligen Touriſten am 
Sonntag fährt, ſo ſieht man vielleicht den wetter— 
harten, kernigen Mann in der grauen Joppe, 
den wildledernen Kniehoſen und nägelbeſchlagenen 
Bergſchuhen auf der Bank ſitzen und allerlei höl— 
zernen Hausrat ſchnitzen. Er ſchaut dann kaum 
auf, nickt kurz und ernſthaft ſein „Grüß di Gott!“ 
und hat nie ein Schneid darauf, ſich in einen 
längeren Schwatz einzulaſſen. 

Wer ſonſt noch bei ihm hauſt, weiß der 
Schwager nicht, — nur der hochwürdige Herr 
Kaplan, welcher zu den hohen kirchlichen Feſt— 
tagen ſelber über den Paß nach dem hochgelegenen 


— — 


Dörfchen D. an der jenſeitigen Gebirgswand fährt, 
— oder ſeinen Vertreter ſchickt, des heiligen Amts 
zu walten, der hat ein paarmal am Wildhüter- 
häuschen angeflopft, und da ihm voll freudiger 
Haft und mit großer Ehrerbietung geöffnet wurde, 
hat er ein Stündchen in, Stube oder Garten ver- 
weilt, einmal fogar vom Wildhüter mit blafjem 
Angeficht und ſchmerzbebenden Lippen erwartet, 
mit der Bitte, fein fterbendes Weib zu fegnen 
und das Neugeborene zu taufen. 

Der Kaplan war wohl der einzige, welcher 
im Haufe des Aloys Beckhaber Beicheid mußte. 
Frohes aber konnte er. nicht davon erzählen. Der 
Aloys war ehemals Floßerfnecht gewejen, ein hüb- 
fcher, bildfauberer Bub, welcher e3 der hübjchen 
Kathi, dem Stubenmadel aus dem Herrenihloß, 
angetan Hatte. 

Waren beide wohl reich an Liebe und Hoff- 
nung, aber blutarm an Geld und Gut, und an 
Heiraten konnte der Aloys ſchon gar nicht denken. 

Da fam der Kathi ein gefcheiter Gedanke. 
Sie Hatte in der Sohannisnacht geträumt, fie 


hauſe als des Aloys fchmudes Weiblein in einem 
1* 


gar faubern, Heinen Waldhaus, und am Morgen 
fam der Forftläufer ins Schloß und erzählte, der 
alte Nazi, der Wildhüter am Paß droben, fei in 
eine Klamm abgeftürzt und tot liegen geblieben. 
Es jei gut, daß Seine Kaiferliche Hoheit der 
Erzherzog nun bald zu den Jagden hier einfehre, da 
werde er wohl jelbit des Nazi Nachfolger beftimmen ! 
Allfogleich ſchoß der Kathi der gute Gedanke 
durch den Kopf, und als der Erzherzog und feine 
erlauchten Jagdgäſte wie alliährlih im Schloffe 
eintrafen, da machte ich die Kathi eines Morgens 
ganz befonders ſchmuck und mußte jo lange im 
Bimmer des hohen Herrn zu hantieren, bis der 
Erzherzog eintrat und auf da3 rejpeftvolle „Grüß 
Gott!” der Kleinen in leutjeliger Weife durch eine 
Anſprache antwortete. 
Da war der wichtige Augenblid gefommen. 
Wohl ſchlug der Kathi das Herz im Halſe, aber 
fie nahm allen Mut zufammen und fing an, dem 
ü Erzherzog zu erzählen, daß fie ja wohl eine. große 
Bitte auf dem Herzen habe — der aber lachte 
luſtig auf und rief: „Kathi — ih ſchau dir's an 
ber Naſ' an, das gilt um einen Schag!!“ 


ee 


„D mei! was bift’ geſcheit!!“ entſetzte fich 
das Dirndel, und nun fprubdelte e3 über ihre 
Rippen vom Aloys, der ganz gewiß der fchönfte, 
Schneidigfte und feichite Bub im Land ſei — Eure 
Raiferliche Hoheit ausgenommen! — und daß er 
wie fein anderer zum Wildhüter paffen täte — 
und daß fie dann gleich Hochzeit machen könnten, 
und daß dies eine Guttat vom Erzherzog fein 
würde, die alle Engerl im Himmel auf ein gold» 
ne3 Bapierl fchreiben würden! 

Da lachte der Hohe Herr noch mehr und fagte: 
„Wenn du da3 mit dem goldenen Papier! für ge- 
wiß hältit, daß es nachen nit etwa doch nur ein 
filberne3 ift — dann ſchick mir deinen bildfauberen 
Aloy3 morgen früh in die Rentei, will feh’n, ob 
er noch nit ein Wild gehiefelt Hat, — und wenn 
er wirklich fo ein Blitzbub ift wie du fagft, dann 
Toll er das Pöſtel haben und die Kathi dazu!” 

D Sanferl, war da3 ein Freud’! 

Mit bligenden Augen hat der Aloys im beften 
Sonntagzitaat vor dem fürftlichen Herrn geftan- 
ben, und der Erzherzog hat wieder fchalkhaft ge- 
lacht und gemeint: „Das Katherl hat recht, der 


—— 


Bub iſt ſo grauſi ſchön, daß er und nie ein anderer 
Wildhüter werden muß!“ * 

Da war das Glück da! 

Viele meinten, es ſei beſcheiden genug, und 
die Einſamkeit droben wäre nicht allzu verlockend, 
aber die beiden Liebesleute waren anderer Mei— 
nung und fo glückſelig, daß allen das Herz auf- 
ging, die fie nur fahen. 

Und nad) vierzehn Tagen ſchon war Hochzeit, 
und der Erzherzog und alle hohen Sagdaäfte 
ftanden juft im Schloßhof, als die Neuvermäßlten 
aus der Kirche kamen. 

Da rief der Erzherzog: „rau Katherl, tu 
einmal die Schürz auf!“ 

Und Hui flog ein Goldftüd hinein. 

Die anderen Herren drängten lachend herzu 
und Elingsfling-fling ging es in die buntblumige 
Schürze. 

Atemlos ſtand die Kathi und vergaß in ihrem 
ſtarren Staunen jedes „Vergelts Gott!“, der 
Aloys aber ward blutrot im Geſicht, lachte, daß 
feine weißen Zähne blitzten, und drehte den Grün— 
Hut in den Händen. 


— — — 


Em 


„Da weiß i auch rein gar nir zu fagen, ihr 
hohen Herren!’ ftammelte er, und als er fi} end- 
lich auf eine ſchickliche Rede befonnen hatte, da 
waren die vornehmen Jäger ſchon auf und davon, 
— aus dem Schloß heraus hörte man noch ihre 
heiteren Stimmen. 

Kun war das Kathi nicht nur eine glüdfliche, 
fondern auch jehr reihe Frau geworden, denn 
an hundert Gulden waren e3 mohl, die da in 
feiner Schürze langen. 

Auf das Wildhüterhäuschen aber fchien die 
Sonne heller wie je zuvor, und wenn dermalen 
die Poſtchaiſe vorbeirollte, jo jah der Poftillon 
jedesmal ein blühendes junges Weib in der Tür 
ſtehen, der lagen die dicken Zöpfe wie geſponnenes 
Gold um den Kopf, die lachte und nickte ihm zu, 
und noch fern am Feld droben hörte er ihren 
hellen Geſang über die Alm Klingen. Der Aloys 
war ein pflichttreuer, glüdfeliger Mann, und der 
Erzherzog meinte im andern Sahr, fo gut wie 
heuer jei das Hochwild noch nie übermwintert, der 
Bedhaber fei „gut auf die Futterplätze bedacht 
geweſen. 


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Sahr um Jahr verging. 

Das ſchlanke Katherl ward allweil ein wenig 
rundlicher, und lahen und fingen tat e3 auch 
noch, aber der Poftillon meinte: „Ganz fo luſtig 
wie eh’ ſei es nicht mehr.” 

Und auch der Aloys rauchte oft ftill und 
nachdenklich die Pfeife, und dann ſah er feinem 
Weib in die Augen und beide feufzten tief auf. — 

Sa, was nübte nun Haus und Hof und das 
Geld im Kalten, wenn e3 gar fo öd und ftill im 
Stüblein blieb und die große, holzgeſchnitzte Wiege 
Sahr um Jahr Ieer ftand? — 

Die fhönften Enzianen, Almraufch und Wind⸗ 
röglein fuchte die Kathi, brachte e3 zu dem Bild- 
ftödel am Weg, fniete nieder und betete fo recht 
voll Snbrunft und Heißer Sehnfudt. 

Sahr um Jahr. — 

Und als der Hochzeit3tag zum zwölftenmal 
twiedergefehrt war und das Kathi mit rotgemweinten 
Augen der heiligen Mutter Gottes die fchönften 
Edelweißfterne brachte, welche der Aloys feinem 
armen Weibe zur Treude für diefen Tag gefucht 
hatte, da deuchte e8 der Beckhaberin, al3 ob die 


— — 


hohe Himmelskönigin ihr gar wunderfam ernſt 
und wehmütig zugenickt habe, grad als wolle ſie 
ſagen: „Wenn du mir gar keine Ruhe läßt, ſo 
magſt deinen Willen haben, ob aber jo was Er- 
trotztes gut ift, das ift eine andere Sache!” — 

Da3 hörte und verftand aber das Kathi nicht, 
und al3 wieder ein paar Wochen ins Land ge- 
zogen waren, ba fchritt e3 plößlich umher mit 
verflärtem Angeficht und lächelte ganz ftill und 
heimlich, der Aloy3 aber war mwie von Sinnen 
und warf fein Grünhütel in die Luft und fing’3 
mit einem hellen Suchajchrei wieder auf. — 

„Kathi, — mwann’3 ein Bub ift — nachen 
foll er Wendl heißen, nach dem heiligen Wendelin, 
zu dem i alle Tag bet’ hab!” 

„And wann's ein Madel ift, nennen wir's 
Mirl, denn weißt, i hab der heiligen Gottesmutter 
alle Tag die fchönften Blümerln bracht, da hat’3 
mi erhört!“ 

Als an den Kiefern die gelben Blütenfolben 
ihren duftigen Staub ftreuten und Taufende von 
Bienen fie umſchwärmten, da hielt die gelbe Poft« 
chaiſe vor dem Wildwärterhaus ftill, und eine 


— 60— 


alte Frau, die Mutter des Aloys, kletterte an— 
dächtig heraus, drückte ihrem glückſtrahlenden Sohn 
die Hände und fragte ernſthaft: „Iſt's ſo weit?“ 

„Grad recht, daß Ihr kommt, Mutterl!“ 
nickte der mit bebender Stimme, faßte glückſelig 
die beiden Bündel, welche die Alte mitbrachte, 
und trug ſie ins Haus. — 

Dann kam das Glück noch einmal, fo hell, 
ſo groß und ſonnig, daß es die Augen blendete. 
In der Wiege lag ein dicker, ſtrammer Prachtbub, 
ſo groß und ſtark wie kein anderer, und die Kathi 
und der Aloys ſchluchzten vor Glückſeligkeit. — 

Dann verſiegten die Tränen der jungen Mut— 

ter, und die, welche der Beckhaber allein noch 
weiter weinte, waren Tränen bittern, unſäglichen 
Herzeleids. 
Die Kathi war tot, die alte Großmutter 
wiegte den Wendl, und der Aloys irrte wie ein 
Verzweifelter durch die dunklen Wälder, und als 
er heim kam, war er ein ſtiller, ernſter Mann 
geworden. 

Die Großmutter blieb bei dem Wendl und 
führte dem Sohn die Wirtſchaft. 


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Sie ſah wohl Schon alt und runzlig aus, 
aber das fam nur von. der harten Arbeit, von 
Not und Sorge ums tägliche Brot, welche ihr 
da3 ganze Leben Hindurcch ein traurige Geleit 
gegeben. 

©o hoch bei Jahren war die Bedhaberin noch 
nicht, dabei eifern und hart gefchmiedet in dem 
Teuer de3 Lebens, und jo konnte fie die Arbeit 
im Häuschen und in dem kleinen Garten noch 
gut bewältigen, auch da3 Büblein forgfam pflegen, 
damit das mutterlofe dennoch zu feinem Rechte fan. 

Sa, die Großmutter fühlte fich gar bald wohl 
und behagli in dem ftillen Heim, welches ihr 
fo üppig und ſchön deuchte, daß fie vermeinte, 
auf ihre alten Tage noch ein gar reputierliches 
Leut geworden zu fein. 

Sie fang zwar noch mit leifer, furzatmiger 
Stimme da3 Heine Hajcherl in den Schlaf, aber 
fonft war e3 fo ruhig im Haufe geworden, wie 
ein Grab. 

Der Aloys Ichaffte den ganzen Tag im Walde 
draußen, und die Großmutter jchloß die Fenfters 
läden und die Tür nach der Straße zu ab und 


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ſprach: „Die Zeiten find unficher, ih bin ein 
altes Weiblein und kann nicht gegen Gefindel auf- 
fommen; der Aloys mag durch das Gartenpfört- 
chen heimkommen, da3 liegt hinten am Feld und 
fennt feiner.“ ©o faß ſie Tag für Tag in der 
Küche am Herdfeuer und fpann, und der Wendl 
wuchs zu ihren Füßen heran, fein luſtig Frähendes 
Stimmlein war der einzig frohe Laut, welcher 
den heimfehrenden Wildhüter begrüßte. 

So gingen drei Jahre hin, und die Groß- 
mutter ſprach zu ihrem Sohn: „Schaff Holz herzu, 
mein Bub, und zimmere eine fichere und hohe 
Wand um den Heinen Hof, damit der Wendt 
allein fein fann, ohne Schaden zu nehmen. Schau, 
ich hab’ mein’ Arbeit, und die Füß find nimmer 
flint, — id) kann nicht arg viel auf das Haſcherl 
pafien, und wenn es auf und davon läuft in ben 
Forft, ift’3 aus mit ihm. Da find ſich's nimmer 
zrüd und ftürzt ab in die Klamm und geht zu— 
grunde.‘ 

Der Aloys war afchfahl im Geficht bei ſolchen 
Worten, nahm Art und Säge und ſchaffte mit 
nervigen Armen. 


— "18 — 


Da ſtand bald eine gewaltig hohe Lattenwand 
rings um den kleinen Hof und das Wurzgärtchen, 
über die konnten höchſtens die Vögel, aber nie nit 
der Wendl hinaus, und der Bechkhaber wiſchte ſich 
aufatmend den Schweiß von der Stirm und ſprach: 
‚Run feß das Bübli in aller Heiligen Namen 
in3 Gras, nun kann e3 nicht zu Schaden kommen 
und du haft’3 allweil unter Augen.” 

So geſchah's, und der Wendl fpielte einſam 
und allein in feinem einfamen, meltvergefjenen 
Winkel. 

Der Herbft war gekommen. 

Bon dem Hochgebirge herab faufte der eifige 
Sturm und warf den Felszacken und jchlüchtigen 
Wänden den eriten weißen Mantel um. Die Tan 
nen raufchten und ächzten und jchütteten über 
den Lattenzaun herüber ihre langen Bapfen auf 
den Hof, damit fie der Wendl gar gefchäftig zu— 
fammentragen und neben dem Herd auffchütten 
fonnte, dieweil die Großmutter lachte und fagte: 
„Run hab’ ich’3 fein fommod, das Feuerzünden !‘ 

Die Fahritraße herauf feuchten die vier Roſſe 
und fchleppten mit fturmgezauften Mähnen die 


— 1, — 


Poſt über den Paß, aber vor dem Wildhüter- 
häuschen knallte plößlich des Schwagers Beitiche. 
„Brr!“ ſchrie er. „Beckhaber, bift daheim ?” 
und dann wandte er ſich zurüd und ſchaute auf 
eine junge Frau, welche mit einem Heinen Rind 
auf dem Arm aus der gelben Poſtkutſche heraus» 
fletterte und mit betroffenem Bli auf da3 toten» 
ſtille Häuschen ftarrte, das mit feinen gefchloffenen 
Fenfterläden daftand wie tot und außgeftorbeıt. 
„Macht nix, Trau, daß e3 fo ftill ift! Schlag a 
Lärm und Hopf! Nachen tut fchon eins auf!” 
Und die junge Bäuerin mit dem fchmarzen- 
Kopftuch feufzte und ſagte kopfſchüttelnd: „Jeſſas! 
ist 853 a Einfamfeit! Wer hier a paar Sahrdeln 
hauft, wird verrüdt!” — Aber fie fchritt zur 
Haustüre, griff ein Stüd Holz auf und hämmerte 
gegen die Tür. 
„Heda! Frau God! feid’3 nöt daheim 
„Allweil kommt's!“ nidte der Roftillon. 
Ein Tenfterladen ward ein Hein wenig auf- 
getan. * 
„Wer iſt draus?“ fragte die Beckhaberin. 
„Ei liebe Frau God! kennt's Euch nit mehr 





=; 15 = 


aus auf mi? 's Lenerl, — der Gilfhäuerin ihr 
arme3 Lenerl, dad Shr über die Tauf gehalten 
habt, bin i, und weil i jo arg tief im Elend bin, 
vermein’ 1, — Shr nehmt mi um der heiligen 
Sungfrau willen auf!” 

„3 Lenerl! — Gott erbarm’ ſich, 's ift das 
Lenerl!“ Hang die Stimme der alten Frau, der 
Tenfterladen fchlug zu und e3 blieb ein Weilchen 
ftill, dann rief eine Stimme hinter der Haustür: 
„Gleich komm' ih! Schau, Lenerl, die Tür ift 
zug’pflöcdt, — geh’ um den Zaun herum, ich laß 
dih zum Hinterpförtel ein!“ ” 

„Ra, da biſt ja aufgenommen, Frau!” fagte 
der Poſtillon zufrieden. „Gehab dich wohl, und 
verluftier dich nit allzuviel hie droben!”’ Er lachte 
und fchnalzte den Pferden mit der Zunge, da 
zogen fie wieder an. 
Das Lenerl aber machte ein recht fauertöpfi- 
ſches Geficht und murmelte: „Spott mich nur aus! 
Sch Hab fein’ Wahl mit 'm Unterſchlupf, und mit 
dem Verluſtieren ift’3 für eine Witfrau fo fchon 
aus 

Sie widelte das Kind auf ihrem Arm feiter 


— 16 


in das Tuch und ſchritt um das Haus herum, bis 
ſie die kleine Pforte im Zaun fand, an welcher 
bereits die Großmutter ſtand und der Nahenden 
mit angſtvoll großen Augen entgegenſtarrte. 

„Ei, Lindbäuerin, äfft mich's Geſicht, oder 
biſt's fein ſelbſt? und um ſolche Zeit kommſt da 
herauf, mit dem Find gar ... und haft ein ſchwarz 
Tüchel um ... und hab’ vermeint, du ſitzeſt drun—⸗ 
ten im reichen Bauernhof zwiſchen lauter Speck 
und Würſt und weißt gar nix mehr von der alten 
God am Paß droben!“ 

Da fing die junge Frau bitterlich an zu 
weinen, und das Kind auf ihrem Arm weinte 
auch, und ſie traten in das Haus. 

„Ach God, was' Ihr an mir ſchaut, ift nir 
als ein Häuflein Elend! — Speck und Wurſt ſind 
aufgebrannt. — Der Lindbauer, mein Mann, iſt 
ein Loderer geweſt und hat geſoffen und geſpielt 
und all ſein reiches Erbe verbracht, und wie ihm 
das Meſſer am Hals geſeſſen iſt, daß er nimmer 
aus und ein gewußt hat, da hat er an ſeine hohe 
Feuerkaſſ' gedacht, und hat ſelber Haus und Hof 
in Brand geſteckt. — Der Nazi aber, der grad 





— 7 — 


bei der Evi gefenſterlt hat, — der is' gewahr 
worden und hat Lärm geſchlagen und den Lind— 
bauer ein’ Brandſtifter genannt, und wie die Gen- 
darmen fommen find, da hat mein Mann fich 
in der Angſt im Garten am Nußbaum aufhängt. 
— Der Hof liegt in Schutt und Aſche, und ich 
bin al3 ein bettelarm’3 Witweib z'rückblieben, hier 
mein unglüdliches Wurmel, das Heine Creszenzl, 
ilt alles, was der reichen Lindbäuerin noch 3 
eigen geblieben ift!’ 

Die Großmutter Hatte mit Stöhnen und 
Seufzen die Hände über dem Kopfe zufammen- 
geichlagen, die Sprecherin aber fuhr fchluchzend 
fort: „Da hab’ ich Fein Obdach g’habt, denn mein 
-Bater ift ein hartes Leut und will das Weib von 
einem Brandftifter nit aufnehmen, und meine 
Brüder find arg geizig und wollen nicht zwei 
Freſſer mehr im Haus, denn für den Winter ift 
feine Arbeit da, und für nir futtern’3 uns nit 
durch. Da Hab’ ich auf Euch gedacht, liebe God 
Bedhaberin, weil Ihr mich doch über die Tauf’ 
gehalten und gelobt habt, mir 'mal ein zweites 
Mutterl zu fen! — Schaut, God, ich will Fein 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 2 


— 48 


Obdach und Brot für umſonſt, ich will für Euch 
alle Arbeit tun und mein Teil ſchaffen! Da hat 
der Aloys doch ein Büblein im Haus, das will 
ich fein warten, mit meinem Cenzerl zuſammen, 
und nach dem Vieh ſchau ich, weil es im Winter 
für Euch doch arg kalt iſt drauß ... und alles 
ſonſt ..“ ER 

‚Na, fei ftad! Davon red’ fein gar nix!” 
fagte die alte Frau und faßte das Lenerl warm⸗— 
berzig bei der Hand. „Da bift, und da bleibft, 
und damit bafta.“ £ 

„Und der Aloys? Was fagt der?” forfchte 
die Bäuerin angſtvoll. 

„Ein Grüaß di Gott! fagt er — fonft nir!“- 
und die Bedhaberin griff nach dem meinenden 
Heinen Dirndel und nahm's auf den Arm. 

„Ab, du arm’3, arm’3 Hafcherl! Hunger 
Haft, gelt? Na, da gud bier, ein Napferl mit 
Mil... und da fommt der Wendl angetratjcht, 
ber wird a Freud’ an feinem neuen Gefpiel haben!” 

Und richtig, der Wendl ftand wie erftarrt und 
ſchaute auf die fremden Menfchen wie auf etwas 


furchtbar Ungeheuerliches und wich ſcheu zurüd 
in der Großmutter Rodfalten. 

Da3 Lenerl Iodte ihn mit freundlicher 
Stimme, — da verkroch fich das Büblein noch 
tiefer, als aber bie fleine Creszenz mit Yautem 
Zubel die Armchen nah ihm ausftredte, all ihre 
Tränen vergaß und „Seppl! — Seppl!“ ftam- 
melte, da fam er jähling3 hervor, feine Augen 
Teuchteten wie verzüdt, er faßte jcheu nach der 
Heinen drallen Hand und blidte fragend zu ber 
Großmutter auf, als wolle er fagen: „Sit dies 
auch ein Menjchenfind oder was ſonſt?“ 

Das Lenerl flüfterte lachend: „Schau! Sie 
halt ihn für den Sepp, den Bub unferer Groß> 
magd, mit dem’3 allmeil gefpielt Hat!” — und 
die Bedhaberin feste da3 PDirndel auf bie Erde 
und freute ſich, wie e3 fo zärtlich die Ärmchen 
um den einfamen Wendl fchlang. „Schau, das 
halt du "mal gut gemadt, daß du dem armen, 
verlaffenen Büberl fo eine Kameradin mitbracht 
haft! Sch mein’, die find bald vertraut zufammen 
und dem Wendt feine Einfamfeit hat ein End’! 


Wird fih da der Aloys freuen! — Nun fomm 
2* 


— O0 — 


aber, Lenerl, und greif zu, daß du mit dem Kind 
ißt und trinkſt, und wenn du neu zu Kräften 
kommen biſt, dann legſt a Hand an, daß wir dir 
ein Stüberl herrichten! O mei! wird das nun a 
Leben hier im ſtillen Häuſerl ſein! Ich mein', der 
Aloys kann ſich's gar nit beſſer wünſchen für 
uns alle!“ 

Die Lindbäuerin dankte der God mit herz— 
bewegenden Worten, und aß und trank und mu— 
ſterte dann neugierig ihr Kämmerlein, in welchem 
ſie hinfort hauſen ſollte. Sie trug das Bündel 
Kleider, welches ſie mitgebracht, herbei und ſprach: 
„Ich hab' dem Poſtkutſcher a Auftrag geb'n, God! 
Wenn Ihr mir ſo barmherzig'n Unterſchlupf gebt, 
dann ſoll er mir mit dem nächſten Mal, daß er 
hier vorbeifährt, all mei biſſel Hab', das mir 
verblieben iſt, mitbringen! Ich gab's der Evi in 
Verwahr', — die ſchickt's.“ 

„Recht ſo!“ lobte die Großmutter: „da iſt 
mehr wie genug Platz hier im Häuſel.“ 

Als der Aloys heimkam, riß auch er die 
Augen weit auf. 

Er bot der Bäuerin gutmütig die Hand und 


==. 591, — 


fagte: „Red' fein Wort, Lenerl, — hier im Haus 
fommandiert mein Mutterl, und wenn die dich 
haben mag, bin ich’3 fchon Yang zufrieden.” Er 
fah aber dabei jo ernft und traurig aus mie ftets, 
und feine Augen leuchteten erit auf, al3 er das 
Cenzerl gewahrte, welches neben dem Wendl am 
Herd faß und abwechſelnd mit ihm das brave 
Waldmannel auf den platten Rüden patichte. 

Dazu lachte und Frähte es, und der Wendl 
folgte wie verzaubert jeder Bewegung des fremden 
Kindes, Ichaute ihm atemlo3 vor Wonne in das 
Geſichtchen und tatſchte es nur hie und da einmal 
borfichtig an, ob e3 auch wirklich da und feine 
Täuſchung fei! ‚ 

„Das ift aber mal gut!” atmete der Wild- 
Hüter tief auf, „mun ill mein arm's Büber! nimmer 
allein !” = 

Sein erſter Gang galt auch ftet3 den Rindern, 
wenn er heim fam, und dann nahm er jedes auf 
einen Arm und Liebfofte fie abwechſelnd; affurat, 
als ob's alle zwei fein eigen wären! — mie da3 
Lenerl mit ſeltſamem Ausdrud in den Augen jagte. 

Das muntere Cenzerl liebte den Bedhaber 


a. 


fehr und zaufte ihm keck und fröhlich den dunklen 
Bart, in welchem fehon die einzelnen Silberfäden 
leuchteten, und weil der Wendl ihn „Vata!“ rief, 
- fo tat’3 da3 Cenzerl auch und die Tindenbäuerin 
bob ſchämig den Schürzenzipfel an die Wange 
und ſprach: „Mit Vergunft, Aloy3, daß mei Hein 
Hafcher! dich zu fein Vata machen will, — meißt, 
e3 veriteht’3 nit beſſer!“ — 

„Da verlier fa’ Wort drum!“ wehrte der 
Wildhüter in feiner wortfargen Weife ab und ſah 
gar nicht da3 Getue der jungen Frau und den for» 
Ichenden Blick, mit welchem fie ihn mufterte. 

Und das tat das Lenerl von Tag zu Tag 
auffallender und machte ſich viel zu fchaffen um 
den ftillen Mann, brachte ihm flint Speif' und 
Trank, wenn er heim fam, ftellte ihm die trodnen 
Schuh an den Herd und legte ihm eine frifche 
Pfeife zurecht. 2 

Dabei fang fie mit heller, fchmetternder 
Stimme und ahnte e3 nicht, daß der Beckhaber 
ein großes Unbehagen dabei empfand und dachte: 
„Dös ift mir närrifch, wie eine Witfrau, die fo viel 
Herzweh erfahren, fo bald ſchon jubilieren kann!“ 


— 3— 


Er ſaß auch meiſt ſtill beiſeite, ſchnitzte Haus— 
rat oder Spielzeug für die Kleinen, oder er blieb 
viel draußen im Wald und legte ſich bald zur 
Ruhe, wenn er heim kam. 

Das merkte die Lindbäuerin gar wohl und 
ward von Tag zu Tag verdrießlicher. Sie ſang 
und ſchaffte nur ſo emſig, wenn der Aloys daheim 
war, während der anderen Zeit ſaß ſie träg und 
mürriſch am Feuer und legte die Hände in den Schoß. 

Des Vikhes wartete fie nur widerwillig, weil 
fie e8 nun fo begonnen hatte, und war froh, al 
mit der letzten Sahrespoft der Beinhauer Tam, 
da3 Schwein zu ſchlachten, — da mar fie eine 
Arbeit los, und den Sped und Schinken fomwie 
das „Geſelchte“ deuchten ihr im Rauch beſſer, 
denn zuvor al3 grunzende Säu im Stall. Gie 
hatte von der Großmutter ſorglich erforfcht, mo 
denn das viele Geld geblieben fei, das die Kathi 
eh’ am Hochzeitstag von den Fürftlichen befommen 
hatte, und gehört, daß e3 der Aloys im nahen 
Städten auf der Sparbanf Tiegen habe, two es 
graufig viel Zinfen trage. „Ei, will er fich denn 
nimmer davon pflegen?” fragte Leni haſtig. 


— — 


„Wo denkſt hin?“ wehrte die alte Frau ganz 
erſchrocken ab. „Der Aloys ſagt: das iſt dem 
Wendl ſein mütterliches Erbe! und das rührt er 
um die Welt nit an, damit der Bub ſich 'mal ein’ 
Bauernhof kaufen kann!“ 

Die Witfrau lachte hart auf und zuckte die 
runden Schultern. 

„Hat denn die Kathi ein’ letzten Willen ge— 
{chrieben und das Kind zum Erben genannt?” 

„D mei! Gewiß net! Die Kathi Hat fo 
wenig ans Sterben gedacht, wie du anitzt!“ 

„Ei, To kann der Aloys das Geld abheben, 
warn er a Schneid drauf hat!“ 

„Wo ſollt' bei dem Kopfhänger noch a Schneid 
herfommen !“ : 

„Ra, ich mein’, wenn er eine wieder freien 
tut!” 
„Der Aloys ? 1!“ 

Die Großmutter fehlug wie in ftarrem Stau— 
nen die Hände über dem Kopfe zufanımen. 

„Sit dir fol ein Gedanken fo gar zumider, 
God?" 

„Mir? — Ach, ich tät allen Lieben Heiligen 


auf den Knien danken, wenn mein armer Bub 
noch einmal möcht” glüdlich werden!“ 

„Na, da red’ fein zu, God!“ 

„D mei! Hier droben wachſen faum noch 
Holderbeereln, gefchweige ſchmucke Dirndels!“ 

„So? — dös meinft?!“ 

Wie wunderlih Hang des Lenerl Stimme 
plöglich. \ 

Die alte Frau fchaute ganz betroffen auf, 
juft in das frifche, junge, lachende Geficht hinein. 

„O Jeſſas!“ flüfterte fie Leife, „wenn's fo 
wär?!“ Und dieweil ſich die Lindbäuerin mit 
fchelmifchem Lachen abwandte und zwiſchen den 
Töpfen am Herd rumorte, legte die Alte die runz— 
ligen Hände im Schoß zufammen und ftarrte mit 
bebenden Lippen gerade aus. 

„Das Lenerl fein ſelber?!“ 

Und fo ein Gedanke Fam ihr erſt jest. — 
Das war narriſch. 

Das Lenerl? 

Paßt's denn zum Aloys und hat der gar 
ſchon ein Aug’ auf das jchmude Weib geworfen ? 
um Wundern wär's nicht! 


— 26: 5 


Und die Großmutter ift dahergegangen mie 
blind und taub! 

Wird’3 auch ein Glüd fein? 

Nun weiß fie doch, was fie allweil noch zu 
beten hat. 

Sp ganz nach ihrem Sinn ift das Lenerl 
jiuft nit, — aber fie ift alt und abftändig, fie 
verſteht fich nicht mehr auf die Jugend, und der 
Aloys muß e3 ja beſſer willen. 

Die Lindbäuerin Hufchte im ganzen Haufe 
herum und unterfuchte jedes Eck und Winkelchen. 

Vor einer großen, eichenen Truhe blieb fie 
ſonderlich oft ſtehen. 

Sie war verſchloſſen. 

„God, was birgſt dahier drinnen?“ 

„Das iſt dem Kathi ſelig ſein Hochzeitsſtaat, 
er’ Wäſch' und Kleidung. Der Beckhaber hat alles 
fein fäuberlich eingepadt.‘ 

„Schließ auf, God, und weil’ es mir!“ 

„D mei! Daran rührt kei' Menſch! Dös 
ift dem Aloys fein Heiliges!“ 

„Narrheit! Er merkt nir, warn ich’3 an- 


Than!“ 


— — 


Die alte Frau wehrte ſich wochenlang, aber 
eines Tags, als der Aloys frühzeitig gegangen, 
drangſalierte die Lindbäuerin abermals und gab 
feine Ruh, bis die Großmutter aus dem Wand— 
ſchrank den Schlüſſel holte und ſeufzend aufſchloß. 

Da glimmerten des Lenerls Augen vor gie— 
riger Luſt und ſie wühlte mit unzarten Händen 
die Sachen der Toten durcheinander, hing ſich 
die bunten Ketten um den Hals und ſeufzte miß— 
mutig: „Welch ein Staat Tiegt dahier und modert 
3jammen, während ich armes Leut Daher geh 
wie a Lump!“ — 

„Ich tät dir’3 gern ſchenken, Lenerl, — aber 
dös gaht nit an! — Der Aloys tät uns den Hals 
abdrehn !” 

Die Großmutter fah nicht das böfe, ſpöttiſche 
Gefiht der Witfrau, fie legte den alten Staat 
fein fäuberlich wieder zurecht und ſchloß ab. 

Das Lenerl aber wußte nun, wo der Schlüffel 
lag, — umd wenn die Großmutter fehlief, und 
der Wildhüter im Forſt war, dann ſchlich fie 
heimlich zum Bodenfämmerlein, achtete nicht der 
bitteren Kälte, fondern pußte fich mit den Sachen 


— — 


der Toten, trat vor den Spiegel und freute ſich 
an ihrem ſchmucken Bild, dieweil draußen der 
Schneeſturm heulte und die ſchwarzen Tannen bei— 
nah zuſammenbrachen unter der glitzernden Laſt, 
welche ſie zu tragen hatten. 

Langſam, unbeſchreiblich ſtill und eintönig 
ſchlichen die Wochen dahin, und die Laune der 
Lindbäuerin ward immer böſer, und das arme 
Cenzerl bekam manch harten Schlag, daß es ſich 
ſchon immer verkroch, wenn es der Mutter an 
fichtig ward, und gar gern feine Zuflucht in der 

Großmutter NRodfalten nahm. 

Das Lenerl aber ftarrte mit finfterer Miene 
in Schnee und Eis hinaus und ballte grimmig 
die Hände umter der Schürze. _ 

Zangweilig zum Sterben war’3 hie droben, 
und nichts auf der Welt haßte da3 junge Weib 
mehr, wie die Langeweile! 

D, wenn ihr die Not dermalen nicht fo bitter 
auf dem Nacken gefeffen, fie hätte nie und nimmer 
bier eingefprochen, — und dann.:.je num, 
durch die Mutter Hatte fie oft — daß der 
Beckhaber ein vermöglicher Mann geworden ſei, 





a 


welcher fein’ Kreuzer verbrauche, jondern alles 
in den Strumpf gejpart habe. 

Da dachte das Lenerl: Se nun! Scheel iſt 
beifer wie blind! Hier in der Gegend kriegſt nie 
und nimmer einen zweiten Mann, aber der Aloys 
in feiner Einfamfeit hat nir von der böſen Wirt- 
ſchaft im Lindbauerhof gehört, — der nimmt 
dich gewiß! — u 

Und wenn fie exit des Beckhabers Weib ge— 

worden, dann war die Zeit der Wildhauseiniam- 
keit um. 
Dann wollte fie ſchon dafür forgen, daß der 
Aloys fein Geld nahm, ein Bauernlehn Faufte und 
herrlich und in Treuden lebte. Dann 309 fie wie- 
der als reputierlich Weibsbild in ihrem Dorfe ein 
und triumphierte über all die böfen Mäuler, 
welche ihr dermal jo viel üble Nachrede gemacht 
und gehöhnt und gejpottet hatten, al3 das Unglüd 
über fie hereinbrach! — 

O mwäre e3 nur erſt fo meit! 

Aber da fißt fie bereit3 den ganzen Winter 
hier, arbeitet wie eine Magd für das bißchen elende 
Koft und ein fehmales Kämmerlein, und der Lapp, 


—— 


der Aloys, geht daher wie ein Leichenbitter, ſieht 
ſie kaum im Wege an und tut alles andere eh', 
denn um ihre Gunſt werben. 

So ein ſauertöpfiſcher Geſell gefällt ihr ſchon 
ganz und gar nicht, und wenn ſie ihn nimmt, 
dann iſt's halt nur, um wieder Bäuerin zu werden 
und ein Hausweſen kommandieren zu können. 

Wie lang, wie unerträglich lang wird ihr 
dies Warten! 

Tot, — öd, — ſtill, — wie im Grabe ſo kalt 
und einſam iſt's um ſie her! 

Eine alte Tuntel von Weib und zwei täppiſche 
Kinder — das iſt alles, was ſie zu hören und 
ſehen bekommt! 

Der April iſt ſchon ins Land gezogen. In dem 
Tal drunten iſt wohl ſicher der Schnee geſchmolzen 
und die erſten Knöſpchen ſpringen und die Früh— 
blumeln ſtehen im Land; — hie droben aber 
merkt man noch nichts. 

Das Schneien hat wohl nachgelaſſen, aber 
es iſt noch bitter kalt und der Sturm heult. Um 
Oſtern ſoll die erſte Poſt gehen. 


— 533 


Voll leidenſchaftlicher Sehnſucht ſchaut ihr 
Lenerl entgegen. 
Sie weiß ſchon einen guten Vorwand, daß ſie 
einmal wieder zu Tal, unter Menſchen kann! 
Nach dem Lindbauer feinem Grabe will fie 
fhauen! 

Dagegen bat fein Menfch mas. 

Aber fie drängt die Großmutter alle Tage, 
daß der Moy3 wieder freien müßte, und die alte 
Frau nidt trübfelig und fagt: „Sch will mir ein 
Herz fafien und es ihm plaufibel machen!“ — 

Endlich wird’3 wärmer. 

Der Schnee taut fehnell und früret in ſchäu⸗ 
menden Bächen zu Tal, — ein paar Tage und 
Nächte lärmt und toſt es grauenvoll in Luft und 
Schlucht, dann ſchaut die Fahrſtraße wieder unter 
der Schneedecke hervor und liegt bald naß und 
dunkel zwiſchen dem mooſigen Geſtein. 

„Run kann die Poſt fahren!” jubelt Lenerl. 

Der Beckhaber iſt beizeiten heim gekommen, 
er ſitzt am Feuer, hat auf jedem Knie ein kleines 
Haſcherl ſitzen und ſpielt „Hoppa Reiterlein“ mit 
ihnen. 


— 82 — 


Und alle beide jubeln „Vata!“ und haben 
ihn arg lieb. 

Die Großmutter, welche im Schrank das Ge— 
ſpinſt aufſtapelt, blickt in das heitere Geſicht des 
Sohnes und meint, nun ſei wohl günſtige Zeit. 

Das Lenerl ſchafft im Hof. 

Site tritt herzu und legt die Hand auf die 
Schulter des Wildhüterd. 

„Aloys! haſt's all g'hört, wie das Cenzerl 
dich allweil „Vata“ heißt?“ 

Er lächelt und nickt. „Das ſchwätzt's dem 
Wendl nach! Wie ſoll ſo a Kleins es beſſer 
wiſſen!“ 

„Aloys!“ 

„J hör', Mutterl!“ 

„Haſt nimmer dran denkt, wie gut es wär, 
wann du dem verwaiſten Würmerl in Wahrheit 
der ‚Bata‘ würdeſt?“ 

Da hebt er mit ftarrem Blick den Kopf. 

„Wie meint Shr das, Mutter?" 

‚„Haft kei’ Augen im Kopf, Aloys? Sieht 
net, wie fauber und blitzblank da3 Lenerl ift, wie 
arbeitfam und gut zu dir?” 


rd — 


„Das Lenerl!!“ 

„Und wie verlaffen und einſam auf der Welt 
— affrat jo allein wie du!” 

Da fchiebt er die Kinder ſacht von den Knien 
und fteht langſam auf. 

Sein Blick trifft groß und ernft die Sprecherin, 
als ſchaue er fie plößlich wie etwa ganz Fremdes 
an — aber feine Stimme Hingt weich und weh— 
mütig, al3 er ruhig erwidert: 

„Wenn Ihr Euch da3 gar zum Biel gejekt, 
Mutterl, nahen feid Ihr arg auf dem Holzweg. 
Sch Hab’ die Kathi viel zu lieb g’habt und kann 
nie und nimmermehr auf fie vergeſſen. Freien 
tn ich um alle Welt nit wieder und vollends nit 
da3 Lenerl. Wenn Ihr die a gut’3 brav's Weiber! 
nennt, jeid She arg verkehrt! Sch kenn' mich 
au auf fie und hab's nit fehr aus Achtung, 
ſondern nur aus Gutheit und Erbarmen in mein 
Haus genommen. Die Lindbäuerin ijt ein leicht» 
fertige3 Leut und hat vertan und verjurt, und 
wann der Bauer banfrott worden ilt, dann hat 
das Lenerl ihn dazu bradt. Braucht's mid nit 
ſo erſchreckt anzuſchaun, Mutterl, die Sach’ pfeifen 

N. v. Eſchſtruth, Am Enbe der Welt. 3 


— 34 — 


im Dorf drunten die Spatzen auf dem Dach! — 
Und da mein' ich, die Frau Mutter ſoll ſich derlei 
Heiratsgedanken aus dem Sinn ſchlagen; denn 
was ich g'ſagt hab', dös is 'ſagt.“ 

Er reichte der alten Frau die Hand entgegen, 
als wolle er ſeine herben Worte begütigen und 
ihr beweiſen, daß er ihr ſolch ein Anſinnen nicht 
nachtrage, — dann aber wandte er ſich kurz ab 
und ſchritt in ſeine Kammer, um den Stutzen 
von der Wand zu nehmen und ihn gründlich zu 
putzen. 

Die Großmutter aber, welche ſo erſchreckt in 
das Geſicht des Sprechers geſchaut hatte, ſank 
auf den Stuhl nieder, als ſeien ihr plötzlich die 
Füße ſchwach geworden, und ſeufzte tief auf — 
und ſaß ſo ſtill, daß die Kinder forſchend zu ihr 
aufſchauten, ſich ſtill in die Herdecke kauerten und 
flüſterten: „Oehme ſchläft!“ 

Während der erſten Worte, welche die Beck— 
haberin zu ihrem Sohn geſprochen, war draußen 
vor die Tür ein leiſer Schritt geſchlichen. 

Das Lenerl legte mit ſcharf forſchendem Blick 
das Ohr gegen den Türſpalt und hörte einen 


= BB 


jeden Laut, welcher drinnen von ben Lippen 
Hang. . 

Das mwohlzufriedene Lächeln, welches anfangs 
auf ihrem kecken Geficht gelegen, wich einem mür— 
rifhen Ausdrud, welcher ſich gar bald in einen 
bitterböfen verwandelte. 

Die frifhen Wangen wurden bleich‘ vor In— 
grimm und in den Augen brannte ein grimmiges, 
rachſüchtiges Feuer, welches feine Blitze gegen die 
hohe Geftalt des Wildhüters jprühte. 

Wie ein Ipöttifches Auflachen zudte e3 um 
den Mund, — aber das Lenerl Fniff die Lippen 
zufammen, ballte die Hände unter der Schürze 
und fchlich lautlos davon in ihr Rämmerlein. 

Alſo derart ftand dem Aloys der Sinn! 

Ein leichtfertiges Leut nannte er fie, die ihr 
Hab und Gut verludert hatte, und an Freien 
denft er ſchon gar nicht! . 

Darum hat fie einen ganzen Winter lang in 
diefer grauenhaften Einöde geſeſſen, um fich von 
folchem Laff fchimpfieren zu laſſen! 

Immer wilder und böfer brennt der Blick 


der Rindbäuerin und grimme Gedanken ſchießen 
3* 


— 336: — 


ihr durch den Sinn, daß ſie ſich rächen will an 
dieſem Flank, der ſich zu gut deucht, eine Lind⸗ 
bäuerin zu freien! 

Aber wie? 

Was ſoll ſie ihm antun? — was iſt 
ſchlimm genug, daß es ihn ſo recht herb ins Herz 
trifft? 

Wenn ſie ihm den Wendl nähm' und ihn 
heimlich fortbrächt' . .. und der Aloys müßt’ dene 
fen, er ſei tot ... 

Sie ſtarrt mit unheimlichem Blick ins Leere. 

Nein ... ausfeßen und verderben laſſen kann 
ſie das Haſcherl nit, dazu iſt der Bub zu viel 
lieb mit dem Cenzerl geweſen! 

Und ihn vor eine Haustür legen? 

Dazu iſt er zu groß und verrat ſie bald. 

Und ihn in die Stadt bringen? 

Da muß ſie eine Ziehmutter ſuchen und ein 
ſchweres Geld bezahlen ... und wenn fie für des 
Aloys Bub arbeiten ſollt', ſo wäre ſie die Gefoppte 
und nit der Beckhaber! Außerdem tät's doch 
herauskomm' ... und nachher käm' die Straf'! 


= BE 2 


Nein, jo fchneidet fich die Leni nicht in das 
eigene Fleisch. 

Es ift fein Spaß, mit ſolchem Ballaft von 
Kind in der Welt herum zu ziehn, das Cenzerl 
wird ihr fchon fauer genug ankommen, und wenn 
fie fi in der Gtadt als Magd verdingt, muß 
fie die paar Heller für das Dirndel hingeben und 
behalt nix, um fein Luftig zu leben! 

Da lachte fie leiſe auf. 

„Akkrat umgekehrt will ich’3 machen. Wenn 
der Aloys die Mutter nit mag, fo foll er, zur 
Straf ihr Klein's durchfüttern! Wird dem Geiz- 
hal3 nir fehaden, und da3 Cenzerl liegt im warmen 
Net... und die Lindbäuerin ift frei und Yedig 
und kann ſich hinwenden, wohin fie will!‘ 

Das ift ein Gedanke! Den halt fie feit! 

Aber dem Aloys ift damit noch nicht genug 
Straf’ angetan! 

Ein’ Ärger foll er haben... ein Herzweh, 
daß er fich grün und gelb giften foll! 

Uber was? 

Und wie fie finfter finnend die Lippen nagt 
und an ihrem vertragenen Gewand herabichaut, 


are 


da flimmert e8 plößlich wieder in den Augen und 
ein boshaftes Lachen geht über ihr Geſicht. 

Was für ein narrifches Weibzleut fie ift, noch 
zu finnieren! Steht droben in der Sammer nit 
die Truhe mit der Kathi ihrem Hochzeitsſtaat, 
ihrem Leinzeug und Jankerln und Schuhen? 

Das ift dem Bedhaber fein Heiliges, hat Die 
Großmutter gejagt! 

Nun weiß die Lindbäuerin, was fie zu tun hat! 

Sit ihre fo nicht recht, in ihrem alten Kram 
zur Stadt einzugeh’n! 

Eine Lumpendirn nimmt keins gern in Dienft, 
wenn aber ein Weibsbild fo ſchmuck und fauber 
daherfommt mie eine Hochzeiterin, dann greifen 
die Männer jchon gleich nach ihr, und fie fucht 
fi aus, was ihr g’fallt und wo fie ſich am beiten 
in die Wolle fest! Haha! Wär’ nit zum erjtenmal, 
daß ein reicher Mann fein Weib davonjagt, um 
eine jaubere Magd zu freien...je nun, und 
wenn er ihr auch fein Trauring gibt, mit einem 
Stüd Geld ift die Lene auch zufrieden! Fein üppig 
muß er fie halten und ordentlich was draufgeh'n 


Be 


laſſen . . . nach was anderm fragte fie nit 
viel... 

Als e3 in der Nacht ftill geworden, beginnt 
die Lindbäuerin ihren Plan auszuführen. Sie 
nimmt ein Stüd Papier und fehreibt mit großen, 
ungefügen Buchſtaben: „Sch dankt euch für alle 
Gutheit, daß ihr mich habt aufgenommen, aber 
bleiben kann ich nit länger. Hinaus will i und 
Arbeit fuchen, daß i mid) durchbring'. Das Cen— 
zerl laß i euch z'rück. Um Gottes Barmherzigkeit 
willen. Wann i ein Geld hab’, hol’ i das Rind. 
Fragt nicht nach mir, ihr find’3 mid) nit.“ 

Und nun noch den Namen darunter. Die 
Leni ftöhnt erleichtert auf. 

Da3 war das ſchwerſte Stücd Arbeit. 

Was fie da geichrieben Hat, Hingt brav und 
ordentlich, — damit wird ſich der Aloys gern 
beſcheiden. 

Und bis er im Herbſt, an feinem Hochzeits— 
tag, über die Truhe geht, ift die Lindbäuerin weit 
über alle Berge davon... 


Sa, die Truhe! 


Sie ſchleicht auf Strümpfen zum Schrank und 
holt den Schlüffel. 

Der Wildhüter fchläft wie ein Toter und 
die Großmutter ift fo taub, ... die benft, es ift 
eine Maus, die tajchelt. ... . 

Niemand hört fie. 

Lautlos geht e3 die Stiege hinauf. =. und 
droben in dem dunklen, grabitillen Kämmerlein 
ftiehlt Leni der Toten Eigentum. Sie jchlägt 
alles in ein großes Tuch, ſchnürt's zufammen 
und ſchleppt e8 in ihr Stübchen. 

Da wirft fie ſich aufs Bett und ſchläft lachend 
ein. — 

Als der Morgen graut, Hingt des Bedhabers 
fhwerer Schritt in der Küche, und die Haustür 
fchlägt Hinter ihm zu. — — 

Er ift in den Tann’ und Tommt vor der 
Mittagsſtunde nicht zurüd. 

Die Großmutter hat ihm die Mehlfuppe ge- 
kocht, — nun räumt fie Topf und Schüffel fort 
und friecht noch einmal in das Bett zurück; denn 
es ift noch dunkel und falt in dem niederen 
Raum. 


— — 


Da ſchläft fie recht feſt, — das weiß die Lind— 
bäuerin. 

So wartet ſie noch ein Weilchen, dann packt 
ſie den gewichtigen Kleiderballen und ſchleppt ihn 
lautlos hinab, durch die kleine Hinterpforte in 
den Holzſtall. Von dort aus iſt ſie mit einem 
Schritt im Wald. 

Nicht lange mehr, dann kommt die erſte Poſt 
und fährt hinauf über den Paß nach der Grenze zu. 

Und die Lindbäuerin will über die Grenze, 
— dort fennt fie feine Menfchenfeele im fremden 
Land. 

Sm Holzftall ſchnürt fie da3 Bündel wieder 
auf und Heidet fich haftig in den Buß der Toten, 
— auch die Ketten legt fie um den Hals, die 
feinen Korallen und bunten Olasperlen. — Eine 
‚Gefahr ift nicht Dabei. 

Die Fäden, darauf fie gefchnürt find, Halten 
was aus, wie Heine Hanfitride find fie, und Die 
Leni benft: „Eh die reißen, fallt die Welt 
z'ſamm'!“ 

Und als ſie fertig mit ihrem Putz iſt, nimmt 


fie die großen Bündel zur Hand umd fchreitet in 
den nebligen, naßfalten Morgen hinaus. 

Von den Tannenzweigen tropft e3 hellbfin- 
fernd hernieder, wie Tränen, welche der Hochwald 
weint, und die Steine find feucht und glitfchig, 
das Schneewaffer fteht in großen Lachen auf der 
Fahrſtraße und von den Felsblöcken fidert es hell, 
wie Heine Bäche durch das ftarfduftende Moos. 
Die Lindbäuerin- fchreitet Haftig bergan, denn 
droben, hinter der Wegbiegung, will fie die Poſt 
erwarten. 

Hier ift fie am ficherften, hier droben hat 
der Aloys nir zu fchaffen. 

Sie Steht und martet und ftarrt ungeduldig 
in die grauen, wallenden Nebelfchleier hinaus. 

Voll fündhaften Leichtſinns fliegen ihre Ge— 
danken voraus... einem tollen, Iuftigen, genuß- 
reichen Leben entgegen. ... . Shr Kind in der Wild- 
hütte hat fie ganz vergejlen. — — — 

Und dann fnallt eine Peitſche, Roſſe ſchnau— 
fen, und in den Augen des jungen Weibes blikt 
e3 heiß und triumphierend auf. 

Die Poſt! es ift die Pot! 


— — 


Erſtaunt hält der Poſtillon an, — ein lachen= 
de3 „Grüaß di Gott!” — ein paar Worte Hin 
und ber! und weil in der Kutſche ein Kaufmann 
mit feinem Weibe ſitzt, ſchwingt fich die Leni Fed 
neben den Kutſcher auf den Bod, und Heidi! geht 
die Fahrt. 

Die Höhe ift bald erreicht. 

Da ftarrt alles noch von Eis und Schnee 
und ein ſchnittiger Wind fährt über da3 Joch und 
heult fo leis und unheimlich wie ein böfer Berg» 
geift um da3 einfame Gefährt. 

Hei! bergab geht's. 

„Wann's nur nit allzu glatt iſt!“ jagt der 
Poſtillon und nimmt die Pferde feiter in die Bügel: 
„Es it heuer viel zu arg früh, daß fie mich 
binaufgefhidt haben!” 

Und faum Hat er’3 gejagt, fo gleiten die 
Vorderpferde — und der Wagen fhiebt ſtark nad), 
— der Poftillon bremſt, fo fehr er kann, ein heller, 
Hingender Knall... die Stange ift gebrochen, der 
Klotz faßt nicht mehr — und ber ſchwere Kutſch— 
magen fauft den Pferden in die Beine. 

Wild auf Bäumen die, — in rafender Flucht 


— 4 


brechen ſie aus, — ſpiegelglatt blinkt das Eis 
unter dem Schneewaſſer . :. der Weg windet 
ſich, ... feitlih gähnt der Abgrund. =: 

„Jeſus Maria!” fchreit der Poſtillon auf, 
„halt's dich feſt, Frau!“ — aber fehon ftürzen 
die Pferde . ; . ein milder Knäuel rollt fich und 
die Kutſche jchleudert in rafender Fahrt zur Seite. 

Gellende Schreie . . . ein Rnirfchen, Poltern, 
Rollen... . und den Abhang hinab ftürzen Wagen 
und Pferde... tief... tief >... bis drunten Die 
Heinen Kiefern die Zweige hemmend entgegen- 
ftreden. — — — 

Sn der Heinen Stube des Wildhliterhäuschens 
it es dämmrig und ftill. 

Die beiden Kinder fiben vor dem Ofen und 
werfen Tannenäpfel in die Glut. 

Dann praffelt es hell auf; die Funken ftieben 
rot und grelf hervor, mit feinem Knall beriten 
die harzigen Schuppen auseinander und bläufiche 
Flämmchen hüpfen gefchäftig darum her! 

Die Kinder weichen mit luſtigem Geſchrei den 
ſprühenden Funken aus und höhnen: „Fang' mich 
doch! Fang' mich doch!!“ 


N 


Uber die Heinen Feuergnomen „Prubelmann” 
und „Knuſperkneischen“ find nicht fo behende und 
ziſchen und fchelten oder lachen, neden und kichern 
nur ganz leife mit den Seinen. 

O, die Kinder kennen fie fo guf, die Heinen 
Geifter und Wefen, welche rings um fie her, im 
Teuer, Wafjer, im Wald und in der Luft haufen! 

Sie nennen fie mit Namen und rufen fie zum 
Spiel, und die grauen Mäuslein und die Vögel, 
Schmetterlinge und Bienen, die Müden, Fliegen 
und Schneden find gute Kameraden, die fich fehen 
Laffen, — Windelfen und Feuergeifterchen fpielen 
aber Verjted, und nur wenn Prußelmännden ganz 
böje wird, fpringt es aus dem Dfenloch nad) dem 
Cenzerl feinem Schürzchen und beißt mit fcharfen 
Bähnen in den nadten Arm oder die Meine Hand, 
welche nach ihm greifen mill. 

So jpielen die Finder allabendlick in der 
Dämmerftunde, und fo figen fie" auch Heute in 
vergnüglichem Geplauder; denn daß dem Cenzerl 
feine Mutter auf und davon gegangen ift, deucht 
den Kleinen fein Kummer, — eher eine Erleich— 
terung; denn die Lindbäuerin Hatte eine harte 


— "AG: = 


Hand und ſchlug zornig zu, — aber die Großmutter 
ift gut und fehilt nur ein Hein wenig, wenn die 
„argen Loderer“ am Hofbrunnen ihre Röckchen 
gar zu naß gepanticht haben. 

Kun ift die Leni fort, — fein Menfch weiß, 
wohin, und die Großmutter fißt ſchon den ganzen 
Tag tief in Gedanken und murmelt leife vor ſich 
hin und vergißt zu fpinnen. Als fie dem Wild- 
hüter den nachgelaffenen Bettel der Lindbäuerin 
gezeigt, hat der nur erfchredt den Kopf gewandt 
und laut aufgefhrien: „Cenzerl! mei Kleins! 
wo bit?!“ 

Und als er das Kind gefchaut, hat er erleichtert 
aufgelacht, fein Köpfchen getätjchelt und gejagt: 
„Gottlob! wenn fie una das Dirndel z'rückgelaſſen 
bat, dann ift alles gut!” — — 

Und plößlich Hat er die Hand der alten Frau 
gefaßt und wieder voll Sorge gefragt: „Uber das 
Haſcherl macht Euch mehr Arbeit, Mutter[? 
Sagt’3 nur! Dann geh’ ich noch heute und dinge 
eine Kleine Magd!“ 

„D mei! nur dös nit!” Hat die Bedhaberin 
heftig abgewehrt: „Die paar Sahrdeln, bis die 


— —— 


Creszenz 'ran gewachſen iſt, reicht's mit meinen 
Kräften noch aus, und dann iſt das Dirndel ſtark 
geworden und helft mir!“ 

„So walt's Gott!“ — Der Aloys hat mit 
hellen Augen ſeinen Grünhut an den Nagel ge⸗ 
hängt und ſich zum Eſſen geſetzt, und dann iſt 
er pfeifend wieder hinaus in den Wald, wo der 
Förſter mit ſeinen Leuten droben am Paß zu 
ſchaffen hat. 

Kun iſt's Abend geworden und die Groß— 
mutter fährt aus ihrem Ginnen auf, ftecdt die 
Zampe an und ftellt fie auf den Tiſch. Da Hingt 
auch ſchon des Wildhüters ſchwerer Schritt auf 
dem Hof draußen, — früher wie jonft. 

Die Türflinfe wird ſchwer niedergefchlagen 
und der Aloys wankt über die Schwelle. 

„Mutterl!“ ftöhnt er und läßt fich ſchwer auf 
einen Stuhl niederfallen. 


„Jeſſas! was bringſt?!“ ruft die Alte er- 
fchredt, hebt die Lampe und leuchtet dem Sohn 
in das veritörte Geſicht. — 


„Regt's Euch nit auf, Mutterl ... aber ich 


— 8— 


mein g'rad, ſo ein Strafgericht iſt viel ſchlimm 
für das Lenerl geweſt!“ — 


„Ein Strafgericht über das Lenerl?!“ 


Er hebt die Hand und fegt mit zitternden 
Fingern ein paar bunte Glasperifetten auf den 
Tisch, greift in die Tafche und zieht ein zerfetztes 
Madrastuch draus hervor und legt's dazu. — 


„Kennt Ihr der Kathi ihren Hochzeitsitaat, 
Mutterl?“ 

Die Beckhaberin taſtet mit unſicherer Hand 
danach: „Der iſt's ... bei allen Heiligen, mie 
kommſt mit dem Staat anigt daher, Aloys?“ — 

„Schau, Mutterl, nix verjeh'n haben wir ung, 
dab das Lenerl fo ein fchlechtes Leut geweſt — 
Gott hab’3 felig und vergeb ihm die Sind —! 
und der Toten ihr Zeug geftohlen hat. Fein ftatt- 
lic, gemacht hat fich’3 damit, und auf und davon 
iſt's! — Der Förfter hat g’rad mit den Wald- 
Yäufern am Paß droben gearbeitet, da haben fie 
-plöglich ein Schnaufen und Schreien und Stöhnen 
gehört — und mie fie um das Ed zur Poſtſtraß' 
gelaufen find, Haben fie g’rad noch gejehen, wie 


— 4 — 


drüben an der Habichtswand die Poſtkutſch ift 
niedergeraft in den Abgrund. ...“ 

„Jeſus Maria!” 

„Selaufen find fie, daß fie nimmer haben 
fchnaufen können, und wie ich ihnen juft in den 
Weg kam, haben’3 mich gleich mitgenommen an 
die Unglüdzftell. — Gott und alle Heiligen feien 
gelobt, jo arg fteil ift’3 nit geweitl, — man hat 
gut 'nunterfrareln konnt! — Der Boftillon ift 
gleich droben abgefchleudert und Hat ein bifferl 
zerſchunden und damſch im Geröll gelegen, aber 
die Kutſche ift tief hinab . ; . und da3 Lenerl hat 
mit den Kleidern feitgehaft auf dem Kutſcherbock 
droben und das ganze Gefährt ift über's wegge— 
rollt! Aber fiehft, arg viel gefchadt’ hätt’ es ihm 
doch nit, denn es ift bald zur Seite gejchleudert 
in einen Knirksbuſch hinein. — Ohne Befinnung 
iſt's wohl geweſt, daß es fich nit hat aushelfen 
können, und da haben mei'm Kathi fei geftohlenen 
Ketterin fih um einen Aſtzinken gehaft und dem 
Lenerl den Hals z’jammengefchnürt! — Negel- 
richtig aufgehängt ift e3 gemweit, Mutterl, — und 
Hat fonft nit viel Schaden am Leib gehabt! — 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 4 


— 30 — 


Guck, Mutterl, wann die Lindbäuerin nit zur Diebin 
an der Toten geworden wär, hätt's den Sturz 
ganz kommod überſtehen können!“ 

Die Großmutter hatte die zitternden Hände 
gefaltet und Tränen rannen über die runzligen 
Wangen. „O mei! o mei! — dös is a Straf! 
— Ja, die Toten laſſen ſich nit ſchimpfieren und 
die heiligen Engel wiſſen's genau, wem's a Schutz 
geben!“ — 

„In der Kutſch ſind zwei Leut eingeſeſſen, 
die waren auch ſchlimm zugericht, aber ſie leben 
und kurieren ſich aus. Die Röſſln aber haben 
fich ganz und gar zu fchanden geftürzt, mit 
denen i3 aus.” 

Einen Augenblid herrichte tiefe Stille. Die 
Kinder waren mit angftvollen Mienen herzuge- 
ſchlichen und ftarrten die beiden befümmerten Men— 
fen ftumm an. 

„Sa, Mutterl ... nun is's tot, das Lenerl!“ 

„Und was wird aus dem armen Hafjcherl, 
dem Cenzi?“ 

Da flog’3 zum erftenmal wieder wie ein Son» 
nenftrahl über die verftörten Züge des Wildhüters. 


— — 


Er ſtreckte den Arm aus, zog das Cenzerl auf 
ſeinen Schoß und ſtreichelte ihm zärtlich das 
blonde Köpfchen. 

„Nu ſoll die kleine Creszenz ein Recht haben, 
und ſoll allzeit ‚Bata‘ zu mir jagen!’ flüſterte er 
weich, und er nahm feinen Bub in den anderen Arm, 
fchaute ihm in die großen, dunfeln Augen und 
nidte: „Gelt, mei Mannele, mei’ klein's, nu ge- 
fallt’3 dir erft recht, daß d' nimmermehr allein, 
fein brauchſt!“ 

Als die Kleinen fahen, daß der Bedhaber 
wieder fröhlich dreinfchaute, lachten fie auch Hell 
und erleichtert auf, und das Yuftige Cenzerl faßte 
mit drallen Fäuftchen den vermwilderten Bart und 
zaufte den Wildhüter voll täppifcher Zärtlichkeit. 

„Vata!“ jubelte e8 dabei. — „Vata!“ 

Draußen aber durch den ftillen Wald ward 
die Leiche der Lindbäuerin zu Tal getragen. — 


4® 


II. 


Wie im Traum zogen die Jahre dahin. 

Die Frühlingsftürme brauften durch den hohen 
Tannenmwald, die Sommerjonne glühte ftill und 
heiß auf den blumenduftigen Waldboden, — 
tauher Herbftodem fchüttelte die Tannenzapfen in 
den Heinen Hof des Wildhüterhäuschens, und der 
Winter fam ftumm und ernit daher und breitete 
eine weißflodige Dede über die Welt, daß fie 
müde ward und hinſank in Laugen, traumlofen 
Schlaf. 

Die Heinen Wacholderbüfche Hinter der ver— 
witterten Lattenwand wuchſen höher und höher, 
und die beiden Kinder, welche Sahr für Jahr 
in tiefer Einfamfeit und Weltvergeffenheit dahinter 
fpielten, wuchſen auch heran und kannten feine 
andere Welt als dieſe winzig Heine, welche fo 





— 5 — 


eng begrenzt hoch droben am fteilften Hang des 
Hochwaldes lag. 

Die Welt. 

Welch ein fremder, wunderlicher Begriff für 
dieſe beiden kleinen Lebeweſen, kaum daß ſie des 
Wortes Bedeutung zu faſſen vermochten. 

Die Großmutter ward älter und abſtändiger 
und je ſchwerer es ihr wurde, die heranwachſenden 
Kinder zu hüten, deſto ängſtlicher ſchloß ſie ſie ab. 

Als der Wendl die erſten Lederhöschen, welche 
der Wildhüter ihm heimgebracht, angezogen be— 
kam und ſtolz und breitſpurig darin ſtand, voll 
Neugierde Nutz und Zweck der Taſchen unterſu— 
chend, da meinte der Aloys: „Weißt, Mutterl, i 
nimm’ die Haſcherl nun mal mit in’ Wald! J' 
zeig ihnen’3 Dorf, damit 3’ doch mal Befcheid 
wiſſen!“ 

Die Großmutter aber ſchüttelte energiſch den 
Kopf. 

„So'n Larifari laß aus, Aloys! Der Wendl 
iſt ka Duckmäuſer nit, und die Creszenz plagt 
auch die Neugier! — Wann du die Kleinen erſt 
ausbringſt in die Welt, nachen haben's ka Ruh' 


er BR 


mehr hier. — Dann laufens hinaus in den Forſt 
... und tollen allein zu Tal, und verirren fich 
und ftürzen ab! Wie mwillit fo zwei Würmer! 
wiederfinden? — Laß fie noch daheim, Aloys, mas 
fie nit kennen, begehrten fie nit... und a Glück 
haben's doch nit da drauß!” 

Das Yeuchtete dem bejorgten Water wohl ein 
und er nagelte über zwei morjche Bretter in der 
Zattenwand ſorglich ein paar neue und warnte 
die Rinder und ſprach: „Da in der Welt drauß 
mohnt der Bär, — der iſt arg Ihlimm und frißt 
euch!‘ 

Eine3 Tages abet trat er vor die Groß- 
mutter, Fraute fich den Kopf und ſprach: „Mutterl, 
der Wendl ift jebt acht Jahr, die Creszenz ſechs, 
— wie foll das nun mit der Schul’ werden ?” 

„Narretei!“ fchüttelte die Alte den Kopf. 
„Die Schu! — fo an Unding! — J' hab’ ni 
nit leſen und fchreiben gelernt, hab’3 auch nit 
vermißt, und du? — X tüchtige Arbeit ift mehr 
wert, wie fo a narriihe Wiſſenſchaft. Du kannt 
den Bub jeßt anlernen im Garten und Hof zu 
ſchaffen, a Kraft hat er für zwei und mit dem 


EN ee 


Vieh weiß er ſchon gut Beicheid, da3 haben die 
Haſcherln mir bald abg'ſchaut. Die Cenzerl aber 
nehm?’ ich in die Lehr’ und dent, fie lernt dahier 
mehr, was ein tüchtiges Weibzleut gebraucht, ala 
wie in der Schul!“ 

Das fah der Alohs num wiederum ein, denn 
in jener Beit hielt man e3 noch nicht fo ftreng 
mit der Schulpfliht und gar mancher Hütebub 
und manches Dirndel wuchs in den Bergen auf, 
ohne je im Leben eine Schiefertafel gefehen zu 
haben. . 

Aber der Wildhüter dachte bei fich: Iefen und 
fchreiben Tann ich jelber nicht, fonft lehrt ich es 
den Kleinen wohl, — das aber, wa3 ich felber an 
Weisheit erfahren, das bring’ ich ihnen wohl bei!” 

Und al3 die langen, dunklen Wintertage 
famen, da nahm er die Kinder zu fich an den Tifch, 
darauf Tagen zehn Hafelnüffe, und er Yehrte fie 
im Schweiße feines Angeficht3 zählen, und als fie 
gut aufmerkten und e3 gar bi3 hundert gebracht 
hatten, da fprad er: „Nun ift’3 genug, benn 
über Hundert Gulden ſchaut ihr doch nie bei- 
fammen.” j 


N 


Und fie begannen zu rechnen, — eins von 
zwei — und bier von ſieben ... und wiederum 
zuzuzählen, je nachdem e3 not tat. 

Die Hafelnüffe mußten das alles anſchau— 
lich machen, und weil fie nach der Stunde jedesmal 
zur Straf aufgegeffen wurden, jo waren die Kin— 
der voll Jubel und Eifer bei der Sache, fo daß 
der Beckhaber oft jelber ftaunte, wie hell die 
Köpferln feien. 

Nach dem Rechnen aber nahm er bie Kleinen 
auf feine Knie und fing an, ihnen zu erzählen, 
von dem lieben Gott, der im Himmel wohnt, von 
dem Sefuzfind, das er in die Welt gefandt, von 
feinem 2eben, Leiden und Gterben. 

Und die Rinder fragten fo graufig viel, daß 
dem Aloys fchließlich brühheiß vor Angſt ward 
denn allzuviel wußte er ja jelber nicht. 

Als aber die beiden Schüler fo ungefähr be- 
griffen hatten, wie e3 im Himmel ausfah und 
fich denfelben jo wunderſam vorftellten, daß fich 
die Großmutter oft ganz verwirrt den Kopf hielt 
wenn fie ihren Reden lauſchte, da meinte der 

» Bedhaber, nun fei es auch an der Beit, daß die 


a 


Kinder erführen, wie e3 um die Welt beitellt fei. 
D du Mirafulum! Das war eine närrifche Sache. 

Einen Raifer und König befchrieb er ihnen 
mit goldener Krone auf dem Haupt und ein Schwert 
in Händen, — und Dorf und Stadt befchrieb er 
ihnen — und fraute fich hilflos hinter den Ohren, 
als die Kinder ftatt klüger — allweil dümmer zu 
ihm aufſchauten. 

Da fam ihm in der Not ein pfiffiger Ge— 
danfe. 

Er Tramte eined Morgen in der Truhe 
und ftedte den Geldbeutel in den Rudjad. Dann 
ftieg er zu Tal. 

Als er abends mit ftrahlendem Geficht heim- 
fam, griff er hinein in den Sad und legte ein 
großes, dickes Buch auf den Tiih... und noch 
eins... und ſprach: „Nun foll euch das alles 
wohl deutlich werden! 

Sn den Büchern aber waren lauter große, 
bunte Bilder zu jehen, da war alles abgemalt, 
was e3 in ber Welt gab, und mehr noch dazu, 
Menſchen, Vieh, Stadt und Dorf, Meer und Berg, 
Schiffe und Soldaten... Der Bedhaber mußte 


= 8 


von den meiſten Dingen ſelber nicht, was fie be» 
deuten follten. 

Aber das tat nichts. Er fagte dann jedesmal: 
„a, dös i3 auch) fo an Ding!” — uno die Kinder 
waren damit zufrieden, denn daß die Welt übervoll 
bon narriſchen Dingern war, das fahen fie ja! 

Das eine Buch zeigte die Welt, mit allem 
was drinnen war, das andere aber war eine 
bibliiche Gejchichte und zeigte Adam und Eva, 
den König David, Joſef und Maria, das Jeſus— 
find, alle Engel, Märtyrer und Heilige... und 
der Moy3 erflärte auf gut Glüd jedes einzelne 
Bild, denn was darunter ftand, fonnte er nicht Iefen. 

Aber nun war e3 ein Spaß mit dem Lehren 
und Lernen, und die Wintertage vergingen mie 
im Flug, der Wildhüter warf fich ſtolz in Die 
Bruft und fagte zu der Mutter: „Da ſchaut's 
Euch die Heinen Saframenter an, Mutterl! Zäh- 
fen und rechnen fünnen’3 nun wie die Däus, 
fo daß fie fein ordentlich zufchauen können, wenn's 
einmal ihren Lohn gezahlt befommen, denn dös 
iſt die Hauptfach”. Und wie's in der Welt aus— 
fhaut, wiffen fie nun auch!” 


— 59— 


Da machte die Alte ein ſaueres Geſicht und 
ſchüttelte den Kopf. 

„G'rad a rechte Narrheit haſt' gemacht. Das 
Rechnen lob ich mir, weil's da ſpäter mal keins 
betrügen kann, aber mit der Welt — das behagt 
mir nit! Grad neugierig haſt die Lapperln g'macht 
und unruhig obendrein. Der Wendl is ſo ſchon 
ein Aufbegehrer, der ſich ſchwer regieren laßt, 
nun wird's ka Fried geb'n, bis er fein ſelber die 
Nas in die Welt ſteckt hat, und nach'n biſt'n los, 
den Bub!“ 

Der Beckhaber ward ganz blaß und ſtarrte 
erſchreckt in die Stubenecke. 

„Gott erbarm' ſich!“ murmelte er: „Ich 
hab’ nir Liebes mehr dahier als wie den Bub 
und denf’, er bleibt mal hier an meiner ftatt und 
drudt mir die Augen zu.” ; 

An diefem Abend erfuhren die Kinder zu 
ihrem großen Erftaunen, daß es draußen in der 
Welt fehr ſchlimm zugehe. 

Alle Schredniffe eines Fegfeuerd malte der 
Aloys in Stadt und Dorf hinein und die Unge- 
heuer, welche draußen in Wald und Tal haufen 


— — 


und die Kinder fräßen, die ſeien ſo grauſig 
ſchlimm, daß ſie nie nit im Bild gemalt werden 
könnten! Der Wendl hob zwar trotzig den braun⸗ 
lodigen Kopf und ballte die Hände mit einem 
fampfmutigen: „J jchlag’3 all z'ſammen!“ Aber 
er warf doch einen ſcheuen Blid nad) dem Fenfter, 
al3 der Sturm juft daher braufte und an ben 
Riegeln rüttelte. Die Creszenz aber klammerte 
fi an den Wildhüter und flüfterte angitvoll: 
„Gel', Bata, du gangft ni nit mit uns 'nab?“ 

Was der Aloys ihr Heilig und feit verſprach. 

Nun war es Frühling geworden. 

Die große, gelbe Glude führte ihre Kleine, 
emfig pidende Schar auf dem engen Hof jpazieren, 
die dunkeln Tannenzweige hingen tief über das 
Stalldach hernieder und fingen an, ganz zarte, 
lihtgrüne Spischen an allen Zweigen zu treiben. 
Das winzige Stüdchen Himmel, welches man von 
Hof und Garten aus fah, war azurblau und 
wolkenlos, und jo lange wie die Sonne auf der 
Höhe Stand, ſchickte fie ihre goldig zitternden 
Strahlen zu den einfamen Rindern herab, welche 
foeben voll Subel und hohen Snterefjes ein gelbes 


— — 


Blümchen im Raſen entdeckt hatten. Die Vögel 
zwitſcherten ſo hell in den Zweigen, flogen zu— 
traulich zu den Kindern heran und ſchauten ſie 
mit den Eugen, blanken Äuglein verwundert an, 
als wollten fie fagen: „Was feid ihr für zwei 
arme, unglüdliche Weſen, daß euch feine Flügel 
gewachlen find ? 

Der Wendl Hatte im Garten gegraben. Er 
ftieß plöglich mit Fraufer Stirn den Spaten in 
die moofigduftende Erde und fchaute auf das Cen— 
zerl, welches juft feinen Wurzelmann fpazieren fuhr. 

Befagter Wurzelmann war der Kinder Tiebftes 
Spielzeug, denn er war von dem Wendl felber 
fehr fünftli aus einer großen, munderlich ge- 
formten Baummurzel geſchnitzt und ſah aus, als 
babe er ein richtiges, wahrhaftiges Geficht. 

Als der Wendl gar noch den außerorbentlichen 
Gedanken gehabt, dem „Wurzli“ ein paar blanke 
Nägel al3 Augen in den Kopf zu hänmern, da 
ſah er jo unheimlich lebendig und funfelnd drein, 

daß fein Verfertiger felber begann, fich vor ihm 
zu fürchten und ihn für einen Berggeift zu halten, 
der tief innen im Steinicht hauft. 


ur 


Da aber der braune Gefell ſich in nichts, 
bösartig zeigte, faßte man Zutrauen zu ihm und 
gewann ihn bald unbejchreiblich Lieb. 

Cenzerl Eleidete ihn phantaftifch in ein paar 
alte Slicken, welche e3 der Großmutter mit Bitten 
und Flehen abgerungen, und dann ſetzte e3 den 
„Wurzli“ reſpektvoll in einen jener riefigen Holz» 
ſchuhe, welche der Wildhüter bei Schneemetter trug, 
band einen Strid an und fuhr den hohen Herrn 
durch den Hof fpazieren. Der Wurzli war der 
einzige, welchem im Leben das außerordentliche 
Ereignis miderfuhr, gefahren zu mwerden, und 
darum behandelten ihn die Kinder mit Hochachtung 
und da3 Genzerl ſprach: „Geitern Hab’ ich am 
Türloch gegudt, es jaßen wieder zwei Mannerleut 
in der Poſtkutſch; der eine wird der Kaifer, der 
andere wohl der Küni gemeit fein!“ 

‚Da hat nur noch der Wurzli als dritter ge= 
fehlt!’ meinte der Wendl. „Möchteft auch du ein- 
mal einfigen, Cenzerl?“ 

„Jeſſas! — i ftürb vor Angft am Fleck!“ 
fchrie da3 Dirndel auf, „und du Wendl?“ 

„Pah!“ dös macht mir nir! iführ mit!” Und 


— 63— 


jeßt ſtemmte er die Arme: auf das Grabſcheit, blickte 
die Spielgenoffin an und fagte plöglich: „Weißt, 
was i mein, Cenzerl?“ 
Das ſteckte den Finger in den Mund. 
„Naa!“ fchüttelte e3 mit fragendem Blid 
den Kopf. 
„Arg dumm find’ ich's hier in dem engen 
Zoch!” — plabte der Bub zornmutig heraus. — 
„Dahier?... arg dumm ?1“ 
„Allweil fit ma mie an Vogel im Käfig! 
Kir fieht man von der Welt, g’rad gar nir!” 
„Wendl ... wünſch dir’3 nit! Die Welt ift 
arg bös!“ — 
„Bah! Zum anfehn nit!” 
„Wenn du’3 aber Schauen mwillft, mußt du 
weit fort von hier, denn die Welt liegt fo fern, 
dag fa’ Menfch zu Fuß hinkönnt!“ 
Der Wendl trat geheimnispoll näher und 
zwinkerte Yiftig mit den Augen. 
„Weißt, Cenzerl, — ganz furt von hier, dös 

will i net! — Aber i mein’, mal über den Zaun 
ſchauen, dös könnt ma’ ungeftraft! — Warum 
nit? Da ift fei Gefahr bei! Und fiehft, gar für 


SE 


mein Leben gern möcht’ i wiſſen, wie’3 dahinter 
ausfhaut! A Stüderl Welt fieht ma’ vielleicht 
doch! J mein’, da hier am Garten, wo die Feld 
wand bi3 in die Wolfen aufifteigt, i3 die Welt zu 
End, — da geht’3 nit weiter, aber dahinaus ...“ 
und der Sprecher redte den Arm nad der 
Zattenwand am Hof, „da muß e3 in bie Welt 
hineingehn, denn da ift die Luft offen, da ſtehn 
feine Bäum’ und feine Felswand, — und da 
hinab fahrt auch allzeit die Poſt!“ 

Cenzerl ſchob den Finger angſtvoll und be» 
klommen noch tiefer in den Mund. „An der Wand 
aufflettern mwillft und überfchauen ?” 

„Suftement dad! — Gud, das laßt mir fa 
Ruh, daß ich mal die Welt jeh’n möcht! Nur von 
weiten, weißt, nit in der Näh’, denn das hat der 
Bata verboten! Ein Aſtloch ift in einem Brettl, 
dadurch hab’ ich ſchon Yängit mal geäugt, aber 
g’rad is ein Heines Wacholderftaudel davor ge» 
ftanden, da3 tragt im Frühling grüne, im Som- 
mer rote und im Herbit ſchwarze Beerdeln. Dös 
i3 alles wa3 man fieht. — Die Großmutter jchlaft 
jest, wann'd mir helfft, fchieben wir da3 Regen⸗ 


— 65— 


faß an die Holzwand, — nachen langt's, dann 
komm' i nauf. Gel, Cenzerl, du willſt? Und wann 
nit, dann ſchaff i's fein ſelbſt!“ — Das war ein 
recht trotziger und energiſcher Ton, welchen der 
Wendl da anſchlug, und da das luſtige Cenzerl 
von Herzen gutmütig und kein Spielverderber war, 
ſo willigte es zwar etwas beklommen, aber doch 
allſogleich ein, und auch ſein kleines Herz ſchlug 
in brennender Neugierde, zu erfahren, wie es wohl 
draußen in der großen, weiten Welt ausſehen 
möchte. 

Da war's zum erſtenmal, daß in den ſchlum— 
mernden Rinderjeelen ein Keiner Funfen aufblibte, 
daß Ti ein Sehnen und Verlangen regte, daß 
e3 da lebendig ward, wo e3 bisher Jo ftill und 
tot gewejen. 

Bis zu der Stunde, wo Aloys begann, die 
Kleinen in feiner fchlidten und eng begrenzten 
Art zu unterrichten, hatten fie auf ihrem winzigen 
Spielfleden faum geledt, fondern nur vegetiert. 

Wie Heine Tiere im Käfig aufwachſen und 
wie ein Zamm im Stall faum den Wunfch hegt, 
durch die Türe hinaus zu fchauen, fo hatten fich 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. = 


u Uhse 


auch Wendl und Cenzer! nie mit dem Gedanken 
bejchäftigt, wie e3 wohl hinter der hohen Latten- 
wand ausschaut, und erft da3 Buch mit feinen 
bunten Bildern Flopfte an die dDämmernden Hirn- 
fäftlein, daß die mweltfremden Menjchentinder die 
Äuglein auftaten und zum erftenmal forſchenden 
Umblid hielten. 

Sm Schweiße ihres Ungeficht3 rollten die 
Kleinen die leere Regentonne an die Holzwand; 
der Wendl ftand noch einen Augenblid tief auf- 
atmend und ſah vor Anftrengung und Aufregung 
dunfelrot im Geficht aus. 

Dann ſchwang er fich kraftvoll und behende 
auf die Tonne und maß mit bligenden Auglein 
die Höhe der Latten, welche nun noch blieb. 

Die war nicht mehr der Rede wert, und 
außerdem war juft an rechter Stelle ein Span 
ausgebrochen; in diefe Lüde ſchob Wendl den 
Fuß, faßte droben am Holz an und zog fich 
empor. 

Sein Kopf ragte- über die Wand, und fein 
Herzchen hämmerte in der Bruft. 

Beinah gewaltſam riß er die Augen auf und 


— 67 


ein leiſer Schrei höchſter Uberraſchung Hang von 
feinen Rippen!” 

„Die Welt, Cenzerl! — Seffas! J ieh die 
Welt! 

Und dann verftummte er und ftarrte atemlog ° 
hinaus in da3 ferne, weite Inbefannte, was ji} 
da3 Dirndel neben ihm noch gar nicht vorftellen 
fonnte. 

"Ein paar Augenblicke refpeftierte Creszenz 
die ſprachloſe Verwunderung ihres Spielgenvffen, 
dann aber überfam fie eine heiße, begehrliche Un- 
geduld. 

Sag, was d' ſiehſt, Wendt!“ 

Der Bub atmete nur ſchwer. „O, ſo viel!“ 
klang es beinah wie Stöhnen. 

„Laß mich's auch ſeh'n!“ 

„Hm ...“ 

„Wendl!“ — 

„Hm!“ 

Da kletterte das Dirndel mit zuckendem 
Mündchen unter großer Anſtrengung auch auf die 
Tonne, ſchob Bruſt und Bäuchlein über den Faß— 


boden und zog emſig die Beine nach. Da ſtand 
5* 


—— 


ſie auch droben und faßte des Wendl nackte Beine 
und zerrte und riß daran. 

Der Bub erwachte wie aus tiefem Traum. 

„Sei ſtad, Cenzi! Sollſt auch herauf!” 

Und er glitt behend zurück und das Mädel 
ftellte den Fuß in die Lüde und 309 fich, Hoch. 
Aber e3 war um einen Kopf Kleiner wie fein Spiel- 
genoß und die Augen ftarrten nur gegen das 
Holz und kamen nicht darüber hinaus. 

Da erhob e3 ein Wehgejchrei, halb zornig, 
halb kläglich, der Wendl aber jchlug ihm zum 
erftenmal derb .auf den Mund und fchalt e3 heftig 
aus, daß fein Gefchrei die Großmutter aufmwede 
und dann alle Freud vorbei fei. Das fah das 
Kleine auch ein und glitt leiſe fchluchzend herab, 
der Bub aber fchüttelte e3 aufgeregt am Arm und 
flüfterte; ,,Sei ftad, ich ſchaff's, daß wir alle beid’ 
auf eins hinausfchauen können!“ 

So intelligent hatten de3 Wendl Auglein noch 
nie zuvor gebligt, und er hufchte zum Holzitall 
und holte de3 Vaters handfeſtes Schnitzmeſſer. 

Hei, wie ſchafften die fräftigen kleinen Fäufte! 
Ein Span nach dem anderen flog heraus und 


— 668 


über dem erſten Loch klaffte bald ein anderes, und 
nun konnte Cenzerl bequem noch höher ſteigen. 

Das tat es mit leiſem Jauchzen, und bald 
ſchob es die Stumpfnaſe über das grünmooſige 
Lattenholz und ſtarrte mit glotzenden Auglein in 
die große, fremde Wunderwelt hinaus. — Wendl 
benutzte die untere Lücke, ſich empor zu ziehen, 
und ſo hingen ſie beide an der Wand und zitterten 
vor Staunen und Entzücken an allen Gliedern. 

Sie, die zeitleben3 nur das enge Winkelchen 
des Hofes und den Heinen Garten kannten, welche 
fo hoch von Fels, Haus und Lattenzaun über» 
ragt wurden, daß Taum ein GStüdchen blauer 
Himmel hinein lachte, fie ſahen plößlich eine weite, 
endlosgeftredte Talebene vor ſich, fo weit und 
“fern, daß fie das Ende faum abfehen konnten. 

Der Berg, auf welchem ihr Häuschen ftand, 
fiel Hier fchroff zum Tale ab, die mächtigen 
ſchwarzen Tannen ftanden wie zwei Wände zu 
beiden Seiten und in ihrer Mitte Yag mie ein 
herrliches Bild, das tiefe, bunte Land, jene un» 
befannte, geheimnispolle Welt, welcher alt ihr 
Sehnen galt! 


— 70 


Ja, bunt, rätſelhaft bunt war ſie! — Gelbe, 
grüne und braune Striche zogen ſich kreuz und 
quer über das Land, Felder und Wieſen, deren 
Anblick den kleinen Einſiedlern ebenſo neu war 
wie derjenige des ſchmucken Dörfchens, welches 
wie winzig kleines Spielzeug, halb verſteckt hinter 
Gebüſch und blühenden Obſtbäumen, zu ihren 
Füßen im Grunde lag. 

Weit, weit hinaus ſtreckte ſich dann das Tal 
und ganz in der blauen Ferne, kaum dem Auge 
noch erkenntlich, ſah man einen Kirchturm ragen, 
unzählig viele Häufer darum her und mächtige 
Schornfteine, aus welchen Dampfwolken ftiegen. 

„Das ift die Stadt! G'rad wie auf dem Bild 
fieht fie aus!” erklärte Wendl wichtig: „Und hier 
drunten liegt’3 Dorf — und vor ihm das Helle, 
was fo blinkt, ift Waſſer, — i dent’ mir, dös 
wird dad Meer fein!” 

„Slaub’3 jcho’,“ nidte Cenzi und fchauerte 
vor Andacht zufammen; „ich feh’3 genau, eg 
ſchwimmen meiße Vögel drauf rum!” 

„Gäns' oder Enten, wie der Vata einmal 
tote von drunten "rauf gebracht!” 


— — 


„Und da ſeh' ich Mannerleut und Kinderln!!“ 

„Und Röſſer vor ein’ narriſchen Wagen ...“ 

„Jeſſas dahint!!“ — Das Cenzerl ſchrie laut 
auf vor Entſetzen und wäre beinah abgeſtürzt, 
aber der Bub hielt's noch feſt. 

„Was denn? Was ſiehſt?“ 

„O mei, dös Untier! — ſchauſt net die 
ſchwarze Schlang, die Feuer ſchnauft?“ 

Und das Dirndel wies mit zitterndem Finger 
in die Ferne, wo ſoeben eine Eiſenbahn um eine 
Bergkuliſſe ſauſte, um jenſeits in einem Tunnel 
zu verſchwinden. . 

Auch der Wendl war käſeweiß im Geficht ge- 
tworden und ftarrte der furchtbaren Erſcheinung 
mit meit offenen Augen nad. — 

„A Loch im Teld Hat dös Ungeheuer, da 
wort’3 drin! — Dös is fo a graulig’3 Vieh, 
was die Leut verfchlingt. — Alles ift fo in der 
Welt, wie's im Buch fteht, der Bata hat recht. 
Und fein fehen Tann man alles von hier oben 
und hier 'nauf frareln kann der Feuerdrach nit.“ 

„Wirklich nit? 

„Nie nit! Er hat ja feine Bein’! 


— 72 — 


Das leuchtete dem Dirndel der Lindbäuerin 
ein, ſo daß es erleichtert aufatmete und ſogar 
fröhlich lachte ob ſeiner guten Sicherheit. 

Seit dieſem Tage war es mit der Langeweile 
der beiden einſamen Kinder aus. Sie arbeiteten 
heimlich und emſig an der Lattenwand, daß die 
Löcher bald bequem wie eine Leiter lagen und 
das Aufſteigen auch ohne das Regenfaß vortreff⸗ 
lich vonſtatten ging. 

Der geſchickte Wendl nagelte oben auf den 
Rand der Latten ein breites Querholz, da konnte 
man ſich gut mit den Armen auflegen und ward 
nicht ſo leicht müde und ſchrundig von dem langen 
Hängen. 

Nun ſchauten ſie manche Stunde hinaus in 
die fremde Welt und kannten bald alles ganz ge— 
nau darin. 

Auch Zeit und Stunden, wann der Feuerdrach 
ſein Weſen drunten trieb, hatten ſie bald heraus 
und lagen mit hochklopfenden Herzen auf der Lauer, 
um zu ſehen, wie das Untier mit ſchrillem Schrei, 
dampfſchnaubend aus dem Berg heraus oder 
hineinſauſte, wie es den ſchwarzen Schlangenleib 


ei en 


wand und fchüttelte, und wie oft in der Sonne 
feine Augen blisten. Dann fah man, daß an feinem 
ganzen langen Körper blinfende Augen faßen, und - 
zwei hatte e3 vorn am Kopf, die glühten jogar 
feuerrot in der Dunkelheit und waren rund zu 
ſchauen. 

Das Cenzerl tat anfangs immer noch einen 
hellen Angſtſchrei, wenn das Scheuſal daher ge— 
ziſcht kam, der Wendl aber ſtarrte mit grimmigem 
Blick hinab und verwunderte ſich, daß noch nie— 
mand das Tier kämpfend angegangen habe, um 
es zu töten. Er reckte die kleinen Fäuſte und 
zeigte einen gewaltigen Mut, vermaß ſich auch, 

er wolle mit des Vaters Art hinab und den Drach 
zuſammenſchlagen, worüber dad Cenzerl in Todez- 
angft geriet und fich gar nicht tröften Laffen wollte. 

Gott fei Dank ward der ungeftüme Bub bald- 
anderen Sinns. 

Eines Tags faßen fie wieder auf den Latten 
und fchauten zu Tal, und plößlich fchrie ber 
Wendl —: „Da gud, da gud!! Nun endlich 
fommt einer, der fchlagt ihn tot!” 

Und richtig, au dem Drachenloch im Fels 


— 74 — 


trat ein Mann, der ſtellte ſich kühn auf und ſchaute 
dem böſen Vieh, welches er nicht in ſeiner Höhle 
angetroffen hatte, entgegen. 

Und der Lindwurm jchien das bald zu merken; 
denn er rafte aus dem Zal heran und fchrie und 
pfiff fo furchtbar, daß e3 den Kindern dur Mark 
und Bein ging. Der fühne Mann aber blieb 
trußig ftehn, hob ein Fähnlein, hinter welchen 
ficherlich eine fcharfe Art war — wie der Wendl 
meinte — und ſchwenkte e3 dem Ungetier furdht> 
103 entgegen! 

Das aber ftürzte feuerfpeiend geradeswegs 
auf den Angreifer zu, daß die Kinder mit zittern- 
dem Angſtruf die Hände vor die Auglein drüdten. 

Aber durch, die Finger blinzten fie doch hin— 
durch, und jie fahen, wie das Ungeheuer den Mann 
mit dem Rachen auffchlang und mit ihm in den 
Berg hineinfuhr. 

Nicht ein Feblein war mehr von dem Armen 
zu jehn, und der Wendl war feit jener Stunde 
doch recht Heinlaut geworden und fprach nicht 
mehr davon, daß er hinab molle, das jchlimme 
Vieh zu erjchlagen. 


Hu 


„Wendl?“ fragte die Creszenz eines Tages: 
„Sit dies nun die ganze Welt, die wir dahier 
ichauen ?“ 

Der Bub nidte ernithaft. 

„Ei gewiß! — und id} mein’, groß genug 
iſt fie! Da guck doch, wie weit fie reicht!“ 

„Wo die Stadt Liegt, da iſt das End’? 

„Suftement.” Der Wendl madte ein jehr 
kluges Geficht und fuhr belehrend fort: „Siehft 
den großen, hohen Berg hinter der Stadt? — 
Sa? Na, ſchau, das ilt affrat fo einer, wie hier 
bei uns, und ift dort an den Himmel genagelt, 
wie eine hohe, hohe Wand. — Da Tann fa Menſch 
nit weiter, — da ift die Welt zu End’. — Hier 
über unfern Fels kannſt auch nit ’nüber, der ift 
auch feitklebt an’ Himmel, aber bei uns hier ift 
der Anfang. Und alles, wa3 da unten zwifchen 
Liegt, das ift die Welt. — A Dörfl, a Stadt, 
a Meer und fo viele Bäum' und Menfch’ und 
Viehcher. Arg groß iſt's, — und ich mein, wenn 
wir dahinab wandern wollten, da fämen wir im 
ganzen Leben nit bis an’3 Ende, denn fo weit ift’3, 
daß man kaum noch bi3 Hinfchauen Tann! — Aber 


— 76 


in der Näh' ſehen möcht' ich e3 doch arg gern... ° 
und wenn ich erft mal fo groß und ftarf bin wie 
der Vata ... nahen gang i doch mal Hin!“ . 

Und e3 lag eine heiße Sehnfucht in den hellen 
Rinderaugen, die konnte felbit des Cenzerls größte 
Angft und feine bitterften Tränen nicht daraus 
bannen. 

„Ich nehm’ dich mit!” tröftete der Bub 
ſchließlich, „dann fallen wir una beide an die Hand 
und wandern bi3 ans Ende der Welt!“ 

„A Freud’ haft nit davon!” verficherte da3 
Eenzerl; „denn der Feuerdrach' freßt ung, eh’ 
daß mir hinkommen!“ 

Aber troß diefer troftlofen Überzeugung war 
da3 Dirndel feſt entfchloffen, mit dem Wendl zu 
geh’n; denn ohne ihn konnte e3 nimmer fein, 
und auch der Bub gab e3 in einem ſchwachen 
Augenblid zu, daß das Cenzerl doch die Haupt- 
fache in der Welt fei, und daß es nırgend3 gut 
märe, wo e3 nicht fei! 

Das war ein guter Troft. 


Il 


Und die Zeit 309 langſam, langfam weiter. 
Monat reihte jih an Monat und Jahr an Zah, 
und die Kinder wurden groß, blühend und ftarf, 
— Leib und Glieder wuchfen üppig heran, aber 
die Seele blieb in den Kinderſchuhen fteden, und 
wenn Wendl und Cenzerl mit der Beit auch durch 
einen Bufall erfuhren, daß der Feuerdrach' eine 
gute, harmlofe Eifenbahn, und das vermeintliche 
Meer nur ber Heine Ententümpel hinter dem Dorf 
ſei, — jo fchauten fie dennoch unverändert mie 
ehemals als Heine Haſcherln über den Latten«- 
zaun in die Welt, welche ihrer Anjicht nach immer 
noch hinter jenem fernen Berg zu Ende fei. 

Die Großmutter war ſehr abjtändig geworden 
und Cenzerl bejorgte fchon längſt Haus und Hof 
und fchaffte fleißig und umfichtig wie ein Altes. 

Der Bedhaber hatte eines Tages den Herrn 


un 


Kaplan in das Häuschen geführt, der hatte die 
großen Kinder freundlich angefchaut und ihnen 
gar eindringlich von ihrem Geelenheil gefprochen. 
So oft ihn fein Weg zum Paß führte, fam er 
nun heran und bereitete die Kinder vor, daß fie 
gefirmt werden follten. 

Dazu follte der Aloy3 fie hinab ins Dorf 
bringen, und bei dem Gedanken kam dem Wendt 
und dem Genzerl ein ungeheures Zittern und 
Bagen an. 

Hinab in die Welt! welch ein Gedanke! 

Uber e3 fam anders. — Der Vater nahm 
feinen ftämmigen Bub nun oft mit in den Wald, 
daß er ihm jeinen Dienst beizeiten ablerne; denn 
e3 war de3 Aloys jehnlichiter Wunſch, den Cohn 
dereinit al3 feinen Nachfolger im Amt zu fehn. 

Da hatte der Wendl denn auch beim Holz» 
ichlagen geholfen, und die ſchwere Art war aus— 
gefahren und hatte ihn derb in den Fuß getroffen. 

Da lag er nun im einfamen Waldhäuschen 
und der Vater pflegte und verband ihn. Aber 
fo ganz richtig hatte er es wohl nicht gemacht, 
denn der junge Burſch fonnte wochenlang nicht 


— 79 


gehn und ſtehn, und es war wohl nur ſeine ſo 
urkräftige Natur, welche ſich durchrang und über 
das Verderben ſiegte. Der Kaplan aber, welcher 
juſt vorbei fuhr, mochte wohl auch denken: „Der 
wird nimmer wieder!“ und er ſegnete die beiden 
Geſpielen droben in ihrem einſamen Häuschen 
ein, damit der Wendl doch wenigſtens als Chriſt 
ſterben möchte. 

Der Bub jedoch ſtarb nicht, wohl aber die 
Großmutter, welche man eines Tages ſanft ein— 
geſchlafen auf der Ofenbank fand. Da kamen zum 
erſtenmal Leute aus dem Dorf herauf, welche einen 
Wagen brachten und die alte Frau herabholten. 

Der Sarg hatte ſchon lange auf dem Boden 
parat geſtanden; denn die Alte hatte gemeint: 
„Wann i im Winter ſterb' — wo ſchaffſt mir 
dann mei' letzt's Kaſterl herzu?“ 

Das war alles wunderlich hier droben im 
Hochwald, — ſo ganz anders in allen Dingen 
wie in der Welt drunten, und keiner fragte groß 
danach und jeder drückte ein Auge zu und meinte: 
„O mei! da droben muß alles gehn, wie's geht! 
Da iſt noch eine gar g’mütliche Zeit!“ 


— 80 — 


Nun ging alles im alten Geleiſe weiter, nur, 
daß die Creszenz die blonden Zöpfe um den Kopf 
wand und an Stelle der alten Frau ſehr fleißig, 
geſchickt und ſittig im Hauſe waltete, ſo wie ſie 
es bei der Großmutter ſchon ſeit Jahren gelernt. 

Der Wendl ward auch wieder friſch und kräf— 
tig, nur ſein linker Fuß blieb ein wenig mißge— 
ſtaltet und gebrauchte einen größeren Bergſchuh 
wie der rechte. 

Als der Erzherzog das letztemal zu den 
Herbſtjagden im Schloß anweſend war, hatte der 
Aloys Bedhaber eine Audienz bei dem hohen 
Herrn nachgeſucht und fein demütig und herzlich) 
die Bitte vorgebracht, daß der Wendl als Wild- 
Hüter von ihm dürfte angelernt und in ein paar 
Sahrdeln fein Nachfolger werden — was der Erz» 
Herzog in freundliche Erwägung ziehen wollte. 

Von da an fam eine große, friedliche Ruhe 
über den Beckhaber, und er faß oft in ftillem 
Sinnen auf der Bank vor dem Waldhaus und 
dachte: „Nun kann ich meine Tage hier beſchließen, 
wo mein Kathi heim'gangen iſt, — und der Bub 
wird dahier oben bleiben und das Cenzerl freien, 


= Bl 


und wir all’ brauchen nimmer hinab von unfern 
lieben Berg!” : 

Dann mußte er mit dem Wendl zum Amt» 
meifter und den Bub voritellen. Das war ein 
. großed Ereignis und das Cenzerl jchluchzte vor 
Angſt und Sorge in die Schürze. 

Wendl aber rudte mit bligenden Augen das 
Grünhütel auf? Ohr und ftieg mit dem Vater 
zu Tal, und als er heimfehrte, war er aufgeregt 
wie im Fieber und Tonnte nicht genug bon der 
Welt erzählen, wie arg jchön e3 drunten im Schloß 
und Dorf geweien, und daß er wohl allzeit dort 
feben möchte, —: „mur die Genzi müßte dabei 
jein; denn fo allein jei’3 fei Freud’! Der Wendl 
jagte da3 fo leicht und harmlos, wie er feit Kin— 
desbeinen an auf mit der Creszenz geiprochen 
Hatte, er legte dabei auch die Hand auf ihre Schulter 
and fuhr mit lebhaften Augen lachend fort: 
„Weißt, wa3 fie im Schloß gejagt haben? Zum 
Militär ftellen müßt’ i mich, und zwar in der 
Stadt, fo ſei's Vorſchrift! — Sn der Stadt, 
hörſt', Cenzerl, dort am End’ der Welt, wohin 
mid allzeit ein fo arges Verlangen hin’zogen 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 6 


rd. 


Hat! — Seffas, wie mich das gefreut! Grad’ 
hinaus juchzen möcht’ i! Aber du fahrft mit mir, 
Genzerl, das Hab’ i mir in’ Kopf gejebt; denn 
wenn man fo eine graufig meite Reiſe macht, 
weiß mer nit, ob mer jemals z'rückkommt!“ 

Der Sprecher Hatte e3 nicht bemerkt, wie 
dem Dirndel da3 Blut fo Heiß in das abgewandte 
Geficht gefchoffen war, wie es jetzt plößlich wieder 
fo leichenblaß ward und ihn mit großen, tränen= 
feuchten Augen anitarrte. 

„O mei! — daran därfit nit denfen, Wendt! 
Wer foll dem Vata aufwarten, warın i fortging ? 
— Reißt, wie allein er iſt!“ 

Wendl febte fich auf die Ede des ſchweren 
Holztifches und ſchlug Fröhlich das Bein über. 

Er lachte, daß die fernfeften, weißen Zähne 
blitzten. „Darauf hab’ ich Yängft denkt, und da— 
mit hat’3 fei Not! Nehmen tun’s mid) nit beim 
Militär von wegen mein’ Fuß, und der Amt» 
meifter fagte, wann i mit der Poſt führ’, könnt’ 
i am nämliden Tag noch bi3 zum Dorf z’rüd, 
und wenn i zu Fuß hier heraufitieg, nachen wär 
i am nämlichen Abend wieder daheim! — Da ift 


Zr 


der Vata nit gar viel verlaffen und wir Haben 
ein’ großen Sur und ſchau'n die ganze Welt!“ 

„Sie nehmen’3 dich nit?” wiederholte Cres— 
zenz und hantierte mit bebenden Fingern an ihrem 
Spinnrad. „O mei! wie möcht’ i die Heiligen 
fein bitten, daß 's wahr wird! — Aber ein’ grau- 
fige Angft hab’ i aufm Herzen, Wendl, daß e3 
dir viel gut in der Stadt gefallt, und daß bu 
nimmer wieder 'nauf magft, auf unsern ftilfen 
Bald!” 

Der Burſch Tachte. 

„Da könnteſt ſchon 's Rechte treffen, Cenzerl! 
Nit viel Kurzweil is dahier droben, dös hab' i 
ſchon jetzt im Dorf 'merkt! Aber weißt, wenn 
es uns gar zu arg gut drunten gefallt, nachen 
bleiben wir in der Stadt! J ſuch' a Arbeit, wir 
hol'n den Vata nach und find all’ z'ſamm' kreuz⸗ 
fidel in der ſchönen, bunten Welt!“ Und dabei 
pfiff er ſich eins, griff nach dem Grabſcheit und 
wandte ſich dem Garten zu, wo er die Zwetſchgen⸗ 
bäumchen, welche der Aloys mitgebracht, ein—⸗ 
pflanzen wollte 


Das Dirndel aber blieb gedankenvoll an 
6* 


— 84 = 


ſeinem Spinnrad zurück und ſchaffte mit zitternden 
Händen. 

An die Stunde dachte es zurück, wo es hier 
mit der Großmutter — fünf Tage zuvor, ehe 
ſie ſtarb — auch geſeſſen und geſponnen hatte. 

Da war es plötzlich über die ſonſt ſo ſtille 
alte Frau wie eine beredte Unruhe gekommen. 
„Weißt auch, Cenzerl, daß du gar nit dem Wendl 
ſei' Schweſter und dem Bedhaber fei’ Kind nit 
bit? — Sa, ja! allweil geglaubt haſt's! und 
der Wendel weiß e3 zur Stund' auch nit beffer. 
Aber nit wahr is’! — Gud, das fan fol” — 
- Und nun begann die Großmutter zu erzählen, 
vom Lindhof, dem Lenerl, feiner Ankunft hier 
droben und feinem Todezfturz mit der Poſt! — 
Und die Creszenz faß wie in fprachlofem Entfeben 
und konnte fo viel Überrafchendes gar nicht faſſen. 

„Run feid ihre beiden Hafcherl mitfammen 
groß geworden, und ich fieh’3 alle Tag, daß ihr 
nit voneinander laſſen könnt. — Gut iS, arg 
gut. — No ein paar Jahrdeln, nahen wirſt 
dem Wendl fein Weib und der Aloy3 behalt fein 
warmes Neft.“ 


= 83 — 

Minutenlang blieb es ſtill, dann nahm die 
Sprecherin die bebende Hand des Mädchens zwi— 
ſchen ihre runzligen, welken Finger, ſtreichelte ſie 
und gab dem Dirndel viel guten Rat und ernſte 
Mahnung für die Zukunft, und während des Spre— 
chens ſchon ward ſie müde, und die Worte fielen 
ihr ſchwer, fie lallte noch einmal: „Cenzerl, ver- 
laß den Wendl nit! Sei ihm ein braves und 
treues Weib ... ſchau, er Hat dich viel lieb, der 
Bub!” ... und ſchlief ein. 

Andern Tags wußte ſie wohl kaum noch, 
was ſie dem Mädchen alles geſagt in dem lichten 
Augenblick, die Creszenz aber ſchritt anders daher, 
wie ſonſt, ſchaute ganz verwandelt drein und 
lächelte wie in einem ſüßen, unfaßlichen Traum. 

Wenn ſie den Wendl anſah, ſtieg es heiß 
und rot in ihre Wangen, und derweil er ſo 
unbefangen zärtlich zu ihr war, wie ſonſt, zitterte 
ihr das junge Herz in der Bruſt, und ſie ſenkte 
die dunkeln Wimpern und dachte mit, ſtockendem 
Atem nur immer das eine: „Cenzerl, verlaß den 
Wendl nit! ſei ihm ein braves und treues Weib!’ 

„Sa, Cenzerl! tu dem Wendl fein’ Willen 


ER 


und begleit’ ihn in die Stadt!” nidte Vater Aloys 
und fchob feine kurze Sagdpfeife von einem Mund- 
mwinfel in den andern; „es iſt allweil gut jo, 
und der Bub i3 nit verlaffen und fimmt nit auf 
dumme Gedanken! Schau, Cenzerl, da treiben’3 
viel Hallodria, die Nefruten, und wann du nit 
da bift und heimtreibft, halten fie den Wendl 
drunt' feſt!“ 

„Ja, ja, ich verlaß ihn nit!“ nickte das Dirn⸗ 
del treuherzig; „ich gang mit ihm, bis ans End' 
der Welt!“ 

„No, no! ſo ſchlimm kommt's grad' nit!“ 
lachte der Beckhaber und ahnte es nicht, wie ernſt 
es dem Cenzerl mit dem Ende der Welt war. 

Bis ins Dorf hinab begleitete der Wildhüter 
ſeine beiden Kinder, und als ſie am Morgen mit 
hochklopfendem Herzen vor dem Waldhäuschen 
ſtanden und auf die Poſt warteten, da konnte es 
ſelbſt der kecke Wendl nicht leugnen, daß er vor 
Aufregung bis in die Lippen blaß war. Das 
Cenzerl hatte die Hände gefaltet und betete in 
ſeiner Angſt halblaut daher, — und als es in 
der Kutſche neben dem Wendl ſaß, und die Pferde 


— — 


anzogen, da wurde ſein friſches Geſichtchen kreide— 
weiß und es klammerte ſich an den kraftvollen 
Burſch und flüſterte: „Schau! ehmals haben wir 
den Wurzli reſpektiert, weil er im Schuhwagen 


daher fuhr... und nun ſitzen wir ſelber im 
Poſtkaſtel und kutſchieren mit leibhaftigen Röffern 
daher !” 


Dem Wendl war die Sadhe anfänglich auch 
etwas ängftlih und ungewohnt, aber er nahm 
allen Mut zufammen, lachte, pfiff und tröftete das 
Dirndel in feinem Kleinmut. 

Der Wildhüter faß ſtumm und nachdenklich 
und rauchte feine Pfeife, plöblich legte fich des 
Cenzerls Hand auf feinen Arm und eine halb 


erftidte Stimme flüfterte: „VBata... gel, mei 
Mutter! hat fich in felber Poſt hier zu Tod ge- 
ſtürzt?“ 


Der Beckhaber fuhr empor, als habe ihn ein 
Fauſtſchlag getroffen. 

„Creszenz!“ ſchrie er, „von wen. haft fo a 
.Kund?!“ 

Erſchrocken ſenkte das Dirndel den blonden 
Kopf. „Die Großmutter ...!“ ſtammelte es. 


— 88 


„Die Mutter? — hat ſie's doch vor der 
Zeit ausgeplauſcht?“ rief der Aloys heftig. „Dös 
is nit mei’ Willen geweſt! — Nirx wiſſen ſolltet 
ihr dös ... dös . . .“ und der Sprecher ver— 
ſtummte ingrimmig und murmelte in den Bart: 
„Roc zwei Jahr hätt's Zeit gehabt! ... dös!“ 

Wendl hatte hoch aufgehorcht. 

Er ruckte näher und blickte dem Vater ſtarr 
ins Geſicht. 

„Was ſollt' ich nit wiſſen? Vata ... ſag's 

. was is damit, daß ſich unſer Mutterl tot- 
geftürzt hat!” — 

„Dei Mutterl hat fick nie nit an’ Schaden 
getan!“ rief Aloys heftig, „die i3 fein fromm 
und felig im Bett geſtorben . .. aber dem arm? 
Cenzi ſein's ...“ 

„Dem Cenzerl ſein's? Ei haben wir denn 
nit ein und dasſelbe Mutterl g'habt?“ — ERBE 
der junge Burfch beinah erfchroden. 

„Naa!“ fchrie ihn der Wildhüter kurz und 
barſch an. 

„Da... mei!“ ... was Heißt 685? daft 
etwa — gefreit, Katar — 


— BO: 


Aloys fchlug heftig mit der Fauft aufs nie. 
„So 'ne Untreu’ hab’ ich mein Kathi nit ange- 
tan! Aber a Narretei i3 ’gemweit, daß die Groß- 
mutter geſchwatzt hat!’ — 

Mit ftarrem Blick ſchaute Wendl auf das 
angſtvoll bebende Mädchen an feiner Seite. 

„Da i3 etwan da3 Cenzerl gar nit dein 
Kind ?” 

„Vom Geblüt nit ... aber angenommen 
hab’ ih’3 ... und bleibt’3 auch ... Krutzi Tür- 
fen! dös d' Großmutter geſchwatzt hat!” — 

Dem Wendl ftocdte der Atem. Sein fonnge- 
bräuntes Gejicht, welches erſt jo farblos geworden, 
flammte rot auf. — „Da wär aljo die Creszenz 
gar nit mei’ Schweſter ... oder Halbſchweſter ?” 

„Doch is fies!” ſchrie der Beckhaber grob, 
„mit der Geburt nad, aber um aller Heiligen 
twillen! Und gar nir is anders dadurch! ... fo 
wie e3 feit allen Sahren gemeit is, jo bleibt’3 
auch in Zukunft!” 

„Dös is g’wiß!” nidte Wendl und riß jäh- 
ling3 den Fragen feiner Joppe auf, als fei er 
ihm plößlich zu eng geworden; „aber weißt, Vata, 


— — 


fo a halbe Wiſſenſchaft taugt nix ... und guck, 
fein Zeit haben wir allweil, da könnt'ſt uns gut 
erzählen, wie das alles z'ſammen hängt. Alt 
genug zum verſtehn, ſind wir, mein' i, und wenn 
die Großmutter dem Cenzerl doch ſchon ausge— 
plaudert hat, da nutzt a Verduckeln doch nix mehr!“ 

Der Wildhüter paffte ärgerlich die dicken 
Dampfwolken aus der Pfeife, weil aber des Dirn— 
dels Hand ihn gar ſo angſtvoll ſtreichelte, über» 
wand er die Mißſtimmung und klopfte ſeinem 
Pflegetöchterlein ſchier zärtlich die Wange. 

„Ra, mein’ nit, Cenzi! haft ja Vata und 
Mutterl doch nimmer fennt, und bilt allzeit gern 
bei uns g’weit! — Und ich mein’, du bilt ganz 
und gar mein leibliche3g Dirndel "worden! — 
Wenn die Großmutter dir jchon erzählt hat, wie 
d’ zu und fommen bilt, nahen kann's ja der 
Wendl auch willen!” 

Und der Bedhaber erzählte das Vergangene, 
aber mit viel Schonung für die leichtfertige Lind» 
bäuerin und de3 Diebſtahls an der Toten tat er 
vollends nicht Erwähnung. 

Der, junge Burſch Hatte atemlo3 gelaujcht. 


— — 


Er ſaß mit tiefgeneigtem Kopf und ſtrich nur von 
Zeit zu Zeit über die Stirn, wie einer, dem es 
heiß wird. — 

Das Cenzerl ſah er nicht viel an und als 
der Wildhüter geendet, ſagte er nur voll ver— 
legener Heiterkeit: „Dös is mal g'ſpaſſig, und 
nix vermutet hat mer ſich! Aber ich mein', keine 
eingeborenen Geſchwiſterln haben ſich beſſer ver— 
tragen kunnt wie das Lindenbauerdirndel und ich! 
Gel’ Cenzerl, fein ſchön auskommen find wir mit— 
einand?“ — 

Da nickte ihm die Creszenz dankbar zu, und 
weil der Wildhüter ein Frühbrot verlangte, packte 
ſie geſchäftig ihr Körbchen aus und bot ihm das 
Schwarzbrot mit Käſe dar. 

„Magſt' auch ein, Wendl?“ 

„Naa, — noch hungert's mich nit!“ 

Und dann ſaßen fie ſchweigſam ... und die 
Poſt Holperte ſchwerfällig zu Tal 

Wendl drehte feinen Grünhut zwifchen den 
Händen und ftarrte in den Hochwald, welcher die 
Fahrſtraße fäumte, hinaus. j 

Es war ihm fo mwunderli im Kopf. 


. 


Warum hatte er es fich eigentlich fo ſehr ge— 
wünſcht, in die Welt hinaus zu fommen? Ganz 
unklar war e3 ihm plöglid. Eine Unruh mar 
über ihn gekommen, feit im lebten Herbit ein 
junger Forftläufer beim Holafällen mit ihm ge- 
ſcherzt hatte. 

„Ra, Wendl, allweil allein Kauft du droben 
am Pak?“ 

„Nit allein! Der Bata und mei’ Schwefter 
find -ja daheim!” 

„a Schweſter!“ Der andere hatte hell auf- 
gelacht, „a Schweiter ift doch fein! Schatz, Wendl, 
und fo ein ſakriſch feicher Bub wie du muß doch 
fei Dirndel küſſen!“ 

Die Worte waren ihm wie Funken in das 
Herz gefallen und brannten e3 mund. 

Sa, ein Dirndel küſſen! 

Welch ein narrifcher Gedanke. 

Nur das Cenzerl mochte er leiden und hatte 
e3 lieb... gum Sterben lieb... aber e3 war 
feine Schweſter, und fo viel hatte er ſelbſt in feiner 
Einſamkeit erfahren, daß man eine Schweſter 
nicht freien fan. Auch das hatte ihm der Fort» 


EB 


läufer Har gemadt. Da mar die Unruhe, die 
quälende, unverftandene Sehnſucht über ihn ge— 
kommen. 

„Geh' nur hinab unter die Leut'! da find'ſt 
bald ein blitzſauberes Dirndel dös d' noch taufend- 
mal lieber haſt, wie dei Schweſter!“ hatte der 
Forſtläufer ihm lachend verſichert. 

Nun zog's ihn voll krankhafter Ungeduld 
hinab, und als er mit dem Vater ins Dorf und 
Schloß kam, da brachte ihn das Heimweh nach 
dem Cenzerl ſchier um! — 

So ging's nit an! — Mit ihm gehn muß 
das Dirndel, dann hat er Ruhe und dann findet 
er wohl eher einen Schatz, — das Cenzerl hilft 
ihm ſuchen, und was ihr gefällt, das kann er wohl 
auch lieb haben. — 

So narriſch war alles in ſeinem Kopf, gar ſo 
narriſch, — er fand ſich ſelber nicht aus damit! — 

Und nun? — 

Jeſſas im Himmel, das Dirndel ift ja nie 
im Leben fei’ Schwefterl weſt!! — 

Das iſt fo plöglich gefommen, wie ein Schlag 
vorn Kopf. 


— 94a — 


Zuerſt hat's ihn döfig gemacht, aber num 
fommt’3 über ihn wie eine ganz tolle, übermütige 
Heiterkeit, und er fängt aus dem Gtegreif an 
zu lachen und Hat plötzlich Hunger und mirft’3 
Hütl in die Luft und jest’3 jähling3 dem Philarl’, 
welches mitgefahren ift, auf die fpigen Ohren. 

" „Bub! was find 853 für Faren!“ acht der 
Beckhaber und beobachtet unter den bufchigen Wim- 
pern hervor den ſchmucken Burfch, welchem alle 
Gedanken fo gar deutlich in dem frifchen Gejicht 
zu leſen ftehn, „da gud, Cenzerl! da fangt der 
Hallodria ſchon an!“ 

Sm Dorf fteigt der Wildhüter aus, nachdem 
er die beiden jungen Leute noch mit viel guten 
Ermahnungen und Weifungen für die fremde 
Stadt ausgerüftet Hat, — zu feiner Beruhigung 
fteigt der Gendarm ftatt feiner in die Poft und 
verfpriht dem Aloys, daß er für die beiden 
jungen Leute forgen und dem Wendl fogleich den 
rechten Weg weiſen mill. 

Diemeil die Magd des Dorfwirtshaufes dem 
Poſtillon noch einen ſchäumenden Bierfrug empor» 
reicht, ftehen Wendl und Cenzerl neben der uns 


— — 


gefügen großen Kutſche, um einmal friſche Luft 
zu ſchöpfen. 

Mit lebhaften, ſchier hungrigen Blicken ſchaut 
der junge Burſch um ſich und wieder prickelt ihm 
alle Jugend» und Lebensluſt durch die Glieder. 

„Da gud, Cenzi, gefallt’3 dir nit auch arg 
gut dahier in der Welt? Gel iS das Dorf bier, 
das Schaut in der Nähe doch noch viel Luftiger 
drein, wie droben von der Lattenwand!“ — 

Er flüftert e3 leife und aufgeregt und neigt 
fich noch näher zu dem Dirndel. „Al die vielen, 
ſchmucken Häufeln beifammen! und fo viel Leut’! 
und allmeil Gelächter und Kurzweil! Wie i mit 
dem Bata im Schloß war — meißt, am Sonn= 
tag! — da haben’3 hier in dem Wirtshaus grad 
a kreuzfidele Muſik macht, und getanzt haben's 
und getrunken, o mei’! wann d' dös gefchaut 
hätteft, Cenzi! — Und wie mag da3 nun erft 
in der Stadt fein! J mein’ doch, warn e3 ung 
fo arg viel gefallt, bleib’n wir all beifammen 
dahier unten!” 

Der Lindbäuerin Tochter ſchaute fich nur mit 
großen, angftvoll ftarren Augen um, als fei all 


— 8— 


das Fremde um ſie her ein ſchlimmer Traum, 
welcher ſie fürerſt mehr ängſtigt wie erfreut, — 
ſie hatte auch keine Zeit mehr zu einer Antwort, 
denn der Schwager ſtrich mit dem braunen Hand— 
rücken die letzten Schaumflocken von dem grauen 
Schnauzbart und wandte den Kopf. 

„Steigt's ein, ihr Leut, — i fahr'!“ 

Dazu knallte er mit der Peitſche und der Beck— 
haber ſchob mit den letzten guten Ermahnun— 
gen feine beiden Weltreiſenden in die Kutſche 
hinein. 

Fort ging's, und die Cenzi rüdte noch angft- 
voller neben den Sugendgejpielen, während der 
Gendarm fein Pfeifchen anſteckte und freundlich 
zu ſchwatzen anhub. Der Wendl überwand fehnell 
da3 letzte Gefühl von Unbehagen, welches die Auf- 
regung über all das Neue auch ihm fchuf, und 
ftand dem Hüter des Geſetzes Ned’ und Antwort, 
erzählte von droben, dem Hochwald, daß im letzten 
harten Winter gar mieder zwei Bären an den 
Zaugenspiten von den Förſtern eingefpürt feien 
und was e3 ſonſt an Bejonderem da gab. Dann 
aber forſchte er fleißig nach der Stadt und all 


a. 2 


ihren fremden Wundern, und der Gendarm 
ſchmunzelte und erzählte mit gewichtiger Miene. 

„Ra, Augen wirft machen, Wendl, über all 
die Feinheit! So a Getreib und Gefpreiz fennt 
ma dahier auf'm Land fhon gar nit! Und Wei- 
berleut kannſt jehn, dös d' glei’ meinft, du ſchauſt 
alle Engerln im Himmel beiſammen! Aber fein 
Obacht mußt geben, dös d’ net an jo am’ fadrifchen 
Enger! hangen bleibſt!!“ — Der Sprecher lachte 
dröhnend auf und zwinkerte der Cenzi verichmibt 
zu. „Und vollends du, Dirndel, ſei arg auf der 
Hut! So ein bildfaubere® Blut wie du haben f’ 
nit oft in der Stadt und die Manner fennen ich 
aus auf was Neues! Da mwird’3 nit lang dauern 
und du haft an jedem Fingerl a Scha bangen!“ 

„Ro, no!” fuhr der Wendl auf und fchaute 
ganz wild auf das heißerglühende Mädchen, „daran 
ift dem Cenzerl fein gar nir gelegen und i mein, 
wann i an feiner Geit’ fteh’, nachen halt fich 
jeder andere fern!“ 

Der Gendarm machte eine Bewegung mit der 
Hand und paffte ein paar dide Rauchwolfen. „A 


Bruder hat da gar nir zu fchaffen bei!“ lachte 
N. dv. Eſchſteuth, Am Ende ber Welt. 7 


— 98 — 


er vergnügt. „Glaubit, jo a Saframenter, der 
um a Dirndel lauft, fragt viel danach, ob’3 a 
zweiter erlaubt? O mei’! was raufen’3 allweil 
um jo a Madl!“ 

„Raufen tun's?“ rief da3 Cenzerl entſetzt, 
„Jeſſas, nur dös nit!” 

Der Wendl aber reckte ſich hoch auf und alles 
Blut Schoß ihm ins Geficht. 

„Und...und... mann i fagen tät, bie 
Creszenz ſei allmeil mei Schag 

Wieder lachte der Gendarm und machte einen 
Ruck mit den Schultern, al3 wollte er fagen: bilt 
du a Damifcher! 

„Du kennſt fo a Stadt und die Leut' noch nit, 
Wendl! Ob's du ſagſt ‚mei Schab‘ oder nit, daran 
halt fich kein's. — Grad des is der Jux bei den 
Buam, dös einer dem anderen fein Schatz ab- 
fpenftig macht! Da raufen’3 und ſchlagen's fich 
z'ſamm' und wer den Gieg hat, der hat auch's 
Madel, denn meiht, leichtfertig und eingebild't 
werden die Frauensleut fein jehr in der Stadt 
und fpielen fih auf damit, wer'n fchneidigiten 
Liebften Hat! Na, ich mein, Wendl, du, mit deine 


=’ 


Fäuſt ſchaffſt ſchon was, und warn dir's Dirndel 
nit felber'n Laufpaß gibt um ein’n, der firer oder 
reicher is, nachen halt’ft du allweil den Sieg!“ 

Der junge Burſch ftarıte den - Sprecher an 
und murmelte durch die Zähne: „So'ne Madeln 
gibt's a?” 

„Wendl, du kennſt die Welt noch nit!“ nidte 
der Gendarm fehr behäbig und würdevoll. „Schau, 
in mein’ Amt lern’ i gar mancherfei Leut kennen. 
O mei’, wieviel Loderer und Flanken hab i fchon 
hinter Schloß un Riegel bradt, und wieviel - 
ichlehte Weibsperfonen hab’ i aufn Tanzboden 
z'ſehn kriegt! Da lernt's eine von der andern 
und dös i8 3 Malheur! — Und was i euch jagen 
wollt: Habt Obacht auf eure Tafcheln, dös euch 
fei LZangfinger die Münz ftiehlt. Trauen därf 
ma in der Stadt feinem einzigen, und wann’r 
noch fo a kreuzbrav's Geficht macht. J ſag' dir's, 
Wendl, du kennſt die Welt noch nit! — Da droben 
in dein' Hochwald, da biſt Herr und König, da 
wagt ſich kei Marder an dein’ Taubenſchlag und 
fimmt Ta Dieb, der dir dein’ Schaf ftiehlt, aber 


da hier unten...'o mer’, — fo a Falichheit 
7* 


— 100 — 
und Hinterliſt laßt's dir gar nit träumen!“ Und 
der Sprecher ſpuckte verächtlich aus, nahm eine 
Priſe und nieſte herzhaft drauflos, und derweil 
er ſich ſchnäuzte, ſah man nicht, wie er verſchmitzt 
in den Bart lachte. 

Hätte es nur der Beckhaber hören können, 
wie er daher redete! 

Na, der hätte ſeine helle Freude dran gehabt. 

Ganz ſtill und ſchweigſam ſaß der Wendl 
plötzlich und ſtarrte nieder auf ſeine Nägelſchuh 
und zerrte an dem dunkeln Bartflaum der Ober- 
lippe. 

Oft glimmte es in feinem Blick auf wie Un» 
glauben und Mißtrauen, aber die Hochachtung 
vor dem Manne des Geſetzes kämpfte gegen die 
Bmeifel, welche in ihm laut wurden. 

Endlich räufperte er fi und fah mit fchnel- 
lem Geitenblid nach dem armen Tenzerl, welches 
ganz blaß und mit bebenden Lippen immer angit- 
voller in feine Wagenede kroch. 

„Weißt, Gendarm,” fagte er mit rauher 
Stimme, „du haft mit deinen Worten dem Dirn- 
del allen Mut g’nommen. Nun tät i di fein bit- 


— 101 — 


ten, hüt' das Cenzerl, bis i mei’ Sach auf dem 
Amt ab'macht hab’. — Der Vata meint, jo lang 
dauert’3 nit, weil der Offizier auf'n eriten Blick 
an mein’ Fuß fieht, daß i freifommen muß. — 
Derweil bleibſt beim Cenzerl, gel? damit’3 Ta 
Schaden nimmt in der fremden Stadt!” — 

„Der Bata hat gemeint, ich joll im Wirtshaus 
ſtill fiben bleiben und warten, bi3 daß du z’rud 
kommſt, Wendt!“ — flüfterte das Lindbauermädel 
saghaft zu ihm auf, der junge Burſch aber fchüt- 
telte mit finfterm Blid den Kopf, daß fein Grün- 
hütel tief in die Stirn fiel und antwortete barfch: 
„Nix damit! 3 will nit, daß d’ allein und ver- 
lafjen ſitzt! — Vorm Gendarm feinem Wams 
und Käppi haben’3 a Reſpekt und laſſen dich aus, 
die Loderer!“ 

„Sei nur ftad, Wendl! J bleib dabei! Recht 
Haft, fo ein blißfauberes Madel wie dei Schweſterl 
laßt ma nit unbehüt’, das Cenzerl iS fo viel 
unſchuldig und kennt fi nimmer aus auf die 
feinen Stadtherrn. Bei mir aber i3 's ſicher. — 
Nach'n fig’ i beim PDirndel und mir trinfen a 
Maß, und warn du frei bift, fchlandern wir durch 


— 12 — 


die Stadt, dann feht'r, wie’3 da ausſchaut. Nach'n 
aß'n ma a Geſelchtes oder gute Weißwurſteln im 
Wirtshaus und fchauen zu, was dös für’n Getreib 
is, denn weißt, heut’, mo all die Rekruten ein- 
Iommen, da is rein der Teufi los! Um ſechs 
Uhr fahrt die Poft z'ruck, da könnt ihr heim und 
dem Bedhaber alles vermelden, — o mei’! Zu 
erzählen mwerd’3 ſchon genug haben!“ 

Der Wendl atmete tief quf und reichte dem 
Sprecher zum ftummen Dank die Hand, die Cres⸗ 
zenz aber fchlug mit zitterndem Angitichrei die 
Hände vor das Geſicht. 

„Der Teuerdrah! — Jeſſas Maria! — er 
kimmt!“ — Die Poft hielt am Bahnwärterhaus 
vor der gejchloffenen Barriere, der Zug ſauſte 
mit ſchrillem Pfiff heran und raffelte wie ein 
Spuf fo traumhaft geſchwind vorüber. 

Der Wendl zudte wohl zufammen, aber er 
ſaß hoch aufgerichtet und ſtarrte voll brennender 
Neugierde jenes Ungeheuex an, welches er lange 
Jahre hoch, hoch vom Gebirge herab voll Furcht 
und Grauſen angeſtarrt hatte. 

Wunderlich genug war es auch in der Nähe 


— 18 — 


und der Atem konnte einem wohl ftoden bei feinen 
Anblid, aber es war ſchnell vorbeigeraft, dide, 
weiße Dampfwolken hüllten momentan die Poſt 
ein, dann öffnete der Wärter den Schlagbaum 
und die Pferde zogen gelaſſen an. 

Wendl atmete hoch auf, und weil der Gendarm 
über da3 entjeste Dirndel lachte, fo lachte auch 
der junge Burfch, aber weil da3 Cenzerl gar fo 
elendig Ichluchzte, freute er fich der Gelegenheit, 
e3 bei der Hand nehmen zu können, und aus 
lauter Vergeßlichkeit hielt er feine bebenden Fin— 
gerchen feit, — immer zu, bi3 fie in die Stadt 
famen. 

Daß fie fich diefer näherten, merkten fie bald 
an dem lebhaften Getreibe, welches ſich plötzlich 
auf der Straße entmwidelte. 

Mehr und mehr Wagen fuhren daher. Auf 
vielen faßen Landleute und junge Burfchen mit 
Bändern und Sträußchen an den Hüten, — viele 
wanderten auch zu Fuß vorbei, den Stod mit 
dem gefnüpften bunten Sacktüchel auf der Schul⸗ 
ter. Wenn die Poſt ſie überholte, taten ſie zum 
Gruß einen hellen Juchzer und ſchwenkten die 


— 14 — 


Grünhütel, und Reiter trabten vorbei und klopften 
übermütig mit Hand oder Stod an die Feniter- 
fcheiben der Poft. 

Ein paar Löslbuam waren fonderlich dreift 
und fohritten neben der Kutfche Her, dieweil diefe 
langjam den Berg Hinauffuhr. Sie ſchauten auf 
da3 Cenzerl, nicten ihm zu und fingen voll Über- 
mut an zu fingen. 

Dem Wendl ſchoß wieder dad Blut in die 
Stirn und er padte den Alpſtock fefter mit der 
Rechten, der Gendarm aber Iegte ihm die Hand 
auf das nadte Knie und fagte ftreng: „Ka' Faren, 
Wendl! Die jungen Leut’ find nit uneben und 
fingen eins, — dös Tann fa Menſch ihnen ver- 
wehren. Halt dich fein ftad, dös d' fa Rauferei 
anfängft, fonft ſtecken fie dich ins Loch und das 
Cenzerl iS mutterfeel verlaffen unter den Man- 
nern!” — 

Das Half. 

Der junge Bedhaber biß die Bähne zufammen 
und fchaute fortan fehr gleichmütig drein, dag 
Dirndel aber klammerte fih noch ängftlicher an 
ihn und flüfterte: „Hätt’ft mich nur daheim ge- 


— 15 — 


Iaffen, Wendl! Dahier hab ich doch fa Freud 
nit!“ 

„Di kimmt ſcho'!“ flüfterte er entgegen, „is 
dös nit a Spaß, daß mir felband bi ans Ende 
der Welt fommen find? Guck, gleich i3 fo meit, 
— i fieh ſchon den Berg himmelhoch vor uns 
tagen und’ die Stadt meld’ ſich auch ſchon an!" — 

Sa, fie meldete fich, einzelne Häufer in präch— 
tigen Gärten tauchten auf, und bald fchrumpften 
diefe zufammen und die Häufer drängten ſich 
enger und enger zufammen, wurden fo hoch, daß 
man kaum noch das Dad fah, und die Wagen 
taffelten durcheinander, Menſchen über Menſchen 
eilten daher, fo viel an einem Fleck, wie die beiden 
einfamen Hochmwaldfinder im ganzen Leben noch 
nicht beifammen gefehen hatten. 

Das Eenzerl fchaute mit großen, weit offenen 
Augen umher. 

. Seine Bangigfeit ſchien fich plöglich zu ver— 
Tieren, lachende Überrafchung, größtes Staunen 
malte fich in feinen Blauaugen, und plößlich blies 
e3 die Baden auf, drüdte die Hand mit den ge- 
fpreizten Fingern vor den Mund und pruftete in 


— 106 — 


fchallender Heiterkeit Io: „Jennerl über jo was! 
Sind’3 denn allefamt verrudt dahier, die Weibs— 
leut? Da ſchau, Wendl, was für a narriches 
Werk fie auf'n Kopf jest haben! und die Gewan— 
dung fchlampert um die Füß' big auf die Erd’ 
und fchleift in allem Dred daher!” 

Auch der Wendl ftarrte die modernen Stadt- 
damen höchſt betroffen an und murmelte: „Sa, 
an’ gefunden Verftand Fönnen die nit haben!“ — 
Aber er lachte nicht fo luſtig wie da3 Dirndel, 
welches foeben über einen feuerroten Sonnenſchirm 
vollends außer fich geriet. „Und die da hat ein’ 
Vogel derwürgt und ihn aufn Strohdedel 'ſetzt 
und tragt ihn nun auf'm Kopf daher! und jene 
da hat Blümeln gerauft, jo viel, dös a Kuh fich 
n Magen dran verplast, die bringt’3 auch wieder 
aufm Kopf daher... und die Haar hangen ihr 
allweil in die Augen und von den Ohr'n hat’3 
fie auch nit wegfämmt! Wendl, gud nur... ih 
mein’, die ganze Welt hat an’ Rappel kriegt!“ 

Der Gendarm lachte, daß er ſich bog, und 
Tagte nur: „Willſt wohl biſchbern, Dirndel! Wann 
die Damen hören, wie d’ ihre Gewandung 


— 17 — 


ſchimpfierſt, kratzen |’ dir die Augen aus!" — 
Aber das Cenzerl ſchien ganz außer dem Häuschen. 

Es hob den Finger und deutete erjtaunt auf 
ein paar ſchmucke Soldaten: 

„O mei! und da die Mannerleut! — die ſehn 
aber viel ſchön aus! — Gud, Wendl, a Wams 
mit blanfen Knöpferln und grün und rot... 
dös fann ein’ wohl gefallen, gel?” 

„Nix gefallen kann's ein’! fchrie der Wendl 
gornmutig und Ddrüdte den Beigefinger vom 
Dirndel unwirſch herab: „tät grad noch fehlen, 
dös d' auf folde Flanken ſchauſt! Sag's ihr, 
Gendarm, dös a reputierlihes Madel nie nit 
nach'n Soldaten ſchaut!“ 

„Sell is wahr!“ nickte der Gendarm, ſchnäuzte 
ſich abermals und rollte das erſchrockene Cenzerl 
über’3 Sacktuch hinweg gewaltig mit den Augen 
an. „Allweil weg mußt guden, wann ſolch arge 
Gefellen daher fommen! Aber d53 i3 pudelnarrſch, 
Wendl, dös felbit die unfchuldigften Dirndeln alf- 
foglei’ vom bunten Tuch einifangen find! — Na, 
und nu’ fteigt’3 aus, Leutz; dahier ift die Poſt— 
balterei, da fpannen3 die Röffer aus. Den Wendl 


— 18 — 


bringen mer allfoglei’ auf's Amt, und i verwahr? 
fo Yang dei Schweiter und wart’ mit ihr im 
‚Weißen Hirschen‘, bis daß d' dei Sach abmwidelt 
haft!” — 

Damit Hatte der Wendl viel Glüd, denn es 
ging alles glatt vonftatten, und doch deuchte e3 
dem ſchmucken Burfch eine wahre Emigfeit, welche 
er in dem fchwülen, niedrigen Saal verbringen 
mußte. Eine fiebernde Angft und Unruhe hatte 
ihn erfaßt, feit der Gendarm von all den Loderern 
und nichtsnußigen Flanken erzählt hatte, welche 
einem Bub’n fein Dirndel megitehlen. Seit nun 
das Cenzerl die Soldaten jo gar ſchön genannt, 
war e3 vollends um des Wendls Ruhe gejchehen. 

Die Fröhlichkeit d23 Dirndels ängftigte ihn 
und feine Fäufte bebten ihm, als möchte er gleich 
die ganze Stadt zufammenfchlagen. 

Ganz und gar nicht gefiel es ihm mehr in 
der Welt, zuwider bis an den Hals war fie ihm 
ſchon jest, und als er fich in feiner Sorge ums 
Dirndel nach dem Saalfenfter drängte, um nad) 
ihm auszufhauen, da kam ein Feldwebel oder 
General — der Wendl kannte ſich noch nicht auf 


— 19 — 


den Unterfchied aus — der padte ihn grob am 
Arm, ftieß ihn zurüd und nannte ihn ein’ Frechen 
Lümmel, der fonder Reſpekt dahier herum ftol- 
pere! 
Wäre der Grobian nicht ein alter Mann ge» 
weſen, hätte der Wendl ſolchen Schimpf nicht ein- 
gefteckt, aber fo würgte er den Born hinab und 
dachte: „Wann i ein’ Streit anfang’, fomm’ i 
gegen all die vielen doch nit auf, und wann ſ' 
mich ins Loch fteden, i3 mei Cenzerl mutterjeel 
verlaffen!” — 
Aber als er entlafjen war, rannte er davon 
wie ein Unfinniger, ftieß auf der Straße gegen 
einen feinen Herrn, der ihn einen Erzflegel um 
den andern hieß, feinen blanfen Schornfteinhut, 
welcher ihm vom Kopf gefallen, mit dem Ärmel 
glatt ftrich und mit der Polizei drohte. 
i Als der Wendl in feiner Verwirrung eilig 
davonitiefelte, geriet er zwifchen die Wagen auf 
der FSahrftraße und ein Roß rannte ihn fchon 
gegen die Schulter, daß er taumelte, der Kutfcher 
hieb mit der Beitjche nach ihm und hub ein grauen- 
volles Schimpfen an über fo ein’ Bauerndalf, 


— 10 — 


der zwei Gloßaugen im Kopf hat wie die Mühl- 
ftein’, aber nit mal a Wagen damit jehn Tann! 
— Alle Leute ftanden ftill und lachten und dem 
Wendl Schoß alles Blut in den Kopf und er hätte 
fi mögen auf den Schwätzer werfen, ihm da3 
Kreuz abſchlagen, — aber er dachte an das ver=- 
laffene Cenzerl, biß ingrimmig die Zähne zu— 
fammen und ging davon. 

Im Gafthof zum „Weißen Hirfchen” fand 
er e3 neben dem Gendarm jiten, jedes hatte einen 
Maßkrug vor fih und fchauten auf die Gaffe 
hinaus, welche dem Dirndel eine große Kurzweil 
ſchien. 

Es ſchwatzte und lachte wie daheim und hatte 
alle Scheu verloren. 

Das erſchreckte den Wendl vollends. 

Unwirſch ſetzte er ſich hin und ſtützte den Kopf 
in die Hände, hatte auch gar kein' Schneid darauf, 
einen Spaziergang durch die Stadt zu machen, 
als aber das Cenzi ſo lieb darum bat, ſtand er 
auf und ſprach: „In Gottes Namen, — aber i 
ſag dir's im voraus, — gefallen tut mir's dahier 
nie und nimmer nit!“ 


— 11 — 


Er ſchritt auch mit finfterm Blick daher und 
achtete nicht viel auf Häufer, Türme, Schauläden 
und gepuste Menfchen, nur auf das Cenzi paßte 
er, ob’3 etwa nad einem Soldaten ausfchaue, 
oder ob vorübergehende Mannerleut länger als 
nötig da3 faubere Dirndel anladıten. 

Dabei hielt er e3 feit an der Hand — „damit, 
daß d’ nit zwilchen die Wagen kimmſt!“ ſagte 
er, und dieweil der Gendarm ihnen jo arg viel 
Schönes, Wunderliches, Tremdes und Unbegreif- 
liches zeigte, daß ihnen der Kopf brummte und 
felbit das fröhliche Madel blaß und ftill wurde, 
dachte er nur eins in feinem Herzen: „A Schand- 
melt i3 ’3, und a Schandwelt bleibt’, und auf 
mi braudht’3 nit zu fpefulieren, — mich ſiehcht's 
all mei’ Lebtag nit wieder.“ 

Auch dem Cenzi war’3 recht, daß fie endlich 
in den „Weißen Hirschen‘ zurüdgingen, um „eins 
z' eſſen“ — und der Gendarm drüdte ihnen die 
Hand, Hopfte dem Cenzerl noch freundlich die 
Wange und ſprach: „Nun müßt’3 mal allein fertig 
werden, i gang und eff’ bei mein’ verheirateten 
Sohn. — Halt die Augen auf, Wendl, döß d’ 


— 12 — 


nit betrogen wirft und döß 's Cenzi nit zu Schaden 
fimmt. Un’ a Ruh gib un’ bleib’ allweil ftad, 
fonft arretiern’3 di! — Kennſt die Welt noch nit, 
Wendl! J hab's g'ſagt.“ 

Nun ſaßen ſie allein in der großen, niederen 
Wirtsſtube des „Weißen Hirſchen“ und aßen „a 
Kraut mit Sped“, und weil der Gendarm nicht 
mehr bei ihnen war, fühlten fie fich jehr verlaffen 
und preisgegeben. Der Wendl wollte ſich das zwar 
nicht merken laſſen, aber behagli war e3 ihm 
nicht, und vollends ala er den Lederbeutel aus der 
Tafche 309, um zu bezahlen, fam ihm feine Lage 
doch recht verzweifelt vor. 

Ein nicht allzu fauberer Hausknecht ftellte 
ſich breitfpurig vor ihm auf und rechnete mit ſchier 
unheimlicher Gejchwindigfeit eine Menge Kreuzer 
zujammen, die zu bezahlen jeien. 

Der Wendl mar wieder blutrot bi unter die 
Haare; denn wenn feine Hafelnüffe auf dem 
Tifche lagen und nicht viel Zeit und Weile zum 
Rechnen war, dann jah e3 doch gar bedenklich mit 
diefer Kunſt aus. 

Aber merken Taffen wollte er ſich dag doch nicht. 


— 13 — 


©o legte er mit ſchwerem Drud einen blanfen 
Silbergulden auf den Til. 

‚Da zieh’ ab!” fagte er. 

Der Hausfnecht ſah noch verfchlagener aus 
wie fonft und zudte die Achleln. 

„Was ſoll der Larifari! Glaubft denn, der 
eine Gulden reicht, wenn zwei Leut fich daher 
fegen und ein halb’ Faß Kraut verfchlingen 9 

Der Wendl befam einen Schred, lachte ein 
menig verlegen und legte den zweiten Gulden dazu, 
— da3 war all fein Reichtum, welchen er bei 
fich führte. 

Der Hausfnecht ftrich das Geld ein, wühlte 
baftig in feiner Ledertafhe und warf ein paar 
Kupfermünzen auf den Tifch zurüd. 

Er rechnete dabei abermal3 mit finnverwir- 
render Schnelligkeit, drehte fich furz um und ging 
davon. 

Verblüfft fchaute der Wendl auf die wenigen 
Heller nieder. 

„Dös ftimmt nit, Cenzerl!” fagte er grollend, 
„da müſſ'n mer halt nachrechnen.“ 


Und nun faßen die beiden und zählten laut 
N. dv. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 8 


— 14 — 


5 und umftändlich an den Fingern, und nach langer 
Zeit waren fie überzeugt, daß fie arg betrogen 
feien! 

„So a Lump! fo a Stoanefel elendiger!” 
fchrie der Wendl zornmutig und fchlug mit der 
Fauft auf den Tiſch. „Dös vermeld’ i dem Wirt!” 

Und da diefer juft in die Tür trat, fprang 
er auf und erzählte ihm mit erregten Worten, was 
da. vorgefallen jei. 

Der die Alte zudte nur mit einem nicht 
allzu freundlichen Geficht die Achſeln. 

„Da hättft mi gleich rufen müſſen! Sebt 
farn a jeder daherfommen und fagen, er hätt’ 
zu wenig 'raus friegt. Wann d’ fei’ Zeugen haft, 
nützt dir dös Namenten fein gar nir. Wann d’ 
in die Stadt kimmſt, mußt rechnen können, fanft 
bift allweil blamiert!” 

Wieder Tochte das heiße Blut Hinter des 
Burſchen Schläfe, aber er fah den flehenden Blid 
des Cenzerl und hörte jein leifes: „Sei ftad, Wendl, 
e3 bringt dir nur a Schand!” Da lachte er in- 
grimmig auf und feste fih auf feinen Plab 
zurüd. 


— 15 — 


Noch eine ganze Stunde währte ed, bis bie 
Poſt zurüdfuhr. 

Ganz und gar feinen Jur machte es ihm, 
zum Fenfter nauszufchauen, und wenn das Dirndel 
fi auch bald tröftete und den Verluft der Gulden 
verfchmerzte, jo fraß fol} ein Falſch und Betrug 
dem Burfch doch wie Gift am Herzen und ließ 
ihn immer finfterer und feindfeliger dreinfchauen. 

Das Cenzerl verluftierte fich derweil am An— 
blid der Stadtleute und lachte juft wieder jo recht 
aus vollem Halje über einen Bhlinderhut und 
das buntjchottifche leid einer Touriftendame, als 
ein paar Rekruten vorübergingen und ihre Bän- 
derhüte mit hellem Jodeln dem fröhlichen Dirndel 
entgegenfchwenften. 

Wendl biß die Zähne zufammen und tat, als 
fähe er folche Kedheit nicht, al3 aber die Burschen 
noch einmal umfehrten und fich dem Cenzerl noch 
bemerflicher machten, da murmelte er: „So ’ne 
Dal, el’nden! Sch ſag' dir, Cenzi, kehr' dich ab 
und fchau’3 nimmer an!“ . 

Das tat die Kleine ſofort und all ihre Heiter- 


feit wich wieder einer großen Bellemmung, ber 
8* 


— 16 — 


Wendl aber ftampfte zornig mit dem Fuße auf, 
denn die drei Lösbuam traten in die Wirtzftube 
ein, festen fich unter Lärm und Lachen an den 
nächſten Tifh und führten laute Reden „über 
das bildfaubere Dirndel, dös ma glei’ auf'm Plab 
bernehmen und abbuffeln möcht’ !“ 

„Ich hör's gar nit, Wendl! Ich bitt' dich, 
bleib’ ſtad!“ flehte Cenzerl zu dem Bornbeben- 
den auf. 

Aber juft die grimme Miene de3 Burfchen 
fhien die Eindringlinge anzureizen! Sie beitell- 
ten ſich ihr Bier, führten ftichelnde Neden und 
einer jchob fein Grünhütel auf Krafehl und hob 
mit zärtlihem Blid auf das Cenzi an zu fingen: 


„Du mei flacjshaarig Dirndel, 
Du ſchönſtes auf Erd'n — 

J möcht' um dei Flachshaar 

A Seiler glei’ werben!” 


Wendl ballte die Fäufte und ftarrte den 
Sänger mit funfelndem Blid an, dad Pirndel 
aber flüfterte angftooll: „Laß uns hinaus, — 
toir gehn allweil»zur Poſt!“ 

„Naa!“ ftieß der Wendl heiſer hervor, „wir 
müffen dahier auf den Gendarm warten!“ 


— 17 — 


Sn demfelben Augenblick Hatte einer der 
Rekruten das Sträußchen von blanfen Bitternelfen 
von feinem Hut gelöft und warf e3 über den 
Tiſch in den Schoß de3 erfchrodenen Dirndels. 

„Wer die Bliemeln tragt, der i3 mei’ Schatz!“ 
tief er dazu und ſchnalzte mit der Zunge. 

Wie ein Rafender fprang der Wendl auf und 
wies die Fäufte. 

„Kimm’ nur her, warn d’ a Schneid auf 
ein’ Schab haft, und Hol’ ihn dir!“ rief er mit 
bligenden Augen, und der Gegner am andern 
Tiſch ſprang ebenfall3 mit einem fpottenden: 
„Hoho! Wann d’ etwa hier millft raufen, dann 
kannſt bald dei’ Zähn' alla’ Tamm’ wadeln fühl'n!“ 

„Wendl!“ ſchluchzte das Genzerl außer ſich 
und hing ſich an feinen Arm, der aber war wie 
von Sinnen vor Wut, padte den Stuhl als Waffe 
und ftand hoch und marfig wie aus Stahl und 
Eifen gefchmiedet. 

„Wendl — das wird nit gut!” jammerte das 
Dirndel, in bemfelben Augenblif aber tat fi 
die Tür auf, der Gendarm, der Wirt und der 
Hausfnecht traten ein und blieben überraſcht vor 


— 18 — 


den beiden fo fampfluftig ausfchauenden Buben 
ftehen. 

Bon dem lauten Klang der Stimmen mar 
auch die Wirtin mit ihren beiden Madeln angelodt, 
und fo ftand fie, die Hände eingeltemmt und hub 
juft ein heftige Schelten „über fo zwei Lausbub'n, 
die ſchon am hellichten Tag da3 Raufen bekommen“ 
an, al der Gendarm mit jchnellem Schritt ſchon 
neben dem Wendt ftand und mit feitem, drohend 
erhobenen Griff deſſen Arm berabzmwang. 

„Gott fei gelobt, daß d' kimmſt!“ rief Cen— 
zerl wie von Todesangit erlöft. Der Gendarm 
aber ſchaute mit grimmigen Blid von einem der 
Burſchen zum andern und jagte barſch: „Wann 
dö3 etwa Spaß fein foll, fo fchreit’3 nit daher wie 
zwei VBagabunden! Zum Teufi mit fo’n Ulf! J 
verſteh' mi’ nit viel drauf, und wer da a Lärm 
fchlagt, der fliegt ins Loch! Habt’3 gehört? Ver— 
böllte Gerſt' ao’ mal!!” 

Der fremde Löslbub lachte ein wenig verlegen 
und trat beifeite. 

„33 ja nur a Schnaden ’weit, Gendarm, 
jener Buab da verfteht ſich nur nit drauf aus!“ 


— 19 — 


Wendl fchüttelte wie ein gereizter Löwe die 
Haare aus der Stirn. 

„Bleameln wirft er der Creszenz in’ Schoß 
und ruft: ‚Wer fie tragt i3 mei’ Schab‘,” mwieder- 
holte er außer fich, wie in himmelfchreiender An- 
Tage. 

„Sell Bleameln?“ Der Gendarm nahm ge- 
ringſchätzig die Bitternelfen vom Tiſch und hob 
fie mufternd dicht unter feine blaurote Nafe. Und 
dann zudte der graue Schnauzbart und er fagte 
mit liftigem Augenzwinfern: „No, gut! Dann 
nimm dös GStraußel mit und bind’3 deiner - 
fchedeten Kuh an’ Schwanz! Dann tragt fie’3 
and i3 dem Loisl ei’ Hochzeiterin !“ 

Da erhob fich ein fchallendes Gelächter im 
Kreis, jelbit des Wendls Lippen zucdten momentan, 
der Loisl aber machte gute Miene zum böſen 
Spiel, faßte die Schanfin um die Hüften, tat 
einen Schnalzer mit den Fingern und der Zunge 
und jang Freuzfidel: 


„Kei Weiberl, kei Maderl, 
Kei nix nit dazu — 
Bleibt alfweil zur Tröftung 
Die buntſcheck'te Kuh!“ 


— 120 — 


Da gab e3 ein Gejuchz und Gelärm umeinand, 
und derweil faßte der Gendarm den Arm des 
Wendl und blinzte ihm zu: „Fir hinaus mit euch, 
zur Pot! Gelbes mal iS noch gut ab’gangen; 
denn der Grieshübler Loisl is ein gutmütiges 
Mannerleut! Aber drei gegen einen — dös hättſt 
nit gefchafft, Wendl, und allweil dumm biſt ges 
weit, döß di in ſo'n fehiefen Handel haft einlaßt! 
J ſag's aber ſchon, — kennſt die Welt no nit, 
Wendl! Und wann d' no’ lang’ dahier drunten 
verweilft, rennft dein’ Schädel ein und gehit ganz 
und gar verluftig aufs Cenzerl!“ 

Der junge Bedhaber biß die Zähne zufammen 
und Schritt ſchweigend über die Straße nad} der 
Poſt, dieweil das Dirndel nach all der ausgeftan- 
denen Angit käſeweiß ausſah und fich fo feit an 
des Wendl Hand hielt, als ſei es dran angeleimt. 

Der aber dankte dem Gendarm mit halb er— 
ftidter Stimme und fagte: „Weißt, einmal bin i 
in der Welt "weit, — aber miederfeh’n tut’3 mi 
nit, dös foll a Wort fein.“ 

„Recht fo! Auf'm Wald Haft a Herrenleben, 
bier drunt’ aber iS fchlechte Zeit. Na, da behüt's 


— 121 — 


Gott! Und fagt’3 dem Beckhaber: $ tät ihm fei’ 
Kinder Heil und g’fund z'ruckſchicken. Das wär’ 
alle fein gut jo kommen, wie i’3 jagt hätt’!“ 
Und der Sprecher fchob die beiden jungen Men— 
fchenfinder in die Poſt, welche um folch zeitige 
Stunde nicht beſetzt war, und nidte ihnen noch 
einmal zu und rief: „Kimmt's gut über!“ — 
und dann ſchritt er ſäbelraſſelnd davon und Wendl 
und Cenzerl blieben allein. 

Schon führte der PVoftillon — diesmal war 
e3 ein junger, munterer Geſell — die Pferde 
aus dem Stall, und es dauerte nicht lange, fo 
fnallte er hell mit der Peitſche, ſchaute noch ein— 
mal rechts und Links, ob wohl noch ein Paſſagier 
daherfäme, und ſetzte das Horn zu einem präch— 
tigen Stüdlein an die Lippen. 

Das Cenzerl horchte entzüct auf und auch 
der Wendl hob Hoch den Kopf, — dann rudten 
die Pferde an und die große, ungeſchickte Kutſche 
bholperte die Straße entlang. 

Mehr und mehr ſchwanden die Häufer, die 
Menfchen verloren fi, Felder und Gärten dehn- 
ten fich bald wieder recht3 und links, und der 


— 12 — 


Wendl ſchaute mit brennendem Blid hinaus, 
atmete tief auf und ftieß aus tieffter Bruft hervor: 

„Senzerl! bet’ a Baterunfer, döß ma jold 
an Teufelsneft hinter una hab'n! Weißt, jeit Kin- 
de3beinen auf hab’ i mir g'wünſcht, die Welt 3’ 
ichauen und hab’3 von weitem viel lieb gehabt 
und denkt: fo ſchön, wie’3 ausschaut, muß 's auch 
wohl fein! Aber a Lug und Trug i3 damit, — 
für a offnes Herz und a kindlichen Sinn i3 die 
Welt nit eingeriht!”. — Mir gefallt’3 ſchon gar 
nit, — und fein befjer i3, mir ſchauen's uns halt ° 
nur bon dem Lattenzaun an, — wie a narrijches 
Geſpiel, über dös ma ftolz wegguckt und eins lacht! 
— Gel, Cenzerl? Nu’ find wir all beid’ draußen 
gewelt, weit, weit, weit fort, bis and End’ der 
Welt, und nu’ haben wir a Ruh. — Oder möchſt 
zrud in die Welt?’ Die lebten Worte Hangen 
wieder halb zornig, halb angjtvoll, das Dirndel 
aber wiſchte fich mit dem Schürzenzipfel die Augen 
aus; denn e3 hatte ſich alle Schreden der legten 
Stunden von der Seele geweint, und in allem 
Leid jauchzte es dennoch auf und fchüttelte ftürmifch 
den Kopf. 


— 13 — 


„Brud in die Stadt? Wann d’ 808 ſagſt, 
Wendl, nahen biſt a Narr! — D mei! Aufn 
Knien möcht’ ich allen Heiligen danken, döß i all 
das narriche Zeug nit mehr ſiehch! Ganz damiſch 
i8 mir in’ Ropf und mirbelt durcheinand’, — 
döß i vermein’, jo kann's nit bleiben! — Hier 
aber werd mir fchon wieder leicht um3 Herz — i 
ſiehch Baum’ und Wiefen ... und Luft und Freiheit!” 

„Und ganz allein fan wir allzwei —!“ Der 
Wendl legte den Arm um das Pirndel und jah 
plöglich ftrahlend froh und glüdlich aus, „nu' 
gib dich z’frieden, mei Cenzi, mei lieb’3, allweil 
gaht’3 hoam!“ 

„Wie der Gendarm dabei war, fonnt” ma 
gar nit um fich Schauen!“ meinte die Meine und 
lachte wieder fo Iuftig wie ehedem. „Nu' gib fein 
Obacht, dös ma’ nix vergeſſen! Gleich komm' 
wir an' Feuerdrach ſein Loch, und dort ſteht das 
Häuſerl, was wir vom Lattenzaun immer geſeh'n 
haben, ſo klein wie a Klötzerl! und bald kimmt 
der Wald und die grünen und gelben Strich im 
Rand... und vor dem Dorf da3 Meer mit den 
Gäns' und Enten drauf” 


— 124 — 


Sa, nun hatte die Fahrt erft eine Freude 
für die beiden mweltfremden jungen Menfchen, alle 
Angſt und Bellemmung vor dem fernen Unbe- 
fannten war von ihnen genommen, fie hatten das 
ftolge, jelige Empfinden von zwei Neifenden, welche 
den Erdball gemeſſen und nad langen Sahren 
voll Gefahr, Forſchen und Ergründen, voll Angft, 
Entbehrung und Heimweh zurücfehren in da3 ge» 
liebte Vaterhaus. 

Wie viel hatten Wendl und Genzerl an 
diefem Tag erlebt! — So viel, daß ihre Kinder— 
feelen zeitlebens davon zehren fonnten und doch 
nicht arm wurden! . 

Die Abendfonne vergoldete die fernen Berge 
und malte ihre legten Streifen über das blühende 
Tal, dann fanfen die Schleier der Dämmerung, 
ftill und ftiller ward’3 und der Mond ftieg wie 
eine bleiche Silberjcheibe hinter dem Hochwald 
empor. Der Poftillon ließ die Pferde gemächlicher 
Ichreiten, griff abermals zum Horn und blies ein 
ſchönes Stückchen nad) dem anderen. 

„O mei'!“ flüſterte das Cenzerl und ſeine 
Hand zitterte in der des Burſchen: „ich mein, ſo 


— 15 — 


glücklich wie in felber Stunde war i noch nie! 
— Wunderlich wird mir bei der Muſik, Wendt! 
ach fo wunderlich !” 

Und eben fo wunderlich ward e3 auch dem 
jungen Burſch zu Sinn, daß er ſchwer und tief 
atmete, allweil nur auf dem PDirndel fein blondes 
Köpfchen fehaute und dachte: „Es is ja nit mei 
Schweſterl! D Jeſſas Maria, wie mich dös 
g'freut!“ 

Und dabei zitterte ihm das Herz in der Bruſt 
und ganz ſcheu und zaghaft hielt er des Cen— 
zerls Hand. 

Der Poſtillon aber blies immer ſüßere und 
innigere Weiſen und der Mond leuchtete immer 
ſilberner und des Wendl Atem ging immer 
ſchwerer ... 

Feſter und feſter faßte er die kleine, weiche 
Hand... und auch die zitterte. 

Ach wie wunderlich ift das ... fo gar nicht 
zum Begreifen und Verſtehen ... 

Keines ſprach mehr ein Wort. 

Nur die Poſthornklänge zogen wie ein holdes, 
berückendes Liebeswerben durch die dämmernde 


— 126 — 


Waldeinfamfeit und des Cenzerls Köpfchen neigte 
fich tief und tiefer gegen des Wendl Schulter. 

Hundebellen erfholl. „Grüaß Gott!” riefen 
Stimmen, Häufer tauchten aus dem Gewirr der 
Blütenbäume. y 

„Dös Dörfel is!“ fagte Wendt lei. „Bis 
dahier fährt nur die Bolt, — hier müß’ ma 
"raus. 

Und ſchweigend ftiegen fie aus, fagten dem 
Poſtillon ein „Schön Dank für die Muſik“ und 
ein „Behüt’3 Gott“. 

„Biſt auch nit müd, Cenzerl, döß d' noch 
aufn Berg auffrareln kannſt? Gud, die Straß’n 
13 viel fomod, mein i!“ 

„Was d’ fragſt!“ fchüttelte da3 Dirndel den 
Kopf, „i freu’ mich gar viel auf3 Gehn, — was 
a Luft daher weht, wann ma fo lang im engen 
Kafterl 'ſeſſen hat!“ 

„So kimm'!“ 

Und abermals faßten ſich beide an der Hand 
und ſchritten rüftig bergauf. 

„Zwei Stundeln dauert’3! Länger nit!“ 

„Macht nir!“ j 


— 17 — 


„Ich Hör’ allweil noch die Liedeln vom 
Boftillon !” 

„Auf die vergeß’ ich auch niemals nit!“ 

„Schön waren's!“ 

„Ich mein’ das allerfhönfte vom ganzen 
Tag!” 

Wendt drückte plöblich die Hand der Sprecherin 
heißer noch in der einen. 

„Das Mlerihönfte?” wiederholte er erregt, 
mit einem beinah jaucdzenden Klang in der 
Stimme: „Ach na! — da weiß ich noch was, dös 
ift mir’3 Tiebjte geweft von allen, was i bis daher 
derlebt Hab!‘ 

Cenzi blidte erftaunt zu ihm auf. 

„Dös fag mal! Da bin ich aber damifch, 
853 ich jo an’ Freud bei dir nit 'merkt hab!” 

„Ratit’3 nit?‘ 

„D mei! — 508 d’ freifommen bift vom 
Militär ?“ 

Wendl machte eine jäh verneinende Bewegung 
mit dem Kopf. 

„Dös d' bis ana End der Welt komm'n viſt?“ 

„Fehlg'ſchoſſen!“ 


— 12383 — 


„Dös d’ nit arretiert biſt?“ 

„Erſt recht nit!” 

Genzerl fah ſehr nachdenklich aus, fann ein 
Weilchen und fchüttelte den Kopf. 

„Nachen woaß i's nit!” 

„Wirklich nit? Guck, und ich mein, du müßt 
a g'rad fo eine ſakriſche Freud’ d'ran gehabt haben, 
wie 19 7 

„Malträtier mic) nit, Wendt! Geh her und 
ſag's!“ fr 

Da lachte er Hell auf, halb verlegen, halb 
entzüdt, 309 das Madel noch feiter an fich und 
benußte den hellen Mondftrahl, welcher quer über 
den Waldweg fiel, um in da3 friihe Roſenge— 
fichtchen zu fehen. 

Ganz nah zu ihrem Ohr beugte er Sich. 

„Die Rund’, mein i, Cenzerl, dös d' nit mei 
Schweſterl bift!” 

Er fühlte wie fie erbebte: 

Boll ängftliher Haft wich fie ein wenig zur 
Seite und lachte noch, verlegener wie er. 

So a a Narretei! Ich mein Halt, dös is ganz 


— 129 — 


egal wa3 i bin, und der Vata jagt a, es ver- 
ändert ganz und gar nic!” 

„Der Bata! Was weiß der Vata!“ ftammelte 
der Burſch und fühlte e3 felbit, mie heiß ihm das 
Blut in die Wangen fhoß; „allweil hab i dich 
lieb habt, Cenzerl, jo viel lieb, daß e3 nie nit 
ärger werden Tann! Aber jo a Unterjchied is 
doc dabei, wie ma fei Schwefter! gern hat oder... 
oder ...“ Und er würgte an dem Wort, als ob 
e3 ihn erftiden wollte, und weil das Dirndel feine 
zitternden Tingerchen aus feiner Hand löfte und 
einen Schritt zur Seite wid, da hatte er nicht 
glei den Mut, es feitzuhalten. 

Er 3098 das Sadtüchel und ſtrich über die 
Stirn und hielt den Grünhut mit dem Gemöbart 
in der Hand, als fei er ihm zu heiß auf dem 
Kopf. 

Einen Augenblid jchritten fie ſchweigend 
nebeneinander her und jedes vermeinte den Schlag 
feines Herzens zu hören, fo wild und aufgeregt 
hämmerte e3 in der Bruft. Die Tannen ragten 
hoch und tiefſchwarz zur Seite, köſtlich frifcher 
Duft wehte daher und hoch über ihnen türmten 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 9 


— 10 — 


fih die gewaltigen Bergmaſſen mit den Flüftigen 
Felszinken und ftarrenden Gteinwänden, über 
welche weiß und flimmernd wie ein Strom flüf- 
figen Silbers das bleihe Mondlicht floß. 

„Cenzerl!“ 

„Dahier bin i!“ 

„'s iſt arg dunkel dahier im Wald! Fürchteſt 
dich auch nit, Cenzerl?“ 

„Fürchten? o mei! Wann du allweil an 
meiner Seit' biſt?“ 

„Ach, Cenzerl, mei lieb's! Ich tät ſelbſt 'n 
Teufi z'ſammenſchlag'n, wann er dich ſtehlen 
wollt!“ 

Bei dem ſchlimmen Wort fuhr das Dirndel 
erſchrocken zuſammen und ruckte wieder ganz nah 
an den Wendl heran und der nahm verſtohlen 
ſeine Hand und zog's unvermerkt ein bißchen 
dichter und dichter zu ſich. 

Und ſo ſchritten ſie weiter, ſchweigend, mit 
übervollen Herzen, unfähig, das Glück zu ſchauen 
und zu faſſen, welches bereits lächelnd zwiſchen 
ihnen ſchritt und ein Kränzlein von duftigem 


— 131 — 


Nosmarin flocht. Und plöglih ſtand der Wendl 
hochatmend ftill, neigte den Kopf vor und laufchte. 

„Hörſt's, Cenzi? Hörſt's?“ 

Fern, fern vom Tal herauf klang ein ſüßes, 
leiſes, echohaftes Klingen empor. Der Ton des 
Poſthorns, welches auf der entlegenen Fahrſtraße 
von neuem erklang. Ach, wie wonneſam, wie 
zauberiſch ſang und hallte die Weiſe um die jungen, 
liebezitternden Herzen im Hochwald. Und all das 
heiße, leidenſchaftliche und glückſelige Empfinden, 
welches in des Wendls Bruſt nach dem erlöſenden 
Wort rang, da ward geweckt von dem Klang des 
Liedes, das ward wach und Iebendig, fühn und 
rieſenſtark, daß es hervorbrach wie der Felſen— 
quell, welchen nicht Stein und Erz bannen kön— 
nen, welcher mit Götterkraft dem Licht und Leben 
entgegenſtürzt ... wenn ſeine Zeit gekommen iſt. 

„Senzert!” 

Wie ein wilder, Halberftidter Aufichrei klang's. 

Wendl fchlang die Arme um das Dirndl und 
preßte e3 an fich wie einen Raub, und füßte das 
junge Angeficht wieder Sturmmwind, welcher ein 


Röschen liebkoſt. 
9 * 


— 132 — 


„Cenzerl, Cenzerl, mei Schatz!“ 

Das wehrte fich nicht. 

Sefter und feiter hat e3 ſich in des Burſchen 
Arm gedrüdt und Hat gelacht und geweint in 
einem Atem. 

Und ala ber Wendl ungeftüm gefragt hat: 
„So ſchwätz doch, Cenzerl! fo ſag's doch, daß d’ 
mir a biffel gut fein kannſt!“ — da hat e3 nur 
feine Hände gefaßt und geflüftert: 

„O Jeſſas, über jo an Glüd!” 


Die dunfeln Tannen Hatten fo viel Lieb und 
Glück wohl auch noch nicht gefehen, denn fie wiegten 
träumend die fchlanfen Wipfel und fehauten herab 
auf die beiden jungen Menfchen wie auf ein Nätfel, 
welches zwifchen all den unfaßlihen Wundern der 
fchönen Gotteswelt doch ewig das Lieblichite und 
unerflärlichite bleibt. 

Arm in Arm ſchritten fie dahin, und obwohl 
fie jo viel an diefem Tag erlebt hatten, mußten 
fie doch gar nichts zu fprechen, fondern fchauten 
fih nur ſchweigend in die Augen, als ob alles 
fremd und neu an ihnen fei, als ob fie ſich zum 


I BR u 


erftenmal begegneten. Drunten im Tal aber klang 
das Poſthorn ferner und ferner: 

„Ru hab’ i g’funden 

Aufm Bergli mein’ Schap, 


Da hab’ i hie drunten 
Im Tal koan' Pla. 


Wo's Almröfel blühet 
Da wachſt nu’ mei Glüd — 
Döß Gott di b'hüet — 
Kimm nimma z'rüd.” 

Die Töne die weichen, langgezogenen, ver— 
hallten im Wind und meiße Nebel mallten mie 
bräutliche Schleier über der Ebene. 

Wendl und Cenzerl hatten feine Eile bergauf 
zu fteigen, Schritt für Schritt, wie im Traum 
eing’3 daher, bis da3 Dirndel plöglich auffchraf 
und fagte: „Ganz damiih fin’ ma’ worden, 
Wendl, und fchleichen daher wie a Schneck! Ganz 
und gar auf'n Vata Hab’n wir vergeffen und ich 
mein, dem währt d' Zeit nit fo furz wie uns!” 

Da wich die Träumerei von dem Burfch und 
eine freuzfidele Luftigfeit Tam über ihn, daß er 
fein Hütel hoch warf und mit einer Stimme hell 
aufiodelte, als ob's eine Pofaune ei. 


— 14 - 


„Holdrio juhu!“ 

Und dann laufchten fie überrajcht. „Suhu!” 
antwortete e3 ein wenig leifer und heiferer vom 
Walde herab. 

„Sell war fein Echo nit!“ 

Nochmal „Juhu!“ 

Und droben Hang’3: Hallihohaho!” 

„Der Bata! ’3 ift der Vata! Der fimmt una 
entgegen! Der wart’ auf uns!“ jubelte das Cen— 
zerl, und der Wendl war fchier narrifch vor Über- 
mut, und fie faßten fich beide wieder an die Hände 
und ftürmten wie von Flügeln des Glücks ge» 
tragen bergan. 

Da Itand der Beckhaber mitten auf dem mond- 
bellen Fahrweg und ſchwenkte mit einem Suchzer 
den Hut, und nach wenig Augenbliden hingen die 
beiden jungen Leute an feinem Hals. 

„Bit frei fommen, Bub?!“ 

„aa, Vata! naa!“ Tachte der Wendl überlaut. 

„Naa? Was heikt dös?“ 

„Gar a narrifches heißt's, Aloys Beckhaber!“ 

„Als a freier Burfch bin i 'nab geftieg’'n und 
al3 a ganz a unfreie3 Leut fimm ich z'ruck. Viel 


— 15 — 


verlorn hab ih auf'm Fled! Mei Schmweiterl .. . 
mei Serzel... mei Freiheit! Aber gefunden 
hab i noch mehr, — Vata! Da fchau Hier! A 
Schatz! A fakrifhen Schab, der mid für allzeit 
bier aufn Berg g’fangen halt!” 

Mehr ſprechen konnte der Wendl nicht, denn 
fhon hatte er das Cenzerl wieder umgefaßt und 
buffelte e8 ab, daß ihm der Atem ausging. 

„Ro gud mal an!“ fagte der Wildhüter und 
kratzte fich halb betroffen, halb freudig entzückt 
hinterm Ohr. „J jag’3 ja immer, nir wie Hallo- 
dria treiben’3 in der Welt drunten! Gott ſei's 
geklagt, daß i euch fortlaßt Hab!” Aber er nahm 
die Brautleute mit überftrömenden Augen an die 
Bruft und murmelte: „Alle Heiligen fegnen’3 euch 
diefe Stunde! Zwei Jahrdeln hätt's noch Zeit 
gehabt, — aber dag Mutterl hat geplaufcht... 
und... Gott hab's ſelig ... a Glück hat's dach 
a'ſchaffen.“ 


— ah a 


Ser Wendl und das Eenzerl haben nie im 
Leben wieder Luſt verjpürt, in die Relt hinab 
zu geben. 

Vom Littenzaun aus gefiel jie ihnen am 
beiten, und wenn auch der Wendl de3 öfteren zum 
Dörfchen hinab gemußt Hat, lang aufgehalten hat 
er jih niemal3 dort. 

Als der Aloys Hoch bei Fahren war und jein 
Ende nahe fühlte, hat er’3 dem Sohn anheimge- 
geben, daß er ſich doch ſolle von jeinem Geld 
einen Bauernhof faufen, aber der Wendl hat den 
Kopf geichüttelt. 

„3 für mei’ Perſon nie nit, Bata, ich bleib 
mit dem Genzerl auf mein’ Berg; dahier will i 
leben und jterb’n. Das Geld is für die Kinder, 
die leben in der Welt und können e3 gut brauchen.“ 

Und er hatte recht. 

Als das Eenzerl fo jung freite, hat der Aloys 
ihm eine ältere, erfahrene Jungfrau gedingt, die 
blieb bei ihm und Half ihm vier Heine Haſcherln 
großziehen. 

Die Zeiten änderten jih und alles ward 


— 137 — 


ftrenger in der Welt, auch die Schulgefeße. Wendl 
und Creszenz waren aufgewachſen wie die Pilze 
im Wald und fein Huhn und fein Hahn Hatte 
danach gefräht. 

Ihre Rinder aber ſollten e3 nicht ſo gut haben, 
die mußten hinab ins Dorf, in die Schule, und 
wurden gar flug und anftellig und fühlten fich 
daheim in der Welt und mochten nicht allaulang 
in der Bergeinfamfeit haufen. 

Da ward e3 vor der Zeit wieder ftill in dem 
Wildhüterhäuschen, und wie Wendl und Cenzerl 
ehemal3 verlaffen und allein droben auf ihrem 
winzigen Erdenwinfelden gehauft, jo lebten fie 
auch wieder als alternde Menfchen, ftill und ver- 
geilen, hoch) droben im Herzen des Hochwaldes. 

Da ftanden fie oft Arm in Arm an der Gtelfe, 
two ehemals der morfche Lattenzaun geragt, und 
ſchauten hinab in die Talebene und gedachten ver— 
gangener Beiten. 

Die Eifenbahn blieb für fie ewig der fchlimme 
Feuerdrach, und oft fragte Cenzerl bang und leife: 
„Wendl, denkſt auch noch drauf, wie wir die meite, 
weite Reif’ machten, bi3 ans Ende der Welt?” 


— 183 — 


Der Wildhüter mit dem ergrauenden Kopf 
und dem Kinderherzen nickte gemichtig. 

„Da ſchau — bis dahinten am Berg find 
wir mal gemeft, Cenzerl!“ 

„Wie a Wunder deucht’3 mir, döß mir die 
Gefahrnis fo gut überftanden haben, Wendt!“ 

Der wiegt nachdenklich das Haupt. „Und a 
Ichöne Erinnerung i3’ doch für’3 ganze Leben! 
Wie oft ſchwatz'n ma’ noch davon, un’ wieviel 
ſtolz madt fo an Gedank — dös ma die ganze 
Welt z'ſehn kriegt Hat!“ 

Eine Tages war an der Extrapoftfutfche ein 
Strang geriffen. 

Der Boftillon hielt vor dem Wildhüterhaus 
und der Wendl Bedhaber Half ‚mit einem neuen 
Strick aus. 

Er und fein Weib faßen auf der Banf vor 
der Türe, und die FTahrgäfte ftiegen aus und 
plauderten derweil mit dem einfamen Menjchen- 
paar. 

Eine Touriftin fehüttelte beinah entfeßt den 
Kopf. 

„geitlebens wohnen Sie hier in der Wald- 


— 139 — 


einjamfeit? Sind Sie denn niemal3 von bier 
fort gekommen?“ 

Da ſah fi) das alte Paar mit gar geheim- 
nisvollem Schmunzeln an, und Cenzer! hob Die 
geblümte Schürze an die Wange und ficherte Halb 
verlegen, halb ſchämig: 

„D mei! Was d’ daher ſchwätzt, Frau! — 
der Wendl und i find graufig weit bon dahier 
fort gemweft! Eine Reif’ haben wir gemacht, bi3 
ans End der Welt!‘ 

„So meit?” ftaunte die Dame und fah den 
Wildhüter fragend an, der aber nidte nur ernit» 
baft mit dem Kopf und wiederholte wie in träume— 
rifhem Sinnen: „Akrad fo, wie das Cenzerl fagt! 
Stadtleut wie ihr hab'n ma genug geſchaut und 
bi3 ans End der Welt find ma kommen!“ 

Auf weitere Fragen haben fie fich aber nicht 
eingelaffen, fondern in ihrer mortfargen Weije 
nur genickt und gelädelt:-,Hm, hm!“ 

Der Poſtillon knallte mit der Peitſche, die 
fremde Dame ftieg in die Poft ein, nahm noch 
einmal die Lorgnette vor die Augen und mufterte 


— 140 — 


interejiiert da3 jhlihte Paar in feiner Bauern 
tracht. 

„Seltſam!“ ſagte ſie zu ihren Reiſegenoſſen: 
„Wie die Wanderluſt doch ſelbſt die geringſten 
Leute erfaßt! Jene beiden Waldmenſchen dort 
ſind weit, weit gereiſt, ich denke mir, bis nach 
Amerika, oder gar noch weiter, bis Auſtralien! 
Aber das Heimweh! Ja, wenn das nicht wäre! 
Sicher iſt's die Sehnſucht nach ihrem ſtillen Wald 
geweſen, welche die beiden Wandervögel heim— 
gezogen!“ Und die Umſitzenden ſtimmten dem 
bei und es erhob ſich ein lebhaftes Geſpräch über 
ſoziale Verhältniſſe, über die Unruhe und die Un— 
zufriedenheit, welche bereits ihren Weg bis in 
die fernſten Alpwälder findet. 

Wendl und Cenzerl aber ſaßen Hand in Hand 
vor ihrem Häuschen und lauſchten lächelnd auf 
das Tannenrauſchen und das Lied der Vögel. 
„Die armen Weltmenſchen!“ ſagte Wendl leiſe, 
„ſie ahnen's gar nit, wie das Glück ausſchaut! 
Wir aber wiſſen's, gelt mei Cenzerl?“ 

Das lehnte den Kopf an ſeine Schulter und 
atmete fo leiſ' und friedlich wie im Traum. 


— 141 — 


Weit ab lag die Welt mit all ihrem Treiben, , 
Sagen und Drängen, mit ihrer Sünde und ihrem 
Unfrieden, mit Lug, Trug, Haß und Teindichaft, 
— hier droben im Wald aber äfte die Hirſchkuh 
zutraulid an der Creszenz Gartenzaun und die 
Vögel flogen nicht fcheu davon, und die Blumen 
blühten unzertreten. 

Hier droben raftete da3 flüchtige Glüd und 
ließ fich Lächelnd nieder im meichen Moos. 


Trommelwirbel. 


Eine Herbitnacht war e3, Kalt und regnerifch. 
Der Sturm pfiff un die Fenfter wie ein Klage— 
lied, und die Negentropfen fielen fo ſchwer und 
unaufhörlih, wie Tränen unendlichen Leids. 

Dunkel und ftill lag die Straße der Heinen 
Garnifon, nur in einem Giebelhaufe nahe am 
Tor brannte ein Licht mattrötlic) durch die ver— 
hängten Scheiben, und drinnen in dem dämmrigen 
Bimmer feufzte ein bleiches, junges Weib in den 
Kiffen. 

Ihr Gatte neigte fich über ie, küßte fie zärt- 
fih auf die Stirn unter dem zerwühlten Blond- 
haar und flüfterte ermutigende Worte, und der 
ftämmige Militärarzt nidte dazu, lachte im be— 
haglihen Baß und fagte: „Nur Courage, meine 
gnädige Frau! Bedenken Sie, daß unfer Kaiſer 
ftramme Sungen3 für feinen blauen Rod ge— 


— 14 — 


braucht! Noch ein halbes Stündchen Geduld, 
dann follen Sie mal fehen, was für ein famojer 
Heiner Zufunftsleutnant Shnen in die Arme 
zappelt!“ J 
Die junge Frau lächelt unter Tränen, blickt 
in das ſtrahlende Antlitz des Geliebten und duldet 
tapfer weiter — und als aus dem halben Stünd— 
den zwei endlos lange, qualvolle Stunden ge- 
worden ſind, da hält der ſtolze Vater feinen Erft- 
geborenen und jubelt mit gedämpfter Stimme: 
„Gott im Himmel ſei Lob und Dank — ja, es 
ift ein ftrammer Junge!” Kaum aber, daß der 
Kleine zuerft die großen Augen auffchlägt — raffelt 
und dröhnt e3 plößlich vor dem Fenfter, ein langer, 
mächtig hallender Trommelmwirbel, — fo laut und 
jäh, daß die junge Frau zuſammenſchrickt. 
„Was bedeutet da3?” murmelt fie, ihr 
Mann aber hat bereit3 feinen Knaben auf Die 
Knie der Wärterin gelegt und Yaufcht betroffen 
dem Signal, welches fernher durch die Nacht Klingt. 
„Warm!“ ftößt er kurz hervor, küßt fein 
Weib und ruft dem Arzt ein paar haftige Worte 
zu. „Zum Rudud noch eins, das hat ſich der neue 


- 15 — 


Diviſionär ſchlecht ausgeſucht!“ — und er ftürmt 
zur Tür, reißt draußen an der Klingel und gibt 
dem Burfchen flüſternd ſeine Befehle. Und wieder 
raſſelt die Trommel unter dem Fenſter, und der 
Neugeborene weint in den Kiſſen. 

Erſtaunt neigt ſich die Kinderfrau und ſtarrt 
ihn an, winkt dem Arzt und flüſtert: „Nee, aber 
ſo was! Nun ſehn Sie mal den Jungen an, 
Herr Doktor! Er weint ſchon Tränen! Wirkliche, 
große Tränen! So was iſt mir im ganzen Leben 
noch nicht vorgekommen!“ 

„Hm... Das iſt jedenfalls ſelten! Der Spek— 
takel drunten auf der Straße ſcheint dem jungen 
Herrn nicht zu behagen!“ und er ſtreicht lächelnd 
mit der Hand über das dumme Blondhärchen und 
ſchilt: „Schäme dich, junger Mann, wie Tann ein 
Soldatenjunge weinen, menn die Trommel Hingt!” 

— — Wochen find vergangen, die junge Mut- 
ter badet ihr Büblein felber und blidt ftrahlen- 
den Auges auf den diden, rofigen Heinen Kerl 
hernieder, welcher jo vergnüglich im Waffer plät- 
ſchert und recht ein Bild lebensfriſcher Gefund- 
heit und Kraft ift. 

N. d. Efhfruth, Am Ende ber Welt. 10 


— 146 — 


„Sehen Sie nur an, Frau Schmehl, was er 
für Ringelchen um Arme und Beinen hat!“ jagt 
fie mit glüdjeligem Lachen zu der alten Kinder— 
frau, welche da3 Badelafen gegen den Ofen hält: 
„Und dieſes Brüfthen! So gewölbt und breit! 
und die drallen Fäufthen! Der wird mal ein 
tüchtiger Grenadier werden, ein fchneidiger Sol- 
dat, der in des Königs Rod fein Glück macht!“ 

Die Alte antwortet nicht allfogleich. 

Sie macht ein gar wunderliches Geficht, tritt 
neben die junge Mutter und jagt mit beinah 
düfterem Klang in der Stimme: 

„Darf ich der gnädigen Grau wohl noch einen 
guten Nat geben?’ 

„Das verfteht fich, Liebe Schmehl! Iſt Bubi 
ſchon zu lange im Waffer ?” 

Die Genannte fhüttelt den Kopf, blidt aber 
ernithaft auf das Kind nieder und jagt: „Laſſen 
Sie den Zungen nie Soldat werden, — da3 bringt 
ihm fein Glück!“ 

„Aber Frau Schmeht!!” 

„3% ſag's, gnädige Frau, — und ich be- 
ſchwör's!“ 


— 147 — 


„Uber um alles auf der Welt, wie fommen 
Sie auf fol ungeheuerlihe Idee? Vater — 
Großvater — Urgroßvater ... alle find fie Sol- 
dat geweſen, und der Prachtjunge hier follte fahnen⸗ 
flüchtig werden? Undenkbar!“ 

„Ich wiederhole e3, gnädige Frau! Wenn 
Sie das Kind mal glüdlich fehen wollen, laſſen 
Sie's nie unters Militär!” 

Es Liegt etwas fo Wunderliches, Unheimliches 
in der Stimme der Alten, daß die Frau Haupt- 
mann ganz ängftlich wird. 

„Uber jagen Sie, um alles in der Welt, 
warum?!” fragte fie dringlicher. 

Frau Schmehl fchlägt das Badetuch um das 
entrüftet jchreiende Knäblein, legt ihn mit energi- 
ichen Händen auf den Wideltifh und reibt ihn 
troden. „Das will ih Shnen wohl ſagen!“ fährt 
fie mit Grabesſtimme fort. „MS der Heine Bubi 
geboren wurde — Gie entjinnen ſich's wohl! — 
da gab e3 juft Alarm, und als der Trommelmwirbel 
unter dem Fenfter erflang, da meinte der Bub 
dide, richtige Tränen! Was aber der neugeborene 


Mensch zuerft in der Welt mit Tränen begrüßt, 
10* 


— 148 — 


das bringt ihm zeitlebens Unglüd. Dem Bubi 
bringen’3 die Trommeln! Es iſt an fih ſchon 
eine große Geltenheit, wenn ein feines Rind 
Tränen weint — und nun gar in der erften 
Lebensſtunde! — Das will viel befagen, und wenn 
Sie den Rudi mal unter die Soldaten geben, 
werden Sie's erleben, warum ihm die Trommeln 
da3 Glück zerreißen!” 

„Uber, Liebe Schmehl! Gold ein Aber- 
glauben !!“ 

„Aberglauben? Na, die gnädige Frau wer— 
den fchon an mich denken! Und num nehmen Gie, 
« bitte, den Buttel aus. dem heißen Waffer, ich denfe, 
unfer Küken ſchläft heut ſchon bei der erften Flafche 
ein!’ — 

Etliche Jahre waren vergangen, der Haupt- 
mann ward al3 Major in eine andere Stadt ver- 
fest und wohnte weit vor dem Tore draußen, wo 
man felten, faft nie etwa3 bon dem militärifchen 
Getreibe merfte. 

Der Heine Rudi war ein Schuljiunge geworden 
und nah ihm Hatten noch zwei Brüder und eine 


— 149 — 


Schwefter in der Wiege gelegen, von Frau Schmehl 
mit viel Sorgfalt, aber ohne fo viel Sorge ge- 
pflegt wie einft der Erjtgeborene. Audi war und 
blieb ihr Angſtkind, welches fie ftet3 voll be» 
fonderen Intereſſes im Auge behielt, was fie 
veranlaßte, manch geheimnisvoll mahnenden Blick 
mit der Mutter zu mwechfeln, wenn der Kleine, 
ganz entgegen all feinen Altersgenoſſen, Feinerlei 
Freude am Soldatjpielen zeigte. 

Ein Kleines Gewehr, welches ihm ber Vater 
einſt am Weihnachtsabend aufgebaut, nahm er 
wohl hie und da zur Hand, eine Trommel jedoch, 
welche daneben ftand, rührte er faum an und 
überließ fie ohne Widerftand den jüngeren 
Brüdern. 

„Ich mag fie nicht!” antwortete er nur mit 
einem erniten Blid aus den großen Kinderaugen: 
„Sie geht fo laut, und das ift häßlich.“ 

Eines Tages klagte er über Kopfweh, er fühlte 
fi) matt, ward in das Bett gelegt und fchlief ein. 

„Denn er nur nicht Frank wird!” feufzte 
bie Mutter. 

Da rafjelte e3 plöglih Yaut auf unter dem 


— FEIN 
Fenſter. Ein Trommelwirbel, fharf und lang — 
und dazwischen die ſchrillen Pfeifen der Militär- 
muſik. 

Audi ſchreckt entſezt empor aus dem Schlaf, 
er umframpft mit fieberheißen Händchen den Arm 
der Kinderfrau. 

„Das iſt häßlich! Das tut mir weh im Kopf!” 
klagt er mit veritörtem Blid. 

„Run weiß ich, daß er ſchwer frank wird!” 
fagte Frau Schmehl leife; „die Trommeln haben’3 
nicht gelitten, daß er ſich geſund fchlief.“ 

Und er ward Frank, zum Sterben franf, und 
al3 e3 endlich beifer ging, blidte Frau Schmehl 
auch dem Major warnend in die Augen und fagte: 
„Laſſen Sie ihn nit Soldat werden!” 

Die Mutter war längit zu ihrer Anſicht be— 
Tehrt, aber der Major fagte auch jest noch halb 
unmillig, halb nachgiebig: „Wenn ich am Leben 
bleibe und e3 bezahlen Tann, mag er meinethalben 
ftudieren, ihr Frauen feid ja ganz verrückt mit 
euerm törichten Aberglauben!“ 

Und abermal3 vergingen ein paar Sabre, 
da brachten fie den Vater vom Exerzierplatz heim, 


— 151 — 


al3 ftillen Mann, dem ein Blibfchlag vorzeitig das 
Leben geendet. 

Da war e3, al3 fei die Sonne des Glücks 
für ewige Seiten hinter den bunfeln Trauer— 
fchleiern untergegangen, und al3 die Leichenparade 
por dem Haufe Aufitellung genommen, als das 
laute Kommando, das dumpfe Geräuſch der prä- 
Tentierten Waffen vor dem Sarge erflang, da ftand 
Nudi und ftarrte mit weit offenen Augen das 
unbefannte Schaufpiel an. 

Noch hatte e3 fein Kinderherz kaum begriffen, 
was diefe Stunde ihm nahm, al3 aber die Trom- 
meln leife und gedämpft einjegten, al3 ihr felt- 
famer Klang ihm durch Marf und Bein ging, da 
kam es plöglich über ihn mie ein großes, unau3- 
fprechliches Weh, da ſchluchzte er laut auf, ba 
ftredte er in jäher Angft die Arme nach dem Sarge 
aus, al3 wolle er ein fernes, traumhaftes Glück 
fefthalten, welches rettung3los für ihn mit Diefem 
Sarg in dunfle Grabestiefen fant. 

Und wieder ſchlich die Zeit mit bleifchweren 
Flügeln dahin, und in dem Haus der Witwe 
fauerte ein graues, hohläugiges Weib auf der 


— 12 — 


Schwelle, da3 hieß die Sorge. Not und Entbehrung 
gab e3, wo fo viele Finder und jo wenig Mittel 
waren, und der VBormund mar ein ftrenger Herr, 
welcher nicht auf einer alten Kindermuhme aber- 
gläubifche Prophezeiungen hörte. 

„Die Sungen müffen in das Korps! — Rudi 
fchon jest, die anderen ein und zwei Jahre fpäter! 
Weibererziehung taugt da nichts, und je eher ein 
Knabe den militärischen Drill befommt, deſto bej- 
fer iſt's für feine Zukunft!” 

„Es ift ein fo inniger Wunfch von mir, Audi 
ftudieren zu laſſen!“ ſeufzte die blaffe Frau mit 
flehendem Blick, „er hat fo wenig Paſſion für den 
bunten Rod... und lernt jo vorzüglich ...“ 

Der Bormund fchaute die Sprecherin groß an. 
„Ja, da3 wäre ja fehr jchön, meine gnädigfte 
Stau, aber jtudieren Toftet Geld — und wo wir 
da3 hernehmen follen, weiß ich nicht! Keine Paf- 
fion, fagen Sie? Welch eine Idee! Ein Soldaten» 
junge feine Paſſion fürs Militär? So etwas 
gibt’3 gar nicht! Die wird fich im Korps bald ein» 
ftellen! Und außerdem — Sie müffen fich felber 
fagen, daß una feine Wahl bleibt!‘ 


— 13 — 


Nein, e3 blieb Feine Wahl, — da3 fahen fie 
alle ein, und Audi, der verjtändige, brave Sohn 
wußte e3 am beiten, — es mußte fein. 

So ſchied er von daheim und fämpfte tapfer 
die Tränen herunter, der armen Mutter da3 Herz 
nicht noch ſchwerer zu machen. 

Juſt zogen die Soldaten wieder zur Feld- 
dienftübung mit Trommeln und Pfeifen hinaus, 
wie damals, al3 er fo ſchwer erkrankte, — ſonſt 
famen fie niemals dieſes Wege2. 

Da fchlugen ihm die Trommeln abermals 
tie ſchwere, Heine Hämmerden auf das Herz, 
al3 mwollten fie die Tür des feligen Kinderpara- 
Diefeg für immer zufchließen und vernageln 
hinter ihm. 

Und fie Hatten recht, die Trommeln, — bie 


ſchönſte, glüdlichfte Zeit feines Lebens war vor- 


über, die frohe Kindheit am Herzen der Mutter, 
das Subeln und Spielen, da3 Lernen und Schaf 
fen im Vaterhau2. 

Nun kam da3 Leben voll unerbittlicher Härte, 
und fchnitt der Trommelmirbel auf dem Hof des 
Kadettenforps jo manch fehönen, goldnen Faden 


— 154 — 


duch, nun übertönte er voll rauher Strenge fo 
mand holden Traum, welcher feinen Zauber um 
den Stillen, geduldigen Knaben fpanı. 

Wohl hatte er fich nie in der Anftalt gefühlt, 
und wenn er ſich auch mit der Beit an den Klang 
der Trommeln, welche ihm feit jeher „jo häßlich“ 
in den Ohren gelungen, gemöhnte, wenn er dur) 
eifernen Fleiß zu erſetzen juchte, was ihm an 
Eifer und Paſſion fehlte, e3 blieb doch nur ein 
faure3 und freudlofes Dafein, ein Dornenreis, wel⸗ 
ches Feine Roſen für ihn trug. 

Auch diefe Zeit ging dahin, und aus den 
fleißigen Kadett ward ein pflichtgetreuer, ftreb- 
famer Offizier, welcher nur um eines einzigen 
Biele3 willen arbeitete, ſeiner Mutter dereinft ein 
Halt und eine Stüße zu fein. 

Noch einmal fehien es, als ob durch all die 
grauen Nebeljchleier, welche fein junges Leben um— 
flort hatten, eine fieghaft, leuchtend helle Sonne 
brechen mollte. 

Sn der Heinen Garnifonftadt, welche das 
Bataillon, dem er zugeteilt war, beherbergte, war 
vor längeren Sahren ſchon eine Fabrif erbaut 


— 15 — 


worden, welche vortrefflich rentierte, mehr und 
mehr vergrößert ward, bis fie bald zu einem der 
größten und beitrenommierten Unternehmen des 
Landes gehörte. 


Der Beliger der Fabrik, ein Herr Doktor 
Felſen, mar ein allgemein beliebter Mann, welcher 
mit feiner noch jungen und lebenäluftigen Frau 
eine3 der gaftfreiejten und opulenteften Häuſer 
der Stadt ausmadte. 

Das Offizierkorps verkehrte viel und gern 
bei dem liebenswürdigen Paar und Audi gehörte 
bald zu den befonderen Lieblingen der Hausfrau, 
welche viel und gern mit ihm mufizierte und dem 
erniten, gediegenen jungen Mann ihr aufrichtiges 
Intereſſe ſchenkte. 

Als er zum erſtenmal ihr Boudoir betreten, 
ſtand er jählings ſtill vor einem lebensgroßen 
Olbild und blickte überraſcht in das ſüße Kinder— 
geſicht, welches ihm aus dem goldenen Rahmen 
entgegenlachte. 

„Iſt dies ein Genrebild, gnädige Frau?“ 

Frau Felſen lachte. „Was glauben Sie wohl, 


— 


was es alsdann vorſtellen ſolltze, Sert von 
Kauendorf ? 

Rudi ſchaute ſinnend auf das zierliche Figür⸗ 
Gen im weißen Episenfleid, welches da, von 
Meiſterhand gemalt, vor ihm im ſchwellenden 
Grafe lag, einen Roienfranz im mwallenden Gold» 
Baar, Blumen in den Sändchen, Blütenzmweige über 
fi$ an neigendem Gebüſch, von Blumen über- 
fireut die Iuftigen Röckchen und Heinen Füge, — 
von Echmetterlingen umgaufelt, ein lachendez, 
glückliches Eljenfind, deſſen zwitſcherndes Stimm— 
chen man zu hören vermeint, wenn man den 
kleinen Kirſchenmund anſieht. — 

„Es iſt der verkörperte Frühling!” antwor— 
tete Rudi ſinnend: „nur er allein kann ſo wonnig 
ſein wie dieſes Kind!“ 

„Ich danke für das Kompliment und werde 
es Geſa lieber nicht übermitteln, auf daß ſie nicht 
eitel werde! — Ahnten Sie es wirklich nicht, 
daß dieſes Frühlingskind meine Tochter, unſere 
Einzigſte iſt?“ — 

„Ihre Tochter! Wie müſſen Sie glücklich ſein, 
anädige Frau!” ſagte er ſchlicht und ſeine ernſten 


— 157 — 


Augen befamen einen meiden Glanz: „warum 
babe ich die Kleine noch nie im Haufe hier ge- 
fehen 7 

„Weil die ‚Kleine‘ fchon recht groß geworden 
ift und in eine Benfion gejchidt werden mußte!” 
lachte die ftolze Mama noch fchelmifcher wie zuvor: 
„Wenn Sie Weihnachten hier geblieben mären, 
hätten Sie Baby ficher kennen gelernt, aber im 
Mai — wenn fie wiederfommt, follen Sie den 
‚verförperten Frühling‘ mit — Augen ſchaun!“ 

„Sit fie noch fo ſchön wie auf diefem Bild?’ 
fragte er beinah naiv. 

„Das entzieht fich meiner Beurteilung!” 

„Kann man fie noch auf dem Arm tragen?” 

„Sie find ein Spötter, lieber Nauendorf. 
Tennis können Sie mit ihr Spielen!“ 

Sein Blick ftreifte wie zmeifelnd Die jo fehr 
jugendlihe Mama, er antwortete nicht, fondern 
trat an das Klavier und fah die Geigennoten 
durch, melde fie ihm mit graziöfen Händen 
hinſchob. | 

Der Mai Fam, ein munderholder Mai mit 
Blüten und Nachtigallen, filbernem Mondichein 


— 158 — 


und fräufelnden Flußmwellen, er fam mie ein Rönig 
voll verſchwenderiſcher Pracht und brachte zwischen 
all den Roſen und Veilchen das reizendite mit, 
was ein Menjchenauge fehen konnte: Geſa! — 

Da lachte fie ihm mit rofigen Wangen ent» 


gegen wie ehemals auf dem Bilde, nur waren die 


wehenden meißen Spibenrödchen länger und die 
Haren Kinderaugen inniger und finniger gewor— 
den. Geſa! 

Er empfand etwas bei ihrem Anblid wie an- 
bächtige3 Entzücden, wie da3 fromme Gefühl eines 
Menſchen, welcher zum erftenmal auf einem Berge 
fteht und hinab in eine fremde, zauberfhöne Wun— 
dermwelt blict, durch welche noch rein und lauter 
Gottes Ddem weht. — Sie waren bald gute 
Freunde, da3 übermütig heitere Backfiſchchen und 
ber fo ernit blidende Offizier, und grade meil 
fie fo gar verfchieden waren, famen fie fo gut 
miteinander aus. 

Ihr filberhelles Lachen Hang fo gut zu feiner 
ruhigen Art, und während feine erſt fo ſchwer— 
mütige Stimme von Tag zu Tag heiterer tönte, 
ward die ihre leifer und weicher, und diemweil ihre 


— 159 — 


Lebhaftigkeit ihn anftedte, daß er das Scherzen 
und Plaudern Iernte, legte fie mehr und mehr 
die Schmetterlingöflügel ab und ward ein gar 
bolde3, finniges junges Weib an feiner ©eite. 

Anfänglich hatte er fie noch mie ein Find 
behandelt, fpielte Tennis und Krocket mit ihr, 
warf ihr die bunten Reifen und den Tederball zu, 
und als ihr Geburtstag war, der fünfzehnte, den 
fie feierte,. brachte er ihr einen Pompadour voll 
Bonbons und wünjchte ihr, daß fie Michaelis die 
befte Zenſur befommen möchte. . 

Nachmittags, al3 die Freundinnen Tamen, 
nahm ihn Gefa fchmeichelnd an der Hand, 309 
ihn hinaus in den Garten und bat mit reizenden 
Grübchen in den Wangen: „Nicht wahr, Sie alter 
Onfel jpielen noch einmal ‚öckchen fehiele nicht‘ 
mit und, e3 fehlt nämlich eine Perſon!“ 

Er war alles zufrieden, ftellte fich neben ihr 
auf und ftürmte hinaus auf den weichen Rafen, 
al3 das „Böckchen“ in die Hände Flatjchte. 

„Bir müſſen und wieder zufammen finden! 
Daß Trude Sie um Gottes willen nicht einfängt!‘ 
hatte fie ihm noch voll alferliebfter Wichtigkeit 


— 160 — 


augeflüftert, und dann flog fie nach der anderen 
Seite davon! 

Trude machte ihnen das Wiederfinden herzlich 
fauer, hin und her jagten fie durch die blühenden 
Gebüfche, und al3 fie fich nach großem Umweg 
weit hinten an dem Goldfifchteich endlich entgegen« 
famen, da jubelte fie hell und triumphierend auf 
und braufte ihm in die Arme wie eine junge 
Windsbraut. 

Er fing fie unwillfürlih auf und hielt ihr 
ſchlankes KRörperchen an feiner Bruft, — das war 
fo weich, fo warm und duftig und gar nicht fo 
kindlich Hein, wie er immer gedacht, ihr Kopf 
mit den zerzauften Goldhaaren ruhte an feiner 
Schulter. 

Sie kam fo wild daher gelaufen, daß er fie 
faſt an fich drüden mußte, um fie zu halten, 
und fie fah mit glühendem Gefichtchen zu ihm 
auf — und ihre rojigen Lippen lachten nah — 
ganz nah den feinen... 

Da ward e3 ihm plößlich fo heiß um das 
Herz, fo munderlich heiß, wohl und meh zu gleicher 
Beit, über ihnen in dem Blütenbaum zwiticherte . 


— 161 — 


ganz leiſe ein Vöglein und ftreute weiße Blumen- 
floden auf fie nieder. — 

Tief fahen fie einander in die Augen — 
anders, ganz ander plößlich wie fonit... und 
dann 'erglühte Geſa noch tiefer, ihre Händchen 
erzitterten leife in den jeinen, fie riß ſich los 
und entflob, mehr vor ihm wie vor Trude... 

Seit diefer Stunde war etwas Neues, Ge— 
heimnisvolles zwifchen fie getreten, eine Lichte 
Trauengeftalt, rofenbefränzt und weiß verjchleiert, 
melche fie nicht fannten, von der fie nicht mußten, 
daß e3 die Liebe war. — 

Dann fchieden fie bald. — Gefa reifte ab, 
„zum lestenmal nach der Penfion zurüd!” wie 
fie mit leuchtenden Augen verjicherte. 

Rudi fagte ihr Lebewohl, er nannte fie aber 
nicht mehr „Fräulein Geſachen“, wie bisher, fon=- 
dern „mein gnädiges Fräulein” — und er brachte 
ihr aud) feine Bonbons al3 „Reife... Let... türe” 
wie fonft, fondern einen Strauß herrlicher roter- 
Roſen. 

Sie blickte unter den langen Wimpern her— 


vor zu ihm auf, verwirrt und Hold verlegen ... 
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 11 


— 12 — 


lächelte wie im Traum und ward noch röter tie 
die Blumen in ihrer Hand. 

Wie lang ward ihm diesmal die Zeit, bi3 
fie wiederfam, — mie freudlos und öde war die 
Welt plöglich geworden, feit fie gegangen! Dft 
ftand er noch tief in Gedanken verloren an jener 
Stelle im Park, wo ſie ihm damals wie ein wildes 
Vöglein an die Bruft geflattert mar! Der Herbit 
ftreute fein melfes Zaub über den Rafen, die erften 
Flocken hüllten ihn ein... und al3 die Weih- 
nachtsglocken läuteten, fehrte fie zurüd. 

Zum erftenmal reifte er während dieſes Feſtes 
nicht Heim, — er war Bataillonsadjutant gemor- 
den und hatte viel zu tun, da3 war der Grund 
dafür. 

So ſagte er auch zu Geſa, — die nickte lächelnd 
und ſah aus, als ob ſie es wahrlich glaube. 

Doktor Felſen gab einen Hausball und Geſa 
durfte zum erſtenmal mittanzen. 

„Sind Sie ſchlechter Laune, Nauendorf? 
warum machen Sie ein böſes Geſicht?“ lachte ihm 
die junge Ballmutter zu. 

Er fuhr aus tiefen Gedanken auf, — er hatte 


— 18 — 


e3 juft beobachtet, wie die wonnige Seine von 
einem Arm in den anderen flog. 

„Ihr Fräulein Tochter tanzt zu viel, gnädige 
Frau!” fagte er ftatt aller Antwort, „das wird 
ihr ſchaden!“ 

„Ei, fo verbieten Sie e3 ihr! dem guten alten 
‚Onkel‘ gehorcht fie vielleicht mehr wie mir!“ 

Er ging auch wirklich hin. 

Shre Augen leuchten ihm entgegen: „Wie 
gut, daß Sie fommen!.diefer Walzer ift jo beion- 
der3 ſchön!“ 

„Sie haben ſchon fo viel getanzt, Fräulein 
Geſa!“ 

„Nicht mit Ihnen!“ — 

Da legt er ſeinen Arm um ſie und hält ſie 
an der Bruſt, wie damals im Garten. 

Und ihre Blicke treffen ſich wieder ... und 
fie ſagen einander fo vie. — — 

Es ift Frühling geworden, Frühling auf der 
Erde und Frühling in den Herzen. 

Rudi ift nicht mehr fo Häufig zu Gaft in 
der Billa Felſen, wie fonft. 


Blaß und ſchweigſam geht er feines Weges 
11* 


— 164 — 


und der Major hat ihn ſchon wiederholt gefragt: 
„Sind Sie franf, Nauendorf? Gie haben fi 
überarbeitet! Sie fehen ſchlecht aus.“ . 

Nein, er hat fich nicht überarbeitet, er hat 
nur Tag und Nacht feine Ruhe mehr, er finnt 
und grübelt: „warum iſt Geja fo jung, fo fchön, 
fo reih? und warum bin ich jo arm — fo arm 
gegen fie?” — 

Der Kompagnon des Doktor Felfen ift aus 
dem Ausland zurüdgefehrt, nicht mehr ganz jung, 
aber geiftreich, elegant und reich... . jehr reich... 
fo reich wie Geſa ſelbſt — und er küßt ihr die 
fleinen Hände und macht fein Geheimnis aus 
feinen Abfichten. — Wenn man aber fehen muß, 
ie ein anderer die Roſe pflüct, für welche man 
fein Herzblut geben möchte — dann wird man 
zu Tode traurig, — Trank und bleich ... 

Die Wochen ziehen träge hin, die Sulifonne 
glüht ins Land. 

Da fteigen Schwarze Wetterwolken im Weiten 
auf, der galliihe Hahn fpreizt zornmutig Die 
Tlügel, und fein geller Kampfſchrei klingt über 
den Rhein. 


— 15 — 


Krieg! Der Krieg ift erklärt! 

Frau Felſen ſchickt zu Nauendorf, fie läßt 
ihn bitten, jede freie Stunde noch in ihrem Hauſe 
zu verleben. — 

Wie wenig ſind es deren noch! — 

Nur flüchtig kann Rudi das Mittageſſen bei 
ihnen nehmen. 

Gefa blickt ihn aus ftarren, in Tränen glän— 
zenden Augen an, — ihre Talte Feine Hand liegt 
ſchwer in der feinen... 2 

„Warum find Sie in Tebter Zeit fo menig 
zu uns gekommen?“ — fragt fie leife. 

Was foll er antworten darauf? Ringsum 
gibt es Augen und Ohren. 

Das Geſpräch dreht fih um den Krieg — 
man erwägt mit ernfter Sorge alle Möglichkeiten. 
Frau Doktor Felfen ift nervös, fie blickt voll for» 
gender Unruhe auf ihr bleiches Kind, — auf den 
ernften jungen Freund an ihrer ©eite... 

Die Ordonnanzen fommen und gehen... es 
iſt ein ungemütliches, oft geftörtes Mahl... 
Ichließlich kurz abgebrochen, weil Rudi wieder nach 
dem Bureau ftürmen muß. 


— 16 — 


Als er Geſa die Hand reiht, fieht fie ihr 
flehend an. 

„Ich muß Sie no einmal einen Augenblid 
allein ſprechen . . möchte Shnen etwas geben...“ 
flüftert fie: „morgen früh — den ganzen Bor- 
mittag bin ih im Garten ...“ 

„Wir rüden fehr früh fon aus... .“ mur- 
melt er. 

„Sleichviel — wenn Sie fommen ... . fagen 
Sie mir noch ein Lebewohl!“ — 

Wie fie ihn anfieht.... . wie ihre Hand die 
feine mit bebendem Drud umframpft ... fein 
Herz ſchlägt wild auf. 

„Ich komme, Fräulein Geſa!“ nidt er mit 
halb erftidter Stimme, dann reißt er ſich los und 
ſtürmt davon, feinen Dienſt zu verfehen. — 

Ein lachender, leuchtender Sommermorgen! 
die Blumen gligern im Frühtau, goldene Richter 
fpielen auf den famtweichen Rafenflächen und die 
Waller des GSpringbrunnens glühen in allen 
Varben des Negenbogen?. 

Da ftürmt ein junger Offizier in feldmarfch- 
mäßiger Ausrüftung über den gelben Sandweg, 


— 167 — 


an den Gebüfchen vorüber, zu jener Stelle am 
Teich, wo er die Geliebte damal3 in den Armen 
aufgefangen, dort fucht fie fein Herz, und dort 
erwartet fie ihn aud). 

Wie bla fie ift, wie umfchattet die tränen- 
feuchten Augen. 

„D daß Sie kommen!“ haut fie, „daß ich 
Sie noch einmal jehen kann ...“ 

„Sie befahlen e3, Fräulein Gefa... und... 
ih kam fo gern... fo unbefchreiblick gern!” 
Geine Stimme bebt wie feine Hand, welche die 
ihre umjchließt. 

„Sch würde Shnen fo gern einen Talisman 
mitgeben, Herr von Nauendorf —“ fährt fie auf 
geregt fort: „aber ich weiß feinen bejjeren, wie 
mein Gebet, welches Sie auf Schritt und Tritt 
geleiten, welches für Shr Leben und um Ihre 
Heimfehr flehen foll! — Und hier... nehmen 
Sie died noch mit, fall3 Sie einen Platz dafür 
wiffen ...“ 

Laut auffchluchzend fchlägt fie Die Hände vor 
das Antliß, er aber reißt die Papierhülle von 
dem Kleinen Gegenstand, welchen fie ihm gereicht. 


— 168 — 


Wie ein Zubeljchrei Klingt e3 von feinen Lippen: 
— „Ihr Bill’ — 

Und dann faßt er ihre Hände und ftarrt ihr 
voll übermäcdhtiger Empfindung in das füße, tod- 
traurige Geficht. 

„Geſa!“ — 

Zwei weiche Arme umfchlingen ihn, — ihre 
zitternde ‚Geftalt ruht an feiner Bruft. 

„Rudi, bleib bei mir — id fterbe, wenn 
du gehſt!“ 

„Geſa — haft bu mich Lieb, — wahrlich mich? 
— mid?!" — 

Da lächelt fie unter Tränen zu ihm auf: 
„Daß du noch fragen kannſt! O Herrgott des 
Himmel3 — was wäre mir da3 Leben noch ohne 
dich!” 

Die rotgoldenen Sonnenlichter wogen vor 
feinen Augen, wie beraufcht von dem Übermaß 
der Glückſeligkeit preßt er fie am fich und küßt 
ihre Xippen, wieder und wieder — als müßte er 
diefe Minuten fefthalten, als müßte er alle Selig- 
feit der Liebe in einem einzigen Zuge fchlürfen! 

„Geſa — bete für unfer — Glück!“ 


— 169 — 


„Sa, für did — für mid — für unfer 
Glück! Du wirft heimfehren, du wirft mich wieder 
im Arm halten al3 Braut...” 

„Als Weib! — Für Zeit und Emigfeit! Be— 
halte mich lieb, Geſa — und küſſe mi — küſſe 
mich zum Lebewohl!“ 

Wie brennen ihre Lippen auf den feinen! Wie 
mweit Hinter ihm Tiegt alles Weh und Xeid, die 
Welt voll Kriegslärm und Kampfruf... Ber 
offene Himmel ftrahlt über feinem Haupt. — 

Da rafjfelt und dröhnt e3 laut auf! Wie 
ein ſchriller Mißklang zerreißt der Trommelmirbel, 
welcher von der Straße herübertönt fein morgen- 
ſchönes Glück! 

Noch nie ſchnitt er ihm ſo in Herz und 
Seele wie in dieſem Augenblick, wo er ihn zu 
langem, bangem Scheiden vom Herzen der Lieb— 
ften reißt! 

Da3 Bataillon zieht vorüber zum Bahnhof. — 

„Leb wohl, Geſa, — leb wohl!“ 

Noch einen Ruß, noch einen Blick Herzzer- 
reißenden Weh's aus ihren Augen... dann 
muß er hinweg. Und die Trommeln wirbeln und 


— 10 — 


toſen ... Die Trommeln übertönen den lebten 
Gruß. — 

Die Kanonen brüllen aus ehernem Rachen 
von den Höhen herab. 

Pulverdampf verhüllt das Schlachtfeld, — wie 
rafende Gebilde des Fiebers jagen die Kavallerie» 
regimenter in den Morgennebel hinein. 

Dunkle Mafjen fchieben ſich von allen ©eiten 
vor, Granaten zifchen durch die Luft und plagen 
mit dumpfem Knall — die Erde, der Rauch wirbelt 
auf, Roſſe bäumen und die dunfle Maffe der 
Regimenter verjchiebt ſich momentan, — dann 
ein erneutes „Hurra!“ au3 rauhen Kehlen, ein 
fprungweifes VBorwärtsgehen — Signale und das 
Gefnatter der Salven ... 8 

An dem Regiment vorüber fprengt ein Offi- 
zier und biegt feitlich in die Ebene ab, neue Befehle 
von der Brigade zu holen. — 

Eine kurze Strede jagt er querfeldein... 
Da pfeift und zijcht e8 über ihm... . das Geſchoß 
krepiert ... in blutigem Knäul ftürzen Noß und 
Reiter zufammen. 


— 11 — 


Audi. — 

Ein einziger leifer Auffchrei bricht von feinen 
Lippen —: „Geſa!“ — 

Und dann wird e3 dunkel vor feinen Bliden, 
er ftrebt empor und ringt nach) Luft. ;« 

— Geſa! — 

Wilder brauft der Lärm der Schlacht zu ihm 
herüber — lauter und lauter ftürmt e3 heran... . 
und da... horch da rafjelt und dröhnt e3 plöb- 
ih nah — ganz nah an feiner Seite ... 
Trommelwirbel! — Die Tamboure Schlagen zum 
Sturm... wie das lärmt und wirbelt ... wie 

das all feine Sinne betäubt.. ;. 

„Hurra! — Hurra!” — 

Und wieder die Trommeln... ; die Trom— 
meln... 

Ein leifes Röcheln und Zuden . : . fein Blick 
umflort ſich und ftarrt gläfern in3 leere... . Blut 
fiert in da3 zerftampfte Gras ... 

Trommelwirbel . :. da3 erfte, was er mit 
Tränen auf der Welt begrüßt... . da3 lebte, mas 
er mit brechendem Herzen vernimmt ... 

Trommelwirbel! — 


Der Diterhafe. 


Es flug fieben Uhr. Tony fuhr erfchredt 
aus den Kifien empor und riß die großen, veilchen- 
blauen Augen verichlafen auf. 

Sieben Uhr! Du liebe Zeit! Da mußte fie 
ja ſchon angezogen und friſiert ſein, wenn ſie nicht 
zu ſpät in die Muſikſchule kommen wollte! — 
und gerade, als ſie haſtig nach den Kleidern greifen 
will, zieht plötzlich ein ſtrahlendes Lächeln über 
ihr Geſichtchen und ein erleichtertes Aufatmen hebt 
die junge Bruſt. 

„Es iſt ja Feſtſonnabend! Es iſt ja der Tag 
vor Oſtern und die Ferien haben begonnen!“ 

Tony wirft glückſelig den blonden Zopf über 
die Schulter und dehnt behaglich die Arme. 

Wie fchön ift es, morgen3 noch ein wenig 
auszuruhen und über den Traum nachzudenken. 

Ihr Traum! Sie lachte leiſe auf; wie war 


— 114 — 


der juft heute fo pudelnärriſch! — Stand vor ihr 
auf dem Tifche ein allerliebfter Ofterhafe, der trug 
einen Korb auf dem Rüden, welcher mit lauter 
blanfen Goldftüden angefüllt war. Und er ver- 
neigte fich fehr Höflich, fchüttete den Korb vor 
ihr aus, daß die funfelnden Dulaten über die ge— 
ftidte Dede rollten, und fagte: „Fröhliche Oftern, 
Fräulein Tonerl! Sch bringe Ihnen das Glück!” 
Und als fie ganz überrafcht den feltfam fprechen- 
den Hafen anftarrt, da verwandelt er fih in 
einen bildhübfchen jungen Mann, der ftreicht 
mit feſchem Lächeln das dunkle Bärtchen, neigt fich 
und gibt ihr einen regelrechten Ruß. Sie fchreit 
auf und wehrt ihn ab... Kling... Ming... 
kling ... fallen die Goldftüde auf die Erde... 
und fie erwacht. 

Das „Kling... kling“ aber tft die Uhr, 
welche juft fieben fchlägt. 

Solh ein Traum! Was mag der wohl be- 
deuten? So viel, viel Geld! — Es glitert und 
flimmert noch immer vor den Augen de3 jungen 
Mädchens. Ob da3 ein Winf des Schidfals ift, 
daß fie heute ein Los nehmen foll? 


— 15 — 


Gerade geftern, als fie die fchön geſtickten 
Paradehandtücher in dem Weißwarengeſchäft ab- 
geliefert und bezahlt befommen hat, ift die Summe 
vollzählig geworden, welche jie zum Ankauf eines 
Loſes gebraucht! 

Ach, ein Los nehmen! Ein bißchen Geld ge- 
winnen, damit ihr trübjelige3 Dafein etwas freu- 
diger und fonniger würde, damit fie nicht hin— 
aus in die große, unheimliche, fremde Welt braucht! 

Ihr Bater ift ein armer Beamter, der gerade 
nur das Nötigfte für feine große Familie ver- 
dient, die Stiefmutter ift immer übellaunig und 
unfreundlich, weil fie noch jung und lebensluſtig 
it und fih doch nicht fo amüfieren kann, wie fie 
wohl möchte — die vier Meinen Geſchwiſter wollen 
verjorgt und erzogen fein und die große Stieftochter 

Tony ift dabei recht im Wege. 
; Sie ſoll fleißig ihre Ihöne Stimme üben und 
dann fo Schnell wie möglich hinaus und ein En» 
gagement annehmen al3 Sängerin beim Theater, 
beim „Überbrettl“, gleichviel, da, wo fie am meiften 
verdient und die Ihren bald ein wenig unter- 
jtügen Tann! 


— 16 — 


Ach, welch furchtbarer Gedanke! Tony ſchau— 
dert und blidt traurig nad) dem Tifche hinüber, 
wo joeben im Traum noch die Golditüde blinkten. 
Die Tür öffnete fi und die alte Lene tritt ein. 
Die verfteht fih auf Träume! 

Flugs richtet fich das junge Mädchen empor 
und winkt fie geheimnisvoll heran, zieht die Alte 
neben fich auf das Bett nieder und erzählt flü— 
fternd von dem feltfamen Dfterhafen,. welcher ihr 
erihienen. Aufmerffam hört Lene zu, nidt be- 
dächtig vor fih Hin und fpridt: „Die Sache ift 
ganz einfach, Toner! Wenn du heute einen Dfter- 
haſen oder ein Stüd Geld gefchenft befommift, dann 
bringt’3 Glüd, dann mußt du ein Los nehmen — 
aber wohlverftanden: nur, wenn du's geſchenkt 
befommft! Selber den Hafen faufen, nüßt gar 
nichts — einzig und allein das Geſchenkte hat 
Wert für folden Traum!” 

Da jeufzte das junge Mädchen tief auf. 

Wer jollte ihr wohl einen Ofterhafen — jult 
ſolch einen Hafen mit fo viel Geld — fchenfen ! 
So ein arme3 Haſcherl wie fie befommt nichts 
mehr geſchenkt — ſelbſt zum Dfterfefte nicht! — 


— 17 — 


Sn der großen, eleganten Konditorei, melche 
an der Hauptpromenade der Reſidenz lag und fait. 
ausschließlich von dem beiferen Publikum befucht 
wurde, war e3 in den erften Vormittagsftunden 
noch ftill und einfam, obwohl eine herrliche, reich» 
haltige Ofteraugftellung in den großen Schaufen- 
ftern die Blicke aller Paſſanten feifelte. Da ftanden 
die Häschen, Lämmchen, Hühnchen und Neftchen 
in allen nur erdenklichen Formen und Größen, da 
Iodten die bunten, hochgetürmten Eier von Mar- 
zipan, Schofolade und Zuder, und ein feiner junger 
Herr, welcher juft recht behaglich und vergnügt 
vorüber fchlenderte, blieb ftehen und ſchaute mit 
luſtig bligenden Augen über all diefe füßen Herr- 
lichkeiten hin. 

Langſam ftieg er die beiden Steinftufen empor 
und trat in den Laden, begrüßte da3 Fräulein 
der Kaſſe mit ein paar heiteren Worten, wie ein 
guter Bekannter, und beftellte fich feine Frühftüds- 
fleiſchbrühe. 

„Nun, Herr Doktor, ſchon ſo früh heute zur 
Stelle?“ fragte die Verkäuferin, Taſſe und Paſtet— 


chen auf eines der kleinen Marmortiſchchen nieder⸗ 
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 12 


— 118 — 


ftelfend, und der junge Mann dehnte Tachend die 
Arme und antwortete: „Djfterferien, Fräulein! Es 
gab nicht mehr für mich auf der Redaktion zu 
tun, da nahm ich den Hut vom Nagel und jagte 
der lieben, alten Bude für ein paar Tage: „Behüt 
Gott!” 

„Und nım fchreiben Sie recht fleißig an dem 
Luſtſpiel?“ 

Der Herr Doktor zog eine leichte Grimaſſe. 
„Bei dem ſchönen Wetter ſtürzt ſich kein Menſch 
voll ſelbſtmörderiſcher Abſicht in das Tintenfaß, 
Fräulein! Nein, heute am Feſtſonnabend hat der 
Menſch andere und beſſere Verpflichtungen, ſehen 
Sie — hier!“ Und er griff in die Rocktaſche, 
zog ein paar bunte Oſterpoſtkarten hervor und 
zeigte ſchmunzelnd die luſtigen Haſenbilder darauf: 
„Sch muß Oſtergrüße ſchreiben, recht eilig ſchrei— 
ben . .. habe e3 total vergeſſen und werde mich 
hier damit amüfieren, wenn Sie gütigft geſtatten! 
Haben Sie nicht Tinte und Feder zur Hand? 
Wäre Ihnen riefig dankbar! Wiſſen Sie, Fräu— 
lein, e3 gibt Stimmungen, wo der Menſch irgend- 
einen Ulk Ioslaffen muß, eine fo recht fidele 


— 19 — 


Terienftimmung, und die fißt mir heute im Naden 
und ftiftet mich rettung3los zu irgendeinem Stu- 
dentenftreich an! Mit den Karten hier geht’3 los! 
Diefe Hafenfamilie mit den acht hoffnungsvollen 
Sprößlingen und Drillingen im Wägelchen be— 
fommt mein Freund Mar, welcher am zweiten 
Ofterfeiertag heiraten will... . natürlich adreffiere 
ich den Ofterfegen an die Wohnung der Braut...” 

„ber Herr Doktor!“ 

Er lachte Hell auf. „Sie erlauben’3 nicht? 
Na, auch gut! Nur erit mal Feder und Tinte!” 

„Am beiten wäre es, Herr Doktor, Sie festen 
fih hier an das Kaffenpult! Das Gitter davor 
veritet Sie vor etwaigen Kunden... Sie fehen 
alles und werden doch nicht gejehen und können 
ganz ungeftört fchreiben !” 

„Samos! Machen wir! Küſſe die Hand, 
Fräuleinchen!“ 

Und Doktor Erich Helfen zog ſich mit ſeinen 
Karten hinter das hohe Holzgitter zurück und be— 
gann einen fehr ſtilvollen Vers unter die Hafen- 
familie zu dichten. 


Die Türklingel ertönte und zwei Damen 
12* 


— 80 


traten in den Laden — eine hübſche, blühende 
Frau in den beſten Jahren, und ein ſchlankes, 
blondes, junges Mädchen — beide ſchienen mit 
Freuden zu bemerken, daß ſie allein mit der Ver— 
käuferin waren. 

Sie wandten ſich der langen Tafel mit den 
aufgeſtellten Attrapen und Eiern zu und Doktor 
Helfen hob den Kopf ein klein wenig und lugte 
neugierig durch das Gitter. 

Potz Wetter, das war ja ſeine ſüße Kleine, 
der er allmorgendlich mit der Muſikmappe am 
Arm begegnet! 

Jenes holde, ſchüchterne Kind, welches nie 
die großen Veilchenaugen aufſchlägt, wenn er auch 
noch ſo langſam und auffallend nahe neben ihr 
herſchreitet und ſie anſtarrt! 

Wie ſehr ſympathiſch iſt ihm dieſe reizende 
Scheu und Zurückhaltung, wie ſehr wohltuend be— 
rührt ſie ihn nach fo manch keckem und heraus— 
forderndem Blick, welcher ihn aus ſchönen Augen 
trifft! 

Und juſt, wie er dies denkt, ſtößt die Kleine 
einen leiſen Laut der Überrafhung aus und weiſt 


— 1831 — 


auf einen Oſterhaſen, welcher zwifchen ungezählten 
Genoſſen auf der Iangen Tafel Parade fist und 
ein Tragförbchen auf dem Rüden fchleppt, welches 
bi3 an den Rand mit Gold- und Markſtücken an— 
gefüllt ift! 

„Mama! — fieh do... da ift er wirklich 
und leibhaftig ..... mein Ofterhafe, von melchem 
ich geträumt habe!“ — 

Die Mama läßt ſich gerade, recht übelge— 
launt, die hohen Preiſe der einzelnen Eierſorten 
nennen, ſie zuckt ungeduldig die Schultern. 


„Stör mich nicht! — Gibt es denn nicht 
billigere Marzipans, Fräulein? Ja? Dann holen 
Sie ſie doch mal heran!“ 

„Mamachen!“ flehte es leiſe neben ihr; „nur 
den einen, einzigen Wunſch erfülle mir — ſchenk 
mir dieſen Haſen!“ 

„Dieſen Haſen ſchenken? Du biſt wohl toll, 
Tony! Als hätte ich das Geld zum Fenſter hinaus— 
zuwerfen! So ein großes Trauenzimmer, wie du, 
und will einen Ofterhafen haben! Lächerlich!”‘ 

„Mamaden... Ach, nur dies eine Mal...” 


— 12 — 


„Du weißt, daß die Finder neue Hüte und 
Srühlingamäntel . . . daß ich ein Koſtüm ... du 
einen Negenmantel und unzählige neue Noten 
braucht! Wo foll e3 denn herfommen? Sch ver— 
bitte mir jede unnötige Ausgabe! Wenn’ nicht 
für die Kleinen ein paar Dftereier fein müßten, 
faufte ich fie nie!” 

„Ad, Mama... ich will gern auf den Man— 
tel verzichten... nur den Hafen fauf mir... 
e3 ift mein innigſter Wunſch!“ 

Die großen Augen füllen fi; mit Tränen, 
die rofigen Lippen flehen geradezu inbrünftig 

Aber die Mama macht ein bitterböfes Geficht 
und dreht fi} furz um. 

„Du ſcheinſt verrückt zu fein! Sch verbitte 
mir folchen Unfug, verftanden ?”. 

Das blonde Köpfchen ſinkt ſchwer auf bie 
Bruft, ein leifer Seufzer zittert an Helfens Ohr 
und gleichzeitig tritt daS Fräulein wieder herzu 
und fagt: „E3 märe wohl am einfadjiten, die 
gnädige Frau käme mit in das Nebenzimmer, da 
find auch Konfitüren ausgeftellt, die billigen Sor— 
ten ebenfalls!“ | Eu 


— 13 — 


"Und die Damen gehen in da3 Nebenzimmer. 
Schnell wie der Gedanke, von niemand bemerkt, 
bufcht der Doktor hinter der Kaffe hervor, nimmt 
leife den Hut und eilt auf die Straße. 

Mit übermütig blitenden Augen wartet er 
hinter dem Schaufenfter, bi3 die Damen in den 
Zaden zurüctreten und die Mama mit fauerfüßem 
Geficht ihre DOftereier an der Kaffe bezahlt, dann 
ſpringt er jchnell die Steinftufen empor, tritt haftig 
und ganz wie von ungefähr ein und Schreitet ſchnur— 
grade auf die Tafel mit den Dfterhafen zu. Er 
greift denjenigen mit den Goldftüden aus der Mitte 
heraus, wendet fich fchnell der jungen Dame zu und 
drückt ihr mit fehr höflicher Verbeugung den füßen, 
kleinen Gefell in die Hand. „Geſtatten Sie, mein 
gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen diefen Diter- 
bafen — juſt diefen — zum Geſchenk made. Er 
wird Ihnen das Glück ins Haus bringen!” 

Tony fteht wie erftarrt und fieht erft den 
Herrn und dann den Hafen an, dieweil heiße, Dunkle 
Purpurglut ihr reizendes Gefichtchen dedt. Die 
Mama aber reißt die Augen mweit auf und fragt 
mit einem Gemiſch von Strenge und Staunen: 


— 14 — 


„Mein Herr... . ich kenne Sie nicht... . was foll 
da3 bedeuten ?’ 

Da zieht Doktor Helfen abermals den Hut 
und verbeugt fich fehr verbindlich vor der Fragerin. 


„So it des Schickſals Auf an mid) ergangen, 

Mich treibt nicht eitles, irdiſches Verlangen ! 
rezitiert er feierlich, Iegt fchnell ein Geldftüd auf 
die Kaffe —: „Hier, mein Fräulein!” und ift im 
nächſten NAugenblide wieder fchnell, wie ein Ge— 
danke, hinter der Tür verfchwunden. 

„Mama! ringt e3 fi von Tonys Lippen, 
fie fteht und zittert wie Efpenlaub und zieht ihren 
fo unbegreiflich geheimnisvoll und fchier ſpukhaft 
gefchenkten Hafen an das hochklopfende Herz. 

„Kennen Sie den Herrn, Fräulein ?” wendet 
fih die Fran Nat, ein Hein wenig entrüftet ſchei— 
rend, an die Verkäuferin, und dieſe verbeißt müh- 
fam ihr Lachen und antwortet höflich: „Der Herr 
war fchon etliche Male hier im Gejchäft. Sopiel 
ich weiß, ift er ein junger Schriftfteller und Re» 
dafteur an einer hiefigen Beitung!” 

„ah... Schriftiteller ?’— Die Mama lächelte 
ein wenig fpöttiich: „Bei folden Leuten darf man 


— 15 — 


fich allerdings über feine Ertravaganzen wundern, 
Schriftitellern und Dichtern fieht man manches 
nad, was man bei anderen Leuten verrüdt oder 
unverihämt nennen würde. — Komm Tony.” 
— Froſtig und kurz grüßt die Frau Rat, ihr 
blondes Töchterchen aber folgt wie im Traume, 
mit Augen, welche in beinahe märchenhaftem 
Glanze ftrahlen und in welchen noch der ganze 
füße Rinderglaube an Zeichen und Wunder 
wohnt! 

Sa, ein Wunder, ein liebes, unfaßliches 
Wunder, welches fich fein Menfch erklären kann, 
mar gejchehen, und fauın daß das junge Mädchen 
zu Haufe angelangt ift, holt fie heimlich, mit zit- 
ternden Händchen ihren jo mühſam erworbenen, 
lang verborgenen Schab aus der Kommode hervor 
und eilt unbemerkt davon, das langerjehnte Los 
zu faufen. Daß diejes ihr Glück und Gewinn 
bringen müßte, däuchte ihr jo gewiß, wie Früh— 
Iing3blüten, welche doch, endlich kommen müffen, 
wenn Eis und Schnee auch noch jo lange die Welt 
in ſchwere Banden fchlugen. 

Und als das Los in ihrer Hand liegt, da 


— 16 — 


fißt fie vor dem Dfterhäschen und ſtarrt e3 an, 
mie eine Bijion. 

Gerade — ganz gerade fo ſah auch dasjenige 
in ihrem Traume aus ... und ald e3 fich plöß- 
lich verwandelte in den jungen Herrn, welcher fo 
fe und innig ihre Lippen küßte . . da — — — 
Tony ſchlägt plößlich heißerglühend die Hände vor 
das Geſicht ... da däuchte es ihr, er fah ebenfo 
aus, wie jener Herr, welcher ihr den Hafen auf 
ſolch rätjelhafte Weiſe ſchenkte. 

Sie war zu erſchrocken geweſen, um ihn in 
jenem Augenblick genau anzuſehen, aber das weiß 
ſie gewiß, unter Tauſenden würde ſie ihn heraus 
erkennen, wenn er jemals ihren Weg wieder 
kreuzte! — — — 

Das Oſterfeſt war vorüber, die ſchönen, 
kurzen Ferien vorbei und Tony wanderte abermals 
mit ihren Noten nach der Muſikſchule, als plöb- 
Yih ein Schatten in den hellen Sonnenfchein de3 
Weges fiel und eine recht frifche, Fröhliche Stimme 
neben ihr fagte: „Verzeihen Sie, mein verehrte 
Sräulein, wenn ich mir geftatte, nach dem Be- 
finden des Ofterhafen zu fragen ?” 


— 17 — 


Das junge Mädchen fchraf aus tiefen Geban- 
fen empor und fchaute, auf da3 höchſte verwirrt, 
in das hübfche, geiftoolle Geficht jenes Unbekann— 
ten, welches fie zuerft im Traum und dann in 
jenem verhängnisvollen Augenblid in der Kondi— 
torei gefchaut, und meil fie fich in Gedanken fo 
viel mit diefem rätjelhaften Unbekannten beichäf- 
tigt hatte, fam er ihr gar nicht mehr fremd 
vor und ein leifer Treudenlaut zitterte über ihre 
Rippen. 

„D, Sie find e3, mein Herr! — endlich habe 
ich Gelegenheit, Shnen für Shre große Liebens— 
mwürdigfeit zu danfen — endlih kann ich Sie 
fragen . . .” Sie zögerte und verftummte verlegen, 
unter dem lachenden Blid feiner großen, bunfeln 
Augen. 

„Ihren freundlichen Dank la3 ich, bereits in 
Ihrem ftrahlenden Blick, mein Fräulein. Ihre fehr 
berechtigte Trage aber: ‚Wie wohl der fedite aller 
Übeltäter heißen möge‘, die erwartete ich und er- 
laube mir derſelben zuvorzukommen —“ er lüftete 
abermal3 den Hut und verneigte fich fehr refpeft- 
voll und galant: „Erich Helfen, Doktor der Philo- 


— 18 — 


fophie, Redakteur und Schriftſteller — viel auf 
einmal und doch reicht e3 ſelbſt für die bejcheiden- 
ften Anſprüche noch nicht aus!” — Sie ftimmte 
unmillfürlich in fein fröhliches Lachen ein. „Nein 
— fo indisfret wollte ich gar nicht fragen!” ſchüt— 
telte fie mit heißer Glut auf den Wangen das 
Köpfchen: „Nur wiffen möchte ich gern, was Gie 
veranlaßte, mir — juft mir jenen... gerade 
jenen Hafen zu ſchenken!“ 

Er zudte geheimnisvoll die Schultern: 
„Schickſalswalten! Wiſſen Sie nicht, daß die klei— 
nen Frühlingsgeifter durch die Luft fchwirren... 
den Menjchen holde Träume vorgaufeln ...“ 

„Träume?! — Haben Sie etwa aud von 
dem Dfterhafen geträumt?” — Atemlos vor 
Spannung fah fie zu ihm auf, er aber ftrich ganz 
ernfthaft das Bärtchen und meifterte den Schalt in 
feinem Blick: „Ich träumte wenigften3 von dem 
Glück, welches ſolch ein Heiner Burſche manchmal 
ſtiften kann, und träumte, daß Fräulein Tony 
Frankenberg und ich in Zukunft gute Freunde ſein 
werden! Auf Wiederſehen, meine Gnädige, eben 
ſchlägt es acht Uhr ... und Ihr geftrenger Lehr« 


— 189 — 


meifter darf nicht warten!” Er grüßte abermals 
ſehr Höflich und trat zurüd, Tony aber ftieg wie 
in Traume die Treppe der Muſikſchule empor. 

Am nädjftfolgenden Tage trat er ihr aber» 
mal3 unterwegs entgegen und reichte ihr mit ganz 
befonder3 fprechendem Blid einen Veilchenſtrauß. 
„Ein wenig Grünfutter für den Oſterhaſen!“ 
fcherzte er dabei und Tonys Lippen bebten zwar 
vor Verlegenheit, aber fie wies da3 Sträußchen 
doch nicht zurüd. “ 

Am anderen Tag regnete e3 und er hielt ganz 
wie jelbitverftändlich feinen Schirm über fie und 
begleitete fie abermal3 zu dem Konſervatorium, 
und fie plauderten bereit3 wie alte Befannte, 
und er beitellte viele Grüße an den Dfterhafen 
daheim. 

Nach den Veilchen befam der Kleine Gefell 
einen Strauß Schneeglödchen — und dann Primeln 
und gelbe Himmelfchlüffelhen und Maiblumen, 
und die Frühlingsfonne ftieg immer ftrahlender am 
Himmel empor, dad Wetter ward immer wonniger, 
immer lenzesſchöner, und Erich Helfen martete 
nicht mehr auf dem Hinweg feiner Heinen Freun— 


— 1% — 


bin, fondern er ftand unter den blühenden Ge— 
büjchen der Anlagen, wenn fie von den Stunden 
zurüdfam, und beide wanderten durch den lind 
Buftigen Park, wo die Vögel zmwiticherten und bie 
Blumen auf den Raſenflächen leuchteten. 

Und fie ſprachen immer vertrauter, und ihre 
Augen glänzten noch heller, wie all die Maien- 
pracht ringsum, und die Herzen fchlugen Heiß 
und ſehnſuchtsvoll in der Bruft, al3 wartefen fie 
auf einen Lenz des Glüdes, welcher endlich, mie 
ein lichter Dftertag, auch für fie anbrechen muß. 

„Warum find Sie eigentlich fo fleißig, Fräu— 
lein Tonerl?“ fragte er eines Tages nachdenklich, 
„treiben und jtudieren Sie nur aus Rafjion 
Muſik?“ 

Sie ſchüttelte ſeufzend das Köpfchen. „Ach 
nein! Ich bereite mich für einen künftigen Beruf 
vor! Meine Stimme ſoll ausgebildet werden, denn 
meine Stiefmutter behauptet, als Sängerin könne 
ich das meiſte Geld verdienen!“ 

„Als Sängerin?“ rief er ganz erſchrocken. 
„Sie ſollen auf die Bühne? Welch ein Unſinn, 
welch eine Torheit! Sie ſcheues, banges Kind auf 


— 11 — 


die Bühne? Das geht aber nicht! Das — dulde 
ich nicht! — Das erlaube ih einfah nicht!” 

Sie fchüttelte harmlos das Köpfchen: „Nein, 
ich will es auch felber nicht! Sch würde ja vor 
Angit fterben, wenn mich all die fremden Leute 
anjehen würden! Schon Ronzertfängerin zu fein 
iſt mir ein ganz ſchrecklicher Gedanke — —“ 

Er fuchtelte heftig mit feinem Stöckchen durch 
die Luft. „Ei zum Kudud, warum werben Sie e3 
dann? Gibt e3 nicht noch viele andere Beihäfti- 
gungen für Damen? —“ 

Sie feufzte und fah fehr ängftlih in fein 
erregtes Geficht. „Sch habe gar feine Talente... 
und rechnen... . Ach, rechnen Tann ich jo gar 
nicht !” 

„3% kann's defto beſſer ... es würde bolf- 
fommen für uns beide ausreichen!” murmelte er. 

„Daß Sie rechnen können, nübt mir aber 
nichts!“ ſchüttelte fie troftlog das Köpfchen. 

Da faßte er plößlich ihre Feine, weiche Hand 
und umjchloß fie mit bebendem Drud: „Sch wüßte 
ſchon einen Beruf für Sie, liebe Tonerl!” rief er 
ungeftüm: „Den beiten und fchöniten, den e3 gibt! 


— 12 — 


Meine Frau müffen Sie werden... Wenn..: 
ja, wenn nur das infame Geld nicht märe! Aber 
fo wie mein Luftfpiel angenommen ift und Erfolg 
hat und jo wie ich erſt feit und ficher ala Redakteur 
angeftellt bin und ein ſtändiges Einfommen habe 
— dann hole ich dich weg aus deiner Muſikſchule, 
Tonerl, und dann wirft du meine füße, liebe, Heine 
Frau und wir heiraten auf der Gtelle... ja! 
So wie ich nur erſt das nötige Geld habe! Tonerl, 
fag, mwillft du mich dann ?" 

Es mar ftill und einfam um die Mittagszeit 
im Part, außer Vöglein und Blumen war niemand 
zugegen, und fo jah e3 auch feiner, wie Erich Helfen 
feinen holden Schatz in die Arme ſchloß und jie 
ebenfo innig und zärtlich Füßte, wie jüngft im 
Traum! 


— u — — — — 


Und wieder waren zwei Tage vergangen und 
der Himmel glänzte noch blauer und feſtlicher, wie 
zuvor, und alle Blüten, welche noch in der Knoſpe 
geſteckt hatten, als Erich Helfen ſeine junge Braut 
zum erſten Male küßte und ſich ihr angelobte für 


— 13 — 


alle Emigfeit troß einer noch fo langen Wartezeit, 
die waren über Nacht aufgebrochen zu zauberholder 
Schöne! Nun glikerten fie im Frühtau, als 
müßten fie fich für den heutigen Tag ganz befon- 
der3-bräutlich ſchmücken, und fie hoben die Köpf- 
en, als fie den jungen Mann allein daherfom- 
men fahen und in fein beforgtes Antlitz blicten. 

Er Hatte vergeblich auf fein Tonerl gewartet 
und viele bange Fragen durchfreuzten fein Hirn, 
was wohl ihr Ausbleiben verjchuldet haben könne 
— aber noch war er nicht bi3 zu der Mitte des 
Parkweges gelangt, als "ein jehr eiliger, leichter 
Schritt... . und fein leife gejubelter Name hinter 
ihm erflang: 

„Erich!“ — 

Er ftürmt ihr entgegen, er blidt überrafcht 
in ihr glühheißes Gefichtehen, welches ihn mie 
trunfen vor Wonne und Glüdfeligfeit anlachte. 

„Sri — lies! Lies!’ — 

Gie drüdte ihm eine Gemwinnlifte voll großer, 
Ichwarzgedrudter Bahlen in die Hand. — „Nr. 
25788... Hier fiehft du... . den zweithöchſten 
Gewinn... ad, fo viel, viel Geld, Erich!!” 

N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. j 13 


— 14 — 


Er jchüttelte verjtändnislos ben Kopf. „Sch 
babe fchon oft gefpielt, aber nie etiva3 gewonnen, 
Schatz!“ 

„Aber ich habe gewonnen!“ ſtieß ſie atemlos 
hervor. „Hier iſt mein Los ... Weißt du, das 
Oſterhaſenlos ... Aber nein! Du weißt ja noch 
gar nichts, du herzlieber Mann... Und nun muß 
ich dir alles erzählen... Und dann ſagſt du mir, 
wie wir e3 nun anfangen miüjjen, den großen, 
ſchweren Sad voll Geld nach Haufe zu fchleppen !” 

Auf der Bank unter den weißen Blüten» 
zweigen faßen fie Hand in Hand und Tony er— 
zählte von ihrem jeltfamen Dftertraum und von 
dem noch viel ſeltſamer geſchenkten Dfterhafen, 
und von dem Los, welches fie daraufhin genom— 
men und das nun einen jo hohen Treffer getan! 
Da lachten und jubelten fie beide um die Wette 
und nannten Dfterhäschen ihren Glüdsbringer und 
den herrlichjten Heinen Burfchen auf Gottes weiter 
Welt! 

Er foll auch für ewige Zeiten den Ehren- 
plaß in ihrem Haufe behalten! 

Die DOftergloden waren verklungen — als 


— 15 — 


aber die Pfingfintaien über Tür und Tor prang- 
ten, da rüftete ein überglüdliches, junges Baar 
Thon zur Hochzeit, und der Bräutigam überreichte 
feiner Herzlieben das vollendete Luftfpiel, welches 
bereit3 am Hoftheater zur Premiere angenommen 
iſt. Daß er fo fleißig daran arbeitete und daß e3 
fo fehr, jehr Yuftig wurde, verdankt auch er nur, 
dem Dfterhafen ! 


13* 





Oſterglocken. 


Er richtete ſich ſchwerfällig auf und ftarrte 
mit Ichlaftrunfenen Augen um fich her, — gähnte 
ein, zweimal und jchüttelte die Stroß- und Heu- 
halme aus dem vermwilderten Haar und Bart. 

Und dann rang ſich ein Aufftöhnen aus feiner 
Bruft. Er hatte geträumt, — nur geträumt, daß 
er wie ehedem in feinem Bett gelegen, ein Dach zu 
Häupten, ein Frühſtück auf dem Tiſch, anftändige 
Kleider am Nagel und ein Portemonnaie in der 
Talde . ... 

Ein Fluch Hang zifchend über die ſchmalen, 
farblofen Lippen, mit kurzem, wütendem Rud riche 
tete er fich empor und fehleuderte die Heubündel 
bon ſich. — 

Jetzt war er erwacht, und er fah fein ganzes, 
bittere3 Elend wieder vor Augen. 

Die ein Stüd Vieh, war er in einem Heu- 


— 


ſchober untergekrochen, Lumpen auf dem Leibe, 
nagenden Hunger im Leibe und keinen Heller Geld 
im Beutel, ein Strolch, ein verkommener, elender, 
tief geſunkener Menſch! 

Wie ein ſcharfes Hohnlachen ſchrillt's aus 
ſeinem Munde. Er rafft ſich empor, packt den 
ſchweren Knotenſtock und blickt um ſich her. 

Milde, ſtrahlende Frühlingsſonne. Die nahen 
Berge prangen im winterlich grünen Tannenkleide, 
überhaucht von zartwallenden Duftſchleiern, welche 
ihre hochragenden Häupter mit dem lichten Him— 
melsgrau zu verſchmelzen ſcheinen. 

Maigrüne Felder ziehen ihre zarten Strei— 
fen an den Berghängen empor und breiten ſich 
im ſchmalen Tal zu künſtlichem Teppich aus, zwi- 
ſchen deffen Saatmufter üppige Wiefen in junger 
Trühlingspracht Yeuchten. 

Und mitten in diefem herrlichen Bild prangt 
das ſchmucke Dörfchen dicht vor ihm, mit roten 
Biegeldächern durch Inofpende Baumzweige lachend, 
fräufelnde Rauchwolfen über den Schorniteinen, 
ein freundlich helles Kirchlein auf freiem Plab. 

Der verfommene Menſch vor dem Heufchober 


> 


— 19 — 


fneift die gefchtwollenen Augen zufammen und blin- 
zelt mit haßerfülltem Blick über die friedliche Got— 
teswelt und Stätte wohnlichen Behagens hin, dann 
feßt er fich Yangjam wieder auf da3 Heu nieder 
und ftüßt ingrimmig dag hagere Geficht auf- die 
Fäufte. 

Sa, die da unten in den reichen Häufern 
wohnen, die haben’3 gut! Die fißen im warmen, 
trocenen Neſt, die haben Haus, Hof, Vieh, Feld 
und Garten, denen fliegen die gebratenen Tauben 
in den Mund! Er aber, Heinrich Selke, — er 
iſt ein räudiger Hund unter ihnen! Er ift feit 
jeher ein Stieffind des Glückes geweſen! Arbeit3- 
ſcheu? träge und faul? Lächerlich! Kein Glück 
und Fein Stern! Ungeredtigfeit, Selbſtſucht 
überall. 

Und bäumt man auf gegen die Sklavenfetten, 
dann zeigt es fich vollends, welche Macht das 
Geld hat und wel ein Narr wohl jeder ift, der 
fich auf ſchöne Worte und Verfprehungen verläßt! 

Heinrich Selfe blidt fpöttifch auf feine Lum— 
“pen nieder. Dieje find alles, was ihm. ge- 
“ blieben! — 


— 200 — 


Für den einſamen, verlaſſenen und arbeits— 
loſen Mann ſteht keiner ein! 

Nun iſt er geworden, was er früher nie ge— 
dacht, äußerlich und innerlich ein Lump! 

Alles was er beſaß, hat er verloren, und nur 
eines dafür eingetauſcht, den maßloſen Haß, die 
menſchenfeindliche Erbitterung, welche in jedem 
einen Todfeind erblickt, der noch einen Heller 
ſein eigen nennt! — 

Wie weh der Hunger tut! wie bitter weh! 
Soll er noch einmal fein Heil verſuchen und drun— 
ten von Tür zu Tür betteln gehn? 

Er frampft die Hände zufammen und jhüt- 
telt wild den Kopf. 

Kein! er hat e3 gejtern abend getan, und 
feiner gab ein Nachtquartier, und nur ein Weib 
ein Stückchen Brot. Niemand mochte den unheim- 
lichen, verwahrloften Kerl unter jein Dach neh- 
men, und im Wirtshaus, wo er vielleicht einen 
Schnaps erbettelt hätte, faß der Gendarnt. 

Soll er fih ihm in die Hände liefern? Wenn 
fie ihn einfperren, befommt er zu effen. 

Aber nein, — er erftidt hinter Schloß und 


— 201 — 


Riegel, — er möchte aufbrüllen wie ein mil» 
des Tier, wenn ihn die engen Mauern be= 
drüden. 

Und wozu noch diefe Galgenfrift, — dieſes 
Hinziehen? Er findet feine Arbeit, und das Bet- 
teln hat er fatt. — Wa3 man ihm zum Erwerb 
anbietet, mag er nicht. 

Er kann nicht Knecht fein und ſich einem 
groben großipurigen Bauer fügen, — er würde 
ihn bei dem erſten Schimpfwort zufammenjchlagen, 
er würde ihm die Gurgel zudrüden, wenn der 
Herr am Fleifchtopf ſäße und dem Knecht einen 
Napf Kartoffeln Hinfchöbe, — er kann e3 nicht! 
Er ift zum Arbeiter untauglich geworden. Alfo 
fort! vorwärts! Wie ein Hund an der Landſtraße 
verreden. Wer fragt nach ihm? Keiner! Wer 
ſucht ifn? — Reiner! — Man jharrt ihn ein 
und ihm wird’3 wohl fein in der dunfeln, Falten 
Erde, — da, wo doch alle Menfchen gleich find, 
wo der Reiche als Häuflein Staub neben dem 
Staubhäuflein de3 Allerärmften liegt! Da wird 
ihm wohl fein. — Und Heinrich Selfe beikt in 
mwildem Trotz die Zähne zufammen, erhebt ich 


— 202 — 


taumelnd auf die Füke und wendet dem verhaßten 
Dorf den Rüden. 

Immer ziel- und planlos gradaus, — in 
den Wald, in die Bergeinjamfeit hinein. — Wie 
ſchwach er auf den Füßen ift, — wie der Schmerz 
ihm in Magen und Eingeweiden mühlt! — Er 
überfchreitet die Fahrftraße, und al3 er erichöpft 
auf einem Baumftumpf niederfinkt und die breite 
waldgefäumte Straße, melde jo ftill und einjam 
im Sonnenliht vor ihm liegt, hinabblidt, da 
fommt ihm ein wilder, verzweifelter Gedanke. 

Soll er hier im Gebüſch Tauern, bis ein ein- 
famer Wanderer, ein Bäuerlein mit gefüllter Geld- 
fage vorüberziehft —? Soll er dem...o fein 
Stod wiegt ſchwer ... und da3 Meſſer in der 
Taſche ift Scharf... und wenn er Geld hat, — 
viel Geld, dann noch einmal zum Dorfe zurüd 
und zechen, ejfen, trinfen, gut und viel, fehr viel... 
und dann?? 

3a, — und dann! — 

Sterben ja, — aber nicht eingefperrt ſitzen 
fein Leben lang, — das ift Schlimmer wie alles. — 

Und. wenn er feinen Totfchlag beginge, fon- 


. 


— 203 — 


dern den Überfalfenen nur zwänge, mit ihm zu 
teilen? So, mie e3 feine verdammte Schuldig- 
feit ift, weil aller Reichtum ja doch nur Raub 
am Nächiten bedeutet? — 

Haha! wer teilt wohl gutmillig! Niemand! 
Niemand! Und wenn er bis zum Halfe im Golde 
fäße! 

Und ift „Raub“ in den Augen der par— 
teiiſchen, ungerechten Richter nicht auch ein Ver— 
brechen, welches mit Zuchthaus beſtraft wird? — 
Und ließe ber Beraubte ihn jemals dazu kommen, 
ſich — wenn auch nur für Stunden — de3 Geldes 
zu freuen? Ehe er ich jatt eſſen könnte, hätten 
ihn die Spürhunde ſchon gefaßt! 

Und doch — totichlagen, um fich zu rächen! 
um zum lebten Male fein Mütchen zu fühlen! 
Heinrich Selke krallt mit einem faſt tieriichen 
Schrei die Fingernägel in die feuchtmoofige 
Erde. 

Sa Rache! — Nahe! — Bergeltung üben 
an all denen, welche ihn fo elend gemacht! welche 
fatt und glüdlich find, dieweil er in der Verzweif— 
fung verſchmachtet! Wilde, wahnfinnige Rachſucht 


— 204 — 


glüht in feinem Herzen. Zahn um Zahn — Auge ° 
um Auge! 

Und doch, was nützt es ihm, wenn hier ein 
armjeliges Menſchenkind, fterbend durch feine 
Hand, auf der Landftraße liegt? Leben dafür nicht 
taufend andere Feinde, Millionen andere, reiche, 
frohe, zufriedene Menfchen ? 

Heinrich Selfe ſchüttelt mit fchrillem Geläch— 
ter die Fäufte. Ach, daß er die ganze Welt paden 
und vernichten fünnte, — das — das — würde 
feinen Radhedurft Fühlen, — Erde — Meer — 
Himmel — alles zermalmen möchte er — — 
Hoch... was ift das? — Gloden? — Heute 
am frühen Morgen Glodenläuten? Gind fie des 
Teufels im elenden Neft dort drunten? Gloden? 
— lächerlich — wozu folch ein Speftafel, welcher 
den Leuten nur in die Ohren gellt? — 

Mit ftierem Blick wendet der einfame Mann 
das Angeficht nach) dem Dorfe zurüd. 

Veindfelig brennt e3 in feinem Auge, da er 
des Kirchturmes anſichtig wird. Ein höhnifches 
Lächeln verzerrt feine Lippen. 

Es ift ja Oftern heute! — richtig, er hatte 


— 20° — 


es ganz vergefjen. Dftern! — bah — für reiche 
Leute nur, die Schofoladen- und Marzipaneier- 
fuchen und Kuchen baden können, für folche, die 
neuen Staat in die Kirche tragen und fich damit 
dide tun wollen! 

Sa, für fie ift’3 Oftern. — Für ihn nicht. 
— Er ift mit dem Himmtel ebenfo fertig wie mit 
der Erde — fie haben: ihn beide im Stiche gelaffen! 
Verfluchtes Gebimmele! — Er kann den Klang 
nicht ertragen, er hat das Gefühl, als fei jeder 
Glockenton eine Kralle, welche fich ihm in da3 Herz 
fchlägt, — die Hände troßig gegen die Ohren 
gepreßt, Ipringt er auf und wankt weiter, wie ein 
Wild, welches die Meute hetzt. Nicht den fonnigen 
Weg entlang — er haßt das Sonnenlidt, — 
bier... im Wald....da ift tiefer Schatten 
unter dem Fichtengezweig! — Mit zitternden 
Knien biegt er in den Waldweg ein und taumelt 
eine furze Strede meiter. Aber ein brennender 
Schmerz im Magen und in den Eingemweiden läßt 
ihn ftraucheln, — er ift fo ſchwach, jo todesmatt... 
vor feinen Augen mallen dunkle Schatten... 
fraftlo3 bricht er zufammen. 


— 206 — 


Boll Verzweiflung reißt er den jungen Stein» 
lee, welcher am Wegrain ſproßt, ab und fchlingt 
ihn hinab, — und dann fchlägt er mit den ge- 
ballten Fäuften gegen die Stirn —. Schwacher 
elender Kerl, der er ift! Er will ja nicht mehr 
effen, — es foll zu Ende kommen, — fterben will er! 

Erſchöpft finkt fein Haupt zur Seite, — er 
Ichließt die Augen und liegt regung3los, — — 
und über ihn ziehen friedfam und wunderbar feier- 
Yich die Klänge der Oftergloden, welche der jubeln- 
den Kreatur verkünden: „Welt lag in Banden, 
Chrift ift erftanden, freue dich! freue dich, o Chria 
ſtenheit!“ 

Heinrich Selke will ſie nicht hören, — aber 
er hört ſie dennoch, — er muß es. Und wie ſein 
Körper kraftlos zuſammenbrach, ſo läßt auch ſeine 
Seele matt und gebrochen den Glockenton und 
feine ſelige Verheißung über ſich ergehen. — 
Wunderlich — es iſt, als ob der Klang eine 
Stimme wär, — eine Stimme vom Himmel, die 
ruft unaufhörlich — komm — komm — komm! 
Ruft ſie auch ihn, den Verirrten und Verlorenen? 
— Ein heiſeres Lachen ringt ſich von feinen Lip- 


— 207 — 


pen. Ach nein! ihn nicht! Was hat der Liebe 
Gott noch mit ihm zu ſchaffen? — Er hat ſich 
nicht um ihn gefümmert und Heinrich Gelfe hat 
auch nichts nach ihm gefragt. 

Lächerlich. Gott! — Gott! — Was ift Gott? 
Ein überwundener Standpunkt für jeden Aufge- 
Härten, für jeden, welchen die Freiheitäpriefter 
de3 neunzehnten Sahrhundert3 Hug gemacht. 

Es gibt feinen Gott! — Die Vernunft, — 
da3 Gelbftbewußtfein — das ftolze eigene Sch! 
das find die Götter diejer Welt. 

Wer glaubt noch an die Kindermärchen von 
einer Erfcehaffung der Welt, — von einem Sün— 
denfall — von einer Erlöfung? — Niemand, der 
fo viel Öegenteiliges gehört hat davon wie er. — 
Wer kann es beweifen?... fomm!... komm! 
— — — bmm... 

Und wer kann das Gegenteil beweiſen? — 
hat einmal ſein Meiſter gefragt — „wer iſt ſchon 
von den Toten zurückgekommen, um zu ſagen: 
Es gibt kein Jenſeits?“ — Niemand kam zurück, 
und ſolange ſich nur die Lebenden darum ſtreiten, 
behält keiner recht.“ — 


— 208 — 


Kein, feiner, — wiſſen tut’3 feiner. — 

Ad, wie ſchwach, wie ſchwach ift ihm! — 

Mit weitaufgerifjenen Augen ftarrt Heinrich 
Selfe empor zu dem lichtblauen, fonnigen Him- 
mel3zelt, unter welchem jubelnd die Vöglein krei— 
fen. Und wenn e3 doch nicht zu Ende ijt mit dem 
Tod, wenn e3 dennoch ein Weiterleben da oben 
gibt? Was dann? — 

Er hat nie zubor daran gedacht, — jebt 
— plöglid — warum rufen die Gloden immer 
„komm“! wohin foll er denn fommen? Hinab 
in da3 Grab — oder hinauf in da3 Paradies ... 
Ah... ein Paradies! Wie möchte e3 wohl fein, 
wahrlih fo ſchön — fo ohne alles Leid, Elend, 
Hunger und Dual... 

Wie hieß e3 doch gleich, was damal3 der 
Paſtor in der Konfirmandenftunde ſprach, — er 
hat e3 ja auch auswendig lernen müſſen ... und 
ganz vergefien? „Und... und der Herr wird 
abwiſchen alle Tränen von ihrem Angefiht — 
und der Tod wird nicht mehr fein, noch Angft 
und Geſchrei ...“ 

War's nicht ſo? — Ach, wer es wiſſen 


— —— 


— 200 


könnte! Ob wohl feine Eltern da droben im Him- 
mel find? Ob fie an einen Gott glaubten, fromm 
und brav waren? — Er hat fie nie gefannt. — 
Er ift unter fremden Menschen herumgeftoßen mor- 
den, bis er fein Brot verdienen konnte. — 
Kein Menſch Hat ihm gejagt: „Sch glaube, 
— glaube auh du!” — — Oder doch! — ja, 
der Paftor, welcher ihn einfegnete. Wie lange iſt's 
fhon her! Er entfinnt fih kaum noch der Zeit. 
Und doch war e8 auch damals Dftern, und er 
Schritt mit den anderen Konfirmanden in die 
Kirche. — — Wie ihm die Erinnerung plößlich 
tommt? Hinter dem Altar hing ein großes Olbild, 
das hat er während der ganzen Feier angeftarrt. 
Der Heiland inmitten der beiden Schächer am 
Kreuz. — — Und er, Heinrich ©elfe, mußte da3 
Glaubensbekenntnis fagen. „Niedergefahren zur 
Hölle und am dritten Tage wieder auferftanden 
von den Toten.” — — — Sa, damals glaubte 
er e3, — jest glaubt er e3 längjt nicht mehr. Man 
bat ihm Bücher in die Hand gegeben, darin ftand, 
daß die Singer betragen und den Gefreuzigten 
bei nächtlicher Zeit aus dein Grabe gejtohlen hät— 
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 14 


— 210 — 


ten. Sit das wahr? — — — Aufftöhnend wirft 
fich der einfame Mann herum und preßt das Ge— 
ficht auf die feuchte Erde. „Sa, e3 iſt wahr!” will 
er troßig fchreien, aber die Stimme verfagt ihm. 

„Komm — komm — komm!“ Elingt’3 vom 
Himmel. Wenn die Jünger ihn geftohlen hätten, 
fo müßten fie felber ja am beiten, daß Jeſus fein 
Heiland der Welt, fein Gottesfohn gemwefen, — 
warum würden fie dennoch hingegangen fein, fein 
Evangelium zu predigen? Brachte e3 ihnen Geld, 
Ruhm und Ehre ein? Nein, nur Verfolgung, 
Kerfer, Dual und Martertod — — — 

Heinrich Selke fchridt mit verftörtem Ange» 
fiht auf: „Welch ein Menſch würde das erdulden, 
würde den furchtbarften Tod für feinen Glauben 
fterben, wenn er wüßte — er iſt nicht auferftan» 
erftanden, er ift nicht aufgefahren gen Himmel 
— mir felber haben ihn ja heimlich au3 dem Grab 
geitohlen! Wir miffen, daß er die Banden de3 
Todes nicht gebrochen Hat —! —* 

Ein Bittern fliegt über den Körper des Den» 
kers. „Gott! Gott!” ftöhnt er jählings auf — 
„mein, fie haben ihn nicht geftohlen — fie haben 


\ 


— 2ll — 


es wahr und wahrhaftig gefehen, baf er gen Him- 
mel fuhr, fonft hätten fie ihr Leben nicht fo freudig 
für ihn hingegeben!“ 

Sefus Chriftus! — Gattes Sohn! — wahr⸗ 
fi) Gott felber? fein eingeborener Sohn? — Er 
hat e3 ja gejagt, er, aus deſſen Mund feine einzige 
Lüge ging, der feiner Sünde fähig war, — er hat 
e3 als heilige Wahrheit befannt, — nicht damals, 
als ihn das Volk zum König machen wollte, ſon⸗ 
dern vor feinen Richtern — angeſichts des 
Kreuzes. —! 

Heinrich Selfe krampft wie in jähem Ente _ 
fegen die Hände zufammen. Wehe mir! — 

Und wie er mit aufgerifjenen, verglaiten 
Augen zum Himmel aufftarrt, da fchwebt das 
Bild aus der Kirche vor ihm — und er fieht 
feinen Heiland am Kreuz und hört im Geifte die 
Worte, welche er gefprohen — „Vater vergib 
ihnen, denn fie wifjen nicht, was fie tun!“ 

Sa, das betete er, — betete e3 in den furdjt- 
barften Todesqualen, angeficht3 jener, welche ihn 
befchimpft, veripottet — gemartert, gefreuzigt hat- 


ten! Und er, Heinrich Selke, verflucht Die ganze 
14* 


— 212 — 


Menfchheit, er brütet über Mord und Totjchlag, 
um feine Rache zu fühlen — und wa3 hatte man 
ihm getan? — Man hatte ihn nach Verdienft be> 
handelt. Ging e3 ihm fchlecht, war e3 feine Schuld, 
denn er hatte jelber die Arbeit von fich geworfen, 
er hatte fich felber die Grube gegraben, in welche 
er nun fo tief — ad fo grundlos tief geftürzt 
war. — „Vater vergib ihnen!” — So betet Fein 
Menſch in den Todesqualen am Kreuz, — fo 
fann nur ein Gott, ein Heiliger, erlöfender, all» 
barmherziger Gott beten, welcher fein Blut ver— 
goß und ſich jelber dahin gab, das Verlorene jelig 
- zu machen! Sa, es gibt einen Gott — und er 
fennt ihn — und hat ſich dennod von ihm ab» 
gewandt. 

Kalter Schweiß perlt auf feiner Stirn, eine 
unbeſchreibliche Angſt überfommt ihn, — eine 
Unruhe und zitternde Aufregung, welche da3 Herz 
in der Bruft hämmern läßt. — Sit e3 die Todes- 
angft — ift e8 das Ende? — „Allbarmherziger 
Gott, nur das nicht, — wie Joll id; beftehen vor 
dir? Das Sterben ift ja nicht das lebte...’ — 

Er rafft fi auf die Knie: „Warum Tießeft 


— — 23 — 


du es fo weit mit mir kommen?“ fchrie er und 
hob die Arme zum Himmel — „wenn bu da bift 
Gott — wenn e3 Wahrheit ift — Herr Jeſu — 
— — — ad, ein paar Grojhen damals hätten 
ja alles gut machen können!“ — — — 

Er bricht wieder zufammen, Talte Schauer 
wehen über feinen Leib, — wie Nebel wallt e3 
vor jeinen Augen, — und nun fommt fie wieder, 
die Angft — die Todesangft. 

Er ſchlingt die zitternden Hände ineinander. 
„Beten!“ murmelt er, „beten... kann ich e3 dent 
noch ... darf ih es noch ... in all meiner 
Schlechtigkeit — — Ach, es iſt ja zu ſpät — zu 
ſpät... „Komm! komm! komm! rufen die Glocken. 
Und ihm iſt's, als ſtünde er wieder als Konfir— 
mand in der Kirche und fieht auf das Altarbild. 
— Ber Schäder am Kreuz regt die Lippen, — 
er Elopft noch in der zwölften Stunde an die Him— 
mel3pforte an — er, ber fein Leben lang dem 
Herrn jo fremd gemwefen, jo weit entfernt von ihm, 
wie die Erde von dem Himmel, — und wel 
eine Antwort wird ihm? 

„Wahrlich, ich fage dir, heute noch follft du 


— 214 — 


mit mir im Paradieje fein!” — Welch ein Diter- 
gruß! welch ein jelig Sterben! Auch dem Sün- 
der wird vergeben. ... Wie ein leifer Schrei ringt 
e3 jich von den Tippen des heimfehrenden Sohne2. 
„Laß mich leben, Here — gib mir Beit, daß 
ih noch Früchte trage — laß mich nit als 
Schäder zu dir fommen „.,, um meine? Vaters 
— um ber Mutter willen... Herrgott Hilf!” — 
Und von allen Qualen der tiefiten Herzens⸗ 
not gefoltert richtet er fi) auf die Knie: „Ich habe 
geftohlen! ich habe betrogen — ich mwill’3 wieder 
gut machen! Ich darf noch nicht fterben, — ich 
muß noch leben — ih muß! ih muß!” — 
| Und wie ein Verzmeifelter wühlt er die Fin- 
ger in den jungen lee, auszuraufen und mit 
zudenden Tippen zu effen — — — Da. . etwas 
Harte3 zwilchen feinen Fingern, rund — und feft. 
Mechaniſch ftarrt er mit umflorten Augen 
darauf nieder, — und dann riejelt es ihm glüh- 
heiß vom Kopf zum Herzen, — — — er will 
Tprechen, er kann nicht, gurgelnde Schluchzlaute 
ringen ſich aus feiner Bruft. Er hält einen Taler 
in der Hand, einen blinfend hellen Taler. Wie 


— 215 — 


neue Lebenskraft ftrömt e3 von ihm aus und ftrafft 
jede Safer und jeden Nerv an dem Körper. 

Mit weit aufgerijjenen Augen ftarrt er das 
Wunder an, — das Gotteswunder! Welch ein 
fonderbarer Taler, — ein Marientaler mit dem 
Bild der Gottesmutter und dem Jeſuskinde. Oben 
am Rand befindet fich eine Dfe, — ficherlich Hat 
jemand da3 Geldftücd als Anhänger an der Uhr- 
fette getragen. 

Heinrich Selfe hält den Taler in zitternden 
Fingern, und plöglich blidt er zum Himmel empor, 
Tränen ftürzen aus feinen Augen. 

PLZ du lebſt, Gott, — du bift da, — und 
heute ift Oftern, mo die Sünder erlöft werden!“ — 

Krampfhaft preßt er das Geldftüd in der 
Hand, Iehnt ſich zurüd und fchließt die Augen, 
Yächelnd, wunderbar friedfih, — alle Angſt ift 
bon ihm genommen, er weiß, daß er leben foll, 
warum fonft dad Geld? — 

„Komm — komm — fomm!“ rufen die 
Glocken. Es tönt Hunbegebell an fein Ohr, — 
menſchliche Stimmen und Schritte auf dem Wald- 
weg. 


— 216 — 


Mit Yegter Kraftanſtrengung richtet fich Hein- 
rich empor. 

„Hilfe! — Hilfe!” — Da ftürmt e3 näher. 
Ein grüner Fägerrod — ein helles Sommerkleid, 
— es verſchwimmt wie Nebel vor feinen Augen. 

„Hunger! fchreit er noch einmal auf, — 
und dann wird e3 ſchwarz vor feinen Augen, — 
die Glocken fehlagen noch einmal an, — dann ift’3 
ftill, ganz ftill um ihn ber. 

Ein Kochen und Saufen vor feinen Ohren, 
er reißt die Augen auf und ftarıt verjtändnislos 
in fremde Gefichter. j 

Etwas Heißes brennt auf feinen Lippen, und 
gludert in der Feldflafche, welche ihm ein Jägers— 
mann fürjorglih an die Tippen hält. 

„Er kommt wieder zu fich, — Gott fei ges 
lobt!“ flüftert eine weiche Stimme, und ein Son- 
nenftrahl zittert über die Goldflechten eines Köpf⸗ 
chens, welches fich tief herabneigt, da die Sama- 
riterin die falten Hände des Ohnmächtigen fanst 
zwiichen den ihren reibt. 

„Wo bin ic}? — was ift mit mir geſchehen?“ 
toill der Kranke fragen, — aber er ift zu matt, — 


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er fchließt wie betäubt die Augen, er Tann ſich 
gar nicht entjinnen, was das alles bedeuten foll. 

„Komm — fomm — komm! —“ Ab — 
die Gloden! — Ein Beben fliegt über fein ein- 
gefallenes Geficht, aufs neue rinnen die Tränen 
in den ftruppigen Bart, ja, nun weiß er es wieder, 
— es ift Dftern! — „Treue dich, freue dich, 
o Ehriftenheit! —“ 

„Da kommt Karl fchon zurüd und bringt 
Eſſen!“ murmelt der Oberförfter, und er ftüßt 
den Fraftlofen Körper, damit ihm die junge Frau 
ein Glas Mil an die Lippen halten kann. In 
langen tiefen Bügen trinkt der Verſchmachtende 
und dann lehnt er fich tief aufatmend wieder zu⸗ 
rück und faltet mit krampfhaftem Zuden die Hände. 

Er lächelt, feine Lippen regen fi, — er 
betet wohl und dankt feinem Gott. 

Ber Oberförfter taufcht ſchweigend mit feiner 
Frau einen Blick, — tiefe Rührung malt ſich auf 
beider Angeficht. 

„Kommt der Wagen, Karl?” Der junge 
Mann nidt. „Sm Augenblick, Schwager.” „Ach 
Sris — und welh ein Wunder —“ flüftert die 


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Dberförfterin Leife dem Gatten zu, der arme Menſch 
hält ja meinen Marientaler in der Hand!” — 
„Den Taler? — mahrlih? Das nenne ich ein 
feltfames Wiederfinden !’” 

Da ſchnauft ein Pferd, ein Wagen rollt auf 
dem meichen Sandweg herzu. 

„Run hilf anfaffen, Karl, daß wir ihn Hoch» 
heben und heimbringen! Komm! — komm!“ — 

„Sa, ih komme, lieber Herrgott, — ih 
komme!“ — — — 

Ein Sahr ift vergangen, abermals Täuten die 
Dftergloden. Der Oberförfter geht mit feiner Fa— 
milie hinab zum Dorf, dem Gottesdienft beizu- 
wohnen. 

Sein Gefinde folgt ihm, auch der Knecht 
Heinrich, welcher feit einem Jahr bei ihm in 
Dienften fteht, und welcher fich fo ausgezeichnet 
führt, wie noch nie ein anderer Burfch vor ihm. 
Man hält große Stüde auf ihn, alle haben ihn 
gern und die Kinder rechnen ihn ganz zur Familie 
und nennen ihn „unfer Heiner!” 

Man weiß, dab Oberförſters ihn vor einem 
Sahre halb verhungert im Walde aufgefunden und 


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daheim zu Kräften gepflegt haben, fie nahmen ihr 
fogar in ihren Dienft, und die Dankbarkeit des 
verlaffenen Menjchen lohnt ihnen folchen Opfer- 
‚mut. 

Still und heiter tut er feine Pflicht, er arbeitet 
für zmei, und dabei ift er ein frommer Mann, fo 
findlich fromm und gläubig, wie man e3 heutzu= 
tage jelten findet. 

Sein ganzes Geficht ftrahlt, wenn er die 
Glocken läuten hört. 

„Sa, ſolche Oftergloden,‘ flüftert er, „Tie find 
Stimmen vom Himmel und rufen die Verirrten 
heim.“ — As ihm der Oberförfter den erften 
Lohn auszahlen wollte, blicte ihm der neue Knecht 
flehend in die Augen, und ſprach eine munderliche 
Bitte aus, „nur den Marientaler von der Frau 
Oberförfterin, welchen er damal3 im Walde ge» 
funden, möchte er zum Lohn haben, und fei das 
zu viel verlangt, fo wolle er gern fein halbes Leben: 
darum dienen!” — 

Seit jenem Tage trägt er feinen „Gegend . 
taler” an einer Schnur auf der Bruft. — Und 
beute ift wieder Oftern und alle gehen zur Kirche. 


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Die Sonne flimmert durch den Wald und Die 
Glocken läuten wie damals: „Komm! — Tomm! 
— komm!“ 

An dem Waldwegfaun, wo der junge Stein- 
flee ſproßt, Iniet ein fchmuder Burſch, mohlge- 
Heidet, mit gepflegtem Haar und Bart, ein Sträuß- 
chen im Knopfloch, — der feiert hier ganz ſtill und 
doch viel ergriffener noch wie nachher in der Kirche 
ſein Oſterfeſt. 

Da denkt er an ſein Oſtern vor einem Jahr, 
— und an die wunderbaren Himmelsſtimmen, 
welche ihn zur Heimat gerufen. 

Auch heute zieht ihr jubelnder Auferſtehungs— 
Hang über ihn hin, und in feinem Herzen froh— 
lockt ein Danfesgefühl ohnegleichen: 

„Zobe den Herrn meine Seele, — und ver- 
giß nicht, wa3 er dir Gutes getan hat!“ — — — 

Und al3 abermals die Dftergloden Täuteten, 
fniete Heinrich Selke mit einem treuen Xieb vor 
dem Altar der Heinen PVorflirche, und der Trau— 
tert, welchen er fich felber gewählt, lautete: „Sch 
aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn 
dienen!’ — 


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