2]
>
N?
f — » ”., * * NMN
— —
REN
FIR
*
Am Ende
der Welt
N
von
Nataly
von Eſchſtruth
Ne,
N
Po,
ls
15
[4
I?
Am Ende der Welt
—
*
Am Ende der Welt
Nataly von Eſchſtruth
7. Auflage
Leipzig
Verlagsbuchhandlung von Paul Liſt
Ale Verlagsrechte vorbehalten
Eopyright 1920 by Paul Lift, Leipzig
Drud: Joſeſ Hirſch, Leipzig-R
Am Ende der Welt
J.
Droben im Hochgebirge, wo die Fahrſtraße
ſich mühſam über den Paß windet und die letzten,
hohen, ſchwarzgrünen Tannen den Weg ſäumen,
ehe ſie mehr und mehr zuſammenſchrumpfen zu
Unterholz und niederem Buſch, ſteht ein kleines,
dürftiges Häuschen, in welchem der Wildhüter
jahraus, jahrein in tiefſter Weltabgeſchiedenheit
hauſt.
Obwohl das armſelige Gebäude ſehr geſchützt
ſteht, eine hohe Felswand die eine Seite und die
mächtige Tannenkuliſſe jenſeits der Fahrſtraße
ſeine Front ſchützt, iſt das tief niederhängende
Dach doch mit gewaltigen Felsſteinen beſchwert,
die winzigen Fenſterchen tragen verwitterte Holz⸗
läden und die Haustür iſt durch einen dicken Quer-
N. dv. Efhftruth, Am Ende ber Welt. 1
—
balken geſchloſſen, als gälte es, eine Feſtung vor
dem Feind zu ſchützen.
Der Poſtillon, welcher alle zehn oder vierzehn
Tage, je nachdem im Sommer Verkehr und Be—
ſtellgut vorhanden, an dem Häuschen vorüber—
fährt, hat ſelten, faſt nie, Fenſter und Türen
offen geſehen.
Er kennt den Wildwärter kaum von Ange—
ſicht, denn der hat tagsüber in den Forſten ſeinen
Dienſt zu verſehen, und trifft es ſich zufällig mal,
daß eine Extrapoſt mit eiligen Touriſten am
Sonntag fährt, ſo ſieht man vielleicht den wetter—
harten, kernigen Mann in der grauen Joppe,
den wildledernen Kniehoſen und nägelbeſchlagenen
Bergſchuhen auf der Bank ſitzen und allerlei höl—
zernen Hausrat ſchnitzen. Er ſchaut dann kaum
auf, nickt kurz und ernſthaft ſein „Grüß di Gott!“
und hat nie ein Schneid darauf, ſich in einen
längeren Schwatz einzulaſſen.
Wer ſonſt noch bei ihm hauſt, weiß der
Schwager nicht, — nur der hochwürdige Herr
Kaplan, welcher zu den hohen kirchlichen Feſt—
tagen ſelber über den Paß nach dem hochgelegenen
— —
Dörfchen D. an der jenſeitigen Gebirgswand fährt,
— oder ſeinen Vertreter ſchickt, des heiligen Amts
zu walten, der hat ein paarmal am Wildhüter-
häuschen angeflopft, und da ihm voll freudiger
Haft und mit großer Ehrerbietung geöffnet wurde,
hat er ein Stündchen in, Stube oder Garten ver-
weilt, einmal fogar vom Wildhüter mit blafjem
Angeficht und ſchmerzbebenden Lippen erwartet,
mit der Bitte, fein fterbendes Weib zu fegnen
und das Neugeborene zu taufen.
Der Kaplan war wohl der einzige, welcher
im Haufe des Aloys Beckhaber Beicheid mußte.
Frohes aber konnte er. nicht davon erzählen. Der
Aloys war ehemals Floßerfnecht gewejen, ein hüb-
fcher, bildfauberer Bub, welcher e3 der hübjchen
Kathi, dem Stubenmadel aus dem Herrenihloß,
angetan Hatte.
Waren beide wohl reich an Liebe und Hoff-
nung, aber blutarm an Geld und Gut, und an
Heiraten konnte der Aloys ſchon gar nicht denken.
Da fam der Kathi ein gefcheiter Gedanke.
Sie Hatte in der Sohannisnacht geträumt, fie
hauſe als des Aloys fchmudes Weiblein in einem
1*
gar faubern, Heinen Waldhaus, und am Morgen
fam der Forftläufer ins Schloß und erzählte, der
alte Nazi, der Wildhüter am Paß droben, fei in
eine Klamm abgeftürzt und tot liegen geblieben.
Es jei gut, daß Seine Kaiferliche Hoheit der
Erzherzog nun bald zu den Jagden hier einfehre, da
werde er wohl jelbit des Nazi Nachfolger beftimmen !
Allfogleich ſchoß der Kathi der gute Gedanke
durch den Kopf, und als der Erzherzog und feine
erlauchten Jagdgäſte wie alliährlih im Schloffe
eintrafen, da machte ich die Kathi eines Morgens
ganz befonders ſchmuck und mußte jo lange im
Bimmer des hohen Herrn zu hantieren, bis der
Erzherzog eintrat und auf da3 rejpeftvolle „Grüß
Gott!” der Kleinen in leutjeliger Weife durch eine
Anſprache antwortete.
Da war der wichtige Augenblid gefommen.
Wohl ſchlug der Kathi das Herz im Halſe, aber
fie nahm allen Mut zufammen und fing an, dem
ü Erzherzog zu erzählen, daß fie ja wohl eine. große
Bitte auf dem Herzen habe — der aber lachte
luſtig auf und rief: „Kathi — ih ſchau dir's an
ber Naſ' an, das gilt um einen Schag!!“
ee
„D mei! was bift’ geſcheit!!“ entſetzte fich
das Dirndel, und nun fprubdelte e3 über ihre
Rippen vom Aloys, der ganz gewiß der fchönfte,
Schneidigfte und feichite Bub im Land ſei — Eure
Raiferliche Hoheit ausgenommen! — und daß er
wie fein anderer zum Wildhüter paffen täte —
und daß fie dann gleich Hochzeit machen könnten,
und daß dies eine Guttat vom Erzherzog fein
würde, die alle Engerl im Himmel auf ein gold»
ne3 Bapierl fchreiben würden!
Da lachte der Hohe Herr noch mehr und fagte:
„Wenn du da3 mit dem goldenen Papier! für ge-
wiß hältit, daß es nachen nit etwa doch nur ein
filberne3 ift — dann ſchick mir deinen bildfauberen
Aloy3 morgen früh in die Rentei, will feh’n, ob
er noch nit ein Wild gehiefelt Hat, — und wenn
er wirklich fo ein Blitzbub ift wie du fagft, dann
Toll er das Pöſtel haben und die Kathi dazu!”
D Sanferl, war da3 ein Freud’!
Mit bligenden Augen hat der Aloys im beften
Sonntagzitaat vor dem fürftlichen Herrn geftan-
ben, und der Erzherzog hat wieder fchalkhaft ge-
lacht und gemeint: „Das Katherl hat recht, der
——
Bub iſt ſo grauſi ſchön, daß er und nie ein anderer
Wildhüter werden muß!“ *
Da war das Glück da!
Viele meinten, es ſei beſcheiden genug, und
die Einſamkeit droben wäre nicht allzu verlockend,
aber die beiden Liebesleute waren anderer Mei—
nung und fo glückſelig, daß allen das Herz auf-
ging, die fie nur fahen.
Und nad) vierzehn Tagen ſchon war Hochzeit,
und der Erzherzog und alle hohen Sagdaäfte
ftanden juft im Schloßhof, als die Neuvermäßlten
aus der Kirche kamen.
Da rief der Erzherzog: „rau Katherl, tu
einmal die Schürz auf!“
Und Hui flog ein Goldftüd hinein.
Die anderen Herren drängten lachend herzu
und Elingsfling-fling ging es in die buntblumige
Schürze.
Atemlos ſtand die Kathi und vergaß in ihrem
ſtarren Staunen jedes „Vergelts Gott!“, der
Aloys aber ward blutrot im Geſicht, lachte, daß
feine weißen Zähne blitzten, und drehte den Grün—
Hut in den Händen.
— — —
Em
„Da weiß i auch rein gar nir zu fagen, ihr
hohen Herren!’ ftammelte er, und als er fi} end-
lich auf eine ſchickliche Rede befonnen hatte, da
waren die vornehmen Jäger ſchon auf und davon,
— aus dem Schloß heraus hörte man noch ihre
heiteren Stimmen.
Kun war das Kathi nicht nur eine glüdfliche,
fondern auch jehr reihe Frau geworden, denn
an hundert Gulden waren e3 mohl, die da in
feiner Schürze langen.
Auf das Wildhüterhäuschen aber fchien die
Sonne heller wie je zuvor, und wenn dermalen
die Poſtchaiſe vorbeirollte, jo jah der Poftillon
jedesmal ein blühendes junges Weib in der Tür
ſtehen, der lagen die dicken Zöpfe wie geſponnenes
Gold um den Kopf, die lachte und nickte ihm zu,
und noch fern am Feld droben hörte er ihren
hellen Geſang über die Alm Klingen. Der Aloys
war ein pflichttreuer, glüdfeliger Mann, und der
Erzherzog meinte im andern Sahr, fo gut wie
heuer jei das Hochwild noch nie übermwintert, der
Bedhaber fei „gut auf die Futterplätze bedacht
geweſen.
SE rE
Sahr um Jahr verging.
Das ſchlanke Katherl ward allweil ein wenig
rundlicher, und lahen und fingen tat e3 auch
noch, aber der Poftillon meinte: „Ganz fo luſtig
wie eh’ ſei es nicht mehr.”
Und auch der Aloys rauchte oft ftill und
nachdenklich die Pfeife, und dann ſah er feinem
Weib in die Augen und beide feufzten tief auf. —
Sa, was nübte nun Haus und Hof und das
Geld im Kalten, wenn e3 gar fo öd und ftill im
Stüblein blieb und die große, holzgeſchnitzte Wiege
Sahr um Jahr Ieer ftand? —
Die fhönften Enzianen, Almraufch und Wind⸗
röglein fuchte die Kathi, brachte e3 zu dem Bild-
ftödel am Weg, fniete nieder und betete fo recht
voll Snbrunft und Heißer Sehnfudt.
Sahr um Jahr. —
Und als der Hochzeit3tag zum zwölftenmal
twiedergefehrt war und das Kathi mit rotgemweinten
Augen der heiligen Mutter Gottes die fchönften
Edelweißfterne brachte, welche der Aloys feinem
armen Weibe zur Treude für diefen Tag gefucht
hatte, da deuchte e8 der Beckhaberin, al3 ob die
— —
hohe Himmelskönigin ihr gar wunderfam ernſt
und wehmütig zugenickt habe, grad als wolle ſie
ſagen: „Wenn du mir gar keine Ruhe läßt, ſo
magſt deinen Willen haben, ob aber jo was Er-
trotztes gut ift, das ift eine andere Sache!” —
Da3 hörte und verftand aber das Kathi nicht,
und al3 wieder ein paar Wochen ins Land ge-
zogen waren, ba fchritt e3 plößlich umher mit
verflärtem Angeficht und lächelte ganz ftill und
heimlich, der Aloy3 aber war mwie von Sinnen
und warf fein Grünhütel in die Luft und fing’3
mit einem hellen Suchajchrei wieder auf. —
„Kathi, — mwann’3 ein Bub ift — nachen
foll er Wendl heißen, nach dem heiligen Wendelin,
zu dem i alle Tag bet’ hab!”
„And wann's ein Madel ift, nennen wir's
Mirl, denn weißt, i hab der heiligen Gottesmutter
alle Tag die fchönften Blümerln bracht, da hat’3
mi erhört!“
Als an den Kiefern die gelben Blütenfolben
ihren duftigen Staub ftreuten und Taufende von
Bienen fie umſchwärmten, da hielt die gelbe Poft«
chaiſe vor dem Wildwärterhaus ftill, und eine
— 60—
alte Frau, die Mutter des Aloys, kletterte an—
dächtig heraus, drückte ihrem glückſtrahlenden Sohn
die Hände und fragte ernſthaft: „Iſt's ſo weit?“
„Grad recht, daß Ihr kommt, Mutterl!“
nickte der mit bebender Stimme, faßte glückſelig
die beiden Bündel, welche die Alte mitbrachte,
und trug ſie ins Haus. —
Dann kam das Glück noch einmal, fo hell,
ſo groß und ſonnig, daß es die Augen blendete.
In der Wiege lag ein dicker, ſtrammer Prachtbub,
ſo groß und ſtark wie kein anderer, und die Kathi
und der Aloys ſchluchzten vor Glückſeligkeit. —
Dann verſiegten die Tränen der jungen Mut—
ter, und die, welche der Beckhaber allein noch
weiter weinte, waren Tränen bittern, unſäglichen
Herzeleids.
Die Kathi war tot, die alte Großmutter
wiegte den Wendl, und der Aloys irrte wie ein
Verzweifelter durch die dunklen Wälder, und als
er heim kam, war er ein ſtiller, ernſter Mann
geworden.
Die Großmutter blieb bei dem Wendl und
führte dem Sohn die Wirtſchaft.
erh
Sie ſah wohl Schon alt und runzlig aus,
aber das fam nur von. der harten Arbeit, von
Not und Sorge ums tägliche Brot, welche ihr
da3 ganze Leben Hindurcch ein traurige Geleit
gegeben.
©o hoch bei Jahren war die Bedhaberin noch
nicht, dabei eifern und hart gefchmiedet in dem
Teuer de3 Lebens, und jo konnte fie die Arbeit
im Häuschen und in dem kleinen Garten noch
gut bewältigen, auch da3 Büblein forgfam pflegen,
damit das mutterlofe dennoch zu feinem Rechte fan.
Sa, die Großmutter fühlte fich gar bald wohl
und behagli in dem ftillen Heim, welches ihr
fo üppig und ſchön deuchte, daß fie vermeinte,
auf ihre alten Tage noch ein gar reputierliches
Leut geworden zu fein.
Sie fang zwar noch mit leifer, furzatmiger
Stimme da3 Heine Hajcherl in den Schlaf, aber
fonft war e3 fo ruhig im Haufe geworden, wie
ein Grab.
Der Aloys Ichaffte den ganzen Tag im Walde
draußen, und die Großmutter jchloß die Fenfters
läden und die Tür nach der Straße zu ab und
u a
ſprach: „Die Zeiten find unficher, ih bin ein
altes Weiblein und kann nicht gegen Gefindel auf-
fommen; der Aloys mag durch das Gartenpfört-
chen heimkommen, da3 liegt hinten am Feld und
fennt feiner.“ ©o faß ſie Tag für Tag in der
Küche am Herdfeuer und fpann, und der Wendl
wuchs zu ihren Füßen heran, fein luſtig Frähendes
Stimmlein war der einzig frohe Laut, welcher
den heimfehrenden Wildhüter begrüßte.
So gingen drei Jahre hin, und die Groß-
mutter ſprach zu ihrem Sohn: „Schaff Holz herzu,
mein Bub, und zimmere eine fichere und hohe
Wand um den Heinen Hof, damit der Wendt
allein fein fann, ohne Schaden zu nehmen. Schau,
ich hab’ mein’ Arbeit, und die Füß find nimmer
flint, — id) kann nicht arg viel auf das Haſcherl
pafien, und wenn es auf und davon läuft in ben
Forft, ift’3 aus mit ihm. Da find ſich's nimmer
zrüd und ftürzt ab in die Klamm und geht zu—
grunde.‘
Der Aloys war afchfahl im Geficht bei ſolchen
Worten, nahm Art und Säge und ſchaffte mit
nervigen Armen.
— "18 —
Da ſtand bald eine gewaltig hohe Lattenwand
rings um den kleinen Hof und das Wurzgärtchen,
über die konnten höchſtens die Vögel, aber nie nit
der Wendl hinaus, und der Bechkhaber wiſchte ſich
aufatmend den Schweiß von der Stirm und ſprach:
‚Run feß das Bübli in aller Heiligen Namen
in3 Gras, nun kann e3 nicht zu Schaden kommen
und du haft’3 allweil unter Augen.”
So geſchah's, und der Wendl fpielte einſam
und allein in feinem einfamen, meltvergefjenen
Winkel.
Der Herbft war gekommen.
Bon dem Hochgebirge herab faufte der eifige
Sturm und warf den Felszacken und jchlüchtigen
Wänden den eriten weißen Mantel um. Die Tan
nen raufchten und ächzten und jchütteten über
den Lattenzaun herüber ihre langen Bapfen auf
den Hof, damit fie der Wendl gar gefchäftig zu—
fammentragen und neben dem Herd auffchütten
fonnte, dieweil die Großmutter lachte und fagte:
„Run hab’ ich’3 fein fommod, das Feuerzünden !‘
Die Fahritraße herauf feuchten die vier Roſſe
und fchleppten mit fturmgezauften Mähnen die
— 1, —
Poſt über den Paß, aber vor dem Wildhüter-
häuschen knallte plößlich des Schwagers Beitiche.
„Brr!“ ſchrie er. „Beckhaber, bift daheim ?”
und dann wandte er ſich zurüd und ſchaute auf
eine junge Frau, welche mit einem Heinen Rind
auf dem Arm aus der gelben Poſtkutſche heraus»
fletterte und mit betroffenem Bli auf da3 toten»
ſtille Häuschen ftarrte, das mit feinen gefchloffenen
Fenfterläden daftand wie tot und außgeftorbeıt.
„Macht nix, Trau, daß e3 fo ftill ift! Schlag a
Lärm und Hopf! Nachen tut fchon eins auf!”
Und die junge Bäuerin mit dem fchmarzen-
Kopftuch feufzte und ſagte kopfſchüttelnd: „Jeſſas!
ist 853 a Einfamfeit! Wer hier a paar Sahrdeln
hauft, wird verrüdt!” — Aber fie fchritt zur
Haustüre, griff ein Stüd Holz auf und hämmerte
gegen die Tür.
„Heda! Frau God! feid’3 nöt daheim
„Allweil kommt's!“ nidte der Roftillon.
Ein Tenfterladen ward ein Hein wenig auf-
getan. *
„Wer iſt draus?“ fragte die Beckhaberin.
„Ei liebe Frau God! kennt's Euch nit mehr
=; 15 =
aus auf mi? 's Lenerl, — der Gilfhäuerin ihr
arme3 Lenerl, dad Shr über die Tauf gehalten
habt, bin i, und weil i jo arg tief im Elend bin,
vermein’ 1, — Shr nehmt mi um der heiligen
Sungfrau willen auf!”
„3 Lenerl! — Gott erbarm’ ſich, 's ift das
Lenerl!“ Hang die Stimme der alten Frau, der
Tenfterladen fchlug zu und e3 blieb ein Weilchen
ftill, dann rief eine Stimme hinter der Haustür:
„Gleich komm' ih! Schau, Lenerl, die Tür ift
zug’pflöcdt, — geh’ um den Zaun herum, ich laß
dih zum Hinterpförtel ein!“ ”
„Ra, da biſt ja aufgenommen, Frau!” fagte
der Poſtillon zufrieden. „Gehab dich wohl, und
verluftier dich nit allzuviel hie droben!”’ Er lachte
und fchnalzte den Pferden mit der Zunge, da
zogen fie wieder an.
Das Lenerl aber machte ein recht fauertöpfi-
ſches Geficht und murmelte: „Spott mich nur aus!
Sch Hab fein’ Wahl mit 'm Unterſchlupf, und mit
dem Verluſtieren ift’3 für eine Witfrau fo fchon
aus
Sie widelte das Kind auf ihrem Arm feiter
— 16
in das Tuch und ſchritt um das Haus herum, bis
ſie die kleine Pforte im Zaun fand, an welcher
bereits die Großmutter ſtand und der Nahenden
mit angſtvoll großen Augen entgegenſtarrte.
„Ei, Lindbäuerin, äfft mich's Geſicht, oder
biſt's fein ſelbſt? und um ſolche Zeit kommſt da
herauf, mit dem Find gar ... und haft ein ſchwarz
Tüchel um ... und hab’ vermeint, du ſitzeſt drun—⸗
ten im reichen Bauernhof zwiſchen lauter Speck
und Würſt und weißt gar nix mehr von der alten
God am Paß droben!“
Da fing die junge Frau bitterlich an zu
weinen, und das Kind auf ihrem Arm weinte
auch, und ſie traten in das Haus.
„Ach God, was' Ihr an mir ſchaut, ift nir
als ein Häuflein Elend! — Speck und Wurſt ſind
aufgebrannt. — Der Lindbauer, mein Mann, iſt
ein Loderer geweſt und hat geſoffen und geſpielt
und all ſein reiches Erbe verbracht, und wie ihm
das Meſſer am Hals geſeſſen iſt, daß er nimmer
aus und ein gewußt hat, da hat er an ſeine hohe
Feuerkaſſ' gedacht, und hat ſelber Haus und Hof
in Brand geſteckt. — Der Nazi aber, der grad
— 7 —
bei der Evi gefenſterlt hat, — der is' gewahr
worden und hat Lärm geſchlagen und den Lind—
bauer ein’ Brandſtifter genannt, und wie die Gen-
darmen fommen find, da hat mein Mann fich
in der Angſt im Garten am Nußbaum aufhängt.
— Der Hof liegt in Schutt und Aſche, und ich
bin al3 ein bettelarm’3 Witweib z'rückblieben, hier
mein unglüdliches Wurmel, das Heine Creszenzl,
ilt alles, was der reichen Lindbäuerin noch 3
eigen geblieben ift!’
Die Großmutter Hatte mit Stöhnen und
Seufzen die Hände über dem Kopfe zufammen-
geichlagen, die Sprecherin aber fuhr fchluchzend
fort: „Da hab’ ich Fein Obdach g’habt, denn mein
-Bater ift ein hartes Leut und will das Weib von
einem Brandftifter nit aufnehmen, und meine
Brüder find arg geizig und wollen nicht zwei
Freſſer mehr im Haus, denn für den Winter ift
feine Arbeit da, und für nir futtern’3 uns nit
durch. Da Hab’ ich auf Euch gedacht, liebe God
Bedhaberin, weil Ihr mich doch über die Tauf’
gehalten und gelobt habt, mir 'mal ein zweites
Mutterl zu fen! — Schaut, God, ich will Fein
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 2
— 48
Obdach und Brot für umſonſt, ich will für Euch
alle Arbeit tun und mein Teil ſchaffen! Da hat
der Aloys doch ein Büblein im Haus, das will
ich fein warten, mit meinem Cenzerl zuſammen,
und nach dem Vieh ſchau ich, weil es im Winter
für Euch doch arg kalt iſt drauß ... und alles
ſonſt ..“ ER
‚Na, fei ftad! Davon red’ fein gar nix!”
fagte die alte Frau und faßte das Lenerl warm⸗—
berzig bei der Hand. „Da bift, und da bleibft,
und damit bafta.“ £
„Und der Aloys? Was fagt der?” forfchte
die Bäuerin angſtvoll.
„Ein Grüaß di Gott! fagt er — fonft nir!“-
und die Bedhaberin griff nach dem meinenden
Heinen Dirndel und nahm's auf den Arm.
„Ab, du arm’3, arm’3 Hafcherl! Hunger
Haft, gelt? Na, da gud bier, ein Napferl mit
Mil... und da fommt der Wendl angetratjcht,
ber wird a Freud’ an feinem neuen Gefpiel haben!”
Und richtig, der Wendl ftand wie erftarrt und
ſchaute auf die fremden Menfchen wie auf etwas
furchtbar Ungeheuerliches und wich ſcheu zurüd
in der Großmutter Rodfalten.
Da3 Lenerl Iodte ihn mit freundlicher
Stimme, — da verkroch fich das Büblein noch
tiefer, als aber bie fleine Creszenz mit Yautem
Zubel die Armchen nah ihm ausftredte, all ihre
Tränen vergaß und „Seppl! — Seppl!“ ftam-
melte, da fam er jähling3 hervor, feine Augen
Teuchteten wie verzüdt, er faßte jcheu nach der
Heinen drallen Hand und blidte fragend zu ber
Großmutter auf, als wolle er fagen: „Sit dies
auch ein Menjchenfind oder was ſonſt?“
Das Lenerl flüfterte lachend: „Schau! Sie
halt ihn für den Sepp, den Bub unferer Groß>
magd, mit dem’3 allmeil gefpielt Hat!” — und
die Bedhaberin feste da3 PDirndel auf bie Erde
und freute ſich, wie e3 fo zärtlich die Ärmchen
um den einfamen Wendl fchlang. „Schau, das
halt du "mal gut gemadt, daß du dem armen,
verlaffenen Büberl fo eine Kameradin mitbracht
haft! Sch mein’, die find bald vertraut zufammen
und dem Wendt feine Einfamfeit hat ein End’!
Wird fih da der Aloys freuen! — Nun fomm
2*
— O0 —
aber, Lenerl, und greif zu, daß du mit dem Kind
ißt und trinkſt, und wenn du neu zu Kräften
kommen biſt, dann legſt a Hand an, daß wir dir
ein Stüberl herrichten! O mei! wird das nun a
Leben hier im ſtillen Häuſerl ſein! Ich mein', der
Aloys kann ſich's gar nit beſſer wünſchen für
uns alle!“
Die Lindbäuerin dankte der God mit herz—
bewegenden Worten, und aß und trank und mu—
ſterte dann neugierig ihr Kämmerlein, in welchem
ſie hinfort hauſen ſollte. Sie trug das Bündel
Kleider, welches ſie mitgebracht, herbei und ſprach:
„Ich hab' dem Poſtkutſcher a Auftrag geb'n, God!
Wenn Ihr mir ſo barmherzig'n Unterſchlupf gebt,
dann ſoll er mir mit dem nächſten Mal, daß er
hier vorbeifährt, all mei biſſel Hab', das mir
verblieben iſt, mitbringen! Ich gab's der Evi in
Verwahr', — die ſchickt's.“
„Recht ſo!“ lobte die Großmutter: „da iſt
mehr wie genug Platz hier im Häuſel.“
Als der Aloys heimkam, riß auch er die
Augen weit auf.
Er bot der Bäuerin gutmütig die Hand und
==. 591, —
fagte: „Red' fein Wort, Lenerl, — hier im Haus
fommandiert mein Mutterl, und wenn die dich
haben mag, bin ich’3 fchon Yang zufrieden.” Er
fah aber dabei jo ernft und traurig aus mie ftets,
und feine Augen leuchteten erit auf, al3 er das
Cenzerl gewahrte, welches neben dem Wendl am
Herd faß und abwechſelnd mit ihm das brave
Waldmannel auf den platten Rüden patichte.
Dazu lachte und Frähte es, und der Wendl
folgte wie verzaubert jeder Bewegung des fremden
Kindes, Ichaute ihm atemlo3 vor Wonne in das
Geſichtchen und tatſchte es nur hie und da einmal
borfichtig an, ob e3 auch wirklich da und feine
Täuſchung fei! ‚
„Das ift aber mal gut!” atmete der Wild-
Hüter tief auf, „mun ill mein arm's Büber! nimmer
allein !” =
Sein erſter Gang galt auch ftet3 den Rindern,
wenn er heim fam, und dann nahm er jedes auf
einen Arm und Liebfofte fie abwechſelnd; affurat,
als ob's alle zwei fein eigen wären! — mie da3
Lenerl mit ſeltſamem Ausdrud in den Augen jagte.
Das muntere Cenzerl liebte den Bedhaber
a.
fehr und zaufte ihm keck und fröhlich den dunklen
Bart, in welchem fehon die einzelnen Silberfäden
leuchteten, und weil der Wendl ihn „Vata!“ rief,
- fo tat’3 da3 Cenzerl auch und die Tindenbäuerin
bob ſchämig den Schürzenzipfel an die Wange
und ſprach: „Mit Vergunft, Aloy3, daß mei Hein
Hafcher! dich zu fein Vata machen will, — meißt,
e3 veriteht’3 nit beſſer!“ —
„Da verlier fa’ Wort drum!“ wehrte der
Wildhüter in feiner wortfargen Weife ab und ſah
gar nicht da3 Getue der jungen Frau und den for»
Ichenden Blick, mit welchem fie ihn mufterte.
Und das tat das Lenerl von Tag zu Tag
auffallender und machte ſich viel zu fchaffen um
den ftillen Mann, brachte ihm flint Speif' und
Trank, wenn er heim fam, ftellte ihm die trodnen
Schuh an den Herd und legte ihm eine frifche
Pfeife zurecht. 2
Dabei fang fie mit heller, fchmetternder
Stimme und ahnte e3 nicht, daß der Beckhaber
ein großes Unbehagen dabei empfand und dachte:
„Dös ift mir närrifch, wie eine Witfrau, die fo viel
Herzweh erfahren, fo bald ſchon jubilieren kann!“
— 3—
Er ſaß auch meiſt ſtill beiſeite, ſchnitzte Haus—
rat oder Spielzeug für die Kleinen, oder er blieb
viel draußen im Wald und legte ſich bald zur
Ruhe, wenn er heim kam.
Das merkte die Lindbäuerin gar wohl und
ward von Tag zu Tag verdrießlicher. Sie ſang
und ſchaffte nur ſo emſig, wenn der Aloys daheim
war, während der anderen Zeit ſaß ſie träg und
mürriſch am Feuer und legte die Hände in den Schoß.
Des Vikhes wartete fie nur widerwillig, weil
fie e8 nun fo begonnen hatte, und war froh, al
mit der letzten Sahrespoft der Beinhauer Tam,
da3 Schwein zu ſchlachten, — da mar fie eine
Arbeit los, und den Sped und Schinken fomwie
das „Geſelchte“ deuchten ihr im Rauch beſſer,
denn zuvor al3 grunzende Säu im Stall. Gie
hatte von der Großmutter ſorglich erforfcht, mo
denn das viele Geld geblieben fei, das die Kathi
eh’ am Hochzeitstag von den Fürftlichen befommen
hatte, und gehört, daß e3 der Aloys im nahen
Städten auf der Sparbanf Tiegen habe, two es
graufig viel Zinfen trage. „Ei, will er fich denn
nimmer davon pflegen?” fragte Leni haſtig.
— —
„Wo denkſt hin?“ wehrte die alte Frau ganz
erſchrocken ab. „Der Aloys ſagt: das iſt dem
Wendl ſein mütterliches Erbe! und das rührt er
um die Welt nit an, damit der Bub ſich 'mal ein’
Bauernhof kaufen kann!“
Die Witfrau lachte hart auf und zuckte die
runden Schultern.
„Hat denn die Kathi ein’ letzten Willen ge—
{chrieben und das Kind zum Erben genannt?”
„D mei! Gewiß net! Die Kathi Hat fo
wenig ans Sterben gedacht, wie du anitzt!“
„Ei, To kann der Aloys das Geld abheben,
warn er a Schneid drauf hat!“
„Wo ſollt' bei dem Kopfhänger noch a Schneid
herfommen !“ :
„Ra, ich mein’, wenn er eine wieder freien
tut!”
„Der Aloys ? 1!“
Die Großmutter fehlug wie in ftarrem Stau—
nen die Hände über dem Kopfe zufanımen.
„Sit dir fol ein Gedanken fo gar zumider,
God?"
„Mir? — Ach, ich tät allen Lieben Heiligen
auf den Knien danken, wenn mein armer Bub
noch einmal möcht” glüdlich werden!“
„Na, da red’ fein zu, God!“
„D mei! Hier droben wachſen faum noch
Holderbeereln, gefchweige ſchmucke Dirndels!“
„So? — dös meinft?!“
Wie wunderlih Hang des Lenerl Stimme
plöglich. \
Die alte Frau fchaute ganz betroffen auf,
juft in das frifche, junge, lachende Geficht hinein.
„O Jeſſas!“ flüfterte fie Leife, „wenn's fo
wär?!“ Und dieweil ſich die Lindbäuerin mit
fchelmifchem Lachen abwandte und zwiſchen den
Töpfen am Herd rumorte, legte die Alte die runz—
ligen Hände im Schoß zufammen und ftarrte mit
bebenden Lippen gerade aus.
„Das Lenerl fein ſelber?!“
Und fo ein Gedanke Fam ihr erſt jest. —
Das war narriſch.
Das Lenerl?
Paßt's denn zum Aloys und hat der gar
ſchon ein Aug’ auf das jchmude Weib geworfen ?
um Wundern wär's nicht!
— 26: 5
Und die Großmutter ift dahergegangen mie
blind und taub!
Wird’3 auch ein Glüd fein?
Nun weiß fie doch, was fie allweil noch zu
beten hat.
Sp ganz nach ihrem Sinn ift das Lenerl
jiuft nit, — aber fie ift alt und abftändig, fie
verſteht fich nicht mehr auf die Jugend, und der
Aloys muß e3 ja beſſer willen.
Die Lindbäuerin Hufchte im ganzen Haufe
herum und unterfuchte jedes Eck und Winkelchen.
Vor einer großen, eichenen Truhe blieb fie
ſonderlich oft ſtehen.
Sie war verſchloſſen.
„God, was birgſt dahier drinnen?“
„Das iſt dem Kathi ſelig ſein Hochzeitsſtaat,
er’ Wäſch' und Kleidung. Der Beckhaber hat alles
fein fäuberlich eingepadt.‘
„Schließ auf, God, und weil’ es mir!“
„D mei! Daran rührt kei' Menſch! Dös
ift dem Aloys fein Heiliges!“
„Narrheit! Er merkt nir, warn ich’3 an-
Than!“
— —
Die alte Frau wehrte ſich wochenlang, aber
eines Tags, als der Aloys frühzeitig gegangen,
drangſalierte die Lindbäuerin abermals und gab
feine Ruh, bis die Großmutter aus dem Wand—
ſchrank den Schlüſſel holte und ſeufzend aufſchloß.
Da glimmerten des Lenerls Augen vor gie—
riger Luſt und ſie wühlte mit unzarten Händen
die Sachen der Toten durcheinander, hing ſich
die bunten Ketten um den Hals und ſeufzte miß—
mutig: „Welch ein Staat Tiegt dahier und modert
3jammen, während ich armes Leut Daher geh
wie a Lump!“ —
„Ich tät dir’3 gern ſchenken, Lenerl, — aber
dös gaht nit an! — Der Aloys tät uns den Hals
abdrehn !”
Die Großmutter fah nicht das böfe, ſpöttiſche
Gefiht der Witfrau, fie legte den alten Staat
fein fäuberlich wieder zurecht und ſchloß ab.
Das Lenerl aber wußte nun, wo der Schlüffel
lag, — umd wenn die Großmutter fehlief, und
der Wildhüter im Forſt war, dann ſchlich fie
heimlich zum Bodenfämmerlein, achtete nicht der
bitteren Kälte, fondern pußte fich mit den Sachen
— —
der Toten, trat vor den Spiegel und freute ſich
an ihrem ſchmucken Bild, dieweil draußen der
Schneeſturm heulte und die ſchwarzen Tannen bei—
nah zuſammenbrachen unter der glitzernden Laſt,
welche ſie zu tragen hatten.
Langſam, unbeſchreiblich ſtill und eintönig
ſchlichen die Wochen dahin, und die Laune der
Lindbäuerin ward immer böſer, und das arme
Cenzerl bekam manch harten Schlag, daß es ſich
ſchon immer verkroch, wenn es der Mutter an
fichtig ward, und gar gern feine Zuflucht in der
Großmutter NRodfalten nahm.
Das Lenerl aber ftarrte mit finfterer Miene
in Schnee und Eis hinaus und ballte grimmig
die Hände umter der Schürze. _
Zangweilig zum Sterben war’3 hie droben,
und nichts auf der Welt haßte da3 junge Weib
mehr, wie die Langeweile!
D, wenn ihr die Not dermalen nicht fo bitter
auf dem Nacken gefeffen, fie hätte nie und nimmer
bier eingefprochen, — und dann.:.je num,
durch die Mutter Hatte fie oft — daß der
Beckhaber ein vermöglicher Mann geworden ſei,
a
welcher fein’ Kreuzer verbrauche, jondern alles
in den Strumpf gejpart habe.
Da dachte das Lenerl: Se nun! Scheel iſt
beifer wie blind! Hier in der Gegend kriegſt nie
und nimmer einen zweiten Mann, aber der Aloys
in feiner Einfamfeit hat nir von der böſen Wirt-
ſchaft im Lindbauerhof gehört, — der nimmt
dich gewiß! — u
Und wenn fie exit des Beckhabers Weib ge—
worden, dann war die Zeit der Wildhauseiniam-
keit um.
Dann wollte fie ſchon dafür forgen, daß der
Aloys fein Geld nahm, ein Bauernlehn Faufte und
herrlich und in Treuden lebte. Dann 309 fie wie-
der als reputierlich Weibsbild in ihrem Dorfe ein
und triumphierte über all die böfen Mäuler,
welche ihr dermal jo viel üble Nachrede gemacht
und gehöhnt und gejpottet hatten, al3 das Unglüd
über fie hereinbrach! —
O mwäre e3 nur erſt fo meit!
Aber da fißt fie bereit3 den ganzen Winter
hier, arbeitet wie eine Magd für das bißchen elende
Koft und ein fehmales Kämmerlein, und der Lapp,
——
der Aloys, geht daher wie ein Leichenbitter, ſieht
ſie kaum im Wege an und tut alles andere eh',
denn um ihre Gunſt werben.
So ein ſauertöpfiſcher Geſell gefällt ihr ſchon
ganz und gar nicht, und wenn ſie ihn nimmt,
dann iſt's halt nur, um wieder Bäuerin zu werden
und ein Hausweſen kommandieren zu können.
Wie lang, wie unerträglich lang wird ihr
dies Warten!
Tot, — öd, — ſtill, — wie im Grabe ſo kalt
und einſam iſt's um ſie her!
Eine alte Tuntel von Weib und zwei täppiſche
Kinder — das iſt alles, was ſie zu hören und
ſehen bekommt!
Der April iſt ſchon ins Land gezogen. In dem
Tal drunten iſt wohl ſicher der Schnee geſchmolzen
und die erſten Knöſpchen ſpringen und die Früh—
blumeln ſtehen im Land; — hie droben aber
merkt man noch nichts.
Das Schneien hat wohl nachgelaſſen, aber
es iſt noch bitter kalt und der Sturm heult. Um
Oſtern ſoll die erſte Poſt gehen.
— 533
Voll leidenſchaftlicher Sehnſucht ſchaut ihr
Lenerl entgegen.
Sie weiß ſchon einen guten Vorwand, daß ſie
einmal wieder zu Tal, unter Menſchen kann!
Nach dem Lindbauer feinem Grabe will fie
fhauen!
Dagegen bat fein Menfch mas.
Aber fie drängt die Großmutter alle Tage,
daß der Moy3 wieder freien müßte, und die alte
Frau nidt trübfelig und fagt: „Sch will mir ein
Herz fafien und es ihm plaufibel machen!“ —
Endlich wird’3 wärmer.
Der Schnee taut fehnell und früret in ſchäu⸗
menden Bächen zu Tal, — ein paar Tage und
Nächte lärmt und toſt es grauenvoll in Luft und
Schlucht, dann ſchaut die Fahrſtraße wieder unter
der Schneedecke hervor und liegt bald naß und
dunkel zwiſchen dem mooſigen Geſtein.
„Run kann die Poſt fahren!” jubelt Lenerl.
Der Beckhaber iſt beizeiten heim gekommen,
er ſitzt am Feuer, hat auf jedem Knie ein kleines
Haſcherl ſitzen und ſpielt „Hoppa Reiterlein“ mit
ihnen.
— 82 —
Und alle beide jubeln „Vata!“ und haben
ihn arg lieb.
Die Großmutter, welche im Schrank das Ge—
ſpinſt aufſtapelt, blickt in das heitere Geſicht des
Sohnes und meint, nun ſei wohl günſtige Zeit.
Das Lenerl ſchafft im Hof.
Site tritt herzu und legt die Hand auf die
Schulter des Wildhüterd.
„Aloys! haſt's all g'hört, wie das Cenzerl
dich allweil „Vata“ heißt?“
Er lächelt und nickt. „Das ſchwätzt's dem
Wendl nach! Wie ſoll ſo a Kleins es beſſer
wiſſen!“
„Aloys!“
„J hör', Mutterl!“
„Haſt nimmer dran denkt, wie gut es wär,
wann du dem verwaiſten Würmerl in Wahrheit
der ‚Bata‘ würdeſt?“
Da hebt er mit ftarrem Blick den Kopf.
„Wie meint Shr das, Mutter?"
‚„Haft kei’ Augen im Kopf, Aloys? Sieht
net, wie fauber und blitzblank da3 Lenerl ift, wie
arbeitfam und gut zu dir?”
rd —
„Das Lenerl!!“
„Und wie verlaffen und einſam auf der Welt
— affrat jo allein wie du!”
Da fchiebt er die Kinder ſacht von den Knien
und fteht langſam auf.
Sein Blick trifft groß und ernft die Sprecherin,
als ſchaue er fie plößlich wie etwa ganz Fremdes
an — aber feine Stimme Hingt weich und weh—
mütig, al3 er ruhig erwidert:
„Wenn Ihr Euch da3 gar zum Biel gejekt,
Mutterl, nahen feid Ihr arg auf dem Holzweg.
Sch Hab’ die Kathi viel zu lieb g’habt und kann
nie und nimmermehr auf fie vergeſſen. Freien
tn ich um alle Welt nit wieder und vollends nit
da3 Lenerl. Wenn Ihr die a gut’3 brav's Weiber!
nennt, jeid She arg verkehrt! Sch kenn' mich
au auf fie und hab's nit fehr aus Achtung,
ſondern nur aus Gutheit und Erbarmen in mein
Haus genommen. Die Lindbäuerin ijt ein leicht»
fertige3 Leut und hat vertan und verjurt, und
wann der Bauer banfrott worden ilt, dann hat
das Lenerl ihn dazu bradt. Braucht's mid nit
ſo erſchreckt anzuſchaun, Mutterl, die Sach’ pfeifen
N. v. Eſchſtruth, Am Enbe der Welt. 3
— 34 —
im Dorf drunten die Spatzen auf dem Dach! —
Und da mein' ich, die Frau Mutter ſoll ſich derlei
Heiratsgedanken aus dem Sinn ſchlagen; denn
was ich g'ſagt hab', dös is 'ſagt.“
Er reichte der alten Frau die Hand entgegen,
als wolle er ſeine herben Worte begütigen und
ihr beweiſen, daß er ihr ſolch ein Anſinnen nicht
nachtrage, — dann aber wandte er ſich kurz ab
und ſchritt in ſeine Kammer, um den Stutzen
von der Wand zu nehmen und ihn gründlich zu
putzen.
Die Großmutter aber, welche ſo erſchreckt in
das Geſicht des Sprechers geſchaut hatte, ſank
auf den Stuhl nieder, als ſeien ihr plötzlich die
Füße ſchwach geworden, und ſeufzte tief auf —
und ſaß ſo ſtill, daß die Kinder forſchend zu ihr
aufſchauten, ſich ſtill in die Herdecke kauerten und
flüſterten: „Oehme ſchläft!“
Während der erſten Worte, welche die Beck—
haberin zu ihrem Sohn geſprochen, war draußen
vor die Tür ein leiſer Schritt geſchlichen.
Das Lenerl legte mit ſcharf forſchendem Blick
das Ohr gegen den Türſpalt und hörte einen
= BB
jeden Laut, welcher drinnen von ben Lippen
Hang. .
Das mwohlzufriedene Lächeln, welches anfangs
auf ihrem kecken Geficht gelegen, wich einem mür—
rifhen Ausdrud, welcher ſich gar bald in einen
bitterböfen verwandelte.
Die frifhen Wangen wurden bleich‘ vor In—
grimm und in den Augen brannte ein grimmiges,
rachſüchtiges Feuer, welches feine Blitze gegen die
hohe Geftalt des Wildhüters jprühte.
Wie ein Ipöttifches Auflachen zudte e3 um
den Mund, — aber das Lenerl Fniff die Lippen
zufammen, ballte die Hände unter der Schürze
und fchlich lautlos davon in ihr Rämmerlein.
Alſo derart ftand dem Aloys der Sinn!
Ein leichtfertiges Leut nannte er fie, die ihr
Hab und Gut verludert hatte, und an Freien
denft er ſchon gar nicht! .
Darum hat fie einen ganzen Winter lang in
diefer grauenhaften Einöde geſeſſen, um fich von
folchem Laff fchimpfieren zu laſſen!
Immer wilder und böfer brennt der Blick
der Rindbäuerin und grimme Gedanken ſchießen
3*
— 336: —
ihr durch den Sinn, daß ſie ſich rächen will an
dieſem Flank, der ſich zu gut deucht, eine Lind⸗
bäuerin zu freien!
Aber wie?
Was ſoll ſie ihm antun? — was iſt
ſchlimm genug, daß es ihn ſo recht herb ins Herz
trifft?
Wenn ſie ihm den Wendl nähm' und ihn
heimlich fortbrächt' . .. und der Aloys müßt’ dene
fen, er ſei tot ...
Sie ſtarrt mit unheimlichem Blick ins Leere.
Nein ... ausfeßen und verderben laſſen kann
ſie das Haſcherl nit, dazu iſt der Bub zu viel
lieb mit dem Cenzerl geweſen!
Und ihn vor eine Haustür legen?
Dazu iſt er zu groß und verrat ſie bald.
Und ihn in die Stadt bringen?
Da muß ſie eine Ziehmutter ſuchen und ein
ſchweres Geld bezahlen ... und wenn fie für des
Aloys Bub arbeiten ſollt', ſo wäre ſie die Gefoppte
und nit der Beckhaber! Außerdem tät's doch
herauskomm' ... und nachher käm' die Straf'!
= BE 2
Nein, jo fchneidet fich die Leni nicht in das
eigene Fleisch.
Es ift fein Spaß, mit ſolchem Ballaft von
Kind in der Welt herum zu ziehn, das Cenzerl
wird ihr fchon fauer genug ankommen, und wenn
fie fi in der Gtadt als Magd verdingt, muß
fie die paar Heller für das Dirndel hingeben und
behalt nix, um fein Luftig zu leben!
Da lachte fie leiſe auf.
„Akkrat umgekehrt will ich’3 machen. Wenn
der Aloys die Mutter nit mag, fo foll er, zur
Straf ihr Klein's durchfüttern! Wird dem Geiz-
hal3 nir fehaden, und da3 Cenzerl liegt im warmen
Net... und die Lindbäuerin ift frei und Yedig
und kann ſich hinwenden, wohin fie will!‘
Das ift ein Gedanke! Den halt fie feit!
Aber dem Aloys ift damit noch nicht genug
Straf’ angetan!
Ein’ Ärger foll er haben... ein Herzweh,
daß er fich grün und gelb giften foll!
Uber was?
Und wie fie finfter finnend die Lippen nagt
und an ihrem vertragenen Gewand herabichaut,
are
da flimmert e8 plößlich wieder in den Augen und
ein boshaftes Lachen geht über ihr Geſicht.
Was für ein narrifches Weibzleut fie ift, noch
zu finnieren! Steht droben in der Sammer nit
die Truhe mit der Kathi ihrem Hochzeitsſtaat,
ihrem Leinzeug und Jankerln und Schuhen?
Das ift dem Bedhaber fein Heiliges, hat Die
Großmutter gejagt!
Nun weiß die Lindbäuerin, was fie zu tun hat!
Sit ihre fo nicht recht, in ihrem alten Kram
zur Stadt einzugeh’n!
Eine Lumpendirn nimmt keins gern in Dienft,
wenn aber ein Weibsbild fo ſchmuck und fauber
daherfommt mie eine Hochzeiterin, dann greifen
die Männer jchon gleich nach ihr, und fie fucht
fi aus, was ihr g’fallt und wo fie ſich am beiten
in die Wolle fest! Haha! Wär’ nit zum erjtenmal,
daß ein reicher Mann fein Weib davonjagt, um
eine jaubere Magd zu freien...je nun, und
wenn er ihr auch fein Trauring gibt, mit einem
Stüd Geld ift die Lene auch zufrieden! Fein üppig
muß er fie halten und ordentlich was draufgeh'n
Be
laſſen . . . nach was anderm fragte fie nit
viel...
Als e3 in der Nacht ftill geworden, beginnt
die Lindbäuerin ihren Plan auszuführen. Sie
nimmt ein Stüd Papier und fehreibt mit großen,
ungefügen Buchſtaben: „Sch dankt euch für alle
Gutheit, daß ihr mich habt aufgenommen, aber
bleiben kann ich nit länger. Hinaus will i und
Arbeit fuchen, daß i mid) durchbring'. Das Cen—
zerl laß i euch z'rück. Um Gottes Barmherzigkeit
willen. Wann i ein Geld hab’, hol’ i das Rind.
Fragt nicht nach mir, ihr find’3 mid) nit.“
Und nun noch den Namen darunter. Die
Leni ftöhnt erleichtert auf.
Da3 war das ſchwerſte Stücd Arbeit.
Was fie da geichrieben Hat, Hingt brav und
ordentlich, — damit wird ſich der Aloys gern
beſcheiden.
Und bis er im Herbſt, an feinem Hochzeits—
tag, über die Truhe geht, ift die Lindbäuerin weit
über alle Berge davon...
Sa, die Truhe!
Sie ſchleicht auf Strümpfen zum Schrank und
holt den Schlüffel.
Der Wildhüter fchläft wie ein Toter und
die Großmutter ift fo taub, ... die benft, es ift
eine Maus, die tajchelt. ... .
Niemand hört fie.
Lautlos geht e3 die Stiege hinauf. =. und
droben in dem dunklen, grabitillen Kämmerlein
ftiehlt Leni der Toten Eigentum. Sie jchlägt
alles in ein großes Tuch, ſchnürt's zufammen
und ſchleppt e8 in ihr Stübchen.
Da wirft fie ſich aufs Bett und ſchläft lachend
ein. —
Als der Morgen graut, Hingt des Bedhabers
fhwerer Schritt in der Küche, und die Haustür
fchlägt Hinter ihm zu. — —
Er ift in den Tann’ und Tommt vor der
Mittagsſtunde nicht zurüd.
Die Großmutter hat ihm die Mehlfuppe ge-
kocht, — nun räumt fie Topf und Schüffel fort
und friecht noch einmal in das Bett zurück; denn
es ift noch dunkel und falt in dem niederen
Raum.
— —
Da ſchläft fie recht feſt, — das weiß die Lind—
bäuerin.
So wartet ſie noch ein Weilchen, dann packt
ſie den gewichtigen Kleiderballen und ſchleppt ihn
lautlos hinab, durch die kleine Hinterpforte in
den Holzſtall. Von dort aus iſt ſie mit einem
Schritt im Wald.
Nicht lange mehr, dann kommt die erſte Poſt
und fährt hinauf über den Paß nach der Grenze zu.
Und die Lindbäuerin will über die Grenze,
— dort fennt fie feine Menfchenfeele im fremden
Land.
Sm Holzftall ſchnürt fie da3 Bündel wieder
auf und Heidet fich haftig in den Buß der Toten,
— auch die Ketten legt fie um den Hals, die
feinen Korallen und bunten Olasperlen. — Eine
‚Gefahr ift nicht Dabei.
Die Fäden, darauf fie gefchnürt find, Halten
was aus, wie Heine Hanfitride find fie, und Die
Leni benft: „Eh die reißen, fallt die Welt
z'ſamm'!“
Und als ſie fertig mit ihrem Putz iſt, nimmt
fie die großen Bündel zur Hand umd fchreitet in
den nebligen, naßfalten Morgen hinaus.
Von den Tannenzweigen tropft e3 hellbfin-
fernd hernieder, wie Tränen, welche der Hochwald
weint, und die Steine find feucht und glitfchig,
das Schneewaffer fteht in großen Lachen auf der
Fahrſtraße und von den Felsblöcken fidert es hell,
wie Heine Bäche durch das ftarfduftende Moos.
Die Lindbäuerin- fchreitet Haftig bergan, denn
droben, hinter der Wegbiegung, will fie die Poſt
erwarten.
Hier ift fie am ficherften, hier droben hat
der Aloys nir zu fchaffen.
Sie Steht und martet und ftarrt ungeduldig
in die grauen, wallenden Nebelfchleier hinaus.
Voll fündhaften Leichtſinns fliegen ihre Ge—
danken voraus... einem tollen, Iuftigen, genuß-
reichen Leben entgegen. ... . Shr Kind in der Wild-
hütte hat fie ganz vergejlen. — — —
Und dann fnallt eine Peitſche, Roſſe ſchnau—
fen, und in den Augen des jungen Weibes blikt
e3 heiß und triumphierend auf.
Die Poſt! es ift die Pot!
— —
Erſtaunt hält der Poſtillon an, — ein lachen=
de3 „Grüaß di Gott!” — ein paar Worte Hin
und ber! und weil in der Kutſche ein Kaufmann
mit feinem Weibe ſitzt, ſchwingt fich die Leni Fed
neben den Kutſcher auf den Bod, und Heidi! geht
die Fahrt.
Die Höhe ift bald erreicht.
Da ftarrt alles noch von Eis und Schnee
und ein ſchnittiger Wind fährt über da3 Joch und
heult fo leis und unheimlich wie ein böfer Berg»
geift um da3 einfame Gefährt.
Hei! bergab geht's.
„Wann's nur nit allzu glatt iſt!“ jagt der
Poſtillon und nimmt die Pferde feiter in die Bügel:
„Es it heuer viel zu arg früh, daß fie mich
binaufgefhidt haben!”
Und faum Hat er’3 gejagt, fo gleiten die
Vorderpferde — und der Wagen fhiebt ſtark nad),
— der Poftillon bremſt, fo fehr er kann, ein heller,
Hingender Knall... die Stange ift gebrochen, der
Klotz faßt nicht mehr — und ber ſchwere Kutſch—
magen fauft den Pferden in die Beine.
Wild auf Bäumen die, — in rafender Flucht
— 4
brechen ſie aus, — ſpiegelglatt blinkt das Eis
unter dem Schneewaſſer . :. der Weg windet
ſich, ... feitlih gähnt der Abgrund. =:
„Jeſus Maria!” fchreit der Poſtillon auf,
„halt's dich feſt, Frau!“ — aber fehon ftürzen
die Pferde . ; . ein milder Knäuel rollt fich und
die Kutſche jchleudert in rafender Fahrt zur Seite.
Gellende Schreie . . . ein Rnirfchen, Poltern,
Rollen... . und den Abhang hinab ftürzen Wagen
und Pferde... tief... tief >... bis drunten Die
Heinen Kiefern die Zweige hemmend entgegen-
ftreden. — — —
Sn der Heinen Stube des Wildhliterhäuschens
it es dämmrig und ftill.
Die beiden Kinder fiben vor dem Ofen und
werfen Tannenäpfel in die Glut.
Dann praffelt es hell auf; die Funken ftieben
rot und grelf hervor, mit feinem Knall beriten
die harzigen Schuppen auseinander und bläufiche
Flämmchen hüpfen gefchäftig darum her!
Die Kinder weichen mit luſtigem Geſchrei den
ſprühenden Funken aus und höhnen: „Fang' mich
doch! Fang' mich doch!!“
N
Uber die Heinen Feuergnomen „Prubelmann”
und „Knuſperkneischen“ find nicht fo behende und
ziſchen und fchelten oder lachen, neden und kichern
nur ganz leife mit den Seinen.
O, die Kinder kennen fie fo guf, die Heinen
Geifter und Wefen, welche rings um fie her, im
Teuer, Wafjer, im Wald und in der Luft haufen!
Sie nennen fie mit Namen und rufen fie zum
Spiel, und die grauen Mäuslein und die Vögel,
Schmetterlinge und Bienen, die Müden, Fliegen
und Schneden find gute Kameraden, die fich fehen
Laffen, — Windelfen und Feuergeifterchen fpielen
aber Verjted, und nur wenn Prußelmännden ganz
böje wird, fpringt es aus dem Dfenloch nad) dem
Cenzerl feinem Schürzchen und beißt mit fcharfen
Bähnen in den nadten Arm oder die Meine Hand,
welche nach ihm greifen mill.
So jpielen die Finder allabendlick in der
Dämmerftunde, und fo figen fie" auch Heute in
vergnüglichem Geplauder; denn daß dem Cenzerl
feine Mutter auf und davon gegangen ift, deucht
den Kleinen fein Kummer, — eher eine Erleich—
terung; denn die Lindbäuerin Hatte eine harte
— "AG: =
Hand und ſchlug zornig zu, — aber die Großmutter
ift gut und fehilt nur ein Hein wenig, wenn die
„argen Loderer“ am Hofbrunnen ihre Röckchen
gar zu naß gepanticht haben.
Kun ift die Leni fort, — fein Menfch weiß,
wohin, und die Großmutter fißt ſchon den ganzen
Tag tief in Gedanken und murmelt leife vor ſich
hin und vergißt zu fpinnen. Als fie dem Wild-
hüter den nachgelaffenen Bettel der Lindbäuerin
gezeigt, hat der nur erfchredt den Kopf gewandt
und laut aufgefhrien: „Cenzerl! mei Kleins!
wo bit?!“
Und als er das Kind gefchaut, hat er erleichtert
aufgelacht, fein Köpfchen getätjchelt und gejagt:
„Gottlob! wenn fie una das Dirndel z'rückgelaſſen
bat, dann ift alles gut!” — —
Und plößlich Hat er die Hand der alten Frau
gefaßt und wieder voll Sorge gefragt: „Uber das
Haſcherl macht Euch mehr Arbeit, Mutter[?
Sagt’3 nur! Dann geh’ ich noch heute und dinge
eine Kleine Magd!“
„D mei! nur dös nit!” Hat die Bedhaberin
heftig abgewehrt: „Die paar Sahrdeln, bis die
— ——
Creszenz 'ran gewachſen iſt, reicht's mit meinen
Kräften noch aus, und dann iſt das Dirndel ſtark
geworden und helft mir!“
„So walt's Gott!“ — Der Aloys hat mit
hellen Augen ſeinen Grünhut an den Nagel ge⸗
hängt und ſich zum Eſſen geſetzt, und dann iſt
er pfeifend wieder hinaus in den Wald, wo der
Förſter mit ſeinen Leuten droben am Paß zu
ſchaffen hat.
Kun iſt's Abend geworden und die Groß—
mutter fährt aus ihrem Ginnen auf, ftecdt die
Zampe an und ftellt fie auf den Tiſch. Da Hingt
auch ſchon des Wildhüters ſchwerer Schritt auf
dem Hof draußen, — früher wie jonft.
Die Türflinfe wird ſchwer niedergefchlagen
und der Aloys wankt über die Schwelle.
„Mutterl!“ ftöhnt er und läßt fich ſchwer auf
einen Stuhl niederfallen.
„Jeſſas! was bringſt?!“ ruft die Alte er-
fchredt, hebt die Lampe und leuchtet dem Sohn
in das veritörte Geſicht. —
„Regt's Euch nit auf, Mutterl ... aber ich
— 8—
mein g'rad, ſo ein Strafgericht iſt viel ſchlimm
für das Lenerl geweſt!“ —
„Ein Strafgericht über das Lenerl?!“
Er hebt die Hand und fegt mit zitternden
Fingern ein paar bunte Glasperifetten auf den
Tisch, greift in die Tafche und zieht ein zerfetztes
Madrastuch draus hervor und legt's dazu. —
„Kennt Ihr der Kathi ihren Hochzeitsitaat,
Mutterl?“
Die Beckhaberin taſtet mit unſicherer Hand
danach: „Der iſt's ... bei allen Heiligen, mie
kommſt mit dem Staat anigt daher, Aloys?“ —
„Schau, Mutterl, nix verjeh'n haben wir ung,
dab das Lenerl fo ein fchlechtes Leut geweſt —
Gott hab’3 felig und vergeb ihm die Sind —!
und der Toten ihr Zeug geftohlen hat. Fein ftatt-
lic, gemacht hat fich’3 damit, und auf und davon
iſt's! — Der Förfter hat g’rad mit den Wald-
Yäufern am Paß droben gearbeitet, da haben fie
-plöglich ein Schnaufen und Schreien und Stöhnen
gehört — und mie fie um das Ed zur Poſtſtraß'
gelaufen find, Haben fie g’rad noch gejehen, wie
— 4 —
drüben an der Habichtswand die Poſtkutſch ift
niedergeraft in den Abgrund. ...“
„Jeſus Maria!”
„Selaufen find fie, daß fie nimmer haben
fchnaufen können, und wie ich ihnen juft in den
Weg kam, haben’3 mich gleich mitgenommen an
die Unglüdzftell. — Gott und alle Heiligen feien
gelobt, jo arg fteil ift’3 nit geweitl, — man hat
gut 'nunterfrareln konnt! — Der Boftillon ift
gleich droben abgefchleudert und Hat ein bifferl
zerſchunden und damſch im Geröll gelegen, aber
die Kutſche ift tief hinab . ; . und da3 Lenerl hat
mit den Kleidern feitgehaft auf dem Kutſcherbock
droben und das ganze Gefährt ift über's wegge—
rollt! Aber fiehft, arg viel gefchadt’ hätt’ es ihm
doch nit, denn es ift bald zur Seite gejchleudert
in einen Knirksbuſch hinein. — Ohne Befinnung
iſt's wohl geweſt, daß es fich nit hat aushelfen
können, und da haben mei'm Kathi fei geftohlenen
Ketterin fih um einen Aſtzinken gehaft und dem
Lenerl den Hals z’jammengefchnürt! — Negel-
richtig aufgehängt ift e3 gemweit, Mutterl, — und
Hat fonft nit viel Schaden am Leib gehabt! —
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 4
— 30 —
Guck, Mutterl, wann die Lindbäuerin nit zur Diebin
an der Toten geworden wär, hätt's den Sturz
ganz kommod überſtehen können!“
Die Großmutter hatte die zitternden Hände
gefaltet und Tränen rannen über die runzligen
Wangen. „O mei! o mei! — dös is a Straf!
— Ja, die Toten laſſen ſich nit ſchimpfieren und
die heiligen Engel wiſſen's genau, wem's a Schutz
geben!“ —
„In der Kutſch ſind zwei Leut eingeſeſſen,
die waren auch ſchlimm zugericht, aber ſie leben
und kurieren ſich aus. Die Röſſln aber haben
fich ganz und gar zu fchanden geftürzt, mit
denen i3 aus.”
Einen Augenblid herrichte tiefe Stille. Die
Kinder waren mit angftvollen Mienen herzuge-
ſchlichen und ftarrten die beiden befümmerten Men—
fen ftumm an.
„Sa, Mutterl ... nun is's tot, das Lenerl!“
„Und was wird aus dem armen Hafjcherl,
dem Cenzi?“
Da flog’3 zum erftenmal wieder wie ein Son»
nenftrahl über die verftörten Züge des Wildhüters.
— —
Er ſtreckte den Arm aus, zog das Cenzerl auf
ſeinen Schoß und ſtreichelte ihm zärtlich das
blonde Köpfchen.
„Nu ſoll die kleine Creszenz ein Recht haben,
und ſoll allzeit ‚Bata‘ zu mir jagen!’ flüſterte er
weich, und er nahm feinen Bub in den anderen Arm,
fchaute ihm in die großen, dunfeln Augen und
nidte: „Gelt, mei Mannele, mei’ klein's, nu ge-
fallt’3 dir erft recht, daß d' nimmermehr allein,
fein brauchſt!“
Als die Kleinen fahen, daß der Bedhaber
wieder fröhlich dreinfchaute, lachten fie auch Hell
und erleichtert auf, und das Yuftige Cenzerl faßte
mit drallen Fäuftchen den vermwilderten Bart und
zaufte den Wildhüter voll täppifcher Zärtlichkeit.
„Vata!“ jubelte e8 dabei. — „Vata!“
Draußen aber durch den ftillen Wald ward
die Leiche der Lindbäuerin zu Tal getragen. —
4®
II.
Wie im Traum zogen die Jahre dahin.
Die Frühlingsftürme brauften durch den hohen
Tannenmwald, die Sommerjonne glühte ftill und
heiß auf den blumenduftigen Waldboden, —
tauher Herbftodem fchüttelte die Tannenzapfen in
den Heinen Hof des Wildhüterhäuschens, und der
Winter fam ftumm und ernit daher und breitete
eine weißflodige Dede über die Welt, daß fie
müde ward und hinſank in Laugen, traumlofen
Schlaf.
Die Heinen Wacholderbüfche Hinter der ver—
witterten Lattenwand wuchſen höher und höher,
und die beiden Kinder, welche Sahr für Jahr
in tiefer Einfamfeit und Weltvergeffenheit dahinter
fpielten, wuchſen auch heran und kannten feine
andere Welt als dieſe winzig Heine, welche fo
— 5 —
eng begrenzt hoch droben am fteilften Hang des
Hochwaldes lag.
Die Welt.
Welch ein fremder, wunderlicher Begriff für
dieſe beiden kleinen Lebeweſen, kaum daß ſie des
Wortes Bedeutung zu faſſen vermochten.
Die Großmutter ward älter und abſtändiger
und je ſchwerer es ihr wurde, die heranwachſenden
Kinder zu hüten, deſto ängſtlicher ſchloß ſie ſie ab.
Als der Wendl die erſten Lederhöschen, welche
der Wildhüter ihm heimgebracht, angezogen be—
kam und ſtolz und breitſpurig darin ſtand, voll
Neugierde Nutz und Zweck der Taſchen unterſu—
chend, da meinte der Aloys: „Weißt, Mutterl, i
nimm’ die Haſcherl nun mal mit in’ Wald! J'
zeig ihnen’3 Dorf, damit 3’ doch mal Befcheid
wiſſen!“
Die Großmutter aber ſchüttelte energiſch den
Kopf.
„So'n Larifari laß aus, Aloys! Der Wendl
iſt ka Duckmäuſer nit, und die Creszenz plagt
auch die Neugier! — Wann du die Kleinen erſt
ausbringſt in die Welt, nachen haben's ka Ruh'
er BR
mehr hier. — Dann laufens hinaus in den Forſt
... und tollen allein zu Tal, und verirren fich
und ftürzen ab! Wie mwillit fo zwei Würmer!
wiederfinden? — Laß fie noch daheim, Aloys, mas
fie nit kennen, begehrten fie nit... und a Glück
haben's doch nit da drauß!”
Das Yeuchtete dem bejorgten Water wohl ein
und er nagelte über zwei morjche Bretter in der
Zattenwand ſorglich ein paar neue und warnte
die Rinder und ſprach: „Da in der Welt drauß
mohnt der Bär, — der iſt arg Ihlimm und frißt
euch!‘
Eine3 Tages abet trat er vor die Groß-
mutter, Fraute fich den Kopf und ſprach: „Mutterl,
der Wendl ift jebt acht Jahr, die Creszenz ſechs,
— wie foll das nun mit der Schul’ werden ?”
„Narretei!“ fchüttelte die Alte den Kopf.
„Die Schu! — fo an Unding! — J' hab’ ni
nit leſen und fchreiben gelernt, hab’3 auch nit
vermißt, und du? — X tüchtige Arbeit ift mehr
wert, wie fo a narriihe Wiſſenſchaft. Du kannt
den Bub jeßt anlernen im Garten und Hof zu
ſchaffen, a Kraft hat er für zwei und mit dem
EN ee
Vieh weiß er ſchon gut Beicheid, da3 haben die
Haſcherln mir bald abg'ſchaut. Die Cenzerl aber
nehm?’ ich in die Lehr’ und dent, fie lernt dahier
mehr, was ein tüchtiges Weibzleut gebraucht, ala
wie in der Schul!“
Das fah der Alohs num wiederum ein, denn
in jener Beit hielt man e3 noch nicht fo ftreng
mit der Schulpfliht und gar mancher Hütebub
und manches Dirndel wuchs in den Bergen auf,
ohne je im Leben eine Schiefertafel gefehen zu
haben. .
Aber der Wildhüter dachte bei fich: Iefen und
fchreiben Tann ich jelber nicht, fonft lehrt ich es
den Kleinen wohl, — das aber, wa3 ich felber an
Weisheit erfahren, das bring’ ich ihnen wohl bei!”
Und al3 die langen, dunklen Wintertage
famen, da nahm er die Kinder zu fich an den Tifch,
darauf Tagen zehn Hafelnüffe, und er Yehrte fie
im Schweiße feines Angeficht3 zählen, und als fie
gut aufmerkten und e3 gar bi3 hundert gebracht
hatten, da fprad er: „Nun ift’3 genug, benn
über Hundert Gulden ſchaut ihr doch nie bei-
fammen.” j
N
Und fie begannen zu rechnen, — eins von
zwei — und bier von ſieben ... und wiederum
zuzuzählen, je nachdem e3 not tat.
Die Hafelnüffe mußten das alles anſchau—
lich machen, und weil fie nach der Stunde jedesmal
zur Straf aufgegeffen wurden, jo waren die Kin—
der voll Jubel und Eifer bei der Sache, fo daß
der Beckhaber oft jelber ftaunte, wie hell die
Köpferln feien.
Nach dem Rechnen aber nahm er bie Kleinen
auf feine Knie und fing an, ihnen zu erzählen,
von dem lieben Gott, der im Himmel wohnt, von
dem Sefuzfind, das er in die Welt gefandt, von
feinem 2eben, Leiden und Gterben.
Und die Rinder fragten fo graufig viel, daß
dem Aloys fchließlich brühheiß vor Angſt ward
denn allzuviel wußte er ja jelber nicht.
Als aber die beiden Schüler fo ungefähr be-
griffen hatten, wie e3 im Himmel ausfah und
fich denfelben jo wunderſam vorftellten, daß fich
die Großmutter oft ganz verwirrt den Kopf hielt
wenn fie ihren Reden lauſchte, da meinte der
» Bedhaber, nun fei es auch an der Beit, daß die
a
Kinder erführen, wie e3 um die Welt beitellt fei.
D du Mirafulum! Das war eine närrifche Sache.
Einen Raifer und König befchrieb er ihnen
mit goldener Krone auf dem Haupt und ein Schwert
in Händen, — und Dorf und Stadt befchrieb er
ihnen — und fraute fich hilflos hinter den Ohren,
als die Kinder ftatt klüger — allweil dümmer zu
ihm aufſchauten.
Da fam ihm in der Not ein pfiffiger Ge—
danfe.
Er Tramte eined Morgen in der Truhe
und ftedte den Geldbeutel in den Rudjad. Dann
ftieg er zu Tal.
Als er abends mit ftrahlendem Geficht heim-
fam, griff er hinein in den Sad und legte ein
großes, dickes Buch auf den Tiih... und noch
eins... und ſprach: „Nun foll euch das alles
wohl deutlich werden!
Sn den Büchern aber waren lauter große,
bunte Bilder zu jehen, da war alles abgemalt,
was e3 in ber Welt gab, und mehr noch dazu,
Menſchen, Vieh, Stadt und Dorf, Meer und Berg,
Schiffe und Soldaten... Der Bedhaber mußte
= 8
von den meiſten Dingen ſelber nicht, was fie be»
deuten follten.
Aber das tat nichts. Er fagte dann jedesmal:
„a, dös i3 auch) fo an Ding!” — uno die Kinder
waren damit zufrieden, denn daß die Welt übervoll
bon narriſchen Dingern war, das fahen fie ja!
Das eine Buch zeigte die Welt, mit allem
was drinnen war, das andere aber war eine
bibliiche Gejchichte und zeigte Adam und Eva,
den König David, Joſef und Maria, das Jeſus—
find, alle Engel, Märtyrer und Heilige... und
der Moy3 erflärte auf gut Glüd jedes einzelne
Bild, denn was darunter ftand, fonnte er nicht Iefen.
Aber nun war e3 ein Spaß mit dem Lehren
und Lernen, und die Wintertage vergingen mie
im Flug, der Wildhüter warf fich ſtolz in Die
Bruft und fagte zu der Mutter: „Da ſchaut's
Euch die Heinen Saframenter an, Mutterl! Zäh-
fen und rechnen fünnen’3 nun wie die Däus,
fo daß fie fein ordentlich zufchauen können, wenn's
einmal ihren Lohn gezahlt befommen, denn dös
iſt die Hauptfach”. Und wie's in der Welt aus—
fhaut, wiffen fie nun auch!”
— 59—
Da machte die Alte ein ſaueres Geſicht und
ſchüttelte den Kopf.
„G'rad a rechte Narrheit haſt' gemacht. Das
Rechnen lob ich mir, weil's da ſpäter mal keins
betrügen kann, aber mit der Welt — das behagt
mir nit! Grad neugierig haſt die Lapperln g'macht
und unruhig obendrein. Der Wendl is ſo ſchon
ein Aufbegehrer, der ſich ſchwer regieren laßt,
nun wird's ka Fried geb'n, bis er fein ſelber die
Nas in die Welt ſteckt hat, und nach'n biſt'n los,
den Bub!“
Der Beckhaber ward ganz blaß und ſtarrte
erſchreckt in die Stubenecke.
„Gott erbarm' ſich!“ murmelte er: „Ich
hab’ nir Liebes mehr dahier als wie den Bub
und denf’, er bleibt mal hier an meiner ftatt und
drudt mir die Augen zu.” ;
An diefem Abend erfuhren die Kinder zu
ihrem großen Erftaunen, daß es draußen in der
Welt fehr ſchlimm zugehe.
Alle Schredniffe eines Fegfeuerd malte der
Aloys in Stadt und Dorf hinein und die Unge-
heuer, welche draußen in Wald und Tal haufen
— —
und die Kinder fräßen, die ſeien ſo grauſig
ſchlimm, daß ſie nie nit im Bild gemalt werden
könnten! Der Wendl hob zwar trotzig den braun⸗
lodigen Kopf und ballte die Hände mit einem
fampfmutigen: „J jchlag’3 all z'ſammen!“ Aber
er warf doch einen ſcheuen Blid nad) dem Fenfter,
al3 der Sturm juft daher braufte und an ben
Riegeln rüttelte. Die Creszenz aber klammerte
fi an den Wildhüter und flüfterte angitvoll:
„Gel', Bata, du gangft ni nit mit uns 'nab?“
Was der Aloys ihr Heilig und feit verſprach.
Nun war es Frühling geworden.
Die große, gelbe Glude führte ihre Kleine,
emfig pidende Schar auf dem engen Hof jpazieren,
die dunkeln Tannenzweige hingen tief über das
Stalldach hernieder und fingen an, ganz zarte,
lihtgrüne Spischen an allen Zweigen zu treiben.
Das winzige Stüdchen Himmel, welches man von
Hof und Garten aus fah, war azurblau und
wolkenlos, und jo lange wie die Sonne auf der
Höhe Stand, ſchickte fie ihre goldig zitternden
Strahlen zu den einfamen Rindern herab, welche
foeben voll Subel und hohen Snterefjes ein gelbes
— —
Blümchen im Raſen entdeckt hatten. Die Vögel
zwitſcherten ſo hell in den Zweigen, flogen zu—
traulich zu den Kindern heran und ſchauten ſie
mit den Eugen, blanken Äuglein verwundert an,
als wollten fie fagen: „Was feid ihr für zwei
arme, unglüdliche Weſen, daß euch feine Flügel
gewachlen find ?
Der Wendl Hatte im Garten gegraben. Er
ftieß plöglich mit Fraufer Stirn den Spaten in
die moofigduftende Erde und fchaute auf das Cen—
zerl, welches juft feinen Wurzelmann fpazieren fuhr.
Befagter Wurzelmann war der Kinder Tiebftes
Spielzeug, denn er war von dem Wendl felber
fehr fünftli aus einer großen, munderlich ge-
formten Baummurzel geſchnitzt und ſah aus, als
babe er ein richtiges, wahrhaftiges Geficht.
Als der Wendl gar noch den außerorbentlichen
Gedanken gehabt, dem „Wurzli“ ein paar blanke
Nägel al3 Augen in den Kopf zu hänmern, da
ſah er jo unheimlich lebendig und funfelnd drein,
daß fein Verfertiger felber begann, fich vor ihm
zu fürchten und ihn für einen Berggeift zu halten,
der tief innen im Steinicht hauft.
ur
Da aber der braune Gefell ſich in nichts,
bösartig zeigte, faßte man Zutrauen zu ihm und
gewann ihn bald unbejchreiblich Lieb.
Cenzerl Eleidete ihn phantaftifch in ein paar
alte Slicken, welche e3 der Großmutter mit Bitten
und Flehen abgerungen, und dann ſetzte e3 den
„Wurzli“ reſpektvoll in einen jener riefigen Holz»
ſchuhe, welche der Wildhüter bei Schneemetter trug,
band einen Strid an und fuhr den hohen Herrn
durch den Hof fpazieren. Der Wurzli war der
einzige, welchem im Leben das außerordentliche
Ereignis miderfuhr, gefahren zu mwerden, und
darum behandelten ihn die Kinder mit Hochachtung
und da3 Genzerl ſprach: „Geitern Hab’ ich am
Türloch gegudt, es jaßen wieder zwei Mannerleut
in der Poſtkutſch; der eine wird der Kaifer, der
andere wohl der Küni gemeit fein!“
‚Da hat nur noch der Wurzli als dritter ge=
fehlt!’ meinte der Wendl. „Möchteft auch du ein-
mal einfigen, Cenzerl?“
„Jeſſas! — i ftürb vor Angft am Fleck!“
fchrie da3 Dirndel auf, „und du Wendl?“
„Pah!“ dös macht mir nir! iführ mit!” Und
— 63—
jeßt ſtemmte er die Arme: auf das Grabſcheit, blickte
die Spielgenoffin an und fagte plöglich: „Weißt,
was i mein, Cenzerl?“
Das ſteckte den Finger in den Mund.
„Naa!“ fchüttelte e3 mit fragendem Blid
den Kopf.
„Arg dumm find’ ich's hier in dem engen
Zoch!” — plabte der Bub zornmutig heraus. —
„Dahier?... arg dumm ?1“
„Allweil fit ma mie an Vogel im Käfig!
Kir fieht man von der Welt, g’rad gar nir!”
„Wendl ... wünſch dir’3 nit! Die Welt ift
arg bös!“ —
„Bah! Zum anfehn nit!”
„Wenn du’3 aber Schauen mwillft, mußt du
weit fort von hier, denn die Welt liegt fo fern,
dag fa’ Menfch zu Fuß hinkönnt!“
Der Wendl trat geheimnispoll näher und
zwinkerte Yiftig mit den Augen.
„Weißt, Cenzerl, — ganz furt von hier, dös
will i net! — Aber i mein’, mal über den Zaun
ſchauen, dös könnt ma’ ungeftraft! — Warum
nit? Da ift fei Gefahr bei! Und fiehft, gar für
SE
mein Leben gern möcht’ i wiſſen, wie’3 dahinter
ausfhaut! A Stüderl Welt fieht ma’ vielleicht
doch! J mein’, da hier am Garten, wo die Feld
wand bi3 in die Wolfen aufifteigt, i3 die Welt zu
End, — da geht’3 nit weiter, aber dahinaus ...“
und der Sprecher redte den Arm nad der
Zattenwand am Hof, „da muß e3 in bie Welt
hineingehn, denn da ift die Luft offen, da ſtehn
feine Bäum’ und feine Felswand, — und da
hinab fahrt auch allzeit die Poſt!“
Cenzerl ſchob den Finger angſtvoll und be»
klommen noch tiefer in den Mund. „An der Wand
aufflettern mwillft und überfchauen ?”
„Suftement dad! — Gud, das laßt mir fa
Ruh, daß ich mal die Welt jeh’n möcht! Nur von
weiten, weißt, nit in der Näh’, denn das hat der
Bata verboten! Ein Aſtloch ift in einem Brettl,
dadurch hab’ ich ſchon Yängit mal geäugt, aber
g’rad is ein Heines Wacholderftaudel davor ge»
ftanden, da3 tragt im Frühling grüne, im Som-
mer rote und im Herbit ſchwarze Beerdeln. Dös
i3 alles wa3 man fieht. — Die Großmutter jchlaft
jest, wann'd mir helfft, fchieben wir da3 Regen⸗
— 65—
faß an die Holzwand, — nachen langt's, dann
komm' i nauf. Gel, Cenzerl, du willſt? Und wann
nit, dann ſchaff i's fein ſelbſt!“ — Das war ein
recht trotziger und energiſcher Ton, welchen der
Wendl da anſchlug, und da das luſtige Cenzerl
von Herzen gutmütig und kein Spielverderber war,
ſo willigte es zwar etwas beklommen, aber doch
allſogleich ein, und auch ſein kleines Herz ſchlug
in brennender Neugierde, zu erfahren, wie es wohl
draußen in der großen, weiten Welt ausſehen
möchte.
Da war's zum erſtenmal, daß in den ſchlum—
mernden Rinderjeelen ein Keiner Funfen aufblibte,
daß Ti ein Sehnen und Verlangen regte, daß
e3 da lebendig ward, wo e3 bisher Jo ftill und
tot gewejen.
Bis zu der Stunde, wo Aloys begann, die
Kleinen in feiner fchlidten und eng begrenzten
Art zu unterrichten, hatten fie auf ihrem winzigen
Spielfleden faum geledt, fondern nur vegetiert.
Wie Heine Tiere im Käfig aufwachſen und
wie ein Zamm im Stall faum den Wunfch hegt,
durch die Türe hinaus zu fchauen, fo hatten fich
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. =
u Uhse
auch Wendl und Cenzer! nie mit dem Gedanken
bejchäftigt, wie e3 wohl hinter der hohen Latten-
wand ausschaut, und erft da3 Buch mit feinen
bunten Bildern Flopfte an die dDämmernden Hirn-
fäftlein, daß die mweltfremden Menjchentinder die
Äuglein auftaten und zum erftenmal forſchenden
Umblid hielten.
Sm Schweiße ihres Ungeficht3 rollten die
Kleinen die leere Regentonne an die Holzwand;
der Wendl ftand noch einen Augenblid tief auf-
atmend und ſah vor Anftrengung und Aufregung
dunfelrot im Geficht aus.
Dann ſchwang er fich kraftvoll und behende
auf die Tonne und maß mit bligenden Auglein
die Höhe der Latten, welche nun noch blieb.
Die war nicht mehr der Rede wert, und
außerdem war juft an rechter Stelle ein Span
ausgebrochen; in diefe Lüde ſchob Wendl den
Fuß, faßte droben am Holz an und zog fich
empor.
Sein Kopf ragte- über die Wand, und fein
Herzchen hämmerte in der Bruft.
Beinah gewaltſam riß er die Augen auf und
— 67
ein leiſer Schrei höchſter Uberraſchung Hang von
feinen Rippen!”
„Die Welt, Cenzerl! — Seffas! J ieh die
Welt!
Und dann verftummte er und ftarrte atemlog °
hinaus in da3 ferne, weite Inbefannte, was ji}
da3 Dirndel neben ihm noch gar nicht vorftellen
fonnte.
"Ein paar Augenblicke refpeftierte Creszenz
die ſprachloſe Verwunderung ihres Spielgenvffen,
dann aber überfam fie eine heiße, begehrliche Un-
geduld.
Sag, was d' ſiehſt, Wendt!“
Der Bub atmete nur ſchwer. „O, ſo viel!“
klang es beinah wie Stöhnen.
„Laß mich's auch ſeh'n!“
„Hm ...“
„Wendl!“ —
„Hm!“
Da kletterte das Dirndel mit zuckendem
Mündchen unter großer Anſtrengung auch auf die
Tonne, ſchob Bruſt und Bäuchlein über den Faß—
boden und zog emſig die Beine nach. Da ſtand
5*
——
ſie auch droben und faßte des Wendl nackte Beine
und zerrte und riß daran.
Der Bub erwachte wie aus tiefem Traum.
„Sei ſtad, Cenzi! Sollſt auch herauf!”
Und er glitt behend zurück und das Mädel
ftellte den Fuß in die Lüde und 309 fich, Hoch.
Aber e3 war um einen Kopf Kleiner wie fein Spiel-
genoß und die Augen ftarrten nur gegen das
Holz und kamen nicht darüber hinaus.
Da erhob e3 ein Wehgejchrei, halb zornig,
halb kläglich, der Wendl aber jchlug ihm zum
erftenmal derb .auf den Mund und fchalt e3 heftig
aus, daß fein Gefchrei die Großmutter aufmwede
und dann alle Freud vorbei fei. Das fah das
Kleine auch ein und glitt leiſe fchluchzend herab,
der Bub aber fchüttelte e3 aufgeregt am Arm und
flüfterte; ,,Sei ftad, ich ſchaff's, daß wir alle beid’
auf eins hinausfchauen können!“
So intelligent hatten de3 Wendl Auglein noch
nie zuvor gebligt, und er hufchte zum Holzitall
und holte de3 Vaters handfeſtes Schnitzmeſſer.
Hei, wie ſchafften die fräftigen kleinen Fäufte!
Ein Span nach dem anderen flog heraus und
— 668
über dem erſten Loch klaffte bald ein anderes, und
nun konnte Cenzerl bequem noch höher ſteigen.
Das tat es mit leiſem Jauchzen, und bald
ſchob es die Stumpfnaſe über das grünmooſige
Lattenholz und ſtarrte mit glotzenden Auglein in
die große, fremde Wunderwelt hinaus. — Wendl
benutzte die untere Lücke, ſich empor zu ziehen,
und ſo hingen ſie beide an der Wand und zitterten
vor Staunen und Entzücken an allen Gliedern.
Sie, die zeitleben3 nur das enge Winkelchen
des Hofes und den Heinen Garten kannten, welche
fo hoch von Fels, Haus und Lattenzaun über»
ragt wurden, daß Taum ein GStüdchen blauer
Himmel hinein lachte, fie ſahen plößlich eine weite,
endlosgeftredte Talebene vor ſich, fo weit und
“fern, daß fie das Ende faum abfehen konnten.
Der Berg, auf welchem ihr Häuschen ftand,
fiel Hier fchroff zum Tale ab, die mächtigen
ſchwarzen Tannen ftanden wie zwei Wände zu
beiden Seiten und in ihrer Mitte Yag mie ein
herrliches Bild, das tiefe, bunte Land, jene un»
befannte, geheimnispolle Welt, welcher alt ihr
Sehnen galt!
— 70
Ja, bunt, rätſelhaft bunt war ſie! — Gelbe,
grüne und braune Striche zogen ſich kreuz und
quer über das Land, Felder und Wieſen, deren
Anblick den kleinen Einſiedlern ebenſo neu war
wie derjenige des ſchmucken Dörfchens, welches
wie winzig kleines Spielzeug, halb verſteckt hinter
Gebüſch und blühenden Obſtbäumen, zu ihren
Füßen im Grunde lag.
Weit, weit hinaus ſtreckte ſich dann das Tal
und ganz in der blauen Ferne, kaum dem Auge
noch erkenntlich, ſah man einen Kirchturm ragen,
unzählig viele Häufer darum her und mächtige
Schornfteine, aus welchen Dampfwolken ftiegen.
„Das ift die Stadt! G'rad wie auf dem Bild
fieht fie aus!” erklärte Wendl wichtig: „Und hier
drunten liegt’3 Dorf — und vor ihm das Helle,
was fo blinkt, ift Waſſer, — i dent’ mir, dös
wird dad Meer fein!”
„Slaub’3 jcho’,“ nidte Cenzi und fchauerte
vor Andacht zufammen; „ich feh’3 genau, eg
ſchwimmen meiße Vögel drauf rum!”
„Gäns' oder Enten, wie der Vata einmal
tote von drunten "rauf gebracht!”
— —
„Und da ſeh' ich Mannerleut und Kinderln!!“
„Und Röſſer vor ein’ narriſchen Wagen ...“
„Jeſſas dahint!!“ — Das Cenzerl ſchrie laut
auf vor Entſetzen und wäre beinah abgeſtürzt,
aber der Bub hielt's noch feſt.
„Was denn? Was ſiehſt?“
„O mei, dös Untier! — ſchauſt net die
ſchwarze Schlang, die Feuer ſchnauft?“
Und das Dirndel wies mit zitterndem Finger
in die Ferne, wo ſoeben eine Eiſenbahn um eine
Bergkuliſſe ſauſte, um jenſeits in einem Tunnel
zu verſchwinden. .
Auch der Wendl war käſeweiß im Geficht ge-
tworden und ftarrte der furchtbaren Erſcheinung
mit meit offenen Augen nad. —
„A Loch im Teld Hat dös Ungeheuer, da
wort’3 drin! — Dös is fo a graulig’3 Vieh,
was die Leut verfchlingt. — Alles ift fo in der
Welt, wie's im Buch fteht, der Bata hat recht.
Und fein fehen Tann man alles von hier oben
und hier 'nauf frareln kann der Feuerdrach nit.“
„Wirklich nit?
„Nie nit! Er hat ja feine Bein’!
— 72 —
Das leuchtete dem Dirndel der Lindbäuerin
ein, ſo daß es erleichtert aufatmete und ſogar
fröhlich lachte ob ſeiner guten Sicherheit.
Seit dieſem Tage war es mit der Langeweile
der beiden einſamen Kinder aus. Sie arbeiteten
heimlich und emſig an der Lattenwand, daß die
Löcher bald bequem wie eine Leiter lagen und
das Aufſteigen auch ohne das Regenfaß vortreff⸗
lich vonſtatten ging.
Der geſchickte Wendl nagelte oben auf den
Rand der Latten ein breites Querholz, da konnte
man ſich gut mit den Armen auflegen und ward
nicht ſo leicht müde und ſchrundig von dem langen
Hängen.
Nun ſchauten ſie manche Stunde hinaus in
die fremde Welt und kannten bald alles ganz ge—
nau darin.
Auch Zeit und Stunden, wann der Feuerdrach
ſein Weſen drunten trieb, hatten ſie bald heraus
und lagen mit hochklopfenden Herzen auf der Lauer,
um zu ſehen, wie das Untier mit ſchrillem Schrei,
dampfſchnaubend aus dem Berg heraus oder
hineinſauſte, wie es den ſchwarzen Schlangenleib
ei en
wand und fchüttelte, und wie oft in der Sonne
feine Augen blisten. Dann fah man, daß an feinem
ganzen langen Körper blinfende Augen faßen, und -
zwei hatte e3 vorn am Kopf, die glühten jogar
feuerrot in der Dunkelheit und waren rund zu
ſchauen.
Das Cenzerl tat anfangs immer noch einen
hellen Angſtſchrei, wenn das Scheuſal daher ge—
ziſcht kam, der Wendl aber ſtarrte mit grimmigem
Blick hinab und verwunderte ſich, daß noch nie—
mand das Tier kämpfend angegangen habe, um
es zu töten. Er reckte die kleinen Fäuſte und
zeigte einen gewaltigen Mut, vermaß ſich auch,
er wolle mit des Vaters Art hinab und den Drach
zuſammenſchlagen, worüber dad Cenzerl in Todez-
angft geriet und fich gar nicht tröften Laffen wollte.
Gott fei Dank ward der ungeftüme Bub bald-
anderen Sinns.
Eines Tags faßen fie wieder auf den Latten
und fchauten zu Tal, und plößlich fchrie ber
Wendl —: „Da gud, da gud!! Nun endlich
fommt einer, der fchlagt ihn tot!”
Und richtig, au dem Drachenloch im Fels
— 74 —
trat ein Mann, der ſtellte ſich kühn auf und ſchaute
dem böſen Vieh, welches er nicht in ſeiner Höhle
angetroffen hatte, entgegen.
Und der Lindwurm jchien das bald zu merken;
denn er rafte aus dem Zal heran und fchrie und
pfiff fo furchtbar, daß e3 den Kindern dur Mark
und Bein ging. Der fühne Mann aber blieb
trußig ftehn, hob ein Fähnlein, hinter welchen
ficherlich eine fcharfe Art war — wie der Wendl
meinte — und ſchwenkte e3 dem Ungetier furdht>
103 entgegen!
Das aber ftürzte feuerfpeiend geradeswegs
auf den Angreifer zu, daß die Kinder mit zittern-
dem Angſtruf die Hände vor die Auglein drüdten.
Aber durch, die Finger blinzten fie doch hin—
durch, und jie fahen, wie das Ungeheuer den Mann
mit dem Rachen auffchlang und mit ihm in den
Berg hineinfuhr.
Nicht ein Feblein war mehr von dem Armen
zu jehn, und der Wendl war feit jener Stunde
doch recht Heinlaut geworden und fprach nicht
mehr davon, daß er hinab molle, das jchlimme
Vieh zu erjchlagen.
Hu
„Wendl?“ fragte die Creszenz eines Tages:
„Sit dies nun die ganze Welt, die wir dahier
ichauen ?“
Der Bub nidte ernithaft.
„Ei gewiß! — und id} mein’, groß genug
iſt fie! Da guck doch, wie weit fie reicht!“
„Wo die Stadt Liegt, da iſt das End’?
„Suftement.” Der Wendl madte ein jehr
kluges Geficht und fuhr belehrend fort: „Siehft
den großen, hohen Berg hinter der Stadt? —
Sa? Na, ſchau, das ilt affrat fo einer, wie hier
bei uns, und ift dort an den Himmel genagelt,
wie eine hohe, hohe Wand. — Da Tann fa Menſch
nit weiter, — da ift die Welt zu End’. — Hier
über unfern Fels kannſt auch nit ’nüber, der ift
auch feitklebt an’ Himmel, aber bei uns hier ift
der Anfang. Und alles, wa3 da unten zwifchen
Liegt, das ift die Welt. — A Dörfl, a Stadt,
a Meer und fo viele Bäum' und Menfch’ und
Viehcher. Arg groß iſt's, — und ich mein, wenn
wir dahinab wandern wollten, da fämen wir im
ganzen Leben nit bis an’3 Ende, denn fo weit ift’3,
daß man kaum noch bi3 Hinfchauen Tann! — Aber
— 76
in der Näh' ſehen möcht' ich e3 doch arg gern... °
und wenn ich erft mal fo groß und ftarf bin wie
der Vata ... nahen gang i doch mal Hin!“ .
Und e3 lag eine heiße Sehnfucht in den hellen
Rinderaugen, die konnte felbit des Cenzerls größte
Angft und feine bitterften Tränen nicht daraus
bannen.
„Ich nehm’ dich mit!” tröftete der Bub
ſchließlich, „dann fallen wir una beide an die Hand
und wandern bi3 ans Ende der Welt!“
„A Freud’ haft nit davon!” verficherte da3
Eenzerl; „denn der Feuerdrach' freßt ung, eh’
daß mir hinkommen!“
Aber troß diefer troftlofen Überzeugung war
da3 Dirndel feſt entfchloffen, mit dem Wendl zu
geh’n; denn ohne ihn konnte e3 nimmer fein,
und auch der Bub gab e3 in einem ſchwachen
Augenblid zu, daß das Cenzerl doch die Haupt-
fache in der Welt fei, und daß es nırgend3 gut
märe, wo e3 nicht fei!
Das war ein guter Troft.
Il
Und die Zeit 309 langſam, langfam weiter.
Monat reihte jih an Monat und Jahr an Zah,
und die Kinder wurden groß, blühend und ftarf,
— Leib und Glieder wuchfen üppig heran, aber
die Seele blieb in den Kinderſchuhen fteden, und
wenn Wendl und Cenzerl mit der Beit auch durch
einen Bufall erfuhren, daß der Feuerdrach' eine
gute, harmlofe Eifenbahn, und das vermeintliche
Meer nur ber Heine Ententümpel hinter dem Dorf
ſei, — jo fchauten fie dennoch unverändert mie
ehemals als Heine Haſcherln über den Latten«-
zaun in die Welt, welche ihrer Anjicht nach immer
noch hinter jenem fernen Berg zu Ende fei.
Die Großmutter war ſehr abjtändig geworden
und Cenzerl bejorgte fchon längſt Haus und Hof
und fchaffte fleißig und umfichtig wie ein Altes.
Der Bedhaber hatte eines Tages den Herrn
un
Kaplan in das Häuschen geführt, der hatte die
großen Kinder freundlich angefchaut und ihnen
gar eindringlich von ihrem Geelenheil gefprochen.
So oft ihn fein Weg zum Paß führte, fam er
nun heran und bereitete die Kinder vor, daß fie
gefirmt werden follten.
Dazu follte der Aloy3 fie hinab ins Dorf
bringen, und bei dem Gedanken kam dem Wendt
und dem Genzerl ein ungeheures Zittern und
Bagen an.
Hinab in die Welt! welch ein Gedanke!
Uber e3 fam anders. — Der Vater nahm
feinen ftämmigen Bub nun oft mit in den Wald,
daß er ihm jeinen Dienst beizeiten ablerne; denn
e3 war de3 Aloys jehnlichiter Wunſch, den Cohn
dereinit al3 feinen Nachfolger im Amt zu fehn.
Da hatte der Wendl denn auch beim Holz»
ichlagen geholfen, und die ſchwere Art war aus—
gefahren und hatte ihn derb in den Fuß getroffen.
Da lag er nun im einfamen Waldhäuschen
und der Vater pflegte und verband ihn. Aber
fo ganz richtig hatte er es wohl nicht gemacht,
denn der junge Burſch fonnte wochenlang nicht
— 79
gehn und ſtehn, und es war wohl nur ſeine ſo
urkräftige Natur, welche ſich durchrang und über
das Verderben ſiegte. Der Kaplan aber, welcher
juſt vorbei fuhr, mochte wohl auch denken: „Der
wird nimmer wieder!“ und er ſegnete die beiden
Geſpielen droben in ihrem einſamen Häuschen
ein, damit der Wendl doch wenigſtens als Chriſt
ſterben möchte.
Der Bub jedoch ſtarb nicht, wohl aber die
Großmutter, welche man eines Tages ſanft ein—
geſchlafen auf der Ofenbank fand. Da kamen zum
erſtenmal Leute aus dem Dorf herauf, welche einen
Wagen brachten und die alte Frau herabholten.
Der Sarg hatte ſchon lange auf dem Boden
parat geſtanden; denn die Alte hatte gemeint:
„Wann i im Winter ſterb' — wo ſchaffſt mir
dann mei' letzt's Kaſterl herzu?“
Das war alles wunderlich hier droben im
Hochwald, — ſo ganz anders in allen Dingen
wie in der Welt drunten, und keiner fragte groß
danach und jeder drückte ein Auge zu und meinte:
„O mei! da droben muß alles gehn, wie's geht!
Da iſt noch eine gar g’mütliche Zeit!“
— 80 —
Nun ging alles im alten Geleiſe weiter, nur,
daß die Creszenz die blonden Zöpfe um den Kopf
wand und an Stelle der alten Frau ſehr fleißig,
geſchickt und ſittig im Hauſe waltete, ſo wie ſie
es bei der Großmutter ſchon ſeit Jahren gelernt.
Der Wendl ward auch wieder friſch und kräf—
tig, nur ſein linker Fuß blieb ein wenig mißge—
ſtaltet und gebrauchte einen größeren Bergſchuh
wie der rechte.
Als der Erzherzog das letztemal zu den
Herbſtjagden im Schloß anweſend war, hatte der
Aloys Bedhaber eine Audienz bei dem hohen
Herrn nachgeſucht und fein demütig und herzlich)
die Bitte vorgebracht, daß der Wendl als Wild-
Hüter von ihm dürfte angelernt und in ein paar
Sahrdeln fein Nachfolger werden — was der Erz»
Herzog in freundliche Erwägung ziehen wollte.
Von da an fam eine große, friedliche Ruhe
über den Beckhaber, und er faß oft in ftillem
Sinnen auf der Bank vor dem Waldhaus und
dachte: „Nun kann ich meine Tage hier beſchließen,
wo mein Kathi heim'gangen iſt, — und der Bub
wird dahier oben bleiben und das Cenzerl freien,
= Bl
und wir all’ brauchen nimmer hinab von unfern
lieben Berg!” :
Dann mußte er mit dem Wendl zum Amt»
meifter und den Bub voritellen. Das war ein
. großed Ereignis und das Cenzerl jchluchzte vor
Angſt und Sorge in die Schürze.
Wendl aber rudte mit bligenden Augen das
Grünhütel auf? Ohr und ftieg mit dem Vater
zu Tal, und als er heimfehrte, war er aufgeregt
wie im Fieber und Tonnte nicht genug bon der
Welt erzählen, wie arg jchön e3 drunten im Schloß
und Dorf geweien, und daß er wohl allzeit dort
feben möchte, —: „mur die Genzi müßte dabei
jein; denn fo allein jei’3 fei Freud’! Der Wendl
jagte da3 fo leicht und harmlos, wie er feit Kin—
desbeinen an auf mit der Creszenz geiprochen
Hatte, er legte dabei auch die Hand auf ihre Schulter
and fuhr mit lebhaften Augen lachend fort:
„Weißt, wa3 fie im Schloß gejagt haben? Zum
Militär ftellen müßt’ i mich, und zwar in der
Stadt, fo ſei's Vorſchrift! — Sn der Stadt,
hörſt', Cenzerl, dort am End’ der Welt, wohin
mid allzeit ein fo arges Verlangen hin’zogen
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 6
rd.
Hat! — Seffas, wie mich das gefreut! Grad’
hinaus juchzen möcht’ i! Aber du fahrft mit mir,
Genzerl, das Hab’ i mir in’ Kopf gejebt; denn
wenn man fo eine graufig meite Reiſe macht,
weiß mer nit, ob mer jemals z'rückkommt!“
Der Sprecher Hatte e3 nicht bemerkt, wie
dem Dirndel da3 Blut fo Heiß in das abgewandte
Geficht gefchoffen war, wie es jetzt plößlich wieder
fo leichenblaß ward und ihn mit großen, tränen=
feuchten Augen anitarrte.
„O mei! — daran därfit nit denfen, Wendt!
Wer foll dem Vata aufwarten, warın i fortging ?
— Reißt, wie allein er iſt!“
Wendl febte fich auf die Ede des ſchweren
Holztifches und ſchlug Fröhlich das Bein über.
Er lachte, daß die fernfeften, weißen Zähne
blitzten. „Darauf hab’ ich Yängft denkt, und da—
mit hat’3 fei Not! Nehmen tun’s mid) nit beim
Militär von wegen mein’ Fuß, und der Amt»
meifter fagte, wann i mit der Poſt führ’, könnt’
i am nämliden Tag noch bi3 zum Dorf z’rüd,
und wenn i zu Fuß hier heraufitieg, nachen wär
i am nämlichen Abend wieder daheim! — Da ift
Zr
der Vata nit gar viel verlaffen und wir Haben
ein’ großen Sur und ſchau'n die ganze Welt!“
„Sie nehmen’3 dich nit?” wiederholte Cres—
zenz und hantierte mit bebenden Fingern an ihrem
Spinnrad. „O mei! wie möcht’ i die Heiligen
fein bitten, daß 's wahr wird! — Aber ein’ grau-
fige Angft hab’ i aufm Herzen, Wendl, daß e3
dir viel gut in der Stadt gefallt, und daß bu
nimmer wieder 'nauf magft, auf unsern ftilfen
Bald!”
Der Burſch Tachte.
„Da könnteſt ſchon 's Rechte treffen, Cenzerl!
Nit viel Kurzweil is dahier droben, dös hab' i
ſchon jetzt im Dorf 'merkt! Aber weißt, wenn
es uns gar zu arg gut drunten gefallt, nachen
bleiben wir in der Stadt! J ſuch' a Arbeit, wir
hol'n den Vata nach und find all’ z'ſamm' kreuz⸗
fidel in der ſchönen, bunten Welt!“ Und dabei
pfiff er ſich eins, griff nach dem Grabſcheit und
wandte ſich dem Garten zu, wo er die Zwetſchgen⸗
bäumchen, welche der Aloys mitgebracht, ein—⸗
pflanzen wollte
Das Dirndel aber blieb gedankenvoll an
6*
— 84 =
ſeinem Spinnrad zurück und ſchaffte mit zitternden
Händen.
An die Stunde dachte es zurück, wo es hier
mit der Großmutter — fünf Tage zuvor, ehe
ſie ſtarb — auch geſeſſen und geſponnen hatte.
Da war es plötzlich über die ſonſt ſo ſtille
alte Frau wie eine beredte Unruhe gekommen.
„Weißt auch, Cenzerl, daß du gar nit dem Wendl
ſei' Schweſter und dem Bedhaber fei’ Kind nit
bit? — Sa, ja! allweil geglaubt haſt's! und
der Wendel weiß e3 zur Stund' auch nit beffer.
Aber nit wahr is’! — Gud, das fan fol” —
- Und nun begann die Großmutter zu erzählen,
vom Lindhof, dem Lenerl, feiner Ankunft hier
droben und feinem Todezfturz mit der Poſt! —
Und die Creszenz faß wie in fprachlofem Entfeben
und konnte fo viel Überrafchendes gar nicht faſſen.
„Run feid ihre beiden Hafcherl mitfammen
groß geworden, und ich fieh’3 alle Tag, daß ihr
nit voneinander laſſen könnt. — Gut iS, arg
gut. — No ein paar Jahrdeln, nahen wirſt
dem Wendl fein Weib und der Aloy3 behalt fein
warmes Neft.“
= 83 —
Minutenlang blieb es ſtill, dann nahm die
Sprecherin die bebende Hand des Mädchens zwi—
ſchen ihre runzligen, welken Finger, ſtreichelte ſie
und gab dem Dirndel viel guten Rat und ernſte
Mahnung für die Zukunft, und während des Spre—
chens ſchon ward ſie müde, und die Worte fielen
ihr ſchwer, fie lallte noch einmal: „Cenzerl, ver-
laß den Wendl nit! Sei ihm ein braves und
treues Weib ... ſchau, er Hat dich viel lieb, der
Bub!” ... und ſchlief ein.
Andern Tags wußte ſie wohl kaum noch,
was ſie dem Mädchen alles geſagt in dem lichten
Augenblick, die Creszenz aber ſchritt anders daher,
wie ſonſt, ſchaute ganz verwandelt drein und
lächelte wie in einem ſüßen, unfaßlichen Traum.
Wenn ſie den Wendl anſah, ſtieg es heiß
und rot in ihre Wangen, und derweil er ſo
unbefangen zärtlich zu ihr war, wie ſonſt, zitterte
ihr das junge Herz in der Bruſt, und ſie ſenkte
die dunkeln Wimpern und dachte mit, ſtockendem
Atem nur immer das eine: „Cenzerl, verlaß den
Wendl nit! ſei ihm ein braves und treues Weib!’
„Sa, Cenzerl! tu dem Wendl fein’ Willen
ER
und begleit’ ihn in die Stadt!” nidte Vater Aloys
und fchob feine kurze Sagdpfeife von einem Mund-
mwinfel in den andern; „es iſt allweil gut jo,
und der Bub i3 nit verlaffen und fimmt nit auf
dumme Gedanken! Schau, Cenzerl, da treiben’3
viel Hallodria, die Nefruten, und wann du nit
da bift und heimtreibft, halten fie den Wendl
drunt' feſt!“
„Ja, ja, ich verlaß ihn nit!“ nickte das Dirn⸗
del treuherzig; „ich gang mit ihm, bis ans End'
der Welt!“
„No, no! ſo ſchlimm kommt's grad' nit!“
lachte der Beckhaber und ahnte es nicht, wie ernſt
es dem Cenzerl mit dem Ende der Welt war.
Bis ins Dorf hinab begleitete der Wildhüter
ſeine beiden Kinder, und als ſie am Morgen mit
hochklopfendem Herzen vor dem Waldhäuschen
ſtanden und auf die Poſt warteten, da konnte es
ſelbſt der kecke Wendl nicht leugnen, daß er vor
Aufregung bis in die Lippen blaß war. Das
Cenzerl hatte die Hände gefaltet und betete in
ſeiner Angſt halblaut daher, — und als es in
der Kutſche neben dem Wendl ſaß, und die Pferde
— —
anzogen, da wurde ſein friſches Geſichtchen kreide—
weiß und es klammerte ſich an den kraftvollen
Burſch und flüſterte: „Schau! ehmals haben wir
den Wurzli reſpektiert, weil er im Schuhwagen
daher fuhr... und nun ſitzen wir ſelber im
Poſtkaſtel und kutſchieren mit leibhaftigen Röffern
daher !”
Dem Wendl war die Sadhe anfänglich auch
etwas ängftlih und ungewohnt, aber er nahm
allen Mut zufammen, lachte, pfiff und tröftete das
Dirndel in feinem Kleinmut.
Der Wildhüter faß ſtumm und nachdenklich
und rauchte feine Pfeife, plöblich legte fich des
Cenzerls Hand auf feinen Arm und eine halb
erftidte Stimme flüfterte: „VBata... gel, mei
Mutter! hat fich in felber Poſt hier zu Tod ge-
ſtürzt?“
Der Beckhaber fuhr empor, als habe ihn ein
Fauſtſchlag getroffen.
„Creszenz!“ ſchrie er, „von wen. haft fo a
.Kund?!“
Erſchrocken ſenkte das Dirndel den blonden
Kopf. „Die Großmutter ...!“ ſtammelte es.
— 88
„Die Mutter? — hat ſie's doch vor der
Zeit ausgeplauſcht?“ rief der Aloys heftig. „Dös
is nit mei’ Willen geweſt! — Nirx wiſſen ſolltet
ihr dös ... dös . . .“ und der Sprecher ver—
ſtummte ingrimmig und murmelte in den Bart:
„Roc zwei Jahr hätt's Zeit gehabt! ... dös!“
Wendl hatte hoch aufgehorcht.
Er ruckte näher und blickte dem Vater ſtarr
ins Geſicht.
„Was ſollt' ich nit wiſſen? Vata ... ſag's
. was is damit, daß ſich unſer Mutterl tot-
geftürzt hat!” —
„Dei Mutterl hat fick nie nit an’ Schaden
getan!“ rief Aloys heftig, „die i3 fein fromm
und felig im Bett geſtorben . .. aber dem arm?
Cenzi ſein's ...“
„Dem Cenzerl ſein's? Ei haben wir denn
nit ein und dasſelbe Mutterl g'habt?“ — ERBE
der junge Burfch beinah erfchroden.
„Naa!“ fchrie ihn der Wildhüter kurz und
barſch an.
„Da... mei!“ ... was Heißt 685? daft
etwa — gefreit, Katar —
— BO:
Aloys fchlug heftig mit der Fauft aufs nie.
„So 'ne Untreu’ hab’ ich mein Kathi nit ange-
tan! Aber a Narretei i3 ’gemweit, daß die Groß-
mutter geſchwatzt hat!’ —
Mit ftarrem Blick ſchaute Wendl auf das
angſtvoll bebende Mädchen an feiner Seite.
„Da i3 etwan da3 Cenzerl gar nit dein
Kind ?”
„Vom Geblüt nit ... aber angenommen
hab’ ih’3 ... und bleibt’3 auch ... Krutzi Tür-
fen! dös d' Großmutter geſchwatzt hat!” —
Dem Wendl ftocdte der Atem. Sein fonnge-
bräuntes Gejicht, welches erſt jo farblos geworden,
flammte rot auf. — „Da wär aljo die Creszenz
gar nit mei’ Schweſter ... oder Halbſchweſter ?”
„Doch is fies!” ſchrie der Beckhaber grob,
„mit der Geburt nad, aber um aller Heiligen
twillen! Und gar nir is anders dadurch! ... fo
wie e3 feit allen Sahren gemeit is, jo bleibt’3
auch in Zukunft!”
„Dös is g’wiß!” nidte Wendl und riß jäh-
ling3 den Fragen feiner Joppe auf, als fei er
ihm plößlich zu eng geworden; „aber weißt, Vata,
— —
fo a halbe Wiſſenſchaft taugt nix ... und guck,
fein Zeit haben wir allweil, da könnt'ſt uns gut
erzählen, wie das alles z'ſammen hängt. Alt
genug zum verſtehn, ſind wir, mein' i, und wenn
die Großmutter dem Cenzerl doch ſchon ausge—
plaudert hat, da nutzt a Verduckeln doch nix mehr!“
Der Wildhüter paffte ärgerlich die dicken
Dampfwolken aus der Pfeife, weil aber des Dirn—
dels Hand ihn gar ſo angſtvoll ſtreichelte, über»
wand er die Mißſtimmung und klopfte ſeinem
Pflegetöchterlein ſchier zärtlich die Wange.
„Ra, mein’ nit, Cenzi! haft ja Vata und
Mutterl doch nimmer fennt, und bilt allzeit gern
bei uns g’weit! — Und ich mein’, du bilt ganz
und gar mein leibliche3g Dirndel "worden! —
Wenn die Großmutter dir jchon erzählt hat, wie
d’ zu und fommen bilt, nahen kann's ja der
Wendl auch willen!”
Und der Bedhaber erzählte das Vergangene,
aber mit viel Schonung für die leichtfertige Lind»
bäuerin und de3 Diebſtahls an der Toten tat er
vollends nicht Erwähnung.
Der, junge Burſch Hatte atemlo3 gelaujcht.
— —
Er ſaß mit tiefgeneigtem Kopf und ſtrich nur von
Zeit zu Zeit über die Stirn, wie einer, dem es
heiß wird. —
Das Cenzerl ſah er nicht viel an und als
der Wildhüter geendet, ſagte er nur voll ver—
legener Heiterkeit: „Dös is mal g'ſpaſſig, und
nix vermutet hat mer ſich! Aber ich mein', keine
eingeborenen Geſchwiſterln haben ſich beſſer ver—
tragen kunnt wie das Lindenbauerdirndel und ich!
Gel’ Cenzerl, fein ſchön auskommen find wir mit—
einand?“ —
Da nickte ihm die Creszenz dankbar zu, und
weil der Wildhüter ein Frühbrot verlangte, packte
ſie geſchäftig ihr Körbchen aus und bot ihm das
Schwarzbrot mit Käſe dar.
„Magſt' auch ein, Wendl?“
„Naa, — noch hungert's mich nit!“
Und dann ſaßen fie ſchweigſam ... und die
Poſt Holperte ſchwerfällig zu Tal
Wendl drehte feinen Grünhut zwifchen den
Händen und ftarrte in den Hochwald, welcher die
Fahrſtraße fäumte, hinaus. j
Es war ihm fo mwunderli im Kopf.
.
Warum hatte er es fich eigentlich fo ſehr ge—
wünſcht, in die Welt hinaus zu fommen? Ganz
unklar war e3 ihm plöglid. Eine Unruh mar
über ihn gekommen, feit im lebten Herbit ein
junger Forftläufer beim Holafällen mit ihm ge-
ſcherzt hatte.
„Ra, Wendl, allweil allein Kauft du droben
am Pak?“
„Nit allein! Der Bata und mei’ Schwefter
find -ja daheim!”
„a Schweſter!“ Der andere hatte hell auf-
gelacht, „a Schweiter ift doch fein! Schatz, Wendl,
und fo ein ſakriſch feicher Bub wie du muß doch
fei Dirndel küſſen!“
Die Worte waren ihm wie Funken in das
Herz gefallen und brannten e3 mund.
Sa, ein Dirndel küſſen!
Welch ein narrifcher Gedanke.
Nur das Cenzerl mochte er leiden und hatte
e3 lieb... gum Sterben lieb... aber e3 war
feine Schweſter, und fo viel hatte er ſelbſt in feiner
Einſamkeit erfahren, daß man eine Schweſter
nicht freien fan. Auch das hatte ihm der Fort»
EB
läufer Har gemadt. Da mar die Unruhe, die
quälende, unverftandene Sehnſucht über ihn ge—
kommen.
„Geh' nur hinab unter die Leut'! da find'ſt
bald ein blitzſauberes Dirndel dös d' noch taufend-
mal lieber haſt, wie dei Schweſter!“ hatte der
Forſtläufer ihm lachend verſichert.
Nun zog's ihn voll krankhafter Ungeduld
hinab, und als er mit dem Vater ins Dorf und
Schloß kam, da brachte ihn das Heimweh nach
dem Cenzerl ſchier um! —
So ging's nit an! — Mit ihm gehn muß
das Dirndel, dann hat er Ruhe und dann findet
er wohl eher einen Schatz, — das Cenzerl hilft
ihm ſuchen, und was ihr gefällt, das kann er wohl
auch lieb haben. —
So narriſch war alles in ſeinem Kopf, gar ſo
narriſch, — er fand ſich ſelber nicht aus damit! —
Und nun? —
Jeſſas im Himmel, das Dirndel ift ja nie
im Leben fei’ Schwefterl weſt!! —
Das iſt fo plöglich gefommen, wie ein Schlag
vorn Kopf.
— 94a —
Zuerſt hat's ihn döfig gemacht, aber num
fommt’3 über ihn wie eine ganz tolle, übermütige
Heiterkeit, und er fängt aus dem Gtegreif an
zu lachen und Hat plötzlich Hunger und mirft’3
Hütl in die Luft und jest’3 jähling3 dem Philarl’,
welches mitgefahren ift, auf die fpigen Ohren.
" „Bub! was find 853 für Faren!“ acht der
Beckhaber und beobachtet unter den bufchigen Wim-
pern hervor den ſchmucken Burfch, welchem alle
Gedanken fo gar deutlich in dem frifchen Gejicht
zu leſen ftehn, „da gud, Cenzerl! da fangt der
Hallodria ſchon an!“
Sm Dorf fteigt der Wildhüter aus, nachdem
er die beiden jungen Leute noch mit viel guten
Ermahnungen und Weifungen für die fremde
Stadt ausgerüftet Hat, — zu feiner Beruhigung
fteigt der Gendarm ftatt feiner in die Poft und
verfpriht dem Aloys, daß er für die beiden
jungen Leute forgen und dem Wendl fogleich den
rechten Weg weiſen mill.
Diemeil die Magd des Dorfwirtshaufes dem
Poſtillon noch einen ſchäumenden Bierfrug empor»
reicht, ftehen Wendl und Cenzerl neben der uns
— —
gefügen großen Kutſche, um einmal friſche Luft
zu ſchöpfen.
Mit lebhaften, ſchier hungrigen Blicken ſchaut
der junge Burſch um ſich und wieder prickelt ihm
alle Jugend» und Lebensluſt durch die Glieder.
„Da gud, Cenzi, gefallt’3 dir nit auch arg
gut dahier in der Welt? Gel iS das Dorf bier,
das Schaut in der Nähe doch noch viel Luftiger
drein, wie droben von der Lattenwand!“ —
Er flüftert e3 leife und aufgeregt und neigt
fich noch näher zu dem Dirndel. „Al die vielen,
ſchmucken Häufeln beifammen! und fo viel Leut’!
und allmeil Gelächter und Kurzweil! Wie i mit
dem Bata im Schloß war — meißt, am Sonn=
tag! — da haben’3 hier in dem Wirtshaus grad
a kreuzfidele Muſik macht, und getanzt haben's
und getrunken, o mei’! wann d' dös gefchaut
hätteft, Cenzi! — Und wie mag da3 nun erft
in der Stadt fein! J mein’ doch, warn e3 ung
fo arg viel gefallt, bleib’n wir all beifammen
dahier unten!”
Der Lindbäuerin Tochter ſchaute fich nur mit
großen, angftvoll ftarren Augen um, als fei all
— 8—
das Fremde um ſie her ein ſchlimmer Traum,
welcher ſie fürerſt mehr ängſtigt wie erfreut, —
ſie hatte auch keine Zeit mehr zu einer Antwort,
denn der Schwager ſtrich mit dem braunen Hand—
rücken die letzten Schaumflocken von dem grauen
Schnauzbart und wandte den Kopf.
„Steigt's ein, ihr Leut, — i fahr'!“
Dazu knallte er mit der Peitſche und der Beck—
haber ſchob mit den letzten guten Ermahnun—
gen feine beiden Weltreiſenden in die Kutſche
hinein.
Fort ging's, und die Cenzi rüdte noch angft-
voller neben den Sugendgejpielen, während der
Gendarm fein Pfeifchen anſteckte und freundlich
zu ſchwatzen anhub. Der Wendl überwand fehnell
da3 letzte Gefühl von Unbehagen, welches die Auf-
regung über all das Neue auch ihm fchuf, und
ftand dem Hüter des Geſetzes Ned’ und Antwort,
erzählte von droben, dem Hochwald, daß im letzten
harten Winter gar mieder zwei Bären an den
Zaugenspiten von den Förſtern eingefpürt feien
und was e3 ſonſt an Bejonderem da gab. Dann
aber forſchte er fleißig nach der Stadt und all
a. 2
ihren fremden Wundern, und der Gendarm
ſchmunzelte und erzählte mit gewichtiger Miene.
„Ra, Augen wirft machen, Wendl, über all
die Feinheit! So a Getreib und Gefpreiz fennt
ma dahier auf'm Land fhon gar nit! Und Wei-
berleut kannſt jehn, dös d' glei’ meinft, du ſchauſt
alle Engerln im Himmel beiſammen! Aber fein
Obacht mußt geben, dös d’ net an jo am’ fadrifchen
Enger! hangen bleibſt!!“ — Der Sprecher lachte
dröhnend auf und zwinkerte der Cenzi verichmibt
zu. „Und vollends du, Dirndel, ſei arg auf der
Hut! So ein bildfaubere® Blut wie du haben f’
nit oft in der Stadt und die Manner fennen ich
aus auf was Neues! Da mwird’3 nit lang dauern
und du haft an jedem Fingerl a Scha bangen!“
„Ro, no!” fuhr der Wendl auf und fchaute
ganz wild auf das heißerglühende Mädchen, „daran
ift dem Cenzerl fein gar nir gelegen und i mein,
wann i an feiner Geit’ fteh’, nachen halt fich
jeder andere fern!“
Der Gendarm machte eine Bewegung mit der
Hand und paffte ein paar dide Rauchwolfen. „A
Bruder hat da gar nir zu fchaffen bei!“ lachte
N. dv. Eſchſteuth, Am Ende ber Welt. 7
— 98 —
er vergnügt. „Glaubit, jo a Saframenter, der
um a Dirndel lauft, fragt viel danach, ob’3 a
zweiter erlaubt? O mei’! was raufen’3 allweil
um jo a Madl!“
„Raufen tun's?“ rief da3 Cenzerl entſetzt,
„Jeſſas, nur dös nit!”
Der Wendl aber reckte ſich hoch auf und alles
Blut Schoß ihm ins Geficht.
„Und...und... mann i fagen tät, bie
Creszenz ſei allmeil mei Schag
Wieder lachte der Gendarm und machte einen
Ruck mit den Schultern, al3 wollte er fagen: bilt
du a Damifcher!
„Du kennſt fo a Stadt und die Leut' noch nit,
Wendl! Ob's du ſagſt ‚mei Schab‘ oder nit, daran
halt fich kein's. — Grad des is der Jux bei den
Buam, dös einer dem anderen fein Schatz ab-
fpenftig macht! Da raufen’3 und ſchlagen's fich
z'ſamm' und wer den Gieg hat, der hat auch's
Madel, denn meiht, leichtfertig und eingebild't
werden die Frauensleut fein jehr in der Stadt
und fpielen fih auf damit, wer'n fchneidigiten
Liebften Hat! Na, ich mein, Wendl, du, mit deine
=’
Fäuſt ſchaffſt ſchon was, und warn dir's Dirndel
nit felber'n Laufpaß gibt um ein’n, der firer oder
reicher is, nachen halt’ft du allweil den Sieg!“
Der junge Burſch ftarıte den - Sprecher an
und murmelte durch die Zähne: „So'ne Madeln
gibt's a?”
„Wendl, du kennſt die Welt noch nit!“ nidte
der Gendarm fehr behäbig und würdevoll. „Schau,
in mein’ Amt lern’ i gar mancherfei Leut kennen.
O mei’, wieviel Loderer und Flanken hab i fchon
hinter Schloß un Riegel bradt, und wieviel -
ichlehte Weibsperfonen hab’ i aufn Tanzboden
z'ſehn kriegt! Da lernt's eine von der andern
und dös i8 3 Malheur! — Und was i euch jagen
wollt: Habt Obacht auf eure Tafcheln, dös euch
fei LZangfinger die Münz ftiehlt. Trauen därf
ma in der Stadt feinem einzigen, und wann’r
noch fo a kreuzbrav's Geficht macht. J ſag' dir's,
Wendl, du kennſt die Welt noch nit! — Da droben
in dein' Hochwald, da biſt Herr und König, da
wagt ſich kei Marder an dein’ Taubenſchlag und
fimmt Ta Dieb, der dir dein’ Schaf ftiehlt, aber
da hier unten...'o mer’, — fo a Falichheit
7*
— 100 —
und Hinterliſt laßt's dir gar nit träumen!“ Und
der Sprecher ſpuckte verächtlich aus, nahm eine
Priſe und nieſte herzhaft drauflos, und derweil
er ſich ſchnäuzte, ſah man nicht, wie er verſchmitzt
in den Bart lachte.
Hätte es nur der Beckhaber hören können,
wie er daher redete!
Na, der hätte ſeine helle Freude dran gehabt.
Ganz ſtill und ſchweigſam ſaß der Wendl
plötzlich und ſtarrte nieder auf ſeine Nägelſchuh
und zerrte an dem dunkeln Bartflaum der Ober-
lippe.
Oft glimmte es in feinem Blick auf wie Un»
glauben und Mißtrauen, aber die Hochachtung
vor dem Manne des Geſetzes kämpfte gegen die
Bmeifel, welche in ihm laut wurden.
Endlich räufperte er fi und fah mit fchnel-
lem Geitenblid nach dem armen Tenzerl, welches
ganz blaß und mit bebenden Lippen immer angit-
voller in feine Wagenede kroch.
„Weißt, Gendarm,” fagte er mit rauher
Stimme, „du haft mit deinen Worten dem Dirn-
del allen Mut g’nommen. Nun tät i di fein bit-
— 101 —
ten, hüt' das Cenzerl, bis i mei’ Sach auf dem
Amt ab'macht hab’. — Der Vata meint, jo lang
dauert’3 nit, weil der Offizier auf'n eriten Blick
an mein’ Fuß fieht, daß i freifommen muß. —
Derweil bleibſt beim Cenzerl, gel? damit’3 Ta
Schaden nimmt in der fremden Stadt!” —
„Der Bata hat gemeint, ich joll im Wirtshaus
ſtill fiben bleiben und warten, bi3 daß du z’rud
kommſt, Wendt!“ — flüfterte das Lindbauermädel
saghaft zu ihm auf, der junge Burſch aber fchüt-
telte mit finfterm Blid den Kopf, daß fein Grün-
hütel tief in die Stirn fiel und antwortete barfch:
„Nix damit! 3 will nit, daß d’ allein und ver-
lafjen ſitzt! — Vorm Gendarm feinem Wams
und Käppi haben’3 a Reſpekt und laſſen dich aus,
die Loderer!“
„Sei nur ftad, Wendl! J bleib dabei! Recht
Haft, fo ein blißfauberes Madel wie dei Schweſterl
laßt ma nit unbehüt’, das Cenzerl iS fo viel
unſchuldig und kennt fi nimmer aus auf die
feinen Stadtherrn. Bei mir aber i3 's ſicher. —
Nach'n fig’ i beim PDirndel und mir trinfen a
Maß, und warn du frei bift, fchlandern wir durch
— 12 —
die Stadt, dann feht'r, wie’3 da ausſchaut. Nach'n
aß'n ma a Geſelchtes oder gute Weißwurſteln im
Wirtshaus und fchauen zu, was dös für’n Getreib
is, denn weißt, heut’, mo all die Rekruten ein-
Iommen, da is rein der Teufi los! Um ſechs
Uhr fahrt die Poft z'ruck, da könnt ihr heim und
dem Bedhaber alles vermelden, — o mei’! Zu
erzählen mwerd’3 ſchon genug haben!“
Der Wendl atmete tief quf und reichte dem
Sprecher zum ftummen Dank die Hand, die Cres⸗
zenz aber fchlug mit zitterndem Angitichrei die
Hände vor das Geſicht.
„Der Teuerdrah! — Jeſſas Maria! — er
kimmt!“ — Die Poft hielt am Bahnwärterhaus
vor der gejchloffenen Barriere, der Zug ſauſte
mit ſchrillem Pfiff heran und raffelte wie ein
Spuf fo traumhaft geſchwind vorüber.
Der Wendl zudte wohl zufammen, aber er
ſaß hoch aufgerichtet und ſtarrte voll brennender
Neugierde jenes Ungeheuex an, welches er lange
Jahre hoch, hoch vom Gebirge herab voll Furcht
und Grauſen angeſtarrt hatte.
Wunderlich genug war es auch in der Nähe
— 18 —
und der Atem konnte einem wohl ftoden bei feinen
Anblid, aber es war ſchnell vorbeigeraft, dide,
weiße Dampfwolken hüllten momentan die Poſt
ein, dann öffnete der Wärter den Schlagbaum
und die Pferde zogen gelaſſen an.
Wendl atmete hoch auf, und weil der Gendarm
über da3 entjeste Dirndel lachte, fo lachte auch
der junge Burfch, aber weil da3 Cenzerl gar fo
elendig Ichluchzte, freute er fich der Gelegenheit,
e3 bei der Hand nehmen zu können, und aus
lauter Vergeßlichkeit hielt er feine bebenden Fin—
gerchen feit, — immer zu, bi3 fie in die Stadt
famen.
Daß fie fich diefer näherten, merkten fie bald
an dem lebhaften Getreibe, welches ſich plötzlich
auf der Straße entmwidelte.
Mehr und mehr Wagen fuhren daher. Auf
vielen faßen Landleute und junge Burfchen mit
Bändern und Sträußchen an den Hüten, — viele
wanderten auch zu Fuß vorbei, den Stod mit
dem gefnüpften bunten Sacktüchel auf der Schul⸗
ter. Wenn die Poſt ſie überholte, taten ſie zum
Gruß einen hellen Juchzer und ſchwenkten die
— 14 —
Grünhütel, und Reiter trabten vorbei und klopften
übermütig mit Hand oder Stod an die Feniter-
fcheiben der Poft.
Ein paar Löslbuam waren fonderlich dreift
und fohritten neben der Kutfche Her, dieweil diefe
langjam den Berg Hinauffuhr. Sie ſchauten auf
da3 Cenzerl, nicten ihm zu und fingen voll Über-
mut an zu fingen.
Dem Wendl ſchoß wieder dad Blut in die
Stirn und er padte den Alpſtock fefter mit der
Rechten, der Gendarm aber Iegte ihm die Hand
auf das nadte Knie und fagte ftreng: „Ka' Faren,
Wendl! Die jungen Leut’ find nit uneben und
fingen eins, — dös Tann fa Menſch ihnen ver-
wehren. Halt dich fein ftad, dös d' fa Rauferei
anfängft, fonft ſtecken fie dich ins Loch und das
Cenzerl iS mutterfeel verlaffen unter den Man-
nern!” —
Das Half.
Der junge Bedhaber biß die Bähne zufammen
und fchaute fortan fehr gleichmütig drein, dag
Dirndel aber klammerte fih noch ängftlicher an
ihn und flüfterte: „Hätt’ft mich nur daheim ge-
— 15 —
Iaffen, Wendl! Dahier hab ich doch fa Freud
nit!“
„Di kimmt ſcho'!“ flüfterte er entgegen, „is
dös nit a Spaß, daß mir felband bi ans Ende
der Welt fommen find? Guck, gleich i3 fo meit,
— i fieh ſchon den Berg himmelhoch vor uns
tagen und’ die Stadt meld’ ſich auch ſchon an!" —
Sa, fie meldete fich, einzelne Häufer in präch—
tigen Gärten tauchten auf, und bald fchrumpften
diefe zufammen und die Häufer drängten ſich
enger und enger zufammen, wurden fo hoch, daß
man kaum noch das Dad fah, und die Wagen
taffelten durcheinander, Menſchen über Menſchen
eilten daher, fo viel an einem Fleck, wie die beiden
einfamen Hochmwaldfinder im ganzen Leben noch
nicht beifammen gefehen hatten.
Das Eenzerl fchaute mit großen, weit offenen
Augen umher.
. Seine Bangigfeit ſchien fich plöglich zu ver—
Tieren, lachende Überrafchung, größtes Staunen
malte fich in feinen Blauaugen, und plößlich blies
e3 die Baden auf, drüdte die Hand mit den ge-
fpreizten Fingern vor den Mund und pruftete in
— 106 —
fchallender Heiterkeit Io: „Jennerl über jo was!
Sind’3 denn allefamt verrudt dahier, die Weibs—
leut? Da ſchau, Wendl, was für a narriches
Werk fie auf'n Kopf jest haben! und die Gewan—
dung fchlampert um die Füß' big auf die Erd’
und fchleift in allem Dred daher!”
Auch der Wendl ftarrte die modernen Stadt-
damen höchſt betroffen an und murmelte: „Sa,
an’ gefunden Verftand Fönnen die nit haben!“ —
Aber er lachte nicht fo luſtig wie da3 Dirndel,
welches foeben über einen feuerroten Sonnenſchirm
vollends außer fich geriet. „Und die da hat ein’
Vogel derwürgt und ihn aufn Strohdedel 'ſetzt
und tragt ihn nun auf'm Kopf daher! und jene
da hat Blümeln gerauft, jo viel, dös a Kuh fich
n Magen dran verplast, die bringt’3 auch wieder
aufm Kopf daher... und die Haar hangen ihr
allweil in die Augen und von den Ohr'n hat’3
fie auch nit wegfämmt! Wendl, gud nur... ih
mein’, die ganze Welt hat an’ Rappel kriegt!“
Der Gendarm lachte, daß er ſich bog, und
Tagte nur: „Willſt wohl biſchbern, Dirndel! Wann
die Damen hören, wie d’ ihre Gewandung
— 17 —
ſchimpfierſt, kratzen |’ dir die Augen aus!" —
Aber das Cenzerl ſchien ganz außer dem Häuschen.
Es hob den Finger und deutete erjtaunt auf
ein paar ſchmucke Soldaten:
„O mei! und da die Mannerleut! — die ſehn
aber viel ſchön aus! — Gud, Wendl, a Wams
mit blanfen Knöpferln und grün und rot...
dös fann ein’ wohl gefallen, gel?”
„Nix gefallen kann's ein’! fchrie der Wendl
gornmutig und Ddrüdte den Beigefinger vom
Dirndel unwirſch herab: „tät grad noch fehlen,
dös d' auf folde Flanken ſchauſt! Sag's ihr,
Gendarm, dös a reputierlihes Madel nie nit
nach'n Soldaten ſchaut!“
„Sell is wahr!“ nickte der Gendarm, ſchnäuzte
ſich abermals und rollte das erſchrockene Cenzerl
über’3 Sacktuch hinweg gewaltig mit den Augen
an. „Allweil weg mußt guden, wann ſolch arge
Gefellen daher fommen! Aber d53 i3 pudelnarrſch,
Wendl, dös felbit die unfchuldigften Dirndeln alf-
foglei’ vom bunten Tuch einifangen find! — Na,
und nu’ fteigt’3 aus, Leutz; dahier ift die Poſt—
balterei, da fpannen3 die Röffer aus. Den Wendl
— 18 —
bringen mer allfoglei’ auf's Amt, und i verwahr?
fo Yang dei Schweiter und wart’ mit ihr im
‚Weißen Hirschen‘, bis daß d' dei Sach abmwidelt
haft!” —
Damit Hatte der Wendl viel Glüd, denn es
ging alles glatt vonftatten, und doch deuchte e3
dem ſchmucken Burfch eine wahre Emigfeit, welche
er in dem fchwülen, niedrigen Saal verbringen
mußte. Eine fiebernde Angft und Unruhe hatte
ihn erfaßt, feit der Gendarm von all den Loderern
und nichtsnußigen Flanken erzählt hatte, welche
einem Bub’n fein Dirndel megitehlen. Seit nun
das Cenzerl die Soldaten jo gar ſchön genannt,
war e3 vollends um des Wendls Ruhe gejchehen.
Die Fröhlichkeit d23 Dirndels ängftigte ihn
und feine Fäufte bebten ihm, als möchte er gleich
die ganze Stadt zufammenfchlagen.
Ganz und gar nicht gefiel es ihm mehr in
der Welt, zuwider bis an den Hals war fie ihm
ſchon jest, und als er fich in feiner Sorge ums
Dirndel nach dem Saalfenfter drängte, um nad)
ihm auszufhauen, da kam ein Feldwebel oder
General — der Wendl kannte ſich noch nicht auf
— 19 —
den Unterfchied aus — der padte ihn grob am
Arm, ftieß ihn zurüd und nannte ihn ein’ Frechen
Lümmel, der fonder Reſpekt dahier herum ftol-
pere!
Wäre der Grobian nicht ein alter Mann ge»
weſen, hätte der Wendl ſolchen Schimpf nicht ein-
gefteckt, aber fo würgte er den Born hinab und
dachte: „Wann i ein’ Streit anfang’, fomm’ i
gegen all die vielen doch nit auf, und wann ſ'
mich ins Loch fteden, i3 mei Cenzerl mutterjeel
verlaffen!” —
Aber als er entlafjen war, rannte er davon
wie ein Unfinniger, ftieß auf der Straße gegen
einen feinen Herrn, der ihn einen Erzflegel um
den andern hieß, feinen blanfen Schornfteinhut,
welcher ihm vom Kopf gefallen, mit dem Ärmel
glatt ftrich und mit der Polizei drohte.
i Als der Wendl in feiner Verwirrung eilig
davonitiefelte, geriet er zwifchen die Wagen auf
der FSahrftraße und ein Roß rannte ihn fchon
gegen die Schulter, daß er taumelte, der Kutfcher
hieb mit der Beitjche nach ihm und hub ein grauen-
volles Schimpfen an über fo ein’ Bauerndalf,
— 10 —
der zwei Gloßaugen im Kopf hat wie die Mühl-
ftein’, aber nit mal a Wagen damit jehn Tann!
— Alle Leute ftanden ftill und lachten und dem
Wendl Schoß alles Blut in den Kopf und er hätte
fi mögen auf den Schwätzer werfen, ihm da3
Kreuz abſchlagen, — aber er dachte an das ver=-
laffene Cenzerl, biß ingrimmig die Zähne zu—
fammen und ging davon.
Im Gafthof zum „Weißen Hirfchen” fand
er e3 neben dem Gendarm jiten, jedes hatte einen
Maßkrug vor fih und fchauten auf die Gaffe
hinaus, welche dem Dirndel eine große Kurzweil
ſchien.
Es ſchwatzte und lachte wie daheim und hatte
alle Scheu verloren.
Das erſchreckte den Wendl vollends.
Unwirſch ſetzte er ſich hin und ſtützte den Kopf
in die Hände, hatte auch gar kein' Schneid darauf,
einen Spaziergang durch die Stadt zu machen,
als aber das Cenzi ſo lieb darum bat, ſtand er
auf und ſprach: „In Gottes Namen, — aber i
ſag dir's im voraus, — gefallen tut mir's dahier
nie und nimmer nit!“
— 11 —
Er ſchritt auch mit finfterm Blick daher und
achtete nicht viel auf Häufer, Türme, Schauläden
und gepuste Menfchen, nur auf das Cenzi paßte
er, ob’3 etwa nad einem Soldaten ausfchaue,
oder ob vorübergehende Mannerleut länger als
nötig da3 faubere Dirndel anladıten.
Dabei hielt er e3 feit an der Hand — „damit,
daß d’ nit zwilchen die Wagen kimmſt!“ ſagte
er, und dieweil der Gendarm ihnen jo arg viel
Schönes, Wunderliches, Tremdes und Unbegreif-
liches zeigte, daß ihnen der Kopf brummte und
felbit das fröhliche Madel blaß und ftill wurde,
dachte er nur eins in feinem Herzen: „A Schand-
melt i3 ’3, und a Schandwelt bleibt’, und auf
mi braudht’3 nit zu fpefulieren, — mich ſiehcht's
all mei’ Lebtag nit wieder.“
Auch dem Cenzi war’3 recht, daß fie endlich
in den „Weißen Hirschen‘ zurüdgingen, um „eins
z' eſſen“ — und der Gendarm drüdte ihnen die
Hand, Hopfte dem Cenzerl noch freundlich die
Wange und ſprach: „Nun müßt’3 mal allein fertig
werden, i gang und eff’ bei mein’ verheirateten
Sohn. — Halt die Augen auf, Wendl, döß d’
— 12 —
nit betrogen wirft und döß 's Cenzi nit zu Schaden
fimmt. Un’ a Ruh gib un’ bleib’ allweil ftad,
fonft arretiern’3 di! — Kennſt die Welt noch nit,
Wendl! J hab's g'ſagt.“
Nun ſaßen ſie allein in der großen, niederen
Wirtsſtube des „Weißen Hirſchen“ und aßen „a
Kraut mit Sped“, und weil der Gendarm nicht
mehr bei ihnen war, fühlten fie fich jehr verlaffen
und preisgegeben. Der Wendl wollte ſich das zwar
nicht merken laſſen, aber behagli war e3 ihm
nicht, und vollends ala er den Lederbeutel aus der
Tafche 309, um zu bezahlen, fam ihm feine Lage
doch recht verzweifelt vor.
Ein nicht allzu fauberer Hausknecht ftellte
ſich breitfpurig vor ihm auf und rechnete mit ſchier
unheimlicher Gejchwindigfeit eine Menge Kreuzer
zujammen, die zu bezahlen jeien.
Der Wendl mar wieder blutrot bi unter die
Haare; denn wenn feine Hafelnüffe auf dem
Tifche lagen und nicht viel Zeit und Weile zum
Rechnen war, dann jah e3 doch gar bedenklich mit
diefer Kunſt aus.
Aber merken Taffen wollte er ſich dag doch nicht.
— 13 —
©o legte er mit ſchwerem Drud einen blanfen
Silbergulden auf den Til.
‚Da zieh’ ab!” fagte er.
Der Hausfnecht ſah noch verfchlagener aus
wie fonft und zudte die Achleln.
„Was ſoll der Larifari! Glaubft denn, der
eine Gulden reicht, wenn zwei Leut fich daher
fegen und ein halb’ Faß Kraut verfchlingen 9
Der Wendl befam einen Schred, lachte ein
menig verlegen und legte den zweiten Gulden dazu,
— da3 war all fein Reichtum, welchen er bei
fich führte.
Der Hausfnecht ftrich das Geld ein, wühlte
baftig in feiner Ledertafhe und warf ein paar
Kupfermünzen auf den Tifch zurüd.
Er rechnete dabei abermal3 mit finnverwir-
render Schnelligkeit, drehte fich furz um und ging
davon.
Verblüfft fchaute der Wendl auf die wenigen
Heller nieder.
„Dös ftimmt nit, Cenzerl!” fagte er grollend,
„da müſſ'n mer halt nachrechnen.“
Und nun faßen die beiden und zählten laut
N. dv. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 8
— 14 —
5 und umftändlich an den Fingern, und nach langer
Zeit waren fie überzeugt, daß fie arg betrogen
feien!
„So a Lump! fo a Stoanefel elendiger!”
fchrie der Wendl zornmutig und fchlug mit der
Fauft auf den Tiſch. „Dös vermeld’ i dem Wirt!”
Und da diefer juft in die Tür trat, fprang
er auf und erzählte ihm mit erregten Worten, was
da. vorgefallen jei.
Der die Alte zudte nur mit einem nicht
allzu freundlichen Geficht die Achſeln.
„Da hättft mi gleich rufen müſſen! Sebt
farn a jeder daherfommen und fagen, er hätt’
zu wenig 'raus friegt. Wann d’ fei’ Zeugen haft,
nützt dir dös Namenten fein gar nir. Wann d’
in die Stadt kimmſt, mußt rechnen können, fanft
bift allweil blamiert!”
Wieder Tochte das heiße Blut Hinter des
Burſchen Schläfe, aber er fah den flehenden Blid
des Cenzerl und hörte jein leifes: „Sei ftad, Wendl,
e3 bringt dir nur a Schand!” Da lachte er in-
grimmig auf und feste fih auf feinen Plab
zurüd.
— 15 —
Noch eine ganze Stunde währte ed, bis bie
Poſt zurüdfuhr.
Ganz und gar feinen Jur machte es ihm,
zum Fenfter nauszufchauen, und wenn das Dirndel
fi auch bald tröftete und den Verluft der Gulden
verfchmerzte, jo fraß fol} ein Falſch und Betrug
dem Burfch doch wie Gift am Herzen und ließ
ihn immer finfterer und feindfeliger dreinfchauen.
Das Cenzerl verluftierte fich derweil am An—
blid der Stadtleute und lachte juft wieder jo recht
aus vollem Halje über einen Bhlinderhut und
das buntjchottifche leid einer Touriftendame, als
ein paar Rekruten vorübergingen und ihre Bän-
derhüte mit hellem Jodeln dem fröhlichen Dirndel
entgegenfchwenften.
Wendl biß die Zähne zufammen und tat, als
fähe er folche Kedheit nicht, al3 aber die Burschen
noch einmal umfehrten und fich dem Cenzerl noch
bemerflicher machten, da murmelte er: „So ’ne
Dal, el’nden! Sch ſag' dir, Cenzi, kehr' dich ab
und fchau’3 nimmer an!“ .
Das tat die Kleine ſofort und all ihre Heiter-
feit wich wieder einer großen Bellemmung, ber
8*
— 16 —
Wendl aber ftampfte zornig mit dem Fuße auf,
denn die drei Lösbuam traten in die Wirtzftube
ein, festen fich unter Lärm und Lachen an den
nächſten Tifh und führten laute Reden „über
das bildfaubere Dirndel, dös ma glei’ auf'm Plab
bernehmen und abbuffeln möcht’ !“
„Ich hör's gar nit, Wendl! Ich bitt' dich,
bleib’ ſtad!“ flehte Cenzerl zu dem Bornbeben-
den auf.
Aber juft die grimme Miene de3 Burfchen
fhien die Eindringlinge anzureizen! Sie beitell-
ten ſich ihr Bier, führten ftichelnde Neden und
einer jchob fein Grünhütel auf Krafehl und hob
mit zärtlihem Blid auf das Cenzi an zu fingen:
„Du mei flacjshaarig Dirndel,
Du ſchönſtes auf Erd'n —
J möcht' um dei Flachshaar
A Seiler glei’ werben!”
Wendl ballte die Fäufte und ftarrte den
Sänger mit funfelndem Blid an, dad Pirndel
aber flüfterte angftooll: „Laß uns hinaus, —
toir gehn allweil»zur Poſt!“
„Naa!“ ftieß der Wendl heiſer hervor, „wir
müffen dahier auf den Gendarm warten!“
— 17 —
Sn demfelben Augenblick Hatte einer der
Rekruten das Sträußchen von blanfen Bitternelfen
von feinem Hut gelöft und warf e3 über den
Tiſch in den Schoß de3 erfchrodenen Dirndels.
„Wer die Bliemeln tragt, der i3 mei’ Schatz!“
tief er dazu und ſchnalzte mit der Zunge.
Wie ein Rafender fprang der Wendl auf und
wies die Fäufte.
„Kimm’ nur her, warn d’ a Schneid auf
ein’ Schab haft, und Hol’ ihn dir!“ rief er mit
bligenden Augen, und der Gegner am andern
Tiſch ſprang ebenfall3 mit einem fpottenden:
„Hoho! Wann d’ etwa hier millft raufen, dann
kannſt bald dei’ Zähn' alla’ Tamm’ wadeln fühl'n!“
„Wendl!“ ſchluchzte das Genzerl außer ſich
und hing ſich an feinen Arm, der aber war wie
von Sinnen vor Wut, padte den Stuhl als Waffe
und ftand hoch und marfig wie aus Stahl und
Eifen gefchmiedet.
„Wendl — das wird nit gut!” jammerte das
Dirndel, in bemfelben Augenblif aber tat fi
die Tür auf, der Gendarm, der Wirt und der
Hausfnecht traten ein und blieben überraſcht vor
— 18 —
den beiden fo fampfluftig ausfchauenden Buben
ftehen.
Bon dem lauten Klang der Stimmen mar
auch die Wirtin mit ihren beiden Madeln angelodt,
und fo ftand fie, die Hände eingeltemmt und hub
juft ein heftige Schelten „über fo zwei Lausbub'n,
die ſchon am hellichten Tag da3 Raufen bekommen“
an, al der Gendarm mit jchnellem Schritt ſchon
neben dem Wendt ftand und mit feitem, drohend
erhobenen Griff deſſen Arm berabzmwang.
„Gott fei gelobt, daß d' kimmſt!“ rief Cen—
zerl wie von Todesangit erlöft. Der Gendarm
aber ſchaute mit grimmigen Blid von einem der
Burſchen zum andern und jagte barſch: „Wann
dö3 etwa Spaß fein foll, fo fchreit’3 nit daher wie
zwei VBagabunden! Zum Teufi mit fo’n Ulf! J
verſteh' mi’ nit viel drauf, und wer da a Lärm
fchlagt, der fliegt ins Loch! Habt’3 gehört? Ver—
böllte Gerſt' ao’ mal!!”
Der fremde Löslbub lachte ein wenig verlegen
und trat beifeite.
„33 ja nur a Schnaden ’weit, Gendarm,
jener Buab da verfteht ſich nur nit drauf aus!“
— 19 —
Wendl fchüttelte wie ein gereizter Löwe die
Haare aus der Stirn.
„Bleameln wirft er der Creszenz in’ Schoß
und ruft: ‚Wer fie tragt i3 mei’ Schab‘,” mwieder-
holte er außer fich, wie in himmelfchreiender An-
Tage.
„Sell Bleameln?“ Der Gendarm nahm ge-
ringſchätzig die Bitternelfen vom Tiſch und hob
fie mufternd dicht unter feine blaurote Nafe. Und
dann zudte der graue Schnauzbart und er fagte
mit liftigem Augenzwinfern: „No, gut! Dann
nimm dös GStraußel mit und bind’3 deiner -
fchedeten Kuh an’ Schwanz! Dann tragt fie’3
and i3 dem Loisl ei’ Hochzeiterin !“
Da erhob fich ein fchallendes Gelächter im
Kreis, jelbit des Wendls Lippen zucdten momentan,
der Loisl aber machte gute Miene zum böſen
Spiel, faßte die Schanfin um die Hüften, tat
einen Schnalzer mit den Fingern und der Zunge
und jang Freuzfidel:
„Kei Weiberl, kei Maderl,
Kei nix nit dazu —
Bleibt alfweil zur Tröftung
Die buntſcheck'te Kuh!“
— 120 —
Da gab e3 ein Gejuchz und Gelärm umeinand,
und derweil faßte der Gendarm den Arm des
Wendl und blinzte ihm zu: „Fir hinaus mit euch,
zur Pot! Gelbes mal iS noch gut ab’gangen;
denn der Grieshübler Loisl is ein gutmütiges
Mannerleut! Aber drei gegen einen — dös hättſt
nit gefchafft, Wendl, und allweil dumm biſt ges
weit, döß di in ſo'n fehiefen Handel haft einlaßt!
J ſag's aber ſchon, — kennſt die Welt no nit,
Wendl! Und wann d' no’ lang’ dahier drunten
verweilft, rennft dein’ Schädel ein und gehit ganz
und gar verluftig aufs Cenzerl!“
Der junge Bedhaber biß die Zähne zufammen
und Schritt ſchweigend über die Straße nad} der
Poſt, dieweil das Dirndel nach all der ausgeftan-
denen Angit käſeweiß ausſah und fich fo feit an
des Wendl Hand hielt, als ſei es dran angeleimt.
Der aber dankte dem Gendarm mit halb er—
ftidter Stimme und fagte: „Weißt, einmal bin i
in der Welt "weit, — aber miederfeh’n tut’3 mi
nit, dös foll a Wort fein.“
„Recht fo! Auf'm Wald Haft a Herrenleben,
bier drunt’ aber iS fchlechte Zeit. Na, da behüt's
— 121 —
Gott! Und fagt’3 dem Beckhaber: $ tät ihm fei’
Kinder Heil und g’fund z'ruckſchicken. Das wär’
alle fein gut jo kommen, wie i’3 jagt hätt’!“
Und der Sprecher fchob die beiden jungen Men—
fchenfinder in die Poſt, welche um folch zeitige
Stunde nicht beſetzt war, und nidte ihnen noch
einmal zu und rief: „Kimmt's gut über!“ —
und dann ſchritt er ſäbelraſſelnd davon und Wendl
und Cenzerl blieben allein.
Schon führte der PVoftillon — diesmal war
e3 ein junger, munterer Geſell — die Pferde
aus dem Stall, und es dauerte nicht lange, fo
fnallte er hell mit der Peitſche, ſchaute noch ein—
mal rechts und Links, ob wohl noch ein Paſſagier
daherfäme, und ſetzte das Horn zu einem präch—
tigen Stüdlein an die Lippen.
Das Cenzerl horchte entzüct auf und auch
der Wendl hob Hoch den Kopf, — dann rudten
die Pferde an und die große, ungeſchickte Kutſche
bholperte die Straße entlang.
Mehr und mehr ſchwanden die Häufer, die
Menfchen verloren fi, Felder und Gärten dehn-
ten fich bald wieder recht3 und links, und der
— 12 —
Wendl ſchaute mit brennendem Blid hinaus,
atmete tief auf und ftieß aus tieffter Bruft hervor:
„Senzerl! bet’ a Baterunfer, döß ma jold
an Teufelsneft hinter una hab'n! Weißt, jeit Kin-
de3beinen auf hab’ i mir g'wünſcht, die Welt 3’
ichauen und hab’3 von weitem viel lieb gehabt
und denkt: fo ſchön, wie’3 ausschaut, muß 's auch
wohl fein! Aber a Lug und Trug i3 damit, —
für a offnes Herz und a kindlichen Sinn i3 die
Welt nit eingeriht!”. — Mir gefallt’3 ſchon gar
nit, — und fein befjer i3, mir ſchauen's uns halt °
nur bon dem Lattenzaun an, — wie a narrijches
Geſpiel, über dös ma ftolz wegguckt und eins lacht!
— Gel, Cenzerl? Nu’ find wir all beid’ draußen
gewelt, weit, weit, weit fort, bis and End’ der
Welt, und nu’ haben wir a Ruh. — Oder möchſt
zrud in die Welt?’ Die lebten Worte Hangen
wieder halb zornig, halb angjtvoll, das Dirndel
aber wiſchte fich mit dem Schürzenzipfel die Augen
aus; denn e3 hatte ſich alle Schreden der legten
Stunden von der Seele geweint, und in allem
Leid jauchzte es dennoch auf und fchüttelte ftürmifch
den Kopf.
— 13 —
„Brud in die Stadt? Wann d’ 808 ſagſt,
Wendl, nahen biſt a Narr! — D mei! Aufn
Knien möcht’ ich allen Heiligen danken, döß i all
das narriche Zeug nit mehr ſiehch! Ganz damiſch
i8 mir in’ Ropf und mirbelt durcheinand’, —
döß i vermein’, jo kann's nit bleiben! — Hier
aber werd mir fchon wieder leicht um3 Herz — i
ſiehch Baum’ und Wiefen ... und Luft und Freiheit!”
„Und ganz allein fan wir allzwei —!“ Der
Wendl legte den Arm um das Pirndel und jah
plöglich ftrahlend froh und glüdlich aus, „nu'
gib dich z’frieden, mei Cenzi, mei lieb’3, allweil
gaht’3 hoam!“
„Wie der Gendarm dabei war, fonnt” ma
gar nit um fich Schauen!“ meinte die Meine und
lachte wieder fo Iuftig wie ehedem. „Nu' gib fein
Obacht, dös ma’ nix vergeſſen! Gleich komm'
wir an' Feuerdrach ſein Loch, und dort ſteht das
Häuſerl, was wir vom Lattenzaun immer geſeh'n
haben, ſo klein wie a Klötzerl! und bald kimmt
der Wald und die grünen und gelben Strich im
Rand... und vor dem Dorf da3 Meer mit den
Gäns' und Enten drauf”
— 124 —
Sa, nun hatte die Fahrt erft eine Freude
für die beiden mweltfremden jungen Menfchen, alle
Angſt und Bellemmung vor dem fernen Unbe-
fannten war von ihnen genommen, fie hatten das
ftolge, jelige Empfinden von zwei Neifenden, welche
den Erdball gemeſſen und nad langen Sahren
voll Gefahr, Forſchen und Ergründen, voll Angft,
Entbehrung und Heimweh zurücfehren in da3 ge»
liebte Vaterhaus.
Wie viel hatten Wendl und Genzerl an
diefem Tag erlebt! — So viel, daß ihre Kinder—
feelen zeitlebens davon zehren fonnten und doch
nicht arm wurden! .
Die Abendfonne vergoldete die fernen Berge
und malte ihre legten Streifen über das blühende
Tal, dann fanfen die Schleier der Dämmerung,
ftill und ftiller ward’3 und der Mond ftieg wie
eine bleiche Silberjcheibe hinter dem Hochwald
empor. Der Poftillon ließ die Pferde gemächlicher
Ichreiten, griff abermals zum Horn und blies ein
ſchönes Stückchen nad) dem anderen.
„O mei'!“ flüſterte das Cenzerl und ſeine
Hand zitterte in der des Burſchen: „ich mein, ſo
— 15 —
glücklich wie in felber Stunde war i noch nie!
— Wunderlich wird mir bei der Muſik, Wendt!
ach fo wunderlich !”
Und eben fo wunderlich ward e3 auch dem
jungen Burſch zu Sinn, daß er ſchwer und tief
atmete, allweil nur auf dem PDirndel fein blondes
Köpfchen fehaute und dachte: „Es is ja nit mei
Schweſterl! D Jeſſas Maria, wie mich dös
g'freut!“
Und dabei zitterte ihm das Herz in der Bruſt
und ganz ſcheu und zaghaft hielt er des Cen—
zerls Hand.
Der Poſtillon aber blies immer ſüßere und
innigere Weiſen und der Mond leuchtete immer
ſilberner und des Wendl Atem ging immer
ſchwerer ...
Feſter und feſter faßte er die kleine, weiche
Hand... und auch die zitterte.
Ach wie wunderlich ift das ... fo gar nicht
zum Begreifen und Verſtehen ...
Keines ſprach mehr ein Wort.
Nur die Poſthornklänge zogen wie ein holdes,
berückendes Liebeswerben durch die dämmernde
— 126 —
Waldeinfamfeit und des Cenzerls Köpfchen neigte
fich tief und tiefer gegen des Wendl Schulter.
Hundebellen erfholl. „Grüaß Gott!” riefen
Stimmen, Häufer tauchten aus dem Gewirr der
Blütenbäume. y
„Dös Dörfel is!“ fagte Wendt lei. „Bis
dahier fährt nur die Bolt, — hier müß’ ma
"raus.
Und ſchweigend ftiegen fie aus, fagten dem
Poſtillon ein „Schön Dank für die Muſik“ und
ein „Behüt’3 Gott“.
„Biſt auch nit müd, Cenzerl, döß d' noch
aufn Berg auffrareln kannſt? Gud, die Straß’n
13 viel fomod, mein i!“
„Was d’ fragſt!“ fchüttelte da3 Dirndel den
Kopf, „i freu’ mich gar viel auf3 Gehn, — was
a Luft daher weht, wann ma fo lang im engen
Kafterl 'ſeſſen hat!“
„So kimm'!“
Und abermals faßten ſich beide an der Hand
und ſchritten rüftig bergauf.
„Zwei Stundeln dauert’3! Länger nit!“
„Macht nir!“ j
— 17 —
„Ich Hör’ allweil noch die Liedeln vom
Boftillon !”
„Auf die vergeß’ ich auch niemals nit!“
„Schön waren's!“
„Ich mein’ das allerfhönfte vom ganzen
Tag!”
Wendt drückte plöblich die Hand der Sprecherin
heißer noch in der einen.
„Das Mlerihönfte?” wiederholte er erregt,
mit einem beinah jaucdzenden Klang in der
Stimme: „Ach na! — da weiß ich noch was, dös
ift mir’3 Tiebjte geweft von allen, was i bis daher
derlebt Hab!‘
Cenzi blidte erftaunt zu ihm auf.
„Dös fag mal! Da bin ich aber damifch,
853 ich jo an’ Freud bei dir nit 'merkt hab!”
„Ratit’3 nit?‘
„D mei! — 508 d’ freifommen bift vom
Militär ?“
Wendl machte eine jäh verneinende Bewegung
mit dem Kopf.
„Dös d' bis ana End der Welt komm'n viſt?“
„Fehlg'ſchoſſen!“
— 12383 —
„Dös d’ nit arretiert biſt?“
„Erſt recht nit!”
Genzerl fah ſehr nachdenklich aus, fann ein
Weilchen und fchüttelte den Kopf.
„Nachen woaß i's nit!”
„Wirklich nit? Guck, und ich mein, du müßt
a g'rad fo eine ſakriſche Freud’ d'ran gehabt haben,
wie 19 7
„Malträtier mic) nit, Wendt! Geh her und
ſag's!“ fr
Da lachte er Hell auf, halb verlegen, halb
entzüdt, 309 das Madel noch feiter an fich und
benußte den hellen Mondftrahl, welcher quer über
den Waldweg fiel, um in da3 friihe Roſenge—
fichtchen zu fehen.
Ganz nah zu ihrem Ohr beugte er Sich.
„Die Rund’, mein i, Cenzerl, dös d' nit mei
Schweſterl bift!”
Er fühlte wie fie erbebte:
Boll ängftliher Haft wich fie ein wenig zur
Seite und lachte noch, verlegener wie er.
So a a Narretei! Ich mein Halt, dös is ganz
— 129 —
egal wa3 i bin, und der Vata jagt a, es ver-
ändert ganz und gar nic!”
„Der Bata! Was weiß der Vata!“ ftammelte
der Burſch und fühlte e3 felbit, mie heiß ihm das
Blut in die Wangen fhoß; „allweil hab i dich
lieb habt, Cenzerl, jo viel lieb, daß e3 nie nit
ärger werden Tann! Aber jo a Unterjchied is
doc dabei, wie ma fei Schwefter! gern hat oder...
oder ...“ Und er würgte an dem Wort, als ob
e3 ihn erftiden wollte, und weil das Dirndel feine
zitternden Tingerchen aus feiner Hand löfte und
einen Schritt zur Seite wid, da hatte er nicht
glei den Mut, es feitzuhalten.
Er 3098 das Sadtüchel und ſtrich über die
Stirn und hielt den Grünhut mit dem Gemöbart
in der Hand, als fei er ihm zu heiß auf dem
Kopf.
Einen Augenblid jchritten fie ſchweigend
nebeneinander her und jedes vermeinte den Schlag
feines Herzens zu hören, fo wild und aufgeregt
hämmerte e3 in der Bruft. Die Tannen ragten
hoch und tiefſchwarz zur Seite, köſtlich frifcher
Duft wehte daher und hoch über ihnen türmten
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 9
— 10 —
fih die gewaltigen Bergmaſſen mit den Flüftigen
Felszinken und ftarrenden Gteinwänden, über
welche weiß und flimmernd wie ein Strom flüf-
figen Silbers das bleihe Mondlicht floß.
„Cenzerl!“
„Dahier bin i!“
„'s iſt arg dunkel dahier im Wald! Fürchteſt
dich auch nit, Cenzerl?“
„Fürchten? o mei! Wann du allweil an
meiner Seit' biſt?“
„Ach, Cenzerl, mei lieb's! Ich tät ſelbſt 'n
Teufi z'ſammenſchlag'n, wann er dich ſtehlen
wollt!“
Bei dem ſchlimmen Wort fuhr das Dirndel
erſchrocken zuſammen und ruckte wieder ganz nah
an den Wendl heran und der nahm verſtohlen
ſeine Hand und zog's unvermerkt ein bißchen
dichter und dichter zu ſich.
Und ſo ſchritten ſie weiter, ſchweigend, mit
übervollen Herzen, unfähig, das Glück zu ſchauen
und zu faſſen, welches bereits lächelnd zwiſchen
ihnen ſchritt und ein Kränzlein von duftigem
— 131 —
Nosmarin flocht. Und plöglih ſtand der Wendl
hochatmend ftill, neigte den Kopf vor und laufchte.
„Hörſt's, Cenzi? Hörſt's?“
Fern, fern vom Tal herauf klang ein ſüßes,
leiſes, echohaftes Klingen empor. Der Ton des
Poſthorns, welches auf der entlegenen Fahrſtraße
von neuem erklang. Ach, wie wonneſam, wie
zauberiſch ſang und hallte die Weiſe um die jungen,
liebezitternden Herzen im Hochwald. Und all das
heiße, leidenſchaftliche und glückſelige Empfinden,
welches in des Wendls Bruſt nach dem erlöſenden
Wort rang, da ward geweckt von dem Klang des
Liedes, das ward wach und Iebendig, fühn und
rieſenſtark, daß es hervorbrach wie der Felſen—
quell, welchen nicht Stein und Erz bannen kön—
nen, welcher mit Götterkraft dem Licht und Leben
entgegenſtürzt ... wenn ſeine Zeit gekommen iſt.
„Senzert!”
Wie ein wilder, Halberftidter Aufichrei klang's.
Wendl fchlang die Arme um das Dirndl und
preßte e3 an fich wie einen Raub, und füßte das
junge Angeficht wieder Sturmmwind, welcher ein
Röschen liebkoſt.
9 *
— 132 —
„Cenzerl, Cenzerl, mei Schatz!“
Das wehrte fich nicht.
Sefter und feiter hat e3 ſich in des Burſchen
Arm gedrüdt und Hat gelacht und geweint in
einem Atem.
Und ala ber Wendl ungeftüm gefragt hat:
„So ſchwätz doch, Cenzerl! fo ſag's doch, daß d’
mir a biffel gut fein kannſt!“ — da hat e3 nur
feine Hände gefaßt und geflüftert:
„O Jeſſas, über jo an Glüd!”
Die dunfeln Tannen Hatten fo viel Lieb und
Glück wohl auch noch nicht gefehen, denn fie wiegten
träumend die fchlanfen Wipfel und fehauten herab
auf die beiden jungen Menfchen wie auf ein Nätfel,
welches zwifchen all den unfaßlihen Wundern der
fchönen Gotteswelt doch ewig das Lieblichite und
unerflärlichite bleibt.
Arm in Arm ſchritten fie dahin, und obwohl
fie jo viel an diefem Tag erlebt hatten, mußten
fie doch gar nichts zu fprechen, fondern fchauten
fih nur ſchweigend in die Augen, als ob alles
fremd und neu an ihnen fei, als ob fie ſich zum
I BR u
erftenmal begegneten. Drunten im Tal aber klang
das Poſthorn ferner und ferner:
„Ru hab’ i g’funden
Aufm Bergli mein’ Schap,
Da hab’ i hie drunten
Im Tal koan' Pla.
Wo's Almröfel blühet
Da wachſt nu’ mei Glüd —
Döß Gott di b'hüet —
Kimm nimma z'rüd.”
Die Töne die weichen, langgezogenen, ver—
hallten im Wind und meiße Nebel mallten mie
bräutliche Schleier über der Ebene.
Wendl und Cenzerl hatten feine Eile bergauf
zu fteigen, Schritt für Schritt, wie im Traum
eing’3 daher, bis da3 Dirndel plöglich auffchraf
und fagte: „Ganz damiih fin’ ma’ worden,
Wendl, und fchleichen daher wie a Schneck! Ganz
und gar auf'n Vata Hab’n wir vergeffen und ich
mein, dem währt d' Zeit nit fo furz wie uns!”
Da wich die Träumerei von dem Burfch und
eine freuzfidele Luftigfeit Tam über ihn, daß er
fein Hütel hoch warf und mit einer Stimme hell
aufiodelte, als ob's eine Pofaune ei.
— 14 -
„Holdrio juhu!“
Und dann laufchten fie überrajcht. „Suhu!”
antwortete e3 ein wenig leifer und heiferer vom
Walde herab.
„Sell war fein Echo nit!“
Nochmal „Juhu!“
Und droben Hang’3: Hallihohaho!”
„Der Bata! ’3 ift der Vata! Der fimmt una
entgegen! Der wart’ auf uns!“ jubelte das Cen—
zerl, und der Wendl war fchier narrifch vor Über-
mut, und fie faßten fich beide wieder an die Hände
und ftürmten wie von Flügeln des Glücks ge»
tragen bergan.
Da Itand der Beckhaber mitten auf dem mond-
bellen Fahrweg und ſchwenkte mit einem Suchzer
den Hut, und nach wenig Augenbliden hingen die
beiden jungen Leute an feinem Hals.
„Bit frei fommen, Bub?!“
„aa, Vata! naa!“ Tachte der Wendl überlaut.
„Naa? Was heikt dös?“
„Gar a narrifches heißt's, Aloys Beckhaber!“
„Als a freier Burfch bin i 'nab geftieg’'n und
al3 a ganz a unfreie3 Leut fimm ich z'ruck. Viel
— 15 —
verlorn hab ih auf'm Fled! Mei Schmweiterl .. .
mei Serzel... mei Freiheit! Aber gefunden
hab i noch mehr, — Vata! Da fchau Hier! A
Schatz! A fakrifhen Schab, der mid für allzeit
bier aufn Berg g’fangen halt!”
Mehr ſprechen konnte der Wendl nicht, denn
fhon hatte er das Cenzerl wieder umgefaßt und
buffelte e8 ab, daß ihm der Atem ausging.
„Ro gud mal an!“ fagte der Wildhüter und
kratzte fich halb betroffen, halb freudig entzückt
hinterm Ohr. „J jag’3 ja immer, nir wie Hallo-
dria treiben’3 in der Welt drunten! Gott ſei's
geklagt, daß i euch fortlaßt Hab!” Aber er nahm
die Brautleute mit überftrömenden Augen an die
Bruft und murmelte: „Alle Heiligen fegnen’3 euch
diefe Stunde! Zwei Jahrdeln hätt's noch Zeit
gehabt, — aber dag Mutterl hat geplaufcht...
und... Gott hab's ſelig ... a Glück hat's dach
a'ſchaffen.“
— ah a
Ser Wendl und das Eenzerl haben nie im
Leben wieder Luſt verjpürt, in die Relt hinab
zu geben.
Vom Littenzaun aus gefiel jie ihnen am
beiten, und wenn auch der Wendl de3 öfteren zum
Dörfchen hinab gemußt Hat, lang aufgehalten hat
er jih niemal3 dort.
Als der Aloys Hoch bei Fahren war und jein
Ende nahe fühlte, hat er’3 dem Sohn anheimge-
geben, daß er ſich doch ſolle von jeinem Geld
einen Bauernhof faufen, aber der Wendl hat den
Kopf geichüttelt.
„3 für mei’ Perſon nie nit, Bata, ich bleib
mit dem Genzerl auf mein’ Berg; dahier will i
leben und jterb’n. Das Geld is für die Kinder,
die leben in der Welt und können e3 gut brauchen.“
Und er hatte recht.
Als das Eenzerl fo jung freite, hat der Aloys
ihm eine ältere, erfahrene Jungfrau gedingt, die
blieb bei ihm und Half ihm vier Heine Haſcherln
großziehen.
Die Zeiten änderten jih und alles ward
— 137 —
ftrenger in der Welt, auch die Schulgefeße. Wendl
und Creszenz waren aufgewachſen wie die Pilze
im Wald und fein Huhn und fein Hahn Hatte
danach gefräht.
Ihre Rinder aber ſollten e3 nicht ſo gut haben,
die mußten hinab ins Dorf, in die Schule, und
wurden gar flug und anftellig und fühlten fich
daheim in der Welt und mochten nicht allaulang
in der Bergeinfamfeit haufen.
Da ward e3 vor der Zeit wieder ftill in dem
Wildhüterhäuschen, und wie Wendl und Cenzerl
ehemal3 verlaffen und allein droben auf ihrem
winzigen Erdenwinfelden gehauft, jo lebten fie
auch wieder als alternde Menfchen, ftill und ver-
geilen, hoch) droben im Herzen des Hochwaldes.
Da ftanden fie oft Arm in Arm an der Gtelfe,
two ehemals der morfche Lattenzaun geragt, und
ſchauten hinab in die Talebene und gedachten ver—
gangener Beiten.
Die Eifenbahn blieb für fie ewig der fchlimme
Feuerdrach, und oft fragte Cenzerl bang und leife:
„Wendl, denkſt auch noch drauf, wie wir die meite,
weite Reif’ machten, bi3 ans Ende der Welt?”
— 183 —
Der Wildhüter mit dem ergrauenden Kopf
und dem Kinderherzen nickte gemichtig.
„Da ſchau — bis dahinten am Berg find
wir mal gemeft, Cenzerl!“
„Wie a Wunder deucht’3 mir, döß mir die
Gefahrnis fo gut überftanden haben, Wendt!“
Der wiegt nachdenklich das Haupt. „Und a
Ichöne Erinnerung i3’ doch für’3 ganze Leben!
Wie oft ſchwatz'n ma’ noch davon, un’ wieviel
ſtolz madt fo an Gedank — dös ma die ganze
Welt z'ſehn kriegt Hat!“
Eine Tages war an der Extrapoftfutfche ein
Strang geriffen.
Der Boftillon hielt vor dem Wildhüterhaus
und der Wendl Bedhaber Half ‚mit einem neuen
Strick aus.
Er und fein Weib faßen auf der Banf vor
der Türe, und die FTahrgäfte ftiegen aus und
plauderten derweil mit dem einfamen Menjchen-
paar.
Eine Touriftin fehüttelte beinah entfeßt den
Kopf.
„geitlebens wohnen Sie hier in der Wald-
— 139 —
einjamfeit? Sind Sie denn niemal3 von bier
fort gekommen?“
Da ſah fi) das alte Paar mit gar geheim-
nisvollem Schmunzeln an, und Cenzer! hob Die
geblümte Schürze an die Wange und ficherte Halb
verlegen, halb ſchämig:
„D mei! Was d’ daher ſchwätzt, Frau! —
der Wendl und i find graufig weit bon dahier
fort gemweft! Eine Reif’ haben wir gemacht, bi3
ans End der Welt!‘
„So meit?” ftaunte die Dame und fah den
Wildhüter fragend an, der aber nidte nur ernit»
baft mit dem Kopf und wiederholte wie in träume—
rifhem Sinnen: „Akrad fo, wie das Cenzerl fagt!
Stadtleut wie ihr hab'n ma genug geſchaut und
bi3 ans End der Welt find ma kommen!“
Auf weitere Fragen haben fie fich aber nicht
eingelaffen, fondern in ihrer mortfargen Weije
nur genickt und gelädelt:-,Hm, hm!“
Der Poſtillon knallte mit der Peitſche, die
fremde Dame ftieg in die Poft ein, nahm noch
einmal die Lorgnette vor die Augen und mufterte
— 140 —
interejiiert da3 jhlihte Paar in feiner Bauern
tracht.
„Seltſam!“ ſagte ſie zu ihren Reiſegenoſſen:
„Wie die Wanderluſt doch ſelbſt die geringſten
Leute erfaßt! Jene beiden Waldmenſchen dort
ſind weit, weit gereiſt, ich denke mir, bis nach
Amerika, oder gar noch weiter, bis Auſtralien!
Aber das Heimweh! Ja, wenn das nicht wäre!
Sicher iſt's die Sehnſucht nach ihrem ſtillen Wald
geweſen, welche die beiden Wandervögel heim—
gezogen!“ Und die Umſitzenden ſtimmten dem
bei und es erhob ſich ein lebhaftes Geſpräch über
ſoziale Verhältniſſe, über die Unruhe und die Un—
zufriedenheit, welche bereits ihren Weg bis in
die fernſten Alpwälder findet.
Wendl und Cenzerl aber ſaßen Hand in Hand
vor ihrem Häuschen und lauſchten lächelnd auf
das Tannenrauſchen und das Lied der Vögel.
„Die armen Weltmenſchen!“ ſagte Wendl leiſe,
„ſie ahnen's gar nit, wie das Glück ausſchaut!
Wir aber wiſſen's, gelt mei Cenzerl?“
Das lehnte den Kopf an ſeine Schulter und
atmete fo leiſ' und friedlich wie im Traum.
— 141 —
Weit ab lag die Welt mit all ihrem Treiben, ,
Sagen und Drängen, mit ihrer Sünde und ihrem
Unfrieden, mit Lug, Trug, Haß und Teindichaft,
— hier droben im Wald aber äfte die Hirſchkuh
zutraulid an der Creszenz Gartenzaun und die
Vögel flogen nicht fcheu davon, und die Blumen
blühten unzertreten.
Hier droben raftete da3 flüchtige Glüd und
ließ fich Lächelnd nieder im meichen Moos.
Trommelwirbel.
Eine Herbitnacht war e3, Kalt und regnerifch.
Der Sturm pfiff un die Fenfter wie ein Klage—
lied, und die Negentropfen fielen fo ſchwer und
unaufhörlih, wie Tränen unendlichen Leids.
Dunkel und ftill lag die Straße der Heinen
Garnifon, nur in einem Giebelhaufe nahe am
Tor brannte ein Licht mattrötlic) durch die ver—
hängten Scheiben, und drinnen in dem dämmrigen
Bimmer feufzte ein bleiches, junges Weib in den
Kiffen.
Ihr Gatte neigte fich über ie, küßte fie zärt-
fih auf die Stirn unter dem zerwühlten Blond-
haar und flüfterte ermutigende Worte, und der
ftämmige Militärarzt nidte dazu, lachte im be—
haglihen Baß und fagte: „Nur Courage, meine
gnädige Frau! Bedenken Sie, daß unfer Kaiſer
ftramme Sungen3 für feinen blauen Rod ge—
— 14 —
braucht! Noch ein halbes Stündchen Geduld,
dann follen Sie mal fehen, was für ein famojer
Heiner Zufunftsleutnant Shnen in die Arme
zappelt!“ J
Die junge Frau lächelt unter Tränen, blickt
in das ſtrahlende Antlitz des Geliebten und duldet
tapfer weiter — und als aus dem halben Stünd—
den zwei endlos lange, qualvolle Stunden ge-
worden ſind, da hält der ſtolze Vater feinen Erft-
geborenen und jubelt mit gedämpfter Stimme:
„Gott im Himmel ſei Lob und Dank — ja, es
ift ein ftrammer Junge!” Kaum aber, daß der
Kleine zuerft die großen Augen auffchlägt — raffelt
und dröhnt e3 plößlich vor dem Fenfter, ein langer,
mächtig hallender Trommelmwirbel, — fo laut und
jäh, daß die junge Frau zuſammenſchrickt.
„Was bedeutet da3?” murmelt fie, ihr
Mann aber hat bereit3 feinen Knaben auf Die
Knie der Wärterin gelegt und Yaufcht betroffen
dem Signal, welches fernher durch die Nacht Klingt.
„Warm!“ ftößt er kurz hervor, küßt fein
Weib und ruft dem Arzt ein paar haftige Worte
zu. „Zum Rudud noch eins, das hat ſich der neue
- 15 —
Diviſionär ſchlecht ausgeſucht!“ — und er ftürmt
zur Tür, reißt draußen an der Klingel und gibt
dem Burfchen flüſternd ſeine Befehle. Und wieder
raſſelt die Trommel unter dem Fenſter, und der
Neugeborene weint in den Kiſſen.
Erſtaunt neigt ſich die Kinderfrau und ſtarrt
ihn an, winkt dem Arzt und flüſtert: „Nee, aber
ſo was! Nun ſehn Sie mal den Jungen an,
Herr Doktor! Er weint ſchon Tränen! Wirkliche,
große Tränen! So was iſt mir im ganzen Leben
noch nicht vorgekommen!“
„Hm... Das iſt jedenfalls ſelten! Der Spek—
takel drunten auf der Straße ſcheint dem jungen
Herrn nicht zu behagen!“ und er ſtreicht lächelnd
mit der Hand über das dumme Blondhärchen und
ſchilt: „Schäme dich, junger Mann, wie Tann ein
Soldatenjunge weinen, menn die Trommel Hingt!”
— — Wochen find vergangen, die junge Mut-
ter badet ihr Büblein felber und blidt ftrahlen-
den Auges auf den diden, rofigen Heinen Kerl
hernieder, welcher jo vergnüglich im Waffer plät-
ſchert und recht ein Bild lebensfriſcher Gefund-
heit und Kraft ift.
N. d. Efhfruth, Am Ende ber Welt. 10
— 146 —
„Sehen Sie nur an, Frau Schmehl, was er
für Ringelchen um Arme und Beinen hat!“ jagt
fie mit glüdjeligem Lachen zu der alten Kinder—
frau, welche da3 Badelafen gegen den Ofen hält:
„Und dieſes Brüfthen! So gewölbt und breit!
und die drallen Fäufthen! Der wird mal ein
tüchtiger Grenadier werden, ein fchneidiger Sol-
dat, der in des Königs Rod fein Glück macht!“
Die Alte antwortet nicht allfogleich.
Sie macht ein gar wunderliches Geficht, tritt
neben die junge Mutter und jagt mit beinah
düfterem Klang in der Stimme:
„Darf ich der gnädigen Grau wohl noch einen
guten Nat geben?’
„Das verfteht fich, Liebe Schmehl! Iſt Bubi
ſchon zu lange im Waffer ?”
Die Genannte fhüttelt den Kopf, blidt aber
ernithaft auf das Kind nieder und jagt: „Laſſen
Sie den Zungen nie Soldat werden, — da3 bringt
ihm fein Glück!“
„Aber Frau Schmeht!!”
„3% ſag's, gnädige Frau, — und ich be-
ſchwör's!“
— 147 —
„Uber um alles auf der Welt, wie fommen
Sie auf fol ungeheuerlihe Idee? Vater —
Großvater — Urgroßvater ... alle find fie Sol-
dat geweſen, und der Prachtjunge hier follte fahnen⸗
flüchtig werden? Undenkbar!“
„Ich wiederhole e3, gnädige Frau! Wenn
Sie das Kind mal glüdlich fehen wollen, laſſen
Sie's nie unters Militär!”
Es Liegt etwas fo Wunderliches, Unheimliches
in der Stimme der Alten, daß die Frau Haupt-
mann ganz ängftlich wird.
„Uber jagen Sie, um alles in der Welt,
warum?!” fragte fie dringlicher.
Frau Schmehl fchlägt das Badetuch um das
entrüftet jchreiende Knäblein, legt ihn mit energi-
ichen Händen auf den Wideltifh und reibt ihn
troden. „Das will ih Shnen wohl ſagen!“ fährt
fie mit Grabesſtimme fort. „MS der Heine Bubi
geboren wurde — Gie entjinnen ſich's wohl! —
da gab e3 juft Alarm, und als der Trommelmwirbel
unter dem Fenfter erflang, da meinte der Bub
dide, richtige Tränen! Was aber der neugeborene
Mensch zuerft in der Welt mit Tränen begrüßt,
10*
— 148 —
das bringt ihm zeitlebens Unglüd. Dem Bubi
bringen’3 die Trommeln! Es iſt an fih ſchon
eine große Geltenheit, wenn ein feines Rind
Tränen weint — und nun gar in der erften
Lebensſtunde! — Das will viel befagen, und wenn
Sie den Rudi mal unter die Soldaten geben,
werden Sie's erleben, warum ihm die Trommeln
da3 Glück zerreißen!”
„Uber, Liebe Schmehl! Gold ein Aber-
glauben !!“
„Aberglauben? Na, die gnädige Frau wer—
den fchon an mich denken! Und num nehmen Gie,
« bitte, den Buttel aus. dem heißen Waffer, ich denfe,
unfer Küken ſchläft heut ſchon bei der erften Flafche
ein!’ —
Etliche Jahre waren vergangen, der Haupt-
mann ward al3 Major in eine andere Stadt ver-
fest und wohnte weit vor dem Tore draußen, wo
man felten, faft nie etwa3 bon dem militärifchen
Getreibe merfte.
Der Heine Rudi war ein Schuljiunge geworden
und nah ihm Hatten noch zwei Brüder und eine
— 149 —
Schwefter in der Wiege gelegen, von Frau Schmehl
mit viel Sorgfalt, aber ohne fo viel Sorge ge-
pflegt wie einft der Erjtgeborene. Audi war und
blieb ihr Angſtkind, welches fie ftet3 voll be»
fonderen Intereſſes im Auge behielt, was fie
veranlaßte, manch geheimnisvoll mahnenden Blick
mit der Mutter zu mwechfeln, wenn der Kleine,
ganz entgegen all feinen Altersgenoſſen, Feinerlei
Freude am Soldatjpielen zeigte.
Ein Kleines Gewehr, welches ihm ber Vater
einſt am Weihnachtsabend aufgebaut, nahm er
wohl hie und da zur Hand, eine Trommel jedoch,
welche daneben ftand, rührte er faum an und
überließ fie ohne Widerftand den jüngeren
Brüdern.
„Ich mag fie nicht!” antwortete er nur mit
einem erniten Blid aus den großen Kinderaugen:
„Sie geht fo laut, und das ift häßlich.“
Eines Tages klagte er über Kopfweh, er fühlte
fi) matt, ward in das Bett gelegt und fchlief ein.
„Denn er nur nicht Frank wird!” feufzte
bie Mutter.
Da rafjelte e3 plöglih Yaut auf unter dem
— FEIN
Fenſter. Ein Trommelwirbel, fharf und lang —
und dazwischen die ſchrillen Pfeifen der Militär-
muſik.
Audi ſchreckt entſezt empor aus dem Schlaf,
er umframpft mit fieberheißen Händchen den Arm
der Kinderfrau.
„Das iſt häßlich! Das tut mir weh im Kopf!”
klagt er mit veritörtem Blid.
„Run weiß ich, daß er ſchwer frank wird!”
fagte Frau Schmehl leife; „die Trommeln haben’3
nicht gelitten, daß er ſich geſund fchlief.“
Und er ward Frank, zum Sterben franf, und
al3 e3 endlich beifer ging, blidte Frau Schmehl
auch dem Major warnend in die Augen und fagte:
„Laſſen Sie ihn nit Soldat werden!”
Die Mutter war längit zu ihrer Anſicht be—
Tehrt, aber der Major fagte auch jest noch halb
unmillig, halb nachgiebig: „Wenn ich am Leben
bleibe und e3 bezahlen Tann, mag er meinethalben
ftudieren, ihr Frauen feid ja ganz verrückt mit
euerm törichten Aberglauben!“
Und abermal3 vergingen ein paar Sabre,
da brachten fie den Vater vom Exerzierplatz heim,
— 151 —
al3 ftillen Mann, dem ein Blibfchlag vorzeitig das
Leben geendet.
Da war e3, al3 fei die Sonne des Glücks
für ewige Seiten hinter den bunfeln Trauer—
fchleiern untergegangen, und al3 die Leichenparade
por dem Haufe Aufitellung genommen, als das
laute Kommando, das dumpfe Geräuſch der prä-
Tentierten Waffen vor dem Sarge erflang, da ftand
Nudi und ftarrte mit weit offenen Augen das
unbefannte Schaufpiel an.
Noch hatte e3 fein Kinderherz kaum begriffen,
was diefe Stunde ihm nahm, al3 aber die Trom-
meln leife und gedämpft einjegten, al3 ihr felt-
famer Klang ihm durch Marf und Bein ging, da
kam es plöglich über ihn mie ein großes, unau3-
fprechliches Weh, da ſchluchzte er laut auf, ba
ftredte er in jäher Angft die Arme nach dem Sarge
aus, al3 wolle er ein fernes, traumhaftes Glück
fefthalten, welches rettung3los für ihn mit Diefem
Sarg in dunfle Grabestiefen fant.
Und wieder ſchlich die Zeit mit bleifchweren
Flügeln dahin, und in dem Haus der Witwe
fauerte ein graues, hohläugiges Weib auf der
— 12 —
Schwelle, da3 hieß die Sorge. Not und Entbehrung
gab e3, wo fo viele Finder und jo wenig Mittel
waren, und der VBormund mar ein ftrenger Herr,
welcher nicht auf einer alten Kindermuhme aber-
gläubifche Prophezeiungen hörte.
„Die Sungen müffen in das Korps! — Rudi
fchon jest, die anderen ein und zwei Jahre fpäter!
Weibererziehung taugt da nichts, und je eher ein
Knabe den militärischen Drill befommt, deſto bej-
fer iſt's für feine Zukunft!”
„Es ift ein fo inniger Wunfch von mir, Audi
ftudieren zu laſſen!“ ſeufzte die blaffe Frau mit
flehendem Blick, „er hat fo wenig Paſſion für den
bunten Rod... und lernt jo vorzüglich ...“
Der Bormund fchaute die Sprecherin groß an.
„Ja, da3 wäre ja fehr jchön, meine gnädigfte
Stau, aber jtudieren Toftet Geld — und wo wir
da3 hernehmen follen, weiß ich nicht! Keine Paf-
fion, fagen Sie? Welch eine Idee! Ein Soldaten»
junge feine Paſſion fürs Militär? So etwas
gibt’3 gar nicht! Die wird fich im Korps bald ein»
ftellen! Und außerdem — Sie müffen fich felber
fagen, daß una feine Wahl bleibt!‘
— 13 —
Nein, e3 blieb Feine Wahl, — da3 fahen fie
alle ein, und Audi, der verjtändige, brave Sohn
wußte e3 am beiten, — es mußte fein.
So ſchied er von daheim und fämpfte tapfer
die Tränen herunter, der armen Mutter da3 Herz
nicht noch ſchwerer zu machen.
Juſt zogen die Soldaten wieder zur Feld-
dienftübung mit Trommeln und Pfeifen hinaus,
wie damals, al3 er fo ſchwer erkrankte, — ſonſt
famen fie niemals dieſes Wege2.
Da fchlugen ihm die Trommeln abermals
tie ſchwere, Heine Hämmerden auf das Herz,
al3 mwollten fie die Tür des feligen Kinderpara-
Diefeg für immer zufchließen und vernageln
hinter ihm.
Und fie Hatten recht, die Trommeln, — bie
ſchönſte, glüdlichfte Zeit feines Lebens war vor-
über, die frohe Kindheit am Herzen der Mutter,
das Subeln und Spielen, da3 Lernen und Schaf
fen im Vaterhau2.
Nun kam da3 Leben voll unerbittlicher Härte,
und fchnitt der Trommelmirbel auf dem Hof des
Kadettenforps jo manch fehönen, goldnen Faden
— 154 —
duch, nun übertönte er voll rauher Strenge fo
mand holden Traum, welcher feinen Zauber um
den Stillen, geduldigen Knaben fpanı.
Wohl hatte er fich nie in der Anftalt gefühlt,
und wenn er ſich auch mit der Beit an den Klang
der Trommeln, welche ihm feit jeher „jo häßlich“
in den Ohren gelungen, gemöhnte, wenn er dur)
eifernen Fleiß zu erſetzen juchte, was ihm an
Eifer und Paſſion fehlte, e3 blieb doch nur ein
faure3 und freudlofes Dafein, ein Dornenreis, wel⸗
ches Feine Roſen für ihn trug.
Auch diefe Zeit ging dahin, und aus den
fleißigen Kadett ward ein pflichtgetreuer, ftreb-
famer Offizier, welcher nur um eines einzigen
Biele3 willen arbeitete, ſeiner Mutter dereinft ein
Halt und eine Stüße zu fein.
Noch einmal fehien es, als ob durch all die
grauen Nebeljchleier, welche fein junges Leben um—
flort hatten, eine fieghaft, leuchtend helle Sonne
brechen mollte.
Sn der Heinen Garnifonftadt, welche das
Bataillon, dem er zugeteilt war, beherbergte, war
vor längeren Sahren ſchon eine Fabrif erbaut
— 15 —
worden, welche vortrefflich rentierte, mehr und
mehr vergrößert ward, bis fie bald zu einem der
größten und beitrenommierten Unternehmen des
Landes gehörte.
Der Beliger der Fabrik, ein Herr Doktor
Felſen, mar ein allgemein beliebter Mann, welcher
mit feiner noch jungen und lebenäluftigen Frau
eine3 der gaftfreiejten und opulenteften Häuſer
der Stadt ausmadte.
Das Offizierkorps verkehrte viel und gern
bei dem liebenswürdigen Paar und Audi gehörte
bald zu den befonderen Lieblingen der Hausfrau,
welche viel und gern mit ihm mufizierte und dem
erniten, gediegenen jungen Mann ihr aufrichtiges
Intereſſe ſchenkte.
Als er zum erſtenmal ihr Boudoir betreten,
ſtand er jählings ſtill vor einem lebensgroßen
Olbild und blickte überraſcht in das ſüße Kinder—
geſicht, welches ihm aus dem goldenen Rahmen
entgegenlachte.
„Iſt dies ein Genrebild, gnädige Frau?“
Frau Felſen lachte. „Was glauben Sie wohl,
—
was es alsdann vorſtellen ſolltze, Sert von
Kauendorf ?
Rudi ſchaute ſinnend auf das zierliche Figür⸗
Gen im weißen Episenfleid, welches da, von
Meiſterhand gemalt, vor ihm im ſchwellenden
Grafe lag, einen Roienfranz im mwallenden Gold»
Baar, Blumen in den Sändchen, Blütenzmweige über
fi$ an neigendem Gebüſch, von Blumen über-
fireut die Iuftigen Röckchen und Heinen Füge, —
von Echmetterlingen umgaufelt, ein lachendez,
glückliches Eljenfind, deſſen zwitſcherndes Stimm—
chen man zu hören vermeint, wenn man den
kleinen Kirſchenmund anſieht. —
„Es iſt der verkörperte Frühling!” antwor—
tete Rudi ſinnend: „nur er allein kann ſo wonnig
ſein wie dieſes Kind!“
„Ich danke für das Kompliment und werde
es Geſa lieber nicht übermitteln, auf daß ſie nicht
eitel werde! — Ahnten Sie es wirklich nicht,
daß dieſes Frühlingskind meine Tochter, unſere
Einzigſte iſt?“ —
„Ihre Tochter! Wie müſſen Sie glücklich ſein,
anädige Frau!” ſagte er ſchlicht und ſeine ernſten
— 157 —
Augen befamen einen meiden Glanz: „warum
babe ich die Kleine noch nie im Haufe hier ge-
fehen 7
„Weil die ‚Kleine‘ fchon recht groß geworden
ift und in eine Benfion gejchidt werden mußte!”
lachte die ftolze Mama noch fchelmifcher wie zuvor:
„Wenn Sie Weihnachten hier geblieben mären,
hätten Sie Baby ficher kennen gelernt, aber im
Mai — wenn fie wiederfommt, follen Sie den
‚verförperten Frühling‘ mit — Augen ſchaun!“
„Sit fie noch fo ſchön wie auf diefem Bild?’
fragte er beinah naiv.
„Das entzieht fich meiner Beurteilung!”
„Kann man fie noch auf dem Arm tragen?”
„Sie find ein Spötter, lieber Nauendorf.
Tennis können Sie mit ihr Spielen!“
Sein Blick ftreifte wie zmeifelnd Die jo fehr
jugendlihe Mama, er antwortete nicht, fondern
trat an das Klavier und fah die Geigennoten
durch, melde fie ihm mit graziöfen Händen
hinſchob. |
Der Mai Fam, ein munderholder Mai mit
Blüten und Nachtigallen, filbernem Mondichein
— 158 —
und fräufelnden Flußmwellen, er fam mie ein Rönig
voll verſchwenderiſcher Pracht und brachte zwischen
all den Roſen und Veilchen das reizendite mit,
was ein Menjchenauge fehen konnte: Geſa! —
Da lachte fie ihm mit rofigen Wangen ent»
gegen wie ehemals auf dem Bilde, nur waren die
wehenden meißen Spibenrödchen länger und die
Haren Kinderaugen inniger und finniger gewor—
den. Geſa!
Er empfand etwas bei ihrem Anblid wie an-
bächtige3 Entzücden, wie da3 fromme Gefühl eines
Menſchen, welcher zum erftenmal auf einem Berge
fteht und hinab in eine fremde, zauberfhöne Wun—
dermwelt blict, durch welche noch rein und lauter
Gottes Ddem weht. — Sie waren bald gute
Freunde, da3 übermütig heitere Backfiſchchen und
ber fo ernit blidende Offizier, und grade meil
fie fo gar verfchieden waren, famen fie fo gut
miteinander aus.
Ihr filberhelles Lachen Hang fo gut zu feiner
ruhigen Art, und während feine erſt fo ſchwer—
mütige Stimme von Tag zu Tag heiterer tönte,
ward die ihre leifer und weicher, und diemweil ihre
— 159 —
Lebhaftigkeit ihn anftedte, daß er das Scherzen
und Plaudern Iernte, legte fie mehr und mehr
die Schmetterlingöflügel ab und ward ein gar
bolde3, finniges junges Weib an feiner ©eite.
Anfänglich hatte er fie noch mie ein Find
behandelt, fpielte Tennis und Krocket mit ihr,
warf ihr die bunten Reifen und den Tederball zu,
und als ihr Geburtstag war, der fünfzehnte, den
fie feierte,. brachte er ihr einen Pompadour voll
Bonbons und wünjchte ihr, daß fie Michaelis die
befte Zenſur befommen möchte. .
Nachmittags, al3 die Freundinnen Tamen,
nahm ihn Gefa fchmeichelnd an der Hand, 309
ihn hinaus in den Garten und bat mit reizenden
Grübchen in den Wangen: „Nicht wahr, Sie alter
Onfel jpielen noch einmal ‚öckchen fehiele nicht‘
mit und, e3 fehlt nämlich eine Perſon!“
Er war alles zufrieden, ftellte fich neben ihr
auf und ftürmte hinaus auf den weichen Rafen,
al3 das „Böckchen“ in die Hände Flatjchte.
„Bir müſſen und wieder zufammen finden!
Daß Trude Sie um Gottes willen nicht einfängt!‘
hatte fie ihm noch voll alferliebfter Wichtigkeit
— 160 —
augeflüftert, und dann flog fie nach der anderen
Seite davon!
Trude machte ihnen das Wiederfinden herzlich
fauer, hin und her jagten fie durch die blühenden
Gebüfche, und al3 fie fich nach großem Umweg
weit hinten an dem Goldfifchteich endlich entgegen«
famen, da jubelte fie hell und triumphierend auf
und braufte ihm in die Arme wie eine junge
Windsbraut.
Er fing fie unwillfürlih auf und hielt ihr
ſchlankes KRörperchen an feiner Bruft, — das war
fo weich, fo warm und duftig und gar nicht fo
kindlich Hein, wie er immer gedacht, ihr Kopf
mit den zerzauften Goldhaaren ruhte an feiner
Schulter.
Sie kam fo wild daher gelaufen, daß er fie
faſt an fich drüden mußte, um fie zu halten,
und fie fah mit glühendem Gefichtchen zu ihm
auf — und ihre rojigen Lippen lachten nah —
ganz nah den feinen...
Da ward e3 ihm plößlich fo heiß um das
Herz, fo munderlich heiß, wohl und meh zu gleicher
Beit, über ihnen in dem Blütenbaum zwiticherte .
— 161 —
ganz leiſe ein Vöglein und ftreute weiße Blumen-
floden auf fie nieder. —
Tief fahen fie einander in die Augen —
anders, ganz ander plößlich wie fonit... und
dann 'erglühte Geſa noch tiefer, ihre Händchen
erzitterten leife in den jeinen, fie riß ſich los
und entflob, mehr vor ihm wie vor Trude...
Seit diefer Stunde war etwas Neues, Ge—
heimnisvolles zwifchen fie getreten, eine Lichte
Trauengeftalt, rofenbefränzt und weiß verjchleiert,
melche fie nicht fannten, von der fie nicht mußten,
daß e3 die Liebe war. —
Dann fchieden fie bald. — Gefa reifte ab,
„zum lestenmal nach der Penfion zurüd!” wie
fie mit leuchtenden Augen verjicherte.
Rudi fagte ihr Lebewohl, er nannte fie aber
nicht mehr „Fräulein Geſachen“, wie bisher, fon=-
dern „mein gnädiges Fräulein” — und er brachte
ihr aud) feine Bonbons al3 „Reife... Let... türe”
wie fonft, fondern einen Strauß herrlicher roter-
Roſen.
Sie blickte unter den langen Wimpern her—
vor zu ihm auf, verwirrt und Hold verlegen ...
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 11
— 12 —
lächelte wie im Traum und ward noch röter tie
die Blumen in ihrer Hand.
Wie lang ward ihm diesmal die Zeit, bi3
fie wiederfam, — mie freudlos und öde war die
Welt plöglich geworden, feit fie gegangen! Dft
ftand er noch tief in Gedanken verloren an jener
Stelle im Park, wo ſie ihm damals wie ein wildes
Vöglein an die Bruft geflattert mar! Der Herbit
ftreute fein melfes Zaub über den Rafen, die erften
Flocken hüllten ihn ein... und al3 die Weih-
nachtsglocken läuteten, fehrte fie zurüd.
Zum erftenmal reifte er während dieſes Feſtes
nicht Heim, — er war Bataillonsadjutant gemor-
den und hatte viel zu tun, da3 war der Grund
dafür.
So ſagte er auch zu Geſa, — die nickte lächelnd
und ſah aus, als ob ſie es wahrlich glaube.
Doktor Felſen gab einen Hausball und Geſa
durfte zum erſtenmal mittanzen.
„Sind Sie ſchlechter Laune, Nauendorf?
warum machen Sie ein böſes Geſicht?“ lachte ihm
die junge Ballmutter zu.
Er fuhr aus tiefen Gedanken auf, — er hatte
— 18 —
e3 juft beobachtet, wie die wonnige Seine von
einem Arm in den anderen flog.
„Ihr Fräulein Tochter tanzt zu viel, gnädige
Frau!” fagte er ftatt aller Antwort, „das wird
ihr ſchaden!“
„Ei, fo verbieten Sie e3 ihr! dem guten alten
‚Onkel‘ gehorcht fie vielleicht mehr wie mir!“
Er ging auch wirklich hin.
Shre Augen leuchten ihm entgegen: „Wie
gut, daß Sie fommen!.diefer Walzer ift jo beion-
der3 ſchön!“
„Sie haben ſchon fo viel getanzt, Fräulein
Geſa!“
„Nicht mit Ihnen!“ —
Da legt er ſeinen Arm um ſie und hält ſie
an der Bruſt, wie damals im Garten.
Und ihre Blicke treffen ſich wieder ... und
fie ſagen einander fo vie. — —
Es ift Frühling geworden, Frühling auf der
Erde und Frühling in den Herzen.
Rudi ift nicht mehr fo Häufig zu Gaft in
der Billa Felſen, wie fonft.
Blaß und ſchweigſam geht er feines Weges
11*
— 164 —
und der Major hat ihn ſchon wiederholt gefragt:
„Sind Sie franf, Nauendorf? Gie haben fi
überarbeitet! Sie fehen ſchlecht aus.“ .
Nein, er hat fich nicht überarbeitet, er hat
nur Tag und Nacht feine Ruhe mehr, er finnt
und grübelt: „warum iſt Geja fo jung, fo fchön,
fo reih? und warum bin ich jo arm — fo arm
gegen fie?” —
Der Kompagnon des Doktor Felfen ift aus
dem Ausland zurüdgefehrt, nicht mehr ganz jung,
aber geiftreich, elegant und reich... . jehr reich...
fo reich wie Geſa ſelbſt — und er küßt ihr die
fleinen Hände und macht fein Geheimnis aus
feinen Abfichten. — Wenn man aber fehen muß,
ie ein anderer die Roſe pflüct, für welche man
fein Herzblut geben möchte — dann wird man
zu Tode traurig, — Trank und bleich ...
Die Wochen ziehen träge hin, die Sulifonne
glüht ins Land.
Da fteigen Schwarze Wetterwolken im Weiten
auf, der galliihe Hahn fpreizt zornmutig Die
Tlügel, und fein geller Kampfſchrei klingt über
den Rhein.
— 15 —
Krieg! Der Krieg ift erklärt!
Frau Felſen ſchickt zu Nauendorf, fie läßt
ihn bitten, jede freie Stunde noch in ihrem Hauſe
zu verleben. —
Wie wenig ſind es deren noch! —
Nur flüchtig kann Rudi das Mittageſſen bei
ihnen nehmen.
Gefa blickt ihn aus ftarren, in Tränen glän—
zenden Augen an, — ihre Talte Feine Hand liegt
ſchwer in der feinen... 2
„Warum find Sie in Tebter Zeit fo menig
zu uns gekommen?“ — fragt fie leife.
Was foll er antworten darauf? Ringsum
gibt es Augen und Ohren.
Das Geſpräch dreht fih um den Krieg —
man erwägt mit ernfter Sorge alle Möglichkeiten.
Frau Doktor Felfen ift nervös, fie blickt voll for»
gender Unruhe auf ihr bleiches Kind, — auf den
ernften jungen Freund an ihrer ©eite...
Die Ordonnanzen fommen und gehen... es
iſt ein ungemütliches, oft geftörtes Mahl...
Ichließlich kurz abgebrochen, weil Rudi wieder nach
dem Bureau ftürmen muß.
— 16 —
Als er Geſa die Hand reiht, fieht fie ihr
flehend an.
„Ich muß Sie no einmal einen Augenblid
allein ſprechen . . möchte Shnen etwas geben...“
flüftert fie: „morgen früh — den ganzen Bor-
mittag bin ih im Garten ...“
„Wir rüden fehr früh fon aus... .“ mur-
melt er.
„Sleichviel — wenn Sie fommen ... . fagen
Sie mir noch ein Lebewohl!“ —
Wie fie ihn anfieht.... . wie ihre Hand die
feine mit bebendem Drud umframpft ... fein
Herz ſchlägt wild auf.
„Ich komme, Fräulein Geſa!“ nidt er mit
halb erftidter Stimme, dann reißt er ſich los und
ſtürmt davon, feinen Dienſt zu verfehen. —
Ein lachender, leuchtender Sommermorgen!
die Blumen gligern im Frühtau, goldene Richter
fpielen auf den famtweichen Rafenflächen und die
Waller des GSpringbrunnens glühen in allen
Varben des Negenbogen?.
Da ftürmt ein junger Offizier in feldmarfch-
mäßiger Ausrüftung über den gelben Sandweg,
— 167 —
an den Gebüfchen vorüber, zu jener Stelle am
Teich, wo er die Geliebte damal3 in den Armen
aufgefangen, dort fucht fie fein Herz, und dort
erwartet fie ihn aud).
Wie bla fie ift, wie umfchattet die tränen-
feuchten Augen.
„D daß Sie kommen!“ haut fie, „daß ich
Sie noch einmal jehen kann ...“
„Sie befahlen e3, Fräulein Gefa... und...
ih kam fo gern... fo unbefchreiblick gern!”
Geine Stimme bebt wie feine Hand, welche die
ihre umjchließt.
„Sch würde Shnen fo gern einen Talisman
mitgeben, Herr von Nauendorf —“ fährt fie auf
geregt fort: „aber ich weiß feinen bejjeren, wie
mein Gebet, welches Sie auf Schritt und Tritt
geleiten, welches für Shr Leben und um Ihre
Heimfehr flehen foll! — Und hier... nehmen
Sie died noch mit, fall3 Sie einen Platz dafür
wiffen ...“
Laut auffchluchzend fchlägt fie Die Hände vor
das Antliß, er aber reißt die Papierhülle von
dem Kleinen Gegenstand, welchen fie ihm gereicht.
— 168 —
Wie ein Zubeljchrei Klingt e3 von feinen Lippen:
— „Ihr Bill’ —
Und dann faßt er ihre Hände und ftarrt ihr
voll übermäcdhtiger Empfindung in das füße, tod-
traurige Geficht.
„Geſa!“ —
Zwei weiche Arme umfchlingen ihn, — ihre
zitternde ‚Geftalt ruht an feiner Bruft.
„Rudi, bleib bei mir — id fterbe, wenn
du gehſt!“
„Geſa — haft bu mich Lieb, — wahrlich mich?
— mid?!" —
Da lächelt fie unter Tränen zu ihm auf:
„Daß du noch fragen kannſt! O Herrgott des
Himmel3 — was wäre mir da3 Leben noch ohne
dich!”
Die rotgoldenen Sonnenlichter wogen vor
feinen Augen, wie beraufcht von dem Übermaß
der Glückſeligkeit preßt er fie am fich und küßt
ihre Xippen, wieder und wieder — als müßte er
diefe Minuten fefthalten, als müßte er alle Selig-
feit der Liebe in einem einzigen Zuge fchlürfen!
„Geſa — bete für unfer — Glück!“
— 169 —
„Sa, für did — für mid — für unfer
Glück! Du wirft heimfehren, du wirft mich wieder
im Arm halten al3 Braut...”
„Als Weib! — Für Zeit und Emigfeit! Be—
halte mich lieb, Geſa — und küſſe mi — küſſe
mich zum Lebewohl!“
Wie brennen ihre Lippen auf den feinen! Wie
mweit Hinter ihm Tiegt alles Weh und Xeid, die
Welt voll Kriegslärm und Kampfruf... Ber
offene Himmel ftrahlt über feinem Haupt. —
Da rafjfelt und dröhnt e3 laut auf! Wie
ein ſchriller Mißklang zerreißt der Trommelmirbel,
welcher von der Straße herübertönt fein morgen-
ſchönes Glück!
Noch nie ſchnitt er ihm ſo in Herz und
Seele wie in dieſem Augenblick, wo er ihn zu
langem, bangem Scheiden vom Herzen der Lieb—
ften reißt!
Da3 Bataillon zieht vorüber zum Bahnhof. —
„Leb wohl, Geſa, — leb wohl!“
Noch einen Ruß, noch einen Blick Herzzer-
reißenden Weh's aus ihren Augen... dann
muß er hinweg. Und die Trommeln wirbeln und
— 10 —
toſen ... Die Trommeln übertönen den lebten
Gruß. —
Die Kanonen brüllen aus ehernem Rachen
von den Höhen herab.
Pulverdampf verhüllt das Schlachtfeld, — wie
rafende Gebilde des Fiebers jagen die Kavallerie»
regimenter in den Morgennebel hinein.
Dunkle Mafjen fchieben ſich von allen ©eiten
vor, Granaten zifchen durch die Luft und plagen
mit dumpfem Knall — die Erde, der Rauch wirbelt
auf, Roſſe bäumen und die dunfle Maffe der
Regimenter verjchiebt ſich momentan, — dann
ein erneutes „Hurra!“ au3 rauhen Kehlen, ein
fprungweifes VBorwärtsgehen — Signale und das
Gefnatter der Salven ... 8
An dem Regiment vorüber fprengt ein Offi-
zier und biegt feitlich in die Ebene ab, neue Befehle
von der Brigade zu holen. —
Eine kurze Strede jagt er querfeldein...
Da pfeift und zijcht e8 über ihm... . das Geſchoß
krepiert ... in blutigem Knäul ftürzen Noß und
Reiter zufammen.
— 11 —
Audi. —
Ein einziger leifer Auffchrei bricht von feinen
Lippen —: „Geſa!“ —
Und dann wird e3 dunkel vor feinen Bliden,
er ftrebt empor und ringt nach) Luft. ;«
— Geſa! —
Wilder brauft der Lärm der Schlacht zu ihm
herüber — lauter und lauter ftürmt e3 heran... .
und da... horch da rafjelt und dröhnt e3 plöb-
ih nah — ganz nah an feiner Seite ...
Trommelwirbel! — Die Tamboure Schlagen zum
Sturm... wie das lärmt und wirbelt ... wie
das all feine Sinne betäubt.. ;.
„Hurra! — Hurra!” —
Und wieder die Trommeln... ; die Trom—
meln...
Ein leifes Röcheln und Zuden . : . fein Blick
umflort ſich und ftarrt gläfern in3 leere... . Blut
fiert in da3 zerftampfte Gras ...
Trommelwirbel . :. da3 erfte, was er mit
Tränen auf der Welt begrüßt... . da3 lebte, mas
er mit brechendem Herzen vernimmt ...
Trommelwirbel! —
Der Diterhafe.
Es flug fieben Uhr. Tony fuhr erfchredt
aus den Kifien empor und riß die großen, veilchen-
blauen Augen verichlafen auf.
Sieben Uhr! Du liebe Zeit! Da mußte fie
ja ſchon angezogen und friſiert ſein, wenn ſie nicht
zu ſpät in die Muſikſchule kommen wollte! —
und gerade, als ſie haſtig nach den Kleidern greifen
will, zieht plötzlich ein ſtrahlendes Lächeln über
ihr Geſichtchen und ein erleichtertes Aufatmen hebt
die junge Bruſt.
„Es iſt ja Feſtſonnabend! Es iſt ja der Tag
vor Oſtern und die Ferien haben begonnen!“
Tony wirft glückſelig den blonden Zopf über
die Schulter und dehnt behaglich die Arme.
Wie fchön ift es, morgen3 noch ein wenig
auszuruhen und über den Traum nachzudenken.
Ihr Traum! Sie lachte leiſe auf; wie war
— 114 —
der juft heute fo pudelnärriſch! — Stand vor ihr
auf dem Tifche ein allerliebfter Ofterhafe, der trug
einen Korb auf dem Rüden, welcher mit lauter
blanfen Goldftüden angefüllt war. Und er ver-
neigte fich fehr Höflich, fchüttete den Korb vor
ihr aus, daß die funfelnden Dulaten über die ge—
ftidte Dede rollten, und fagte: „Fröhliche Oftern,
Fräulein Tonerl! Sch bringe Ihnen das Glück!”
Und als fie ganz überrafcht den feltfam fprechen-
den Hafen anftarrt, da verwandelt er fih in
einen bildhübfchen jungen Mann, der ftreicht
mit feſchem Lächeln das dunkle Bärtchen, neigt fich
und gibt ihr einen regelrechten Ruß. Sie fchreit
auf und wehrt ihn ab... Kling... Ming...
kling ... fallen die Goldftüde auf die Erde...
und fie erwacht.
Das „Kling... kling“ aber tft die Uhr,
welche juft fieben fchlägt.
Solh ein Traum! Was mag der wohl be-
deuten? So viel, viel Geld! — Es glitert und
flimmert noch immer vor den Augen de3 jungen
Mädchens. Ob da3 ein Winf des Schidfals ift,
daß fie heute ein Los nehmen foll?
— 15 —
Gerade geftern, als fie die fchön geſtickten
Paradehandtücher in dem Weißwarengeſchäft ab-
geliefert und bezahlt befommen hat, ift die Summe
vollzählig geworden, welche jie zum Ankauf eines
Loſes gebraucht!
Ach, ein Los nehmen! Ein bißchen Geld ge-
winnen, damit ihr trübjelige3 Dafein etwas freu-
diger und fonniger würde, damit fie nicht hin—
aus in die große, unheimliche, fremde Welt braucht!
Ihr Bater ift ein armer Beamter, der gerade
nur das Nötigfte für feine große Familie ver-
dient, die Stiefmutter ift immer übellaunig und
unfreundlich, weil fie noch jung und lebensluſtig
it und fih doch nicht fo amüfieren kann, wie fie
wohl möchte — die vier Meinen Geſchwiſter wollen
verjorgt und erzogen fein und die große Stieftochter
Tony ift dabei recht im Wege.
; Sie ſoll fleißig ihre Ihöne Stimme üben und
dann fo Schnell wie möglich hinaus und ein En»
gagement annehmen al3 Sängerin beim Theater,
beim „Überbrettl“, gleichviel, da, wo fie am meiften
verdient und die Ihren bald ein wenig unter-
jtügen Tann!
— 16 —
Ach, welch furchtbarer Gedanke! Tony ſchau—
dert und blidt traurig nad) dem Tifche hinüber,
wo joeben im Traum noch die Golditüde blinkten.
Die Tür öffnete fi und die alte Lene tritt ein.
Die verfteht fih auf Träume!
Flugs richtet fich das junge Mädchen empor
und winkt fie geheimnisvoll heran, zieht die Alte
neben fich auf das Bett nieder und erzählt flü—
fternd von dem feltfamen Dfterhafen,. welcher ihr
erihienen. Aufmerffam hört Lene zu, nidt be-
dächtig vor fih Hin und fpridt: „Die Sache ift
ganz einfach, Toner! Wenn du heute einen Dfter-
haſen oder ein Stüd Geld gefchenft befommift, dann
bringt’3 Glüd, dann mußt du ein Los nehmen —
aber wohlverftanden: nur, wenn du's geſchenkt
befommft! Selber den Hafen faufen, nüßt gar
nichts — einzig und allein das Geſchenkte hat
Wert für folden Traum!”
Da jeufzte das junge Mädchen tief auf.
Wer jollte ihr wohl einen Ofterhafen — jult
ſolch einen Hafen mit fo viel Geld — fchenfen !
So ein arme3 Haſcherl wie fie befommt nichts
mehr geſchenkt — ſelbſt zum Dfterfefte nicht! —
— 17 —
Sn der großen, eleganten Konditorei, melche
an der Hauptpromenade der Reſidenz lag und fait.
ausschließlich von dem beiferen Publikum befucht
wurde, war e3 in den erften Vormittagsftunden
noch ftill und einfam, obwohl eine herrliche, reich»
haltige Ofteraugftellung in den großen Schaufen-
ftern die Blicke aller Paſſanten feifelte. Da ftanden
die Häschen, Lämmchen, Hühnchen und Neftchen
in allen nur erdenklichen Formen und Größen, da
Iodten die bunten, hochgetürmten Eier von Mar-
zipan, Schofolade und Zuder, und ein feiner junger
Herr, welcher juft recht behaglich und vergnügt
vorüber fchlenderte, blieb ftehen und ſchaute mit
luſtig bligenden Augen über all diefe füßen Herr-
lichkeiten hin.
Langſam ftieg er die beiden Steinftufen empor
und trat in den Laden, begrüßte da3 Fräulein
der Kaſſe mit ein paar heiteren Worten, wie ein
guter Bekannter, und beftellte fich feine Frühftüds-
fleiſchbrühe.
„Nun, Herr Doktor, ſchon ſo früh heute zur
Stelle?“ fragte die Verkäuferin, Taſſe und Paſtet—
chen auf eines der kleinen Marmortiſchchen nieder⸗
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. 12
— 118 —
ftelfend, und der junge Mann dehnte Tachend die
Arme und antwortete: „Djfterferien, Fräulein! Es
gab nicht mehr für mich auf der Redaktion zu
tun, da nahm ich den Hut vom Nagel und jagte
der lieben, alten Bude für ein paar Tage: „Behüt
Gott!”
„Und nım fchreiben Sie recht fleißig an dem
Luſtſpiel?“
Der Herr Doktor zog eine leichte Grimaſſe.
„Bei dem ſchönen Wetter ſtürzt ſich kein Menſch
voll ſelbſtmörderiſcher Abſicht in das Tintenfaß,
Fräulein! Nein, heute am Feſtſonnabend hat der
Menſch andere und beſſere Verpflichtungen, ſehen
Sie — hier!“ Und er griff in die Rocktaſche,
zog ein paar bunte Oſterpoſtkarten hervor und
zeigte ſchmunzelnd die luſtigen Haſenbilder darauf:
„Sch muß Oſtergrüße ſchreiben, recht eilig ſchrei—
ben . .. habe e3 total vergeſſen und werde mich
hier damit amüfieren, wenn Sie gütigft geſtatten!
Haben Sie nicht Tinte und Feder zur Hand?
Wäre Ihnen riefig dankbar! Wiſſen Sie, Fräu—
lein, e3 gibt Stimmungen, wo der Menſch irgend-
einen Ulk Ioslaffen muß, eine fo recht fidele
— 19 —
Terienftimmung, und die fißt mir heute im Naden
und ftiftet mich rettung3los zu irgendeinem Stu-
dentenftreich an! Mit den Karten hier geht’3 los!
Diefe Hafenfamilie mit den acht hoffnungsvollen
Sprößlingen und Drillingen im Wägelchen be—
fommt mein Freund Mar, welcher am zweiten
Ofterfeiertag heiraten will... . natürlich adreffiere
ich den Ofterfegen an die Wohnung der Braut...”
„ber Herr Doktor!“
Er lachte Hell auf. „Sie erlauben’3 nicht?
Na, auch gut! Nur erit mal Feder und Tinte!”
„Am beiten wäre es, Herr Doktor, Sie festen
fih hier an das Kaffenpult! Das Gitter davor
veritet Sie vor etwaigen Kunden... Sie fehen
alles und werden doch nicht gejehen und können
ganz ungeftört fchreiben !”
„Samos! Machen wir! Küſſe die Hand,
Fräuleinchen!“
Und Doktor Erich Helfen zog ſich mit ſeinen
Karten hinter das hohe Holzgitter zurück und be—
gann einen fehr ſtilvollen Vers unter die Hafen-
familie zu dichten.
Die Türklingel ertönte und zwei Damen
12*
— 80
traten in den Laden — eine hübſche, blühende
Frau in den beſten Jahren, und ein ſchlankes,
blondes, junges Mädchen — beide ſchienen mit
Freuden zu bemerken, daß ſie allein mit der Ver—
käuferin waren.
Sie wandten ſich der langen Tafel mit den
aufgeſtellten Attrapen und Eiern zu und Doktor
Helfen hob den Kopf ein klein wenig und lugte
neugierig durch das Gitter.
Potz Wetter, das war ja ſeine ſüße Kleine,
der er allmorgendlich mit der Muſikmappe am
Arm begegnet!
Jenes holde, ſchüchterne Kind, welches nie
die großen Veilchenaugen aufſchlägt, wenn er auch
noch ſo langſam und auffallend nahe neben ihr
herſchreitet und ſie anſtarrt!
Wie ſehr ſympathiſch iſt ihm dieſe reizende
Scheu und Zurückhaltung, wie ſehr wohltuend be—
rührt ſie ihn nach fo manch keckem und heraus—
forderndem Blick, welcher ihn aus ſchönen Augen
trifft!
Und juſt, wie er dies denkt, ſtößt die Kleine
einen leiſen Laut der Überrafhung aus und weiſt
— 1831 —
auf einen Oſterhaſen, welcher zwifchen ungezählten
Genoſſen auf der Iangen Tafel Parade fist und
ein Tragförbchen auf dem Rüden fchleppt, welches
bi3 an den Rand mit Gold- und Markſtücken an—
gefüllt ift!
„Mama! — fieh do... da ift er wirklich
und leibhaftig ..... mein Ofterhafe, von melchem
ich geträumt habe!“ —
Die Mama läßt ſich gerade, recht übelge—
launt, die hohen Preiſe der einzelnen Eierſorten
nennen, ſie zuckt ungeduldig die Schultern.
„Stör mich nicht! — Gibt es denn nicht
billigere Marzipans, Fräulein? Ja? Dann holen
Sie ſie doch mal heran!“
„Mamachen!“ flehte es leiſe neben ihr; „nur
den einen, einzigen Wunſch erfülle mir — ſchenk
mir dieſen Haſen!“
„Dieſen Haſen ſchenken? Du biſt wohl toll,
Tony! Als hätte ich das Geld zum Fenſter hinaus—
zuwerfen! So ein großes Trauenzimmer, wie du,
und will einen Ofterhafen haben! Lächerlich!”‘
„Mamaden... Ach, nur dies eine Mal...”
— 12 —
„Du weißt, daß die Finder neue Hüte und
Srühlingamäntel . . . daß ich ein Koſtüm ... du
einen Negenmantel und unzählige neue Noten
braucht! Wo foll e3 denn herfommen? Sch ver—
bitte mir jede unnötige Ausgabe! Wenn’ nicht
für die Kleinen ein paar Dftereier fein müßten,
faufte ich fie nie!”
„Ad, Mama... ich will gern auf den Man—
tel verzichten... nur den Hafen fauf mir...
e3 ift mein innigſter Wunſch!“
Die großen Augen füllen fi; mit Tränen,
die rofigen Lippen flehen geradezu inbrünftig
Aber die Mama macht ein bitterböfes Geficht
und dreht fi} furz um.
„Du ſcheinſt verrückt zu fein! Sch verbitte
mir folchen Unfug, verftanden ?”.
Das blonde Köpfchen ſinkt ſchwer auf bie
Bruft, ein leifer Seufzer zittert an Helfens Ohr
und gleichzeitig tritt daS Fräulein wieder herzu
und fagt: „E3 märe wohl am einfadjiten, die
gnädige Frau käme mit in das Nebenzimmer, da
find auch Konfitüren ausgeftellt, die billigen Sor—
ten ebenfalls!“ | Eu
— 13 —
"Und die Damen gehen in da3 Nebenzimmer.
Schnell wie der Gedanke, von niemand bemerkt,
bufcht der Doktor hinter der Kaffe hervor, nimmt
leife den Hut und eilt auf die Straße.
Mit übermütig blitenden Augen wartet er
hinter dem Schaufenfter, bi3 die Damen in den
Zaden zurüctreten und die Mama mit fauerfüßem
Geficht ihre DOftereier an der Kaffe bezahlt, dann
ſpringt er jchnell die Steinftufen empor, tritt haftig
und ganz wie von ungefähr ein und Schreitet ſchnur—
grade auf die Tafel mit den Dfterhafen zu. Er
greift denjenigen mit den Goldftüden aus der Mitte
heraus, wendet fich fchnell der jungen Dame zu und
drückt ihr mit fehr höflicher Verbeugung den füßen,
kleinen Gefell in die Hand. „Geſtatten Sie, mein
gnädiges Fräulein, daß ich Ihnen diefen Diter-
bafen — juſt diefen — zum Geſchenk made. Er
wird Ihnen das Glück ins Haus bringen!”
Tony fteht wie erftarrt und fieht erft den
Herrn und dann den Hafen an, dieweil heiße, Dunkle
Purpurglut ihr reizendes Gefichtchen dedt. Die
Mama aber reißt die Augen mweit auf und fragt
mit einem Gemiſch von Strenge und Staunen:
— 14 —
„Mein Herr... . ich kenne Sie nicht... . was foll
da3 bedeuten ?’
Da zieht Doktor Helfen abermals den Hut
und verbeugt fich fehr verbindlich vor der Fragerin.
„So it des Schickſals Auf an mid) ergangen,
Mich treibt nicht eitles, irdiſches Verlangen !
rezitiert er feierlich, Iegt fchnell ein Geldftüd auf
die Kaffe —: „Hier, mein Fräulein!” und ift im
nächſten NAugenblide wieder fchnell, wie ein Ge—
danke, hinter der Tür verfchwunden.
„Mama! ringt e3 fi von Tonys Lippen,
fie fteht und zittert wie Efpenlaub und zieht ihren
fo unbegreiflich geheimnisvoll und fchier ſpukhaft
gefchenkten Hafen an das hochklopfende Herz.
„Kennen Sie den Herrn, Fräulein ?” wendet
fih die Fran Nat, ein Hein wenig entrüftet ſchei—
rend, an die Verkäuferin, und dieſe verbeißt müh-
fam ihr Lachen und antwortet höflich: „Der Herr
war fchon etliche Male hier im Gejchäft. Sopiel
ich weiß, ift er ein junger Schriftfteller und Re»
dafteur an einer hiefigen Beitung!”
„ah... Schriftiteller ?’— Die Mama lächelte
ein wenig fpöttiich: „Bei folden Leuten darf man
— 15 —
fich allerdings über feine Ertravaganzen wundern,
Schriftitellern und Dichtern fieht man manches
nad, was man bei anderen Leuten verrüdt oder
unverihämt nennen würde. — Komm Tony.”
— Froſtig und kurz grüßt die Frau Rat, ihr
blondes Töchterchen aber folgt wie im Traume,
mit Augen, welche in beinahe märchenhaftem
Glanze ftrahlen und in welchen noch der ganze
füße Rinderglaube an Zeichen und Wunder
wohnt!
Sa, ein Wunder, ein liebes, unfaßliches
Wunder, welches fich fein Menfch erklären kann,
mar gejchehen, und fauın daß das junge Mädchen
zu Haufe angelangt ift, holt fie heimlich, mit zit-
ternden Händchen ihren jo mühſam erworbenen,
lang verborgenen Schab aus der Kommode hervor
und eilt unbemerkt davon, das langerjehnte Los
zu faufen. Daß diejes ihr Glück und Gewinn
bringen müßte, däuchte ihr jo gewiß, wie Früh—
Iing3blüten, welche doch, endlich kommen müffen,
wenn Eis und Schnee auch noch jo lange die Welt
in ſchwere Banden fchlugen.
Und als das Los in ihrer Hand liegt, da
— 16 —
fißt fie vor dem Dfterhäschen und ſtarrt e3 an,
mie eine Bijion.
Gerade — ganz gerade fo ſah auch dasjenige
in ihrem Traume aus ... und ald e3 fich plöß-
lich verwandelte in den jungen Herrn, welcher fo
fe und innig ihre Lippen küßte . . da — — —
Tony ſchlägt plößlich heißerglühend die Hände vor
das Geſicht ... da däuchte es ihr, er fah ebenfo
aus, wie jener Herr, welcher ihr den Hafen auf
ſolch rätjelhafte Weiſe ſchenkte.
Sie war zu erſchrocken geweſen, um ihn in
jenem Augenblick genau anzuſehen, aber das weiß
ſie gewiß, unter Tauſenden würde ſie ihn heraus
erkennen, wenn er jemals ihren Weg wieder
kreuzte! — — —
Das Oſterfeſt war vorüber, die ſchönen,
kurzen Ferien vorbei und Tony wanderte abermals
mit ihren Noten nach der Muſikſchule, als plöb-
Yih ein Schatten in den hellen Sonnenfchein de3
Weges fiel und eine recht frifche, Fröhliche Stimme
neben ihr fagte: „Verzeihen Sie, mein verehrte
Sräulein, wenn ich mir geftatte, nach dem Be-
finden des Ofterhafen zu fragen ?”
— 17 —
Das junge Mädchen fchraf aus tiefen Geban-
fen empor und fchaute, auf da3 höchſte verwirrt,
in das hübfche, geiftoolle Geficht jenes Unbekann—
ten, welches fie zuerft im Traum und dann in
jenem verhängnisvollen Augenblid in der Kondi—
torei gefchaut, und meil fie fich in Gedanken fo
viel mit diefem rätjelhaften Unbekannten beichäf-
tigt hatte, fam er ihr gar nicht mehr fremd
vor und ein leifer Treudenlaut zitterte über ihre
Rippen.
„D, Sie find e3, mein Herr! — endlich habe
ich Gelegenheit, Shnen für Shre große Liebens—
mwürdigfeit zu danfen — endlih kann ich Sie
fragen . . .” Sie zögerte und verftummte verlegen,
unter dem lachenden Blid feiner großen, bunfeln
Augen.
„Ihren freundlichen Dank la3 ich, bereits in
Ihrem ftrahlenden Blick, mein Fräulein. Ihre fehr
berechtigte Trage aber: ‚Wie wohl der fedite aller
Übeltäter heißen möge‘, die erwartete ich und er-
laube mir derſelben zuvorzukommen —“ er lüftete
abermal3 den Hut und verneigte fich fehr refpeft-
voll und galant: „Erich Helfen, Doktor der Philo-
— 18 —
fophie, Redakteur und Schriftſteller — viel auf
einmal und doch reicht e3 ſelbſt für die bejcheiden-
ften Anſprüche noch nicht aus!” — Sie ftimmte
unmillfürlich in fein fröhliches Lachen ein. „Nein
— fo indisfret wollte ich gar nicht fragen!” ſchüt—
telte fie mit heißer Glut auf den Wangen das
Köpfchen: „Nur wiffen möchte ich gern, was Gie
veranlaßte, mir — juft mir jenen... gerade
jenen Hafen zu ſchenken!“
Er zudte geheimnisvoll die Schultern:
„Schickſalswalten! Wiſſen Sie nicht, daß die klei—
nen Frühlingsgeifter durch die Luft fchwirren...
den Menjchen holde Träume vorgaufeln ...“
„Träume?! — Haben Sie etwa aud von
dem Dfterhafen geträumt?” — Atemlos vor
Spannung fah fie zu ihm auf, er aber ftrich ganz
ernfthaft das Bärtchen und meifterte den Schalt in
feinem Blick: „Ich träumte wenigften3 von dem
Glück, welches ſolch ein Heiner Burſche manchmal
ſtiften kann, und träumte, daß Fräulein Tony
Frankenberg und ich in Zukunft gute Freunde ſein
werden! Auf Wiederſehen, meine Gnädige, eben
ſchlägt es acht Uhr ... und Ihr geftrenger Lehr«
— 189 —
meifter darf nicht warten!” Er grüßte abermals
ſehr Höflich und trat zurüd, Tony aber ftieg wie
in Traume die Treppe der Muſikſchule empor.
Am nädjftfolgenden Tage trat er ihr aber»
mal3 unterwegs entgegen und reichte ihr mit ganz
befonder3 fprechendem Blid einen Veilchenſtrauß.
„Ein wenig Grünfutter für den Oſterhaſen!“
fcherzte er dabei und Tonys Lippen bebten zwar
vor Verlegenheit, aber fie wies da3 Sträußchen
doch nicht zurüd. “
Am anderen Tag regnete e3 und er hielt ganz
wie jelbitverftändlich feinen Schirm über fie und
begleitete fie abermal3 zu dem Konſervatorium,
und fie plauderten bereit3 wie alte Befannte,
und er beitellte viele Grüße an den Dfterhafen
daheim.
Nach den Veilchen befam der Kleine Gefell
einen Strauß Schneeglödchen — und dann Primeln
und gelbe Himmelfchlüffelhen und Maiblumen,
und die Frühlingsfonne ftieg immer ftrahlender am
Himmel empor, dad Wetter ward immer wonniger,
immer lenzesſchöner, und Erich Helfen martete
nicht mehr auf dem Hinweg feiner Heinen Freun—
— 1% —
bin, fondern er ftand unter den blühenden Ge—
büjchen der Anlagen, wenn fie von den Stunden
zurüdfam, und beide wanderten durch den lind
Buftigen Park, wo die Vögel zmwiticherten und bie
Blumen auf den Raſenflächen leuchteten.
Und fie ſprachen immer vertrauter, und ihre
Augen glänzten noch heller, wie all die Maien-
pracht ringsum, und die Herzen fchlugen Heiß
und ſehnſuchtsvoll in der Bruft, al3 wartefen fie
auf einen Lenz des Glüdes, welcher endlich, mie
ein lichter Dftertag, auch für fie anbrechen muß.
„Warum find Sie eigentlich fo fleißig, Fräu—
lein Tonerl?“ fragte er eines Tages nachdenklich,
„treiben und jtudieren Sie nur aus Rafjion
Muſik?“
Sie ſchüttelte ſeufzend das Köpfchen. „Ach
nein! Ich bereite mich für einen künftigen Beruf
vor! Meine Stimme ſoll ausgebildet werden, denn
meine Stiefmutter behauptet, als Sängerin könne
ich das meiſte Geld verdienen!“
„Als Sängerin?“ rief er ganz erſchrocken.
„Sie ſollen auf die Bühne? Welch ein Unſinn,
welch eine Torheit! Sie ſcheues, banges Kind auf
— 11 —
die Bühne? Das geht aber nicht! Das — dulde
ich nicht! — Das erlaube ih einfah nicht!”
Sie fchüttelte harmlos das Köpfchen: „Nein,
ich will es auch felber nicht! Sch würde ja vor
Angit fterben, wenn mich all die fremden Leute
anjehen würden! Schon Ronzertfängerin zu fein
iſt mir ein ganz ſchrecklicher Gedanke — —“
Er fuchtelte heftig mit feinem Stöckchen durch
die Luft. „Ei zum Kudud, warum werben Sie e3
dann? Gibt e3 nicht noch viele andere Beihäfti-
gungen für Damen? —“
Sie feufzte und fah fehr ängftlih in fein
erregtes Geficht. „Sch habe gar feine Talente...
und rechnen... . Ach, rechnen Tann ich jo gar
nicht !”
„3% kann's defto beſſer ... es würde bolf-
fommen für uns beide ausreichen!” murmelte er.
„Daß Sie rechnen können, nübt mir aber
nichts!“ ſchüttelte fie troftlog das Köpfchen.
Da faßte er plößlich ihre Feine, weiche Hand
und umjchloß fie mit bebendem Drud: „Sch wüßte
ſchon einen Beruf für Sie, liebe Tonerl!” rief er
ungeftüm: „Den beiten und fchöniten, den e3 gibt!
— 12 —
Meine Frau müffen Sie werden... Wenn..:
ja, wenn nur das infame Geld nicht märe! Aber
fo wie mein Luftfpiel angenommen ift und Erfolg
hat und jo wie ich erſt feit und ficher ala Redakteur
angeftellt bin und ein ſtändiges Einfommen habe
— dann hole ich dich weg aus deiner Muſikſchule,
Tonerl, und dann wirft du meine füße, liebe, Heine
Frau und wir heiraten auf der Gtelle... ja!
So wie ich nur erſt das nötige Geld habe! Tonerl,
fag, mwillft du mich dann ?"
Es mar ftill und einfam um die Mittagszeit
im Part, außer Vöglein und Blumen war niemand
zugegen, und fo jah e3 auch feiner, wie Erich Helfen
feinen holden Schatz in die Arme ſchloß und jie
ebenfo innig und zärtlich Füßte, wie jüngft im
Traum!
— u — — — —
Und wieder waren zwei Tage vergangen und
der Himmel glänzte noch blauer und feſtlicher, wie
zuvor, und alle Blüten, welche noch in der Knoſpe
geſteckt hatten, als Erich Helfen ſeine junge Braut
zum erſten Male küßte und ſich ihr angelobte für
— 13 —
alle Emigfeit troß einer noch fo langen Wartezeit,
die waren über Nacht aufgebrochen zu zauberholder
Schöne! Nun glikerten fie im Frühtau, als
müßten fie fich für den heutigen Tag ganz befon-
der3-bräutlich ſchmücken, und fie hoben die Köpf-
en, als fie den jungen Mann allein daherfom-
men fahen und in fein beforgtes Antlitz blicten.
Er Hatte vergeblich auf fein Tonerl gewartet
und viele bange Fragen durchfreuzten fein Hirn,
was wohl ihr Ausbleiben verjchuldet haben könne
— aber noch war er nicht bi3 zu der Mitte des
Parkweges gelangt, als "ein jehr eiliger, leichter
Schritt... . und fein leife gejubelter Name hinter
ihm erflang:
„Erich!“ —
Er ftürmt ihr entgegen, er blidt überrafcht
in ihr glühheißes Gefichtehen, welches ihn mie
trunfen vor Wonne und Glüdfeligfeit anlachte.
„Sri — lies! Lies!’ —
Gie drüdte ihm eine Gemwinnlifte voll großer,
Ichwarzgedrudter Bahlen in die Hand. — „Nr.
25788... Hier fiehft du... . den zweithöchſten
Gewinn... ad, fo viel, viel Geld, Erich!!”
N. v. Eſchſtruth, Am Ende der Welt. j 13
— 14 —
Er jchüttelte verjtändnislos ben Kopf. „Sch
babe fchon oft gefpielt, aber nie etiva3 gewonnen,
Schatz!“
„Aber ich habe gewonnen!“ ſtieß ſie atemlos
hervor. „Hier iſt mein Los ... Weißt du, das
Oſterhaſenlos ... Aber nein! Du weißt ja noch
gar nichts, du herzlieber Mann... Und nun muß
ich dir alles erzählen... Und dann ſagſt du mir,
wie wir e3 nun anfangen miüjjen, den großen,
ſchweren Sad voll Geld nach Haufe zu fchleppen !”
Auf der Bank unter den weißen Blüten»
zweigen faßen fie Hand in Hand und Tony er—
zählte von ihrem jeltfamen Dftertraum und von
dem noch viel ſeltſamer geſchenkten Dfterhafen,
und von dem Los, welches fie daraufhin genom—
men und das nun einen jo hohen Treffer getan!
Da lachten und jubelten fie beide um die Wette
und nannten Dfterhäschen ihren Glüdsbringer und
den herrlichjten Heinen Burfchen auf Gottes weiter
Welt!
Er foll auch für ewige Zeiten den Ehren-
plaß in ihrem Haufe behalten!
Die DOftergloden waren verklungen — als
— 15 —
aber die Pfingfintaien über Tür und Tor prang-
ten, da rüftete ein überglüdliches, junges Baar
Thon zur Hochzeit, und der Bräutigam überreichte
feiner Herzlieben das vollendete Luftfpiel, welches
bereit3 am Hoftheater zur Premiere angenommen
iſt. Daß er fo fleißig daran arbeitete und daß e3
fo fehr, jehr Yuftig wurde, verdankt auch er nur,
dem Dfterhafen !
13*
Oſterglocken.
Er richtete ſich ſchwerfällig auf und ftarrte
mit Ichlaftrunfenen Augen um fich her, — gähnte
ein, zweimal und jchüttelte die Stroß- und Heu-
halme aus dem vermwilderten Haar und Bart.
Und dann rang ſich ein Aufftöhnen aus feiner
Bruft. Er hatte geträumt, — nur geträumt, daß
er wie ehedem in feinem Bett gelegen, ein Dach zu
Häupten, ein Frühſtück auf dem Tiſch, anftändige
Kleider am Nagel und ein Portemonnaie in der
Talde . ...
Ein Fluch Hang zifchend über die ſchmalen,
farblofen Lippen, mit kurzem, wütendem Rud riche
tete er fich empor und fehleuderte die Heubündel
bon ſich. —
Jetzt war er erwacht, und er fah fein ganzes,
bittere3 Elend wieder vor Augen.
Die ein Stüd Vieh, war er in einem Heu-
—
ſchober untergekrochen, Lumpen auf dem Leibe,
nagenden Hunger im Leibe und keinen Heller Geld
im Beutel, ein Strolch, ein verkommener, elender,
tief geſunkener Menſch!
Wie ein ſcharfes Hohnlachen ſchrillt's aus
ſeinem Munde. Er rafft ſich empor, packt den
ſchweren Knotenſtock und blickt um ſich her.
Milde, ſtrahlende Frühlingsſonne. Die nahen
Berge prangen im winterlich grünen Tannenkleide,
überhaucht von zartwallenden Duftſchleiern, welche
ihre hochragenden Häupter mit dem lichten Him—
melsgrau zu verſchmelzen ſcheinen.
Maigrüne Felder ziehen ihre zarten Strei—
fen an den Berghängen empor und breiten ſich
im ſchmalen Tal zu künſtlichem Teppich aus, zwi-
ſchen deffen Saatmufter üppige Wiefen in junger
Trühlingspracht Yeuchten.
Und mitten in diefem herrlichen Bild prangt
das ſchmucke Dörfchen dicht vor ihm, mit roten
Biegeldächern durch Inofpende Baumzweige lachend,
fräufelnde Rauchwolfen über den Schorniteinen,
ein freundlich helles Kirchlein auf freiem Plab.
Der verfommene Menſch vor dem Heufchober
>
— 19 —
fneift die gefchtwollenen Augen zufammen und blin-
zelt mit haßerfülltem Blick über die friedliche Got—
teswelt und Stätte wohnlichen Behagens hin, dann
feßt er fich Yangjam wieder auf da3 Heu nieder
und ftüßt ingrimmig dag hagere Geficht auf- die
Fäufte.
Sa, die da unten in den reichen Häufern
wohnen, die haben’3 gut! Die fißen im warmen,
trocenen Neſt, die haben Haus, Hof, Vieh, Feld
und Garten, denen fliegen die gebratenen Tauben
in den Mund! Er aber, Heinrich Selke, — er
iſt ein räudiger Hund unter ihnen! Er ift feit
jeher ein Stieffind des Glückes geweſen! Arbeit3-
ſcheu? träge und faul? Lächerlich! Kein Glück
und Fein Stern! Ungeredtigfeit, Selbſtſucht
überall.
Und bäumt man auf gegen die Sklavenfetten,
dann zeigt es fich vollends, welche Macht das
Geld hat und wel ein Narr wohl jeder ift, der
fich auf ſchöne Worte und Verfprehungen verläßt!
Heinrich Selfe blidt fpöttifch auf feine Lum—
“pen nieder. Dieje find alles, was ihm. ge-
“ blieben! —
— 200 —
Für den einſamen, verlaſſenen und arbeits—
loſen Mann ſteht keiner ein!
Nun iſt er geworden, was er früher nie ge—
dacht, äußerlich und innerlich ein Lump!
Alles was er beſaß, hat er verloren, und nur
eines dafür eingetauſcht, den maßloſen Haß, die
menſchenfeindliche Erbitterung, welche in jedem
einen Todfeind erblickt, der noch einen Heller
ſein eigen nennt! —
Wie weh der Hunger tut! wie bitter weh!
Soll er noch einmal fein Heil verſuchen und drun—
ten von Tür zu Tür betteln gehn?
Er frampft die Hände zufammen und jhüt-
telt wild den Kopf.
Kein! er hat e3 gejtern abend getan, und
feiner gab ein Nachtquartier, und nur ein Weib
ein Stückchen Brot. Niemand mochte den unheim-
lichen, verwahrloften Kerl unter jein Dach neh-
men, und im Wirtshaus, wo er vielleicht einen
Schnaps erbettelt hätte, faß der Gendarnt.
Soll er fih ihm in die Hände liefern? Wenn
fie ihn einfperren, befommt er zu effen.
Aber nein, — er erftidt hinter Schloß und
— 201 —
Riegel, — er möchte aufbrüllen wie ein mil»
des Tier, wenn ihn die engen Mauern be=
drüden.
Und wozu noch diefe Galgenfrift, — dieſes
Hinziehen? Er findet feine Arbeit, und das Bet-
teln hat er fatt. — Wa3 man ihm zum Erwerb
anbietet, mag er nicht.
Er kann nicht Knecht fein und ſich einem
groben großipurigen Bauer fügen, — er würde
ihn bei dem erſten Schimpfwort zufammenjchlagen,
er würde ihm die Gurgel zudrüden, wenn der
Herr am Fleifchtopf ſäße und dem Knecht einen
Napf Kartoffeln Hinfchöbe, — er kann e3 nicht!
Er ift zum Arbeiter untauglich geworden. Alfo
fort! vorwärts! Wie ein Hund an der Landſtraße
verreden. Wer fragt nach ihm? Keiner! Wer
ſucht ifn? — Reiner! — Man jharrt ihn ein
und ihm wird’3 wohl fein in der dunfeln, Falten
Erde, — da, wo doch alle Menfchen gleich find,
wo der Reiche als Häuflein Staub neben dem
Staubhäuflein de3 Allerärmften liegt! Da wird
ihm wohl fein. — Und Heinrich Selfe beikt in
mwildem Trotz die Zähne zufammen, erhebt ich
— 202 —
taumelnd auf die Füke und wendet dem verhaßten
Dorf den Rüden.
Immer ziel- und planlos gradaus, — in
den Wald, in die Bergeinjamfeit hinein. — Wie
ſchwach er auf den Füßen ift, — wie der Schmerz
ihm in Magen und Eingeweiden mühlt! — Er
überfchreitet die Fahrftraße, und al3 er erichöpft
auf einem Baumftumpf niederfinkt und die breite
waldgefäumte Straße, melde jo ftill und einjam
im Sonnenliht vor ihm liegt, hinabblidt, da
fommt ihm ein wilder, verzweifelter Gedanke.
Soll er hier im Gebüſch Tauern, bis ein ein-
famer Wanderer, ein Bäuerlein mit gefüllter Geld-
fage vorüberziehft —? Soll er dem...o fein
Stod wiegt ſchwer ... und da3 Meſſer in der
Taſche ift Scharf... und wenn er Geld hat, —
viel Geld, dann noch einmal zum Dorfe zurüd
und zechen, ejfen, trinfen, gut und viel, fehr viel...
und dann??
3a, — und dann! —
Sterben ja, — aber nicht eingefperrt ſitzen
fein Leben lang, — das ift Schlimmer wie alles. —
Und. wenn er feinen Totfchlag beginge, fon-
.
— 203 —
dern den Überfalfenen nur zwänge, mit ihm zu
teilen? So, mie e3 feine verdammte Schuldig-
feit ift, weil aller Reichtum ja doch nur Raub
am Nächiten bedeutet? —
Haha! wer teilt wohl gutmillig! Niemand!
Niemand! Und wenn er bis zum Halfe im Golde
fäße!
Und ift „Raub“ in den Augen der par—
teiiſchen, ungerechten Richter nicht auch ein Ver—
brechen, welches mit Zuchthaus beſtraft wird? —
Und ließe ber Beraubte ihn jemals dazu kommen,
ſich — wenn auch nur für Stunden — de3 Geldes
zu freuen? Ehe er ich jatt eſſen könnte, hätten
ihn die Spürhunde ſchon gefaßt!
Und doch — totichlagen, um fich zu rächen!
um zum lebten Male fein Mütchen zu fühlen!
Heinrich Selke krallt mit einem faſt tieriichen
Schrei die Fingernägel in die feuchtmoofige
Erde.
Sa Rache! — Nahe! — Bergeltung üben
an all denen, welche ihn fo elend gemacht! welche
fatt und glüdlich find, dieweil er in der Verzweif—
fung verſchmachtet! Wilde, wahnfinnige Rachſucht
— 204 —
glüht in feinem Herzen. Zahn um Zahn — Auge °
um Auge!
Und doch, was nützt es ihm, wenn hier ein
armjeliges Menſchenkind, fterbend durch feine
Hand, auf der Landftraße liegt? Leben dafür nicht
taufend andere Feinde, Millionen andere, reiche,
frohe, zufriedene Menfchen ?
Heinrich Selfe ſchüttelt mit fchrillem Geläch—
ter die Fäufte. Ach, daß er die ganze Welt paden
und vernichten fünnte, — das — das — würde
feinen Radhedurft Fühlen, — Erde — Meer —
Himmel — alles zermalmen möchte er — —
Hoch... was ift das? — Gloden? — Heute
am frühen Morgen Glodenläuten? Gind fie des
Teufels im elenden Neft dort drunten? Gloden?
— lächerlich — wozu folch ein Speftafel, welcher
den Leuten nur in die Ohren gellt? —
Mit ftierem Blick wendet der einfame Mann
das Angeficht nach) dem Dorfe zurüd.
Veindfelig brennt e3 in feinem Auge, da er
des Kirchturmes anſichtig wird. Ein höhnifches
Lächeln verzerrt feine Lippen.
Es ift ja Oftern heute! — richtig, er hatte
— 20° —
es ganz vergefjen. Dftern! — bah — für reiche
Leute nur, die Schofoladen- und Marzipaneier-
fuchen und Kuchen baden können, für folche, die
neuen Staat in die Kirche tragen und fich damit
dide tun wollen!
Sa, für fie ift’3 Oftern. — Für ihn nicht.
— Er ift mit dem Himmtel ebenfo fertig wie mit
der Erde — fie haben: ihn beide im Stiche gelaffen!
Verfluchtes Gebimmele! — Er kann den Klang
nicht ertragen, er hat das Gefühl, als fei jeder
Glockenton eine Kralle, welche fich ihm in da3 Herz
fchlägt, — die Hände troßig gegen die Ohren
gepreßt, Ipringt er auf und wankt weiter, wie ein
Wild, welches die Meute hetzt. Nicht den fonnigen
Weg entlang — er haßt das Sonnenlidt, —
bier... im Wald....da ift tiefer Schatten
unter dem Fichtengezweig! — Mit zitternden
Knien biegt er in den Waldweg ein und taumelt
eine furze Strede meiter. Aber ein brennender
Schmerz im Magen und in den Eingemweiden läßt
ihn ftraucheln, — er ift fo ſchwach, jo todesmatt...
vor feinen Augen mallen dunkle Schatten...
fraftlo3 bricht er zufammen.
— 206 —
Boll Verzweiflung reißt er den jungen Stein»
lee, welcher am Wegrain ſproßt, ab und fchlingt
ihn hinab, — und dann fchlägt er mit den ge-
ballten Fäuften gegen die Stirn —. Schwacher
elender Kerl, der er ift! Er will ja nicht mehr
effen, — es foll zu Ende kommen, — fterben will er!
Erſchöpft finkt fein Haupt zur Seite, — er
Ichließt die Augen und liegt regung3los, — —
und über ihn ziehen friedfam und wunderbar feier-
Yich die Klänge der Oftergloden, welche der jubeln-
den Kreatur verkünden: „Welt lag in Banden,
Chrift ift erftanden, freue dich! freue dich, o Chria
ſtenheit!“
Heinrich Selke will ſie nicht hören, — aber
er hört ſie dennoch, — er muß es. Und wie ſein
Körper kraftlos zuſammenbrach, ſo läßt auch ſeine
Seele matt und gebrochen den Glockenton und
feine ſelige Verheißung über ſich ergehen. —
Wunderlich — es iſt, als ob der Klang eine
Stimme wär, — eine Stimme vom Himmel, die
ruft unaufhörlich — komm — komm — komm!
Ruft ſie auch ihn, den Verirrten und Verlorenen?
— Ein heiſeres Lachen ringt ſich von feinen Lip-
— 207 —
pen. Ach nein! ihn nicht! Was hat der Liebe
Gott noch mit ihm zu ſchaffen? — Er hat ſich
nicht um ihn gefümmert und Heinrich Gelfe hat
auch nichts nach ihm gefragt.
Lächerlich. Gott! — Gott! — Was ift Gott?
Ein überwundener Standpunkt für jeden Aufge-
Härten, für jeden, welchen die Freiheitäpriefter
de3 neunzehnten Sahrhundert3 Hug gemacht.
Es gibt feinen Gott! — Die Vernunft, —
da3 Gelbftbewußtfein — das ftolze eigene Sch!
das find die Götter diejer Welt.
Wer glaubt noch an die Kindermärchen von
einer Erfcehaffung der Welt, — von einem Sün—
denfall — von einer Erlöfung? — Niemand, der
fo viel Öegenteiliges gehört hat davon wie er. —
Wer kann es beweifen?... fomm!... komm!
— — — bmm...
Und wer kann das Gegenteil beweiſen? —
hat einmal ſein Meiſter gefragt — „wer iſt ſchon
von den Toten zurückgekommen, um zu ſagen:
Es gibt kein Jenſeits?“ — Niemand kam zurück,
und ſolange ſich nur die Lebenden darum ſtreiten,
behält keiner recht.“ —
— 208 —
Kein, feiner, — wiſſen tut’3 feiner. —
Ad, wie ſchwach, wie ſchwach ift ihm! —
Mit weitaufgerifjenen Augen ftarrt Heinrich
Selfe empor zu dem lichtblauen, fonnigen Him-
mel3zelt, unter welchem jubelnd die Vöglein krei—
fen. Und wenn e3 doch nicht zu Ende ijt mit dem
Tod, wenn e3 dennoch ein Weiterleben da oben
gibt? Was dann? —
Er hat nie zubor daran gedacht, — jebt
— plöglid — warum rufen die Gloden immer
„komm“! wohin foll er denn fommen? Hinab
in da3 Grab — oder hinauf in da3 Paradies ...
Ah... ein Paradies! Wie möchte e3 wohl fein,
wahrlih fo ſchön — fo ohne alles Leid, Elend,
Hunger und Dual...
Wie hieß e3 doch gleich, was damal3 der
Paſtor in der Konfirmandenftunde ſprach, — er
hat e3 ja auch auswendig lernen müſſen ... und
ganz vergefien? „Und... und der Herr wird
abwiſchen alle Tränen von ihrem Angefiht —
und der Tod wird nicht mehr fein, noch Angft
und Geſchrei ...“
War's nicht ſo? — Ach, wer es wiſſen
— ——
— 200
könnte! Ob wohl feine Eltern da droben im Him-
mel find? Ob fie an einen Gott glaubten, fromm
und brav waren? — Er hat fie nie gefannt. —
Er ift unter fremden Menschen herumgeftoßen mor-
den, bis er fein Brot verdienen konnte. —
Kein Menſch Hat ihm gejagt: „Sch glaube,
— glaube auh du!” — — Oder doch! — ja,
der Paftor, welcher ihn einfegnete. Wie lange iſt's
fhon her! Er entfinnt fih kaum noch der Zeit.
Und doch war e8 auch damals Dftern, und er
Schritt mit den anderen Konfirmanden in die
Kirche. — — Wie ihm die Erinnerung plößlich
tommt? Hinter dem Altar hing ein großes Olbild,
das hat er während der ganzen Feier angeftarrt.
Der Heiland inmitten der beiden Schächer am
Kreuz. — — Und er, Heinrich ©elfe, mußte da3
Glaubensbekenntnis fagen. „Niedergefahren zur
Hölle und am dritten Tage wieder auferftanden
von den Toten.” — — — Sa, damals glaubte
er e3, — jest glaubt er e3 längjt nicht mehr. Man
bat ihm Bücher in die Hand gegeben, darin ftand,
daß die Singer betragen und den Gefreuzigten
bei nächtlicher Zeit aus dein Grabe gejtohlen hät—
N. v. Eſchſtruth, Am Ende ber Welt. 14
— 210 —
ten. Sit das wahr? — — — Aufftöhnend wirft
fich der einfame Mann herum und preßt das Ge—
ficht auf die feuchte Erde. „Sa, e3 iſt wahr!” will
er troßig fchreien, aber die Stimme verfagt ihm.
„Komm — komm — komm!“ Elingt’3 vom
Himmel. Wenn die Jünger ihn geftohlen hätten,
fo müßten fie felber ja am beiten, daß Jeſus fein
Heiland der Welt, fein Gottesfohn gemwefen, —
warum würden fie dennoch hingegangen fein, fein
Evangelium zu predigen? Brachte e3 ihnen Geld,
Ruhm und Ehre ein? Nein, nur Verfolgung,
Kerfer, Dual und Martertod — — —
Heinrich Selke fchridt mit verftörtem Ange»
fiht auf: „Welch ein Menſch würde das erdulden,
würde den furchtbarften Tod für feinen Glauben
fterben, wenn er wüßte — er iſt nicht auferftan»
erftanden, er ift nicht aufgefahren gen Himmel
— mir felber haben ihn ja heimlich au3 dem Grab
geitohlen! Wir miffen, daß er die Banden de3
Todes nicht gebrochen Hat —! —*
Ein Bittern fliegt über den Körper des Den»
kers. „Gott! Gott!” ftöhnt er jählings auf —
„mein, fie haben ihn nicht geftohlen — fie haben
\
— 2ll —
es wahr und wahrhaftig gefehen, baf er gen Him-
mel fuhr, fonft hätten fie ihr Leben nicht fo freudig
für ihn hingegeben!“
Sefus Chriftus! — Gattes Sohn! — wahr⸗
fi) Gott felber? fein eingeborener Sohn? — Er
hat e3 ja gejagt, er, aus deſſen Mund feine einzige
Lüge ging, der feiner Sünde fähig war, — er hat
e3 als heilige Wahrheit befannt, — nicht damals,
als ihn das Volk zum König machen wollte, ſon⸗
dern vor feinen Richtern — angeſichts des
Kreuzes. —!
Heinrich Selfe krampft wie in jähem Ente _
fegen die Hände zufammen. Wehe mir! —
Und wie er mit aufgerifjenen, verglaiten
Augen zum Himmel aufftarrt, da fchwebt das
Bild aus der Kirche vor ihm — und er fieht
feinen Heiland am Kreuz und hört im Geifte die
Worte, welche er gefprohen — „Vater vergib
ihnen, denn fie wifjen nicht, was fie tun!“
Sa, das betete er, — betete e3 in den furdjt-
barften Todesqualen, angeficht3 jener, welche ihn
befchimpft, veripottet — gemartert, gefreuzigt hat-
ten! Und er, Heinrich Selke, verflucht Die ganze
14*
— 212 —
Menfchheit, er brütet über Mord und Totjchlag,
um feine Rache zu fühlen — und wa3 hatte man
ihm getan? — Man hatte ihn nach Verdienft be>
handelt. Ging e3 ihm fchlecht, war e3 feine Schuld,
denn er hatte jelber die Arbeit von fich geworfen,
er hatte fich felber die Grube gegraben, in welche
er nun fo tief — ad fo grundlos tief geftürzt
war. — „Vater vergib ihnen!” — So betet Fein
Menſch in den Todesqualen am Kreuz, — fo
fann nur ein Gott, ein Heiliger, erlöfender, all»
barmherziger Gott beten, welcher fein Blut ver—
goß und ſich jelber dahin gab, das Verlorene jelig
- zu machen! Sa, es gibt einen Gott — und er
fennt ihn — und hat ſich dennod von ihm ab»
gewandt.
Kalter Schweiß perlt auf feiner Stirn, eine
unbeſchreibliche Angſt überfommt ihn, — eine
Unruhe und zitternde Aufregung, welche da3 Herz
in der Bruft hämmern läßt. — Sit e3 die Todes-
angft — ift e8 das Ende? — „Allbarmherziger
Gott, nur das nicht, — wie Joll id; beftehen vor
dir? Das Sterben ift ja nicht das lebte...’ —
Er rafft fi auf die Knie: „Warum Tießeft
— — 23 —
du es fo weit mit mir kommen?“ fchrie er und
hob die Arme zum Himmel — „wenn bu da bift
Gott — wenn e3 Wahrheit ift — Herr Jeſu —
— — — ad, ein paar Grojhen damals hätten
ja alles gut machen können!“ — — —
Er bricht wieder zufammen, Talte Schauer
wehen über feinen Leib, — wie Nebel wallt e3
vor jeinen Augen, — und nun fommt fie wieder,
die Angft — die Todesangft.
Er ſchlingt die zitternden Hände ineinander.
„Beten!“ murmelt er, „beten... kann ich e3 dent
noch ... darf ih es noch ... in all meiner
Schlechtigkeit — — Ach, es iſt ja zu ſpät — zu
ſpät... „Komm! komm! komm! rufen die Glocken.
Und ihm iſt's, als ſtünde er wieder als Konfir—
mand in der Kirche und fieht auf das Altarbild.
— Ber Schäder am Kreuz regt die Lippen, —
er Elopft noch in der zwölften Stunde an die Him—
mel3pforte an — er, ber fein Leben lang dem
Herrn jo fremd gemwefen, jo weit entfernt von ihm,
wie die Erde von dem Himmel, — und wel
eine Antwort wird ihm?
„Wahrlich, ich fage dir, heute noch follft du
— 214 —
mit mir im Paradieje fein!” — Welch ein Diter-
gruß! welch ein jelig Sterben! Auch dem Sün-
der wird vergeben. ... Wie ein leifer Schrei ringt
e3 jich von den Tippen des heimfehrenden Sohne2.
„Laß mich leben, Here — gib mir Beit, daß
ih noch Früchte trage — laß mich nit als
Schäder zu dir fommen „.,, um meine? Vaters
— um ber Mutter willen... Herrgott Hilf!” —
Und von allen Qualen der tiefiten Herzens⸗
not gefoltert richtet er fi) auf die Knie: „Ich habe
geftohlen! ich habe betrogen — ich mwill’3 wieder
gut machen! Ich darf noch nicht fterben, — ich
muß noch leben — ih muß! ih muß!” —
| Und wie ein Verzmeifelter wühlt er die Fin-
ger in den jungen lee, auszuraufen und mit
zudenden Tippen zu effen — — — Da. . etwas
Harte3 zwilchen feinen Fingern, rund — und feft.
Mechaniſch ftarrt er mit umflorten Augen
darauf nieder, — und dann riejelt es ihm glüh-
heiß vom Kopf zum Herzen, — — — er will
Tprechen, er kann nicht, gurgelnde Schluchzlaute
ringen ſich aus feiner Bruft. Er hält einen Taler
in der Hand, einen blinfend hellen Taler. Wie
— 215 —
neue Lebenskraft ftrömt e3 von ihm aus und ftrafft
jede Safer und jeden Nerv an dem Körper.
Mit weit aufgerijjenen Augen ftarrt er das
Wunder an, — das Gotteswunder! Welch ein
fonderbarer Taler, — ein Marientaler mit dem
Bild der Gottesmutter und dem Jeſuskinde. Oben
am Rand befindet fich eine Dfe, — ficherlich Hat
jemand da3 Geldftücd als Anhänger an der Uhr-
fette getragen.
Heinrich Selfe hält den Taler in zitternden
Fingern, und plöglich blidt er zum Himmel empor,
Tränen ftürzen aus feinen Augen.
PLZ du lebſt, Gott, — du bift da, — und
heute ift Oftern, mo die Sünder erlöft werden!“ —
Krampfhaft preßt er das Geldftüd in der
Hand, Iehnt ſich zurüd und fchließt die Augen,
Yächelnd, wunderbar friedfih, — alle Angſt ift
bon ihm genommen, er weiß, daß er leben foll,
warum fonft dad Geld? —
„Komm — komm — fomm!“ rufen die
Glocken. Es tönt Hunbegebell an fein Ohr, —
menſchliche Stimmen und Schritte auf dem Wald-
weg.
— 216 —
Mit Yegter Kraftanſtrengung richtet fich Hein-
rich empor.
„Hilfe! — Hilfe!” — Da ftürmt e3 näher.
Ein grüner Fägerrod — ein helles Sommerkleid,
— es verſchwimmt wie Nebel vor feinen Augen.
„Hunger! fchreit er noch einmal auf, —
und dann wird e3 ſchwarz vor feinen Augen, —
die Glocken fehlagen noch einmal an, — dann ift’3
ftill, ganz ftill um ihn ber.
Ein Kochen und Saufen vor feinen Ohren,
er reißt die Augen auf und ftarıt verjtändnislos
in fremde Gefichter. j
Etwas Heißes brennt auf feinen Lippen, und
gludert in der Feldflafche, welche ihm ein Jägers—
mann fürjorglih an die Tippen hält.
„Er kommt wieder zu fich, — Gott fei ges
lobt!“ flüftert eine weiche Stimme, und ein Son-
nenftrahl zittert über die Goldflechten eines Köpf⸗
chens, welches fich tief herabneigt, da die Sama-
riterin die falten Hände des Ohnmächtigen fanst
zwiichen den ihren reibt.
„Wo bin ic}? — was ift mit mir geſchehen?“
toill der Kranke fragen, — aber er ift zu matt, —
— 27 —
er fchließt wie betäubt die Augen, er Tann ſich
gar nicht entjinnen, was das alles bedeuten foll.
„Komm — fomm — komm! —“ Ab —
die Gloden! — Ein Beben fliegt über fein ein-
gefallenes Geficht, aufs neue rinnen die Tränen
in den ftruppigen Bart, ja, nun weiß er es wieder,
— es ift Dftern! — „Treue dich, freue dich,
o Ehriftenheit! —“
„Da kommt Karl fchon zurüd und bringt
Eſſen!“ murmelt der Oberförfter, und er ftüßt
den Fraftlofen Körper, damit ihm die junge Frau
ein Glas Mil an die Lippen halten kann. In
langen tiefen Bügen trinkt der Verſchmachtende
und dann lehnt er fich tief aufatmend wieder zu⸗
rück und faltet mit krampfhaftem Zuden die Hände.
Er lächelt, feine Lippen regen fi, — er
betet wohl und dankt feinem Gott.
Ber Oberförfter taufcht ſchweigend mit feiner
Frau einen Blick, — tiefe Rührung malt ſich auf
beider Angeficht.
„Kommt der Wagen, Karl?” Der junge
Mann nidt. „Sm Augenblick, Schwager.” „Ach
Sris — und welh ein Wunder —“ flüftert die
— 218 —
Dberförfterin Leife dem Gatten zu, der arme Menſch
hält ja meinen Marientaler in der Hand!” —
„Den Taler? — mahrlih? Das nenne ich ein
feltfames Wiederfinden !’”
Da ſchnauft ein Pferd, ein Wagen rollt auf
dem meichen Sandweg herzu.
„Run hilf anfaffen, Karl, daß wir ihn Hoch»
heben und heimbringen! Komm! — komm!“ —
„Sa, ih komme, lieber Herrgott, — ih
komme!“ — — —
Ein Sahr ift vergangen, abermals Täuten die
Dftergloden. Der Oberförfter geht mit feiner Fa—
milie hinab zum Dorf, dem Gottesdienft beizu-
wohnen.
Sein Gefinde folgt ihm, auch der Knecht
Heinrich, welcher feit einem Jahr bei ihm in
Dienften fteht, und welcher fich fo ausgezeichnet
führt, wie noch nie ein anderer Burfch vor ihm.
Man hält große Stüde auf ihn, alle haben ihn
gern und die Kinder rechnen ihn ganz zur Familie
und nennen ihn „unfer Heiner!”
Man weiß, dab Oberförſters ihn vor einem
Sahre halb verhungert im Walde aufgefunden und
— 219 —
daheim zu Kräften gepflegt haben, fie nahmen ihr
fogar in ihren Dienft, und die Dankbarkeit des
verlaffenen Menjchen lohnt ihnen folchen Opfer-
‚mut.
Still und heiter tut er feine Pflicht, er arbeitet
für zmei, und dabei ift er ein frommer Mann, fo
findlich fromm und gläubig, wie man e3 heutzu=
tage jelten findet.
Sein ganzes Geficht ftrahlt, wenn er die
Glocken läuten hört.
„Sa, ſolche Oftergloden,‘ flüftert er, „Tie find
Stimmen vom Himmel und rufen die Verirrten
heim.“ — As ihm der Oberförfter den erften
Lohn auszahlen wollte, blicte ihm der neue Knecht
flehend in die Augen, und ſprach eine munderliche
Bitte aus, „nur den Marientaler von der Frau
Oberförfterin, welchen er damal3 im Walde ge»
funden, möchte er zum Lohn haben, und fei das
zu viel verlangt, fo wolle er gern fein halbes Leben:
darum dienen!” —
Seit jenem Tage trägt er feinen „Gegend .
taler” an einer Schnur auf der Bruft. — Und
beute ift wieder Oftern und alle gehen zur Kirche.
— 20 —
Die Sonne flimmert durch den Wald und Die
Glocken läuten wie damals: „Komm! — Tomm!
— komm!“
An dem Waldwegfaun, wo der junge Stein-
flee ſproßt, Iniet ein fchmuder Burſch, mohlge-
Heidet, mit gepflegtem Haar und Bart, ein Sträuß-
chen im Knopfloch, — der feiert hier ganz ſtill und
doch viel ergriffener noch wie nachher in der Kirche
ſein Oſterfeſt.
Da denkt er an ſein Oſtern vor einem Jahr,
— und an die wunderbaren Himmelsſtimmen,
welche ihn zur Heimat gerufen.
Auch heute zieht ihr jubelnder Auferſtehungs—
Hang über ihn hin, und in feinem Herzen froh—
lockt ein Danfesgefühl ohnegleichen:
„Zobe den Herrn meine Seele, — und ver-
giß nicht, wa3 er dir Gutes getan hat!“ — — —
Und al3 abermals die Dftergloden Täuteten,
fniete Heinrich Selke mit einem treuen Xieb vor
dem Altar der Heinen PVorflirche, und der Trau—
tert, welchen er fich felber gewählt, lautete: „Sch
aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn
dienen!’ —
89103502209
MINI
B89103502209A