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Full text of "Nataly von Eschstruth. Das Rodeltantchen vol 2"

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Date Due ,; 


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Das Rodeltantchen. 


— — — — ⸗ 


humoriſtiſcher Roman 


von 


Nataly von Eſchſtruth. 


Il. 


1.—5. Taulend. 





Stiller'iche Hofbuchhandlung (Johann Albrecht Strenge) 
Schwerin i. IT. 


Tlachdruck verboten. 


Alle Rechte, insbefondere das der Überfetzung, 
vorbehalten. 


Copyrisbt 1912 by Stiller’iche Bofbuchhandlung 
(Johann Albrecht Strenge), Schwerin i. IT. 


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S52 Ru 
| 912 
— 11. Kapitel. 
5)" eigenartige Zurmzimmer, in welchem noch 
die vornehme Pracht längſt verfunfener Zeiten 
in unveränderter Weije fortlebte, hatte feit Jahren fein 
jo unauslöjchliches und ftet3 erneutes Lachen gehört, 
wie heute, wo Herr von Haltern und Doktor Unna 
voll dramatiſcher Lebhaftigfeit den neueſten Loben- 
bacher Schwan erzählten, welchen der Oberleutnant 


‚fo glänzend in Szene gejebt. 


Die ehrwürdigen, echten Gejtalten des Lufas 
Kranach, welche vol feierlicher Würde an den Wänden 


. paradierten und den: Salon den Namen ihres be- 


rühmten Meifter3 gegeben, öffneten erjtaunt die ge- 
malten Augen und redten ſich noch jteifer empor 
wie fonft, al3 wollten fie die alten Köpfe jchütteln 
über die Kinder des zwanzigſten Jahrhunderts, welche 
in nicht3, aber aud) in gar nicht3 mehr, den jchwer- 
blütigen Voreltern gleichen, welche in ihrer erniten 
Beit fo ſchwer fämpften und jo wenig lachten! 

Und doch! — Als ſoeben Herr von Haltern unter 
ſtürmiſchſtem Jubel das Diktat verlefen, welche3 Frau 


State University oı auwa 
LIBRARIES 


zu 6, 2 


Joſefa voll beutegierigen Sinnes ohne Überlegen 
und Nachdenken zu Papier gebracht, al3 er von dem 
Petroleum der Stallaternen und den fpedgejchmier- 
ten Gtiefeln berichtete, welche den ausgehungerten 
Pusi zu enthufiaftifcher Liebe begeifterten, da trod- 
nete der greife Fürft die Lachtränen aus den Augen, 
und Prinzejfin Irene-Friedrike hob atemlos die Fleine, 
brillantengligernde Hand und deutete nad) einem der 
alten Gemälde empor. 

„Seht do! Selbſt die tiefernjte Urahne im 
weißen Kopftuh und dem furchtbar jchönen roten 
Mantel fängt zum erftenmal im Leben an, den Mund 
zu einem Lächeln zu verziehen!“ 

— ‚Und die Nonne mit den gefalteten Händen 
fängt auch an, zu lachen!” — 

„Und dort, da3 alte Ehepaar ohne Gelente und 
Reklame für den Turnvater Jahn, überlegt bereits, 
ob es ſich nicht aud) in dem grauen Haufe einfinden 
ſoll, wenn Frau Sofefa ihre gaftlichen Salons für 
alle guten Freunde und getreuen Nachbarn öffnen 
wird!” 

„Sicherlich würden fie fich in ein paar Stunden 
bejjer amüfieren, al3 ehemals in ihrem ganzen, jor- 
genjchweren Leben, während Beltzeiten und Waffen- 
geklirr!“ 

„Das iſt fraglos!“ 

„Nehmen wir die armen Leutchen doch mit!“ 

„Mitnehmen? Haben Durchlaucht vielleicht 


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auch die Abſicht, die Hofmarichallin durch Höchſt Ihr 
Erſcheinen auszuzeichnen ?” 

Der Oberleutnant fragte es mit luftbligenden 
Augen, und der Erbprinz ſchnippte übermütig Die 
Aſche feiner Zigarette in das Kaminfeuer und ladıte. 

„Selbitredend gehe ich hin, beiter Haltern! Was 
denen Sie denn? Man muß die Feite feiern, wie 
fie fallen, und wenn Lobenbad) endlich einmal eine 
Genjation zeitigt, fo kann ich mich unmöglich der 
Petroleumbeleuchtung aus Ihren Stallaternen ent- 
ziehen!” — 

„Sroßartig! Das wird dem Sour der Ver— 
ſchwenderin erſt das hiſtoriſche Gepräge geben!” 
nidte Rarl-Chriftian vol Humor. „Wäre id nur 
noch ein wenig rüftiger auf den Beinen, würde id) 
mir diefe Burleske nicht entgehen laſſen!“ 

„Und was dem einen redit iſt, — da3 iſt dem 
andern billig!” — jubelte die Erbprinzeß. „Ich 
bin noch enorm flink auf den Füßen, und Zeitung 
lefe ich auch, — bin aljo ebenjogut eingeladen, wie 
alle anderen Belannten der Mämä! — ch begleite 
did, mein Schatz!“ 

Rarl-Zohann Füßte galant dag Händchen feiner 
Gemahlin, welches fich fo energisch auf feinen Arm 
legte. 

„Nichts ift mir verftändlicher als dieſer Wunſch!“, 
neckte er. „Du warſt ſtets etwas eiferſüchtig bean— 
lagt, und jo ein tete A téête mit Frau Joſefa iſt 


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nicht jo ungefährlich, wie wir an diejen beiden blind- 
verliebten Schäfern und Skatgenoſſen der Berjchiwen- 
derin ſehen!“ — 

Haltern feufzte fehr lyriſch. „Sa, ja, eine Frau 
im gefährlichen Alter!“ 

„Sie verjicherte geitern Abend felber zu wieder— 
holten Malen, daß fie ‚aus dem Schneider‘ ſei!“ fe- 
fundierte Unna. 

„Ich mache mit Vorliebe Menſchenſtudien!“ be- 
teuerte Prinzeſſin Hortenfia jehr ernit, „und als 
Malerin würde mir der Ausdrud höchſter feelifcher 
Dual fehr intereffant fein, wenn ich vor den Augen 
der Gajtgeberin zwei Stüd Kuchen auf einmal neh- 
men würde! Aus diefem zwingenden Grund erkläre 
ich hiermit feierlichit, daß ich mich ebenfall3 zu dem 
Sour der Mämä anjagen laſſe!“ — 

„Sroßartig! Tante Hortenfia! — Famos!“ 
lachte der Erbprinz jchallend auf. „Ich ſchlage vor, 
wir werfen und alle wie die verhungerten Wölfe über 
die Kuchenſchüſſeln her, bi3 die Frau Hofmarſchallin 
die Verzweiflung padt!!” 

— Haltern räufperte jich und wechſelte mit dem 
Doktor einen etwas bedenflichen Blid. 

„E3 würde fraglos fehr gnädig von Eurer Hoheit 
und der Frau Erbprinzeifin fein, unjeren geplanten 
Scherz in fo Huldvoller Weife unterftügen zu wollen!” 
— ſagte er ein wenig verlegen. ‚Aber ich möchte 
mir zuvor die Bemerfung erlauben, daß nicht nur 


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Hofgejellichaft bei Frau von Solingen anweſend ſein 
wird!“ 

„Ah! Wie meinen Sie das?!“ 

Da metterleuchtete wieder ein wahres Gauner- 
lächeln über da3 Antli des jungen Dffiziers. 

„Ich konnte mir den Scherz nicht verjagen, der 
jplendiden Gaftgeberin für möglichft viel Gäfte zu 
jorgen! Darum durchziehen fchon unjere Alliierten 
die ganze Stadt und fordern unter der Hand Alte 
und Junge, Krumme und Lahme, Gerechte und Un— 
gerechte auf, — die Einladung der Mämä auf ſich 
zu beziehen und vollzählig in den gaftlich geöffneten 
Salons zu erſcheinen!“ 

— Erſt ein Augenblick tiefſter Stille, dann ein 
ſchallendes, unauslöſchliches Gelächter. 

„Wie? Was?! Ganz Lobenbach ſoll vor der 
Frau Hofmarſchallin antreten?!“ — 

Haltern verneigte ſich mit ſeriöſem Geſicht. 

„Sehr wohl, — alles erſcheint! Vom Schorn- 
ſteinfeger und Bäckermeiſter bis zu der Obſtfrau am 
alten Stadttor! Denn alle laſen die Zeitung, und 
niemand will es verſäumen, der ſo allgemein be— 
liebten und hochgeſchätzten Frau Baronin den ſchul— 
digen Reſpekt zu verweigern!“ — 

„Bless me!’ — 

„Große Cour bei der Mämä!“ — 

„Heiliges Kanonenrohr! Das wird ja Bilder 
geben!!“ — 


— 0 = 


Die Herrfchaften lagen in den Seſſeln und 
ſchluchzten vor Lachen. 

„Halten! Menih! Das iſt ja eine rafende 
Idee!“ — | 

„Bölterfeft im grauen Haufe!” — 

„Bier Kuchen und zwei Torten für fünfhundert 
Mann!!“ 

„Wo ſollen da die Reſte bleiben, mit welchen die 
Hausfrau ſo ſtark für die kommenden vierzehn Tage 
rechnet?“ — 

„Wird das Haus zuvor auf den Leiſten ge— 
ſchlagen 7“ 

„Nicht nötig! — Die Volksmaſſen werden nur 
an der blockierten Mämä vorüber getrieben, — alle 
mit Kuchen in der Hand!” — 

. „Rajender Gedante!“ 

„Wieſo blodiert?!" — 

„Selbitredend muß die Frau Hofmarfchallin fo 
feft in fürdhterliche Enge eingefeilt fein, daß fie Hilf- 
los iſt und die Zügel der Regierung für diefe Stunden 
in Unna3 und meine Hände legen muß!” — 

„Run, dann find wir Rejpeltsperjonen ja um 
fo unentbehrlicher!” rief Prinzeſſin Hortenfia und 
hielt fich die Wangen, deren Muskeln von dem unge- 
wohnt vielen Lachen ſchon empfindlich wurden. „Nun 
gehe ich unter allen Umjtänden erſt recht hin, denn 
bei feinem Volke darf der Fürſt nicht fehlen, und ich 
bin überzeugt, daß e3 eine Unterlafjungsfünde an 


—, I 


meinen Memoiren wäre, ſolch ein einzig dajtehen- 
des Felt zu verfäumen!” — 

„Sehr recht! Ganz meine Anficht!” 

„Und ich begleite dich auf jeden Fall, Tante 
Hortenfia!” Hang e3 wie filberheller Jubel von den 
Lippen ber Erbprinzeß. 

„Lieber Doktor — wäre e3 allzu riskiert, wenn 
ih an Ort und Stelle gefahren würde?’ wandte fich 
Karl⸗Chriſtian an feinen Arzt. „Ich geftehe ehr- 
lich, daß mich ſeit langer Zeit nichts jo angereizt hat, 
leichtfinnig zu fein, wie diejer brillante Scherz!” 

Unna verneigte fich jehr zuverfichtlih. „Solch 
eine amüjante Abwechſlung kann für die Nerven 
nur jehr günftig und für da3 Leiden Eurer Durch» 
laucht gewiß nicht fchädlich fein! Frau Joſefa wird 
von der Auszeichnung, welche ihr bevorfteht, in Kennt- 
ni3 gefegt und wird hochbejeligt alle Anordnungen, 
welche ich für Durchlaucht treffe, reſpektieren!“ 

„Bortrefflih, mein junger Beihüter! Dann 
werde auch ich nicht bei dem Maſſenandrang im 
grauen Haufe fehlen und Hoffe, daß Sie mir an 
diefem außergewöhnlihen Tage jogar erlauben 
werden, Kuchen zu eſſen!“ — Der Sprecher wandte 
ji wieder an Haltern und fuhr, als fich die allge- 
meine freudige Bewegung gelegt, fort: „Nun aber 
einmal eine ganz fpeziell neugierige Frage, mein 
beiter Oberleutnant! Wie man mir feiner Zeit er- 
zählte, hatten Sie Ihren Herren Kameraden verfichert, 


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daß Sie e3 unter allen Umſtänden zu Wege bringen 
würden, da3 fo feſt verjchloffene Haus der Frau 
von Golingen für die Lobenbacher Gefellichaft wieder 
zu öffnen?” — 

Haltern verneigte ſich zuftimmend. 

„Bravo! Diefe erite Verbindlichkeit haben Sie 
glänzend gelöjt! Aber es handelte fi noch um 
ein zweites Meijterjtüd, welches namentlich die jungen 
Herren lebhaft zu intereffieren ſchien! In dem ‚ver- 
mwunfchenen Schloß’ der Mämä trauert ein gefan- 
genes Vögelchen, die arme Heine Baronefje Cagima, 
welche, von der geizigen Tante — reſp. Pflege- 
mutter — von aller Welt abgefperrt, ein troftlofes 
Dafein führt!‘ 

„Natürlich! Der alte Drachen will die Kleine 
allen Freiern fern halten, damit fie dag reſpektable 
Vermögen des jungen Mädchens nicht herausrüden 
muß!” rief der Erbprinz mit bemölfter Stirn, und 
dieweil Unna den Kopf fehr tief neigte, um Die Mo- 
jatfeinlagen eines kleinen Spieltiſchchens, welches 
neben ihm ſtand, zu ſtudieren, ſtimmte Haltern leb⸗ 
haft bei. 

„Sehr richtig, Durchlaucht! Daß Gott erbarm 
über ſo viel Verlaſſenheit! Das war das ſauerſte 
Stück Arbeit, die Baroneſſe zu Geſicht zu be— 
kommen!“ | 

„ah! Uber eine Arbeit, welche glüdte! Wie 
jehr freue ich mich deffen! Und nun fagen Sie 


— 13 — 


einmal, mein lieber Oberleutnant, glauben Sie auch 
in dieſem zweiten Punkt zu ſiegen und die junge 
Dame dauernd der Geſellſchaft zuzuführen?“ — 

Der hohe Herr fragte es voll liebenswürdigſter 
Teilnahme und ſtrich dabei mit der ſchmalen, mach3- 
farbenen Hand ein paar der weißen Haarſträhnchen 
zurück, welche ſich bei dem ungewohnten Lachen über 
der Schläfe verſchoben hatten. 

Der Dragoner lächelte ganz eigentümlich, und 
ein ganz ſchneller, pfiffiger Blick huſchte zu dem 
jungen Arzt hinüber. „Wenn Unna mich ſo, wie 
bisher, auch ferner unterſtützt, hoffe ich auf den aller- 
beiten Erfolg, Durchlaucht! Die Baronefje ledig- 
lich in die Gejellichaft einzuführen, würde wenig 
Zweck haben, denn fo jchnell wie die Mämä ihre hei— 
ligen Hallen öffnet, kann fie diejelben auch wieder 
chließen. Ich halte das Werk der Befreiung erjt dann 
für vollkommen geglüdt, wenn dag arme Afchenbrö- 
delchen fi nicht nur ein goldenes oder filbernes 
Kleideden von dem Baum fehüttelt, fondern wenn 
von demſelben Kranz und Schleier auf fie nieder- 
fallen, und in Lobenbach die Hochzeitögloden läuten!“ 

„Hei! Stopp mit den jungen Pferden!!” lachte 
Karl-Johann auf und fchlug voll höchſter Genug- 
tuung mit der Hand auf das Knie. „Menſch, Haltern! 
Ihre glänzenden Erfolge machen Sie übermütig!” 

„Zwar ift Cagima ſchon mündig!” jchüttelte 
Prinzeß Hortenfia den Kopf, „aber ehe Frau Joſefa 


— 14 — 


ihr Jawort zu folch unerfeglihem Berluft gibt, bringt 
fie fih und die Nichte Lieber um!” 

„Ja, ja! Sch fürchte auch, Herr von Haltern, mit 
den Hochzeitögloden hat e8 noch gute Wege!” — 

„J, wo! Eine Entführung au3 dem Gerail!“ 

„KRatürlih! Wozu gibt es Automobile und Aero- 
plane!” 

Der Erbprinz blies ein paar Meine Wölkchen 
feiner Zigarette in die Luft und blinzelte den Dra- 
goner nedend an. 

„So? Ueroplan? — Sagen Sie mal, Hänschen, 
haben Sie nicht felber in Johannistal das Fliegen 
gelernt?!” — 

Lautes Lachen. 

„Spiritus, merkſt du was?! Er Spricht fo auf- 
fallend ſiegesgewiß!“ — 

„Rein, Aviatiker ift er nicht, aber das Auteln 
veriteht er deſto beſſer!“ — 

„Wir find ja hier jo ganz unter ung jungen Mäb- 
chen, Haltern! Da Sie nun einmal beim Beichten find, 
fönnen Gie gleich alles auf einmal abmachen und 
gleih um den Konſens einkommen!!“ — 

„ern ich bejagten Heiratskonſens weitergeben 
darf, fehr gern!” lächelte der Dragoner verfchmigt. 
„Es ſoll zwar unter Freunden ganz egal fein, wer 
die Braut heimführt, aber in diefem Fall opfere 
ih mid) auf und trete zurüd!” — 

„Das klingt ja mehr ehefeindlich al3 entfagung3- 


gms. Ar, ae 


voll! Doktor Unna! Sie haben Ihren Verbün— 
deten doch ficher ſchon als gewiljenhafter Arzt auf 
Herz und Nieren geprüft, — wie fteht’3 mit ihm?“ 

„Er liebt platonifch und trintt Waſſer!“ jcherzte 
Artik im Flüfterton, aber er jah auffallend echauffiert 
Dabei auß. 

Haltern nahm einem fervierenden Lafai nod) 
eine Taſſe Mokka ab und kippte übermütig fein Liför- 
gla3 aus. „Profit, Herr Doktor!” perfiflierte er da⸗ 
bei, aber doch Hujchte jein Blid zu Gräfin Margit 
hinüber, welche fich tief in den niedern Seſſel zu— 
rüdgelehnt Hatte und über den Rand des Fächers 
lächelnd zu ihm herüberjchaute. 

„Alfo mit dem Waſſer find Sie bereit3 entgleift, 
Unna! Da wird da3 fühle Herz wohl auch feine 
500,000 Glutſchläge in der Minute tun!” — 

„Das mag fchon fein!” zucte der Genannte ge- 
heimnisvoll die Achfeln. „Aber es kommt nur darauf 
an, ob der Gegenſtand, welchem dieſe Glut gilt, eine 
Ahnung davon hat!“ — 

„Hört, hört! — Die traurige Liebesgeſchichte 
von dem ſchläfrigen Fichtenbaum, welcher von der 
ſchweigſam bei 60 Grad Réaumur ſich röſten laſſenden 
Palme träumt!!“ — 

„Alſo eine Italienerin?“ — 

„Nein! — Nur Talmi vom Maskenball!“ ſeufzte 
Haltern. 

„Eine unbekannte Göttin?!“ — 


— IB. 


„Beſſer gejagt, ein Götterbackfiſch!“ 

„Wir tommen der Sade ſchon näher! Nun 
brauchen Sie und nur noch den Bor- und Zu— 
namen, Impfſchein, Steuerzettel des Papas und die 
Farbe der Augen zu nennen, dann willen wir Be— 
ſcheid!“ 

„Die Farbe von Papas Augen?!“ — 

„Unſinn! Geraten Sie nicht auf Abwege, 
Haltern!“ — Der Erbprinz klemmte das Monocle 
ein und ſtimmte in das Gelächter ein. „Ich bin 
überzeugt, daß Sie ein ganz gefährlicher Duckmäuſer 
find und im grauen Hauſe der Mämä gewaltig im 
Trüben filhen! Klein Cagima foll ein reizendes 
Mädel fein, — da3 waghalſige Intereſſe der jungen 
Regimentöfameraden dementfprechend groß! Ta 
hörte ich bereit, daß Sie die beforgten Leutnants 
mit der Verficherung getröftet hätten, Ihr Herz fei 
längſt vergeben, und zwar an den Fapriziöfeiten aller 
Badfifche, welcher Sie während des Nizzaer Karne— 
val3 in ganz unerhörter Weife genasführt Habe! — 
NKa— bin ich recht unterrichtet ? Indiskret Tann man 
mich doch nicht nennen, denn ich bin nur dag Echo 
Shrer eignen Worte!” — 

„Mein zärtliches Geheimnis weiß fchon der ganze 
Wald!” — rang der Dragoner voll Humor die 
Hände. „Welch eine grauenhafte Blamage, wenn der 
bösartige Badfifch mir zum Schluß einen Korb gibt!” 

Wieder huſchte fein Blid zu Komteſſe Margit 


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hinüber, und er fprang jählings auf, um den Fächer, 
welcher ihrer Hand juft entglitt und zu Boden fiel, 
aufzuheben. 

Auch Gräfin Wachjenftein hatte eine haſtige Be— 
wegung gemacht und fich herab geneigt, und als 
fih Haltern wieder aufrichtete und die fpigebejpannten 
Elfenbeinftäbchen zurüderitattete, ruhte momentan 
Blid in Blid. 

Ganz betroffen ftarrte der Oberleutnant die Hof- 
dame at. 

Ihr intereffantes Gefichtchen war wie mit Blut 
übergofjen, und der kleine Mund zudte fo feltfam, 
als werde ein helles Gelächter gewaltſam hinter den 
roten Lippen erftidt. 

Wieder diefer unbegreifliche Ausdrud von Schalt 
und kecker Oppofition, welcher ihn felundenlang aus 
den dunklen Augen anblitte, dann ſah man, mie die 
Gräfin fi gewaltfam beherrſchte und mit freund- 
lichem Dankeswort den Fächer entgegennahm. 

Haltern aber deuchte e3, al3 feien ihm die wun— 
derlihen Mädchenaugen noch nie fo herzbeitridend 
befannt vorgelommen, al3 wie in diefem Augenblid. 

Es blieb aber feine Zeit zum Grübeln, denn 
ein Lakai war eingetreten und hatte Doktor Unna. 
flüfternd eine Meldung gemacht. 

Un dem betroffenen Geficht des jungen Arztes 
ſah man, daß e3 Feine erfreuliche Nachricht war. 

Fürſt Karl-Chriftian blidte ihn fcharf an * 


v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 


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ſchien den bittenden Blid de jungen Mannes und 
feine unruhige Bewegung zu veritehen. 

„Sie find ficher antelephoniert, zu einem Pa— 
tienten zu kommen?“ fragte er fchnell. 

Artik fprang empor. „Sehr wohl, Euer Durch— 
laucht, ein fehr erniter Fall, in welchem leider eine 
Verſchlimmerung eingetreten iſt!“ 

„Sie müſſen dem Ruf ſofort folgen! Haben 
Sie Ihren Wagen hier?“ 

„Er wartet ſeit einer Stunde, Durchlaucht! Wenn 
gnädigſt geſtattet wird, daß ich gehe, ſo bitte ich —“ 

„Reden Sie nicht! Halten Sie ſich mit feinem 
Abichied auf!” 

„Ein Arzt fteht über der Etikette!” — 

„Haltern, Sie möchten den weiten Weg gern 
mitfahren 2“ 

„Wenn Durchlaucht mich beurlauben —?“ 

„Selbitredend! Haben Sie in unfer aller Namen 
herzlichiten Dank für den köſtlichen Abend!‘ 

„Bier, Ihre Zeitung mit der Annonce!” 

„Auf allgemeines Wiederjehn am Sour der Frau 
Joſefa!“ — 

„Hoheit: beglüden ung alle duch Ihr Er- 
ſcheinen!“ 

„Schnell, ſchnell!“ 

„Eilen Sie!“ 

„So Gott will, bringen Sie noch rechtzeitig Hilfe!“ 

„Ich hoffe es zuverſichtlich, Komteſſe!“ 


= 9, 2 


„Gute Nacht, beiter Haltern!’ — 

„Smpfehle mid Erzellenz!‘ 

Noch einmal Happten die Sporen des Dragoners 
zufammen und Unna verbeugte jirh zum lebtenmal 
auf der Schwelle des Salons, dann jtürmten Die 
beiden jungen Herren, ohne rechts und links zu 
bliden, in die große Flurhalle zurüd. 

Die Lalaien hielten die Mäntel bereit, und nad) 
wenig Augenbliden rollte da3 leichte Coupe des Dol- 
t0r3 den nunmehr ganz verfchneiten Schloßberg hinab. 

Der NordDit-Wind pfiff noch ungeitümer als 
zuvor Daher und führte auf rauhen Schwingen die 
ſcharfen Eiskriftalle, welche wie feine NRegenjchauer 
gegen die Wagenfeniter prafjelten. 

Der Mond Hatte fich hinter diden Schneeiwolfen 
veritedt und die Parkbäume Hufchten wie große, un- 
heimliche Schatten vorüber. 

Die Herren mwidelten fich fejter in die behagliche 
Pelzdede, welche im Wagen lag, und jtedten die duf- 
tende Bigarre, welche der Erbprinz noch haftig beim 
Abſchied dargeboten, in Brand. 

„Das war ein reizender Abend!” fagte Unna, 
— „ſchade, daß er mit ſolch einem Mollaftord ſchloß!“ 

„So Gott will, gelingt es Ihnen, die Diffonanz 
zu verhüten! Gie jagen, e3 ift ein erniter Fall?“ 

„Sr erfordert jet wenigſtens ein ſehr ener- 
giſches und überlegtes Handeln!“ 

2* 


— 20 — 


„Wunderliche, ſchneidende Kontraſte, welche das 
Leben bringt! Soeben das glücklichſte Gelächter des 
Übermut3, nad) kurzen Minuten Tränen und Seufzer 
bitterfter Sorge!” — 

„Licht und Schatten, welche immer einander zur 
Seite fchreiten.” 

Die Zigarren glühen auf, — der Sturm ſchrillt 
um die Scharfe Wegbiegung. — 

Tiefes Schweigen. 

Beide Herren hängen den eignen Gedanken nad), 
und wiederum ijt e8 die heitere und Die ernite Seite 
des Lebens, welche ſich jo nahe berühren. 

Bei dent jungen Arzt ift alles zurüdgetreten, was 
foeben noch voll jtrahlender Heiterkeit all feine Sinne 
beherrjchte, und hat dem tiefen Ernſt Pla gemacht, 
welcher in Geftalt des Hohläugigen Todes an feine 
Seite getreten. 

UN feine Gedanken ftehen im Bann der ſchweren 
VBerantmwortlichkeit, welche die nächſten Stunden auf 
feine Schultern laden. Klar und ruhig muß er fich 
zum Kampf gegen den furdtbarften Gegner dieſer 
Welt rüften. Seine einzigen Waffen, welche er mit- 
bringt, jind fein Gottvertrauen und fein reiches 
Willen, welches in diefen Stunden der Entſcheidung 
in gejegneter Ernte einbringen muß, was er während 
mühevoller Jahre in Hörfaal und Klinik gefät. 

Das Haupt tief zur Bruft geneigt, finnt Artik 


— 1 — 


Unna über die Hilfe nach, welche er bringen muß, und 
alles, was ſonſt ſeine Seele erfüllt, verſinkt wie ein 
Nebelbild. 

Neben ihm aber, ein ſtrahlendes Lächeln auf 
den Lippen, träumt der junge Offizier von all der 
Freude und Liebesluſt, welche ſein Lebensſchifflein 
auf roſigen, glitzernden Wogen ſchaukeln. 

Die Tatſache, daß er, der ſo ſattelfeſte, noch nie 
in Verlegenheit geratene Haltern, das ganze vorzüg— 
liche Diner ſo gedankenlos gegeſſen, daß er kaum 
wußte, was er kaute, lediglich darum, weil ein paar 
rätſelhafte Mädchenaugen ihn anders anblickten, als 
wie er es gewöhnt war, — dieſe Tatſache kam ihm 
jetzt ſelber äußerſt ſpaßhaft vor! — 

Von dem Moment an, wo er den Spieß umdrehte 
und die kapriziöſe kleine Hofdame mit dem auffälligen 
Intereſſe, welches ſie an ihm und ſeinen fatalen 
Angewohnheiten nahm, neckte, hatte er wieder Ober- 
wafjer! 

— 8 er fah, daß jie jo Heiß erröten Fonnte, 
wie andere Mägdlein auch), fühlte er fich wieder Herr 
der Situation. 

Freilich blieb ihm ihr Wiſſen noch ein Nätfel, 
und vor allen Dingen bejchäftigte ihn die Frage, 
wo er ſchon einmal in ihre Augen gefchaut, auf das 
lebhafteite! 

Aber jold ein Problem ift entzüdend! Es regt 
ſehr angenehm die Gedanken an und ift in gemiljer 


Weife ein Wärmemeſſer für die Gefühle, welche das 
Herz dabei empfindet! — 

Und feltfam! Er, der verwöhnte Mann, welcher 
ſchon in jo viele fchöne Augen geſchaut, muß 
ih fagen, daß es ein ganz bejonderer Zauber ift, 
welcher ihn diesmal feflelt! 

Eine Ähnlichkeit! Es kann nur eine Ähnlichkeit 
fein. 

Sebt, mo er Muße hat, in den Schaglammern 
feines Gedächtniffes zu Tramen, weiß er e3 ganz 
genau, wo ihm ſchon einmal dieje ſchalkhaft Iprühen- 
den und glühenden Augen begegneten und jo tiefen 
Eindrud madten, daß er jogar ernithafte Heiratz- 
gedanken befam! 

Das war in Nizza, während des Karnevald. In 
dem Hotel, mo er für zwei, Tage auf der Durchreiſe ab- 
gejtiegen, feierte man juft den Rojenmontag durch 
einen Masfenbal. Da er über fein Maskenkoſtüm 
verfügte, auch Feine befannte Seele auf der Zimmer— 
liſte des Hotels gelejen, verichmähte er die Larve 
und erſchien im Frad, Fes und Drdenzftern im 
Ballfaal, um ſich den Zauber von einer gededten 
Tenfternifhe aus einmal anzufehen. | 

Er war müde von der Reife und wollte nicht 
tanzen, — aber wie jchon jo oft im Leben, hatte er 
die Rechnung ohne den Wirt gemadt. Kaum daß 
er neben jeiner Sektflaſche behaglich Pla genommen, 
jieht er, wie zwei allerliebite Masken vorüberfchreiten. 


Die eine derfelben ftußt bei feinem Anblid, wen- 
det da3 Köpfchen zurüd und lacht fo unnachahmlich 
filberhell und übermütig auf — wie... ja, wie er 
e3 vorhin al3 einzigftesmal wieder von der Gräfin 
Wachſenſtein gehört. Dann flüftert die „Coeurdame” 
ihrer Nachbarin, einem zierlichen „Savoyardenbub”, 
etwas ins Ohr, und beide machen an und fchreiten 
abermal3 an ihm vorüber. 

„Guten Abend, Herr 9. v. H.!“ kichert Coeur- 
dame. „Wie iſt Ihnen denn die lange Reife be- 
kommen?!“ 

Potzwetter! | 

Er weiß felber nicht, wie fchnell er von feinem 
Seſſel hochgekommen ift! 

„Sie kennen mich?!“ ruft er, und ſteht neben 
der Sprecherin. 

Da blitzen ihn zum erſtenmal die dunklen Sprüh— 
augen an. | 

„Und ob ich Sie kenne! Ich finde es einen 
Skandal, daß Sie noch fragen und mid nicht auch 
als gute, alte Bekannte begrüßen!‘ 

„Gute, alte Belannte? Du fcherzeft, Heine Her- 
zenskönigin! Sch bin hier total fremd!“ 

„Anjcheinend doch nicht! Denn da ich Sie jo 
genau kenne, muß ich Shnen doch ſchon einntal be— 
gegnet ſein!“ 

„Sie kennen mich nicht!“ 


_ 4 — 


„Bert 9. dv. H.!!“ — 

„Oh — Sie lafen meinen Namen hier auf der 
Bimmerlifte!” 

„Stehen Sie ſchon darauf?" | 

Er biß ſich auf die Lippe. Allerdingg — er 
war vor einer Stunde angelommen und hatte noch 
gar keinen Anmeldejchein ausgefüllt. 

Alles Blut ftieg ihm zu Kopf. 

„Wer bift du, Coeurdame? Wenn du mid) fennit, 
will ich dich auch kennen!” — 

Sie lacht abermald und weicht zurüd. 

„Wozu da3? — Kann nicht auch eine Unbelannte 
dich Tieben, du fchöner NReitergmann? — Da fieh, 
weſſen Bild in meinem Herzen Lebt!” — Sie klappt 
ein großes, rotes Atlasherz, welches die rofigen Tüll— 
falten auf der Brust zufammenpält, auf — und er 
neigt ſich, jäh Hineinzufchauen. 

Ein Spiegel zeigt ihm fein eigenes Bild. 

Das ift ja zum Tollmerden amüjant! — 

„Reitersmann?“ ruft er und hält ihre Kleine 
Hand fell. „Du rätjt es auf gut Glück!“ 

„Durhaus nicht! Haft du nicht deine arme ‚Luftige 
Witwe‘ beim lebten Rennen jo unfinnig laufen lafjen, 
daß fie jegt ebenjo lahm wie traurig ijt?!“ 

„Nun brat' mir einer ’nen Storch !!” 

Er weiß e3 noch genau, wie faſſungslos er in 
diefem Moment gemejen, er hört noch immer das 
Heine Spottlachen, mit welchem fie rief: „Herr 9. 


— 25 — 


v. H.! Sehen Sie nicht ſo geiſtreich aus!!“ und da— 
bei blitzen ihn die herrlichen Augen noch einmal 
ſo undefinierbar an, daß ihm alle Pulſe fliegen — 
und huſch — entfliehen die beiden Damen, um in 
dem Maskengewühl zu verſchwinden. 

Von fern taucht noch einmal das roſige Tüllkleid, 
an welchem überall die goldenen Herzen ſchaukeln 
und baumeln, zwiſchen einem Schwarm Dominos auf. 

Haltern ſetzt ſich nieder und ſtürzt den Sekt hin⸗ 
ab wie ein Verdurſtender. 

Alle Pulſe fiebern! 

Wer iſt ſie? 

Sie kennt ihn, muß ihn kennen, — das iſt ganz 
klar. | 

Dh, er wird die Coeurkönigin ſchon einfangen! 

Und dann begann ein Iuftiger, entzüdender Krieg! 

Er verfolgt die Herzenskönigin, und fie narrt 
ihn, — verfpottet ihn! — lacht ihn aus und madt 
ihn von Minute zu Minute neugieriger. 

Schließlich gängelt fie ihn am roſa Seidenfädchen, 
dem unzerreißbaren, wie einen verliebten Schäfer, 
und will er ſich auch einmal ärgerlich emanzipieren 
und die Schleppe einer anderen Schönen tragen, — 
fofort halten ihn die blitenden Augen wieder in 
ihrem Bann! 

Wie dunkelſprühender Wein wirken fie auf ihn, 
welcher berauſcht und vor Liebesſehnſucht trunken 
madt! — 


96 -- 


Und dieſes Laden! — 

Erſt machte e3 ihn durch feinen Elingenden Spott 
nervös, — dann regte es ihn auf wie das Lied der 
Rurle, Schließlich Hang e3 ihm jo füß ins Ohr, wie 
die jchmeichelnden Walzerklänge, auf welchen fie ein- 
herſchweben. 

Es iſt eine warme Nacht, — der Seewind ſtreicht 
durch die offenen Fenſter und trägt den ſtarken Duft 
von Narziſſen und Veilchen auf ſeinen Schwingen. 

Haltern hat noch nie mit ſo viel Genuß den 
prickelnden Sekt getrunken, wie an dieſem Abend, — 
und wenn er durch die wehende Spitze der Maske 
den roten, kleinen Mund ſieht, welcher ihn immer 
ausgelaſſener und toller neckt und ihn doch nur 
auslacht, wenn er von Mondſchein, roten Roſen und 
Liebe ſchwatzt, dann iſt es ihm zu Sinn, als habe 
Gott Amor, welcher ſo oft ſeine Pfeile vergeblich 
nach ihm geſchnellt, heute abend den Meiſterſchuß 
getan. 

Wenn es doch erſt zwölf Uhr ſchlagen nie 
daß demaskiert wird! — 

Er Tann es faum noch erwarten, feine Herzend- 
fönigin von Angeficht zu Schauen! Und als e3 we— 
nige Minuten vor Mitternacht ift, da halten fie inne 
im Tanz, und die unbefannte Kleine Spötterin blidt 
an fich nieder und ruft erihroden: „Oh! Sch habe 
mein Herz verloren!’ — 

„Das Herz, welches mein Bildnis barg?!“ lacht 


er übermütig. „Wohl dem, welcher e3 findet! Er 
behält e3 für ewige Zeit zum Eigentum!“ 

„ur menn er e8 findet und das Feithalten 
verſteht!“ 

Da ſtürmt er bereits davon, und ſein Blick ſtreift 
ſuchend über das glatte Parkett, bis er endlich etwas 
Rotes unter einem Seffel, welcher an der Wand fteht, 
leuchten jieht. 

Da3 Herz! — Er hat e8 gefunden! Mit lautem 
Sauchzer hält er e3 in der Hand, feit entſchloſſen, es 
nie und nimmermehr herauszugeben! 

Coeurdame! Wo bilt du?! — | 

Soeben jtand fie noch Bier... und nun?! — 

Es Tchlägt zwölf Uhr, — die Muſik jchmettert 
einen Tuſch, — Lachen, Lärmen, Schreien! 

Das Kreiſchen der Bajazzis begleitet einen wah- 
ren Wirbelſturm von Bapierfonfetti, welche wie bun- 
tes Schneegeftöber die Luft erfüllen. 

Wo ijt die Coeurdame? — | 

Er tobt wie ein Unfinniger durd) die Menge, er 
jucht hier und dort, — er ftürmt auf die Terraffe — 
alles vergeblid, — ſowohl feine berüdende Herz- 
fünigin wie der zierlihe Savoyardenbub mit den 
Mädchenhänden und den unverlennbaren Allüren der 
Dame Sind ſpurlos verjchwunden! 

Er iſt außer ſich! 

Er gäbe fein Alles hin, wenn er jie nur einmal 
jehen könnte! 


—_ BB — 


Kleine Here! Welche Hinterlift, ihm berart zu 
entwijchen! 

Und er wird fie dennod) wiederfinden, er folgt 
ihr! Er erfährt e8 dennoch, wer fie ift! — Das rote 
Herz, aus welchem ihm unverändert fein Bild ent- 
gegenſchaut, trägt er al3 Pfand! 

Bon der Terraffe aus hat er gejehen, daß fich 
weder Wagen noch Fußgänger von dem Hotel ent- 
fernten, — die Damen müſſen aljo hier im Haufe 
wohnen! 

Er eilt auf den Flur, von welchem die Zimmer- 
mädchen unter Lachen und Scherzen einen Blid in ben 
Tanzſaal zu erhafchen juchen. 

Ein jchneller Wink jammelt die Iuftige Kleine 
Schar um ihn ber, und er hebt lockend da3 große 
Goldſtück und jagt: „Dies gebe .ich derjenigen von 
euch, welche mir zuverläſſig verraten fann, wer die 
Schöne in dem Koſtüm der Coeurdame war!“ 

Erſt betroffene® Schweigen, ratloſes Sich— 
anblicken, dann kichert plötzlich eine kleine rothaarige 
Zofe: „Ach, das roſa Kleid, mit den vielen Herzen 
daran? Und im Haar den Goldreif mit der Spiel- 
farte? O ja, mein Herr, die Dame fenne ich fehr 
wohl, denn ich habe fie heute mit eigenen Händen 
anziehen helfen!“ 

„Hurra! Das ift Mufik in meinen Ohren!“ umd 
er zieht die Heine Franzöſin abjeits, drüdt das Gold- 


— 29 — 


ſtück in ihre Hand und frägt mit luſtblitzenden Augen: 
„Wie heißt ſie?“ 

„Die Herrſchaften wohnen auf No. 10 und 11, 
gnädiger Herr! Sie kommen aus Wien und heißen 
Baron von Spaureck!“ — 

„Vielen Dank! Und die Maske war die Frau 
Baronin?“ — 

„Doch nicht, Monſieur! Es war die Fräulein 
Tochter!“ 

„Ah — famos! Wiſſen Sie den Vornamen?“ 

„Sie wurde immer Dolly gerufen.“ 

„Dolly! Sehr hübſch. Und wie alt?“ 

„Oh, noch ſehr jung! Anfänglich war noch die 
Erzieherin mit hier! Die Baroneſſe kann wohl höch— 
ſtens 15 oder 16 Jahre zählen!“ 

Haltern iſt ſehr betroffen. „Donnerwetter! Das 
hätte ich nicht gedacht!“ Und dann lacht er hell auf 
und denkt: Großartig! Solch ein kleiner entzücken— 
der Sprühteufel! Das nenne ich Temperament! Juſt 
die Tann ſich ja noch großartig zu meiner Frau aus⸗ 
wachſen! — Und dann frägt er abermals laut: „Sind 
Sie Ihrer Sache auch) ganz gewiß und fiher? Kön- 
nen Sie e8 mir wie einen heiligen Eid verjichern, 
daß Fräulein Dolly die Coeurdame war?‘ 

„Sanz gewiß, Monjieur! Das fann ich gern be- 
Ihwören, denn ich habe die Baroneffe felber an- 
ziehen Helfen und jogar den Rod noch etwas kürzer 
genäht, weil jid) das Fräulein zuerit darauf trat!” — 


= 30: 


„Gut; — id) danfe Ihnen, Kindchen! Nun trin- 
fen Sie ein Glas auf Fräulein Dollys Wohl!” — 

Das Zimmermädchen Fnirt lachend. „Ich bitte 
aber fehr, daß der gnädige Herr mic) nicht verrät, 
fonft könnte ich Unannehmlidhkeiten bekommen!“ 

„Ich ſchweige wie dad Grab! Mein Wort dar- 
auf!” Und er ftürmt voll freudigen Triumph in das 
Veſtibül, wo die große Namenstafel der Hotelgäjte 
aushängt. 

Zimmer No. 10 und 11. Baron von Spaured, 
lieſt er voll Genugtuung. 

Uber e3 genügt ihm noch nicht. 

Dort ſteht der Hoteldireftor im Geſpräch mit zwei 
AUmerilanern. Haltern jtellt fich vor. 

„Auf ein Wort, Verehrteſter! Darf ich bitten 7 

Der Direktor ift die Höflichkeit ſelbſt und gibt 
jede gewünſchte Auskunft. 

„Baron von Spaured aus Wien weilt mit Ge— 
mahlin und Fräulein Tochter jeit bereit3 acht Wochen 
hier im Haufe, — die gnädige Frau war nad) In— 
Tluenza leidend, Hat ji nunmehr aber vollfommen 
erholt!” — 

„Freut mich jeher! Und die Tochter? Wie alt 
tarieren Sie die junge Dame?’ — 

Der Direktor zudt die Achfeln. „Badfiichchen, 
Herr Leutnant! Fünfzehn — höchſtens ſechzehn 
Sabre! ch hörte fogar, daß Baronejje Dolly nod) 
für ein oder zwei Jahre in Penſion nad) Laufanne 
gefhidt werden ſoll!“ — 


=; 3 


„Sehr überflüflig, — wird ſich nicht grade amü- 
ſieren dort! — Hat dod) heute Abend ſchon mitge- 
tanzt ?“ 

Der Direktor verneigt fich lächelnd und flüftert: 
„Die Dame ijt, ſoviel ich jah, joeben jchon Hinauf- 
geeilt!” — 

„Die Coeurdame ?” 

„Ganz recht! Aber ich bitte um Diskretion, 
Herr Leutnant!” — | 

„Selbjtredend. Glauben Sie nicht, daß vielleicht 
die Mama die Coeurdame und dad Töchterlein der 
Savoyardenbub war?“ 

„Ausgeichlojfen! — Die Baronin ift eine auf- 
fallend große, fchlanfe Dame und trug heute abend 
nur emen gelb-fchwarzen Domino! Der niedliche 
Savoyarde war, wie ich höre, die Feine Miß Neigh, 
eine Zimmernadbarin der Baronefje, welche vorgibt, 
frank zu fein!” 

„Ausgezeichnet! Hat mir viel Spaß gemacht! Ich 
Danfe Ihnen verbindlichit, Herr Direktor!” — 

Sn ftrahlender Laune fehrt er an fein Tiich- 
chen zurüd, bejtellt fich noch eine Flaſche Sekt und 
ein paar Auſtern und träumt bei fchmeichelnden 
Mujifflängen die roſigſten Phantajiegebilde. — 

Dolly von Spaured! Ein Großſtadtbackfiſch, 
temperamentvoll, ganz fo, wie der verwöhnte Dra- 
goner die dunfeläugigen Sprühherchen Tiebt! 

Er wird Sie heiraten, davon ijt er überzeugt. 


— 32 — 


Fürerſt amüſiert es ihn aber königlich, zu er- 
fahren, woher ihre Kenntniſſe über ihn ſtammen, denn 
ihm iſt ſowohl die Familie Spaureck wie die Wiener 
Geſellſchaft unbekannt! 

Aber die Welt iſt ja ſo klein, ſo erſtaunlich klein! 

Was man in Berlin oder Paris oder London 

flüſtert, hört man in Nizza oder ſonſtwo am andern 
Ende der Welt widerſchallen! 
Darüber regt er ſich vorläufig nicht auf; man 
ſpricht über ihn, wie über andere Helden des Tages, 
welche im Salon und auf dem Turf der Gegenſtand 
allgemeinen Intereſſes ſind. 

Daß die Kleine ihn aber perſönlich kannte, 
das war immerhin ein beachtenswertes Problem, 
welches jedoch auch ſo leicht gelöſt werden kann, 
wenn man die Möglichkeit annimmt, daß die Fa- 
milie Spaured Berlin beſuchte und irgend ein Vetter 
oder eine Tante im Theater die befannten Gefichter 
Revue paffieren ließ. — 

“ Dabei wurde auch fein Name genannt, da3 war 
nicht3 Außergewöhnliches; daß er aber auf das ſüße 
Koboldcden einen derartigen Eindrud madte, daß 
jie ihn troß des flüchtigen Sehens ſofort wieder 
erkannte, fogar in Zivil, — und daß fie ſich jogleich 
alles defjen erinnerte, wa3 man von dem Unbelannten 
und einem feiner Nennpferde erzählte, dad macht 
einen Eindrud auf Haltern, welcher nachhaltiger ift, 
ala er dentt. 


Sedenfall3 wurde feiner Eitelfeit noch nie zuvor 
ein fo völliger Tribut bezahlt, und da3 nimmt ihn 
nicht zum mwenigiten für das Eleine Mädel ein, welches 
einen fo vorzüglichen Geſchmack entwidelt! 

„Auf das Wohl meiner Herzkönigin!“ lacht er 
in angeregtefter Stimmung, und er trinkt ein Glas 
Sekt um da3 andere, bemwirft die Masken, welche ihn 
umſchwärmen, mit Rofen und Konfetti und jucht 
ſich die fchönften der entjchleierten Schönen aus, um 
in tollem Galopp in diefe Faſtnacht hineinzujubeln. 

Welh eine Stimmung! Welch ein internatio- 
nale3, jtrupelfreieg Publikum! — 

Er begreift e3 jeßt fehr wohl, warum die Damen 
der Wiener Hofgefellihaft den Ball vor der De— 
maskierung verließen. 

Und da3 gefällt ihm wiederum. 

Es iſt Schon früh, fehr früh am Tag, als er 
endlich topmüde fein Zimmer aufjudt. 

Er lächelt nod) einmal: „Morgen werde ich dic) 
jehen, Heine Coeurdame!“ — drüdt das rote Herz nod) 
einmal meinjelig an die Lippen und fchläft — ſchläft 
— ſchläft ... 

Es läutet bereits zum Diner, als er andern 
Tags wieder erwacht. 

Hei! Wie er die Augen aufreißt und ſich durch 
einen Blick auf das rote Herz, das zerdrückte Fes auf 
der Erde und ein paar welke Narziſſen vor dem Bett 

v. Eſchſtruth, Das Robeltantchen II. 3 


a 9 


vergewifjert, daß er den geftrigen Abend nicht nur 
geträumt bat. 

In faufender Eile macht er Toilette und kommt 
nicht al3 einziger zu ſpät zu Tiſch. 

Die meijten Plätze find noch leer. 

Er winkt dem Fellner. 

„Wo fit Baron von Spaured mit Familie?” 
fragt er voll ftrahlender Heiterkeit. 

„Die Herrichaften dinierten gewöhnlich dort in 
der Nifche !” berichtete der Gefragte jehr höflich. „Aber 
leider find diefelben vor einer halben Stunde mit 
dem Erpreß- Zug nad Paris abgereift.‘ 

- Zablean. 

Haltern fit ganz ftill. Ihm ift e8 nur, als 
höre er plößlich wieder ein filberhell fpöttifches Lachen 
und die Worte: „Herr 9. v. H.! Sehen Sie doch 
nicht fo geiſtreich aus!!“ — 

Und dann fchauen ihn Die dunteln Schelmen⸗ 
augen an. 

Und ich finde Dich doch noch, Coeurdame! Zwei 
Jahre lang freue ich mich noch meiner goldenen Frei- 
heit, während du in der Benfion Vokabeln lernjt, — 
dann aber fomme ich, präfentiere dir das Herz, welches 
du an mich verlorit, und made mich freiwillig und 
für alle Zeiten zum Sklaven meiner Herzkönigin! 

Wie diefe Erinnerung fo lebendig geworden ift! 
Wie Die SER mit Bligesfchnelle durch fein Hirn 
wirbeln! 


u 96 u 


Gräfin Wacjienftein Hat ihn durch ihre felt- 
fame Ähnlichkeit mit Dolly Spaured daran ge- 
mahnt, daß er fich tatjächlich in die dunkeln Rätjel- 
augen und da3 Lachen eine herzigen Mädels ver- 
liebt hat! — 

Mit Scharfem Ruck hält der Wagen, und Artik 
Unna wirft die Pelzdede von den Knien zurüd, reißt 

den Schlag auf und fpringt haftig heraus. 
| „Auf Wiederfehn, Haltern! Laſſen Sie ji nach 
Haufe fahren!” Elingt feine Stimme noch wie ein 
Echo zurüd, dann fchlägt bereit3 die Haustüre Hinter 
ihm zu, und der junge Arzt ftürmt die Treppe zu 
feinem Patienten empor. 

Der Oberleutnant ruft noch ein jchnelles Ab- 
ſchiedswort, — dann verläßt er ebenfalld den Wagen, 
reiht dem Kutſcher mit freundlichem Dankeswort 
ein Trinkgeld und verjichert, daß er die paar Schritte 
gehen werde. — 

Der Wind brauft um die Ede und fchüttet ihm 
den Schnee in da3 heitere Antlit, Hans Haltern aber 
Ihlägt wohlgemut den Pelzfragen in die Höh und 
‚ wandert die ftille Straße entlang nad) feiner Wohnung. 


12. Rapitel. 


berleutnant von Haltern ftand auf dem for- 

ridor feiner Sunggejellenwohnung. Er hatte die 

Hände behaglich in die Tafchen feines Beinkleids ver- 
3*+ 


— 90 


ſenkt und hielt die Higarette zwiſchen den Bähnen, 
unbefümmert, ob die Afche auf die Litewka nieder- 
fiel und mit einem feinen hellen Strih den Weg 
bezeichnete, welchen fie al3 winzige Lawinenimitation 
genommen! 

Bor ihm ftand fein Burfche, Hinter demjelben 
vier andere Dragoner im Stallanzug. 

Mächtige Petroleumkannen waren ſeitwärts auf- 
gejtellt und dufteten jo intenfiv, daß der junge Offi- 
zier mit leichtem Nafenrümpfen fcherzte: „Für meinen 
Eau de Cologne-=®orrat hält’3 Feiner!” 

Dann zählte er mit fchmunzelndem Blid die 
Stallaternen. 

„Acht Stüd! — Stimmt! — Wird das Erdöl 
ausreichen 9“ 

„Befehl, Herr Leutnant, ich denke, ja!" — 

„Wo haft du e3 gelauft, Fritze?“ 

„Blei hier an der Ede, im Rolonialwaren- 
laden von Aloys Piffke!“ 

„Sut; haft du die Quittung?‘ 

„Befehl, Herr Leutnant, Hier!” — Der Burj 
fuhr eilfertig mit der Hand in die Hofentafche und 
überreichte ein nicht ganz einmwandfreies Bapier, deſſen 
glafige Flecken ebenfalls nach en Duellen 
Dufteten. 

„But; leg’3 auf meinen Schreibtifch Die La⸗ 
ternen waren ausgefüllt, als Ihr fie brachtet ?” 

„Befehl, Herr Leutnant!“ 


BT zur 


„Ra, dann mal vorwärts, Jungens, gießt mein 
Petroleum hinein!“ 

Haltern hörte zu, wie es gluderte und freute 
ſich erfichtlih an dem Anblid. 

„Fertig ?“ 

„Befehl, Herr Leutnant.“ 

„Schön. Nun nimmt jeder von euch zwei La— 
ternen, Fritze trägt die Kanne mit dem Petroleum- 
reſt voran, und ſo marſchiert ihr in Reih und Glied 
nach dem grauen Hauſe zu der Frau Hofmarſchallin 
von Solingen und beſtellt, daß ich euch geſchickt 
hätte. — Ihr helft dann der gnädigen Frau die 
Lampen der Kronleuchter füllen, dann werden alle 
Zimmer gelüftet und tüchtig reine gemacht und in 
den Ofen geheizt; tüchtig geheizt! Holz und Kohlen 
find bereits hingeſchickt.“ — 

„Befehl, Herr Leutnant. — Die gnädige Frau 
von Solingen weiß ſchon Beſcheid, daß wir die Ar- 
beit verrichten ſollen?“ 

„sa, jie ift unterrichtet, und entweder fie jelber 
oder das gnädige Fräulein wird euch noch genauere 
Anweiſung geben!” — 

„Befehl, Herr Leutnant!” — 

„Halt! Noch eins. — Ihr geht an dem Dffi-- 
zierdfafino vorüber?" — 

„Befehl, Herr Leutnant.” — 

„Dort macht ihr Halt. — Ich Habe da meitere 
vier Mann hinbejtellt, ebenjo die Burfjchen der Herren 


— len 


Leutnants von Bach und Lochau, welche die Torten 
und Kuchen für die Frau Hofmarſchallin nad) dem 
grauen Haufe tragen follen. Ihr formiert euch dann 
in folgender Weife: Voran Trike, dann je ein Mann 
mit Stallaterne und einer mit Kuchen, in abmed)- 
jelnder Reihenfolge. So marjchiert ihr auf einem 
Ummeg über den Marftplat, die Joſefsſtraße, über 
den großen Damm nad dem grauen Haufe! Se 
mehr Leute euch ſehn, je mehr Ulf und Radau e3 
gibt, deito beffer! Es iſt heute ein großes Feſt 
bei der Frau von Solingen, und darüber foll jich 
die ganze Stadt freuen!” 

Die Dragoner grinften, daB fi die Mäuler 
bis an die Ohren zogen! 

„Befehl, Herr Leutnant.” 

„Und nun vorwärts, marſch!“ — 

Haltern fah lachend zu, wie jich die Soldaten mit 
den Stallaternen bewaffneten und in feierlicher Pro- 
zejlion abzogen; er warf fchnell feinen Pelzmantel 
über, ftülpte die Mütze auf und ſchritt direft nad) 
dem Kaſino hinüber. 

Dort waren bereit3 die jämtlicden Herren an— 
wejend und begrüßten den RDELENNAN mit ſtür⸗ 
miſchem Hallo. 

„Ein Heiner Leutnant, 
Feſch und ſchick, — 
Der hatte bei ‚Mäma’ 
Seut Glück!!“ — 


jcämetterte Herr von Bad) dem Nahenden übermütig 
entgegen, und dann wurden die Kuchen befichtigt, 
ihre Träger formiert, und unter fchallendem Jubel 
zogen die zwölf Burfchen zum Tore hinaus! 

Die Herren blidten ihnen nad, fo lange fie zu 
jehn waren, und konſtatierten voll Entzüden, daß 
die Lobenbacher Bürger dieſe eigenartige Eskorte 
fofort weg hatten! 

Die Köpfe fuhren aus den Fenſtern heraus, die 
Haustüren öffneten fi und gaben den gaffenden 
und lachenden Weibern Raum, die Kindlein, welche 
nit in der Schule und die Lehrlinge, welche juft 
unterweg3 waren, gaben den Stallaternen und den 
fo herrlich Iodenden Kuchen das Geleit; — man 
pfiff, fang, quietichte — immer anfehnlicher ward da3 
Gefolge und mußte vor dem grauen Haufe fraglos zu 
einer regelrechten Volkskundgebung angewachſen fein! 

Ganz Lobenbah jtand in dem Zeichen von 
„Mämäs“ Sour, und weder Kaiferd Geburt3tag noch 
derjenige de3 greifen Fürſten mar jemals voll jo 
viel brennenden Intereſſes begangen worden, wie 
der große, durch die Zeitung befannt gegebene Emp- 
fang der Frau von Solingen. 

Man tufchelte fich in der Stadt das Geheimnis- 
volle in die Ohren, daß alle — alle, felbit der 
Kiedrigite, heute ebenjo willlommen im grauen Haufe 
fei, wie Seine Durchlaucht, der regierende Fürft, und 
die prinzliche. Familie! — 


— 40 — 


So ein Ereignis war noch nie dageweſen! 

Die Aufgeklärten und Spaßvögel verſprachen 
ſich eine ungeheuere Heiterkeit von dieſem „Jux“, 
welchen fraglos nur die Herren Offiziere in Szene 
ſetzten, die Harmloſen und Reſpektvollen aber fühlten 
die ſüßen Schauer einer hohen Auszeichnung durch 
die Seele wehen, und darum bürſteten die Väter 
voll feierlichen Ernſts den Bratenrock, während die 
Mütter und Töchter, halb verſchämt, halb entzückt 
und etwas beſorgt, die Sonntagskleider rüſteten. 

Als der außergewöhnliche Feſtzug bei dem grauen 
Haufe anlangte, hatte Haltern dasſelbe ſchon auf 
Buftredewegen erreicht, und als Frau Joſefa ganz 
betroffen über den Straßenlärm an da3 Fenſter eilte, 
da drüdte der Oberleutnant mit Tränen der Rüh— 
rung ihre Hand an die Lippen und fagte: „Nu 
jehen Sie nur, wie die ganze Jugend ſich mit und 
freut! Wirklich, Sie können ſtolz und eitel auf dieſen 
Erfolg fein, teuerfte Frau!” — 

Und auf diefe Verficherung Hin war es Frau 
von Solingen auch, um fo mehr, ald Haltern er- 
Härte, die Soldaten verrichteten auf feinen Befehl 
alle Arbeit umjonjt bier im Haufe, — Lohn oder 
Trinkgeld ſei abjolut ausgeſchloſſen. 

Da nidte die Hofmarfchallin ſehr wohlwollend 
und ſprach: „Das ift erfreulich! Bitte, ſchicken Sie 
mir die Leute auch na ch dem Felt, daß fie alles gründ- 
lich fcheuern und reinemachen, und im Frühjahr wäre 


u, Ale 


e3 vielleicht für die Leute eine amüfante, Heine Ab— 
wechjlung, den Garten umzugraben, zu fäen und 
zu pflanzen und die trodenen Äfte an den Bäumen 
auszufägen !” 

„Auf ſolchen Spaß find die Kerls gradezu ver- 
ſeſſen!“ beteuerte der Oberleutnant mit dem Bruft- 
ton der Überzeugung, und er zudte mit feiner Wimper 
dabei!! — 

Auf dem Büfett und Eßtiſch ftanden die herr— 
lichen Torten und lederen Kuchen aufgereiht und Frau 
Joſefa hatte davor Poſto gefaßt und verfchlang diefen 
Reichtum mit gierigen Knopfaugen. 

„Wenn man nur müßte, wie viel Menjchen 
kommen!“ fagte jie nachdenklih, „dann könnte man 
die Stüdchen einteilen und ungefähr auf die Per— 
onen abzählen, den Reſt aber von vornherein bei 
Seite jtellen! Was meinen Gie, lieber Haltern, 
werden e3 wohl fünfzehn Perſonen als Höchites 
geben ?“ 

Der Oberleutnant zudte die Achjeln. „Da der 
Hof, fogar der alte Fürft, Ihnen die hohe Ehre 
erweiſt, vollzählig zu kommen, können wir wohl 
auf zwanzig Perjonen mit Bejtimmtheit zählen!“ 

„Zwanzig Perfonen! Das wäre ja furdtbar 
viel!” feufzte die Hofmarfchallin und griff Haftig 
nach einem Mefjer: „Wenn man auf jo eine Maſſe 
Mäuler rechnen muß, will ich die einzelnen Stüde 
lieber noch einmal Ddurchteilen, fie find ſowieſo 


— 4 — 

enorm groß geſchnitten! Etliche werde ich abficht- 
fih etwas ungefchidt ſchneiden, daß fie zerbrechen, 
wenn man zulangt, dann bleiben jedesmal eine An- 
zahl größerer Broden auf der Schüffel zurüd, was 
auch Schon ein Vorteil ift, denn wenn ich morgen 
allein bin, ejje ich die Krümel ungeniert mit dem 
Teelöffel!” 

Das Meſſer fuhr unbarmderzig auf die Kuchen 
1083 und zerlegte fie in winzige Scheibehen, melde 
nur noch al3 Fragmente zwijchen den Fingern der 
Gäſte bleiben Tonnten. 

Haltern lobte diefe Sparjamfeit mit viel Be- 
wunderung und dachte dabei: „Ich werde allen einen 
Wink geben, daß fie mit kühnem Griff jedesmal 
mehrere Stüde zugleich nehmen!” — 

Frau von Solingen aber fuhr mit einem prü- 
fenden Blick nad) dem Fenſter fort: „Es ijt heute 
falt und neblig, ein jehr jchlechte8 Wetter. Dazu 
der Schnee auf der Straße, bei welchem man fid) 
leicht naffe Füße Holt! Ich Hoffe, diefe Witterung 
hält die meiften ab, herzufommen! Wer nicht grade 
einen Wagen zur Verfügung Hat, bejinnt fich doch 
fehr, wegen einer Taſſe Tee einen Schnupfen zu 
riskieren!“ 

„Aber gnädigſte Gönnerin, das wäre ja ſchade 
um den Triumph, welchen Sie heute feiern ſollen! 
Je mehr Neiderinnen, deſto beſſer!“ 

Die Mämä blidte gierig auf die Torten, an 


Zur. AB: zus 


welchen fie joeben mit wahrem Millimeterfcharfblid 
herumfäbelte und lächelte etwas fauer-füß. 

„Das ſchon, mein lieber, junger Freund! Aber 
Sie ahnen gar nicht, was folche Weiber für einen 
Appetit entwideln, und wie unverfchämt fie auf an- 
derer Leute Koſten futtern können! Es wäre fchade 
um die prachtvollen Torten! Grade diefe Art eſſe 
ich fo leidenfchaftlidd gern, und ich denke, die Nuß— 
torte jtele ich auch auf alle Fälle zurüd! Sc. 
werde Cagima davon verjtändigen! — Ad, wenn es 
doch einen rechten Schneejturm gäbe, daß wir recht 
unter uns bleiben und noch ein Spieldden Sech8und- 
fechzig madjen könnten!” — 

Auf der Schwelle ftand Fritze und fragte an, ob in 
dem großen Salon nur die Lampen des Kronleuchters 
oder auch die beiden großen, welche auf dem Kamin 
jtehn, gefüllt werden follen ?“ 

Die Mämä flatterte auf den weichen Gummii- 
ſchuhen, welche fie im Haus als Pantoffeln auftrug, 
dem Sprecher entgegen. 

„Alles füllen! Alles, was da iſt!“ rief fie 
haftig, „aber merfen Sie fich gleich, daß die Lampen 
auf dem Kamin nicht angeitedt werden. Man Tann 
glauben, fie feien vergefjen worden! Ebenfo wird hier 
in dem Zimmer nur eine Kuppel an der Krone ange- 
ftedt, die leuchtet grade genug, dreie find ja Ber- 
fhwendung! — Und auf feinen Fall dürfen die 
Kerzen am Klavier und auf dem Schreibtijch ange- 


u; dd, Ze 


zündet werden, dag wäre eine himmelfchreiende Ver- 
ſchwendung!“ 

„Befehl, gnädige Frau!“ 

„Wenn noch etwas Petroleum übrig bleibt, Fritz, 
ſo gießen Sie dasſelbe in meine Kanne, dieſelbe ſteht 
ſchon auf dem Flur bereit!“ 

„Schön, gnädige Frau!“ 

„Und ſollte alsdann noch ein Reſtchen bleiben, 
ſo laſſen Sie ſich von Babette eine leere Bierflaſche 
geben und füllen ſie recht ſorgſam voll, daß kein 
Tröpfchen verloren geht!“ 

„Sehr wohl, gnädige Frau!“ 

„Und wie iſt es mit den Ofen? Sollen denn 
wirklich alle Zimmer geheizt werden, beſter Hal— 
tern? Die Menſchen wärmen ja ſchon an und für 
ſich 1 

„Da der alte, fehr leidende Fürft kommt, ift 
e3 unbedingt nötig, teuerjte Frau!“ jeufzte der Ober- 
leutnant. „Unna hat darum extra eine Fuhre Knüppel- 
holz aus den herrfchaftliden Forjten erbeten!“ 

„sa, ja! — Man iſt in einer Zwangslage!“ 
ftöhnte Frau Sofefa und ärgerte fich fchlagrührend, 
daß dies fchöne Holz fo für nicht3 und wieder nichts 
in ein paar kurzen Stunden verbrannt werden follte. 
„Jedenfalls heizen Sie nicht zu viel ein, Fri, man 
kann ja nachlegen! Bielleicht in jeden Ofen zwei, 
drei Hände voll!" — 

„Befehl, gnädige Frau!“ 


— 45 — 


Auf dem Flur tobte Putzi die fremden Soldaten 
an wie ein Wahnfinniger, und die Mämä jtürzte an 
die Türe, um ben füßen Liebling hereinzuloden. 

Haltern benußte den Moment und machte Frige 
ein fchnelles Zeichen. 

„NRiefenhände voll! Feſte einballern!” 
raunte er ihm zu, und der Getreue verjtand fofort und 
nidte grinfend fein „Befehl! 

Dann verſchwand er im Nebenfalon. Frau von 
Solingen aber fam mit Pugichen auf dem Arm und 
verjuchte das belfernde Heine Scheufal mit den zärt- 
lichſten Kofenamen zu bejchwidtigen. 

Der Dragoner ftellte ſich jujt vor es hin und 
ftarrte wie verzüdt auf den giftigen, Kleinen Köter 
hernieder. 

„Jetzt fieht man erft, teuerjte Gönnerin, wa3 für 
wunderbare Augen da3 herzige Gefchöpfchen hat!“ 
fagte er, und das Entzüden verlieh feiner Stimme 
einen weichen Klang in Moll. „Dieſes Feuer im 
Bil! Diefes Temperament! Die Zähndhen bliten 
wie Elfenbein, und der ganze, eigenartig geformte 
Körper windet fich in gradezu klaſſiſch graziöjen Li- 
nien, wie bei der unerreichten Schönheitstänzerin 
Grete Wiefental! — Pardon — iſt Putzichen ein 
Mann oder ein Fräulein?!“ | 

Die Mämä ftrahlte beim Lob des Lieblings über 
da3 ganze Geſicht und drüdte das füße Miſchevieh 
gefühlvoll an das Herz. 


— 46 — 


„Mein Putzichen iſt ein Weibchen!“ lächelte ſie 
kokett. „Darum erobert ſie auch alle Herzen im 
Sturm!“ — 

„Ganz wie die edle Herrin!“ Haltern ſtarrte 
ꝓplötzlich ſehr nachdenklich auf den Hund. 

„Alſo, ein Weibchen! Wiſſen Sie, was mich als⸗ 
dann ſehr wundert, gnädigſte Baronin?“ — 

„Nun?!“ Frau Joſefa horchte mehr höflich als 
intereſſiert auf. 

„Daß Sie nicht enormes Kapital aus dem her- 
zigen Tierchen ſchlagen!“ — 

Kapital! Welch ein Stichwort. — Die Mämä 
riß plöglich die Augen weit auf. 

„ie meinen Gie da3, beiter Freund?!” 

„se nun, wenn Sie Bußichen zur Zucht benubten 
und die jungen Hundchen alddann verfauften, würden 
Sie ein Heidengeld Damit verdienen!“ 

„Mit Putzis Kindern? Unfinn, Tieber Haltern. 
Leider iſt mein Liebling feine reine Rafje, und als 
fie im vergangenen Frühjahr Junge hatte, jah fie 
der Bädergefelle an und erklärte, e3 feien lauter 
miferabele Köter, die gar feinen Wert hätten und 
nur Futter und Steuer koſteten, — da habe ich fie 
ihm mitgegeben, daß er fie erjäufen folle!” 

„Iſt der Mann noch hier in der Stadt?“ 

„Rein, er hatte feine Stelle — und ging 
nach Berlin!“ 

„Dieſer Elende!!“ — 


2 AT 


Frau Joſefa erichrat vor Halterns edlem Zorn. 

„Wiefo das?!“ forjchte fie ängftlich. 

„Der Kerl hat den ungeheuren Wert der Hund- 
chen fofort erfannt! Er hat fie nie erfäuft, fondern fie 
nach Berlin gebracht, wo er ficherlih vom Zoolo- 
logiſchen Garten oder gar einer hohen Fürftlichkeit 
ein Heidengeld, ein wahres Vermögen dafür erhalten 
hat!” 

Frau von Solingen fchrie auf. 

„Er — Geld... für meine Hunde?!!” — 

„Ja, gnäbigfte Frau! Und da3 iſt doch, um 
fi die Haare einzeln zu raufen!!“ 

Frau Joſefa machte eine Bewegung, ala wollte 
ſie dieſe Worte ſogleich zur Wahrheit machen, dann 
aber raffte ſie ſich zuſammen und verſuchte, ſich 
ſelber Troſt einzuſprechen. 

„Nein, lieber Haltern! Sie regen uns unnötig 
auf! Denken Sie doch, die Tiere werden nur dann 
gekauft und bezahlt, wenn eine ſehr gute Raſſe, wo— 
möglih ein nachweisbarer Stammbaum vorliegt!” 

Der Dragoner fchüttelte voll düfterer Tragif den 
Kopf. „rüber, Baronin! Sa, früher war da3 wohl 
fo, al3 die Welt noch in allen Anfichten forrelt, aber 
doch fehr begrenzt war! Heute ind die Menjchen 
in allen Dingen perverg, nicht nur im Tun und Han- 
deln, jondern auch im Geſchmack! Wenn eine Welten- 
fugel fo lange jchon rollt, wie die .unjere, muß 
fie mit allem, wa3 auf ihr Freucht und fleucht, de— 


— 48 — 


generiert fein! Ehemals fand man nur das wirklich 
Schöne — Schön! Heutzutage bliden die Menfchen- 
augen fo fonver, daß fie das Häßliche Schön nennen 
und das Abjurde normal finden. Kennen Sie nicht 
den wahren Sprud: 

‚Verſuch's, und übertreib’8 einmal, — 

Gleich ift die Welt von dir entzüdt! 

Das Grenzenlofe heißt genial, 

Und wär's auch grenzenlos verrückt! —” 


„a, ja, das ſtimmt!“ feufzte die Hofmarjchallin 
und nahm ein Stüd Kuchen, welchem fie nicht länger 
widerjtehn konnte. Sie aß, ohne ihrem Gaft in der 
Berftreutheit anzubieten. „Pie Sezeflionmalerei, — 
die grauenhafte Radaumuſik ohne Melodie, — die 
blödfinnige Mode mit den zujfammengebundenen 
Beinen, auf denen man nicht mehr fchreiten kann, — 
die Ehebruchsdramen und polizeilid verbotenen 
Bücher, died alles ift grenzenlos geſchmacklos und 
verrüdt! Aber was hat es mit Kleinen Hunden zu 
tun?!” 

„Sehr viel. Ehemals war ein Hund mertvoll, 
wenn er fo gut wie möglich ausſah —“ fuhr der 
Dragoner voll großer Überzeugungstreue in feinem 
Bortrag fort; „aber dies hat man fich nun überge- 
fehn und ift darum auf da3 Gegenteil. verfallen! 
Se ungeheuerlicher und eigenartiger jolch Meines oder 
großes Vieh wirkt, deſto origineller und begehrens— 
werter! Die Leute bleiben jtehn und gaffen das 


— 49 — 


abſurde Untier an, — das iſt die Höhe! — Man 
kokettiert mit Scheuſälern, von denen man kaum 
weiß, ob es ein Meerſchwein, ein Hund oder ein 
Eichhörnchen iſt. Je unentwirrbarer die Raſſen durch—⸗ 
einander wühlen, deſto amüſanter! Ich weiß, daß 
es Händler gibt, welche nur darauf ausgehn, die 
ſchauerlichſten Miſchſorten zu züchten, weil dieſelben 
von Modenarren wie toll gekauft werden!“ — 

— „Und das hat der Kerl von einem Bäder ge- 
mußt, und mich darum um die fojtbaren Hündchen 
beſtohlen!“ jammerte die Mämä und hatte abjolut 
feinen Genuß mehr an dem Kuchen, welchen fie faute. 

„Natürlich!“ ſchürte der Oberleutnant mit der 
verbrecheriichen Freude eine Tartüff dieſes Yeuer. 
„Denken Sie doc, gnädigite Frau! Putzichen ver- 
eint allein für feine Perjon ſchon mindeſtens zwölf 
verſchiedene Raffen in ſich, — wie müjfen bei einiger- 
maßen guter Wahl des Vaters die lieben Kleinen 
ausfallen!! Die find Taufende wert!” 

„Kann man ben Betrüger nicht verfolgen und 
verklagen ?!” zeterte die Mämä und vergaß in dieſem 
Augenblid jeden Liebreiz und jede Kofetterie; Hal- 
tern aber machte eine troftlofe Handbewegung und 
fagte: „Ganz undenkbar! Wir haben keinerlei Be- 
lege und Zeugen für feine Handlung! Er ſchwört, 
‚daß er auf Ihren Befehl die Köter ertränkte, und Sie 
bezahlen noch die Gerichtskoſten!“ 

„Entjeglih! Das wäre mein Tod!!" — 


v. Eſchſtruth, Das Robeltantchen II. 4 


— 50 — 


Frau Sofefa hatte Schon mit der Nußtorte ge= 
Yiebäugelt, aber fie war jo aufgeregt vor Ärger, daß 
fie die Schüffel zurückſchob. 

„Sold ein Verluſt! Solch ein entjeglicher Ber- 
luſt!“ ächzte fie. „Wer Tonnte es aber ahnen? Ich 
leſe feine Zeitung, da fie mir zu teuer iſt; nur die 
alten Stüde, in welche die Kaufleute die Waren ein- 
wideln, — je nun, und darin fteht nicht von dieſer 
neueflen Mode!” — 

„Kun, man muß fi von jebt ab unter den 
Hunden des Landes umfjehen und nad) einem mög- 
lichit vielrafjigen Gatten für Putzichen ſuchen!“ 

„sa, unter allen Umjtänden! Und dann fchide 
ih die Jungen an den Zoologiſchen Garten?’ — 

Der Oberleutnant zudte die Achjeln. 

„Falls man dort genügend bezahlt! Auch ift 
e3 ängitlich, die Eoftbaren Eremplare aus der Hand 
zu geben! Vielleicht reifen Sie felber mit der Heinen 
Tamilie nach Berlin, wenn die Hundeausftellung 
nächſten Sommer ftattfindet, und machen e3 in allen 
Beitungen befannt, daß Sie die denkbar koſtbarſten 
Eremplare zu verlaufen haben!“ — 

„Das wird aber entjeglich viel Geld koſten?“ 

„Ih bitte Sie, Gnädigite, die paar Mark be- 
tommen Sie durch das glänzende Gejchäft zehnfach 
wieder ein!” — 

„Slauben Sie?" — 

„Ich perjönlich bin überzeugt davon! 


— se 


„Es wäre zu überlegen!” 

In der Türe erſchien Babette und fragte, wa3 
zum Mittagejjen gekocht werben folle, es fei nun 
höchſte Zeit dafür. 

Frau Joſefa war entrüftet. 

„Rod ertra Mittagejjen, wenn heute Nachmittag 
Gejellichaft ftattfindet, mo es fo mafjenhaften Kuchen 
gibt ?“ 

„Das dauert aber zu lange bis dahin!’ grollte 
die Alte in fichtbar jchlechteiter Laune. 

„Cagima fagte, e3 würden jo viele Apfel im 
Keller faul, — ſucht fie aus und Tocht fie mit ein 
paar Kartoffeln zufammen für euch beide, — id) 
begnüge mich mit etwas Kuchen und dem erjten Ab- 
guß des Tees, welcher für heut Nachmittag gelocht 
wird!” 

Die Gebieterin der leeren Kochtöpfe Inurrte et— 
was Unverftändliches und ging, und der Pragoner 
erhob ſich auch jehr Haftig und verabfchiedete ich. 

„Sie müſſen bald mit der Toilette beginnen, 
gnädigfte Frau!“ fagte er galant wie jtet3, „denn 
Sie müſſen heute doch die Schönfte fein!” — 

Das friichte die ſtark irritierte Hausfrau ein 
wenig auf. ‚Sie ftrich die Hände, welche die Spuren 
der Nuß- und Cremetorte bedenklich) an fich trugen, 
jorglo8 an dem ſtark verblicdenen Morgenrod ab 
und reichte fie mit holdem Lächeln dem jungen Offi- 
zier. 

4* 


4. 52 — 


„Die ſehr ärgerliche Entdeckung, daß ich mit 
Putzichens Kindern jo empfindlich betrogen und ge- 
Ichädigt bin, hat mir zwar den heutigen Tag recht 
verborben, aber ich hoffe, beiter Herr von Haltern, 
daß ich meinen Kummer vergeffe, wenn ich fehe, wie 
jehr man mich in Lobenbach um meine Freunde be- 
neidet! Seien Sie nur recht präzife da, Damit Gie 
mir bei dem Empfang zur ©eite ſtehen!“ 

„Selbſtredend, gnädigite Frau! Ich bitte, daß 
Sie Unna und mid zu Arrangeuren des Feſtes er- 
nennen, und werde alddann alles aufbieten, den Sour 
zu einem der glänzendften zu geitalten, welchen dieje 
Stadt je geſehen!“ 

„Arrangeure! Du liebe Zeit, wie großartig dag 
klingt!“ lachte die Mämä gefchmeichelt. „Ich ernenne 
Sie natürlich dazu und bin überzeugt, daß Sie die 
Welt in Erjtaunen fegen werden! Adio amico mio!“ 

Sie wippte, knixte und tänzelte neben ihm her bis 
zur Türe, dann ftürmte Haltern die Treppe hinab 
und fonnte fich einer Gänſehaut nicht erwehren, als 
ein Duft von faulendem Obſt die Kellertreppe empor- 
wehte. 

„Unglückliche Cagima!“ ſeufzte er. „Wahr—⸗ 
lich, es iſt die höchſte, allerhöchſte Zeit, daß dein 
Gefängnis aufgeſchloſſen wird und frohe Hochzeit3- 
gloden für dich läuten!” — 


13. Kapitel. 


Sn Sofefa von Solingen ftand in ihrem Salon 
und überblidte mit einem Lächeln höchſter Ge- 
nugtuung die alte Pracht, welche feit langer Zeit 
einmal wieder unverhüllt, wie bei Lebzeiten ihres 
Gatten, den Bliden dargeboten ward. — 

Die Möbel Hatten ihre Kattunmäntel und Mull- 
höschen ausgezogen, der Kriſtallkronleuchter war aus 
dem ſchützenden Sad gejchlüpft, und Die Deden, welche 
die Nippes und die großen chinefilcden Vaſen ver- 
hüllt hatten, waren gefallen. 

Dank der tätigen Pragonerfäufte glänzte das 
Ichöne, alte Parkett jo blanf wie ein Spiegel, und 
der furchtbare Kampferduft Hatte ſich durch das Lüf- 
ten verflüchtigt, oder war doch ſtark befämpft von 
dem Yliederduft, welchen Unna joeben in allen Zim- 
mern zeritäubte. | 

Cagima hatte ihr weißed Konfirmationskleid, 
welche3 feit diefem Tage mwohlgehütet im Schrank 
gehangen und jeder Modernijierung ferngeblieben 
war, angelegt, und da die Aufregung ihr alles Blut 
in die Wangen trieb, jah jie troß der übergroßen, faft 
kindlichen Einfachheit fehr herzig und füß aus. 

Haltern hatte jofort da3 Kommando übernommen 
und die junge Dame bejtimmt, nur während der An- 
funft der fürftlichen Herrfchaften Hinter der Pflege- 


— 54 — 


mama zu ſtehen, dann aber ſofort, wenn die Vor— 
ſtellung vorüber, in das letztgelegene der Zimmer zu 
gehen, um dort den daſelbſt aufgeſtellten Kuchen zu 
überwachen! 

Die Hofmarſchallin fand dieſe Anordnung vor- 
trefflih und nidte lebhaft Beifall, als der junge 
Offizier achjelzudend fagte: „Was ſoll die Kleine hier 
im Honoratiorenzimmer? Da gehört fie doch nicht 
hin, und man kann nie wiſſen, ob fich nicht unver- 
Ihämte Menfchen einfinden, welche fich über die Tor- 
ten hermachen, wenn fie unbeobadhtet find!” — 

„Sewiß! Und die Zuderdofe jteht ja auch dabei!“ 
ängitigte fi Frau Joſefa und ſchärfte der Nichte 
ein, fich direft neben den Tiſch zu Stellen und gut 
aufzupafien! Wenn jemand eine Taffe Tee nehme, 
jolle fie jedesmal fragen: „Gar feinen Yuder, oder 
ein — oder zwei Stück?“ Dann müßte ein jeder 
aus Anftand nur um höchſtens ein Stüd bitten. 

„Famos!“ applaudierte Haltern. „Tun Sie mir 
den Gefallen, Doktor, und halten Sie Sich in ber 
Nähe der YZuderdoje auf und unterhalten Sie die 
Menſchen davon, wie ſehr ſchädlich alle Süßigkeiten 
auf den ganzen menſchlichen Organismus wirken!“ 

„Gewiß, ſehr gern! Wenn ich unſrer hochver⸗ 
ehrten Gönnerin dadurch einen Dienſt erweiſen kann!“ 
verbeugte ſich Artik und ſah ſo ſteif und förmlich 
nach Baroneſſe Solingen hinüber, als reize ihn der 
Poſten an ihrer Seite nicht im mindeſten. 


— Ih: — 


„Aber gewiß, Doktorchen! Das iſt eine brillante 
Idee und kann uns enorm viel Kuchen und Zucker 
erſparen!“ — 

„Und Sie, gnädigſte Frau, ſetzen ſich nachher hier 
in den Eckſeſſel, ganz zurück in die Nähe des Fenſters, 
die fürſtliche Familie reiht ſich um ſie her, und die 
Hofchargen füllen das Zimmer vollends aus! Ich 
denke, wenn noch mehr Gäſte kommen und ſehen, 
daß kein Platz mehr iſt, verabſchieden ſie ſich ſofort 
wieder!“ — 

„Ganz recht!“ jubelte die Mämä, „man braucht 
ihnen dann vielleicht gar keinen Tee anzubieten!“ — 

„Natürlich! Ich inſtruiere die Burſchen! Wo 
haben Sie die Nußtorte verborgen? Hoffentlich gut 
verwahrt, daß ſie niemand entdeckt!“ 

Frau von Solingen kicherte hinter dem Fächer. 

„Ich hütete mich, ſie in die Speiſekammer zu 
ſtellen!“ flüſterte ſie Haltern zu. „In meinem Schlaf- 
zimmer auf den Schrank rettete ich ſie!“ 

„Klug und umſichtig wie ſtets!“ verbeugte ſich 
der Dragoner anerkennend, dann horchte er auf. 
„Ah, — ich glaube, es rollt ſchon ein Wagen heran!“ 

„Rein — er hält noch nicht!” — Die Hof— 
marſchallin flatterte nad) dem Fenſter und äugte 
hinter dem Vorhang hinaus. 

Der Oberleutnant und Artik mwechfelten einen 
fchnellen Blid und fonnten ihre N faum 
beherrſchen. 


—— 


Die Mämä hatte ſich jo ſchön gemacht. 

Das Kleid war ehemals gewiß jehr fojtbar und 
elegant geweſen, aber es war ebenjo unverändert 
aus dem Kleiderſchrank genommen, wie e8 vor langen 
Sahren hineingehängt war. Die mächtigen Buff- 
ärmel, um derentwillen ehemal3 die Droſchken er- 
weitert werden follten, jtarrten wie ungeheure Ballon3 
zu beiden Geiten ihrer jonjt jo mageren Trägerin 
ab, und der ſehr weite, fteifabjtehende Rod wirkte 
in einer Zeit, wo die Damen überſchlanken Lilien- 
itengeln gleichen und vor Engigfeit faum ausfchreiten 
fönnen, gradezu grotesk. Da die Mämä alles Poe- 
tifche liebte, jo hatte fie jich einen fpanifchen Spiben- 
ihal auf dem Haupt drapiert, welcher ſeitlich von 
einem Strauß dider Roſenknoſpen gehalten wurde, 
welche bisher in einer Vaſe recht dekorativ wirkten, 
von dem jchmalfrijierten Kopf aber abitanden, wie 
buntfarbene Würjtchen. 

E3 war den Herren unverftändlich, wie auch der 
gute Geſchmack einer ehemals fo eleganten Hofdame 
vollkommen verjauern Tonnte, — wie Sleichgültig- 
feit und Geiz jeden Maßſtab genommen, den die ehe- 
malige Gräfin Malthey nicht nur an andere, fondern 
auch jo ftreng an ſich ſelbſt gelegt. — 

„Run aber fommen jie!” rief fie vom Fenſter 
herüber und ſchwebte wie ein Backfiſchchen nach der 
Mitte des Salons zurüd. „Mit dem Glockenſchlag 
fünf! Sa, die Pünktlichkeit ift die Höflichkeit der 


Bi Ind eu 


Könige, das it ein wahres Wort! — Bitte, meine 
Herren, — da Sie hier fo ganz zu Haufe find, 
empfangen Sie wohl Seine Durchlaucht ſchon drunten 
im Veſtibül!“ — 

Die beiden Freunde waren bereit zur Tür ge- 
eilt und ftürmten die Treppe hinab, die hohen Herr- 
ſchaften in die gaftlich geöffneten Salons der Mämä 
zu geleiten; — der ganze Übermut und die Span- 
nung, wa3 die nächſte Stunde an Scherz und Amür 
jement bringen würde, ftand auf ihren Geſichtern 
geichrieben. 

Die Wagen der Yürftlichkeiten folgten fih auf 
dem Fuße, und derweil Unna den greifen Regenten 
forgjam die Treppe empor geleitete, wo die gallo- 
nierten Burfchen bereititanden, den Pelz abzunehmen, 
bot Haltern der Prinzeſſin Hortenjia den Arm, 
nachdem er mit jchneller Verbeugung aud) vor 
Grafin Wachienftein die Haden zujammengeflappt 
hatte! 

„Run, wie wird es?“ flüfterte die .hohe Frau 
mit feinem Lächeln. ‚Wird alles programmäßig 
Mappen?’ — 

„sch hoffe es, Hoheit! Den Kuchen Hat die für- 
ſorgliche Hausfrau mit dem Seziermeſſer in ſo win⸗ 
zige Stüdchen zerlegt, daß man fie nur mit der 
Zupe finden Tann!” 

„Aljo nimmt man zwei!” 

„Ich taxriere, daß vier Stüd erſt da3 normale 


_ 58 — 


Verhältnis eine Tortenvierundzwanzigſtels ergeben 
würden!’ — 

„Dann befommt Frau Joſefa aber vielleicht 
Krämpfe vor Schred 7" 

„Das hätte nicht auf ſich, da ja ein Art zur 
Gtelle iſt!“ — 

„Schön, alſo Gewiſſensbiſſe vakat! Ah! Wir 
legen hier ab? Sogar der Flur iſt heute geheizt?“ 
„Selbſtredend auf Staatskoſten, Hoheit!“ 

„Anders hätte ich es mir auch nicht denken 
können! Du liebe Zeit, ich bin derart geſpannt und 
neugierig wie ſeit Kindesbeinen nicht mehr!“ — 

„Es liegt ſchon etwas entſchieden Weihnachtliches 
in dieſer Vorfreude!“ — 

Die Prinzeß lachte leiſe auf. „O, Sie Spötter! 
Es iſt gut, daß die Tür ſich öffnet!“ 

Karl-Ehriftian trat ritterlich zurück, und Prin- 
zeſſin Hortenfia raufchte mit langer, malvfarbener 
Atlasfchleppe über die Schwelle, um im nächſten 
Moment Frau von Solingen fehr Huldvoll die Hand 
zum Kuß zu reichen. 

Geine Durchlaucht folgte und begrüßte feine ehe- 
malige Hofmarfchallin mit liebenswürdigſten Worten, 
er beglüdwünfchte fie zu dem ſchönen Entichluß, ihr 
Haus endlich wieder der Lobenbacher Gefellfchaft ge- 
öffnet zu haben! 

Frau von Solingen fehien wie aus einem Traum 
erwacht. 


— 59 — 


Wie ein altes Streitroß beim Klang eines 
Signals die Ohren fpitt und dann, alles was da- 
zwijchen liegt vergejlend — mutig und feurig wie 
ehemal3 zur Attade vorwärts ſtürmen will, jo war 
e3 beim Anblid der hohen Herrjchaften, der eleganten, 
duftenden Salon3 und hellen Lampen auch der Mämä, 
als jeien die langen Jahre Möfterlicher Pönitenz 
nur ein Traum gemejen. 

Gemwandt und charmant, wie einft, al3 das Hof- 
leben noch „ihr täglich Brot‘ war, empfing fie Die 
erlauchten Gäſte, präfentierte ihr Nichtchen, soit dit 
Pflegetöchterchen, und war entzüct über die Aus— 
zeichnung, welche ihr durch den Beſuch des Hofes 
zuteil ward! 

Schon waren Haltern und Unna abermal3 zur 
Haustüre geeilt, um den Erbprinz nebit Gemahlin 
nad) den Salons zu geleiten, und al3 auch Irene— 
Friedricke durch die Wahl einer Hocheleganten 
Toilette mit Chinchilla-Berbrämung den Beweis er- 
bracht Hatte, daß fie den Sour im grauen Hauſe 
fehr feierlich auffaßte, kannte der Stolz der Hof- 
marſchallin feine Grenzen mehr. 

Der Erbpring überreichte mit heiterem Lächeln 
ein riefengroßes Bufett, welches die Mämä zuerft 
etwas verblüfft anftarrte. 

E3 war nicht aus Blumen, ſondern jehr finnreid) 
und apart aus lauter Heinen Gemüfen zufammen- 
geftellt. Weiße Blumenkohlröschen, rote Karotten, 


— 60 — 


zartgekräuſelte Wirſingherzen, unterbrochen von Ra⸗ 
dieschen, Tomaten, Blättern von Rot⸗ und Weiß— 
kraut, Perlzwiebeln und Roſenkohl, kleine Gürkchen 
und Kartöffelchen reihten ſich bunt und luſtig um 
eine Artiſchoke, deren Blattbüſchel ſchlank zugeſtutzt 
emporragte, und wie ſonſt Engelfuß und Ziergras 
die duftenden Blütchen „umhauchen“, — ſo umſpielen 
hier die krauſe Peterſilie und der engliſche Bleich— 
ſellerie die leckeren Produkte des Gartens. 

„Sehen Sie, meine verehrteſte Baronin!“ ſagte 
der Erbprinz ſehr charmant und mit vollkommenſtem 
Ernſt; „ich bin ein praktiſcher Menſch und huldige der 
modernen Anſicht, daß man jungen Mädchen wohl 
nutzloſe Blumen, der ſorgenden Hausfrau aber brauch- 
barere HYuldigungen zu Füßen legen foll! — Für 
ein paar Stunden erfreut Sie der Anblid dieſes 
Straußes ebenfo wie derjenige duftigfter Marefchall 
Hil-Rofen, morgen aber jteden Sie die ganze Poeſie in 
den, Kochtopf und gedenken bei einem fchmadhaften Ge- 
richt doppelt erfreut des Gebers!“ 

Die Mämä erjtrahlte über da3 ganze Geficht. 

„Das ift ja wundervoll! Gradezu herrlich! Einen 
derart finnigen Strauß ſah ich noch nie, bin aber 
begeiftert von der hochoriginellen glüdlichen Idee!“ 
— Und derweil alle Köpfe ſich näher redten und 
jedermann voll Lob und Bewunderung war, öffnete 
fih die Türe abermald und die Hofchargen, ſowie 
Rittmeiſter von Herford nebſt Gemahlin. traten ein. 


— 6 — 


Frau Joſefa mußte begrüßen. 

Sie tat es mit leuchtenden Augen und großer 
Genugtuung. 

Aber ſchon ſchlugen die Portieren abermals aus— 
einander, ein paar Ratsfamilien und etliche junge 
Offiziere ſchoben ſich näher. 

Alles dienerte, knixte, — die Sporen klangen. 

Die Mämä machte ſchon große Augen und Karl⸗ 
Chriſtian fagte: „Nun bitte ich aber, daß wir Plab 
nehmen. Das lange Stehen taugt mir nidht3, und 
doch kann ich als höflicher Mann nur dann fißen, 
wenn die Hausfrau neben mir Pla genommen! 
Bitte, gnädigite Frau! Lafjen Sie uns ein Plägchen 
in guter Dedung fuchen, wo wir alle freundlichen 
Bejucher wie bei einer großen Cour par distance 
begrüßen!” 

Haltern trat haftig näher, und Unna ſchob einen 
großen, bequemen Seſſel zurecht. 

„Ich dachte, Euer Durchlaucht nehmen hier in 
dem Lehnſtuhl Pla, und Frau von Solingen okku— 
piert diefe Sofaede!” | 

„Ausgezeichnet arrangiert!” nidte Karl⸗Chriſtian 
und ließ fi an feinen Pla führen, Prinzeſſin 
Hortenfia und Srene-Friedride aber, melche joeben 
mit Haltern geflüftert, traten fchnell näher. 

„Wie gemütlich iſt diefe kleine Ede!” Tächelte 
Hoheit fehr Tiebenswürdig. „Sch ſetze mich an Ihre 


92 — 


Geite auf das Sofa, und die Erbprinzeß wählt den 
andern Seſſel!“ 

„Dann werde ich die andere Geite der Frau 
von Solingen flanfieren!” rief Fürſt Karl-Fohann 
in bejter Laune und klemmte ſich zwiſchen Klavier 
und Blumentifch hindurch, um auf einem Gtuhl 
tief in die Ede neben die Mämä zu rüden. 

„Exzellenz Roden — bitte hierher! — Baron 
Wolfshaufen, Sie behaupten wohl den Plab an der 
Seite der Frau Erbprinzefjin? — Und Sie, liebes 
Fräulein von Bühl und Herr Schloßhauptmann von 
Röhn Schließen ſich an!“ — 

Der Kreis zog ſich immer dichter und feſter, und 
Frau von Solingen war blockiert wie ein feindlicher 
Hafen. 

Sie konnte ihren Platz unmöglich verlaſſen, ohne 
die hohen Herrſchaften zu beläſtigen. 

Der regierende Fürſt blickte auf den Burſchen, 
welcher jetzt mit einem Tablett voll Teetaſſen eintrat. 
Ein zweiter folgte mit Kuchen und Torte. 

„Liebe Irene, du figeit ‚Hermann dem Raben‘ 
am nädjiten, bitte, reich’ für unfere gütige Wirtin 
und mich von den füßen Genüfjen herüber! — Ah... 
dag fieht ja delifat aus, — ich glaubte faum, daß 
ich jebt Appetit haben würde, aber einer jo ver- 
Iodenden Schüſſel gegenüber fann ich nicht wider- 
ſtehn!“ 

„Ja, es ſieht brillant aus! Die Torte reizt 


— 63 — 


ja förmlich zum Genuß!“ rief Prinzeß Hortenſia ſehr 
laut. „Darf ich dir hinüberreichen, Karl-Johann? 
Wie viel Stück?!“ 

„Na, ſagen wir fürerſt mal drei! Ich will zum 
Anfang beſcheiden ſein! Aber dafür bitte ich um 
vier Stück Zucker in den Tee! Ich möchte mir das 
Leben verſüßen!“ — Der junge Fürſt rief es hoch— 
gemut und ſah unendlich liebenswürdig dabei aus. 

Frau Joſefa zuckte zuſammen, aber ſie erwiderte 
das Kompliment des Erbprinzen mit einer graziöſen 
Kopfneigung und ſchielte dabei auf die kleinen Händ— 
chen Ihrer Hoheit, welche alle Umſitzenden mit Tee 
und Kuchen verſorgte und ein wahres Blutbad in 
der Zuckerdoſe und auf den Schüſſeln anrichtete. 

Wenn die Stücke zerbröckelten, half ſie unge— 
niert mit dem Löffel nach. 

Der Mämä lief es eiskalt über den Rücken, aber 
fie hatte feine Zeit zu weiteren Beobachtungen, fie 
jtarrte überrafcht auf die Türe, durch mwelche aber- 
mals ein Schwarm Menjchen mogte, welche rau von 
Solingen faum vom Anjehen Tannte. 

Die Neulinge grüßten die Herrjchaften mit tiefer 
Verbeugung und murden jofort von Haltern ins 
Nebenzimmer dirigiert. 

Sporen klirren. 

Ein paar Dragoner mit ihren Damen. 

Man begrüßt fich, reicht fich die Hand. 

„D, ich fage Shnen, Kuchen und Torte find 


ar IR: 2 


gradezu vorzüglih! Im Nebenzimmer fcheint die 
Teequelle zu fließen!‘ 

Die Erbprinzeß ruft es mit charmantem Lachen 
und die Mämä denkt ingrimmig: „Dieſe alberne 
Bemerkung war recht überflüffig!” Aber fie muß 
wohl oder übel durch gejchmeicheltes Kopfneigen quit- 
tieren. 

Natürlich ſtürmt man fofort in dad Neben- 
zimmer. 

Wenn nur Gagima und Unna ihre Sadye 
gefhidt anfangen, fonjt bleibt ja nicht ein Krümel 
übrig!! — 

Und wieder öffnet jich die Türe... .. wieder und 
wieder... .. Die ewige Kümmernis! Was find denn 
da3 alles für Menſchen? — 

Frau von Solingen fperrt in ftarrem Staunen 
Mund und Naſe auf, aber die fürftliden Herr- 
ſchaften niden und grüßen fo herzgewinnend gütig, und 
Haltern leitet den Menfchenitrom unter dauernden 
Büdlingen immer in den Nebenfalon, wo der Kuchen 
ſteht! 

Mehr und mehr Menſchen ziehen vorüber, und 
Frau Joſefa ſitzt blaß und ſchreckensſtarr auf ihrem 
Seſſel und merkt es gar nicht, wie alle Blicke ſie 
verſtohlen beobachten, wie der Erbprinz eine launige 
Bemerkung nach der andern macht, nur um die 
mühſam verhaltenen Lachſalven zu entfeſſeln. 

Mehr und mehr! — | 


— 268 2 


Wer find denn all diefe Menſchen? — 

Was wollen fie hier? — 

Oh! ah! — ach! ... Nur Kuchen efjen! 

„Lieber Haltern!” ruft der Erbprinz. „Bitte, 
geben Sie mir noch eine Tafje Tee und etwas 
Torte!” 

„Mir au!” — 

„Wenn ich bitten darf, auch mir!” fchließen 
ſich die fürftlihen Damen an, obwohl die Hoheit 
joeben den letzten Bifjen in den Mund ftedt und 
fih, an einer Mandel verjchludt, daß fie beinah 
erjtidt! Ä 

Haltern dienert ſehr verlegen. 

„Der Kuchen und die Torten find bereit alle!” 
meldet er achjelzudend. „Befehlen Frau Baronin, 
daß bei dem nahemohnenden Konditor noch nach— 
geholt wird ?” 

Die Mämä ringt blaß und außer fi) nad) 
Faſſung, aber Karl-Johann ruft fehr heiter: „Na, 
natürlih! Glauben Sie, unfere liebe Hofmarfchallin 
läßt ihre Säfte Hungern? Nicht wahr, Baronin, fo 
viel Torte, wie gebraucht wird, muß geholt werden ?' 

„Gewiß, gewiß!” lächelt Frau Joſefa mit blafjen 
Lippen, und der Oberleutnant ftürmt davon, wie aus 
der Piſtole gejchofjen. 

Menſchen! Immer mehr und mehr Menfchen! 
Das fchiebt und drängt ſich nur noch wie auf dem 
Jahrmarkt vorüber, — Kaufleute, Heine Beamte... 

v. Eſchſtruth, Das Robdeltantchen IL. 5 


— 6 — 


was um alles in der Welt, was wollen denn die 
hier? — | 

Aber die hohen Herrichaften jcheinen grade über 
das Erjcheinen dieſer Gäſte beſonders erfreut, fie 
niden, rufen freundliche Worte zu. und lachen und 
(herzen untereinander als fei heute Karneval! 

„Es ift wirklich fabelhaft, wieviel gute Freunde 
Sie haben, beite Frau von Solingen!” freut ſich 
Karl-Chriftian fo recht von Herzen. „Es ift rühren, 
wie all diefe Menſchen kommen, um Sie zu be- 
grüßen!” | 

„Ja, es ift harmant!’ lächelt die Mämä fauer- 
füß und befommt immer verglaftere Augen. 

„Frau Baronin, es ijt fein Zuder und Tee mehr 
da!” meldet Frige mit lauter Stimme. „Muß wohl 
fofort bejorgt werden?“ 

Die Hausfrau nidt wohl oder übel und ift fo 
perpler, daß fie vergißt zu jagen: „Der Tee muß 
aber in der Apotheke geholt werden!” — 

Sie ftarıt nur faſſungslos auf die Türe und 
begreift gar nicht, wo all die majjenhaften Menjchen 
berfommen, und wo fie bleiben! 

Die Zimmer find ſchon dickgedrängt voll Lieber 
Teegäſte, viele müſſen fraglo8 auch ſchon wieder ge- 
gangen fein, nachdem jie wie die hungrigen Wölfe 
über ihre armen, ſchönen Kuchenvorräte hergefallen 
find! | 
Sie berechnete heute morgen, daß jie mit den 


ze HT 


Badwaren fraglos vierzehn Tage lang reichen und 
täglich da3 Mittageijen ſparen würde, wenn fie diefen 
törihten Sour nicht angejegt, jondern alle Vorräte 
für ſich behalten Hätte! Und nun fommen in milden 
Haufen die Menichen daher und effen fie banferott! 
Nicht nur daß al die Schönen Kuchen und Torten 
ſchon verſchwunden find, fie muß fogar noch mehr 
für ſchweres Geld dazufaufen, um die Vielfraße zu 
fättigen! ber zum Jammern und Wehllagen ift 
jetzt feine Beit, fie ſitzt hilflos als Opferlamm und 
muß e3 geduldig ertragen, daß man fie in ihrem 
ftillen, friedlichen Haufe wie die Räuberhorden über- 
fällt. | 

Haltern fcheint auch untröftlich darüber, denn 
er madte ihr ſchon wiederholt myſteriöſe Zeichen, 
welche fraglo3 bedeuten jollen, daß er gleich ihr dieſes 
Zeit als ſchmählichen Reinfall empfindet! 

Mehr, immer mehr Menſchen! — 

Du liebe Zeit, iſt denn die alte Fräulein Helm 
toll geworden ? 

Was geht jie diefe unſympathiſche Penjionz- 
mutter an, mit welcher fie fich ehemals faum auf der 
Straße grüßte? 

Und nun fommt fie fteifgepußt im ſchwarzen 
Geidenkleid mit weißem Crêpe de Chine-Schal da- 
her und Hinter ihr alle vierzehn Penfionärinnen, 
Inirend und verlegen grinjend wie die Meerfagen! 

Was wollen diefe Gänfe hier? 

5* 


— 8 — 


Kuchen effen! Biel Kuchen! Auf Koften ber 
Frau von Solingen in Süßigleiten fchlemmen, was 
ſonſt? 

Die hohen Herrſchaften ſcheinen über dieſen Zu- 
wachs an Teegäjten auch jehr eritaunt, die Erbprin- 
zefjin Hält ſich direkt das Taſchentuch vor, und Hoheit 
lacht Hinter dem Fächer, daß fie ſich fchüttelt, als 
der Sprottenzug im Nebengemach verſchwunden ift! 

Nur der Erbprinz fcheint e8 in der Ordnung zu 
finden, denn er ruft ihr zu: „Ich bin ganz erfchüttert, 
daß jelbit die jüngiten Mädchen fich fo völlig unter 
Shre guten Freunde rechnen! Da fieht man, wie 
jung Sie fih an Leib und Seele erhalten haben, beite 
Baronin!” — 

Die Mümä nidt wie eine Märtyrerin und zieht 
den Mund zu einem Heinen Miündchen. 

„Ad, ja, Durchlaucht!“ flötet fie, — „troß der 
Jahre erhielt ich mir zweierlei, da3 Herz einer Kon- 
firmandin und den Liebreiz der Züge, welchen ſelbſt 
Dezennien nicht aus dem Antlig einer edlen Frau 
löſchen können!“ 

„Ganz recht!” applaudiert Karl-Johann. „Sc 
entfinne mich auch, dieſen Satz einmal irgendwo ge- 
leſen zu haben!“ 

Herr von Wolfshauſen erhebt ſich und windet ſich 
jo nahe wie möglich an die Mämä heran. 

„Snädigite Frau!“ fagt er jo laut, daß man es 
am ganzen Tiſche hören muß, „Seiner Durchlaucht 


Fürſt Karl-Chriftian ift es verordnet, um dieſe 
Beit ein Glas Tolayer zu feiner Stärfung zu trin- 
ten! Sie find mir gewiß dankbar, wenn ich Sie 
darauf aufmerkſam mache!” 

— Frau Joſefa iſt einer Ohnmacht nahe. „To⸗ 
kayer? Ach, ich bedaure jehr! Ich Habe leider feiner- 
lei Wein im Haufe —“ 

„Bitte, da3 macht nichts! Ach überbringe Ihren 
Befehl, daß ſofort eine Flaſche bejorgt wird!” 

— „Eine halbe Flaſche!“ möchte die Hofmar- 
ſchallin aufichreien, aber unmöglich, der Kammer- 
herr ijt bereit3 davongeeilt und der Erbprinz reibt 
fi gemütlich die Hände und jagt: „Sa, ja, bei dem 
falten Wetter heute tut ein Glas Wein jehr wohl, — 
ih werde auf Ihre Gejundheit auch ein Gläschen 
genehmigen!” | 

Die Mämä Tann nur anfcheinend fehr erfreut 
den Kopf neigen, aber ihr Lächeln gleicht einer 
frampfhaften Musfelzerrung und wirft wie ein blö- 
des Grinfen! | 

Prinzeſſin Hortenjia hat anjcheinend noch immer 
mit der verfchludten Mandel zu tun, fie befommt 
abermal3 den wahren Krampfhujten und verjentt das 
Antlig in ihr Spigentüchlein. 

Wenn zuerjt die Menfchen in Heinen Scharen 
herzujtrömten, jo ſcheint es jet eine wahre Völker— 
mwanderung zu geben. 


Schon vom Flur und der Treppe herein fchallt 
das Surren und Summen der Stimmen, und Leut- 
nant von Bad) erzählt eben Fräulein von Bühl, daß 
die Leute bereit3 die ganze Wohnung bis in Die 
Küche hinab füllten! Etliche ſäßen fchon mit den 
Teetafjen auf der Stiege!! — 

Die Mämä fühlt, wie ihr der kalte Schweiß auf 
die Stirne tritt, und nur ein ſchneller, flüchtiger Ge- 
danke tröftet fie: Welch ein Glüd, daß die gute 
Nußtorte gerettet ward, jonjt hätte fie felber, die 
Wirtin, zum Schluß nur das Nachſehn und Bezahlen 
gehabt! — | | 

Auf der Straße werden laute Juchzer, Gefchrei 
und Gelächter laut. 

E3 jurrt und burrt da draußen, al3 wäre der 
jtile Witwenfiß der Frau von Solingen ein Bienen- 
haus geworden, vor welchen in didem Klumpen die 
Schwärme hängen. Und alle effen Kuchen! Unauf- 
hörlih Kuchen! 

Da fommt der Tolayer! 

Frau Joſefa flirrt e8 vor den Augen. 

Das Kamel von einem Burjchen hat die Flaſche 
auf ein Zablett geitellt und darumher alle Wein- 
gläfer gereiht, welche er im Büfett gefunden! 

Und nun hat Wolfshaujfen die Frechheit, alle 
Gläſer vollzuſchenken und läßt zuerft den fürftlichen, 
Damen anbieten! 

Natürlid nehmen fie! 


——— 


Und die teure Exzellenz Roden ſtreckt auch die 
Hand aus, — der liebe Gatte folgt ihrem Beiſpiel! — 
Fräulein von Bühl, das unverſchämte junge Ding, 
lacht wie eine Blödſinnige und bedient ſich ebenfalls, 
und der Monſieur Leutnant, welcher noch an ihrer 
Seite ſteht, iſt auch fein Koſtverächter!! — 

Mämäs Blick folgt voll ſtierer Gier dem Tablett 
und ihre Finger krampfen ſich immer nervöſer zu- 
fammen. 

Karl-Chriftian trinkt und nidt jehr anerfennend, 
und der Erbprinz faßt ebenfall3 ein Glas, grade das 
legte; vor Frau Joſefa verfiegt der Wein. 

„Eine großartige Marke! Wirklich ein ganz vor- 
zügliher Tropfen!” nidt der greife Fürft jehr an- 
erfennend. „Es iſt wirklich zu charmant, meine liebe 
Baronin, wie generös Sie und heute bewirten!“ 

Die graugrünen Augen der Hofmarjchallin knei⸗ 
fen fich ſchmerzlich zuſammen. 

„Durchlaucht find jehr gnädig!“ ftöhnt fie. „Ich 
freue mich, daß der Wein gut ift! Du lieber Gott, 
eine arme, fo kümmerlich geitellte Witwe wie ich 
fann leider nicht mehr ausgeben, als wie jie hat!“ 

Der Erbprinz lacht heiter auf. „Per Wig ift 
ja tadellos, Baronin! Schade, daß Sie nicht noch 
die Bointe mit den ſieben unerzogenen Kindern, welche 
jeit Monaten feinen warmen Löffel mehr in den Leib 
befommen haben — anbringen Tünnen! a, ja, teu- 
erſte Baronin, wenn man jo glänzend gejtellt iſt wie 


— — 


Sie, dann hat man gut über die Miſere des Lebens 
ſcherzen!“ 

„Scherzen?!“ ringt es ſich voll bitteren Vorwurfs 
von den erblaßten Lippen der Hausfrau, aber der 
junge Fürſt fährt ebenſo liebenswürdig wie harm— 
los fort: „Ich freute mich neulich ſehr, von dem 
Oberſteuerrat zu hören, meine beſte Baronin, daß 
Sie in unſerer Stadt die zweithöchſtbeſteuerte Ein— 
wohnerin ſind, und daß Ihr Vermögen von Jahr 
zu Jahr beträchtlich anwachſe, weil faſt völlig Zins 
auf Zins gelegt wird! — Daß Ihr Herr Gemahl ein 
ſehr bedeutendes Vermögen hinterlaſſen, wußte man 
ja, aber daß es mit den Jahren derartige Dimen- 
jionen annehmen werde, da3 war eine neue Freude 
für ung!” | 

Frau von Solingens Antlit färbte fich troß des 
ſtarken Mehlpuders grünlich. 

„Oh... welch eine unerhörte .. ſtrafbare In— 
diskretion!“ rang es ſich von ihren Lippen. „Wie 
darf ein Beamter davon reden. . .” 

„Ich bitte Sie, gnädigſte Frau, das war ja nur 
dienftlih! Bor feinem Fürften hat fein Beamter Ge- 
heimnifje, und außerdem müffen bei der großen Ab- 
rechnung die einzelnen. Poſten zur Sprache gebracht 
werden !” 

— Wie laut er redete! Alle horchten auf, alle 
redten die Köpfe — alle wiſſen e3 nun ganz genau, 
daß fie eine ſchwerreiche Frau ift! 


Der Mämä fchwindelt es, — fie preßt momen- 
tan die Hände gegen die Schläfen. 

„Dh — Sie leiden auch an etwas Schwäche!” ruft 
Prinzejfin Hortenfia teilnehmend. „Und was fehe 
ih? — Sie haben feinen Wein erhalten! Grade 
Sie, welcher heute bei all den vielen und großen 
Unftrengungen ein Glas zur Stärkung jo nottut?” — 

„Unerhört! Die Baronin hat feinen Wein!“ 

„Wo ift der Burjche ?!“ 

„Ab, da fommt er! Schnell noch ein Glas für 
die gnädige Frau hier!” 

„Rein, nein... um alles nicht . . ja feinen Wein 
mehr —“ jtöhnt die Mämä ſehr leidend. 

„Auf jeden Fall müjfen Sie trinfen! Der Dok— 
tor fagt es auch!“ — 

„Schnell, bejorgen Sie noch, wenn fein Tofayer 
mehr da iſt!“ — 

„Gleich zwei Flaſchen! Man muß ftet3 etwas 
bereit und zur Hand haben für den Notfall!” 

„Befehl!“ und Fritze macht militärifh Kehrt 
und iſt verſchwunden, ehe die entſetzte Gaſtgeberin 
proteſtieren oder doch rufen kann: „Aus der Apo— 
theke holen!!“ — 

Vor ihren Augen tanzt alles im Kreiſe. Und 
während ſie noch atemlos nach Faſſung ringt, ſtrömt 
es ununterbrochen zur Türe herein, knixt und dienert 
und ſchiebt ſich weiter. 

Die hohen Herrſchaften ſind wieder ganz Aug' 


— 74 — 


und Ohr, und man ſieht es ihnen an, daß ſie ſich 
wunderbar amüſieren. 

Sit es möglich?! Der Chauffeur des Autoomni- 
bu3 marjchiert vorüber und macht feinen Kratzfuß, 
ihm folgt der Schorniteinfegermeifter, nad) ihm 
Ihüchtern und finnig folgt die „mweife rau‘, die 
hochverdiente Frau Bürfchel, welche tapfer bei Tag 
und Nacht an dem Nachwuchs von Lobenbach feit 
vierzig Jahren gearbeitet, — ſie knixt und watjchelt 
borüber, von einem befonderen Segenswunſch des 
Erbprinzen begleitet. — 

Und fo geht e3 weiter: der Wirt vom „Goldenen 
Lamm, nebit Gattin, Sohn und Tochter, der Schnei- 
dermeifter Engelfe und die alte Flickfrau Sette, die 
Gemüfehändlerin vom Stadtturm und der Dienit- 
mann Bröje! 

Die Mämä ächzt leife vor fich Hin, al3 ob fie 
ein Schlimmer Albdrud quäle. 

Mechaniſch erwidert fie die Grüße und hört e3 
faum nocd, wie Karl-Chriftian feiner tiefen Rüh— 
rung Worte verleiht, daß ja die ganze Stadt den Four 
der Frau von Solingen ala Freudenfeſt feiere, welches 
die allgemein jo jehr verehrte Frau der Gejelligfeit 
von Lobenbach zurüdichenfe! 

Und dann erjcheint Fritze abermalg mit drei 
Flaſchen Tokayer auf dem Tablett, und al3 Haltern 
vorwurfspoll fagt: „Uber mas foll da3? E83 waren 
doch nur zwei Bouteillen beitellt ?” Da ftottert der 


— 5 — 


einfältige Menjch mit hochrotem Kopf: „Er habe drei 
veritanden!” 

In demfelben Augenblid frägt Prinzeffin Hor— 
tenfia, wer da3 brillante Porträt des verjtorbenen 
Hofmarſchalls und die beiden danebenhängenden Bil- 
der gemalt habe? — 

Frau Joſefa ſtarrt wie eine Mondfüchtige nach 
den Gemälden empor und muß wohl oder übel er- 
klären, und al3 fie endlich wieder beobachten Tann, 
was vorgeht, da jieht fie, daß Haltern ein paar junge 
Künſtler in das Nebenzimmer geleitet Hat, und daß 
währenddefjen der Hornochs von einem anderen Bur- 
fchen alle drei Flafchen öffnete und foeben mit einem 
großen Tablett voll Gläfern in dem anderen Salon 
verſchwindet! 

Sie will in einem Gemiſch von Wut und Schmerz 
aufſchreien, aber ſchon ſteht Fritze mit den anderen 
Gläſern vor dem Erbprinz, und dieſer nimmt den 
goldigen Wein und bietet ihn mit den galanteſten 
Worten Frau von Solingen an. Er ſelber nimmt 
auch noch einen der duftenden Kriſtallkelche und 
offeriert ihn Karl-Chriſtian, dann bedient er ſich 
ſelber und hebt das Glas. 

„Ich bitte dich, Papa, mit mir auf das Wohl 
unſerer hochverehrten Gaſtgeberin zu trinken!“ ſagte 
er voll ausgeſuchter Höflichkeit, und die Baronin kann 
abermals nicht anders, als wie krampfhaft zu lächeln 
und zu danken. 


eu 6 er 


Prinzeſſin Hortenlia hebt warnend die Hand. 

„Diefer Wein iſt wundervoll und fehr ftark! 
Sei vorjichtig, lieber Schwager, und trink nicht zu 
viel, du biſt gewöhnt, ein belegtes Brötchen vorher, 
zu eſſen!“ 

Fritze fteht daneben und hört die Worte, und 
Haltern tritt foeben wieder ein und Hört fie auch. 

Wie ein unbändiges Lachen zudt es um feine 
Lippen, und er winkt den getreuen Scherasmin ver- 
jtohlen zur Seite. 

Der Schlud Wein hat der Mämä für einen Au- 
genblid jichtlich mohlgetan, fie redt jich wieder empor 
und wirft einen jchnellen Blid nach der Türe, in 
welcher jujt der „Primus omnium“ der Realfchule 
ericheint und den Befiliermarjch feiner Klaſſe er- 
öffnet. | 

Die jungen Leute quetichen ich jo gut e3 geht 
in das Zimmer hinein und plößlic erichallt auf 
den Wink des Anführer aus den frifchen, jungen 
Kehlen da3 Studentenlied „Der Landesvater”. — 

Diefe Ovation ift jehr ſchön und erfreut Karl- 
Chriſtian erjichtlich fehr, da aber der Salon Hein 
und die Kraft der Stimmen groß it, winkt er nad 
dem eriten Vers mit Huldvolliten Worten ab und 
auch Frau Sojefa verzichtet bleich und nervös auf 
den Vortrag von „Wer hat dich, du fchöner Wald, 
aufgebaut jo hoch dadroben!“, was eine Huldigung 
für fie und fraglo3 eine zarte Anfpielung auf ihren 


a 


erhöhten Sofaplaß neben ber fürftlichen Familie fein 
follte! — 

„Zee paßt eigentlich nicht fo recht für diefe fo 
entzüdend aufmerkſamen, angehenden Studenten, 
liebite Baronin!” ruft die Erbprinzefjin ganz be— 
geiltert. ‚Sie müſſen ihnen al3 Revanche für die 
Auszeihnung etwas Bier reichen laſſen!“ 

„Ah ja! Die famojen Jungen? müſſen Bier 
haben!” tönt e3 von allen Seiten, und als auch Karl- 
Chriftian diefe Bewirtung für ganz jelbitverjtändlich 
hält, hat die Mämä feine Wahl mehr, fie fchillert 
nod) grünlicher im Geficht als zuvor und ſinkt matt 
in die Sofaecke zurüd. 

„Wenn es abjolut fein muß!” klingt es er- 
iterbend von ihren Lippen, — „dann ja!” 

Schon jtürzt einer der Burſchen davon, um das 
Nötige zu veranlaſſen. 

Frau Joſefa wiſcht mit dem Taſchentuch über die 
Stirn und ſtarrt wie hypnotiſiert auf die Türe. Gott— 
lob — ein — zwei — drei — Minuten veritreichen, 
fie bleibt geſchloſſen. — 

Noch meitere fünf Minuten... 

Es fommt niemand mehr. — 

Wie Bentnerlaften fällt e8 von der Bruft der 
ſchwer geprüften Hausfrau. 

Aber was ilt das?! 

Boll Entjegen ſchnellt fie empor und die hohen 
Herrſchaften lauſchen auch betroffen. 


u 398: 2 


Bon der mädjtig großen Flurhalle herauf ertönt 
‚mit fchmetterndem Tuſch eine gewaltige Hornmufil. 

„Sei mir gegrüßt, du teure Halle!” ruft Er- 
zellenz Roden entzüdt, „o, wie finnig! Wie jchön! 
Das Lied der Elifabeth aus dem Tannhäufer!” 

„er jpielt denn? — 

„Die Regimentömufil der Dragoner!” 

„Dh! Welche Aufmerkſamkeit!“ 

„Sicher vom Offizierskorps hierher beſtellt!“ 

„Wirklich reizend!” 

„Bitte um Ruhe, meine Herrichaften! Welch 
ein Genuß, dieſe ausgezeichnete Muſik hier oben, 
‚quasi aus überdedtem Orcheiter zu hören!” — 

Tiefe Stille, — alles lauſcht. — 


14. Kapitel. 


rau don Solingen hört kaum auf die Klänge; 
da3 Schnurren, Laufen, Schmaten und Traben 
in den Nebenſalons bemweijen ihr nur, daß alle ge- 
Tiebten Teegäfte die Treppe hinabjtrömen, da3 Kon⸗ 
‚zert aus nächlter Nähe in der Flurhalle zu genießen. 

Welch ein Glück! So werden wenigſtens die 
armen Teppiche nicht total zertrampelt! 

„Ah... eine neue Nummer!‘ lacht der Erb- 
prinz, „jebt wird es luſtiger! Das ijt ein moderner 
Walzer: Kind, du kannt ja tanzen... .” 

„Richtig, die gejchiedene Frau!“ 


„Allerliebſt!“ 

„Das muß Ihnen doch wirklich eine — Freude 
bereiten, beſte Frau von Solingen!“ 

Die Genannte ſchluckte wie an einer bittern Pille; 
ſie muß ſelbſtredend zuſtimmen, aber ihr innerer 
Menſch krümmt ſich vor Angſt bei dem Gedanken: 
Nun muß ich den Kerls womöglich auch noch Bier 
geben! Dh... ach ... und ich liebe doch Feine 
Muſik ... möchte fie allefamt der Teufel holen! — 

Leutnant von Lochau eilt mit Luftfunfelnden 
Auglein herein, Happt elegant die Haden zufammen 
und berichtet: „Sie Fröhlichleit dieſes reizenden 
Feſtes erreicht feinen Höhepunkt, jet fängt die junge 
Welt in der Halle an zu tanzen!” — 

„gu tanzen!!" Wie ein gellender Schredens- 
Schrei tönt e3 von Frau Joſefas Lippen. 

„DO, das ift ja entzüdend! So etwas Nettes 
ift ja feit Fahren nicht in Xobenbady dagemwejen! Das 
kann man mwirflic nur fehr loben!” nidt Prinzeſſin 
Hortenfia voll ſüßer Anerkennung und fchneidet da- 
durch jeden Einwand der Hausfrau ab, und der Erb- 
prinz fpringt auf und ruft: „Wenn getanzt wird, 
bin ich dabei! Das ijt ja ganz mein Fall!’ — 

„Oh, nimm mid) mit!“ jubelt Irene-Friedricke, 
„ich tanze leidenschaftlich gern! — Fräulein von 
Bühl, Sie wollen doch nicht etwa feiern?!“ 

Karl-Johann Hat feiner Gemahlin den Arm ge- 
boten, — Leutnant von Lochau verneigt jich vor der 


_ 80 — 


Hofdame, und ſchnell wie der Gedanke enteilen bie 
beiden Baare durch die Türe. 

„Daß Cagima aber um feinen Preis tanzt!” 
zetert die Mämä und will aufjpringen und fich nady- 
jtürzen. „Das leide ich nie und nimmermehr! Auf 
feinen Fall!“ 

Seine Durchlaucht legt die Hand auf ihren Arm 
und zwingt fie zu bleiben. 

„Welch rührende Sorge um da3 liebe Kind, 
meine teuerjte Frau!” jagt er mit ſeltſamem Lächeln. 
„Das Tanzen iſt, zu oft genofjen, nicht gefund, aber 
heute, an diefem jchönen Felttag, muß eine Aus- 
nahme gemadt werden. Ich bitte Sie darum und 
nehme feinen Korb an. Laffen Sie der Jugend ihr 
Necht, wir Alten bleiben Hier gemütlich beifammen 
fiten und ſchwatzen von der jchönen, vergangenen 
Beit, wo auch für und nod Flöten und Geigen 
Hangen!‘ 

Die Mämä Inidte zufammen und ftarrte den 
Sprecher jefundenlang ſprachlos an. 

Wir Alten? — War fie etwa damit gemeint, 
rechnete diefer weißhaarige, alte Mann fie etwa fchon 
zu jenen, für welche alle Iuftigen Tanzweiſen längjt 
verflungen ſind? 

DO, wäre e3 ein andrer Gterblicher gemefen, 
welcher ihr mit lächelndem Munde eine derartige 
Sottiſe fagt, jie würde ihm antworten, daß er ein 
Weiterreden vergäße! — 


— 81 — 


Sie, die Frau in den beſten Jahren, in welche 
ſich ſoeben die beiden begehrteſten Kavaliere der Stadt 
bis über die Ohren verliebten! 

Aber fie iſt ja gebunden, und ihr Mund muß 
Schweigen, wie bei einer Sklavin, wenn fie von dem 
Landesfürſten kommandiert wird, an feiner Seite 
al3 Dummelgreifin audzuhalten! 

Biel Freude wird er an ihrer Unterhaltung 
nicht erleben, — all ihre Gedanken find voll fieber- 
hafter Nervofität bei dem Speftafel im Hausflur 
drunten, wo Cagima ficherlid als Löwin an 
einem ‚„moralifhen Blut’ leckt, welches fie doch ab- 
folut nicht kennen darf, um nicht in bedenklichiter 
Weile auf den Geſchmack zu kommen! — 

Sehr zerjtreut Hört Frau von Solingen zu, als 
der alte Dufelfrig von einem Hofmarjchall ſich ge- 
fühlvollſt der herrlichen elite entfinnt, welche ehe- 
mals auf dem Schloß arrangiert wurden, als die 
hochfelige Fürſtin ſo lebensfroh und gern getanzt, — 
als man die Taufe für den teuern Erbprinz rüjtete 
und das fünfhundertjährige Jubiläum des alten 
Städtchens in fo herrlicher, Hiftorifcher Weife feierte! 

„sa, ja, ich entjinne mich!” nidt die Baronin 
zerjtreut. „Majeftät der Kaifer war noch ala Prinz 
Wilhelm anmejend, und id trug eine bildfchöne 
Toilette aus himmelblauem Sammet, al3 ich bei den 
Yebenden Bildern bie Gräfin Chlotilde zu — 
hatte!“ 

v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 6 


_ 892 — 


„Ah — das fünfzehnte Jahrhundert war in 
feinen Frauentrachten jehr Heidfam!’ ſtimmt Prinzeſ⸗ 
Jin Hortenjia zu und liefert eine maßlo3 langweilige 
Abhandlung über berühmte Porträt aus jener Zeit, 
welche einem Profeſſor alle Ehre gemadjt hätte! — 

Frau Sofefa find die klaſſiſchen Maler mehr als 
gleichgültig, — fie trommelt mit den langen, magern 
Fingern unbemerkt ein rabiate3 Tempo auf dem Sofa- 
polſter und möchte am liebſten au3 der Haut fahren, 
wenn fie die herrlichen Walzerflänge herauftönen, 
hört. 

Jetzt fpielen fie die Donaumellen! Juſt ihren 
Lieblingstanz, und trogdem fie ihre ausgefchnittenen 
Goldfäferfchuhe an hat und ihr Kleid beim Tanz 
gewiß vorzüglich ausjehn würde, muß fie hier oben 
vor Zangerweile fterben, anftatt mit ihren Verehrern 
auf mwiegenden Klängen dahinzufchiweben! — 

Was hat der ganze widerwärtige Jour überhaupt 
für einen Sinn? 

Wer fieht es denn, wie Haltern und Unna ihr 
den Hof machen? 

Kein Menſch! — 

Wie und wo amüfiert fie ſich denn? 

Nirgends! — 

Welch einen Brofit hat fie von all dem nerven- 
mordenden Speltafel und der endlojen Prozeſſion, 
welche alles gleichgültige Volk von Lobenbach veran- 
ftaltete? 


— 


Keinen! 

Im Gegenteil, noch unerhörte, unerſchwingliche 
Unkoſten hat ſie davon, wenn nicht Haltern noch 
irgend eine Liſt erſinnt, daß das Militärkabinett oder 
Kriegsminiſterium auch die materiellen Koſten dieſes 
Feſtes beſtreitet! 

Jedenfalls iſt ſie derart angeärgert und auf— 
geregt, daß ſie am liebſten mit Fäuſten dreinſchlug, 
und doch muß ſie geduldig daſitzen und ſich mit Se— 
reniſſimus und Zubehör faſt zu Tode langweilen. — 

Die Türe öffnet ſich, und Fritze erſcheint mit 
einem Tablett... — — Die Augen der Hausfrau 
öffnen jich unnatürlic) weit, — ja mit einem Tablett 
voll delifater belegter Brötchen und Heiner Tellerchen. 

„Oh... wie?... Was iſt denn das?!” 
ftottert fie wie gelähmt vor Schred. — 

„Ihre Hoheit die Frau Prinzeflin fagte vorhin, 
daß feine Durchlaucht zu dem Wein belegte Bröt- 
chen haben müfje, — zu Befehl, gnädige Frau!“ 
antwortete Frige ebenſo jtramm wie vergnüglic. 

„Dh, — da3 hörten Sie?" — ruft Hortenfia und 
Ichlägt die Hände zujammen. „Welch ein aufmerf- 
ſamer Menſch find Sie! Das iſt wirklich in höch— 
ſtem Grade anerkennenswert! — Beſte Baronin, ich 
gratuliere Ihnen zu dieſer Bedienung, welche felb- 
ſtändig denkt und Shnen fo mujterhaft zur Hand 

geht!” 
Auch Karl-Ehriftian ift tief gerührt und des 
| > 


— 84 — 


Lobes voll, und währenddeſſen ſerviert der uner- 
hört freche Lümmel die feiniten Delilateßbrötchen im 
ganzen Kreife herum, und wie die Reihe an fie kommt, 
liegen nur noch Käfe, Eier mit Sardelle und An- 
Khovisbrötchen auf der Platte. — Alle feinen Sachen 
haben bie Lieben Säfte mit Kennerblid herausgepidt. 

Frau Joſefa dankt mit der Bemerkung, daß 
fie unmöglih nad dem Kuchen ſchon wieder ejjen 
fönne, was Herrn von Wolfshaufen aber durchaus 
nicht abhält, noch zwei weitere Schnittchen mit Ei 
und ein verſtecktes Lachsbrötchen auf feinen eignen 
und den Teller feiner Nachbarin zu laden. 

Mämä iſt der Ohnmacht nah. 

Wenn diefe Alterationen nicht bald aufhören, 
riskiert fie die Gelbjucht! Die Wagen werden ge- 
meldet. 

Es muß doch auch Schon ſpät fein, aber die hohen 
Herrichaften verfichern, daß es jo reizend nett heute 
„nachmittag“ bier fei, daß fie der verehrten Gaft- 
geberin zuliebe. no ein Weilchen hier bleiben 
wollen! | 

Frau von Solingen hatte ſchon aufgeatmet, jetzt 
finkt fie mit einer Grimaſſe, welche Freude markieren 
foll, wieder in die Sofaede zuräd. 

Erzellenz Roden und Herr von Röhn ergreifen 
ein Photographiealbum vom Nebentifchchen, und die 
Mämä muß fich die Dual antun und der albernen. 
Neugierde all die gleichgältigen Konterfeis erflären, 


— 85 — 


währenddeſſen aber raunt Prinzeſſin Hortenſia dem 
greiſen Fürſten zu: „Wie ſehr gütig, daß du noch 
aushältſt! Es geſchieht der armen kleinen Ca— 
gima zuliebe?“ — 

Der alte Herr nickt ſehr freundlich und flüſtert 
entgegen: „Damit ſie tanzen kann! — Solch ein 
Opfer fällt wohl auch dir nicht ſchwer!“ 

Hoheit drückt herzlich ſeine Hand, dann wird die 
Unterhaltung wieder allgemein, und während die Hof⸗ 
marjhallin Hinter ihrem Taſchentuch fait an ner- 
vöjem Zornhuſten erjtict, ſchallt ein herrlicher Walzer 
nach dem anderen herauf und dad Geſchwirr der vielen 
Iuftigen Stimmen bemeijt e3, wie herrlich fich die 
Sugend auf diefem fo fchnell improvifierten Tanz- 
feſt bei bejcheidenften Mitteln amüjiert! — 

Als Haltern die Rollen verteilt und Artik Unna 
fommandiert hatte, an Cagimas Seite die Zuder- 
dofe im legten Salon zu übernehmen, empfand der 
junge Arzt diefe diskrete Hilfsleiftung des Freundes 
auf das dankbarſte. — 

Er hielt ji in Cagimas Nähe, al3 die junge 
Baronejje den hohen Herrfchaften vorgeftellt wurde, 
ımd fah e3 voll innigfter Freude und Genugtuung, 
wie ausgejucht Tiebenswürdig die fürſtlichen Damen 
mit dem armen Alchenbrödeldden plauderten! 

Und wie allerliebit benahm ſich das El ſo 
ſcheue, ſchweigſame Kind! — 


— 86 — 


Jede Verlegenheit ſchien überwunden. 

Sie ſprach und antwortete ſehr beſcheiden und 
voll beinahe wehmütigen Ernſtes, aber doch unbe— 
fangen und frei um ſich blidend, was dem zarten, 
raſſigen Gefichtchen einen neuen Reiz verlieh. 

Als die endlofe Völkerwanderung begann, eilte 
lie fofort auf einen Wink der Tante in den Edfalon, 
wo auf einem Nebentifch die Reſervekuchen und -Tor- 
ten ftanden, welche auf dem Büfett feinen Plab mehr 
gefunden. 

Artik benugte den Augenblick des erſten Allein- 
jeind, zog haftig aus der Brufttafche ein paar La 
Françe-Roſen und überreichte jie der jungen Dame. 

„Zum eritenmal darf ich Shnen’ einen duftigen 
Gruß perjönlich überbringen, mein gnädiges Fräu— 
lein!“ flüfterte er mit leuchtenden Augen. „Darf 
ich bitten, daß Sie die Blüten mir zur Freude heute 
an der Bruft tragen?” — 

Cagima erglühte und fenkte die Wimpern tief 
über die Augen. 

„Oh, wie gütig von Ihnen” — ftammelte fie — 
‚ich danke Ihnen fo ſehr — — aber e3 ift unmöglich, 
fie anzufteden — — wenn Tante e8 ſähe ...“ 

„Shre Frau Tante ift für Stunden im reife 
der hohen Herrfchaften gefejfelt und wird den fo 
ſchnell welkenden Schmud kaum ſehen!“ bat er mit 
einem Klang in der Stimme, welcher Cagimas 
Herzichlag ftoden ließ. „Oh, Sie glauben ja nicht, 


— 87 — 


mein gnädigſtes Fräulein, mit welch namenlofer Un— 
geduld Haltern und ich den heutigen Tag erfehnten, 
wie wir alles auch fernerhin aufbieten, Sie dem Le— 
ben und dem Glüd zuzuführen!” — 

Die Baronefje neitelte mit bebenden Fingerchen 
bie duftenden Blüten an ihren Gürtel feit. 

„Sie find fo gut... ich danke Ihnen fo jehr —“ 
Hang e3 jehr leife, mit beinahe zitternder Stimme 
zu ihm auf, und immer noch vermied e3 die Sprecherin, 
ihn anzufehen. „Aber ich fürchte, da3 Glück, welches 
mich mein Leben lang jo ftiefmütterlich behandelte, 
wird mir auch künftig fern und fremd bleiben!” 

„Wie können Sie jo etwas jagen, Fräulein Ca— 
gima! — Wie können Gie da3 mir fagen?!“ 

Haftig und beinahe erjchrofen ftieß Unna Die 
Worte hervor und zum erjlenmal fchaute fie in feine 
Augen empor. 

Welch ein unbeſchreiblicher und unerklärlicher 
Blick! So weh und todestraurig, wie durch Tränen 
glänzend. 

Wa3 bedeutet da3? — Was ilt geichehn? 

Aber e3 bleibt feine Zeit zum Fragen und Tor- 
fhen, die Hofdame, Gräfin Wachjlenitein, und Hals 
tern treten mit hellem Gelächter ein, und der Dra- 
goner jagt: „Hier, Komteffe, Haben Sie eine Feniter- 
nifhe, wo Sie in ficherer Deckung den köſtlichen 
Aufmarjch der Lobenbacher Bevölferung ſehen fönnen ! 
Sch dirigierte Fräulein Cagima und Unna ſchon 


— 88 — 


hierher und hoffe, wir Vier bilden hier ein jehr 
vergnüglicheg Eichen! — Guten Abend, Baroneife! 
Heute jehen wir und zum erjtenmal ohne Cerberus, 
und ic) freue mich, Ihnen endlich jagen zu können, daß 
Unna und ich Ihre treuen Ritter find, welche unent- 
wegt an Dornröschens Befreiung arbeiten! — Unfere 
fühle, ernfte Art in Gegenwart der Frau Tante iſt 
ſchnöde PVerftelung! Davon jollen Sie fich heute 
überzeugen!” — 

Gräfin Wachfenitein legte jehr herzlich den Arm 
um das junge Mädchen und zog e3 nach der Fenſter— 
niſche. 

„Kommen Sie an meine Seite, Fräulein Ca— 
gima! Sch habe ſchon jo viel von Ihnen gehört, 
daß Sie mir feine Fremde mehr find, und daß ich 
Sie ſchon par distance liebgewonnen habe! Doktor 
Unna wird die lebenden Bilder, welche jet an ung 
vorüberziehen, mit dem nötigen Kommentar verjehn, 
und ich denfe, wir werden uns herrlich) dabei amü— 
ſieren!“ 

„Aber der Teetiſch und der Kuchen!” ſtammelte 
die Baronejje, abermals heiß erglühend. „Sie ahnen 
nicht, Komtefje, mit welch unangenehmer Miflion 
die Tante Herrn Doktor Unna und mid) betraut 
hat, und welche böfen Folgen es für mich haben 
wird, wenn ich meine Sache nicht zu ihrer Yufrieden- 
heit made!” — 

Artik ſchob lächelnd zwei Stühle neben die Heine 


— 899 — 


Erferfommode und bot fie den beiden jungen Damen 
an. „Unbejorgt, mein gnädiges Fräulein! Ich werde 
uns vor dem NRichterftuhl der Frau Hofmarfchallin 
weißwafchen, wie zwei junge Lämmlein! Hier den 
Kuchen bewachen, wäre Danaidenarbeit, welche grade 
an dem heutigen Tag recht überflüllig iſt!“ — 

Haltern, welcher auf den Flur geeilt war, er- 
fchien wieder und verneigte ji vor der Hofdame. 

„Ein paar rote Granatblütchen, Komteſſe, welche 
wie gefchaffen find, in Ihrem dunklen Haar zu 
leuchten! Darf ich mir geitatten, Sie zu Füßen zu 
legen!” 

Margit nahm die Blumen mit beiterm Dant 
entgegen. „Die Herren ſchmücken ung beide ja jo 
feſtlich — ihr Blick ftreifte die Rofen im Gürtel 
ihrer Nachbarin — „als gälte es heute mindeſtens 
ein Tanzfeſt zu begehn!” 

„Wer weiß, was der Abend noch bringt, Kom- 
teſſe!“ zudte der Dragoner verjchmigt die Achſeln. 

„Etwa Walzerflänge? Das wäre ja herrlich! 
Sch tanze fo jehr gern und leider jo ſehr jelten!‘ 

„Sie haben in Rom wenig Gelegenheit? Das 
wundert mich! Meiner Anficht nach gibt es feine 
idealere Bälle al3 wie im Süden, namentlid an 
der Riviera!‘ 

„Machten Sie deren dort mit?” 

„Ja, — vor Jahresfriſt.“ 

„AH... Darf man fragen, mo?" — 


— 9 — 


„Gewiß! Sch machte nody nie eine Mördergrube 
aus meinem Herzen!” 

„Allo, das Herz fpielt eine Rolle dabei?” — 

„Eine riefengroße fogar! Hörten Sie nidjt neu- 
lich die Beichte und Geftändniffe meiner fchönen 
Geele, daß ich alter Knabe mich in das allerfleinite 
und allerjüngite Blumenfnöfpchen von Nizza ver- 
liebte?!“ 

„Ja, ih entjinne mich diefer Lenzeskunde!“ 

Wieder traf den Oberleutnant einer jener rätjel- 
haften Blide, welche ihm fo viel Kopfzerbredyen 
machen. „Und der Schauplab dieſes beginnenden 
Dramad war Nizza! War ein Ballfaal dajelbit ? 
— Ich denfe mir eigentlich einen Walzer bei 
erhöhter Temperatur nicht grade ſympathiſch!“ — 

„Meinen Sie die Temperatur von draußen oder 
bon drinnen?” — 

„Eigentlih die eritere! Wenn aber gar beide 
zuſammenwirken, muß es einen Vorgefchmad für 
die Hölle geben!” 

„Dder für den Himmel! Wie man es nehmen 
will!” Haltern fah die Sprecherin nachdenklich an. 
„sh führte damals Tein Fieberthermometer mit 
mir, taxiere aber mein heißed Blut auf Giedehige, 
— dom Meer mwehte e8 au nit fühl, fondern 
mild und weich) wie Liebesmehen herein, und den- 
noch fühlte ich mich feinen Augenblid im Fegefeuer, 
fondern im Gegenteil, meinem Herzen wuchſen zum 


erftenmal Flügel, mich ſehr hoch, bis in den fie- 
benten Himmel zu tragen! — Geltfam — und bie- 
jelben Augen und dasſelbe Lachen, welche mich da- 
mals in den Bann meiner Coeurdame fchlugen, be> 
gegnen mir bier bei Ihnen zum zmeitenmal im 
Leben!” 


Haltern ſprach jehr Iebhaft und trat noch einen 
Schritt zurüd, um Raum für die einjtrömenden Tee- 
gäfte zu geben, er trat Unna, welcher Hinter ihm 
neben Cagima ftand, auf den Fuß, und Artik 
machte ihm eine Fauſt und ſchwang jich empor, auf 
dem Fenſterbrett ficher Pla zu nehmen. 


Gräfin Wachjenftein aber kreuzte wiederum mit 
einem undefinierbaren Blid die Arme unter der Bruft 
und fagte lafoniih: „Shrumm!“ 


Der Dragoner ftußte und machte eine jähe Be- 
mwegung mit der Hand, als wolle er fagen: „Pot 
Wetter noch eins! Was wollen Sie nur immer 
mit diefem Wort?!” Aber er biß fich nur leicht auf 
die Lippe und fagte achjelzudend: „Schon wieder 
eine Ähnlichkeit mehr mit meinem Sprühteufelchen 
vom Mastenball! Die hatte fi} auch auf das Wört- 
lein ‚Schrumm’ Tapriziert und verfpottete mich mit 
Diefer faden Angewohnheit, welche an mir in jener 
Zeit wohl recht auffallend war, denn auch Gie, 
Gräfin, fcheinen von diefem meinem Leib⸗ und 
Magenmwort gehört zu haben!” 


— 92 — 


„Natürlich, über die Eigenart bedeutender 
Männer lieſt man in allen Zeitungen!“ — 

„Endlich laſſen Sie die Ironie beiſeite und 
ſprechen voll ernſter Überzeugung die Wahrheit!“ 

Haltern lachte und wandte ſich ſchnell zur Seite; 
einer der Burſchen ſtand neben ihm und tat flüſternd 
eine Frage und der Dragoner klappte vor der Hof- 
dame die Haden zujammen. 

„Pardon, Komtefje, einen Augenblid.... Ich 
bitte nicht um meinen Wbfchied, fondern nur um 
Urlaub!” — 

Er eilte in das Empfangszimmer zurüd und 
Artik fagte: „Heute ift Hans Haltern wahrlich der 
Hans in allen Eden! Ich jchlage vor, meine Damen, 
wir gönnen ihm diefe gefunde Bewegung und trinken 
defto friedlicher unfern Tee in diefem Hinterhalt! 
Bitte, hier Ihre Taſſe, Gräfin, — Hier die Ihre, 
Baronefje, — den Kuchen hole ich auch heran, ehe er 
dem Moloch von einem ſervierenden sei zum Opfer 
fällt!“ 

Er eilte an den Tiſch und kam mit einem Teller 
voll Torte zurück. „Die Frau Tante hat die Stücke 
ſo klein geſchnitten, daß ich ſie en gros beziehen 
mußte!“ — 

„Sehr gut! Sehen Sie? Da wird ſchon wieder 
eine Platte in das Nebenzimmer geholt!“ 

Cagima blickte ſehr betroffen auf die vielen 
Menſchen, welche eintraten, entweder ſehr liebens⸗ 


— 93 — 


würdig vertraut oder reſpektvoll förmlich zu Doktor 
Unna herübergrüßten und mit ſchneller Verbeugung 
vor den beiden jungen Damen das Zimmer nach 
haſtigem Imbiß an dem Teetiſch durch die Korridor- 
türe mwieder verließen. 

„Zante wird fehr überrafcht fein, daß folch große 
Anzahl von Leuten heute erfcheint!‘ flüfterte fie bei- 
nah ängfitlih. ‚Die Kuchen können ja unmöglich 
reichen und der Tee erjt recht nicht! Ich muß doch 
Schnell in die Küche gehn —“ 

Artik legte wehrend die Hand auf ihren Arm. 
„Ich bitte injtändigit, bleiben Sie, Baronejje! Flur 
und Treppenhaus find geftopft voll Menſchen, Sie 
würden kaum gegen den Strom ſchwimmen können! 
Ängftigen Sie fich auch um nicht3! Haltern ift heute 
Mädchen für alles und forgt auch für die Verpfle- 
gung all der unerwartet vielen Gäfte! Ihre Frau 
Tante fit ebenjo ‚feit eingekeilt in fürchterlicher Enge’ 
wie wir, darum rollen wir ung feine grauen Haare 
wachſen Iafjen, jondern diefe fo felten ſchöne Stunde 
voll genießen!” 

Wieder tauchte der Blid des Sprecher3 voll be- 
redter Snnigfeit in die Augen des armen Nichen- 
brödelcdend, und obwohl Cagima ihm voll dant- 
barer Herzlichkeit zunidte, fo jchlich fich dennoch auch 
jest jener feine Schmerzenszug um ihre Lippen, 
welcher ihn jchon vorhin jo jehr erregt. 

„Ste tennen all dieſe Menfchen, Doktor Unna?” 


x 


— 9 — 


fragte Gräfin Wachjenitein und lehnte fich tiefer in 
die Fenſterniſche zurüd, um über ein paar originelle 
Kleinftadttypen zu lachen, welche auf derben Nägel- 
ſchuhen gravitätiich vorübertrappiten. 

„Das verjteht ſich!“ ſcherzte Artik etwas ge- 
waltfam. „Ich Tann Ihnen auf Verlangen diejes 
lebende Bilderbuch oft mit dem fchönften Tert ver- 
jehn! Ach, — jehen Sie doch! Da erſcheint Haltern 
wieder, am Arm die Frau Bürgermeifterin-Groß- 
mutter, eine alte Dame, welche nur ein paar Augen— 
blicke anweſend fein wollte, — fie ift leidend, und ich 
finde es rührend, daß fie bei dem fchlechten Wetter 
herfuhr!“ 

„Zur Belohnung küßt ihr der Don Juan in 
Dragoneruniform auch mit dem ſchönſten Augen— 
aufſchlag die Hand!“ lachte Margit, „er ſcheint ſich 
bei ihr zu bedanken, als ſei ſie ganz extra für ihn 
hierhergekommen!“ — 

Der junge Arzt wechſelte einen ſchalkhaften Blick 
mit der Sprecherin: „Ich glaube, das iſt ſie tatſächlich! 
Aber voilà — er überläßt jetzt die alte Dame ihrem 
Enkelſohn zur Weiterbeförderung und ſteuert wieder 
auf uns zu!“ 

Haltern ſchob ſich näher und „erholte“ ſich ein 
paar Minuten in der Fenſterniſche. 

Sein Humor ſprühte Funken und ſteckte die 
beiden jungen Damen und Unna rettungslos an. 

In ſeiner ſo ſehr gewinnenden und amüſanten 


Weife vertraute er Cagima unter dem Siegel 
der DVerfchwiegenheit den Tleinen Yeldzugsplan an, 
welchen Unna und er lediglich in Szene feßten, um fie, 
die arme Gefangene, aus ihrer entjeglichen Einjam- 
feit zu befreien! 

Baronejje Solingen erglühte in dankbarjter 
Freude, und ald Haltern ihre Angſt vor Tantchens 
Scharfblid und der furdtbaren Laune, welche biefem 
Tag folgen wird, Hinwegfcherzt, da ift eg, "ala 
jei es plößlich wie eine Erlöjung über da3 arme, ge- 
quälte Kind gelommen! 

Sie ftimmt ein in da3 Lachen und Scherzen, fie 
wird eine treue Verbündete, fie amüſiert jich Tönig- 
lich über die luftige Komödie, welche die Herren 
in Szene fetten! 

„Wie war e3 aber nur möglich, daß die jo miß- 
trauifhde Frau auch Herrn Doktor Unna in ihrem 
Haufe aufnahm?” fragte Gräfin Margit Eopfichüt- 
telnd, „über dieſes Miraculum haben Sie noch nie- 
mals die Detaild erzählt!” 

„O, fehr einfach, Gräfin,” lachte der Dragoner. 
„Da ich dem allzubefannten Mann feine Frau und 
ſechs Kinder andichten konnte, jo tat ich das einzige, 
was in diefem Fall noch übrig blieb, — ich ver- 
lobte ihn!” — 

„Menidh... Haltern — Sind Gie toll ge- 
worden?!” fuhr Artik entjeßt auf. „Mit wen haben 
Sie mich kopuliert?!“ — 


=, O6. m 


Der Oberleutnant lachte hell auf. „Die Dame, 
die Sie lieben, nenn’ ich nicht!” — Wo denken Gie 
hin, Doktorchen! Die unbefannte Göttin tat in 
diefem Fall vollfommen ihre Schuldigkeit!“ 

Lautes Sprechen und Lachen im Nebenzimmer, 
Menſchen ftrömen herzu, immer neue Menden, und 
der Dragoner neigt fich näher zu Gräfin Wachſen— 
ftein, nimmt fchnell ihren Fächer und flüftert ihr 
hinter demfelben eine höchſt ſpaßhafte Anekdote über 
einen diden, Heinen Herrn zu, welcher ſich joeben 
an den Teetiſch durchkämpft und ungeniert die drei 
legten Kuchenjtüde in die Taſche ſchiebt. „Für 
Muttern daheim, welche vorgeftern von muntern Ziwil- 
lingen genas umd untröftlidh. ift, aus diefem Grunde 
dem Jour im grauen Haufe fernbleiben zu müſſen!“ 

‚Und dieweil Margit und Hans Haltern tufcheln 
und lachen und den Heinen Diden beobadjten, ſchaut 
Artik in Cagimas Antlig, welches ihn fo fafjungs- 
108 und verwirrt anftarrt, als habe der übermütige 
Leutnant da3 unverftändlichhte Chinefifch gefprochen ! 

„Haben Sie dies Märchen auch gehört, Fräulein 
Cagima?“ flüfterte er. 

Sie nidt ohne zu ſprechen, aber fie atmet tief, 
tief auf. | 
„Und Sie haben e3 geglaubt?“ 

Sie fchlingt die Hände feſt ineinander, als marhe 
fie die Erinnerung an das Schrediiche noch erbeben. 

„Tante fagte e8 mir als ganz beitimmt — 


und... und... e3 war mir fo ſchwer ... Aber 
ih mußte e3 doc für Wahrheit Halten!” — 

Das Blut fteigt ihm heiß in die Schläfen, er will 
haftig, Leidenfchaftlicd) Sprechen, und erinnert jich Doch 
zur rechten Zeit, daß e3 in diefem Augenblid unmög- 
lich ift. 

Der Oberleutnant ruft ihnen ein paar fcher- 
zende Worte zu und ftürmt wieder davon, denn ganz 
Lobenbach jcheint auf den Beinen zu fein, un feine 
freundſchaftliche Geſinnung für Frau Sofefa zu 
betätigen. Ä 

Immer enger und fchmäler wird e3 in den Sa— 
lons, und Gräfin Margit lacht: „Gott jei Dant, 
daß wir hier unsre Füße in Sicherheit gebracht haben, 
ih fürchte, die meilten Teegäfte kommen ohne große 
Behen heim!’ — 

Welch wunderliche Menjchen erfcheinen! 

Unna lacht oft jo überwältigt auf, daß er den 
Kopf hinter dem Fenftervorhang verfteden muß, und 
wenn er den jungen Damen zuraunt, wer diefe und 
jene find, jo fefundieren fie feiner Heiterkeit. 

Alle paar Augenblide erjcheint Haltern und ſchürt 
nod) da3 Teuer, und foeben kommt er ſogar und 
trägt perjönlich ein kleines Tablett, auf welchem 
vier Weingläfer ſtehn! 

Er erzählt dabei, auf welch' Tiftige Weife der 
Mämä diefer gute Tropfen abgerungen ift, und fchal- 
lendes Gelächter belohnt die ausgezeichnete dee. 

v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 7 


— 98 — 


Dann ſtoßen ſie alle an, und während der junge 
Offizier mit einem zärtlichen Seufzer ſagt: „Wir 
wollen auf das Wohl der Coeurdame trinken, Kom— 
teſſe, von welcher Sie die Augen und das Lachen 
geſtohlen haben!“ — Da neigt ſich Unna tief zu Ca— 
gima nieder und lächelt: „Und wir gedenken bei 
dieſem Glas der ‚unbekannten Göttin‘, welche hoffent⸗ 
lich bald das Märchen Halterns zur Wahrheit und 
mich zum glückſeligſten Mann im Deutſchen Reiche 
macht!“ — e 

Sie blidt ihn an, voll und ganz, und in den erit 
jo traurigen Augen ftrahlt ein ganzer Himmel voll 
Sonnenschein. .. 

Die Gläfer treffen fich und geben guten Klang, 
und ber feurige Wein rinnt durch.die Adern und läßt 
die jungen Herzen noch heißer und fchneller denn zu=- 
vor Hopfen. 

Welch eine Yröhlichleit! Welch ein jauchzender 
Übermut! | 

Cagima, die dad Glüd nur wie etwas ganz 
Ternes, Fremdes und Sagenhaftes gefannt, hat plöb- 
lih das Empfinden, als fei fie aus langem, böjem 
Traum erwacht und Schaue nach Nacht und Winterleid 
plöglich eine ftrahlend helle Frühlingswelt, in welche 
fie aus übervollem Herzen bineinjauchzen möchte, 
nur ein Wort und einen Klang, welcher ihr ganzes 
Weſen und Sein erfüllt: Artik! — Artik! — 

Und während fie mit jeligem Lächeln immer 


— 9 — 


wieder verſtohlen dem Blick des jungen Arztes begeg- 
net, welcher, jo ftumm er ift, dennoch fo unendlich 
viel zu fagen weiß, wogt und jchiebt fich die heitere 
Menge der Teegäfte durch den Salon, zumeift, um 
die Hintertreppe wieder hinabzueilen und auf der 
Straße drunten ſich mit guten Freunden zu treffen. 

Unna beobachtet durch die Scheibe, daß die großen 
und Heinen Trupps in den jchräg gegenüberliegen- 
den Ratskeller ziehen, um fraglos den brillanten Ulk 
im Haufe der Mämä bei Bier und Punch weidlich zu 
‚beladen! 

„Um alles in der Welt, wer ijt denn jene über- 
lebensgroße Dame, welche mit dem mächtigen Feder- 
hut alles übrige Volt um zwei Häupter Länge über- 
tagt?!” ruft Gräfin Wachfenftein, halb erjchredt und 
Halb bewundernd die riejengroße, vierjchrötige Ge— 
ftalt im braunen Tuchloftüm mufternd! — 

„Siten Sie ftramm, Komteſſe! Es ift die Frau 
Wacdtmeifterin! Und da ihr Gatte ald Mutter der 
dritten Schwadron figuriert, verkörpert fie ben Vater 
Dazu!” — 

„J, wo!” grunzt Haltern vergnügt. „Was da 
mit Frau Wachtmeifterin! Jene zarte Schöne ift die 
Göttin der Überfracht! Auf dem Güterfchuppen des 
Anhalter Bahnhofs in Berlin ift vor vierzehn Tagen 
ihr Standbild mit kleinem Opferaltar errichtet mor- 
den !!" 

Alles pruftet vor Lachen in die Tafchentücher, 

7* 


— 10 — 


Haltern aber ift ſchon wieder auf Flügeln der Liebe 
enteilt, jchüttelt im Vorüberſauſen der gewaltigen 
Göttin die Hand — 

„Handfcehuhnummer 141,!” murmelt Gräfin 
Margit — 

— und iſt im nächſten Augenblid wieder im 
Kebenfalon verſchwunden. 

Wie die Zeit verfliegt! 

Wie königlich man fich in der Fenfterniiche amü- 
fiert, wie oft der Oberleutnant zum Rapport erjcheint, 
wenn die Berjonalien der fife o’clock-Gäfte immer 
ertravaganter werden! — 

Und plötzlich — horch .. was iſt das? — 

Geſang der Oberprima vor dem Thron Karl⸗ 
Chriftiand und der Frau Joſefa, — und bald danach 
ein jturmbeflügelte® Vorbeitraben der blonden und 
braunen Sünglinge nad) der Hintertreppe zu! 

Haltern fchüttelt die Hände der Anführer. 

„Tauſend Dank, meine Herren! Brillant ge- 
macht! Bitte, verfammeln Sie ſich in der Flurhalle 
zu einem Tänzchen, — die allerliebiten Penſions— 
fräulein harren ſchon mit klopfendem Herzen auf 
Sie!” 

Er fagt da3 jo verſchmitzt, daß aud) die Prima 
nod) errötet, obwohl jede zärtlihe Miene hinter dem 
martialifhen Geficht3ausdrud mannhafter Eij eneel ler 
ängftlich verborgen wird. 

„Sagen Sie mal im Ernſt, Haltern, ſoll tat⸗ 


— 101 — 


fächlich noch getanzt werben?” — fragt Unna fehr 
interejfiert, und der Oberleutnant nidt jehr ernithaft. 
„dei fünf Grad Kälte und fcharfem Nordoft könnte 
ich Tein befferes Mittel finden, Ihrer Praris unter 
die Arme zu greifen, lieber ÄAskulap, als ein paar 
Dauerwalzer im grauen Haufe!” — 

„Berlangen Sie Prozente?” 

„Das nicht, aber ich unterſtütze Sie bei Ihren 
Krankenvijiten im Taubenſchlag der Penfionz- 
mutter!” — 

„Hört, hört!!“ 

„Natürlich, er ſucht ch dem Menjchentnöjp- 
hen aus Nizza!” — 

„Muſik!!“ — 

„Zatfählih .. im Flur drunten ertönt ſchon 
die Regimentsmuſik!“ — 

„Hurra!“ | 

„Wir find die erſten Männer an ber Spritze!“ 

„Vorſicht! — Haltern eröffnet mit der Mämä!“ 

Der Oberleutnant ſchnitt eine Grimaſſe. „Feſt⸗ 
gemauert in dem Sofa fit Mämä aus Lehm ge- 
brannt! — Schnell Ihren Arm, Komteſſe, nad) der 
gefühlvollen Ouvertüre kommt fofort ein flotter Wal- 
zer, den dürfen wir nicht verjäumen!” — 

„Um Teinen Preis! Wh, wie wohltuend leer 
ift es jeßt überall geworden!” — 

„Die Ruhe nad — und vor dem Sturm!” 

„Ja, laffen Sie uns in den offenen Himmel 


— 102 — 


hineinftürmen!” ruft Artil mit jauchzendem Klang 
in der Stimme, — er faßt Cagimas Hand und 
legt fie auf feinen Arm. „Darf ich bitten, mein 
gnädigftes Fräulein? — Pflüdet die Roſen, eh’ fie 
verblühn!” — 

Wie fie einander in die Augen Ihaun, — lange 
und innig, wie trunfen vor Seligfeit. 

Auf flüchtigen Sohlen geht e3 Hinab. 

Die Jugend fteht ſchon verjammelt, entweder 
noch ſcheu getrennt oder bereits in fröhlichſtem Plau- 
dern und Flirten! 

„Die teuere Halle ift durch Meifter Wagner feier- 
lich begrüßt! Laſſen Sie nun die gejchiedene Frau 
und den Graf von Luremburg ihren muntern Ein- 
zug Halten!’ — 

Hei! Wie friich und fröhlich die lodenden Klänge 
einſetzen! — 

Haltern legt den Arm um die zierliche Geſtalt 
der Hofdame. — Sicher und elegant fliegen ſie über 
die glatten Moſaikflieſen der Halle. 

Und während ſie tanzen, wird das friſche, lachende 
Geſicht des Oberleutnants plötzlich wieder ſehr nad)- 
denklich, und ſein Auge bekommt einen Ausdruck, als 
ſchaue es weit zurück, in einen flimmernden Ballſaal 
voll toſender Masten, — auf eine mondlichtbeglänzte 
Terrajfe, über welche der weiche Seewind ftreicht 
und Narziſſen und Veilchen beraufchendfüße Duft- 
wogen jenden. 


— 103 — 


Nizza! 

Und dann neigt er id) plötzich vor und blickt 
in die dunklen, ſchalkhaft blitzenden Mädchenaugen. 
— Ganz wie damals. 

„Kind, du kannſt ja tanzen, — nicht ganz wie 
meine Frau, ſondern wie die kleine Coeurdame von 
der Riviera, welche ebenſo federleicht in meinem Arm 
lag und da3 Köpfchen genau fo zierlich und kokett 
drehte und mendete, wie Sie, Komteſſe!“ — 

In den Rätjelaugen flimmert wieder da3 über- 
mut3volle Lachen. 

„Wahrlich, e3 ift doch fettfam, mit welchen Ahn⸗ 
lichkeiten die Natur ſpielt!“ 

„Ich möchte leidenſchaftlich gern willen, Gräfin, 
wie alt Sie find?! Iſt dag unerhört indiskret?“ 

„Durchaus nicht! Ob Sie mich direkt. oder den 
Gothaer Kalender indirekt fragen, bleibt ji) ganz 
glei! Mit 25 Jahren ift man fein Badfifch mehr!” 

„Gar zu unbegreiflih! — Waren Sie ſchon ein- 
mal in Wien?” — 

„Ich begleitete vor vier Jahren Ihre Hoheit zu 
den Beiſetzungsfeierlichkeiten des Erzherzogs Mar- 
Georg!“ — 

„Sie verweilten nicht längere geit??“ — 

„Rein, höchſtens acht Tage!” | 

„Unfaßlich!“ — Einen Augenblid Ichweigt der 
Sprecher und atmet den füßen NRefedenduft, welcher 
von dem dunklen Lockenköpfchen zu ihm empormweht, 


— 104 — 


— auch das bat Margit Wachjenjtein mit feiner 
Heinen Dolly von Spaured gemein! 

So etwas iſt ja zum Närrifchwerden! 

„Komteſſe?!“ — 

„Herr von Haltern?” Wie das filberne Lachen 
wieder durch ihre Stimme Hingt! — 

„Sind Sie vielleiht mit einer Familie von 
Spaureck aus Oſterreich verwandt ?” 

„Rein, nicht im mindeften!” — 

„Vielleicht mütterlicher- oder großmütterlicher- 
jeit3, ohne daß Sie es wiſſen?“ — 

„Undentbar! Soweit mir überhaupt mein 
Stammbaum und die Ahnentafeln meiner Anver- 
wandten befannt. find, hat nie eine Vfterreicherin 
in die Familie geheiratet!” 

„Dann wird ja die Sache immer verzwidter!‘ 

„Herr von Haltern —“ 

„Komteſſe —?“ Er horcht hoch auf. 

„Es gibt mehr Dinge zwiſchen Himmel und Erde, 
als wie unſere Generalſtabsweisheit ſich träumen 
läßt!“ — 

Wie ſie ſpottet! — 

Er hatte ganz andere Konfidenzen erwartet und 
ſieht enttäuſcht aus. 

„Das hat ſchon mal ein ſchlaues Huhn mehrere 
hundert Jahre vor Ihnen geäußert!“ 

„Sicherlich, als er auch auf der Suche nach einer 
Ahnlichkeit war?“ — 


— 105 — 


„ein, al3 er fich mit einem ſchönen Kind drehte, 
welches ebenjo tanzen fonnte wie feine Frau!“ 

„O, wie interejfant! War Shafejpeare geichie- 
den ?” 

„Das willen Sie nicht? Man Tieft doch fonft 
fo viel über die Charakter» und fonftigen Eigen- 
ihaften berühmter Männer!!“ — 

„Shrumm!” nidte Margit zuftimmend, denn 
ein Primaner verjuchte, jeine Schöne aus der PBen- 
fion in einem Anfall von verliebter Begeifterung 
links berumzujchwingen, wa3 die Charmante nicht 
fogleich Tapierte und infolgedeffen heftig mit dem 
ebenfall3 zeritreuten Oberleutnant Tollidierte. | 

„Pardon!” rief Haltern zurüd, Margit aber 
jchüttelte den Kopf und fagte ſchalkhaft vermweifend: 
‚Senn man eine Dame auf den Zuß tritt, jagt 
man doch: ſchrumm!“ | 

Wieder jieht er fie einen Moment fcharf an. 
‚set bin ich überzeugt, daß ich dad einmal 
pelziert habe! Dder wollte ich einen albernen Witz 
maden und wurde von fremden Umjitenden miß- 
veritanden ?“ 

„Woher joll ich das — Ich ſprach doch nur 
ganz im allgemeinen!“ — 

„Und das ſoll ich glauben?“ — 

„Selbſtredend, — Sie kennen doch den ſchönen, 
ſo erzieherlich wirkenden Sinnſpruch: 


— 106 = 


‚Wenn man des Freundes Tun 
Nicht mehr begreifen Tann, 
Dann fängt der Freundichaft 
Yrommer Glaube an!’ —“ 

„Alſo iſt es für mich die höchite Zeit, fromm 
zu werden und wahrhaft fanatifch an Sie zu glauben!” 

„Wenn Sie mid bi3 dahin noch nicht totgetanzt 
haben!’ — 

Er hielt erfchroden inne. 

„Vergebung, Gräfin, — dem Glüdlichen fchlägt 
feine Stunde, — fürnehmlich nicht. beim Tanzen eines 
ſolchen Walzers!“ — 

„Ich verzeihe wie ein Löwe, gelb und groß- 
mütig.” Sie lacht e8 atemlo3 und wehrt Herrn von 
Bach, welcher Schon harrend fteht und vor ihr die 
Haden zujammenflappt, heiter ab. — 

„gwei Minuten Pauſe!“ 

„Wie Komtefje befehlen, ich warte!” — 

Welch ein Leben, welch eine Fröhlichkeit! 

Da3 graue Haus fcheint aus langem Todesichlaf 
erwacht zu fein und will nun alles an buntem Trei— 
ben nachholen, was e3 jo lange Jahre verjfäumt hat. 


Die Ordonnanzen rollen ein Fäßchen Bier her- 
zu und verjtauen es fchnell und gejchidt unter der 
Wölbung der Treppe, und von der anderen Seite er— 
ſcheint Fritze mit einer riefigen Platte belegter Bröt- 
chen und Torte, welche mit viel freudiger Genugtuung 
begrüßt wird. 


— 117 — 


Cagima tanzt mit Unna, und ihr ift es, als 
jei e8 nur ein unbegreiflich jchöner Traum, welcher 
fie minutenlang über die troftloje Wirklichkeit hin- 
wegtäujchen will! 

Artik ift nicht verlobt, — Artik iſt wahr und 
wirklich bei ihr, Hält jie feit im Arm und drüdt 
ihre zitternde Hand fo treu und innig, als wolle er 
fie nie wieder freigeben. 

„Ich möchte Ihnen fo viel jagen, Fräulein Ca— 
gima!“ flüftert er ſehr erregt, „aber wir find be— 
obachtet, und es fällt mir fo ſchwer, mich zu be- 
herrfchen! Gott ſei Lob und Dank, daß ich mir nun 
den Weg zu Ihnen erzmungen Habe, ich hoffe zu— 
verfichtlich, bald Gelegenheit zu finden, Sie ungeftört 
zu ſprechen!“ — 

„Sie kommen aud fernerhin zum Karten 
jpielen ? Haucht fie mit flehendem Blid. 

„Sowie ih nur einen Augenblid erübrigen 
kann! Grade jest ift die ſchlimmſte Krankfheitäzeit, 
und ich habe leider Gottes auch auf dem Land meh- 
rere ſehr ernite Fälle!” — 

„Ich ſorge mih um Sie! Werden Sie immer 
fehr vorſichtig fein?!“ 

Seine Augen leuchten entzüdt zu ihr nieder. 
„Wie danke ich Ihnen für dieſes Wort, Fräulein 
Cagima! Ya, ich werde an Sie denken, und alles 
tun, mein Leben für Glüd und Liebe zu erhalten! 
— Richt nur der Soldat ftellt. im Krieg fein Leben 


— 108 — 


aufs Spiel! Wir Ärzte fehen dem Tod noch weit 
öfter ind Auge, oft täglich und ftündlih! Wie aber 
den Krieger die treuen, fürbittenden Gedanken eines 
edlen Weibes gleich einem Talisman fchüßen, fo 
bauen fie auch um und Mediziner eine feite Burg, 
welche dem DBerderben wehrt! DO, Fräulein Ca— 
gima! Wie werde ich Ihre Gedanken im inneriten 
Herzen fühlen, wenn jie mit mir gehn!” | 

Wieder drüdt er voll bebender Innigkeit ihre 
Hand, und jie [haut zu ihm auf wie verflärt; weich 
und fchmeichelnd umklingt fie die reizende Tanzweiſe 
und glüdverfunfen ſchweben fie dahin, al3 fei Welt 
und Zeit vergejlen! — Da Hingen laute Stimmen. 

„Seine Durchlaucht, der Erbprinz!” — | 

„Bla für die Frau Erbprinzeſſin!“ — 

„OD, wie herrlih! Die Hohen Herrjchaften tanzen 
mit ung! Welche Freude!!“ 

Unna bleibt jähling3 ftehen, — der Tanz jtodt 
und Rarl-Gohann eilt mit jchnellen Schritten herzu. 

„Nun komme ich Shnen ind Gehege, mein lieber. 
Doktor!” ruft er in feiner jovialen Weije, welche 
noch immer den Saro-Borufjen erfennen läßt. „Nicht 
nur da3 erfte Glas der Hausfrau, jondern aud: 
der erite Tanz der Tochter ded Hauſes! — Darf id) 
bitten, Baronefje! Ich freue mich ganz bejonders, 
Gie in die fröhlichen Tanzweiſen diefer Saiſon ein- 
führen zu können!“ 

Gie tanzen, und Irene-Friedricke folgt mit Haltern. 


— 109 — 


Auf einen Wink des hohen Herrn Tchließen jich 
die anderen Paare wieder voll ungeziwungener Fröh— 
lichkeit an, und nunmehr hat das eigenartige Felt 
erit die rechte Weihe erhalten. 

Die Fürftlichleiten nehmen aud an allen fol- 
genden Tänzen teil, und manch Primanerherz häm- 
mert nochmal jo jchnell in der Bruft, wenn die an- 
mutige Erbprinzejjin den beglüdten Süngling zum 
Tanz befiehlt. Ebenjo tanzt ihr hoher Gemahl mit 
den Benfionsbadfifchchen, den Lehrerinnen und allen 
anderen jungen Damen, welche mit glühenden Wan- 
gen die Halle füllen, und zwifchendurch klingen die 
Sporen der Dragoner, rafcheln die jeidenen Schleppen 
der Hofdamen. 

Ein originelles, entzücdendes Feſt! 

Cagima fliegt von einem Arm in den andern! 

Herr von Bach und fein Kamerad Lochau find 
ihre Trabanten, und Artif hätte wohl Grund, eifer- 
füchtig zu werden, wenn nicht die ftrahlenden Blau— 
augen ihn immer wieder mit beredtem Blick juchten 
und ihm fo deutlich ſagten: „Ich denke dein!“ 


15. Kapitel. 
ie Schnell die Zeit verfliegt! 
Man amüfiert ſich allgemein köſtlich, und ein 
blafjer, hellblauäugiger Züngling, welcher heute feine 
Angebetete aus der Penſion jchon fo oft im Kreife 


— 110 — 


‚gedreht, daß Haltern flüftert: „Die beiden feiern 
in zehn Minuten ihr 250jährige® Saalrundenjubi- 
läum!“ — deklamiert ihr joeben mit dramatifcher 
Geſte vor: „Aud ich mödjte zu diefem Augenblide 
jagen: vermweile doch, du bilt fo ſchön! — Aber vor- 
her noch ein Stüd Torte, Fräulein Elschen?!“ 

Sie fchüttelt den Kopf, daß der Hängezopf unter 
der monjtröjen himmelblauen Schleife in grellem Zid- 
zack ſchwänzelt. 

„Danke, Herr Alex!“ ſchwärmt fie in den Kron- 
leuchter empor und erwidert zaghaft den Drud feiner 
Rechten. „Wenn ich mit Ihnen tanze, vergeht mir 
aller Appetit! Sch denke immer nur an das eine 
Zitat aus Maria Stuart, wenn Sie mit mir fo Himm- 
liſch vordhaflieren: ‚Shr eilt, — al3 ob Ihr Flügel 
hättet!” — 

Der junge Volontär vom nahen Gute ftarrte ihr 
in die Augen und befommt etwa „Dunkles — 
Schwüles — in die Stimme. 

„Sie lieben Maria Stuart?” — 

Der Backfiſch gerät in PVerzüdung. „Wahn— 
finnig! Über alle menfchlichen Begriffe!” — 

„Sie find unmodern, Fräulein Elschen, — 
Maria Stuart gehört der Schmarmperiode einer ver—⸗ 
gangenen, fentimentalen Zeit an, für welche mir, 
das aufgeflärte Gejchlecht des 20. Jahrhunderts, fein 
Verſtändnis mehr haben!“ 

Die Kleine macht runde Augen und verjteht ihn 


— 111 — 


nicht fo recht. „Wie meinen Sie das? — Für wen 
fol ich mid) fonjt zu Tränen begeiſtern?“ — 

Herr Mer ſchiebt die Hand, an deren Mittel- 
finger noch ein Tintenklex verfchämt an die heutigen 
Guanobeitellungen erinnert, — à la Napoleon über 
der Bruft in den Rod. 

„Für Salome, — Elektra, — Monavanna — 
jagt er ebenfo energiich wie dumpf. 

Backfiſchchen fenktt den Kopf. „Die verftehe ich 
jo gar nicht!“ flüftert fie verjchämt. 

„Un fo bejjer! Unjer Seelenleben verlangt Pro- 
bleme, welche gelöjt werden müſſen, — bei Ihnen 
wohl nod) inſtinktiv, — aber ich bin überzeugt, Ihre 
Gedanken taften fi zu der großen, wunderbaren 
Erleuchtung durch, welche da3 Weib in Ihnen reifen 
läßt!” 

„Iſt Elektra nicht zum Klavierjpielen? — Sch 
bin erft bei den Etüden von Czerny und dem Salon- 
ftüd ‚Rofenblätter‘ !‘ 

Der blonde Jüngling zudt die Achieln. 

„Die Muſik ift bei den modernen Opern Neben- 
fahe! Meine Schweiter hörte die Elektra in Dresden 
und konnte effektiv fein Wort veritehen, fo laut war 
das Orcheſter, — dann las fie zu Haufe das Tertbud) 
und fam nun erft zu wahrem Berjtändnis und Ge- 
nuß! Ich Habe mir infolgedejlen die Aufführung 
geſchenkt und las von vornherein nur die Tert- 
bücher von Salome, Rofenfavaliee und Elektra in 


— 112 — 
ruhiger Stunde daheim und fand, daß mich diefe ge- 
waltigen Meifterwerte von Strauß Doch hochgradig er- 
griffen, — ja, gradezu zermalmten!“ 

Fräulein Elschen lächelte plöglich wie verklärt. 

„Ja, es gibt nicht? Höheres, wie Strauß! ch 
muß geitehen, daß die ‚Donaumellen‘ und ‚Wein, 
Weib, Gefang!’ mich ebenfalls erjchütterten!” — 

„Sehen Sie, wie wir ſtets hHarmonieren? Bitte, 
laffen Sie uns daraufhin weitertanzen!“ — 

Und fie tanzten weiter, — unerfättlich, atemlo3, 
— ohne zu eflen und zu trinken, denn dies wirkt 
bei junger Minne trivial! 

Die häßlich, daB die große Uhr in der Halle 
ſchon acht Uhr fchlägt, und die Lehrerinnen unter- 
einander flüjtern, ob man früher nach Haufe gehen 
darf, ala die hohen Herrichaften? 

Prinzeſſin Srene-Friedride Schaut ebenfalls nad) 
dem Negulator empor. 

„Run tanzen wir noch den Kehraus!“ ruft fie 
heiter. „Bitte, Herr von Haltern, bejtellen Sie zum 
Schluß die ‚Ballfirenen‘ und fchiden Sie mir Herrn 
Neferendar Schreiner, welchem ich diefen Tanz geben 
mödte!” — 

„Dh, der Rehraus! Wie fehr, ſehr fchade!” 

Der Oberleutnant hat den Befehl der hohen 
Frau ausgeführt und fteht im näcdhiten Moment 
wieder vor Gräfin Wadjenitein. 

„Wie der Anfang — fo das Ende, Komteffe! 


— 113 — 


Sie gleichen meiner Coeurdame aus Nizza in grade- 
zu fpulhafter Weile, — nur in einer Beziehung 
weichen Sie total von ihrer Gewohnheit ab!” 

„Wirklich? Und die wäre?” — 

„Klein Dolly tanzte ausſchließlich nur mit mir 
an jenem Abend, aber Sie entwideln dagegen einen 
miferablen Geihmad und ſchwirren treulog wie die 
Libelle von einem Ritterfporn und Eijenhut zum 
andern!” — 

„Ein Badfifch ift zu fchüchtern, um fich zu eman- 
zipieren und auch einmal da3 zu tun, was ihr Spaß 
macht!“ — | 

„Danke Schön! Alfo in meinem Arm zu ruhen 
it fein Spaß?” — 

„Jedenfalls Gefchmadjahe! Was ein Kleines 
Bonbonnierchen oft bi3 an den Rand fo füß erfüllt, 
reicht für eine alte Schadhtel noch lange nicht aus!“ 

Wieder trifft ihn der lachende Blid, welcher fo 
viel jagt, was der ſonſt jo Huge Haltern abfolut 
nicht verjteht! — 

„Das ſtimmt!“ nidt er lakoniſch. „Einer ſolchen 
gegenüber würde ich mich gar nicht ſo anſtrengen. 
Wenn jetzt aber die Ballſirenen locken, ſo folge ich 
nicht, ſondern tanze Ihnen voran!“ — 

Er legte den Arm um die junge Gräfin und 
ließ ſeinen Worten die Tat folgen. 

„Wann werde ich Sie nun wiederſehn?“ fragte 
er dabei. 

v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 8 


— 114 — 


„Wie ich läuten hörte, foll die Mämä in den 
nächſten Tagen ſchon zum Diner ind Schloß be- 
fohlen werden, und da Gie ihr die Schleppe tragen 
müſſen, hoffe ich, mic) an dem Anblid jolcher ritter- 
Yihen Leiftung erfreuen zu können!” — 

„O ja, ich feiere al3 Page ftet3 Triumphe! 
Wann reifen Sie?" — 

„Leider noch vor Weihnachten, — bereit3 am 
10. Dezember.‘ 

„Und wohin?” — 

„guerit nah Münden, von da madjen wir einen 
Heinen Wbjtecher nad) irgend einem hervorragenden 
Winterfportpläb in den Alpen, — ich denfe, wohl 
Partenkirchen, — um dafelbit einmal moderne Wag- 
halfigfeit mit eignen Augen zu ſchaun!“ 

„Und dann?” — 

„Wie immer Rom.” — 

„Wie Tann ein Menſch immer wieder nah) Rom 
gehn? Sch denke, man jtirbt bereit3 beim bloßen 
Sehen?!" — 

„Heutzutage nicht mehr! Die moderne Bari- 
ante diefe3 vielgenannten Wortes iſt: ‚In Nizza Die 
Coeurdame fehn und vor Liebesjehnjucht ſterben!“ 

„Und in Lobenbach das Ebenbild diefer Herzen3- 
fünigin wiederfchauen und vor lauter Liebe weiter- 
leben! Sit das nicht auch fehr ſchön gejagt, Gräfin? 

„So ſchön, daß Lehar e3 vertonen müßte!‘ 

„Dielleicht als Rezitativ vor dem vielfagenden 


= Al. 


Lied des Luxemburgers: ‚Kindchen Hein — jag’ nicht 
nein —!“““ — 

Die Hofdame wendet das Köpfchen fo weit zur 
Geite wie möglich; — jie war fchon zuvor bei feinen 
Worten heiß errötet und wollte durchaus nicht, daß 
er da3 fehen ſollte. 

Uber Herr von Haltern lachte plößlich leiſe auf 
und flüfterte: „Spieglein, Spieglein an der Wand, 
wer hat die rötelten Wangen im ganzen Land?!“ 

Margit fchaute auf, jujt in den Spiegel der 
geſchnitzten Pfeilergarderobe, an welcher fie vor— 
übertanzten, und fie jah ihr glühendes Antlib und 
die luſtblitzenden Augen de3 jungen Pragoner3, 
welcher ihr durch das geiäliifene Glas übermütig 
zunidte! 

„Komteffe . 

„Seien Sie ei Sie bringen mid) aus dem 
Takt!” — 

„Dann wechſeln wir in Boſton um! — Kom— 
teſſe, ich Habe gehört, Sie reiten zuweilen?“ 

„Nein! Nur im Sommer, wenn e3 fehr warm 
ift! Wollen Sie mir vielleicht Ihre ‚Yuftige Witwe“ 
anvertrauen, daß ich fie für die Hohe Säule 
dreſſiere?“ — 

„Enorm gern. Übrigens haben Sie eben zu fehr 
auf die Muſik geachtet und infolgedefjen einen Druck⸗ 
fehler geſprochen!“ 

„Wieſo das?“ 

8* 


— 116 — 


„Sie find vorgeftern mit Baron Wolfshaufen und 
dent Oberjtallmeifter ausgeritten!“ — 

„Ah, richtig! Sch vergaß ed. Es war übrigens 
Ichauderhaft kalt!“ 

„Ich möchte fo gern einmal mit Ihnen reiten! 

„Selbitredend! Kommen Sie Sonntag nad 
mittag in den Pavillon in meinen Salon, da werde 
ih Sie gern zu einer Steeplechafe erwarten!” 

„Sm Salon ? — Potz Wetter... . Was reiten Sie 
Da?” — 

„Den Pegaſus.“ — 

„Bless me! — — Sie dichten?“ 

„Ja, in Proſa. Ich ſchreibe ein Tagebuch.“ 

„Heiliges Linksſchwenkt! Wenn ich das leſen 
könnte!“ 

Wieder ihr helles, faſt ſchluchzendes Lachen. 

„O ja, ich glaube wohl, daß es Sie intereſſieren 
würde!“ 

„Steht etwas von mir darin?“ — 

„Sogar enorm viel!“ — 

„Etwa die Auflöſung der Rätſel: Woher Sie, 
ohne mich zu kennen, ſo mancherlei von mir und 
meinem tiefinnerſten Privatleben wußten?“ 

Einen Augenblick ſchaut ſie zu ihm auf, — 
ganz ebenſo, wie es damals Dolly tat, als ſie ihm 
ſagte, wer er ſei, — und dann nickt ſie und flüſtert: 
„Alles ſteht darin — alles! — Es iſt das Buch 
der ſchwarzen Magie — durch ſieben Siegel ver— 


— 17 — 


ſchloſſen! Ein Buch, welches Sie flüger machen würde 
al3 Ben Aliba, — denn das, was Sie Daraus an 
Weisheit fchlürfen würden, ift tatſächlich noch nie 
dageweſen!“ 

„Dann ſchicken Sie mir den kleinen Schmöker 
morgen mal zu!“ — 

Sie lacht ihn ſtatt aller Antwort aus, ſo niedlich, 
wie eben nur Dolly und ſie das können. 

„Mein Wort darauf — ich leſe es doch noch 
einmal! Und dann ...“ 

Der Sprecher verſtummt, neben ihm ſteht der 
Erbprinz und legt die Hand auf ſeine Schulter. 

„Stop, lieber Oberleutnant! Im Salon droben 
wird Aufbruch gemacht! Wie ſteht es mit den Wagen? 
Bitte, ſchicken Sie eine Ordonnanz vor die Türe!“ 

Unna Hatte ſich, gleichwie ſein Freund bei der 
Gräfin Wachſenſtein, den letzten Tanz bei Cagima 
geholt. 

Sie hielt das Köpfchen tief geſenkt, denn Artiks 
Arm umſchloß ſie ſo feſt, und der warme Druck ſeiner 
Hand ließ ſie erbeben. 

„Fräulein Cagima — werde ich Sie morgen 
wieder am Fenſter ſehn!“ — 

Da blickt ſie auf und lächelt und nickt. 

„Wo waren Sie die letzten Tage? Sie glauben 
gar nicht, wie ſehnſüchtig ich auf einen Gruß 
wartete!“ — 


— 118 — 


„Tante fagte doch, Sie feien verlobt!” — 

Er lacht, daß feine jchönen, weißen Zähne durch 
da3 dunkle Bärtchen blinken. 

„Cagima ... hat Sie da3 betrübt?!" — 

Wie erfchroden jie das Antlit wendet und mie 
beredt die Glut ihrer Wangen fpricht, obwohl fie 
ſchweigt. 

„Noch bin ich nicht verlobt, Fräulein Ca— 
gima, aber ſo Gott will, iſt die Zeit nicht mehr 
fern!“ — 

Verſtohlen huſcht ihr Blick zu ihm auf, und ſie 
atmet ſo ſüß und tief, wie in ſeligem Traum! 

Die Muſik ſchweigt. 

Noch einmal ein heimlicher, inniger Hände— 
druck. 

„Morgen auf Wiederſehn!“ — 

„Auf Wiederſehn!“ — 

Dann verneigt er ſich kurz und haſtig und eilt 
die Treppe empor, Seine Durchlaucht perſönlich zum 
Wagen zu führen. 

Die meiſten der Tänzer und Tänzerinnen haben 
nach Mantel und Kopftuch gegriffen und ſind nach 
feierlichem Bedankemichsknix vor Cagima aus der 
Haustüre geeilt, nur die wenigen Damen und 
Herren, welche bei Hof vorgeſtellt ſind, warten noch, 
um ji) durch eine Verneigung von den vorüber- 
Schreitenden hohen Herrſchaften zu verabfchieden. 

Auf der Straße ftehen die Leute recht3 und links 


— 119 — 


von den Hofequipagen, auch die höchlichit animierte 
Prima hat noch Aufitellung genommen, und ein frijch- 
fröhliches „Hurrah!” umbrauft die Abfahrenden. 

Nach fünf Minuten ift es ftill und leer in der 
Halle. 

Fräulein von Solingen Hat die Rojenblüten, 
welche gefnidt und faſt entblättert in ihrem Gürtel 
hängen, voll zarter Sorge gerettet und fteht nun 
und bittet ängjtlich die Burjchen, jo fchnell wie möglich 
wieder Ordnung zu Schaffen. 

Sie felber jteigt auf einen Stuhl und bläjt die 
große Hängelampe aus, und dann winkt fie Fritze, 
daß er ihr helfen möge, in den Salons da3 gleiche 
zu tun. 

Der Gallonierte tritt in da3 Empfangszimmer, 
wo die Hofmarjchallin, Halb ohnmächtig vor Zorn, 
Ermüdung und Ärger, in einem Seſſel Liegt. 

E3 war die höchſte Zeit, daß Karl-Chriftian Auf- 
brud) machte, fie hätte e3 nicht länger mehr ertragen. 

Was ihr die Herrichaften zum Schluß nod für 
fabelhafte Liebengmwürdigfeiten über ihr fo glänzen- 
des, wirklich enorm generöjes Feſt jagten, hat fie 
faum noch gehört! 

Die Galle rumort in ihrem Blut, daß fie mit 
großer Übelkeit kämpft, vielleicht kommt e3 auch von 
dem leeren Magen, denn mährend alle andern, 
fremden Menfchen in ihrem Haufe aßen, daß fie bei- 
nah plaßten, hat fie jelber jo gut wie nichts be— 


— 120 — 


fommen, ja im letzter Zeit litt fie geradezu Hunger, 
aber fie hoffte, durch ihr entſagungsvolles Beiſpiel 
die Umfitenden von den belegten Brötchen fernzu 
halten!” — 

Als Frite und Cagima eintreten, richtet fie 
ih empor. 

„Sind noch Butterbrote und Kuchen übrig ge- 
blieben ?“ fragt fie mit jcharfer Stimme. 

Der Burſche verzieht Feine Miene. 

„au Befehl, gnädige Frau, nein! Es iſt alles 
radikal aufgegeſſen!“ 

„Alles? Alles, radikal?!” — Das Hingt wie 
ein Schrei wilder Empörung. 

„Es iſt unerhört, gradezu ſchamlos!“ — Kurze 
Pauſe. „Haſt du etwa Brote gegejjen, Cagima?“ 

„Rein, Tante, ich wagte es nicht.” — 

„Und Kuchen?“ — 

„Auch nur das Heine Stüd, welches Doktor 
Unna mir brachte!‘ 

„So! Alſo wir, die Gajtgeber, durften falten, 
während die andern auf meine Koſten fchlemmten! 
— Der zu volle Magen wird und ja den Schlaf 
nicht rauben! Nun mal fchnell alle Lampen aus— 
blafen — Die Sprecherin jchaute in das Neben— 
zimmer und fchlug zornig die Hände zufammen: „Da 
brennen ja die beiden Yampen und die Klavier- und 
Schreibtiſchlichte doch! Obwohl ich befohlen hatte, 
fie zu ſparen!!“ | 


— 121 — 


„So eine Kardinalsfrechheit!“ ſchimpfte Fribe 
und ftürzte auf die faſt völlig niedergebrannten Ker— 
zen [o3, fie mit nafjem Finger auszudrüden. ‚Welch 
ein Rindvieh hat die denn eigenmächtig angeftedt?! 
Ich habe die ganze erjte Zeit dabei Poſten geitanden, 
Frau Baronin, aber man braucht bloß den Rüden 
zu wenden, dann fommt irgend fo ein freches Ge- 
wächfe und gofelt die Sache noch an! — Wa, über- 
haupt, gnädige Frau, wie die gehaujt haben! Alles 
verrutfcht und vertrampelt! Aber wir fommen mor- 
gen her und bringen alles in Ordnung! Nur das eine 
große Tablett voll Gläſer und Teller, welche der 
eine Herr vom Lande beim Tanzen umriß, das können 
wir leider nicht wieder heilmachen!“ 

Die Mämä ſchnappte nach Luft. 

„Wie? Wa3? Auch noch Scherben? Da hört 
ja die Weltgejchichte auf! Wie die Vandalen haben 
die Unfinnigen ja gehauft! Dieje Koften! Diefe 
entjeglichen Kojten!’” — | 
Bebend vor Ingrimm ſank fie wieder auf einen 
Stuhl nieder und Frige fuhr fort: „Wenn die gnä- 
dige Frau erlauben, gehen wir Burjchen jeßt heim 
und kommen morgen zum NReinemaden wieder, — 
wir haben nämlich feit Mittag zwölf Uhr nicht ge- 
gejlen, und da Hungert einem erbärmlich!“ 

Frau Sofefa zudte zuſammen. 

Hunger haben die Kerle! Um alles in der Welt, 
fie. verlangen hoffentlid nicht auch noch verköftigt 


— 12 — 


zu werden? Und Cagima wird auch über einen 
leeren Magen Hagen und womöglich einen Anteil 
von der glüdlichermweife geretteten Nußtorte ver- 
langen! 


Nur das nicht! Sie teilt feinen Krumen mehr 
mit einem anderen und Hungert felber, daß fie faft 
ohnmächtig wird. 

Haſtig winkt fie mit der Hand. 

„Sehen Sie alle... ſogleich . und kommen 
Sie morgen wieder! Und du, Kind, gehit auch fo- 
fort zu Bett und verjchlaf’ dag widerwärtige Getobe 
und Gefpringe, welches ich prinzipiell Hafje und nie 
wieder erlaube! Geh!! Sch verzichte auf ein ‚Gute 
Nacht“!“ — 

Die Hofmarſchallin Hat mit fehr unmirfcher 
Stimme und giftig funfelnden Augen geſprochen; 
Fritze bläft noch fchnell die legte Lampe im Neben- 
jalon aus, und Baronefje Solingen rafft ein paar 
gebrauchte Weingläfer und Tellerhen vom Klavier. 

Gie empfehlen ſich kurz und fchnell und atmen 
fihtlih auf, al3 die Türe zwifchen ihnen und der 
zornbebenden Hausfrau liegt. 

Der Burfche jteht ſtramm vor Cagima, klappt 
die Haden zujammen und lacht über dad pfiffige 
Spitzbubengeſicht. 

„Zu Befehl, Baroneſſe, — wünſche wohl zu 
ruhen! Das war ein ſehr ſchönes Feſt heute, und 


— 123 — 


ich denke, alle anderen Herrſchaften Haben ſich gut 
amäüjiert, auch dad gnädige Fräulein!“ 

Die junge Dame lächelt mit ftrahlenden Augen. 
„Sa, es war mwunderfchön! Und ich danfe Ihnen 
und den anderen Burſchen von ganzem Herzen für 
ihre Hilfe! Hoffentlich Haben Sie doch noch das Bier 
ausgetrunken?“ fügt fie flüfternd Hinzu. 

Fritze zwinkert liltig mit den Augen. ‚Alles 
bejorgt und gern gejchehen; — gute Nacht, gnädiges 
Fräulein!“ — 

„Gute Nacht, Frig! Und nochmals Dank!” 

Cagima fjtürmt mit glühenden Wangen die 
Treppe empor in ihr Stübchen, und al3 fie das Licht 
anftedt, fteht fie auf3 höchite betroffen vor dem Tiſch. 

Da fteht ein großer Zeller voll Torte und ein 
Glas Tokayer, — ein paar Chryſanthemen find feit- 
lich darübergelegt, und auf einem Zettel, welcher aus 
einem Notizbuch geriffen fcheint, fteht mit Bleiftift 
gefchrieben: „Da die Kartoffeln und faulen Apfel 
jiherlih nicht die Nacht über vorhalten, jorgten wir 
noch für einen Imbiß unter zwei Augen! Gute Nacht 
und füße Ruh! — 9. u. U.” — 

Haltern und Unna! 

Das junge Mädchen ſinkt auf einen Stuhl nieder 
und lacht und meint vor Wonne und Entzüden in 
einem Atem. 

Wie ein Wirbelfturm geht es durch ihr Köpfchen. 

Sie kann all da3 Herrliche, Wonnevolle, was 


— 124 — 


fie heute erlebte, kaum fallen und verftehn, fie weiß 
nur eind, — daß fie glüdlich it! So himmelhoch 
jauchzend und glüdjelig, mie =’ nie in ihrem gan— 
zen Leben! 

Engel3hände haben fie in ein Paradies empor- 
gehoben, und die dunkle, öde Welt voll Tränen und 
Herzeleid Liegt tief, tief unter ihr, — fo fern, daß 
fie nur noch wie an einen Traum zurüddentt, al3 
jie unlängjt hier ihr Antlig auf dem Bettlifjen ge- 
borgen und bittere Tränen vol Todesweh um ihr 
verlorene3 Glüd meinte. 

Artik! Artik!! — 

Er iſt nicht verlobt, — er iſt frei, — er hat ſie 
lieb! — 

Cagima preßt die Hände gegen ihr ſtürmiſch 
pochendes Herz und eilt an das Fenſter. Drüben 
brennt Licht, und ſie ſieht die ſchlanke Geſtalt des 
jungen Arztes gegen die Scheibe gelehnt, wie er zu 
ihr herüberſchaut und wartet. — 

Als er ſie ſieht, breitet er ſtürmiſch die Arme 
aus und grüßt fie. — 

Und Cagima drüdt feine Blüten an die Rippen 
und winkt ein felig Gute Naht! — 

Dann verlijcht feine Kerze, und die Vorhänge 
im Manfardenfeniter de3 grauen Hauſes jchlagen zu— 
fammen. — 

Der Wind aber pfeift ein Lied voll jauchzender 
Freiheit um den Giebel, und al3 die Schneefloden 


— 125 — 


in luſtigem Tanz durch das Mondlicht wirbeln, da 
träumt da3 Aſchenbrödelchen mit lächelnden Lippen 
von den füßen Walzerflängen, nach welchen fie im 
Arm ihres Königsſohnes dem Glück entgegenfchwebte. 

Währenddeljen ſchlich die Mämä durch das dunkle 
Haus und revidierte die Türen, ob alles gut abge— 
ſchloſſen ſei. 

Die blaſſen Mondſtrahlen beleuchteten die Flur— 
halle, in welcher es noch immer nach Bier und Kuchen 
duftete und eine grauenhafte Wüſtenei von dem To— 
ben der lieben Teegäſte zeugte. 

Stirnrunzelnd, mit zuſammengebiſſenen Zähnen 
muſtert Frau Joſefa den Tanzplatz und ärgert ſich 
ſo maßlos, daß ſie vergißt, das liebe Putzichen aus 
der Beſenkammer, wohin es nach zahlloſen Fuß— 
tritten der angekläfften Burſchen endlich von ſeiner 
Herrin gerettet ward, herauszuholen. — 

Frau von Solingen hat ſich Heute genug aufge— 
regt, ſie ſtrebt aus dem ekelhaften Kneipenduft hin— 
weg in ihr ſtilles Schlafgemach, wo ſie nun, allen 
Vielfraßen zum Trotz für ſich allein ſchlemmen will! 

Eine halbe Flaſche Ungarwein aus der Apotheke 
hatte ſie noch im Büfett ſtehen, — ſie gleitet lautlos 
noch einmal in das Eßzimmer zurück und taſtet danach. 

Richtig, hier ſteht ſie, — aber ſo leicht, ſo un— 
heimlich leicht! — Was ſoll das? — 

Sie tritt in den Mondſchein und hält die Flaſche 
gegen das Fenſter. 


— 126 — 


Ein halberſtickter Aufjchrei. — 

Leer! — Leer! 

Sind denn die Räuberhorden über diefen Schranf 
geraten und haben ihn geplündert ? 

Den lebten Tropfen, den fie im Haufe hat! — 

Die Mämä zittert vor Wut am ganzen Leibe 
wie Ejpenlaub. 

Reife vor fich Hinfchimpfend, wankt fie nach ihrem 
Schlafzimmer. 

„Alſo werde ich, die Gajtgeberin, gutes, Hares 
Brunnenwaſſer zu meiner Torte trinken, dieweil da3 
fremde Schmarogervolf in Wein, Tee und Bier bei 
mir praßte!” meditiert jie voll Gift und Galle, redt 
fih auf die Zehen und reicht nach dem Schrank em⸗ 
por, auf welchen fie die Torte rettete. 

Ka nu? — Wo ftedt fie denn? So weit zurüd- 
geihoben? — 

Hier nit? — Auch da nit? — 

Sie ftedt die Kerze an und leuchtet. — 

Ein halberjtidter Auffchrei namenlofer Wut. 

Die Torte ift verſchwunden. — 

Die Füße zittern der Tobenden. 

Sie wirft ſich in einen Seſſel, fie glaubt erjtiden 
zu müjfen. 

Baldriantropfen! — 

Bwanzig in einem Gla voll Waller... Das 
ift ihr Labjal an dem hochgepriejenen Sour! — 

Baldriantropfen! — 


— 127 — 


Es dauert lange, lange, bis fie ein Hein wenig 
wirfen und die Frau Hofmarſchallin fich beruhigt. 

Und dann Sit fie mit Inurrendem Magen vor 
dem Spiegel, um ihr fo ſchön und effeltuoll deko— 
riertes Haupt zu entjchleiern. 

Livid und grünlich erjcheint ihr Antlig in dem 
geichliffenen Glas, und mit eingefniffenen Lippen über- 
legt fie: „Welch einen Sinn und Zweck hatte dieſes 
widerwärtige Völkerfeſt?“ 

Nichts von all dem Schönen, Herrlichen, was 
fie erwartete, iſt eingetroffen! 

Wo blieb der ftolze Triumph vor all den anderen 
Weibern —? 

Gie hatte feinen gejehen und erlebt! 

Sie ſaß zwar recht ehrenvoll neben den hohen 
Herrichaften, aber doch auf einem völlig verlorenen 
Poſten, wie ein Pagode, welcher nur ganz von weitem 
ein paar unbelannten Menjchen zunidt! 

Haltern und Unna mußten jich mit all dem gleich— 
gültigen Boll abmühen, Begrüßen, Geleiten, Ver— 
abſchieden — und bei ihr hielten jie ſich infolge- 
deſſen faum felundenlang auf, von dem entzüdenden 
Courmachen wie ſonſt an den Sfatabenden gar fein 
Gedante! 

So bitter enttäufcht, jo zornig gereizt war Frau 
Sojefa in ihrem Leben noch nicht geweſen! — 

Hätte fie wenigſtens mittanzen können! 

Dann würden Haltern und Unna fich fraglos 


— 138 -- 


um fie gerifjfen haben, und die einfältigen Lobenbacher 
Gaffer Hätten fich überzeugen müfjen, daß ſie die beit- 
ummorbenfte und meijt verehttefte Dame des ganzen 
Städtchen3 war! 

Dann hätte dieſer efelhafte Abend doc; noch einen 
Sinn gehabt, und ſie hätte ſich für all da3 maſſenhafte 
Geld wenigſtens amüfiert, jo aber war ein Kapital 
für nicht3 und wieder nichts zum Fenſter hinausge- 
worfen, nur darum, daß fo und jo viele Hungerleider 
fih tüdhtig an Torte, Kuchen und Brötchen bei ihr 
ſatt effen und ad libitum Wein und Bier zechen 
fonnten! 

Wenn die Mämä nur an diefen Umjtand dent, 
fliegen ihr wieder alle Glieder vor Nervoſität, und 
fie muß abermal3 zum Baldrian greifen! 

Sa, wenn fie nicht im innerjten Herzen überzeugt 
wäre, daß Haltern fich etwas ausdenken wird, um 
diefen Sour auf Staatskoſten zu beitreiten, fo führe 
fie vor Gift und Galle aus der Haut! 

Aber noch nicht genug mit all diefen bittern 
Pillen, welche fie jchluden mußte, dad Beinlichite 
und Aufregendite für fie mar die Indiskretion des 
Erbprinzgen, welcher den geſamten neugierigen 
Hordern mit lauter Stimme erzählte, daß Frau von 
Solingen eine reiche, jehr reiche Dame fei, welche 
von den ganzen Einwohnern der Stadt und Unige- 
gend am zweithöchſten bejteuert fei! 

Daß fie bei diejem taftlofen Geſchwätz nicht 


— 129 — 


vor Ürger der Schlag gerührt hat, ift gradezu ein 
Wunder! 

Hei, wie wird man fi) nun in dem ganzen Neit 
die Mäuler über ihre fo ängjtlich gehüteten Verhält- 
niffe zerreißen! 

Wie wird man nun bei jeder Gelegenheit der 
reihen Frau das Meſſer an die Kehle fegen, um fie 
für die Wopltätigkeit und Frömmigkeit nach Möglich- 
feit zu fchröpfen! 

Da wird ihr klägliches Verfichern, „daß fie eine 
arme Witwe fei!’ nicht? mehr nützen, und wenn jie 
im Haufe auch alles noch jo ſparſam einrichtet und 
mit Babette und Cagima noch ärger Hungert, — 
fo viel kann fie ja nie wieder herausfparen! Gie 
wird fich auch über jeden Heller, den die Blutfauger 
ihr abprefjen, jo maßlos ereifern, daß fie unter allen 
Umftänden krank werden wird! 

Und dann erſt die Kojten, die folch eine Pflege 
erfordert! — Ä 

Frau Sofefa Trampft die Hände in die Bett- 
Tiffen, bis fie jich erinnert, daß ihre langen, jcharfen 
Nägel Riffe in die teuern Bezüge machen Fönnten, 
— da fchüttelt fie die Fäufte voll ohnmächtiger Wut in 
der Luft, und während Cagima mit verflärtem Lächeln 
in feligften Träumen da3 Köpfchen zum Schlaf neigt, 
durchwacht die Hofmarjchallin Stunde um Stunde 
und tobt wider Himmel und Erde. 

Der Geiz läßt fie nicht fchlafen und frißt 110 


v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 


— 1390 — 


immer tiefer in Herz und Seele ein, wie ein Vampyr, 
welcher da3 umfrallte Opfer nicht wieder losläßt. 

Eine Gegnerin hat er noch, welche fich wider ihn 
aufbäumt, das ift die Eitelkeit, und zwiſchen allem 
Ärger und Ingrimm hindurch ftöhnt die Mämä 
immer wieder: „Wenn die Leute wenigſtens gefehen 
hätten, wie ftürmifch die beiden Herren mir den Hof 
machen, ich würde Die ſchweren Verluſte doch noch 
etwas leichter tragen!“ — 

Draußen heulte der Schneeſturm um das graue 
Haus und pfiff die ſtille, menſchenleere Straße entlang. 

Er zerrte und riß an dem Mantel des jungen 
Arztes, welcher mit weingerötetem Antlitz und glüd- 
jtrahlenden. Augen aus dem Dffizierdfafino heim- 
fehrte, wofelbit fily nach dem Sour der Frau von 
Solingen die geſamten jungen Herren — der Erb- 
pring mit inbegriffert — verjammelten, um die Gelt- 
wette auszutragen, welche Haltern an dem heutigen 
Tage jo glänzend gewonnen hatte! 

Seiner Berficherung gemäß hatte nicht nur er 
jelber bei Zrau Joſefa Einlaß und Verkehr gefunden, 
nein, er hatte fogar im Kampf um die arme, feit- 
gelegte Coeurdame das Unmögliche möglich gemacht 
und das ehedem jo hermetiſch verjchloffene graue 
Haus der gefamten Einwohnerſchaft des Städtchens 
geöffnet! | 

Uf! War das eine Leiftung! 

Der mit ſo viel’ Humor in Szene gejeßte Schwank 


— 131 — 


endete mit Baufen und Trompeten und einem regel- 
rechten Tänzchen, welches Cagima in die fo lange ſchon 
Tehnfüchtig geöffneten Arme der Lobenbacher Gejell- 
Schaft führte, und dieſes Bravourſtückchen des talent- 
vollen Oberleutnant3 ward nun in urfideliter Stim- 
mung gefeiert! 

Was gab e3 da nicht alles zu befprechen und zu 
belachen! 

Und je goldener der Sekt in den hohen Kelch— 
gläfern perlte, deſto übermütiger ward die Stim- 
mung, deſto häufiger die jubelnden Hochs, melche 
ausgebracht wurden. 

Haltern felber hielt eine fchmetternde Anfprache 
— „an mein Volk!“ — in melcher er, nach kurzem 
Rückblick auf die Eroberung de3 grauen Haufe, nun- 
mehr der Zukunft gedadite. 

Er wechſelte einen jchnellen, -verjtändnisinnigen 
Blid mit Unna und ſprach: „Die Bauern find be- 
fämpft, die Türme gebrochen, die Springer verjagt 
— die Königin ift frei und fteht Tächelnd mit ge- 
öffneten Armen und harrt des Ritterd, welcher feinem 
Vorkämpfer nun folgen und die Braut heimführen 
wird! — Möge diefen legten Strauß num jeder mutige 
Kämpe wagen, welcher auf fein gutes Glück vertraut, 
und möge diefed roſige Minneglüd auch allen jenen 
hold fein, welche eg nicht Hinter den Mauern bes 
grauen Haufe fuchen. ch hebe mein Glas und 
leere es auf die Coeurdame, um welche fich ja doc) 

9* 


— 132 — 


jedes Hazardfpiel und jeder Kriegszug im Leben 
dreht! — Gene holde, geheimnisvolle Herzenskönigin, 
welche ung alle — ob früher oder fpäter — zu ihren 
Sklaven madt, — jene reizende Coeurdame, welche 
fich mit ſüßen Zauberbliden und Hingendem Lenzes- 
lachen in unsre Herzen ftiehlt, — fie foll leben, Hoch! 
Hoch! hoch!!“ 

„Doc, die Coeurdame!” 

„Db blond — Schwarz — braun — fie lebe 
hoch!“ 

„Bivat! Vivat, Coeurdame!” 

Welch’ tumultuarifcher, braufender Jubel! Welch’ 
ein melodiſches Gläferflirren, welch' eine ehrliche, 
herzaufquellende Begeijterung! 

Haltern aber fchließt jefundenlang die Augen 
und fieht ein jchelmifches, pifantes Gefichtchen mit 
großen, dunfeln Rätfelaugen — heißt fie Tolly Spau- 
red oder Margit Wachlenftein? Er weiß es nicht 
mehr! Wie ein Luftgebilde verſchwimmt die graziöfe 
Mädchengeitalt in eins, und er flüftert nur mit klopſen⸗ 
dem Herzen: „Gruß dir, du herzige Coeurdame!” — 
Am nächſten Morgen wanderte Haltern durch die 
frische Winterluft nach dem grauen Haufe. 

Er war tief in Gedanken. 

Sein Rittmeifter, welcher ihm, wie alle Bor- 
gefegten, jehr mohlwollte, hatte ihm vorhin im 
Neithaus gefagt: „Lieber Hand! Sie haben in biefem 


— 13 — 


Jahr den Herbiturlaub verfchmäht und gaben mir 
zu veritehn, daß Sie anitatt deſſen lieber eine aus— 
giebigere Terienzeit zu Weihnachten haben möchten! 
— Ich war ſehr einverftanden damit. Nun fteht die 
felige, fröhliche und gnadenbringende Zeit vor der Tür, 
und ich erinnere Sie daran, daß es gut wäre, Ihre 
Wünfche bald jchriftlic) einzureichen!” 

Sa, dieſe Wünjche! 

Bor vier Wochen waren fie noch ganz anderer Art 
geweſen, mie jet! 

Da kam ihm die launige dee, einmal nad) 
Wien zu reifen, vor dem Spauredjchen Haufe Poſto 
zu fajjen und fich feine Peine Zolly einmal ohne 
Maske anzujehn. 

Er hatte infolgedefjen an einen befreundeten 
Herrenreiter, welcher in Oſterreichs Metropole in Gar- 
niſon jtand, gefchrieben, umd ihn gebeten, unter 
der Hand zu erforjchen, ob Fräulein Dolly zu Haufe 
anweſend fei. 

Heute morgen erhielt er die Antwort, welche 
die alle Pläne durchfreuzende Nachricht brachte, daß 
Baron Spaured nebit Gemahlin und Tochter nad 
München abgereijt jeien, woſelbſt die junge Baroneſſe 
ihr Maltalent bei einem befannten Maler — 
foviel er müßte, dem vortrefflichen Landfchafter Mar 
BZäger — ausbilden folle. Die Herrichaften wohnten 
in Penfion Finckh-⸗Melgunoff und würden big zum 
Zrühjahr dafelbit verbleiben. — 


— 134 — 


Im erſten Augenblid war der Dragoner etwas 
mißgeftimmt; plößlic aber durchzuckte ihn die Er- 
innerung, daß Komtefje Margit ihm gejagt, fie reife 
mit Hoheit nach dem Süden und werde in München 
etliche Tage Aufenthalt machen! 

Seine Augen leuchteten auf. 

Sroßartiger Gedanke, welcher ihm da Tommt! 
Seine Abſicht, von Wien nad) Rom weiterzureijen 
und zu vergleichen, welche der beiden Coeurdamen, 
die ſich fo ähnlich fahen mie ein Kartenblatt dem 
andern, ihm in Wahrheit am beiten gefallen werde, 
fonnte viel einfacher und Schneller verwirklicht werden! 

Wenn er e8 zu Wege bradjte, daß Hoheit eben- 
fall3 in der jehr eleganten Penſion abitieg, konnte er 
die beiden Doppelgängerinnen direkt Tonfrontieren, 
nun, und dann mußte e3 fi) doch am eflatanteften 
zeigen, nad) welcher die Wage feines Herzens am 
ſtürmiſchſten hinzüngelte! — 

Wirklich, dieſer neue Schwank mußte unter allen 
Umſtänden in Szene geſetzt werden, deſſen war er 
ſich ſicher! 

Nun erſt zur Mämä gegangen und die Schalen 
des Zornes aufgefangen, damit fie ſich nicht allem 
über dag arme, unfchuldige Köpfchen Cagimas er- 
goffen! — 

Und dann — — 

Der Oberleutnant dachte nicht weiter, denn er 
bog Scharf um die Straßenede und prallte beinah 


— 138. — 


gegen Unna, welcher ebenſo eilig zu ſein ſchien, 
wie er. Do 

„Kanu! Menſch! Treten Sie mich nicht ſchon 
am frühen Morgen tot, oder hupen Sie wenigſtens, 
wenn Gie eine derartige Nadelkurve mit 95 Kilo⸗ 
meter Schnelligkeit nehmen!“ 

Haltern drückte dem Sprecher lachend die Hand. 

„Sie reden ja einen Autlerjargon, als ob Sie 
heute noch ganz Lobenbach unter die Pneu's nehmen 
wollten!“ — 

Der Doktor blinzelte ihn verſchmitzt an. „Will 
ich auch! Denken Sie doch, Hänschen! Soeben bin 
ich telegraphiſch Vater von einem muntern, kräf⸗ 
tigen Sechziger ,Fiat“ geworben !!” 

„Donnerwetter ... . ein Geſchenk?!! 1 — 

„Rieſig nett, was? Meine Eltern verehren 
ihrem Einzigften zu Weihnachten die ſchönſte Limou- 
fine, die man ſich denken Tann, und ich bin foeben 
auf dem Wege nad) dem Güterbahnhof, wo das 
holde Schnauferl heut oder. man N anlommen 
ſoll!“ — 

„Topp; — genehmigt. Uber dag ſage ich Ihnen, 
die Probefahrt made ih mit!” — 

„Und willen Sie, wa3 die Eltern verlangen? 
Ich Toll als Revande in dem Wagen die Heine 
Eprigtour nad Münden machen und den guten 
Alten als einzig erwünfchtes Weihnachtsgeſchenk end- 
lich ein Schwiegertöchtercden mitbringen!!” — 


=. Ag 


Der Oberleutnant Inurrte ein behagliches „O 
diefe ahnungsvollen Engel!! Und jagen Sie mal, 
Unna — nah Münden Sollen Sie kommen? Sind 
etwa Ihre Eltern zur Beit dort?” 

Der junge Arzt nidte. „Sie reifen noch vor 
dem Felt für zirfa acht Tage nad) dort, weil Vater 
eine Konfultation von hoher Perſönlichkeit erhielt 
und viel zu jeher von der rührenden Mama u 
ift, um allein zu reifen!” 

Haltern lachte plößlich Hell auf. 

„Haben Sie ſchon Duartier?” — 

„Rein, fo viel ich weiß, fteigen fie in einem 
Hotel ab! Warum fragen Sie?“ 

„Würde e8 Ihnen ſehr ſchwer fallen, die alten 
Herrfchaften zu beftimmen, ftatt im Hotel in der 
jo netten Benfion Zindh-Melgumoff zu wohnen ? 

Artik fah fehr erjtaunt aus. „Durchaus nicht! 
Ein befannter, fehr berühmter Profeffor C. aus 
Heidelberg, ein Freund meines Vaters, wohnte ver- 
gangenen Winter dort, um fich von feinem Sohn por- 
trätieren zu laffen! Derſelbe war fehr zufrieden, 
ſoviel ich weiß, umd hat den Eltern die PBenjion 
auch Schon vorgeſchlagen!“ 

„Um fo bejfer! So wird ſich alled ganz pro- 
grammäßig, wie der letzte Alt eines Luſtſpieles, in 
Penſion Melgunoff abfpielen! Nun heißt es nur 
nod, die Mämä und Cagima ebenfall3 nach dort 
zu dirigieren, und alle Akteurs, inkluſive zufünf- 


— 137° — 


tigen, erwünfchten Schwiegertöchtercheng, find zur 
Stelle!” 

Unna fchüttelte den Kopf und zitierte: „Dunkel 
ift deiner Rede Sinn! Bitte, laſſen Sie es Hell 
werden!” 

Der Dragoner zog feine Uhr und warf einen 
ichnellen Blid darauf. 

„Eine halbe Stunde Tann ih der zürnenden 
Gottheit Sojefa noch abfnapfen; — Tommen Gie, 
amico mio, id) will Ihnen den Inhalt des Schluß- 
fapitel3 erzählen, wie und wo unfere beiden Coeur— 
damen Trumpf werden follen. Sie helfen mir jelbjt- 
redend bei der Ausarbeitung und dafür begleite ich 
Sie jett ein Stüd Wegs zum Güterbahnhof!“ 

Der Sprecher fchob feinen Arm in den des 
Doktors, und die beiden jungen Herren wanderten 
einträchtiglich durch die wirbelnden Schneefloden, 
welche die Straße höher und höher bededten und Die 
Geſträuche und Tannen in den Gärten bereits in eine 
Dide, weiße Dede hüllten! 

„Sie fprechen von einem Sclußfapitel, mein 
Yieber Haltern!” feufzte Unna plöglich mit bedenflichem 
Geſicht. „Ich fürchte, es wird noch viele Mühe koſten, 
bi3 ich Cagima einmal unter vier Augen fprechen 
fann ! Sch machte heute früh der Frau Hofmarſchallin 
einen Beſuch, um als höflicher Menſch zu fragen, wie 
e3 ihr befommen fei, — aber ich jage Shnen, Hang, 
Ritter Georg hätte den feuerjpeienden Lindwurm 


\ 


— 188 — 


ſicher einen Engel der Liebenswürdigkeit genannt 
gegen die anmutige Mämä, welche Lobenbach am 
liebſten an allen vier Eden anſteckte! — Daß Ca— 
gima getanzt hat, entrüftet fie ganz bejonders, und 
jie hat jogar die edle Abficht, für den Reſt des 
Winterd mit dem unglüdliden Kind, der Cagima, 
nach einer einfamen Oberförjterei zu gehen, woſelbſt 
eine Jugendfreundin von ihr in Finderlofer Ehe mit dem 
Gatten Hauft! — Sit das nicht zum Tollwerden? 
Die überrafchende Autofpende der Eltern brachte mich 
etwas über die Aufregung hinweg, aber ich wäre 
nachher zu Ihnen gelommen, um Sie zu tatkräftigiter 
Hilfe aufzubieten!“ 

Der Dragoner runzelte die Stirn. „Dieſes ent- 
jegliche, geizige alte Weib fängt bald an, mir fürchter- 
lich zu werden! — Es ift ja unerhört, was die Kleine 
leiden muß! Sa, wenn ein Menſch aus Armut 
hungert, fo hat man tiefite3, innigjtes Mitgefühl, aber 
Frau Sofefa ift jo reich, wie ein Kröfus, und ihr 
Sparfyitem nur ſchmutzige Gemeinheit! Darum kenne 
ich ihr gegenüber Teine Schonung mehr, jondern 
freue mich, diefe fnauferige Perſon einmal tüchtig 
hineinzulegen!! — 

Er lachte voll alten Übermut3 auf. 

„Aber unbeforgt! Sch werde die Löwin jchon 
aus der Höhle loden und nah Münden dirigieren! 
Hören Sie jet meinen Schladhtplan und fprechen Gie 
als Arzt das entfcheidende Wort, wenn ich Ihnen beim 


— 139 — 


nächſten Sechsundſechzig-Abend — ich glaube, wir 
lafjen den alten Drachen aus Klugheit fchon heute 
Abend gewinnen! — den nötigen Rippentriller 
| gebe!“ Sn 

Und der Oberleutnant begann mit [ujtbligenden 
Augen den Schlachtplan zu erzählen, welchen er ſich 
ſoeben ausgedacht. 

Welch ein Lachen und Flüſtern! 

Artik iſt entzückt von der guten Idee und über⸗ 
zeugt, daß die Liſt gelingen wird! 

Er verabredet die Spielpartie für heute Abend 
und winkt frohgemut zurüd, als Haltern endlich kehrt— 
macht und wiederum Kurs aufda3 graue Haus nimmt. 

Dann eilt er zum Telephon und frägt an, mit 
welchem Zug der Chauffeur eintrifft. 


16. Kapitel. 


err von Haltern wurde nicht allzu freundlich im 
Haufe der Frau Hofmarichallin empfangen. Als 

die alte Babette die Tür öffnete, traf den jungen 
Dffizier ein Blick, welcher ihn, ohne vorhergehendes 
Gerichtöverfahren, als todeswürdigen Sünder ab- 
urteilte. 

Sie wies mit feindjelig gefpreiztem Daumen nad) 
oben, fchüttelte in ftummer Ablehnung da3 Haupt, daß 
das Schwarze Kopftuch noch tiefer über Die gerungelte 
Stirn ſank und ſchlurrte auf Holzpantoffeln in die 


— 140 — 


Unterwelt zurüd. Der Dragoner fand gar feine Zeit, 
der Alten zu dem gejtrigen Herenjabbath im grauen 
Haufe zu fondolieren, und da fie anfcheinend auch 
feine Teilnahme von dem verbrecdherifchen Entre- 
preneur erwartete, jtieg er fporenflirrend die ge- 
bräunte Treppe empor, auf deren oberjter Stufe noch 
eine Ordonnang mit Bürfte und Bohnerwachs kniete 
und auch die legten Spuren der Völkerwanderung 
bermijchte. 

Er ſprang empor und ftand ftramm. 

„Wiſſen Sie, wo die gnädige Frau zu finden iſt?“ 

„Befehl, Herr Oberleutnant. Die Frau Hof- 
marfchallin ging vorhin hier in die erſte Tür Hinein, 
— es ift wohl das Wohnzimmer.” 

„But, Schröder. — Bald fertig gefäubert ?!“ 

Der Soldat lachte mit. 

„Befehl, Herr Oberleutnant, — in einer Viertel- 
ftunde find wir fertig.” — 

„Sratuliere. — Meldet euch alle drei nach dem 
Mittagejfen in meiner Wohnung!” 

„Befehl, Herr Oberleutnant!” 

Die Augen des Burſchen leuchteten! auf, er Happte 
mit fcharfem Rud die Haden zufammen, und Haltern 
öffnete auf ein Mäglich Ieifeg „Entrez!” der Frau 
Sojefa die Stubentüre, an welcher er zubor mit 
zartem Finger geflopft hatte. 

Der Anblick, welcher jich ihm bot, war ein fehr 
betrübender. 


— 141 — 


Die Mämä lag auf der Chaifelongue, da3 Haupt 
turbanartig mit einem buntgeftreiften Seidenfchal um— 
wunden, die hagere Geſtalt in einen ehemals mohl 
recht fchön geweſenen ſchwarzen Atlagmantel, durch 
deſſen brüchige Stellen aber öfters die weiße Futter- 
watte fchimmerte, gehüllt. 

„Behalten Sie Ihren Baletot an!” rief fie dem 
Eintretenden mit ergreifender Leidensmiene zu. „Sch 
habe noch nicht heizen laſſen, da ich hoffte, die große 
Wärme de3 geitrigen Abends werde heute noch vor— 
halten! Nach den entjeglichen Unkoften unſres Feſtes 
muß ih nun an allen Eden und Enden fparen, und 
ertrage lieber ein wenig Kälte, ehe ich die foftbare 
Feuerung ſchon wieder durch den Schornitein jage!” 

„Sehr richtig! Wenn Sie geitatten, folge ich 
Ihrem Beifpiel, wa3 den Mantel anbetrifft!” — 
Der Sprecher zog fich einen Stuhl heran, von welchem 
er zuvor eine Kaffeetafje und drei Lockenwickel ent- 
fernte, und nahm neben der Frau des Haufe Plab. 

„E3 ließ mir feine Ruhe mehr, teuerjte Gön- 
nerin! Sch mußte mich fchon in diefer Vormittags- 
ftunde nah Ihrem Befinden erkundigen!” feufzte 
er mit umflortem Blid. „Sie glauben e3 gar nicht, 
wie fehr Unna und ich uns forgten, daß Ahnen 
die allzuvielen Huldigungen des gejtrigen Tages 
Schlecht befommen jeien! Meine Ahnung hat mich 
nicht getrogen! Ich finde Sie leider auf dem Ruhe— 
bett!” 


— 142 — 


Die Mämä hatte graziös die Hand zum Kuß 
gereicht und fchien fich bei den mitfühlenden Worten 
ihres Verehrers fichtlich zu erholen, wenngleich ihre 
Miene noch immer ein wahres Martyrium ilfuftrierte. 

„Sa, mein teurer Freund, Gie fehen in mir da3 
Opfer einer Lobenbacher Rüdjicht3lofigkeit! Ich bin 
nur noch der Schatten der Maria! würde ein Schiller 
auch mid) heute jagen lafjen! DO, welch eine jchred- 
lihe Naht! Als ich hungrig und erjchöpft zu Bett 
gehen wollte, traf mich noch einer der jchwerften 
Schickſalsſchläge!“ — 

Der Dragoner überhörte den legten Satz. Er 
hlidte nur ein Hein wenig vorwurfsvoll und wieder- 
holte: „Lobenbacher Rüdfichtälofigfeit? — O, welch 
ein hartes Wort, gnädigjte Frau, wel ein Miß— 
verfennen der treuiten und liebevolliten Gefinnungen! 
— feine Turandot würde ihren Anbetern einen Vor⸗ 
mwurf machen, wenn fie in foldden Scharen herzu- 
ſtrömten, wie geſtern die Ihren!“ — 

Frau Joſefa zog in geſchmeicheltem Lächeln das 
Mündchen zuſammen, aber ſie ſtöhnte dennoch leiſe 
auf. „Ich liebe die Anbeter nur dann, wenn ſie 
nicht läſtig fallen und nicht allzuviel koſten! Die 
Menſchen mußten ſich doch ſagen, daß eine derartige 
UÜberfülle im Haufe nicht angenehm fein konnte!“ 

„Gewiß, als fie e8 ſahen, empfanden fie e3 
felbftredend felber, aber da war es leider zu fpät, 
und es blieb ihnen nicht? andre übrig, al3 ſich 


— 143 — 


jo Schnell wie möglich wieder zu entfernen. Die Leute 
ahnten ja nicht, wer alles kommen würde und Teiner 
wollte fehlen!’ 

Die Äuglein der Mämä begannen wieder zu 
funfeln. „Ja, fie gingen, nachdem fie zuvor in 
Tee und Kuchen gewütet hatten!!“ — 

Haltern fah jehr fanft aus und Sprach äußerſt 
lei3 und milde. „Nicht alle, teuerjte Frau! Ich ah 
viele, welche höflich danften!” — 

„Aber Wein — Bier — belegte Brötchen! Dies 
alles war doch durchaus unnötig und ganz gegen 
unsre Abſicht!“ knirſchte Frau von Solingen. 

Der Oberleutnant jchlug die Hände ineinander, 
al3 wolle er fie mwehllagend gen Himmel ftreden. 

„a, da3 war allerdings unerhört und hat mich 
aufs tieffte entrüftet! Aber mas follte man tun? Ich 
war einfach machtlos! Sa, wären wir, mie ich ftet3 
angenommen, ganz unter und gemwejen, das ‘Seit hätte 
ganz anders arrangiert werden Tönnen! Aber das 
Ericheinen des Hofs nahm mir alles über dem Kopf 
weg! Wer Tonnte zuvor ahnen, daß die fämtlichen 
Herrfchaften, fogar der alte, jo leidende Fürſt hier- 
her kommen würden!” 

„Ja, ja, ich war über die Anfage auch Höchlichit 
erftaunt!” — 

„Und doch müßten Sie e3 wiljen, gnädigite Frau, 
wie außerordentlich beliebt grade Sie bei Hofe waren!” 
verficherte Haltern mit unmiderftehlichen Augen. „Ich 


— 144 — 


hatte e3 felbftredend in Lobenbach erzählen hören, 
welch eine außergewöhnliche Rolle Sie ehemals im 
Schloß gejpielt hatten, aber ich fonnte doch unmög- 
lich danach fchließen, daß man Sie bei einem ein- 
fachen Jour derart eflatant auszeichnen werde! Es 
war ja in jeder Hinficht ein fabelhafter Triumph, 
welchen Sie feierten, andernteild aber waren und 
in jeder Weife die Hände gebunden, und Sie werden 
es al3 ehemalige Hofdame felber am beiten wiſſen, 
daß man in Anmejenheit von Fürftlichkeiten ein wil- 
lenloſer Sklave ift, welcher jedem Fingerzeig folgen 
muß, welcher gegeben wird!” — 

„Ratürlih! Das war ja das Infame, daß Wein 
und belegte Brötchen ſolche direkte Yingerzeige 
waren!” jammerte die Mämä, fchon etwas bejänf- 
tigter und jet mehr Häglich als zornfchnaubend. 

„Died war noch immer nicht das allerfchlimmite,” 
fuhr der Dragoner Topffchüttelnd fort. „Das Ya- 
taljte war entjchieden der Zwang, welcher Ihnen, 
teuerjte Frau, durch die hohen Säfte auferlegt ward! 
— Gie faßen am bevorzugten Plab und Hatten für 
Shre armen Verehrer feine Zeit, — nicht einmal 
beim Tanzen, und das war mehr als jammerjchade!” 

Frau Sofefa erholte fich jo ſehr, daß fie ſich 
aufrichtete und ein Rüdentiffen auf den nächften Seffel 
warf. Sie lächelte zwar ſehr jchmerzlich, aber doch 
voll füßer Kofetterie. 

„Haben Sie mich tatſächlich vermißt, amico 


— 195 — 


mio? — Run, ich geitehe Ihnen ehrlich, daß ich auf 
meinem verlorenen Poſten beinah verzweifelte vor 
Ungeduld! Wenn nun doch einmal alle Kojten ent- 
itanden waren und da3 Tanzen ſich nicht vermeiden 
ließ, wäre e3 mir ein unendlicher Spaß geweſen, 
mid in Shrem Arm auf Walzerflängen zu wiegen! 
Glauben Sie nicht, daß ich es mit der Zeit verlernt 
habe oder gar zu alt dazu bin, wie ed Serenijjimus 
in wenig galanter Weiſe anzunehmen ſchien — —“ 

„alt? — At? — Sie, Hochverehtte Frau?“ 
— Der Oberleutnant ſah aus, al3 wollte er vor Ent- 
rüftung Hinten überfallen. ‚Der greife Mann wird 
abitändig — kurzſichtig — verliert jeden Maßitab! 
Das ift die einzige Löſung für folch eine Abjurdität! 
Möglichermweife war er auch eiferfüdhtig und wollte 
Sie an feiner Seite fejfeln, — da3 glaube ich noch eher!“ 

Mämä war verlegen und fchämig wie ein Bad» 
fifcgchen. „Glauben Sie? Mon Dieu, id muß ja 
zugeftehn, daß ich ihn ehemals durch Wi und Geiſt 
zu feffeln verftand! Wenn er fich font auf den Feſten 
langweilte, nahm er ftet3 an meiner Seite Pla und 
fagte mir fo viel Artigkeiten, daß ich manchmal 
wirklich eitel war! Aber gejtern war ich es, die 
vor Langerweile fchier ſtarb, und der Gedanke, öfters 
derartige Gähnkrämpfe zu belommen, hat etwas 
Fürchterliches!“ — 

Haltern rüdte fi auf feinem Seſſel zurecht 
wie ein Krieger, welcher zur Attade vorgehn will. 

v. Eſchſtruth, Das Nobdeltantdhen I. 10 


— 146 — 


„Und doch fürchte ich, teuerite Baronin, daß 
e3 Ihnen diefen Winter noch recht oft blühen wird!” 

Die Mämä niefte ein paarmal, denn der eijige 
Nordoft ſtand auf die altersfchwachen Fenjter, und 
im Zimmer ward e3 immer fälter. 

„Wie meinen Sie da3?!” fragte fie mit er- 
ſtaunten Augen. 

„Je nun! Die Robenbacdher find derart begeijtert 
von Ihrem entzüdenden Sour, und auch die hohen 
Herrfchaften ſprachen fich derart anerfennend aus, daß 
fraglo3 eine Preffion vom Hofe ausgeht, diefen Four 
ehr oft zu wiederholen!‘ 

Frau Sofefa fuhr empor und fuchtelte mit beiden 
Händen wie beſeſſen durch die Luft. 

„Haltern... Menih... das wäre mein 
Ruin!” 

„Daran glaubt leider niemand mehr, feit der 
Erbprinz daS Geheimnis Ihrer jo Hohen Ber- 
ſteuerung verriet!” feufzte der junge Offizier. 

„O, diefer Elende! Diejes Klatſchmaul! In welch 
entfegliche Lage bringt mich feine Indiskretion!“ 
jchmetterte Mämäs Stimme im höchſten Diskant. 
„Ich fürchtete es gleich, daß man ſich nun berechtigt 
fühlen wird, mich in jeder Weiſe zu rupfen! — 
Noch öfters ſolche Jours, — womöglich auch dann 
noch, wenn ich keinerlei ——— erhalte? — 
Nie! — Nie!!“ — 


— 1417 — 


„Da haben Sie fehr recht, teuerfte Freundin! 
Nichts ift törichter und undankbarer, al3 wie fein gutes 
Geld für fremde Menjchen hinauszuwerfen, welche es 
nicht einmal zu Dank wiſſen!“ — 

„Ah! Vortrefflich! Alſo Sie ſind auch dieſer 
Meinung?“ — 

„Vollkommen! — Wenn man Dukaten rollen 
läßt, dann nur für ſich ſelber!“ — 

„Das fage ich auch!” nidte Frau von Solingen 
mit funfelndem Bid. ‚Und wiſſen Sie, beſter 
Haltern, was ich darum beabjichtige? Ich Ichlage den 
gefamten Hungerleidern und Kucheneffern hier ein 
Schnippchen und reife in den nächſten Tagen mit 
Cagima für den Reit des Winterd ab!” 

„Welch ein Gedanke! Jeder Egoismus meiner- 
feit3 muß in diefem Augenblid ſchweigen! Teuerſte 
Gönnerin, wohin wollen Sie fi) vor der Flut Ihrer 
Berehrer retten?! — Eins fage ich Ihnen im voraus 
— überall hin, wo viele Menſchen find! Nur um 
alle in der Welt nicht auf ein einjames Gut!“ 

Frau Joſefa niejte wieder, — dann fah fie den 
Sprecher nicht allzu geiftreich an. 

„Ich veritehe Sie nicht, Lieber Haltern! Sch 
wollte mich grade in ein jehr entlegened Forſthaus 
im Bayriſchen Wald zurüdziehen! ch Habe dort 
gute Freunde... .” Sie verjtummte erfchredt, denn 
der Dragoner ftieß einen dumpfen Schrei des Ent- 
ſetzens aus. 

10* 


— 143 — 


„Am teinen Preis dürfen Sie dag! Nur über 
meine Leiche führt Sie jet der Weg in dieſes Todes 
Rachen!’ — | 

„Todes Rachen?! Wie grauenhaft — wie fürch— 
terlich! Was foll das bedeuten?!” — 

Haltern rüdte noch näher, feine Mimik Tieß 
Mämäs Blut noch mehr .eritarren. 

„Weil Sie dort jeden Augenblid gewärtig ſein 
müſſen, ermordet zu werden!“ 

Wie dumpf — wie unheimlich ſeine Stimme 
klang! — Frau von Solingen ſchrie leiſe auf. 

„Ermordet? Ich? Ich, ermordet?!“ — 

„Hören Sie mich an! Selbſtredend erfuhren Sie, 
daß vorigen Winter eine Zigeunerbande in der Rhön 
eine Reihe der grauſigſten Mordtaten verübte und 
danach flüchtig ward. Obwohl alle Polizei auf den 
Beinen war und ſogar noch Militär aufgeboten ward, 
gelang es nicht, dieſe Räuberhorde zu fangen! Sie 
laſen davon?“ 

„Das nicht, aber ich entſinne mich, daß mir der 
Poſtbote einmal davon erzählte!“ 

„Ganz recht! Alſo man konnte der Verbrecher 
nicht habhaft werden, und den Weg, welchen ſie 
nahmen, zeichnete Blut, Brand, — Grauſen ...“ 

Frau Sofefa zittertee — „Und wohin gingen 
fie?!” — 

„Das wußte eine Zeitlang fein Menſch, benn 
nachdem fie die Grenze erreicht hatten, verlor man 


— 149 — 


vollends ihre Spur! Jetzt aber —“ Haltern erhob 
die Stimme zu mächtigem Klang — „tauchen die 
Moröbrenner plöglid wieder auf! Bald find fie 
hier, — bald dort, — zulegt machten fie Thüringen 
unficher, und follen fi) nım nad) Bayern gewandt 
haben, wo die undurchdringliden Wälder und 
Schludten in den Alpen unauffindlicde Beritede 
bieten!‘ 

Die Hofmarjchallin Hob in jchaudernder Abwehr 
beide Hände. — „Alſo gradaus gejagt — fie find 
im Bayrifchen Wald?!” — 

„Bayriſcher — oder Böhmiſcher Wald — mer 
weiß es? Alles grenzt ja jo nah, und die Gefahr ijt 
überall ſehr groß! Denken Sie fi nun ein einſames, 
tief verfchmeites Forſthaus — auf Meilen meit feine 
Hilfe! .... Wenn eine Bande von Räubern fommt, 
jo können jie alle Einwohner voll größter Gemäch— 
lichfeit abjchlachten, ehe nur ein Hilfefchrei laut 
wird!” — 

„Hören Sie auf! Ich werde ohnmächtig! Gott 
foll mid) bewahren, nad) dort zu gehn!” — 

„Diefe Worte geben mir die Ruhe wieder! Sch 
hätte Sie auch niemald dem Verderben preisge- 
geben! Sie haben doch noch nicht an Ihre Freunde 
geſchrieben ?“ — 

„Nein, nein! Es geſchieht auch nicht!“ — 

„Sehr recht! Warum wollen Sie außerdem Ihre 
ſchönſten Jahre in derartiger Weltvergeſſenheit ver- 


— 150 — 


geuden? — Pie Zugend flieht fo ſchnell, — man joll 
doch die Roſen pflüden, eh’ fie verblühn!“ 

Frau Joſefa erholte fich bei dieſen fchmeichel- 
haften Worten erſtaunlich ſchnell. 

„Das iſt freilich wahr! Wo aber ſollte ich ein— 
ſame, verlaſſene Frau mich hinwenden, um noch 
das Glück zu finden?!“ 

Sie ſchlug ſchmachtend die Augen auf, und der 
junge Offizier nahm momentan eine der frierenden 
Hände aus dem Paletot und legte fie gefühlvoll - 
auf die Bruft: „Dahin, wo Luft, Freude, Liebe und 
Glück daheim find!” Tächelte er wahrhaft herzbe- 
törend. „Hörten Sie noch nicht3 von den entzüden- 
den Winterfportvergnügen, welchen fich feit den legten 
Sahren alt und jung voll gleichen Entzückens hin— 
gibt ?" 

„Sie meinen die Rodel- und Skibahnen? Ja, 
geitern fprachen die Prinzeflinnen davon! Es foll 
ſehr ſchön und amüfant fein!“ 

„Das ftimmt, und äußerſt praftifch obendrein. 
Hören Sie an! Gie gehen in ein Hotel oder eine 
Penſion, Sie zahlen einen verhältnismäßig Heinen 
Preis, eſſen dafür alle Tage die großartigften Diners 
und Soupers und haben eine Menge ber inter- 
effanteften Menjchen um jich, mit welchen Sie fich 
in großer Gefellichaft amüfieren können, ohne die 
geringften Koften davon zu haben!“ 


db. 


Die Augen der Mämä meiteten fich in fajt gie- 
rigem Schauen. „Sa, das wäre allerdings fehr an- 
genehm! Aber joviel ich weiß, find die Penjionz- 
preife immer enorm Hoch?!” 

„Doch nicht! Sch werde etwas finden, was Gie 
hochgradig befriedigen fol. Zum Beifpiel in München 
die Benfion Findh-Melgunoff! Sch fenne den In— 
haber derjelben, ehemaliger Kavallerieoffizier, welcher 
mit feiner charmanten Gattin die Honneurd mad! 
Gelbitredend muß uns der Major Ausnahmepreife für 
Sie machen! Ich weiß, daß er Heine, ganz einfache 
Zimmerden hat, — fogenannte Bofenftuben, die find 
gradezu lachhaft billig, — wenn Sie eben ganz für- 
liebnehmen und feinen Wert auf bejondere Eleganz 
legen... .“ 

„Rein, nein! Nicht die mindejte! Sc Iogiere in 
der fchrägften Dachkammer, wenn ich nur nicht viel 
zu bezahlen brauche!“ 

Um die Lippen de3 Oberleutnant zudte es wie 
ein mühſam verhaltenes, unlöfchliches Gelächter, jein 
Plan reifte immer mehr aus. Aber er zwang fich zu 
. größtem Ernſt und jtimmte lebhaft bei. ‚Natürlich! 
Das Wohnen iſt ja in diefem Fall totale Nebenjache! 
Man hält jich den ganzen Tag in dem eleganten 
Salon, der fchönen Lejehalle, den Epjälen auf und 
ſchläft nur nacht in dem Heinen Stübchen, um von 
den Zriumphen, welche man tagsüber feierte, zu 
träumen!” 


— 152 — 


Frau Joſefa lächelte ſo ſüßlich, daß ihre Augen zu 
kleinen Schlitzen zuſammenſchrumpften. 

„Das klingt alles ſehr verlockend! Wenn das 
Bett gut iſt, kann das Stübchen ſein, wie es will! 
Die Hauptſache in Hotels und Penſionen iſt ja doch 
wohl die gute Verpflegung?!" 

„Selbjtredend! Dh, und grade diefe ilt in Penfion 
Findh-Melgunoff erſtklaſſig! Eine vortreffliche Ab- 
wechſlung und wirklich vorzüglich gekocht!“ — 

Die Zunge der hungernden Hausfrau bejchrieb 
unbemerkt einen Kleinen Bogen über die Oberlippe, 
— der Blick wurde wieder fo ftarr, wie bei Pugichen, 
wenn er nach einem Broden gierte. 

„Man befommt vorgelegt oder Tann fich nehmen 
jo viel man will?!" fragte jie atemlos. 

Haltern madte eine weit ausholende Armbe- 
wegung. „So viel Sie wollen! — Es ijt dem Appe- 
tit feinerlei Biel gejebt! Viele Damen nehmen ſich 
jogar Torte, füße Speije und Obſt noch mit auf die 
Zimmer hinauf!” 

Frau Joſefa ward fo Iebhaft, daß Pubichen, 
welcher bisher unter der Dede auf den Füßen feiner 
Herrin gefchlafen, ſtark ins Schwanken geriet und 
Häffend mit dem Kopf aus der fchügenden Hülle 
hervorſchoß. 

„Sehr angenehm! Wirklich ſehr verlockend!“ er⸗ 
eiferte fih Frau von Solingen. — „Und Sie und 


— 13 — 


Unna würden mit mir reifen, um mir in der Pen- 
jion als treue Ritter zur Seite zu bleiben?! 

„Aber felbjtverftändlich! Grade dorten könnten 
wir und Ihnen jo voll und ganz widmen, wie e3 
bei einem Sour nie der Fall fein Eönnte! Soviel 
ich weiß, wird in der Benfion Findh-Melgunoff auch 
viel getanzt!” 

„Entzüdend! Großartig! DO, id) werde mir 
die Sache wirklich ernfthaft überlegen! Während 
meiner Abweſenheit gerät hier der Sour hoffentlich 
in Vergeſſenheit, und man denkt jpäter nicht mehr 
daran, die Rechnungen zu fchiden!” 

„Davon bin ich überzeugt! Von München aus 
ſuchen wir dann einen fchönen, flotten Winterfport- 
plab aus, wo Sie mit der Jugend um die Wette 
todeln werden, teuerite Frau!“ — 

„sch rodeln? DO, Sie fcherzen, liebiter Haltern!“ 

„Durchaus nicht! Sie glauben gar nicht, wie 
bezaubernd, wie hinreigend die Damen in den ju- 
gendlihen Smweaterd ausjehen! Der Doktor ver- 
ordnete vorgeitern noch Prinzejfin Hortenjia das Ro— 
deln als Verjüngungskur, und Hoheit wird fie jelbit- 
tedend gebrauchen! Wie entzüdend könnte ich mir 
die frifchen, frojtgeröteten Wangen, die freudeitrah- 
lenden Augen bei Ihnen denken, Baronin! Sie wür— 
den Fräulein Cagima total ausſtechen und alle Her- 
zen gewinnen!” — 

Die Mämä kicherte wie ein Badfifh und drohte 


— 154 — 


mit dem Finger. „O, Sie Courmacher par excel- 
lence, wollen Sie mir den Kopf verdrehen?! Alſo, 
auf nach Bayern! — Du lieber Gott, wenn nur die 
Koften nicht wären!” 

„Bleichviel. Denken Sie endlich einmal an id) 
— Ihre Jugend, Ihr Glück! Die Jahre fließen fo 
ſchnell! Und für wen wollen Sie fparen? — Yür 
lachende Erben? Weld) eine Torheit wäre das! Alfo, 
wir beiprechen noch alles Kähere mit Unna bei dem 
nächlten SechSundjechzigabend! Heute und morgen 
ſind wir beiden leider verhindert, aber übermorgen 
ftehen wir mwieder im Dienjt unferer Königin! 

Der Sprecher erhob jich, und Frau Joſefa midelte 
die falte Hand aus der Neifedede und bot fie graziös 
dar. „Ich freue mich wie ein Kind auf Ihr Kommen! 
Sc zähle die Stunden!” hauchte fie. Tofett. 

Der Dragoner küßte, wie ſchon fo oft, feinen 
eigenen Daumen, dann fragte er plötzlich voll warmer 
Teilnahme: „Uber noch eins! Sie ſprachen vorhin 
von einem Schickſalsſchlag, welcher Sie noch ſpät 
abends getroffen, verehrtejte Baronin! Sch bin in 
großer Sorge, etwas Schredliches zu hören?!“ 

Die Mämä vergaß plöglidy allen Liebreiz und 
begann, wie ein gejporntes Roß, voll Schmerzens— 
gezeter emporzubäumen! 

„O, gut, daß Sie mich erinnern! Denken Sie 
doch, beiter Freund, als ich, halbtot vor Hunger und 
Ärger, in mein Schlafzimmer fomme und nun zur 


— 155 — 


Erquidung ein Stückchen Nußtorte ejfen will, ent- 
Dede ich, daß diejelbe vom Schrank fortgenommen 
und ficherlid von der Hundertmäuligen Hydra der 
Lobenbacher Geſellſchaft geichludt worden ift! O, 
ic) war außer mir, — geradezu rajend vor Zorn!” 
— Und bie empörte Hofmarjchallin preßte auch jetzt 
die Hände Iuftjchnappend gegen den Magen, welcher 
wieder bedenklich Inurrte, feit Haltern von den Diners 
der Penſion Melgunoff geiprochen! 

— Der Oberleutnant taumelte vor Empörung 
einen Schritt zurüd und ſchnitt in feiner fichtlichen 
Erregung: die ſeltſamſten Gefichter. 

„So etwas! Wie war da3 möglich?!" — 

„Als ich heute nachforjchte, meldete mir Ihr 
Fritze mit jtrahlendem Gejicht, daß er die Torte noch 
rechtzeitig entdedt und jerviert habe, um mir eine 
doppelte Ausgabe zu jparen!” ftöhnte Frau Sofefa 
mit weinerlicher Miene. „Da konnte ich den Menfchen 
nicht einmal fo fcharf herunterpußen, wie es mir in 
meinem Grimm entjchieden mohlgetan hätte!“ 

„Gewiß nicht; er Hat es ja fo gut gemeint!“ 
und mit friſchem Auflachen fügt er Hinzu: „Grämen 
Sie ſich nicht mehr darum, teuerjte Frau! In Mün— 
chen werden Sie bald fo viel Torte efjen, daß Sie dem 
entſchwundenen Leckerbiſſen, jo wunderbar er auch 
Ichmedte, feine Träne mehr nachweinen! — Alfo, auf 
Wiederjehen, übermorgen abend! Und bis dahin 
bitte ich. meiner fo Huldvoll zu gedenken, wie bisher!“ 


— 156 — 


De Mämä lächelte und winkte Lebewohl, und 
auf ihrem Antlitz fpiegelte ſich abermal3 der wilde 
Schmerz um die wunderbar gutjchmedende Torte! — 

Putzichen Häffte noch einmal auf, und dann ſchloß 
fih die Türe hinter dem jungen Offizier. 

Haltern warf einen fchnellen Blid die Treppe 
empor. 

Da fah er Cagima ftehen, welche ihm mit glüd- 
jeligen Augen ſehr herzlich zunidte; er winkte ftür- 
milch empor und wollte ein paar leife Worte rufen, 
aber das junge Mädchen legte ängjtlich wehrend den 
Finger vor den Mund und hufchte lautlos zurüd. 


— — — — — — — — — — — — — — 


17. Kapitel. 


bwohl am nächſten Tage der eiſige Nordoſt immer 

neue Hagelſchauer über Lobenbach ſchüttete und 
das Eckchen am warmen Ofen unendlich viel an— 
ziehender war, als die hartgefrorenen Parkwege, wan— 
derte der Oberleutnant von Haltern ſchon ſeit einer 
Stunde in dem verſchneiten Park umher und beob— 
achtete hinter guter Deckung das Portal des Pavillons. 

Er wußte, daß Prinzeſſin Hortenſia faſt jeden 
Morgen in Begleitung ihrer Hofdame nach dem nahen 
Borkenhaus promenierte, um die Wildfütterung an- 
zuſehen und dem zahmen Rehbock „Hanſel“ einen 
beſonderen Leckerbiſſen zu reichen! 

Unermüdlich und unverdroſſen patrouillierte er 


— 157 — 


in dem tiefverfchneiten Tannengang entlang, bi3 er 
jih plötzlich ſtramm aufrichtete und fein Auge ich 
ſchärfte. 

Endlich nahten ſie! — 

Ihre Hoheit im dicken Pelzmantel mit einem 
warmen Spitzenſchal um die Chinchillatoque gewun— 
den, die Hände frierend im Muff geborgen, und 
hinter ihr Gräfin Margit im flotten Lodenkoſtüm, 
mit der modernen Jacke, deren ſilbergraues Atlas— 
futter aufleuchtet, wenn der Wind die geſchlitzten 
Bahnen zurüdichlägt. 

Sie trägt den paffenden Sporthut, dejfen Krempe 
über der Stirn gurüdgebogen ift und die dunklen 
Löckchen freigibt, in welche der Wind ungehindert 
feine Schneejternchen ftreut, denn Die junge Dame 
verjchmäht e3, einen Schirm aufzufpannen. Am Arm 
hängt ihr ein buntgeflochtenes, italienisches Körb- 
chen, welches ficherlich die Delikateſſen birgt, welche 
Hanfel aus den Händen feiner erlauchten Gönnerin 
najchen joll! I | 

Haltern beobachtet noch ein paar Minuten mit 
fehr nachdenklichem Blick die zierliche Geſtalt, welche 
ſich filhouettenhaft gegen die weiße Raſenfläche ab- 
hebt, und jagt ſich abermals, daß fie ihm doch gar 
zu auffällig befannt vorfommt! 

Diefe Haftigen, quedjilberigen und dabei Doch 
jo graziöfen Bewegungen find ihm fchon einmal im 
Leben ſehr anziehend aufgefallen, und er weiß e3 


— 158 — 


jest auch ganz genau, daß ed Dolly Spaured war, 
welcher er im Nizzaer Tanzjaal lachend nachſchaute, 
wenn jie zeitweilig vor feinen fühnen Demaskierungs— 
gelüften entfloh! 

Es ift und bleibt unbegreiflich, wie zwei Jich 
jo fern und mwildfremd jtehende Damen derartige 
Ünnlichkeiten aufweiſen, und doch — fähe er Dolly 
ohne Maske, würden ihre Augen in einem vielleicht 
total anders geformten Gefichtchen vollkommen ver- 
ſchieden von denen der jungen Gräfin wirken! 

Aber zum Grübeln bleibt feine Zeit. 

Der junge Offizier biegt Haftig und von ben 
Damen unbemerkt in einen Geitenpfad ein und er- 
reicht auf mäßigem Ummeg die Borfenhütte juft von 
der anderen Richtung, al3 Ihre Hoheit um die Ede 
der Heinen Fichtenſchonung biegt. — 

Ein Lakai ift den Damen gefolgt, welcher zwei 
Schirme und noch eine Chindhillaftola trägt, er er- 
fpäht den Oberleutnant zuerjt und ſchmunzelt wie 
einer, welcher jich freut, richtige Auskunft gegeben 
zu haben. | 

Prinzefjin Hortenjia winkt ihm heiter entgegen 
und rezitiert: 

„Treff ich den Junker bie? 
Bei Hof ericheint er felten, 
Zu Hauſe weilt er nie!" — 

Haltern Happt in elegantem Gruß die Haden 

zufammen, daß bie Sporen leije erflirren, verneigt 


— 159 


ih rejpeftvoll und lacht die hohe Frau doch Dabei 
mit feinen ſchalkhafteſten Blauaugen an. 

„Leider iſt es dem Menfchen nicht gegeben, aus 
freien Stüden bei Hofe zu erjcheinen, Hoheit, ſonſt 
müßten fraglos Wallgraben und Mauern um den 
Papillon gezogen werden mit der Inſchrift: 
‚Eingang nur für Gebetene‘!’ — Wenn der Part 
jedoch ein neutraler Boden ift, jo biete ich fofort meine 
Dienfte an, al3 Page die Schleppe der jungen Kö— 
nigin zu tragen!” — 

Die Prinzeflin blidte voll feinen Humors an 
Gräfin Wachſenſtein nieder. 

„Unmöglid! Margit trägt fußfreie Kleider! 
Aber wenn Sie Zeit haben, würde es charmant fein, 
wenn Sie nicht den Saum ded Gewandes, fondern 
Hanfels Futterlorb in Ihre Obhut nehmen und uns 
eine Weile Geſellſchaft leiſten würden!” — 

Haltern kniff mit bedenflichem Geficht ein Auge 
zu und wich ſcheu vor der Hofdame zurüd, welche 
ihm das italieniſche Bajtgeflecht lachend entgegen- 
bot. 

„Laſſen Sie mich wegen Snfubordination ar- 
retieren, Hoheit, — aber bewahren Sie mich vor 
einem Korb aus fo fchöner Hand! Ich habe eine un— 
überwindliche Abneigung gegen derartige Symbole, 
und außerdem heiße ich ſeit Kindesbeinen auch ‚Han 
fel’, was gerade in diefem Augenblid die fataljten 
Verwechſelungen geben könnte, denn ich habe eben- 


— 160 — 


jomenig gefrühftüdt, wie mein beneidensmwerter 
Kollege hinter dem Wildgatter !“ 

„Roh nicht gefrühſtückt?!“ Hortenjia rief e3 
voll tiefften Mitgefühls unter amüfierteftem Laden. 
„Schnell, jchnel, Margit, dem armen Mann ein 
Stüdchen Brot!” — 

Die Gräfin öffnete dad Körbehen. „Sind Gie 
zahm, daß ich e3 mit der Hand reichen darf?” — 
icherzte fie anfcheinend fehr harmlos, aber ihr hüb— 
ches Gelichtchen färbte fich dennoch recht hoch. 

„Rein, — ich beiße!“ — 

„Seit wann? Sn Nizza aßen Sie der Coeur— 
dame eine Erdbeere und ein Stüd Marzipan aus der 
Hand!" — | 

Haltern taumelte beinahe zurüd. Er hob wie 
in ftarrem Entjegen die Hände! „Woher wifjen Sie 
da8? — Gott fteh mir bei, du bift die Here Loreley, 
welche über unnatürliche Seherfräfte verfügt! — Sch 
beſchwöre Euer Hoheit, mir zu fagen, aus weld) 
einem ſchwarzen oder weißen Pudel fich diejer fonft 
fo harmlos reizende Kern entpuppte?!” 

Die Prinzeſſin zudte mweiterjchreitend die Achfeln 
und mufterte den Sprecher mit einen fchnellen, ficht- 
lich ſehr beluftigten Seitenblid. 

„Sie fragen mid) zu viel. Die Verfionen gehen 
da weit auseinander! Viele behaupten, die Gräfin 
fei nach mythologiſchem Vorbild einer Mufchel ent- 
ftiegen, andere fahen fie als Mondfcheinelfchen durch 


— 161 — 


das offene Fenſter des väterlichen Schloffes in ihre 
Wiege ſchweben, die Heinen Brüder fafelten vom ' 
Klapperſtorch, und ich kann es eidlich erhärten, daß 
fie mit dem Schnellzug Berlin— Frankfurt bei mir 
eintraf, bereit3 im vollen Befig von Zähnen und 
Loden, konnte auch fchon Sprechen und laden und 
mit der Gabel eſſen!“ 

Leiſes Gelächter. 

„Sprach fie ſchon feit eg in derartigen 
Rätſeln wie jet?" — 

„Zeitweiſe ja, aber ſie war ſtets ſo rückſichts⸗ 
voll, mir allſogleich die Rätſel zu löſen!“ 

„Dachte ich es doch! Ich hatte immer die Über- 
zeugung, daß fie jehr nett fein Tann, — menn jie 
will!” 

. Ser Wildwärter war hinzugeeilt und hatte die 
Tür de3 hölzernen Gatters aufgefchlojjen, dann trat 
er mit devotem Gruß zurüd, um die hohe Frau an 
fi) vorüber in den Wildpark fchreiten zu laſſen. 

Unter dem fchügenden Dad) des Borkenhaujes 
waren die Krippen aufgeitellt, in welche da3 duftige 
Heu ſoeben aufgefchüttet war. 

In großen Nudeln zogen die prächtigen Hirjche, 
das Reh- und Tammild heran und boten inmitten des 
verfchneiten Waldes ein jehr anziehendes Bild, an 
welchem ſich das Malerauge der Prinzefjin gar nicht 
fatt Schauen Tonnte. 

Sie erzählte Haltern, daß fie im vergangenen 

». Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 


— 192 — 


eine Kleine, heizbare Schughütte hier aufitellen ließ, 
um Studien an den einzelnen Prachteremplaren zu 
machen, fie habe auch einen befannten Tiermaler ein- 
geladen, feine Sfizzenmappe an ihrer Seite zu füllen, 
was in vollendetiter Weiſe geſchehen jei! Namentlich 
der Heine, allerliebjte Hanfel ſei von ihm verherrlidht 
worden und zwar in dem Augenblick, al3 er eine 
Brombeere von den Lippen Margit3 nafchte! 

In der Ausſtellung ſei da3 Publikum jpäter ftet3 
im Bmeifel gewefen, was füßer geweſen fein möge, 
die Beere oder dad Mündchen, welches fie bot! — 

„Denn Brombeeren zur Hand wären, Tönnten 
wir das ja fofort Eonjtatieren, Hoheit!” ſchmunzelte 
der Tragoner in feiner jo „einnehmenden Kedheit”, 
weldye ihm noch nie von einer Dame übel genommen 
worden war, und ehe Gräfin Wachfenftein den Sa: 
„Schade, daß. wir fchon im Freien find und Gie 
jest nicht eflatant an die Luft feßen können!” auöge- 
iprochen Hatte, fuhr er unbefümmert fort: ‚Und 
in der Ausftellung hat Ihr Bild gehangen? Ich 
wollte fchon jubeln, daß ic) das Porträt vielleicht ge- 
jehn, und Sie mir daher fo befannt erfcheinen, Gräfin, 
aber ic) Barbar habe die heiligen Hallen leider nie 
betreten, was mir jet im Gedanken an den Hanfel und 
die Brombeere doppelt Teid tut!” 

Die Prinzeffin drohte ihm mit dem Muff, die 
Hofdame aber wandte fich haftig dem Rehböckhen zu, 
welches in graziöfen Sprüngen herzueilte und fich 


— 1635 — 


zutrauli” an die Damen ſchmiegte. Margit nahm 
die Semmel und zarten Salat und Wirfingblätter 
aus dem Körbchen und fütterte den Liebling, und 
während fi) Hortenfia zur Seite wandte, um etliche 
Fragen an den Wildwärter zu ftellen und ſich nad) 
dem Hirſchkälbchen zu erkundigen, welches derjelbe mit 
der Flaſche großgezogen hatte, ftand Haltern neben 
der Komteſſe und flüfterte: „Helfen Sie mir, Gräfin, 
die Frau Prinzeflin zum Schutzengel für die unglüd- 
felige Eleine Cagima zw gewinnen; wenn Da3 
arme Mädel nicht bald unter die Haube und aus den 
Krallen der Mämä kommt, verhungert und erfriert 
fie bei lebendigem Leibe!” 

Die junge Dame ftreichelte das weiche Fellchen 


des Neh3 und neigte jich ſehr tief dabei herab. 


„Gewiß! Sehr gern! Soll Hoheit für Sie zur 
Brautbitterin werden?” — 

„Für mi? PVerbindlichiten Dank; ich erobere 
mir meine Königin ohne Hilfstruppen, aber es ift 
ein anderer da, welcher bei Frau Ssojefa allein nicht? 
ausrichten kann!“ 

Margit jchaute jäh empor, wie ein Aufleuchten 
ging es durch ihr Auge. „Ein anderer? Meinen 
Ste Unna? Er ſchien mir ſehr interejjiert?” — 

„IH Tann Ihnen da3 nur unter vier Augen 
de3 Langen und Breiten erzählen!” — 

„Wenn der Erfolg davon abhängt, fteht e3 
leider fcheu da3 arme junge Baar!” — 

11* 


— 164 — 


Die Prinzefjin wandte fi) zurüd, und der Ober- 
leutnant griff lachend in den Korb und holte fi 
ein Stüd Semmel heraus, ehe e8 fich die Hofdame 
verfah. — 

„sh war bislang noch niemals futterneidiich, 
Hoheit!” Tachte er. „Wenn ich aber fehe, daß der 
eine Hanjel alles — und der andere gar nicht3 be— 
fommt, dann bäumt der Selbiterhaltungstrieb gegen 
derartige Mißhandlung auf! — Sch bin doch eben 
jo zahm wie jener Heine Gejell, nehme Brombeeren 
und Semmeljtüddhen genau fo niedlih von den 
Lippen einer jungen Tame, und wenn id) frifch rafiert 
bin, ift mein Fellchen genau jo ſammetweich wie da3- 
jenige meine Namensvetterd, — nur vier Beine 
habe ich nicht, und ich fürchte, grade diejer Um— 
ftand chofiert die Gräfin, darum ftreichelt fie mich 
nicht und läßt mich verhungern!” — 

„Welche Verleumdung! Und wie wenig Gelbit- 
erkenntnis!“ — Margit feyüttete Hanfel den ganzen 
Inhalt ihres Körbchens Hin und lachte mit den dunklen 
Augen genau fo ſchelmiſch wie fonit zu dem Tragoner 
auf. „In Nizza’ verficherten Sie der Coeurdame, 
Sie jeien darum ein fo unermüdlicher, flotter Tänzer, 
weil Sie über fo viele Beine verfügten! Ein guter 
Ravallerift fei fozujagen mit feinem Pferd ver- 
wachſen, ein moderner Bentaur, welcher nicht nur 
feine eignen Füße, jondern nody die vier Beine 
feines Roſſes in Aktion ſetze, — und nun mit einem- 


— 165 — 


mal vergeflen Sie Ihren Rennſtall und Reichtum 
an Hufen und fpielen den pauvre miserable! — 
Ich glaube wirflich, Hoheit, er hat einen Bärenhunger, 
und darum wollen wir den Hanſel lieber retten, ehe 
der Bentaur Appetit auf Rehrüden bekommt!“ 

Ter Oberleutnant jtand abermals wie Frau Lot, 
da fie Schon zur Salzſäule geworden war, und ftarrte 
die Sprecherin mit weit offenen Augen höchlichit ver- 
blüfft an; Prinzeſſin Hortenjfia aber mwechlelte einen 
fchnellen Blid großer Beluftigung mit Margit und 
überhob den jungen Offizier einer Antwort. 

„Appetit auf Rehrücken?“ fcherzte fie. „So viel 
ich weiß, befommen wir ihn allfogleich zum Früh— 
jtüd vorgefegt, und darum mill ich mir die Rettungs— 
medaille verdienen und Haltern dieſes Lebengelirier 
einflößen, ehe er vor unfern Augen Hunger3 ftirbt! 
Sind Sie dienjtfrei, jo begleiten Sie und ſchnell 
in das Schloß, Sie armer Mann, und erzählen 
uns alles Nähere, wie Sie mit Dolly Spaured auf 
die Bentauren zu fprechen kamen!“ — 

Der Dragoner preßte aufatmend beide Hände 
gegen die, Bruft. „Gott fei Dank, daß Hoheit ſich 
meiner erbarmen! Denn von der Gräfin Hätte ich 
mich jest um feinen Preis mehr füttern laſſen; Tie- 
Terte fie doch ſchon wieder den Beweis, daß fie mit 
dem Böfen im Bunde fteht! — Zu denen, die das 
Gras wachſen hören, zählte ich fie jelbftredend längſt, 
aber Menſchen ohne drahtloje Telegraphie und ohne 


— 166 — 


Telephon von Nizza bis Lobenbach fprechen hören, 
— das überjteigt denn doch meine Begriffe!” — 

Vie Prinzeſſin griff frierend nad} dem Pelzkragen 
und warf ihn fich felber um die Schultern, dan 
jchritt fie fchneller aus, und der Dragoner blieb in 
reſpektvoller Diſtanz an ihrer Seite. 

„Ja, ja, mein beſter Herr von Haltern, es gibt 
junge Damen, die ſo fabelhaft klug ſind, daß den 
harmloſen Männern oft eine Gänſehaut über den 
Rücken läuft —“ 

„Bei mir artet dieſe Gänſehaut bereits in Maſern 
aus, Hoheit!” ſtöhnte Haltern mit einem fo humo— 
riſtiſch angitvollen Bid auf Margit, daß Hor- 
tenfia abermal3 leiſe auflachte. 

„Dennoch bin ich überzeugt!” rief fie fcherzend, 
„daß auch Ihnen noch die beiden Augen riefengroß, 
aufgehn werden, ſowie Händchen diefe Kinderfranf- 
heit überftanden und das Grufeln genügend gelernt 
hat! Und nun beichten Cie einmal, wie oft Sie 
die ‚Mämä’ feit ihrem our jchon wiedergejehn und 
wieviel blanfe Dreier Sie ihr beim Sechsundſechzig 
opfern mußten?’ — 


Da war der Oberleutnant an dem Punkt ange- 
langt, wohin er jchon ſeit zwei Tagen fteuerte, und 
Da e3 feine Art war, das Eifen meijterlich zu fchmieden, 
folange e3 heiß war, fo griff er den fchwebenden Faden 
Schnell auf und ſpann ihn ſehr geſchickt weiter. 


— 167 — 


Der Weg zum Bapillon war nicht weit, und 
da die Damen des immer fdmeidender werdenden 
Windes wegen flott ausjchritten, fo war die warme 
Beitibülhalle bald erreicht, in welcher Margit lachend 
die Schneefloden au dem Haar fchüttelte, und Die 
Prinzeffin fi) aufatmend Pelzmantel und Kopfhülle 
von dem Lafai abnehmen Tief. | 

Hoheit gab dem Kammerdiener einen fchnellen 
Befehl, für Herrn von Haltern ein Rupert auf der 
Frühftüdstafel auflegen zu laſſen, — dann nidte fie 
ihm freundlih zu: „Es ift zwar hart, daß ich jeßt 
das obligate ‚Fortfebung folgt‘ in Ihre fo interefjan- 
ten Schilderungen einjchalten muß, aber Margit muß 
ſich die naffen Locken frifch brennen und ich möchte die 
allzufeiten Schneeftiefel wechſeln, — aljo laſſen Sie 
ji, bitte, für ein paar Minuten nach den Zimmern 
de3 Baronz Eyben führen und tun Sie mir ben Ge- 
fallen, während diefer kurzen Zeit nicht volljtändig 
Hungers zu ſterben!“ — 

Die Damen ladten und Haltern dienerte jehr 
charmant, und nad) einer wirklich nur ſehr Furzen 
Beit ſchon ſaß man in dem gemütlichen Tleinen Eß— 
faal, durch dejjen Fenfterjcheiben der graue Schnee- 
himmel ein mattes Zwielicht warf und die dunklen 
Tannen im Winde hereinnidten. Da jorgte die 
Prinzeß, daß der arme, hungrige Gaft jehr jatt ward, 
und dieweil der rote Wein in den Kelchen funfelte 
und neue Wärme in die Adern goß, erzählte der Dra- 


— 168 — 


goner immer animierter und amüjanter von feinen 
letzten Beſuchen im Haufe der Hofmarichallin. 

Und fchließlich Jah er die hohe Frau mit feinen 
jtrahlenden Blauaugen unendlich treuherzig und bit- 
tend an und fragte, ob er wohl ein ſüßes Geheimnis 
in die Tiefen ihrer edlen Seele niederlegen dürfe? 

Dies war der Bunft, an welchem die jo menjchen- 
freundli und innig für fremdes Leid und fremde 
Freud’ interejjierte Fürjtin jterblich war. 

Sie nahm lebhaften Anteil an dem Kleinen Ro- 
man, welcher jich „von hüben nad) drüben”, zwiſchen 
Cagima und Artil angejponnen hatte, und Haltern 
erihöpfte die Frafjeiten Tinten, um da3 Leben der 
armen, Heinen Baronefje geradezu herzbewegend au3- 
zumalen. Srieren! Hungern! An Leib und Seele 
darben! Nein, das war zu viel de Traurigen, und 
je mehr die Sympathien für das junge Mädchen 
wuchſen, dejto mehr empörte man jich über die ge- 
wiſſenloſe Pflegemutter und ihren gradezu ſchmutzi— 
gen Geiz, welcher um fo verächtlicher war, da man 
die wirklich glänzende finanzielle Lage der Frau bon 
Solingen genau Fannte! 

Margit hatte die Bitte ihres Tiſchnachbars nicht 
vergejjen und unterjtüßte die Schilderungen de3 jun- 
gen Dffizierd auf das wirkſamſte. Sie malte e3 
io rührend aus, wie überfelig das junge Paar in 
der Fenſterniſche geſeſſen und alle Liebe und Zärt- 
lichkeit nur in Bliden ausgedrüdt habe, denn ſelbſt 


-- 169 — 


dieſes erjte Begegnen ohne die fcharf beobachtenden 
Blide der Mämä jei ein fo fonventionelles geweſen, 
daß der junge Arzt kaum feine Gefühle andeuten 
fonnte, gejchmweige mit der Geliebten die nötigen 
Schritte zu ihrer Befreiung beraten Tonnte! 

— Und al3 die Prinzeſſin immer beileidsvoller 
dazu nidte, traf Haltern? Blid die Spredjerin fo 
dankbar und unverhohlen innig, daß der Gräfin oft 
eine heiße Blutwelle in die Wangen jtieg. 

„And nun, denfen Hoheit doc) an, meld) ein 
Pech!” feufzte der Oberleutnant. „Da hatte id) einen 
fo herrlichen Plan erfonnen, wollte die ,‚,Verſchwen— 
derin‘ nad) München Ioden, wo Artiks Eltern zur 
Beit weilen! Dort follte irgendeine kleine Intrige 
die Tante und Nichte für ein paar Stunden trennen, 
welche genügen würden, um die Verlobung zu be= 
werkitelligen und durch Geheimrat Unna jogleich zu 
publizieren! Falls Euer Hoheit zugegen fein würden, 
wäre e3 ja eine unfehlbare Hilfe in der Not geweſen, 
wenn Sie da3 Brautpaar unter Ihre gnädigite Pro- 
teftion nehmen und durch eine Gratulation die Sache 
perfeft gemacht haben würden!” 

„Ratürlih! Sch veritehe! ch ſegne mit Er- 
zellen; Unna um die Wette, und das Ungeheuer 
von einer Frau Joſefa ift überſtimmt!“ 

— „O, mie jo jehr Huldvoll und gütig! Wie 
ausgezeichnet würden Hoheit die Rolle eines Schuß- 
engel3 Treiert haben!” rief Haltern jchmerzlich! 


— 110 — 


„3b würde e3 haben? Und warum erde 
ich es nicht tun?” — 

Haltern trank jein Glas aus und neigte fich 
eifrig näher. 

„Borgeitern abend haben Unna und ich uns ver- 
geblich bemüht, die „Verfchwenderin’ flott zu machen! 
Obwohl der Doktor ihre Eitelkeit auf das äußerfte 
anftachelte und ihr verficherte, daß der Rodelſport 
wahre PVerjüngungdmwunder an ihr tun werde! — 
Kichts fei jo vorteilhaft für ‚reifende‘ Frauen, als 
diefe köſtlichſte aller Bewegungen in der frischen, 
Haren Bergluft, dazu täglich durch den Berfehr in 
Hotel3 und Penfionen koſtenloſe, äußert amüfante 
Bergnügungen!” — 

„oO, Salomo, wo bleibt deine Weisheit!!! Und 
trogdem weigerte fich die ‚arme Witwe‘, uns alle- 
famt nah) München zu begleiten ?“ 

— „So Halb und Halb mar fie einverftanden, 
Hoheit! Die Schreden der Penſionspreiſe hatten wir 
bereit3 überwunden, da tauchte plößlich die Reife vor 
ihrem rechnenden Geift auf, und die beiden Billette, 
welche fo grauenbaft mit barem Geld erjtanden mer- 
den müſſen, die gaben unjerem herrlichen Rettung3- 
werk den Todesſtoß! — Der Doktor erbot ſich bereits, 
die würdige und bedürftige Dame in jeinem neuen 
Auto bis nah 9. unentgeltlich zu fahren, wo— 
felbft dann der Zug beitiegen werden muß, — aber 
wie gejagt, feine Hilfe langte nur bi3 an dieſe Station 


— 171 — 


und da3 gab bei Mämä den Ausfchlag, — fie fei 
außerftande, die teuren Fahrkarten zu bezahlen!” 

„Arme, Peine Cagima! Das Weib ift ja em- 
pörend in ihrem Geiz!“ 

Margit jah die Sprecherin an und madte ein 
herzig bittendes Kindergejicht. 

„Haben wir nicht wieder den großen Salon=- 
wagen für uns, Hoheit?” Fang e3 wie ein fo unaug- 
geſprochenes, inniges Flehen zu der Fürftin empor, 
daß Haltern atemlos im Efjen innebielt. 

„Um alles in der Welt, beite Gräfin! Sie wollen 
mir doch nicht zumuten, daß ich mit dieſem ent- 
jeglichen Frauenzimmer zufammen reifen joll?” 

Margit neigte ſich über eine der abwehrend er- 
hobenen Hände ihrer Gebieterin und küßte fie lachend, 

„Kein, — davor möge und Gott bewahren! Aber 
in dem zweiten Abteil, welches Hoheit mir jo gütig 
für die Nacht anmeifen, können Tante und Nichte 
doch völlig abgejperrt figen, und die erjtere ift für 
alle Eventualitäten unſchädlich gemacht!“ — 

„Und wo wollen Sie jchlafen, liebite Margit? 

Die Komteſſe jah jehr unbejorgt aus. „Sch 
bleibe mit gütiger Erlaubnis Eurer Hoheit in dem 
feinen Speifeabteil jiben, welches ja fo jchöne, be— 
queme Lederfejjel enthält!” — 

„Undenkbar, Kind! Sie werden todmüde!“ ſchüt⸗ 
telte die Prinzeſſin den Kopf, und Haltern flüfterte 
mit geradezu anbetendem Blid: 


— 172 — 


„Rein, Komteſſe, dieſes Opfer wäre denn doch 
zu groß!” 

„Durchaus nicht! Die Genugtuung, e3 für zwei 
liebende Herzen zu bringen, wird mir die Fahrt 
verfüßen und die Seſſel mit Roſen polſtern!“ — 

Hortenfia blidte einen Augenblid nachdenklich 
vor ſich Hin. 

„sch meiß bejfern Rat und nehme da3 Opfer 
lieber auf mid. Wir werden unjere Reifedispofi- 
tionen ändern, liebe Margit, und nicht des nachts, 
fondern am Tage fahren! Ich glaube, daß wir doch 
ein paar Tage in München zugeben werden, wenn 
wir die Rodelbahn in Ebenhaufen genügend ftudieren 
wollen, denn wenn id) die Mämä als blinden Paſſa— 
gier in meinem Salonwagen mitnehme, jo will ich 
wenigſtens den Hochgenuß haben, die jugendliche Frau 
auf dem Rodel zu Tal faujen zu jehen!” — 

Gräfin Wacjjenftein und Haltern jubelten heil 
auf, und da3 Entzüden und die Dankbarkeit des 
jungen Offizier war fo herzerfriichend, daß die Prin- 
zeſſin Schon darin einen Lohn für ihre edle Tat erblidte. 

Haltern malte Tante Joſefa im Sweater, mit 
einer roten Handhudebeinfappe und feichen Sport- 
hofen jo überwältigend komiſch aus, daß die Heiter- 
keit an der Heinen Tafelrunde ebenjo EDEL DEURIE, 
tie der perlende Sekt im Glafe. 

„Aber ſtopp!“ rief Hoheit plöglich, und ſah etwas 
betroffen aus. „Ich bleibe bis zum Mai in Rom, 


— 13 — 


— wie fol die Frau Hofmarſchallin unentgeltlich 
zurücbefördert werden?” — 

Der Dragoner ſchmunzelte. „Daran wird fie 
hoffentlich mit feinem Gedanken denken, Hoheit, denn 
die Gnädigſte ift in mancher Hinficht mehr als be- 
ſchränkt! Tut fie e8 doch, werden wir ihre Bedenken 
auf alle Fälle niederjchlagen. Iſt Cagima erſt aus 
ihren Krallen gerijien, dann wird es mir eine Ge— 
nugtuung fein, Frau Nemefis auf die Spur der Übel- 
täterin zu heben. Strafe muß fein, Hoheit! Und 
gegen eine Frau, welche jährlich die recht bedeuten- 
den Vermögenszinfen der Nichte in den eigenen Beu— 
tel ftedt und die Ärmfte troßdem darben und frieren 
läßt, eine Frau, welche fo gemifjenlos ift, einem 
jungen Mädchen jede Freude und eventuelle Heirat 
zu vereiteln, nur um fie zeitleben3 an fich zu fetten 
und weiter zu beitehlen, — gegen ſolche Damen fenne 
ih weder Rüdjiht noch Schonung!” — 

„Arme Mämä! Wenn fie ahnte, welch ein Tar- 
-tüff ihr glühendfter Verehrer iſt!!“ — 

„Aug um Auge — Zahn um Zahn! Man 
fann den Fiſch nicht im Fangeiſen und die Füchſin 
nicht an der Angel fangen! In diefem Fall muß 
man jeſuitiſchen Grundjägen huldigen, daß der Zweck 
die Mittel heiligt!“ — 

Margit nidte Beifall und die Prinzeſſin fagte 
nachdenklich: „Sie haben recht, — die Alte Hat es 
nicht anders verdient. — Wenn ein Menfch derart 


— 1714 — 


zum Sklaven eines Laſters wird, fo kann er ſich nicht 
wundern, wenn e3 ihn die Ketten einmal fühlen läßt! 
— Nicht nur Heine, fondern auch große Kinder müjjen 
durch eine böfe Erfahrung gejtraft werden, wenn 
man eine Bejjerung erzielen will!‘ 

Haltern ftrich mit ernſtem Gejicht fein Schnurr- 
bärtchen und fah jehr pejjimiltiich aus. 

„Sp, wie ih Frau Joſefa Tennen lernte, iſt eine 
Wendung zum Beſſern bei ihr nicht mehr gu er- 
hoffen, und darum verdient fie die Strafe Doppelt. 
— Jedenfalls ift diefelbe noch ſehr gelinde, denn die 
bettelarme, bedürftige Hofmarſchallswitwe kann die 
Nechnungen, welche ihr präfentiert werden, bezahlen, 
ohne den kleinſten Bankerott befürchten zu müſſen!“ — 

— Die Frühitüdstafel ward aufgehoben, und 
Hortenfia war fo liebenswürdig, ihren fo unerwar— 
teten Gajt noch durch die Gemäldefammlung zu führen. 

Da gab e3 jo viel des Schönen zu jehen, daß 
die Zeit viel zu knapp dafür erſchien, darum fagte 
die hohe Frau: „Wenn Sie noch die Radierungen 
und Aquarelle und vielleicht auch die Bronzen und 
Sonftigen Altertümer ſehen wollen, jo müflen Sie 
am Sonntag wiederflommen! — Ich erwarte Gie zu 
Tiſch, mein Herr Verbündeter, und hoffe, Sie bringen 
den guten Bejcheid mit, daß da3 jugendliche Rodel- 
tantchen die Einladung für meinen Salonwagen an- 
nimmt! Und fomit Gott befohlen, für ‚heute, — — 
auf Wiederſehn!“ 


— 15 — 


— Die hohe Frau reichte in ihrer jo ſehr ge- 
winnenden Weife die Hand zum Kuß, und Haltern 
dankte in feiner eleganten Art noch einmal ver— 
bindlichit für all die Huld und Gnade, welche er 
am heutigen Vormittag durch Hoheit erfahren! 

Hortenfia nidte lächelnd und wandte fich bereits 
der Türe des Nebenſalons zu, als der Oberleutnant 
auch vor Gräfin Wachfenftein die Haden zufammen- 
Happte. Sie reichten einander die Hand, und Margit 
fah zum erjtenmal nicht mit dem gewohnten über- 
mütigen Lachen zu ihm auf. 

Er hielt ihre ſchlanken Fingerchen jehr feit und 
ſehr lange in den feinen, und dabei neigte er fidh 
tief zu ihr nieder. 

„Sant! Tauſend Dank, Gräfin! Sie haben fich 
heute in rührender Weile zum Anwalt der Göttin 
Minne gemacht, und da diejelbe mich bereit3 zu ihrem 
Nitter gefchlagen, verjpreche ich Ihnen im. Namen der 
Gemaltigen den ſüßeſten Lohn dafür!” — 


Er wollte feine jcherzende Erwiderung in dieſem 
Augenblid, er hob ihre Hand, küßte fie zweimal 
Ichnell nacheinander, verneigte fich wiederum und 
gewann mit fporenflirrendem Schritt die Türe, an 
welcher der Lakai bereit3 neben der zurüdgefchlagenen 
Portiere wartete. — 


Wiederum hatte Hans Haltern erreicht, was er 
wollte. 


— 16 — 


18. Kapitel. 


rau von Solingen ſaß in dem bitterfalten Eß— 

zimmer und harrte de3 Autos, welches jie und Ca— 
gima nad) der drei Stunden entlegenen großen Station 
bringen follte, woſelbſt fie jogleich den Erpreßzug mit 
dem für die Prinzeſſin bereitgehaltenen Salonmwagen 
beiteigen konnten. 

Dad Wetter war fo minterlic) wie möglich, 
zwar lag der Schnee nur ſehr mäßig hoch, aber 
der ſcharfe Zroft drang dur Mark und Bein, und 
wenn der Wind über die fahlen Felder pfiff, jo tat 
e3 wohl not, jich ganz bejonder3 warm einzuhüllen. 

In diefer Annahme hatte Frau Joſefa Unglaub- 
liches an ſchützender Unterkleidung geleijtet. Schon 
um recht viel Überfracht zu fparen, hatte fie zwei— 
— ja dreidoppelte Wäfche angelegt, ein paar Unter— 
röcke Tamen noch über die wollenen Sportbeinfleider, 
welche nebft dem Smweater unter viel Ächzen und 
Stöhnen für da3 Rodeln angeſchafft waren. | 

Selbjtredend war auch bejagter himmtelblauer, 
rotumfäumter Smeater über die mehrfadhen Unter- 
taillen gezogen, jo daß der dide PBelzmantel jo pralf 
anfaß, als fei die jonft fo magere Mämä über Nadıt 
zur Tampfwalze ausgeartet. 

Die diditen Filzgamaſchen, ein Pelzbarett, um 
welches noch ein mächtiger Wollfchal mehrfad) ge- 
widelt war, ſowie jeder Witterung troßende Pelz— 


= Te 


handſchuhe vervollfommneten den fo vorfichtig ge— 
wählten Reifeanzug der Frau Hofmarfchallin. 

Da fie jeit jeher an Reifefieber litt, jaß fie ſchon 
eine Stunde vor der Zeit marfchbereit gerüftet in 
dem Zimmer, und trogdem fchon jeit geſtern das 
Teuer gefpart war, ward es der Mämä nach dem 
Kaffee, auf welchen zur Erwärmung noch der Reſt 
der Lilörflafche geſetzt war, doch ſchon recht ange- 
nehm warm, jo daß fie die Abreife ungeduldig er- 
wartete. 

Cagima mußte fich abhärten und trug nur das 
dunfelblaue NRodelloftüm mit dem gleichfarbigen 
Sweater, welchen die liebevolle Tante fo dunkel und 
anfpruch3los wie möglich ausgefucht hatte, und welcher 
grade dadurch den wirkſamſten Kontraft zu dem gold- 
blonden Haar bot. 

Sie fühlte fich juft recht behaglich in dieſem Reije- 
anzug, ſtand am Fenſter und meldete endlid), daß 
Doktor Unna dad Auto perfönlich foeben vor Die 
Türe bringe. 

Im nächiten Augenblid jchon war er droben, bot 
der Hofmarichallin galant den Arm und führte fie 
zu der entzüdenden Fiat-Limoufine hinab, dieweil Ta- 
gima und Babette mit dem nicht allzufnappen Hand- 
gepäd folgten. 

Der Wind braufte eifig die Straße herauf und 
Artit fagte: „ES ift zwar gelindes Wetter für den 
Tag prophezeit, aber hier oben in unjerm Gebirg3- 

v. Eſchſtruth, Das Robeltantdhen II. 12 


— 18 — 


jtädtchen ift es doch noch kalt, Darum habe ich den 
Wagen heizen laſſen!“ 

Die Mämä lächelte huldvollſten Dank, verſicherte 
ſich noch einmal, daß der Chauffeur doch auf keinen 
Fall ein Trinkgeld zu beanſpruchen habe und ſtieg ein. 

Alle Fenſter und Haustüren von ganz Loben⸗— 
bach waren von Neugierigen dicht bejegt, welche die 
Abreiſe der Frau von Sohngen al3 neuntes Welt⸗ 
wunder anſtaunten. 

In den verſchiedenen Revanche-Damenkaffees 
hatte die Baronin Wunderdinge erzählt, welch eine 
leidenſchaftliche Rodlerin ſie ſei und wie ſie extra 
die weite Reiſe nach Bayern mache, um dieſem Sport 
voll jugendlichſten Eifers zu huldigen. 

Schön, friſch, behend und elaſtiſch ſolle er machen, 
daß nach Unnas Ausſage die Hofmarſchallin gleich 
einem Backfiſch heimkehren werde! 

Dies entfeſſelte die größte Heiterkeit in dem 
ganzen Städtchen, und bei der Kaffeetaſſe ſowohl 
wie bei dem Bierſeidel herrſchte nur das eine Thema: 
„Die Mämä auf der Rodelbahn!“ 

Cagima durfte die gejtrenge Dame auch nicht 
mehr „Mämä“ nennen, weil ſolch eine große Tochter 
zu alt macht, fie mußte fich der Anrede „Tantchen“ 
befleißigen, was jung und lieblich wirkte. 

So fuhr denn Tantchen und Nichte in ftolzem 
Tempo durch Lobenbach, und dieweil Frau Joſefa 
ſüß lächelnd nach allen Seiten grüßte, jaß die Nichte 


— 0 


in feliger Traumverlorenheit und gedachte des innigen 
Händedruds3 und der jo verheißungsvoll geflüfterten 
Worte Artiks, mit welchen er ihr „Auf Wiederjehn!” 
gejagt. 

Zuerft war die Fahrt köſtlich! 

Der Reiz der Neuheit, die vorbeifaujenden Felder 
und Wälder, die intereffanten Ortichaften verfehlten 
ihre Wirkung nicht, Obwohl Tantdhen jehr bald an- 
fing, über ungeheure Hite zu klagen. 

Cagima warf ihr Jäckchen ab und fand e3 äußert 
behagliy, die Mämä aber ächzte bald zum Gott- 
erbarmen und wagte dod) nicht, die Fenſter zu öffnen, 
da fie bereit3 „mie aus dem Waſſer gezogen war”, 
und der Wind gleich jchneidendem Eis durch die 
Scheibe ftieß. 

„Willſt du nicht den Pelz ablegen?’ fragte Ca- 
gima beforgt, aber Frau Joſefa wehrte entjegt mit 
den Händen: „Um feinen Preis! Wo ich jo an- 
fällig bin! Wenn wir plögli am Ziel find und 
eilig ausſteigen müſſen, komme ich nicht jo jchnell 
wieder in den Mantel hinein! Unna fagte, wir jollen 
uns lange Zeit vorher bereithalten, der Zug wartet 
nur zwei Minuten!” 

Und fie jaß und ftöhnte vor Gluthitze, und die 
dicken Tropfen perlten auf der Stirn. 

Wie lang, wie endlos lang dauerte die Fahrt 
bei dieſen Folterqualen! — 

Schließlich tobte und ſchimpfte ſie und hatte nur 

12* 


— 10 — 


die eine Hoffnung, daß „der Ofen’ doch nun bald aus- 
gebrannt fein müfje! 

Automobile waren der Mämä eine fremde Welt, 
und von der eleftrifhen Heizung Hatte fie feine 
Ahnung. 

So ſchwitzte fie ſich Halb tot und —— 
dieſe grauenhafte Fahrt! 

Wenn nur erſt der Zug erreicht wäre, es war kaum 
noch zu ertragen, und als endlich, endlich, nach qual⸗ 
vollen Stunden, welche Cagima voll heimlichen Ent- 
zückens deito mehr genoß, die Station erreicht war, 
da blieb wirklich kaum noch Zeit, daß der pelz- 
umſtarrte Chauffeur die Türe aufriß und rief: 
„Schnell, fchnell, e3 ift die Höchfte Zeit!“ 

Tantchens Hibe erreichte im Eifenbahnfieber den 
Siedepunft, — fie freute fi aber doch, daß fie 
fomplett angezogen war und ftürzte der Nichte voran 
auf den Perron. 

Grade zur rechten Zeit. 

Der Zug braufte in die Halle und Cagima er- 
ipähte den Kammerherrn von Eyben, mweldyer an 
einem Fenſter des Salonwagens ftand und minlte. 

Mit letzter Kraftanitrengung kollerte Tantchen, 
ebenfo lang wie breit anzujchauen, nad) bem Coupe, 
ward Träftig hineingefchoben, das Gepäd flog nad, 
und die Türe frachte Hinter den Damen zu. 

„Das war ja glüdlic) abgepaßt!“ verbeugte fich 
der Baron mit undefinierbarem Lächeln. „Ihre 


— 181 — 


Hoheit läßt der Frau Hofmarichallin nebſt Fräulein 
Nichte dieſes Abteil de Wagens anweiſen. Hoheit 
jelber empfängt während der Fahrt niemand.” — 


Er verneigte fich abermal3 und zog fich jchleu- 
nigjt zurüd, während die Mämä halb aufgelöft vor 
Hite auf ihren Polſterſitz niederſank. 

„Run kannſt du aber den Pelzmantel ablegen, 
beſtes Tantchen!“ verficherte Cagima und hob Die 
Urme, um der geitrengen Dame behilflich zu jein. 
Frau von Solingen aber funkelte fie ſehr mißbilli- 
gend an und entgegnete in jchärfiten Ton: 

„Weil die Sungfer Naſeweis glaubt, ein paar 
Stunden ruhig bier zu fiten? Wer garantiert bir 
da3? Es könnte ein Eijenbahnunglüd geben, mo 
man Hals über Kopf aus dem Wagen Springen muß, 
und dann follte ich den koſtbaren Mantel womöglich 
den Dieben zur Beute hier zurüdlaffen? — Auf 
feinen Fall! Wir werden auch das Handgepäd neben 
und auf die Site ftellen und ftet3 die Hand an 
den Griffen haben, damit wir alles Nötige retten!“ 
— Und die Sprecherin padte ſich die beiden ſchweren 
Reiſetaſchen rvecht3 und links auf ihren Plab, daß 
fie „in fürdhterlihe Enge eingefeilt” fteif in der 
Mitte faß. F 

Cagima aber legte ihr Jäckchen abermals ab 
und ſagte: „Ich bin ſchnell fertig und zur Not kann 
ich es auch im Freien im Sweater aushalten!“ 


— 12 — 


Man fuhr eine Fleine Strede; — Frau Joſefa 
puftete vor Hitze und loderte den Schal. 

„Es ift auch Hier fürdhterlich Heiß! Man muß 
die Leitung abftellen! Über dir befindet fie ſich!“ 

Cagima erhob Sid. 

„Ja, hier ſehe ich den Hebel! Aber es ſteht 
nicht wie gewöhnlich ‚warm — kalt —“ Daran, 
ſondern anſcheinend italieniſch, weil wir in einem 
nach Neapel durchgehenden Wagen ſitzen! Freddo 
caldo — wohin muß ich den Hebel nun drehen?“ 

Die Mämä fniff ſpöttiſch die Augen zuſammen. 

„Das ahnt die Mamfell Weisheit natürlich nicht! 
Kun ja, woher auh? Du Halt ja niemals italie- 
nifche Arien gefungen wie ih! — Gelbitredend ſtellſt 
du die Zeitung auf „caldo“, denn das fagt ſich doch 
jedes Kind, daß „caldo“ mit dem deutſchen kalt 
identifch iſt!“ — 

„Da habe ich alfo gleich wieder etwas gelernt!“ 
nidte das junge Mädchen, jo geduldig und liebens- 
würdig mie ftet3, und fie drehte den Metallgriff 
jo weit wie möglich auf caldo herum. 

Wieder herrſchte momentanes Schweigen. 


Cagima blidte voll Tebhaften Intereſſes, 
das Herz gefchwellt von feliger Hoffnung, und das 
Köpfchen voll rofigiter Gedanken, — in die vorbei- 
wirbelnden Bäume des Hochwalds, welche in voller 
Winterpracht ein entzlidendes Bild boten, die Hofe 


— 183 — 


marfchallin aber lehnte fehr erjchöpft den Kopf zurüd 
und fchloß die Augen wie zum Schlaf. 

Nach kurzer Zeit aber fchnellte fie voll nervö- 
feiter Ungeduld empor und riß ihren Kopfichal ab. 

„Es it ja zum Verrücktwerden mit der grauen- 
haften Hitze! Grade, al3 follte ich heute ſchon einen 
Vorgeſchmack vom Fegfeuer erhalten! — Das enter 
auf! — Ich Tomme fonft um!!“ 

Die Nichte ſchrak empor und öffnete Haftig die 
große Scheibe, faum aber fuhr der alte Nordoſt 
herein und Tieß die Gardine hoc) aufflattern, al3 Tant- 
chen jich fchon wieder den Wollſchal um die Ohren 
wand und fchrie, als jtäfe fie am Spieß. 

„Zumachen! — Zumachen! Sch hole mir den 
Tod! Dieſe Eiskälte! Ich befomme Schüttelfroft!” 

Und Cagima ſchloß das Teniter. 

Aber Gottlob! E3 war doch ein friiher Hauch 
in den Brutkaſten gelommen, und wenn er aud) 
nur fehr kurze Zeit Erquidung brachte, jo jchien 
er doch die Baronin ein Fein wenig zu beruhigen. 

Sie faß mit hochrotem Kopf; die feuchten Perlen 
rannen ihr von der Stirn über die Wangen herab, und 
fie öffnete ihre Handtafche und entnahm ihr eine 
Flaſche. | 

Boll gieriger Haft fette fie den Heinen Becher 
an die Xippen, und dabei fam ihr der Gedanke, daß 
Cagima womöglich auch einen Schlud verlangen und 
Frühſtückshunger bekommen könne. 


— 184 — 


Das fehlte grade noch! Umgeteilt bleibt mehr! 

Mit giftigem Blick mujfterte fie die Nichte. 

„Ich glaube, es wird fo heiß bier, weil mir 
zu zweien in dem engen Raum find! Steh auf und 
geh hinaus auf den Flur! Er führt den ganzen Zug 
entlang, da kannſt du promenieren und ftörjt mich 
nicht!“ | 

Gehorjam entfernte jich da junge Mädchen und 
trat an da3 Fenfter auf dem Flur, Diemweil die Mämä 
Hinter ihr die Vorhänge zuzog, um möglichit un- 
geniert zu ejjen und zu trinfen. 

Aus der Tür des Nachbarcoupe3 ſchaute Margits 
dunkles Köpfchen. 

„Warum find Sie auf dem Gang, Baroneſſe?!“ 

Cagima grüßte hocherfreut. 

„ante frübftüdt und jchidte mich hinaus, weil es 
ihr zu heiß in dem Abteil wurde!” 

„Haben Sie auch Schon etwas genofjen ?” 

Das junge Mädchen errötete. 

„O, ih kann noch eine Zeitlang warten!” ant- 
wortete fie ſehr verlegen, und doch ſtiegen ihr die 
Tränen in die Augen, denn fie hatte tüchtigen Hunger. 

„Unerhört! Bitte, treten Sie einen Augenblid 
zu und herein!” rief die Stimme der Prinzefjin, und 
al3 Fräulein von Solingen fie mit aufleuchtenden 
Augen begrüßte, griff Hoheit nach einem Kleinen, 
fehr leder gepadten Körbchen, und reichte e3 der 
jungen Dame. „Bitte, nehmen Sie von unjerm Über- 


==; RB: je 


fluß!“ Tächelte fie voll wärmſter Herzlichkeit, „mir 
gehen jet jowiejo zum Diner und bedürfen feiner 
Erfriichungen mehr! Draußen auf dem Edjefjel im 
Gang fiten Sie ganz behaglid und hören jeden 
. Ruf der Tante!” 

Ta war wiederum dem armen Nichenbrödelchen 
eine Eöltliche Hilfe gefommen, und während die Mämä 
falten, jehr dünnen Tee und trodene Semmel genoß, 
frühftücte die Nichte Gänfeleberpaitete, Trüffelmurft 
und Lachsſchnittchen, und die Flaſche enthielt die 
ſchönſte Hühmerbouillon, melde man ſich denfen 
konnte. 

Zum Schluß tauchten noch eine prachtvolle Wein- 
traube und etlihe Mandarinen auf, und Gräfin 
Wachſenſtein trat neben ihren Gaſt und jagte jehr 
lujtig: „Alles aufelfen, liebe Cagima, für die Tante 
darf nicht ein Krümel übrig bleiben!” 

Und dann plauderten fie jo bergnüglid), wie ba- 
mal3 in der Fenjternifche auf Mämäs our, und 
Cagima erzählte, wie jehr die Tante unter der Hitze 
litt, da fie jo warm angezogen fei! — ber fie 
habe befohlen, die Leitung auf caldo zu Stellen, und 
nun werde e3 gewiß bald Fühler in dem Coupe! 

Die Komteſſe war fchon zuvor jehr heiter ge- 
wefen, bei dem „caldo“ aber ſchüttelte fie jich vor 
Lachen und ftürmte zu Hoheit zurüd, um dieſen 
föftlichen Scherz zu erzählen! 

Die Prinzeffin lachte meidlich mit und jagte: 


186. = 


„Haben Sie den Irrtum ſchon aufgeflärt, daß caldo 
heiß bedeutet? Wenn nicht, laſſen Sie Mämä noch 
eine Zeitlang auf Feuer figen! Wenn fie allein üb 
jtüdt, fann fie auch allein braten!” — 

Und Frau Solingen briet mit der Zeit tatjächlich 
berart, daß fie, Halb toll vor Glut, den ſchweren 
Pelz abwarf und trogdem faum eine Linderung er- 
zielte, denn all die zahlloſen Kleidungsftüde, welche 
fie aus Sparfamfeit übereinander gezogen, konnte 
jie unmöglich ablegen, und da der Mantel gefallen 
war, durfte ein Fenſter erjt recht nicht mehr geöffnet 
werden, denn die jugendliche Witwe war doppelt be- 
forgt, — eritlih um ihr Leben, und zweitens um 
den jchönen Teint! 

Bolllommen aufgelöft vor Glut lag fie auf da3 
äußerfte erfchöpft zwiſchen ihren Reifetafchen, ala der 
Zug in Münden einfuhr, und während der kurzen 
Drofchfenfahrt bis zur Penſion Findh-Melgunoff 
fonnte fie ſich kaum einer Abkühlung erfreuen, da 
fie fi) bis über die Ohren in Mantel und Tücher 
wideln mußte. 

PBrinzefiin Hortenjia war bereit? vor Frau von 
Solingen in der Barerftraße eingetroffen und von dem 
Inhaber der Penfion, Major von Melgunoff nebſt 
Gemahlin, an dem Portal begrüßt worden. 

Die Prinzeſſin entjann fich ſehr wohl, daß fie 
vor Sahren mit dem Major getanzt hatte, als ber- 
jelbe noch als Rittmeijter in einer nordifchen, Heinen 


— 1897 — 


Nefidenzitadt in Garnifon ftand, und Ihre Hoheit an— 
läßlich einer Tauffeier bei der herzoglichen Familie 
zu Beſuch meilte. 

- Sie nahm den Arm des Offiziers und ließ ſich in 
ihre Zimmer führen, dieweil Frau von Melgunoff 
mit Gräfin Wachjenftein und Baron Eyben folgte. 

Zu allgemeiner freudigfter Überraſchung ftand 
Herr von Haltern in der Halle und begrüßte voll 
ſtrahlender Heiterkeit die Rrinzefjin, ebenfo wie Mar- 
git, welcher er voll Humor zuflüjterte: „Ich bin vor— 
läufig noch infognito hier, bi3 die Mämä in Morpheus 
- Armen außer Kurs geſetzt ift, dann jtehe ich den 
Damen jederzeit zur Verfügung! Unna trifjt mit 
dem Nachtfchnellzug ein!“ 

„Ausgezeichnet! Wenn auch der Geheimrat mit 
feiner Gemahlin anmejend ift, haben Sie ja alle Ak— 
teurs großartig zur Stelle gejchafft!” | 

„Richt wahr, Komtejfe? Und fogar die Coeur- 
fönigin fehlt bei diefem Schachſpiel nicht! Flüfterte 
Haltern fihtbar erregt entgegen. „Denken Sie doch, 
daß Dolly Spaured mit ihren Eltern auch ſchon 
unter diefem Dache weilt!“ 

Über Margit frifches Gefichtejen ging e3 wie 
ein jähes Erjchreden, aber fie beherrfchte ſich ſchnell 
und fragte nur mit einem etwas ängjtlich forjchenden 
Blick: „Sie Glückskind! Haben Sie ſchon ein Wieder- 
jehn gefeiert ?” 

„Roc nicht, aber ich warte hier in der Halle, big 


— 188 — 


die Herrichaften aus dem Konzert zurückkommen! Und 
wenn Sie dann durch das ganze Haus einen ſtarken 
Teommelwirbel hören, jo ijt e8 mein Herz!” 

Er ftieg neben der Hofdame die Treppe empor 
und Margit lachte wieder ganz eigenartig. 

„Wenn ich doch dabei fein könnte! Dieſes Be- 
gegnen mit der Zufünftigen muß ja äußerjt amüſant 
und ſehenswert jein!” 

„gulünftigen? Wiſſen Sie ganz bejtimmt, 
Gräfin, daß Dolly einmal Frau von Haltern wird ?!“‘ 

„Selbitredend! Eine jo glühende, alte Liebe 
roſtet Doch nicht!“ 

„Und wenn e3 dennoch gejchehen wäre, daß eine 
neue Liebe die alte mattgejebt hat? — Seltjamer- 
weile freue ich mid) gar nicht jo gewaltig auf Das 
Wiederjehn, wie ich ehemal3 angenommen, im Gegen- 
teil, mir ijt e8 zu Sinne, wie einem Maler, der jid) 
vor Jahren für ein Meiſterwerk begeijterte! Als 
er aber plößlich eine Kopie dieſes Bildes fand, nod) 
viel friſcher, lebenswarmer und fejjelnder als das 
ihon halb verblichene Original, da ward er wieder 
plößlich des Zweifels voll, welche der beiden Coeur— 
füniginnen wohl dauernd in feinem Herzen regieren 
werde! Was meinen Sie, Gräfin, wer jiegen wird ?“ 

— Er neigte jich tief herab und ſah ihr in die 
Augen, nur eine Sekunde lang, aber e3 deuchte Mar— 
git, als ftünde die Antwort, welche er jich felber auf 
jeine Frage gab, ſchon darin! 


— 189 — 


„Bielleicht fommt e3 Ihnen wunderlich vor, wenn 
ic) dem Driginal der Nizzaer Coeurdame den Sieg 
in diefem poetiihen Kampf um Kranz und Krone 
wünſche!“ Tächelte fie, und abermals blitte e3 ganz 
Ichnell in ihrem Blick auf, jo wie jonjt, wenn jie 
Mr ihn in Rätſeln ſprach. „Aber ich bin trogdem 
überzeugt, daß Sie mich voll und ganz begreifen 
werden, wenn Sie tatjächlich vor der Entfcheidung 
jtehen! Und bi3 dahin Lebewohl, — fehen Sie, wie 
ſehnſuchtsvoll ſchon die Jungfer auf mid) wartet!” 

Sie nidte ihm lächelnd zu, — und al3 fie ſich 
den hellen Flammen zumanbte, ſah Haltern, wie heiß 
ihre Wangen erglüht waren! — 

Das war ihm voller Troft für ihre fo wenig 
verheißungsvolle Antwort! — 

— — Als die Hofmarſchallin in der Penſion ein- 
traf, wunderte fie fich über den großen, fehr eleganten 
und hotelartigen Eindrud, den jie machte. 

Eine jehr liebensmürdige junge Dame, melde 
Fräulein Kätchen genannt wurde, machte ihr die 
Honneurs und führte fie und Cagima in die beiden 
Heinen, refervierten Zimmer, welche neben: dem Heinen 
Speifejaal lagen. Sie erzählte, daß Herr von Haltern, 
welcher ald ehemaliger Regiment3famerad de3 Herrn 
Majors Schon im Haufe bekannt jei, ertra dieſe Zim— 
merchen beitellt habe, mweil fie fo ganz bejonders 
billig feien, und Herr Doktor Unna habe heute morgen 
noch einmal fehr bejorgt und charmant telegraphiert, 


— 1% — 


daß die Zimmer aud) recht gut geheizt fein follten, 
ta die Damen ficherlih von der langen Yahrt bei 
dem falten Wetter recht durchfroren fein würden!” 

Die Mämä Hatte fi troß ihrer großen Er- 
Ihöpfung anfangs geziwungen, recht Huldvoll zu 
lächeln, namentlich al3 die billigen Preiſe erwähnt 
wurden, — bei der Depejche Artiks aber zudte jie 
nervös zujemmen und hob abwehrend die Hände. 


„Um alles in der Welt, wir find gewöhnt, fehr 
falt zu fchlafen, und haben heute in dem überhigten 
Eijenbahncoupe wahre Folterqualen gelitten! Hof— 
fentlich find die Stuben hier nur etwas temperiert ?’ 

Mit diefen Worten folgte fie Fräulein Kätchen 
und trat in das erjte der beiden Bimmerchen ein, 
aber fie pralfte mit einem Schreckensſchrei zurüd 
und rief ächzend: „Welch eine Pökelhitze! Es ift 
unmöglid), daß ich in dieſer Glut fchlafen kann! 
Iſt das Nebenzimmer meiner Nichte etwa auch ein 
jolder Badofen ?‘ 

„sa, Tantchen! Hier ift es fat noch heißer!” 
fang es angftvoll von Cagimas Lippen. Fräulein 
Kätchen aber trat jchnell an das Feniter und öff- 
nete es. 

„Das Zimmermädchen Anna hat ed gar zu gut 
gemeint, Frau Baronin! Aber unbejorgt, wir öffnen 
die Feniter, während die Damen im Saal dad Souper 
nehmen, und wenn Gie ich alsdann niederlegen 


— 11 


wollen, find die 'Zinimer ganz nad) Wunfch abge- 
fühlt!” 

„sa, das ift ein guter Gedanke!” feufzte Frau 
Joſefa und legte das Handgepäd jo ordentlich in Reih 
und Glied, daß e3 auf den erſten Blid ſchnell nach— 
gezählt war. „Iſt dad Souper ſchon zur Penfion 
gehörig, oder muß e3 ertra bezahlt werden ?” 

„Durchaus nicht, gnädige Frau!” lächelte Fräu— 
lein Kätrhen berufigend. „Das ift jelbjtredend mit 
in der Berpflegung einbegriffen!” 

„Sp wollen wir fofort eſſen!“ beeilte jich Die 
Hofmarfchallin zu beftimmen. „Hier halte ich e3 
nicht aus!” 

„Schön, Frau Baronin, — wenn ich bitten darf, 
hier gleich in dem Nebenfaal an dem erften Tiſchchen 
neben dem Fenſter!“ 

Als ſich die Türe gejchloffen, eilte die Mämä 
zu dem großen Kachelofen und öffnete ihn. 

„Ratürlih! Noch bis obenhin voll Glut!“ rief 
fie entjeßt. „Hier liegt die Kohlenſchaufel! Schnell, 
Cagima, trag’ alle Feuer in den Ofen des Neben- 
zimmer! Du kannſt die Hibe beifer vertragen als 
ih, und der Ofen fühlt fich bedeutend fchneller ab!” 

Die Nichte beeilte ſich, den Befehl zu erfüllen, 
und al3 da3 Zimmer recht voll Rauch und Dunft war, 
wurden die Senfter weit geöffnet und die beiden Da- 
men traten in den Heinen Eßſaal, am Fenſtertiſch⸗ 
chen auf das Souper zu warten. — 


— 192 — 


In demfelben Augenblid ſchritt Cilli, das zweite 
Zimmermädchen, an ihnen vorüber, um noch einmal 
nachzuſehn, ob Anna auch alles in Ordnung gebracht 
habe, denn juſt heute abend war ein Jugendfreund 
aus Paſſau in München eingetroffen, weswegen der 
Anna Ausgang bemilligt war. 


Cilli ſtand erichredt an der Schwelle und hob 
ichnüffelnd die Nafe. | 


„sa, du mei! Was is dann dös?!“ meditierte 
fie, al3 fie den Raud und Ofenqualm roch, und fie 
war fich jofort Mar, daß die Anna in der Freude 
über den Gefpielen ficher die Ofen zu früh gefchloffen 
hatte! — 

Sie öffnete. „Ei du neuntaufend Sakrement!“ 
fhüttelte fie den Kopf. „Radikal ausgebrannt iſt's 
— und dabei noch die Feniter auf! Bei fo einem 
Saumetter!” Und fie jprang eilig zu und fchloß die 
hohen Spiegeljcheiben. „Wo ’3 doch grad depeſchiert 
haben, daß die Stuben arg heiß fein follen!” Und 
die pflichtgetreue Cilli machte fi) über den Holz— 
forb her und ftopfte abermals in den Ofen, was er nur 
faſſen Tonnte! 

Auch im Nebenzimmer fchloß fie jorglich die 
Türe, und obmohl dort das Feuer noch tüchtig 
brannte, legte fie dennoch ein paar Briketts nad, 
damit die Wärme während der ganzen Nacht gut 
vorhalten jolle. — Dann ging fie hochgemut davon. 


— 199: == 


Der Hofmarfchallin hatte das Abendeſſen über 
die Maßen gut geſchmeckt. 

Es war einfach großartig. 

Erſt eine warme Paſtete im Blätterteigrand, 
welche vorzüglich zubereitet war, dann ein ſehr zarter 
Lendenbraten mit Gemüſeſalat und zum Schluß 
friſches Obſt. Dazu wurde Tee gereicht, und alles 
war ſo überreichlich, daß Frau Joſefa über das ganze 
Geſicht ſtrahlte, und ihre Laune ſich enorm auf- 
munterte. 

An dem Nebentiſch ward Bier getrunken, echt 
Münchener Auguftinerbräu, fchäumend friſch und fo 
leder anzujehn, daß bei der halb verdurjteten Mämä 
zum erſtenmal jeit langen Jahren die Begierde größer 
war al3 die Vernunft und das Unglaubliche gefchah 
— fie beitellte für fich ein Halbes und für die Nichte 
ein VBiertelmaß, — von dem aufmwartenden Mädchen 
vergnüglich „a Bumperl” genannt. — 

Das war wirklich ein Hochgenuß! Und nach— 
dem das Bier ausgetrunfen und die elegante Ge— 
fellichaft an den Nebentifchen voll Sntereffe von Frau 
von Solingen gemujtert war, erhob fie fi, um nun 
einer ſüßen Ruhe zu pflegen. 

Aber was war das?! — 

Sie taumelte ſchon an der Türe ihres Zimmers 
zurück, denn ein wahrer Höllenbrodem an Hitze ſchlug 
ihr entgegen, gemiſcht mit einem Brandgeruch, welcher 
gradezu auf die Nerven fiel! — 


dv. Eichftruth, Das Robeltantchen II. 13 


— 194 — 


Und die Fenfter pidelhagelfeit geſchloſſen, und 
in dem Ofen — o, du ewige Kümmernis! Da prajfelt 
und flammt ja ſchon wieder ein Feuer, al3 jollte 
ein Ochs gebraten werden!! — 

Frau Sofefa war außer fi! 

Sie flatterte mwehllagend in den Saal zurück 
und da juſt Fräulein Kätchen in der Türe ſichtbar 
ward, holte man ſie zu Hilfe. 

O, wir haben ſehr gewiſſenhafte Mädchen, welche 
ſtets ſehr beſorgt ſind, daß die Herrſchaften frieren 
könnten!“ verſicherte die junge Dame ſelber ſehr be— 
troffen. „Leider ward Cilli noch nicht von Ihnen 
verſtändigt, Frau Baronin, daß Sie kalt ſchlafen 
möchten! Ich werde das Verſäumte ſofort nachholen! 
Bitte ſetzen ſich die Damen noch eine kleine Weile 
in den Salon, — die Fenſter ſollen ſofort geöffnet 
werden!“ — 

„Und das Feuer muß aus meinem Ofen ent⸗ 
fernt werden!” klagte die Mämä mehr leidend als 
zornig, denn ſie ſah ſelber ein, daß ſie nur unter 
einem Übermaß von Dienſteifer litt. „Meine Nichte 
kann ſchon die Wärme vertragen, Cilli!” rief fie der 
Eintretenden zu. „Baden Sie die Glut alle in den 
Ofen des Nebenzimmers!" 

Cilli knixte ein ſehr Höfliches: „Is jchon recht! 
Dös is gleich gemacht!” und Tante und Nichte ſchritten 
zurück, durch den kleinen und großen Salon, in 
welchem ein paar ſehr —— u ce er 


— 1% — 


zellenzen an einem Spieltiich faßen und die Whiſt— 
farten milchten. Aus der großen Nebenhalle, in 
welcher geraucht wurde, fchallte heiterjtes Lachen und 
Scherzen. 

Dort amüfierte fich die Jugend, elegant gefleidete 
Damen und Herren aus aller Herren Länder, welche 
foeben wieder ein Tanzfeſt für den fommenden Abend 
verabredeten. — 

Frau Joſefa ſetzte jich in einen der rojafeidenen 
Seſſel des Salons nieder und hob die Lorgnette, 
um die großen Gemälde, welche auf der feidenen Ta- 
pete prangten, zu mujtern. 

„Wenn man nicht Halb geröftet und gut aus— 
geruht ift, mag e3 hier wirklich jehr angenehm 
im Haufe fein!” nidte fie wohlwollend und Tieß 
die Hand wieder finfen, weil der Arm durch 
all die vielen Untertaillen und Saden ganz fteif 
war. „Jetzt erjehne ich nur mein Bett, denn 
die Reife und last not least da3 Bier haben mid) 
Doch äußerſt müde gemacht!“ — 

Nach einer Heinen Weile ſagte fie: „Ich habe 
vorjichtshalber unjre Zimmer abgeſchloſſen, damit 
nicht die Anna, wenn jie heimfehrt, noch einmal ein— 
facheln kann! — Hier im Handtäſchchen befinden fid) 
die Schlüjjel! Nach einer Kleinen Weile fannft du 
hinübergehen, Cagima, und ſehen, ob alles in 
Ordnung it!“ 

Und fie lehnte den Kopf zurüd und betrachtete 

13* 


— 1% — 


mit zwinferndem Blid die koſtbaren Toiletten der Er- 
zellenzen, welche ihr, der mweltfremden Kleinſtädterin, 
gewaltig imponierten. 

Ein noch jüngered Ehepaar trat an den Spiel- 
tifch heran, wie aus dem Geſpräch hervorging, ein 
ſehr beliebter Arzt au Königsberg mit feiner höchſt 
antegend plaudernden blonden Fran. 

Man ſprach über die Eigenart der Münchener 
Penfionen, in welchen e3 fich viel beffer Tebt, ala in 
den Hotel3, namentlich da3 jo große Finckh-Melgu— 
noffiche Haus bietet alle Vorteile des Hotellebens, ohne 
feine Schattenfeiten. — Gemifchte Gefellfchaft findet 
fich Heutzutage überall, aber man trifft hier fo viel 
der beiten Elemente, daß man die weniger guten, 
mit Leichtigkeit ignorieren fann! — 

Mer nicht befannt werden will, fpeilt in feinem 
Salon, wie e3 die joeben Hier eingetroffene Prin- 
zeſſin auch tut, — wer ſehen will, ohne ſich unter 
Menſchen zu mijchen, fißt an Heinen Tifchen allein, 
und wer Unterhaltung fucht und liebt, der findet fie, 
fo viel er mag, an der großen Tafel und in den Ge- 
ſellſchaftsräumen. 

Frau von Solingen hörte ſo aufmerkſam zu, 
wie ſie es bei ihrer großen Müdigkeit noch ver⸗ 
mochte, und ſie lächelte dabei ſehr wohlgefällig und 
dachte: Morgen werde ich an der großen Tafel ſpeiſen! 


— 197 — 


19. Kapitel. 
Weirrenddeſ en hatte Friedrich, der gebildete Haus— 


knecht, bemerkt, daß eine der Jalouſien am 
Parterrefenſter ſchief vor den Scheiben hing und nach 
Cillis Ausſage nicht richtig funktionierte! 

Er wollte das betreffende Zimmer betreten, fand 
es aber verſchloſſen, und fo deuchte es ihm das ein- 
fachſte, den Schaden von außen zu reparieren. 

Er ging in den Gartenhof, nahm eine Steh— 
leiter und ſtieg nach dem Fenſter empor. 

Dasſelbe war trotz der Kälte weit geöffnet und 
ein ſehr merklicher Rauchgeruch drang aus der Stube 
heraus. | 

Ei, du Po Blitz und Knall! — 

Das waren ja die Zimmer, die für heute abend 
ganz beſonders warm geheizt werden jollten! Er ftand 
juft dabei, als Fräulein Kätchen die Depefche der 
Anna vorgelesen und ihr eingejchärft Hatte, für ganz 
außerordentlid) gute Temperatur in den Zimmern 
zu jorgen! 

Aber die Anna hatte wegen des forjchen Jugend⸗ 
freunde Urlaub erhalten, und weil fie an den flotten 
Schnurrbart des jungen Poftheren dachte, jo ver- 
gaß fie jicher, die Ofen rechtzeitig zu fchließen und 
die Fenſter zuzumachen! — Und gar heute, bei dem 
ſcharfen Wind!! — 

Friedrich befann ſich nicht lange und wollte 


— 1% — 


der netten, feinen Anna da3 Donnermwetter des Ober- 
fommando3 erjparen, alſo ſchwang er fich al3 guter 
Turner in das Feniter hinein und fchaute nad dem 
Ofen. 

„Natürlich! Razekalement ausgebrannt !” Inurrte 
er fopfichüttelnd. „Weiß der Deirel, wo die jungen 
Dirndeln allweil die Gedanken haben! Ya, wenn 
er nit wäre! Dann hätte die Anna morgen nichts 
zu laden! Aber fo will er ihr noch mal zu Hilfe 
fommen, nur darum, weil fie jo hübfche, Iuftige braune 
Augen hat! — Und Friedrich griff tief in den Holz- 
forb und fparte die Scheite nicht! Ordentlich auf- 
gepackt! 

Oh, er verſteht als Schmiedsſohn mit dem Feuer 
umzugehn! Nun eine Ladung Briketts obendrauf! 
— Hei, wie das ſo ſchön in die Höhe praſſelt! 
Binnen fünf Minuten brüten hier in der Stube die 
Eier von alleine aus, — m. der Ofen nicht ſchon 
us geplagt iſt!! 

Und ſchmunzelnd über fein menfchenfreundliches 
Rettungswerk, Eletterte er Durch das Fenſter zurüd 
auf die Leiter. 

„Selbitredend darf nun die teure Wärme nicht 
zum Fenſter Hinausgejagt werden!” meditierte er, 
zog geſchickt die großen Scheiben Hinter jich heran 
und ſchloß fie jo gut, wie es eben von außen möglich 
var. 

Dann pfiff er vergnügt das Lied vom „Stadt- 


— 19 — 


part”, welches ein junger däniſcher Marineoffizier 
geftern Abend jo großartig im Saal zum Klavier 
gefungen hatte, ganz wie eine Theaterbame, fo daß 
alle Herrichaften ſich vor Lachen ſchüttelten! — und 
marſ chierte ſo unbemerkt, wie er in den Hof gnnn 
wieder in die Küche — 

Es ſchlug in der Halle neun uhr, als et Jo⸗ 
ſefa ſich erhob und ſagte: „Komm, Cagima! Ich bin 
gewöhnt, ſehr frühzeitig zu Bett zu gehn, und der 
heutige Tag hat meine Kräfte auf das äußerſte er— 
ſchöpft! Ich werde ſogleich mit dir gehen und die 
Koffer nachzählen, während du die Fenſter ſchließeſt! 
Grade die friſche, klare Winterluft in den Zimmern 
wird mir ſehr wohltun!“ 

Cagima gab der Sprecherin voll liebenswürdiger 
Aufmerkſamkeit den Schal um die Schultern und 
die beiden Damen ſchritten nach ihren Zimmern zu⸗ 
rück. | 

Das junge Mädchen schloß, die Türe auf und 
trat zurüd, um der Tante den Weg frei zu geben, aber 
fie ſchrak jäh empor bei dem Halb erftidten Schrei, 
welchen die Hofmarfchallin, auf der Schwelle ſtehend, 
ausſtieß. 

„Grauenhaft! Furchtbar!! Hat ſich denn die 
ganze Hölle heute gegen mich verſchworen?“ tobte 
Frau Joſefa außer ſich und ſtürzte nach dem Ofen, 
deſſen offene eiſerne Röhren ihr rotglühend durch 


— 200 — 


die Dunkelheit entgegenleuchteten. „Welch ein Yeuer 
brennt denn abermald Hier? Und die Fenſter zu- 
gemacht, troß der abgejchlojfenen Türen?! Sa, ift e3 
denn Hererei oder Teufel3ipuf, daß man mid) verrüdt 
machen will?!“ 


Auch Fräulein von Solingen ftand ſprachlos 
vor Überrafchung, und während Mämä wie eine Un— 
jinnige die eleftrijchen Klingeln in Bewegung febte, 
jchüttelte fie nur den Kopf und ſagte: „Da3 iſt ja 
unbegreiflich und wirklich nicht vor Glut zu ertragen! 
Du kannſt unmöglid in diefem Zimmer fchlafen, 
ärmftes Tantchen!” | 

Cilli ftürzte erfchroden herzu, und weil die Hof- 
marfhallin in ihrer zifchenden Wut den Finger gar 
nicht von dem Klingelfnopf entfernte, glaubten die 
im Saal beichäftigten Serviermädchden an ein Un- 
glück und eilten ebenfalls herbei, um Hilfe zu bringen. 

‚wer bat wieder eingeheizt, daß der Ofen rot- 
glühend wurde? Wer hat die Türe mit einem Nach— 
Ichlüffel geöffnet und die Fenſter geſchloſſen?“ ze- 
terte Frau Joſefa, und Cilli ftarrte die Lina und 
Lina die Marie und Marie die Elife an und feine 
begriff da3 Ungeheuerliche! 

„Ja, wos is dann dös?!“ — 

Das war alles, was man ſtammeln konnte, und 
dann ſtieß Cilli abermals die Fenſter auf, und Lina 
eilte angſtbeflügelt, wie ehemals Hans Huckebein, da- 


— 201 — 


von, um Fräulein Kätchen dieſes Rätſel zur Löſung 
zu unterbreiten! ' 

— Und Fräulein Kätchen kam, ließ alle Schalen 
der grollenden Aufregung, welche Frau von Solin- 
gen über fie ergoß, geduldig an jich niederriejeln und 
ſagte zum Schluß ebenfall3 Topfichüttelnd: „Wenn 
die Türen abgejchloffen waren, grenzt €3 ja tat- 
fählih an hellichten Spuk, daß einer durch das 
Schlüſſelloch gekrochen ift, um zum drittenmal ein der- 
artiges Feuer zu zünden! — Ich möchte Doch Herrn 
Major Mitteilung von diefem außergemöhnlichen, Fall 
maden und bitten, daß die Sache auf daß ftrengite 
unterfucht wird! 

— Che die Sprederin aber „linksſchwenkt⸗ 
ehrt” machen konnte, fam die Anna im Mantel und 
Hut atemlo3 herbeigeeilt und brachte die Aufflärung 
für dieſes Mirakulum! 

Der Friedrich Hatte fie mit der Nachricht em— 
pfangen, daß er ihr aus lauter Freundjchaft den Hals 
gerettet und in Zimmer No. 8 Feuer gemadjt und 
die Tenfter beigezogen habe, — bei dem Schnee und 
Eis fei fein Sprung ins Fenſter grade hal3brecherifch 
genug geweſen. — 

Da gab es denn ein fchallendes Gelächter, in 
welches jelbit Frau Sojefa etwas mwehletdig einjtimmte, 
aber fie erffärte Fräulein Kätchen, daß fie in dieſem 
Zimmer unmöglid) jchlafen könne, und troßdem 


— 202 — 


augenblicklich zu Bett gehen müſſe, ſie ſei zu Tode 
ermattet und brauche jetzt Ruhe! 

Fräulein Kätchen ſann einen Augenblick nach. 
„Das Haus iſt bis unter das Dach vollbeſetzt, Frau 
Baronin, und es iſt hier neben Ihren Zimmern 
nur noch ein ganz kleines Kämmerchen bereit, welches 
ſonſt nicht vermietet wird und nur als Garderobe 
dient. Wenn wir in dasſelbe ein Bett für dieſe Nacht 
jtellen und gnädige Frau fürliebnehmen, jo würde 
die Penfion für heute noch um eine Mark fünfzig 
Pfennige ermäßigt werden, da dad Kämmerchen gar 
nicht berechnet wird!” 

Die Mämä horchte hoch auf. „O, das wäre 
mir fehr recht und angenehm! Ach bin eine arme 
Witwe und fann unmöglich viel Geld ausgeben! 
Wenn ein Bett ftehen Tann, genügt e3 mir voll— 
fommen, und ich werde das Kämmerchen für Die 
anderen Tage als Schlafraum für meine Nichte bei- 
behalten!” | 

— Anna hatte unterdejjen eine Tapetentüre ge— 
öffnet und rief: „Es jteht ja noch ein Bett darin, 
Fräulein Käte! Fräulein Elfe Kern, die Kammer— 
jungfer der ungarischen Tame, hat die letzte Nacht 
hier geſchlafen!“ 

„Ah, rihtig! Fräulein Kern verjicherte in 
ihrer rührenden Bejcheidenheit, daß fie jehr gut in 
dem kleinen Raume geruht habe und froh war, in 
der Nähe ihrer leidenden Dame zu fein!” — 


— 203 — 


„un, dann werden mir. ebenjogut darin ſchla— 
fen!” rief Frau Joſefa ungeduldig. „Bitte, deden 
Sie das Bett auf, — ich will mid) fofort legen!” 

„Und das gnädige Fräulein?” 

„Meine Nichte ift nicht fo ſchonungsbedürftig 
wie ich!” Hang e3 ſehr billig von den Lippen ber 
Hofmarſchallin. „Sie fann fi) warm arigezogen eine 
Beitlang bei offenem Fenjter aufhalten und warten, 
bi3 da3 Zimmer fühl ift!“ 

„Bir machen vielleiht Durchzug, und Baro— 
neſſe jet fich noch ein paar Minuten in die Halle!“ 

„Meinetwegen! &3 ijt mir alles ganz einerlei! 
Sch will mich ausfleiden und fchlafen! Laſſen Sie 
mich allein!!!‘ | 

Da3 Hang im jchrilliten Diskant, und die Mäd— 
chen ftoben erjchredt davon, und Fräulein Kätchen 
legte jchnell Hand an, die Kiffen und Deden der 
Betten umzumechieln. 

Das war bald gejchehen. 

Cagima padte währenddejjfen da3 Handköffer- 
chen mit den Nachtſachen aus und legte der Geftrengen 
alles bequem zur Hand, dann fcheudhten Tantchenz 
Scheltworte auch fie davon. 

Halb ohnmächtig vor Müdigkeit warf Frau Jo— 
jefa eine der glühenden Hüllen nach der andern von 
fi, zog mit leter Anjtrengung das Frühſtückskörb— 
chen rettend neben ſich, ſchloß die Tapetentüre mit 
dem Riegel ab und janf, ohne nur ihr Kämmer- 


— 204 — 


chen mit einem Blick zu muſtern, auf ihr Lager nieder, 
um ſchon im nächſten Augenblick in einen todähnlichen 
Schlaf zu ſinken. — 

Währenddeſſen hatte Fräulein Kätchen der Ba- 
ronefje einen Winf gegeben, da3 andere Zimmer zu 
verlaſſen. 

„Sind Sie auch ſo ſehr ermüdet von der Reiſe, 
gnädiges Fräulein?“ fragte fie voll wärmſter Teil- 
nahme. „Sch beflage alle diefe ſchwankartigen Ir— 
rungen jo lebhaft und werde alles tun, Ihr Zimmer 
bald abzufühlen!” 

— Cagima lachte. „O, ich bitte Sie, beites Fräu- 
kin! Ich denke gar nicht daran, müde oder gar 
erihöpft zu jein! Die Reife war ja Herrlich, und 
ic) würde jebt Doch noch nicht zu Bett gegangen 
fein!” 

„Um jo beifer! In der Halle fißt Herr von Hal- 
tern, welcher den Damen wohl befannt ijt, er wird 
fich jehr freuen, gnädiges Fräulein wiederzufehen! — 
Darf ich bitten, mir zu folgen?” 

Die Sprecherin fehritt jchnell durch den Eßſaal 
und Salon voran, und tatjädhlidy) erhob ſich Hana 
von Haltern mit freudigitem Ausruf der Begrüßung 
von einem der Seſſel, ald Fräulein von Solingen 
in die Halle trat. 

Das war ein jehr heitered Wiederjehn, und faum 
daß fie einander die Hand gefchüttelt, rief eine Stimme 


— 205 — 


über da3 dunfelgebräunte ZTreppengeländer herab: 
„Grade wollte ich mich erfundigen, ob Sie glücklich 
gelandet find, Fräulein Cagima?! Es iſt ja herrlich, 
daß Sie ohne Oberfommando zur Stelle ind! Wenn 
Sie noch ein Weilchen hierbleiben Tünnen, leifte ich 
Ihnen Geſellſchaft, denn Hoheit jchreibt Briefe!” Es 
war Margit, welche voll Entzüden begrüßt ward 
und, die legten Treppenjtufen herabfommend, haſtig 
fragte: „Sit Doktor Unna angelommen? Der Uhr 
nach fönnte es wohl fein!“ 

„Joch nicht, aber ich erhoffe ihn jede Minute!” 
lachte der Oberleutnant, und freute ſich, wie alles 
Blut in Cagimas Wangen ſchoß. „Ich Ichlage vor, 
meine Damen, wir erwarten ihn bier und feiern 
dann noch in recht vergnügter Stimmung dieſes jo 
tadellos geglüdte Stelldichein in München!” 

„Als braver Sohn wird ſich Artik Unna wohl 
zuerjt feinen Eltern widmen?” 

„Doch nicht, Komteſſe! Der Geheimrat nebit 
Gemahlin folgte einer Dinereinladung zum Herzog 
bon R. und wird vor ein bis zwei Stunden faum 
zurüdtehren!” 

„Um jo bejler. Im Salon ift ein fehr gemüt- 
liches Eichen! Ach fchlage vor, wir offupieren es.“ 

Gejagt, getan, — und faum, daß man die erſten 
Worte gemwechjelt, erichien zwifchen den Portieren die 
ſchlanke Geſtalt Artils, im eleganten Reiſepelz, eine 
Heine Zuchtentafche in der Hand. 


— 206 — 


„Alſo richtig Falkuliert! Der Dreibund ift be- 
reit3 zur Konferenz zufammengetreten! Da bleibt 
mir nur die Bitte, in biejem Bunde der bierte zu 
ſein!“ 

Im Sprechen war er herzugetreten und hatte 
unter ſtürmiſcher Begrüßung die Hände der beiden 
Damen geküßt. 

„Und Sie ſind allein hier, Fräulein Cagima? 
Ohne Zerberus?!“ fuhr er mit ſehr überraſchtem 
Umblick fort. „Wie iſt ſolch ein Wunder möglich?!“ 

„Das erzählen wir Ihnen alles gemütlich, wenn 
Sie den Reiſeſtaub abgeſchüttelt haben und ſich zum 
Abendeſſen niederſetzen! — Schnell! Werfen Sie 
Ihren ‚Biberpelz’ von ſich und kehren Sie zu uns 
zurück!“ — 

„Mein Souper habe ich bereit3 im Zug helden- 
haft beitanden, Komteſſe!“ Tachte Artik ihr entgegen, 
„and bringe nur einen normalen Münchener Durft 
mit! Sn ein paar Minuten bin ich wieder zur Stelle 
und dann bitte ich um genauen Rapport!“ 

Noch einen jehr viellagenden Blid in Cagimas 
Augen und der junge Arzt eilte zurüd, um nad) 
fürzefter Zeit im eleganten Abendanzug wieder in 
dem Salon zu erfjcheinen. 

Da es in Bayerns Metropole id ift, Bier zu 
trinfen, To fiedelte die Heine Geſellſchaft in die Fenſter— 
nifche der Halle über, und nun mußte Cagima bei 
jhäumendem Auguftinerbräu die „Höllenfahrt‘ der 


— 207 — 


Mämä beſchreiben, welche ſchon im Auto mit wahren 
Solterqualen begonnen! 


Gie tat es voll reizenditen Humors, ohne Groll 
oder Schadenfreude, nur das Komische der Situation 
erfajlend und die munderliche Frau bedauernd, welche 
ſich unnötigerweiſe eine derartige Tortur auferlegt 
hatte. | 

— Frau Joſefa war vor Ürger erblaft, als 
fie erfuhr, daß in dem Salonwagen der Prinzeſſin 
feine Überfracht berechnet würde, und da fie nicht 
einmal die Genugtuung Hatte, fich für einen großen 
Profit zum Rieſelbach aufzulöfen, jo machte fie ihr 
übermäßig vervierfachter Anzug doppelt nervös und 
unduldjam. 


Wahre Stürme der Heiterkeit unterbracdhen oft 
die Schilderungen de3 jungen Mädchens, und Haltern 
bog fi vor Vergnügen, wenn er an die „Zwiebel“ 
Sojefa mit ihren neun Häuten duchte! 

Die Verwechſlung des falten ‚„freddo“ und 
heißen „caldo‘ erregte abermal3 die größte Heiter- 
feit, und al3 Fräulein von Solingen gar die „Ko— 
mödie der Irrungen“ zum Beiten gab und den Eifeft 
Ichilderte, welchen der ſpukhafte Ofen mit feinem ftet3 
erneuten Tegefeuer auf die grimmige Hofmarfchallin 
gemadt, da Tannte der Beifall feine Grenzen, und 
die Heiterkeit jchäumte mit dem edlen Gerftenjaft 
in den Maßfrügen um die Wette! — 


— 208 — 


Welch eine unvergleichlich ſchöne Stunde war 
dieſes Wiederjehn! 

Die jungen Herzen jchlugen jo heiß und fchnell, 
al3 ahnten fie nur zu gut, daß fie am Vorabend 
großer Ereignifje jtanden, und die Augen leuchteten 
wie verflärt und ſprachen fo viel durch die Blide, 
all das Süße, Zärtliche, was der Mund noch nicht 
in Worte Heiden durfte! — 

Eilli meldete um Halbelf Uhr flüſternd, daß das 
Zimmer der Baroneſſe herrlich abgekühlt fei, und Mar- 
git erhob ſich und fagte: „Es ift leider nur eine 
Ausgeburt dichterifher Phantafie, daß dem Glüd- 
lichen feine Stunde fchlägt, dem ich glaube, wir 
find alle in diefem Augenblid ſehr glüdlich, und den- 
noch mahnt und die große Uhr dort drüben, daß 
e3 die höchſte Zeit ift, diefen ereignisreichen Tag zu 
beſchließen!“ — 

„Rein, Komtefje! Um feinen Preis! Gebt fängt 
da8 Bier erſt an, gut zu ſchmecken, und der neue 
Tag ift noch ein und eine Viertelftunde von ung ent- 
fernt! Warum ihm jetzt fchon dag Glüd des alten 
opfern ?!" 

Haltern rief es mit flehendem Blid, aber Unna 
legte die Hand auf feinen Arm und mahnte mit 
ernftem Geficht: „Damit e3 und morgen früh defto 
frifcher und rofiger anlacdhen kann! Dud dich, Löwe! 
Und vergiß nicht, daß ein weißes Reh nicht beine 
Kräfte hat! Die Reife war weit, und bie Damen 


— 209 — 


müfjen jet unbedingt zur Ruhe gehn, um jich für neue 
Taten zu ſtärken!“ 

„Sehr recht, beiter Doktor!“ lachte Gräfin Wach⸗ 
ſenſtein ſehr heiter. „Die weißen Rehe werden morgen 
auf moraliſcher Parforcejagd abgehetzt! Hoheit will 
ſchon um acht Uhr frühſtücken und um neun Uhr 
in den Pinakotheken ſein! Und von dort geht es 
ununterbrochen weiter, von einer Kunſtſammlung in 
die andere! Ich traf vorhin eine junge, hochtalentierte 
Malerin aus Wien, Fräulein Grete Blahy, deren vor⸗ 
treffliche Porträts der PBrinzefjin vergangenes Jahr 
auf der Antwerpener Augftellung befonder3 gut ge— 
fielen! — Sch mußte una fogleich bei ihr im Atelier 
anmelden und Hoffe, Hoheit fauft ein3 der Bilder 
beſtimmt an! — Und dann wollen wir fofort nad) 
Tiſch per Auto nah Ebenhaujen fahren, um bie 
Rodelbahn, diefen Magnet, welcher und hierher nad) 
München gezogen, anzujehn!“ 

„Ah... in Ebenhaufen? Nicht wie anfänglich 
projektiert, in Partenkirchen?“ 

Margit fchüttelte lebhaft das Köpfchen. „Nein, 
diefen Schritt vom Wege hat Hoheit definitiv aufge- 
geben, weil er ung momentan zu unbequem ift! Biel- 
leicht richten wir e8 im nächſten Jahr ein, etwas länger 
die Hochalpen in ihrer Winterpracht zu genießen!“ 

„Nächſtes Jahr! Du liebe Zeit, Gräfin, wer 
wird den Faden der Schickſalsparze jo weit Hin- 
ausfpinnen!” Haltern neigte fich etwas näher und 

v. Eſchſtruth, Das Robeltantchen II. 14 


— 210 — 


Ihaute mit wunderſam Teuchtendem Blid in Die 
Schelmenaugen der Hojdame. „Kennen Sie nicht den 
ehr wahren, alten Berg: 

Ihr Mägdlein, tanzt noch heute, 

Denn morgen feid ihr Bräute, 

Und in einem furzen Jahr 

Gattin, Hausfrau, Mutter gar!” — 

Gräfin Wachſenſtein griff mit etwas unficherer 
Hand nach einer Photographiemappe, welche auf dem 
Tiſch Tag und fchlug fie auf, aber fie konnte dadurch 
nidyt verhindern, daß fie lebhaft errötete! Ca— 
gima jedoch, welche die leifen Worte de3 Dragoners 
nicht verftanden, fuhr eifrig in der Unterhaltung 
fort: „Ob Partenkirchen oder Ebenhaufen ift ja auch 
ganz egal, wenn nur gerodelt wird! Ich glaube jogar 
beitimmt, daß Tante Joſefa eine nahe, Feine Strede 
mit dem Vorortzug lieber fährt, wie eine abermafige 
Tour von mehreren Stunden in der Eifenbahn macht! 
Wer weiß, ob dort die Wärmeleitung nicht auch mit 
dem tüdifchen ‚caldo‘ überfchrieben iſt!“ | 

— Abermals heitered Gelächter, — die jungen 
Damen erhoben jih, und man fagte einander mit 
warmem Händedrud „Gute Nacht!” 

Margit zögerte einen Augenblid. 

„Herr von Haltern... .“ 

„Gnädigſte Komteſſe ...“ 

„Tun Sie mir den Gefallen. . ſeien Sie ver- 
nünftig und gehen Sie jet auch zu Bett!“ 


— 211 — 


Das Hang feltiam befangen, beinah angitvol. 

Der junge Offizier lachte jehr übermütig. „Un- 
denkbar, ich muß, wie Sie wiſſen, auf Dolly Spau- 
red warten!” . 

„Scherz a bas! — Laſſen Sie doch Prinz Karne- 
val in feiner Ahnengruft Schlafen! Er muß fowiejo 
bald wieder aufleben — und Sie willen, daß ihm 
Reminiſzenzen jehr langweilig find!” — 

„Mir dagegen jehr lieb und Hochinterejjant !“ 
Haltern Füßte ihre Heine Hand zum zweitenmal und 
lächelte: „Warum Ihre Sorge, Gräfin? Sonit lie- 
ben e3 die Damen doch fo jehr, zu fiegen, und id) 
dächte, auch Ihnen wird e3 eine Genugtuung bereiten, 
als heurige Herzensfönigin eine vorjährige Coeur- 
dame in dem Schachipiel der Liebe mattzujegen!” 

„Ich habe noch niemal3 haſardiert!“ jchüttelte 
Margit den Kopf, und eilte haſtig ein paar Stufen 
der geſchnitzten SHolztreppe, welche von der Halle 
emporführte, hinan: „So ftrede ich auch in diefem 
ungleiden Kampf von vornherein die Waffen! Fe- 
lice notte!“ 

Er nidte und grüßte lachend zu ihr hinauf, dann 
wandte er fich wieder zu Unna und Cagima, welche 
im Salon zurüdgeblieben waren. 

Artik hielt, anfcheinend recht zerjtreut, noch immer 
die kleine Hand des jungen Mädchens in der feinen, 
und Fräulein von Solingen blidte zu ihm auf, als 
ſähe fie auf der ganzen Welt nur nod ihn allein. 

14* 


— 212 — 


„So treffen wir ung alfo zuerft beim Frühkaffee 
hier im großen Saal!” wiederholte Unna noch einmal, 
„und dann müfjen wir unter allen Umjtänden Zeit 
finden, daß ich Sie zu meinen Eltern bringe! Und 
fomit Gott befohlen! Träumen Sie füß, Fräulein, 
Cagima, und vergejjen Sie mi nidt!” — 

Die beiden Freunde ſaßen noch allein in der 
Halle, rauchten ihre Zigarre und hatten viel Ange- 
nehme3 und Wichtiges zu flüftern. 

Plötzlich öffnete fi} die äußere Türe. 

Eine große, ſehr forpulente Tame in koſtbarem 
Pelzmantel rauſchte herein, ihr folgte ein kleines, 
recht zierliches Töchterlein, Weiß in Weiß gefleidet, 
wie ed da3 Theaterfoyer für elegante Badfijche, die 
im Auto heimfahren, als fchid verlangt. — 

Der Papa folgte zwei Pferdelängen fpäter und 
wühlte grade noch das Portemonnaie, aus welchem 
er anfcheinend den Chauffeur bezahlt, recht umftänd- 
lich und geplagt in die Taſche unter dem diden Nerz- 
paletot zurüd. 

Haltern jchnellte aus feinem Seſſel empor und 
warf einen haftigen Blid nad) dem Zimmermädchen, 
welches du jour hatte und die heimkehrenden Herr- 
schaften erwartete. 


Sie madte ihm ein faum merkliches Zeichen mit 
dem Kopf, wie er es zuvor mit ihr verabredet Hatte, 


— 213 — 


und der junge Offizier eilte durch die Halle, um in 
dem nächiten Augenblid die Treppe in demſelben Mo— 
ment wie die beiden fremden Damen zu erreichen. 

Es war jelbitveritändlich, daß er höflich zurüd- 
trat, um ihnen den Bortritt zu laffen, und während 
er jtand und wartete, war e3 wiederum nicht auf- 
fällig, daß er die Vorüberfchreitenden mit dezentem 
Blick muſterte. — 

Aber was war das? 

Sein erſt ſo lebhaft gerötetes Geſicht, welches 
ſtolz und ſiegesfreudig lächelte wie ein Triumphator, 
ward plötzlich ſehr lang und ſtarr, und die Augen 
rundeten ſich in jähem Staunen und der Mund unter 
dem blonden Bürſtenbärtchen öffnete ſich, als wolle 
ihm ein ſehr draſtiſches Wort entſchlüpfen. 

Aber es blieb ungeſprochen, und nur der Kopf 
drehte ſich mechaniſch wie eine Sonnenblume nach 
dem ſcheidenden Helios, als er ſtumm und auf das 
äußerſte betroffen dem Weiß in Weiß ſchimmernden 
Backfiſch folgte. 

Die ſollte Dolly Spaureck fein? Undenkbar! 
Dieſes ſemmelblonde, eckige, ſchmalbrüſtige Kind mit 
den ſentimentalen waſſerblauen Äuglein, welche weder 
von dunklen Wimpern noch Brauen gehoben wurden, 
ſondern namenlos nüchtern und ſtkrofulös in eine 
total unverftandene Welt blinzelten ? 

Dies follte Dolly Spaured, feine fapriziöfe, glut- 
äugige Coeurdame aus Nizza jein? Die, welche ihn 


— 214 — 


halb toll gemacht hatte mit ihrem temperamentvollen 
Kofettieren? Lie, welche e3 ihm derart angetan. 
hatte, daß er ernftlich beichloß, auf ihr Erblühen und 
Reifen zu warten, um ihr Herz und Hand und gol- 
dene Burjchenfreiheit zu Füßen zu legen? 

Dieſes bleichfüchtige, furchtbar langweilig artige 
Heine Mädchen ſollte Dolly, der Traum ſeiner ſehn⸗ 
fuchtsvollen Tage und Nächte fein? 

Der feine, äußerft vornehme Hauch von White 
rose, welcher die Damen umtmeht hatte, verlor fich 
in dem Bigarettenrauch, welcher au3 der Halle herauf- 
fräufelte; Mutter und Tochter entjchivanden, und 
der kurzatmige Papa folgte ihnen puftend in ange- 
mejjener Entfernung, nachdem er im Vorüberfchreiten 
noch Schnell einem jungen öſterreichiſchen Baron 
Biltor, einem fchlanfen, ſehr vornehm ausjehenden 
- Ravalleriften mit Monofel und Zigarette, die Hand 
gefchüttelt hatte. — 

Haltern jah aud ihm mie ein Mondfüchtiger 
nad, — dann kam plötzlich wieder Leben in feine 
veriteinerten Glieder. 

Er ftürmte zu dem HBimmermädchen, welches 
feinen Bla auf dem Stuhl neben dem Telephon 
wieder eingenommen hatte. — 

„Marie ... wer waren diefe Damen?!” — 

„Frau Baronin von Spaured nebſt Baronefje 
Dolly, welche der gnädige Herr doch hier erwarten 
wollte!” ftotterte Die Gefragte erjchredt. 


— 215 — 


„Unmöglih! Undentbar! Das war nicht Fräu— 
lein Dolly!! — Kennen Sie die junge Dame genau?“ 

„Uber ganz genau, gnädiger Herr! Seit ſechs 
Wochen wohnen ja die Herrichaften jchon hier in 
der Penſion!“ | | 

Einen Augenblid ftarrte Haltern fie Topfjchüttelnd 
an, — dann ſtrich er langjam über die Stirn und 
wandte ſich zum Gehen. 

„ta, dann müſſen diefe Spaured3 total andere 
Spaured3 fein, al3 wie diejenigen, welche ich meine! 
Wenn wir heute den erften April hätten, würde ich 
an einen Scherz glauben, der mid) zum Narren madıt, 
aber außer der Zeit maufert fich eine ſchwarzäugige 
Tame doch in feine Blondine mit blauen Guckerln! 
— Dank ſchön, Marie, gute Naht! — Schrumm!!” — 


— — — — — — — — — — — — — — — — 


Gute Nacht! — Das hatte man allgemein auch 
der Mämä gemwünfcht, als fie, halbtot vor Müdig— 
feit und ausgeftandenen Fegfeuerqualen, all ihre zahl⸗ 
ofen Häute und Bellen abgeftreift, in ihren winzigen 
Kämmerlein zum Schlummer niederfant. — 

Nachdem Cagima mit glüdverflärtem Lächeln 
aus dem Salon zurüdgefehrt war und das Fenfter in 
ihrem Zimmer gefchloffen, hatte der Ofen feine Rolle 
al3 glühender Moloch ausgefpielt; — nur eine ange 
nehme Wärme blieb von der Hibe zurüd, und das 
junge Mädchen trat ganz leife an die Türe, um ſich 


— 216 — 


zu vergewiſſern, daß die Hofmarjchallin feine Befehle 
mehr für fie hatte. — 

Alles war ftill, nur die tiefen, raſſelnden Atem- 
züge gaben Funde, daß Frau Joſefa in das Land der 
Träume entrüdt war. 

Borfichtig zog ſich Fräulein von Solingen von 
der feitgefchloffenen Türe zurüd und lächelte gar 
bald in füßem Schlaf, dieweil Ole Bull, der Heine 
Traumgott, welchen fie ehemals in ihrem Märchen- 
buch fo jehr geliebt, fein jchönftes, rojenrotes Schirm- 
chen hervorholte, es über der holden Schläferin auf- 
zufpannen. Da zogen gar wunderholde Bilder an ihr 
vorüber, Myrten blühten und Kirchengloden fangen 
ein frommes Lied von der Liebe, welche nimmer auf- 
hört! 

Das graue, falte Haus in Lobenbach mit feinen 
Sahren voll Einjamfeit und Herzeleid verjanf, ein 
Purpurmantel von Sonnengold dedte e3 zu, und die 
Tornen, welche ein armes Königskind im Bannkreis 
der Here gefangen gehalten, waren urplötzlich beſät 
bon roten Rofen! Die wuchſen höher und Höher 
empor, zu einem zauberifchen Tor, durch welches 
zwei liebende Menjchenfinder Hand in Hand La 
graden Weges in den Himmel hinein. — 

Frau Sofefa hatte feine derart holden Traum- 
bilder gefchaut. 

Sie jchlief wie tot, und als fie nad) etlicher Beit 


— 217 — 


erwachte, weil brennender Durft fie quälte, war alles 
noch ebenfo dunkel und fotenftill, als wie fie fich 
niedergelegt hatte. 

Da3 war gut, denn fie fühlte eine bleierne Müdig- 
feit in den Gliedern und freute fich, noch geraume 
Beit des Schlafes vor ſich zu Haben. Sie hatte ſich die 
Wafjerflafche nebſt Glas an das Bett geitellt, trank 
in gierigen Zügen und drehte ſich auf die andere 
Seite, um weiterzufchlafen. 

Und ſie ſchlief, fchlief abermal3 tief und feit, 
bis fie über ihr eigenes Schnarchen aufwachte. Noch 
immer war e3 dunkel und ftill wie im Grab. — 

Seltfam! Daheim jchläft fie meiſtens durch, bi 
der Morgen graut; — es mag wohl an der ent- 
feßlichen Hite liegen, welche fie während der Reife ge- 
quält und fo matt gemacht, daß fie nun fo unruhig 
liegt und öfters aufwacht. Mean jieht e8 ja an dem un- 
natürlichen Durft, wie furdtbar fie im feurigen Ofen 
geſchmachtet. 

Es iſt gut, daß ſie für ſolche Gelegenheiten über 
ein harmloſes Schlafmittel verfügt, noch iſt es wohl 
nicht nötig, es einzunehmen, denn die Müdigkeit 
garantiert, daß ſie bald wieder einſchläft. | 

Die Mämä trant abermald3 Waſſer und jchlief 
in der Tat fofort weiter. 

Uber ihrer Meinung nad) nicht allzu lange. Bon 
neuem wälzte fie jich von einer Seite auf die —— 
und öffnete die Augen. 


— 218 — 


Smmer noch ftoddunfle Nacht! — 

Es muß auf jeden Fall noch fehr früh fein, 
denn die Großitadt pflegt zeitig zu erwachen und 
mit ihrem Straßenlärm einzujegen. Man hört weder 
ihn noch im Haufe das mindefte Geräufch, nur ganz 
fern ein Klopfen und gedämpftes Poltern. — 

Die Hofmarfchallin ermannt fi und ftedt Licht 
an, um nach der Uhr zu fehn. 

ft es menſchenmöglich! Erjt zwölf Uhr! Da 
gehen die andern Refidenzler faum ins Bett, und 
das Poltern, welches fie Hört, find entfchieden die 
Tenfterläden, welche von denen gejchlojjen werden, 
welche jett erft aus Theater und Konzert heim- 
fehren und noch in einem Reitaurant foupiert haben! 

Soupiert haben! — 

Bei diefem Gedanken fühlt Frau von Solingen 
plöglich ein fehr unangenehmes Gefühl großer Leere 
im Magen. Sa, fie empfindet plötzlich einen der- 
artig intenfiven Hunger, daß fie jich aufrichtet und 
nach ihrer kleinen Handtafche mit dem Reifeproviant 
greift. Welch ein Segen, daß ſie Cagima während 
der Fahrt fo Inapp hielt, dafür kann fie jetzt noch ein 
Schmalzbrötchen und drei Stüdchen BZuder, ſowie 
einen Zwieback ejjen! 

Da3 Fläfchchen mit dem Ungarwein Tiegt fo 
verlodend daneben, — ein Gläschen fchadet ficher 
nichts, — fie wird vorjichtähalber ihr Schlafmittel 
nehmen, welches, beizeiten genoffen, nicht fo lang 


— 219 — 


andauernd wie ſonſt wirft, aber doch ficher ein 
Weiterfchlafen garantiert, — fie ift ja glüdlicher- 
weiſe nicht aufgeregt, jondern immer noch angenehm 
müde! 

Die Hofmarichallin ißt und trinkt und trinkt 
und ißt, — löſcht das Licht aus und liegt nur noch 
eine furze Zeit wach im Bett, um alddann wiederum 
in tiefen Schlaf zu finfen. — Als fie abermals er- 
wacht, nimmt fie da3 Schlafmittel. — 

Es ift dunfel und ftill, nicht3 ftört ihre Ruhe. 


Währenddejjen war auch Cagima erwacht. Durd) 
die lichten Gardinen glänzte der Widerfchein der 
Haren Winterfonne, und ganz erjchroden erhob fich 
da junge Mädchen, angjtvoll nach dem Neben- 
kämmerchen laufchend, ob nicht die Scharfe Stimme 
der Tante die Langjchläferin fchilt. 

Gottlob! Sie fcheint noch zu jchlafen, alles iſt 
ſtill. 

Ganz behutſam und ängſtlich jedes Geräuſch ver— 
meidend, kleidet ſich Cagima an. 

Sicherlich hat die arme Tante nach den großen 
Anſtrengungen der Fahrt ſehr ſchlecht geſchlafen und 
holt das Verſäumte nun nach, — um alles in der 
Welt darf ſie da nicht geſtört werden, ſonſt wird 
die Laune unerträglich! 

Unſchlüſſig, was ſie beginnen ſoll, ſitzt ſie und 


— 20 — 


wartet geduldig, daß die Hofmarfchallin ermachen 
möge. — 

Ta Eopft es leife an die Türe. 

Cagima öffnet ſehr vorfichtig und lugt hinaus. 

Bor ihr fteht Eilli und weiſt auf einen Herrn, 
welcher etwas entfernter Hinter ihr im Heinen Saal 
ſteht. 

Artik! — 

„Der Herr Doktor möchte Baroneſſe für einen 
Augenblick ſprechen!“ flüſtert der dienſtbare Geiſt. 

Mit erglühenden Wangen und ſtrahlendem Blick 
tritt Fräulein von Solingen in den Saal und Unna 
eilt ihr entgegen, fie zu begrüßen. 

„Ro bleiben Sie, Fräulein Cagima? Es ift 
die höchſte Zeit, daß wir Kaffee trinken! Hoheit 
und Gräfin Wachienjtein find längft über alle Berge, 
Haltern befucht einen Freund, und meine Eltern er- 
warten Sie fo bald als möglich!” 

Cagima erihridt. „Sit es jchon fo ſpät? Ich 
aß und wartete, daß Tante erwachen jolle —“ 

„Barum das! Waren Sie ihr in Lobenbach beim 
Ankleiden behilflich?“ 

„Nein, das nit — 

„se nun, bier hat e Klingeln und jederzeit 
Bedienung! Ich befehle Ihnen jetzt als Arzt, daß 
Sie etwas genießen!“ Er lacht ſie ſchalkhaft an, 
voll ſiegesfreudiger Energie nimmt er ihren Arm 
und führt ſie nach dem Speiſeſaal. „Das ſtrenge 


Negiment der Frau Baronin hat lange genug ge- 
Dauert!” fagt er mit wunderlichem Blid. „Es wird 
jest die höchfle Zeit, jich zu emanzipieren!” 

Sie fiten zufammen und trinten Kaffee, jie 
lachen und plaudern die eigene Berlegenheit hin— 
weg, und freuen fich einer ſehr heitern Gejellichaft, 
welche fi unweit von ihnen an der langen Tafel 
zuſammenfindet. 

Eine auffallend ſchöne, junge Frau, welche Frau 
Hala genannt wird, ſcheint geſtern abend in ihrem 
Salon eine ſehr luſtige Geſellſchaft verſammelt zu 
haben, um ein Theaterſpiel zu projektieren. 

Sie hört ihrem Nachbar, dem Grafen Roger, 
welcher im griechiſchen Gewand den Prolog ſprechen 
ſoll, ein paar humoriſtiſche Verſe ab, welche Major 
von Melgunoff meiſterlich gedichtet. 

Die dunklen Glutaugen des jungen Polen blitzen 
in Laune und Übermut, er ſcheint ein ſehr ver— 
wöhnter Liebling der Damen, denn man verſichert 
ihm, daß er als Grieche geradezu bezaubernd aus— 
ſchaue und fraglo3 viele Herzen knicken werde! 


Sein Freund Guido erzählt mährenddeflen einer 
blonden, Heinen Baroneffe, daß er fürert noch feinen 
Wert auf Eroberungen lege, feine einzige Paſſion 
fei ein junger Elefant, um fpazierenzureiten, und 
ehe er nicht Befiter ſolch eines königlichen Trabers fei, 
könne er einer Herzenskönigin feinen angemeſſen feier- 


— 22 — 


lichen Einzug auf ſeiner Herrſchaft in der Lüneburger 
Heide garantieren! 

— „Die Gäſte der Penſion Melgunoff ſcheinen 
ſich hier im Hauſe herrlich zu amüſieren!“ flüſtert 
Cagima zu Artik auf. „Sie tanzen viel, ſpielen 
Theater und ſtellen lebende Bilder!“ — 

Der junge Arzt nickt mit heiterm Lächeln. 

„Man hört wenigſtens allgemein nur in Worten 
größter Anerkennung von der Penſion ſprechen, und 
auch meine Eltern ſind höchſten Lobes voll! Wenn 
mich nicht die Pflicht ſo bald ſchon wieder heimriefe, 
würde ich vorſchlagen, wir bauen hier Hütten und 
amüſieren uns mit. — Würde es Ihnen Freude 
machen, zu bleiben und zu tanzen?“ — 

Welch ein angſtvoll forſchender Blick plötzlich! 
Und welch ein Aufleuchten der Augen, als das junge 
Mädchen voll reizender Naivität das Köpfchen ſchüttelt 
und überraſcht frägt: „Ohne Sie? — Was ſoll ich 
allein beim Tanz?!“ 

Er möchte laut aufjauchzen vor Entzücken. 

Da Cagima ihre Taſſe ausgetrunken, erhebt er 
ſich faſt ungeſtüm. 

„Laſſen Sie uns zu en Eltern Br — 

„Aber die Tante? . 

„Wir beauftragen Cilli, Sie ſofort zu benach— 
richtigen, wenn die Geſtrenge ſchellt!“ 

Cagima ſah ſehr ängſtlich aus. 


— 228 — 


„Ich möchte wenigſtens noch einmal ſehen, ob 
ſie erwacht iſt!“ bat ſie. 

Er neigte ſich mit ſchnellem Kopfſchütteln näher. 

„Warum eine Gefahr heraufbeſchwören! Iſt es 
nicht ein ganz außergewöhnlich glücklicher Zufall, daß 
ich Sie heute endlich einmal allein ſehn und ſprechen 
kann? — Wie lange erſehne ich bereits dieſe Stunde! 
Sie wiſſen, daß Ihre Tante Sie abſichtlich fernhält 
und auch hier jedes ungeſtörte Ausſprechen ver— 
hindern wird! Wagen Sie ſich jetzt in die Höhle 
der Löwin, ſo führen, gleichwie in der Fabel, Ihre 
Fußſpuren wohl hinein, aber nicht wieder heraus! 
— Alſo bitte ich Sie nochmals, laſſen Sie uns den 
Augenblick dieſer ſeltenen Freiheit benutzen! Meine 
Eltern warten auf uns!“ 

Das junge Mädchen blickte in ſeine Augen, und 
heiße Glut ſtieg in die Wangen empor, auch ſie 
empfand es inſtinktiv, daß ein liebevolles Gottes— 
walten ihr dieſe erſte und vielleicht einzige freie Stunde 
ſchenkte, um in ihr ſo glücklich zu ſein, wie ſie lange 
Jahre zuvor zu Tode betrübt geweſen. 

Sie nickt ihm zu wie ein Kind, welches voll 
ſeligen Vertrauens eine Hand ergreift, die es zu 
blumigen Wieſen führen will. 

Geheimrätin Unna ſchien Fräulein von Solingen 
nicht nur erwartet, ſondern ſie ſogar voll größten 
und herzlichſten Intereſſes erſehnt zu haben. 

Sie trat Cagima mit offenen Armen entgegen 


— 224 — 


und ſah ihr einen Moment tief und forſchend, wie nur 
eine Mutter, welche das Glück für ihren Sohn ſucht, 
blicken kann, — in die ſchönen, klaren Kinderaugen. 

Das junge Mädchen neigte ſich, die Hand Ihrer 
Exzellenz zu küſſen, Artiks Mutter aber zog ſie voll 
jähen Empfindens an die Bruſt und drückte die Lippen 
auf die roſigen Wangen. 

„Mein lieber Junge hat mir ſchon ſo viel von 
Ihnen geſchrieben, meine kleine Cagima, daß Sie 
mir durchaus keine Fremde mehr ſind!“ ſagte ſie 
mit warmem Klang in der Stimme und zog die 
Baroneſſe neben ſich auf das Sofa nieder. „Ich 
glaube, Ihr ganzes Weſen und Sein hat er mir voll 
photographiſcher Treue geſchildert, aber ein Bild von 
Ihrem äußern Menſchen konnte er mir nicht ſchicken, 
das konſtruierte ich mir ſelber nach dem Geſchmack 
meines Artiks, und muß nun ſehen, ob meine Bhan- 
tafie richtig gearbeitet hat!’ — Sie blidte während 
des Sprecyend unverwandt in das liebe, junge Ge- 
ficht, welches ji) ihr ohne Scheu und Berlegenheit 
fo innig zumandte, al3 habe nie eine fremde Welt 
zwifchen ihnen geftanden, als habe fie feit langer Zeit 
Ihon auf diefen Augenblid gewartet, welcher ein 
armes Waifenfind in die Arme einer Mutter führt. 

Man plauderte aud) nicht, wie es zwei Menſchen 
tun, die fi) zum erſtenmal im Leben begegnen, — 
man ſah jich einander nicht nur in da3 Antlig, 
fondern auch in die Gcele. 


— 25 — 


Artik glich feiner Schönen, eleganten Mutter, und 
Cagima mähnte, feine dunklen Augen zu fchauen, 
wenn der Blid Ihrer Erzellenz fo zärtlich auf ihr 
ruhte. 1 

Das raubte den lebten Reit von Befangenbeit, 
welcher dem fo mweltfremden jungen Mädchen das 
Herz anfänglich erzittern ließ, und als ſich die Ge- 
heimrätin nach einer Heinen Weile erhob, um ihren 
Gatten herbeizurufen, da deuchte es beiden, al3 habe 
es nie eine Yeit gegeben, wo fie einander unbelannt 
geweſen! 

Die Türe, welche nach dem Nebenzimmer führte, 
ſchloß ſich hinter Frau Unna, und Artik nahm den 
Platz der Mutter neben Cagima ein. 

Sein Antlitz leuchtete wie verklärt. 

„Cagima —“ ſagte er leiſe, „es iſt jetzt Weih— 
nachtszeit! In den Straßen duften ſchon die Tannen- 
bäume, und alle Welt rüftet ſich, einander die Liebiten 
Herzenswünfche zu erfüllen! Meine Eltern haben 
mir auch einen Wunfchzettel gefchrieben, e3 fteht nur 
ein einziges Geſchenk darauf, welches fie fich von mir 
erbitten, und denken Sie, grade dieſes zu bejchaffen, 
fteht nicht in meiner Macht allein!“ 

— Fräulein von Solingen blidte überrafcht auf. 
„Kann ich Shnen irgendwie dabei behilflich- fein, 
fo ftehe ih nur allgugern zu Dienjten! Sicherlich 
betrifft eg etwas, was ein Herr allein ſchwer aus— 
fuchen Tann?!" 


v. Eſchſtruth, Das Robeltantcdhen II. | 15 


— 226 — 


Da lachte er jauchzend auf und faßte jählings 
ihre Hände. 


‚sa, Cagima, du mußt mir dabei helfen, denn 
einzig und allein bei dir ſteht e3, ob ich den guten 
Eltern das reizende Angebinde unter den Chriſt- 
baum jtellen Tann! Weißt du, was fie fi} von mir 
wünfchen, Cagima?“ 


Nöte und Bläffe wechlelten auf dem zarten 
Zuldergejichtchen der Gefragten, und ihre Hände zit⸗ 
terten in den ſeinen. 


Da ſie nichts antwortete, fuhr Artik haſtig fort: 
„Eine Schwiegertochter ſoll es ſein, Cagima, 
ein ebenſo gutes, herziges Mädchen wie du eines 
biſt, welches meine Mutter auf den erſten Blick ſo 
liebgewonnen, wie dich! Sahſt du es nicht, wie ſie 
mir mit feuchtglänzendem Blick zunickte, als ſie ſo— 
eben ging? Da ſtand ſie wieder, ohne Worte und 
doch fo deutlich, die rührende Bitte: „Schenk' mir 
dieſes Töchterchen, welches mich auch lieb haben wird 
und welches ſchon jebt zu und gehört, wie ein Stüd 
von unferm größten Glück! Cagima ... es iſt Weih- 
nachten — willſt du mir helfen, den Wunfch der 
Eltern zu erfüllen? Willft du mir dein goldenes 
Herzchen fchenfen für alle Ewigkeit, und willſt du 
mit mir vor Vater und Mutter treten, daß ich fagen 
darf: ‚Hier bringe ich euch das Heißerfehnte! Hier 
habt ihr ein ZTöchterlein, welches euch alle Liebe 


— 887 = 


'erzeigen will, die e3 den eigenen Eltern niemals 
Schenken Tonnte, Cagima.. willſt du es?“ 

Er hielt fie im Arm und küßte die Tränen, 
welche im Übermaß des Glückes an ihren Wimpern 
zitterten, von den lieben, treuen Blauaugen. 

Sa, fie wollte e3, denn fie Hatte ihn lieb, wie 
ſich da3 arme, tiefverfteckte Veilchen mit allen Faſern 
feines Sein3 und Weſens dem leuchtenden Sonnen- 
gott zumendet, welcher e3 in Kälte und Einjamleit 
dennoch entdedte und e3 mit dem heißen Kuß der 
Liebe zu Licht und Leben rief. — \__ 

Durch die Türe Iugt das Haupt des Geheimrats 
mit dem filberglänzenden Bart und Haupthaar, und 
feine Eugen, freundlichen Augen leuchten, und er 
bebt den Finger ſchmunzelnd an die Lippen: „Bit. . 
wart’ noch, Mutterchen ... . wir wollen jie noch nicht 
ftören! ...“ 

Da ſchlingt Frau Unna die Arme um den Hals 
des geliebten Gatten und flüftert glüdjtrahlend: 
„Run gebe Gott nur eins, Väterchen, — daß die 
beiden ebenfo glüdlich werden wie wir!” 

Er nidt und füßt feine Gattin noch ebenjo zärt- 
lich und ftürmifch, wie ehemals al3 junger Student, 
da er die Geliebte zum erjtenmal im Arm Hielt, 
wie jebt fein Bub nebenan fein blondes Lieb! 

Ver kann den Becher des Glücks allſogleich 
an die Lippen ſetzen und in vollen Zügen trinken, 
dem iſt es beſſer beſchieden, als ehemals den Eltern, 

15* 


— 2283 — 


die lange, lange Jahre hindurch harren und in Treue 
warten mußten, bi3 der unbemittelte Student ein 
beliebter Arzt geworden, der Weib und Kind ernähren 
fonnte. 

Die Schidjale jo verjchieden, — die Liebe jo 
gleich! Wo immer fie mit goldenem Finger an- 
Hopft, da bleibt fie Siegerin, ob lächelnd oder unter 
Tränen, ob früh oder fpät, — wenn fie echt und 
wahr ijt, jo Frönt fie die Shren mit blühender Myrte 
und flüftert ihnen wie mit Engelözungen zu: Ich 
höre nimmer auf! — 


20. Kapitel. 

and Haltern jaß allein und tiefjinnig in der 

Halle und neigte fein Haupt grübelnd zur Bruft. 

Er Hatte fchledht geichlafen. | 

Das Mirakulum, wie aus einem brünetten, ko— 
fetten, bezaubernd anmutigen und mwißigen Sprüh- 
teufelchen in Jahresfriſt ein jemmelblondes, blaſſes, 
nüchterned, anjcheinend furchtbar langweiliges, hell- 
blauäugiges „Etwas“ werden kann, das zermarterte 
ihm das Hirn und brachte ihn total aus dem fonft jo 
jihern Gleichgewicht. 

Die Herren und Damen, welche in der Feniter- 
nifche neben ihm jaßen, hätten ihn unter normalen 
Umftänden wohl recht interejjiert und amüfiert, denn 
fie waren ſehr heiter und würzten ihre Frühſtücks— 
zigarette mit den beiten Scherzen! 


— 229 — 


Eine ſchlanke, blonde Leutnantzfrau, welche auf 
den Namen „Eva“ hörte, wurde befonders viel geneckt, 
und ein junger, bildhübjcher däniſcher Marineoffizier 
entwidelte ihr joeben mit viel Humor die Entftehung 
de3 Worte madame. Dieſes hänge mit ihrem Vor- 
namen Eva fehr eng zufammen, denn e3 ftamme von 
feiner Geringeren, al3 Adams holder Gattin und fei 
eine Kompofition der Wörter: ‚Mutter Adam“, — ver- 
einfadht: M-adam! 

— — Benn man in fröhlicher Stimmung ift, 
lacht man über alles, und als der Leutnant Friedrich- 
Dtto al3 Fortſetzung feiner Rede übermütig fang: 

„Ad, wie füß, ach, wie füß, 
War es doch im Paradies, 
Wenn Frau Eva Wäſche hatt’, 
Wuſch fie nur ihr Feigenblatt!” 

Da lachte felbjt der zeritreute und tiefjinnige 
Hana Haltern mit! 

Er hörte noch etwas zeritreut mit an, wie Die 
Iuftige Frau Leutnant ihren möchentlichen Wäfche- 
zettel al3 moderne Eva voll Wib und Laune ver- 
teidigte, dann aber verſank er wieder in dumpfes 
Brüten, denn Gräfin Wachſenſtein war ihm heute 
morgen ganz erſichtlich aus dem Wege gegangen, 
und al3 er anfragen ließ, ob er ihr noch vor Tiſch 
feine Aufwartung maden dürfe, da hatte fie bitten 
lafjen, den Befuch noch etwas zu verjchieben, weil jie 
Hoheit zur Verfügung ftehen müſſe. Aus Zufall 


— 30 — 


hatte er aber erfahren, daß Baronin Spaureck nebſt 
Dolly die Hofdame Heute morgen ſchon voll lebhaf⸗ 
teſter Freude begrüßt hatte, und dieſe Tatſache ga— 
rantierte, daß nur Margit allein des Rätſels Löſung 
für den jo ſtark changierten Backfiſch geben konnte. — 

Was ſollte er tun, um klar zu ſehn? 

Sn einer Beziehung atmete er wahrhaft auf 
unter der Gewißheit, daß er nicht die Wahl und 
Dual wie Herkules am Scheideweg zu erdulden hatte, 
um ſich über feine Zufünftige Har zu fein! Dia 
Kopie Margit Hatte in feinem Herzen längſt über 
da3 Original Dolly gejiegt, aber es beunruhigte ihn, 
daß diejes Original überhaupt nicht eriftierte, und 
alle möglichen und unmöglichen romantifchen Ideen 
ſchwirrten ihm ſchon durch den Sinn, wie und wo 
die Toppelgängerin zu fuchen jei! 

Der dänische Leutnant hatte währenddeſſen fein 
jilberne3 Bigarettenetui, auf dejfen Dedel die Namen 
„jeiner Lieben’ ebenfo tief eingraviert waren, wie in 
fein Herz, fallen lafjen, und als er ſich büdte, eg auf 
zuheben und unerwartet fchnell wieder mit dem Kopf 
emportauchte, ftieß er unfanft an Frau Evas de- 
folletierten Ellbogen, was ihn veranlaßte, Tläglich 
den Refrain des Walgerliedes zu intonieren: „Weibi, 
Weibi, fei Doch nicht jo Hart!!!’ — 

Schallendes Gelächter. — 

Auch Haltern lächelte, aber nur zeritreut. Er 
hörte auch nur noch mit halbem Ohr, daß der junge 


— 21 — 


Engländer Sutherland, der künftige Caruſo, heute 
abend Wagner, Aida und Toska fingen wolle, um 
wenigſtens Frau Evas Herz zu erweichen ... 

Was fragte er an dieſem ſorgenſchweren Morgen 
nach fremden Herzen! Da war nur noch eines, 
welches ihn ſeiner Beſchaffenheit nach brennend in— 
terejjierte, und um deſſen Weichheit zu erforjchen, 
wollte er jet einen energifchen Schritt tun. 

Er erhob fi, — fragte in, dem Kontor nad) dem 
nächſten Blumenladen, bewaffnete fich mit dem ſchönſten 
Strauß von Tuberofen und Orchideen und holte jich 
alsdann den Kammerdiener der Prinzeffin heran, 
demjelben Far zu machen, baß er unter allen Um-» 
ftänden eine Audienz bei Hoheit nachjuche. 

Der Händedrud wirkte; Herr Jochimi war über- 
zeugt, daß Hoheit empfangen werde, und tatfächlich 
öffnete fi) auch ſchon nach kürzeſter Zeit die Salon- 
türe, und der Dragoner ward erfucht, einzutreten. 

Prinzeſſin Hortenjia ſaß vor einer Skizzenmappe, 
welche die Malerin Blaͤhy gefandt, und aus deren 
intereffanter Fülle die hohe Frau fich ein Bild aus⸗ 
fuchte, welche3 fie in größerer Ausführung anfaufen 
wollte. 

Sie begrüßte den jungen Offizier mit der ihr 
eigenen, jo herzgewinnend fchlichten Freundlichkeit 
und fagte, nachdem jie für die herrlichen Blumen 
aufs wärmſte gedankt: „Sie kommen mir grade recht! 
Helfen Sie wählen! Fräulein Blähy iſt eine derart 


— 232 — 


geniale Künſtlerin, daß eine ihrer Schöpfungen immer 
feſſelnder iſt als die andere! — Ich ſah heute auch 
Bilder von einer jungen Rumänin Vladojano, welche 
in ihrer zarten, lieblichen Eigenart gradezu entzückend 
ſind! Ich freue mich, daß der Aufenthalt in München 
dazu beiträgt, meine Gemäldeſammlung in hervor— 
ragender Weife zu bereichern. Sahen Sie das Porträt 
des reizenden Töchterchend von Major von Mel- 
gunoff, welches in dem Salon drunten hängt? Das— 
jelbe Hat e3 mir derart angetan, daß ich mir eine 
Kopie dieſes fo meifterlich gemalten Gefichtcheng 
bereit3 beftellte! — Aber was haben Sie? — Sie 
jehen verändert aus? Sch Tann nicht behaupten: 
Bon des Gedankens Bläſſe angefräntelt, wohl aber 
bon einem Gedanken ſelbſt, welcher Sie zu erregen 
ſcheint ?“ | 
Ein feines Lächeln zuckte um die Lippen der 
Sprecherin, und ihr Blick ruhte ſo heiter forſchend 
auf dem friſchen Angeſicht ihres Gegenübers, daß 
Haltern voll innigſter Genugtuung überzeugt war, ſich 
an die rechte Quelle gewandt und durch gute Mimik 
gewirkt zu haben. 

Mit dem ihm eigenen treuherzigen Humor legte 
er beide Hände auf die Bruſt und ſeufzte tief auf. 
„Ja, Hoheit, die Gedankenfreiheit hat mich momentan 
in umgekehrter Weltordnung nicht zum Herrn der 
Situation, ſondern zu ihrem Sklaven gemacht! Da 
kann nur eine weiſe Königin von Saba kommen, 


— 233 — 


welche die Feſſeln löſt, und die Schleier, welche meine 
Augen deden, mit fouveräner Hand zerreißt!“ — 

„Und dieſe jagenhafte Majejtät joll ich ver- 
Törpern ?“ 

Die Prinzefjin lachte, und Haltern verneigte ich 
fehr tief. „Sie ſoll nicht erſt verkörpert werden, 
fie ift e3 bereits!“ 

„Dante für das Kompliment. Gehen wir jchnur- 
ftrad3 zur erjten Leſung über und tragen Sie mir 
den Fall vor!” — 

Der Dragoner lächelte verfchmitt. „Da meiner 
Ansicht nach Vorfpiegelung faljcher Tatſachen vor- 
liegt, entbehrt er nicht den Sti in das Krimina— 
liſtiſche, — ich glaube, Hoheit, wir können nad) Auf- 
nahme de3 Protofoll3 gegen eine der beiden Doppel- 
gängerinnen die Anklage erheben!” — Und dann er- 
zählte er in launigiter Weife von feinem fo aller- 
liebjten Abenteuer in Nizza, welches ihn ein ganzes 
Jahr in die Feſſeln reeller HeiratZabfichten geſchlagen! 
— Die Begegnung mit Gräfin Wachfenftein, diefem 
ſchier unheimlich ähnlichen Ebenbild feiner Dolly, 
ließ zum erjtenmal die Treue ind Wanken geraten. 
Er befand ſich in derjelben Situation wie der Grau— 
himmel zwijchen zwei Gebunden Heu, — natürlich 
sans comparaison!!” — 

Die hohe Frau lachte ſehr amitfiert. 

„Der Fall Liegt äußerft verwidelt!! Namentlich 
wirken die Kenntnifje der Gräfin, was Ihren Renn- 


— DI: 


tal und ihre Eigenarten anbelangt, jehr verblüffend. 
Ta iſt e8 nur natürlich, wenn Ihre Seele, — oder 
darf ich fagen ‚Shr Herz’, in diefer dunflen An- 
gelegenheit nad mehr Licht fchreit! Was würden 
Sie jagen, wenn die Pjeudofönigin von Saba wirklich 
jo ‚bannig Hauf! wäre — um mit Onkel Bräfig zu 
fpreden — und dem Herkules ein Fädchen in die 
Hand fpielte, mit dejjen Hilfe er fich in diefem Laby- 
rinth von Rätſeln zurechtfände?!“ 

— Hana Haltern ſah geradezu anbetend zu der 
Sprecherin empor. „Sch würde nichts jagen, Hoheit, 
jondern ebenjo überwältigt verjtummen, wie der hohe 
Nat der Männer, als die jchöne Helena eintrat und 
jede Auge blendete!” 

„a8 haben Sie wieder recht talentvoll und 
ſchmeichelhaft gebrüllt, Sie junger Löwe!!“ jcherzte 
die Prinzeſſin jehr angeregt. „Warten Sie einen 
Augenblid und halten Sie den Daumen, daß Margit 
ihren Handfoffer nicht verfchlojfen hat! — Was ich 
jest tun will, ift im höchſten Grade unforreft und 
wird jeden diskret denfenden Menſchen vor mir ſchau⸗ 
dern laſſen, — vielleicht mache ich mich direkt jtraf- 
bar! Uber als Königin von Saba ftehe ich über 
dem Geſetz, und Amor ijt mein Anwalt, — Gie 
wiſſen, daß der Kleine Gefell in leichtfertigfter Weiſe 
dem Grundfab Huldigt: Der Zweck heiligt die 
Mittel!” 

Die Sprecherin hatte fich erhoben, jie nidte dem 


— 23 — 


jungen Offizier mit humorvoll zwinkerndem Blick 
zu und verſchwand in dem Nebenzimmer. 

Nach kurzer Zeit kehrte ſie zurück. 

Sie hielt ein elegantes, in rotes 
gebundenes Buch in der Hand und blätterte ſuchend 
in demſelben. 

Dann ſchlug ſie es auf, legte ein Zeichen zwiſchen 
die Seiten, blätterte weiter und ſchob zum zweitenmal 
einen Papierſtreifen als Merkmal hinein. 

„So, mein armer, junger Pfandfinder! Hier 
iſt der Weg, welcher aus der Komödie der Irrungen 
führt, gefunden! — Nun geben Sie mir Ihr Wort, 
daß Sie als disfreter Menfch nur die Seiten lefen 
werden, welche ich Ihnen durch einliegende Leichen 
fenntlich) gemacht habe! Ich glaube allerdingd mit 
einiger Gemißheit annehmen zu können, daß noch 
einmal eine Zeit kommt, wo Ahnen dieje® Buch 
durch gar fein Siegel mehr verjchlofjen fein wird, 
aber bi3 dahin muß ich meine Schuldigkeit tun, und 
es wenigſtens teilweiſe noch unter meinen Schutz 
ſtellen!“ — 

Haltern war aufgeſprungen und Bette haſtig nach 
dem Dargebotenen gegriffen, die Prinzeſſin aber hob 
lächelnd die Hand und fagte: „Nicht durch die Lappen 
gehn. mit diefer foftbaren Beute! Seben Sie ji 
hübfch artig hier in den Seſſel und Iejen Sie! Ich 
habe derweil mit Baron Eyben unſre Vispofitionen 
für den morgenden Tag zu treffen und erwarte 


— 236 — 


Cie nachher in dem Nebenzimmer! Alſo auf Wieder- 
jehn und... . viel Vergnügen!!“ 
Wie ſchalkhaft fie ausfehn konnte! 

Haltern ward blutrot vor Freude, Neugierde 
und Aufregung, — er dienerte ein paarmal in ſeiner 
eleganten Weiſe, dann — als er allein war — warf 
er einen erſten ſchnellen Blick auf die Titelſeite des 
Buches. — Er las: 

„Aufzeichnungen aus meinem Reiſeleben, von 
Margit, Gräfin Wachſenſtein.“ 

Ein tiefes Aufatmen hob ſeine Bruſt! Er hatte 
recht vermutet, — Margits Tagebuch. 

Langſam ließ er ſich in den Seſſel niederſinken 
und ſchlug die Seite auf, welche Ihre Hoheit als 
erſte angemerkt hatte. 

Da ſtand mit den ſchönſten, charaktervollſten 
Schriftzügen zu leſen: 

„Es war zum erſtenmal, daß ich meiner teuren, 
mir bis Bozen vorausgeeilten, Gebieterin allein von 
Berlin aus in dem Nord-Süd-Expreß folgen mußte. 
— Noch dazu des Nachts; das lag mir etwas in 
den Gliedern, denn ich dachte trotz der durchgehenden 
Wagen an alle Eiſenbahnräubergeſchichten, welche mir 
je zu Gehör gekommen waren. Das Coupé erſter 
Klaffe ſchien mir ſicherer als ein Schlafmagen, und 
jo faß ih, in einen diden, unförmigen Pelzmantel 
gehällt, den Kopf mit Kapuze und Schleier fo ehr- 
würdig wie möglich ummidelt, in der Ede meines 


— 237 — 


Abteils und harrte der Abfahrt von dem Berliner 
Bahnhof. 

Ich ſaß zunächſt der Türe und war noch allein 
im Coupe. 

Da höre ich fehr lautes, weinſeliges Lachen und 
Schwaben. 

Ein Dienjtmann tritt ein und ftellt einen Fleinen 
Handkoffer auf den Sit mir gegenüber. ‚Hier ift noch 
Platz, meine Herren! Faft ganz unbejettes Coupe!‘ 
meldet er zurüd und verjchwindet wieder. — 

Mein Blid fällt auf die Taſche, — ängitlich und 
prüfend. Uber fie hat etwas Bertrauenerwedendes. 
Die Buchſtaben H. H. unter fiebenpunftiger Krone 
glänzen mir entgegen. 

Indem nahen die Mitreiſenden, — drei Ka— 
vallerieoffiziere in Uniform und ein vierter Herr in 
ſehr ſchickem Reiſezivil. 

Sie begleiten dieſen letzteren zur Bahn und 
kommen von einer ſehr feuchtfröhlichen Abſchieds— 
feier, das geht aus dem Geſpräch hervor. 

‚So, — alſo hier herein, Hänschen!“ ruft der 
eine, ‚Blaß haſt du ja!‘ 

Der blonde Ziviliſt Schaut mit mweingerötetem 
Geficht zu mir herüber. Er bleibt in der Türe ftehn. 
‚Ehe ich e3 vergefje, Schönhaufen, — wenn du morgen 
meine ‚Luftige Witwe’ reitet, gieß’ Leim in den 
Sattel! Die Tapriziöfe Dame dentt gern an Karls— 
horiter Hürdenfprünge! — ſchrammt gern... na, — 


— 235 — 


depefchiert mir, Kinder, wenn er zum erjtenmal den 
Sand küßte!! — 

— ‚Bitte, zur Seite treten, meine Herren! Ge— 
päck!!“ Schallt die Stimme eined Dienftmann?. 

‚sit das auch eine Iuftige, Feine Witwe da in 
der Ede, mit der du zuſammen losgondeln wirft?’ 
flüftert einer der Herren und betrachtet mid) fehr un— 
geniert um die Tür herum. 

‚Ss wo! Ganz alte Shadhtel! fchüttelt der 
Bivilift fehr wegmwerfend den Kopf. ‚Gott fol mich 
vor dem töte-A-töte bewahren!‘ Er ſprach leife, aber 
ich veritand zu meinem größten Amüfement Wort 
für Wort. — 

‚sn dem Coupe ſaß ihm zur Seit! — 

Im blauen Kleid 'ne feſche Maid!‘ 
fang ein Ulan ebenfo faljch wie gefühlvoll au3 dem 
‚Heinen 2eutnant‘ und fügte in Profa Hinzu: ‚Na, 
Da zieh doch um! Du haft ja achttägige Kündigung 
int Kontralt, Hänächen!‘ 

„Werd' ich au! Rauche erſt noch meine Felt- 
rübe zu Ende und lege mich dann in die Klappe — 
— bei diejen Worten ftrebte der Beliter der Hand- 
taſche 9. v. 9. an mir vorüber, um dieſes bejagte 
Reiſeeffekt mit Fühnem Griff von etwas mweit her zu 
angeln, — der Zug rudte ein wenig an, und der Herr 
Leutnant ftolperte über meine Füße. 

‚Schrumm!‘ fagte er ebenfo höflich wie galant, 
machte einen fchnellen Diener vor der alten Schachtel 


— 239 — 


und gewann im nächſten Moment mit feiner Hand- 
tafche die Türe. Dort ftand der Ulan im Wege, und 
Herr 9. v. 9. ftolperte abermals in begreiflicher 
Unficherheit und Tieß fich auf deſſen Fuß recht unfanft 
nieder. 

‚Shrumm!’ äcdhzte er zum zweitenmal, und der 
Kamerad in Uniform ſtand jefundenlang wie ein 
Storch auf einem Bein und verficherte, er Habe doch 
zu Hauſe nocdy mehrere Paare andere Gtiefeln 
ſtehn, Hänschen möchte fich Tieber diefe ausſuchen, 
wenn er Leder treten wolle! — 

Abermal3 Rufen, Drängen .. Schieben anderer 
Paſſanten, die Herren entfernten fich, — ich zog vor- 
fichtig die Türe zu und lehnte mich lachend in bie 
Ede zurüd. 

Schrumm! wiederholte ich, und fand, daß Herr 
9. v. 9. ſelbſt mit einem Schwing etwas recht Sym— 
pathijches hatte. — Sch Liebe diefe friſchen, blauäugigen 
Geſichter unter blondem Haar, — jie find jo jelten 
geworden zwifchen den gelben, verichrumpften Wachs— 
masken unſrer alten Jugend von heute...’ — 

Haltern ließ da3 Buch ſinken, denn das eingelegte 
Zeichen gebot es ihm, aber fein Geſicht, welches ſich 
ſchon während des Leſens immer intenfiver gefärbt 
hatte, glühte wie in Blut getaucht, und wie ein Auf- 
ftöhnen rang e3 fich aus feinem allertiefiten Innern 
empor —: „Shrumm! — Die alte Schadjtel war 
Margit... das hat ja grade gefehlt!. .” 


— 240 — 


Er ſchnappte nach Luft wie ein Karpfen auf 
trockenem Lande. 

„Alſo, daher ihre Kenntnijfe . .. Potz Blitz und 
Knall.. und der Schwips damals! — Der Schwips!! 
— Ob die letzte Bemerkung über fein ,friſches“ Ge⸗ 
ſicht Ironie iſt?!“ — 

Der junge Offizier ſinkt einen Augenblick wie 
unter furchtbarem Schuldbewußtſein in ſich zuſammen, 
dann ſchüttelt er plötzlich mit leiſem Auflachen den 
Kopf. — Gott ſei Lob und Dank, er lernte Margit 
kennen und erſah aus ihrem ganzen Benehmen, daß 
ſie ein entzückend vernünftiges, wonniges Mädel iſt, 
daß fie den Abjchiedstrunf eines braven Mannes zu 
würdigen verjteht und ihm verzeiht, wenn er fich 
aus Verſehn Dabei die Naje begießt! — 

Und wie die Eleine Here aufgemerft und ihn fo 
geichidt mit allem genedt hat! 

Natürlich fiel er Ejel glänzend darauf hinein und 
fudhte fo weit in der Ferne, wo das Gute doch fo 
nahe lag! 

Wer aber fommt auch auf den ungeheuerlichen 
Gedanken, daß jenes unförmige Wefen in der Coupe- 
ecke die graziöfeite und launigſte aller jungen Damen 
fein könne!! 

Uber weiter! Weiter! — 

Die Rätſel find erft halb gelöft, — Dolly Spaus- 
red ift fürerft noch die Sphing, welche fie ihm auf- 
gibt! 


— 241 — 


Und Hans Haltern blätterte eifrig nach dem 
zweiten Beichen, fchlägt da3 Buch auf und Lieft: 

— „Bir waren in Nizza angelangt, und Hoheit 
beauftragte mich, allfogleich der Baronin Spaured, 
ehemaligen Hofdame der Erzherzogin Anna-Eugenie, 
einen Beſuch abzuitatten, um für reizende alte Gra— 
vüren, welche diejelbe für die Sammlung meiner 
teuern Gebieterin gejandt, zu danken. — 

Es war juft der Rofenmontag, und ich wurde 
bon der Baronin troß der fpäten Stunde und troß 
des Umijtandes, daß fie und ihr Töchterchen fich bereits; 
im Maskenkoſtüm befanden, angenommen. 

sh Hatte ſchon erfahren, daß in dem Hotel, 
welches Spaured3 bewohnten, ein große Karnevals— 
fejt ftattfinden jolle, und meine ftetS jo freundliche 
Hoheit Hatte es mir fogar freigeitellt, mich der Ba- 
ronin anzuſchließen, falls ſie den Ball beſuche und 
in der Eile noch ein Koſtüm oder Domino für mic) 
aufzutreiben wäre. — 

Im tiefiten Innern meined Herzend hoffte ich 
ed, denn Maskenbälle waren jeit jeher mein Element, 
und Nizza mit feinem Blumenzauber und der lachen— 
den, lebensfrohen Poefie feiner jüdlichen Schönheit 
hatten mich in eine Stimmung verjeßt, welche nur 
nod) der luſtigen Narrenfreiheit bedarf, um gleich 
pridelndem Sekt emporzuſchäumen. 

Ich fand die Baronin bereits in Toilette, voll 
ſtrahlender Laune und in beſter Feſtſtimmung, ihr 

v. Eſchſtruth, Das Rodeltantchen II. 16 


— 242 — 


Töchterlein hingegen ſaß ſo blaß und übellaunig in 
dem entzückenden Koſtüm einer Coeurdame neben ihr, 
daß ich mir die Frage, ob ſie ſich krank fuͤhle, nicht 
verſagen konnte. 

Frau von Spaureck ſchüttelte ärgerlich den Kopf. 
„Oh, nicht im mindeſten krank, beſte Gräfin, nur eigen— 
ſinnig, wie ſtets! Bitte, kommen Sie mir mit Ihrer 
Anſicht zu Hilfe! Da hat Dolly unlängſt in ihrem 
Mädchenpenſionat in Wien ein Koſtümfeſt als Sa— 
voyardenbub mitgemacht und ſich königlich dabei amü— 
ſiert! Nun beſteht ſie darauf, auch heute abend als 
Savoyard zu erſcheinen, obwohl mein Mann und ich 
ihr erklärten, dies ſei ausgeſchloſſen. Sie iſt zwar noch 
ein Backfiſch und ſoll ſich den Ball nur anſehn, aber 
eine Hoſenrolle darf ſie unmöglich geben, wenn Herren 
anweſend ſind, denn ſchon durch die Dienſtboten würde 
es totſicher verraten, welch ein Koſtüm ſie getragen!“ 

Ich fühlte eine heiße, bebende Hand auf der 
meinen; Dolly ſah mich mit flehendem Blick an, und 
ihre hellen Augen glänzten in Tränen, was mir für 
einen Savoyardenbub ſeltſam vorkam. 

„Ach, bitte, bitte, helfen Sie mir, Komteſſe!“ bat 
ſie voll herzbewegenden Kummers. 

Beinah hätte ich gelacht. 

„Haben Sie denn das ran hier zur Hand, 
Fräulein Dolly?’ — 

‚Sa, ja! Sogar Die himmliſche ſchwarze Locken⸗ 
perücke, welche mir ſo großartig ſteht!“ — 


— 43 — 


‚Sie fürchten nur den Klatſch der Dienſtboten, 
Frau Baronin ?’ 

‚Sewiß! SYhn einzig und allein, denn wir find 
Icon viel zu befannt hier in dem Hotel!’ 

‚Aber Sie gedenfen morgen meiterzureifen, wie 
Sie ſoeben jagten ?’ 

‚Allerdings... Oh .. Sie wollen andeuten, daß 
wir aus den Augen, aus dem Sinn fein werden?!‘ 

‚Auch das! — Aber zuvor nod) eine Trage! Das 
Zimmermädchen fah Fräulein Dolly bereit3 in dem 
Koſtüm der Coeurdame ?’ 

‚Selbjtverftändlih! Sie Half meiner Jungfer, 
uns anzufleiden!’ | 

- Run, ich glaube, Baronin, dann haben wir ge- 
wonnenes Spiel und können hr Töchterchen glüd- 
lid maden. Dolly und ich haben faſt Die gleiche 
Größe, — laffen Sie und probieren, ob das Koſtüm 
der Coeurdame mir paßt! Sit es der Fall, fpiele ich 
heute abend die Rolle der Baroneſſe Spaured und 
der Savoyard an meiner Seite bleibt für ewige Zeiten 
ein unbefannter Gott! — 

Lauter, ftürmifcher Jubel! — 

Noch nie habe ich derart fchnell die Toilette ge- 
wechſelt, da3 Kleid paßte mir brillant, voll jauchzenden 
Entzüdens verwandelte fi) Dolly ganz heimlich mit 
Hilfe der Mutter in ihren geliebten Maufifalli 
Nagifalli, — die Masten vor das Geſicht, und nun 
hinab: in den Saal, wo die bunten, fingenden und 

16* 


— 244 — 


klingenden Wogen eines unvergleichlich luſtigen Mum— 
menſchanzes über uns zuſammenſchlugen! — Aber 
was war das? Dort in der Fenſterniſche, einſam vor 
ſeiner Sektflaſche, ſaß mein galanter Ritter aus dem 
Expreßzug, Herr H. v. H.! — Welch ein gefundenes 
Freſſen für den Heißhunger meines Übermuts! Ich 
weihte die Yamilie Spaured mit fchnellen Worten 
ein und ſchwur dem Beſitzer der ‚Iuftigen Witwe‘ für 
meine ‚angefchrummte’ Schuhladfappe und die alte 
Scadtel eine eflatante Rache! 

Ob ich fie genommen? — ch weiß es nicht. 

Sedenfall3 war e3 ein Spiel mit dem Feuer, bei 
welchem man fich leicht Singer und Herz verbrennen 
kann. — Wir haben viel gefcherzt und gelacht, viel 
getanzt und geflirtet, — die roten Roſen dufteten 
jo beraujchend, die Seeluft koſte mild wie Liebes— 
wehen und der Sekt war fühl und machte da3 Blut 
dennoch jo Heiß!.. — 

Warum find uns fremde Menjchen oft auf den 
eriten Blid Schon jo ſympathiſch? Was feſſelt ung an 
ihnen? — Ja, nicht nur für den Augenblid, wo wir 
mit ihnen zujammen find, ſondern auch jpäter noch 
alles Denken und Träumen... Ich werde Herrn 
9. v. 9. wohl nie im Leben wiederfehn, denn auch wir 
reifen Schon in den nächſten Tagen weiter, — aber 
ih werde ihn auch nie vergellen........ “ 

Haltern fprang wie ein Unfinniger empor und 
drücte mit einem halb erſtickten Jubelfchrei die Lippen 


— 2145 — 


auf die Zeilen, welche ihm das Beglüdendfte jagten, 
was er je im Leben hören ober leſen konnte! Seine 
Pulſe fchlugen fo jchnell, wie damals im Balljaal 
von Nizza, und nur ein einzig fehnjuchtsvoller Klang 
erfüllte feine Seele: — Margit! 

Seitwärts fnarrt eine Türe. Prinzeſſin Hor- 
tenfia jteht auf der Schwelle und wirft nur einen 
furzen, ſeltſamen Blick auf den jungen Offizier, dann 
wendet fie ſich zurüd. 

„Ja, ja, liebe Gräfin, Ihr Tagebud) befindet jich 
bier! Holen Sie e3 ſich bitte dort am Tiſche ab!” 
und fie jchiebt ihre Hofdame ebenfo humorvoll wie 
energijch über die Schwelle. Dann fchließt ſich die 
Türe Hinter ihr. | 

Ein leifer Schrei des Schredens; Margit fteht 
wie verfteinert und ſtarrt auf ihr Buch in Halterns 
Hand. — Sie begreift plößli, — und obwohl fie 
heiß erglüht, muß fie dennoch lachen! . . O, du füßeg, 
beglüdend gelöftes Rätſel! Genau jo ladjt fie, wie 
ehemal3 feine Coeurdame! — 

Hans Haltern ſtürmt ihr entgegen und breitet 
sans facon die Arme aus. — ‚Margit... du biſt ..“ 

Sie hebt voll gewohnten Schalfs abmwehrend die 
Hände — „Vie alte Shadtel — ganz recht!“ — 

„Margit... ich habe dich Lieb!” jauchzt aud) 
er mit hellem Lachen. — | 

„Schrumm!“ klingt es ihm entgegen, aber nur 


— 46 — 


undeutlich, denn ſchon fchließt er ihre Lippen mit 
den wenigen Küffen, welche auf dem Fleinen Münd— 
chen Plab haben! — 

Und dann hält Herr 9. v. 9. feine Coeurdame in 
den Armen und denkt gar nicht daran, fie wieder frei- 
zugeben, — ja, al3 die Prinzefjin nach kurzer Zeit 
eintritt, hält er ihre Hand immer noch in der feinen 
und vergißt in der Aufregung alle Etikette und jubelt 
der hohen Frau entgegen: „Die Königin von Saba 
ift nicht nur die weiſeſte, fondern auch die gütigite 
alfer Fürftinnen, welchen Amor jemals voll Dank ge- 
huldigt Hat!“ 

Kaum hatte Prinzeffin Hortenfia „ihr Braut- 
paar” beurlaubt, um die nötigen Depefchen und Briefe 
von Stapel zu lafjen, als der Feine Kupido zum 
zweitenmal an ihre Türe Hopfte und für Doktor 
“ Unna um Gehör bat. 

Der junge Arzt wußte, wie viel gnädigen Anteil 
die hohe Frau an Cagima nahm, und darum kam er, 
ihr feine Verlobung rejpeftvollit zu melden und die 
Prinzefjin zu bitten, in dem harten „Kampf mit 
dem Drachen”, welcher nun noch bevorftand, Die 
Hände fchirmend über feine verwaifte Braut zu halten. 
— Noch fei die Hofmarjchallin nicht auf der 
Bildfläche erjchienen, obwohl es ſoeben zum erften- 
mal zum Eſſen geläutet habe, — infolge der Über- 
hitzung fchlafe fie wie tot, und diefem Wunder fei es 


u DIT, 


zu danfen, daß er die Geliebte feit Stunden jchon 
ungejtört fprechen Tonnte! 

Die Prinzefjin lächelte und drücdte dem Sprecher 
mit wärmſtem Glüdmwunfch die Hand. ‚Sie fehen, 
beiter Doktor, wie wahr das fchöne, alte Wort ift: 

‚Wenn zwei fich lieben durch Gottesflammen, 

Geſchieht ein Wunder und führt fie zufammen’!” 

Und dann verſprach fie. ihm und feinen Eltern 
tatfräftige Hilfe, wenn es galt, die Mämä mit der 
Verlobung ihrer Nichte zu überrumpeln. — 

Die Hofmarichallin war aufgemacht; — alles war 
noch dunkel ringsumher, nur an der Türe hörte jie 
ein leiſes Geräuſch. „Cagima! Bilt du mach?“ 
rief fie. „Will e8 denn gar nicht heil heute werden ?“ 

‘ Da öffnete fich die Türe, und Cilli ftand auf 
der Schwelle, und hinter ihr flutete die goldene, Hare 
Winterfonne in dad Kämmerchen. 

Da erfuhr Frau Sofefa, daß fie bis vier Uhr nach— 
mittags durchgeichlafen habe, daß diefeg Kämmerchen 
eine Art Alkoven fei und fein Fenſter beſitze, und 
daß Hoheit, die Prinzeſſin, Fräulein Cagima erjucht 
habe, fie nebſt allen anderen Herrfchaften zur Rodel- 
bahn nach Ebenhaufen zu begleiten. Die Frau Hof— 
marfchallin habe fo ſchön gejchlafen, daß niemand 
gewagt habe, fie zu jtören. 

Tableau! — Die Mämä tobte innerlih vor 
Wut, ſowohl über da3 Schlafmittel, welches fie ge- 


— 248 — 


nommen, wie über die Nichte, welche fie verlafien 
hatte, und über da3 ganze verfäumte Eſſen, welches 
fie in der Penfion bezahlen mußte und nadträglid) 
faum zur Hälfte erhielt! — 

Wutfchnaubend zog fie fih an, und da fie nicht 
den Mut hatte, allein nach Ebenhaufen zu folgen, 
jo Tief jie zu ihrer Zerſtreuung in den Straßen 
Münchens herum, um jich die Beit bis zum Abend 
und der Heimkehr der Rodler zu vertreiben. 

Es war unerhört und unverihämt von ihren 
beiden Berehrern, ohne fie zur Rodelbahn zu fahren, 
denn fie waren doch hierher gefommen, um ihr 
den Hof zu machen und nicht der Prinzeß! — 

In ſolch galliger Stimmung ärgerte fie alles, die 
ihönen Saden in den Läden, welche fie nicht faufen 
fonnte, die Autos, welche nicht ihr gehörten, Die 
Elektriſche, welche fie nervös machte, und all die vielen, 
Iujtigen, lachenden Menfchen, Ba es fraglos befjer 
ging, als ihr! — 

Endlich kam fie heim und erfuhr, daß alle Herr- 
Ihaften vom Rodeln zurüdgefehrt feien und daß 
Hoheit, die Prinzeflin, die Frau Hofmarfchallin fo- 
gleich in ihrem Salon erivarte. 

Ingrimmig wechſelte die Mämä die Schuhe, legte 
den beiten Spibenfragen um und verfügte ſich zu 
der hohen Frau. 

Lautes, fehr animierte3 Sprechen fchallte ihr be- 
reit3 entgegen, und Frau Joſefa nahm fich vor, die 


unverſchämte Perſon, die Cagima, vor allen Leuten 
tüchtig zu rüffeln, daß fie den ganzen Tag gewagt 
hatte, über ſich ſelber zu verfügen. 

Mit giftig funkelnden Auglein trat fie auf Die 
Schwelle, blieb aber fchon ſprachlos vor Überrafchung 
ftehen, al3 Haltern, ihr Berehrer Haltern, jeitwärts 
am Tifch ftand und das kokette Gejchöpf, die Gräfin 
Wachjenftein, zärtlid im Arm hielt; aber fie ver- 
jteinerte vollends vor maßloſem Staunen, al3 die 
Prinzeflin ihr Cagima und Artif entgegenführte mit 
den Worten: „Hier, meine liebe Baronin, präfentiere 
ih Ihnen zwei überglüdliche Menjchen, welche ſich 
in Liebe und Treue für daS Leben fanden! Gie 
haben leider die Verlobung Ihrer Nichte verjchlafen, 
aber ich denke, Sie erfreuen ſich wachend noch recht 
oft an dem Glüd Cagimas, — ich gratuliere Ihnen 
dazu!“ 

Frau Joſefa kämpfte mit der Ohnmacht, fie ſtand 
fefundenlang ſprachlos und küßte nur mechaniſch, 
nad) gewohntem Drill, die Dargebotene Rechte der 
Fürſtin. 

„Und bier, Exzellenz Unna nebſt Frau Gemahlin, 
die hocherfreuten Fünftigen Schwiegereltern — und 
last not least noch ein zweites Brautpaar, welches 
Ihrer Gratulation harrt, — Herr von Haltern und 
Gräfin Margit!” 

Das war zu viel! 

Ein leifer, zifchender Laut rang fi von den 


— 50 — 


Lippen der Mämä, — ihr Geſicht ſchillerte grünlich, 
und ein jäher Ruck ließ ihre Geſtalt zu vernichtender 
Höhe emporſchnellen. 

Jede Selbſtbeherrſchung ſchien vergeſſen. 

„Ich danke Euer Hoheit für die jo überraſchende 
Mitteilung von einem Liebesverhältnis, welches meine 
ungeratene Nichte hinter meinem Rüden einging! 
Bon einer Verlobung Tann jedoch nicht eher die 
Nede fein, als bis ich diejelbe gejtatte, und dies wird 
niemal3 der Fall fein!“ 

Erzellenz Unna legte befchwichtigend die Hand 
auf den Arm feines Sohnes, welcher, eine Zornes— 
falte auf der Stirn, eine jähe Bewegung machte. 

„Ihre Nichte ift vor kurzer Zeit mündig ge- 
worden, rau Baronin, und bedarf Ihrer Einmilli- 
gung nicht mehr!” fagte er ebenjo höflich wie ent- 
ichieden. „Da aber hier nicht der Ort ift, um Fa— 
milienangelegenheiten zu erörtern, gejtatten Gie, daß 
ih Sie nachher in Ihrem Zimmer auffude!” — 

„Bitte! Das Tann fogleich geſchehn!“ Teuchte 
die Hofmarfchallin; fie war bei den Worten des Ge- 
heimrat3 Treidemweiß geworden, funfelte ihn aber fo 
herausfordernden Blid3 an, als ließe jie e8 noch auf 
jeden Kampf ankommen! 

„Sie wollen gehen?” fagte die Prinzeſſin ſchnell. 
„Selbftverjtändlich können wir Sie nicht daran hin- 
dern, obwohl ich annahm, Sie würden mit ung ein 
Glas Sekt auf daS Wohl der beiden Brantpaare 


— 251 — 


trinten. — Aber wie Sie wollen. — Adieu, Ba: 
ronin!” 

Das war jehr markiert gejagt, und die Mämä jah 
ſich entlafjen. 

Gie knixte nach alter Gewohnheit vor der hohen 
Yrau, maß hierauf Haltern mit einem gradezu ver- 
nichtenden Blid der Beratung und ſchwenkte Furz 
um. Alle anderen waren Luft für fie. 


Die Unterredung mit Erzellenz Unna fand ftatt, 
und da diefer jich einen Rechtsbeiſtand mitgebracht, 
jo endete diejelbe mit einer totalen Niederlage der 
jtreitfüchtigen Tante, welche ſich im Laufe der hitigen 
Debatte verjchiedener Verbalinjurien ſchuldig gemacht 
und infolgedefien eine Anklage des Geheimrat3 er- 
warten Tonnte. — Vie Tatjache, daß fie über das 
von ihr verwaltete Vermögen der Nichte abzurechnen 
hatte, wirkte jedoch noch niederjchmetternder mie die 
Angft vor einem Beleidigung3prozeß. 

Nachdem alles Drehen und Winden, Toben, 
Schimpfen und Krämpfekriegen nicht? geholfen, ſtrich 
die Mämä die Segel, um nicht noch einem Schlagfluß 
zum Opfer zu fallen. 

„Sagima blieb big zur Hochzeit bei den Schwieger- 
eltern, — über da3 Vermögen wurde Rechnung ge- 
legt und Fräulein von Solingen erhielt es ausge— 
händigt.“ 


— 252 — 


Da3 waren die furchtbaren Punkte, welche end- 
gültig feitgelegt wurden. 

Frau Sofefa benahm fich noch eine Stunde lang 
wie eine PVerrüdte vor Wut, — dann padte fie 
ihren Koffer und reifte nach Lobenbach zurüd. 

Was follte fie nach dem jchmählichen Verrat 
ihrer beiden nichtswürdigen Verehrer noch auf der 
Rodelbahn?! — 

D, fie durchſchaute jeßt das falſche Spiel der 
beiden fauberen Herren, und daß fie jich derart hatte 
düpieren laffen, da3 wurmte fie am meilten. 

Da fie diesmal nicht wieder röften wollte, jo 309 
fie ſich beſonders leicht an, aber da Taumetter ein- 
getreten war, fparte die Bahn an der Heizung der 
Drittenklaſſewagen, und da etliche Mitreifende der 
Hofmarichallin für zarte Riechorgane nicht ganz ein— 
wandfrei waren, jo mußten meiſtens die Fenſter ge— 
öffnet werden, was bei dem jchneidenden Wind gräßlich 
war. 

So fehr wie Frau von Solingen auf der Herfahrt 
auf Teuer geſeſſen, jo fror fie auf der Rückreiſe 
Stein und Bein, und dabei hatte fie im Wut und 
Aufregung vergefien, daß diesmal fein Gepäd frei 
war und die erfehnten Kleidungsſtücke zu allem Ürger 
noch im Gepäckwagen als Überfracht bezahlt werden 
mußten. | 

Sn Lobenbach erregten die Verlobungen und Die 
plötzliche Heimkehr der Mämä einen begreiflichen 


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Sturm der Senfation, und da Frau Joſefa in ihrer 
gellenden Wut fich zuerjt die Geele freifchimpfen 
mußte, fo erfuhr man bald alle Details, welche aufs 
neue alle Lachmuskeln in Bewegung jeßten. 

Man ſprach nur noch von dem „Rodeltantchen!“ 
— und wenn Uneingeweihte fragten: „Sit fie eine 
jo fanatifche Liebhaberin dieſes Sports?“ — jo ant- 
wortete man mit viel Humor: Wohl möglich! 
Und eben darum, weil fie gleich einem Moſes da3 ge- 
lobte Land troß einer qualvollen Fahrt durch Wüften- 
glut nie erreichte, jo heißt fie Hinfort für alle Zeit: 
Das Rodeltantchen, — welches nie im Leben eine 
Rodelbahn geichaut! 

Zange follte ſich aber LXobenbach feiner fo be- 
rühmt gewordenen Mitbürgerin nicht mehr erfreuen, 
denn al3 zu Neujahr die furchtbaren Rechnungen famen 
über all den Kuchen, Wein, Aufjchnitt, Zuder, Bröt- 
hen und Bier, welche der Schon fo oft verwünſchte 
„Jour“ für lauter fremdes Volk gefoftet, da Fannte 
der fauchende Ingrimm der jplendiden Gaftgeberin 
’feine Grenzen mehr! — 

Ihr verftorbener Gatte hatte auf feinem Gut, 
ehe es der Neffe erbte, verfchiedene Legate ausgeſetzt, 
unter anderem beftimmte er ein altes Tagelöhner- 
häuschen zum Altenteil für die Witwen braver Gut3- 
arbeiter. Die lebte Inhaberin war unlängft ge- 
ftorben, und da fich zur Zeit feine Witwen fanden, 
welche darauf refleftierten, fo beichloß Frau Sofefa, 


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ſelber als bedürftige Witwe von dieſer Guttat ihres 
Gatten Gebrauch zu machen. Sie ſiedelte in das kleine, 
armſelige Dörfchen über und machte durch die Selbſt— 
kulturen aller für ſie nötigen Lebensmittel derartige 
Erſparniſſe, daß ſie den Ausfall von Cagimas Zinſen 
bald einzuſparen hoffte. 

Das graue Haus in Lobenbach kam unter den 
Hammer. und ward durch einen Vermittler unter 
günftigen Bedingungen für Doktor Artif Unna an- 
gekauft. | 

Da verlebte Kagima in dem wunderſchön reno- 
vierten Gebäude die glücjeligfte Zeit ihres Lebens, 
welche gleich ftrahlender Sonne dem jahrelangen 
Tränenregen ihrer trübjeligen Jugend folgte. 

Glüd, Frieden und Freude wohnten nun in den 
ehrwürdigen Mauern, und an der Stelle, wo ehemals 
Artik feine Rojengrüße in den Garten fandte, |pielen 
jest feine blühenden Kinder! 

Herr 9. v. 9. und feine Coeurdame hielten ala 
glüditrahlendes Paar ihren Einzug in Lobenbach und 
waren bald der Mittelpunkt der Gefelligfeit, - welche 
fie durch viel Humorvolle und originelle Feſte fo an— 
regend geitalteten, daß man ihnen bittere Tränen 
nachmweinte, al3 die brillante Karriere des General- 
jtäbler3 die unvermeidliche Verſetzung brachte. 

Sie fehrten zurüd in die große Welt, für melde 
fie beide berufen waren, — im Sommer aber,. wenn 
der Urlaub fie hinaus in die eleganten Bäder führte, 


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machten fie regelmäßig in Lobenbach Station, um 
bei ihren Freunden im grauen Haufe nad) dem Rechten 
zu jehn. | 

Dann wachten fie wieder auf, all die heitern Er- 
innerungen, und wenn der Sekt in den Gläfern 
ſchäumte, ließ man felbjt dad NRodeltantchen leben! — 

Frau Joſefa lebte infolgedejfen auch noch eine 
Reihe von Jahren. Zuerſt verfuchte jie ihre Finanzen 
durch ſeltſame Hundezucht aufzubellern. — Als fie 
aber mit den ungeheuerlichen Mifcheviehchern, welchen 
Putzichen das Leben Ichenkte, nur bösartige Erfahrung 
machte und lediglich Spott und Ulk erntete, da gab 
fie da3 Erwerben auf und lebte nur nody für da3 
Sparen. 

Gie entzog fich jeden Genuß und jede Wohltat, 
und ihre einzige Freude bejtand darin, nachzuzählen, 
wieviel Silberlinge fie ſchon wieder auf die „hohe 
Kante” legen fonnte. 

Sie jtarb endlih an Entkräftung, und da fie 
jtetöS zu geizig gemwefen war, für ein Tejtament hohe 
Gerichtöfoften zu zahlen, jo erbte in erjter Linie Ca— 
gima all den Mammon, welchen fie jo lange, Tummer- 
volle Jahre mit erhungern mußte. — 

Gie ift die einzige, welche troßdem der munder- 
lihen Tante ein rührend treues Andenken bewahrt, 
und ihre Kinder willen e8; am Todestag fahren 
fie alle hinaus in da3 Dörfchen und jchmüden das 
einfame Grab de3 Rodeltantcheng mit Immortellen! 


— men — — 


Druck von der Sandmever’ichen 
Dofbuchdruckerei, Schwerin i. M.