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rn.
*
Alle Rechte vorbehalten.
XIV.
„Ihm ward zur Hut gegeben.
Mein Glück und meine Ruh’ le
Wilhelm Herk.
Lit Tautenftein hatte nach Graf Goſeck ge—
ragt und ich den „intereffanten” Mann vors
Ä Itellen lafjen. Auch zu ihm flog ihr Blick gleich
jengendem Funfen empor, aber wunderfam, er zündete
nicht. Tief und jehr verbindlich neigte fich der Freund
Nennderſcheidts vor der fylphenhaften Erfcheinung jenes
Weibes, welches feit zwei Jahren der Inbegriff all feiner
leidenschaftlichen Sehnjucht, feines ehrgeizigften Strebens
geweien war. Und nun lächelte die Nire Kalypfo mit
den weißen Zähnchen zu ihm auf, und er jchaute mit
Haren, nüchternen Augen auf fie nieder, wie auf einen
Maskentand, welchen plößlich helles Sonnenlicht befcheint,
e3 offenbarend, wie viel trügerijche Flittern man —
für echtes Gold genommen.
Als der Hof ſich zum Tee zurückzog und Claudia am
Arme des Prinzen Hohneck die Loge verlaſſen hatte, um
dem Großherzog mit ſilberhellem Lachen zu verſichern:
„Baron Nennderſcheidt ſei ein mehr wie origineller Menſch,
man könne ihn wirklich nicht ſtreng genug halten! viel
— 318 —
jtrenger und fnapper noch, wie alle anderen Staubge-
borenen, und jeine Frau? die repräfentiere in bedauer-
licher Weile das Gänschen von Buchenaul” — da trat
Goſeck haſtig zu Olivier und zog ihn etwas abjeit2.
„Die Zautenftein hat dich koloſſal bevorzugt und mich
wie jauer Bier auf die Seite gefchoben; willft du mir
einen Gefallen tun und mich vor einer Kleinen Blamage
bewahren?”
Nennderſcheidts Stirn färbte fich noch Höher. „Um
was handelt es fich?” fragte er durch die Zähne.
„Du weißt, daß ich von jeher zu den begeifterten
Berehrern der Schönheit gezählt habe, und Claudia, als
die Krone aller Weiber, par distance anjchmachtete wie
der verliebte Schäfer, welcher laut Uhlands Verſicherung
feine Lämmlein am Königsfchloß vorübertrieb und zu der
Holdfeligen emporjeufzte. Ich fchmeichelte mir, vielleicht
Eindrud auf fie zu machen, und traf demzufolge die praf-
tiiche Anordnung, daß mein Gärtner auf eine anonyme
Einzahlung Hin — heute abend die Gemächer der Fürftin
mit einem Roſenregen überjchütten ſolle. Jetzt nach ihrer
mehr wie fühlen Behandlung —“
„Aber Goſeck, ich begreife dich gar nicht! ich war im
Gegenteil nahe daran, eiferfüchtig zu werden”...
„Pſt!“ der Genannte zudte mit faſt ungeduldigem
Lächeln die Achjeln. „Wozu folche Zuderplägchen! ich
gönne dir deine Triumphe neidlog, alter Junge, einem
andern gegenüber würde ich die Lanze einlegen. Alſo
furz heraus: ich mag mich nicht lächerlich machen in den
==. 30.
Augen der Fürjtin und bitte dich) um den gewiß nicht
unangenehmen Sreundjchaftsdienft, Die Ovation auf deine
Kappe zu nehmen. Die glücdlicherweije anonym gemachte
Beitellung ermöglicht eg, und wenn Das wonnige, kleine
Weib dir mit leuchtenden Augen dankt, dann bitte ich Dich
inftändig, Olivier, nimm diefen Dank an!”
„Natürlich, ſelbſtredend, trifft Jich ja ganz brillant!
Sei fo freundlich und laß mich deine Auslagen willen,
damit die Herrlichite von allen tatfälih meine Blüten
unter die Kleinen Füße tritt! Welch ein jeliges Sterben!”
und der Freiherr atmete ſchwer auf und legte momentan
die Hand über die Augen wie ein Beraufchter.
Goſeck fchüttelte lachend den Kopf. „Beleidige mich
nicht, Herzbruder!” flüfterte er mit der Miene eines
Mephilto, welcher verjichert: „Hab ich Doch meine Freude
dran!” klopfte ihm auf die Schulter und wandte fich
furz ab.
Er fuhr auch früher nad) Hauſ e, wie alle anderen,
ließ ſeinen Wagen an der Promenade halten und ſprang
die Marmortreppe der Billa „Hazard“ empor.
„Herrichaften ſchon zurück?“
Der Portier riß die verſchlafenen Augen weit auf und
ſchloß erſchrocken die goldſtrotzende Uniform.
„Nein, Herr Graf, ich erwarte aber die Equipage
jeden Augenblick.“
„Die Zimmer des Freiherrn erleuchtet?“
„Durchgängig, Ew. Gnaden.“
Goſeck wandte ſich in den Seitenkorridor, ſchritt haſtig
— 320 —
in das Nauchzimmer des Freundes und riß den Mantel
auf. Aus jeinem Bortefeuille nahm er die Photographie
der Fürftin Claudia, welche er biS vor wenigen Wochen
voll eiferfüchtiger Heimlichkeit, gleich wie ein Kleinod vor
jedem fremden Blick verborgen gehalten hatte, und ftellte
fie fo auffallend wie möglich mitten auf den Tiſch, ruhig
und gleichgültig, als trenne er fich höchſtens von einer
überflüfligen Nippesfigur. Um feine Lippen zudte ein
Icharfes Lächeln, eijerner, erburmungslofer Willen troßte
von feiner Stirn. Dann fchloß er die Tür Hinter fich
und jchritt ohne Wort und Gegengruß an dem Diener
vorbei nach jeinem Wagen zurüd.
Niemand wunderte fi) darüber, man war an der—
artigeg Kommen und Gehen des Grafen gewöhnt.
ALS die Kammerfrau der Fürftin Tautenftein vor ihrer
zurückkehrenden Herrin die Flügeltür öffnete und mit be-
deutſamem Lächeln Fräulein von Gironvale ein unmerf-
liches Zeichen machte, wich Claudia momentan zurüd vor
den Duftwogen, welche ihr ſüß und lieblich entgegen
quollen.. Mit fchnellem, eigentümlich ſcharfem Blie über:
flog fie den Salon. Blühende Roſen bededten den Fuß—
boden, glühten in mächtigen Sträußen auf Tifchen und
Konfolen, und fielen in graziöſen Zweigen ſelbſt durch
die Kriftallprismen des Kronleuchters. Purpurne, leuch-
tende, heiße Xiebesrofen. Claudia lächelt, ein böſes,
triumphierendes und erbarmungslofes Lächeln. Vor we:
nigen Stunden hatte fie in Diefem felben Zimmer ge-
Itanden und die Hände über der VBermählungsanzeige
— 321 —
de3 Freiherrn von Nennderjcheidt geballt, welche von
Esperance mit aufgeregteften Tiraden überbracht wurde.
Da hatte e3 fich wie ein ſchweres Wetter auf der fchnee=
weißen Frauenſtirn zufammengezogen, da hatte es in ihren
Augen gebligt wie die Lichtfunfen auf jcharfem Dolch,
welchen die Rache zum
Stoße hebt. „Das ift
nicht Oppofition gegen den
Hof, ſondern gegen mich!”
waren die eriten Worte,
welche fich fait ziſchend
bon ihren Lippen rangen,
und Fräulein von Giron—
vale lachte boshaft auf.
„Der Narr muß Daran
glauben, Durchlaucht, der
muß dahin fommen, daß
er jeden einzelnen dieſer
gedructen Buchjtaben mit
den Fingern aus Demant
fraßen möchte, könnte er
fie damit löſchen!“
Fürftin Claudia antwortete nicht, fie lachte nur leife
auf und fagte: „Wähle du meine Toilette für heute abend
aus, meine gute Esperance!“ umd die gute Esperance
wußte nun genau, wie die Aftien jtanden, und um:
schmeichelte ihre Herrin wie ein Kätzchen, welches ſich Flug
und glatt jeder Bewegung derjelben RENT weiß.
N.v. Eſchſtruth, SU. Nom. u. Nov, Hazard II.
— 322 —
Und nun Stand das jchöne, zümende Weib, das bitter:
böje Teufelchen, welches, wie von Engelsſchwingen ge=
tragen, liebreizend und lächelnd durch die Räume des
Dpernhaufes gejchwebt war, abermals auf der Schmelle
ihres Salons, und fie lachte wieder, lachte, daß fie fich
auf den Arm ihrer Vertrauten ftühen mußte. Dann hob
fie jählings dag Haupt: „Wer hat das Zimmer ſchmücken
laſſen, Madame Salier?“ |
Die Kammerfrau zudte die Achjeln. ‚Der Gärtner
wußte es felber nicht, wer den Auftrag gegeben bat,
Durchlaucht, aber er meinte, e3 fei der Kutjcher des Herrn
bon Nennderfcheidt gemwejen, welcher heute abend nad)
neun Uhr mit feiner Beitellung dag ganze Geſchäft
alarmiert habe! Die Blumen find erft feit einer fnappen
Biertelftunde hier.”
450”. Claudia riß den köſtlichen Strauß, welchen
Fräulein von Gironvale bewundernd aus einer Vaſe hob,
ihn darzureichen, der Gefellichaftsdame aus der Hand und
jchleuderte ihn weit von fich auf die Erde, daß die zarten
Blättchen hoch emporivirbelten. .
„Offnen Sie die Fenſter, e3 ift ja ein unausftehlicher
Geruch!” befahl fie mit harter Stinnme und jchritt quer
durch) das Zimmer nach dem Nebenfalon. Ihre Hacken—
ichuhe zermalmten erbarmungslos die duftigen Kelche
und die goldfunfelnde Schleppe fegte fie zufammen wie
gefallenes Laub, welches Neif und Froſt getroffen.
Esperance aber warf ſich eraltiert neben ihrer Brot-
berrin auf daS weiche Wolfsfell vor dem Kamine nieder
URL
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23 ID,
und jubelte laut lachend: „Köſtlich, unbezahlbar, Sie
himmlische Zauberin! Wenn Turandot ſich treu bleibt
und marmorfühl und ungerührt über die Roſen und das
Herzblut des Herrn von Nennderjcheidt hinweg fchreitet,
dann werden wir einen großartigen Spaß erleben und
einen Karneval im hohen Norden feiern, in welchem die -
Göttin ‚Revanche‘ triumphierend die Pritſche führt.”
Claudia fchloß zwinfernd die Augen. „Abwarten!
ſagte fie furz.
Am nächſten Morgen malte die flare Winterfonne das
Spitenmufter der zartduftigen Gardinen auf den Teppich
in Marie Luiſes Boudoir, und die junge Frau blieb -
einen Augenblid zögernd auf der Schwelle ftehen, um
die Pracht diefes Kleinen Raumes zu bewundern, welcher,
in helles Zageslicht getaucht, einen völlig neuen An—
bli bot.
Im Kamin flammte ein offenes Teuer, die Pendule
auf dem Schreibtijch, in einem Gehäufe verborgen, welches
ein mit Edelfteinen beſetztes Schiff mit blauen Emailfegeln
darftellte, tickte leis und behaglich, und in dem Erfer,
inmitten einer genialen Wildnis von Palmenwedeln und
Sarnen, zwitjcherten fremdartige, bläulich fchillernde
Bögelchen ihren Gutenmorgengruß. Außerordentlich an-
heimelnd und wohnlich war das Zimmerchen, und dennoch
ſah fih Marie Luife rat- und hilflos darinnen um und
verichlang die Hände mit tiefem Aufjenfzen: „Was jollit
du hier den ganzen langen Tag über beginnen?” Hier
— 325 —
gab es feine Arbeit wie in Herjabrunn, fein ungeduldiges
Mahnen aus jo und fo vieler Damen Mund, nur eine
ftille, vornehme Ruhe, eine bleiſchwer lajtende Einſamkeit
inmitten ungewohnter Eleganz.
Groß und verwundert und erfichtlich nicht im min
deften auf folche frühe Befehle vorbereitet, hatte die
Kammerfrau ihr junge Gebieterin angejtarrt, als Marie
Zuife bereit3 um fieben Uhr jchellte, fih von Madame
Berdan in der Garderobe zurechtweilen zu laffen. Sie
war bereits frifiert, trug dag Haar wie früher in fchlichtenm
Knoten am Hinterhaupt aufgenejtelt, und nur die furzen
Löckchen, welche ihr der Friſeur am gejtrigen Abend über
der Stirn geichnitten Hatte, fielen in natürlichen Wellen
darauf nieder und gaben ihr ein verändertes Ausſehen.
Madame Verdan fchlug die Hände zufammen. „Ei, du
lieber Gott, gnädige Frau haben fich wohl in der Zeit
geirrt? Oder haben Frau Baronin ein außergemwöhnliches
Tagesprogramm für heute bejtimmt?”
„Rein, Frau Berdan, ich ftehe ftet3 um ſechs Uhr
auf, im Sommer jogar weit früher.”
„Da wird Frau Baronin der Morgen aber entſetzlich
lang werden! Hier in der Reſidenz fängt man überhaupt
den Tag erſt an, wenn er zur Hälfte vergangen iſt und
all die Damen, welche ich im Leben ſchon bedient habe,
tranken ihre Schokolade im Bett und ſchlüpften früheſtens
um elf Uhr in das Morgenkleid. Nun, ich denke mir,
gnädige Frau werden auch noch ein paar Stunden zus
geben, wenn erſt Nacht für Nacht durchtanzt wird, ift ja
— 326 —
ſonſt gar nicht auszuhalten! Der Herr Baron erheben ſich
auch erſt um zehn Uhr, ſagie mir Franz!” und dabei hatte
die würdige Matrone ein Morgenkleid von weißem, fpiben-
bejegten Kajchmir aus einem der Spinde genommen und
breitete e8 vor ihrer Herrin aus. „Befehlen gnädige Frau
dieſe Matinee? oder find die fraifefarbenen Schleifen heute
nicht vorteilhaft? Sie fehen ein wenig blaß aus...
aber vielleicht Hilft eS, wenn wir etwas rofa Puder auf-
legen?”
Frau von Nennderjcheidt fchüttelte das Köpfchen. „Sch
bin e3 gar nicht gewohnt, Morgenröde zu tragen, liebe
Frau Berdan!” fagte fie in ihrer freundlichen, treuherzigen
Weiſe, „geben Sie mir lieber gleich das Kleid, welches
ich den ganzen Tag über tragen werde!”
Dagegen wehrte ſich aber die Heine Dame mit aller
Energie. „Gott erbarme fich, gnädige Frau, was follten
wohl der Herr Baron dazu fagen! Mir würde er eine
Neprimande erteilen, daß ich nicht für eine paſſende Wahl
der Toilette gejorgt habe, denn die Herren haben nun
einmal ſämtlichſt die Schwäche, eine Dame in gefcehmad-
vollem Neglige am allerreizenditen zu finden! Alſo um
des Herrn Gemahl3 willen, gnädige rau, welcher all
diefe Noben mit fo viel Sorgfalt und Intereſſe ausge:
wählt hat!” |
“ Ein unmerfliches Beben ging über dag Antlit Marie
Luiſes. „Seien Sie unbeforgt, Madame Berdan, mein
Mann kann Shnen unmöglich) Vorwürfe machen, da er
erſt das zweite Frühſtück in meiner Oefellfchaft einnehmen
— 327 —
wird, und. ich bis dahin auf jeden Fall meine Toilette
beendet haben will. Wenn es Ihnen jedoch zur Bes
ruhigung dient, und e8 allgemein Brauch ımd Sitte ift,
werde ich feine Ausnahme machen, fondern mich leiden,
wie es von mir verlangt wird.” —
E3 lag etwa3 rührend Geduldiges und Reſigniertes
in Wefen und Stimme der jungen rau, und Die Franz
zöfin, welche gejtern noch fpöttifch die Nafe über das
fichtlic) unbeholfene und mehr wie jchlichte Auftreten’ ihrer
Herrin gerümpft hatte, ftreifte ihr jetzt faft zärtlich die
Ipißenduftigen Falten über das Haupt, fo forgfam und
eifrig, al3 gälte es, ihr eigen Töchterlein zu ſchmücken.
Ein Stubenmädchen und ein Diener ftanden noch ver:
gnüglich ſchwatzend im Boudoir, fie den Staubmwedel und
er den Holzforb in Händen. Beide prallten erjchroden
vor der unvermuteten Erjcheinung der Baronin zurüd.
Ein devoter Gruß, ein zierlicher Knix, und dann raufchten
die blaßblauen Damajtportieren vor den Flügeltüren zu=
fammen, und die eleftriichen Klingeln tobten im Korridor,
dem KHausmeijter zu vermelden, Daß er fich ganz gewaltig
in der Frühſtücksſtunde feiner Gebieterin verrechnet habe.
Marie Luije aber feufzte leife auf. Wie anders hatte
fie fich ihre junge Häuglichfeit gedacht, und welch ein
ander Lied von Glück hatten damals die Morgengloden
geſungen, als fie über See und Fluren fangen. Lang—
ſam tritt fie an die Voliere, voll wehmütiger Sreude die
Heinen Sänger zu liebfofen, welche hinter goldenem Gitter
gefangen gehalten werden.
— 323 —
Scheu und angjtvoll flatterten fie gegen die Stäbe.
Marie Luiſe fennt die Qual eines zitternden Herzens, fie
wendet ſich ab und fchlägt die feidenraufchende Gardine
vor dem Erferfeniter zurüd.
In mweißgligernder Pracht dehnt fich vor ihrem Blid
der Park mit feinen fahlen, graziöjen Laubholzwipfeln,
zwiſchen welchen grüne Tannen, wie von Silberduft um:
haucht, emporjteigen, und aus denen fernhin Türme und
metallfunfelnde Kuppeln ragen.
Die Promenade liegt zu diejer frühen Zeit ſtill und
menjchenleer, nur ein paar Lafaien fchreiten quer durch
die vierreihige Lindenallee und zeichnen breite Stapfen in
die fleckenloſe Schneedede. Der Erfer, in welchem Die
junge Frau fteht, ift turmartig gerundet und weit vor:
gebaut, und gewährt den Blick auf den gewaltigen Quader—
bau des Erbgroßherzoglichen Palais, welches mit impo-
fanter, von Säulen geftügter Front den Paradeplatz
flanfiert und feinen Garten bis dicht an das Grundftüd
der Billa Hazard vorſchiebt. Won der Terafje derjelben
blit man direft in eine der Kuftanienalleen des fürft
lichen Befißes hernieder, und weiter zurücd, hinter den
Gebäuden, find die Gärten nur durch ein hohes, ſpitzen—
artiges Eijengitter getrennt.
Zange Steht die Gemahlin des Freiherrn von Nennder=
ſcheidt und blicdt hernieder auf die fremde, ftolzge und
froftige neue Heimat, in welcher fie fich verlaffen und
verloren fühlt, wie ein Wögelchen, welches eine rauhe
Hand aus dem Nefte geriffen, es hilflos und verwaift in
— 329 —
die unbefannte Welt hinaus zu ftoßen. Wieder faßt fie
die unaugssprechliche Qual wilden Heimwehs und feine
Menfchenfeele ift da, zu welcher fie fich flüchten Fönnte,
all ihr Herzeleid in taufend bitteren Tränen auszugießen!
Ganz allein! Noch durchzittert von dem Todesweh grau—
fam verratener Liebe, geängftigt von einem Wirbeljturm
neuer Eindrücde, welche auf fie eindringen und fie ſchwanken
lafjen auf dem glatten Parkett der Konvenienz und Bere:
monie. Ganz allein. Keiner fteht an ihrer Seite, fie
liebevoll zu jtügen und zu leiten; die Hand, welche fie
hierher geführt, welcher fie voll Eindlich treuen Glaubens
gefolgt, reißt fich lo8 von ihr und überantiwortet fie un=
barmberzig den hohen Wogen, welche ihr Lebenzichifflein
in wilden Spiele fchleudern. Ganz allein! Und den-
noch .. Marie Zuife zuct empor und hebt das tränen-
überjtrömte Antlig mit ftarrem Blid, ... und dennod)
ilt fie nicht völlig vereinfamt; einen Talisman beſitzt fie,
einen köſtlichen Schaß, welcher gleich feſtem Felsgeftein
aus Sturm und Fluten ragt, daß fie, die Berzagende,
fih daran klammere. Seine Briefe! jene ſüßen, berau—
fchenden Zeilen, welche fie mit unzähligen Küffen bededt
hat, welche mit ihrem Herzen verwachjen find, und welche
ihr in treufter Zauterfeit verjichern: „Du bijt geliebt!”
Und wie ein furchtfames, geängjtigtes Kind in der
Dunkelheit jedem Lichtftrahl aufatmend entgegen ftürmt,
jo flüchtete fi) Marie Luiſe ebenfalls zu dem einzigen
Widerſchein des Glückes, welcher ihr geblieben.
Auf ihren Knien lag da3 Heine Päckchen Briefe,
— 330 —
haftig geöffnet, mit zitternden Händen emporgehalten,
wieder und wieder gelefen. Und die Tränen verfiegten,
und die müden Augen ftrahlten auf in unaugfprechlichem
Entzüden, und ein Lächeln verflärte das blaffe Antlit,
wie Sonnenlicht, welches regenjchwere Blütenkelche küßt.
Dann aber erloſch Schein um Schein, und Marie
Luiſe ſtrich langſam mit der Hand über die Stirn und
Itarrte hernieder auf die Worte: „Ich habe dich Lieb!”
Und diefe Worte hatte ein anderer gejchrieben, als ihr
Mann, ein anderer, welchem fie vertraut und an welchen
fie geglaubt wie an fich felber. — Goſeck. — Da rafchelt
es wieder in den giftigen Sumpfblüten verbotener Ge—
danken, und die Schlange, die Verfucherin, ringelt fich
jchmeichlerifch Herzu, höher und höher empor an dem
ſchwachen Weibe, es verderbend in das Herz zu Stechen.
Da rang und wand fich die Seele im Kampf, das
ſchwache Weib aber blidte empor zum Himmel und ward
eine Riefin und fchleuderte die Sünde von ſich, daß ihr
Natterhaupt zerichmetterte. Ja, dieſe Briefe waren alles,
wa3 ihr geblieben, ihr einziger Troft in all dem Elend,
aber fie waren gleicherzeit unjcheinbare Samenförner, aus
welchen Unfraut emporjchießen wird, gleich der umſtricken⸗
den Schmaroperpflange, welche den Stamm, der fie be-
Ihüßt, nieder in den Staub reißt.
Diefe Briefe find fallende Tropfen, welche mit der
Zeit den Grundftein der Treue höhlen müſſen, find rollende
Steine, welche fich zu himmelhoher Scheidewand zwifchen
ihr und ihres Gatten Herz bauen werden. Marie Luiſe
— 331 —
weiß, daß nicht ihr Verlobter, jondern ein Fremder dieſe
Briefe gejchrieben, und diefes Wiſſen macht fie jchuldig,
wenn fie jebt, als das Weib eines anderen, an Liebes—
Ihwüre glauben will, die fie als gejprochenes Wort nicht
anhören dürfte und nicht anhören würde.
— 332 —
Wie Entfegen ſchüttelt es plößlich ihre Glieder, Klar
und deutlich blidt fie in die Zukunft und erfennt die Ge—
fahr, welche fich fo harmlos hinter ein paar weißen Blätt-
chen Bapier verbirgt. Kin einſames und vernachläffigtes
Weib gleicht einer Ertrinfenden, es Hammert fich blind-
lings an eine fremde Hand, wenn diejelbe es empor an
ein Herz ziehen will. Marie Luiſe aber ift jo verlaſſen,
fo jung und fo unglücklich, und diefe Briefe ftreden fich
ihr entgegen wie zwei Arme, welche loden und winfen:
„Stürze Dich ung entgegen, wir halten Dich feſter und
wärmer, als der, deſſen Hand dich von fich ſtößt!“
Aufftöhnend ſchlägt Marie Luife die Hände vor das
Antlitz, und dennoch gibt es feine Wahl mehr für fie.
Das lebte und einzige Glüd gibt fie dahin, um Pflicht
und Ehre den ſchweren Tribut zu zahlen. Kein Gedanke
ſelbſt jol in ihrem Herzen fein, der nicht lauter und brav
demjenigen allein gehört, welchem fie vor Gottes Altar
Treue gejchworen. |
Und fie legt einen Angenblid die gefalteten Hände
auf die Briefe und ſchaut empor, von droben Kraft zu
erflehen, ſich aus dem ſüßen und bejeligenden Traum
der Liebe felber wach zu rütteln. Da nimmt fie Ab-
ichied von Lenz und Jugend, Fünftighin als ernjtes und
wunfchlojes Weib den ftarren Pfad der Pflicht zu wandeln.
Langſam erhebt fie fich, ergeben und ruhig, fchreitet
zu dem Kamin und legt mit ficherer Hand die Briefe in
die Flammen. Hochaufgerichtet jteht fie und ftarrt her-
nieder, wie die Funken tanzen, wie die Rauchwölfchen
— 333 —
ihre Kreife ziehen und die Glut mit roten, gierigen Lippen
die Blätter Füßt, auf welchen gefchrieben fteht: „Ich Habe
dich lieb, Marie Luiſe!“
Dao knirſcht die Portiere leife in den feidenen Zalten,
und eine Stimme fpricht Hinter ihr: „Umfonft, gnädige
Frau! Das Feuer verzehrt nur Vergängliches, den Becher
nur, aus weldhem Sie den Zaubertrank des Glückes ge-
nofjen, das ſüße Gift ſelber ift Ihnen zu Fleiſch und Blut
geworden, und nicht die Opferbrände einer ganzen Welt
vermögen es, die Worte aus Ihrem Herzen zu merzen,
welche für alle Ewigkeit hineingegraben ſind!“
Zuſammenſchreckend hatte ſie das Haupt gewandt, in
dem Türrahmen ſtand Graf Goſeck und blickte ihr mit
düſtern, tief umſchatteten Augen entgegen. Seine Stimme
war durchklungen von einer faſt unheimlichen Überzeugung,
und dennoch war es, als bebe ein tiefes Mitleid durch
ſie hin, als grabe nur Schmerz und Wehmut die Falten
in ſeine Stirn. |
Zartes Rot ftieg in die Schläfen der jungen Frau.
„Wie tommen Sie zu folch ungewohnter Stunde hier-
her? wie war es möglich, daß ich Ihr Eintreten nicht
früher bemerkte?” fragte fie erjchroden.
Zangfam trat er näher und verneigte ſich, ohne ihr
die Hand zu reichen. „Für dieſes ungebührliche Ein-
dringen bitte ich zupor um Berzeihung und Hoffe, daß
Sie mir geftatten, mich durch ein Kommentar dazu bon
dem Schein der Indiskretion zu entlajten. Schmwebende
ragen über den Ankauf von Ländereien führten mich,
— 334 —
der es ſeit Jahren gewohnt iſt, jeder Stunde bei dem
beſten Freund aus- und eingehen zu können, zu Olivier,
und beſtand derſelbe darauf, daß ich meinen Morgengruß
bei Ihnen perſönlich abſtatten ſolle.“ Goſeck hob die
Hand, in welcher zwei köſtliche weiße Roſen dufteten,
etwas unſicher, mit bittendem Blick Marie Luiſe entgegen,
dann ſchien er ſich plötzlich anders zu beſinnen, biß ſich
auf die Lippen und ſchüttelte leiſe das Haupt. „Jene
Funken im Kamin leiden es nicht, ſie ſtechen mir grell
in die Augen und mahnen mich, daß die Zeit vorüber
iſt, da ich Ihnen Blüten und Briefe ſenden durfte. Ich
kenne aber eine Fabel von einem Rittersmann, des Lieb
war Nonne geworden und durfte ſeine Grüße nicht mehr
empfangen; da legte er die bleichen Roſen am Altar der
Himmelskönigin nieder, welche ihn mit denſelben dunkeln
Augen anſchaute wie fein verloren Glück, ... und durfte
es ... und tat feine Sünde.” — Die lebten Worte ver:
loren fich in faum noch verftändlichem Flüjtern, Euſtach
wandte fich zur Seite und jtedte die Roſen in Die ver—
goldete Schnigerei der Heinen Marienkapelle. Es lag
ein: Ausdruf in den großen SKinderaugen der jungen
Frau, welcher ihn ganz plößlich jäh verändert, Tebhaft
und faft heiter fortfahren Tieß: „Ihr Herr Gemahl hatte
die Abficht, mich zu begleiten, und durchichritten wir be-
reit3 die eriten Salons, als ihn der Beſuch eines Ge—
Ihäftsmannes wieder zurüdrief. Er jchidte mich als
Avantgarde voraus und läßt gehorjamft bitten, das
dejeuner heute bereit3 um 12 Uhr in feiner und meiner
— 3355 —
Geſellſchaft einzunehmen, da es notwendig ſei, im ſo—
fortigen Anſchluß daran Viſiten zu fahren.“ Goſeck
lachte gedämpft auf und zuckte die Achſeln. „Sie müſſen
ſich ſchon von vornherein daran gewöhnen, mich ſehr oft als
Dritten in Ihrem Bund aufzunehmen; Olivier zwingt mich
quaſi dazu, da er kleine Tafelrunden ſehr langweilig findet
und behauptet, er müſſe ſich erſt ganz allmählich meine
ihm unentbehrlich gewordene Geſellſchaft abgewöhnen!“
Marie Luiſe hat längſt durch eine Geſte gebeten,
Platz zu nehmen. Es lag viel ehrliche Freude in ihrer
Verſicherung, daß die Freunde ihres Mannes auch ihre
Freunde ſeien, und daß er ſtets willkommen wäre; gleicher-
zeit aber ſprach fich in ihrem ganzen Weſen eine jo un=
bewußte und ernfte Würde aus, ein fo naives und rüd-
haltsloſes Vertrauen zu ihm, daß Graf Gofed die Wimpern
niederfchlug, gleich wie ein Jäger unwillkürlich die Büchfe
finfen läßt, wenn zwei klare Rehaugen ihn furchtlos anfehen.
Er lehnte fih auf den Seſſel und ftarrte einen
Moment mit gefurchter Stim auf den Sonnenftrahl
nieder, welcher einen zitternden Golditreifen über den
Teppich und die weiße Schleppe ihres Morgenkleides
malte. Dann atmete er tief auf. „ES ift ein köſtlich
Ehrenamt, Ihr Freund zu fein, Frau Marie Luife“,
ſagte er mit leifer Stimme, „wenngleich wohl faum eine
größere Dual erfonnen werden kann, al3 einen Ber: .
Ihmachtenden zum Hüter eines Trijtallflaren Quells zu
machen, zu welchem er nicht herniederfinfen fann, weil
Hand und Fuß gefefelt find.”
— 336 —
Fragend und verſtändnislos ſchaute ſie zu ihm auf,
er aber fuhr mit kaum beherrſchter Leidenſchaft fort:
„Auch meine Seele dürſtet nach dem Glück, und dennoch
werde ich vor einem vollen Becher ſtehen und ihn für einen
anderen hüten! Ein Tantalus, welcher dennoch mit
keinem Könige tauſchen würde! Ja, Sie bedürfen eines
Freundes, gnädige Frau, eines Freundes, welcher es
künftighin verhindern wird, daß Sie Stunden durchleben,
von deren Weh und Verzweiflung jene verkohlten Blätter
im Kamin die beredteſten Zeugen ſind!“
Sie errötete, aber ſie blickte ihm feſt in die Augen.
„Sie zürnen mir, daß ich jene Briefe, in welchen Sie
mir einen ſchönen Traum erhalten wollten, vernichtete!
Es geſchah nach reiflicher Überlegung und wird niemals
von mir beflagt werden. Morphium betäubt wohl den
Schmerz, aber es ift ein gefährlich Gift und heilt nur
feine Leiden, um felber zur unheilbaren Krankheit zu
werden! Jene Briefe aber find nichts anderes ala wie
derartig füße Tropfen, welche über eine qualvolle Wirk—
lichfeit Hinwegtäufchen ſollen!“ |
Goſeck hob wie jäh entichlojfen das Haupt, ein faſt
ftarrer Ausdrud lag auf feinem farblofen Geficht. „Und
warum diefe Wirklichkeit überhaupt ertragen? Ein Wort
von Ihnen, gnädige Frau, und ich erlöfe Sie aus aller
diefer Not, ich führe Sie zurüd zu Freiheit und Leben
und trete mit Gut und Blut für Sie in die Schranken,
wenn ich ungefchehen machen Tann, was zu Ihrem Fluch
geworden, wenn ich den goldenen Reifen zu fprengen ver-
ze ze
mag, welcher fich als Sflavenring um Ihren Finger jpannt.
Befehlen Sie über mich!” Voll verzehrender Glut brannte
fein Auge auf ihrem lieblichen, jäh erbleichenden Antliß,
fie aber jchüttelte voll wehnrütigen Ernites das Köpfchen
und reichte ihm die Hand entgegen.
„Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme, welche Sie
vol edeln Eifer zu meinem ritterlichen Anwalt machen
will, Graf Goſeck! So Gott will, werde ich diefen Ring
ebenjo unverändert am Finger tragen, wie ich wankellos
das Gelübde der Treue halten will, welches ich ge—
Ihworen. Auch fehen Sie mein Schidjal fchwärzer an,
als es il. Was berechtigt mich zu dem Verlangen, ge-
liebt zu werden? Da ich mich gejtern abend in dem
Ballfaal umgejchaut, ift e8 mir erjt offenbar geworden,
wie tief fich Dlivier herniedergeneigt hat, mich aus der
Berborgenheit empor an feine Seite zu heben. Was bin
ich, und was habe ich, um eines folchen Glückes wert zu
fein? Wie viele Taufende müſſen mich beneiden, daß er
mich außerlejen hat, feinen Namen zu tragen, daß er mich
mit. Pradt und Reichtum umgibt, daß ich fein guter
Kamerad bin, der Luft und Leid und Glüd und Not mit
ihm teilen darf? Des Glüdes Übermaß aber bricht
die Herzen, welche nicht ganz feit in Demut und in
Gottesfurcht ftehen, gar leicht in den Staub hernieder,
und darum weiß es unjer Bater droben wohl am beiten,
warum er zumeiſt ein Kreuz errichtet, diefe ſchwachen
Menſchenherzen zu ſtützen!“
Ein rührendes Lächeln verklärte ihr = Goſeck
N.v. Eſchſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Hazard II
— 338 —
aber wich ihrem Blicke aus und zwang ſich faſt gewalt—
ſam zur Ruhe. Es tobte und kämpfte in ihm; Zer—
knirſchung und frommes Entzücken, welches ſich vor der
Geliebten gleichwie vor einer Heiligen niederwerfen möchte,
und die begehrliche, ungeſtüme Leidenſchaft, welche mit Ge—
duld und Berechnung ringt. Langjam ftric) er mit der
Hand über die Stirn.
„Gebe Gott, daß all dieje braven Worte, mit welchen
Sie fich jelber ein Rezept verjchreiben, viel Elend mit noch
mehr Würde zu tragen, fich bewähren möchten!” fagte er
ernit, trat einen Schritt näher und fchaute ihr plößlich feſt
und tief in3 Auge, al3 wolle er ihre Seele mit diejem
Blidezwingen. „Einesaber geloben Sie mir, gnädige Frau!
Sollte jemals die Stunde kommen“ — in feiner Stimme
lag ein Klang, welcher voll unheimlicher Überzeugung
‚verficherte: „und fie wird kommen!“ — „in welcher Sie
rat= und hilflos, verlaffen von allen, verwaiſt und ver-
loren, Ihr Unglül nicht mehr ertragen fünnen, wenn
Sie nicht willen, an wen fich wenden in aller Not, dann
fommen Gie aus eigenem Antriebe und aus
eigenftem Entjchluffe zu dem, der Ihnen helfen
wird gegen eine ganze Welt, der... wird es gefordert,
mit dem Herzblut Ihr Glück und Ihren Frieden erfauft,
und feine Gefahr und feine Mühe jcheut, fann er Ihnen
dadurch eine Träne trocdnen, — zu mir, gnädige Frau!“
Er preßte Ihre Hand feiter und fefter, er neigte fich
näher und wiederholte durch die Zähne: „Bei allem, was
Ihnen heilig ijt, geloben. Sie es!“ |
— 339 —
Ein jähes, angſtvolles Bittern erfaßte Marie Luiſe,
fie hatte das Gefühl, als lege Sie ihre Hand in eine
Schlinge, welche fich verderbend darum zufammenziehen
wird. Als fie aber in ratlojer Bein den Bli hob, da
ſchaute fie juft in dag lächelnde Antlitz des Schutzengels,
welcher ihr gegenüber die Marmorjchwingen ausbreitete
und ihr zuzuniden jchien: „Gelobe es ihm!”
Still ward’3 in ihrem Herzen, fie jah zu Goſeck
empor und zog die Hände nicht zurüd. „Sa, ich werde
fommen, und Sie werden meines Glückes Hüter fein!”
ſagte fie jchlicht.
22*
Kacalrzae —
XV.
„D du liftiger Teufel!
Wer kann ein Weib durchſchauen?“
Shalefpeare Cymbeline.
V. Aufz. 5. Sz.
n dem kleinen Saal neben der Bildergalerie wurde
das Diner von der Großherzoglichen Familie ein—
genommen.
Es waren für den heutigen Tag keinerlei Einladungen
ergangen, nur das erbprinzliche Paar und Fürstin Tauten-
jtein erfchienen bei der Tafel, und außer ihnen ſchloſſen
die wenigen bdienfttuenden Hofchargen die Kleine Runde.
Prinz Marimilian fchien entweder ſchlechte Laune zu
haben oder dem Gefchmad der modernen Welt nicht recht
zu huldigen. Seine vielreizende Nachbarin konnte fich
allerdings über feinerlei Vernachläffigung beklagen, dazu
war der fürftliche Seefahrer ein viel zu reſpektvoller Vers
ehrer von Frauenſchönheit und Frauenwürde, aber dennoch
wollte die Unterhaltung zwijchen ihm und Fürftin Claudia
nicht jo üppige Blüten treiben, wie man e3 fonjt bei fait
jeglichem Zwiegeſpräch mit ihr gewohnt war. Das große,
geiftuolle Auge des Prinzen, welches fo leicht in faft
— 311 —
übermütiger Heiterfeit aufbligen Tonnte, fchien im Anz
Schauen der beweglichen Erjcheinung der Fürftin zu er—
ftarren, und wiederum wirfte dieſes klare, Durchdringende
und ruhig beobachtende Auge wie lähmend auf alle
Lebenzgeijter der ſchönen Frau ein, welche anfänglich
die Wimpern zwinfernd zujammenfniff, als fehe fie in
unangenehm blendendes Licht, und fchließlich dem Blick
des „langweiligen Seebären” ganz auswich, welcher es
ſo gar nicht verftand, feine Nachbarin in der Weije zu
unterhalten, wie fie es liebte. Schließlich ſtockte das
Geſpräch und brach gänzlich ab. Claudia wandte ſich
zum Erbgroßherzog und verjtand es, durch ihre Fragen
zu intereffieren; ſehr gefchieft Ienkte fie das Thema auf
den Dpernhausball und Hatte auch bald die Genug:
tuung, den Baron von Nennderfcheidt und feine Ver—
mählung als Tagesfrage von der ganzen Tafelrunde bes
handelt zu hören.
„Ich habe dem vielbefprochenen Mann wirklich) die
größten und freundlichiten Sympathien entgegengebracht,
wie wohl die Hofloge am beiten bezeugen kann“, fagte
fie mit weicher, etwas klagender Stimme und fopierte
dazu die träumerisch großen Augen des Bodenhaufenfchen
Märchens, „aber jo graufam enttäufcht war ich wohl nod)
nie im Leben, als wie von diefem ‚Talmi-Driginal‘,
welches wahrlich nicht mit geiftvoller Freimütigfeit jeine
Streiche in Szene ſetzt, ſondern lediglich wie der NRiefe vom
Sundland einherjtolpert, mit Keulen dreinzuſchlagen!“
„Sie überrafchen mich, Durchlaucht!“ Prinz Mari:
— 342 —
milian legte Meſſer und Gabel nieder und richtete fich
noch höher empor. „Entweder haben fie jehr viel Geduld
und Selbſtbeherrſchung, einer unliebjamen Perfönlichkeit
freundlich zu begegnen, oder mir mangelt jegliche Menſchen⸗
kenntnis. Gejtern abend hätte ich darauf ſchwören mögen,
daß der Glüdspilz Nennderfcheidt eine neue Proteftorin
gefunden habe, Die energifch gegen alle Verleumdung und
Klatſchſucht, mit welcher man die Kaprizen aufbaufcht, zu
Felde ziehen wird!”
Claudia lachte leife auf und rümpfte ein ganz Flein
wenig dag Näschen. „Es ift und bleibt eine alte Ge—⸗
ichichte, daß der Schein trügt ... . und der große Brite
hatte wohl zu mehr als einer unferer modernen gejell-
Ichaftlichen Bewegungen da3 Motto gefchrieben: „Wie
oft birgt innere, ſchwere Schuld, der außen Engel fcheint
an Huld!” Auch ich ſchien von engelhafter Langmut und
Milde, und dennoch machte ich mich wahrhafter Barbarei
ichuldigl” Sie zerteilte mit feharfem Schnitt dag Stüd
Ananas auf dem Teller, ihr Blick Hufchte zu dem Erb=
großherzog empor. „Der Herr Baron von Nennderjcheidt
offerierte mir nämlich in einer unglaublich faden Sauce
fein Herz und feine drei Duäntchen Verftand zur gefälligen
Kenntnisnahme, und ebenso wie dieſe fchöne, goldige Frucht:
icheibe hier, zerlegte ih nun — langjam und gründlich
diejes tolle Herz.” —
„Seien Sie vorfichtig, Durchlaucht, ich bin ein enra=
gierter Gegner der Viviſektion!“
Fürftin Tautenjtein wandte das Köpfchen und lachte
— 343 —
Prinz Maximilian mit perlweißen Zähnchen an. „Wer
fagt Ihnen denn, Hoheit, daß ich mein Opfer quälte?'
Es hielt fo behaglich till, daß ich überzeugt bin, es hat
auch feine Ahnung von der ‚moralifchen‘ Operation, welche
ih an ihm vornahm! Da jedoch mit einem einzigen Blid:
jo viele Verrücktheit, plumpe Tölpelei und Kedheit, welche
jeden Augenblid droht, als formlofe Dreiftigkeit über Die
Stränge zu jchlagen, nicht überfehen und bemeſſen werden
fann, fo bedurfte e8 längerer Zeit zu meiner Studie.
Und da ich doch, nach dem Betragen diejes tollen Junkers,
faum annehmen fann, ihm und jeiner Gemahlin auf hie=
jigem Parkett wieder zu begegnen, jo mußte ich eben Die
Beit benugen, mein geijtiges Skizzenbuch um eine u
fatur zu bereichern!”
Die Stimme der fehönen rau hatte ebenjo wie ihre
Züge einen fait gehäffigen Ausdrud angenommen; jcharf
und lauernd traf ihr Blid das Antli des Großherzogs,
welcher aufs höchſte frappiert, ebenjo wie alle Anwejenden,
die Sprecherin anftarrte, al3 traue er feinen Ohren nicht.
Dunn zog eine leichte Wolfe des Unmut über feine
Stirn.
„Ich muß geſtehen, liebe Fürftin, daß mich Ihre
Kritik in hohem Grade überrajcht, und daß dieſelbe jehr
vereinzelt jteht. Baron Nennderfcheidt ift einer unferer
beliebteiten Kavaliere, und werden Sie vielleicht nur durch
feine etwas draftifche Art und Weife, der Gefellichaft feine
junge Gemahlin zuzuführen, in Ihrer Meinung beeinflußt
fein
— 34 —
Ein undefinierbared Lächeln neigte Claudiag Mund-
winfel, dann aber blicdte fie mit großen, träumerifchen
Augen fast traurig zu dem hohen Herrn hinüber. „Hätte
ich zuvor die taftlofe Komödie, welche der Freiherr aus:
nahmslos der ganzen Nefidenz vorgefpielt hat, in all
ihren Einzelheiten gekannt, Königliche Hoheit, ich würde
ihn felbitverjtändlich fo ignoriert haben, wie er e3 verdient
hat, eine Zeit lang völlig links liegen gelafjen zu werden,
aber ich war durchaus ahnungslos und unbeeinflußt, im
Gegenteil, durch ſein Renommee für ihn eingenommen, und
habe dennoch diefen wenig günftigen Eindrud von ihm
erhalten. Bon ihm ſowohl wie von feiner rau, welche
meiner Anficht nach erjt noch in eine Penfion gejchict
werden muß, ehe fie courfähig wird!”
„D, 9, halten Sie ein in Ihrem Grimme, durch—
lauchtigfte Fürftin!” lachte der Erbgroßherzog, dieweil
fi) alle Köpfe in atemlofem Lauſchen vorneigten, „ic
habe allerding3 die junge Frau nur von weiten gejehen,
aber fie jo allerliebft und comme il faut gefunden, wie nur
möglich!” |
'„Comme il faut!!” Fürftin Zautenftein faltete die
diamantgligernden Händchen mit einem humorvollen Stoß-
feufzer vor dem Zeller. „Der blaue Dunjt der Ferne
idealifiert alles, Königliche Hoheit. Es ift mir felbit
ſchon paffiert, daß ich einen Kohlfopf für eine Roſe, und
eine rofig fchimmernde lage für ein lächelndes Mädchen-
antli& gehalten habe, und daß ich bei einer Fahrt durch
die Felder der Vogeljcheuche mit eingetriebenem Zylinder
— 345 —
fehnfuchtsvoll entgegenwinfte — ‚da kommt mein füßes
Männchen |!
Claudia verjtand es, wirfungsvoll zu erzählen, fie
hatte die Lacher auf ihrer Seite, nur fchräg von der
— 346 —
Tafel herüber traf das graue Auge des Fräulein von
Speyern falt und groß das ihre.
„un... was zum Beifpiel haben Gie an der
jungen rau auszuſetzen, liebe Claudia?” fragte die Groß⸗
herzogin in ihrer ruhigen, würdevollen Weife, und Prinz.
Marimilian neigte das Haupt näher zu der Erbgroß-
herzogin, welche ihm Hinter dem Fächer etwas zuflüfterte.
Er nidte haſtig zuftimmend, beide waren faft jtet3 der
gleichen Meinung.
„Ihr ganzes Weſen iſt ridieule! und das ift wohl
der Extrakt meiner Kritik, gnädigjte Herrin! Einen Knix
produzierte fie... . tauſendmal fchade, daß ich ihn jeßt
nit vormachen kann, aber ich hatte unmillfürlichen
Screden, fie möchte fih in dem Momente etwas inner-
ih verſtauchen!“
„Brillant illuftriert I”
‚Und dann Hat jie entichteden ein halbes Dutend
Glieder zu viel, welche ihr überall im Wege find. Sie
nahm alles mit, was nicht niet- und nagelfeft war; was die
Ellbogen nicht faßten, wiſchte die Schulter mit fort, und
was den Fußtritten entging, geriet in Kollifion mit den
Knien; wahrlich, ich habe ganz unmillfürlich die jteinernen
Eckpfeiler am Portal daraufhin angejehen, ob fie der
Rüden der Frau von Nennderjcheidt vielleicht auch poliert
habe!”
„Alſo .. . wie man zu fagen pflegt, noch ohne jeg-
liche Dreffurl” lachte der Großherzog, mehr und mehr
von dem Charme befangen, welcher über dem ganzen
— 347° —
Weſen der ſehr animierten Erzählerin lag, „aber da läßt
fich gleich nachhelfen, und dag Fegefeuer der Chronique
scandaleuse, welches unjichtbar und dennoch fühlbar hier
auf dem Parkett lodert, wird bald die Kleinen Schladen
ber Unbeholfenheit abgejchmolzen haben!” |
„Der tolle Junker würde gewiß toll genug fein, die
hiefigen Säle als Kinderftube oder Erziehungsanftalt zu
benugen, falls man ihm die Erlaubnis dazu gäbe!”
Der hohe Herr blidte jäh auf, feine Augenbrauen
zogen fich ein Hein wenig zufammen. „Ah... Sie un-
erbittliche Richterin wollen die Piken vor dem freiherrlichen
Paare freuzen lafjen ?”
Claudia nidte eifrig, aber nicht gehäflig oder zürnend,
fondern wie ein fehmollendes Kind. „Nicht für immer,
Königliche Hoheit, aber eine Lektion verdient der dreite
Batron, und das ift wohl die Anficht der ganzen Reſi—
benz, welche mit fich jelber fchon einmal fpaßen läßt, es
aber um alle Welt nicht zuläßt, daß das Unkraut Taft-
Iofigfeit und Übermut über den Stamm hinaus big in
die Krone empormuchert |”
Aller Gefichter wurden ernſt, bejorgt blicdte Rudol—⸗
phine Alerandromwna in die verdüfterten Züge ihres Ge—
mahls, welcher langſam mit der Hand über die hobe,
gefurchte Stirn ſtrich. „Man beichäftigt fich in der Ge-
jellichaft fehr viel und fehr lebhaft mit dieſem crimen
laesae majestatis des Herrn von Nennderfcheidt, ohne
Unfere Erlaubnis eine rau zu nehmen?” forjchte er mit
außergewöhnlicher Schärfe in der Stimme, gleicherzeit
— 3485 —
auch) die Hofinarjchallin mit einem Fragenden Blick
itreifend.
Die dide Erzellenz legte erfchroden das Stück Konfekt,
welches fie joeben zum Munde führen wollte, auf den
Teller zurüd, Claudia aber fam ihrer Antwort zuvor.
„Soviel ich ala Fremde beurteilen Tann, hat der Sturm
ausgetobt; — in den Hoffreifen wenigftens. — Man hat
nach Verdienſt gerichtet und den Herrn Baron nebjt
Gattin zu dem alten Eifen gelegt.”
Das klang wie vollfommen jelbjtverftändlich.
„Zetfählih? wie man ſich doch irren kann! Ich
glaubte bemerkt zu haben, daß man dem jungen Baare
wohl anfänglich etwas unnahbar gegemüber ftand, daß
aber die Stimmung fehr bald umſchlug, und rau von
Nennderfcheidt in auffallender Weife von Damen und
Herren umringt war?” Prinz Marimilians Blick ſchweifte
dabei wie Bejtätigung heijchend über Die une
Allgemeine Berlegendeit.
„Allerdings Tießen fich viele junge Kavaliere vor:
itellen ... .”
‚Man war etwas neugierig.”
„Königliche Hoheit felber Hatten durch den Vergleich
mit der Defreggerjchen Madonna einen Kampf der größten
Meinungsverichiedenheit entfacht.”
Fräulein von Gironvales Durchdringendes Organ über:
tönte die jehr vorfichtig eingerworfenen Bemerkungen, ihr
Blick zudte wie eine Dolchſpitze nach Fides hinüber, aber
fie fpielte fi) vollflommen auf die harmlos Naive aus.
— 349 —
„Halten zu Gnaden, Hoheit, ich glaube den plößlichen
Umjchlag des Stimmungsbarometers erklären zu können!
Erſt zeigte er allerdings auf Sturm und Gewitter, nach:
dem aber Fräulein von Speyern mit lauter Stimme ver-
ficherte, daß Königliche Hoheit der Großherzog das Be—
nehmen de3 Freiherrn gebilligt habe und ihn nach wie
vor voll Huld und Gnade
empfangen werde, da jtieg
das Queckſilber ſelbſtver—
ſtändlich wieder auf Son—
nenſchein, denn nun war
doch abſolut kein Recht
mehr vorhanden, öffentlich
zu revoltieren!“
Claudia machte der
kleinen Franzöſin ein ſehr
anerkennendes, wenn auch
unmerkliches Zeichen; der
Großherzog aber wandte
ſich aufs höchſte überraſcht
zu der Hofdame, welche — frei und gerade ins Auge
ſchaute.
Wie in jähem Schrecken legte die Erbprinzeſſin die
Hand auf den Arm Marimilians.
„Sie haben mutig und fühn die Vorjehung gefpielt,
und um des lieben Friedens willen etwas eigemmillig die
Looſe für den verjehmten Mann gemilcht, Fräulein. von
Speyern ?”
— 350 —
„Dazu würde nicht Mut, fondern fehr viel unverzeih-
liche Dreiftigfeit gehören, Königliche Hoheit.” Voll und
Har lang die Stimme der Sprecherin gegen da3 fchrille
Drgan ihrer VBorreduerin. „Fräulein von Gironvale be—
herrſcht als Ausländerin unjere Sprache nicht fo voll-
fommen, um meine Nußerung dem Wortlaute nach wieder:
holen zu können, und erlaube ich mir, fie in ihrer Mit-
teilung der Wahrheit gemäß zu korrigieren. Auf die Fragen
verfchiedener Herrichaften, welchen Frau Fama Unwahr⸗
beiten und Berleumdungen in die Ohren geflüjtert hatte,
antwortete ich nach Piliht und Gewiſſen, daß Baron
Nennderſcheidt den Takt gewahrt und feinem Königlichen
Herrn in privater Audienz Mitteilung von jeiner bevor=
jtehenden Bermählung gemacht habe. Diefe Behauptung
glaubte ic) vertreten zu können!“
„Selbftverjtändlich, meine liebe Speyern, Sie ver-
fündeten nur eine Tatſache.“ Das Antlit des hohen
Herrn hellte fich auf, voll freundlichen Intereſſes weilte
fein Auge auf der ftolzen, kraftvollen Geſtalt, welche
einzig den Mut gehabt Hatte, für Recht und Wahrheit
in die Schranken zu treten. „Sie haben aljo von vorn—
herein Bartei für den tollen Junker genommen, aus welchem
Grunde? Wer garantiert Ihnen die Möglichkeit, Ihren
Klienten aus diefem Diluvium allgemeiner Empörung an
ein rettendes Eiland zu lotſen?“
Fides lächelte. „Mein Vertrauen auf edle und madjt:
volle. Hilfe, welche al3 Steuermann das Schifflein lenkt,
Königliche Hoheit!” entgegnete fie furchtlos; „ich weiß,
— 351 —
daß die Flut der Verketzerung niemals jo hohe Wogen
treiben fann, um Purpurſtufen zu bejpülen, und darum
flüchtete ich meine Schiffbrüchigen zu ihnen und weiß, daß
man fie daſelbſt beichügen wird!”
Claudia Finger frampften fie) um den Fächer, mit
fajt verlegendem Blick mujterte fie die Hofdame, welche
e3 wagte, offiziell gegen fie Front zu machen. Der
Großherzog aber neigte fich lebhaft vor
und jchien plöglic jehr wohlgelaunt.
„Eine andere Lesart, meine liebe Fürjtin!
e3 freut mich aufrichtig, daß Fräulein
bon Speyern und ein wenig ihre Anficht
über dieje ganz fatale Affäre entwicelt
und Sie hoffentlich) von einem Vorurteil
furiert, welches ganz entfchieden nur durch
die momentan fchiefe Stellung des Frei-
herren gebildet wurde. Auf Baronefje sides
fann man fich verlaffen, fie ſpricht jelten ein
direktes Urteil aus, tut fie eg aber, jo legt
ſie auch für ihre Anficht die Hand in das Feuer!”
Fürſtin Tautenſtein lächelte jehr höflich. „Ich bin
äußerft gejpannt, Königliche Hoheit”, erwiderte fie, ent-
faltete den Fächer und lehnte fich in ihrem Stuhl zurüd.
Das ruhige Antliß der Hofdame aber glühte auf, als jie
das Haupt dankbar gegen den hohen Herrn neigte.
„Sie finden aljo den Baron gar nicht jo verbrecherifch,
al3 wie man ihn verjchreit?”
„Wenigſtens nicht ſchuldig genug, um eine völlig
— 352 —
harmloſe Perfönlichkeit, feine junge Frau, zugleich mit
ihm zu verdammen und fie für die unüberleate Tat ihres
Mannes fo jchwer leiden zu laſſen, wie es gejtern jchon ge=
ichehen tft. Warum nimmt man dem Herrn von Nennder-
fcheidt den Übermut, welchem man früher applaudierte,
jest fo gewaltig übel? Daß er erſt im lebten Augen—
blick, gewiffermaßen auch als Überraschung, jeinem Herrn
und Großherzog Die Anzeige von feiner Vermählung
machte, war angejicht3 der großen und vielen Beweiſe
fajt väterlicher Huld, welche er von Hochdemſelben em=
pfangen, entjchieden taftlos, aber im Verhältnis zu feiner
fait fprihwörtlichen Originalität und den Eulenfpiegeleien,
welche ihm fo oft gnädigſt nachgefehen wurden, faum in
Betracht zu ziehen.”
„Sehr richtig! außerdem muß man mit der Tatjache
rechnen, daß es im gewöhnlichen Leben faum einen
größeren Scherz gibt, al3 die Welt Durch feine Verlobung
zu überrafchen !’
„And meiner Anficht nach Hatte Herr von Nennder-
icheidt feinerlei Verpflichtung, irgend eine Perſon der
Geſellſchaft in feine innerſten Herzensangelegenheiten ein-
zuweihen.”
„Herzensangelegenheiten! hahaha ... Der Heiligen-
ichein zerbricht Ihnen zwiſchen den Fingern, ehe Sie ihn
dem tollen Junker, gleich einem PBanamahut, über die
Locken jtülpen können!”
Fürftin Tautenſtein preßte dad Spibentuch lachend
gegen die etwas blaß gewordenen Lippen, und Fräulein
— 353 —
bon Gironvale fuhr mit biffigem Ton dazwifchen: „Das
eben finde ich unerhört, daß der Herr Baron mit den
heiligjten Gefühlen feinen Spott treibt, daß er nicht den
Eid der Treue ſchwört, um ihn zu Halten, fondern
lediglich, um ein Pofjenfpiel aufzuführen und die ganze
Nefidenz zu düpieren!“ |
Fides zucdte die Achjeln, und da fie der Großherzog,
eine Antwort erwartend, anjahb, hob fie mit etwas
ironiſchem Lächeln dag Haupt. „Düpiert fonnten nur
Diejenigen fein, welche auf die beite Partie des Landes
ivefulierten; es iſt leider Gottes jtet3 der alte Refrain
bei dem Lied vom grünen Sungfernfranz, daß die Damen
einem Manne alles vergeben, nur nicht die Brutalität,
ſich mit einer anderen zu verheiraten,”
Schallendes Auflachen des Großherzog! und Prinz
Maximilian, in welches faft die ganze Tafelrunde ein-
itimmte, nur Mademvijelle Esperance machte ein Geficht,
als ſei fie geohrfeigt worden, und jtarrte faſſungslos auf
ihre Herrin, welche einen Moment den Eindrud machte,
als ob ihren rofigen Fingerjpigen Krallen wachjen wollten.
Dann warf Claudia das Köpfchen zurüd und maß Fräu—
fein von Speyern mit feindlichen Blid.
„per alte Refrain kann aber auch mancherlei Varia—
tionen haben!” entgegnete fie voll jcharfen Hohnes, „und
foll e3 zeitweije auch vorkommen, daß verſchmähte Liebhabe-
rinnen fich fpäterhin voll aufopfernder Freundſchaft des be=
treffenden jungen Baares annehmen, um dadurch den Schein
der Eiferfuchht und Mißgunft von fich u 1
N. v. Eſchſtruth, IL Nom. u. Nov, Hazard II.
— 9351 —
Des Großherzugs Auge fchien zu wachjen in zornig
aufflammendem Blick, und Prinz Maximilian legte den
Eislöffel härter wie nötig auf den Teller zurüd. Fides
aber blickt voll ftolzer Nuhe, kaum die Farbe wechjelud,
in der Fürſtin Schönes Antlitz.
„Gewiß gibt es auch davon Beifpiele, Durchlaucht,
aber leider recht wenige, denn die Zahl jener willens-
jtarfen Frauen, welche ihr eigen Herz bejiegen, und
deren Tugend größer tt wie ihre Laſter, find felten.
Ich Habe einft ein Gleichnis gehört, welches die Charaktere
der Frauen verjchtedener Nation beleuchtet. Die Franz
zöfin jagt” — der Bli der Sprecherin ftreifte Fräulein
von Gironvale —: „sch habe ihn geliebt, er Hat mich
verraten . . . m’importe! ic) tröſte mich mit einem
andern! Die Staltenerin tobt: ‚Sch habe ihn geliebt,
er hat mich verraten, ich werde mich rächen und ihn .
töten! Die Ruſſin grübelt: ‚Sch liebte ihn, er verriet
mic), ich werde ihm jchaden, wo ich kann! — Und die
Engländerin zuct die Achjeln: ‚Der, den ich liebte, hat
mich verraten, wie gut, Daß er mich nicht noch bejtohlen
hat! Die Deutjche aber faltet weinend die Hände und
(egt fie auf ihr blutend Herz: ‚Sch habe ihn geliebt, und
er hat mich verraten, num will ich beten, daß er troßdem
glücklich werde!” Fides machte einen Mugenblic eine
Paufe, ihr Blick jchweifte über die ernjten, teilweife ge—
neigten Gefichter, und wieder den früheren Ton ein-
Ichlagend fuhr fie fort: „Da Sie nun eine geborene
Auffin find, Durchlaucht, fo mag Ihnen das deutjche
— 355 —
Meib, welches vergibt und vergißt, allerdings ein Gegen
ſtand des Spottes fein; wenn Sie ſich aber überzeugen
werden, daß Ehre und Sieg nicht nur mit den Waffen
germanifcher Heere zu erringen find, fondern auch mit
jenen unfichtbaren des Geiftes, welche die Frauenhand
führt, dann werden Sie die goldene Variation des alten
Refrains aus vollfter Überzeugung mitfingen!“
„Hoffen wir. das beſte. Ich werde. mir Fünftighin
alle Mühe geben, Baron Nennderfcheidt mehr und gründ-
licher wie bisher zu ſtudieren!“ zudte Claudia gelungweilt
Die Achſeln, und doc) fprühte e8 in ihrem Auge wie Triumph);
der Großherzog aber nidte der Hofdame freundlich zu und
gab der kleinen Debatte voll diplomatifcher Gewandtheit
eine verföhnliche Schlußmwendung. Dann jpann er den
Faden der Unterhaltung gejchict auf ein anderes Thema
hinüber. Nach der Tafel zogen fich die hohen Herr-
haften, außer Brinz Marimilian, fofort zurüd, während
das Gefolge den Kaffee ftehend im Nebenfaal einnahm.
Fräulein Esperance hatte fi) zu ihrem Entzüden an
Hovenklingens Seite lavieren können. Aber Seeleute
Haben da3 Privilegium, langweilig und bärenhaft un—
höflich zu fein, wenn es ihnen juft in den. Sram paßt.
Der jeltene Verkehr mit. Damen’ ift eine. unfehlbare Ent:
Ihuldigung. Infolgedeſſen faprizierte ſich Mademoijelle
de Gironvale darauf, den jtruppigen Pelz fo lange mit
jeidenweicher Bürfte zu ftriegeln, bis er glatt und gefüge
wurde. Namentlich follte es ihre Aufgabe fein, den Bar:
baren von Anfer und Nahe ein wenig poetifch zu färben,
23*
— 356 —
denn der Sinn für Iyrifche Gleichniffe und fchmachtende
Elogen fehlte ihm vollfommen.
„Welch eine Übung müffen Sie haben, auf Reifen
alle Schönheiten der Natur und der Kunſt fofort mit
Kenneraugen herauszufinden! Reifen Sie nach beftimmten
Grundfäßen?”
Der junge Offizier hatte gerade die Taffe an den
Mund gehoben. Er fnurrte blog: „hm!“
„Ach bitte, bitte, jagen Sie mir nach welchen!” bat
fie mit fchief geneigtem Köpfchen.
„Höchſt einfach. Die Berge von unten, die Kirchen
bon außen und die Wirtshäufer von innen anfehen.
Dann ift die Sache erledigt.”
„O Sie Unmenſch! . Und Sehenswürdigfeiten reſpek—
tieren Sie gar nicht?”
„Ra, wenn’3 welche gibt, jedesmal! Aber es ijt mir
nur zweimal paffiert, einmal in Callao und einmal in
Peking; da wurden gerade ein paar arme Sünder einen
Kopf kürzer gemacht, . . . verdammte Schinderei das,
namentlich in China, aber man mußte e3 doch mit an=
jehen, der Rarität wegen. Denten Sie mal, wie der
eine Kerl... .”
„Fi done! . . . entfeblih ... . um Gottes Willen
feien Sie ſtill! ich werde ohnmächtig bei ſolch gräßlichen
Erzählungen!” Und Esperance hielt fich jehr graziös die
Hände vor die Ohren, „erzählen Sie mir lieber von dem
berühmten Zamatempel! Bon Sachen, die ſchön und
ideal find!”
„Zamatempel? Davon weiß ich nicht mehr, ...
ich glaube, ich habe ihn garnicht gejehen; ijt ja Unfinn,
ein Götze fieht aus wie der andere, machen egal jo!”
und Herr von Hovenflingen ftreckte
die Zunge heraus und jchnitt nickend eine Fratze, welche
jegliche, jelbjt die mindeite Spur von Eitelfeit ausſchloß.
Esperance war jehr alteriert. „Wie fann man ji)
jo fürchterlich entftellen! Schnell von den Götzen hinweg!
sc Habe einmal von einem Herrn der Gejandtichaft
über einen feenhaft jchönen Sommerpalaft des Katjers in
der Nähe von Peking ſchwärmen hören . . .“
— 358 —
„Stimmt. Yuen-ming-yuen! heißt ‚jehr glänzender
Garten‘ und wenn man binfommt? Proſte Mahlzeit,
dann muß man durd) ein Koch in einer alten Baditein-
mauer Triechen, und watet bis an die nie im Sumpf,
und wenn Sie ſich hier einen Schweineftall zufammen
reißen laffen, und ein paar alte Geſimſe und Wafchtijch-
marmorplatten mit hinein buddeln, und obendrauf als
Begetation ein paar Kohlköppe pflanzen, dann haben Sie
den ganzen Kladderadatich von Yuen-ming-yuen!”
„9, Sie machen wieder eine Mördergrube aus
Shrem Herzen! Cie wollen nur nicht eingejtehen, wie
Sie dort bei Mondichein und Bül-Büls geſchwärmt
haben!”
„Mondſchein? Der iſt fauler Zauber in ſolch netter
Gegend. Aber ... amüſiert haben wir uns allerdings,
lagerten uns unter den Bäumen und pafften eine ſehr
ſtilvolle Giftnudel in die Blüten und Fächerblätter empor,
ſozuſagen: ‚Bolldampf voraus! und dann packten wir
das Frühftüd aus! Sehen Sie, ... . wenn ich etwas
Kräftige in den Magen friege, verzeihe ich felbit dem
jehr glänzenden Garten feine romantijche Verwilderung,
und wenn id) ein Stüd Beeffteaf oder ein handfejtes
Käſebrod zwijchen den Zähnen habe, dann kann ic) felbit
in der Alhambra oder im Koloffeum fiten und die
Eaffiiche Umgebung wird mir das Vergnügen nicht be⸗
einträchtigen!“
„Sie ſcheinen ja sehr viel Wert auf das Eſſen zu
legen, Herr von Hovenklingen!“ fchmollte Fräulein von
— 359 —
Gironvale und ſtreckte das ſpitze Stimm noch jpißer vor.
„Sie find wohl jelber ein halber Stoch, welcher Madame
Davidis neben dem Schiffsfalender liegen hat?“
Der junge Offizier bemerkte, daß Fräulein von Speyern
feiner Unterhaltung folgte, er feufzte tief auf. „Kochen?
daß Gott erbarın. Auf diefem tüdijchiten Fahrwaſſer der
Wiljenjchaft piere und gehe ich jo verdammt quer wie
ein Kohlenſchiff auf Legerwall! Wenn nicht mal eine
ftolze Fregatte daher gejegelt fommt, welche fich meiner
erbarnıt und mich ins Schlepptau nimmt, laufe ich Ge—
fahr, mein Leben lang als armer Junggeſelle vor den
Sandwich Injeln . . . Sandwich ift nämlich ein ‚Faltes
Butterbrot‘ — vor Anker zu liegen!‘
Fräulein Fides wandte das Haupt noch feitlicher, aber
um ihre Lippen zuckte es.
„Als Soldat müßten Sie aber eigentlich ein paar
einfache Gerichte zu kochen verſtehen!“ ſchüttelte Esperance
vorwurfsvoll den Kopf. „Und es iſt Pflicht der Damen,
Sie ein wenig zu unterrichten. Soll ich Sie einmal in
Lektion nehmen? Ich lehre Sie die ſchönſten, ſüßeſten
Dinge zubereiten” ... ihre Augen ſchlugen ſich voll etwas
herausfordernder Stofetterie zu ihm auf, „zum Beijpiel
‚Mädchenaugen‘, ‚des soudirs‘, Marzivanherzen und...
auf Berlangen auch Baisers!”
„Pfui Deiwel!“
„Ah .. . fein Freund von Süßigkeiten?“
„Nee, mit ſolch elendem Zeug können Sie mich jagen,
daß ich an einem Raſiermeſſer bis in den Himmel
— 360 —
£lettere! . . . fchmedt ja gottsjämmerlic), geradefo, als
ob man die Zunge zum Fenſter hinausſtreckt!“
„Smpörend! jebt lernen Sie zur Strafe erjt recht das
Kochen bei mir! Haben Sie Talent? Ihren Händen
nach zu jchließen . . .” fie lachte leije auf, „müßten Sie
vorzüglich Brot baden können! Noc nie einen Verſuch
gemacht 2”
„O ja, einmal habe ich meinen Kameraden etwas auf:
getifcht, habe gefocht mit einer Gentalität und einem Erfolg,
daß ich acht Tage lang noch ganz gejchwollen war vor
Stolz; jebt, da Sie anfangen, fich über mich luftig zu machen,
erlaube ich mir, zur Revanche Ihnen diefen Schredichuß in
die Glieder zu jagen, ein Marineleutnant fann
alles!“
Bon recht3 und links neigten fich die Köpfe lachend
und laufchend näher. „Hört! hört! bitte, Farbe befennen,
Hovenklingen, was haben Sie gekocht ?”
Diefer warf ſich Stolz in die Bruft. „Bratwürftel!
aber nicht etwa fo zubereitet, wie e3 bei allen gemwöhn=
lichen Chriftenmenjchen Ufus ift, nein! fo, wie e3 mir
felbft die beite Köchin nicht nachtut, ohne Feuer ge:
braten!”
„Hut abl.... hahahal ... wohl auf Ihrem Herzen,
Hovenklingen?!“
Er machte ein wahrhaft verächtliches Geſicht. „Auf
meinem Herzen? Nein, da habe ich Sie nur transportiert,
ſo lange ſie auf Eis liegen mußten.“
„Bravo! gut gebrüllt Lön ! Aber bitte um dieſes
— 361 —
phänvmenale Nezeptl Das Rezept! ein Königreich für
dieſes Rezept!”
„Sa, das Nezept, meine Damen, das hat Ähnlichkeit
mit dem Ei des Columbus; wenn man die Sache weiß,
fieht fie folojjal einfach aus, und doch war es nur einem
beichieden, fie zu erfinden. Alſo bitte fich folgende
Szenerie auszumalen !”
„Anmöglich, es iſt ausnahmsweiſe heute fein einziger
Pinſel bier! !” |
„Ruhe, feine Anzüglichkeiten! Reden Sie, Hovenz
klingen!”
„Landpartie auf die Felſen von Sanft Domingo.
Tolles Wetter, Jagd gemacht, wilde Beitien in Sicht,
undeutlich zu erkennen . .. da e8 aber mit dem Schwanz
wedelt, muß es ein Hirfch fein, — ergo, — bumm —
bumm Schnellfeuer, und ein Flägliches Yal — war nur
der Ejel eines Mulatten geweſen. Schlagen an die Bruft,
dann weiter hinauf. Niefiger Hunger, Frühſtück. Gießender
Negen und um die Welt fein Teuer. Was wird mit den
Bratwürfteln? Hovenklingen, Eluger, weisheitspoller Mann,
fomm uns zu Hilfe! Und Hovenklingen fommt, ergreift
Nummero 122 des Militär-Wochenblattes, taucht fie in
eine Bortion Rum, wicelt die Würftel in die ‚rumbedecte:
Zeitung, ſteckt dieſelbe mitteljt eines ſchwediſchen Schiefel-
hölzchens in Brand und ... ah! Triumph und Heil
und Segen über den Erfinder, die Würftel braten!”
Ale Taſſen hoben fich in ftummem Salut, hinter
Fächer und Tafchentuch lachte es hell auf, und nur Prinz
— 362 —
Marimilian fchüttelte den Kopf und ſagte in feiner trocknen
Weile: „Nicht zu bejcheiden, Hovenklingen! Malen Sie
das Bild nach vollem VBerdienfte aus, und fagen Sie
den Damen, daß Sie an dem nämlichen Tage noch einen
Hafen im eigenen Sped gebraten und nod) etliche Schoppen
Fett abgefüllt haben!”
Allgemeiner Jubel, dann jchallte abermals die Stimme
der Fürftin Tautenjtein vernehmlich durch dag Gelächter,
und alle horchen Hoch auf, da diefelbe das Thema
Nennderſcheidt von neuem angeregt hatte.
Wie mit einem Schlag waren die heiterjten Kuliffen
wieder verjchoben, und da e8 auch Fräulein von Giron-
vale plöglic) wagte, das junge Baar und indireft auch
Fides von Speyern zu verfeßern, da ſchwoll die Ader
auf Hovenklingens Stirn an, und er begann in fait be-
leidigender Weiſe feine Nachbarin zu ingnorieren. Als
Prinz Marimilian zu der Hofdame feiner Schwägerin
trat, ihr mit warmem Drud die Hand zu reichen, lavierte
fich auch der Leutnant zur See herzu, jeinen blondlocigen
Kopf vor Fräulein von Speyern zu neigen. Sein Blid
tauchte tief in den ihren. |
„Die Fregate hat guten Kurs genommen, mein gnädiges
"Fräulein, ich gratuliere dazu! Sie haben bei Tafel eine
Rettungsboje ausgervorfen und allem Anfchein nach einen
armen Teufel damit über Waffer gehalten !”
Prinz Marimilian nidte mit ernſtem Geficht vor fich
bin. „Nicht ihn allein, ſondern auch die fturmverjchlagene
Schwalbe, welche die Flut mit ihm zugleich verfchlingen
— 363
wollte! Der Seemannsaberglaube aber prophezeit dem=
jenigen, welchem jolch jchöne Tat gelungen, viel Heil
und gute Fahrt in den heimatlichen Hafen! Da wir jee=
fahrend Volt | |
ein jolches
Glück nun alle
brauchen fünz=
nen, jo lajjen
Sie es ung
wiſſen, Capi—
tana, wenn
Ihre Kraft
den Dienſt
verſagen ſoll—
te, die beiden
Schiffbrüchi—
gen ganz und
gar an Bord
zu holen. Wir
ſtehen zu
Ihnen, wir
legen rüſtig
die Hände mit
an und teilen
ſowohl das Glück mit Ihnen, als auch bie Kaplafen,
fall Baron Nennderjcheidt eine Prämie für denjenigen
ausgejeßt hat, welcher als Schiffsladung die goldenfte
Treue und Zreundichaft führt!” — — — — — — — --
— 364 —
Am Abend desfelben Tages findet Empfang bei dem
engliichen Geſandten ſtatt. Außer der Großherzogin,
welche leichten Unmwohljeins halber das Zimmer hütet,
it der Hof vollzählig erjchienen. Sereniffimus hat
längere Zeit mit der. Gaftgeberin und deren Tochter ge:
plaudert, hat feine Minifter und etliche Generale durch
eine huldvolle Anſprache ausgezeichnet und begrüßt nun
als erjte der geladenen Damen Fürftin Tautenjtein. Die
Unterhaltung tft animiert und anhaltend; Fides von
Speyern wendet feinen Blid von der Fleinen Gruppe.
Die zarte Geſtalt Claudias, gekleidet in lichtgrünen
Geidenplüfch, welcher glänzt und fpiegelt wie ein Waldfee
im Frühling, wenn der Wind- ftellenweife darauf ſtößt,
wiegt fich auf fpigen Atlasſchuhen vor dem hohen Herrn,
und fie hebt die Hände bittend zu ihm empor und
ſchmeichelt mit unmiderftehlichen Augen.
Fides macht Prinz Marimilian beforgt darauf auf-
merffam, und der fürftliche Navigateur nidt ihr ver-
ſtändnisvoll zu und tritt zu den Plaudernden heran.
„Aber, Königliche Hoheit, ich bin überzeugt, daß man
den Mann nur bei Ihnen angeſchwärzt hat!“ verfichert
die Fürftin voll warmen Eifer. „Wie um alles in der
Welt fol ein fo unbedeutendes Menſchenkind wie diefer
Stift3pfarrer revoltieren fünnen! Cr gebietet vielleicht
über eine glänzende Suade, deren Bilderreichtum mancherlei
Deutung zuläßt, und um welche ihn die lieben Kollegen
und Vorgeſetzten beneiden!’
„Allerdings ift Eollander ein Redner von pacdenditer
— 366 —
Kraft und Überzeugung, aber er fchlägt über die Stränge
und ſchwingt auf Gebiete hinüber, auf welche er nicht
paßt. Ein Pfarrer gehört auf die Kanzel, nicht aber
auf die Tribüne, von welcher da3 Banner de3 Partei:
geiſtes weht.‘
„Mais mon Dieu ... das ilt ja fo modern! und
warum fol eine Fülle von Geift, Wilfen und Energie
unverwertet verfümmern, nur darum, weil ein blindes
Schickſal den Talar darüber gejtreift hat?”
„Beſſer e3 verfümmert, als daß es in Form von
Steinen auf glatte Wege gejchleudert wird!”
„Wenn man aber die fchroffen Eden folcher Steine,
über welche ‘vorläufig noch die friedlichen Erdenpilger
jtolpern, abjchleift und bearbeitet und in die richtige
Faſſon bringt, geben fie das bejte Pflafter und ficherjte
Fundament für die breite Heerjtraße, auf welcher der
goldene Wagen des Staates rollt!” |
„Das trifft in manchen Fällen allerdings zu‘, der
Großherzog blickte lächelnd auf die Kleine Diplomatin
hernieder, „und aus manchem Saulus iſt ſchon ein
Paulus geworden! Glauben Sie aber, daß ein folcher
Hitzkopf wie Collander, welcher in allen Dingen mit der
rückſichtsloſeſten Schroffheit vorgeht, der fich zum An—
führer einer Partei auffchivingt, um die Menge zu lenken
und zu leiten, daß der fich im geringften beeinfluffen
ließe? Hier käme e3 einzig auf die Stärfe an, wer an
dem anderen zerjchellt, — der Stein oder der Hammer?”
Claudia fchüttelte mit wahrem Engelslächeln das
— 367 —
Köpfchen. „Wer weiß, wie viel an den wahren Zügen
des Stiftspfarrer8 modelliert, wie viel an den Gerüchten
über fein reformatorisches Vorgehen aufgebaufcht wurde!
Der Mann beabjichtigt ganz gewiß das allerbeite, Hat
mit dem Eifer der Jugend anfänglich die Schranken ein
wenig überjchritten, fich Feinde gemacht, iſt durch Oppo—
jitton und Berleumdung gereizt und fo ſtürmiſch vor—
gedrängt, daß ihm fein eigenes Werk nun felber über
den Kopf zu wachſen droht. Keine Hand reicht fich ihm
dar, ihn zu ſtützen und zurücdzuführen, im Gegenteil, da—
durch, daß man ihn bei Eurer Königlichen Hoheit fo
wenig gut affredierte, und Hof und Hofgelellihaft ihn
und Sanft Brigitten vollftändig ignoriert, dadurch wird
er erbittert und mehr und mehr in falſche Bahnen ge⸗
drängt.“
„Ich durchſchaue Sie, kleine Verfucherin! Sie wollen
mich für den Pfarrer intereffieren !”
„Mehr noch, Königliche Hoheit, ich möchte ‚meinen
allergnädigften Herrn jo jehr für ihn erwärmen, daß
nüchiten Sonntag ein paar Dnegkipagen. 1 or Sant
Brigitten ſtehen!“
„Was der Taufend! Genügen zwei?”
Claudia jubelte auf. „Gewiß, Königliche Hoheit!”
„Sut, jo fahren Sie und Fräulein von Gironvale
beide eitra- vor!” Der Großherzog war fichtlich guter
Laune und lachte ſehr amüfiert auf, als die Fürstin ganz
entgeiftert. beide bittend erhobenen Hände finfen ließ.
Dann fuhr er ernithafter fort: „Vielleicht haben Sie
— 368 —
mehr Glück bei der Erbgroßherzogin, liebe Tautenftein!
Diefelbe ift Proteftorin des Brigittenhofpital3 und wird
nicht abgeneigt fein, Collander einmal predigen zu hören;
ich jelber werde mich zu Ihrem Fürfprecher machen und
hoffe, Sie werden alsdann mit meinem Eifer zufrieden
fein!” Er wandte ſich zu der alten Prinzeſſin Karoline,
feiner Schweſter, welche joeben, auf ihren Krückſtock gejtüßt,
neben die Erbgroßherzogin getreten war, mit der Bitte,
ihr die Kinder für den morgenden Nachmittag zu fchiden.
Prinz Marimilian hörte es noch mit fichtlichem Wohl
gefallen an, daß beide fürftliche Damen fich gern be=
ſtimmen ließen, einem Gottesdienst in Sanft Brigitten bei-
zuwohnen, dann trat er zu Fräulein von Speyern zurüd.
„Auf der Bad ift alles wohl, Laterne brennt!” rappor-
tierte er fcherzend. „Unſerm Protegsé drohte feinerlei Ge-
fahr.” Er fah der Hofdame mit ehrlichem Blick in die
Augen. „Sagen Sie mal, verehrtefte Baroneffe, werben
Sie aus dem eigentümlichen Wejen der Fürftin Klug?”
„Ich glaube fie durchſchaut zu haben!“
„Ah, ich bitte Sie dringend, prechen Sie ganz auf-
richtig zu mir!”
„Seitatten Hoheit, daß ich meiner Sache erft völlig
fiher und von meiner Vermutung überzeugt bin!” bat
fie mit weicher Stimme.
„Selbſtverſtändlich. Ihr Urteil wird mir um fo inter:
effanter fein.” Er neigte fich noch näher. „Willen Sie
vielleicht durch Zufall, ob die Fürſtin irgend welche Be:
ziehungen zu Collander Hat?“
— 369 —
„ein. Sprach fie von ihm?”
„In beredteften Worten und in einem Sinn, welcher
meinen vollen Beifall hat. Eigentümlich, diefe Frau ift
aus Widerjprüchen zufammengejeßt. Ich Habe nie irreli:
giöfere Anfichten ausjprechen hören, als wie von ihr; fie
behauptet, feit Jahren feine Kirche befucht zu haben, aber
nächſten Sonntag fährt fie mit Tante Karoline und meiner
Schwägerin nad) Sankt Brigitten. Das muß doch einen
gewichtigen Grund haben! Dann habe ich von vielen
Seiten gehört, fein Kavalier ſei geftern abend fo auf:
fallend von ihr ausgezeichnet worden wie Nennderjcheidt,
und heute mittag bei Tafel hat fie ihn geradezu moralisch
zerhadt,; wie reimt ſich das?“
Fides zog die Augenbrauen finfter zuſammen.
„Nichts iſt ſchwerer, als ein Weib zu durchfchauen,
Hoheit, welches in jo viel Farben jchillert, wie Fürftin
Tautenftein. Dennoch werden wir des Nätjels Löfung
finden.”
„Und wenn Sie e8 früher erraten wie ich, helfen Sie
mir auf die Spur. Wir ziehen ja an einem Strang.”
„Ehrlich gejagt, Hat mich im Leben nie etwas freu=
diger überrafcht als diefe Tatjache!”
Maximilian lächelte. „Bekenntniſſe einer ſchönen Seele.
Ich war ftet3 ein wunderlicher Geſell. In den Tropen aber
gewöhnte ich mich vollends daran, das Blendende nicht
für das Beſte zu halten. $ch trete felbit die ſchönſte aller
Blüten erbarmungslos in den Staub, wenn fie giftig it!”
N.v.Cihitrutb FM. Nom. u. Nov. Hazard IL 24
See
XVI.
Gott grüße dich! Kein andrer Gruß
Gleicht dem an Innigkeit.
Gott grüße dich! — Kein andrer Gruß
Paßt ſo zu aller Zeit. —
Julius Sturm.
FU J Yäulein von Speyern war bie erfte Dame des
d Hofes, welche den Beſuch des Freiherrn von
w) Nennderfcheidt mit feiner jungen Gemahin er—
widerte. Sie traf Marie Luiſe allein zu Haufe, Olivier
hatte das milde Wetter benußt, feinen neu angefauften
Bollblutwallad) im Stadtpark zu produzieren.
Mit großer und berzlicher Freude wurde die Hofdame
willkommen geheißen; wie ein Küchlein ſich inftinftiv unter
die ſchirmenden Flügel der Glucke flüchtet, fo juchte Marie
Luiſe ihre Zuflucht bei der hohen Yrauengeftalt, welche
in der qualvolliten Stunde ihres Lebens ſchützend an ihre
Geite getreten war. Und Fides bot der „ſturmverſchlagenen
Schwalbe” auch jebt liebevoll die Hand entgegen, da die
junge Frau ihr mit bebenden Lippen von den Schred-
nijjen der le&ten beiden Stunden erzählte, in welchen fie
gezwungen geweſen fei, eine Viſite nach der andern zu
empfangen. Lauter wildfremde Menjchen und fo viele
— 371 —
Herren, daß fie vor Angft und Herzklopfen gar nicht
babe jprechen fünnen! „Ach, daß Sie doch früher ge:
fommen wären, liebe3 Fräulein von Speyern!” ſchloß fie
mit tiefem Seufzer, „ich hätte jo viel mehr Mut gehabt,
wenn ich es Ihnen am Geficht hätte ablefen können, ob
ich meine Sache recht mache oder nicht!”
„Warum nahmen Sie aber die Bejuche an, wenn Ihr
‚Herr Gemahl nicht zugegen jein konnte, und Sie fi) —
ganz begreiflicherweife — vor foldh ungewohnten Formen
der Gefelligfeit ängjtigten?”
Marie Luije neigte das Köpfchen. „Olivier wünſchte
es, daß ich die Leute kennen lernen follte, und hätte er
eine Ahnung davon gehabt, welch ein törichter Hafenfuß
ich bin, jo würde er gewiß zugegen geblieben fein. Er
fann ſich aber gar nicht vorftellen, daß jemand in einer
Melt, darinnen er jo völlig zu Haufe ift, wie auf
glühenden Kohlen fteht, daß es überhaupt die beiden Be-
griffe ‚Scheu und Berlegenheit‘ gibt.’
Es lag eine Wolfe auf der Stirn der Hofdame, fie
ſchloß die Hände der Sprecherin feſt in die ihren. „Arme,
beflagenswerte Seele, welch eine harte Schule hat Ihnen
das Schidfal beichieden! Wenn ich bedenke, wie Sie aus
tieffter Einfamfeit, wo jedes unbekannte Geficht ein Er:
eignis war, welches Sie in den ferniten Winkel Herfa-
brunns zurüdfcheuchte, jo plöglich mitten hinein in das bun-
teſte Leben verjeßt worden find, jo ift e8 mir unfaßlich,
daß Sie fich jo wader Hineinfinden, wie Sie eg tun!”
Die Augen der jungen Grau füllten fi) mit Tränen,
24*
— 372 —
dennoch lächelte fie. „Ich glaube, e8 geht mir in dieſer
Beziehung wie einem Menfchen, der jchwimmen lernt.
Geht er langfam ing Waſſer, daß der Boden allmählich
unter feinen Füßen weicht, verdoppelt fich feine Furcht
und treibt ihn wieder und immer wieder zurüd. Stößt
ihn herbe Hand fofort in die Tiefe, jo zwingt ihn feine
eigene Hilffofigfeit, zu lernen und ſich dem fremden Ele:
ment anzupafjen. Hier fann ich mich nicht verjteden
wie in Herjabrunn, darum gehe ich all den fremden
Menjchen entgegen.”
„Mit fo viel feftem und klarem Willen werden Sie
bald jo heimifch auf dem Parkett fein wie wir, die ſchon
in den Kinderſchuhen darauf geſtanden!“
„Ach, daß es der gute Willen allein täte!” Marie
Luiſe blickte fast flehend in das ernſte Antlik des Fräulein
bon Speyern. „Mir fehlt alle Erfahrung, alle Anleitung
und alle Übung. Ich weiß nicht, was id) zu tun umd
zu laſſen habe, und darum verjtoße ich gewiß unzählige
Male gegen Form und Etifette. Der Gedanke ijt aber
jo ſchrecklich, daß fi) Olivier womöglich meiner ſchämen
muß! Ich möchte ihn jo gern davor bewahren, fich in
der Wahl feiner Frau lächerlich gemacht zu haben, ach
und darum wäre ich fo unbejchreiblich glüdlich, eine
Lehrmeilterin zu finden, welche mich offen und ehrlich auf
all meine Fehler und Vergehen aufmerkſam macht!“
Die großen Grauaugen der Hofdame blicdten voll und
feft in die ihren. „Sol ich diefe Zehrmeifterin fein, Frau
von Nennderjcheidt ?”
— 373 —
Da fchlangen fich die Arme der jungen Frau plößlich
um den Naden der Fragenden, und fie jubelte zwiſchen
Tränen: „Nur Sie, Fräulein von Speyern, Sie ganz
allein! Weiß ja felber nicht warum,
aber ich habe Sie lieb wie ſonſt feine
andere in Diefer ganzen, großen,
fremden und
ſchrecklichen
Welt!“
Fides
neigte ſich
und drückte
einen Ruß
Mauf dieStirn
VE diejer lieb—
a lichen Uns
ſchuld; über
ihr Antlitz
5 ging es wie
U ein heim:
5 TichesBeben.
Dann hob
| fie das
Haupt ruhig
und ernjt ivie zuvor.
„Wir werden einander gut verjtehen und treue Freund-
haft Halten, Frau Marie Luiſe“, fagte fie mit fehr
milden Klang in der Stimme. „Und fo Gott will, er:
— 314 —
fämpfen wir den Sieg, welcher Ihnen zum Glüd und
mir zum edeln Stolz gereichen wird!”
Bon Stund an war Fides Wolff von Speyern der
gute Geift des Nennderjcheidtichen Haufes. Ihr ruhiges
und fichereg Weſen war der Anfer, an welchem das
ſchwankende Lebenzfchifflein der jungen Frau jeinen feiten
Halt fand. Schwer ward es ihr nicht, Marie Luiſe mit
den Formen und Grundregeln des gejellichaftlichen Ber:
fehr3 befannt und vertraut zu machen. Es gibt Frauen,
welchen ein vornehmes Wejen angeboren ift, welche fo
viel Takt und Zartgefühl befißen, daß fie ganz unbewußt
einen Weg wandeln, auf welchem die Mehrzahl ihrer
Mitichweitern erſt mühſam und Schritt für Schritt dag
Sehen erleinen muß. Bu folch feiner Herzensbildung
gejellte fich bei Marie Luiſe noch jene etwas fchwer:
mütige Nejignation, welche ihrem Weſen eine unbewußte
Würde verlieh und fie troß ihrer mädchenhaften Anmut
weit über ihre Jahre erhob.
Dlivier hatte mit tiefgeneigtem Haupt die Hofdame
in feinem Haufe begrüßt und fie mit etwas unficherer
Heiterkeit al8 gute Freundin willkommen geheißen. Er
wich dabei aber ihrem fühlen, jo eigentümlich durchdrin-
genden Blid aus, wie ein Kind, welches mit böfem Ge—
wifjen vor der Mutter fteht. Er betrat auch felten die
Salons feiner Gemahlin, wenn er Fides anweſend wußte,
und fand ftet3 einen triftigen Grund, fich bei den Damen
entjehuldigen, zu laſſen. Auch Graf Goſeck biß mit
finfterem Blick die Zähne zufammen, als ihm Frau von
— 375 —
Nennderſcheidt leuchtenden Auges von ihrer Zuneigung
und Verehrung für Fides ſprach.
„Seien Sie vorſichtig“, ſagte er, mit wunderlichem
Lächeln den Kopf ſchüttelnd. „Sie kennen Welt und
Menſchen noch nicht. Sie gleichen dem harmloſen Kind,
welches voll Entzüden dem weißen Arm der Wafferfrau
entgegenjtrebt und nicht ahnt, daß nicht Liebe, ſondern
Falſchheit dieſe Arme öffnet. Vertrauen Sie nicht blind-
ling, laſſen Sie fich nie zu irgend welchen Entſchlüſſen
oder Taten bewegen, ohne mit mir zuvor Rückſprache ge=
nommen zu haben!”
Marie Luiſe hatte zuerſt wohl erjchroden zu dem
bleichen Antlit des Sprecher3 mit dem nervös fladernden
Blid emporgejchaut, dann aber lächelnd den Kopf ge—
jhüttelt. „Sie mißtrauen Fräulein von Speyern? warum?
Iprechen Sie deutlicher.”
Er trat an dei geöffneten Flügel und fchlug ein paar
wirre Afforde an, dann flappte er das aufgejchlagene
Notenbuch zu und warf es Elatjchend auf dag Inftrument,
„Ich werde |prechen, wenn es an der Beit ift, — warum
jol ich Ihnen — vielleicht ohne Urjache, die Freude an
diefem Verfehr nehmen. Sch wache ja über Sie, ich zer:
trete der Schlange das Haupt, wenn fie ftechen will.”
Und jäh abbrechend, blickte er auf das Titelblatt der
Noten: „Parzival? Sind Sie eine derartige Künftlerin,
gnädige Yrau, daß Sie folche Kompofitionen fpielen?”
Marie Luife fchüttelte eifrig dag Köpfchen. „O nein!”
lachte fie. „Die Klavierftunden, welche mir Baronejfe
x — En nn Be 2 - - = .. — — — 1 Br — —
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pyzzzetz DEN ZSTEIEm, zu Tietier dankbarſten und
. =. Pi — — 2
Krise! Eee Be at » 2e..De.
„A 10... ganz recht, tie ioll ja aui dem Kummer:
vatorium auszebildet jein und ſogar ſelbſtaäͤndig kompo—
niecen. Dar Ihnen Clioier ſchon einmal die hohe Schule
durch Kreuze und B's vorgeritten?“
„Olidier iſt muſikaliſch? er ſpielt Klavier?’ die junge
Frau zuckte emvor, das zarte Inkarnat ihrer Wangen
färbte ſich tierer.
(Goſeck grub ſeinen zugeſpitzten Lackſtiefel in den dick
flockigen Teppich. „Er phantaſiert etwas, hat Talent,
läßt es verkümmern. Ich glaube, ich bin der einzige
Menſch, welchen er ein paarmal mit ſolchem Ohren—
ſchmaus heimſuchte. Er haft nichts mehr, als dazu auf:
gefordert zu werden. Wenn er jpielt, geichieht es nur,
wenn er jehr verliebt ift, und dann ergeht er fich zumeiit
in den Lieblingsmelodien feiner Angebeteten, Motive aus
Flick und Flock, wenn diejelbe Balleteufe ift, und ‚Sarmen-
oder Don AJuan-Arien‘, wenn fie zu den Primadonnas
zählt!’ Euſtach lachte leife auf, er lag anfcheinend jehr
behaglich in feinem Seſſel, aber fein Fuß wand Sich unter
— 377 —
dem feinen Ladleder, und um feine Najenflügel lag ein
Zug fait krankhafter Neizbarkeit.
Sie fenkte das Haupt tiefer auf ihre Wollftiderei
nieder. „Ernſtere Muſik tultiviert er gar nicht?”
„Nein.“
„Und Sie? Wie ſtehen Sie ſich mit den ſchönen
Künſten?“
Sein Blick brach wie ein Wetterſtrahl durch die dunklen
Wimpern. „Ich habe meine Studien jahrelang ver—
nachläſſigt; wenn ich aber zur Belohnung die Erlaubnis
erhalte, Ihnen von Zeit zu Zeit unter dem Schutz des
Genius Luſt und Leid in Tönen kund zu tun, dann werde
ich wieder fleißig ſein, und dann werde ich im Streben
nach höchſtem Lohn auch etwas leiſten!“
„Nach höchſtem Lohn? nennen Sie meinen Dank ſo,
welcher ſich Ihnen doch nur in ſchlichtem Lorbeerkranze
dartun könnte?“
„Auch Leonore wand dem Taſſo anfänglich nur einen
ſolch ſchlichten Kranz“, — er unterbrach ſich und ſtrich
langſam mit der Hand über die Stirn. „Frauen geizen
ſtets mit Huld und Lohn, der Künſtler iſt ein Narr,
wenn er auf Almoſen wartet. Verſpräche mir Euterpe
nicht ſelber die Palme des Sieges, würde ich mich nie
zu der Schar ihrer Jünger geſellen!“
„Sie haben recht.“ Marie Luiſe blickte lebhaft empor,
„ich denke mir, der wahre Künſtler ſchöpft aller Mühe
und Arbeit Preis aus feinem Schaffen ſelbſt. Wer felber
mit Engel3zungen fingt, dem wird Lob und Tadel von
— 978, u
Menjchenherzen gleichgültig fein, und wer mit feinen
eigenen Händen Meilterwerfe fchafft, und fich felber eine
Leiter von BZauberflängen in den Himmel baut, der wird
nicht viel danach fragen, ob eine Schar von Laufchern
die talentlofen Hände applaudierend zuſammenſchlägt!“
„Sie irren, gnädige Frau. Die Kunft ift bei al
ihrem göttlichen Urjprung doch ein gar irdifch Pflänzlein.
Anerkennung, Lob und Bewunderung find die Tautropfen,
welche e3 frijch erhalten, und die Kritif, mit ihren fcharfen,
erbarmungslofen Angriffen, ift das Mefjer des Gärtner,
welches mit allen Sauerſproſſen wohl auch manch fchönen,
gefunden Zweig hernieder fchlägt, aber dennoch nur Gutes
bewirkt, wenn dag Pflänzlein vom echten Stamm der
Kunſt iſt. Alle Kraft und aller Saft ſprießt nicht in un—
gejtümen und wilden Blättlein zu Licht, fondern wird
Blüte und Frucht, deſto jüßer und reifer, je zorniger man
zuvor den jungen Baum gezauft und gerauft hat. Aber
Sie haben mich doppelt mißverjtanden, Frau Marie
Luiſe.“ Goſeck erhob ſich und trat neben fie unter die
ſchwankenden Balmblätter im Erfer. „Ich bin nicht En-
thufiaft und Künftler genug, mir an meinen Leiftungen
jelber genügen zu laffen. Ich fpiele nur für Sie, und
jpiele nur, weil Seume die goldene Verficherung gibt:
„Muſik ift der Schlüffel zum weiblichen Herzen.” —
Seine Stimme war zum Flüſtern herabgefunfen. Sie
hob das Antliß; groß und Har, und dennoch voll un-
endlicher Wehmut blidten ihn die dunflen Mugen an.
„Sie kennen ja all mein Denken und Sein von Herzenz-
— 379 —
grund, Graf Gofed, kennen es aus einer Zeit, da es noch
Sonnenfchein und Frühling darin war. Jetzt iſt's Herbit
geworden. Alles Blühen welf und tot, warum zwiſchen
Gräbern wandeln? Da3 wäre ein trauriger Kohn, welchen
die heitere, wonnevolle Mufik verleihen würde, und mit
welchem Sie fich jelber wohl am wenigiten zufrieden
geben möchten.“ |
Er fehüttelte faft heftig dag Haupt. „Ich will nicht
Liebesblüten fehen, welche ein Reif getroffen, jondern Die,
welche unter dem berbtlich gefallenen Laub die jungen
Keime hebt.”
„Dazu müßte erft daS Glück wiederfommen und ſolche
Keime einſenken!“ Es bebte wie Tränen Durch ihre
Stimme.
Und abermals flüfterte er, tief zu ihr nieder geneigt:
„Es it gefommen. Sie ahnen e3 nur nicht, Sie wollen
e3 nicht ahnen. Die weißen Briefblätter, welche dort im
Kamin verfohlt find, fielen al Samenförner in Ihr Herz,
und fie werden ſproſſen und ranfen in jungem Hoffnung3-
grün, und Gie felber werden ſolches Frühlingstreiben
nicht eher gewahren, als bis Ihnen fchlieglich rotflammende
Blütenpracht die Augen blendet!“
Sie hatte fich erhoben und ſtützte fich ſchwer auf den
feinen Marmortiſch, jefundenlang ftarrte ihr Auge in die
rote Kaminglut, als ſähe fie im Geiſt die Briefe darin
auflodern, fi) zufammenziehend und windend wie im
Kampf gegen das Verderben. Dann hob fie plößlich
wie in jäher Seelenangit die gefalteten Hände. „Graf
— 380 —
Goſeck“, flehte fie, fo erregt, wie er fie nod) nie zuvor
gefehen, „Sie jagen, daß Sie mein Freund find, und
daß Sie es gut mit mir meinen, beweiſen Sie es aud).
Sie wiffen, daß jene Briefe von mir vernichtet wurden,
damit ich Ruhe und Trieden fände Warum Hoffnungen
erweden, welche jich niemals erfüllen werden? Sie willen,
daß ich nicht das Weib bin, welches Dliviers Liebe ge=
winnen fann, vertröften Sie mich darum nicht auf Glüd
und Maiengrün, an dejfen Auferjtehung Sie felber nicht
glauben! Sch habe mich in mein Schiefal gefunden und
verlange nicht mehr nach Befjerem; laſſen Sie darum jene
Aſche im Kamin ruhen, wirbeln Sie die verfohlten Blätter
nicht wieder auf, mit feinem Wort und feinem Gedanken,
ich bitte Sie von Herzen darum, und id) werde Ihrer
Freundſchaft Doppelt dankbar fein, wenn fie fich nicht
jtet3 von neuem vergeblih müht, Balfam auf Wunden
zu träufeln, welche ja doch nur die Zeit vernarben kann!“
Sprachlos ftarrte er fie an. Wollte fie ihn nicht
verftehen, oder waren all ihre Gedanken tatfächlich nur
bei jenem einen, welcher feinen, felbjt nicht den ſchwächſten
Pulsſchlag von Intereſſe verdiente? Graf Goſeck Hatte
viel die Cour gemacht im Leben, hatte die jchablonenhaften
Phraſen von der verwelften und friſch erblühenden Liebes-
rofe wohl ſchon in jeder Nüance angewendet; daß er nie
zuvor aus wahrhaft edlem rauenmund eine Antwort
darauf erhalten hatte, empfand er in diefem Augenblid.
Nicht ernüchternd oder erfältend wirkten Marie Luiſes
Worte, fie fielen wie Tropfen Haren Ols in die Flamme,
— 331 —
welche gleich wie vor einem Heiligenbild auf dem Altar
feine3 Herzens brannte, Klein und ſchwach noch, fämpfend
gegen den Peſthauch der Zweifelſucht, welcher fie profa-
nieren und verlöjchen will.
Goſeck 309 die Dargereichte Hand ftumm an die Lippen,
und da einen Augenblid fpäter Fräulein von Speyern
angemeldet wurde, verabjchiedete er fidh.
Der Freiherr von Nennderjcheidt begegnete ihm auf
der Treppe. „Linksum marjch, alter Junge!“ komman—
dierte er lachend. „Es bläjt in einer Stunde zum Futter:
ſchütten!“
„Bedaure, Olivier, ich kann heute nicht bleiben.“
„Schnacken!“
„Auf Wort, der Legationsrat und Mülich fahren um
fünf Uhr mit dem Kurierzug nad) Wien!”
„Laß fie fahren dahin!”
„Ich babe verjprochen, auf dem Bahnhof zu fein!”
„Sräßlich, ich kann doch unmöglich mit meiner Frau
allein zu Mittag ejjen, wir langmeilen uns ja tot! Und
du paßt gerade jo famos als Strohmann in das Spiel
hinein: it ein jo glücdliches Verhältnis zwiſchen uns
dreien!! Na, dann muß ich mal logziehen und jehen, ob
ich nicht ein paar andere Kerle auftreibe! ‚Wer ißt mit?!‘
Apropos ... du Tommft heute abend ins Konzert?
Loge No. 5! Bringe meiner Frau foeben das Programm!’
„Selbitredend. Loge No. 571” und Goſeck hob lachend
den Finger. „Alter Sünder! Das ‚vis-A-prös‘ ift nicht
Schlecht!”
— 382 --
„Pyramus und Thisbe!!”
„Au revoir!”
Dlivier war jtet3 Kavalier, und obwohl er fich in
den paar Tagen nach dem Opernhausball in faſt fieberijcher
Erregung befand, die Nächte ruhelos durch fein Zimmer
lief und die a Hände wie ein Najender gegen die
Stirn drückte, ver—
ſäumte er dennoc)
feine einzige jener
fleinen Galante—
rien, welche Die
Nitterlichfeitt im
Dienst einer Dame
erfordert.
Boll faſt pein-
| licher Fürſorge
war er bemüht,
feiner jungen rau
das Leben jo ans
genehm zu machen,
wie nur irgend
möglich, und da e3 der verwöhnte und lebensluftige
Mann ſtets gewohnt war, andere Leute nach ich jelber
zu bemejjen, und er auch Marie Luiſe zu fremd war
und ihr zu fern ftand, um Verſtändnis für ihr Denken
und Fühlen zu haben, jo wurden jeine Bemühungen,
fie durch Vergnügungen zu unterhalten, eine unausjprech-
liche Qual für fie. Dennoch erfannte Marie Luije jehr
— 383 —
wohl den guten Willen ihres Mannes, und fie fügte ſich
mit geduldigem Lächeln und wandelte an feiner Seite
den martervollen Weg, ihm zu Liebe. Auch jest behandelte
er fie noch mit jener freundlichen Güte, mit welcher man
mit einem Kinde verfehri; um ihr Launen oder nerböfe
Ungeduld zu zeigen, war feine Zeit in dem jehr formellen
und knappen Verkehr. Nur einmal wagte es Marie
Luiſe eine Bitte auszujprechen: „Erlaube, daß ich mid,
wie e3 fich für eine brave Hausfrau geziemt, auch um
Wirtfchaftsangelegenheiten bekümmere!“
„Selbitverjtändlih, mon angel Du kannſt tun und
lafjen, was du willſt und dich bejchäftigen ganz wie es
dir Freude macht.”
„Ich fürchtete, man fönnte es einer Baronin Nennder:
jcheidt verargen, wenn fie nicht nur in den Salons,
Sondern auch in der Küche zu Haufe iſt!“
Er lachte in feiner übermütigen Weife laut auf und
jtäubte die Zigarette ab. „Sieh mal, Kind, man muß
niemal3 danach fragen, was die Leute fagen! Was eine
Baronin Nennderfcheidt tut, das ift immer wohlgetan,
und wenn es noch nicht im Modejournal jteht, dann
macht fie e8 eben zur baute nouveaute! Mit zu viel Be-
ſcheidenheit kemmt man bier nicht durch; geht bei uns
genau jo zu wie im Froſchteich, wer da3 Maul am
weitelten aufreißt — sans comparaison! — und am
lautejten quaft, der fibt oben auf und gibt den Ton an.”
Und Dlivier lachte abermals und dehnte die Arme mit
dem ftolz behaglichen Gefühl eines Menfchen, welcher
— 3884 —
tatfächlih nie nad) der Meinung der Leute gefragt
ht. — — — — — — — — — — — — — — |
Sm Konzerthaus wurde die achte Symphonie F-dur
von Beethoven aufgeführt. In regungsloſem Laufchen
verharrte das Publikum, feinen einzigen der füßen, köſt—
lichen Klänge zu verlieren. Da klappt eine Logentür,
helles Lachen und Sprechen Eingt mißtönend durch die
Stille, dann werden Seffel in der für den Hof rejervierten
Loge zur Seite gejchoben.
Im Parterre hat eine hohe Männergeftalt an einer
Säule gelehnt und kaum geatmet in andächtigem Ent-
züden. Mit zufammengezogenen Augenbrauen hebt Pfarrer
Collander das Haupt und blidt nach der Urfache der
Störung empor. Und dann zudt er leife zujamınen,
und ein Zächeln fliegt über fein finfteres Antlit. Droben
in der Loge hat Fürltin Tautenftein Pla genommen und
entfaltet den ſchwarzen Atlasfächer, auf welchem bronze-
glikernde Vögel ſchweben.
Dicht neben ihr, nur durch die Sammetbrüftung ge=
trennt, lehnt Baron Nennderjcheidt ſich auf die Rampe
und dreht aufgeregt jeinen Handſchuh um die fchlanfen
Finger. Neben ihm fit feine junge Gemahlin, Graf
Goſeck und weiter zurüd in der Loge Herr von Diers—
dorff und Leutnant von Hovenklingen, ein Bla in der
eriten Reihe iſt noch unbejeßt.
Fürstin Tautenftein begrüßt durch ſtummes, lächelndes
Kopfneigen die anmejenden Mitglieder der Hofgefell-
ſchaft, dann ſchweift ihr Blick fuchend durd) das Haus
— 385 —
und haftet endlih. Pfarrer Collander fieht, daß ihr
Auge auf ihm meilt, nicht wie auf einem Fremden,
fondern wie auf einem, dejjen man fich gar wohl er-
innert. Wie jähe Freude glühte e8 durch fein Herz. Er
erlebt noch einmal den Augenblid, wie er an dem gejtrigen
Sonntag auf der Kanzel ftand und feine Predigt begann
und er Hinüberjchaute in den großherzoglichen Stuhl.
Da grüßten ihm jene dunklen, geheimnisvollen Augen
entgegen, die jeßt wieder auf ihn gerichtet find, in langem,
lächelndem Schauen. Als ihm der Külter mit freude:
zitternden Lippen verkündet hatte: „Hochwürden, foeben
find die Prinzeſſin Karoline . . . und Ihre Königliche
Hoheit die Erhgroßherzogin und Prinz Marimilian vor:
gefahren!” da war es ihm allerdings geweſen, als zude
ein feuriger Bli$ vor feinen Augen hernieder, da Hatte
er die Hände zum Himmel gehoben. „Ich danke Dir,
mein Herr und Gott”, aber feine Gedanfen blieben jo
Har und fejt wie zuvor. Da er aber emporjah und
plöglich in der Fürstin Tautenftein lächelndes Antlig blickte,
da Hatte er das Gefühl, als müſſe er beide Hände
über die Augen legen, um feiner Gedanken Herr zu
bleiben. |
Die Mufit ſchwieg. Claudia wandte dag Köpfchen
zurüd, um der Hofmarfchallin und den beiden Hofdamen
der Großherzogin, welche jpäter eingetreten waren, zu=
zuniden und Prinz Maximilian, welcher mit ihr zu gleicher
Zeit gefommen, ein paar Worte über diefe jo mords—
langweilige Mufif zu jagen; dann kehrte fie fich nach der
N.v. Eſch ſtruth, AU. Nom. u. Nov, Hazard II. 25
— 3986 —
Nebenloge, um Herm von Nennderjcheidt endlich eines
direkten Blickes zu würdigen.
Prinz Marimilian trat Hinter ihren Sefjel und reichte
Dlivier die Hand, nickte Hovenklingen mit verjtändnig-
vollem Gruße zu und unterhielt fich alsdann jehr an—
gelegentlich mit Fräulein von Speyern, welche ebenfalls
in der Nennderjcheidtichen Loge Pla genommen hatte.
Obwohl Marie Luiſe noch nicht bei Hofe präfentiert war,
wechfelte der Prinz dennoch einen lächelnden Blick und
jehr liebenswürdigen Gruß mit ihr, mit langen Blid das
zarte Gelichtchen umfaſſend, welches fich mit freude-
glänzendem Blid zu ihm erhob.
Währenddefjen wogte der Fächer in Claudia Händen,
und Dlivier neigte fi) mit heißer Stirn näher.
„Und Sie zürnen mir nicht, Durchlaucht, daß fich mit
jenen Roſen all meine purpurfarbenen Gedanken und all
mein Hoffen und mein Sehnen zu Ihren Füßen nieder:
jtürzte 2”
„Die Roſen trugen fehr viel Dornen.” —
„St liebt, und darum quält er dich!” rezitierte er
mit gedämpfter Stimme.
„Und außerdem hätte ich Shnen mehr Geſchmack zu—
getraut!”
„Zeihen Sie mich meiner Schuld.”
Claudia lehnte fich tiefer in den Seſſel zurüd, ohne
den Blid von ihm zu wenden. „Eine lila Zimmerein—
richtung mit roten Nofen zu verunglimpfen, ift zum min
deften barbartich.”
— BIT u
„Sorgen Sie dafür, daß ich Ihre Salons kennen lerne,
und ich werde alle Schuld fühnen.” Er ftrich langjam
jeinen blonden Schnurrbart, das breite Armband, eine
goldene Kandare, Wahrzeichen der erhetoauern ſchob
ſich unter der Man— *
ſchette vor und blitzte
auf. Als ſie nicht
gleich antwortete, ſon—
dern nur etwas brüsk
den Fächer hinwarf,
und ſtatt ſeiner einen
Strauß Maiglocken
und Roſen von der
Sammetbrüſtung
nahm, fuhr er lachend
fort: „Da haben Sie
mich wohl aus Zorn
über meine Geſchmack—
lofigfeit gejtern mittag
jo arg bei der Tafel ———
Oder war die erbarmungsloſe Kon—
duite, welche Sie mir ausſtellten,
nur eine Oppoſition gegen die all—
gemeine Anſicht, daß ich ein ſehr
netter, ſchneidiger Kerl bin, der
brillant voltigiert, ſelbſt über Ab—
gründe hinweg, welche ich ſelber
zuvor mutwillig aufreiße, und über
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— 388 —
Schranken hinüber, welche ich felber aus goldenen Ringen
gejchiniedet habe?”
Sein Auge brannte, es lag ein ungejtümer, leidenz
Ichaftlicher Klang in feiner Stimme.
Das Orceiter feßte zur Duvertüre zu dem „Prophet“
ein; Claudia neigte fich näher, fie atmete tief auf und ſah
dem jchönen Mann an ihrer Seite mit eigentümlich blien-
dem Blick in das Antlitz. „Und wenn ich aus Über-
zeugung geredet hätte?’ fpüttelte fie in ihrer anmutigen
Weiſe. „Ich werde Ihnen einmal ein Rätſel aufgeben!”
‚„Berichleiern Sie ſich zuvor, daß ich mein bißchen
Berftand jammeln kann!“
„Welch ein Unterjchied ift zwiichen der Maria Stuart
und Ihnen?“
„Bless me! ein rieſiger!!“
„Durchaus nicht!” Ihre langen Wimpern malten
dunkle Schatten auf den Wangen, nachdenklich lehnte fie
das goldſchimmernde Köpfchen zurüd. „Die Maria Stuart
war beſſer als ihr Auf, und bei Ihnen?“
„Iſt der Auf befjer wie ich?” Er lachte gedämpft
auf. „Wollen Sie mich glauben machen, daß Cie das
tadelnswert finden ?”
Auch ſie lachte, dann hielt fie die Muigloden dicht
an die Rippen, daß ihr ſüßer Duft zu Olivier empor—
wehte, und ſah mit zündendem Blick Durch die Blüten zu
ihm auf. „Erraten! Gute Menjchen find langmeilig.
Da ich aljo nicht aus Schikane gegen Sie demonitrierte,
muß ich ein anderes Motiv gehabt haben; welches?‘
— 3839 —
„Nehmen Sie die Blumen weg, fonft werde ich vor
aller Welt zum Raubritter!“
Sie verharrte unverändert, nur hujchte ihr Blid nad
dem Saal hinab. „Ich frage Sie, welches Motiv?”
„Das Grübeln über die Frage hat mich fast verrüdt
gemacht! Was tat ich, daß du fo mir zürnft?”
Da lächelte fie ihn Hinter dem Blumenjtrauß an, daß
ihm das Blut fiedend in die Schläfen ſchoß. „Zweifelten
Sie an mir? O Sie Kurzfichtiger! Wie könnte ich mir
bon Ihnen die Sour machen laffen, wenn ich den Leuten
verficherte: ‚Sch finde ihn bezaubernd?l“ Sch habe offiziell
eine ſehr jchlechte Meinung von Ihnen, und nur auf
allerhöchften Wunſch befchäftige ich mich mit Ihnen mehr
wie mit andern Kavalieren, um eine gute Meinung zu
befommen! Leuchtet Ihnen das ein?‘
„Durchlaucht — —“
„Man lebt mit der öffentlichen Meinung ſtets im
Kampf, muß alſo hie und da kleine Kriegsliſten in An—
wendung bringen, Sie ſind mein Aliierter, aber tragen
Sie meine Farben vorläufig noch auf dem Herzen und
nicht auf dem Helm!“ Und ohne ſeine Antwort ab—
zuwarten, wandte ſie ſich mit dem gleichgültigſten Geſicht
von der Welt zu Prinz Marimilian, welcher an ihrer
Seite Plab genommen hatte, und erzählte ihm, daß Die
Erbgroßherzogin die entzüdende Idee gehabt habe, den
GStiftspfarrer von Sankt Brigitten für morgen vormittag
zu einer Audienz zu bejehlen, um fich über das Hojpital
berichten zu lafjen.
— 390 —
„Sie fprachen fich gar nicht über feine gejtrige Predigt
aus, Hoheit?” |
Der Prinz zudte die Achfeln. „Sch bin fchiwerfällig
in meinem Urteil, aber der erſte Eindrud ift ein jehr
maßgebender, und derjelbe war gut.”
„Bortrefflicher Redner, köſtliche Suade. ch begreife,
daß fich die Menfchen wie toll und blind für ihn be—
geiſtern. Ich fagte geftern fchon Seiner Königlichen
Hoheit dem Großherzog, der Dann erinnert mi an
einen KRönigstiger; duldet er’3, daß man ihm Feſſeln an—
legt, kann er zur Bierde und Bewunderung des fried-
lichen Bürgerftante® werden; beugt er jeinen wilden
Naden aber nicht und ftrebt in eigene Bahnen — —“
„Dann?“
Claudia biß in grauſamem Spiel in ein Roſenblatt,
ſo daß ſich die ſcharfen Zähnchen auf ſeinem Purpur—
ſammet in zierlichen Tüpfchen abdrückten. „Dann? Nun
ich denke, dann wiederholt ſich auch ſinnbildlich jener
Kampf, von welchem ſo viele Kinderfabeln reden, und
welcher damit endet, daß König Nobel die gewaltige
Tatze hebt und dem Tiger ins Gedächtnis ruft, daß es
ein übel Ding iſt, auf dem Gebiet eines Mächtigeren zu
jagen!“
Und Fürſtin Tautenſtein blickte wieder hinab in den
Saal und lächelt wie der kleine Engel am Plafond
droben, welcher begehrlich die Händchen nach einem Stern
ausgeſtreckt, — ihn noch höher zu heben oder ihn herab
zu reißen? Man weiß es nicht.
— 31 —
Nennderjcheidt3 Auge, welches nicht von ihrem Antlit
wich, folgte dem Blid und traf Collander. Wie ein
ichneller Schatten zog e8 über feine Stirn.
Als die Symphonie beendet war, hatte fich Goſeck zu
Marie Quife gewandt: „Wie gefällt Ihnen eine derartig
klaſſiſche Kompoſition?“
Sie neigte nachdenklich das Köpfchen. „Ich verſtehe
zu wenig von der Muſik, um ihre Schönheiten voll zu
erfaſſen, und kenne die großen Meiſter auch zu wenig,
um mich durch ihre Namen beeinfluſſen zu laſſen. Ich
ſtehe jeglichem Werk völlig fremd und unparteiiſch gegen—
über und laſſe die Macht der Klänge auf mich wirken.
Was man ſoeben gefpielt hat, war zu wirr, zu unüber—
ſichtlich und zu gewaltig für mein ſchwaches Verſtändnis,
um mich darin zurecht zu finden; ich begreife es nicht,
aber ich habe das unbewußte Gefühl, daß es etwas gar
Herrliches und Großes war, etwa dasſelbe Gefühl, als
wenn ich in eine Kirche trete. Ich kann nicht mit einem
Blick die mächtigen Hallen, die koſtbaren Skulpturen, die
Bildwerke und majeſtätiſchen Säulen umfaſſen, aber ich
weiß, daß ich auf heiligem Boden ſtehe, und daß alles,
was mich umgibt, durch höchſte Vollendung geweiht iſt,
wenn ich auch nicht ſagen kann, worin die Kunſt und
Schönheit liegt. So kann ich auch nicht jene Symphonie mit
dem Ohr des Muſikers zergliedern, aber ich habe das
Bewußtſein, eine unſterbliche Schöpfung zu hören.“
Schlicht und einfach ſagte ſie's, mit jenem lieben
Kinderblick, aus welchem dennoch der Geiſtesreich—
— 392 —
tum ftrahlte, wie leuchtende Goldadern in dunklem
Schadt.
Goſecks Antlitz hatte fich belebt, er neigte fich näher.
„So ähnlich war auch Ihre Anficht über Kirchenmufif.
Es ijt mir unvergeglic), wie Sie befannten: „Das Haus
Gottes ftimmt mich demütig und andächtig, aber erſt die
Mufif darin macht mich Fromm.’
„Und Sie antworteten: ‚Der Prüfftein wahrer Liebe
deucht mir der Wunfch, mit der Herzlieben die Hände zu
falten und zu beten. Aller Liebe Urfprung kommt von
droben, und je mehr fie ung zum Himmel hebt und je
unbewußter die Sehnfucht ift, fie mit dem Göttlichen zu
verjchmelzen, deſto wahrer und echter ift fie!”
Ihre Wangen glühten auf, wie verklärt fchaute fie in
das Antlitz des Grafen, welcher mit leife zitternden Lippen
haſtig weiter flüjterte:
„And e8 wurden Pläne gejchmiedet, im Sommer al3
Mann und Weib nach Herſabrunn zurüd zu kehren, um
als Inbegriff aller Glüdfeligfeit in die Kleine Wald-
fapelle. zu wandeln, in welcher die Sonnenftrahlen als
Altarkerzen leuchten, und die Vöglein das Hochamt
halten —“
„Und nad) dein See hinaus, auf welchen gelbe Lilien
blühen, und das breite Schilf flüſtert —“
„And über welchen die Glodenflänge ziehen und Dir
ins Herz läuten! ‚Wie Habe ich dich jo lieb, Marie
Luiſe!“
Da gleitet der Fächer aus ihren Händen und ſchlägt
ze I
hart auf. Wie ein Zuden und Beben ift e8 plötzlich
durch die fchlanfe Geftalt der jungen Frau gegangen;
bis in die Lippen hinein erbleichend, ftarrt fie den Mann
an, welcher fie weit, weit fortge=
führt hat mit ihren Gedanken, in W
ein verloren Paradies, und wel— Ä r
cher ihr in das Auge ſchaut ... '' IB%
!
F
jo anders wie fonft... jo uner—
flärlic) anders. —
Er hat ſich geneigt,
den Fächer aufzuheben.
„Wir hatten ung verirrt,
gnädige Frau“, murs
melteerdurch die Zähne.
„In der Waldfapelle
liegt Schnee, und Die
Glocken klingen nicht
mehr für ſolche, deren
Herz gebrochen iſt.“
Wie ein Schwindel brauſte es durch ihren Sinn. Da
legte ſich eine Hand auf ihre Schulter und eine Stimme
traf ihr Ohr, ſo klar und voll, wie das Morgenläuten
auf dem See: „Grüß Gott, Marie Luiſel“
Fides von Speyern. — —
XIII
In einem kriftallnen Wafferpalaft
Iſt plötlich verzaubert der Ritter,
Er ftaunt, und die Augen erblinden ihm faft
Bon alle dem Glanz und Geflitter.
Doch hält ihn die Nire umgarnet gar traut, „.
Heine
Die Schneeflocen
feierten Karneval. Cie
waren noch nie jo toll
und übermütig durch Die
Luft gewirbelt, hatten
noch nie jo phantaftijche
Tänze aufgeführt, als
wie in diefer Stunde, wo
der Stiftpfarrer von
Sankt Brigitten in feinen
Mantel gehüllt durch fie
hinfchritt. Ste gaben ihm
das Seleit durch den men=
ichenleeren Park, in welchem der Wind leife Elingend durch
die ſtarren Zweige ſtrich, und fie warfen fich wie unge—
— 9395 —
ſtüme Grüße an feine Bruft und glißerten durch den
dunfelbraunen Bollbart, welcher da3 geijtvolle Antlitz
mit weichen Wellen umrahmte.
Sonft hatte er jtet3 eine herzliche Sreude an folchem
Geftöber gehabt, hatte die Kleinen Flocken mit dem Blick
verfolgt, wie fie fich Hin und ber jagten und ihm den
dunfeln Mantel mit Silberfternchen ftieten; heute ſenkte
er das Haupt wie in tiefen Gedanken, und fchritt jogar
quer über die fammetweichen Rafenflächen, um ein Stüdlein
Weges zu profitieren.
Unter der glasverdedten Auffahrt des Erbprinzlichen
Palais blieb er endlich ftehen, den Schnee von fich ab:
zufhütteln, und trat aladann an dem Huiffier mit dem
dreieckigen Hut und der rotfarbenen Schärpe über reicher
Livree, welcher vol ftummer Höflichkeit die Tür aufriß,
vorüber in die warme, hochgewölbte Flurhalle.
Breite Gobelins dedten die Wände, unter langgejchlißten
Palmmedeln plätjcherte ein Fleiner Springbrunnen, und
rechts und links wanden fich gußeiferne, teppichbelegte
Treppen zwijchen dunfeln Porphyrſäulen empor.
Zwei Lakaien fprangen von dem altdeutfchen Tiſch,
auf deffen Kante fie ſchwatzend gejeffen, auf und glitten
fragenden Blicks näher.
„Ich bin für ein Uhr zur Audienz befohlen, wohin
habe ich mich zu wenden?” |
„Sehr wohl, Hochehrwürden! Wollen der Herr Pfarrer
fi) zuvor einschreiben? Die Bücher der Herrjchaften
liegen im Nebenzimmer offen!”
— 396 —
„Man jchreibt fich jedesmal vor einer Audienz
ein 2
Der eine Galonierte zucte die Achjeln, fein Kollege
jedoch neigte dienfteifrig das Haupt: „Faſt ausnahmslos;
Hochehrwürden find zu der rau Erbgroßherzogin be=
johlen? Dann bitte mir zu folgen!” und er ſchlug die
Portiere zurüd und fchritt auf lautlofen Sohlen in ein
kleines Seitenfabinett.
Während Collander fchrieb, lehnte er fich gegen den
mächtigen grünen Kachelofen, welcher eine Kleine Smitation
dDesjenigen im Artushof in Danzig ſchien, und rückte mit
dem Fuß die Poſtakifelle zurecht, welche Fußboden und
Holzſeſſel bededten. Der Pfarrer wechjelte die Handſchuh,
ftrih den Eylinder glatt und folgte alsdann dem führen:
den Galonierten.
Es iſt eine ganz eigenartige Luft, welche durch Fürften:
ichlöffer weht. Feierliche Ruhe trägt fie auf den Schwin—
gen, und der zarte Dufthauch, welcher fie balfamiert,
legt ſich wie ein feiner, ganz feiner Nebel über die Sinne
derjenigen, welche fie zum erftenmal atmen.
Ein Kammerdiener ftand droben an der Treppe. „Die
Frau Erbgroßherzogin haben ſoeben erjt den Herrn Baus
meifter Dr. Siebert, welcher die Pläne für die Neubauten
von Charlottenruh bringt, empfangen. Da Königliche
Hoheit ſich fehr für dieſe Entwürfe interejjieren, wird
die Befichtigung etliche Zeit wohl in Anfpruch nehmen,
und läßt Hochdiefelbe den Herrn Pfarrer erjuchen, doch
einen Augenblid zu verweilen!’
— 997 —
Collander veıneigte fich zujtimmend und betrat durd)
eine Schmale Galerie einen der Empfangsſalons.
„Bitte Pla zu nehmen! dort an dem Tiſch finden
Hochehrwürden auch Lektüre!”
Der Stiftspfarrer von Sankt Brigitten dankte, und
die Tür rollte leife Hinter ihm zu.
Einen Augenblid legte er die Hand über die Augen,
dann fchaute er um fi. Welch eine ruhige gediegene
Pracht ringsum. Zwiſchen den breiten Goldleiften der
Wände die Gemälde fürjtlicher Ahnen, in DOrdenstracht
und Hermelinmantel, hoheitsvolle, wohlbefannte Helden-
häupter aus der vaterländiichen Geſchichte. Bon der
Dede gligern Bronzegehänge, mit roten Wachslichtern
beitect, ein Pfau breitet vor dem Kamin fein metall-
ſchimmerndes Federrad aus, und ziwijchen den ſchwellen—
den Sammetpoljtern, welche in altertümlich barode Formen
gedrängt find, erheben ſich Säulen, Büften und Vaſen.
Eine kleine Stramindede mit jehr einfacher, nicht allzu
affurater Stiderei fällt dem Beichauer auf. Er tritt
näher an das Tijchchen heran. „Meiner lieben Mutter,
von Eliſabeth Charlotte Weihnachten 1886 — ift
mit roter Seide in das mitteljte Medaillon gejtidt. Eine
Arbeit der Kleinen PBrinzeffin! Es ift Collander zumute,
als müffe er vor Rührung und Überrajchung zärtlich mit
der Hand über all die Stihe und Kreuzchen jtreichen.
Wie der Schneefturm wirbelt! Wie die Parfbäume
draußen fich winden und neigen, und mit den fahlen Zweigen
faft gegen die hohen Spiegelfcheiben fchlagen. Im Kamin
— 3898 —
fauft und faucht es, und die Echutten im Zimmer vers
dunkeln ſich. |
Es iſt wie ein Traum.
Die Tür hinter ihm wich leife Inarrend zurüd, und
Collander, welcher juft einen Prachtband: „Georg Ebers,
Egypten in Wort und Bild“, auffchlagen wollte, wandte
das Haupt. Jählings klappte der ſchwere, goldgepreßte
Buchdeckel hernieder.
Zwiſchen den Portieren ſtand Fürſtin Tautenſtein
und trat dem Stiftspfarrer von Sankt Brigitten mit
ihrem langfamen, etwas müden Schritt entgegen.
Schwarzer Sammet fchleppte mit weichen, pelzver-
brämten Saume lang hinter ihr her, die zierliche Figur
in düſterer Majejtät empor wachlen laffend; ein kronen—
artiger Kamm von Topafen funfelte in dem lichten Haar.
Sie lächelte Collander zu, wie einem Altbefannten, und
da er ſich überhaftig vor ihr verneigte, und dunkle Glut
ihm in Wangen und Cchläfen fchoß, neigte fie das Köpfchen
in faum merflihem Gruß und mufterte dabei feine ftatt-
lihe Erſcheinung von oben bis unten.
„Ich wußte, daß Sie hier find, Herr Pfarrer, und
bin in der Hoffnung gefommen, Sie zu jehen!”
„Durchlaucht find unendlich gnädig ...“
„Durchaus nicht, nur neugierig. Sie Hatten das
Unglüd, mic) von dem Augenblid an zu intereffieren, als
Sie fich auf dem Dpernhausball meiner Lorgnette aus—
legten.” Sie ließ fi) auf dem Diwan nieder und ges
Itattete ihm durch eine Heine, nachläffige Gejte, an ihrer
— 39 —
Seite Pla zu nehmen. „Sie müfjen fich demzufolge einer
Weiberlaune fügen und mir jet Rede und Antwort
ſtehen!“
„Wenn Durchlaucht eine ſolch beneidenswerte Aus—
zeichnung Unglück nennen, möchte mir zum erſtenmal der
Wunſch kommen, zeitlebens ein unglücklicher Menſch zu
ſein!“ ſtotterte Collander, der redegewandte Mann, vor
deſſen Ohren es in dieſem Augenblick ſauſte und brauſte
wie Meeresbrandung, und dem durchaus keine beſſere
Antwort einfallen wollte.
„Sie ſind zu der Erbgroßherzogin befohlen, wiſſen
Sie auch, wem Sie das zu verdanken haben?“
Sein Blick leuchtete auf. „Ich wage es kaum zu
vermuten!“
„Das würde ich bedauern. Ich hielt Sie für einen
der tollkühnſten Wagehälſe, der weder Scheu noch Furcht
und Schranke kennt. Und weil ſolche Menſchen mir un—
gemein ſympathiſch ſind, ſtellte ich mich an Ihre Seite
und ward Ihr Anwalt! Danken Sie es mir?“ —
Er preßte die Hände gegen die Bruſt. „Wenn einer
ſich hinauswagt auf die hohe See, nichts unter den
Füßen als die beiden morſchen Planken Mut und Zus
verficht‘, welche ein einziger Schickſalsſchlag zermalmen
fann, nichts in Händen als das Steuer ‚Öottvertrauen‘,
welches erſt geprüft werden fol, ob es fich als treu und
feft bewähre, und nichts zu Häupten als ein Himmelreich
von Glauben und Hoffnung, über welches jeder Sturm
feine Wolfen treiben kann, dann ift’3 ein Mann, welcher
— 400 —
aus eigener Kraft durch Nacht zum Licht gelangen will,
ein Mann, der furchtlos wagt, um zu gewinnen. Und
dennoch iſt der heldenhaftefte nur ein ſchwacher Menich.
Wenn der Sturm fommt und die Wogen wilder braujen
und fein Sonnenftrahl den Kämpfer trifft, dann blidt er
dennoch zum Strand zurüd, ob er wahrlich ganz ver=
lafjen fei. Nicht Hilfe verlangt er, denn er will allein
ang Hiel, aber zwei weiche, zarte Srauenhände möchte er
fehen, welche fi) im Gebet für ihn falten, und zwei
Augen, welche gleich Sternen durch die Finfternig leuchten:
„Bir verjtehen dein Ringen und Wagen, und wir wachen
iiber Dich!”
Mit wachjender Erregung hatte Collander gejprochen,
wie ein frifcher Quftzug war’3 gefommen und hatte die
Nebel der Bejangenheit zerftreut. Und dann fah er
plöglich ein feines, wunderliches Zuden um ihre Lippen
gehen, und der Duft füßer Narziffen wehte zu ihm empor
und ſpann zarte Schleier, Dichter und blendender denn
aller Nebel zuvor.
„ie ideal Sie Zhren Beruf auffaffen!” Tachte fie
leife, „und wie der Redner von Sankt Brigitten fich mit
Sphärenklängen in dag Frauenohr zu jchmeicheln ver—
fteht! Juſt fo, als ob er auf der Kanzel ftünde, um
durch fein bilderreiches Evangelium des Volkes Herz im
Sturm zu nehmen! hr Gleichnis war fehr jchön, beiter
Herr Pfarrer, wiewohl ich mit gefalteten Händen
eine Parodie auf mich felber abgeben würde. Wir find
ja jet ganz unter uns, reden wir aljo ganz ehrlich zu—
— 401 —
fammen, fo nüchtern und projaijch, wie num einmal alles
auf der Welt, wenn fein phantajtisches Märchen darum
gehängt wird!”
Er ftarrte fie betroffen an. „Ich verjtehe nicht, Durch-
laucht ...“
Sie löſte die beiden köſt—
lichen Marechal-Nilroſen von
der Bruſt und hob ſie lächelnd
an die Lippen empor, ihr Auge aber blitzte ihn halb ſchel—
miſch, halb herausfordernd an. „Mon dieu, Sie wollen
mich doch nicht etwa glauben machen, all die ſchönen Dinge,
welche Sie mit noch ſchöneren Worten predigen, all Ihr
heiliger Zorn über die verderbte Welt und Ihre große
Begeiſterung für das ‚große Vielleicht‘ des Jenſeits
fei Ihre Überzeugung?” Und fie lachte a und
N. v. Eſchſtruth, IU. Nom. u. Nov., Hazard II.
— 402 —
ſchüttelte vertraulich das Köpfchen. „Mir gegenüber
fönnen Sie getroft die Maske fallen laſſen, ich gehöre
nicht zu der fentimentalen Menge, welche auf Erbfen
kniet!“
Faſt beſtürzt blickte er auf, und dennoch völlig be—
fangen von dem beſtrickenden Zauber dieſes eigenartigen
Weſens. „Sie hielten mich für einen Mann, welcher ſich
auf einen Vulkan ſtellt, nur um die Menſchheit mit wohl:
tönenden Worten zu überjchreien, und Sie famen dennoch)
zu mir in die Kirche?”
„Um Shrer Perjönlichkeit, nicht um Ihrer Predigt
willen!“
„Und Sie gingen, um nichts in Ihrer Meinung über
mich gebeſſert, wieder von dannen?“ Er atmete ſchwer
auf, ihre letzten Worte hatten ihm wieder eine jähe
Blutwelle in die Schläfen getrieben; ſie erſtickte die
Worte, welche ſich ihm heftig auf die Lippen drängen
wollten.
„Meine Meinung über Sie war immer gut und er—
höht ſich noch von Minute zu Minute“, ſagte ſie leiſe
über die duftigen Blüten hinweg. „Ich hielt Sie ſtets
für einen geiſtreichen, in jeder Weiſe gefährlichen Mann,
und jetzt bin ich überzeugt, daß Sie auch ein recht ge—
ſchickter Diplomat find, welcher feine Ausnahme von der
Negel macht und fi) von niemand in die Karten. jehen
läßt. Sie haben auch ganz recht. Für das Volk und
die große Menge ift ein religiöfer Kultus unerläßlich,
und je ftraffer die Zügel angefpannt werden, deſto braver
— 403 —
marfchiert alles in Neih und Glied. Ich bin dem großen
Reformator Luther abjolut nicht dankbar für dag Licht
der Aufklärung, welches er der Welt angezündet hat.
Damal3 war e8 vielleicht eine wohltuende Leuchte, jebt
it’3 zur wüſten Feuerlohe angewachjen, aus welcher dus
Dynamit wie drohend Wetterleuchten zuckt.“
Collander 309g die Augenbrauen zujammen. „Sie
find Katholifin, Durchlaucht 2
Sie lachte herb auf. „Ich war es.“
„Mad find protejtantifch geworden?” Wie ein Jubel—
ruf klang es don feinen Lippen.
Da fchüttelte fie das Köpfchen, daß die Topafe im
Haar hell aufbligten. — „Nein. —
Entgeijtert wich er and, „Was glauben Cie
ſonſt?“
Langſam neigte ſie ſich ihm zu, ſo nahe, daß die gol—
digen Löckchen dicht vor ſeinen Augen zitterten. Wie
eine ſchwarze, unheimliche Flut wogte die Sammetjchleppe,
in tiefem Schatten liegend, vor feinen Füßen, und Die
dunklen Augen trafen in langem Blic die jeinen, faszi—
nierend, voll düjterer Glut. „Sch bete an die Macht der
Kiebe, feinen anderen Gott. Sch bin ein echtes Kind
unjerer aufgeflärten Zeit, frei an Leib. und Seele, frei
von allem Ballaft, welcher den Geift im Staube hält.
Wie das gekommen ift? Keinem Menjchen habe ich es
anvertraut, Ihnen aber will ich e8 erzählen, wein Sie's
hören wollen. ’3 ift ein und derjelbe Tropfen Weisheit,
welcher Hinter unfer beider Stirne gärt, der Tropfen
26*..
der Erfenntnis, welcher über konventionelle Ammenmärchen
hinweg in neue Bahnen drängt. Suchen Sie mich im
Schloſſe auf, wir wollen des näheren darüber plaus
dern!” Und fie erhob fich und reichte ihm die Hand
entgegen. J
Klein und weich und fühl war fie, und Collander
neigte ſich wie betäubt darauf nieder, fie zu füllen.
„Durchlaucht gejtatten, daß ich von diefer Erlaubnis Ge—
brauch mache”, jtammelte er, und dann fah er nod),
wie fie ihm lächelnd zunidte, wie fie lautlos, gleich
einem Schatten über die weichen Teppiche ſchwebte und
die golddurchwirften Wortieren Hinter ihr zuſammen—
rauſchten. |
Wie ein Geblendeter ftand er und ftarrte ihr nad)
und bob die Hände und drüdte fie gegen die Stirn.
Minutenlang wirbelten die Gedanken hinter derjelben wie
die Schneefloden im Sturmwind draußen. Dann hob
ein tiefer Atemzug die Bruft. „Unglüdliches Weib, daß
ic) dir helfen, daß ich der Gottesbote werden könnte,
welcher deine fchöne Stirn mit der Palme des Friedens
rührt, welcher dem Himmelreich feinen lichtejten Seraph
zurüdjchenft!” Die beiden gelben Roſen lagen vergefjen
auf dem Diwan. Gollander neigte fich haftig, fie auf-
zunehmen und preßte feine brennenden Augen auf die
Blättchen, welche ſoeben noch ihre Lippen berührt hatten.
Wie Schauer bebte e8 durch feine Seele. Dann richtete
er fi) hoch auf und barg die Blüten auf feiner Bruft.
‚sch werde fie meiner Martha mitbringen und ihr von
— 405 —
der fchönen, wunderjamen Frau erzählen, welche fie am
Herzen getragen! Habe ich ihr doch ſowieſo verfprochen,
gleich) zu ihr zu fommen, um zu berichten, wie es im
Fürſtenſchloſſe ausſchaut!“
Sonſt weilten Collauders Gedanken nirgends lieber
als bei ſeiner Braut, heute verſchwamm Marthas Bild
wie etwas ganz Fernes, ganz Weſenloſes zwiſchen all
den neuen Eindrücken, welche blendend ſchön an ſeinem
Auge vorüberzogen.
Er ſchrak zuſammen, als der Lakai meldete, daß Ihre
Königliche Hoheit die Frau Erbgroßherzogin den Herrn
Stiftspfarrer erwarte.
Während der Audienz hatte Collander etwas auf-
fallend Berwirrtes und Benommenes in feinem ganzen
Weſen, was die hohe rau wohl bei dem wortgewandten
und geiftvollen Mann befremdete, was aber keineswegs
ungnädig von ihr aufgenommen wurde.
Mit Hochklopfendem Herzen ſchritt der Gtiftspfarrer
endlich die teppichbelegten Stufen wieder hinab, ermwiderte
zerjtreut die Grüße der Dienerfchaft und trat in die falte
Schneeluft hinaus. Im Sturmjchritt verfolgte er feinen
Weg, im Geift die leidenfchaftlichiten Debatten mit Fürftin
Tautenftein führend. Seine Beredfamfeit, die Kraft feines
Glaubens werden fie überzeugen; er wird öfter3 aus—
und eingehen bei ihr, fie wird neben ihm figen wie heute,
fpöttifch lachend . . mit fehneeweißen Händen eine Roſe
zerpflücend und dennoch immer ernfter, immer leuchtender
mit den dunflen Augen zu ihm aufichauend, und endlich
— 406 —
wird fich das ſüße, Heine Angeficht tränenbetaut zu ihm
heben, und er legt ihr die gefalteten Hände auf das
Haupt und fpricht mit jauchzendem Herzen: „Wohl mir,
daß ich deine Seele rettete.” Ein tolltühn’ Spiel, ein
Hazard iſt e8, aber er wagt's!
Erſt als er die Treppe zu feiner Wohnung empor⸗
ftieg, fiel ihm ein, daß er direft zu Martha hatte gehen
wollen. Einen Augenbli überlegte er, dann öffnete er die
Tür und stellte die beiden gelben Rojen ins Waffer. Was
jollte Martha damit? Sie fannte ja Fürjtin Claudia gar
nit. Dann mwechjelte er feine Kleider, hob die Blüten
noch ein paarmal empor, ihren Duft zu atmen, und fchritt
zur Tür zurüd. Auf dem Tiſch lagen ein paar Zeitungen
mit rotangeftrichenen Artifen. Man Hatte wohl eine
feiner öffentlihen Wahlreden wieder angegriffen. Sonft
hatte er voll Fühnen Eifer nichts gegefjen und getrunfen,
bis er ſolche Anfeindungen Schlag auf Schlag widerlegt
und erwidert hatte, heute ſchob er die Blätter ungeduldig
beifeite; er hatte fo gar feine Gedanken dafür, er mußte
erst zu Martha, fich über alles auszuſprechen, was er an
dieſem Tage erlebt. Über alles? ... je nun, über alles,
was fie interejliert.
Schmal und audgetreten waren die drei Holztreppen,
welche zu der Wohnung de3 Profeſſor Clepius empor:
führten. Tagein, tagaus faß der alte Herr in dem tabaf-
Durchräucherten Zimmer, welches feine Fenſter nach den
Hintergärten öffnete, tief über die Bücher geneigt, eine
Taſſe ftarfen Kaffees neben ſich, und arbeitete an dein
— 407 —
botanischen Werk, welches fchon lange Fahre hindurch all
jeine Gedanken und all jeine Zeit in Anfpruch nahı.
Seine Enkelin Martha, die jchlanfe, ernite, ratlos fleißige
Waiſe, führte ihm den Kleinen Haushalt, neigte das
finnende Antliß über die Stidereien, mit welchen fie einen
fargen Tagelohn verdiente, und jchritt voll aufopfernder
Kächitenliebe und Barmher-
zigheit jchon feit Jahren in
das Brigittenhofpital hinüber,
fih in der freien Zeit an
freiwilliger Sranfenpflege zu
beteiligen. Dort wollte fie
für immer in die Neihen der
Diafoniffinnen treten, wenn
der Großvater Dereinjt Die
müpden Augen gejchlofien. Aber
das Schickſal fügte es anders.
Der neue Gtiftspfarrer Col—
(ander trat dem lieblichen Mäd-
chen entgegen und reichte ihr
danfend die Hand, und wie fie
einander in die Augen jahen, da war es beiden, als fer ihnen
ein Gruß aus der Heimat geivorden. Als aber die Aitern
auf den Beeten welkten und das Laub wie fließend Gold
zur Erde tropfte, da lehnte Martha ihr glückverflärtes
Antlid an die Bruft des geliebten Mannes und war fein
eigen für Zeit und Ewigkeit. — — Die Wanduhr in dem
langen Gehäufe fang ihr monotones Lied, und in dem
— 408 —
eifernen Dfen prafjelte das Feuer, ſummte der Wafjer-
feffel in der NRöhre. Arm und alt war alles in dem
Stübchen, aber fauber und wunderfam traulid. Im
Glasſchrank praugten ein paar bunte Taſſen, Mufcheln,
Rorallenzweige und freindartige getrocknete Pflanzen, welche
der Großvater einft als Jüngling vom Strand der Adria
heimgebracht. Am Fenfter jtand die Nähmajchine, und
unter alten Kupferftichen „ver Erzähler” und „Hermann
und Dorothea” friftete ein jteiflehniges Sofa fein langes
Dafein. Neben der Prachtbibel auf dem Tiſch duftete
ein frifcher Tannenjtrauß gleich weihnachtlihem Rück—
erinnern.
Auf der Treppe Hangen Schritte. Martha wußte,
daß jo feit und ficher nur ein einziger auftrat, fie fprang
von der Arbeit empor und eilte ihm mit ausgebreiteten
Armen entgegen, und da er fie an feine Bruft zog und
füßte, glühte fie in lieblicher Scham, wie eine taufchwere
Blüte, deren Haupt man heben muß, will man ihr in
das Antlit fchauen. Und Martha ließ heute die Hände
ruhen und fchmiegte ſich an feine Ceite, und jchaute mit
leuchtenden Bli zu ihm empor, wie er von feinem Bejud)
im Schloß erzählte.
Collander ſprach viel und erregt, er ward nicht müde,
die Hoheit und zauberhafte Anmut der Erbprinzeffin, die
wunderſame Schönheit der Fürftin Tautenftein zu rühmen.
Und der letzteren verdankt er all fein Glück! Sie prote=
giert ihn, und Hilft ihm mächtig empor über die Felſen,
welche ihm feine Widerjacher in den Weg türmen. Da
klingt es wie ein leijer Jubellaut von Marthas Lippen,
fie fchlingt die Arme um feinen Naden und blickt mit
den fanften Augen, in welchen fich das ur und [ommjte
Entzüden jpiegelt, zu ihm auf.
„Wie ſtolz bin ich auf dich, Helmut, und wie danfe
ih Gott für oT das Glück, welches er uns befchieden.”
Er faßt ihre Hand. Sie ift hart gearbeitet und leicht
gerötet unter dem Einfluß von Wärme und Kälte, gegen
welche fie nicht gejchiigt werden kann; die Fingerſpitzen
ind rauh und zerftochen. Wie weich und blütenzart hatte
Claudia Rechte fich in die feine gefchmeichelt, umbligt
von Öoldreifen und Demanten. Aber Fürftin Tauten-
jtein arbeitet auch nicht um ihr täglich) Brot, wie dieſe
raſtlos jchaffende, wadere Mädchenhand! Collander nimmt
fie voll aufquellender Zärtlichkeit empor und drückt Die
Lippen auf die Spuren von Fleiß und demütiger Ge—
Ihäftigfeit. Wie ftill, wie friedlich ift es hier, aber auch
wie eng und armſelig. Das Sofa hat Eollander nie fo
hart gedeucht wie heute. Martha ift heiterer und ge—
jprädjiger denn je. Sie erzählt von ihrem Gang durd)
das Hofpital, und von dem überfahrenen Kind, melches
fie auf Helmut3 Wunjch befucht Hat. Er Hört zu und
niet Beifall, aber feine Gedanken fchweifen weit ab. Wie
ihre ajchblonden, dicken Flechten fo ſchlicht um das ſchlanke
Haupt gemunden find! In Claudias goldzitternden Löck—
chen flunmerte ein Krönlein wie auf dem Scheitel einer
Königin. Lächerlich ... beinahe hätte er gejagt: „Martha,
du mußt dich etwas moderner frilieren!” Als ob ihre
— 40 —
föftlichen Zöpfe nicht ftet3 jein Entzüden gewejen wären!
Und eine Pfarrfrau, welche als Samariterin in die Hütten
der Armut tritt, Tann fein Krönlein eitler Pracht und
Prunkſucht über der Stimm tragen. Aber ein Tannen
reislein zieht er aus dem Glaſe und fchmüdt fie.
Drum Hält euch Gram und Leid umfangen,
Eeid eigner Schuld ihr euch bewußt,
So lehnt die tränenfeuchten Wangen
Un eurer Mutter treue Bruſt.
Und ift die Mutter euch gefchieden,
Weint ihr allein in finftrer Nacht,
D glaubt: ihr Herz ließ fte hienieden,
Es hält bei ihrem Kinde Wacht! —
Albert Träger.
N arie Quife war bei Hofe präjentiert worden und
hatte einen äußerſt günftigen Eindrud hinter:
lafjen. Die Erbgroßherzogin und Prinz Mari:
milian jchienen ein ganz bejonderes Wohlgefallen an ihr
zu finden und auch der Großherzog unterhielt fich außer:
gewöhnlich lange mit ihr. Er jchien ſich eine ganz faljche
Borftellung von Frau von Nennderjcheidt gemacht zu
haben, und blidte frappiert in das madonnenhafte Ge-
fichtchen, aus welchem zwei geiſt- und jeelenvolle Augen
vol ernfter Wehmut zu ihm emporleuchteten. Auch die
Antworten, welche „das Gänschen von Buchenau‘ gab,
Ichienen zu überrafhen. Er wandte ſich zu Fräulein von
Speyern. „Sch gratuliere Ihnen zu Ihrem fich ftets fo
trefflih bewährenden Geſchmack, liebe Speyern! Ihre
Schußbefohlene ist eine gang feharmante Kleine Frau ..
— 412 —
ich begreife nicht, wie Fürftin Zautenftein fich eine fo
irrige Meinung über fie bilden konnte. Habe extra auf
das jo bös beleumundete Kompliment geachtet und Tann
nur behaupten, daß es mitraller Würde und Grazie aus⸗
geführt wurde!” |
Fides lächelte wie eine Mutter, welcher man eine
Eloge über die gute Erziehung ihrer Tochter jagt. „Ich
begreife e3 jehr wohl, Königliche Hoheit, daß Frau von
Nennderjcheidt jehr wenig dem Geſchmack der Fürſtin
entjpricht; die Gegenſätze ſind zu grell, um fich auch nur
in einem einzigen Charafterzug harmoniſch berühren zu
können.“
„Sehr richtig. Ich bin außerordentlich zufrieden mit
der Wahl des Barons, Hatte einen ſolch vortrefflichen
Geſchmack faum bei ihm vorausgeſetzt, und befenne mich
völlig verjöhnt mit feinem etwas übereilten Streich,
welcher mir anfänglich zu erniten Befürchtungen Anlaß
gab. Apropos . .. . man jagt mir, der unverbefjerliche
tolle Junker habe fich in auffallenditer Weile vor den
Triumphwagen der Fürſtin Tautenſtein gejpannt?’
„Nennderſcheidt war ftet3 . . . d’apres la derniere
mode!”
Der Hohe Herr lachte leife auf. „Aber auch ſtets
charaftervoll und unbejtechlih genug, um beifeite zu
werfen, was bei näherer Prüfung feinen hohen Anforde:
rungen nicht genügte.”
„So it es doppelt interejjant zu beobachten, was er
für Gold und was er für Talmi erklären wird.”
— 43 —
Der Großherzog ftrich langſam feinen ergrauten Bart,
Har und feſt haftete fein Blid auf dem ernten Antlig
der Hofdame. „Unbejorgt, liebe Speyern, der Demant
rollt durch vielerlei Gejtein, aber er fchleift fi nur am
Demant, und Menjchenherzen gleichen zartgejchliffenen
Gläſern, die nur dann Elingen, wenn fie harmonieren.
Auch iſt mand ein Scifflein planlos auf hoher Flut
umbergejchweift und hat fchlieglich Doch den heimatlichen
Hafen gefunden. Oliviers Steuermann aber ift jein Herz,
und dag ift brav und gut. leicht ganz feinem Vater,
wild und ruhelos, bi3 er fich jelber auf den rechten Weg
arbeitete, und der bejte Ehemann der Welt wurde. Haben
Glück im Spiel und in der Liebe, die Nennderjcheidts, hat
feiner jemal3 im Hazard verloren!”
Und der Sprecher nickte lächelnd vor ſich Hin, Hob
dann jäh das Haupt und winkte feinem Flügeladjutanten,
ihn zu der Frau Miniſter zu geleiten; der hohe Herr
hatte durch einen Fall auf der glatten Marmortreppe das
Knie verlegt, und bedurfte der Stüße beim Gehen.
Prinzelfin Karoline hatte nad) dem “Diner, welches
fi) der Vorftellung angejchloffen, Marie Luiſe an ihre
Seite gewinft und ihr mit warmen Worten Dank gejagt,
daß die junge Frau die Abgejandte der ſtädtiſchen Miſſion
fo freundlich empfangen und Hilfe und Unterftügung zu=
gejagt habe. „Gewöhnlich find die Damen viel zu jehr
beichäftigt in der Saifon, um Zeit für Samariterdienite
zu finden‘, fagte fie mit ihrer leijen, leidenden Stimme,
den grauen Seidenftoff ihres Kleides nervös zwiſchen den
— 414 —
Fingern reibend, „darum hat es mich doppelt angenehm
überrajcht, bei einer jo jungen Frau wie Sie, welcher
die bunte Welt zum erjtenmal ihren vollen Becher fre-
denzt, jo viel Opfermut und ernften Sinn zu finden. Ich
werde morgen meine liebe Agathe, das Fräulein von
Mühlheim, zu Ihnen ſchicken, Frau von Nennderfcheidt,
die ſoll Ihnen genau die Tage und Stunden angeben,
wo die Damen bei mir find, für arme Kinder zu nähen!
Werde mich herzlich freuen, Sie unter ung begrüßen zu
können!“
Prinz Marimilian Hatte in der Nähe geſtanden und
das Gefpräch mit angehört. Er wendet fich zu Hoven—
fingen. „Wenn ich etwas Menſchenkenntnis beſitze, und
die Baronin recht beurteile, jo werden ihr dieſe meijt
jehr gejprächigen Damenverfammlungen von debattieren-
den Blauftrümpfen der heiligen Schrift wenig zujagen.
Sie Sieht der Defreggerfchen Madonna gar zu ähnlich
und wenn fie Gutes tut, jo iſt's in aller Stille, wo die
rechte Hand nicht weiß, was die linke tut.”
Acht Tage waren vergangen. Schneidender Wind pfiff
durch die Straßen, hartgefroren knirſchte der Schnee unter
den Sohlen. Die Laternen glühten wie rote Funken durch
das Geſtöber, welches fein wie Nebel und Reif hernieder-
ftäubte, fich hier und da zu einer Wolfe verdichtend,
wenn die Scharfe Luft über die Dächer fegte und die weißen
Maffen niederfchüttete. Die Schaufenster ftrahlten ihr
Licht aus und wiejen taufend lockende Koftbarfeiten, welche
zeitweile die Schritte eiliger Paſſanten mäßigten.
— 45 —
Sn warmen Pelz gehüllt, gefolgt von einem Diener,
Schritt Marie Luife von dem nahen Palais der Prinzeſſin
Karoline nach ihrer Wohnung zurück, ftehen bleibend, um
fi) der ungewohnten Pracht der Läden zu erfreuen, oder
mit lebhaften Blid das Getriebe der Großjtadt über:
fchauend, welches haſtig, immer wechjelnd, und Dennoch)
fich immer gleichend, an ihr vorüber lärmt.
Wo die Straße nach dem Park einbiegt, und Die
Billen fi) vornehm und voll Fühler Reſerve zwiſchen
die Handelshäufer drängen, wird es ftiller und dunfler.
Nur noch vereinzelt öffnet fich Hinter mächtiger Glasſcheibe
ein Stüclein Schlaraffenland.
Plöglich bleibt Marie Luiſe ftehen. Bor ihr glänzt
das Schaufenfter eines Backwarenladens, und in feinem
hellen Schein gewahrt fie die Geſtalt eines Kleinen Mäd—
chens, welches auf dem niederen Simfe fauert, die Füße
frierend emporgezogen, und die beiden Hände in Die
Schürze gewidelt. Ein kleines dunkles Tuch ift zipfelig
um den Kopf gebunden, und recht3 und linf3 Hinter den
Ohren krümmen ſich zwei rattenſchwanzartige Zöpfchen,
an: deren Ende ein abgerifjener Wollfaden vergnüglic)
im Winde ſchwänzelt. Die glibernden Eisblumen haben
eine Ede der Scheibe noch freigelaffen; das Kind drüdt
das rote Näschen platt dagegen, und die Äuglein gloßen
voll ftierer Nachdenflichkeit auf die füßen Wunderdinge,
welche fo nah und Doch jo unerreichbar fern ftehen, ob das
Züngelchen noch ſo ſehnſüchtig ſchmatzend das Terrain
unter der Nafe bearbeitet.
— 46 —
Das Stilleben Diejes weiblichen Tantalus hat etwas
äußerſt Drolliges, und erfüllt dennoch das Herz der jungen
Frau mit Rührung und Teilnahme. Sie tritt herzu und
neigt fich freundlich zu dem Kind hernieder. Ä
„Du fuchjt dir wohl etwas aus, was du gern efjen
möchteft, Kleine?’ R
Weder Überrafchung noch Schreden verurfacht diefe
Anrede. Das Köpfchen verharrt unverändert, und nur
das Schnutchen fchiebt fich noch etwas weiter vor und
ſagt lakoniſch — „Nee!“ —
„Und warum nicht?“
„Weil ick et man doch nicht kriege!“ Das iſt logiſch
gedacht, und Frau von Nennderſcheidt iſt gewaltig erſtaunt.
Sie lacht und greift in die Taſche.
„Ich werde dir Geld geben, dann fannjt du dir doch
etwa3 kaufen!“
Da wendet ſich ihr dag kleine Geficht zu. Die Äuglein
funfeln, und der Mund zieht fich wohlgefällig in die
Breite, aber die Hände rühren fich nicht aus der Schürze
heraus. „sn det feine Jeſchäft draue id mir nich rinn,
die feilen mir womöglich und denken, id hätte den Fünfert
irgendwo jelangt!”
Wieder war das Mamfellchen Elüger geweſen wie rau
bon Nennderjcheidt, und Marie Luiſe erwidert höchlichit
amüfiert: „So ſoll ich dir wohl etwas kaufen?“
Die Kleine erfpart ſich durd) ein Feines Geräufch mit
der Naſe das Tajchentuch, und gleitet von dem Fenſter—
breit herab, mit dem rechten Fuße den niedergefallenen
1-
a
Hazard II.
Nov.,
out. u.
*
l
)
ll.
J
N.v. Eſchſtruth,
— —
Latſchpantoffel herzuangelnd. „Wenn Se ſo freundlich
ſind wollen, man zu!“ geſtattete ſie huldvollſt.
„Was ſoll ich denn kaufen?“
Die reſolute kleine Perſon wendet ſich wieder nach
dem Fenſter und ſtemmt überlegend die blauroten Fäuſtchen
in die Seiten. „Von die gelben Kuchens da, den nach
merſcht hierzuliegenden mit die zwei Roſinen an die
Seite!“ entſcheidet ſie kurz.
„Und warum gerade den?“
Ein Blick trifft Frau von Nennderſcheidt, welcher die
vollfte Überzeugung ausdrückt: „Biſt du dumm!!“ und
dann folgt die prompte Antwort: „Na, weil det man dei
Irößte 13!”
Marie Luije ift überzeugt, daß man in diejer Be—
ziehung auf das Augenmaß des praftiichen Mamfellchens
Häuſer bauen kann, und darum tritt fie in den Laden
und Tauft eine Tüte voll gelber Kuchen. Von draußen
queticht jich die Stumpfnafe wieder gegen das Fenſter,
um zu Tontrollieren, ob auch der richtige mit dem Roſinen—
merfmal gebradht wird. —
„Daß du dich aber ſchön bedankſt bei der gnädigen
Frau!” inftruiert der Diener mit einem wohlmeinenden
Knuff, da feine ftumme Anmefenheit durchaus feinen Ein-
druck zu machen jcheint.
„Man erſt wat haben!” ift die vorjichtige Antwort.
Marie Luiſe tritt wieder auf die Schwelle und reicht
die volle Tüte dar. „Hier, Kleine, nun laß es Dir
ichmeden, der Rofinenfuchen ftecdt auch mit darunter; und
— 419 —
gehe num hübſch artig nach Haufe, es ift viel zu kalt und
zu fpät, al3 daß ſolch Kleine Mädchen noch herum laufen
dürfen.” |
„Danke ſchön, Madamchen.” Die runden Arme um:
Hammern mehr voll altkluger Sorgſamkeit al3 freudiger
Halt den dien Papierſack. „Sollen die alle vor mir?
Die kann ick aber nich uff eenmal zwingen!“
„Das jollit du auch gar nicht, und würdeft höchſtens
frank davon werden! Wirft du denn nicht hingehen
und hübjch mit deinen Gejchwiltern und deiner Mutter
teilen ?”
„Nee.“
„Nein? Das wäre ja ſehr ungezogen von dir! Warum
ſollen die nichts abbekommen?“
„Weil ick man jar keene nicht habe. Mein Oller is
uff Bedienung, und die Schultzen, bei die ich tagsüber
bin, jiebt mich ooch niſcht ab, wenn ſe Zervielatsworſcht ißt!“
Der Diener ſchnaubte ſich krampfhaft, ſein Lachen
zu unterdrücken, die Naſe, Frau von Nennderſcheidt aber
neigte ſich voll jähen Mitleids noch näher zu dem Kind.
„Du haft keine Mutter mehr ... arme Kleine ...
wie heißt du denn?’
„Aujuſtchen Spillife!”
„Und wo ift dein Vater?”
„Dient beim neuen Baron in die Billa hier draußen!”
und Aujuftchen tauchte mit dem Arm in die Tüte, langte
einen Kuchen heraus und berod) ihn gründlichft von allen
Seiten, die Dauer des Genufjes dadurch zu verlängern.
27*
— 420 —
„Spillife?” Die junge Frau wandte fich plöglich vol
lebhaften Intereſſes zu dem Diener zurüd. „Heißt nicht
unfer Portier Spillife, Franz?“
„Befehl, Frau Baronin.”
„Schicken Sie ihn fofort einmal zu mir herauf, wenn
wir zurüd kommen! Es ift Platz genug im Haufe, und
Madame Berdan figt den ganzen Tag allein und lang=
weilt fich, fie wird gewiß befjer für das arıne Kind forgen,
wie die gemwifjenlofe Pflegemutter. Cute Nacht, Auguſt—
chen, ſei hübſch artig und gehe jetzt fofort nad) Haufe.”
„Senn id man bloß fönnte! die Schulgen iS Aushilfe
ins Nefterant und fommt erjt jegen Neune rum, mir’n
Keller uffzufchliegen! Manchmal jehe id in’ Irünkram
nebenan, und pafje uff, Det keener wat mauft, wenn eener
rinn fommt; feit ick aber neulich uff de verfchütten Bollen
rumjelatjcht bin, iS et alle mit de Jaſtfreundſchaft.“
Und gleich den großen Geiſtern, welche fich refigniert
über die Mijeren des Erdenlebeng hinausſetzen, biß
Auguftchen Spillike in einen gelben Kuchen und trampelte
dabei vor Kälte mit beiden Beinchen.
Schnell entſchloſſen faßte Marie Luife die Hand des
Kindes und führte eg mit fih. „Komm, Auguftchen, ich
bringe dich zu deinem Vater in eine warme Stube, wo
du von jeßt an immer bleiben wirft.”
„Ooch jut, dann feilt er mir, ſonſt hätt’3 die Schulen
jetan, und die haut man noch derber zu wie Vater!” und
Auguſtchen Spillife fchlurrte fo gottergeben in diefe traurige
Alternative ihrem Schickſal entgegen, wie weiland die Fran—
— 4221 —
zofen in den See von Murten liefen; Feinde recht3 und
Feinde links, und Prügel auf alle Fälle! — —
Baron von Nennderjcheidt war allein der Einladung
des Oberlanditallmeifter3 zum Diner gefolgt. Seine
Frau war zur Prinzeſſin Karoline befohlen und hatte
fich demzufolge entfchuldigen laffen. Allem Anjchein nad)
wurde fie nicht vermißt. Fürſtin Tautenjtein war von
einer feltenen, faſt aufgeregten Lebhaftigkeit, und je ftiller
und finjterer Dlivier an ihrer Seite wurde, je fehärfer er
die Zähne in die Lippen grub und den Champagner hajtig
hinabſtürzte, deſto fchlechter behandelte fie ihn. Ihre
Worte ftießen ihn zurüd, und ihre Augen zogen ihn mit
taufend magijchen Banden näher und näher an fih. Seit
den lebten zehn Tagen war Nennderfcheidt der Schatten
der jchönen Frau geweſen, war mit ihr geritten und ge-
fahren und hatte ihr durch die verjchiedenen Feſtlichkeiten
gleich einem getreuen Pagen die Schleppe getragen.
Dennoch erntete er kaum Dank dafür. As Claudia
während einer Schlittenfahrt ein Armband verloren hatte,
ſuchte Dlivier bei Fadelbeleuchtung den ganzen Weg
danady ab, und da er es nach ftundenlanger Mühe
endlich gefunden und es feiner Herrin mit gerechtem
Stolz überreichte, lächelte fie ein etwas ironiſches: „Das
fah Ihnen wieder mal ähnlich, beiter Baron!” und fie
nahm die breite Goldfette und warf fie Prinz Hohned
zu. „La voilä, Prinz, lafjen Sie Ihrem Pinjcher ein
Halsband davon machen!” Kine halbe Stunde jpäter
reichte fie Dlivier verjtohlen ihre „idealſte Photographie,
— 42 —
welche außer ihm fein GSterblider mehr bejißen
würde.”
Am Vormittag ritt er an dem Schloß vorüber und
grüßte zu ihr empor. Sie ignorierte ihn vollkommen,
wandte das Köpfchen und trat vom Fenſter zurüd, und
abends tanzte fie eine Extratour nach der andern mit
ihm und mußte ihn gar nicht oftenfibel genug zu be—
vorzugen. Marie Luiſe ward entweder völlig überjehen
von ihr, oder Fürftin Tautenftein ließ e3 die junge Frau
in berbfter und oft boshafter Weije empfinden, wie jehr
fie von ihrem Gatten vernachläffigt werde.
In ſolchem Augenblid war e8 wohl wie ein zwei—
jchneidiges Schwert durch das Herz des gequälten Weibes
gegangen, aber ſie gedachte der Lilien auf dem Feld, über
welchen Gott feine Wetterwolken ballt, damit fie nicht im
grellen Sonnenſchein dahin welfen, ehe fie fich zu voller
Blüte entfalten.
Nach dem Diner hatten fich die älteren Herrjchaften
noch zu einer Partie L'hombre zufammengefeßt, und von
der Jugend war in übermütiger Weiſe ein „petit Monte-
Carlo” entrepreniert worden.
„Reue Zwanzigpfennigftüde find der höchſte Einſatz,
meine Herrihhaften! Sie täufchen durch ihre Größe das
Auge des harmloſen Zufchauerd und gejtatten felbit einem
Leutnant, am 14. des Monat3 noch ohne Schulden etwas
ipieleriger Natur zu fein!”
„Es lebe mein geehrter Herr Vorredner! Der Erlös
wird redlich geteilt! Wir gehen alle zufammen in den
= 4233 —
Fünfzigpfennigbazar und machen uns einen fidelen Nach-
mittag!”
„Durchlaucht hält Bank!“
„Werpumpt
mir zwei Ditt⸗
chen?!“
„Aber Herr
von Hoven—
klingen! Au secours! au secours! Durchlaucht, der
Marinierte Hat eine Bratkartoffel vom Buffet als Einjah
auf die Karte gelegt!‘ |
„Werft das Ungeheuer in die Volffchlucht !”
„Wem gehört dieſer herrenlofe Pfennig?“
„Fragen Sie ihn doch!”
„Sparen Sie ihn für wohltätige Zwedel Sit feine
Generalin da, die für das Edelweiß fammelt? Ein roter
Heller, zufammengebradht in der Hofgejellichaft durch
Leutnant zur See von Hovenklingen !”
„Biersdorf! bitte jegen Sie mal für mich, Sie ſehen
mir gerade fo aus, al3 müßten Sie ftet3 das große Los
gewinnen!“
„Ich halte ſehr dafür, daß die Karten genagelt werden!!“
„Wer zieht denn immer an der Tiſchdecke?“
„Grundgütiger! Hovenklingen hat den Muſikſeſſel
entdeckt! Ruhe! Faites votre jeul Wer noch einmal
eine Apfelſine über den Tiſch rollt, muß ſie zur Strafe
als Pille verſchlucken!“ Ein lachendes, übermütiges
Durcheinander, zwiſchendurch klingt unter Herrn von
Hovenklingen der Muſikſeſſel: „Macht mir keine Wippchen
vor ... Wippchen vor. .”
Nennderſcheidt lehnt auf einem Seſſel und ftarrt mit
zufammengezogenen Augenbrauen vor fi) nieder auf die
Karte der Herzdame, welche er bejeßt hat. Sie verliert
beitändig. Und Claudia fagt jedesmal mit ganz eigen-
tümlicher Betonung: Verſpielt, Herr von Nennderfcheidt,
nicht immer gewinnt der im Hazard, welcher wagt!”
Sie hat Hohned und einen jungen, bildhübfchen Garde:
ulan an ihre Seite gewinkt und fofettiert gewaltig mit
ihnen, für Olivier hat fie bald gar fein Wort und feinen
— 425 —
Blid mehr übrig. Die heiße Luft droht ihn plößlich zu
eritiden, er fchiebt den Seſſel zurüd und tritt in den
Nebenfalon, durcheilt die weiteren Zimmer und ftürmt
in finnlofer Aufregung hinaus. ‘Jeder Nerv und jede
Fiber zuct in ihm, das Blut rajt durch die Adern und
treibt ihm ſchwindelnde Glut ins Hirn. Er ift wie ein
Beraufchter, und die fühle Nachtluft fchlägt wohltuend
gegen jeine Stirn.
Es fol und muß zu Ende kommen, foll er nicht ver-
rüdt werden unter diefen Folterqualen von Liebe, Eifer:
ſucht und Aufregung! Claudia hat ihn in einen Taumel
wilder Leidenschaft verſetzt, er verjchmachtet, kann er fie
nicht als Eigentum in die Arme jchließen und ihre Xippen,
die ſüßen, graufamen, mit flammenden Küſſen bededen!
Wozu noch Diejes Hin und Her! Durchgehauen den
Knoten, welchen er fich felber um die Hände gejtrict!
Ein wahnmigiges Spiel hat er getrieben, ohne Sinn und
Beritand feine Freiheit im Hazard verjchleudert! Aber
gleichviell Er wirft die Karten hin, er"mijcht fie neu
und zieht diesmal Coeurdame, die „Siegerin! Wie ein
Berfolgter jtürmt er durch den einfamen Park, die Blicke
Itarr auf den roten Lichtſchein geheftet, welcher aus Marie
Luifes Zimmer zu ihm niederjtrahlt. Er ift feit ent-
ſchloſſen, noch in diefer Stunde vor fie hinzutreten, ihre
Hände zu falfen und zu jagen: „Gib mir das Wort
zurüd, welches ich dir verpfändet; ich will es dir Föniglich
lohnen, ich will dieje beiden Ringe zerbrechen und dich
und mich dadurch glücklich machen!”
— —
Nennderſcheidt trat in fein Zimmer, den Mantel ab-
zuwerfen. Er prallte faſt zurüc vor dem Anblid eines
lebenggroßen Olgemäldes, welches gegen den Tifch ge—
lehnt, grell von der Hängelampe bejchienen war. Geine
Mutter. Wunderjam lebendig jchauten ihn die milden,
treuen, jo flug und ernſt blidenden Augen an. Ihre
Lippen fchienen geöffnet, feinen Namen zu rufen... . wie
ein Blisftrahl zudt die Erinnerung durch fein Ohr, er
hört das leife zitternde: „Sei getreu bis in den Tod”...
welches als letter Hauch über dieje erbleichenden Lippen
geſchwebt ift.
Der Tzreiherr wendet ſich jählings zur Seite: ‚Wer
hat das Bild von der Wand genommen?” herrſcht er
den Bedienten an.
„Die geiprungene Tapete follte an der Wand repariert
werden, und glaubten wir nicht, daß Herr Baron fo zeitig
nach Hauje fämen, fonft hätten wir die drei Gemälde
ichon wieder aufgehängt. Es ſoll jofort beforgt werden.”
Dlivier ſchwieg. Er fchritt mit gefurchter Stirn ein
paarmal im Zimmer auf und nieder. Dann hob er voll
finjterer Entfchlofjenheit das Haupt und jtieg die Treppe
nad) Marie Luiſes Gemächern empor. Alle Türen waren
weit geöffnet, er ging durch die matterleuchteten, Stillen
Zimmer, und die Dielen Teppiche dämpften feinen Schritt.
Heller Lampenſchein fiel ihn entgegen, Durch die zurüd-
geichlagenen Portieren jah er direkt auf den altdeutichen,
grünen Kachelofen des Speiſezimmers und die firchen-
jtuhlartig gearbeitete Bank neben demfelben.
— 427 —
Betroffen ftand Dlivier vor dem unverhofften Anblic,
welcher Jich feinen Blicken darbot. Marie Luiſe ſaß mit
tiefgeneigtem Haupte und ſpann. Ein dunkles Woll-
£leid fiel in weichen Falten um ihre jchlanfe Figur, und
die beiden gejchnigen Greifen, welche auf ihren Flügeln
die Bank
trugen, ſtreck—
ten voll be
haglicher
Würde Die
Klauen vor,
als wollten fie
fih demütig
und Dennoch
zornig ſchüt—
zend zu Füßen
ihrer Herrin
niederſtrecken.
Olivier ſah
nur das zarte
Profil feiner *
Frau, den tiefen Ernſt ihrer Stirn und die Schwermut,
welche die Mundwinkel neigt. Der ſchlanke Nacken iſt
gebeugt wie von einer Überlaft herben Leides, und da
Dlivier fie zum erjtenmal aufmerkſam anfchaut, deucht
es ihm, als fei ihr Antlitz ſchmaler und bleicher noch
denn ſonſt. Das Spinnrad dreht fich in flinfem Tanz, und
ihre jchlanfen Hände mwinden mechanijch den Faden .,
— 41383 —
Dlivier greift nad) der marmornen Tifchplatte an
feiner Seite umd jtüßt fich fehmwer atmend darauf. Wie ein
nerpdfes Hittern durchläuft e3 ihn vom Scheitel bis zur
Sohle.
Sp hatte feine Mutter viele lange, einjame Winter-
abende in der Speijehalle von Roggerswyl geſeſſen und
mit goldenen Fäden Glüd und Segen dem Haufe Nennder-
Scheidt verwebt. So Hatte er zu ihren Füßen gejpielt
ö und, mit neugiergroßen Augen aufhorchend, ihren Märchen
und Legenden gelaufcht, fo lebte fie in feiner Erinnerung
wie ein Bild der höchſten Frauenmwürde und Frauenſchöne.
Die Freiheitskriege hatten viel adlige Familien an den
Bettelftab gebracht, aud) über die Fluren und Acer des
Freiherrn von Nennderjcheidt hatte der tobende Kampf
feine Mafjen gemälzt, hatte die Sturmglode gegellt, und
blutrote Feuerlohe verwüſtend zufammengerifjen, was das
Merk jahrelangen Fleißes gewejen. Die Scheunen leer,
die Felder zertreten, das Kapital geopfert auf dem Altar
des Vaterlandes, eine ſchwere, prüfungspolle Zeit. Da
hatte der flotte, lebensluftige Kavalier Dagobert von
Nennderſcheidt das Trefienkleid der Höflinge abgelegt, war
als fchlichter Mann Hinter dem Pflug einhergejchritten,
der erſte Arbeiter unter feinen Knechten, aus eigener Kraft
zurüd zu gewinnen, was ihm das Schidjal genommen;
und an feiner Seite ſtand die edelfte, kraftvollſte aller
Frauen, welche in raftlojer und Ddemütiger Arbeit von
früh bis ſpät die Hände regte, ein Beifpiel zu geben, und
ein Vorbild zu fein allen denen, welche ihr mildes Wort
— 429 —
befehligte. Und der Segen des Himmels lag auf allem,
und was je verloren war, erſetzte ſich doppelt und
dreifach. Die Schloßfrau aber faltete die Hände über
dem Haupt ihres einzigen Sohnes und betete zum Himmel,
daß der Segen bleiben möge, auch dann, wenn ſie's nicht
mehr ſchauen könne. | |
Warum jtürmten all diefe Gedanken wie ein Yyieber:
ſchauer plöglic) auf Dlivier ein? Das kleine, ſummende
Spinnrad redete plößlich eine Donner)prache, welche den
laufjchenden Mann bis ins Mark und Bein, big tief in
die Seele traf. Der goldene Segen! Sa, er war ein
reiher Mann, er mähte ab, was die Hände vor ihm
gefäet hatten. Es genügte ihm, aber nicht, die Zinſen
deifen zu verpraffen, was feine Eltern in opfermutigiter
Arbeit erworben, er lebte feit etlichen Jahren über feine
Berhältniffe, jeit der Zeit, da Graf Gofed feinen Weg
gefreuzt, da das tolle, finnloje Treiben beganıı, welches
drohte, ihm zur zweiten Natur zu werden. Olivier ftrich
langfam mit der Hand über die glühende Stirn, jein
Auge ftarrte geradeaus, unverwandt auf dag geneigte
Haupt der Spinnerin. Wie lange hatte er fein Spinn=
rad mehr gejehen, wie lange hatte er nicht zurüdgedacht.
Wildes, leidenjchaftliches Heimmeh erfaßte ihn und fchüttelte
jeine Glieder. Es war, als hätte feine Natur mit den
überreizten und überftraff angejpannten Nerven nur noch
des leifeiten Anftoßes bedurft, um plötzlich matt und
ſchlaff in fich felber zufammen zu brechen. Der Finger
eines Kindes vermag einen trunkenen Rieſen umzumerfen.
— 430 —
Das leife Summen und Singen eine Spinnrades
hatte in feinem Herzen ein Echo gewedt, welches anſchwoll
zu einem gewaltig braujenden Klang, alles übertönend,
was an wüſten Mißafforden durch feine Seele irtte.
Und diefer Klang umſtrickte ihn wie ein ſüßer, unrettbarer
Zauber und faßte und zog ihn Hin zu jener Einzigen,
auf deren Knie er jo oft fein müdes, geängitigtes Haupt
- gedrüdt hatte, wenn bange Traumbilder ihn jchredten,
wenn er in der Finſternis ſtand und verzweifelt tajtete,
den rechten Weg zu finden.
Lautlos jchritt er zurüd nach feinem Zimmer und
warf fi) mit jehnjuchtsfranfem Herzen in den Seffel vor
feiner Mutter Bildnis. Er verfchlang die Hände und
ſah zu ihr empor. Wie ein Lächeln der Milde und Ver:
ſöhnung jtrahlte es um ihre Lippen, und die dunklen
Augen blictten regungslos zu ihm nieder, treu und ernit
wie früher, da fie oftmals jeinen Fragen geantwortet:
„Was du tun follft Olivier? Männlich braver Sinn
bedarf feines Rates, denn fein Gewiſſen jagt ihm, was
das Nechte iſt!“
Deutlich hört er die Worte, aber es war die Stimme
Marie Luijes, welche fie ſprach.
Wie ein Aufitöhnen rang e3 fi) aus jeiner Bruft.
Ein Gefühl unausfprechlichen Elend überfam ihn, ein
Gefühl der Überfättigung und Mattigkeit, ſchal und efel
deuchte ihm die ganze Welt. Draußen auf der Straße
lacht eine helle Frauenftimme, ſtimmt eine Harmonika
eine übermütige Weile an. Olivier preßt Die Hände
— 431 —
gegen die Ohren, der Klang tut ihm weh im Kopf, und
das Lachen erinnert an Fürſtin Claudia. Es iſt ihm zus
mute wie einem Sranfen, welcher in die tiefite Ruhe und
Einſamkeit flüchten möchte, . . . fein
Jubel ... . fein Spiel und Tanz
‚nur eine fühle, milde Hand,
die fich auf feine kranke Stirn legt,
ihr Frieden zu geben.
„Die Zeit wird fommen, da
dir das geneigte Haupt Deines
Weibes lieber ijt, als der pricelnde
Humor, mit welchem andere Die
feuerblütigen Weine kredenzen“,
zieht es plößlich
wie eine traum—
hafte Erinnerung
durch ſeine Seele.
Nennderſcheidt
ſtützt das Haupt
ſchwer auf. Wieder
haftet ſein Blick auf
dem Antlitz ſeiner
Mutter, und ſeine
Gedanken fliegen weit zurück in eine Zeit, da er noch
fromm, noch gut und glücklich war. Wie konnte er ihrer
ſo lange vergeſſen! Er erhebt ſich und öffnet mechaniſch
eine kleine Tür des Schreibtiſchaufſatzes. Das Tagebuch
ſeiner Mutter liegt darin, dasſelbe, an welchem er ſich
— 432 —
nach fchwerer Krankheit gefund gelefen. Er taftet danach
und greift einen Stoß Briefe. Wie fommen Briefe
hierher? Er jchaut darauf nieder, finnt einen Moment
und zudt leife zufammen: Marie Luifes Schrift, kaum
erfannt von ihm. Goſeck hat diefe Briefe damals in feinen
Schreibtifch gejchoben, und er hat fie weder gelejen nod)
vermißt. Die Briefe feiner Braut. Jähes Not fteigt
wieder in feine Schläfen, er ſenkt das Haupt tiefer, als
wage er nicht, feiner Mutter in dag Auge zu fehauen.
Langſam läßt er fich in den Seffel zurüdfallen und be-
ginnt zu lejen.
Die Uhr tickt und Schlägt... und fchlägt wieder...
und der Diener ftedt den Kopf durch die Portiere und
zieht fich lautlos wieder zurück ... und al3 er lange
nach Mitternacht wieder mit verjchlafenen Augen lugt, da
fieht er das Haupt feines Herrn tief auf Die Arme ge-
junfen, aber er jchläft nicht, ein Schütteln und Beben
jcheint durch feinen jtarfen Körper zu gehen.
Die Vorhänge ſchlagen leife wieder zufammen, und
die Gasflammen kochen und jummen wie das Spinnrad
unter Marie Luiſes fcehlanfen Händen ... draußen am
Himmel aber teilen ſich die Wolfen, flammt groß und
hell der Morgenftern. — —
IR
rien —
XIX.
AW eine Straße müſſen wir. —
Allen raufcht die Urn’ im Umſchwung;
früher oder fpäter fällt das 208 des Schick⸗
fals. — Horaz.
Wenn die Blüten abgeftreift,
Iſt nicht gleich Die Frucht gereift —
An dem Baum im arten.
Zwifchen der Empfindung Zeit
Und der Zeit, wo Tat gedeiht,
Liegt ein banges Warten.
Geibel.
” a3 war ein Wintertag! Sonnengold flutete um
| E die Mauern und Säulengänge des großherzog:
N lichen Schlofies, grünlich jchillernd mit hell auf-
blitendem Knauf wölbten fi) die Kuppeln und ftiegen
vol märchenhafter Pracht über Zinnen und Türmchen
empor, ihre Konturen jcharf gegen den fledenlofen Himmel
zu zeichnen. Wie überjäet von Brillanten gliberten die
Bäume und Gebüjche des Parkes, und die weißen Götter:
bilder längs der mächtigen Taxusallee hatten duftige
Mäntel und Schleier umgehängt; feine Hebe, welche gra=
3108 auf der Fußſpitze jchwebt, eine Schale mit Nectar
füllt, fcheint die Augen mehr auf dem eleganten Getriebe
ringsum, als auf ihrem SKrüglein zu haben, fchneeiger
N.v. Eſchſtruth, IE. Nom. u. Nov., Hazard II. 28
— 434 —
Schaum fteigt hoch über des Becher Rand und träuft
über die zierlichen Hände nieder.
Die Parademufit fpielt in der Götterallee, und die
höchſten Herrfchaften, die Perſonen ihrer Umgebung und
die erklufive Hofgejellichaft promeniert in derjelben; weiter
ab, in den Nebengängen des Echloßgartens, wogt die
bunte Menge der Nelidenzler.
Baron Nennderjcheidt war überrajcht, als feine junge
rau zu ihm jchiefte mit der Anfrage, ob fie fich zu dieſem
Frühkorſo rüften jolle?
Dlivier bringt die Antwort felber. Ehe er eintritt,
Itreicht er langfam über Stirn und Augen, und ein un—
gewohnt ernſter Ausdrud beherricht feine Züge, ohne
ihnen da3 Gepräge von Mißſtimmung zu geben. Noch nie
iſt er zu folch früher Stunde bei Marie Luiſe eingetreten.
„Befindet fich die gnädige Frau bereits im Salon?“ fragt
er Madame Verdan, welche ihın auffallend heiter entgegentritt
und bei jeinem Anblicd die Augen weit aufreißt vor Staunen.
„Ganz recht, Herr Baron, gnädige Frau find im
Speijezimmer und frühftüden mit der Kleinen Augufte.”
„Kleinen Augufte?! ... ach . .. Das Menfchen-
fiichlein, welches meine rau neulich in trüber Flut ge=
fangen”, ein fchnelles Lächeln fliegt über fein Geficht.
„Anmelden? bewahre, Madame Verdan, ich denke, mein
Kommen wird nicht überraschen !”
Er tritt durch die goldgejchnigte Tür, und die alte
Frau fieht ihm mit faſt triumphierendem Blick nach.
„Welch ein Glüd, daß ich heute das weiße Morgenkleid
— 435 —
mit den frifchfarbenen Schleifen nahm, e3 fteht ihr am
beiten.’ Ä
Sie hat recht, es fteht Marie Luiſe vortrefflich,
namentlich in dem Augenblid, da fie ſich über den Stuhl
der Kleinen neigt und ihr eine Serviette umbindet.
Olivier bleibt unwillkürlich auf der Schwelle jtehen,
und erſt als das liebliche Weib überrafcht aufblickt und
ihm dann mit demjelben Lächeln, welches er im Berfehr
mit ihr gewohnt ift, entgegentritt, fchreitet er näher und
fieht ihr mit wunderjam forjchenden Augen in das Antlitz.
Sonft hat er ihre Hand jtet3 gefüßt, heute drückt er fie
nur furz und fchnell. „Laß dich, bitte, nicht ſtören, ich ſetze
nich zu euch. Sit das Eleine Wejen da Augujtchen Spillife?”
„Mein Eleiner Findling, deſſen Aufnahme du mir jo
gütigft gejtatteteft. Sie leijtet mir Gejellfchaft und wird
gewiß Doppelt artig jein, wein der guädige Herr zu—
gegen iſt.“
Auguftchen hatte fich den Moment, da Marie Luiſe
ihrem Gatten entgegentrat, zunuße gemacht, die große
Milchtaffe mit beiden drallen Fäuften ergriffen und Die
ganze Viſage, mit bejonderem Nachdruck der Naſenſpitze,
hineingefenft. Die Verhandlungen über ihre Perfon und
die Anmefenheit des Herrn Barons irritierten fie wenig;
fie befchränfte fich darauf, den unbekannten Bejuch über
den Rand der Taffe mit neugierig vortretenden Äuglein
anzujehen.
Die junge Frau unterbrach den „Trunk der ſüßen
Labe“ mit ernten Blid und zwingender Hand.
28 *
= AIE,
„Du ſollſt erſt dein Gebet jagen, ehe du ißt und
trinkſt“, jagte fie.
„Ich kann ja keens!“
Olivier horchte hoch auf, fein Blick weilte voll ſicht—
lichen Amüſements auf der Tochter ſeines Portiers.
„Sprichſt du nie ein Morgengebet?“
det
Auguftchen hatte bereits die leckeren Brötchen im
Auge. „Nee!
„Aber am Abend?” |
„Och nich, erjt recht ni. Is' det Honig da?”
„Honig befommen nur fromme Kinder zu ejfen. Haft
du denn überhaupt nie gebetet?”
„ur wenn's jewitterte und id mir jraulte!”
Dlivier Huftet laut auf und tritt an das Fenſter, er
fieht, daß Marie Luiſe felber mit dem Lachen kämpft.
Dann muß die Kleine ein fchlichtes Sprüchlein Herfagen,
welches die junge Frau vorjpricht; fie faltet dabei die
Hände um die des Kindes, und ihre Stimme klingt fo
weich und felber fo kindlich treuherzig, daß es wieder
durch) Nennderjcheidts Seele zieht wie ein Klang aus
ferner Beit. Heute aber facht er feinen Sturm an, fon:
dern weht wie ein jäufelnder Segen über feimende Saat.
Auguftchen kaut mit vollen Baden, leckt jchlieglich am
Singer und tupft alle Krümchen jorgjam auf. Olivier
findet e3 jpaßhaft, fich mit ihr zu unterhalten, fie refog-
nosziert mit altklug forjchenden Bliden das Zimmer und
heifcht für alles Unbekannte Erklärung. An der Wand
hängt ein köſtliches Gobelin, die Taufe des Herrn darftellend.
„Det 18 der Herr Jeſus!“ ruft Muguftchen, mit dem
Finger deutend und fichtlich ſehr ftolz über ihre Kennt—
niſſe, „id fenne ihm, und da oben in die Wolfen is aber
noch eener ... wer is det?”
„Das ift fein Vater, der liebe Gott.”
„Schon ein oller Mann? ſtirbt balde?“ —
— 4358 —
„Der liebe Gott ftirbt niemals, Auguftchen!”
Da jtemmt die Kleine Perſon in ftarrem Entjeßen die
Händchen in die Seiten: „Stirbt niemal3? Na nu hört's
uf! Wenn ſoll'n denn der Herr Jeſus endlich mal an
die Regierung kommen?” —
Dlivier fonnte nur mit Mühe feine Heiterfeit be-
meiltern, er reichte Marie Luife abermals die Hand ent=
gegen: „Dieſe Frage beuntworte du lieber! Alſo ich er-
warte dich in der Gdtterallee, wenn Du zuvor noch einen
Gang in die Stadt zu tun haft. Und... .” er fah ihr
faft bittend in das Auge, „geitatte, daß ich Fünftighin
immer meinen Kaffee in eurer Gejellfchaft trinke! Die
Kleine macht mir viel Spaß, und es iſt fo langweilig,
ſtets allein zu frühſtücken.“
Sie nidte ihm in ihrer gleichmäßigen Freundlichkeit
zu. „Gewiß, du bijt als Ehrenmitglied am Kaffeetifch
ftet3 willkommen, nur mußt du Nachſicht haben, wenn
Auguftchen zeitweije der Erziehung bedarf”, und fröhlich
auflachend fügte fie Hinzu: „Dafür forgt fie aber für
Unterhaltung, und zwar origineller und amüjanter wie
manch großer Saft; ich bin überzeugt, daß fie der Billa
Hazard bald unentbehrlich wird!" — — —
Die Muſik fpielt ein Botpourri aus „Die Iuftigen
Weiber”, und die elegante Welt promenierte aufs leb—
bafteite konverſierend in der Götterallee auf und nieder.
Fräulein von Gironvale hatte es ſich in den Kopf
gefeßt, aus dem überproſaiſchen Seebär Hovenklingen einen
idealen Menfchen zu machen, und darum ließ fie feine Ge—
— 39
legenheit vorübergehen, ihren guten Einfluß auf ihn
geltend zu machen. Auch jetzt hatte ſie ihn „geſtellt“.
„Ich habe mit Ihnen zu konferieren, Monsieur le
baron!“ ſagte ſie, ſo allerliebſt wie möglich die blau—
gefrorene Naſe zu ihm hebend.
Er verſenkte die Hände in
die beiden Paletottaſchen und
ſtand ſo gelaſſen und breit
und feſtgewurzelt vor ihr wie
ein Baum. „Na, dann machen
Sie's mal kurz und ſchmerz—
los“, erwiderte er phlegmatiſch.
„Ich bewundere Sie!
Geſtern haben Sie eine ſo
koloſſale Fußtour gemacht!
Haben den ganzen Weg bis
zum Jagdrendezvous mit Prinz
Maximilian und noch zwei
anderen Herren zu Fuß zurüd-
gelegt! Fünf Stunden!”
„Das ijtdoch nicht viel? Wir
waren ja unfer viere! Kommt
alſo auf eine Perſon nur ein und eine viertel Stunde!”
Sie jtarrte mit offenem Munde in fein ernithaftes
Geficht. „Ja, richtig, mon dieu, was habe ich mir da
eigentlich gedacht . . .”
Er lachte jchallend auf. „Sicherlich etwas, was ich
nicht auf einen Pfeifenkopf fchreiben möchte.”
— 4409 —
„rechnen alle Seeleute fo gut wie Sie?”
„Durchſchnittlich. Sind alle geiftreihe Menfchen.
Darum fommen auch von Marineleutnant3 meistens elf
aufs Dutzend.“
Esperance liebte keine Unterhaltungen, welche eine
gewiſſe Schlagfertigkeit beanſpruchten. Sie drückte den
kleinen Muff feſter an ſich und verſuchte das Geſpräch
auf intereſſantere Thematas zu lenken.
„Ich muß mein Herz warm halten, daß es nicht
vereift, friere fchredlih . . br... am ganzen Körper
eine Gänjehaut!” |
„Ab... das wundert Cie? .. . ich denfe, das iſt
ein ganz natürlicher Zuftand bei Ihnen ...“
Diesmal verftand fie die Pointe.
„Abſcheulich! Sie reden gegen Ihre beſſere Einficht,
um mich zu ärgern! Sie künnen feine Ganz von einem.
Schwan unterjcheiden . . . voilä tout! Aber Sie find
au fond dennoch der poetiſchſte Menjch, den’3 gibt, wenn
Sie aud) noch jo grob und martialifch tun, ich gewinne
meine Wette Doch!” und damit drehte fich Fräulein von
Gironvale auf dem fpißen Haden um und jchmollte für
ein Weilchen.
„Melde mich gehorfamft zur Stelle, Fräulein von
Speyern.” Und Hovenklingen Happte die Haden zu—
fammen und ftimmte mit Träftigem Baß in die juft er:
Elingende Melodie ein: „Wie freu’ ich mich, wie freu’ ich
mich, wie treibt mic) das Verlangen!” „Es jcheint aber,
meine Freude iſt fehr einfeitiger Natur?’
— 441 —
„O nein, ich freue mich auch, allerdings nur darüber,
daß Sie jo fehr mufifalifch find!”
„Ich finge jehr hübſch. Willen Sie, was > dem:
nächlt einftudieren werde?”
Ihr Auge, welches jo Fühl und gleichgültig an ihm
porüberjchmweifen wollte, blißte dennoch in jähem Intereſſe
auf. „Nun?
„Die neueften Lieder des Fräulein Fides von Speyern.”
‚A la bonne heure! Dazu muß man aber vor allen
Dingen im Beſitz derjelben fein.”
Mit unendlich treuherzigem und dennoch fchalfhaft
keckem Bli lacht er fie an. Seine weißen Zähne blinfen
wahrhaft in dem hellen Sonnenjchein. „Werden Sie mir
die Sammlung nicht dedizieren und mir ein Freiexemplar
ſchenken?“
„Ich bezweifle.“
„Dann muß ich leider einen tiefen Griff in die
Börſe tun.“
„Schwerlich.“ Ein Schatten liegt auf ihrer Stirn.
Sie wendet ſich mit einer jener ſchroffen Bewegungen
zur Seite, welche ihm zeigen, daß Sie die Unterhaltung
abzubrechen wünſcht. „Meine Lieder ſind vorläufig nur
für mich komponiert, und bevor dieſelben nicht ſo volks—
tümlich geworden ſind, daß alle Gaſſenjungen ſie pfeifen,
werde ich fie niemand, ſelbſt Ihnen nicht ‚in aller Freund—
ſchaft zueignen!“
Hovenklingen ſchien durchaus nicht die Abſicht zu
haben, ſich zu empfehlen, im Gegenteil, er lachte noch
— 42 —
viel verfcehmißter wie zuvor, und trat der Hofdame in
den Weg.
„Auf Wort? Wenn die Straßenjungen Ihre Melodien
pfeifen, befomme ich die Lieder gewidmet?“
Sie zudte halb ungeduldig, halb amüfiert die Achjeln.
„pann allerdings!” lächelte fie.
Prinz Marimilian trat ihnen mit feinem japanefijchen
rotgelb ftruppigen Hündchen entgegen.
„Ein vortrefflicheg Abkommen getroffen, Hoheit!”
rapportierte der junge Marineoffizier ſchmunzelnd, „Gott
Ichenfe der jungen Brut diefer Stadt gute Lungen und
viel Paſſion für Volkslieder. Wenn das kleine Genifte
dereinft durch die Straßen zieht und anftatt ‚Aujuft fol
mal runter fommen‘ oder Ah — id — hab — — ie
ja nur — — ꝛc. die neueften Weifen der Baronejje
Speyern pfeift, dann ... dann werden Sie etwas Rie—
ſiges erleben, Hoheit!”
„Dann widme ich Herrn von Hovenflingen alles, was
ich je an Schwarzen Notenföpfen zu Papier gebracht!”
„Pick die Riemen!!... Da gratuliere ich. Apropos ..
ich komme in trauriger Miffion! Fräulein von Gironvale
behauptet, von Ihnen ſchwer beleidigt zu fein, und ver:
langt, daß Sie als reuiger Sünder Abbitte tun!‘
„Ich glaub’3 felber, daß fie mir vor lauter Zorn
am Hiebften einen Regenſchirm in den Magen ſtieße
und ihn dann aufſpannte“, nickte Hovenklingen ‚mit viel
Phlegma.
„Zeufel und Pumpſtock!“
-- 413 —
„Ste werden gut im Fegefeuer braten!”
„Ich jehe nicht hin, wenn’3 mich brennt.”
„Steuern Sie mal direkten Kurs und ftreichen Sie
ein wenig Honig über die ‚Gänfehaut‘, ich werde die Sache
wieder glatt bügeln. Weiß der Kudud, daß die fixeſten
Kerle, Die zu Waffer niemals, felbjt im Traum nicht
fentern, auf feitem Grund und Boden jeden Augenblid
Havarie verzeichnen!”
Hovenklingen blinzelte Fräulein von Speyern mit ge-
fniffenem Geſicht von der Seite an und folgte mit allen
Anzeichen tiefer Zerknirſchung dem Prinzen.
„Kann denn nicht erjt ein bißchen mehr zujammen
fommen?’ verfuchte er zuvor zu unterhandeln. „Beſſern
werde ich mich ſchwerlich, und anfammeln wird fih noch
gar mand) rauhes, derbes Wort der Wahrheit; ich weiß
jelber nicht, wie's fommt, daß ich der Dame Giron-
vale gegenüber immer ein paar Strich unter dem Kurs
liege!”
„Legen Sie die Ruder in Lee und luven Sie etwas
an! Wer fi ‚Gänjehäute‘ und Bramjtagläufer einbrodt,
muß jie auch portionsweiſe auseſſen!“
Der Herr Leutnant zur See hat das tiefbeleidigte
Fräulein E3perance mit aller eierlichkeit um Verzeihung
gebeten. Wie er aber dieſes Peccavi geitammelt, und
wie jehr er ſich dabei auf die ſchwachen deutjchen Sprach:
fenniniffe feiner Gegnerin verlafjen, darüber berichtet die
chronique scandaleuse noch heutigen Tags mit wahr:
bafter Begeijterung. olgendermaßen lautete die Ned:
a. 2
de3 fchalfhaften Neumütigen, welche er mit treuherzigftem
Geſicht und unter außerordentlichem Amüfenent aller Um—
Itehenden vor Fräulein von Gironvale gehalten: „Meine
Gnädigfte, ich habe angenommen, daß eine Gänjehaut
natürlicher Zuſtand bei Ihnen jei, und das iſt wahr;
auf höchiten Befehl joll ich Hierfür um Permiſſion bitten,
und da3 tut mir jehr leid.”
Mademoijelle Esperance war volllommen verföhnt und
aß an demjelben Tage noch ein Vielliebehen mit dein „ſchar—
manten Sünder Hovenflingen”.
Als der Freiherr von Nennderjcheidt in die Götter-
ullee eintrat und Fürftin Tautenjtein feiner anfichtig
wurde, teilte fie jehr oftenfibel ihren Schneeballenjtrauß
mit Prinz Hohned. Er grüßte kurz und fchritt gelafjen
an ihr vorüber zu Fräulein von Speyern, um zum erjten
Male jeit feiner Verheiratung freiwillig ihre Unterhaltung
zu fuchen. Diejelbe drehte ſich hauptſächlich um Marie
Luiſe, und es lag viel warme Aufrichtigfeit, ja eine für
Fides unerflärliche Erregung in feiner Stimme, als er ihr
für alle Liebe und Freundlichkeit dankte, mit welcher fie der
jungen rau helfend und ſchützend zur Seite gejtanden.
„Ste haben gar oftmals meine Stelle vertreten und
find ihr die treue Stüße geweſen, welche ich eigentlich
hätte fein jollen. Ich jtehe tief in Ihrer Schuld. Sch
weiß auch nicht, wie ich dieſelbe abtragen fol, denn der
ſchönſte Lohn ift Ihnen bereit3 geworden, die Liebe und
Freundſchaft einer der edeliten und braviten Frauen.”
Ein faſt zärtlicher Ausdrud lag auf ihren ernften Ge—
— 445 —
fihtszügen. „Ja, Sie haben recht, Herr von Nennder-
jcheidt, eine der edeljten und bravften Frauen! Dem
Himmel fei Dank, daß ich dieſes Urteil aus Ihrem
Munde hören darf.” Mit jähem, ſcharf prüfendem Blick
Ihaute fie in fein Auge. „Ich jage dem Himmel ſei
Dank“ aus egoiftiichiten Gründen und weiß vielleicht
Mittel und Wege, auf welchen Sie Shre . . . soit dit
Schuld an mich abtragen könnten!“
„Ich beſchwöre Sie, diefelben zu nennen!”
„Ich bin viel bejchäftigt, fühle mich all den Pflichten,
welche mir obliegen, faum noch gewachſen und muß mit
jeder Minute geizen. Ich werde mic) der Gefelligfeit,
ſoweit es meine Stellung erlaubt, Fünftighin fernhalten,
und habe auch die legten Feſte nur aus Pflichtgefühl
befucht, um Shrer Frau die flehend erbetene ‚„Zufluchts-
injel® in der Hochflut der Saiſon zu fein. Wollen Sie
den Poften, welchen id) für Sie verwaltete, nun felber
antreten, und wollen Sie mir verjprechen, daß Sie mich
redlich erjegen wollen, mit all meiner Liebe für Marie
Zuife, meiner Sorge und meinem Haren Auge, welches -
über fie wacht?”
Dlivier empfand fehr wohl das Eigentümliche dieſer
Bitte, welche ihm herber denn jeder Vorivurf feine Ver:
fäumniffe vorhielt, und das als Liebenswürdigfeit von
ihm forderte, wa3 einfach jeine Pflicht war. Dennoch
erhob er das Haupt und ermwiderte voll und feit ihren
Blid. „Wenn meine rau mit diefem Tauſche fürlieb
nehmen ‚will, jo werde ich dadurch meine Verbindlich-
2: Zi
feiten Ihnen gegenüber nicht abtragen, fundern mid) noch
tiefer in diefelben verjtriden.”
„sicht nur im Ballfaal bedarf Marte Luije des ge-
duldigen Lehrmeiſters und Freundes, jondern auch in
den vielen Stunden häuslicher Einjamkeit. Überlaffen Sie
Graf Goſeck nicht das fchönfte und reizendjte Amt, eine
junge Menfchenfeele unter dem Einfluß geiftiger Anregung
zur Blüte zu entfalten, ich bitte Sie inftändig darum, um
Ihrer jelbjt willen; laſſen Sie feinen fremden Gärtner
auf ihrem Eigentume walten, er wird nicht allein jüen,
fondern aud) ernten wollen.”
E3 lag etwas Zwingendes, angſtvoll Warnendes in
der Stimme der Hofdame, fie bot ihm die Hand entgegen:
„Verſprechen Sie es mir!”
Einen Augenblid jtarrte er erftaunt in ihr Antlitz,
dann umfchloß er ihre Hand mit fejtem, fait heftigen
Drud. „sa, ic) gelobe es, und ich danke Ihnen. Sch
fenne Ihre Averfion gegen meinen Freund und werde fie
rejpeftieren, um jo mehr, da ich bereit3 jelber den Ent-
- Schluß gefaßt habe, Euftachs Amt nun perjünlich zu ver:
walten. Sch habe die Überzeugung, daß ich einer Zeit
“entgegen gehe, in welcher ich jelber Gärtner jein werde,
um viel Unfraut zu roden, welches meine Nachläſſigkeit
zu einer Wildnis hat auffchiegen laſſen. Aber ich werde
nachholen, was ich verjäumte, und will das Paradies,
welches ich verloren, und welches ich zur Wüfte verfümmern
ließ, zurüdgewinnen. Warum fehen Ste mich jo überrafcht
an? Klingen meine Worte fo wenig glaublich?”
es
„Daß Sie ſolche Gedanken hegen, erfcheint mir fehr
natürlich, daß Sie diefelben ausfprechen, frappiert mid)
allerdings auf das höchſte.“
- Ein eigentümlicher Zug fchlich ſich um feine Lippen,
Bitterfeit und Beſchämung. „Sch glaubte Ihnen die Ge:
nugtuung jchuldig zu fein‘, fagte er mit gepreßter Stimme.
„Wenn man über einen Baum, welcher als ‚wilder Schöß-
fing‘ nicht mehr in die Gefellfchaft Fultivierter Kollegen
paßt und darum gefällt werden fol, fchirmend die Hände
breitet und ihn erhält, dann freut man fich über jedes
grüne Blättchen, über jede, ſelbſt die kleinſte edle Frucht,
welche er trägt. Sch weiß, was Sie für mic) getan haben,
Sräulein von Speyern, mehr als all die wachſam Iauern-
den Augen der großen Melt beobachten fonnten. Darum
jollen Sie auch den Erfolg Ihres opfermutigen Werkes
fchauen, follen fi) itberzeugen, daß hie und da nod) ein
grünes Reis auf trodenem Stamm treibt, und Sie jollen
fünftighin nicht mehr mit Augen auf Ihren Schügling
bliden, fo ftreng, ſo kalt . .. jo... fo, ich kann's gar
nicht mit Worten fagen, was alles in Ihrem Blide liegt,
das mich fo unfagbar Klein vor Ihnen werden läßt! Laſſen
Sie es anders werden, ich bitte Sie darum!“
Ein Lächeln ging über ihr Antlit. Anfänglich war
ihr Nennderjcheidt verändert erfchienen, jet war er wieder
ganz der Alte, der ungeſtüme Hitzkopf, welcher durchaus
fein Talent zum Diplomaten bat. Der Schmetterling,
welcher den giftig füßen Kelch der Belladonna umgaufelte,
hat plöglich das Veilhen, das düftefchwere, im Moos
— 448 —
entdeckt, und er flattert herzu und umſchmeichelt den Dorn—
buſch, unter deſſen Schuß und Einfluß die fcheue Knoſpe
ſteht. „Blicke freundlich auf meine bunten Schwingen,
welche neben allem Wankelmut dennoch das Symbol der
Unjterblichfeit find! Und neige di), und flüftere dem
Veilchen Heimlic; mein Lob ins Ohr ... und erzähle
ihm Gute von mir; und entjchuldige meine Blindheit,
die e8 um eines giftigen Unfraut3 willen überjehen konnte!“
Was aber hatte den Blid des Falter? inmitten de3
beraufchenden Gifthauches auf die finnend geneigte Un—
Ihuld im Moofe gelentt? Das Unfterbliche, Seelenvolle,
welches kaum geahnt in ihm felber fchlummert, welches
ihn magnetijch Hinzieht, ruhelos Elopfend an der Bruft,
bis er unter taufend Blüten diejenige gefunden, zu welcher
der Schmetterling ſich jterbend neigt, damit feine Seele,
die Unsterblichkeit, fich ihrem Dufte ewig vermähle.
Fides fah mit hocherhobenem Haupt in Oliviers Auge.
„Gut Freund!” fagte fie, jchlicht und feft. „Gut Fremd
allezeit.“
90
XX.
Wie ſucht ihr mich heim, ihr Bilder,
Die lang ih vergeffen geglaubt?
Shamiffo.
Wir üben heut' ein gleiches Zun,
So laffet uns die Hände falten,
Und in ung feldft einfehrend nun
Zuſammen Afchermittwoch halten!
Adolf Stößer.
mic
8 ? ’ ürjtin Tantenftein hatte mit wachjendem Er—
— if itaunen bemerkt, daß der Freiherr von Nennder—
jcheidt, welcher jtet3 ihr Schatten geweſen, heute
ihre Unterhaltung kaum vermißte, geſchweige fie fuchte.
Als der Großherzog und der Grbgroßherzog, mit
welchen fie in lebhafter Unterhaltung promenierte, die Frau
Staatsminister und Gemahlin des rufjifchen Gejandten
begrüßten, benubte fie den Moment, jich in ihrer eigen=
willigen Weife unter die Gejelljchaft zu mifchen. Ohne
fi) durch eine direkte Konverfation feſſeln zu laſſen, hie
und da zunidend, dort im VBorüberfchreiten die Hand mit
den Elirrenden Goldreifen darbietend, und zeitweiſe im Be—
gegnen eine Bemerkung in fremden Disput ſtreuend, ſchritt
fie kreuz und quer durch die eisglißernden Parkwege. Wie
ein Srrlichtflämmichen tauchte die feuriggelbe ur ihres
Nov Eſchſtruth, Bu. Nom. u. Nov, Hazard 11.
— 450 —
Kapothütchens im launigen Zickzack auf und nieder, und
die mächtige Ulmer Dogge mit dem Halsband „A la chien
de Charles V.* drängte fich mit geneigtem Kopf ihrer
Ihönen Herrin nad).
Claudia trug noch die Hälfte des großen Straußes
blühender Schneebälle in der Hand. Ihr Blick fchweifte
juchend durch die Menge, und als fie den Freiherrn bon
Nennderjcheidt ganz vertieft in eine Unterhaltung mit
Fräulein von Speyern ſah, brach fie fchnell einen Schnee:
ball vom Zweig und warf ihn nedend gegen Dliviers
Bruft. Ein zweiter folgte und traf die Schulter der
Hofdame.
Nennderſcheidt zog verbindlich den Hut, neigte fich und
nahm die Blüte auf. Nach wenigen Minuten jchritt
Fürſtin Tautenftein wieder an ihnen vorüber, und wieder
flog ein Schneeball. |
„Biel Kugeln verfliegen in Lüften frei —
Fängt ſich eine im Herzen, ift alles vorbeil” —
Sie wandte lachend da3 Köpfchen. Als Antwort
folgte den beiden erften Blüten eine dritte. Sie traf
nicht, ſchoß weit über das Ziel hinweg und fiel in Ge—
büſch. Die Dogge jtürzte ihr nad).
„O, wie jchießt ihr jchlecht! Abe, mein Land Tirol!”
„Vorläufig haben Sie weder dem Lande Tirol, noch
mir ‚guten Tag‘ gejagt!”
Dlivier trat an ihre Seite.
Die Unterhaltung war nicht fo luſtig und animiert
wie font. Nennderſcheidt fchien Schlechte Yaune zu haben
— 451 —
und jah fie mit anderen Mugen an wie ſonſt; jchärfer,
prüfender. Er bemerkte zum eritenmal, daß fie fich ftart
gepudert hatte und in dem helliten Sonnenlicht nicht jo
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wm jung ausſah wie fonft.
Be „Ich freue mich jo ſehr auf
u den Beginn de3 Karneval,
welcher dieſes Jahr in etwas rheinländifcher Manier von
der Stadt gefeiert werden ſoll“, fagte fie im Lauf des
Gejpräches. „Für einen Feftzug ſorgt die Kunſtſchule
und die Akademie, und etliche der renommierteſten Maler,
29*
— 452 —
welche ich gejtern am Künſtler-Jourfix der Frau Minijter
fennen lernte, verjprachen mir eine höchſt amüfante und
bunte Zeit. Sch haſſe alle Langeweile und liebe es,
wenn man den ganzen Tag über vor Amüfement kaum
zur Befinnung kommt! Das Leben ift jo furz, man muß
genießen, fo viel wie nur irgend möglich für grüne Blätter
im Immortellenkranz der Erinnerung forgen! Jede Stunde,
welche ich gelangweilt auf meiner Chaijelongue vergähne,
evachte ich für zwecklos und vergeudet, und Doch bietet
hier in dieſer unglaublich foliden und pedantifchen Welt
fein Tag vor dem Mittagefjen eine Abwechslung!”
„Leſen oder mufizieren Sie nicht?”
‚ein, ungern. Andere Menfchen und ihre Schidjale
find mir viel zu gleichgültig, um auch nur einen Finger
zum Umſchlagen der Seiten zu heben, und wiljenfchaft:
liche Werfe zu jtudieren, bin ich ehrlich gejagt viel zu
träge. Muſik jedoch ift mir höchjtens ein unangenehmes
Geräufch, welches ich als ‚Mittel zum Zweck im Balljaal
ertrage und in Oper und Konzerthaus erdulde, als eine,
welche dem Konnivenzmärtyrertum zum Opfer gefallen!”
Dlivier ſah ftarr vor fich nieder auf die flinmernde
Schneedede des Weges, über welche im wirren Durch-
einander die dunklen Fußſpuren liefen. Eine Erinnerung
tauchte blißartig in ihn auf. Er fah fi) als Kind in
der großen Eßhalle von Roggerswyl ftehen. Seine
Mutter, im fchlichten, weißen Gewand, jaß vor dem
Harmonium und fpielte die Begleitung zu dem Morgen:
choral, welcher von färntlichen Schloßbeivohnern gefungen
— 4593 —
wurde. Machtvoll, feierlich und ergreifend in fchlichter
Innigkeit erbrauften die Töne, die Pfingftmaien duf-
teten, und das Sonnenlicht fiel warn und hell in fein
junges Herz. Da fchlang er voll Entzücden die Arme
um feine Mutter und rief: „Laß mich ein Mufifant
werden, Mutter, daß ich fingen und fpielen fann wie du!”
Sie füßte fein Autlig und hob ihn empor an die Bruft
und Sprach leuchtenden Auges die Worte Luthers:
„Wer fi) die Muſik erkieft
Hat ein himmliſch Werk genommen
Tenn ihr erfter Urſprung ift,
Bon den Himmel felbft gekommen;
Weil die lieben Engelein,
Selber Mufifanten fein!”
„Über was denken Cie denn fo lange nad), Herr
von Nennderſcheidt?“ fpottete fie leife kichernd un feiner
Seite.
Er zudte zufammen. „Arbeiten Sie gar nichts?”
fragte er ſchnell, „oft eifern die Damen dem Beifpiel der
Penelope nach, fich die Zeit zu vertreiben.”
Nun lachte fie laut und fchallend auf. „Für arme
Kinder Strümpfe ſtricken oder Rofen und Vergißmeinnichts
in zarte Bielliebchen ſticken? Nein, beiter Baron, zur
Nähmamſell Hat mich meine Mama, Gott fei Dank, nicht
ausbilden laffen, denn Begriffe, welche nicht durchaus
ladylike waren, kannte fie überhaupt nicht. Was haben
Sie für wunderliche Ideen heute? Afchermittwoch feiert
man erjt in vierzehn Tagen; bis dahin aber trägt auf
— 454 —
unferen Köpfen felbjt die Narrenfappe ariftofratifche
Sarben I”
Und wieder tauchte ein Bild der Erinnerung jählings
bor ihm auf. Sein Vater war zum Großherzog befohlen
und öffnete feine Schatulle, ſich mit ehemals getragenen
Kleinodien zu ſchmücken. Seine Hand aber war aus:
gearbeitet und feine Finger für den Wappenring zu ftarf
geworden. Neben ihm ftand feine Gemahlin... und
fie nahm jtrahlenden Blickes dieſe ungefüge Hand und
drüdte die Lippen Darauf. „Kein adeligere8 Wappen
fann dieje liebe Rechte tragen, al3 die Spuren folch edler
Arbeit!” — Seit jenem Tage aber glänzte auf des
Vaters Bruft der höchfte Orden des Landes, mit welchem
der Großherzog ſeines wackeren Edelmannes fchwielige
Hand anerfannt und belohnt Hatte.
„Bil... Bil... Graf Gofed... Esperance . ..
fill dal... den Mund halten... ftört den Herrn von
Nennderjcheidt nicht, er Denkt ſchon eine halbe Stunde
lang darüber nach, was fich geiftreicher ausnimmt, fein
Neden oder Schweigen!”
Lautes Gelächter, Olivier macht gute Miene zum
böfen Spiel und lacht mit. Aber er bleibt zerftreut und
einfilbig. Erjt als Marie Luije mit Fräulein von Söder:
mann durch die Gittertür der Götterallee eintreten, belebt
fih fein Blick. Gofed eilt der jungen Frau wie in ganz
felbftverftändlicher Galanterie entgegen und begrüßt fie
ſehr herzlich, beinahe vertraulich. Sie bedankt fich für
den köſtlichen Tliederftrauß, welchen er ihr heute morgen
— 45 —
gefchieft hat, und er bittet fie um Berzeihung, daß er fie
nicht aus dem Hofpital abholte, wie ſich das wohl ge—
hört hätte. |
Fürftin Tautenftein hat der jungen Frau mit zwinkern—
dem Blick entgegengejehen, und es deucht Olivier, als be—
fämen ihre „Taubenaugen“ etwas ungewöhnlich Scharfes
und Stechendes, als fie die jchlanfe Geſtalt Marie Luiſes
muftert, welche heute ganz befonders lieblich und anmuts—
voll ausfieht. Halbwegs hat fie ihr fogar die Hand ent=
gegengeboten, fie mit gnädigem Kopfneigen zu begrüßen, .
plöglich aber reißt fie die Hand los und taumelt wahr:
haft entjeßt von Frau von Nennderjcheidt zurüd. „Hoſpi—
tal?... Sie fagen Hofpital, Graf Goſeck? Mon Dieu,
fommen Sie etwa Ddireft aus den Krankenſälen zu ung,
Baronin?“
Marie Luiſe wird dunkelrot vor Schrecken. „Ja
Durchlaucht, ich komme allerdings direkt, aber ich bin
den ganzen Weg zu Fuß durch die kalte Winterluft ge=
gangen! Außerdem haben wir feine Patienten mit bös—
artigen Krankheiten.”
Claudias Lippen haben fich entfärbt vor Schred und
Angft, eine zornige, namenloje Oereiztheit jprüht aus ihren
Augen. „Ganz egall Es ift eine ftarfe Zumutung für Ihre
Mitmenfchen, allein den Gedanken zu ertragen, mit jemand
in Berührung zu fommen, welcher joeben an Stranfenbetten
geftanden hat! Gräßlich! Mich kann nichts mehr aufregen,
al an Diphtheritis- und Scharlachmijeren erinnert
zu werden! Kommen Sie mir um otteswillen nicht
— 456 —
zu nahe! Sonſt rieche ich den ganzen Tag Lazarett—
luft!“
Marie Luiſe trat einen Schritt weiter zurüd. Ihr
ganzes Weſen atmete Ruhe und Milde, und ihr lächelndeg,
furchtloſes Antlig bot einen feltfamen Kontraft zu den
mehr wie angjterregten Zügen Claudia3.
„Ich verfichere Cie, Durchlaucht, daß e3 mir fchon
die einfachite Rücklicht für meine Umgebung geboten hätte,
mich nicht unter Menjchen zu mijchen, wenn ich diefelben
dadurch zum mindeiten gefährdet hätte! Die Schwer
franfen joll ich nur dann bejuchen, wenn Mangel un
Pflegerinnen iſt.
„Unerhört! Sie werden ſich durch ſolchen Leichtſinn
unglücklich machen! Sich anſtecken! Ich würde ſterben
vor Ekel und Widerwillen und habe ſelbſt meine Mama
nicht nach Madeira begleiten dürfen, weil ich eine ſolch
unüberwindliche Averſion gegen alle Kranken habe!’
„Wenn man ſich nicht fürchtet, ſteckt man ſich auch
nicht an!“ entgegnete die junge Frau leiſe, mit ihrem ge—
duldigen, wehmütigen Lächeln, und Fräulein von Söder—
mann legte in ihrer etwas tolpatſchigen Weiſe die große
Hand auf Marie Luiſes Schulter und nickte eifrig. „Iſt
auch Unſinn mit dem Fürchten! Vor was denn?“
„Vor was?“ Claudia zuckte ärgerlich die Achſeln.
„Sind Sie fo naiv, Todesgefahr kein Riſiko zu nennen?“
Dlivier hatte bis jebt gejchiwiegen, aber er war näher
und näher zu feiner Frau herangetreten, und jeßt legte
er plößlich ihre Hand feſt auf feinen Arm.
— 458 —
„Das eben iſt der Unterjchied zwifchen den Anz
Ichauungen, Durchlaucht“, fagte er ernſt, und dennoch
mit leicht ironiſcher Stimmfärbung. „Die naiven und
gläubigen Seelen, für welche der Tod nur die Pforte
zum ewigen und glüdjeligen Xeben ift, beben vor jeinem
Schreden nicht zurüd, weil fie fich auf ihr reines und
gutes Gewijjen verlaffen können. Andere jedoch, welche
zur Flagge der Hölle jchwören, und mit lachendem
Munde die ungeheure Luſtigkeit ‚drunten‘ rühmen, miß-
trauen meiſt ihrer eigenen Theorie und zittern vor dem
Tod, al3 vor der gähnenden Kluft banger Ungemwißheit
oder dem ewigen Ende alles Lebens und Seins.”
Mit großen, überrafchten Augen ftarrte Marie Luiſe
auf die Lippen des Sprechers, Fürftin Tautenftein aber
ballte die Kleinen, zornbebenden Hände im Muff, fie war
aber Schaufpielerin genug, um nur mit fpöttifchem Lächeln
den Kopf zu jchütteln. „Sauve qui peut! Der Freiherr
von Nennderfcheidt leitet feinen neueften Genieftreich ein!
Er wird al3 ‚Sohn For‘ den heurigen Karneval unficher
machen, mit dem Unterſchied, Daß nicht er das „Hittern‘
befommt, fondern alle diejenigen welche ihn zugehören!”
Und fie winfte Graf Goſeck an ihre Seite und löfte unter
allgemein wiederfehrender Heiterkeit die Heine Gruppe der
Blaudernden auf.
Hovenklingen trat ſehr eilig an Marie Luiſe heran.
„Darf ich um einen einzigen Augenblid Gehör bitten,
gnädigite Frau? Secret du Polichinell!!”
Nennderſcheidt gab lächelud den Arm feiner Gemahlin
— 459 —
frei, drohte dem jungen Offizier fcherzend mit dem Finger
und wandte fich zur Geite.
„Unter dem Siegel tiefiter Berjchwiegenheit eine Frage,
Frau Baronin!” flüfterte Adalbert haſtig. „Wann pflegt
Fräulein von Speyern bei Ihnen zu muſizieren?“
„So oft e3 ihre Zeit erlaubt. Als Jourfix haben
wir jedoch jeden Samstagabend von fieben bis zehn Uhr
beftimmt, weil die Erbgroßherzogin an diefem Tage den
Tee bei der Prinzeſſin Karoline trinkt. Warum fragen Sie?”
Hovenflingen machte ein Geficht wie ein Bettelmann,
der durch viel Mimik rühren will. „Ach, ich möchte fo
Ichredlic) gern einmal dabei fein!”
Marie Luiſe jah fehr verlegen aus. „sch würde
Sie unendlich gern einladen, Herr von Hovenflingen,
aber meine Freundin ift in dieſer Beziehung unerbitt-
Ah... namentlich nächjten Sonnabend wäre es Direkt
unmöglih . . .” |
„Barum denn, gnädige Frau?!” Was er für Augen
machen konnte! Marie Luiſe hatte den Iuftigen Seemann
immer gern leiden mögen, und jchlug ungern etwas ab.
Sie jah ihn treuherzig an.
‚sa jehen Sie, die Sache ift folgende: Fides kom—
poniert und will ihre Lieder um feinen Preis vor fremden
Ohren fingen! Nächiten Sonnabend nun will fie mir, als
eine ganz heimliche Auszeichnung, von ihren Kompofitionen
bortragen, und e3 iſt wirklich unmöglich, daß ich Gäſte
dazu bitte; fie würde gar nicht fingen, und dann hätten
weder Sie noch id) eine Freude!”
— 460 —
„Sehr richtig, nein, um alles in der Welt, ich möchte
nicht aufdringlich fein!” verficherte der Zeutnant zur See
fenfzend, und dennoch ſaß ihm der Schalf im Naden und
blinzelte aus jedem Grübchen feines frischen Geſichtes.
„Bitte, erwähnen Sie meinen Wunſch mit feiner Silbe,
id) möchte es nicht noch mehr mit Fräulein von Speyern
verderben. O, fommen Sie, bitte, etwas fchneller! Mein
Onkel York Scheint Anny Södermann betreff3 ihres neuen
Hutes fürchterlich in den Klauen zu haben, ich muß retten!”
Richtig der alte Fürft Hatte fich fein Nichtchen bei—
feite gewinkt, und fchien ihr energisch den Standpunft
über blödfinnige Verſchwendung und verrüdte Moden
narrheit klar zu machen. Er war vor Ürger noch gelber
wie ſonſt und gab in feinem verfchofjenen Hechtgrauen
Sommerüberzicher und dem baumwollenen Touriſten—
Ichirm unter dem Arm genau die gefrümmte Kladdera='
Datfchfigur des „Müller ab.
„Tag, Onfelchen! Verzeihe, wein ich dich einen Augen
blick unterbrechen muß . . .”
Der alte Herr ſchoß wie ein Kreiſel herum und funfelte
den Fühnen Neffen fampfesmutig an. ‚Aha! du kommſt
mir gerade gelegen! fehlt nur noch, du folides Bürfch-
chen, das im Klub Karten fpielt, Strümpfe mit feidenen
Zwickeln trägt, und al? —— marokkaniſche Bronze:
ſchalen —“
„Verzeihe, Onkelchen, wenn ich dich abermals unter—
breche, nachher ſtehe ich dir auf alles Rede und Antwort“,
drängte Hovenklingen faſt atemlos, „du mußt mich nur
— 41 —
erft einmal gründlich über das Alter unferer Familie
orientieren! Da war heute morgen jo ein Sonntagsfex
im Cafe, welcher behauptete, York ſei ein ganz neuer
Adel...” Weiter gedieh die Nede nicht, Onfelchen
pfauchte wie ein Hamfter und machte eine Geſte, als
wolle er dem Neffen an die Gurgel fliegen vor Wut.
„euer Adel, die Yorks |
ein neuer Adel? den Sterl
wirft du fordern, Adal-
bert, fordern ſage ich,
haft du verjtanden ?’
„Das verjteht ſich
ganz von ſelber, Onkel—
chen, aber vorher muß
ich ihm gründlich die
Meinung ſagen! Sieh
mal, das intereſſiert mich
ſelber ja koloſſal, wie alt
deine Familie eigentlich
ilt, und alle Welt weiß,
daß du Darüber ganz
genau orientiert bijt! aljo —“
„Ganz genau orientiert, bin ich auch, mein Junge.”
Das runzlige Geficht hellte ſich auf, der Fürft trat mit
flinfernden Äuglein noch näher, und tippte dem Adjutanten
des Prinzen mit dem Finger, welcher die Spitze des ver—
wajchenen Zwirnhandſchuhs längſt gejprengt Hatte, bei
jedem Wort nachdenklich auf die Bruft. „Intereſſierſt Dich
— 462 —
aljo dafür, he? Na, werde dich mal mit in mein Archiv
nehmen, kannſt dich überzeugen, daß unjere Familie die
der echten, alten Yorks iſt .. englilcher Abfunft ...
Bollblut ſage ich dir... jo reines Vollblut, wie die
meijten gefrönten Häupter, he? Xächerlih, wenn ein
Menſch fagen will... Familie fei erjt um das Jahr 1420
gefürftet, Neid gemeiner! ... . Bosheit infame ... he?“
Hovenklingen legte die Hand auf den Rüden und machte
feiner Coufine und Frau von Nennderjcheidt ein Zeichen,
jo jachte durch die Lappen zu gehen.
„Natürlich, Onfelchen, man erzählt fich ja von den
Yorks die famoje Gejchichte mit Noah . . .” \
„Geſchichte mit Noah? ... welche Geſchichte ... he?”
„Als Noah ſich gerade eingebarkt hatte, ſah er plötzlich
einen Menſchen mit Anſtrengung aller Kräfte an die Arche
heran rudern. Es war ein Bedienter in NYorkſcher Livree,
welcher einen Stoß Akten emporreichte. „Ah, monsieur!
Ah s'il vous plait, monsieur! Sauvez les papiers de la
noble famille du Prince York!“ F
Marie Luiſe und Anny Södermann hielten gleichzeitig
den Muff vor die Lippen, der alte Erbonkel aber warf
ſich in die Bruſt und nickte ein Gemiſch von Beifall und
Verachtung.
„Lächerlich ... mit ſolcher Geſchichte das! he? Kenne
ganz andere Familientradition . . bedeutend glaub:
würdiger, obwohl aus Neid infamem oft. angefeindet!
Hat fih da in England alter Stammbaum der Yorks
gefunden ... . vorzüglicher, alter Stammbaum ... war
— 463 —
an der Wurzel desfelben zu leſen: ‚Homus Yorkus,
prineipe I“ ... darüber ,„Homus Yorkus, principe II“
und abermals eine Linie Darüber „Homus Yorkus III.
Um die Zeit dieses Homus Yorkus III. hat Gott die
Welt geschaffen‘ Seh?”
Adalbertd Hand arbeitete immer gewaltiger und
dringender in der Zeichenjprache und dabei verficherte er
ganz exaltiert fein „Großartig! ... jehr glaubwürdig,
Onkelchen!“ Die Damen aber entfernten fich mit einer
gewiffen Haft, und zwar mit allen Anzeichen eines Stick—
huſtenanfalls.
„Der gute Adalbert!“ rief Anny ganz gerührt, „mit
dieſem Kunſtgriff opfert er fich fo oft für uns auf! Nun
läßt er fich geduldig den ganzen Stammbaum herzählen,
und nach einer halben Stunde ijt der Dufel in beſter Laune
und ladet ihn zu einer Taſſe Pfeffermünztee ein.”
„Pfeffermünztee?!“
„Ja, den läßt er felderweiſe auf ſeinem Gut ziehen
und trinkt mit ſeinem alten Diener jahraus, jahrein nichts
anderes.“
„Aber ohne Zucker!“ miſchten ſich lachend ein paar
junge Damen und einige Ulanen ein.
„Selbſtredend!“
„Und mit dem Speck, den er ſich bei Halsſchmerzen
um den Hals wickelt, brät er ſeinen ganzen Fleiſchbedarf
für Monate!“
„Pfui Kuckuck, — von Diersdorff!!“
„Da kommt Hovenklingen ſchon zurück!“
— 464 —
„Losgeeiſt? Adalbert, du biſt ſchon wieder frei?
Menſch, wie haben Sie fich fo fchnell drüden können?“
Der junge Marineoffizier lachte fein behaglichites
Lachen. „Hoheit fam mir zu Hilfe... . liebt e8 auch),
fi) einen Tleinen Scherz mit Onkelchen zu machen!
Haben um zehn Pjennige gewettet, ob man in einer
Gtunde von hier bis zur Faſanerie gehen könne!”
„Natürlich prejchte der Alte darauf los und gewinnt
glänzend, denn in feiner Gier läuft er Trab und ift in
einer halben Stunde längſtens am Biel!”
Lauter Jubel. Prinz Marimilian tritt mit vergnügtem
Schmunzeln herzu und klopft feinem Adjutanten und gleich:
zeitigen Freund auf die Schulter. „Die Bahn ift frei,
Herrjchaften! Für den Preis eines Silberlings erfaufe
ich den Frieden und das angenehme Äußere der Götter:
allee! Nun gibt e3 einen Stapitalfcherz, wenn ich mic)
auf den Vergeßlichen fpiele und den Austrag der Wette
acht Tage lang völlig ignoriere; bin überzeugt, der Fürſt
ängftigt fih um feinen Groſchen die Cholera an den
Leib!“ —
Als die Muſik ſchwieg und die höchſten Herrſchaften
ſich verabſchiedet hatten, bot der Freiherr von Nennder:
ſcheidt ſeiner Gemahlin etwas haſtig den Arm.
Goſeck wollte ſich als „ſelbſtverſtändlicher“ Tiſchgaſt
anſchließen. Olivier aber reichte ihm in aller Freundſchaft
die Hand und „hoffte ihn abends im Erbgroßherzoglichen
Palais“ wieder zu ſehen. Auch Herr von Diersdorff,
welcher ſich mit erwartungsvollem Geſicht verabſchiedete,
— 465 —
erhielt feine Einladung zu Tiſch und drehte fich ziemlich)
indigniert auf den Haden um. Marie LZuife, die fühle,
unnahbare Minnigliche, hatte es gewaltig bei ihm ver—
dorben, jeit fie dem blafjen Fuchsgeficht von Anfang an
nur höchſt ungern einen Blick geipendet hatte. „O, ahnungs—
voller Engel du!” Hatte Goſeck gelächelt, als fie ihm ihre
Averſion gegen den füßlichen, phrajenhaften Herrn ein-
geitanden. Ä
„Ben haft du heute zu Tiſch gebeten, Dlivier?” fragte
Marie Luije, al3 fie durch den Park fchritten.
„Niemand! Sch jehe gar nicht ein, warum ftet3 ein
Dubend fremde Gelichter um uns herum fißen müſſen!“
Sie blidte überrafcht auf. „Wirſt du dich nicht lang:
teilen ?’
Er jah in ihre dunklen Augen und lächelte plöglich.
„Wie kann ſich ein junger Ehegatte in Gejellichaft feiner
Heinen Frau langiveilen ?’
Eine feine Röte jäher Verwirrung jtieg in ihre Schläfen.
„Du verfichertejt jo oft, daß du ein töte-A-täte bei Tiſche
nicht liebſt!“
„Ganz recht. Darum wird Auguftchen Spillife die
Dritte in unferem Bunde fein. Oder wäre dir courfähige
Gejellichaft angenehmer?” Es lag etwas jo Ungewohntes
in feinem Wejen, daß Marie Luiſe in jäher Beitürzung
die Augen niederfchlug. Ihre Hand lag plößlich leichter
auf jeinem Arm, und e3 jchien, al3 werde der Raum
zwijchen ihnen breiter.
„Ich werde Goſeck auf feinem angeltammten Pla an
N. v. Eſchſtruth, IT. NRom.u Nov., Hazard IT. 30
— 466 —
unferem Tiſche vermiſſen!“ fagte fie mit einem Verfuch
zu jcherzen, dennoch klangen die Worte ftodend von ihren
Lippen, und fie wußte felber nicht recht, warum fie plößlich
etwas fo ganz gegen ihre Überzeugung ausſprach. „Sch
glaube, er wird es dir nicht zu Dank wiſſen, wenn du
ihn zeitweife um unſeres kleinen Findlings willen zur
Dispofition ſtellſt!“
Sie fah nicht auf, aber fie fühlte es, daß fein Blick
lange und fcharf auf ihrem Antlig ruhte. Auch Klang feine
Stimme verändert, al3 er kurz auflachte und entgegnete:
„Zeitweiſe? Goſeck hat fich eine Stellung in meinem
Haufe angemaßt, welche auf die Dauer wohl unmöglich
in gleicher Weife durchzuführen tft!”
Sie hob dag Haupt. Klar und ruhig fah fie in fein
Auge. „Ich glaube nicht, daß der Graf jemal3 die Ab-
ficht gehabt Hatte, fich aufzudrängen. Es war weder eine
angenehme noch leichte Pflicht, die Einfalt vom Lande und
die Frau eine anderen durch die zahllofen Klippen und
Steine zu lotjen, welche ihr überhoch in den Weg gerollt
wurden, aber du hattejt ihn als Freund an meine Seite
gejtellt, und um deinetwillen opferte er ſich in einer Stellung
auf, welche gewiß fein anderer jemals jo treulich ausge:
füllt haben würde wie er]
Es lag weder Vorwurf noch Gereiztheit in ihren
Worten, fie ſprach in der milden, ruhigen Weife wie jtets,
und doch ſtieg heiße Nöte in Olivier Stirn.
„Er übertrieb . . . er war allzu eifrig!” jtieß er
baftig hervor. „Hat ſeit drei Jahren feinen Schritt mehr
— 467 —
getanzt, und jebt raft er los wie ein Verrüdter, und zwar
allein mit dir... .”
Sie jcehüttelte lachend das Köpfchen. „Haft du ganz
vergejjen, daß du ihn felber gebeten: ‚Tu mir die einzige
Liebe, Euſtach, und tanze meine Frau etwas ein! Ich
habe zu wenig Geduld dazu.”
Nennderſcheidts Zähne fchnitten fcharf in die Kippe.
„Allerdings... ich entfinne mi) ... man hat manchmal
ein Breit vor der Stirn... aber gleichviel — das
Spazierenfahren —“
„Höre mal, alter Junge... . ich möchte Marie Luije
ungern mit den neuen Füchjen allein fahren laſſen, ich
habe jo wenig Zeit am Vormittag, gib deinem Herzen
einen Stoß und fteige als ritterliher Schu auf den
Hochfahrer, die Zügel um die Arme zu wideln”...
perfiflierte die junge Frau mit einem ganz ungewohnt
nedifchen Zug um die Xippen, welcher ihr reizend ftand.
Dlivier lachte und zog ihren Arm wieder fefter an fich.
„Haſt recht, Marie Luiſe, ich habe mir jelber die Narren=
fappe über die Ohren gezogen, gejchieht mir ganz recht,
wenn ich nun Prügel mit der Pritſche befomme! Aber
e3 gibt einen Ajchermittwoch, welcher dem Faſching ein
Ende macht, und der tolle Sunfer reißt die Schellenmüße
bom Kopf und meift einem jeden die Zähne, der folche
Veränderung nicht bemerfen will!”
Sie anmwortete nicht. Der Wind faufte ihnen eilig
entgegen, und e3 war, als ftreife fein Atem nicht nur die
klirrenden Baumwipfel, jondern auch daS bebende Herz
30*
— 468 —
der jungen Frau, um alles darin aufzurütteln und zu
ſchütteln, was es je an Qual, gekränktem Stolz und Todes—
weh erfüllt hatte. — —
Die kleinen Schneeflocken aber ſchienen gefrorene
Tränen, die türmten ſich zu himmelhoher Schweidewand
zwiſchen ſie und ihren Gatten.
J
ON
eu nolesinlegino
XXI.
Fiel ein Herz im Drange,
Zwiſchen Weiz und Pflicht,
Menſch, o richte nicht! —
Weißt du, weldem Zwange,
Welchem Unglüdstag
Sol? ein Herz erlag? —
Tiedge.
Es duntelte früh. Die
Fenſterladen in Collanders
Studierſtube waren geſchloſ—
ſen, und die niedere Lampe
mit dem tief herabfallenden grü—
nen Schirm brannte auf dem Ar—
beitstiſch. Aufgeſchlagene Bücher,
hohe Stöße von Zeitungen und
Manußſkripten lagen por dem Stifs—
pfarrer di von Sankt Brigitten, welcher das Haupt ſchwer in
die Hand ſtützte und mit brennendem Blick über die weißen
Blätter hinaus ins Leere ſtarrte. Gewaltjam riß er ſich
aus ſeinen Gedauken auf und faßte die Feder, überlas
die letzte Seite des Geſchriebenen, einmal und noch einmal,
ſetzte zögernd die Feder an, ſtrich aus, was er kaum
0
niedergefchrieben und rieb mit nervöfer Ungeduld Die
Stirn. Wieder hatten ihn giftige Zungen in dem ge=
lefenften Tagesjournale angegriffen, hatten feine lebte
Entgegnung auf den Artikel eines feiner Widerjacher
unter das Meffer genommen und fie voll höhnender
Schärfe zergliedert. Die Thejen, welche Collander dies—
mal angejchlagen hatte, waren nicht mit derſelben fejten
und eijernen Klarheit niedergefchrieben, wie ihre Vor:
gänger. Es war, als habe die Hand des jtreitbaren
Mannes gezittert, als habe ein Nebel über Geiſt und
Augen gelegen, al3 er diesmal feinen Feinden entgegen
getreten. Unficher, fich jogar in Widerfprüche verwidelnd,
flüchtig und ungeduldig parterte er diesmal die Angriffe.
Sonjt hatte er Keulenfchläge geführt, wuchtig zutreffend,
vol kühner, bejonnener Gewalt, jetzt führte feine Hand
nur noch einen Steden, welcher wirr und ziellos in den
Weſpenſchwarm Hineinfchlägt, nicht zermalmend, fondern
nur aufjtachelnd zu giftigeren Stichen. Vor ihm lag die
Zeitung. Wie boshafte, grinjende Gnomengejtalten tanzten
die Schwarzen Buchitaben vor feinen Augen und höhnten:
„Antworte! WVernichte und, du großer Neformator mit
dem Kleinen Verftand! Schlag nieder, was fich gegen
dich erhebt, oder wirf die Flinte ing Korn und laß dich
prügeln!”
Antworten! Collander mwühlte mit den Händen in
jeinem dichten Lockenhaar und atmete faſt feuchend. Daß
er dieſes Schlangengezüchte mit den Fäuſten paden und
würgen fünnte! Mit Worten will e3 ihm heute nicht ge=
— 471 —
fingen, e3 iſt wüſt und zerfahren in feinem Kopf, taujend
Gedanken jchwirren wie Eintagsfliegen mit jchillernden
Flügeln durch fein Hirn, aber fie find anderer, ganz
anderer Art, fie gerade führen ihn weit ab von diefem
ernjten, nüchtern gelehrjamen, dogmatiſchen und politifchen
Kämpfen. Und dazu weht ein feines, wunderfames Duft-
gemijch um fein Haupt; die welfen Roſen im Glas, Die
forgjam und zärtlich gepflegten, hauchen leifen Gruß, und
Dicht daneben aus dem rojigen Couvert mit dem prunf:
vollen Monogramım unter der Fürſtenkrone, fteigt e3 ſüß
und berauſchend empor.
Helmut Collander ſchiebt mit faſt ungeſtümer Be—
wegung ſein begonnenes Manuſkript zurück und greift
nach dem Brief. Er kennt ſeinen Inhalt auswendig und
dennoch lieſt er ihn wieder und wieder. Er ſoll kommen!
Zu ihr, dem zauberſchönen Weib, deſſen Cherubſchwingen
tief im weltlichen Staube ſchleppen. Wie eine verworrene
Melodie brauſt und ſauſt es durch ſeine Sinne.
„Die ſchönſte von den Frauen,
Reicht ihm den Becher hin,
Ihm rinnt ein ſüßes Grauen
Seltſam durch Herz und Sinn.
Er leert ihn bis zum Grunde,
Da ſpricht am Tor der Zwerg:
Der unſre biſt zur Stunde,
Dies iſt der Venusberg!“
Ja Tannhäuſer, toller, wahnwitziger! ach, und dennoch
beneidenswert Glückſeliger!
a. ATI ei
Collander fpringt empor und durchmißt fein Zimmer
mit erregten Schritten. „Die Nachtigall ruft: zurüd,
zurück!“ „Nein, er wird fein Narr fein, der ſich Auge
und Vernunft blenden läßt, wie der Knabe im Hörfelberg ;
er wird mit flarem Blid den Abgrund zivifchen einer
Fürſtenkrone und einem Hirtenhute jehen, er wird nicht
kommen wie ein Dürftender und Fieberkranker, ſondern
wie ein Arzt, welcher die Seele heilen und retten will.
Ja, er wird hingehen zur Fürftin Tautenftein. Glaube
und felige Hoffnung und das beite, edeljte Streben gehen
mit. Wohl ift fich Collander beivußt, was er wagt. Ein
Hazard ift e3, in welchem er alles auf eine einzige Karte
jeßt. Kann er den lieblichen Engel, welcher dent Paradies
entflohen, kraft feiner Überzeugung und feines Glaubens
zurückführen, fo hat er ein köſtliches, ein hohes Spiel ge-
wonnen; gelingt es ihm aber nicht, find die weißen, ſammet—
weichen Händchen fräftiger wie all jene gewaltigen Ed-
jteine, welche da3 Fundament feine ganzen Daſeins
jtüßen, jchüttern fie daran und reißen fie diefelben ein
— dann —“ Collander ſchlug fchweratmend die Hände
por das Antlig, — „dann Gnade mir Gott!” —
Wiederum hob er lächelnd und fiegesfreudig das Haupt,
barg Marthas Bild auf dem Herzen und trat zum Fenſter,
e3 aufzuftoßen und zu dem klaren Nachthimmel auf:
azufchauen. „Der Preis, um den ich kämpfe, ift zu hoch
und wundervoll, um vor Gefahren zu erfchreden, ich ver-
traue dir, du mein guter Stern, und wage das Hazard!”
Sein Haupt wandte fih, und fein Blid ftreifte die Uhr.
— 493 —
Noch volle zwei Stunden, ehe er bei Fürftin Claudia ein=
treten darf. Soll er fich niederfehen und es abermals
mit feiner Arbeit verfuchen? Dieſelbe preffiert und muß
vor Mitternacht in den Händen der Redaktion fein, foll
das Morgenblatt die Entgegnung bringen. Man ift eg
gewohnt, daß Collander mit jchnellen Waffen kämpft, Hieb
und Gegenhieb, Schlag und Stich, man wird fich wundern
und fragen, warum er plößlich fo ſaumſelig und apathifch
geworden? ©leichviel, es ift ihm unmöglich, einen ruhigen
und klaren Gedanken zu fafen, er muß im Geifte mit
dem ichöniten Weibe debattieren und die Geiſtesſchwingen
prüfen, ob fie ſtark und kühn genug find, ſich um einen
Seraph jchlagend, denfelben zur Pforte des Himmelreichs
zurüdzutragen. Wenn er von Claudia heimfehrt, wird
er angeregt und begeijtert fein, dann wird er fich ans
Wert machen und die Scharte ausmwehen, welche er fich
ſelber durch feine legte, flüchtige Widerlegung gefchlagen.
Er kann die Schrift alsdann noch jelber in die Druderei
tragen. Zuvor aber zu ihr, zu Claudia, Lichtfunfen ins
Herz zu holen!
Langſam wandelte der Stiftspfarrer in dem Zimmer
auf und nieder, fah feiner Gewohnheit gemäß zu dem
Bilde Martin Luther empor und wandte jählings das
Haupt. Finſter fahen die Augen des Neformators auf
ihn nieder, die Hand krampfte fich feſter um die Bibel,
und die Tippen fchauten juft fo aus, al3 wollten fie voll
zornigen Vorwurfs fprechen: „Iſt dir wohl, jo bleib
davon, daß du nicht Friegeft böjen Lohn!”
— 474 —
Wie follte e8 noc) einen Helden geben, wenn ein jeder
fo denfen wollte? Durch Kampf zum Sieg! und das ift
ein billig Gewinnen, dem fein Wagen vorausgegangen ift!
Collander begann fich anzufleiden, viel forgjamer und
gewählter denn ſonſt. Er ſtand vor dem Spiegel und
betrachtete zum erjtenmal feit langer Seit wieder fein
Antlitz mit demjelben Intereſſe wie damals, als er, ein
frifcher Studio in Erlangen, nicht allein der Alma mater
fein „vivat, crescat, floreat!“ zujauchzte. Ein Lächeln ging
über fein Antlit, als er die glänzenden Wellen feines
dunklen Vollbarts bürftete, und durch feine Seele zog es
wie Nebelbilder, Erinnerungen, meilt trübe, fchwere
Wolfen, zwifchen welchen fich ein einfamer Wanderer
fampfmutig dem fernen, hohen Ziele entgegenarbeitet.
Helmut Collander war eines Kapellmeilterd Sohn.
Kaum dab er feinen Vater gefannt hatte. Ein einziges
Erinnern an ihn war ihm geblieben, wirr und angjtvoll.
Blaß und hager, mit langem Bart und Haupthaar, lag
er als Schwerfranter in den Kiffen. Wilde Fieber:
phantafien riffen ihn empor, feine Augen rollten, feine
Hand taftierte die Dper, feine erjte Kompofition, welche
das Publikum ausgepfiffen hatte, und dazu fehrie und
mwimmerte er die Melodien ... und ſank fchlieglich matt
zurüd ... ftierte mit gläſernem Blid ins Leere und de
klamierte voll dumpfen, röchelnden Pathos ... „der Reit
it Schweigen ... Schweigen” — Und eined Nachts er-
wachte Helmut in feinem Bettchen von einem Teilen,
wunderjamen Geſang. „Dort wollen wir niederfinfen
— 475 —
unter dem Balmenbaum, und Ruhe und Liebe trinfen ...
und träumen feligen Traum...“ Leifer — immer leijer
Hang’3 ... und dazwiſchen fchluchzte das bleiche Weib,
welches neben dem Totenbett auf den Knien lag...
Seine Hand glitt über ihr Haupt... fein Blid traf das
Kind... und dann ein tiefes Auffeufzen. Das Lied war
aus. Dann fam eine lange, einfame Zeit im Giebel:
jtübchen, ein Entbehren ... Lernen... Schmeicheln und
Tröften um da3 einfame Mütterchen, Hunger und Kälte.
Ein Stipendium ermöglichte dem Knaben das Studium,
er wollte Pfarrer werden. Im Sommer hatte er oft
tagsüber mit der Mutter auf dem fliederüberhangenen
Grab gejefien, hatte auf der Kirchichwelle gejpielt, wenn
die Sonnenftrahlen durch die bunten Fenfterjcheiben
hufchten und die Schwalben zwitjchernd über feinem
Haupte dahinjchoffen, und er Hatte den Gottesgarten
mit all feinem Frieden, feinem Blütenduft und feiner
Wehmut liebgewonnen. Sa, er wollte Pfarrer werden,
und feine Mutter faltete die Hände und nidte mit ver-
klärtem Angejiht. Eine Tages aber fand er fie vor
dem Klavier im Seſſel ſitzen, bleich und fühl, das Haupt
vornübergefunfen, als jchlafe ſie. Sahrelang war dag
Snftrument verjchloffen geweſen, jebt ſtand ein offen
Notenheft darauf — „unter dem Palmenbaum ... und
Liebe und Ruhe trinfen . . . und träumen feligen
Traum . . .” Ein gellender Auffchrei — er fchlang die
Arme um die Schläferin, er ftarrte in das Antlit und
preßte feine Lippen darauf. Die Palmen des ewigen
— 4716 —
Friedens raufchten über der Dulderin. Hinaus in die
Fremde! Einfam, arm und rajtlos fleißig. Nur einmal
brach Sonnenfchein durch die Wolfen, dort in Erlangen,
wo der ſteinerne Markgraf im Schloßgarten über die ehr-
geizigen Pläne des jungen, hitzköpfigen Studenten lächelte.
Dann ward er Hauslehrer bei einem kränklichen Knaben,
fernab von aller Welt, begraben in rotblühender, fonniger
und fjchneebededter, lautlojer Einjamfeit der Heide.
Kicht3 von elegantem Leben, nichts von Luft und
Freude, zwiſchen fchlichtem Landvolk ein ruhelos jtudierender,
alleinſtehender Mann. Aber Schritt um Schritt vorwärts,
immer arm und vereinſamt, und dennoch kämpfend und
ringend nach dem Ziel, dem leuchtenden, welches er
ſich geſtect. Und allmählich reiften die Früchte am
Dornenreis, die Sonne brach durch die Wolken und
lockte die ſchneeigen Myrtenblüten aus der Knoſpe. Licht—
blicke in dem Wetterſturm des Kampfes, welcher ihn
plötzlich mit jähem Wirbel emporriß und ihn in eine
neue Welt verichlug. Und nun endlich jtand er am
hohen Ziel! Pracht und Herrlichkeit um ihn her, Fürlten-
huld und blendende Frauenſchöne, und wie er den fteinigen
Weg hinabblidt, den er erflommen, fchwindelt’3 und durch:
ſchauert's ihn. Wer lange in der Dunkelheit gewandert
und plöglich in grelles Lichtgefunfel tritt, fteht zag und
unficher wie ein Blinder, und wer zuvor nur klares, arm:
jeliges Quellwaſſer gejchlürft und hält plöglich einen gül-
denen Becher voll Feuerweins an die Lippen, der wird
taumeln wie ein Beraufchter.
= 477 =
Helmut Collander ftrih mit der Hand über Die
Stirn, als wolle er jene Bilder der Vergangenheit aus
jeinen Gedanfen verwiſchen. Er jah an fich nieder, über
jeine breite, marfige Bruft. Der ſchwarze Rock deuchte
ihm plöglich recht kahl und düfter. Ein farbig Bändchen
im Knopfloch würde gar guten Platz hier finden... und
Fürſtin Tautenftein würde ihm mit wohlgefälligem Lächeln
die weiße, goldgejchmücte Hand reichen und jagen: „Keinen
Glückwunſch zu Selbitverjtändlichem, Herr Hofprediger,
dem Verdienſt feine Krone.” Noch hatte er feinen Orden,
noch ijt er nicht Hofprediger, ... . aber Collander zudte
leicht zufammen und errötete plöglich wie ein Mädchen.
Lächerlich, was für närrijche Gedanfen einem doch fommen
fünnen |
„sn Sammet und in Seide
War er nun angetan,
Hatt’ Binder auf dem leide
Und aud) ein Freu; daran —
Und war fogleih Minijter
Und trug den großen Stern — —“
Er lachte hell auf und jchüttelte den Kopf. Beinahe
hätte er vergefjen, welch eifriger Widerfacher er ſtets gegen
den Trödelmarft geweſen war, auf welchem bunte Bändchen
feilgehalten, erhandelt und verjchleudert werden! So ein
Stern fieht jo harmlos Hein und freundlich bligend aus...
und dennoch iſt er ein ſchwer, ſchwer Gewicht, welches
jelbft den ſteifſten Naden und ftolzejten Rüden krumm
biegt, frumm bis in den Staub.
— 4718 —
Behaglich, mit dunklem Schlag, verfündete Die Schwarz:
wälderin nebenan im Zimmer die achte Stunde. Collander
beendete haſtig feine Toilette und griff nah Mantel
und Hut.
Auf der Treppe begegnete ihm die alte Lieſe aus dem
Spital drüben. „Ob der Herr Pfarrer heute abend den
Tee bei Fräulein Martha trinfen werde?’
„Rein, Möütterchen, bejtell einen fchönen Gruß und
fag dem Fräulein, ich jei in das Schloß befohlen!”
Der Pfarrer fagte es langjam, mit viel Betonung,
und weidete ih an dem ehrfurchtsvoll aufgeriffenen
Mund des braven Weibleins.
„Was foll denn da aber aus dem fchönen Sped-
fuchen werden, den Fräulein Marthchen zur Überrafcjung
gebaden hat?”
„Ein up, leivet, leivet Liefing!” fang Helmut fast
übermütig lachend, Flopfte die Alte auf die Schulter und
eilte an ihr vorbei die Treppe hinab. —
Die Kuppellampen im Salon der Fürftin Tautenftein
waren mit rofa Schleiern verhängt. Dämmerig, warın
und duftig war es, die Möbel auf fchwellenden Teppichen
dicht zufammengedrängt, jede Ede ausgefüllt mit Blüten:
Iträußen, mit Marmorgeftalten, mit weit ausgejpreizten
Atlas- oder Federfächern. Kriftallprismen hingen bunt
funfelnd, gleich niederfallenden Edelfteinen von der Dede,
Amoretten fchwebten um den Wandjpiegel und rafften ge=
ichäftig die fchwere Brofatportiere vor dem Glas zurüd,
und auf dunklem Sodel, gleichfam zwilchen den Blatt:
— 49 —
pflanzen des Trumeauvorſatzes aufwachſend, ſtützte eine
Venus träumeriſch das Haupt und ſpiegelte den ſchneeigen
Körper im Glas. Vor das Kaminfeuer war die Chaiſe—
longue geſchoben, auf welcher Fürſtin
Claudia lag und in lichtblauſeidener
Morgenrobe den Stiftspfarrer von
Sankt Brigitten empfangen hatte.
Sie war erkältet und klagte über
die abſcheuliche nordiſche Schnee—
luft, welche ſie durchaus nicht er—
tragen könne. Kurze Huſtenanfälle
unterbrachen ſie öfters mitten in der Rede, und dann
drückte ſie die ſchmalen, weißen Händchen gegen die Bruſt,
und zwiſchen die Augenbrauen ſenkte ſich eine feine Linie
des Schmerzes. Sonſt aber war ihr Weſen unverändert,
ſie lachte und ſcherzte und kritiſierte mit einer oft ſcharfen
— 480 —
Beurteilung alles dejjen, was ſonſt dem Menjchenherzen
lieb und heilig ift.
Mademoifelle de Gironvale ftelzte auf hohen Stödel-
Ihuhen von einem Zimmer in das andere, behütete hier
den Samowar auf dem Teetifch und lehnte fich dort auf
die Lehne eines Fauteuil, den Stiftspfarrer von Sankt
Brigitten durch zwinkernde Augenwimpern ungeniert und
ſtumm zu mujtern. Sie ſchien fchlechter Laune zu fein
und durfte fie nicht zeigen. Die Teetafjen Hlirrten unter
ihren Händen, al3 würden fie recht unwirſch behandelt,
und der Lakai erfuhr durch fcharfe Flüſterworte, welche
ihm ununterbrochen Verweiſe erteilten, daß er der tölyel-
haftejte und unbrauchbarite Michel fei, welchen jemals
das deutjche Vaterland gezeitigt. Der Tee wurde in
feinen chinefiichen Täßchen auf Befehl der Fürftin in
dem Salon ferviert. Pikante Schnitten und vielerlei
Delifatejfen, welche Collander fremd waren, wurden in
Ichneller Reihenfolge gereicht, Itarfe Weine funfelten in
geichliffenen Kelchen, und auf den filbernen Platten bauten
ih „Diplomatenſchüſſelchen“ und „Heroldsbrötchen” in
appetitlichiten und Funstoolliten Arrangements auf. Unwill-
fürlic) dachte der Stiftspfarrer an Marthas Spedkuchen,
welchen fie mit dunkel geröteten Wangen perfönlich aus der
Küche herzuholt, ihn mit dem großen Hirfchhornmeffer in
derbe Stüde teilt und auf fchlichtem Steingut darreicht.
Mit großem Appetit hatte er ihn in der Negel gegeffen,
während ihm hier die Kehle zugejchnürt ift, und er faum
weiß, ob er Süßes oder Saure zu Munde führt. Die
— 481 —
Befangenheit eines erjten Beſuchs; er wird bald in den
Salons der Fürftin Tautenjtein heimifch werden und es
ſchließlich felbftverjtändlich finden, daß der Teetiſch ein
jilberbligendes Memento an Lueullus ift.
Esperance aß jehr viel und fehr haftig, dieweil ihre
Gebieterin fich darauf beichränfte, ein paarmal an einem
Slafe Malaga zu nippen und dazu ein paar Süßigfeiten
zu nafchen. Die Unterhaltung war allgemein und ſehr
heiter. Claudia lachte gern und anmutig. Sie erzählte
ohne jede Prüderie von ihren „Kunſtreiſen“ durch Paris,
bon ihrem Nufenthalt in Stalien, von dem entzücend
amüfanten, fchredlich verderbten Sodom und Gomorrha
des Südens, Mlerandria. Und Eollander, welcher fie an—
fangs ein paarmal ſehr betroffen angefehen hatte, er—
innerte ich, daß der Ton in der großen Welt überall,
ſei e8 bei der Ariltofratie des Blutes, des Geiltes oder
des großen Portemonnaie, ein ziemlich freier geworden,
daß Hola gelejen und Sardou im Nefidenztheater all
abendlich beflaticht wird, und es war ihm peinlich, fich
durch jpießbürgerlichen Nigorismus ſofort als völlig
fremdes Element auf dem Parkett zu ermweifen, Claudia
plauderte jo amüjant, und alles, was fie fagte, klang
harmlos und ganz wie jelbjtverjtändlich; fie jah fich mit
offenen Augen in der Welt um und alterierte fich nicht
über Dinge, die unabänderlih find. Leben und leben
lajjen, und Welt und Menfchen nehmen, wie fie die Zeit
juft mit fich bringt! Und dabei fchmiegte fie fich jo be—
baglich und gejchineidig in die fchwellenden wie
N. v. Eſchſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Hazard II.
—. 480 =
ein weißes Käbchen, das ſich mit eingezogenen Krallen
ſonnt.
Fräulein von Gironvale hatte ſich darauf beſchränkt,
hie und da einmal mitzulachen oder eine kleine Schmeichelei
für Claudia in die Reden einzuflechten; dann ſchikanierte
ſie wieder den Lakaien, welcher voll nervöſer Haſt den
Teetiſch im Beiſein der Herrſchaften abzuräumen hatte,
und warf ſich ſchließlich noch für kurze Zeit in einen
Schaukelſtuhl, um durch ſehr viel Rückſichtsloſigkeit zu
zeigen, daß fie fich nur dann bemüht, liebenswürdig zu
fein, wenn es fi — lohnt. Bald verjchwand fie ganz
in dem Nebenzimmer, und da monotone Geräufch um:
gefchlagener Buchfeiten befundete, daß fie interefjant
unterhalten war.
Claudia rollte die goldichimmernden Haarloden, welche
leicht und duftig und ohne jeglichen Zwang einer Friſur
über Bruft und Schultern fielen, um die Finger und
blickte plößlich voll träumerischen Ernſtes in Collander3
Auge.
„Segen Sie fich jet in dieſen bequemen, Kleinen
Seſſel, lieber Pfarrer, und erzählen Sie mir Ihre Lebens-
gejchichte, alles, und ganz genau, ich intereffiere mich dafür!”
Er gehorchte und begann in großen, flüchtigen Strichen
den Pfad zu zeichnen, auf welchem er gewandelt, und mas
er verſchweigen wollte, erfragte fie, und wobei er fich
länger aufhalten wollte, das fchnitt fie voll beinahe auf:
fälliger Beharrlichfeit ab. Wie es fchien, wünfchte fie
dem Gejpräch Feine ernftere Wendung zu geben, namentlich
— 483 —
ignorierte fie e8 volljtändig, wenn er ihr auf religiöfem
Gebiet den Fehdehandſchuh Hinwarf, und er tat e8 an—
fänglich oft, beinahe voll Ungeduld; dann fügte er fich
ihrer Laune, welche heute nur jcherzen und lachen wollte.
„SG habe Sie ja nicht in der Neverenda, fondern
im harmloſen, weltlichen Bratenrocd eingeladen, bejter
Sollander! Erinnern Sie mic)
doch nicht jo konſequent daran,
daß Sie zu den Hirten
gehören, welche unbarm—
herzig aufjedes jelbjtändig
grajende Schaf losprü—
geln! Sie wiljen, ich habe
eine Averfion gegen Die
Herren dom Presbyte—
rum! Schnell ein wenig
gepußt, daß ich mir ein=
bilden fann, Ste wären
dem monotonen Schwarz
abtrünnig geworden!’
und Claudia riß das
lange, blaßblaue Band ihrer Gürtelfchleife ab und warf
es ihm vol bezaubernder Anmut um den Hals. „Steht
Ihnen vortrefflih! Wenn es rot wäre, würde ich mir
einbilden, ein jchneidiger Hauptmann ſäße mir gegenüber
. da heißt nein! ich würde e3 mir nicht einbilden
können!“
„Und warum nicht, Durchlaucht?“ ſtotterte Collander;
3l*
su; ABA 23
die Fürftin hatte fich zu ihm binübergeneigt und knüpfte
da3 Band lachend unter feinem Sinn zur Schleife, das
Haar mwogte um ihre Arme, und die weißen Händchen
Ichimmerten dicht vor feinen Lippen.
„Beil mir ein Hauptmann die Cour machen würde,
anftatt mic) von Hölle und Fegefeuer zu unterhalten!”
Er neigte fi) jchnell und Füßte ihr die Hand, zum
Dank für das Band nur, aber dennoch wurde er dunfelrot
Dabei. „Wollen fi) Durchlaucht gnädigjt erinnern, daß
ich hierher befohlen wurde, um eine ernſte Lebensgeſchichte
zu erfahren, die mir von dem Wetterjturm erzählen jollte,
welcher die Baffionsblume des Glaubens fo graufam ent-
blätterte! Sch war der Anficht, daß wir heute mit
Geiſteswaffen eine ernite Schlacht fchlagen würden. . .”
Sie unterbrad) ihn, mit leifer Stimme aus dem Gas—
paronewalzer fingend: „Plaudern vom Seelenheil oder
bom Gegenteil ... .” „Ich bin dafür, daß wir heute
beim ‚Gegenteil‘ bleiben! Wir find zu ungleiche Gegner!
Sie ein Mann der Wiffenjchaft, welcher mit nieder-
jchmetternditen Stichwörtern, mit gejunder Kraft und
Harem Kopf zu Felde zieht, und ich eine Franke, momentan
zu allem Denken und Debattieren unluftige Srau, welcher
Sie alle Walzer und Kotillontänzer heute abend erjeßen
müſſen!“
Mit geſunder Kraft und klarem Kopf! Wüßte ſie es
nur, die Hexe Lorelei mit dem leuchtenden Haar, welch
ein Wirbelſturm von Gefühlen den Nachen des betörten
Fiſchers hin und her ſchleudert!
— 45 —
Kein Kampf alfo! Süßer, lachender Frieden, ein
fröhlich Plaudern und Wortgepläntel, ein tiefer Zug aus
güldenem Becher; zeitweije rollt ein Gifttropfen hinein,
aber er jchmedt nicht bitter, er wird unbemerkt gefchlürft.
Elf filberne Schläge. Collander erhebt fich haſtig,
fih zu verabfchieden. Die Stunden find verflogen wie
Minuten.
„Barum eilen Sie fo jehr? Ich bin es gewohnt,
bis ſpät in die Nacht hinein zu wachen, fchlafe dafür
morgens dejto länger. Der Bormittag ift Zuderwaffer,
der Nachmittag jolider Rheinwein, der Abend aber mouffiert
wie Champagner, und vollends um Mitternacht Schlagen
Flammen aus dem fauftiichen VBerjüngungsbecher!”
Wohl pflichtete er ihr bei, dennoch fcheidet er, um
eine dringende Arbeit noch zur Redaktion zu befördern.
Sie forfcht welch eine. Dann zudt fie mit bornehmver:
traulicher Gefte die Achjeln. „Mon Dieu, beſter Collander,
wozu dieſer Lärm in Zeitungsſpalten! E3 ift fo unfein,
fih mit Kreti und Pleti öffentlich herumzuzanfen! Igno—
rieren Sie doch folche Fleinliche Attaden, Sie ftehen ja
auf feiten Füßen, man intereffiert ſich bei Hofe für Sie,
Prinz Marimilian wird nächſten Sonntag wieder vor
Sanft Brigitten vorfahren, und ic) forge dafür, daß Sie
eine Einladung zum Ball im erbgroßherzoglichen Palais
erhalten, was wollen Sie mehr? Seien Sie zu ftolz, um
von Schlangen, die drunten im Staub zifchen, überhaupt
Notiz zu nehmen!”
Collander ging. Das blaue Band ſchlang fich wie
— 486 —
ein glühender Reifen um feinen Hals, wie Srrlichtflammen
tanzte der Schein der Laterne, welche ein Lakai ihm
voraus durch den inneren Schloßhof trug, vor feinen
Füßen über die glißernden Bafaltplatten.
Sturm und phantajtisch jagende Wolfen. Kein Stern
am Himmel, dunkel, dräuende Nadıt.
Das Manuffript wurde unvollendet in den Papierkorb
geworfen, der Stiftspfarrer von Sankt Brigitten ſchwieg
auf die verleumderijchen Anklagen feiner Feinde.
M
—E
XXII.
Das alles ſahen und hörten jene Damen —
Und alles viel verfchlimmernd auszukramen
Bor andern, waren ihre nächſten Sorgen,
Sodaß die Frauen von Memphis e8 vernahmen,
— Der höhern Welt — fhon bis zum nächſten
Morgen. Bodenftedt.
EX arnevalätreiben! Mufik, Gefang, Gelächter über:
al. Bermummte Geftalten eilen durd) Die
Straßen, Schellen flirren, und bunter Tand
und SFlitterjtaat blißte auf, wenn der Wind am dunfeln
Mantel zauft und die verhüllenden Schleier und Tücher
vom Haupt der Schönen zurüdichlägt. Ein Schwarm
Straßenjungen begleiten johlend Die einzelnen Masken,
und vor den Türen der Tanzlofale und Kaſinos ftauen
fi) gaffend die Paſſanten. Die unzähligen Vereine und
Genoſſenſchaften einer deutfchen NRefidenzftadt feiern farne-
valiſtiſche Feſte, Masfenbälle und „humoriſtiſche Zu—
ſammenkünfte“, und in den Privathäuſern und Paläſten
funfeln die langen Fenſterreihen gleich den geheimnisvollen
Lichtitreifen, welche durch die Felsſpalten des Ilſenſteins
Ichimmerten, da noch Kaifer Heinrich in den Armen der
reizendjten Prinzeſſin lag und die Zwerge im kriſtallenen
Schloffe trompeteten, pauften und fiedelten,
— 488 —
Ein leiſes Summen und Surren fehallt in die ftillen
Straßen hernieder, und an den meilten Tüllftores wirbeln
die Schatten vorüber. — „Dort tanzen die Fräulein und
Nitter, dort jubelt der Knappentroß! Es raufchen Die
jeidenen Schleppen, e3 klirren die Eiſenſporen“ — und
Prinz Karneval fommandiert jelber den Rotillon, und die
Helmzier, welche er trägt, iſt ein Strauß fliegender Herzen!
Kein Wunder iſt's, wenn vor folchen Villen lange
Wagenreihen halten und dunkle Geſtalten heimlich an die
GSouterrainfenjter huſchen, aus welchen bie und da eine
nicht allzu zarte Hand ledere Biſſen verabfolgt. In der
Billa Hazard jedoch waren nur wenige enter erleuchtet,
und Statt der Tangmufif fangen nur vereinzelte Geſangs—
paflagen einer Eöjtlich weichen und vollen Altitimme in
die ſtille Parkſtraße hernieder; dennoch fchlichen fich jacht
und behutfam zwei Schatten an der Fleinen Hofmauer .
entlang, welche das Nennderjcheidtiche Grundftüc mit dem
Park des Erbgroßherzoglichen Palais verband.
Eine Veranda fprang jäulengeftüßt an dieſer Seite
des Haufes in Hof und Garten vor, und durch die licht-
durchglängte Tür derjelben fchallte der Geſang und die
Stlavierbegleitung. Ein paar Minuten jtanden die beiden
Herren in dem Dunkel und laujchten empor.
„Können Sie was verſtehen?“ flüfterte der eine.
„Abſolut nichts, Herr Leutnant, man hört nur Bruch—
ftüde, und danad) kann ich unmöglich ein Lied merken
oder gar aufjchreiben |’
„Weiß das Donnerwetter! Und wollen ein Mufifer
— 489 —
fein! Sie wiſſen doch, was für Töne zufammen paffen
und wie jie aufeinander folgen müfjen! Wenn Sie alfo
den Anfang, den man ganz deutlich verftand — fo eine
ähnliche Sache wie ‚Lalilalilalala‘, war's! — wenn Sie
den haben, können Sie ſich doch den ganzen andern
Zauber dazu kombinieren!“
„Ach nein, Herr Leutnant, das ift doch nicht ganz fo
einfach”, ermwiderte zaghaft fchüchtern der andere, ein
bochaufgejchofjener Jüngling mit zu furzen Hofen und
zu langen Haaren. „Die Kunſt zu fomponieren, ift eine
jo unendlich mannigfache und fchwierige, daß man .. .”
„Maul halten... .. zuhören, die Karre geht wieder
los! Teufel und Bumpftod! fommt gerade ein Schlitten
angeflingelt — —“
„Man hört garnichtS mehr ... weder Gefang noch
Begleitung . . .”
„Sakrament noch eins, Menſch, was fchlenfern Sie
denn jo mit $hren langen Armen? Sie werden mir nod)
ein paar Rippen einſchlagen!“
„Es iſt fo fchredlich Falt, Herr von Hovenklingen!”
entjchuldigte fich der junge Wagner in spe mit flappernden
Zähnen.
„Ab fo... rihtig .. pfeift einem Iudermäßig hier
um die Naſe! Na, dann drapieren Sie fich einjtweilen
mein Tafchentuch noch) um den Hals, ganz neues, fnittert
no in den Brüchen! bis ich energifcher vorgehen kann!
Um acht Uhr trinfen die Damen Tee, dann müſſen wir
hier über die Mauer und auf die Veranda hinauf!“
— 4% —
„Herr Zeutnant!! Klettern?!” und unmwillfürlich ftreichelte
der Muſikſchüler, fchredhaft zufammenzudend, feine Bein:
fleider, wie ein Eleines Mädchen tröftend fein Lieblings-
hündchen bejchüßt, wenn ein böjer Bub — Anz
Ichläge auf dasſelbe hat.
„Nur nicht bange, alter Freund! Werden fich fchon
feinen Splitter einreigen! Hier die Mauer mit ihren
dDiverfen Klüfen, können wir jehr bequem und mit aller
Grazie als kleines HinderniS nehmen! nachher machen
wir e3 wie die Lerche, welche an ihren eigenen Liedern
in die Lüfte Eettert. Alſo los damit!” Und Hovenfklingen
klappte voll Seelenruhe zweimal in die Hände,
„Pſt!“ erklang es jenjeit3 der Mauer.
„Chriſtian?“
„Befehl, Herr Leutnant.“
„Alles vorbereitet?“
„Sehr wohl! Es iſt die höchſte Zeit, die Damen ſind
bereits in das Speiſezimmer getreten!“
„Brillant. Kommen ſchon; na vorwärts, Apollo!
Schwingen Sie mal dreilte Ihr fteuerbordfches Ruberet
und fteigen Sie auf!“
Haftig von feiten de3 Herrn von Hovenflingen, und
ſehr vorfichtig und zögernd von feiten des mufifalifchen
Jünglings ging die Prozedur vor fich. Jenſeits im Hof
Itand wartend ein Bedienter und — einen Holzſtuhl
herzu.
Der Muſiker ſaß mit hochgezogenen Beinen auf der
Mauer und krallte ſich angſtvoll feſt. „Aber Herr
— 41 —
Reutnant!” rang es ſich faft kläglich und voll milden
Vorwurfs von feinen Lippen.
„Ah jo! Ehriftian, Stuhl ran! Drüben für den Herrn!
faffen Sie ein bifchen zu und langen Sie ſich den Onkel
mal runter!”
Ein leijeg Schurren und —5*
„Na? Anker geworfen?“
„Hier bin ich, Herr von Hovenklingen, wieder glücklich
auf ebener
„Gratu⸗
ganzem ser:
nun mal ein
Ti)! Leiter
Haben doch
Hand,
„Befehl,
nant. Ich
vorbereitet,
kontüriſt nur
daß man
öffnen
„Sehr
flingen legte _
nender
ſante See—
die Schulter
ſcheidtſchen
chen er ſich
Erde!“
liere von
zen! Und
wenig plötz⸗
berzul!
eine zur
Ehrijtian 2”
Herr Leut-
habe alles
auchdieBal-
angelehnt, fo
ohne Geräuſch
kann!“
gut.“ Hoven—
voll anerken—
Wucht die impo—
maunsfauſt auf
des Nennder—
Bedienten, wel—
zu dieſem „klei—
— 412 —
nen Karnevalzfcherz” geworben hatte. „Nun gehen Sie
flint hinauf, jchmuggeln fi) in das Muſikzimmer und
gehen dem Herrn hier ein wenig zur Hand, daß er
die betreffenden Noten fchnell fopieren kann; verjtanden?”
„Ganz gewiß, gnädiger Herr.”
„Ra dann log!”
Der Galonierte verjchwand, Hovenklingen aber lehnte
die Leiter an die Veranda und prüfte mit derber Hand
ihre Sicherheit.
„So Apollo; nun arbeiten Sie mal diefe fünfzehn
Sproffen hinauf, ich Halte die Sache feit.”
Zaudern half nicht. Sehr geängjtigt, aber dennoch voll
größerer Gewandtheit wie zuvor, Eletterte der ſchlanke Muſi—
fus gleich einem ‚modernen Romeo in dürftigen Berhält:
niffen” zu dem Balfongitter empor und Hovenklingen fah
der ſchwarzen Geſtalt mit den eifrig edigen Bervegungen
ſchmunzelnd nach und bemerkte lobend: „Sehr ſchön gemacht,
Apollo, fönnen fih Sonntagsüber als Laubfroſch vermieten!”
„Hier auf dem Flügel find die Noten, gehen Sie auf
den Fußfpiben, es liegen feine Teppiche!” raunte er dem
Muſikſchüler und Mitglied des Theaterorcheiter3 in das
von Schlangenloden umringelte Ohr. Unter Herzklopfen
Ichlüpfte der junge Munn in das Zimmer, faßte. mit
zitternden Händen die Notenblätter und fah fie Haftig
durch. „Richtig, geichriebene Xieder, obenauf: „Dieweil du
mich verlaffen Haft“, Gedicht von Hopfen, fomponiert von
F. W. 3. Sp.” Ganz recht, von Fides Wolf zu Speyern.
Der Bleiftift tupfte und tanzte in nervöſer Haft über
= AUS
das Notenpapier, welches der nächtliche Eindringling bereit
gehalten hatte. In wenigen Augenbliden jtand die Me—
(odie in fchwarzen Punkten, Häfchen und Schmänzchen
fir und fertig aufgezeichnet, und der Muſiker atmete tief
auf und ‚rettete fich fchleunigjt wieder zur Tür hinaus.
Ein ſchrecklicher Augenblick noch, in der Dunfel-
heit die Leiter zu finden, aber glücklicherweiſe
hält der Diener Die
Lampe leuchtend an
die Scheibe, und Die
langen Beine des
Räubers jchwingen
> fih über die Balu—
trade, mit Katzenbe—
hendigfeit verſchwin—
det die dunkle Geſtalt
in der Tiefe.
„Menſchenkind ...
Apollochen ... Haben
Sie den Tſchingde—
rada entführt?“ flüſterte es ihm wahrhaft zärtlich ent-
gegen, und zwei riefenjtarfe Arme faſſen ihn und ſchwenken
ihn in hohem Bogen von der ſechsunterſten Sprofje zur
Erde zurüd. „Dafür laffe ih Sie mitfamt Ihrem Fliegen-
pilz — in füßer Sahnenbutter braten!’
„Ach, Herr Leutnant, es war eine fchredliche Expe—
dition“, flötet der Geliebfofte, „dieſes Herzklopfen bei der
Arbeit —“
— 491 —
„So? was Teufell So fchwere Stüde Hat bie
Gnädigſte gejchrieben? Wohl hölliſch viele Kreuze und
B’3 daran getan?”
„Pſt ... Herr Leutnant! Der Kutfcher kommt zurück!
Er fünnte die Herren am Ende bemerken!”
„gaben recht, Chriftian! Hier... zum Dank für
Ihre Mühel Geben Sie dem Herrn da noch den Gnaden=
itoß, daß er wieder über die Mauer fommt: Vorwärts —
eins... zwei... hoppelal!”
Leiſes Poltern, jenjeit3 der Mauer fpringen vier Füße
auf den harigefrorenen Boden auf, dann tönen eilige
Schritte und verklingen im Park.
Still und einfam wie zuvor. Im Mufikzimmer brennt
die KRuppellampe und verrät es feinem Menfchen, welch
ein Zujtfpielanfang fich vor wenigen Minuten unter ihr
abgejpielt hat. | |
Fürſtin Tautenjtein liebte es, in der Karnevalszeit
eine „Inkognitopromenade“ durch die abendlichen Straßen
zu machen. Einen dunfeln, pelzgefütterten Mantel ums
geichlagen, das Köpfchen dicht verfchleiert, fchritt fie am
Arm eines ritterlichen Beſchützers durch die belebten oder
auch unbelebten Gaſſen und Verfehrsadern der Nefidenz,
um das „Volk“ und fein Leben und Treiben zu ftudieren.
Prinz Hohned, das blutjunge Bürfchchen, war Feuer und
Flamme für derartige Erkurfionen, welche ihm eine Re—
miniszenz jener Zeit erjchienen, da noch die waghalfigen
Nitter und Edelfrauen Tedlich die Lande durchftreiften,
— 495 —
um hinter Viſier und Schleier die Frau Aventiure zu
juchen. Dazu fam, daß er jterblich in Fürſtin Claudia
verliebt war, und ihr Tun und Lafjen ihm in jedwedem
Falle maßgebend deuchte! Lächerlich noch in eine Kirche
zu gehen! Lächerlich, noch an Lieb und Treu zu glauben!
Den Augenblid genofjen! Nicht voraus und nicht zurüd
gedacht, in die Welt hinein gejubelt, fo lange man noch
einen Groſchen im Sädel und Leben in den ©liedern
bat! Prinz Hohneck war ftet3 ein leicht zu lenfender
Charakter gewejen, und der Einfluß, welchen Claudia auf
ihn übte, war ein geradezu verderblicher. Er jtammte
aus einem berarmten, mediatifierten Fürftenhaus, und
hatte e3 bis jet in anerkennenswerter Weije fertig ge-
bracht, feiner Stellung gemäß zu leben und fich dennod)
nach der Dede zu ftreden. Seit den letzten drei Wochen
zucten die Kameraden häufig die Achjeln, und der Kom—
mandeur fchüttelte mit gefalteter Stirn den Kopf.
Man Hatte viel gelacht und fich trefflich bei dem
Spaziergang amüfiert. Claudia hatte für ihr Leben gern
einen Blick in ein Tanzlofal niederen Ranges tun wollen,
um zu beobachten, wa3 für „Kuhblumen und Eſſigroſen“
der Liebesfrühling von Köchin und Grenadier erblühen
laſſen möge, doch wurde bejchlofjen, zu jolch einem Wagnis
lieber ein ‚noch tolleres NRäuberzivil” anzulegen.
Claudia und Hohned jchritten voraus, Esperance
folgte am Arm des Herrn von Diersdorff. Am erbgroß-
herzoglichen Palais vorüber, direkt durch den Park, führte
der nächlte Weg zum Schloß, und da es foeben fchon
— 496 —
acht Uhr vom Dom gejchlagen hatte und um ein halb
zehn Uhr Soiree bei dem ruffichen Botjchafter ftattfand,
mußte man fich eilen, rechtzeitig noch da8 Toilettenzimmer
zu erreichen. Ein ſcharfer Windftoß, welcher um die Villa
Hazard herum faufte, ließ die Unterhaltung momentan
ftoden. Claudia überflog die Hausfront mit einem
ſcharfen Blid, und der Ausdrud, welcher dabei auf ihrem
Antlit lag, hatte etwas Gehäſſiges. Plötzlich zudte fie
auf, umframpfte den Arm ihres Begleiter8 und ftieß einen
furzen Bilchlaut durch die Zähne hervor. Gleicherzeit
fuhr fie haftig zurüd und legte mit eifriger Gebärde den
Finger vor den Mund.
„Sehen Sie dort!”
Aller Augen folgten der Kleinen Hand, welche zu der
Beranda der rechten Hausfeite emporwies.
„Ahl!“
Unſicher flackerndes Licht ... jetzt hält eine Hand
die Lampe gegen das Fenſter, ... man ſieht deutlich die
Geſtalt eines großen und ſchlanken Ziviliſten, welcher
fich haftig über das Geländer ſchwingt und per Leiter in
die Dunfelheit Hinabtaucht.
„Mais, mon Dieu“, will fi) Fräulein von Gironvale,
die Hände über dem Kopf zufammenfchlagend, alterieren,
Fürftin Tautenftein macht eine heftige Bewegung. „Pſt!“
Jetzt Elettert etwas im tiefſten Schatten über die Mauer
und fpringt herab, Haftige Schritte verflingen, dann ift
alles jtill.
„Das waren ja zweie!” platt Hohned heraus. Fie—
— 497 —
berndes Leben kommt wieder in die kleine Gejellichaft, welche
mit vorgejtredten Köpfen, gierig lauſchend dageitanden.
„Unfinn! Es war nur einer, ich jah es deutlich!‘
„Ich auch!” beitätigt die gemeſſene Stimme des
Nev. Eſchſtruth, IM Nom. u. Nov, Hazard II. 32
— 48 —
Herm von Diersdorff, und dennoch klingt fie in diefem
Augenblid fo boshaft wie nie. „Auf diefem nicht mehr
ungewöhnlichen Wege jtatten die Hausfreunde in der
Kennderjcheidtichen Billa ihre Bejuche ab!”
„Haben Sie ihn auch erfannt?” zifchte Claudia.
„Wen?“ fragt Esperance atemlos dazwijchen.
„Durchlaucht und ich fcheinen die beiten Augen und
den begründetiten Verdacht zu haben.”
„Ein Rendezvous? Marie Luije? Dieſer Tugend:
ipiegel?” Fräulein von Gironvale fchreit beinahe auf
vor Lachen. „Ich jagte es ja ſtets, dieſes ftille Wäfjerchen
ilt jo tief wie daS Meer, welches über der verderbten
Laſterſtadt Vineta fein Kriftallmäntelchen ausgebreitet!”
„Goſeck?!“
„Natürlich! Haben Sie das zarte Verhältnis nicht
ſchon längſt bemerkt?“
„Nein, der Mann, welcher eben überſtieg, war un—
möglich Goſeck —“
„Was Sie ſagen, Sie kluges Prinzchen!“ ſpottet
Claudia ſcharf. „Sie kurzſichtiger Menſch wollen unſere
ſechs bewährten Augen Lügen ſtrafen?“
„Keineswegs — ich dachte nur ...“
„Denken Sie getroſt das, was ich Ihnen verſichere,
daß Frau von Nennderſcheidt nämlich eine Dame iſt,
welche ſeit dieſem Augenblick in unſerer Geſellſchaft un=
möglich geworden iſt!“ Die zierliche Geſtalt richtete ſich
hoch und triumphierend auf, und ihre Worte trugen das
Gepräge eines Befehls. „Ich werde dafür ſorgen, daß
— 49 —
die Unschuld aus dem Damenftifte mit derfelben Lampe,
welche vorhin an das Fenſter gehalten wurde, fich jelber
ein für allemal aus unjeren Kreijen heimleuchten fol.
Goſecks Courmacherei begann bereit3S zum öffentlichen
Sfandal zu werden, und wenn dem Herrn Baron viel:
leicht die Augen darüber aufgegangen find, und er feit
zwei Tagen den Intimus oftenfibel von feinem Haufe fern
hält, nun ... „da gibt’3 eine Leiter, einen Graben, einen
Steg... . Wenn zwei jich nur ‚jehen wollen‘ da find’t
fih der Weg!”
„Mnerhört! empörend!“
„Sanz Shrer Anficht, Durchlaucht!” Diersdorff lachte
gedämpft auf, und fein blafjes Fuchsgeficht ſchlug un—
zählige Fältchen. „Ich Habe ſtets eine Averfion gegen
jolhe frommen Madonnenaugen gehabt, feit mir einmal
durch Zufall ein roſa Billett aus einem Gebetbuch ent=
gegenftel . . .” |
„Skandal! veritabeler Sfandal! Ich bitte Sie um
Gottes willen, Durchlaucht, eilen Sie, damit wir Die
Soiree nicht verfäumen! Ich fiebere . . .. ich brenne
darauf, die Heuchlerin zu demaskieren!“
„Borficht, Fräulein von Gironvale, nennen Sie vor:
läufig nichts Direftes, Andeutungen genügen! Wenn wir
vier erklären: ‚Nach einer Heinen Szene, welche wir fo:
eben beobachtet haben, ift es unmöglich, daß wir nod)
mit Frau von Nennderfcheidt verfehren!“ fo genügt das
‚vollfommen, das Unfraut aus dem Weizen zu roden.
Etwas ungewiß Geheimnisvolles ijt ſogar nod) viel wirt:
32*
-- 500 —
famer und meittragender, weil Dadurch jeglicher Bhantafie
gejtattet wird, ſich das Allerungeheuerlichite zu denken.
Achfelzuden und bedeutfames Lächeln ift oft kompro—
inittierender wie Worte, und kann niemals in die peinliche
Lage verjegen, wegen Verbalinjurien belangt zu werden!
Esperance blickte ganz begeijtert zu dem Sprecher auf.
Sie hatte nicht geglaubt, daß es noch einen Menfchen
gäbe, von welchem ſie lernen fünne, aber Herr von Diers-
dorff bewies es ihr, daß es eine gar feine und Flug ges
Iponnene Schlinge fein muß, mit welcher man des Nächſten
Ehre erdrofjelt, und daß die Kunft, ſolches Garn zu
handhaben, ohne fich felber zu fangen, eines Studiums
bedarf.
AR
— —
XXIII.
Sie können's nicht, und werden's nie begreifen,
Die dich bedräut um den verfehmten Mann,
Daß wahre Liebe ſelbſt in Qual nur reifen,
In Glut ſich ſtählen, doch nicht ſterben kann! —
In dieſem Glauben will ich alles tragen,
Was täuſchend du in Liebesluſt erſannſt,
Und darf ich Dir unter Tränen lächelnd fagen:
Gehhin! — verlag — vergiß mid, wenn
du kannſt! — H.Hopfen.
uguſtchen Spillike kauerte mit hochgezogenen Beinen
auf dem geſchnitzten Lehnſtuhl am Fenſter, ſtützte
den Kopf in beide Fäuſtchen und gab den eigenen
Gedanken Audienz. Das geſchah meiſtens nach dem Abend⸗
eſſen, wenn es recht gut geſchmeckt hatte und Auguſtchens
ſonſt ſo ſkeptiſch angelegte Natur die Welt mit all ihren
Butterſemmeln und delikaten Mondaminſpeiſen für eine
ſehr lobenswerte Einrichtung hielt. Die Begriffe „ſatt“
und „fromm“ gingen bei Fräulein Spillike Hand in Hand,
und wenn der Gürtel immer mehr über das runde
Bäuchelchen emporrutſchte und der Atem immer tiefer und
ſchwerer ging, dann kam Auguſtchen plötzlich die Er-
innerung an all die ſchönen Dinge, welche man ihr tags—
über aus der buntilluſtrierten Kinderbibel vorgeleſen hatte,
— 502 —
und fie dachte mit viel Rührung an den lieben Gott,
welcher es entjchieden fo gefügt hatte, daß fie jebt jehr
viel zu ejfen und gar feine Prügel mehr befam. In folchen
Augenblicken liebte es die Kleine, mit „Die gnädige Frau
Nennderjcheidt” über unerforfchte Dinge zu philofophieren.
Heute wollte fein rechter Zug in die Unterhaltung fommen.
Marie Luiſe ſaß an dem Tiſch und neigte dad Haupt
über die grobe Näharbeit, welche ihr von dem „Frauen
verein” zur Fertigitellung in der lebten Verfammlung bei
der Prinzeffin zuerteilt war. Die junge Frau hatte in
Herfabrunn gar viele Hemdlein für arme Kinder genäht,
voll eifriger Freude, vor Weihnachten oft freiwillig durch
lange Nächte hindurch, hier zog fie die Nadel mechanifch
und gleichgültig durch das Leinen. Die Wohltätigfeit,
welche hier von den Damen geübt wurde, war ihr durchaus
nicht ſympathiſch, und je öfter fie aus den Verfammlungen
nach Haufe zurückkehrte, deſto mehr fühlte fie fich von
ihnen abgejtogen. Die Barmhderzigfeit war hier ein
Paradepferd, welches mit möglichit viel Lärm und Dis-
putationen getummelt wurde. Marie Zuije begriff felber
nicht, wie fie den Mut gefunden hatte, der Hofdame der
Prinzeffin zu erklären, daß fie Beiträge zahlen und Ar—
beiten liefern, aber fünftighin nicht mehr bei den Zu—
fammenfünften der Damen erfcheinen molle.
Die hochaufgejchofjene Intima der alten Hoheit warf
die fpite Nafe fehr indigniert zurüd und hatte nur ein
mitleidiges Achjelzuden zur Antwort. Sie hatte der jungen
Frau troß ihres Dulderlächelns nie jo recht getraut. Wer
— 503 —
noch mit beiden Füßen fo völlig in der verfumpften Welt
fteht, Karin nicht den hohen Flug zum Himmel nehmen. Die
Hofdame aber war eine jener bigotten Damen, welche nach
eigenem Ermeſſen die Billetts für das Himmelreich austeilen.
Wer es mit ihr verdirbt, ift übel daran. Da fällt mit Müh
und Not noc ein Stehplaß an der Tür ab, fie felber
aber, und all die wackeren anderen, welche fich in un=
zähligen Kaffees zum Wohle der Chriftenheit. heifer
gefchrien haben, die fiten auf rotem Plüſchſeſſel in
der Fremdenloge. Es hatte Marie Luije gefchienen, als
ob etliche der frommen Damen ihren Gruß fehr fteif und
förmlich ermwiderten, als fie nad) der Kirche an ihnen
vorüberfchritten. Sie fämpfte mit fich, ob fie Dlivier von
ihrer Bermeffenheit berichten follte. Noch während der
legten Sonntagsparade war fie entichloffen geweſen, e3
zu tun. Dann fam’3 wie ein Wirbelwind und trieb ihr
Lebensſchifflein aus feiner ruhigen Bahn in wilde Wogen
hinaus. Was war mit Olivier .gefchehen? Kann eine
Tageswende einen Menfchen bis zur Unfenntlichfeit ver:
ändern? Er, der fie mit lachendem Angelicht bis in die
tieffte Seele gekränkt hatte, der fie wie ein Spielzeug in
wüfter Eigenwilligfeit an feine Seite geriffen und der fie
rückſichtslos wieder von fich ftieß, als fie ihre Mario:
nettenrolle auf dem Opernhausball gefpielt hatte, er fcheint
alles vergeffen zu haben, was zwifchen ihnen liegt, er
greift abermals nad) ihrer Hand, fie mit Nofenfetten zu
umminden. Vor wenigen Tagen noch hat er weder Blick
noch Wort für fein junges Weib gehabt, in verlekendfter
— 504 —
Weiſe ift er über fie Hinmweggejchritten, ſich voll leiden:
Schaftlicher Glut vor die Füße einer anderen zu werfen,
und plößlich ift all feine Ertravaganz wie abgejchnitten,
faum daß er Fürftin Tautenftein noch durch die einfachite
ritterlihe Zuvorkommenheit auszeichnet. Vor Marie Luife
aber fteht er wie ein müder, irrefahrender Wandersmann,
welcher mit ſtummem Blick fleht: „Weiſe mich nicht zurüd,
über deinem Haupte fteht der Stern, welcher mich auf
rechten Weg geleitet; geht er abermals unter in Nacht
und Sturm, fo iſt's für immerdar.“
Die junge Frau fchlägt die Hände vor ihr Antlig
und zittert in ratlofer Bein. Zu fpät, zu fpät! Man
fol im Herbſt nicht Mairoſen pflüden wollen, der Froſt
hat fie gefnidt. Ach, daß fie noch an Dlivier glauben
fönntel Ihr Vertrauen, ihre Zuperficht ift vergiftet, die
Wunden, welche er ihrem Herzen gejchlagen, vernarben
nicht. Sie hatte zu viel gelitten, zu viel! Er hatte fich
müde getollt und den Champagnerfelch fo lange in leiden-
fchaftlichen Zuge geleert, big er feiner überdrüffig ge=
worden. Bon einem Extrem taumelt er in das andere,
und darum ftredt er jebt die Hände nach fühlen Quell-
wafjer aus, erinnert fich der Lilie auf dem Felde, weil
der Rofenduft ihm Kopfweh bereitet hat! Die Lilie, die
reine, priejterliche aber hebt ftolz da3 Haupt und weicht
zurüd vor ihm, unnahbar und unerbittlich wie die Göttin
der Gerechtigkeit, welche Schwert und Wage vergeltend
in der Rechten hält. Ach, daß fie an ihn glauben könnte!
Daß fie ihm in da3 Auge fehauen und verfichert fein
— 505 —
fönnte: „es belügt dich nicht!” In ihrem Herzen Hingt
und zittert e8 noch wie der Glockenton, welcher dereinft
in Herſabrunn über den See hallte, aber es mijchen jich
viel grelle Klänge hinein, Aufjchrei und Klagelaut eines
berratenen Herzeng, und all die wirren, wüjten Stimmen
der Welt, welche fie aushöhnen: „Närrin! Sieh da3
ichwanfe Schilf, es ift eifern gegen deines Gatten Bes
ftändigfeit! Sieh die Welle, fie ift unwankbar gegen
feine Treuel Dein Herz iſt der Spielball feiner Laune,
haft du Stolz und Ehrgefühl, jo wirf’s nicht in den
Staub vor feine Füße!”
Ja, fie hat Stolz und Ehrgefühl! Den Pfad, welchen
Dlivier ihr einst felber vorgezeichnet, wandelt fie, und
wenn er auch reuevoll und flehend zurücdwintt: „Kehr
um, Marie Luife! Es war ein Srrlicht, welches ich Ver⸗
blendeter dir zum Wegweiſer mitgegeben!” fo wird fie mit
bitterem Lächeln das Haupt fchütteln und antworten:
„Der Steg ift abgebrochen Hinter mir, wollt ich auch,
ich könnte nicht. Da gibt es feine Brücde mehr auf der
weiten Welt, die folche Kluft überfpannen könnte, als die
Liebe mit ihrem Regenbogen der Verföhnung; wo aber
fände fich Liebe unter guten Kameraden? Die halten
nur geduldig und freundjchaftlich nebeneinander aus!”
Und Freundſchaft will fie ihm treulich Halten, fo hat fie
e3 gefchworen. Mehr aber nie. Marie Luife hebt das
Haupt, ein erniter, faſt ſchmerzvoll düfterer Schatten troßt
auf ihrer Stimm.
Drunten im Portal rollt eine Equipage. Olivier. Ob
— 506 —
er wieder zu ihr herauffommen wird, oder ob er, ärgerlich)
über ihre Weigerung, den Kavalierball allein bejuchen
wird? Seit den lebten fünf Tagen war Nennderjcheidt
viel, fehr viel in den Zimmern feiner Gemahlin aus- und
eingegangen. Anfänglich heiter und guter Dinge; dann
ward er immer ernjter und einfilbiger, eine nervöſe Un-
ruhe charafterilierte all fein Tun und Handeln, und der
Blick, mit welchem er fie oft minutenlang ſchweigend be-
obachtete, brannte ſcharf und forjchend unter den dunfeln
Wimpern hervor.
Db er wieder Tommen wird? ..
Die Nähnadel vibriert in den Fingern der jungen
Frau, fie läßt die Hand unmillfürlich finfen und laufcht
auf feinen Schritt. Der Schatten weicht von ihrer Stirn,
höher und höher färben ſich die Wangen.
Auguftchen Spillife beginnt allmählich fich zu lang—
weilen. Sie hat lange genug darüber nachgedacht, warum
der Herr Baron gejtern abend fo gewaltig über fie ge—
lacht hatte. Im Eßſaal war eine lange Tafel gedeckt ge-
iwejen, genau fo wie in dem Hotel, wo Guftchens Vater
eine Zeitlang PBortier geweſen. Blumenjträuße, Schalen
vol Früchte und Naſchwerk, und auf jedem Teller eine
jehr ſchöne, bunte Karte, auf welcher etwas Gedrudtes
ſtand. An der Seite des gnädigen Herrn infpizierte
Sräulein Spillife die Tafel, und als Marie Luiſe eintrat
und den Haushofmeiſter fragte: „ES ift doch alles in
Ordnung?” da nidte Auguftchen jehr zufriedengeftellt und
entgegnete: „Is man alles uff'n Zifche, wo fich’3 jehört!
— 507 —
Och die Nechnung haben fe man jleich uff de Teller je-
legt!” Was man darüber nun zu lachen braucht?! ...
Die Tür in einem der Nebenſalons Flappt, jchnelle
Schritte nähern fich.
Ein Aufatmen hebt Marie Zuifes Bruft, fie weiß jelber
nicht, warum es fie plöglich wie eine glückliche Beruhigung
überfommt; fie neigt fich über das gelbweiße Leinen und
näht juit fo jchnell, wie das Herz Hopft.
„Der jnädige Herr, id höre ihm!!“ annonciert
Auguftchen, fpringt behende vom Stuhl und trabt an die
Seite der jungen Frau. „Du, rau Baronin, der Herr
kommt!“ wiederholt fie mit Theaterflüfterton, genau mit
dem Kleinen Ellenbogenjtog und den liftig zwinfernden
Äuglein, mie fie ſtets die „Schulgen” von der Ankunft des
Gatten benachrichtigt hatte, woraufhin Kümmelflafche und
Käfebrod in den Küchenjchranf gerettet wurden. Vielleicht
war das bier für den Net des lederen Puddings auch
ratſam; Auguſtchen ftand jchon auf dem Sprung, ihn vor
dem Appetit des Hausherren in den fernften Winkel der
Stube zu flüchten. Der Befehl dazu aber blieb aus...
und nun war’3 auch jchon zu fpät, denn die hohe Geſtalt
des Freiherrn ftand bereits auf der Schwelle und richtete
die umjchatteten Augen feit auf jeine Gemahlin, nachdem
er mit ſchnellem Blid das Boudoir überflogen.
„Suten Abend, Marie Luife, nimmft du noch Vifiten
an?’ —
Sie hatte fich erhoben und war ihm entgegengetreten.
„Viſiten? ... bringjt du Graf Gojed mit?” Sie hatte
— 508 —
ſich in lebter Zeit vor dem Alleinjein mit ihm gefürchtet,
darum lag wohl ein freudiger Klang in ihrer Stimme.
Er lachte fast herbe auf. „Nein ... rien que moi.
Es iſt eine traurige Tatfache, daß du mit mir allein
fürlieb nehmen mußt.’
Sie Hatte ihm die Hand gereicht, beforgt blickte fie
zu ihm auf. „Was ift zwischen euch vorgefallen, Dlivier?
Ihr waret die beiten und treueiten Freunde.”
„Wahrlich? war er mir ein treuer Freund ?”
Sie ſchlägt die Wimpern nicht nieder, fie blickt ihm
flar und unbefangen in das Auge. „Wie wunderlich du
fragft! Hätte er mir durch einen einzigen Hauch und
Laut beiwiejen, daß er nicht dein Freund ſei, wie hätte
er der meine bleiben können?“
Sein Antlitz ſinkt tiefer. „Wie kommſt du auf den
Gedanken, daß etwas zwiſchen uns vorgefallen ſei?“
„Früher war Goſeck täglich Gaſt bei uns, jetzt kommt
er gar nicht mehr.“
„Tatſächlich? Du überrraſchſt mich! Machte er dir
gar keinen Beſuch mehr?“
„Nein.“
„So haſt du ihn vielleicht beleidigt?“
„Das ſcheint nicht der Fall zu ſein, denn er ſendet
mir nach wie vor feinen Morgengruß. Sieh, dieſe köſt—
lichen Blumen“ — Marie Luiſe wies nach dem duftenden
Strauß auf ihrem Schreibtiſch — „haben die das Anſehen,
als ſei ihr Geber im Zorn von mir geſchieden?“
Mit haſtigem Griff faßte Nennderſcheidt die Blumen
— 509 —
und hob fie aus der Vaſe. „Abſcheulicher Geruch, wie
fann man Bovardiad in da3 Zimmer einer Dame ftellen!
2 re
x u 3 rn
RT
&
‚ Zr —
Alle Nachtſchatten ſind heimtückiſch und ... du willſt
dich doch nicht vom Grafen Goſeck in poetiſcher Form
vergiften laſſen? Dazu bedarf es erſt meiner Erlaubnis.“
— 510 —
Mit feſtem Schritt trat er zu dem Fenſter, öffnete es und
warf die Blüten hinaus. |
„Ra, da muß Doc) gleich eene olle Wand wadeln!
So'n feinet Sträußfen i8 zur beiten Jahreszeit in die
Markthallen feine Zweie-Fünfzig wert!” bemerkte Auguft-
chen vorwurfsvoll. „Unten trampeln ſe's höchſtens in’
Schnee.”
Nennderjcheidt wandte ſich frappiert zurück und fchien
die Einzige ſeines Portiers jebt erjt zu bemerfen. Er
lachte leife auf. „Ei jieh da, Auguftchen. Praktiſch und
vernünftig wie immer! Warum bift du denn noch nicht
in deinem Bettchen?“
„Beil mir noch feener rinjpediert hat, und alleene wer'
id mir doch vor ſo'n Verjnügen nich’ melden!“
„Schläfſt du denn nicht viel lieber hier in Deinen
ſchönen, weichen Kiffen, als wie bei dem ungezogenen
Edchen der Schulgen?”
Die Kleine legte mit altfluger Miene die Händchen
auf den Rüden, „Det ſchon. Die Range machte ewig
Nadau in den ollen Bettfaften und fragte und biß mir.
Die Schulen hatte jefagt, dat jedes von ung die Hälfte
von’3 Bette haben jollte, aber Edchen hat mir ejal je—
fnufft und verlangt, det er in die Mitte liegen wollte,
und id jollte meine Hälfte zu beiden Seiten von
ihm haben!“
Guſtchens Witze waren meiſt unfreiwilliger Natur,
auch jebt war fie überrajcht von der Wirkung ihrer
tragijchen Geſchichte. Selbft die gnädige Frau, die zuerft
— 511 —
böfe über die Blumen gemwejen war, fchaute von der Ar-
beit, welche fie jchweigend wieder ergriffen hatte, auf und
lachte gleich dem Herrn Baron.
„Du bift ein PBatentfrauenzimmerchen, Auguſte“, nidte
Dlivier plößlich in bejter Laune, die Hand auf den glatt-
gefämmten Kopf der Kleinen legend. „Mein Sorgen
brecher; welcher gleich einem Kasperle in die Komödie
des täglichen Lebens eingreift, wenn diefelbe zu erniten
Ton anfchlagen will.” Er trat durch die Nebenfalons
in das ‚Speijezimmer und fehrte nach wenigen Augen
bliden mit einer Schale Konfekt zurüd. „Dem Berdienft
jeine Krone! Komm Auguftchen, fei deinem Mäulchen
feine Stiefmutter!”
Marie Luiſe Hatte ſich im ftillen ſtets über die Art
und Weiſe gefreut, in welcher Dlivier mit der Kleinen
ſprach und verkehrte. Nichts iſt bezeichnender für den
Charakter eines Mannes, als jein Benehmen gegen Kinder
und Tiere.
„Nicht zu viel, Dlivier, fie wird krank!“
Er jtand dicht neben ihrem Stuhl, neigte fich zu ihr
nieder und jah bittend in ihr Auge.
„Sid fie zu Bett, Marie Zuife, man fann fein Wort
ungeniert ſprechen!“
Ihr Antlig war mild und freundlid) wie immer,
dennoch hob fie ihr Haupt ftolz, beinahe unnahbar, auf
dem fchlanfen Hals.
„Ich dächte, folche Vorficht fei unnötig. Wir haben
feine: Geheimniffe, und von Unterhaltungen, wie die
— 912 —
unfrigen, fann eine ganze Welt Zeuge fein. Früher war
dir nicht? peinlicher, al3 ein töte-A-töte mit mir, und jebt
iſt dir felbft die Heine Unjchuld eine zu läftige Gejell-
ſchaft! Früher langweiltelt du dich in einer Partie zu
zweien, — jebt tue ichs.“
Wohl fühlte er, daß fie ihn mit eigenen Waffen
ſchlug und ihm mit feiner Münze zurüdzahlte, dennoch
Ihüttelte er lächelnd den Kopf.
„Die Zeiten und der Geſchmack ändern fi, nicht
allein bei mir, fondern hoffentlich auch bei dir. Mag
der Trabant immerhin feinen Stern umfreifen, einmal
wendet er fich doch wohl fo, daß ein paar Lichtftrahlen
auch auf mich fallen. Avanti, Auguftchen, du ſetzeſt dich
hübſch artig hier an den Tiſch und nimmft ein Spielzeug
vor, dann darfit du noch ein Viertelftündchen aufbleiben!”
„Bat fol id denn fpielen? Wolf und Schäfcheng
mit die Bonbons hier?!”
„Nein!“ Marie Luife fchob die Schale etwas bei-
feite; „hol dein Buch und kleb die bunten Bildchen ein,
die ich Dir geitern mitgebracht habe!’
Gehorſamſt trollte Auguftchen in das Nebenzimmer,
aus ihrer Spielede das Genannte herbei zu holen. Es
dauerte nicht lange, fo ſaß fie voll fiebernden Eifers und
flebte die unglaublichiten Stillleben auf dem weißen
Papier zufammen. Plötzlich fchaute fie jählings auf und
brachte eine der bunten Oblaten den Lippen des Haug
herrn voll energijcher Nötigung fo nahe, wie es das kurze
Ärmchen geftatten wollte.
— 513 —
„Du... Herr Baron... lede mal an det Bild
bier! een Maifäwer is' et, den id hier neben den König
Napolium kleben will!”
„Fällt mir ja gar nicht ein! Led du doch gefälligſi
ſelber!“
„Ick kann ja nich!“
„Barum denn nicht? Du haſt es ja bis jetzt ſtets
getan?“
„Ja, ſiehſte ...“ und Auguſtchen ſchmatzte wohlig
auf, „ick eſſe man jrade ſo een' ſehr ſchönen Bonbon, da
tut mir meine Spucke leid!“
„Aber Auguſtchen! Auguſtchen!“
Nach kurzer Zeit kam Madame Verdan und *
die Kleine ab, ſie zu Bett zu bringen. Marie Luiſe
konnte es nicht mehr hinauszögern, dem Kind fielen Die
Augen zu.
Nennderſcheidt hatte fich einen gefchnißten Seffel neben
den Pla feiner jungen Frau gerollt. Ein paar Mugen
blide jah er zu, wie fie den Faden aus- und eingog,
ruhig und gleichmäßig; der Trauring am Finger glängte,
wenn fie das fteife Leinen glättete.
Plötzlich legte er feine Nechte auf ihre Hand und u
fie feit.
Sie zudte leicht zufammen und blidte jählings auf.
„Diefe Arbeit iſt häßlich, Marie Luije, warum fißeft du
nicht lieber vor dem Epinnrad? ch liebe es fo fehr.”
„Wann fahft du mid) jemals ſpinnen?“
Sein Antlig war fo ernft wie nie zuvor. „In einer
di.v. Cſchſtrutb IN.Nom. u. Nov. Hazard II. 38
— 514 —
Stunde, da der gute Engel, welcher mich verzagend in
wirren Stunden verlafjen hatte, zu mir zurückkehrte und
meine blinden Augen jehend machte.” Er ftrich mit der
Hand über die Stirn, dann fuhr er in verändertem
Tone fort: „Wie kommt es,
daß du auch eine Kunft verftehft,
welche in Diejer modernen Zeit
ſchon folange von den Damen zu
Grabe getragen iſt? Wüßten die
Frauen, wieviel Poe-
jie und wieviel ge—
heimnispollen Zauber
| holder Weiblichkeit fie
d mitdemSpinnradaug
ihrem Wir:
kungskreiſe
verbannt ha—
ben, ſo wäre
der Flachs ein
begehrter Ar—
tikel.“
Sie hatte die Hand zurückziehen wollen; im Lauſchen ver—
gaß fie es. „Daß ich in Herfabrumn Sitten übernommen
und Künfte erlernt habe, die unferen Urgroßmüttern lieb und
heilig waren, iſt wohl nicht zu verwundern; daß du aber
jemals Gelegenheit hatteft, ein Spinnrad zu jehen, das be=
rechtigt mich wohl zu einer gewifjen Verwunderung, und der
Frage: „Wie ſchaut dein junges Auge in unfre alte Zeit?!’
— 515 —
„Habe ich dir niemals von meiner Mutter gefchrieben ?”
fragte er verwundert.
Da wand fi) die fchlanfe Hand unter der feinen
hervor, als habe fie plößlich glühendes Eiſen berührt.
„Deine Briefe fehrieb Graf Gojed.”
Glühende Nöte ftieg in feine Stirn. „Waos ich ſchrift⸗
lich verfäumte, darf ich es nicht mündlich nachholen und
alle8 gut machen, was ich je in wahnwißiger Ber:
blendung, in Leichtfinn und Übermut fehlte? Sch habe
foviel, fo unendlich viel an dir abzubüßen, Marie Luife,
daß ich vor der Danaidenarbeit, jemals meine Schuld bei
dir abzutragen, hoffnungslos zurückweichen müßte, wenn
du ein Weib märeft, wie jene andere, um derentwillen
ih zu dem erbärmlichen Kerl ‚geworden bin, vor deſſen
Hand du zurücihredit, wie. vor der eines Geäch—
teten!’
Sie hob langjam den Kopf. „Wer jagt dir, daß
ic) dich noch in meiner Schuld wähne? Daß ich über:
haupt Neue und Buße verlange? Das Herzeleid, welches
du mir durch dein graufames Spiel mit meinem Lebens:
glück bereiteteft, habe ich dir lange vergeſſen und ver:
geben” — ein wehmütiges Lächeln zucte um ihre Xippen —
„und außerdem Haft du geflifientlich alles erfüllt, was
du mir gelobt Hattejt. Pracht und Neichtum, Ehre und
Stellung find mein eigen. geworden, treue Freunde um—
geben mich, und du felbft biſt rajtlos bemüht, mir das
Leben jo angenehm wie möglich zu geftalten. ch ver=
miffe und wünſche nicht? mehr, ich bin glücklich.“
| 33 *
—
— 516 —
„Undenkbar! Eines Weibes Leben ohne Liebe ift Fein
Reben!”
„Ich babe geliebt.” Groß und furchtbar ernft ruhte
ihr Blick auf feinem erbleichenden Antlib.
„Ben?!“
Da verichlang fie die Hände, und die dunfeln Wimpern
ſanken verjchleiernd über die Augen. „Jene edle, hoheits—
volle Traumgejtalt, welche das Ideal verförperte, das ich
mir in einfamen Stunden gefchaffen, welche all mein Sein
und Denfen zu eigen nahm, welche fromm und treu all
jene Worte in mein Herz gejchrieben, die zu meines
Lebens namenlofem Glück und qualvollitem Leid ges
worden |”
Er hatte fich langſam erhoben, feine Hand krampfte
fih vor der Bruft, wie ein Auflodern ging’3 durch fein
Auge.
„Goſeck! ... Du haft ihn geliebt, und du liebſt
ihn noch!” |
Sie ſchüttelte finfter da8 Haupt, auch fie ftand hoc):
aufgerichtet ihm gegenüber. „Aus der Afche fchlagen
feine neuen Flammen auf. Die Liebe, welche Goſeck mir
durch feine Briefe in das Herz gefenkt, ift befämpft und
überwunden. Wie die Somne nicht mit Wiffen und
Willen auf die Erde glüht, die roten Roſen aus der
Knoſpe zu zwingen, jo hat auch Goſeck nicht gejchrieben,
meine Seele für fich zu eigen zu nehmen, er fchrieb für
dich und auf deinen Wunſch. Daß mir der Irrtum
flar geworden, ift nicht feine Schuld. Der Sturm hat
— 517 —
uber ausgetobt, weder Liebe noch Haß find geblieben,
nur ein treuer, wahrhafter und edler Freund fteht mir
zur Seite. Derjelbe, welcher mich nicht verlafjen hat, da
die Hand, welche meinen Trauring trug, mich von ſich
jtieß, der einzige, welcher mir in all meinem Elend und
Herzeleid ein Troft und eine Stübe war, — Goſeck!“
Marie Luiſe atmete hoch auf. Wie ein wilder Taumel
war e3 über fie gekommen, welcher alles über die Lippen
drängte, wa3 je an Qual und Weh verborgen im Herzen
getragen war. Tiefe Schatten feuften fich in Oliviers
bleiches Antlitz. Er ſprach leife, mit Elanglojer Stimme:
„Ich habe jchwer gefehlt, ich weiß es. Sch habe
jelber die Steine auf meinen Weg geivorfen und verdiene
e3, daß fie fich jebt als Scheidewand zwifchen mich und
mein Glück bauen. Du fennjt nur den tollen Junker,
Marie Luiſe, nicht aber den, welcher mich dazu gemacht
bat. Du Reine, Makelloſe, ſiehſt mit klarem Auge die
Gegenſätze, welche Goſeck und ich verkörpern. Sch ſchuld—
beladen, belaftet durch die taufend Vergehen, mit welchen
jemals eine Weibes Herz gefoltert und gefränft wurde,
und Goſeck in der vollen Glorie eines Menschen, welcher
helfen, retten, ſchützen und tröften konnte, welcher ſtets
im Lichte ftand, feinen Schatten dejto dunkler auf mich
zu werfen. Verjchieden find wir beide wie Tag und
Nacht, und dennoch glaube mir, Marie Luiſe, der Schein
trügt!”
Nennderſcheidts Stimme ſchwoll an, fein Auge flammte
. auf und haftete mit feftem Blid auf ihrem Antlig. Die
— 518 —
Zukunft wird es vielleicht noch einmal lehren, ob der
Itruppige Pelz fich beifer bewährt wie das Lammfell, aus
welchem jchließlich Doch der Wolf hervorfchaut! Bis dahin
aber, Marie Luiſe, Dulde nich in deiner Nähe, laß mich
abbüßen und um Lohn und Liebe werben, wie ein Perſeus,
welcher erjt den Drachen feiner eigenen Schuld befämpfen
muß, ehe ihm eine Andromeda entgegenlächelt!
Er war neben fie getreten, er faßte ihre Hände und
wollte fie an jeine Bruft ziehen; voll leidenjchaftlicher Er:
regung riß ſie fich los von ihm.
„Niemals, Dlivier, niemals! Ein vergiftet Herz kann
nicht mehr lieben, ich glaube nicht mehr an dich! Ich
vertraue dir nicht mehr! Die Liebe, welche du unter
die Füße getreten haft, ift tot — auf immerdar.”
Sp fchneidet das Meſſer des Arztes fcharf und tief,
aber auch rettend und beilend in das Fleiſch eines
Kranken.
Sekundenlang rang Nennderſcheidt, Herr über ſich
ſelbſt zu werden. Dann löſten ſich die geframpften Hände
von der Stuhllehne, auf welche er ſich geſtützt hatte.
Entſtellt bis zur Unkenntlichkeit war ſein Antlitz.
„So willſt du dich von mir trennen?“ fragte er mit
heiſerer Stimme.
Sie zuckte zuſammen und neigte das Haupt. „Ich
will dir mein Leben lang das ſein, was du von mir
forderteſt und was ich dir gelobte, ein guter Kamerad!“
Er biß die Zähne zuſammen. „Sünder, welche ihre
Schuld einſehen, kaſteien ſich. Auch ich will den bittern
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— 520 —
Kelch, welchen ich) mir ſelbſt gereicht, bis zur Neige
leeren; es gibt eine Art Wahnfinn, welcher es als
Wolluſt empfindet, fich felber zu peinigen, welcher voll
troßiger Selbftverurteilung auch das zweite Auge aus
dem Kopfe reißt, wenn man das erite zur Strafe ge:
Blendet. Du ſollſt frei fein, Marie Luife, du follft glüclich
werden. Gehe mit dir felber zu Rat und teile mir deinen
Entſchluß mit, wenn du von mir feheiden willft. Magſt
mich hinausfchiden in die Welt, wenn du diejes Haus
ſo lange als Heimat bedarfit, bis ... bis er... bis
Goſeck“ — — Er unterbrach ſich, wie ein Aufftöhnen
rang es ſich aus feiner Bruft, dann trat er einen Schritt
näher und reichte ihr die Hand: „Überftürze dich nicht,
aber quäle mich auch nicht allzu lange, Marie Luife!
Laß es in drei Tagen entjchieden fein... und big dahin
follen fremde Augen nicht in unfere Herzen ſchauen! Big
dahin fei noch mein!“
Sie ſah ihn nicht an, kalt und bebend lag ihre Hand
in der feinen. Er umſchloß fie mit fat ſchmerzendem
Drud, dann trat er über die Schwelle.
= MWie eine Träumende ftarrte fie vor ſich Hin in das
Reere, dann fchlug fie die Hände vor das Antlig und
wankte in ihr Schlafgemach; eine Marmorftatue fteht
dort, Chriftus, der Tröfter, welche die Arne öffnet:
„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühfelig und beladen
ſeid!“ ee — —
— —
XXIV.
„Das Wort der Fran, — es bleibt dabei!“
Heyden.
„Als ich mit mei'm Schatz in die Kirche wollt' gehn,
Viel falſche, falſche Zungen unter der Türe ſtehn,
Die eine redt dies und die andere das,
Das macht mir gar oftmals die Äuglein naß!
Die Dornen und Difteln, die ſtechen all' ſehr,
Die falfchen, falihen Zungen aber noch viel mehr!”
Altes Volkslied.
— Jer Karnevalszug der Künſtler bewegt ſich wie
wg eine buntglißernde Schlange durch die Straßen
der Nefidenz. Man will verjuchen, ſüddeutſches
Faſchingsleben in die Straßen der nordijchen Großjtadt
zu verpflanzen. Teilweiſe gelingt es, oft aber artet es
auch in wüſten Tumult aus, oder das fühle Blut fträubt
fich, ehrbare Sitte zu brechen und von der Narrenfreiheit
Gebrauch zu machen. In den Räumen des Miniftertums
hat fich ein Zeil der Hofgefellichaft verfammelt. Fräulein
von Speyern lehnt allein an einem Barterrefenfter und
ichaut fo forjchend auf die Straße hinab, als erwarte fie
jemand. Plötzlich weicht fie zurüd und hat die Em:
pfindung, als ob fie errötet wäre. Das ärgert fie. Eine
Hofequipage rollt herzu, Prinz Maximilian und Hoven—
— 522 —
klingen muſtern die Hausfront und treten haſtig ein. Im
Nebenſaal laute Begrüßung, dann ſchwirren die Stimmen
näher.
„Servus, mein gnädiges Fräulein. Brillant, daß noch
ein Platz hier am Fenſter frei iſt: Sie geſtatten, daß ich
Ihrem Marmorbild die nötige Folie gebe?“
Friſch, mit außergewöhnlich gerötetem Antlitz, die
Zigarette noch zwiſchen den Zähnen, lacht Hovenklingen
ſeine ſtolze Fregatte an.
Fides zieht die Augenbrauen zuſammen und blickt
ſcharf auf die Zigarette. „Ich habe dieſes Fenſter für
Nennderſcheidts reſerviert.“ |
„Bis dieſelben fommen, fanıı ich alfo bleiben!”
Statt aller Antwort treibt fie mit ihrem feinen Spitzen⸗
tu) das Rauchwölkchen zurüd.
Er blinzelt fie verfchmigt an. „Meine Zigarette
geniert Sie? Bedaure; in Ihrer Gegenwart, mein
gnädiges Fräulein, muß ich rauchen!”
„Ad . . .. Sie überrafchen mich. Darf ich fragen
weshalb?”
„Beil um Engelsföpfchen Wolfen gehören! Hübjch
gejagt, was?“
Sie lacht unmillfürlich leiſe unb melodiſch auf
„Es gibt auch böje Engel.”
„Sie meinen, die auf mich böfe find?”
„Auch ſolche.“
Er wirft die bläulich Fräufelnde Türfin durch das
Fenſter und fieht Fides plöglich mit ernſtem Blick in die
— 523 —
Augen. „Hand aufs Herz, Fräulein von Speyern, ver—
diene ich eg? Warum haben Sie mir noch nie ein freund:
liches Wort gegönnt? Ich war mein ganzes Leben über
jo arm an Güte und Frauenhuld, bin ftet3 ein Stieffind
der Zärtlichkeit geiwejen und möchte doch gar zu gern ein
einziges Mal eine freundliche Erinnerung mit hinaus in
die Einſamkeit des Weltmeeres nehmen!”
„Ste find ungerecht, alle Herzen fliegen Ihnen zu!”
„Solche, die ich nicht begehre. Und das ift mein
Schickſal von Jugend auf.”
Sie hat fich halb zur Seite gewandt, die leife Wehmut
in feiner Stimme trifft fie bis in das Herz.
„Sie baber mir nie aus Ihrer Jugend erzählt!”
lagt fie, „aber id, weiß, daß Sie früh verwaiſt waren !”
Er nickte langſam vor ſich hin. „Sch war ein armer
Bub, überall im Wege, keinem Tieb. Onkel York fennen
Sie; wenn Sie jemal3 von jeiner verjtorbenen Frau ges
hört haben, werden Sie begreifen, daß ich nicht auf Roſen
gebettet war, al3 ich auf dem Gut dieſes Paares erzogen
wurde. Ich bin immer ein ftrammer Bengel gewefen und
hatte einen fo normalen Appetit, daß den jparjamen
Pflegeeltern die Haare zu Berge ſtanden. Sah ſtets
verdammt flau aus mit den Portionen, und vollends im
Winter habe ich mir manch liebes Mal einen Stuhl auf
den knurrenden Magen gelegt, um einfchlafen zu können!“
„Und feine mitleidige Seele fand fich, die Ihnen zu
Hilfe kam?“ Tächelte Fides.
Da lachte er in feiner vergnügten Weiſe ebenfalls.
— 5214 —
„O ja, das Gefinde hatte den Kleinen, Hungernden
Junker gar fehr ins Herz gejchloffen! Wenn es im Hofe
zum Eſſen Elingelte, jo jchlich ich mich in die Gefindefüche,
und dann machte ich die fchönften blauen Augen, die ich
auf Zager hatte, und wandte mich an das gefühlvolle
Geſchlecht und ſprach: „Wer mi a Klösli gibt, der darf
mi a duße!” Das war nämlich damals die einzige Aus—
zeichnung, welche ich zu vergeben Hatte!’
Fräulein von Speyern hatte ſich dem Sprecher längft
zugewandt und blidte ihn fo freundlich und herzlich an
wie nie zuvor, und über die „Klösli“ amüfierte fie fich
außerordentlich und blidte erjt wieder auf die Straße
hinaus, al3 der jchlaue Leutnant auch jeßt wieder feine
Ichönften blauen Augen machte, welche er auf Zager hatte.
Aber horch? was war dus? ... Durch all das
Yubeln und Lärmen der vorüberwogenden, erwartungs—
vollen Menge Elingt helles Pfeifen. Ein Straßenjunge
Ichlendert vorüber, die Hände in den Hofentafchen, und
leiftet ſich im Polkatakt eine jehr jchöne Melodie. An dem
Trottoir jteht ein Schlanker Jüngling mit großem Künftler-
hut und hält den Jungen fcharf im Auge. Fides beugt
fi) vor und ftarrt dem Kleinen ſprachlos nad).
„Infamer Bengel! Muß fo ein neuer Gafjenhauer
fein, den er pfeift, man hört ihn jegt überall big zur Er—
ſchlaffung!“ Und Hovenklingen zieht das Tafchentuch und
täubt gelafjen das Fenſterbrett ab. „In Haffelforft
finden die großen Saujagden Statt, ich werde Hoheit
morgen früh auf zwei Tage dorthin begleiten — —“
— 525 —
Fides hört ‚garnicht auf ihn. Dort kommt fehon
wieder ein Junge und pfeift... nein... unmöglich...
es flingt nur fo ähnlich wie ihr jchönftes und Tiebites
Lied... wie ihre Kompofition ... und dennoch Ton
für Ton —
Glühende Nöte fteigt in ihr Antlitz. Träumt fie?
Eriftiert Diefes Lied bereit3 ... hat ein Zufall fein Spiel
mit ihr getrieben... . Undenfbarl ... Ah... und
dort kommen wieder zwei —
„Bas pfeifen denn die Lümmels nur! Nennen Sie
die Muſik, gnädiges Fräulein?“ Adalbert Augen blißen
vor Übermut und Spaß.
Fides ftüßt fich fchiver auf das Fenſterbrett und neigt
fich atemlo8 vor. — Su... . jene beiden fingen! Gie
wird Worte verjtehen . . . näher und näher fommen
fie... . jegt Hört fie deutlich ... alle guten Geifter —
ihr Liedl!
„Heda, Jungens!“ ruft Hovenflingen, und die Kleinen
Kerle ſteuern wie eingedrillt nach dem Parterrefeniter und
itellen fich davor auf.
„Was fingt ihr denn da?”
„Ein neues Lied, gnädiger Herr, ‚Servonnen!‘ heißt’3.”
„Ah!“ Ba
„Don wem ift e3 denn fomponiert?“
Die Jungens grinjen verlegen. „Bon Fräulein von
Speyern!“
„Danke ſchön, 's iſt gut.“
Fides ringt nach Atem, ſie iſt ſprachlos, faſſungslos;
da dringt helles
Lachen an ihr Ohr.
Prinz Maximilian
jteht hinterihr und
legt grüßend Die
Hand an die
Mübe: „Gewon=
nen! Gnädigſte!
Kun Streichen Sie
die Segel, ftolze
Fregatte, und ſalu—
tieren Sie dem
glücklichſten Sterb—
lichen, deſſen
Namen künftighin
über Ihrer Lieder—
ſammlung pran—
gen wird!“
Fräulein von
Speyerr iſt heiß
erglüht. Dann
ſtimmt ſie, wie tief
aufatmend, in das
Lachen ein und
reicht Hovenklin—
gen herzlich die
Hand. „Das Wort
der Frau: es bleibt
— 527 —
Dabei! Neidlofen Glückwunſch zu Ihrem Sieg, Herr von
Hovenklingen! Vorläufig ift es mir noch ein Rätſel, aber
wie es fich auch löſen möge, e8 wird von jeder vernünf-
tigen rau freudig anerkannt werden, wenn im luftigen
Kriege der Stärfere recht behält!”
Als Hovenklingen fich ftrahlenden Blickes auf die
Schlanke Nechte niederneigte, fie zu küſſen, deuchte es ihm,
als erbebe fie unter feinen Lippen. — — — — — —
Neue Herrjchaften traten ein und begrüßten Fides.
Marimilian trat dicht neben feinen Adjutanten.
„Ra, Hovenklingen? toblocks?”
„Schon mehr vermoort, Hoheit, ich liege mit zwei
Anfern vor meiner Fregatte.“
„Kurz Ipliffen laffen vor Altar und Standesamt?”
„Am Tiebiten mit 14 Knoten Fahrt!“
„Sratuliere.”
Fräulein von Gironvale balancierte jehr grazidg näher.
Sie hatte eine blaurot gefrorene Naſe und fah in der
vieredigen Polenmütze höchſt unvorteilhaft aus.
„Herr don Hovenklingen! Der Zug fommt! Man
hört Schon Muſik! Laſſen Ste mich fchnell hier an das
Fenſter!“
„Seien Sie doch nicht ſo neugierig!“
„Neugierig?“ Esperance ſchüttelte halb vorwurfsvoll,
halb ſentimental den Kopf. „Ich will eine neue Blüte
in den Kranz meiner Erinnerung flechten! Sie ſpielen
ſich heute wieder auf den Barbar auf, oder”... fie trat
dicht neben ihn und fchmachtete zu ihm auf, „oder follten
— 528 —
Sie nur fofettieren wollen und es viel beſſer noch wie
ich willen, daß es das einzig wahre ijt, die Blüten zu
pflüden, wie und wo man fie findet? Es gibt Rojen,
welche ſich dornenlos darbieten ... fich gern pflüden
laſſen . .. man muß nur Courage haben! Die Zurmft
it eine Seifenblaje, aber da8 Bemwußtjein, genojjen zu
haben, immer ein Glüd —“
„Sott bewahre, nicht immer!”
„Zum Beijpiel?”
Hovenflingen jah furchtbar nüchtern und troden zu
ihr nieder. „Wenn einer ſeekrank ift, dann wird alles,
was er zuvor genofjen hat, ein Fluch für ihn!“
„Fi done!“ Scharf und zijchend klang's, und Die
fleine Franzöſin ſchwenkte brüsf auf den Haden um. Nach
wenigen Minuten aber jtand fie fchon wieder an feiner
Seite, al3 er mit Fräulein Södermann an der Nebentür
plauderte. Das Geſpräch drehte fich um die baldige Ab-
reife des Prinzen und feine® Adjutanten. Esperance
wurde fentimental und malte in lyriſchen Gleichnijfen die
Dual eines jehnjuchtsfranten Herzens aus. Hovenklingen
hörte ſchweigend zu und zog ganz wunderliche Grimajjen,
juft, als wolle er feine Rührung mit Gemalt nieder:
fümpfen. Fräulein von Gironvale beobachtete ihn mit
atemlofen Sntereffe und fuhr graufam fort: „Die Welt
iſt kalt und öde ohne den Geliebten, der Himmel regnet
nicht, nein, er löſt fih auf in unermeßlichen Tränen
Itrömen, die Sonne hat aufgehört zu fcheinen —“
„Kein, um Gottes willen nicht!” fuhr Adalbert ganz
— 529 —
nervös empor. „Wo ift die Sonne, ich muß die Sonne
jehen! und er wandte fich und jtürmte nach dem Fenſter.
Esperance umframpfte den Arm Anny Södermanns.
„Sehen Sie? Ich habe es erziwungen! Er iſt doch
eine poeriiche Natur, jetzt kommt fie zutage!”
Mit beiden Händen jtüßt fich der Leutnant zur See
auf das Fenſterbrett, dag Antlitz jehnjuchtsvoll zum
Himmel gehoben, und wieder arbeitet es in feinen Zügen,
und plöglich erklingt es kraftvoll mächtig: „Habjchieh!
habſchieh!“ Und drunten auf der Straße johlen ein
paar Stimmen: „Zur Jeſundheit, Männeken!!“
Fräulein E3perance aber überfam es bei dem jchallenden
Gelächter ringsum wie ein Schlaganfall .
Fürftin Tautenſtein hatte heute viel zu flüftern, in
die Ohren zu raunen und geheimnispoll die Achjeln zu
zuden. Die Damen jtanden dicht gedrängt um fie ber.
Man rief nad) Fräulein von Gironvale . . . nach Herrn
von Diersdorff und Prinz Hohned. Leider, leider das:
jelbe beitätigende Kopfniden! Das dumpf geheimnisvolle:
„Ein Skandal. . . unmöglich in unferer Gejellichaft !“
und dazu ſchlug man höchlichſt alteriert die Hände zu—
ſammen, und die Augen aller Mütter mit heiratsfähigen
Töchtern fchillerten vor Luſt und Schadenjreude über
diejen Eflat!
„Weiß es die Speyern ſchon?“
„Rein! wo iſt fie? Nirgends zu finden. Seltfam,
aus welchem Grunde mag fie gegangen fein? Vielleicht
oben in den Sälen? Der Prinz und De ſind
N. v. Eſchſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Hazard I.
— 50 —
auch Hinaufgegangen! Auch dort nicht. ‚Laissez la courir!‘
würde petit Riquet jagen! Sie wird e3 zeitig genug er-
fahren!”
„Nennderſcheidts kommen!’ Allgemeine Aufregung.
Frau von Södermann faßte ihre Tochter Anny mit
eifernem Griff am Arm und warf ihr einen ftrengen Blick
zu. Dem jungen Mädchen ftanden die Tränen in den
Augen.
Marie Luife trat am Arm ihres Mannes ein. Gie
war ſchwarz gekleidet und fah noch zarter und bleicher
aus wie fonft. Ein müdes, unendlich Tiebes und weh—
mütiges Lächeln lag um ihre Tippen. Graf Gofed folgte.
Er Hatte zufällig am Portal geftanden und fich dem
jungen Paare angefchloffen. Ein Flüftern und Raunen,
ein Kopfbeivegen und Aufhüfteln ging durch die Geſell—
ſchaft.
Ein überraſchter, ſich mehr und mehr verfinſternder
Blick Oliviers ſtreifte über ſie hin. Er gab den Arm
ſeiner Frau nicht frei, er trat an ihrer Seite vor die
Oberhofmarſchallin, mit etlichen ausgewählt höflichen
Worten ſein Nichterſcheinen bei ihrem letzten Feſt zu ent:
ſchuldigen.
Marie Luiſe ſchrak leicht zuſammen. Das war der—
ſelbe entſetzliche, unvergeßliche Ausdruck in dem fetten
Geſicht, der damals im Opernhaus ihr Blut faſt erſtarren
machte. Ein Blick von oben bis unten, ein ſehr kühles:
„Fatalitäten, Herr von Nennderſcheidt! ... Man muß
fie zu verjchmerzen juchen!” Und Exzellenz wandte dein
— 5 —
Majoratsheren von Noggerswyl und feiner Gattin jehr
ojtenjibel den Aüden. Und wohin ſich das junge Paar
grüßend wandte, überall dasſelbe, kaum merfliche Neigen
der Naſenſpitze, das jcharfe Mujtern durch halb zuſammen—
gefniffene Augen, das jchroffe Abwenden und völlige
Ignorieren. Gojed folgte Schritt für Schritt. Ein
eigentümliches, fait triumphierendes Lächeln fpielte um
feinen Mund und ſenkte Xleine Fältchen in die Augen—
34*
— 532 —
winfel. Erfah niemand an. eine Wimpern fielen wie
tiefe Schatten auf die farblofen Wangen.
In Dliviers Wangen und Stirn aber ftieg e8 immer
röter und drohender empor. Er fühlte die Kleine Hand
auf feinem Arm zittern, feiter und ficherer jchloß er fie
an fih. Draußen hallte es „jü närro!“ Die Muſik
jchmetterte, und Prinz Karneval warf von prunfvollem
Thronmwagen feine Roſen unter die johlende Menge.
Zwei junge Offiziersfrauen, welche jonjt die Liebens—
wiürdigfeit jelber gegen Marie Luiſe gewejen, traten voll
auffälliger Haft von dem Fenſter hinweg, zu welchen
Nennderſcheidt jeine Gemahlin führte. Nur Gofed folgte
wie ein Schatten, und lehnte fich neben der Baronin an
die offene Scheibe.
Ein Zittern und Beben ging durd) die jchlanfe Geſtalt
der jungen Frau. Der Lärm gellte ihr betäubend in
die Ohren, und ihr Herz jchien till zu Itehen in der Qual
und dem Gefühl diejes plößlichen Geächtetjeins.
„Bas ift paffiert, Gojed? Was joll dies mehr wie
empörende und beleidigende Benehmen der Gejellichaft?”
Der Graf zudte die Achjeln. „Klatſchereien. Entweder
räuchert man böfe Zungen mit Pulver und Blei, oder man
ignoriert fie.” |
Zum erjtenmal richtete Marie Luije die Augen auf
ihren Gatten. Tränen glänzten an den Dunkeln Wimpern.
„Sch ahne es, Dlivier ... eine Unvorfichtigfeit. . . eine
Rückſichtsloſigkeit von mir... .”
Goſeck zudte empor. ‚Sie haben der Hofdame der
5
alten Prinzeſſin Ihren Entſchluß mitgeteilt, Fünftighin die
Wohltätigkeitsverfammlungen nicht mehr bejuchen zu wollen!
Das war allerdings etwas kühn, aber durchaus fein
Berbrechen, und hat in der Gejellichaft der Yebensluftigen
eher Anlaß zu Beifallslachen, als zu Ärgernis gegeben —“
„Selbitredend !”’ nickte Olivier überzeugt.
„Was die Leute fo gewaltig choftert hat, muß efla=
tanterer Art fein. Wer jagt Ihnen, daß man Front
gegen Sie macht? Dlivier hat die Cour gemacht und
iit fahnenflüchtig geivorden, warten Sie e3 aljo erit ab,
woher der Wind bläft.” Er neigte fich jehr vertraulich
näher, und warf Marie Luife einen Blid zu ‘wie einer,
der heimlich mit jemand im Einverftändnis iſt. „Was
e3 aber auch fei, unbejorgt, gnädigjte Frau! Ich ftehe
an Ihrer Seite und halte den Schild! Kein giftiger Pfeil
ſoll fie treffen.”
Mit jprühendem Blid hob Dlivier das Haupt. Er
wollte die Lippen zu heftiger Entgegnung öffnen, und biß
jchiveigend die Zähne zujammen unter dem falten, iro—
nijchen Blid, welcher ihn aus den grauen Augen Eu—
ſtachs traf.
„Ich komme ſoeben aus der Kirche”, fuhr der Graf,
nur zu feiner Nachbarin fprechend, fort, „es ift mir ein
Lebensbedürfnis geworden, Orgelflang zu hören, zu beten
und zu beihten. Wie ein unauslöfchlicher Durft iſt's
über mich gefommen, ich lechze nach dem Duell der Gnade
der Wahrheit und des Lichtes. Sie haben mich auf den
Ihmalen Weg gewielen, und nun ift mir zumute, als
— 534 —
müjje ich ohne Ruhe und Raſt vorwärts ftürmen, alles
nachzuholen, was ich big jebt verfäumte . . .”
Dlivier wandte ſich jählingg ab. Der widerlich
jalbungsvolle Ton, welchen fich Goſeck feit kurzer Zeit
angewöhnt, war ihm unerträglid. Er ſah, daß auch
Marie Luiſe erftaunt zu dem Sprecher aufjah. Nein, fie
war gewiß nur die allerunfchuldigjte Urfache von dem
religiöfen Rappel, welcher ihn plößlich erfaßt hatte. Einen
Augenblid hörte er noch mit zufammengezogenen Augen
brauen zu, wie Gojed unter gellender Narrenmuſik, oft
unterbrochen durch das wüſte Beifallsgefchrei der Menge,
welches die einzelnen Gruppen des Zuges begrüßte, einen
Vortrag über die Beichte und Abfolution hielt. Und
er verjchränfte mit ironiſchem Lächeln die Arme und
dachte: „Er mag recht haben! Es muß eine angenehme
Buverficht beim Sündigen geben, wenn man weiß, daß
ein paar Silberlinge und wundgerutſchte Knie Die
Seele wieder weiß wie Echnee wajchen fünnen! ‚Du
follft nicht begehren deines Nächiten Weib“ Bah, Graf
Goſeck jtrecdt beide Hände nach ihr aus, und kauft fich
einen Ablaßzettel!“
Nennderſcheidt jchüttelte mit herbem Lächeln die feucht-
geivordenen Haare auf der Stim. „Wohl dem, welcher
mit Gold und Fleifchwunden abbüßen kann!“ Er, der
Proteftant, dem Das goldene Tor der Abfolution ver:
ichloffen bleibt, er hat lange, qualvolle Nächte hindurch
auf der Folter gelegen, er hat feine Seele zermartert und
in wilden Kampfe mit den böjen Mächten der Vergangen-
— 535 —
heit gerungen. Neue und Gewiſſensbiſſe find wie zweis
jchneidige Schwerter durch fein Hirn gefahren, Liebe und
Eiferjucht haben fein Herzblut tropfenmweife verzehrt, und
was er je im Leben gefehlt und gefündigt hat, das wird
zu riefenhaften unbarmherzigen Geijtern, die fein Ablaß-
zettel zurüdichreden fan. Die fommen und fchüren felber
die Flammen, welche da3 Gold feiner Seele von dei
Schlafen reinigen follen. Graf Gofed3 Geldbeutel ift
jchnell wieder gefüllt, feine gebettrocdenen Lippen fchnell
befeuchtet, feine Knie bald geheilt, Nennderjcheidt aber
trägt die Spuren feines Sühnekampfes lebenslang als
Ehrenzeichen auf der Stirn, tiefe Furchen, Falten, welche
ein paar furze Nächte gegraben. Der Zug ift vorüber.
Dlivier tritt haftig unter die Gejellichaft und begrüßt ſehr
oftenfibel Fürſtin Tautenftein. Sie reicht ihm fehr freund:
ih die kleine Hand, wie Mitleid zieht ſich's durch ihr
Lächeln. Auch die anderen Damen und Herren fünnen
es ihm gar nicht ausdrudspoll genug zeigen, daß man
gegen ihn nicht im mindelten eingenommen tft, daß man
ihm fehr wohl will. „Armer Mannl-. . . fcheint ganz
ahnungslos! ... Er iſt fehr zu bedauern!” ſchlägt's ihm
oft in heimlichem Ylüfterton aus den Nebenunterhaltungen
an das Ohr.
So aufgeregt er zuvor war, fo zuverfichtlich ſtolz und
ruhig wird er jet. Er fchreitet zu Marie Luiſe zurüd,
bietet ihr den Arm und führt fie nach dem Wagen.
Aller Köpfe wenden fich ab, da fie vorbeifchreitet. Goſeck
füßt ihr die Hand. „Rufen Sie mich, wenn Sie Schuß
— 536 —
und Beiftand brauchen!” flüftert er ihr zu. Dann geht
er direkten Wegs wieder nad) dem Dom.
Schweigend lehnt die junge Frau in den Polſtern
der Equipage. Sie ift jehr bleich, aber nicht mehr angjt=
voll erregt wie zuvor. Ernte Klarheit leuchtet von ihrer
Stirn und in dem Blick, welcher fich finnend zum Himmel
hebt, fladert e3 nicht wie ein böfes Gewiſſen. Auch Dli-
vier jchweigt. Bor dem Gebäude des Adelsklubs ruft er Den
Kutſcher an. „Entſchuldige mich, Marie Luiſe, ich möchte
jehen, ob Rittmeister von Bergen bier zu treffen iſt.“
„Du willit ihn um Auskunft bitten?”
Er lächelt. „Pfläumchen ift ein braver Kerl und
mein Freund. ngftige dich nicht, ich werde dem infamen
Klatich bald auf die Spur fommen, madame la Reine-
Claude wird ung den Schlüffel dazu liefern. Behüt's
Gott!“ Und er nidt ihr faſt heiter zu und fpringt aus
dem Wagen.
Der Rittmeister iſt nicht im Klub. Er ift gejtürzt
und liegt an einer Musfelzerrung zu Bett. Nennder—
icheidt eilt nach feiner Wohnung. Über eine Stunde fitt
er am Lager des jovialen, liebenswürdigen Kameraden
in langer ernfter Unterredung. Bergen ift noch völlig
ahnungslos. Aber er wird es ficher erfahren, was da
im Spiele ift! Seine Frau weiß alles und länger wie
zwei Stunden behält fie fein Geheimnis auf der Seele.
„Ich ſchreibe Ihnen, lieber Baron, noch heute abend er-
halten Sie des Rätſels Löfung. Gott verhüte, daß Ihre
Vermutung fich bejtätigen möge!”
— 597 —
Es ijt Abend. Marie Luiſe hatte ein gutes Ge—
wiſſen, dennoch jchüttelte es fie wie Fieberfroſt und
treibt ihr falte Tropfen auf die Stirn. Was hat fie
getan, daß fich alle von ihr wenden, wie bon einer Ge—
ächteten? Alle? Nein, er, den fie geſtern kalt und ftolz
von fich geftoßen, er hat ihre Hand nur nod) fefter ge—
halten und hat ihr zugelächelt mit der ftolzen Zuverficht:
„Es muß ein Srrtum fein, welcher fein Spiel mit dir
treibt!’ |
Wo bleibt er? Es ift ſchon ſpät. Um diefe Stunde
trat er gejtern und all die vorhergehenden Tage bet ihr
ein. Hat jenes unbekannte, entjeßliche Geſpenſt, welches
ihr Verderben gejchworen, auch ihn erreicht? Hat es jein
Sift auch in Oliviers Herz gegoffen? Wendet auch er
fih von ihr, verachtend, Falt und erbarmungslos, wie
die Menfchen, welche fie in Acht und Bann getan? AI-
mächtiger Gott, nur das nicht! Alles will ich ertragen,
alles leiden und dulden, nur er foll nichts Schlechtes von
ihr denken, nur er fol fie nicht von fich ftoßen, um
fremder Zungen willen. Sie hat nicht mit Bewußtſein
gefehlt, fie hat getan, was er ihr einst felber befohlen
hat, dag, was ihr aut erjchien, gleichviel, ob e8 die Welt
befritteln wird. Abermals Holt die Uhr zum Schlage
aus. Und drunten in feinem Zimmer werden Türen ge:
worfen. Der Diener, welcher wenige Minuten jpäter
eintritt, um nach dem Kaminfeuer zu fehen, antwortet auf
ihre Frage, daß der Herr Baron bereits feit einer Stunde
zu Haufe jei.
— 598 —
Marie Luije verfchlingt die zitternden Hände und
preßt fie gegen das Herz. Es droht zu zerfpringen in
der qualvollen Aufregung dieſes vergeblichen Warten3.
Sit fie denn Diefelbe noch, welche vor faum vierundzwanzig
Stunden an dieſer felben Stelle geitanden und voll ftolzer
Leidenschaft ihre Hand aus der feinen geriffen hat. „Die
Liebe, welche du unter die Füße getreten Haft, ift tot! —?“
— Nein, fie iſt nicht mehr diejelbe, fie fühlt's mit jeder
Minute, die verftreicht, ohne daß er erfcheint, fie fühlt's
an ihrem wehen, gepeinigten Herzen, daß es nur einen
auf der Welt gibt, zu welchem fie fi) Hinflüchten möchte:
Dlivier. Und in jäh aufquellendem Gefühl tritt fie vor
fein Bild, legt die gefalteten Hände dagegen und flüftert:
„Ich habe nur dich auf der Welt, verlaß mich nicht!“
Die Portiere bewegt fich, leichte Schrittchen huſchen
in das Nebenzimmer und verflingen bald auf dem Korridor.
Drunten an dem Zimmer des reiherrn Elopft es an.
Als feine Antwort erfolgt, hebt fich Augufichen auf die
Fußſpitzen und Öffnet. Nennderjcheidt iſt mit erregten
Schritten im Zimmer auf und nieder gegangen; er bleibt
ftehen und wendet fich der Kleinen zu. Er jieht anders
aus wie fonft, fo bleich wie das Tafchentuch, mit welchem
er über die Stirn ftreicht, aber nicht böfe.
„Du kommſt zu mir, Augujtchen?” fragt er haftig,
‚Shit dich die gnädige Frau?‘
„ee, ic komme von alleene, um Ihnen zu fragen,
warum Cie heute jar nicht ruff fommen bei und? Die
jnädige Baronin hat ooch Sehnfucht!”
— 539 —
„Sagt fies?” Sein Blid trifft in atemlofen Zaufchen
die Lippen des Kindes.
‚ee, aber je weent man fo doll.”
Er beißt die Zähne zujammen und dedt einen Augen:
blid die Hand über die Augen. „Sch kann jetzt nicht
fommen, Auguftchen, ich habe feine Zeit, aber morgen...
jo Gott es mill!”
„Herr Baron, der Wagen ift porgefahren I”
„ut, ich komme.“ Olivier wendet fich zerftreut ab
und tritt in das Nebenzimmer, Pelz und Hut zu nehmen.
Auguftchen ſchaut fich neugierig um. Droben weint die
arme, gnädige Frau, iſt denn gar nichts Schönes hier,
wa3 man ihr zur Freude mitbringen könnte? Ah, da
liegt ein Brief auf dem Tiſch! ... Und wie hat fie ſich
neulich gefreut, al3 der Franz einen Brief auf filbernem
Tablett hereinbrachte; über diefen freut fie fich gewiß ganz
ebenſo. Schnell hat Auguftchen den Kleinen Arm aus
geitrect, den Brief erfaßt und die Tür erreicht. Sehr zu=
frieden mit ſich und der Welt Hettert fie die Treppe
wieder hinauf. „seht jol mir Jott 'nen Dahler ſchenken,
wenn det nilcht nützt!“
Dlivier durchichreitet das Zimmer und blidt fich noch
einmal zerjtreut um. Wo ift der Brief Bergen? ... er
fühlt gegen die Brufttafche. Sa, es kniſtert drin! Er hat
ihn wohl jchon eingejtedt. Cr fpringt haſtig in den
Wagen. „Zu der Wohnung des Grafen Gojed!”
Marie Luiſe ſteht unter der hellen Lampe und hält
mit zitternden Händen den Brief, welchen Auguftchen ihr
— 540 —
mit den Worten „vom Herrin Baron’ triumphierend über
reicht hat. Bor ihren Augen wallt’3 wie Nebel.
„Mein verehr:
tejter Herr von Nenn
derjcheidt, lieber
Freund!“ lieſt fie.
„In aller Eile nur
folgende Notiz, Ihre
Vermutung warleider
Gottes die richtige.
Fama hat ausge—
ſprengt, Ihre Frau
Gemahlin ſtehe zu be—
ſagtem Herrn — no—
mina sunt odiosa!
— in ſehr intimem
Berhältnis. Augen
zeugen, drei Berjonen
der Gejellichaft, be=
ſchwören es, ein etwas
fandalöjes Nendez-
vous mit eigenen
Augen beobachtet zu
haben. Ich bin über:
zeugt, daß alles auf
einemMißverſtändnis
beruht. Falls aber ein Duell unvermeidlich wird, ſo
bin ich ſelbſtverſtändlich bereit, mein beſter Nennderſcheidt,
— 541 —
hr Sefundant zu fein. Sch laffe mich per Wugen beför-
dern. Vorläufig bin ich jedoch der feften Hoffnung —“
Ein dumpfer Klagelaut. Marie Luife taumelte zurüd
und bricht bewußtlos zujammen.
Wie die Stunden ſchleichen! Die Nacht ift dunfel und
ftürmifch, und Marie Luife preßt das Antlit gegen die
fühle Scheibe und ftarrt hinauf zum Himmel, wo die
Wolfen wie irre Rieſenſchatten jagen, wüſt und ge—
ipenftiih. Sie hat auf den Knien gelegen und gebetet,
und in ihrem Herzen iſt es till geworden. Nun fennt
fie das verzerrte Antlitz der Lüge, welches fie verfolgt,
und bebt nicht mehr vor ihm. Sie ift ſchuldlos, fie trägt
das Haupt frei und Stolz auf dem Naden. Aber trob
ihres reinen Gemifjens fommt fein Schlaf in ihre Augen,
heiß und tränenlos find fie. Sie fürchtet fich nicht vor
dem Leumund der Welt, welcher ihr die Ehre jtiehlt,
aber fie bricht zufammen unter der Laſt jener quälenden
Srage: „Wird auch er mich verdammen, wird auch er
den Stab über mich brechen, da alle Welt mich fteinigt?
Wer ift jener andere Namenlofe, um deffentwillen ich
Dlivier Die Treue gebrochen haben fol?” Es gingen fo
viele hier im Haufe aus und ein, alle von ihrem Manne
jelber geladen. — Gofed? — Gott gebe es, daß man
ihn meint! Er, der edle, brave und fromme Mann wird
feinen Hauch des PVerdachtes auf ihrer Ehre dulden!
Er wird für fie eintreten mit der ganzen Kraft und Über-
zeugung eines redlichen Herzens! Hat er ihr nicht auf
dieſer jelben Stelle hier zugeſchworen, daß er ihres
— 542 —
Glückes Hüter ſein wolle? Und wenn er nicht derjenige
iſt, deſſen Namen man mit dem ihren in den Schmutz
ziehen will, dann muß er helfen, die Lüge zu entlarven
dann muß er vor allen Dingen jenes entſetzliche Unglück
verhüten, daß Olivier um ihretwillen ſein Leben in die
Schanze ſchlägt! Ein krampfhaftes Zucken fliegt durch
ihre Glieder. Und wenn alles vergeblich iſt? Wenn
Falſchheit und Intrigue ein Net gefponnen, deſſen Fäden
nicht zu löfen find? Wenn Dlivier® Blut ihre Ehre
rein wajchen muß? Allmächtiger Vater im Himmel, nur
das nicht! ES darf nicht fein! Ihr eigenes Herz will
fie aus der Bruſt reißen und es opfern zu feinem Heil
und feiner Rettung. Ein wilder, fieberhafter Gedanfe
jagt dur ihr Hirn. Es iſt möglich, daß ein Duell
ichon am nächften Morgen ftattfindet, ehe fie Gofed zu
Hilfe rufen konnte. Das darf nicht fein. Wird ein Mann
um eines Weibes willen, welches nicht mehr fein Weib
it, fi) noch fchlagen? Nein, gewiß nicht. Sagt fie ſich
los von ihm, rettet fie ihn vor dem Gang mit feinem
Gegner!” Wie in einem Taumel wirrer Hoffnung, Un:
geftüm und Zuverficht verjegte fie diefer Gedanke ihres
naiven Herzens.
Hinab zu ihm! Noch einmal faltete fie die Hände:
„Sib mir Kraft, mein Herr und Gott, zu dieſem fchiveren,
ſchweren Gang!” und dann wanft fie mit fchwindelnden
Sinnen die Marmortreppe hinab. Muſikklänge. Sie lehnt
das Haupt gegen den Türpfoften, faum hat fie die Kraft,
fich aufrecht zu erhalten.
— 543 —
„Eine feite Burg ift unfer Gott —“ Wie die Töne
jchwellen und Elingen, wie fie unter feinen Händen empor:
braujen, wie ein marfiges, jubelndes Glaubensbekenntnis.
„Olivier fpielt nur ſolche Melodien, die feine Seele
in dem nämlichen Momente volljtändig erfüllen!’ Hatte
Goſeck einſt gejagt.
Tränen rollten über die Wangen der jungen Frau,
wie ein Aufſchrei klingt's durch ihre Seele: „Jetzt, da ich
von dir laſſen muß, empfinde ich es erſt voll Todesweh,
wie unausſprechlich ich dich liebe!“
Das Spiel verſtummt. Marie Luiſe richtet ſich ge—
waltſam empor. ‚Und weil ich dich liebe, darum erfaufe
ich mit meinem Glück dein Leben!’
Sie legte die Hand auf den Türgriff und trat ein.
o)@
(SSIS2 | SSISIIY JO)
[(7OISN] — EHIE
XXV.
Klinge, ſüße Stimme, klinge
An mein Herz im Tongewimmel,
Trag auf deiner Engelſchwinge
Mich Verwandelten gen Himmel!
Jüngſt noch Nacht und Winter war es,
Nun iſt's plötzlich Tag geworden,
Tag und Mai! und wunderbares
Sein in Strahlen und Akkorden!
Dingelſtedt.
NR 13 Nennderſcheidt in Goſecks Zimmer eingetreten
BA war, hatte der Graf ihm weder überrafcht noch
fragend entgegengejehen. Er jchien feinen Beſuch
erwartet zu haben und die Motive desjelben genau zu
fennen. Kühl und abweifend, mit feindjeligem Blick erhob
er ſich, ſchlug das religiöje Werk, welches er jtudierte, zu,
und verjchränfte die Arme über der Bruft. „Keinerlei
Auseinanderjegungen, Baron Nennderjcheidt”, ſchnitt er
jegliche Begrüßung fchroff ab. „Ich bin genau über die
Lage der Dinge orientiert und war, wie Sie jehen, nicht
auf Shren, jondern auf den Befuch Ihres Sefundanten
vorbereitet!” Seine knappe Ktopfbewegung wies nach dem
offenen Biltolenfaften auf dem Tiſch. Durch zwei Zimmer
hindurch war eine Scheibe aufgejtellt. Die Kugeln, welche
das Zentrum durchlöchert hatten, bewiefen, wie fleißig
— 545 —
Graf Goſeck fich geübt haben mußte. So fehr fich in
dem ganzen Wejen Euſtachs eine faft fieberhafte Er—
regung verriet, jo ruhig und gelaſſen jtand Olivier ihm
gegenüber.
N. v. Eſchſtruth, I. Nom. u Nov., Hazard I. 33
— 546 —
„im eines Altweiberklatjches willen ſchießen fich zwei
langjährige Freunde nicht. Sch bin von deiner und
Marie Luijes vollkommenſter Treue überzeugt; Dich zu
fragen, auf Ehre und Gewiſſen zu fragen, ob das ver-
Iprengte Gerücht eine Züge ift, komme ich hierher. Deine
Antwort wird mir maßgebender fein, wie die Anklage
böjer Zungen.” |
Goſeck wich feinem Blid aus und wandte fich brüsk
zur Seite. „Ich vermweigere diefe Antwort.”
Nennderfcheidt zuefte zufammen. „Dadurch jchlägft
du dein Leben in die Schanze, das ift gleichgültig, aber
du fompromittierft auch ein fchuldlofes Weib!”
Ein ſtummes Achjelzuden war die Entgegnung.
„Ber deiner ewigen Celigfeit, Euftach, haft du mein
Vertrauen mißbraucht, und hat Marie Luife mich ver-
raten 2”
„sch Liebe fie und fie liebt mich; biſt du nicht zu—
frieden damit, fo liegt es in deiner Hand, unſeren Ge—
Ihmad zu korrigieren. Ich bin bereit, mit ein paar Dlei-
fugeln um das verratene und verlafjene Weib, welches
du mir felber in die Arme getrieben, zu würfeln. Es
ilt Zeit, daß die Komödie zu Ende geht. Spielen wir
zum leßtenmal ein Hazard zufammen, eine geladene und
eine ungeladene Biltole, und wenn's fnallt, zeigt fich’s,
wer das Spiel gewonnen hat!’ —
Bom Scheitel bis zur Sohle maß Nennderjcheidts
flammender Blie fein Gegenüber. „Ja, es joll zu Ende
gehen, aber . . . beim eivigen Himmel ... nicht wie
dl >
eine Poſſe, fondern wie ein Drama, in welchem Die Ver:
geltung ihren Sieg über ehrloje Buben feiert!” —
Wie es ftill in feinem Zimmer if. Der Kampf in
Oliviers Herz hat ausgetobt, ein verzweifelter Kampf.
Goſeck Hat Marie Luife gerichtet. Er felber tritt die Ehre
unter die Füße. Kann er nicht anders oder will er
nicht? Vor dem Bild feiner Mutter bleibt Nennderfcheidt
itehen; ein fchmerzgebrochener, von Leidenfchaften durch:
tobter Mann. ‚Sie hat deine Augen, Mutter, die lügen
nit. So wahr mir Gott helfe, ich glaube ihnen.”
Und feiner Mutter Antlig lächelt zu ihm nieder, wie
damals, als fie noch feine Kinderhände zum Gebet zu=
fanımen legte. Auch jet neigte er fein Haupt und be-
fiehlt feine Wege dem, der Himmel und Erde lenkt. Da
überfommt es ihn, wie eine felfenfefte, freudige Zuverlicht.
„Eine feite Burg ift unfer Gott!” . . . Seime Seele
jcheint auszuftrömen in den Klängen, welche durch die
ſtille Nacht voll und mächtig dahinziehen. Und dann
ein leijer Subellaut, ein Emporjpringen mit geöffneten
Armen: ‚Marie Luiſe!“ |
Bor ihm jteht fie auf der Türſchwelle. Bleich und
bebend, und dennoch verflärt wie ein Heiligenangejicht.
„Kommſt du endlich, Marie Luiſe!“
Sie jtredte die zitternden Hände abwehrend gegen
ihn aus. „Ich fomme, um dir für ewige Zeiten Lebe:
wohl zu fagen. Ich gehe von dir, ich bin von dieſem
Augenblid an nicht mehr dein Weib, ich bin eine Fremde,
35 *
— 548 —
an die dich feine Pflicht mehr fettet, an die du Feine
Rechte mehr haft.” Der Atem verjagte ihr, fie preßte
die Eleinen Hände gegen die Bruft.
Er jtand vor ihr, mild und lächelnd. „Unmöglich,
Marie Luiſe. Du haft feine andere Heimat, wie dieſes
Haus, und wagt fich die Taube allein hinaus in Die
fremde Welt, fo fällt fie dem Habicht zum Raub. ch gebe
dir deine Freiheit zurüd, aber erft dann, wenn ich Deine
Zukunft gejichert weiß. Warum gewaltjaın ‚Schon jebt
ein Band löſen, welches vielleicht in Tagesfriſt vom
Schickſal zerrifien wird, jchneller und ficherer, als du
ahnſt?“
Der wehmütige Klang feiner Stimme durchſchauerte
ſie wie Todesqual.
„Nicht das .. nicht dem Schickſal überlaſſen!“ rang
es ſich faſt ſchluchzend von ihren Lippen. „Du ſollſt
nichts mehr gemein haben mit dem Weib, deſſen Ehre
die Welt brandmarkt, deſſen Namen ſie in den Schmutz
zieht! Ich bin ausgeſtoßen, verachtet, verabſcheut von
allen ...“ |
Da faßt er mit leuchtendem Blid ihre Hände und z0g
fie feft und leidenfchaftlid) an fih. „Wehe der Bunge,
welche es wagen wird, Dich zu verfeßern, wehe der Hand,
welche noch einen Stein auf die Unfchuld werfen will!
Ich ftehe für dich ein, ich kämpfe für Deine Ehre und
dein Necht, und wenn die ganze Welt dich verdammt,
und wenn alle an dir zweifeln, ich glaube an dich,
Marie Luifel Sch vertraue deiner Treue und
— 549 —
Nedlichfeit, ich Stehe ein für dich und deine Un—
ſchuld, mit Xeib und Seele, mit Gut und Blut!“
Schwerer und jchwerer ſank ihr jchlanfer Körper in
feinen Armen zuſammen, mit unnatürlic) großen, weit
offenen Augen ftarrte fie ihn an, und dann klang ein
leifer, zitternder Jubelſchrei aus ihrer tiefften Brujt empor.
„Du glaubjt an mich!” Einen Augenbli war es, als
tolle jie die Arme um feinen Nacken jchlingen und fich voll
ſtürmiſcher Leidenſchaft feſt und ewig an feine Bruft flüchten,
dann riß fie fich los und trat |
tiefaufatmend zurüd. „Gott 2
fegne dich für dieſes Wort, X
Olivier; ich will es mit hinaus—
nehmen in die Welt, wie ein
Pilger, der die heiligen Kleino—
dien mit ſich führt, damit ſie
in Wüſte und Elend ſein Stecken
und Stab ſeien. Du ſollſt
nicht um meinetwillen dein
Leben einſetzen, darum gehe
ich von dir, und dadurch will
ich gut machen, was ich je
an dir gefehlt habe, und da—
mit will ich danken für alles,
was du Gutes an mir ge—
tan — —“
Tränen erſtickten ihre
Stimme, ſie wankte nach der
— 550 —
Tür und ſah noch einmal nach ihm zurück. „Wenn ich
gehe, werden die Menſchen nichts Böſes mehr reden,
dann iſt alles gut. Du biſt wieder frei, und niemand
zieht dich für meine Fehler zur Rechenſchaft. Was ich
verſchuldet habe, will ich allein büßen, darum ſoll kein
Blut fließen. Und ſo behüte dich Gott, und lohne es
dir, daß du mich nicht im Groll von dir geſtoßen haſt!“
Und ſie winkte ihm noch einmal zu und war im nächſten
Augenblick Hinter der Tür verſchwunden. Er hatte fie
halten wollen. Die legten Worte lähmten feine Füße.
„Was ich verjchuldet habe? meine Fehler?” Allbarm=
berziger Gott, follte es dennoch möglich fein? Wieder
Ichauerte es eiskalt durch fein Herz. Nein, und taujend-
mal nein! Es muß ich alles aufklären, es muß ein
Irrtum fein. Der Großherzog wird Fürftin Tautenftein
zwingen, zu reden, noch ijt ja alles ein wirres Vermuten,
ohne Geſtalt und Farbe. Sit Marie Luiſe fchuldig, fo
lügen aud) Gottes Engel, fo ift das Heiligfte in Himmel
und Erde aud nur Falſch und Trug! Wird Marie Quife
jein Haus heimlich verlaffen? Dlivier preßt die Hände
gegen die hämmernden Schläfen. „Ich darf fie nicht
preisgeben, fie hat feinen anderen Schuß wie mid!” Er
Iteigt die Treppe empor. Alle Zimmer find leer und
dunkel. In ihrem Boudoir entzündet Dlivier Licht, ſetzt
fih an den Schreibtifch und beftellt mit feiten, Karen
Federſtrichen ſein Haus. Er achtet auf jegliches Geräufch.
Nebenan in Marie Luifes Ankleidvezimmer fladert Kerzen⸗
Ichein, wie leichtes Auffchluchzen Elingt’3 ein paarmal
— 551 —
durch die tiefe Stille. Bis zum Morgengrauen verweilt
Nennderſcheidt und behütet die Schwelle; zu ſeines Weibes
Heil und Segen. —
Zu ungewöhnlich früher Morgenſtunde iſt der Frei—
herr zum Großherzog befohlen. Als er durch den Saal,
welcher den Eintritt zu dem Privatgemach des hohen
Herrn gewährt, ſchreitet, ſchrickt er beinahe zurück vor
Fürſtin Tautenſtein, welche ihm in langſchleppender
Morgenrobe aus weißen Spitzen entgegentritt. Reizender
wie jemals ſieht ſie aus. Mit ſüßem Lächeln ſtreckt ſie
ihm beide Hände entgegen. „Ich wußte, daß Sie kamen,
Baron!“ flüſterte ſie, „und habe ſie erwartet!“
Er verneigt ſich kühl und förmlich, ohne ihre Finger—
ſpitzen zu berühren. Da er nicht antwortet, gleitet ſie
weich und ſchmiegſam wie ein ſchmeichelndes Kätzchen
näher, und legt die Hände auf ſeinen Arm. Zauberiſch
iſt der Blick, welcher zu ihm emporglüht. „Kommſt du,
wilder, ſtolzer Löwe, um endlich deine Ketten zu zerbrechen?
All meine Pulſe fieberten dieſem Augenblick entgegen!
Mein ganzes Daſein gipfelt in dieſer Stunde! Es ſchien
Eis in den letzten Tagen, weil das Feuer, noch genährt,
mich in den Gluten der Leidenſchaft verzehrt haben würde.
Jetzt iſt die qualvolle Nacht überwunden, die Sonne ſteigt
noch einmal blendend empor, für Sie und für mich, und
die Zukunft redet wonnetrunken von unſagbar ſüßem
Glück!“ Näher und näher ſchmiegte ſie ſich an ihn, be—
rauſchende Duftwogen wehten aus dem Goldhaar und
den niederrieſelnden Spitzen zu ihm empor. „Zerreißen
— 5 —
Sie die Bande, welche Sie elend machen, Dlivier! Treten
Sie die blaffe, betrügeriiche Giftblume unter die Füße,
und nehmen Sie die Roſe zu eigen, welche mit taufend
glühenden Purpurblättern ihnen entgegenbebt!” Leiſer,
ziichend fajt Hang ihre Stimme. „Sie willen es, daß
der Großherzog durch uraltes Yandesrecht die Macht be-
figt, eine Ehe fofort kraft feines Wortes zu trennen!
Wenige Minuten entfcheiden und machen Sie frei! Marie
Luiſe ift ſchuldig. Klagen Sie die VBerräterin des Treu
bruchs an, und jchleudern Sie durch ein einziges Wort
den Ballaſt von fich, welcher ihr Glüdsjchifflein in den
Grund zieht, und dann? ... da drüben... . die dritte
Tür... . fehen Sie? Da Hopfen Sie nachher an; ich
harre Ihrer und öffne. Still, jtill jetzt . . man kommt?“
Und ſie preßte ſeinen Arm nochmals mit leidenſchaftlichem
Druck, und enifloh wie ein lichter Schemen über die
weichen Teppiche. An der Tür wandte ſie ſich noch ein—
mal zurück, breitete wie in übermächtigem Gefühl die
Arme nach ihm aus und flüchtete im nächſten Moment
über die Schwelle.
Regungslos, hochaufgerichtet ſtand Nennderſcheidt und
ſtarrte ihr nach. Dann ſtrich er wie in zorniger Haſt über
ſeinen Arm, als müſſe er jede Spur tilgen, welche die
weißen Händchen hinterlaſſen. Sein Auge blitzte, Ver—
achtung und Bitterkeit zuckten um ſeine Lippen. Er warf
das Haupt in den Nacken und trat in das Vorzimmer
des Großherzogs.
Voll warmer Herzlichkeit empfing der hohe Herr den
— 553 —
Sohn feines vertrauteiten Freundes. Und wie ein Kind
fein übervolles Herz vor dem Vater ausjchüttet, jo legte
auch Nennderfcheidt eine Beichte ab von all dem Ringen
und Kämpfen, welches jeit den lebten Tagen feine Seele
durchtobt. Der Großherzog jehritt mit forgenvoller Stirn
in dem Gemach auf und nieder. Er hatte die Beobuch-
tung, welche Fürftin Tautenjtein gemacht, das Rendezvous
an Fenſter und Balkon der Billa Hazard betreffend, dem
Freiherrn mitgeteilt. Fräulein von Gironvale jtimmte
der Ausfage ihrer Herrin bei, und aud) Herr von Diers—
dorff beftätigte fie; allerdings mit viel diplomatifcher
Borfiht. Prinz Hohned gab die Tatfache ebenfalls zu,
Doch beimerfte er, daß feine Kurzfichtigfeit ihn feine be:
ſtimmte Perſönlichkeit habe erfennen lafjen.
Dlivier ſchlug die Hände vor das farblofe Autlit und
ſchien momentan unter der derben Wucht diejer Worte
zujammenzubrechen. Langſam trat der Großherzog un
feine Seite und legte die Hand auf das tiefgeneigte Haupt
des jungen Mannes. „Halten Sie nach der Ausſage Diejer
vier Augenzeugen Marie Quife für fchuldig ?” fragte er leiſe.
Da wuchs die gebeugte Geſtalt empor, faſt heftig
jchüttelte er das Haupt. ‚Nein, und taufendmal
nein, mein allergnädigiter Herr! Che ih das Ein-
geftändnis ihrer Schuld nicht von Marie Luiſes eigenen
Lippen mit dürren, Karen Worten höre, eher glaube ich,
daß die Sterne am Himmel aus ihren Bahnen weichen,
treulo8 einander zu verlaffen !” |
Ein Aufleuchten ging über da3 Antlit des greifen
Fürften. „Brad, Dlivier, Gott erhalte Ihnen dieſen
Slauben und die Zuverficht, welche ich von ganzem Herzen
mit Shnen teile!”
Feſte Schritte langen durch den Saal und verhallten
im Treppenhaus des großherzoglichen Schlojjes. Hinter
der „dritten Tür’ jedoch funfelten zwei Augen, ballten ſich
zwei ſammetweiche
Händchen in zitternden
Haß. Die Tür war
ſorglich verriegelt ges
weſen, und das ſpöt—
tische Auflachen, mit
welchen Claudia ihre
Nache feiern wollte,
hatte bereits um Die
Rippen triumphiert, jeßt
lächelte eine andere,
boshaft und jchadens
froh, Esperance, welche
hinter der Portiere ge—
laufcht Hatte. — — —
Vergeblich Hatte fich
Dlivier bemüht, Zutritt
in da3 Zimmer ſeiner
Gemahlin zu erlangen.
Die Zeit drängte, und
jo biß er die Zähne
zujammen und eilte zu
— 999 —
Fräulein von Speyern, fie um ihre Vermittelung zu
bitten.
sides war fofort bereit, den Freiherrn zu begleiten.
Sie drüdte ihm herzlich die Hand. „In Gedanfen war
ich bereit3 auf dem Weg, Marie Luiſe aufzufuchen und
fie über die Verleumdung zu tröften, welche nur die per-
fideite Bosheit erfinnen konnte!“
Sein glanzlojes Auge leuchtet auf. „Sie glauben an:
Marie Luiſe?“
„Wie an mich ſelbſt.“
„And felbft wenn fie in ihrer Verlaſſenheit und Ein:
ſamkeit auf Abmwege geriet, jo trüge nicht fie, jondern ich
daran die Schuld. Dieſes Bewußtſein ift von allen
Qualen, welche ich in den lebten Tagen durchlebte, Die
entjeglichite. Ich habe fein Recht dazu, von dem Schidjal
ein treue Weib zu fordern, ich ftehe an dem Abgrund,
welcher mein Liebjtes verfchlungen, mit dem fürchterlichiten
Bewußtjein: ‚Du felber ftießeft e3 hinab. Mit mir hat
die Welt abzurechnen, nicht mit ihr. —
Mit einem wunderfamen Gemilch von Ernft und Milde
jahen ihn die Klaren Augen an. „Sch entfinne mich eines
Ausſpruchs, welchen Sie vor einiger Zeit getan. Gie
nannten die Ehe ein Hazard, die Frau die blindgezogene
Karte im Spiel. Coeur= oder Pifdame, Herz oder Kreuz,
wer fagt’3 voraus? Seht iſt der Moment gekommen, in
welchen es fich offenbaren wird, welcher Art die gedecte
Karte iſt. Und wie in folchem Augenblid den Spieler
die Leidenjchaft fchüttelt, und wie er alle Folterqualen
eine Hangen und Bangen in fchwebender Bein durch—
macht, jo erfaufen auch Sie die. Entjcheidung des Hazard-
ſpieles mit der fieberifchen Aufregung, welche vom Herz—
blut zehrt. Solch ein Moment ift jedesmal eine Krile
im Leben, gebe Gott der Allmächtige, daß N Ihnen
zu Glück und Segen gereiche!“
Mit krampfhaftem Druck umſpannt er die kühle, kräftige
Hand. „Sch habe kein Zutrauen mehr zum Glück, darum ſtelle
ich es Ihnen anheim, den letzten Trumpf auszuſpielen!“
Als der Freiherr Fräulein von Speyern den Arm bot,
ſie die breit Marmortreppe der Billa Hazard emporzuführen,
trat ihnen ein Diener mit eilfertiger Beweglichkeit entgegen.
„Gnädige Frau empfangen keine Beſuche heut, und
laſſen ſich bei den Herrſchaften mit freundlichem Gruß
entſchuldigen.“
„Ich danke Ihnen, Franz, biefe Weiſung betrifft nur
Fremde. Ich werde von Frau Baronin erwartet.“ Fides
neigte freundlich das Haupt und ſchritt gelaſſen weiter.
Olivier war unmerklich zurückgezuckt, der Blick der Hof—
dame zwang ihn, an ihrer Seite zu bleiben.
Auf dem Korridor zu Marie Luiſes Zimmer ſtand
Madame Berdan. Blaß und ſichtlich aufgeregt. Sie
hob abwehrend die Hand. ‚„Unmöglich, gnädiges Fräu—
lein ... Frau Baronin einpfangen nicht.”
„Mich und ihren Gemahl wird fie einpfangen.”
„Beim beiten Willen, e3 iſt undenfbarl In dieſer
Stunde um feinen Preis der Welt!”
„Ich muß fie fprechen, liebe Frau Verdan, und werde
— 5571 —
alle Verantwortung auf mich nehmen!” Fräulein von
Speyern öffnete jchnell die Tür und trat haftig ein, Die
alte rau folgte ihr mit wahrhaft verzweifelten Schredens-
ruf und umflammerte den Arm der Hofdame. „Beim
ewigen Himmel, Ste Dürfen jebt nicht in das Boudoir ...
ich habe geſchworen, die Tür bewachen zu wollen, e3 gibt
ein Unglüd, gnädiges Fräulein!’
Dlivier war mit jtürmendem Schritt vorangeeilt Durch
die nächiten zwei Salons, jebt fam er zurüd. Leichenbläfje
lag auf feinem Antlik. „Ich höre Stimmen in dem immer
meiner Frau, Madame Berdan, ... ift fie nicht allein?”
Ein Hittern flog durch die Glieder der Kammerfran.
Sie fonnte nicht Sprechen, rang die Hände und nicte ſtumm.
„Ber?“ Heiler und fremd Elang feine Stinme.
„Nur Graf Goſeck!“ verficherte die Alte beſchwichtigend.
Ein dumpfes Aufſtöhnen. Oliviers Hohe Geſtalt
ſchwankte einen Moment, als wolle er zuſammenſinken.
Dann trat er neben Fides. „Kommen Sie... laſſen
Sie und umkehren!” murmelte er durch die Zähne.
Zuverfichtlich hob fich ihr Haupt auf den Schultern.
Mit eifernem Griff faßte fie jeine Hand. „Ich bin nur
eine Freundin Marie Luifes“, flüfterte fie, ihn beifeite
ziehend, „und dennoch lege ich meine Hand für fie ins
Teuer! Sie aber find der, welcher ihrem Herzen am
nächſten fteht, und Sie wollen die Flinte ins Korn werfen
und an ihrer Treue und Nedlichkeit zweifeln? Gott fei ge=
lobt, daß Goſeck hier ift! Jetzt iſt e8 nicht freier Wille, mir
zu folgen, fondern Ihre Pflicht. Kommen Sie!”
— 9 —
Mie gezwungen von dem Ausdruck ihres hoheitsvollen
Angejichts wandte ſich Nennderjcheidt, ihr zu Folgen.
„Bleiben Sie hier im Zimmer, Madame Berdan, und
— 559 —
ſorgen Sie dafür, daß niemand Zutritt zu dem Boudoir
der gnädigen Frau erhält!“ nickte Fides der ſchluchzenden
Alten freundlich zu. „Graf Goſeck iſt der treue und
langjährige Freund des Hausherrn und dazu berechtigt,
feinen Befuch zu machen, auch dann, wenn andere Herr:
Ichaften abgewieſen werden.”
Sie nahm Dlivierd Arm und verließ das Zimmer,
wandte ſich aber nicht nach der Treppe, ſondern führte
ihn haſtig den Korridor entlang, öffnete eine Tür und
betrat das Schlafgemach der jungen Frau. Sie durchmaß
es mit ſchnellen Schritten, öffnete lautlos das Totletten-
zimmer und winkte dem Freiherrn einzutreten.
Laut und deutlich vernahm man die Stimmen nebenan.
Marie Luiſe ſchien dem Grafen durch dieſes Zimmer ent—
gegengetreten zu fein, die Tür ftand noch etwas geöffnet,
und die Portiere war dadurd) leicht zurücgejchlagen.
An der Türjeite ftand ein Seſſel, Dlivier ſank darauf
nieder wie ein alter Mann. Seine Hände lagen gefaltet
auf den Knien, und tiefe Schatten durchfurchten fein
Antlitz. Regungslos lehnte er das Haupt zurüd. Nebenan
ſprach Marie Luiſe, leife, voll flehender Angjt. „Sein
Menſch auf der Welt kann helfen, al3 nur Sie, Graf
Goſeck! Und auch niemand wird es fo gern und gewiß
tun wie Sie! ... Meine Hoffnung klammert fih an
Sie, mein ganzes Vertrauen wurzelt in Ihnen! Gie
ahnen ja noch nicht das Schlimmste, das Furchtbare,
welches mich zu dem kühnen, außergewöhnlichen Schritt,
Sie heimlich hierher rufen zu laffen, veranlaßte! Durch
— 560 —
Zufall erfuhr ich, daß Dlivier die Abficht Hatte, fich mit
Ihnen zu duellieren ...“
„Er hat fie glücdlicherweife noch!“
„Unmöglich ... Sie irren, Graf... .” ihre Stimme
Hang wie ein Schredenzjchrei, „er kann Sie ja gar nicht
mehr fordern.”
Kurzes Auflachen. „Und warum nicht?”
„Weil... weil... o fagen Sie um Gottes Barm:
herzigfeit willen, hat er es vielleicht fchon getan?” Gie
ſprang empor. Der Seffel fnarrte leiſe auf dem Parkett.
Auch er erhob ſich.
„Heute morgen, und es ift gut fo; Marie Luife, ich
ertrage die Ungewißheit nicht länger, es muß zu einem
Ende kommen.“ Und abermals ein kurzer Auffchrei voll
Schred und Qual. „So war e3 vergeblich mein Opfer?
Sp war die martervollite Stunde meines Lebens umfonft
durchgelitten ?”
„Welch eine Stunde? Welch ein Opfer?” Er fchien
zu ihr heranzutreten. Dlivier zudte empor und frampfte
die Hände um die Sejfellehne.
„Das größte, welches je ein Weib darzubringen im—
jtande ift! Mein Herz habe ich aus der Bruft gerifjen
und es unter die Füße getreten, meine Ehre habe ich
jelber gebrandmarft, um diefes Duell zu verhüten! Xo3=
gejagt habe ich mich von Dlivier, den Schein der Schuld
auf mich geladen, damit er frei fein folle, damit —“
„Losgeſagt von ihm?’ Goſeck faßte ihre beiden Hände
und riß fie von ihrem Antlit weg an feine in Leidenjchaft
ee am
2 IT,
—— Er * —*
3
36
N.v. Eſchſtrutb, IU.Nom. u. Nov. Sazard IT.
+
— 562 —
zitternden Lippen. „Gott jegne Sie für dies opfermutige
Merk der Liebe, Marie Zuife! Warum beben Sie vor
einem Zweikampf, welcher das heilige Gepräge eines
Gottesurteils tragen wird, der wahren Liebe zum Gieg
zu verhelfen! ch werde —“
„Graf Goſeck!“ wie beſchwörend in flehender Angjt
fang ihre Stimme. „Ich verjtehe Sie nicht. Wie fünnen
Sie eine blutige Löſung wünfchen, wo Doch alles in fried-
licher Weiſe gejchlichtet werden kann! Wie durften Sie
die Forderung meine? Mannes annehmen, wo Sie wußten,
daß der Grund zu derfjelben nur eine Lüge, eine Ver:
leumdung iſt! Haben Sie ihm unfere Unfchuld beteuert?”
„Nein.“ Kurz und fchroff ward es hervorgeftoßen.
„O, jo tuen Sie es noch! fo bald, fo Schnell wie möglich!
Er muß Shnen glauben und er wird es. Ad, daß er
Sie fennen möchte, wie ich Sie fenne. Wollte mir ein
Menich von ehrlofen Taten des Grafen Gofed erzählen,
ic) würde voll ftolzen Glaubens die Hand zum Himmel
heben und fchwören, daß es böfer Leumund ſei!“ Weich
und unfagbar rührend in ihrer fchlichten Innigfeit klang
ihre Stimme, Olivier hatte fich erhoben, heiße Glut
brannte auf feiner Stimm, er trat lautlo3 an die Tür—
Ipalte und verfuchte mit einem Bli die Geſtalt feines
Weibes zu umfaffen. Mit dem vollen, tränenüberftrömten
Antlitz wandte fie ich ihm zu, Die gefalteten Hände zu
Gofe erhoben. „Solch feiten Glauben an Sie würde
ich hegen, Graf, denn ich weiß es ja, wie edel, wie brav
und fromm Sie find, und weil ich es weiß, jo wende ich
— 563 —
mich an Sie, al3 den einzigen Menfchen, welchen ich für
würdig halte, der ritterliche Schuß eines hilflofen Weibes
zu fein, und ich bejchwöre Sie, bei all der Freundſchaft
und Güte, welche Sie jtet3 für mich gezeigt Haben,
‚treten Sie ein für meine Ehre! Treten Sie ein, mit all
Ihren Kräften, jenes unfelige Duell zu verhüten! Nur Sie
können mir helfen, denn nur Cie willen e3 ja, daß ich
niemal3, weder in Wort noch Blid und Tat die Treue
gebrochen, welche ich gelobt! Wer es auch fein möge,
den die Lälterzungen mit meinem Namen in Verbindung
bringen, — Sie willen, daß e8 Lüge ift!”
Gofeds Haupt war tiefer und tiefer auf die Bruft
gefunfen. „Sch weiß e3!” murmelte er, „und ich ver—
itehe e8 ja gar wohl, daß Ihre reine Seele zurückſchaudert
por dem fcharfen blutigen Schwerthieb, welcher einzig
gordiiche Knoten löſen kann, aber dennoch überjchäßen
Sie meine Macht. Sie ahnen nicht, in welch eifernen
Klammern fich das Räderwerk der gejellfchaftlichen Formen
dreht, und kennen als Weib nicht die Mimofe, die allzu:
leicht verlegbare, welche Ehre heißt!“
Noch erregter, noch flehender denn zuvor fchlang fie
die Hände ineinander! „Graf Goſeck! Wenige Wochen
find e8 ber, da jtanden Sie hier an diejer felben Stelle
und Sprachen: „Bedürfen Sie jemals Hilfe oder Schuß,
gnädige Frau, jo fommen Sie zu mir, fo rufen Sie
mid! Mit Gut und Blut trete ich ein für Sie, mit
meinem Leben, wird’3 gefordert, erfämpfe ich Ihr Glück! —
entfinnen Sie fich dieſes Gelöbniffes nicht mehr?”
36*
Sein Blid brannte auf ihrem Antlit, ungeduldig und
verzehrend. Er glich dem Dieb, welcher die Hände gierig
nad) dem Altarfelche ausſtreckt und es dennoch nicht wagt,
das Heiligtum anzutaſten.
„Ich entjinne mich, bemeife ich es nicht?”
‚Rein! Noch Stehen Sie kalt und gleichgültig vor mir,
jehen meine Angjt und Verzweiflung und helfen nicht!
Hochaufgerichtet, voll jäher Kaft und Entfchloffenheit trat
fie ihm gegenüber. „Wehe dem Mann, defjen Schwüre
Spreu im Winde find! Sie felber haben fich meines
Glückes Hüter genannt, jet jollen Sie es betätigen und
e3 ſein!“
Dit an ihre Seite trat er, faßte ihre Hand und
neigte jeine Wange fait an die ihre. „Wunderfames
Weib! Schlag ich denn nicht Blut und Leben in die
Schanze zu Ihrem Glüd? Ein Biftolenlauf richtet fich
auf meine Bruft, jo ficher wie auf die jenes andern!”
„Das eben follen Sie verhindern”, rief fie außer fich,
„wenn Sie mein Glüd nicht morden wollen!”
Leidenjchaftlicher noch glühte fein Blid, tiefer noch
fuchte er in ihr Auge zu tauchen: „Va banque, Marie
Luife! Ihr Glück ist Ihre Freiheit! Denn nur diefe allein
führt Sie der Liebe in den Arm!“
Sie wich weiter und weiter von ihm zurüd, die Hände
gegen ihr Herz gepreßt, das Antlik erhoben wie verflärt.
„Rein, Graf Sojed ... .. nicht die Freiheit!” ſagte fie
mit leifer zitternder Stimme, „Sie willen, daß ich nur
einmal im Leben Sehnſucht nad) ihr hatte an jenem
— 565 —
erften Morgen nach meinem Hochzeitstag, als Heimweh
und Verlafjenheit mich fat verzweifeln ließen! Dann
fand ich mich in mein Geichid, und ald Sie meines
Glückes Hüter fein wollten, da ging es wie ein Aufjchrei
der Erbitterung durch meine Seele, daß man auf öde
Schneefeld rote Roſen pflegen wollte! Aber der liebe
Bater im Himmel hat e8 meinem SKleinmut und meiner
Verzagtheit nicht angerechnet. Der Schnee taute ... und
aus dem öden Herzensboden ſproßte das junge Hoffnungs—
grün, und über Nacht in wilden Wettergraus brachen
die Knoſpen . . . rote Roſen glühn und blühn in meinem
Herzen, rote Liebesrojen!” Immer inniger und glüd-
durchjubelter ward ihre leife Stimme, immer leuchtender
ihr Blid, und wie fie daſtand, die Kleinen Hände über
der Brut gefaltet, da war es, als ob unfichtbare Ge—
walten das Haupt des Grafen Goſeck niederbeugten, wie
vor dem Engel der Unjchuld. Dlivier aber preßte die
Stirn gegen die fühlen Atlasfalten der Portiere, und
Fides fah, wie feine ftarfe Geftalt erbebte, als braufe der
Sturmwind über fie hin.
Tiefaufatmend fuhr Marie Luiſe fort: „Was nie ein
Menſch ahnen foll, will ich Ihnen beichten, Graf Gofed,
denn Ihre Freundichaft um mich und Olivier hat es ver-
dient, und wer könnte fich über die Fromme Wandlung eines
Herzens wohl mehr und aufrichtiger freuen, wie Gottes
Engel im Himmel, wie $hre große, edle Seele, Graf!
Sie haben mein Leid gefannt und es mir tragen
heffen; Sie allein follen auch Glück und Geligfeit mit
— 566 —
mir teilen.” Und wie in füßer VBerjchämtheit das Köpfchen
neigend und «dennoch ſich fortreißen lafjend bis zum
jauchzenden, alles vergejjenden Befenntnis fprach fie
hajtiger noch weiter: ‚Mein Glüd aber ift meine Liebe,
und meine Liebe, all mein Denken und Sein gehört ihm,
den ich von mir gejtoßen, den ich durch Unglauben und
Zweifel gefränft habe bi3 in das tieffte Herz hinein, und
der dennoch der einzige war, der zu mir hielt, da alle
mich verdammten, welcher auf meine Dornen mit Roſen
zurüdzahlte, welcher treu blieb, da Himmel und Erde
mich verließen, — Olivier!“
Tiefe Stille. Goſeck Hatte wanfend nad) einer Stübe
getaſtet. Er war niedergefunfen in den Seſſel und hatte
das Antlitz fefundenlang mit beiden Händen bededt.
Fides von Speyern aber flüfterte leife in Nennderjcheidts
Ohr: „Herzdamel — Sie haben das Hazard geivonnen,
Baron.” — Und dann war ihr Schritt auf dem Teppich
verflungen. — „Graf Goſeck ... wollen Sie meines
Glüdes Hüter fein?!” fragte Marie Luiſes Stimme.
Da erhob er fi. Farblos, wie gebrochen an Leib
und Geele. Sein Auge ftarrte fie an wie eine Viſion,
big ſich die Lider bleifchwer herniederneigten und jein
Haupt ſich zur Bruft fenfte, als trüge er erdrüdende Lait.
„Ich will ee. Sch will fein, was ich jcheine.” Seine
Stimme Elang heifer und fremd. „Ich will in Zukunft
der ewig nadenreichen Mutter Gottes ehrlich in Die
Augen jchauen fünnen . . . ehrlich wie auch Ihnen. Ja,
ich will Ihr Freund fein, ich will zu Ihnen emporftreben.
— 567 —
Ihre Verachtung ertrüge ich nicht. Gott fegne und er-
halte Ihnen Ihr Glüd, welches ich Ihnen erfaufen werde,
teurer vielleicht, al3 Sie jemal3 ahnen. Dafür auch
ſchließen Sie mich in Ihr Gebet ein, wenn Sie all jener
gedenfen, welche fehlten und welche der Fürbitte bedürfen.
Und wenn ich |
für ewig von
Ihnen jcheide
...“ er unters
brach ſich kurz
und legte die
Hand über die
Augen, dann
reichte er ihr
die Rechte ent⸗
gegen und
zwang fihge #
waltfjam zu ;
einem leich⸗
tern Ton.
„Ihre Beichte
hat mich über=
rafcht; wir find alle nur fchwache Menfchen und ftehen
jo unficher auf der rollenden Glückskugel, daß ung der
einzige Hauch eines Mundes wie entwurzelte Stämme über
den Haufen bläjt. Gott behüte Sie, Frau Marie Luife;
Sie werden bald von mir hören, nur Gutes, und zum
Dank? Geben Sie mir eine Erinnerung an diefe Stunde!”
— 568 —
Sie drüdte ihm tiefaufatmend die Hand. „Welch eine
Ruhe, welch ein Frieden fommt plößlich über mich!” und
dann wandte fie fich zur Seite und zog einen weißen
Fliederzweig au der Vaſe und reichte ihn dar: „Ver—
gelte es Gott, was Sie für mid) tun!“
— — — — — — — — — — — — — — — —
Heimweh ſtimmend tönt der Glocken
Wiederhallendes Geläut. —
H. Bierordt.
Still war es in dem kleinen Zimmer. Goſeck war
gegangen. Die Sonne brach durch das Schneegewölk
und tauchte die Geſtalt der jungen Frau in goldenes
Licht. Sie trat an das Fenſter und öffnete es. Klare
Winterluft quoll durch die Spitzengewebe, und Schnee—
ſternchen rieſelten wie Blütenflocken über die weiße Hand.
Da erklang es ernſt und feierlich und dennoch ſo traut
und wonneſam wie einſt über den Herſabrunner See. —
Kirchengloden. Und wie Marie Luife in übermächtiger
Sehnſucht in die Knie finkt und ihre Tränen über lächelnde
Wangen taun, da ruft e8 ihren Namen, — und wie fie
emporfpringt und die Hände mit leifem Jubelſchrei gegen
die Schläfen preßt — da tritt er näher... er.
Dlivier ... und er breitet die Arme aus — und ſchlingt
ſie feſt um ihre wankende Geſtalt, und als ſie ſich zitternd
befreien will, da ſieht er ihr lächelnd in die Augen und
ſchüttelt das Haupt: „Nicht im Leben, nicht im Tode laß
ich dich! Du haſt mich lieb, Marie Luiſe, und du biſt
mein eigen!“ Da iſt's, als ob alle Glocken „Amen“
— 569 —
riefen, al3 ob die gligernde Schneeluft die Seele in den
Himmel trüge — und fie lehnt das Köpfchen an jeine
Bruſt, wie eine Blüte, welche allzu heiß und blendend
hell der Strahl der Somne trifft.
Er füßt ihre Lippen, und fie jchlägt die Augen auf
und flüftert: „Nun gibt's fein Trennen mehr!”
sesegese=
XXVI.
„Die Götter leiten zum beſten alles!
— Amen. —“
Shakeſpeare. Cymbeline.
III. Aufz. V. Sz.
Y 2
NL
e.
or das Portal rollte eine Hofequipage.. Prinz
Marimilian und Leutnant von Hovenklingen
warteten feine Anfrage des Lafaien ab, fondern
fprangen haſtig die Treppe empor und verlangten fofort
den Herrn Baron zu fprechen. Dlivier trat ihnen aus
den Gemächern feiner Gemahlin entgegen, nicht wie einer,
der in wenig Stunden um feines ehrlofen Weibes willen
die Pijtole hebt, ſondern glüdjtrahlend, hoch und ftolz
wie ein Freier, welcher ſich ſoeben von der Geliebten da3
Jawort geholt.
Glücksboten find in fein Haus getreten; es ift, als
ob die Sonne, einmal aufgegangen, immer leuchtender
und voller ihre Strahlen herniederſchickte. Die Farben
wechjeln auf dem Antli des jungen Seeoffizierd, als er
in höchfter Aufregung den peinvollen Irrtum darlegt, an
welchem fein übermütiger Karnevalzftreich die Schuld trägt.
Alles hätte fich jofort aufklären müfjen, wenn der Jagd—
ausflug die Herren nicht von der Reſidenz ferngehalten
v4
19
GR 7
IT &N
— 571 —
hätte, und da der Zufall es ihnen fund tut, in welche
Skandaloſa man Baron Nennderjcheidt verwickelt, fo find
fie umgehend zurüdgefommen, ein Unglück zu verhüten.
Obwohl auf Oliviers Stirn fein einziger Sorgen
ichatten gelagert, hebt fich jeine Bruft dennoch in tief
erleichtertem Aufatnıen, und da Hovenflingen ihm beide
Hände entgegenbietet: „Vergeben Sie mir!” da umfchließt
er diefe Hände ınit warmem Drud und entgegnet lächelnd:
„Sicht vergeben, jondern von Grund meines Herzens
danken will ich Ihnen, Lieber Hovenklingen! Ein Sturm,
welcher heraufbeſchworen wird, läßt oft mehr Blüten:
knoſpen fpringen, als er Hagelkörner ftreut, und mein
Herz und meine Seele ftehen in Blütenpracht, wiewohl
draußen noch die Schneeflocden wirbeln.“
Prinz Marimilian bat um die Erlaubnis, Marie Quife
die Hand küſſen zu Dürfen, und als er feinen Wagen
wieder beitieg, fchüttelte er verwundert den Kopf. „Sind
Sie aus den beiden Hug geworden, Hovenklingen? Ich
gedenfe in ein Haus zu treten, um welches die Unglüds-
bögel, die Raben Frächzen, und wie ich mich umjchaue,
figt die Nachtigall auf dem Dache und jubelt glücjelige
Lieder von Lenz und Liebe.”
Eine halbe Stunde, nachdem Goſeck Marie Luiſe ver-
laffen, erhielt Nennderfcheidt einen Brief von ihm. Boll
Beitürzung blidte Dlivier auf die Zeilen nieder. „Laß
mich unfern Ehrenhandel jchlichten, friedlich und unblutig,
zum Glück und Heil für dein Weib. Ihr Herz, nicht
da3 deine, würde meine Kugel treffen. Die Antivort,
ee 5:
welche ich dir geftern abend vermeigerte, gebe ich jebt,
und Gott der Herr iſt mein Zeuge, daß ich Wahrheit rede.
Nein und jchuldlos wie die heilige Magd, welcher ich
fünftighin dienen werde, ift Marie Zuife. Sch habe fie
geliebt, fie aber mit feinem Gedanken ihres Herzens mid).
Was ih an dir gejündigt, Dlivier, will ich büßen.
Wunderſt du dich, daß aus einem Saulus auch in diejer
modernen Zeit noch ein Paulus werden fann? Gott
fendet feine Engel, die reinen, unfchuldigen und wahrhaft
frommen Frauen, ihres Nächften Herz zu lenfen. Auch
das meine ward auf rechten Pfad geführt. Welt und
Leben liegt Hinter mir. Ich werde in den Orden der
Zilterzienfer treten. Weiß und Schwarz, Schuld und
Siühne. Vor dem Bild der Maria will ich liegen; fie
hat dunfle Augen. Ms lebte Bitte flehe ich dich an:
Berftöre nicht deines Weibes Glauben an mich, fie hält
mich feiner Treulofigfeit für fähig. Diefe Zuverficht ijt
mein Segen. Und nun mein lehte8 Lebewohl. Gott
ſegne Euch. |
Euſtach.“
Ein tiefer Seufzer hob Oliviers Bruft. — — — —
Ein falter, ftürmifcher Abend. Helmut Collander
erreicht auf langem Umweg durch menjchenleere Gaſſen
den Park und wendet fich nach dem Schloß. Er iſt oft
dort zu Gaſte geweſen, und je öfter er von Yürftin
Tautenftein ſchied, defto heißer jiedete das Blut in feinen
Adern, defto ruhelofer durchirrte er die Nächte. Warum
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juchte er Elaudia auf? Das hohe Ziel, welches ihm an:
fänglich feine Bejuche als Pflicht hatte erfcheinen laſſen,
durch welches er fich jelber blendete und jediweden Sfrupel
betäubte, da3 war wie ein Schemen in nicht3 zerronnen.
Beinahe erjchien es wie Abjicht, daß Claudia fo ge
fliffentlich jedes religiöfe Gejprächsthema vermied. Gie
lachte, plauderte die leichtfertigften Dinge und fofettierte
mit ihm. Er ſah es zuerst wohl ein und nahm fich vor,
Das bezaubernde Weib zu meiden; wenn er aber bei
Martha in dem fchlichten Stübchen ſaß und nicht mehr
zufrieden und glüdlich war wie früher, wenn er ich lang-
weilte und Vergleiche 309, dann merkte er es wohl auch,
wie tief fich das Gift ſchon eingefreffen hatte in jein Herz,
und er erwartete voll fieberhafter Sehnjucht das duftige,
fleine Billett, welches ihn in fein Verderben rief.” Mit
dämonijchen Gewalten padte ihn die Xeidenjchaft der
Liebe. Da war fein Nerv, fein Blutstropfen mehr,
welcher nicht der füßen Hauberin gehörte. Bon Pracht
und Schönheit geblendet, von ihrer Gunſt beraufcht,
fragte er nicht mehr nad) Himmel und Erde, lebte er
nur noch dem WAugenblid, welchen einzig fie und ihr
fonniges, lockendes Lächeln ausfüllte. Und Claudia jchürte
den Funken zur Flamme, leidenjchaft3los, berechnend und
wohl überlegt, mit der graufamen Behaglichkeit, mit
welcher ſich die Schlange der Wirkung ihres Biſſes freut.
Was fragte Collander nad) feinen Gegnern? Stein um
Stein jchleuderten fie gegen den träge geſenkten Schild
des Glaubens- und Barteifämpfers, Pfeil um Pfeil grub
— 5714 —
ih giftig in fein Fleiſch, und er beachtete es nicht,
richtete fein fieberglänzendes Auge nur auf das Irrlicht,
das winfende und betörende, warf Die Waffe aus Der
Hand und Fränzte fi mit Roſen. Seine Predigten
Mangen wirr und zerfahren, lichter wurden die Reihen
jeiner Anhänger, leer wurde der fürftliche Stuhl in der
Kirche. Und dann war jener eine gewitterſchwüle Tag
gefommen. Wie gedämpft die rofa Kuppel in dem Saloıı
brannte, wie betäubende Duftwogen um Die weiße,
iptegelnde Liebesgöttin irrten! Da jtand Claudia vor
ihm und legte die demantgligernden Händchen auf feine
Schultern; wie eine Schilfblüte vor dem marfigen Eichen:
ftamm am Ufer fchwanft, fo wiegte fich ihr Nixenförper
Ihmeichleriich an feiner Bruft. „Ich gehe zum Süden
zurüd, Helmut Collander, willft du mich begleiten? Sch
habe dich lieb, wie die Iuftige Winde den Ritterjporn,
welcher fie in den Armen hält. Nicht allein der Efeu
jagt: ‚Je meurs ou je m’attache!! Kannſt du nod) leben
ohne mi)? Nein, ich bin dein Schiefal geworden, ich
gebe dir Leben und Tod, ich ziehe dich nach, überall hin,
wie der Magnet den Stahl. Was willjt du Hier? Du
bit nicht gejchaffen zum Prieſter, nicht gejchaffen zum
Kampf und Streit oder zum forgenden Hausvater, Der
Kinder wiegt. Du fennft Leben und Glück noch nicht,
aber ich will e8 Dir zeigen. Kein Band foll ung an—
einander fetten, wir tragen Flügel an den Schultern,
jubelnde, glücfelige Kinder der Freiheit. Wirf die Ketten
von dir, Collander, welche dich hier an den falten Norden
— 975 —
ichmieden, reife mit mir in da8 Land der Sonne und
Liebe, werde ein Künftler, du haft Talent zum Malen!
Lorbeer und Roſen jollft du pflüden, und meine Hände
winden fie in dein Haar!” — — — O die lange, furchtbar
dunkle Nacht, die auf diefen Abend folgte. Ein Kämpfen
und Ringen, ein Verzweifeln an fich felbft. Da trat ein
lichter Engel zu dem geifteswirren Mann und fchlug
rettend die Schwingen um ihn. Pflicht und Treue fiegten.
Wohl war ein Meltau auf die Blüte des Glaubens ge-
fallen, aber er hatte die Wurzeln nicht roden können.
Schwer war der Sieg, er brach) machtvoller darüber
eınpor. Sein Leben und Blut will er Claudia opfern,
nicht aber feinen Glauben, fein heilig Gewand, feine Braut.
Und fo trat er andern Tags vor das liebreizende Weib,
welches feiner Antwort harrte. Er ſprach leidenſchaftlich
und begeijtert, er glaubte, feine Worte müßten ein fteinern
Herz rühren und demütigen. Sie lachte furz und ſpöttiſch
auf. „Passons là dessus! Ein jeder ijt ſeines Glückes
Schmied!” Und lachend nahm fie Abjchied von ihm,
ohne ihm die Hand zu reichen, mit glimmerndem Blid.
„Bir werden uns nicht wiederjehen!” fagte fie kurz, „aber
wir wollen al3 gute Freunde fcheiden, und wenn ic) heirate,
halten Sie mir die Traurede! ... Hahaha.... ‚bleicher
Henker zittre nicht!“ und fie warf ihm eine Handvoll
Nofen in das Geficht und ließ ihn ftehen. Das Hazard,
welches er kühn gewagt, war verloren, dennoch Hatte er
den ſchwerſten Sieg erfochten, den über fich ſelbſt. Aber
er ging wie ein Mann, der zu Tode verwundet ift. Als
— 576 —
er fich die Treppe in fein Zimmer emporgejchleppt hatte,
lagen Briefe auf dem Tiih. Auch ein Dienftjchreiben
mit großem Siegel. Er öffnete und hielt es gleichmütig
an das Licht. Leichenbläffe überzog fein Antlih, ein
dumpfer Laut rang ſich gurgelnd aus der Bruft — —
feine Verfeßung in ein elendes Dörfchen des Fichtel-
gebirges, gejtürzt, hinausgeftoßen wie eine Paria ...
eingefügt in die Reihen derjenigen, welche man in Welt
und Leben, in einflußreichem Amte nicht mehr brauchen
fann. Alles zu Ende: die Leiter, die zur Höhe, zu Tat
und Berdienit führt, ift unter feinen Füßen zufammen=
gebrochen. Staub wirbelt über fein Haupt. So war
alles vergeblich gewejen, fein Kampf, jein Entfagen, fein
geopfertes Herz. Ein gellendes Lachen fchütterte durch
das Zimmer, ein Lachen voll Wahnwih und Verzweiflung.
Brennender Schmerz zudte durch fein Hirn ... Glut
und Eijesfälte durchjchauerten die Glieder, ein Taſten,
Aufjchreien, und dann ein jchwerer Fall; Totenjtille. —
Der Stiftspfarrer von Sankt Brigitten war am Typhus
erfranft. Mit wilder, jäh vorbrechender Gewalt hatte
ihn die Krankheit erfaßt und niedergeiworfen. Lange,
entjegliche Nächte Hindurch rang der Tod mit dem Engel
des Lichtes um fein Opfer. Unermüdlic in qualvoller
Pflege ſaß Martha an dem Lager ihres Verlobten. Sie
gönnte ſich feine Nuhe bei Tag und Nacht, wie ein
Schatten zehrte fie dahin. Ihre fühle Hand lag auf
feiner Stirn, wenn die rafende Fieberglut den Franken
Mann aus den Kiffen emporriß, ihn mit den Geftalten
⸗ — — — ————
— 577 —
feiner Phantafie fümpfen oder koſen zu laſſen. Und er
ward ruhiger und klammerte ſich an ihren Arm und
flüfterte: „Hilf mir, Martha, vor deinen Augen fann fie
nicht beftehen, fie erträgt deinen Blick nicht ... falte Die
Hände und fieh ihr feit in das ſüße Anilig; Dann Hört
fie auf zu lachen und nimmt die jchweren Roſen von
meiner Bruft ...“ Heiße Tränen rannen über das
Antli des jungen Mädchens. Dann blieb der Stuhl
neben dem SKranfenlager eines Morgens leer, und Die
Diakoniffinnen walteten allein ihres Aıntes. Sein Be:
wußtfein fehrte allmählich zurück. „Wo ift Martha?“
Ausweichende Antworten. „Kommt fie bald?” Die
Schweiter wandte fich nach dem Feniter. „Sie pflegt
den Großvater, der alte Herr liegt ſchwer danieder.“
Tage vergingen, Wochen jchwanden dahin. „Martha!...
Marthall” — Bor dem Fenfter fangen die Nachtigallen
im lieder, und drinnen im Zimmer brachte die Oberin
dem genejenen Pfarrer die legten Grüße feiner Braut.
Wo die wilden Roſen um die Trauerweide ranfen und
der Jasmin feine weißen Blüten ftreut, jchlief Martha
in dem lichten Brautgewand und harrte des Geliebten.
Und er fam und warf fich nieder auf das fühle Grab. Ein
Flüftern ging durch die Zweige. Tränenperlen tropften
jegnend in das lodige Haar des Einjamen. An dem
feinen Marmorkranz aber ranfte und hob fich eine ge-
brochene Paſſionsblume wieder empor, Collander8 Glauben
an die göttliche Gerechtigkeit. — — — — — — —
In der Nacht, da man das Leben des Stiftspfarrers
N. v. Eſchſtruth, Ill. Rom. u. Nov., Hazard II. 37
— 578 —
nur noch nad) Minuten zählte, fuhr Fürftin Tautenftein
zum Faftnachtsball. Sie tanzte nicht, fie rate. Nervös,
fieberhaft, unvernünftiger wie je. Prinz Maximilian trat
zu ihr. „Sie haben fich ja gleich mir ſtets für den Pfarrer
Collander intereffiert, Durchlaucht. Ich Höre joeben, daß e3
mit ihm zu Ende geht.” Er fagte e3 ernft, faft finfter, mit
durchdringendem Blid. Das Gas fladerte, e8 warf einen
fahlen Lichtfehein über das Antlig der fchönen Fran.
Sie antwortete nicht, aber fie griff haſtig nach einem
Glas Eislimonade, welche ein Lakai präfentierte, und
jtürzte fie Hinab. Hochatmend, glühend vom Tanz.
„Sprechen wir von etwas anderem, Hoheit, fterben ift
ennuyant!” jagte fie, „oder bejjer, laſſen Sie uns tanzen!”
Koch eine halbe Stunde lang flog fie von einem Arm in
den andern. Dann gab es plößlich eine unruhige Szene
im Nebenjaal. Eine Hofdame wehrte die Zudrängenden
ab. „Fürſtin Tautenjtein ift frank geworden und fährt
nad) Haufe!”
„Ein Blutfturz?” flüſterte Exzellenz Södermann
entjebt.
„War vorauzzufehen. Die Krankheit liegt in der
Familie, ihre Mutter ftarb auch an der Schwindfudht.”
„Schredlich 11”
Verſchiedene fenjationelle Nachrichten alarmierten
an den nächitfolgenden Tagen die Hofgejellichaft und
höheren Kreife der Reſidenz. Die Löfung der myjteriöfen
Nendezpoug- Affäre rief einen wahren Eturm der Erregung
hervor. Der Wind fchlägt leicht um, und das Mäntelchen
— 579 —
flattert anjtatt recht3 nad) links. Marie Luife, die Ge:
ächtete und ©erichtete, wurde voll Begeifterung als Mär:
tyrerin auf den Schild gehoben. Niemand hatte an ihre
‚Schuld geglaubt. Die Equipagen rollten vor Billa Hazard;
leider vergeblich. Die beiden galonierten Diener verjicherten
den Herrichaften mit devotem Büdling, „daß Frau Baronin
am geftrigen Nachmittag in Bealeitung von Fräulein von
Speyern nad) Herfabrunn gefahren fei, wojelbit gnädige
Frau etliche Zeit zu verweilen gedenfe. Herr Baron jei
zur Zeit ebenfalld abweſend.“
Da fentte fich vorläufig ein Schleier über da3 plößlich
fo lieb und intereffant gervordene Baar. Ein neuer Eflat
verdrängte die älteren Ereigniffe. Graf Gofed hatte in
einem franfhaften Anfall religiöfer Schwärmerei der Welt
abgejchworen. Man erzählte fich, die Hände zuſammen—
ichlagend, daß er Zilterzienjer-Mönch werden wolle und
Knall und Fall abgereijt ſei. Graf Goſeck! Diejer LXebe-
mann, diejer rous? Je nun, les exträmes se touchent,
und ein abjonderlicher Kauz war er jtet3. Seine Liebe
zu Frau bon Nennderfcheidt war jelbjtverjtändlich im
Spiel. Hoffentlich bringt die Zukunft noch des Rätſels
Löfung.
Und abermals eine Neuigfeit! Nach dem Faſtnachts⸗
ball ift Fürftin Claudia tagelang jehr krank geweſen. Der
Medizinalrat zudt die Achjeln und ftreicht, den Heinen
Singer mit dem großen Brillantring etwas abfpreizend,
den grauen Henriguatre, „Sie muß fo fchnell wie möglich
nad) dem Süden!” jagte er und nad) fünf Tagen bereits -
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iſt das reizende Weib unterwegs nad) Stalien. Wie ein
Komet ſtrahlend über den Himmel zieht und ſpurlos ver—
ſchwindet, ſo tauchte ſie auf und ſo ging ſie. Die Groß—
herzogin war ebenſo beſorgt wie verſtimmt, weil ihr Lieb—
lingsplan vereitelt war. In der Hoffnung, Fürſtin
Tautenſtein mit ihrem verlaſſenen Gatten auszuſöhnen,
hatte ſie die junge Frau zu ſich eingeladen. Für acht
Tage ſpäter ſtand der Beſuch des Fürſten in Ausſicht.
Der Menſch denkt, und Gott lenkt. Fräulein von Giron—
vale hatte ihre junge Herrin begleitet, nicht gerade in
beiter Laune. Sie hatte es fich fo nett gedacht, den
deutfchen Seebär zu zähmen, und mußte ftet3 von neuem
die niederjchmetternditen Erfahrungen machen. Als fie
jüngft aus dem Theater getreten war, ftieg der Mond
wie eine mattrote Kugel aus dem Dunft der Schneenebel
hervor, und E3perance machte ein verzücktes Geficht und
fagte jeufzend: „Sieht er nicht gerade aus wie Die
Liebezleuchte in Elſas Brautgemach?“ „Nee“, fchüttelte
Hovenklingen ſchmunzelnd den Kopf, „noch viel Hübfcher!
Gerade wie ein Edamer Käſe!“ Das hatte fie fchon ge—
waltig verſchnupft, als aber der Herr Leutnant zur See
mit ihr und Baronejje Södermann Schlittjehuh Tief, und
die Pſeudo-Franzöſin voll grauſamer Phantafie die Frage
tat: „Wenn wir jeßt einbrächen, Herr von Hovenklingen,
wen würden Sie retten, Fräulein von Södermann oder
mich?” Da Hatte er in befannter Trodenheit prompt ge=
antwortet: „Mich!“ und damit ein für allemal dem Faß
- den Boden ausgefchlagen. Esperance fchimpfte auf das
rat
ganze einige Deutjchland und pacdte die Koffer. Prinz
Hohneck juchte Urlaub nach und reifte ebenfalls ab, aber
er kam nach ſechs Wochen zurück und wurde jeiner de=
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— 5382 —
rangierten Verhältniſſe halber in ein billigeres Regiment
verſetzt. Als Collander geneſen war, bekam er unter der
Hand die Anfrage, „ob er wohl geneigt ſei, Marinepfarrer
zu werden?“ Eine köſtliche Schickſalswendung für einen,
der ein raſt- und ruheloſes Herz in der Bruſt trägt. Er
wußte, daß er ſolches Glück einzig dem Intereſſe des
Prinzen Maximilian zu verdanken hatte. In Kiel ward
er auch ſofort zu einer Audienz befohlen. Dann ging's
hinaus in die weite Welt. Erſt eine Fahrt mit dem
Manöver-Geſchwader, im Spätherbſt nad) Kapſtadt und
Sidney. So nahm er Abſchied von der Heimat, von
den Gräbern, welche er als einzige Stätten der Sehnſucht
zurückließ; ein verſchloſſener, bleicher und kranker Mann.
Der Tod Hatte ihn freigeben müfjfen, aber feine Kralle
hat er ihm in das Herz geichlagen, daß es heimlich weiter
blutete und nicht gejunden fonntel In Madeira liegt in
paradiefifcher Pracht und Schöne eine Villa auf vor:
ipringendem Fels ain Meere. Die Kaiferin von Öfterz
reich hat fie vor Sahren bewohnt, und Pfarrer Collander
fteigt einfam den Weg hinan, einen Blid in den flüftern-
den PBalmenfrieden zu werfen. Der weiße Gartenjand
dämpft den Schritt, und Helmut fchreitet hinter blühen
den Gebüſchen bis dicht an das Gebäude heran. Plötzlich
Iteht er und preßt die Hände gegen das Herz. Auffchreien
möchte er und fann e3 nicht. Bor ihm ein feltfames Bild.
Im Rollſtuhl, in feidene Kiffen gebettet, Tiegt Claudia.
Schön wie der blafje Engel, welcher aus Grabezichatten
feinen Flug zum Himmel nimmt. ine Sterbende. Die
— 583 —
Heinen Hände, wachsbleich und abgezehrt wie ein Hauch,
liegen gefaltet auf der warmen Pelzdede, tiefumnachtete
Augen heben fich mit ftarrem Bil zum Himmel. An
ihrer Seite ſitzt ein Jeſuit und liejt mit monotoner Stimme
Gebete vor, fein Antlit ift ſcharf gefchnitten, ein ftrenger,
beinahe unerbittlic) granfamer Zug macht es unfchön.
Geitwärts liegt E2perance in einer Hängematte, raucht eine
Zigarette und fofettiert mit einem GaribaldianersOffizier.
Die Sonne finkt, und Claudia fröftelt im friſchen Luft—
zug, welcher von der See emporweht. Der Garibaldianer
wirft Eöperance noch heimlich eine rote Roſe zu, dann
tritt er Hinter den Seſſel der Fürſtin und füßt fie auf Die
Stirn. Ihr Gatte? Collander weiß e3 nicht, wie er
den Rückweg durch das blühende, duftberaufchende Laby—
rinth gefunden, durch feinen Kopf und feine Bruft zudt
abermals da3 brennende Weh, wie an jenem Tage, Da
er in feinem Zimmer zufammenbrah. Und auch jeit
diefer Stunde ift er wieder Frant. Am Tage wanft er
fraftlos einher, und in der Nacht phantajiert er in wüſtem
Traum. „Dort wollen wir niederjinfen unter dem Palmen
baum!’ klingt's wie ein Schrei der Sehnfucht dazwiſchen.
Die Küfte von Liberia jteigt aus den blauen Wogen,
Fieberluft weht, und Collander geht troß der Warnung
des Arztes an Land und fehrt kränker denn je zurüd.
Tage vergehen, jorgenjchwere Tage. Die Wogen raufchen
einförmig klatſchend gegen die Schiffswand, durch das
offene Fenfter ftreicht der feuchtheife Tropenwind und
füßt Die brechenden Augen eines deutfchen Mannes. Der
— 581 —
Arzt fißt neben Collander und hält feine Hand, die er-
Itarrende, welche noch einmal leife zittert und fich zus
Sammenframpft. Wenige Minuten ſpäter raujcht die Flagge
auf Halbmaft hernieder. Wo die Palmen ragen, dag weite,
blaufunfelnde Meer zu Füßen, haben fie ihn begraben.
Die Keine Schwalbe ſchwingt ſich von dem fchlichten Kreuz-
lein empor und fliegt wie ein ſehnſuchtsvoller Gedanfe
weit hinaus über die See. — — — — — — — —
„Nur ein Kapitän Tann eine Fregatte führen!”
Adalbert weiß es wohl. Er ift mit diefer Überzeugung
von Fides von Speyern gejchieden, als er, nach beendigten
Urlaub in der NRefidenz, den Prinzen wieder nach Kiel
begleitete. Prinz Marimilian jchaut aber nicht nur die
Uniform feiner Marineleutnants und Adjutanten, fondern
er durchſchaut fie auch bis in das Herz hinein, und er
fennt feine größere Freude, als ein heilend Pfläfterchen
aufzulegen, wenn er ſolch ein, Herz verwundet fieht. An—
läßlich einer Schiffstaufe, bei welcher die Erbgroßherzogin
Margarete Gevatter ſtand, erjchien auch Fräulein von
Speyern in Begleitung der hohen rau an Bord. Der
Prinz behielt fie und feinen Adjutanten wohl im Auge.
Und als Hovenflingen ihr das jchwarze Matrojenband
mit dem golddurchwirkten „Prinz Albert” mit den Worten
verehrte: „Wollen Sie Dieje Farben tragen und die
unfere werden, gnädiges Fräulein?“ und Fides es in
ſtummer Antwort in das blonde Haar fchlang, da wußte
er, wie viel Glas es gejchlagen. Vorerſt ging es für ein
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halbes Jahr nad) Oſtindien. „Sch habe keine Menschen:
feele, welche mir Briefe ſchreibt! Sehen Sie fich hier
um auf dem Schiff, gnädiges Fräulein, iſt es begreiflich,
daß man fich in der Einſamkeit nach einem Gruß aus
der Heimat fehnt?” Sie ſah fih um und... . fie ant-
wortete auf feine Briefe. Und wenn die Beitung kam,
ſuchte ihr erfter Blid die Schiffsnacdhrichten. Sie war
auch gar nicht mehr fo ernjt und jtreng wie fonft; ein
roſiges, mädchenhaftes Lächeln fpielte um ihre Lippen.
Fides iſt meine gute Freundin. Jüngſt wollte ich fie
im erbgroßherzoglichen Schloß bejuchen. Der Lakai fennt
mich, ich jchritt Haftig an ihm vorüber. „Es ift ſchon
Beſuch anmefend, gnädiges Fräulein!” „Zut nichts,
Treumann, ich werde mich ſchon mit den Herrjchaften
vertragen!” In Fürftenfchlöffern liegen dicke Teppiche.
Niemand hört mich kommen, und als ich in das Neben-
zimmer treten will, da ſehe ich ... . ei Potz Anfer und
PBumpftod! den Herrn von Hovenkflingen in nagelneuer
Rapitän-Zeutnantsuniform, friich und verbrannt zu jenem
herrlichen Flunderbraun, wie e8 die Seefahrer direkt aus
Dftindien mitbringen, und er hält feine ſtolze, glüd-
ftrahlende Fregatte in den Armen und Füßt fie und
jubelt: „Fides ... kann es denn möglich fein... Sie
haben mich lieb?”
Da Sieht fie zu ihm auf, jo ſchelmiſch, wie ich es nie
für möglich gehalten hätte, und jagt: et mi a Küßle
gibt, derf mi a dutze!“
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„Ei, da gratulier ich!“
In Herſabrunn iſt es Frühling geworden. Als Marie
Luiſe von Fräulein von Speyern in die alte Heimat zu—
rüdgebracht wurde, fi) in der Einfamfeit von all den
Aufregungen der lebten Tage zu erholen und den Folgen
de3 aufgewirbelten Staubes zu entgehen, da lag noch
der Schnee auf den Dächern und Bäumen, und jebt
ftrahlt der Himmel lichtblau, und die Knoſpen find ge-
iprungen und der Mai, der Mai ift gefommen! Olivier
ift in Roggerswyl, das uralte Neſt für fein junges
Weibchen auszubauen, und wenn das lebte Stück Tapete
aufgeklebt und der lebte Nagel eingefchlagen ift, dann
wird er fommen, ein glüdlicher, überglücdlicher Freier
und wird die Geliebte holen und fein Kleinod zu eigen
nehmen zu einem Frühling ohne Ende!
Frau von Körberik fiht in der großen Gtiftschaife
und hält nach wie vor dort ihr Nachmittagsfchläfchen.
In der Küche raffeln die Teller in der Spülmwanne, genau
im Takt der beiteren Klänge von „DO Tannebaum —
o Tannebaum, wie grün find deine Blätter!” Röschen
und Baronefje Erifa zanfen fich bei offenen Parterre⸗
fenftern, und Marie Luife Hufcht eilig hinaus in die Stille,
jonnenhelle Welt.
Unter den blühenden Kirjchhäumen der Allee, das
dunfle Kleid leicht gezauft vom frischen Wind, fchreitet
das bräutliche Weib tagtäglih um diefe Stunde dem
Poſtboten entgegen. Und fie geht niemald vergeblich.
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Schon von weitem ſchwenkt er ihr den Brief entgegen,
und mit ftrahlenden Augen, heißer erglühend wie in den
Tagen ihres kurzen Brautjtandes, flüchtet fie mit ihrem
Schatz in den duftigen Wald, am Ufer des Sees feine
Beilen zu leſen.
Wo er heute nur bleibt?” Einfam und menjchenleer
ift die lange, jchnurgerade Allee. Ganz in der Ferne
nur rollt ein Kleiner Korbiwagen herzu, deſſen magerer
Fuchs von der Botenfrau des Stiftes gelenkt wird, und
dahinter taucht noch ein Wagen auf, eine elegante Karoffe,
vor welcher die Rappen ausgreifen, als gälte eg ein tolles
Wettjagen. Näher und näher rollt’3 heran, Marie Quife
bleibt regungslos jtehen und drückt unmillfürlich Die Hände
auf ihr ftürmifches Herz. Näher ... ganz nah...
auf dem Kutjcherbode ein befanntes Gefiht ... und
Daneben der brave, alte Landbote, welcher der jungen
Frau die wunderlichiten Zeichen madt. Die Roſſe pa=
rieren. „Heute bringe ich ihn felbjt!” ruft der Nante
mit grinfendem Gejicht vom Wagen herunter, gleicherzeit
aber fliegt der Schlag zurüd, und Olivier ſpringt zur
Erde. „Zufahren!” ruft er mit Lömenftimme Die
Hufe nattern, und die Afte der Kirſchbäume, welche der
hohe Treſſenhut jtreift, jchütteln ein Schneegejtöber von
Blüten hernieder. Marie Luife .fieht e8 nicht mehr;
Himmel und Erde fchlagen in Sonnengluten über ihrem
Haupte zufammen, an feiner Bruft!
Das Schilf flüſtert und erzählt den Heinen Wellen
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im See viel liebe, uralte Märchen. Vom Glück, der
blauen Wunderblume, welche nur ſolche Menſchenkinder
finden, die zum Himmel emporſchauen, wenn ſie danach
ſuchen.
Die Abendglocken läuten, und im Walde wird's ſtill,
als neigten alle Bäume und Blumen die Häupter im
Gebet.
Olivier faltet die Hände um die feines jungen Weibes.
Er hat fie noch einmal an das moofige Ufer geführt, ehe
der Reiſewagen fie Hinausflüchtet in die weltverjchollene
Blütenpracht des eigenen Heims. Er blidt ihr in das
Auge: er jieht ebenfo aus, wie damals, al3 die Gloden
über den See hallten und er fein Haupt entblößte und
Gott die Ehre gab.
„Zum zweitenmal wirjt du mir in das Leben folgen,
Marie Luiſe“, fagte er leije voll feierlichen Ernites, „zum
zweitenmal mein Schickſal zu dem deinen machen. Dies-
mal werden die Karten nicht zu einem Hazard gemijcht,
e3 gilt fein Wagen und Einſetzen mehr, der Gewinn, der
föftlichite, it Schon mein eigen. Damals jchritt nur ein
guter Kamerad für die furze Spanne Erdenleben an
meiner Seite, der Ring der Treue aber hat feinen Anfang
und fein Ende.”
Roſige Lichter wehen über den See, und das Abendrot
vergoldet die Wolfen, zu welchen zwei jubelnde Schwalben
emporfliegen, höher und höher, unbedroht von Falk und
Habicht, in den offenen Himmel hinein.
Feſter fchmiegt ſich Marie Luiſe in den Arm des ge-
— Ha —
liebten Mannes, ihre Antwort iſt ihr ſtummer Blick, ihre
ganze Seele liegt in dem Händedruck, mit welchem ſie
ſich ihm angelobt für Zeit und Ewigkeit. Über Oliviers
Lippen aber ringt es ſich wie ein glückſeliger, einziger
Jubellaut: „Mein Weib!“ /
Bitte wenden !
Drud von 3.8. Hirſchfeld in Leipzig.
Inhalt der neuen Serie.
Band 1m. 2
Die Bären von Boben-Esp
Roman.
Mit 100 Illuſtrationen von Sr. Shwormfädt.
Band 3 u. 4
Der verlorene Sohn
Roman.
Mir 100 Fluftrationen von Oscar Bluhm.
Band 5 u. 6
Umgleich- Wolfsburg
Rom
Mit 100 Illuſtrationen v. ". Wald u. a Slasher.
Band 7
Der Mühlenprinz, Roman.
Mit 50 Fluftrationen von M. Karascudts.
Band 8 u. 9
Im Schellenbemd, Roman.
Mit 100 Illuſtrationen von Srit Bergen,
Band 10 u. 11
Am Ziel, Roman.
Mit 100 Illuſtrationen v. Prof. Hans W. Schmidt.
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DRIN BIENEN BRENNEN
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An unfere Abonnenten!
Die nunmehr beginnende „Vierte Serie‘ von
Nataly von Eihftruth,
Slinftrierte Romane und Novellen,
eröffnet der neuefte Roman der beliebten Autorin
Die Bären von Hohen⸗Sop.
Seine Malestät Kalser Wilhelm ll.
geruhte die Widmung dieses Ro-
mans anzunehmen, das erste Mal,
dass einem Romanwerk eine so
hohe Auszeichnung zu tell wurde.
Mit größter Spannung fehen uufere Leer diefem
Werk entgegen, das durch die wahrhaft Fünftleriichen
nftrationen des Münchener Künftlers Fr. Schworm-
hädt ein herrliches Kunſtwerk geworden ift. Auch die
anderen Schöpfungen_ der beliebten Verfafferin, die in
der jest beginnenden Serie zum Abdruck kommen, find
durchweg als Kunftwerke zu bezeichnen, die einen ent-
züefenden Stimmungszauder atmen. — Rataly von
Eichftruth’s Romane haben einen hernorragenden
bildenden Wert, fie ſind ein
—— bollwertiger Familienſchatz. —
Umftehend befindet ich eine Inhaltsangabe der
nenen Serie mit Angabe der die Jlluſtrierung be-
forgenden Künſtler, die wir Ihrer befonderen Beady
tung empfehlen. |
Wir hoffen alsdann alle unfere bisherigen Abon-
nenten demmächft auch als Abonnenten der neuen Serie
begrüßen zu dürfen.
Mit Hochachtung
Paul Liſt, Bering, Leipzig.
kb
—
ILIDEE
NESO
INN]
3 1951 DO1 571
IT
569H .