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EN
Hofluft
Nataly von Efdffruth
Hofluft
Roman
Paul Lift Verlag Leipzig
Alle Rechte vorbehalten
KEopprigbt 1922 by Baul LIR, Leipzig
r A a, COM.
51.
Spamerfhe Buhdruderet in Lelpzig
Erſtes Rapitel
E83 war Frühling geworden. Lange Zeit hatte Die
Newa geduldig den Naden unter das Jod) Des Winters
gebeugt, hatte den eisgligernden Panzer getragen, Der
ihre ftolz wogende Flut ſchmal und ftarr zufammenpreßte,
und wie die Wagen der Triumphatoren ehemals über
den Leib des bejiegten Feindes ftürmten, jo rollten Die
Laſtfuhren, Elingelten die Schlitten und fauften die drei—
fpännigen Chariots voll feden Abermuts über die ge-
feffelte Nize, die Beherrſcherin der alten Zarenftadt.
— As aber das bunte Getriebe der Petersburger
immer berausfordernder wurde, und die gewaltige Kris
ftallbrüde der Newa gar zu viel des rajtlofen Lebens
ertragen mußte, da erglühte Das Tagesgeſtirn voll Zorn
hinter den Schneewolfen, trieb fie auseinander wie
Nebelgebilde und forderte mit goldenen Pfeilen den
Winter zum Kampf. Und nicht lange währte eg, da trieb
eine impojante Waſſerfläche ihre blauen Wogen zwifchen
Den Eteinwällen des Kais und den Sranitwänden der
Zeftung hindurch, an den Bärten des Fürſtlich Sobolefs-
toifhen Palais vorüber.
Diejer uralte prächtige Bau lag etwas erhöht über
dem terrajfenartigen Park und gewährte aus feinen
boben Fenſtern einen köſtlichen Ausblid über die Stadt.
Durd) dag zarte Maigrün der Bäume fah man über eine
weite, plabartige Ebene hinab auf die entfernteren
Straßen und Dächer, aus denen in gedrängter Fülle
5
Kuppeln und Kirchtürme, koloſſale Tafernenartige Ge⸗
bäude und darüber Die finfteren Feſtungsmauern empor»
ragten.
Die Balkontür zu einem der Mittelfalons ſtand ge-
öffnet, und die Sonnenftrahlen, Die das Zimmer über-
fluteten, verrieten jeßt erft völlig die pomphafte Pracht,
Die der Winter fo lange Hinter feinen Dämmerungs“
ſchleiern verftedt Hatte. Wenn der alte Ausſpruch:
‚Bon der Einrichtung eines Zimmers läßt fi auf den
Charakter des Bewohners ſchließen', richtig ift, fo mußte
Diefes Boudoir im Palais Sobolefskoi von der ele-
gantefien, penibelft modernen, zarteften und anmutig-
ften Frau bewohnt werden. In gefhmadooller Weife
waren die einzelnen Stüde des Ameublements zufam«
mengeftellt. Unzählige Heine Koftbarfeiten lagen auf
Tiſchchen und Konfolen ausgebreitet, rofa Schleier ver—
büllten die Lampen, weiche Atlastiffen bildeten trauliche
Eckchen, und wo man auch binbliden mochte, überall
dien eine ideale, weihe und unendlich verwöhnte
Stauenhand zu walten. Dennoch beherbergte das Palais
Eobolefstoi feine Dame, und in dem entzüdendften aller
®emäder, por feinem Schreibtifh, ſaß einfam Die
ſchlanke, etwas krankhaft hagere G©eftalt eines Herrn,
um deſſen Schläfen fi) dag Haar, wenn auch voll pein-
liher Sorgfalt jugendlich frifiert, fo doch fehon grau und
ſpärlich Iodte.
Fürft Gregor Sobolefskoi, der Kammerherr bes Zaren.
An feiner wie durchſichtig weißen Hand ſprüht ein
Diamant von feltener Schönheit, das Shrengefchent eines
Sroffürften, das dieſer dem erprobten Freund Des
Kaijerhaufeg bei feinem fünfzigjährigen Pienftjubtläum
an den Singer geftreift hat.
Sünfzig Jahre im Pienft des ‚Hofes! Fürſt Sobo-
lefefoi hat als zehnjähriger Knabe feine erften Pagen«-
dienfte getan, als achtzehnjähriger Züngling als Reife»
begleiter und SKammerberr feine Stellung bei einem
der kaiſerlichen Prinzen offiziell angetreten, nachdem
er bereits von klein auf ftändiger Oaſt in der Kinder-
6
—
ſtube des Winterpalais und des Gatſchindger Schloſſes
geweſen. Fünfzig Jahre! Wie ſich eine Pflanze mit
tauſend feinen und unlöslichen Wurzelfaſern feſtſaugt
und anklammert an den Boden, der ihr zur Heimat ge⸗
worden, fo iſt auch Gregor Sobolefskoi mit dem höfiſchen
Parkert verwachſen, ſo iſt auch er mit unzähligen Banden
ber Hofluft verfallen, die für ihn jedes Sein und Exi—⸗
ftieren bedeutet. Das DBermögen des Fürften ift un«
gebeuer, er beſitzt Ländergebiete, die er nie in ihrer
ganzen Ausdehnung geſchaut, er bat Reichtümer bei
in- und ausländiiden Banken angehäuft, er könnte
felbft einen Hofftaat Halten und wie ein Heiner König
sein Sebiet regieren, und Dennoch beugt er voll fana-
tiſchen Eiferg fein Haupt im Pienjte des Zaren, Deifen
fleine Winte und Befehle für ihn zum Inbegriff des
Lebens geworden find. Fünfzig Jahre am Hof!
Ale Fäden der harmloſen und nicht harmlofen In⸗
trigen, die Das tägliche Leben in Fürſtenſchlöſſern um-
Ipielen und feine Luft erfüllen, waren entweder durch
die Hände Sobolefstois gelaufen oder doch voll bren»
nenden ntereffes von ihm beobachtet worden, und
ohne dieſen Heinen Klatjch, der jedesmal für ihn Die
Richtigkeit einer ‚Krife‘ annahm, deuchte Ihm Das Leben
unerträglich langweilig. Fürft Sobolefskoi Tannte alle
Elemente der Geſellſchaft und war von allen gefannt,
es gereichte zu feiner hohen Befriedigung, überall mit
ein paar vertrauliden Worten die Hand zu fchütteln
und mit diftinguierten Leuten intim zu fein und höchſt
wichtigen Geſichts mit irgendeinem Würdenträger zu
tuſcheln und zu flüftern, wenn ein Bublilum dazu an«-
wefend war.
Als Kammerherr wurde ihm in fpäterer Zeit meiſt
das Ehrenamt, den Hof bei Feierlichkeiten in auswärti«-
gen Refidenzen zu vertreten, und alsdann fonnte er
ſich im Slanz der Fürftenfronen, die ihm jedesmal einen
Etrahl in Form eines Ordens gegen die kreuz⸗ und
flerngepanzerte Bruft warfen. Der Jubel des Volkes,
Dpationen und KRundgebungen waren ihm äußerſt ſym⸗
7
pathiſch und berührten ihn, der fo völlig mit dem Hofe
verfhmolzen war, genau fo angenehm, wie den Hohen
Herrn, dem fie gegolten.
Zage, an denen er feine Hofluft atmen fonnte, zählte
er zu den verlorenen, und der Gedanke, ſich durch irgend⸗
eine Unvorſichtigkeit die Huld des Zaren zu verſcherzen
und dadurch ſeiner Stellung verluſtig zu gehen, hatte ihn
fünfzig Jahre lang wie ein Geſpenſt verfolgt. Fünfzig
Jahre lang! Und heute ſaß Gregor Sobolefskoi vor
ſeinem Schreibtiſch und wollte die ſpitze kleine Feder am
goldenen Halter zu einem ſcharfen Schwert machen,
das mit einem einzigen Schlag all die Bande, Fäden
und Wurzeln zerſchlagen ſollte, die den Fürſten mit
dem kaiſerlichen Hof verbanden. Die Feder des alten
Höflings tanzte voll nervöſer Haft über einen großen
weißen Bogen, und die Orden auf der Bruſt Hirrten Ieife
aufammen, als wollten fie wehllagen über ſolch uner-
börtes Beginnen.
Fürft Sregor Sobolefsfoi erbat vom Zaren die ©nabe,
aus feinem langjährigen Dienft als Kammerherr ent-
laffen gu werden.
Das Sonnenlicht flimmerte über das ergraute Haupt,
und der Echreiber zog fein duftendes Spigentafchentudh,
es mit all jener Brazie, die ihm zur zweiten Natur ge»
worden, über Die hohe Stirn zu führen.
Dann entzündete er eine Wachslerze, kuvertierte das
Schreiben und drüdte ‚voll umftändlicher Genauigkeit
das Siegel darauf. Einen Augenblid ftarrte er regungs-
los auf den inhaltſchweren Brief, Dann erhob er fi
tief aufatmend, um an die offene DBallontür zu treten.
Eine jede Bewegung des alten Herrn war von Seltener
Blaftizität und der wohlbemeifenen Sleganz, die zwiſchen
dem ©edenhaften und Formvollen ftets fcharf die Grenze
hält.
Das Antli war ſchmal und ſcharf geſchnitten, die
Augen in tiefdunkler Umrahmung lebhaft und ausdruds-
doll. Seine Kleidung war ſtets das Ergebnis peinlicher
Eorgfalt, und obwohl über der ganzen Erſcheinung Sobo-
8
lefstois eine etwas weichlidhe, beinahe weibiſche Sua-
bität lag, war der Fürſt dennoch ein anerkannt geiftooller
Mann, der nicht allein auf dem Parkett, fondern auch
auf mandhem Geld der Wilfenfchaft zu Haufe war.
And nun wollte er alles aufgeben, was ihm von FKin-
Desbeinen an zur Unentbehrlichteit geworden war, alles,
was bisher fein Leben ausgefüllt Hatte, und alles, woran
fein Herz und Derfiand mit taufend Banden Bing! Sein
Herz — nein, eben dieſes Herz hing nicht mehr an jener
purpurfarbenen Pradt, die ihn poll ftarrer Unerbitt-
lichkeit von feiner Liebe trennte.
Das Undentbare, Unglaublidhe, das die Petersburger
chronique scandaleuse fhon längere Zeit als ſchwebendes
®erüdt erfüllte, war zur Tatſache geworden.
Fürſt Oregor Sobolefstot, der Lebemann und einge-
fleifdte Junggefelle, der ein halbes Jahrhundert lang
faltblütig an der vornehmften und verführerifchiten
Frauenſchönheit aller Herren Länder porübergegangen
war, Fürſt Gregor hatte fich mit grauem Kopf: noch ver-
liebt — wahnwitzig und finnlos, wie ein berblendeter
Knabe. Und in wen?
In eine Sängerin! Sie war am SHoftheater N
fang mit mäßiger Stimme die Agathe und Norma und
blidte Dabei jo ſchwärmeriſch und ſanft aus ihren braunen
Zaubenaugen in das Publitum und fchüttelte die licht»
Blonde LZodenfülle fo ſchmachtend in den Naden, daß fich
alle Männerhände wie bypnotijiert zu ftürmifhem App»
laus erhoben. Aber die dunklen Augen in dem zart
ovalen Geſicht und die goldene Haarfülle bildeten aud)
die einzige Schönheit der Mademoijelle Sglantina Ruz-
solane.
Mademoifelle Sglantina war eine leidlich intereffante
Berfon, die gut in ihre lyriſchen Rollen paßte. Daß fie
aber das verfteinerte Herz des anſpruchsvollſten aller
LZebemänner in fo ernfte und heiße Flammen verfeßen
fonnte, daß er alles aufgab um ihretwillen, das war
und blieb der Petersburger Geſellſchaft ein großes und
unlösbares Rätfel.
Eobolefstot war auf den Balkon binausgetreten und
ftarrte gebanfenvoll auf das wogende Newawaſſer, auf
die fonnenbligenden Dächer und Kuppeln des nordifchen
Peris. Auch don dieſer, fo unendlich geliebten Heimat,
an die fich die glüdlichften Srinnerungen fnüpfen, haben
ihn die zierliden Federzüge in dem Briefkuvert auf
dem Echreibtifch Drinnen getrennt, denn wenn Sglantina
fein Weib wird, ift feines Bleibens nicht länger in
Petersburg. Und das ift gut.
Der Fürſt ift eiferfühtig wie ein Türke, und der
Gedanke, fein Weib fo weit wie möglih aus Hiefigen
Derbältnifjen zu entfernen, in tiefiter Einſamkeit feiner
Güter mit ihr allein und nur für fie allein zu leben, hat
etwas DBezauberndes für ihn. Sr wird wieder jung
werden in ſolchem Maienglüd idylliſcher Flitterwochen,
er wird voll Sntzüden feine Freiheit genießen und auf-
atmen, wenn der läjtige Zwang dieſes Mafchinenlebeng
poll Dienft und wieder Dienft endlich abgeftreift ift!
Sglantinas dunfle Augen werden ihm in taujend»
mal mwonnepollerem Glanz erftrablen, als alle Fürften-
fäle der Welt, und die goldenen Loden werden ihn
mit magijcheren Banden umftriden, als all die Ordens»
bändlein und goldenen Steffen, die ihn mit dem Hof
verknüpfen! Ia, Fürft Sobolefskoi ift feft entjchloffen,
alles in die Wagfchale zu werfen. Sr verlacht die Mah-
nung treuer Steunde und fendet einen reitenden Boten
nad; dem alten, unendlidy einfam gelegenen Schloß am
Etrand der Oſtſee, damit es fich mit DBlütengewinden
und Fahnen ſchmücke, feine junge Herrin zu empfangen!
Fürſt ©regor [haut lächelnd über die Lenzespradt,
mitten in die Zulunft hinein, und reißt fi gewaltfam
aus den Träumen, tritt in das Boudoir zurüd und
ſchreibt mit den ftürmenden Bulsfchlägen eines Füng-
lings einen zweiten Brief.
Diesmal zeigt das rofige Papier ein pruntvolles Wap⸗
pen unter der Fürftentrone, und im Nebenfalon wartet
ein gigantilches Bulett aus Paris, aus lauter Drangen-
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Blüten und „Drennender Liebe“ zufammengeftellt, das
fol! dem DBillett die nötige Folie geben.
Fürſt Oregor Sobolefstoi Hält in aller Form um bie
Hand der Demoijelle Sglantina Ruzzolane an.
Der Zar hatte einen Heinen Maiausflug nah Gatſchina
unternommen und beabfichtigte, etlihe Sage in Be—
gleitung feiner Familie in Diefem jo außerordentlich
anmutig gelegenen Schloffe zu verleben.
WVor feiner Faſſade Hatte die fürftlid Sobolefskoiſche
&quipage gehalten und war dann langfam, an dem Denk⸗
mal Bauls I. vorüberfabrend, in eine der Barlalleen
eingebogen.
Die beiden riefigen Zfcherkeffen, die mit Dolch und
Biltolen im Gürtel in der Vorhalle die Wache bielten,
Hatten der ſchmächtigen Geſtalt des Fürften wie etwas
ſehr Alltäglihem nachgeſehen, als er in großer Kammer-
berrnuniform, leiht und etwas hüpfenden Schritteg die
. ‚Spldene Treppe‘ emporftieg. Sonjt hatte der alte Höf-
ling unter dem Deckmäntelchen graziöfer Bofe die Hand
- meift auf das pracdtoolle, im Renaiffanceftil gehaltene
und ſchwer vergoldete ©itter geftüßt, weil er troß Der
Läufer befürchtete, auf den glatten Marmorftufen aus-
zugleiten; heute tänzelte er fo frei und ficher die Stufen
binauf, als habe er vollftändig vergeffen, daß es fhon
über fünfzig Jahre ber war, feit er zum erftenmal als
Knabe diefen Weg gegangen.
Der Kammerdiener des Zaren trat ihm entgegen, und
an ihm vorüber jchritt Sobolefstoi in das Borzimmer,
in dem der Adjutant ihn ftets mit en Gruß
empfangen hatte.
Heute ſaß dieſer in einem Seſſel am Fenſter, blickte
mit zwinkernden Augen von ſeinem franzöſiſchen Journal
auff, erhob ſich in Fühl-formellem Gruß und wandte ſich
ſehr oſtenſibel ſofort wieder ſeiner Lektüre zu.
Einen Moment war der Kammerherr befremdet, dann
zuckte ein etwas ironiſches Lächeln um ſeine Lippen;
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ſchweigend nahm er Platz und wartete, bis er zu Seiner
Majeftät befohlen wurde.
Die Audienz dauerte nicht lange, aber die Stimme
des Zaren Mang laut und heftig, in jeder Silbe ver-
ftändlich Big in das Vorgemach hinaus.
Der Adjutant hatte feine Zeitung längft auf Den
Tiſch zurüdgeworfen und war mit leifen Schritten in
dem ®emad) auf und nieder gewandelt.
„Graf Karnitheffl
Der Offizier wandte fi jählings zurüd. Zwiſchen
den Portieren Stand Die impofante ©eftalt der verwitiwe-
ten Palaftdame Madame de Louz.
„Frau Baronin befehlen?“ Karnitcheff glitt * eifrig
herzu und Füßte die Dargebotene Rechte galant über dem
hohen ſchwarzen Handſchuh.
„Wie ſteht es mit nn Gibt er nach?“
„sch fürchte, nein!“
„Majeſtät find erregt... ah ... ich böre ihn deutlich
reden. Karnitcheffl Iſt denn der Fürft von allen guten
©eiftern verlajjen, daß er noch zu widerjpredhen wagt?
Nun denn — wie man fich bettet, jo liegt man — bier
ift Fürſt Sobolefstri von Stund an unmöglich ge⸗
wordenl“
„Natürlich unmöglich!“ triumphierte Straf Karnitcheff
und möchte abermals die Hand Der reizenden Witwe
küſſen, ſie winkt ihm jedoch haſtig ab, lächelt ihm zu
und rauſcht mit endloſer Trauerſchleppe über die Tür—
ſchwelle in die Vorhalle zurück. Als Fürſt Sobolefskoi
mit hochgerötetem Antlitz in das Vorzimmer zurücktritt,
ſteht der Adjutant am Fenſter und ſcheint anfänglich
das Eintreten des Kammerherrn zu überhören; erſt, als
ihn der alte Herr, höflich wie immer, anredet: „Leben
Sie wohl, Graf Karnitcheff, ich werde wohl nicht mehr
die Freude haben, Sie noch einmal in Diefen Räumen
wiederzujehen!“ wendet er fich kurz um, ignoriert Die
Dargebotene Hand und verneigt fich Talt und ftumm mie
ein Pagode. |
12
„Wetterfahne!“ denkt Sobolefstot und wendet fich
zur Zür.
As er die Halle durchichreitet, fieht er Die beiden
Komteſſen Imanoff und Madame de Louz in eifrigem
Geſpräch vor den Privatgemädern der Kaijerin fiehen.
Madame de Louz war ſtets feine gute Sreundin, die
ihn Durch taufend Meine Liebenswürdigfeiten geradezu
verwöhnt hat, auch die beiden Komteffen hatten ihm ftets
nur die [hönften Dinge gejagt. Sr will feiner Gewohn-
beit gemäß mit ein paar heiteren Worten zu den Damen
berantreten, bleibt aber ganz betroffen ftehen, als ſich
die Köpfchen faum halb zur Seite wenden, als ein un«
definierbarer Blid ihn pom Scheitel bis zur Sohle mißt
und die drei DBegleiterinnen der Zarewna mit kaum
merklichem Gegengruß an ihm vporüberjchreiten.
Fürft Sobolefstot ift unmöglich geworden. Sinen Mo⸗
ment trifft es den alten Herrn doch wie ein feiner Stich
ins Herz, dann lächelt er abermals. Narr, ber er ift,
zu vergeffen, daß Madame de Louz’ idealfter Traum ein
alter ®atte mit gutem Namen und großem Dermögen
ift, der ihr bald zum ziweitenmal den Witwenſchleier
über das rotblonde Haupt breiten wird! Der Kammer-
herr bleibt zögernd ſtehen und läßt den Dlid umber-
(chweifen. Zum Ießtenmal ftehbt er auf dem Marmor-
boden von Satfchina; wenn er die Schwelle überjchreitet,
fällt die Tür Hinter ihm ins Schloß und fchiebt auf
ewige Zeiten ihren Riegel zwiſchen ihn und den Hof
des Zaren. In hoher Ungnade hat ihn der Kaifer ent-
laffen, Hat ihn für immer aus feiner Umgebung ausge»
[hteden, und daß fein Bittgeſuch jemals den Abgrund
folder Berbannung überbrüden kann, weiß Sobolefgtot.
Mit Bligendem Auge batte der hohe Herr vor ihm
geftanden: „Sie find ein Narr, Sobolefstoi, wenn Gie
glauben, in der Liebe eines unebenbürtigen Weibes
Ihr Süd zu finden! Ihr ganzes Dafein wurzelt in
Ihrer Stellung, Sie werden verſchmachten und erftiden
wie der Fiſch auf trocknem Lande, wenn Sie feine Hof-
luft mehr atmen!“ en
13
N
Eolite der Zar recht haben? Langfam ſtrich GOregor
über die Stirn und lächelte, aber er ſog begierig den
Duftigen Hauch ein, der durch die Korridore wehte.
Ia, das war Hofluft!l Wer kannte fie beffer als er?
Balſamiſch und wunderfam feierlich, füß und ftreng zu-
gleich, ein Gemiſch von ‚Sonne, Mond, Sterne, Himmelg-
glanz und DVeilchenduft‘, wie Jean Paul ehemals voll
enthuſiaſtiſchen Entzüdens aus Thüringen gejchrieben.
Zweites Kapitel
Die kurländiſche DBefitung des Fürſten Sobolefskoi
dehnte ſich in außerordentlidem Fächengebiet an dem
Etrande der Oſtſee entlang. Auf dem höchſten Punkt
einer kurzen Hügelfette ragte ein koloſſaler, Tlofterartiger
Schloßbau mit unzähligen Türmen und Türmchen gegen
den blaugrauen Himmel empor, ein trugiger Marfftein
am DBaltifchen Meere.
Es war einfam bier, viel einfamer als es ſich Fürft
Sobolefskoi und feine junge Gemahlin vorgeftellt hatten,
aber in der erſten Zeit feines jungen Sheglüdes hatte
der Kammerherr dieje Abgejchiedenheit von aller Welt
geradezu vergdttert, und Fürſtin Gglantina tröftete
ſich in dem Gedanken, daß ſolch ein — ja nicht ewig
dauern Fönne.
Das Glück iſt eine ſchiliernde, eilig dahinſchwebende
Kugel, und auch der ſüßeſte Duft einer Roſe verweht ‚mit
der Zeit.
Die Gewohnheit aber tft ein ruhig und ſicher daher⸗
ſchreitendes Weib, in grauem Nonnengewand, mit Talten,
unendli nüchtern blidenden Augen, Das greift mit Jerber
Hand jegliden Flitterftaat und reißt ihn erbarmungslos
herunter, das dedt unerbittlih alle Mängel und Fehler
auf und zerfchlägt die rojigen Brillen, die der Optimis-
14
mus dem fhwärmerifhen Menfchenkinde vor die Augen
gefchoben.
Wenn Mademoifelle Sglantina bei günftiger Beleuch-
tung auf der Bühne ftand und durch die Worte und
Melodien, die andre erfonnen, das Publiftum entzüdte,
war es begreiflid, daß Fürſt Sobolefskoi fich ein Leben
an ibrer Seite fo interefjant und anregend wie nur
möglich dadte; und wenn er fie nun im Schloß von Mis⸗
kow ftundenlang auf einem Piwan liegen ſah, apathiſch
und gelangweilt, jo war eine herbe Enttäuſchung unaus-
bleiblich. Die junge Fürftin war eine Außerft gutmütige
Stau, die fidy troß ihrer zweijährigen Bühnenlaufbahn
überrafchend viel Moral und gute Grundſätze bewahrt
Datte, aber fie war ein unbefchriebenes Dlatt, ohne Er»
ziehung, ohne Kenntniffe und ohne den mindeften Zrieb,
ſich ſolche anzueignen.
Anfänglich hatte Eglantinas Geiſt noch von den Pe»
tersburger Srinnerungen und Gindrüden gezehrt, hatte
Durch die Stemdartigfeit der neuen Umgebung und durch
den Reiz, ‚Sürftin zu fpielen‘, für furze Zeit Nahrung
erhalten; als aber ein halbes Jahr verftrihen war und
jeglihe Anregung von außen mangelte, da wurde der
Derfehr mit ihr immer nücdhterner und langieiliger.
Fürſt Sobolefskoi aber, verwöhnt durch Konverſationen
und lebhaft berührt durch jegliche Tagesfragen, die
ihm die zahlloſen Zeitungen und Journale wie ein Echo
aus der großen Welt zuriefen, empfand es geradezu als
Qual, nicht das mindeſte Entgegenkommen auf ſeine
Paſſionen bei Eglantina zu finden.
Anfänglich Hatte er ſich an dem Gedanken berauſcht,
ihr Lehrmeifter zu werden und fie zu fi) beranzu-
bilden, doch wurde es ihm bei feiner nerböfen, unge»
duldigen Natur bald zur Alnerträglichkeit, in die ber»
ſtändnislos aufgeriffenen Augen feiner Gemahlin zu
fehen, die durch ihren geiftlofen Ausdrud jeglichen
Scharmes verluftig gingen.
&r flüchtete in fein Zimmer zurüd, und ſchon flieg es
bie ein graues, unheimliches Sefpenft aus dem Paradies
15
der Illuſionen empor. Da ftieg noch einmal die Sonne
am Horizont empor und verjcheudhte Die Nebel, Die
alles Slüd zu verfchlingen drohten.
Fürſtin Sglantina ſchenkte ihrem Satten ein Söhnchen.
Eine unendlihe, faft überſchwengliche Freude be-
mädtigte fi des alten Herrn, als er das auffallend
zarte und ſchwächliche Kind, den Stammhalter feines
Nameng, auf den Armen wiegte.
All fein Intereffe, feine Liebe und Sorgfalt Tonzen-
trierten fih auf das Heine Wefen, und wie zupor die
Wochen bleifhwer und träge dahingeſchlichen waren,
fo ſchwanden ihm jeßt die Monate wie im Traume.
Fürfiin Sglantina aber wurde noch ftumpffinniger und
bejtürmte ihren ®emahl mit Tränen und Vorwürfen, fie
nun endli” in Die große Welt zurüdguführen.
Wohin aber follte ſich Fürfi Soholefstoi wenden?
Gr war überall befannt, und die Kunde von feiner
Mesalliance hatte die vornehme Welt Europas wie
ein Lauffeuer durdeilt. Konnte er ſich mit feiner jo
unendlich unbedeutenden Grau, Die nun obendrein bei
all der Ruhe und guten Pflege fehr zum Starkwerden
neigt, Tonnte .er ſich mit ihr zurück in die G©efellfchaft
wagen, ohne berbe Demütigungen, Spott und Zurück⸗
mweijungen zu erleben? Nein, Fürft Sobolefstoi will in
feinem felbftgewählten Exil geduldig ausharren, bis
einft die Erziehung feines Sohnes einen Domizilwechfel
notwendig macht.
Auch ift er noch immer eiferſüchtig. Er Hat beobachtet,
daß Sglantina den jungen Maler, der ihr Porträt an-
fertigte, ebenfo mit den großen Taubenaugen ange»
Ihmadtet Hat, wie ehemals ihn. Sie bat das nicht
in böjer Abficht getan, es ift nun einmal ihre Art, fich
durch Dlid und Mienen beliebt zu machen, weil jie
es nicht mit Geiſt und Worten ann; aber Fürft Sobo—
lefskoi will es nicht erleben, daß fich Die Stußer und
Slegants fol) ein Wefen anders deuten. Einer ehemalt-
gen Sängerin gegenüber glaubt filh jeder zu etwas
dreifterem Verkehr berechtigt.
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Der Rauſch ift verflogen, eine entfeglihe Ernüch⸗
terung bat fich ftatt feiner breit gemacht, eg kommt zu
heftigen Szenen und der Kammerherr preßt aufftöhnend
Die Hände por das Antlig und denkt an Petersburg
zurüd, wie an ein verlorenes Paradies.
Dazu Tomnit, daß fein Söhnchen in feiner Weiſe
den Hoffnungen des Vaters entjpricht. Der Heine Daniel
entwidelt ſich ſehr langſam; mit größter Sorge und Mühe
ift das ſchwache Kind überhaupt am Leben zu erhalten,
und es ift jo häßlich, daß bei feinem Anblid das Herz
des Vaters blutet.
Kein Geiſtesfünkchen leuchtet aus den dunklen Augen,
die unnatürlid) ernft, beinahe ſchwermütig ins Leere
ftarren; fein Jubellaut klingt über die Lippen, fein
lebenspolles Regen der Arme oder Beinchen läßt
auf irgendwelches Intereſſe jchließen; immer nur Das
ftiere Borfihhinbrüten!
Noch ein und ein halbes Jahr erträgt Fürft Sobo⸗
lefskoi die Miſere ſeines Hauſes. Seiner Gemahlin iſt
er faſt völlig entfremdet, ſie amüſiert ſich damit, koſtbare
Koſtüme und Toiletten aus Paris kommen zu laſſen,
einen berühmten Geſanglehrer zu engagieren und all
ihre ehemaligen Opernpartien mit Palfion wieder ein»
auftudieren.
Der Kammerherr jieht es gleichgültig mit an, be»
zahlt die Rechnungen, ohne ein Wort über ihre erftaun«
liche Höhe zu verlieren, und fit ftundenlang in Der
Kinderftube bei feinem Knaben, der jebt endlich zu-
fammenhängende Sätze ſpricht. Der Heine Daniel ift ein
ganz eigentümlihes Kind. Sr weint oder [chreit nie,
er blidt jedermann gleich ernfthaft aus Dunklen Augen
an. Seine Mutter Tennt er Taum, fie fommt felten zu
ihm. Und wenn die fommt, iſt's nur, um ihre Hand flüch-
tig über den unförmig großen Kopf gleiten gu lajfen und
bedauernd auszurufen: „Armer Daniel! Du bit doch gar
zu häßlich!“
Fürſt Sobolefsktoi iſt genötigt, eine Reife zu feinem
Barifer Bankier anzutreten, und da der Herbitwind be-
2 Eihftrutp, Hofluft 17
reits die bunten Blätter von den Bäumen reißt und mit
Iharfem Saufen jene entfeßlihe Zeit verkündet, da
Mistow in unabjehbaren Schneefeldern begraben liegt,
Ihlingt Sglantina zum erftenmal feit langer Zeit wieder
die Arme um den Hals des Satten und fleht ihn unter
beißen Tränen an, fie mitzunehmen. Ein finfterer Blid
trifft fie: „Und wer foll bei Daniel bleiben?“
„Sein ganzer SHofitaat, mit dem du ihn umgeben
haft! Treue Dienftboten, ein bortrefflicher Arzt, für»
forglide Wärterinnen und meine Geſellſchaftsdame, der
ich diefen zweiten verlorenen Winter, den fie bier in der
©rabeseinjamleit aushalten muß, mit Gold und Brillan⸗
ten aufiwiegen werde!“
Die Fürftin warf die blonden Loden ebenfo graziös
zurüd wie ehemals, da fie noch auf den Brettern ftand,
und fah dem Kammerherrn mit unwiderftehlihem Blid
in Die Augen.
„Ich ertrage dieſes Leben nicht länger, Gregor. Diefe
entieglihe Ginfamleit, Die Herz und Geiſt verfümmern
läßt, ift an all unferm Unglüd ſchuld. Führe mid) wieder
in die Welt zurüd, laß mid) die Satjon hindurch mein
junges Leben genießen, und ih will ohne Murren den
langen Sommer über in Mistow fchmadten, ohne Did)
jemals durch Langeweile oder Launen zu plagen. Du
liebft die Sinfamtleit, wohl, fie foll dir im Sommer wer-
den; ich aber verlange nach Menſchen, nad) Licht, Leben
und Walzerklängen, Darum gib mir den Winter mit feiner
bunten Luft, und wir beide werden glüdlich fein!*
Es lag wieder ein Hauch der früheren Anmut und
Lebhaftigkeit über der jungen Frau, die in reizender
Morgentoilette fo vorteilhaft ausſah, wie feit langer
Zeit nicht mehr. |
Eine jähe Bitterleit überfam den Fürften. Ihr junges
Leben genießen! Zangen und fi amüfieren, und den
grauföpfigen Gatten zum Geſpötte der Welt machen!
Das eben war es, das er nicht dulden wollte, das ihn
binausgetrieben hatte, als Sinfiedler bier fein Schidfal
zu verfluhen! Er war elend genug, er lechzte am
18
meiften nach Welt und Leben, er ſchmachtete nach jenem
verlomen Paradies, aus dem er um ihretwillen ent«-
flohen; oder follte er zurückkehren, fo wollte er in
der Sphäre leben, die feine Heimat war, fo wollte er
SHofluft atmen oder Grabesluft.
Da er aber glaubte, fein Recht zu Haben, feiner
©emahlin eine Reije zu verfagen, die er felber unter-
nabm, jo audte er mit finfterm Dlid die Achfeln und
entgegnete furz: „Meine Reife ift noch nicht Definitin be—
ftimmt, eine Depeſche wird mir fagen, ob ich fie unter-
laſſen fann. ft dies der Fall, wirft auch auf einen
Aufenthalt in der Refidenz verzichten müffen.“
Mit bligendem Auge trat Sglantina noch um einen
Schritt näher, fiebriſche Slut ftieg In ihre Wangen, und
die geballten Heinen Hände bebten. „Nein, Das werde
ih nicht!“ rief fie außer fi), „und du wirft mid) aus
Diejem entjegliden Klima, deſſen Schneeluft ©®ift für
mich ift, entfernen, oder es erleben, daß ich den Zaren
um Hilfe anrufe, mich vor der Sigentwilligfeit und Bru⸗
talität meines ®emahls zu ſchützen! Meine Sefundbeit
erfordert eine Reife nach dem Süden, und gewährft du
fie nicht freiwillig, werde ich fie erzwingen!“ Der Fürft
war erbleiht. Ihre Probung mit dem Zaren War
lächerlich, aber Eglantinas Taktloſigkeit Tonnte es leicht
- zuwege bringen, die ganze Mifere feiner Ehe nad) Pe-
tersburg zu pofaunen, um ein fehallendes Triumphge⸗
lächter als Antwort zurüdguerhalten. In jähem Snt-
ſchluß bob er das Haupt.
„Oeh, ih halte dich nicht. Laß deine Koffer paden
und reife ins Ausland, wohin du willft; Daniel wird Dich
nicht vermilfen, hoffen wir, daß er feine Mutter wieder-
erfennt, wenn fie zurückkehrt!“
Einen QAugenblid ftarrte die Fürftin den Sprecher
aufs höchſte überraſcht an; diefe Schidfalswendung hatte
fie weder gewollt noch erwartet. Nicht aus leichtfin-
nigen Motiven Hatte fie eine Reife erzwingen wollen,
fondern lediglich, weil ihrer oberflähhliden und genuß-
fühhtigen Natur die Srabeseinfamleit von Miskow und
zu 19
die ftetS wachfende Nerpofität und Unliebenswürbigleit
Sobolefgkois unerträglid wurden. Daß aber feine Liebe
au ihr fo vollftändig erlofchen war, daß er ſich von ihr
trennte, ohne den mindeften Kampf mit feinem Herzen,
das Hatte fie nicht geahnt. Aufs tieffte verlegt und
gereizt wandte fie ihm den Rüden und fchritt nach ihren
Gemächern zurüd, voll zorniger Haft Befehle zu ihrer
Abreife zu geben.
Eine kurze Zeit empfand fie noch Groll und Bitter-
feit gegen ihren ©atten, dann fiegte fchnell ihre lebens⸗
luftige Natur, die fich feinen Vorwurf daraus machte,
kraft ihres Namens und Geldes ein wenig von der
Welt zu fehen. Hatte fie nicht lange genug an Öregors
Eeite in diefer Verbannung ausgehalten? Hatte fie ihm
nicht treu und geduldig die fchönften Jahre ihres Lebens
geopfert? Nun will fie auch einen Lohn dafür haben,
denn man heiratet Doch fchließlich feinen alten Mann, um
ihm in eine Ginöde zu folgen!
Es ftedt eine dämoniſche Gewalt in dem bunten
Slitterftaat und Komdödiantenglaftl Auch die Luft, die
das Hoflager der Thalia und Euterpe umweht, bat
etwas Zwingendes und lockt mit taufend Gewalten ihre
fabmenflühtigen Jünger zurück! Noch einmal ftand
Gglantina am Dettchen ihres Knaben, dejfen gelblich
Dageres Geſichtchen wie das eines alten Mannes aus
den feidenen Kiffen ſchaute. Groß und melancholiſch
ftarrten fie ‚die Dunflen Augen an, fein Händchen bob
fih der Wutter verlangend zu, nur ein leifer Seufzer
Hang über die Lippen, als die Fürftin etwas hHaftig
und erregt den Kleinen emporhob, ihn zu küſſen. Jedes
harte Anfaffen verurſachte dem ſchwächlichen Körper-
hen Schmerzen, und fo ſchloß Daniel wie ein Märtyrer
ftumm die Augen und Jah nicht, wie feine Mutter für
immer binter der Tür entſchwand.
Für immer! In der erften Zeit [chidte fie kurze Nach⸗
rihten und fragte nad) dem Ergehen ihres Kindes,
dann blieb wochenlang jede Kunde von ihr aus, bis
endlid ein langer Brief aus Derona eintraf, jubelnd
20
und glückberauſcht. Sglantina fchrieb ihrem Gemahl,
daß ſie im Theater gefelfen Habe, in der „Lukretia“, als
die Sängerin dieſer Rolle plöglih an Vergiftungs-
ſymptomen erfranft fei; da fei fie kurz entſchloſſen aus
ihrer Loge auf die Bühne getreten und babe in ihrem
ſchwarzen Spitenfchleppfleid und mit einem fchnell
übergeworfenen italieniiden ‚Schleier die Partie zu
Ende gefungen. Das Publikum fei wie von Sinnen ge=-
weſen in feinem Enthufiasmus, und heut fei ganz Berona
in Aufregung über die gebeimnispolle Diva. Leider
fei ihr Name ſchon befannt geworden, und der Theater»
Direltor beſtürmte fie auf den Sinien, noch einmal in
der ganzen Rolle aufzutreten. Die Lukretia fei jtets
eine Lieklingspartie von ihr gewefen, und fie könne ihm
gar nit mit Worten das wonnevolle Entzüden be—
jhreiben, mit dem fie feit fo langer Sntbehrung den
Applaus der Menge vernommen! „a, die Suterpe jißt
auf gewaltigem Thron,“ ſchloß der Brief voll Eralta-
tion, „und Das Zepter, das fie ſchwingt, iſt mit Lorbeeren
und Rofen ummwunden! Wo fie Hof Hält, Klingen die
Zaubermeijen der Unfterblichkeit, und wer einmal diefe
Luft voll Sang und Klang geatmet, dieſe Hofluft Des
gemalten Burpurs und der Papierfronen, der ift zu ihrem
Eflaven geworden und hängt ihr an, im Leben oder Todl“
Der Fürft zitterte dor Empörung und jagte eine
Depeſche nah Verona, die feiner pflichtvergefjenen Ge—
mahlin .aufs ftrengfte unterfagte, jemals wieder die
Bretter zu betreten. Keine Antwort. Nah Wochen
endlich ein eingefchriebener Brief aus Rom. Als Sobo—
lefstot ihn öffnete, fiel ihm ein amtliches Schriftftüd
entgegen, der Totenfchein der Fürftin Eglantina Sobo-
lefstoi. Aber dem Schein war ein Blatt Papier bei-
gefügt, Das folgende, von der eignen. Hand feiner
Gemahlin gejchriebene Zeilen enthielt:
Lieber ©regor!
Du haft mir befohlen, nie wieder als Sängerin aufzu⸗
treten, und ich habe gegen Deinen Befehl gehandelt.
21
Ich babe mit meiner Gefellfchafterin die Rollen ge»
tauſcht, fie fpielte die Fürftin, und ih ftand in ihrem
Dienft und fang allabendlih und feierte Ziriumphe.
Du Haft mir einjtmals gejagt, Du verzebrteft Dich in
Sehnſucht nad) der Luft des Zarenhofes; wohl, auch
ih verfhmadte, wenn ih künftighin ohne die Luft
leben foll, die die Bupurmäntel der Könige des Theſpis⸗
Tarrens umweht.
And fo mwerfe ich alles Hin, was ich beſitze, Die
Sürftenfrone, ®eld, Satten und Kind, und flüchte mich
zurüd in das Paradies, Das ich um Peinetiwillen ver»
laffen Habe! Und ift’s mein Unglüd und mein Tod, ich
fann nidt anders! — Gin Zufall fam mir zu Silfe.
Meine arme Gejellichafterin, die Pfeudofürftin Sobo-
lefgtot, ift in Neapel am Typhus geftorben. Man fertigte
auf mein Derlangen den Totenſchein aus, auf den
Namen, den fie geführt bat. Anbei jchide ich Pir das
Leine Stückchen Papier, das unfer beider Freiheit ein«
ſchließt. Du biſt, ebenfo wie ich, aller Bande ledig.
Fürſtin Sobolefstot ift tot. Und ihre Gefellfchaftsdame?
Die wird nie und nimmer wieder Deine Wege freuzen.
Lebe wohl für ewig, ©regor, bring’ meinem Knaben
den legten Kuß der Mutter und fei für alles ©ute, das
Du ihr je getan, gejegnet von
Wera Czakaroff.“
Einen QAugenblid griff der Fürft wie fchwindelnd
nad der Lehne feine Seffels; er ließ das Dlatt zur
Erde gleiten, ſchlug beide Hände por das Antli und
bob jie alsdann inbrünftig gefaltet zum Himmel. Sin
einziges Wort zitterte wie ein Zubeljchrei von feinen
Lippen — „freil“
Drittes Kapitel
Fürſt Sobolefsfoi las den Brief feiner Gemahlin
immer und immer tieder. Ja, es war ein wunder-
bares Spiel, das das Schidjal mit ihnen trieb, und
22
ein faft traumhaftes Glück, das ihm plößlich feine
Steiheit wiedergab. Sr Tämpfte eine kurze Zeit mit
feiner Nechtlichfeit und feinem Herzen, ob er bon der
eigentümlihen Lage der Dinge Gebrauch machen dürfe,
doch kam er fchnell zu der Einficht, daß er ein Narr
wäre, die Schlinge, die der Zufall barmderzig ge-
Iodert, voll übertriebenen Ehrgefühls wieder um feinen
Hals zu ziehen.
And was riskiert Fürft Gregor, wenn er einer amt⸗
lichen Beſcheinigung Glauben ſchenkt? Nicht er, fondern
Eglantina hat ein betrügeriſches Spiel getrieben, für das
nur fie allein zur Rechenſchaft gezogen werden Tann,
follte fie jemals wieder unter den Lebenden auftauchen;
denn das DBegleitfchreiben, das den Kammerherrn zum
Mitwiffer des falfchen Spiels madt, wird in Aſche
aujammenfallen, und fein Menſch fann jemals beweifen,
Daß es in feine Sünde gelangte. Und wollten dennoch
Skrupel und Beſorgniſſe warnend ihre Stimme erheben,
. fo wurden fie pon den Seufzern fieberifher Sehnſucht
übertönt, die den ehemaligen Höfling unwiderftehlich
nach Betersburg zurüdzogen. Gleich wildem Heimweh
erfaßte ihn dag DBerlangen nach feiner früheren Stellung,
und darum gab es fein Befinnen mehr, ob er in Fortunas
Dargereihte Hand einſchlagen Tolle oder nicht.
Kurz entſchloſſen barg er die Zeilen Sglantinas in
dem Geheimfach feines Schreibtifches, fchellte Dem Kam-
merdiener und befahl ihm, das gejamte Dienftperfonal
in der Schloßfapelle zu verjammeln.
Dort erhielten fie die Kunde pon dem Ableben ihrer
©ebieterin.
Don dem Frontturm auf Mistom wehte das um⸗
florte Wappenbanner auf halbem Naft, aus den Ten»
ftern hingen die ſchwarzen Trauerfahnen bernieder, und
in düflern Porphyrbecken brannten Tag und Nacht die
gewaltigen Pechfeuer por der Sinfahrt. Das Bild der
Fürſtin war in der Kirche aufgeftellt, umgeben von Pal»
men und Blütenpracht und een bon — Wachs⸗
kerzen.
23
Nah acht Tagen aber wurden die Bahnen aus
dem Salbmaftbanner wieder entfernt, Die Feuer ver—
lofhen, und das Bild Eglantinas wurde an feinen
alten Pla im Zimmer Sobolefstois zurüdgetragen und
dur) eine ſchwarze, florüberwallte Bollportiere ver⸗
hängt.
Die Zeitungen des In⸗ und Auslandes brachten
im breiten Trauerrahmen die Todesanzeige der ſo früh
Verblichenen, und Privatanzeigen meldeten den ehe—
maligen Freunden Gregors die traurige Neuigkeit nach
Petersburg.
Nur ſehr vereinzelt kamen die formellen Kondolenz⸗
ſchreiben zurüd, der Kammerherr aber drückte das Antlitz
auf die ſchwarzgeränderten Bogen und atmete wie im
Fieber den feinen Duft, den ſie ausſtrömten. Ein
Hauch von Hofluft! Direkt aus dem Schloß des Zaren
zu ihm herübergeweht, echt und unverfälſcht überkommen,
zu ihm, dem Geächteten und Verbaäannten!
Der Zar Hatte dermalen. des Fürſten DBerbindung
mit der Madame de Louz gewünſcht und ihm dieſes
Derlangen bei der letzten Audienz direft ausgefprochen,
und er, der Wahnwitzige, Berblendete, hatte der dor»
forgliden Güte feines Gebieters ein fchroffes Nein
entgegengeftellt, Hatte poll unbegreifliden Starrſinns
an feiner Bitte um Gntlaffung feftgehalten.
Den Kammerherrn fröftelt’S vor Entſetzen über fich
felbft, wenn er an dieſe letzte Stunde denkt, aber er
will alles fühnen, was er gefehlt, er will Madame de
2ouz’ Kleinen Fuß, mag.er ſich noch fo tyranniſch auf
feinen Naden fegen, demütig und gehorfam wie ein
Sklave küſſen, alles, alles will er tun, was man bon
ihm verlangt, wenn man ihn nur wieder auf dem Parkett
Duldet und ihn die Luft atmen läßt, ohne die er bier
verſchmachtet.
Der Sommer vergeht ſchnell, weil der Fürſt ihn
zu einer Reife nach Paris benutzt, und als er wieder-
ehrt, treten ihm Sränen der Rührung in die Augen,
als Daniel ihn erkennt und mit feinem rejignierten
24
Lächeln die Meine Hand entgegenreidht.. Per Knabe
bat ſich körperlich entwidelt, aber fein jtilles, apathi-
des Weſen ift unverändert geblieben. Sein Gouver—
neur und Der Arzt [prechen dem Fürſten die Überzeugung
aus, daß keinerlei Beſorgniſſe für die geiftigen Sähig-
teiten des Kindes zu begen find.
Fürſt Sobolefskoi freut fich Herzli folder Wahr- -
nebmungen, aber die Gegenſätze zwiſchen Dater und
Sohn find gu groß, und wenn auch der nerbös erregte
alte Herr ſich zwingt, Daniel in fein Zimmer fommen
zu laffen und eine Stunde lang die entfeglihe Ruhe
und Indifferenz des Kindes in einem für beide Seile
qualvollen Verkehr zu ertragen, fo entfremdet er ſich
trogdem immer mehr bon ihm.
Dazu Tommt es, daß Sobolefstoi bereits mit allen
Gedanken in Betersburg Iebt und in krankhafter Erre⸗
gung kaum noch die Zeit erwarten Tann, Die für fein
Bittgefud) am geeignetjten erfcheint. Ä
Endlich Dämmert auch jener Morgen, an dem Die
Zeitung die Rückkehr der kaiſerlichen Familie in Die
Reſidenz meldet. Das Schreiben liegt bereits bis auf
dag Datum vollendet bereit; mit zitternden Händen füllt
der Fürft die leere Stelle aus, drüdt Das Siegel auf
und jagt einen reitenden Boten mit Dem Brief nach Der
nächſten Boftftation. .
Dann überblidt er flüchtig und gedankenlos die Spal-
ten der Zeitungen, legt ein Blatt nad) dem andern aug
der Hand und greift ſchließlich nach einem frangzöfifchen
Sournal, fi dur Reminifzenzen an Baris zu zerftreuen.
Anfänglih Iangweilt er fi auch Bier, plötzlich aber
ftußt er und neigt fich frappiert näher. Die Heine Shronif
Bringt unter verſchiedenen Hofnachrichten auch ein ſen⸗
fationelles Gerücht, das zur Zeit die höchſten Sefell«
[&haftlreife der alten Zarenftadt Petersburg alarmiert.
Man ſpricht von der in fürzefter Zeit ftattfindenden
Vermählung der ſchönen Palaftdame der Kaijerin, Ma—⸗
Dame de Louz, mit einem der ruflifhen Großfürſten.
Stau Fama will ferner wiffen, daß der Zar Ddiefer
25
DBerbindung viele Schwierigkeiten in den Weg ftellt,
Daß er fie ſchon feit Fahren gefürchtet und darum den
Wunſch gebegt babe, die fchöne Witwe Durch. eine
ſchnelle Heirat unfchädlih zu maden. Die Ymftände,
die dermals dieſes Projekt, zum höchſten Zorn Er.
ajeftät, vereitelten, Haben Durch ihre romanhaften De-
tail8 genug von ſich reden gemadt, und man bringt
Damit Die Namen eines fürftliden Kammerherrn und
einer Hofopernjängerin in DBerbindung.
Die Zeitung ſchwankte in den Händen des ehemaligen
Höflings; farblos wie das weiße Foulard, mit dem
er über Die jchweißbededte Stirn ftrih, wurde fein
Antlitz.
Wenn ſich dieſes Gerücht beſtätigte, war alles ver⸗
loren. Hatte Sobolefskoi in ſo verhängnisvoller Weiſe
die Pläne ſeines gnädigſten Herrn gekreuzt, ſo war
keine Hoffnung, den Zaren jemals wieder zu verſöhnen,
jemals wieder zu Gnaden von ihm aufgenommen zu
werden. Und fand auch die Vermählung nicht ſtatt, fo
war der Fürft dennoch die Deranlaffung jahrelangen
Acrcgerniſſes für den Kaifer gewejen, denn daß der Groß-
fürſt die ſchöne Witwe fchon damals auszeichnete, var
Satjache.
Wer aber Hätte zu feiner Zeit geglaubt, Daß aus
ſolch einer Courmacherei Srnft werden fünne, daß ber.
Prinz aus andern Motiven, ald aus Dem ‚pour passer
le temps‘, die Kofetterien der DBaronin mit Salanterie
beantwortete?
Der Zar hatte beſſer Beſcheid gewußt und darum die
Starrföpfigfeit feines Kammerherrn fo ungnädig aufge»
nommen; er wußte, Daß dem fürftliden Kröjus Sobo—
lefstoi feine Dame der Hofgefellichaft ein Körbchen auf
einen Heiratsantrag geſchickt Hättel
Eobolefstoi fühlte es eisfalt Durch alle Slieder rie»-
feln, und dann wieder ftieg die heiße Glut jäher Herzens-
angſt in ihm empor und trieb ihm feuchte Tropfen auf
die Stirn. Ä
In maßlofer Aufregung verbradite er den Tag und
26
die folgende Nacht, ruhelos umberirrend, verfolgt pon
dem Schreckgeſpenſt des Sedantens „Der Zar ift un«
verföhnlich !*
Der nächſte Tag verging unter Folterqualen der Un⸗
gewißheit und DBeforgnis, und wenn auch der darauf»
folgende Morgen eine höchſt überrajchende, fenfationelle
Nachricht brachte, fo diente fie durchaus nicht Dazu,
die Befürchtungen des alten Herrn zu vermindern. Die
Heine Chronik teilte ihren Lefern die faft unglaubliche,
aber doch wahrhafte Tatfache mit, daß am geftrigen Tag
in aller Stille und vor nur wenigen Zeugen die Trauung
der Madame de Lou und des Flügeladjutanten
Er. Majeftät des Zaren, Grafen Karnitcheff in ‚Peter
und Paul‘ vollzogen fei.
Eobolefstoi wußte, daß weder Madame de Louz
noch Kartnitcheff Vermögen Bejaßen, es hatte aljo dem
Kaiſer fiherlich einen tiefen Singriff in die Privatſcha⸗
tulle geloftet, diefe DBermählung zu ermöglichen. Der
Zar aber war allen großen Ausgaben, die Hätten ver⸗
mieden. werden können, bitter feind, und darum mochte
er nun wohl voll doppelten Grolls an die Renitenz
jenes ehemaligen Kammerherrn denken, die ihm ein
Kapital Eoftete.
As ſchwacher Troſt blieb dem Fürften der Sedante,
daß Zeitungen viel unverantwortlide Dinge fchreiben,
daß an dem ganzen Gerücht vielleicht feine Silbe wahr
ift, und Madame de Louz und Karnitcheff ſich aus innig-
fter Liebe, auf ein gutes Avancement des jungen offi⸗
ziers hin, geheiratet haben!
Dennoch wußte er, der eingefleiſchte Höfling, auch
wieder allzu gut, daß ſich manch wunderlicher Roman
hinter den Kuliſſen der Fürſtenſäle abſpielt, und daß
mancher Herrſcher ſchon ein edelmütig Opfer gebracht,
um ſeines Hauſes Stammbaum von wilden Schößlingen
frei zu halten!
Sobolefskoi verzehrte ſich in fieberiſcher Aufregung,
und je wahrſcheinlicher der Oedanke ‚fortdauernder
Allerhochſter Ungnade‘ wurde, defto krankhafter fteigerte
27
fich die Sehnfudt nach jener Welt, aus ber er fich felber
ausgejtoßen hatte.
As nah Derlauf von vierzehn Tagen noch immer
feine Antwort aus dem Kabinett des Kaiſers einge-
troffen war, ftieg die Aufregung des Kammerherrn zu
einem Grade, der den Arzt das Schlimmfte befürchten
ließ. Sinem Schatten gleich, bleich und verftärt, wandelte
er rubelos durch die Säle Miskows. Wie ein Spuk
huſchte in der Nacht das Licht pon einem ®emad
zum andern, und das Pienftperfonal wich dem Ge⸗—
Bieter ſcheu aus und flüfterte fich heimlich zu: „Ss tft
nit mehr richtig in feinem Kopf! Seit dem Tod der
Fürſtin hat's angefangen.“
Acs Sobolefskoi die Ungewißheit nicht mehr ertragen
konnte, ſchrieb er an ſeinen ehemals ſo vertrauten
Freund, den Oberhofmarſchall, und beſchwor ihn, ihm
beim Heil ſeiner Seele klaren und bündigen Beſcheid,
wie feine Chancen bei dem Zaren ftünden, zu ſchicken.
Dann wandte er fih wie ein Mondfüdtiger in das
Zimmer feines Selretärs und befahl ihm, in die Stadt
zu fahren, um einen Notar zu holen; er beabſichtige, fein
Seftament zu machen! Ä
Ser Wagen faufte den Schloßberg hinab, und der
Fürſt begab ſich in ſein Zimmer, ſeinen Schreibtiſch
für jedwedes Auge einzurichten.
Sr fortierte die verſchiedenen Briefe, vernichtete, was
.überflüffig war, und ſchrieb bier und da kurze Beſtim—
mungen oder Bemerkungen an den Rand. Oft hielt
er die Hand vor die Stirn und ftarrte wie geiftesab-
weiend por fich nieder.
Die DBrautbriefe &glantinas noch einmal durchzu—
ſehen, behielt er ſich Bis zuletzt vor. Er legte jeg—
liches Papier, das von ihrer Hand beſchrieben war,
auf ein kleines Tiſchchen beiſeite, und als er endlich
danach griff und die Zeilen zerſtreut noch einmal mit
dem Blick überflogen Hatte, warf er jeden einzelnen
Brief in die Flammen des Kaminfeuers. Zwei Schrift-
ftüde waren ſchließlich noch übriggeblieben, das Billett,
28
in dem &glantina ihr Jawort gab, und die Zeilen, die
fie ihrem Zotenjchein beigefügt batte.
Sobolefstoi hielt das duftende Dlatt, das ihn vor
fünf Jahren zum Glücklichſten der Sterblichen gemacht
und dag ihm Dennoch zum Fluch geworden war, einen
Moment leicht zufammenzudend in der Hand. Dann
wandte er ſich pon dem Kamin ab, warf das Billett auf
den Tiſch zurüd und ftüste das gedankenwirre Haupt
finnend in die Hand. Nein, diefes Schreiben follte nicht
in den Slammen untergehen, dieſe liebesheißen, berau-
Ihenden Worte voll Innigfeit und Treue follten einft
feinem Sohne Daniel beweifen, daß er um eines fold)
verheißungspollen Slüdes willen wohl die Narrbeit
begeben fonnte, dem Hof des Zaren den Rüden zu
wenden. Diefer Brief Eglantinas müß des Fürſten rüd»
fihtslofe Kühnbeit, die Hand der Madame de Louz
auszufchlagen, rechtfertigen. Vielleicht Eonnte ihn Daniel
noch) einmal gebrauchen. Diefes Jawort ſoll aufgehoben
werden; aber der lebte verhängnispolle DBrief jeiner
Semahlin, der den Tod der Fürftin Sobolefsfot zur
Lüge madt, der muß in Rauch und Aſche aufgeben,
ber muß für ewige Zeiten unfchädlich gemacht werben.
In wirrer Haft griff der alte Herr nad) den beiden
Driefen, die nebeneinander auf der fchwarzen Gben-
bolaplatte lagen, und ſah flüchtig Darauf nieder.
Diefes waren die Liebesihwüre und jenes die kom—
promittierenden Eröffnungen — Sobolefskoi warf Das
eine der Echreiben in das durch feuerfefte Metalle
doublierte Geheimfach feines Schreibtifches und ſchob
es zerftreut in feine Fugen zurüd. Kein Auge vermochte
feine Eziftenz zu entdeden.
Dann wandte er fi medhanif nad dem praffeln-
Den euer zurüd, zerriß das weiße Blatt, Das er noch
in Händen hielt, und ließ es in die Glut herniederwehen.
Rote Flammen zudten auf, und fohneller, als es der
DBlid beobachten konnte, verſchwanden die verkohlten
Papierfloden zwiſchen den Eichklötzen der Feuerung.
Fürft Sobolefgkot, ftand mit verfchräntten Armen und
29
ftarrte finfter in Die tanzenden Funken, abnunglog,
daß ſie nicht die letzten „Zeilen Gglantinas, fondern
ihr liebeheißes ©elöbnis der Treue unter Der Aſche
begruben.
Die Sröffnungen Wera Gzalaroffs lagen wohlge-
Borgen in dem Geheimfach, und über die Türme bon
Miskow ftrihen die Raben mit beiferem Ynglüds-
geichrei. Nach Derlauf einer Woche [prengte der Poft-
furier in den Schloßhof und überbradte dem Fürjten
die Drieffchaften.
Eine unnatürliche, ftarre Ruhe lag über dem fahlen
Antlig Sobolefslois. Parfümiert und zierlich gefräufelt
wie feit Wochen nicht mehr lag dag graue Haar an
den eingefunfenen Schläfen, und der Schnurrbart war
ſchwarz gefärbt wie in den glüdlichen Zeiten am Hofe
des Zaren.
Gregor nahm fefter Hand ein großfupertiertes Schrei⸗
ben entgegen, ſah auf die Schrift der Adreſſe und legte
es tief aufatmend auf Die Sifchplatte nieder. Dann
ſchritt er ernft und feierlich in fein Anfleidegemad), ließ
fih die goldftrogende Galauniform der Kaiferlichen
Kammerberren mit allen Orden und Ehrenzeichen an«
legen und betrat hierauf das Zimmer feines Söhnchens.
Daniel ſchloß zwinkernd die Augen, als tue ihnen Die
funfelnde Pracht des Hoffleides weh; der Fürft aber hob
ihn auf die Arme, Füßte langfam Mund, Wangen und
Stirn des Knaben, machte unmerfli das Zeichen Des
Kreuzes über ihn und legte felundenlang die Hand auf
fein Köpfchen.
And ftumm fohritt er wieder durch die Zür in fein
Arbeitszimmer zurüd.
©elajjen nahm er den Drief, erbrach und las ihn.
Seine Hand zitterte nicht, und fein Antlig war leblog
wie Stein.
Dann trat er zum Kamin und vernichtete aud) dieſes
Schreiben. |
Auf dem Büchertifch ftand ein Kaften mit zwei pracht⸗
pollen, edelfteinbefegten Piftolen, einem Shrengejchent
30
des Yaren. Sobalefstoi nahm die eine und fpannte:
den Hahn.
Voch einmal trat er por das Bild feiner Gemahlin,
Ihlug den ſchwarzen Borhang zurüd und fah mit gläfernem
Dlid in die Dunfeln Augen empor, dann zog er das feine
Spigentud, das feit feinem lebten Dienſt in Gatſchina
unverändert in der DBrufttafche verblieben war, hervor
en preßte das Antlitz tief atmend in feine duftigen
Falten.
Hofluft! Zum letztenmal ſtreifte ſie mit ihrem Hauch
grüßend feine Stirn. Dann erzitterten Die feinen Flor-
ftreifen por Sglantinas Bild unter dem Einfluß einer
Ichnellen Bewegung des ehemaligen Kammerherrn Seiner
Majeftät des Kaifers von Rußland, ein dumpfer Knall..
ein Aufichlagen und ein kurzes NRöcheln, und dann eine
tiefe, tiefe Stille.
DBiertes Kapitel
Der Schuß im Zimmer des Fürften hatte die Mittag-
rube von Mistow weithin durchhallt und eine außer»
ordentlide Wirkung berborgerufen. Bon allen Scden
und Enden ſtürzte Die Dienerfhaft in wildem Schred
berzu, ein gellendes Angft- und Jammergefchrei, ein
Slühten und Zuhilfeſpringen, und zwifchendurd) Die
Befehle des Arztes, Der neben dem Öterbenden kniete
und das blutüberftrömte, entſetzlich entſtellte Haupt auf
ein Kiſſen bettete.
In der großen planlofen Verwirrung hatte niemand
auf den Heinen Daniel geachtet, der feinem davon⸗
eilenden Gouverneur durch die offenftehenden Türen ge»
folgt war.
. In die düfteren Wollfalten des Vorhanges gebrüdt,
der por feiner Mutter Bild bernieberfiel, ftand die
ſchwächliche Kindergeftalt und Hammerte fih an das
ſchwarze Tuch. Doll ftieren Entſetzens richteten fich
31
die weitaufgeriffenen Augen auf das grauenvolle Bild,
die Zähne fchlugen wie im Schüttelfroft zufammen und
ein eiſiges Grauen legte fih wie Zentnerlaft auf die
feine DBruft.
Endlid) bemerkte eine der hbelfenden Frauen den ver-
waiſten Knaben. Sie bob ihn erfihroden auf die Arme
und eilte mit ihm aus dem Zimmer. Wie gebrochen
fan? das unförmige Köpfchen auf ihre Schulter, fein
Laut der Angft oder des Schredens klang aus feinem
Mund; aber aug den Augen bradhen Tränen, bittere,
heiße Tränen, Die erften, die er je gemeint.
a, er war ein eigenartiges Kind; ‚mein einer
Echmerzensreich‘ hatte ihn feine Mutter oft genannt,
m feine wehmutsvolle Geduld fie mit Rührung
erfüllte.
Anter dem Bild feiner verewigten Gemahlin hatte
man ben Fürften, der in einem Anfall von ©eiftesftörung
Sand an fich gelegt, gefunden, und por dem verhüllten
Gemälde war er aud) wenige Minuten nad; feiner Ver⸗
mundung verftorben.
Auf dem Schreibtifch lag ein offener Brief, der bie
einzige Anverwandte Sobolefskois, die Stiftsbame Gräfin
Kathinka Arlowsk, zur Regelung feiner Angelegenheiten
und Erziehung feines Sohnes nad) Miskow berief; ferner
ein verfiegeltes Schreiben an des Zaren höchſteigene
Berfon, fowie ein Verzeichnis der ausländiihen Ban⸗
fen, Denen er zwei Tage zuvor bare Summen aus feiner
Schatulle überfandt.
Die Leiche des Kammerberrn wurde in der Schloß-
fapelle aufgebahrt, und als der Reifewagen der Gräfin
Arlowsk nach zehn Tagen durch das hohe Portal fuhr,
Iobten ihr die Pechbrände auf den Steinfäulen entgegen,
rauſchten über ihr die ſchwarzen Srauerflaggen im
Herbſtwind.
Gregor Sobolefskoi wurde in dem Srhbegräbnig bei⸗
gefeßt. Sein Zeftament, in dem fich der Totenſchein
- der Fürftin porfand, der auf Wunfch des Kammerherrn
32
gerihtlih verwahrt werden follte, wurde verlefen, Die
ausgejchriebenen Legate und Erbſchaften gezahlt, ‘Die
Vormundſchaft ernannt und alle weitern Wünjche und
Befehle des Verftorbenen erfüllt.
Gräfin Arlowsk jiedelte nach Miskow über, und alles
nahm feinen gewohnten, unter den Augen der Stifts⸗
dame ftreng geregelten Gang.
Mit energifhen Händen und einem männlidy Haren
Derftand verwaltete fie das Sigentum ihres verwaiſten
Neffen, regierte den wie eine kleine Kolonie bevölferten
Schloßbeſitz mit all jener imponierenden Aberjicht, Deren
Eobolefsktoi und Sglantina ermangelten, und rodete poll
rüdfichtslofer Gnergie alles Unkraut, das ji während
der letten berrenlos wirren Zeit unter den Weizen ge⸗
ſchlichen hatte.
Gräfin Arlowsk war eine hohe, markige Frauen⸗
geſtalt, der die langwallenden Trauergewänder ein ge—
radezu majeſtätiſches Anſehen verliehen. Ihre Haltung
hatte etwas Selbſtbewußtes und Unnahbares, ihr Weſen
flößte viel Reſpekt, aber keinerlei Zuneigung ein. Kalt
und durchdringend ſcharf blidten die blaßblauen Augen,
und die Lippen legten ſich jo farblos fchmal auf die
Zähne, daß es ausfah, als würden fie ftets poll herben
Unwillens geſchloſſen. Auf der Bruft glänzte Die ſchwere
Soldfette, die das Stiftskreug, ein aus Gold und Eifen
gearbeitetes Kruzifix, trug.
Die Gräfin hatte den kleinen Daniel fofort nad)
ihrem Eintreffen in Miskow zu fehen gewünjcht. Alan
antwortete ihr, daß der Knabe, Der jeit den. lebten
Zagen wiederholt Anfälle feines aſthmatiſchen Leidens
gehabt, ſchlafe. Sie nahm den Hohen Silberleuchter
von ihrem Soilettentifh und befahl der Kammerfrau,
ihr den Weg zu dem Zimmer des Kindes zu zeigen. Bor
feinem Bettchen Stand fie, ſchlug die feidenen Sardinen
zurüd und beleuchtete den Heinen Schläfer. Eine kurze,
ſcharfe Mufterung, bei der ihre Züge fo hart ausfahen,
als feien fie aus Stein gemeißelt.
„Wem gleicht er? Vater oder Mutter?“
3 Efyftrutp, Hofluft 35
Die Bonne knickſte. „Das ift fchwer zu fagen, Gräf⸗
lihe Gnaden; eigentlich ähnelt er beiden Sltern nicht.
Durchlaucht die Fürftiin war [ehr fchön, und ihr Semahl
ſchien eg in der Jugend ebenfalls gewefen zu fein. Der
Heine Fürft ift wohl durch feine Kränflichleit noch zu
unentiwidelt, um irgendwelde Spur von dem Grbteil
diefer Schönheit aufweifen zu können.“
In demjelben Moment fhlug Daniel, von dem Licht⸗
Ihein und den Stimmen gewedt, die Augen auf und
richtete fie in ihrem traurigen, tränenfeuchten Olanz
auf das fremde Geſicht, das ſich über ihn neigte. „Daniel,
deine liebe Gräfin Tante fteht vor Dir, begrüße fie und
gib ihr eine Hand!“
Gehorſam bob fich die Heine Rechte aus den Kiffen
und bot fich dar.
Die Stiftsdame [dien ein ängſtliches Geſchrei ertvartet
au haben, fie nahm das Kind überrafcht auf den Arm und
füßte mit fühlen Lippen feine Etirn.
„Wenn du ftets artig Bift, fo werde ich Dich Lieb»
haben, Daniell“ fagte fie in ihrer kurzen Weiſe, „jebt
ſchlafe wieder ein“, und fie bettete ihn zurück, wandte
ſich ab und ging.
„Sr Dat ſchöne Augen,“ murmelte fie, „Sobolefs- Z
koiſche Augen.“
Am darauffolgenden erften Tag hatte Gräfin Ar-
Iowst die Flut der Gemächer durdfchritten. Bor dem
verbüllten Bild Sglantinas blieb fie ftehen und fchlug
den Dorbang zurüd. Ein haßerfüllter Blick überflog —
die reizende Frauengeſtalt, die in weißem Allaskleid, j
ummwallt von blonden Locken, mit ihrem fehwärmeri« I
ſchen Lächeln aus dem goldenen Rahmen auf fie nieder-
fad. „Komödiantenblut! — Armer PBaniell* ftieß fie
Durch die Zähne hervor, und ihre Hand ſchleuderte Die
dunklen Wollfalten verächtlich zurüd, und ihr DBlid, der
fih nad) dem gegenüberhängenden Porträt Gregors
wandte, enthielt die vorwurfspolle —— „Wie war's
möglich?“
84
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Dann ſchloß fie das Zimmer ab und verwahrte ſorg⸗
fam den Schlüffel.
Die Zeit zog langfam und einförmig dahin. Gräfin
Arlowsk Hatte nach und nach faft Die ſämtliche Diener-
haft und Beamten von Miskow gewedjfelt; da war
niemand mehr, der den Kammerberrn oder deſſen un⸗
ebenbũrtige Gemahlin gekannt Hatte.
Daniel war ſieben Jahre alt geworden. Sein OGeiſt
hatte ſich, dem Aler entſprechend, entwickelt, aber fein
Körper war weit zurückgeblieben und bedurfte nach
wie vor ſorgfältiger Pflege. Die Erziehung war muſter⸗
baft, und Daniel hing in rejpeltpoller Liebe an der
firengen Patronin, die ihrerfeitS durchaus nichts Dazu
tat, Diefe Liebe zu gewinnen. Kalt und formell wie
eine ©ebieterin ftand fie ihm gegenüber, nur ftrafend,
nie belobnend; fein zärtliches Wort, kein inniges Herzen
und Kojen. Sräftn Arlowsk Hatte feine Borliebe für Kin-
der, alle Weichheit und Milde war ihrem Wefen fremd,
und außerdem blieb Daniel in ihren Augen ſtets der Sohn
einer Sängerin. Sie erzog ben Knaben, wie es fich für den
Erben des Sobolefstoifhen Namens gebührte, fie führte
ihn durch die Ahbnengalerie, fie erzählte auch von feinem
Dater, dem Kammerherrn und Bünftling des Zaren, deſſen
Bruft mit Orden bededt War.
Bon feiner ®emahlin aber verlautete nie ein Wort,
und wenn Daniel nad) der Wutter fragte, fo erhielt
er die ſchroffe Antwort: „Die tft tot; wenn Did) Die
Menſchen dereinft fragen, wer deine Mutter geweſen,
fo entgegne ifmen: Gräfin Kathinka Arlowst.“
Daniels liebebedürftiges, weiches Herzchen aber ſehnte
fih nad einer Mutter, die nicht nur feine Leltionen
überwacht und don der Shrwürdigkeit der langen Ahnen-
reihe ſpricht, fondern die ihn .in die Arme fchließt,
küßt und berzt, wie unten die Frau des Haushofmeifters
ihren Heinen Iwan liebkoſt!
Eine wehe, unbezwinglide Sehnſucht nad feiner
Mutter überlam ihn, und je mehr die Gräfin feinen
Stagen auswich und ihr Gedenken verwifchen wollte,
3. | 85
befto idealere Bilder ſchuf fih die Phantafie des
Kindes. Gewiß, feine Mutter ſah ebenjo ſchön und
lteblih aus, wie der Marmorengel in Der Kapelle,
der die Arme fo freundlich nad) ihm ausbreitet, wenn
Daniel an dem Sarkophag des DBaters beten mußte.
Gr fragte alle Leute im Schloß, ob er wohl recht
babe? Aber niemand Tannte feine Mutter und mußte
bon ihr. Da Tam abermals der Jahrestag von Des
Fürſten Tod; ein Tag, der dem Knaben als der fchred-
lichfte im ganzen Jahr erſchien. Schloß doch die Gräfin
dann das bdüftere, unheimlide Zimmer auf, in Dem
der Dater ehemals mit blutendem Haupt gelegen, und
er mußte der Totenmeſſe beiwohnen.
Auch Heut Hatte er fein erbleichtes Geſichtchen tief
auf die Bruft finfen Iaffen und die Augen frampfhaft
geichloffen, als er zur Geier geführt wurde. Sein neuer
Hauslehrer ftand neben der deutſchen ©oupernante.
„Oft jener Herr auf bem Bild drüben ‚der verftorbene
Fürſt?“ fragte er flüfternd.
„sa, und ihm gegenüber, Dinter dem Dorbang, hängt
das Porträt feiner Semahlin.“
„Ab — laffen Sie fehen.“
„Pftl um Gottes willen, Bleiben Siel die Gräfin!“
Paul Fedrowitſch fchnellte an feinen Plab zurüd,
die Etiftsbame trat ein, und die Feier begann. Daniel
aber Hatte es bei ben Worten des Fräulein durchzuckt
wie ein eleftrifher Strom, er ftand regungslos und
ftarrte mit weitaufgerifjenen Augen auf die wallenden
Trauerflore, hinter denen fich das Antliß feiner Mutter
barg! |
Im Traum Hatte er es wohl oft gefeben! Dann
kam eine lite Srauengeftalt, mit dem Antliß des
Schutzengels, neigte ſich über ifn und küßte ihn, und
wenn er aufwachte, dann dachte er feufzend: „Ad, Daß
ih mein Mütterchen doc; immer ſehen fönnte, nicht
allein im Sclafl* Und nun Bing ihr Bildnis dicht
neben ihm, er braudite nur die Hand zu heben, um fie
endlih, endlich zu ſchauen!
36
Das letzte ‚Amen‘ war verflungen, und nad) ber
ftrengen Reifung der Gräfin entfernte fich die Piener-
ſchaft in lautlofer Haft. oo
Die alte Dame wartete, bis die lebte Geſtalt Hinter
der Zür verfhiwunden, dann faßte fie Daniels Hand und
wollte ebenfalls die Echwelle überfchreiten.
Da umſchloſſen fie die mageren Armchen des Knaben
poll leidenjchaftlider Erregung.
„Rod nicht, gnädige Tantel“ flehte er mit zitternder
Etimme: „Laß mich erit das Bildnis meiner Mutter
fehen!“
Die angewurzelt ftand die Hohe Frauengeftalt. Ein
zorniges Aufflammen ging dur) ihr Auge, und Die
Drauen zogen fih fo finfter zufammen, daß Daniel
erſchrocken die Hände ſinken ließ.
„Qarrheit! Wer Hat dir von dem Bild geſprochen?“
„Sräulein Margarete!* ftotterte der Kleine und fügte
entihuldigend Hinzu: „Aber jie hat es nur ganz, ganz
leife gejagt! Ad, und idy möchte die Mutter fo gern
fehen, nur ein einziges Mal ziehe den Vorhang beifeite,
gnädige Tante!“ Die Stiftsdame faßte in ihrer ſchroffen
Weile die Schultern ihres Neffen und [hob ihn zur
Zür hinaus.
„ein! jene Frau auf dem Bild ift tot und vergeſſen,
man foll feinen Srabesfrieden ftören. ch bin Deine
Mutter, du Haft feine andre als mich!“
Tränen traten in Des Kindes Auge, wie ein Auf
frei ging es durd) feine Seele: „Du haft" mich ja nicht
lieb, du kannſt nicht meine Mutter fein!“ Die Gräfin
aber drehte den Schlüffel kreiſchend im Schloß, 309g ihn
ab und fchritt nach ihren Gemächern zurüd.
Da tat Daniel etwas, was er fonjt nie im Leben
getan haben würde: Er blieb nicht, wie die Stiftsdame
befahl, in dem erjten Salon zurüd, fondern ſchlich ihr
auf den diden Seppichen bis zu ihrem Echlafzimmer
nach und ſah, too der Schlüffel wohl bleiben werde. Ä
In eine Heine Shenholztrube, die auf Dem Bronze»
37
jims über dem Sopfende des DBettes ftand, Tegte ſie
ihn nieder.
Am andern Tage ward die deutſche Soubernante
ganz plöglihd aus ihrem Dienſt entlaffen, und Gräfin
Arlowsk fagte dem Hausbofmeifter, daß in Zukunft die
Gedächtnisfeier nicht mehr in dem Öterbezimmer, jondern
in der Kapelle ftattfinden werde.
Der Herbftwind pfiff abermals fein wildes Lied um
die Schloßtürme von Miskow. Die Oftfee trieb ihre
Ihaumgefrönten Wogen Donnernd gegen den Strand,
und ſchwere Hagelſchauer praffelten an die Yenfter-
iheiben. Es war eine unheimlide Nacht.
Sinter den Scheiben der Fenſter huſchten eilig Die
Lichter, leiſe Schritte Hafteten treppauf und treppab,
und wenn die Diener oder Mägde in Heinen Trupps
ftanden, fo ftedten fie mit wichtigem Zlüftern die Köpfe
zujammen.
Gräfin Arlowsk war unter beängftigenden Symptomen
ganz plöglih erkrankt. Der Arzt zudte die Achfeln
und wich nicht von dem Lager der Leidenden, die ‚mit
Dunlelgerötetem und fieberheißem Haupt Die verwor⸗
tenften Dinge phantafierte.
Segen Abend trat etwas Ruhe ein, Die Atemzüge
wurden gleichmäßiger und die wirr um ſich blidenden
Augen ſchloſſen fih. Pa zog man behutfam die DBett-
gardinen zufammen, Dämpfte dag Licht und begab ſich
in Das Nebengemach. Durch das ganze Schloß ging
es wie ein Aufatmen, als man die 'Bebieterin mit dem
alles überwadhenden DBlid an ihr Zimmer gefeffelt
wußte. Sin jeder ſchlug ſchnell feine eignen Wege ein
und profitierte von Der Freiheit, die ihm ſo unfrei⸗
willig gewährt wurde. |
Auh Daniel war weniger ftreng beauffichtigt wie
fonft. Mabdemoijelle und Paul Fedrowitſch machten eine
romantiide Promenade durch den näditlihen Sturm,
um ein ‚unfterblid Wort‘ über die tofenden Seen der
38
Brandung zu jauchzen; Miß Dane faß über einem
Roman und blidte weder rechts noch links, und der
deutfhe Kandidat, der die entlaffene deutſche Erzieherin
erjegte, hatte fich in fein Zurmftübchen zurüdgezogen,
um mit ſehnſuchtskrankem Herzen alle deutſchen National«
lieder zu fingen und zu fpielen.
Miß Jane wollte Daniels Arbeiten überwachen, aber
fie ſah und hörte ‚nit, was um fie ber vorging, und
wozu au? Der Kleine war ja ein jo unheimlich artiges
Kind, daß er gleih wie ein Puthuhn mäuschenftill
auf einem led figen blieb, wen man einen Kreideftrich
um ihn herzog. So hörte fie auch nicht, wie der Heine
Fürft vom Stuhl glitt, mit behutfamen Schritten bie
Zür erreihte und Dahinter verfchivand.
Der Korridbor war hell erleuchtet, aber ftill und ein-
fam, und die Tür zu der Gräfin Salon ftand angelweit
offen. Daniel ſchlich vorfichtig über die Teppiche bis
in das nächſte Gemach, und weiter, immer weiter bis an
die Portiere, Die die Schlafftube von dem Wohnzimmer
trennte. Auch Hier feine Menfchenfeele.. Daniel atmete
tief, faft feuchend auf. Seine Augen haben einen unge-
wohnten leidenfchaftlihen Glanz, und fein gebrechliches
Figürchen richtet fi” entfchlojfen auf. Leife nähert er
fih dem dunlelpioletten Samtvorhang und lugt in das
Kranlenzimmer, dann tritt er auf den Fußfpißen ein und
fHleiht an das Himmelbett heran. Pie Atlasporhänge
knirſchen unmerklich in den alten, die Schläferin regt
ih nidt. Debend wie ein Onömden und dennoch
mit zitternden Gliedern Befteigt der Heine Fürft einen
Stuhl, taftet nach der fhwarzen Truhe auf bem Sims
und ſchlägt ihren Dedel zurüd. Sin Zuden geht durch
feine Hand, da fie den Schlüffel, den er fucht, berührt.
©r faßt ihn, huſcht vom Stuhl zurüd und entjchwindet
lautlos wie ein Schatten Hinter der Portiere. Im Vor⸗
zimmer fteht ein brennendes Licht auf der Marmorkonfole
por dem Spiegel. Daniel nimmt es und entflieht voll
ftebernder Haft mit feiner Beute. Niemand begegnet
ihm, er erreicht über eine dunkle Treppe ben Flur, der
39
nach dem GSterbezimmer des Füriten führt. Sonſt ift
er ftets ein fcheues, ängftlihes Kind gewefen, heut
tennt er feine Furcht. Mit brennenden Wangen fteht
er por der gejchnigten Sichentür, ſetzt das Licht auf
die Dielen und ftedt den Schlüffel in das Schloß.
Sr muß fih Schweißperlen auf die Stirn arbeiten,
ebe der Schlüfjel ſich Tnarrend dreht; feine jchwachen
Kräfte aber ſcheinen fich in der Aufregung verdoppelt zu
haben, und poll zitternder Haft greift er nad) dem
Leuchter und legt die Hand auf die Klinke.
Die Sehnſucht nach feiner Mutter und der Wunſch,
fie zu ſehen, der ihn voll unausfpredliden Wehes
Tag und Nacht verfolgt bat, foll ſich endlich erfüllen.
Sr öffnet die Tür und tritt ein.
Sünftes Kapitel
Der Heine Fürft ftrebte mit ftarrem Blid dem ver-
büllten Bild der Mutter entgegen und hatte für nichts
andres Einn und Intereſſe, als Die dunflen Schleier
zu heben, um endlich ihr Antlig zu fchauen.
Draußen beulte der Sturm, riß an den Fenjterläden
und peitjchte die Eiskörner praffelnd gegen Mauer und
Scheiben. Im Kamin fauchte und [chrillte es wie un«
heimlicher Geiſterſpuk, und hinter dem Holzgetäfel der
Wand trieben ein paar Mäufe rajchelnd ihr Spiel.
Daniel fah und hörte nicht, was um ihn ber gejchab,
er faßte die ſchwere Wollportiere und zog fie beijeite.
Ein Stüd Goldleiſte des Rahmens, etwas ſchwarzer
Hintergrund und die Falten eines weißen Gewandes
wurden jichtbar, und fo ſehr das Kind ſich aud; bemühte,
das Gemälde vollftändig zu enthüllen, es gelang nicht.
Kurz entjchlojfen wandte er fih um und fahte einen
der gejchnigten Seſſel, ihn heranzuſchieben: vergeblich,
die ſchwachen Armchen Maren nicht imftande, das
wuchtige Möbel von der Stelle zu rühren, ob auch Die
40
Anftrengung die Abern auf der Stirn des Knaben
Thwellen ließ. Ratlos, fiebernd por Aufregung fchaute
er fih um und eilte haſtig zu einem Heinen Zaburett,
Das, auf drei zierlihen goldenen Beinchen ftehend,
mühelos fortzubewegen war.
Daniel erfaßte und trug es vor das ®emälde, dann
fletterte er, den Leuchter in der Hand baltend, auf Den
gepufften Atlasftoff und ſchob nun mit der freien Rechten
die Wollfalten beifeite. Atemlos, mit bebenden Lippen
und eisfalten Händchen ftarrte das Kind in das Antlig
der jo unausſprechlich geliebten, ihm ewig fernen und
fremden Wutter, und ftrahlendes Sntzüden leuchtete
aus den dunklen Augen und bob die kleine Druft in
tiefem, wonnefamem Seufzer, als ſeien Zentnerlaften von
Kummer und SHerzleid durch diefen Augenblid von ihr
genommen. Ä
Die ſchön fie war, wie gut und mildel ©leich ‚dem
Marmorengel in der Kapelle lächelte fie voller Liebe zu
ihm nieder! Wie ein SHeiligenfchein deuchte ihm Die
Pracht der goldenen Loden, die ihr geneigtes Haupt
umtoallten, wie taufend zärtlide Worte ſchwebte es
um ihre Lippen, und Die Augen, die wie in ergebungs-
voller Sehnſucht verflärt in die feinen fchauten, Die
Thienen ihm zuzurufen: Hab' Dank, du lieber, Tleiner
Daniel, daß du zu deiner Mutter kommſt!“
Ihre Hand, die auf den weißen Atlasfalten rubte,
hielt ein vierblättriges Kleeblatt, ein Pflänzlein, das
ihr wohl ganz befonders teuer war.
Daniel ſah es, ſah alles, jeden Heinften PBinfelftrich,
aber fein DBlid fehrte immer wieder zu dem lieblichen
Antlitz zurüd, und Auge rubte in Auge, und in feinem
Herzchen quoll es heiß und übermädtig auf und ver-
Iangte voll Baltlofer Sehnſucht an die Bruft der Mutter!
Küffen wollte er ihr liebes Angeficht, nur einmal küſſen,
wie andre Kinder ihr lebend Mütterchen herzen, und
Daniel ftrebte Dicht zu dem Bilde heran und drüdte
feine Lippen auf die fühle Leinwand. Da durchſchauerte
ihn eine hohe, unausſprechliche Glückſeligkeit, er war nicht
41
mehr allein und verlaffen, er hatte gefunden, was er
mit heimwehkranken Herzen geſucht.
„xiebes, liebes Mütterhen!* ſchrie er jauchzend auf
und taftete erfchroden nad) einem Salt. Aber unter
feiner beftigen Bewegung Hatte ber unfidhere Stuhl
geſchwankt, der glatte Atlas glitt unter den Füßen
fort, und in ſchwerem Sturz ſchlug Daniel auf den harten
Parkettboden nieder. Der Leuchter Flirrte auf der Erde,
und dann war eg dunfel und ftill in dem Zimmer. Sinen
Moment war der Kleine wie betäubt, dann ftarrte er
mit angfterfülltem DBlid in die Düſterheit, die ihn um⸗
gab, und mollte fchnell emporfpringen, ſich nad) ber
Zür zu flüchten. Ein jäher, furdhtbarer Schmerz im
Rüden ließ ihn mit leifem Schmerzenslaut zurüdfinten;
wie an allen Oliedern gelähmt lag er hilflos auf dem
Barten Boden, und jede Bewegung verurfadhte ihm er-
neutes Web.
Falbes Mondliht fiel Dämmernd dur‘ die un«
verhüllten Fenſter, fommend und gehend, je nachdem
der Sturm das zerriffene Gewölk unter ihm vorüber»
jagte; und erſt jet feiner gangen Situation eingedent,
erfhauerte Dantel durch Markt und Bein. Wie allein
er iftll Wie es um ihn ber fauft und hHeult, wie es
an das Fenſter klopft und mit wilder Stimme unver⸗
ftändlide Worte ruft! Schatten huſchen über den Fuß⸗
boden, und dort drüben in der Ede rafchelt und Inufpert
es. Und auch dicht Hinter ihm an der Wand beginnt
ein wunderbares Kniftern! Der Heine Fürft hat längft
wieder die Augen geſchloſſen; das Entfegen treibt ihm
falten Schweiß auf die Stirn und die Schmerzen im
Rüden werden immer fchlimmer, wenn er ſich regt. Und
wie ein Dlig zudt ihm erft jebt das DBewußtfein durch
den Einn: „Du bift in der unheimlichen, gefürchteten
Etube, in der dein Vater einft mit blutendem Haupt ge»
ftorben!“ Auf derſelben Etelle bat er gelegen, wo jebt
Daniel liegt, und wie die Stinnerung an jenes grauen-
polle Bild in des Kindes Phantafie lebendig wird, da
fträuben fi) in qualvollem Sntjegen feine Haare und
42
die Derzweiflung reißt Ihn mit geöffneten Augen empor,
daß er entfliehe.
And wie er halb betäubt por Schmerz fi auf Die
Knie emporgerafft, da ſchüttelt ihn abermals ein jäher
Schreck. Das Zimmer ift plößlih mit rotfladerndem
Licht erfüllt, und an dem ſchwarzen Vorhang vor feiner
Mutter Bild züngeln die Flammen empor, Die das
niedergefallene Licht entzündet. Höher und höher klettert
die verderbende ©lut, und ein gellender Echrei entringt
fih den Lippen des Knaben: „Meiner Wutter Dild,
meinee Mutter Dild verbrennt!“
Er Sieht, wie die Funken bereits den goldnen
Rahmen umfprühen, wie die leichten Florſtreifen gleich
Zeuergarben aufflammen, und in Todesangft, außer fich,
alles vergeffend in dem Oedanken, Das teure Kleinod zu
retten, fpringt er auf die Füße. Sin paar Schritte
taumelt er nach der Tür und Bricht abermals wie don
einem Blitz getroffen zufammen. Seine Füße fcheinen
leblos und feine Schmerzen werden unerträglich, aber der
Teidenfhaftlihe Wunfch, das Gemälde vor dem inter» |
gang zu retten, ftählt feine Nerven und erhält ihm das
DBemwußtjein. &r entjinnt fi, daß fein Dater an einem
Schellenzug Bier an der Wand gezogen, wenn er Be—
dienung braudte. Richtig, Dicht vor ihm, im grell«
zudenden Licht fieht er die goldnen Quaſten bernieder-
Dängen. |
Daniel beißt die Zähne zuſammen und fchiebt ſich
unter wildem Schmerz langfam bis an die Schellenfchnur
heran. Boll zitternder Haft erfaßt er den Klingelgug
und zieht fo ſtark und unaufhörlid daran, wie feine
Ihwindenden Kräfte erlauben.
©ott fei gelobt, er Hört den fchrillen Glodenton er⸗
ſchallen, der Hilfe bringen wird.
Sein Armchen ſinkt kraftlos hernieder, er wendet das
Haupt nach dem Bild ſeiner Mutter. Die Vorhänge
ſind bereits in Flammen aufgegangen, jetzt brennen
ſie oben an der Tapete und dem Rahmen weiter. Rings⸗
herum brennen die Goldleiſten, auch die Leinwand glimmt,
43
und rotes Licht frißt gierig an den weißen XAtlasfalten
empor. Umglüht von grellem Feuerſchein fteht die lichte
Frauengeſtalt und blict Lächelnd zu ihrem Kinde herüber.
Eie lebt... fie bewegt fi... tritt aus dem Rahmen
und ſchwebt auf ihn au...
„Mütterhen!“ hallt es wie ein Hauch von Paniels
Lippen, fein Kopf fintt zurüd, aber er jieht noch, mie
feine Mutter fich lächelnd neigt und ihn in die Arme
nimmt: ‚Sei getroft, mein Heiner Schmerzensreich!‘
flüfterte fie Durch das Kniftern und Saufen der Flammen,
‚ih babe ein hartes Schickſal über dich gebracht, aber
ih komme dereinft und nehme alles Weh und alles
Herzeleid wieder pon dir!‘
Da lädhelt das arme, häßliche Kinderantlit wie ver»
Härt, und er lehnt voll füßen Friedens das Köpf-
hen an die Bruft der Mutter, und dann iſt es Still, ganz
hin um ihn =
Als der ſeit Jahren nicht mehr vernommene Glocken⸗
ton aus den Zimmern des verſtorbenen Fürſten durch
den Korridor ſchrillt, hat die Dienerſchaft zuerſt ein
bleicher Schreck erfaßt. Man hat ſich bekreuzt und an
böſen Spuk geglaubt. Gleicherzeit aber iſt Miß Jane
angſtvoll herzugelaufen und hat gerufen: „Wo iſt Da⸗
niel? Der kleine Fürſt hat ſich heimlich aus dem Zimmer
entfernt!“
Da ſchlägt die ©lode noch einmal ſchwach an, und
alles ftürmt die Treppe empor nad) dem Sterbezimmer
Sobolefskois. Rauch dringt ihnen entgegen und Brand⸗
gerud, und wie fie den Schlüffel im Türſchloß erbliden
und die breiten Sichenflügel aufreißen, da ſchauen fie in
Iohende Flammen.
Bewußtlos liegt Daniel neben dem Echellenzug aus»
geftredt. Außer fih por Angft hebt ihn der Gou—
perneur auf feine Arme und ftürmt mit ihm nad) bem
Schlafgemach. Das Feuer wird bald gelöfcht, aber das
Gemälde der Fürftin ift faft vollftändig zerftört, nur
44
die Augen find feltfamerweife verfchont geblieben. Mi
Jane nimmt fchnell das herausbrechende Stückchen Lein-
wand an fi, in den verfohlten Trümmern wird es
niemand vermiffen, und dur; Janes Herz zieht es wie
eine wehmütige Ahnung, was den verwaiften Knaben
in dieſes Zimmer getrieben.
Die nächſtfolgenden Tage find doppelt rei an Sorge
und Angft. Daniel liegt in einem hitzigen Nerbenfteber,
und jede Minute würfelt um Leben und Tod. Aber
fein elender Heiner Körper ringt mit erftaunlicher Zähig-
feit gegen die Gewalt der Krankheit, und feine Relon-
valeſzenz tritt fchneller ein als bei Gräfin Arlowsk.
Doch mit dem wiederlehrenden Bewußtſein des Tleinen
Sürften offenbart fih ein neuer Sammer, von deſſen
Eziftenz feine Menfchenfeele eine Ahnung gehabt. Der
Arzt unterfucht den fchmerzenden Rüden des Kindes und
— leichenblaß bei der entſetzlichen Entdeckung, die er
macht.
„Sinen Schaden fürs Leben?“ ſchluchzt Miß Jane,
an allen Gliedern zitternd, „allbarmherziger Himmel,
wenn das unglüdlide Geſchöpfchen noch zum Krüppel
wird, Habe ich in Ewigkeit feine ruhige Minute mehr!“
So gewiffenhaft der Arzt auch alle Mittel und Wege
einfhlug, das Unheil abzuwenden, und fo rührend ge
duldig Daniel alle Qualen ertrug, fo verriet dennoch
die troftlofe Niene des Mediziners, daß allmählich
jeglihe Hoffnung ſchwand. Und Hätte er auch noch mit
vagen Bertröftungen über die Wahrheit hinwegtäuſchen
wollen, fo wäre doch der immer fihtbarer hervortretende
runde Rüden des Knaben der traurigfte Gegenbeweis
gewefen. Gräfin Arlowst war zuerft, und wohl zum
erfienmal in ihrem Leben, faſſungslos. Sie rang Die
Hände und weinte Tränen der DBerzweiflung, den lebten
Zweig eines fo ftolzen Geſchlechts als dürres und ver-
Trüppeltes Reislein unter einem einzigen Wetterſtrahl
des Schickſals zufammenbreden zu ſehen. Dann er
faßte fie ein grenzenlofer Zorn und Haß gegen die, Die
ein ſolches Glend durch Leihtjinn und Nachläſſigkeit ver-
45
ſchuldet hatten. Abermals entließ fie alle Perfonen aus
der Umgebung des fürftlihen Erben, und Miß Janes
heiße Tränen und feldft ihr Flehen auf den Knien ver-
mochte nicht, Diefe Strafe von ihrem Haupt zu wenden.
In den legten Wochen, die fie voll Zodesangjt an dem
Echmerzenslager Daniels verlebt Hatte, war ihr der
Kleine lieb und teuer geworden, und aud) Daniel batte,
was fonft noch nie an ihm bemerkt worden War, eine
befondere DBorliebe für das blaſſe fchlanfe Fräulein an
den Tag gelegt. Und nun Tniete Miß Jane in dem
Reifelleid neben ihm, ſchlang die Arme um die jammer-
volle Heine Figur und nahm ſchluchzend Abſchied. Auch
in den Augen des Kindes fpiegelte ſich das Herzeleid
diefer Trennung. Vergeblich hatte er die Tante gebeten,
feine gute Jane doch bei ihm zu laffen, und fo nahm er
ihren Kopf in feine beiden mageren Händchen und fagte
voll ungewohnten Trotzes: „Weine nicht, Du Liebe!
Denn ich erft groß Bin und meinen eignen Willen habe,
rufe ich Dich zurüdl“
Jane küßte ihn voll Zärtlichkeit. „Wirt du mid
nit vergeffen bis dahin, Darling? Nein? Well, fo
will ih dir ſchon jebt zeigen, wie treu ich es meine.
Mein Baniel Hat fo Bitterlich gemeint, weil feines
Mütterchens Bild verbrannt ift, aber fieh, alles haben
dir die Flammen doch nicht genommen! Beine Jane
bat ein weniges noch aus ihnen gerettet und wird es
Dir nun zum Andenten fchenten. Sieh her! Ein Stüdchen
Etirn mit blondem Lodenhaar und darunter die aller»
Ihönften dunklen Augen, die man finden mag; Die
ſehen di nun immer an und grüßen dich von deiner
treuen Jane!“ Und die Sngländerin nahm das Stüddhen
Leinwand, das fie aus dem verfohlten Bildnis der
Sürftin gerettet, unter ihrem Hutſchachteldeckel hervor
und reichte es ihrem Yögling.
Wie erftarrt vor Freude fchaute Saniel auf Das .
Kleinod, das ihm entgegengeboten wurde. „Ob, Jane!“
murmelte er, und dann faßte er zagbaft nad) dem
Drudftüd des Bildes und betaftete und ftreichelte eg,
46
als müffe er fich überzeugen, daß ihn fein Saum
täujche.
„Hebe es gut auf und laß es ja nicht Die gnädigſte
Tante feben, fonft nimmt fie es dir fort, und Deine
Freude ift porüber!* mahnte Jane eindringlich.
Daniel bob das Geſichtchen, ein fremder, zorniger
Ausdrud beherrſchte es, und die Zähne biſſen ſich
Inirfhend aufeinander. Dann war's, als erſchrecke er
bor jeinen eignen Gedanken. Haſtig und mild wie
ftets, ſchüttelte er den Kopf. „Sorge did) nicht, Jane,
ih verwahre es gut! Hinter dem Bild der heiligen
DBarbata über meinem Bett werde ich es befejtigen,
dann Tann ich es alle Abend und jeden Morgen ſehen.
Dir aber will ich's bis an den Tod gebdenten, was bu
mir in dieſer Stunde Gutes getan!“
Die Jahre fchlihen Iangfam und einförmig dahin.
Daniel war ein verwachlener unſchöner Knabe, deifen
Weſen und Charakter fich immer eigenartiger geftal»
teten. Stundenlang lag er in dem fonnendurdhglühten
Dünenfand, regungslos vor fidh niederftarrend auf Die
rubelofe, immer wechlelnde Pracht des Meeres. Wenn
fih aber am Horizont ſchwarze Wollen ballten und
die Slut fi aus bleigrauer Trägheit emporraffte zu
wild auffhäumendem, donnerndem Zorn, dann branbete
auch Hinter feiner Stirn die Leidenfhaft. Ob, Daß er
frank und verfrüppelt war, Daß er nie als Soldat hinaus
zum Kampf ziehen fonnte, daß er fi auf fein Roß
ſchwingen durfte, es zu bändigen, wie andre Knaben
feines Alters, daß er durch feine ftets wiederkehren⸗
den Afthbmaanfälle felbft unfähig war, zu lernen und
zu ftudieren, um dem DBaterland wenigftens dur) Kopf
und Geiſt nügen zu können, da er es nicht mit ftarker
Sauft vermochte!
Als der junge Fürft das zwanzigſte Lebensjahr er-
reicht, beftimmte ihn Gräfin Arlowsk, zu feiner Bildung
47
eine Reife in das Ausland zu unternehmen. Da trat
der &infame zum erftenmal in die bunte Welt hinaus.
Zuerft blendete und betäubte fie ihn, Dann gemwöhnte
er fich rejigniert an ein Leben voll Luzus, Slanz, Ab»
wechſſung und Amüfement, ohne ihm Geſchmack abge-
winnen zu fönnen.
Mistow Hatte ihn manches Genuſſes und mancher
lärmenden Zerftreuung beraubt, aber es hatte ihn auch
vor den zahliofen Sifttropfen bewahrt, die die Welt
mitleidslog in Das empfindfame Herz des jungen Mannes
träufelte. Daß er ein Krüppel, untauglich zu Dienſt und
Arbeit fei, das hatte er bereits in der Weltvergeffenheit
feines Strandfchloffes erfahren; daß er aber ein häßlicher,
auffallend bäßlicher Zwerg war, die Zielſcheibe mand)
rohen Spottes und mand) frecher Schmähung, das lehrte
ihn erft die Fremde, und das wurde zu einem berberen
Weh für ihn als all die unfäglidden Schmerzen, Die er
je erduldet.
Ein wunderfamer Entſchluß keimte in feiner Seele,
ein ungeftümes DBerlangen, das zu erforjchen und zu
ergründen, was ihm als qualvolle Krankheit das Leben
vergällte. Umfonft war alles Proteftieren feines Gou⸗
verneurs, Daniel ftudierte Medizin. Bei den berühmte»
ften Profefforen des In⸗- und Auslandes wurde er
Schüler, und wenn fein ſchwacher Körper anfänglich aud)
oftmals in tiefer Ohnmacht vor den Operationstifchen
zufammenbrad), To feßte fein eifernes Wollen und fein
wachſender Eifer dennoch durch, Daß feine Lehrmeifter
[hließlih die Hand auf das Haupt des jungen Fürften.
legten und fein Können und Wiſſen groß und erftaunlich
nannten. Und als er fein Doktorexamen beftanden und
zum erftenmal rettend an ein Krantenlager getreten war,
da war es ihm, als ob ©eifterlippen ihn legnend auf die
Stirn gelüßt.
Er kam in die Heimat zurüd und wurde majorenn;
und an demfelben Tag, ber ihn zum unumfchränkten
Herrn von Millionen, von einem der edelften Namen,
von allem machte, was eines Menſchen Herz begehrt,
48
da kam ein Brief aus bem Kabinett des Zaren und
berief den Fürften Daniel Sobolefskoi an feinen Hof.
Ein füßer, feiner Duft entftrömte dem Schreiben, „ein
Hauch jener Luft, die Kronen ummweht!* wie Gräfin
Arlowsk enthuſiaſtiſch ausrief. Und fie umarmte den
Neffen zum erftenmal in ihrem Leben und ſprach voll
ftolzer ®enugtuung: „Sr wird dich zu feinem Kammer«
herrn maden, Daniel, und das goldene Treſſenkleid
wird alles zudeden, was die Natur an dir gejündigtl“
Der Erbe von Miskow antwortete nicht, er ftarrte
zum Senfter hinaus in die blutrot untergehbende Sonne
und dedte mit geheimen Fröfteln die Hand über. bie
Augen. Über die fehimmernde Pracht diefes Höflings-
Heides hatte er einft das Blut des Vaters ftrömen feben.
Sechſtes Kapitel
Miederholt Hat Sräftn Arlowsk zur fchleunigen Ab-
reife nad) Petersburg gedrängt. Fürft Daniel Sobo—
lefskoi aber fcheint feine fonderliche Sile zu haben, und
bie Stiftsbame muß ſich poll herben Unmuts an die Tat-
ſache gewöhnen, daf ihr Pflegebefohlener ein Mann ge»
worden, der fih von niemand mehr befehlen läßt, au
nicht von ihr. Daniel hat ihr das zum erftenmal bewiefen,
als Gräfin Arlowsk ihm das Selübde abfordern wollte,
nie nach feiner Mutter, nah ihrem Namen und ihrer
Herkunft zu forfhen. Er verweigerte es voll aufflam-
menden Zornes, hatte haftig feinen ®eburtsichein und Die
Shepalten feiner Eltern unter den Händen der Gräfin
fortgerifjen und zum erftenmal hochklopfenden Herzens
den Namen Des geliebten Weſens gelefen. „Eglantina
Ruzzolane!“ Ehrfurchtsboll dDrüdte er die teuern Buch
ftaben an die Lippen, und dann wandte er das Haupt
und mufterte die ©räfin mit einen Kl m. ver⸗
achtlichen Blick. | |
4 Eihfkruth, Hofuft 49
„Sebt begreife ich dich und ben Haß, den du gegen
Die unebenbürtige S®emahlin des Fürften Sobolefstot
gehegt. Mir erfcheint das unbegründet und lächerlich.
Was weißt du pon der Familie meiner Mutter? Er-
zähle mir!“
Kathinka Arlowsk lachte hart und kurz auf; ihr Blich
ſchillerte. „Nur Batfachen, die mich in Deinen Augen
abermals lächerlich machen würden. Wart’s ab, big
du nad) Petersburg Tommft, dort pfeifen’s die Spaten
vom Dahl“ Und die alte Dame reijte ſchon an dem
darauffolgenden Tage voll tief beleidigten Stolzes wieder
nad) ihrem Stift ab.
Daniel erzwang fich noch ein Lebeiwohl beim Abfchiebd,
denn er wußte nicht, ob er die Sräfin wiederſehen werde.
Eie aber grüßte den Sohn der Eglantina Ruzzolane, wie
man einem Bettler am Wege ein Almojen zumirft.
Zum Dank für die Pflege fchidte ihr der junge Fürft
die Schenkungsurkunde feines Palais in Petersburg,
der unbemittelten Stiftsdame einen angenehmen Auf
enthalt in der geliebten Refidenz zu ermöglichen. In
zwei Stücke zerriffen erhielt er das Dokument zurüd.
Damit waren die Bande zwiſchen Pflegemutter und
Pflegefohn für ewige Zeiten gelöft.
Da Miß Iane fi in einer mehrjährigen Stellung
fehr wohl fühlte, Daniel aber nicht wußte, wie ihm: fein
Schickſal noch durch die Welt treiben werde, febte er
der einzigen Freundin feiner Kindheit ein echt fürft-
liches Tafchengeld aus und rüftete ſich alsdann, dem Rufe
Des Zaren zu folgen.
Die kaiſerliche Familie Hatte abermals einen kurzen
Aufenthalt in Oatfchina genommen, und fo wurde Der
Sohn des ehemaligen Kammerherrn zur erften Audienz in
Dasfelbe Zimmer befohlen, in dem vor langen Jahren jein
Vater zum letztenmal vor feinem Kaifer geftanden.
Wieder fauften die Rappen der Sobolefskoiſchen Gqui⸗
page an dem Standbild des Faiferlihen Ahnherrn vor»
über, Die Rampe por dem Schloffe empor; wieder riffen
träftige Tſcherkeſſenfäuſte mechaniſch die Zürflügel auf,
50
und der junge Fürft trat ahnungslos über die Schwelle,
an ber das Lebensglüd feines Vaters zeriplittert war.
Lakaien und Kammerdiener neigten fich in reſpektvollem
Gruß, und dennoch rifjen fie die Augen weit auf vor
Staunen, als unter dem pelzverbrämten Nlantel die un«-
glüdlihe Geſtalt dieſes vornehmſten aller rufjiichen
Ariſtokraten fihtbar wurde.
Langſam, fchleppenden Schrittes, hier und da ftehen-
bleibend, um mühfam Luft zu ſchöpfen, ftieg Daniel
Sobolefstoi die Marmoritufen der ‚goldnen Sreppe‘
empor. Und an derjelben Stelle, in demjelben Saal,
wo por langer Zeit Madame de Louz den legten Dlid
auf Zürft Gregor geworfen, ftanden auch heute wieder
Drei Damen in leife tufchelndem Geſpräch, und die Zere-
monienmeifterin, Gräfin Karnitcheff, die Torpulente Ma⸗
trone in der Iangfchleppenden kirſchroten Samtrobe, bob
ungeniert die Lorgnette und mujterte den Sohn des Kam-
merberrn mit ernftem DBlid. Und a tempo hoben audy
Die beiden andern Damen die ©läfer por die Augen,
ließen den DBlid fcharf prüfend über den jungen Mann
gleiten und wandten fi dann, wie in hHänderingendem
Erftaunen, einander wieder haftig gu.
Daniel befand fich zum erftenmal am Hof. Die weiche
balſamiſche Luft, die ihm entgegenwehte, hatte ihm zu-
erft leicht den Atem benommen; jebt aber, wo er Durch
die neugierigen DBlide der Damen Spießruten laufen
mußte, wo ihr unverhohlenes Staunen, ihr fpöttifches
Kichern und Flüftern ihm ins Herz fchnitt und heiße Glut
in fein Antlitz jagte, jett deuchte fie ihm ſchier uner⸗
träglich. Wie ein Traum mirbelte die bunte Pracht
etliher Säle an- ihm vorüber, dann flug der vorauf«
gehende Kammerdiener mit tiefer Reverenz eine Por-
— zurück, und Daniel trat in das Vorzimmer ſeines
aren. |
Der Adjutant eilt ihm entgegen, nennt in zuvorkom⸗
mender Weiſe feinen Namen und bietet die Hand zum
©ruß, aber aud) fein Blick haftet frappiert auf der ver⸗
wachſenen Figur des Fürften. |
48 51
Daniels Wimpern Itegen tief über den Augen, den⸗
noch fteht er alles, und fein Herz blutet. Das Warten
in diefem DBorzimmer erjcheint ihm widerwärtig.
Endlich ertönt filberner Slodenfchlag aus dem Arbeits-
zimmer des Zaren, und nad) wenigen Minuten fteht
Fürſt Sobolefskoi vor feinem Herrn und neigt das Haupt
zum Kuß auf die gnädtg Dargereihte Hand.
Auch der Blid Seiner Majeftät Hat voll Aberraſchung
aufgezudt, als der einzige Erbe eines uralten Namens
in jammerpoller Mißgeftalt vor ihn tritt. So bat er den
Sohn des eleganten Kammerberrn feines DBaters nicht
erwartet; aber wunderbar, felbft mit dieſem Außern ift
ihm der junge Mann fompathifcher, als wenn er fchön
und ſchlank als das verjüngte Ebenbild jenes treulojen
©ünftlings por Ihm erfchienen wäre, ber feinen Dater
fo ſchwer beleidigt hatte.
Jene Zeiten find vorüber, aber der hohe Herr wird
nicht gern an fie erinnert, wenngleich er perjönlich dem
verftorbenen Fürften Sobolefstot die Weigerung: ‚Ma-
dame de Louz zu heiraten‘ feinerzeit als einen Akt der
Treue gegen Ihn, den G©roffürften, ausgelegt hatte.
Bol außerordentliher Huld und Leutfeligkeit unter»
hält fih der bohe Herr mit dem jungen Mann, deffen
wehmutspoll düftere Augen fein Intereſſe feffeln, und
Daniel atmet freier auf und denkt bei fih: Wunderbar,
die Fürftentronen und Alpenfirnen gleichen fihl Yu
ihren Süßen lagert eine ſchwüle Luft, die mand) giftig
Samentörnlein weiterträgt und mit gauberifhem Blüten»
duft Die Sinne betäubt; je höher man aber emporfteigt
au den majeftätifhen Häuptern felbft, Defto frifcher
und klarer weht’s einem entgegen!
Als Dantel verabfchiedet war, hatte er das Ge⸗
fühl, als müffe er mit eiligen Rofjen bavonftürmen auf
Nimmerwiederfehr, um ſich dieſer Stunde Segen zu
bewahren. Wer einmal mit vollem Verftändnis echten
Wein gefhlürft, kann dem gefälfchten nie wieder Wohl«
geihmad abgewinnen. Daniel glaubte, fo reine. und
öftlihe Hofluft, wie er Auge in Auge mit dem Kaifer
52
geatmet, werde feine Stirn doch nte Wieder umivehen. -
Die Luft aber, die in weiteren Kreifen die Säle und
Korridore der Fürftenfchlöffer durchzog, die deuchte ihm
zu ſchwer und giftig für feine kranke DBruft.
Sa, er möchte hinaus in die weite Welt fliehen, aber
das Wort des Zaren bindet ihn für die nächſte Zeit
an Petersburg; er fol nicht nur gelommen fein, um
wieder gu geben, er foll in dem Palais heimijch werden.
Und refigniert jeufzt der junge Fürft bei diefem Ge—
danken auf und fügt fi) dem Willen feines Herrn.
Als er durch die Halle zurüdichreitet, ſieht er Hinter
der ©lastür, die den Singang in einen Wintergarten
oder eine Orangerie zu gewähren fcheint, wieder eine
der drei Damen ftehen, die ſchon zu Anfang feinen Weg
gefreuzt. Der feuerfarbene Atlas ihrer Toilette hat ihm
Ihon vorhin in die Augen geftochen. Jetzt ſieht er ihr
Direlt in das fchelmifche, pilante, von dunklen Löckchen
umzitterte Antlit. Sie lächelt ihm mit einer koketten
Demwegung zu, als wolle fie fagen, ‚ih weiß, wer du
bift!! und fieht ihm dabei mit einem wahrhaft berüdenden
Blid in die Augen. Sobolefskoi fühlt, daß Ihm dunkle
Slut in die Wangen fchieht, daß er Gefahr läuft, in
feiner DBerlegenheit auf dem weißen Marmor zu ftol»
pern. Aber diesmal Klingt fein Kichern und Flüſtern
an fein Ohr, im Gegenteil, das reigende Kleine Sräulein
trägt einen Ausdrud im Sefichtchen, wie Desdemona,
als fie das Mitleid für den häßlichen Mohr übermannte.
Daniel verneigt fi in haſtigem Gruß, fie wiegt
anmutig das .Röpfchen, und der Erbe ungezäblter Reich“
tümer eilt verwirrt und unficher wie ein Kind die goldene
Steppe bernieder. Gr möchte fragen, wer jene Dame
war? Aber er hält es für unfhidlihe Neugier und
Tchreitet mit ftummem Segengrüß an Lakaien und Zicher-
tejfen borüber nach feinem Wagen.
In dem Palais Sobolefskoi in Petersburg ange-
fommen, wirft er ſich in den lichtblau feidenen Diwan
im ehemaligen Boudoir feines Vaters nieder und ftüßt
in Dumpfem Nachſinnen das Haupt in die Hand.
53
— — ürft Daniel Sobolefsfoi war in Petersburg
geblieben und Hatte fich auf den Wunfch des Zaren aus-
nahmslos an den Feſten ‚der Saifon beteiligt. Dem
Beifpiel des Hohen Herrn folgend, war er überall
mit ezquifiter Höflichkeit aufgenommen, und dennoch
deuchte es dem Sohn des ehemaligen Kammerbherrn, als
ftünde er inmitten des tolliten Karnevaltreibens ein«
famer und verlafjener, denn auf den Dünen feines welt⸗
vergeſſenen Strandichloffes. Sein Erſcheinen in der Refi«-
denz hatte ſelbſtverſtändlich viel Staub aufgemwirbelt,
und fo erfuhr Daniel gar bald, weldh eine Mesalliance
fein Bater geſchloſſen Hatte. Er war weder überraſcht,
noch peinlich berührt, fondern dachte: „Wie jchön, wie
edel und gut muß die Mutter gewefen fein, daß das
Schickſal eine Fürftentrone auf ihre Stirn gedrüdt, daß
mein DBater nicht gezögert bat, fie zu feiner Semahlin
zu erheben!“
Der junge Fürft war ein charalfterfefter, rechtlich
dentender Mann geworden, der den Verſuchungen der
Welt widerftand und fich nicht zum Spielball andrer
Menſchen machte. Gr Hatte fi dadurch bald unter
den Herren feine Widerjacher gemacht, Die ihn als Geiz⸗
hals, als unliebenswürdigen und ungefälligen Menſchen
verſchrien, und Die fih an ihm durch Nadelftiche räd)-
ten, die gegen feiner Mutter Namen und Shre gerichtet
waren. Und Damit trafen fie Sobolefstot am empfind-
Iihften und fchlugen ihm Wunden, die nicht wieder ver⸗
narbten.
Mehr und mehr überfam ihn der Ekel und Wider-
willen gegen die Komödie diefes täglichen Lebens, Deren
Schalbeit und verächtliche Tendenz er zu wohl durch“
ſchaute.
Stand er iſoliert in der Ecke des Saales, die Pracht
und Eigenart eines Hofballes zu überblicken, und ſchaute
er dann mit ſeinem nüchternen klaren Verſtand all die
kleinlichen Intrigen, Die Neid und Eiferſucht ſpinnen,
- Die Minen und Gegenminen, die Ehrgeiz, Saljchheit und
Selbſtſucht Iegen, dieſen Kampf, der unter dem Schild
54
des frommen, pollften Sriedens wütet, Diefe Steine, Die
mit graziöfem Lächeln in den Weg andrer gejchleudert
werden, all die Ieife ziſchenden Schlänglein, die ſich
Durch Rofen und Brillanten winden, dann hatte er ftets
pon neuem das Gefühl, das ihn zum erftenmal in der
Dorhalle von Gaͤtſchina beichliden Hatte: Die Hof»
luft erftide ihn!
Sacha Wronski, die Tleine Gräfin mit Den großen
Sprühaugen, die vielumfhwärmte Hofdame, die dem
Fürſten Sobolefskoi den erften Gruß in Gaätſchina gu-
gelächelt, iſt danach noch oftmals als Iodendes und
betörendes Irrlichtchen über feinen Weg getanzt. —
Als Irrlicht! Daniel Hat es bald eingefehen und voll
Grgebung auch dieſe fchnell auffladernde Hoffnung zu
©rabe gelegt. Anfänglich war er zu naiv, um ihre
Kofetterien fofort zu Durchichauen, aber er Hatte bei
öfterem Verkehr das fih ftets fteigernde Gefühl von
Unbehagen über ihre Art und Weiſe, die fo gar nichts
bon der engelhaften Milde und Reinheit einer Des⸗
demona an fich Hatte.
Sahas Bemühungen um den reihen Erben, ‚den
goldenen Kern in bittrer Schale‘, wie man ihn |pottend
nennt, find nicht unbemerkt geblieben. Die Mißgunſt
Thleiht fih an des Fürften Ohr und flüftert ihm voll
rüder Offenheit die Pläne zu, Die das Teufelsköpfchen
mit dem Engelslächeln fchmiedet. „Siehft du nicht, wie
der fchlanfe Offizier, der Schönfte feines Regiments,
fie eden zum Tanz führt? In ihren DBlumenftrauß,
den er nedend ihrer Hand entwindet, verfenft er heim⸗
lich ein rofiges Billett... und um die beftimmte Stunde
wirft Sacha den Pelz um. die fchönen Schultern und
tritt in den verjchiwiegenen Park, um dem Geliebten
durch perlweiße Zähnchen zuzuflüftern: ‚Wie fannft du
auf die Goldſäcke eines Zwerges eiferfühtig Jein!'“
Sp ziſcht Frau Fama leife Runde, und fie fagt dem
mißgeftalteten Manne nichts Neues, fie beftätigt nur
mit Haren Worten, was er felbft gemutmaßt hat. Ob
er Beweiſe verlangt? Nein, er beabfichtigt durchaus
b5
nicht, Gräfin Sacha zu heiraten, weder fie, noch jemals
eine andre; fein ©lauben an Lieb und Treu iſt vergiftet.
Er ſucht fein Weib mehr, dag ihn mit Kuß und Liebes»
wort belügen wird, er ſucht eine Samariterin, die mit
dunklen Augen den Frieden in feine Seele lächelt, die
die fühle, fchwefterlihe Hand auf fein müdes Haupt
legt und mit ihm meint, daß alles fo gefommen!
Eirne fieberhafte Unruhe erfaßt den jungen Mann und
treibt ihn in die Ungewißheit der weiten Welt hinaus.
Die Hofluft, Die dem Dater fo unentbehrlih ge—
wefen, daß er fein Leben Hinwarf, als ihm verjagt
war, fie ferner zu atmen, tft dem Sohn fo unerträglid),
daß er planlog in die Fremde flieht, um fi vor ihr
zu retten.
Der Zar bedauert es aufrichtig, daß die häufiger
denn je auftretenden afthmatifhen DBefchwerden des
Sürften einen Klimawechfel bedingen. Als Zeichen feiner
dauernden Huld verleiht er ihm denſelben ruffifchen
Sausorden, der ehemals die DBruft Des verftörbenen
- Kammerberrn gefhmüdt, und ſpricht den Wunſch aus,
den einzigen DBertreter des Sobolefskoiſchen Namens
gu Öfterem, wenn auch kurzem Aufenthalt in der Heimat
mwiederzufeben.
Und als Daniel durch das Portal des Palais zurüd«
fährt, hebt fich feine Bruft unter einem tiefen Seufzer
der Grleichterung.
Stebentes Kapitel
Fürſt Daniel Sobolefstot hat ein ruhbelofes Wan-
derleben geführt. Da ift wohl kaum eine Stadt in
Europa, die er nicht geſehen bat, durch die er nicht
müden Schrittes einhergegangen, abgeftumpft gegen die
neugierigen Augen und dreijten Worte, gleichgültig wider
Die Triechende Unterwürfigfeit, Die feinen goldgefüllten
Händen gilt. Mit glanzlofem DBlid fchaut er die Wunder
56
des Nordens und Des Südens, ein kranker, wunfchlofer
und lebensüberdrüffiger Mann. Was hindert Ihn am
Sterben? Wer wehrt es ihm, feinem elenden Dafein
ein Ende zu machen? Gr hat oft darüber nachgedacht,
aber fein Zindlich frommer Slaube hat dag Haupt trium«
pbierend über die Schlange gehoben, die ihn verſuchend
aus Biltole, Sift und Waffertiefe angefcillert bat.
Soll er feine ewige Seligfeit dabingeben, um dem Leis
den zu entrinnen, das doch nur. für eine furge Spanne
Sröenlebens über ihn verhängt ift? Soll er das Ziel
all feiner Sehnſucht, feine Mutter, die er mit leib⸗
lichen Augen nie gefchaut, auch im Slanz des Himmel-
reichs nicht ſchauen, — nur darum, weil er verzagt und
Heinmütig eine Laft von fi) geworfen, die Gott ihm
in feinem unerforfhlihen Ratſchluß auferlegt? And
was follte aus fo vielen armen, bedürftigen Menfchen
werden, die Fürft Sobolefskot faft täglich antrifft, denen
er als Arzt Hilft und Gutes tut, deren Tränen er
trodnet und deren Dank er errötend abwehrt? Es iſt
feine Miffion auf Erden, Traft feines Wiſſens und der
goldenen Schäte, Die ihm geworden, ein Tröſter und
Helfer zu werden, und er freut ſich neidlos des fremden
Elüds, wie ein Kind, das hinter dem Fenjter andrer
einen Chriftbaum brennen fieht und weiß, daß aud)
ihm Dereinft die Lichtlein angezündet werden. Und fo
wandelt er ohne Murren, aber auch ohne Freude den
dDornenpollen Weg, der zwifchen all dem bunten Leben
der Welt dennoch fo öd und einfam ift.
Deutſchland iſt ihm ftets Tieb und ſympathiſch ge-
wefen, jahrelang bat er fih in feinen Srenzen aufge»
halten, bis ihn feine krankhafte Unruhe wieder fortge»
trieben. Angern bat er fich der Notwendigkeit gefügt,
Die ihn zur Regulierung feiner Angelegenheiten bei
einem fallierenden Bankhaus nad) Paris geführt.
Sobolefstoi hat fein zweiunddreißigftes Lebensjahr
erreicht, aber er zieht jih von der Welt und Sefellig-
teit zurück, als trage er bereits die grauen Syaare
eines Greifes. Da kommt der Sommer des Jahres
57
1870 und erfüllt die Ufer des Rheines mit gellendem
Kampfgefchreil Per galliihe Hahn nimmt heimtückiſchen
Slug, dem preußifchen Königsaar die Augen auszu-
baden, und Jungfrau Germania greift voll Hirrenden
Zorns zum Schwert und fchlägt den Räuber ihres
Friedens nieder.
Da überzog ich der blaue Himmel plößlich mit Dräu-
enden Wolfen, und die Donner rollten über dag Schladht-
feld und die ehernen Siegesſchritte der deutjchen "Armee
ftampften den welfhen Abermut in Orund und Boden.
Näher und näher brauften die [chwarz-weiß-roten Wo-
gen gegen die Weltjeele Paris heran, immer furdht-
barer gellte das deutſche ‚Hurra!‘ in Die Obren Der
Bublerifchen Seine-Tize, die plötli mit bleihen Wan⸗
gen aus ihren Träumen der Gelbjtüberhebung und
prablenden Siegesgewißheit emporſchrak und mit zittern“
den Händen Wall und Schanze um ihr bedrohtes Lager
baute.
Aus Paris flüchtete, wer da flüchten Eonnte. Daniel
Sobolefstot aber blied. Mit einem graufigen Behagen
ſah er der welterfchütternden Kataftrophe entgegen, Die
die Zore von Paris zu ihren Zeugen machen wollte.
Das Entjeten einer Belagerung jehredte ihn nicht, und
der Gedanke an die ausbredhende Repolution reizte
ihn, ſich mitten in die ©ärung zu ftürzen. Sie ftachelte
den Fürften auf, in dem belagerten Paris zu bleiben,
und als dag Elend mit feinen hohlen Wangen durch
die Gaſſen jchlih und das Geſpenſt des Hungers und
der Berfommenheit por den Toren hodte, da erntete
Der gute Engel die Früchte dieſes Bleibens und machte
Sobolefstoi auch hier zum Retter und Helfer von vielen
taufenden, die durch feine Barmherzigkeit das Leben
frifteten.
Der Heine mißgeftaltete Mann wurde zu einer popu=
lären Berfönlichkeit, por der der Pariſer Pöbel aner-
fennend den Hut zog, dem er im Park von Monceau
eine jubelnde Ovation bradte und der aus feinem
ftets von DBettlern belagerten Haus feine Nationalfahne
68
hberauszuhängen brauchte, ſich por Rocheforts Demolie-
rungswut zu ſchützen. Pie befte Samariterflagge, viel
fiherer als das weithin leuchtende Kreuz, war die le—
bendige Mauer, die ſich um die Tleine maison russe auf
dem Boulevard von Port⸗Royal aufbaute. Zerlumpte
Stauen und Kinder, por Kälte zitternd, mit weinenden
Augen und leerem Magen, ftehen ununterbrochen vor
den Parterrefenftern, ob fich das [hwarzftruppige Haupt
des ruffifhen Doltors bald zeigen werde. Und öffnet
fi die Scheibe, oder tritt er felber aus der Haustür,
der kleine Fürſt Sobolefskoi, fo deucht es den Hungern⸗
den und Frierenden, als fet diefes häßliche Antlit mit
den mild und erbarmungspoll blidenden Augen plößlich
ſchön geworden wie dag eines Sngels, der mit nimmer»
leeren Händen feine ®aben ftreut.
Es war ein bitterfalter Tag. Per Januar hatte
im eisgligernden Königsmantel feinen Sinzug gebalten
und alle Schreden mit ſich gebracht, deren Vorahnung
ben Abermut der ‚Weltjeele‘ nicht hatte dämpfen: kön⸗
nen. Gebt aber, wo der Donner der Geſchütze wie in
heiligem „Zorn über das SHäufermeer rollte, wo Das
Saufen und Ziſchen der von allen Seiten beranfliegenden
Bomben und Sranaten ihm ein entſetzlich Todesurteil
ſprach, wo Kälte, Hunger, Elend und Aufruhr ihre
Schreckensherrſchaft geltend machten, jetzt neigte Die
Iofette Sünderin an der Seine das Haupt angjtzit-
ternd und reuepoll in den Staub. Wohin man blidte,
die Panik, Verwirrung und Verzweiflung.
Fürſt Sobolefskoi Hatte die Kirche in Der Rue St.
Jacques bejudt und fie noch nicht Wieder verlajfen,
als ein Geſchoß dicht por ihr platte und Die Menge
in höchſte Aufregung verſetzte. Alles flüchtete ſich mit
einem Sefchrei der Todesangſt in die Syäufer, nur die
pelagewidelte Geſtalt des Heinen Rufjen wandelte un-
befümmert ihren Weg, wie in feder Serausforderung
der Gefahr, mitten auf dem Straßendamm.
Stommelwirbel erflingt Hinter ihm. In zügellofen
Haufen ftürmt ein Dataillon Nationalgarde an ihm
59
vorüber, der Pöbel folgt lärmend und verlangt zum
Stadthaus: „La paix! la paix!“ gellen einzelne Stimmen
Dazwifhen. Man erkennt Sobolefstoi und reißt ein
paar rohe G©efellen von ihm zurüd, die mit gemeinen
Schimpfreden nad feinem Pelz gegriffen haben. Un⸗
befümmert fchreitet der Dudlige weiter. Eine Sranate
frepiert ganz in feiner Nähe in dem Barten von Luxem⸗
Burg, die Bäume Traden und brechen mit ihrer
Schneelaft zuſammen. Daniel beachtet es kaum. Seine
Gedanken find weit weg, und feine Stimmung tft fo
niedergedrüdt und trübe, wie feit Jahren nit. Die
einzige Hoffnung, zu einem Bild feiner Mutter zu ge»
langen, ift heute gefcheitert. In Petersburg bat er
vergeblich die höchſten Summen für ein Bild der Sän-
gerin Gglantina Rugzolane geboten. Umfonft, Photo⸗
graphien eziftierten zu ihrer Zeit noch nicht, und außer-
dem war Gglantina eine allzu unbelannte Anfängerin,
um nad) fünfundzwanzig Jahren noch in der Srinnerung
eines ftets wechjelnden Publikums zu leben. Da Hatte
der Fürft nad) dem Maler geforfcht, der die Porträts
in Miskow ausgeführt hatte. Richtig, auf feines Vaters
Bild ftand ein unbelannter franzöjifher Name, und
Daniel ſchrieb nad) Paris und forſchte nah Mr. Jules
Billtard. Sr erhielt die Antwort, daß Diefer Maler
bier eziftiert babe, por wenigen Monaten geftorben
ſei und feine verfiegelte Hinterlaſſenſchaft erft in Drei
Jahren geordnet werden fönne, wenn fein einziger Sohn
aus Japan zurückkehre. Aus den drei Jahren jedoch
wurden beinahe ſieben Jahre, und erft jest, in Diefem
Schredenswinter, war die Zeit gefommen, da die Slkiz⸗
zgenmappen des Berftorbenen geöffnet werden Ionnten.
Sobolefstoi Hatte es für felbftverftändlih angenommen,
daß die Porträts feiner Eltern, Die von durchaus gleichen
Leiften eingerahmt waren, zur felben Zeit und von
der Hand des nämlihen Malers angefertigt waren.
Wer aber ein fo engelhaft fehönes Antlig wie das
der Fürftin verewigen durfte, der nahm in feiner Sliz⸗
zenmappe folhe Züge zum eigenen Andenten und Ent-
60
züden mit ſich. Darum fette Sobolefstoi auf die Iofen
Blätter der ‚Studienköpfe‘ und Aufzeichnungen Mr.
Villiards feine größte und lebte Hoffnung, und darum
war feine Enttäufhung um fo fchmerzlicher, als der
Sohn des verftorbenen Künftlers nach mwochenlangem
Suchen, bei dem der Fürft ihm voll nervöſer Erregung
Hilfe Ieiftete, ſelbſt nicht die flüchtigften DBleiftiftlon-
turen fand, die auf das Antlig Solantinas gedeutet
werden Tonnten.
Gobolefsfoi trat in ein Kaffeehaus, ſich einen Au⸗
genblick auszuruhen und einem Trupp Kommuniſten
aus dem Wege zu geben, die die Warſeillaiſe brüllten
und ein Schild trugen, das die Bürger pon Paris
aufforderte, Das Gefängnis Mazzas zu en und
Sleurens zu befreien.
Auch aus dem Gafs Drang Daniel ein wuſter Lärm
entgegen, zweit Offiziere der Mobilgarde begegneten
ihm auf ber Treppe, erfannten ihn und faßten ungeftüm
feinen Arm: „Allons done, mon prince! Kommen Giel
Selfen Sie ung, ein Maffaler zu verhüten! Wir allein
dringen nicht mehr durch bei der wütenden Mengel“
„Was gefchteht? Ich beſchwöre Ste, meine Herren!“
Schon zogen ihn die beiden Kapitäns aufgeregt mit
fih fort nah dem großen SKongertfaal, der in einem
-Quergebäude nad) dem Hof'zu gelegen war.
„Bier arme Teufel, die man für Spione hält und
Innhen will! Mlem Anfchein nach find es auch preu-
ßiſche Offiziere, aber wir müſſen verhüten, Daß fie
unter den Fäuſten des Pöbels fallen!“
Die breiten Olastüren des Saales fchlugen fchmet-
ternd auseinander, ehe die Herren fie erreichten. Eine
wild erregte Menfchernmenge drängte fich hervor, vier
anftändig gekleidete Ziviliſten, durch Taſchentücher ge-
Inebelt, mit ſich reißend, mit geballten Fäuſten be—
drohend und tätlich mißhandelnd.
„An die Laterne mit den Spionen! Nieder mit ihnen!
Schlagt fie tot, die Hundel* müteten * Stimmen
durcheinander. |
61
„Halt! Ruhe Bier!“
Wie mit einem YZauberfchlag beranderte ſich das
Bild, als die Zwergengeſtalt des Ruſſen mit bocher-
bobener Hand dem Denfchenftrom entgegentrat. Höh⸗
nende Worte, ein wüſtes Sefchrei: „Es find Spione,
petit bossul* und dann Drängen ſich andre bor, Die
Sobolefstoi als ihren Wohltäter fennen und feine Par-
tei nehmen. Sin lebhafter Wortwechfel ber und him.
Die Offiziere ziehen die Säbel und verlangen die Aus-
lieferung der Gefangenen, und der Fürft unterftüßt ihre
Worte durch feinen energijhen Befehl.
„Ihr feid DBerräter, wenn ihr die udn Kanaillen
derſchontl“
„Wir ſchonen ſie nicht! Wir ſtellen ſie vor das
Kriegsgericht!“
„Für ſolche Schandbuben find unſre Kugeln zu gut!“
„So werden wir ſie aufknüpfen!“
„Wo bringt ihr ſie hin?“
„Zum General Trochu. Gr ſoll feſtſtellen, ob dieſe
Männer preußifhe Spione find, oder nur Gefangene
. bon Champigny denen der General biefelben Frei⸗
heiten gewährt, die unſre Landsleute in Deutſchland
genießen! Wollt ihr, wider alles Völkerrecht, Leute
ermorden, die unter Dem Schutz des Goubverneurs und
aller Shrenmänner Frankreichs ftehen? Schmach und
Schande über jeden, der an feinen Gefangenen zum
Mörder werden will!“
Daniel hatte die Worte laut, mit feiner eigenartig
alzentuierten Sprache gerufen, und dabei war’ er furcht⸗
Ios neben einen der Gefeffelten getreten, hatte das
Tuch von feinen Handgelenfen gelöft und es mit Der-
achtung zu Boden geworfen. „Der Ruffe bat recht!
Hört auf ihn, er iſt Bürger von Paris gemorden! —
gu Trochu! en avant! Wir ziehen mit por das Gouverne⸗
ment!“
And abermals tat Sobolefsfoi ruhige, aber beftimmte
Einſprache, wählte zwei der Räbdelsführer zur Beglei—
tung bis zum Montmartre, wo die Unbelannten bor-
62
läufig von den beiden Offizieren abgeliefert werden
follten. Die Menge fügte fich, und Die beiden Mobilgar-
dDiften fchlugen mit ihren Schüglingen ihren Weg durch
eine kleine Nebengaffe ein.
In einer der fellerartigen Wachtftuben auf dem Mont⸗
martre geben die Offiziere ab und zu, wärmen für
furze Zeit ihre frofterftarrten Slieder oder werfen fid),
todmüde und gleichgültig gegen alles, auf die breiten
Strobjhütten, auf denen den Berwundeten zeitweife Die
Aotverbände angelegt werden. Die Matragen find un«
tauglich geworden, Blutlahen haben ihre unbeimlidhen
Schatten auf die Dielen geworfen.
Don der Dede hängt eine qualmende Öllampe und
leuchtet den Führern der Nationalgarde, die an bölger-
nem Zifh vor ihren Slühmweinbecdhern fiten und Das
Anglüd ihres Daterlandes beim Kartenfpiel vergeifen.
Die Kanonen donnern ihnen die Muſik dazu, und Der
Sturm peitſcht die Schneemaffen bis weit in 2. Zim⸗
mer hinein, wenn die Tür ſich öffnet.
And fie öffnet fich in dieſem Augenblid, um unter
ihrer tiefen Wölbung die befannte kleine Mißgeftalt
Eobolefstois auftauchen zu laſſen, dem, die dicke Schnee»
Ihiht von den Füßen ftampfend, ein Offizier der Fe—
ftungsbefatung folgt.
Aberraſcht bliden die Spieler auf, ftoßen die Stühle
zurüd und treten den Ankommenden mit vollendeter
Liebenswürdigkeit entgegen.
„Alle Zeufel, Prinz, Sie find feit dem fiebenund«
zwanzigſten Dezember der erfte Gaſt, den wir in den
Kafematten empfangen! Was führt Sie fo direft in
der Hölle Rachen? Wollen Sie mit den blauen Bohnen,
die uns die jenfeitigen Schügengräben herüberwerfen,
Sederball [pielen, oder beabfichtigen Sie, bei vierund⸗
zwanzig Grad Kälte eine rotflammende ©ranate für
Ihr Knopfloch zu pflüden? Gleichpiel und auf alle
Säle: Willlommen in unferm Baradenlager!“
63
Daniel Tchüttelte die dargereichten Hände und beant-
iwortete Die ſcherzenden Sragen mit feinem müden, ftets
böflihen Lächeln, der junge Kapitän jedoch, deſſen
Delanntfhaft er auf fo eigentümlide Weiſe in dem
Safs gemadt, nahm lebhaft feinen Arm und zog ihn
zu den dampfenden Punſchgläſern. „Ich weiß, warum
Sie kommen, Fürft Sobolefstot, und ich werde Ihnen
fofort Bericht erftatten! Trinken Ste mit mir auf dag
Wohl der Stunde, die Sie geftern zum Retter ein paar
barmlofer, armer Kerle gemacht! Da bier... dag einzige
Bortefeuille, das bei den vermeintlihen Spionen ge=
funden mwurdel Hahabal Hotelrechnung und Notizen
über die gleihhgültigften Sreigniffe der legten Sage...
Reporter des „Punch“ oder der „Zimes“, voilä tout!“
Die Unterhaltung wurde über das angeregte Thema
allgemein, und Dantel griff nah dem Diden Tajchen-
buch, das ihm fein Nachbar zuſchob, und ſchlug es
auf. „Welh ein Slüd, daß wir der Unfchuld einen
Dienft Ieiften fonnten. Befinden fich die vier Herren
wieder auf freiem Fuß?“
„Das nicht. Wir Haben alle Urfache, felbft den ehr»
lichſten Gefichtern zu mißtrauen. Recherchen über die
Wahrheit der Ausfage können wir in diefen bewegten
Sagen nicht anftellen, behalten infolgedeffen die un«
befannten Herren als Logierbefud) in den Baracken.“
„Das wird die Leute an der Ausübung ihres Berufs
bindern und fie dadurch ſchädigen!“
Der Franzoſe zudte die Achfeln. „Der Krieg nimmt
feinerlet Rüdfichten. Sndeffen... wenn Sie das Maß
Ihrer Güte vollmachen tollen, fo verwenden Sie fich
bei Trochu für Ihre Schühlinge; wohl möglich, Daß
er fie Ihren wahfamen Augen gu etwas größerer
Sreiheit anvertraut! Wenn Sie —“
Der Sprecher vollendete nicht, ein Krachen und Dröh⸗
nen ging dur) Den gemwölbten Raum, daß die Wände
erzitterten und der Fußboden gu wanken [chien. Die
Offiziere fprangen auf. Ein kurzes, erregtes Hin und
Her. „An die guerre d’rembuscade!l man hat eine Salve
64
gegeben! Verzeihen Sie, Fürft, wir Hoffen fogleich
wieder zu Ihrer DBerfügung zu ſtehen!“ Und baftig
nad) Säbel und Mütze greifend, wilde Flüche gegen
den Feind auf den Lippen, ftürmten die Nationalgar-
diften die Drei fteinernen Stufen zu der Ausgangstür
empor.
Daniel verharrte gelaffen auf feinem Platt. Bes
gleiten durfte er die Offiziere nicht, fo gern er es getan
hätte. Sr blätterte mechaniſch in dem Taſchenbuch des
englifhen Reporters und fchlug auch die zufammenge-
legte Ledertafhe auseinander, die, nad) ihrer Steifheit
zu ſchließen, Photographien enthielt.
Die Öllampe ſchwankte und warf unficheres Licht,
die Hand des Ruſſen aber zudte zufammen, jählings
neigte er fih vor und ftarrte auf das Bildchen, das
fich feinen Bliden darbot.
Träumt er? Kann es möglich fein? Aus einem
sauberhaft Lächelnden Kindergejicht, umwallt von gold-
‚bionden XLoden, [hauen ihn die Augen feiner Mutter
an; diefelben träumerifch ernften, rätfelhaft Dunfeln Au-
gen, die er auf dem Herzen trägt. Daniels Finger
zittern, als er den Karton umfchlägt. Gin zweites
Bildchen. Behaglich did und nur mit einem Hemd»
chen befleidet, liegt ein etwa dreijähriges Baby in den
Kiffen. Kleine, rebelliihe Haarftrippchen über der Stirn,
ein Stumpfnäshen und freisrund abftehende Ohrchen.
„Jolante“ fteht mit Tinte quer über der Photographie.
Und der Sleinen gegenüber im Zwillingsrahmen die
Mutter der beiden Kinder. Sin zartes, pornehmes Ge—
fiht, mit hellen Augen und blondem Haar. Gie ift ihm
ebenfo fremd, wie ihr älteftes Böchterchen dem Be—
fchauer befannt erſcheint. Er fchlägt Das Blatt wieder
zurüd und blidt wie gebannt in die dunklen Augen der
feinen Unbelannten. Wie mag fie beißen? Vielleicht
fteht es Hinter der Photographie. Daniel verjuht das
Bildden aus dem Lederausfchnitt hervorzuziehen, es
ftst fehr feft und weicht erft der Gewalt. Aber Sobo-
lefstoi bat fih nicht getäufcht.
5 Eſchſtruth, Hofluft 65
„Xena Bern von Groppen, zehn Sabre“, fteht von |
derjelben Hand, die auch „Jolante“ gefchrieben, auf
dem weißen Papier, dag Namen und Firma eines
deutſchen Photographen in einer deutfhen Stadt trägt.
Detroffen ſchaut Sobolefskoi darauf nieder. Dern
bon Öroppen ift ein unbefannter preußifher Name — wie
fommt ein Sngländer zu folcher Berwandtihaft? Und
bier? Was ift das? Per Atem ftodt ihm, bier bat
fih der Atlas auf dem Karton verjchnben, als Daniel
das Bildchen herausgezogen, und nun [haut eine Ede
befchriebenen Papiers dahinter vor. Der Fürſt mirft
einen fchnellen Blid um ſich ber, er ift ganz allein.
Haftig zieht er Das Gefchriebene hinter dem Futter
hervor und muftert es. Teils eine Zeichenſchrift, teils
furze, underftändliche deutſche Silben und bier... Auf⸗
zeichnungen, ein Heiner Plan... Zablen, — —
Ein deutſcher Spion!
Gobolefstois Herzſchlag ftodt. Die Aufregung treibt
ihm kalte Schweißtropfen auf die Stirn, ſchnell ent-
ſchloſſen jchiebt er die verdäcdhtigenden Zettel in feine
eigene DBrufttafhe. Wie ein Stich geht es ihm durchs
Herz. Soll er der Nation, die ihm Gaftfreundfchaft
gewährt, die Treue halten und an dem Deutfchen zum
. Berräter werden? Gein Leben liegt in feiner Hand;
ein Wort genügt, und diefe blonde Grau mit ihren
beiden Kindern fteht allein in der Welt. Wieder lehrt
fein DBlid zu den Bildern zurüd. Gr ftarrt ſekunden⸗
lang regungslos in Lenas dunkle Augen, und Dann
tingt fi) ein Atemzug faft Teuchend aus feiner Bruft.
„Befunden!“ jauchzt es in feinem Herzen, und durch
feine Seele zieht es wie Slodenton und Engelſtimmen,
und ihn deucht es, als öffne dag füße Kindergejicht die
er und flüftere ihm wie eine felige Verheißung
„Sei getroft, du armer Schmerzensreidh, all —
Leid mad ich ein Endel“
66
Fürft Sobolefstoi begab ſich perfänlih zu General
Trochu und erbat die Freilaſſung der vier englijchen
Reporter, die er im Cafe Honore aus den Händen des
Pöbels befreit hatte. In liebenswürdiger Weife wurde
ihm Diefelbe bewilligt. Und die Stunde Tam, in der
Daniel feine Schüglinge in feinem Haufe gaftlich auf-
nehmen. Tonnte.
Sein Blid überflog ſcharf prüfend die vier Unbe—
fannten. |
„Zuvor eine Frage: Welchem der Herren darf ich
dieſe Brieftaſche als perjönlihes Eigentum zurüder-
ftatten?*“ Und da der DBefiger fich mit etwas haftiger
DBerneigung meldete, ging es wie ein Lächeln der Be—
friedigung über des Ruſſen finftere Züge. Groß, ele-
gant, mit dunklem Bollbart und geiftoollem Auge ftand
Lenas Vater ihm gegenüber. Trotz des reduzierten An⸗
zugs ein vollendeter Kapalier.
„Darf ih Sie bitten, mir für einen Augenblid in
Das Nebenzimmer zu folgen?“ J
Die Tür ſchloß ſich, und Fürſt Sobolefskoi griff
langſam in die Bruſttaſche. „Hier, Ihr Portefeuille,
Herr von Dern⸗Groppen, und bier etliche Papierſtrei—
fen, die ich Daraus entfernte, ehe ich es General Srochu
al8 Beweis für die hbarmlofe Natur Ihres biejigen
Aufenthalts oorlegte.“
Ein Erbleihen ging über das Antlik des Deutfchen
Offiziers. „Mein Fürft“, ftotterte er in momentaner
Faſſungsloſigkeit. Daniel aber trat dicht an feine Geite.
„Mit Diefen verhängnispollen kleinen Zetteln ſchenke
ih Ihnen und Zhren Herren Kameraden zum zweiten-
mal dag Leben, und ich tue noch mehr denn dies, ich
ermöglide Ihnen in den nächſten Tagen die Flucht
und gebe Gie der Zernierungsarmee zurüd; ich bin
Ihr Steund, und ich helfe Ihnen mit Einfaß aller
Kräfte.“ |
Groppen umſchloß Die dDargereichte Hand mit krampf⸗
haftem PDrud. „Wie follen wir jemals diefe ‚Schuld
5” 67
Ä /
bei Ihnen tilgen, wie fol ih Worte finden, Ihnen zu
danten?“ ftieß er tiefatmend hervor.
Sobolefstot fehüttelte mit feinem müden Lächeln das
unfhhöne Haupt, fein DBlid traf das Auge des preu-
Bilchen Offigiers, wie der eines bittenden Kindes. „Wohl
weiß ich, daß meine Handlungsweife Ihren Dank ver-
dient, und ich bin meit entfernt, ihn abzulehnen. Im |
©egenteil, ich fordere ihn. Es gibt abfonderliche Heilige
in der Welt, und einer ihrer närrifchiten bin ich, Dem
entfpriht meine Bitte. Sie Tennen mid) dem Namen
nad), Herr... Herr Kapitän?“
„Rittmeifter des TFT Hufaren-Regiments, Bern von
Eroppen, mein Fürft.“
„Ich Dante Ihnen. Alfo Sie fennen mid, Herr Ritt-
meijter, und was Sie vielleicht noch nicht wiffen, ift mit
furzen Worten gejagt. Ich bin Ruffe, bin gefegnet mit
allen Slüdsgütern der Welt, bin inmitten all meiner
Serrlichleiten ein armer, einfamer, verlajfener Mann.
Liebe und Freundfchaft fand ich nie, eine Heimat habe:
ih nie im Schoß meiner Familie befeifen. Mein Hera
und meine Seele aber lechzen danach, ein Daheim zu
finden. Ich ſchenkte Ihnen zweimal Ihr Leben, fchenten
Sie mir dafür einen Bruder, einen Bruder in Ihnen
felbftl Seien Sie mein Freund, nehmen Sie mich auf
in Ihrem Haufe, ich erfehe aus den Bildern in Ihrem
Tagebuch, daß Sie verheiratet find. Mein ganzes Leben,
all mein Hab und Gut, meine wanlellofe Treue fet
die Mitgift, Die ih Ihrem Haufe zutrage, dafür aber
laffen Ste mid eine Heimat finden, Die meiner Gin⸗
famleit ein Ziel fett, eine Heimat mit all der ®üte
und Sreundlichkeit, die ich bisher voll heißer Sehn-
ſucht gefucht, aber niemals gefunden habel Nehmen
Ste mid auf in den Schoß Ihrer Familie, und Gott
und die Sngelshände meiner verflärten Mutter werden
Sie dafür ſegnen!“
Einen Augenblid hatte fi Hohe Betroffenheit und
Aberrafhung in Groppens Zügen gemalt, er fchten die
feltfame Bitte des Fürften kaum zu begreifen; dann
68
aber war es, als ob die weiche, wehmutspolle Stimme
Des mißgeftalteten Mannes fein innerftes Herz getroffen,
und in eimer leidenfchaftlihen Aufwallung von Dank⸗
barfeit, Mitgefühl und Rührung breitete er die Arme
aus und 30g Daniel Sobolefskoi an feine DBruft.
„Mein Bruder und mein Freund! BDiefe Stunde bat
meinem Haufe ein teures und liebes Familienglied ge«
ſchenkt! Willlommen bei den Meinen! Laffen Sie es fich
durch ungezählte Sabre Hindurch bemweifen, daß der Le⸗
bensretter des Vaters für Weib und Kind der Tiebfte
Freund auf Erden ift!“
Die Hände verfchlangen fich in feftem Oelöbnis, und
es deuchte Daniel Sobolefsfoi, als habe Geiſtermacht
urplögli Zentnerlaften pon feiner kranken Bruſt ge-
waälzt, als fei das Tränenkrüglein des Schmergensreid)
leicht getworden, wie nie zuvor im Leben.
Achtes Kapitel
Dierzehn Jahre find feit dem deutſch⸗franzoͤſiſchen
Kriege verflofien.
Der Himmel wölbt ſich in ſonnendurchſtrahlter Dläue
über dem nordifhen Flachland, die Wiejen jpiegeln
feine Pracht in Milliarden von bligenden Tautropfen
wieder, und um die Dunflen Sannen- und Laubwaldungen
wehen die weißen Nebel, wie ein Drautjchleier, der
Durch ſchwarze Loden getwunden ift.
Auf dem weichen Boden des Waldweges, durchzogen
bon bemooften Wurzeln und hoch bededt von den Baum-
nadeln, verflingt Der Huflchlag eines Rofjes, dag jeinen
Reiter gemächlich die Heine Anhöhe bernieder trägt.
Die elegante Geftalt des jungen Offigiers fitt mehr
graziös als fchulgerecht im Sattel. Stern und Adler auf
der Tſchapka funfeln nagelneu durch die leichte Staub»
Thicht, die fie während des Rittes überzogen, und Die
Alanka ift von tadellofem Schnitt.
69
Obwohl die meiften Regimenter im Manöver früh-
morgens mit etwas übereilter Toilette zur Abung aug-
gerüdt find, merft man dieſem Referveleutmant der
Garde⸗Alanen nicht Die mindefte Vernachläſſigung feines
äußeren Menfhen an. Der hellblonde Schnurrbart mit
den Ted emporgeftellten Spitchen ift fo zierlich gemellt,
als gälte es einen Siegeszug über das Parlett, nicht
aber über Sturzader und SHeideland zu halten.
In kurzem Abftand Hinter dem jungen Offizier folgen
ein Unteroffizier und Drei Mann, die in dem Dorf
Groß⸗Wolkwitz für eine Schwadron Alanen Quartier
machen follen, dieweil ſich ihr Vorgeſetzter in dem Schloß
des Gutsherrn befanntmachen wird, für den Regiments-
ftab ein Unterkommen zu |chaffen.
Sonnig, Ihmud und wohlbehäbig Liegt die Ortfchaft
in einem Kranz grüner Wipfel, und dicht Hinter ihr
Debnt fich ein impofanter Part.
Der Leutnant der Referpe, Graf zu Lohe⸗Illfingen,
flemmt fein Stüdchen Fenſterglas interejfiert in das
Auge und muftert das Bild. Dann wendet er fid) nad)
den Quartiermachern zurüd und zieht mit einem Lächeln,
Das mehr Herablajjung als Freundlichkeit ausdrüdt, Die
Lippen über die Zähne empor. |
„Iſt ſchon Groß⸗Wolkwitzl Auf Wort, alle Schorn-
fteine dampfen bereits zum Willlommen!“
Der Unteroffizier würdigte den Tleinen Scherz Durch
dankbares Laden, und Graf Lohe animierte feine Boll»
blutjtute zu elegantem Trab. Sr ftredte das Kinn Dabei
weit por und ritt engliih. Dor einem Haus, deſſen
Dach von drei Linden bejchattet war, parterte er end⸗
lich fein Pferd.
„Wünſche Porfichulze zu fprechen!* näjelte er, mit
zwei Singern den Schnurrbart ftreichend, und dag junge
Mädchen, das auf der fteinernen Bank neben der Treppe
fa und Bflaumen ausfteinte, erhob ſich, knickſte er-
tötend und eilte davon, den Hohen Saft zu melden.
Die dienftlichen Angelegenheiten waren bier für Graf
Lohe bald erledigt; er ließ feine Leute bei dem Schulzen
70
zurüd, die Dilletts ausrichten zu laffen, und erfragte
den Weg nad) dem Schloß.
Es war erit fieben Uhr, eine Zeit, die jegliche ele⸗
gante Dame noch in tiefſten Träumen zu ignorieren pflegt.
Der junge Offizier aber Hatte erfahren, daß Schloß
Wolkwitz den Vorzug genießt, mehrere Vertreterinnen
des ſchönen Geſchlechts in feinen Mauern zu beberber-
gen, und Darum tat es ihm in tieffter Seele leid, feinen
Ginzug in den Schloßhof womöglich bei niedergelaffenen
Gardinen halten zu müſſen.
Eine ‚Dame darf gar nicht früh aufftehen, das ift nicht
ladylike, das ift höchftens Sitte der Kammerzofen und
Nähmädchen. Eine Dame, die nicht erft um elf Uhr ihr
[pigenduftiges Neglige anlegt und dann auf einer Chaiſe⸗
Iongue ihre Morgenfchololade trinkt, erachtet Graf Lohe-
Illfingen nicht als „poll“. Nichts ift ihm fo unſym⸗
pathiſch, als vernachläſſigte Mlüren, und nichts deucht
ihm unverzeiblicher, als ein Verſtoß — und fei er noch
fo Hein! — gegen Form und GEleganz. |
Der Dienft nötigt ihn, zu ganz unporjchriftsmäßiger
Stunde in Shloß Wolfwig feine Aufwartung zu machen,
aber Graf Lohe will alles tun, was in feiner Macht
fteht, um ſolche Ungehörigkeit zu forrigieren. Sr be—
fchließt, zupor nad) den entfernter gelegenen Wirtfchafts-
gebäuden zu reiten, um ſich mit dem Inſpektor über
Stallungen und Fourage zu beſprechen. Das wird eine
Stunde vielleiht in Anſpruch nehmen, und dann, um
aht Uhr, muß er wohl oder übel im Schloß deranı-
gieren! Aber um diefe Zeit jigen die Herrichaften viel»
leicht fchon auf der Terraſſe, das erſte Frühſtück ein«-
zunehmen. Lohe malt jich das Bild mit allen Details
aus. Der ehemalige Dragoneroffizter, Herr pon Kuff-
ftein, DBefiger von Wolkwitz, Tiegt im Schaufelftupl,
lieſt die „Kreuzzeitung“ und führt bier und da die
Mokkataſſe an die Lippen. Ihm zu Füßen lagert ein
feudaler Rafjehbund, den die Tochter des Hauſes mit
fchneeweißen Händchen nad) einem Lederbiffen [dnappen
- Täßt. Die Tochter des Haufes! Sie heißt Urfula und
71
ift fiebzehn Sabre alt, Graf Lohe ift genau orientiert.
Ihre Mutter iſt eine geborene Gräfin Safjeburg, die
Schwefter der verftorbenen Frau von Dern-Öroppen
und der DBaronin Düttingen; deren Gemahl faum eine
Stunde entfernt auf dem Vachbargute fißt.
Die mag Fräulein Urfula wohl ausfehen? Schlanf,
graziös, hoffentlich troß aller Landluft zart und ätheriſch
wie das DBlättlein einer Afazienblüte. Etwas fcheu und
zurückhaltend wie alle Zandlinder, in ihrem Wefen bon
der läſſig vornehmen Art einer engliihen Erzieherin
beeinflußt. Der Oarde-Ulan Hatte den Kopf nachdenf-
lich gefentt und ritt im Schritt der hoben Mauer ent-
gegen, über die die Parkbäume ihre duntellaubigen
Wipfel erhoben. Er lenkte nach dem Fahrweg, der zu
den Okonomiegebäuden führte, ab und ritt an der Mauer
entlang den roten Ziegeldähern und dem Drennerei-
Ihornftein entgegen. Wie nun, wenn der Zufall ihm
ſchon jett eine oder die andre der Damen in den Weg
führt? Schon jebt, ehe er einen Dlid in des In—⸗
Ipeltors Spiegel werfen Tonnte? Oder wenn ihn aud
nur die MWirtfchafterin, die Mamfell erblidt und durch
die Kammerjungfer den Damen eine Befchreibung feines
beftaubten äußeren Menfchen macht?
Der Gedanke war unerträglid. Graf Lohe ftoppte
feinen Renner und bielt eine fchnelle Umſchau. Sr war
mutterjeelenallein.
Der junge Offizier ftreifte die Zügel über den Arm,
griff in die Sache und zog ein Necejfaire hervor. Gr
‚Happte den Dedel gurüd und begann por dem Spiegel
feine Zoilette.
Das gejchliffene Glas warf das Bild eines fehr regel-
mäßigen, etwas blafjen Sefichtes zurüd, aus dem zwei
große, graublaue Augen leuchteten. Der Ausdrud der
Züge war angenehm, wenngleich er leicht den Gindrud
des Ginftudierten und gezwungen Dlafierten machte; es
Ihien, als habe die ftrengfte Erziehung jede Miene und
jeden Nero in eine Faſſon gedrillt, die ftetS das rechte
Maf Hält, die Lächelt, verneint, bejaht und bedauert,
72
gerade fo, wie es fich für einen Strafen zu Lohe⸗IIl⸗
fingen geziemt.
Er nahm die Tſchapka pom Haupt und ftäubte fie ab;
dann ftrih er mit zwei Bürſtchen den Scheitel des
Sinterfopfes zu fehnurgerader Linie, Ioderte die Haar
wellen über Stirn und Schläfen und glättete den Schnurr-
bart. Soweit es möglich war, flopfte er auch die Uniform
ab und wechfelte alsdann die Militärhandfchuhe mit
Glacés, die er ftets zu mehreren Paaren bei fich trug.
Die ganze Art und Weiſe, wie Straf Lohe Toilette
machte, trug das G©epräge Außerfter Umftändlichteit
. und Gineffe, und als er den Sefamteindrud feiner fterb-
lihen Hülle nun zu guterlegt noch einmal im Spiegel
prüfte, ein Feines Sledchen auf der Wange entdedte
und beforgt aus einem Flakon ein Taſchentuch mit Köl«-
nifh Waſſer befeuchtete, um damit den Schaden abzu-
tupfen — da zudte feine Hand unwillkürlich erjchroden
aurüd, Denn von der Parkmauer an feiner Seite ertönte
ein fchallendes Gelächter, und eine Stimme rief in
Ihauerlich derber Sprade:
„Nehmen Sie doch Spudel Pie tut’s grad fo gut
und Loft’ nifht! Unten im Hof ift auch der Enten-
tümpel, da können Sie gratis ein Bollbad nehmen!“ —
und wieder ein jubelndes Gelächter.
Der Sarde-Ulan Hatte fi, zufammenfchredend, nach
‚dem Beſitzer dieſer Stimme und Derbrecher folder de-
goutanten Rede umgejchaut.
Aber die Sartenmauer, durch ein Gewirr von Solunder-
zweigen fchaute ein Jungenkopf, mit braunlodigem, arg
zerzauftem Haar und, fopiel man bei der abfcheulichen
Grimaſſe, die er juft fchnitt, vermuten fonnte, einem recht
hübſchen, runden, friſchwangigen Geſicht.
„Wollen Sie vielleicht noch Seife? Was ſo'n echter
rechter pommerſcher Dreck is, der ſitzt feſtel‘“ Hang es
abermals zu dem belauſchten Reitersmann hernieder,
und Graf Lohe machte ein Geſicht, wie eine Dame, wenn
fie mit der Ohnmacht kämpft, und dachte najerümpfend:
Ein gräßlicher Dengell
73
Obne zu antworten fette er die Tſchapka wieder auf
und ritt weiter.
„Kochäppel! Kochäppell Kochäppel!“ Höhnte es ihm
in rhythmiſcher Nachahmung jeines Furzen Galopps nad).
„Sie brüten wohl Gier aus, Männchen, daß Sie fo
ängftlih im Sattel figen?“ Und abermals ein ſchmet⸗
terndes Gelächter.
„Schauderhaft!“ dachte der Referveoffizier und ſchüt⸗
telte fich förmlich por Widerwillen gegen folche Berwahr-
Iofung. „Wenn diefe Särtnersrange nur feine Spionage
nit im Schloß verwertet! Wäre höchſt fatal, wenn die
Damen durch taftlofe DBeichreibung von meiner Zoilette
unter freiem Himmel in Kenntnis geſetzt würden!“
And der Majoratsherr pon Lohe⸗Illfingen befchleu-
nigte durch leichten Zungenfchlag die Sangart feiner
Stute und ſchwenkte in die Torfahrt des Gehöfts ein.
| Die Zurmuhr hatte bereits Die achte Stunde ge-
fhlagen, als der Rejerveleutnant der Sarde-Ulanen mit
dem Inſpektor vom nahen Geld zurüdfam, wohin er ihm,
nah Weiſung eines jungen Gleven, und unter deifen
Führung, gefolgt war.
Nah Erledigung feiner Dienftlichen Beſprechung ließ
Graf Lohe den Goldfuchs im Stall zurück und begab ſich
zu Fuß durch den Park nach dem Schloß.
Da er nicht liebte, und es auch für durchaus unpaſſend
erachtete, mit Antergebenen mehr als dringend not⸗
wendig zu reden, fo Hatte er lediglich gefragt, ob Herr
pon Kuffftein ſchon jetzt zu fprechen jet, was der In—
ſpektor mit etwas frappiertem Lächeln bejabte. Gine
porherige Anmeldung bei den Herrfchaften hatte der Sraf
unterjagt. |
So ſchritt er mit leiſe Elingenden Sporen durch Die
föftlichen Anlagen dem Herrenhaufe entgegen. Sine etwas
altertümliche, gediegene Gleganz, wohin er blidte. Dunfle,
hochgewölbte Lindenalleen, trefflih gebaltene Raſen⸗
14
fläden, auf denen Rotbuchen, Alazien, Sichen und Edel»
tannen geſchmackoll fchattierte Tuffs bildeten.
Bor der Front des erfihtlih fehr alten Schloffes
dehnen fich breite Teppichbeete, und zu beiden Seiten
der Sreitreppe öffnen ein paar klaſſiſche Wölfe dro-
bend ihre Rachen.
Sotenftille. Keine Menfchenfeele nah und fern zu er-
bliden. Lohe bleibt einen Augenblid zögernd ftehen;
aus einem Der Fenſter klingen fehr ftodend gejpielte
Singerübungen — dann verjtummen fie wieder.
Zangfam fteigt der junge Offizier die Stufen empor
und Öffnet die breite Slastür, durch Die er in eine Flur»
halle blidt, zwiſchen Deren ftügenden Säulen fi) eine
eilerne Treppe aus den oberen Stodwerken hernieder⸗
windet.
Auch Hier tft niemand gu hören und zu ſehen. Der. Ein⸗
dringling ſchaut fid) ratlos um, eine Klingel zu ent-
deden, und fchreitet nah einer der Säulen, an der
ein Löwenkopf mit einem Ring im Maule glänzt, feine
Dedeutung zu erforfchen.
Noch Hatte er ihn nicht berührt, als in Der erften
Stage eine Tür Inallend in das Schloß geworfen wird.
„Minel — Settel Zum Dpnnerietter, wo ftedt Denn
Die ganze Bandel“
Lohe ftarrt nad) der Treppe empor, als traue er
feinen Obren nit. Der ſchreckliche Junge von der
PBarfmauer!
„Mi—nel —— Fet—tel“ fchmettert es abermals Dur)
die gewölbte Halle, „da Iungern Die Stubenbolgen haufen-
weile im Haus herum, und wenn man einen toppen
Waſſer Haben will, Tann man ſich Heifer brülleni —
Mi—nel Jet—tel“ |
Der pilfeine Referbeleutnant der Sarde-Ulanen fühlte
einen Schauder durch alle Slieder riefeln. Der Junge
bar ein Kuffftein! — Unerbört!
Aroben Hatte fi währendbeifen ein wahrer Höllen-
lärm erboben: „Die Klingeln geben nicht, man Tann
15
das Ranunfelzeug nicht mal berbeiläuten!“ wetterte Die
Stimme. „WMeinetwegen, Dann holt eud) euren Klad⸗
deradatſch alleine!“
And klirr — Hingelingeling raffelte eine blau ge-
malte Porzellankanne die eiferne Treppe herunter, daß
die Funken ftoben!
Graf Lohe⸗Illfingen war höchlichſt alteriert nach der
boden DBlattpflanzengruppe, die fih um die Mittel-
faule der Vorhalle aufbaute, zurüdgewichen; die Scher-
ben aber tanzten ihm bis por die Füße, und juft ſtand
er im Begriff, por fo viel Ungehörigkeit wieder auf
die Deranda binauszuflüdhten, als fi) Dicht neben der
Steppe eine Tür auftat.
Obne den jungen Offizier zu bemerfen, ſchritt Herr
Kuffftein, denn nur er Ionnte es fein, mit behaglich
grunzendem: Lachen über die Schwelle. Ebenſo did wie
Sir Sohn, aber noch um eines Hauptes länger als
dieſer berühmtefte aller Bonhommiften an Heinrichs IV.
Hof, hielt er beide Hände in den Hofentafchen verfentt
und fah mit feinem ſtark geröteten Bollmondgeficht erft
auf die Trümmer des Kruges, dann nad) der Treppe
empor. Ein Mops, ebenfo wohlgenährt wie fein Herr,
‚war langfam nachgewatſchelt und ftellte fich an feiner
Seite auf, um recht übellaunig ebenfalls nad) oben zu
glogen.
„Aber Urſchel⸗Purſchell DBift du denn rein des Dei-
wels, daß du mit der fchönften Smitation eines Delfter
Potts Kegel ſchiebſt?“ Die fette Stimme des Gutsherrn
Hang weder zornig noch überrafcht, im Gegenteil, in ihr
ſowohl wie in feiner ganzen Haltung lag eine beinah
ſchmunzelnde Anerkennung. „Was ift denn Ios da oben?
— he?“ Der Mops niefte, weil es in der Halle kühl
war, und droben über dem Seländer erfchien der dunkel⸗
Iodige Sungenfopf... alle guten Geiſter... Graf Lohe-
Illfingen hatte das Gefühl, als müffe er fich mit beiden
Händen fefthalten, um nicht vor Schred’ und Aberrafchung
umzufallen: dieſer fchimpfende, Fratzen fchneidbende, in
Den entfjeglichiten Ausdrüden redende Jungenkopf faß
76
auf dem entzüdendjten Damenfigürdhen, dag man ich
denten fann — der DBengel war ein Mädchen!
„Jule, geh weg, ich fpringel* lachte Fräulein Urfula
von Kuffftein, fügte fich etwas kraftvoll derb auf das
Seländer und fchwang fih in Dogenfäten die Steppe
Binab, daß die Stufen unter den naturledernen Haden-
ſchuhchen zitterten und die weißgeftidten Kleiderfalbeln
aufiwogten.
Der Mops wadelte feig aus dem Weg, Herr Julius
von Kuffftein aber wiegte voll hoher Daterfreude das
Haupt und fagte lakoniſch: „Graziös wie ein Mehlſack —
ganz wie dein Herr Alter!“ Gleicherzeit aber ſchaute
er ji) verwundert um; Arſula Hatte nämlich mitten auf
Der Treppe ganz urplöglich geftoppt, mit dem Singer
überraſcht nad) der Nlittelfäule der Halle gedeutet und
dann die Hände mit fchallendem Gelächter zufammen-
gefhlagen: „Da ift er! Da ift er!“
Graf Lohe war ſprachlos, er trat einen Schritt por
und Happte mit einer Mufterberneigung die Silberfporen
aufammen; Herr von Kuffftein aber wuchtete ihm, beide
Hände darreichend, entgegen und begrüßte ihn wie einen
guten alten Freund: |
„Ad, voild, Berehrtefter! Willlommen als Schwalbe,
die Hoffentlih für recht viele Kameraden Sommer-
quartier macht! von Kuffftein, Vater von der Tleinen
Göre dal Sehen’s mir wohl ſchon an meiner ſtolz⸗
geblähten Haltung an!“ Und der Befiger von Wolkwitz
lachte in tiefem Baß und drüdte und fchüttelte Die Hände
des Garde⸗Ulans.
„Sraf zu Lohe-IMfingen!“ Abermals Hangen die
Eporen. „Bitte taufendmal um Bergebung, Herr Baron,
wenn ich als Werkzeug des königlichen Dienſtes bereits
in fo früher Stunde die Herrfchaften derangieren muß —“
„Frühe Stunde? Du, Urfchel-Burfchel, iſt's bei ung
um acht Uhr noch früh morgens?“
Die junge Dame hatte beide Hände auf den Rüden
gelegt und mufterte ihr Gegenüber mit ihren großen,
ſchallhaft bligenden Augen. „Sch waſche mich meift
77
Thon um fünf Uhr, aber nicht mit Parfüm, fondern mit
ganz gemeinem vollen Wolkwitzer Brunnenwajler!“
„sa, und nun ſehen Sie fih mal die Pflanze an,
Graf, find Sie ſchon Jo einem Mädel begegnet? Well
Die Klingeln den Dienst verfagen, Flingelt fie einfach) mit
dem PBorzellanfabarett die Treppe runter!* Und Herr
bon Kuffftein patjchte feiner Einzigen poll Bewunderung
auf den Lodenkopf: „Nu mach’ dich aber mal auf Die
Soden, du Strold, und forg’ dafür, daß die Anwejen-
heit des Strafen befannt wird! Wir wollen frühftüden,
verjtanden? Die Mama fol fih ein wenig mit Der
Toilette ſputen!“
„Geht ihr in deine Stube?“
„Na natürlich!“
„Ich babe vorhin das Kälbergatter aufgelaffen, Da
find die Rader unters Jungvieh geraten, und nun muß
ih erft Hin und wieder fortieren! Kommt doch mit
und helft prügeln, dann geht’s fchneller!“
Graf Lohe im Kälbergatter! Es überfam ihn wie ein
Schwindel bei diefem Gedanten. Slüdlicherweife war
e8 dem Sutsbefiger zu heiß zu folcher DBeichäftigung.
„Dann nich!“ und Fräulein von Kuffftein ſchwenkte
auf den Haden um, den Kälbern gegenüber allein ihren
Mann zu ftehen. Zupor aber ftürzte fie jich meuchlings
auf den abnungslofen Mops, faßte ihn und rollte ihn
ein paarmal wie eine Nudelwalze auf dem glatten
GSteinboden Hin und her: „Ookterjo, oller, fetter Dok⸗
terjol“ waren hierbei die rhythmiſchen Begleitworte,
und als der fichtlih ſchweratmige Vierfüßler pruftend
wieder auf den Deinen ftand, da machte der kleine
Kobold ihm mit. einer Sefte nad) dem fremden Offizier
einen feierlihen Knids: „Herr Doktor, ich babe Die
Shre, Ihnen Graf Pingsda vorzuftellen!*“ Im nächſten
un fiel die Tür fehr geräufchpoll Hinter ihr ing
Schloß.
„So ein Balgl“ lachte der verblendete DBater. Graf
Lohe aber war. tief gefräntt, daß er, der elegantefte
Mann der Refidenz, in nichtachtender Weile als Graf
78
„Dingsda“ einem Mopfe vorgeftellt wurde. Wäre nicht
Fräulein Yrfula neben all ihrer ſchauderhaften Derbheit
ein gar zu bildhübjches Kleines Ding gewefen, würde
der Majoratsherr von Fllfingen ſich fofort auf jeinen
Goldfuchs geworfen haben, dem Schloß Wolkwitz und
feinen entarteten Bewohnern den Rüden zu lehren!
Sp aber beſchloß er, in Anbetracht Des FLöniglichen .
Dienjtes, in feiner unſympathiſchen Lage auszuhalten
und um der ſchönen Augen willen das fchredliche Kleine
Mundwerk Arfulas zu ignorieren. Zu feiner freudigiten
Aberrafhung machte die Mutter alles wieder gut, was
Das Töchterchen perbrochen.
Stau von Kuffitein erſchien, obwohl fie ſehr leidend
war, beim Gabelfrühftüd und fah in ihrer eleganten,
_ Iangfchleppenden Morgentoilette ſehr comme il faut aus.
Ihr ganzes Wejen fennzeichnete die ehemalige Hofdame,
und es erſchien dem ©arde-Ulan ſchier unbegreiflich,
wie diefe zarte, in jedem Wort und jeder Geſte elegante
Frau die Mama des verwildertiten Fleinen Straßenmäb-
chens fein Tonnte. Ä
Urſula erſchien nicht beim Frühftüd, dafür aber Die
Erzieherin und Franzöjin, die beide an den Anblid
bes leeren Stuhls in ihrer Mitte gewöhnt zu fein
ſchienen.
Stau. von Kuffſtein fragte allerdings ſehr erſtaunt
nah dem Derbleiben ihrer Tochter, ihr ©atte jedoch
hob eine zufammengerolite Fleifchplinje in den Mund
und fagte mit vergnügtem Augenzwinfern: „Sie ift
tätige Landwirtin, ftör’ fie nicht, Dalestahhen! Sowie
ih einigermaßen Kräfte gefammelt babe, unternehme
ih mit unferm verehrten Saft einen Streifgug und
bringe den Heinen Salermenter ein!“
Als die Frau des Haufes fich mit einem Qulder-
lächeln und gütig geftattetem Handkuß wieder zurüdge-
zogen Hatte, griff Herr von Kuffftein nad) dem mäch-
tigen Strobhut, der fein feiſtes Antlit wie ein Hei⸗
ligenfhein umrahmte, und unternahm in Begleitung -
feines ©aftes einen Rundgang durch Schloß und Park.
‘3
Auf dem Müttelturm des Schloffes aber ftieg Die
bunte Flagge empor und flatterte der Ginquartierung
Iuftig entgegen, und fo ſtill es zuvor in dem Woll«
wißer Herrenhaus gewefen, fo lebhaft pulfierte jetzt
das Leben in jubelnder, jingender und Elingender ©e-
wißheit: „Es ziehen drei Reiter zum Tore hinein —
traral®
Neuntes Kapitel
Aber die Wiefen flutete das grelle Sonnenlidht, und
Straf Lohe fah es mit ftarrer Berwunderung, daß Fräu⸗
lein Urfula wenig danach fragte, ob Sonnenbrand für
den Teint einer Dame vorteilhaft fei oder nicht. Ohne
Schirm, ja felbft ohne Hut und Handſchuhe tollte die
junge Dame zwifchen den buntjchedigen Wiederläuern
herum, und Der unnatürlihe Vater ftellte fih an die
SHolzbarriere und Hielt fich die Seiten vor Lachen über
den Ddrolligen Anblid.
„Schlingelden, komm! Die Geſellſchaft tft ja wieder
ganz exkluſivel“ rief er mit einem Win? nach der Kälber-
berde. „DBegleite ung in die Koppeln!“
„Gleich! Diefe eine Schede muß noch raus! Glaubjt
du wohl, daß fie will? Hat reine den Deiwel zum
Großvater!“ und damit droſch das DBadfiichchen mit
beiden Fäuften auf ein befonderes obftinates Kalb,
309g es am Schwanz und drängte es mit überrajchender
Snergie nad) der Tür, die ein Hütejunge zum Öffnen
bereit hielt.
„Samos! Auf Wort! Eine infame Krabbel“ achte
der Outsherr ganz begeiftert. „Urſchel⸗Purſchel, dafür
befommft du deinen SHochfahrer!* und fi zu Graf
Lohe wendend, der aus lauter Betroffenheit mitlachte,
das Heißt, nur ganz leife, denn lautes Gelächter ver«-
abicheute er als höchſt unpaffend, fuhr er lebhaft geftilu-
lierend fort: „Wie finden Ste das? Gin Blitzmädel,
80
_ fag’ ich Ihnen! Sollen mal fehen, wie die Here im
Sattel fit und Rebböde fchießt... mir immer vor der
Naſe weg, und klettern Tann fie wie 'ne Katel* Er
hielt puftend inne, feine Einzige ftand neben ihm und
verfegte ihm einen fordialen Schlag auf die Schulter.
„Topp, Jule! Meinen Hochfahrer! Der Straf hat's
gehört, daß du mir ihn verſprochen haft!“
Der Sarde-Ulan riß die Augen weit auf. „Jule?“
wiederholte er entſetzt.
„a, das bin ich! So nennt fie mid), weil ich Julius .
heiße, und weil fie eigentlich gar feinen Reſpekt por
mir bat! Da mach’ mal einer was, wenn fih jo ein
Dreikäſehoch Hinftellt und einen Jule tituliert!“ — und
Herr von Kuffftein wandte fich zu einem Diener, der
atemlos herzugelaufen fam und die Pofttafche überreichte.
„Jetzt geht erft mal wieder die Leltüre los!“ Tonfta-
tierte das kleine Sräulein ungeduldig, „kommen Gie,
Graf, wir pinſchern allein voraus!“
„Allein?“
„Na!l Wollen Sie vielleiht einen Anftandswauwau
aus der Kälberfoppel mitnehmen? Sie fürchten fi
wohl gar, daß Sie fo ängftli tun?“ und die Kleine
lachte fchallend auf. „Borwärts marſch, wir fahren ein
bißchen Kahn!“
Gie trat unter den fchattigen Parkbäumen, wo die
Herren bis jetzt geftanden, hervor und ſchritt Ihm quer
dur) die Wiefen nad) den alten Anlagen voraus. Der
Referveoffizier folgte zögernd und zog beforgt feine
Handſchuhe an, ehe er fih dem Sonnenschein ausjebte.
Urſula ſah es und ftemmte die Hände in Die Seiten.
„Handſchuhe! Daß du Die Motten kriegſt! Pamit Die
weißen Händchen nicht verbrennen! Hahahal Sie fchei«-
nen ja ein unglaublich eitler Knopp zu fein, das merfte
ih ſchon an der Katenwäfche Hoch zu Roß!“
Der ‚Rnopp‘ fuhr dem jungen Slegant wieder mie
ein Dleigewicht in den Magen, er ſah aber in die über-
mütig ftrablenden Augen der Leinen Sünderin und ſah
die Grübchen in ihren Wangen und die beiden Elfen-
6 Eſchſtruth, Hofluft 81
füßchen, mit denen fie, diesmal viel graziöfer als zuvor,
auf jeden einzelnen Maulwurfshaufen voltigierte. Ein
Gedanke durchzuckte ihn: wie [charmant wäre es doch,
wenn er diefen Edelſtein ein wenig abſchleifen könnte!
Biel Zeit ift nicht dazu, aber Graf Lohe will wenigftens
einen DBerfuh machen. Gr ift infolgedejfen nicht be—
leidigt, fondern ignoriert die Unart.
„xzeben Sie Sommer und Winter in Wolkwitz, mein
gnädiges Fräulein?“ |
„Isa, weil wir’s vom SHerbft und Frühjahr ſo ge—
wöhnt find!“
„Unternehmen Sie feine Reifen?“
„DO ja, wenn Jule feinen. Haber Iosgeworden ift und
die Ruffen unjern denaturierten Spiritus intus haben,
dann laffen wir fhon mal einen Affen tanzen!“
&8 lag ein außerordentlich komiſcher Kontraft in der
bhperfeinen Art und Weiſe, in der gewählten Sprade
des ©rafen und der derben Manier feiner DBegleiterin,
die ihm Durdy jedes ‚Kraftwort Nervenzuden verur—
Tate.
„Sie haben aber angenehme Nahbarfchaft bier, Ver—
fehr mit jungen Damen... anregende Geſelligkeit ...“
„Für gewöhnlid ift nur die Förftertrude da, aber
jest find alle Nachbargüter, wo fonft niſcht zu Holen
ift, gerammelt voll Menſchen! Meine Kujinen PDern-
Groppen wohnen zum Beiſpiel auch bei Tante DBüttingen
in Alt-Dobern; ich reite in einer halben Stunde rüber,
wenn mir Bapa die Klarijfe gibt, mit Den andern
Schindmähren zodelt man eine halbe Eiwigfeit!“
„stäulein von ©roppen hier in der Nähe? Iſt ja
ganz allerliebft, meine Snädigel Ich batte den Vorzug,
beide Damen Tennenzulernen, und es wird mir gu ganz
befonderem Vergnügen gereichen, in Alt-Dobern meinen
Reipelt zu Füßen zu legen. Iſt feine Ausſicht vor—
Banden, Ihre Fräulein Kufinen diefer Tage zu fehen?“
„2a, probieren Sie’s mal und nehmen Sie den Opern»
guder, ob's was nuten wird, weiß ich ‚nicht. Sind ganz
nette DBälge, die beiden Groppens, aber fo fürchterlich
82
ſchwärmen wie Mama tue ich denn doch nicht für fie!
Öeftern waren jie bier, und wir mopjten ung gegenjeitig
an. Lena ift jo mordsernft und jo geiftreich, daß mir
reine übel wurde, und Solante? Die würde mit Ihnen
ein famofes Geſpann geben, die ift aud) jo „ete patete“
und fo fentimental, wie Dünnebier mit Himbeer!“ Ur-
fula blieb ftehen und perjiflierte mit viel Humor Die
junge Dame: „Ih ſchwärme für alle ſchönen Künfte —
Muſik und Malerei find meine Ideale! Ach, eine
Sragödie von Wildenbruch ift das himmliſchſte, was
eziftiert!* Sräulein von Kuffſtein Tieß die erhobenen
SHSaändchen mit den graziög gejpreizten Fingern wieder
in ihre natürlihe Lage zurüdfinten und fuhr in ihrem
alten Ton fort: „Abergeſchnappt tft ſie!“
Der Sarde-Ulan jeufzte tief auf und dachte: „Ein
Apfelbäumchen, dem Zucht und Pflege fehlt, schießt
wild empor, anmutig von Geſtalt und Blüte und voll»
fommen zufrieden mit fich jelbft.. Wenn aber die Leute
in feine Früchte beißen, verziehen fie gewaltig den
Mund und jagen: Wie fchade, daß ein ſolch prächtig
DBäumlein derart verwahrloft wurde!“
Arjula beobachtete in demfelben Augenblid, wie Graf
Lohe einen kleinen japanifhen Papierfächer aus der
Bruſttaſche zog, ihn in graziöſer Weife zu benugen,
wie er eine etwas moraftige Stelle angſtvoll vorjichtig
auf den Fußſpitzen traperjierte, wie er höchlichſt alte»
tiert aus dem Bereich eines blühenden Gebüſchs flüch-
tete, Das bei feiner Berührung gelben ueulond über
ihn geichüttet.
„Wie jammerihade iſt's Doch um dieſen hübſchen
Menſchen, daß er fo affig iſt!“ dachte das junge Mäd-
chen. „Er kommt mir gerade ſo vor, wie ein ſchmucker
Taxus in altfranzöſiſchem Garten. Wüchſe er auf, wie
ihn die Natur geſchaffen, würde er jedermann gefallen,
fo aber zuckt man bedauerlich über den kunſtvoll zuge»
ftugten, in närriſchſte Modefaſſons gepreßten Bejell Die
Achſeln und fagt: Wie fchade, daß ein ſolch prächtiger
Baum derart zugerichtet ift!*
6* 83
And fie patfchte fo energifch mit der Berte, die fie
abgerijfen, in den eich, defjen Ufer fie erreicht hatten,
Daß dem eleganten Serrn dag trübe Waffer um Die
Obren ſpritzte.
„Wollen mir fahren? Dann müfjen Sie aber beim
Rudern das Gearbeite mit dem Zliegenwebel unter-
laffen! Und das Leder von den Händen runter! Gin
paar Schwielen muß es geben, fonft ift der Wiß nur
halb!“
Ihre Augen blitten ibn berausfordernd von Der
Seite an.
Der Graf klemmte das Monotel ein und blidte erft
betroffen auf das Waffer, dann auf die junge Dame.
„Aber meine Gnädigfte... ich Tann es mir durchaus
nicht amüfant vorftellen, auf diefem Teich, deffen Sau-
berfeit mir ſehr zweifelhaft erfcheint, eigenhändig zu
gondeln!“
„Ein Ententümpel fann nit wie Dergfriftall aus—
feben, und bei fo 'ner Hite riecht jedes Waſſer! Sch
fahre immer bier, weil’s am größten ift.“
Lohe bielt das Taſchentuch an die Nafe. „DBenei-
denswerte Nerven! Abrigens muß ich Ihnen gefteben,
daß ich niemals im Leben eigenhändig ruderte und der»
artige Kraftleiftungen ftetS befoldeten Leuten überließ.“
„ALS Soldat können Sie nicht mal einen Kahn führen?“
„sh bin Refervenffizier, und da ich für gewöhnlich
als Aſſeſſor und Hofjunfer in der Refidenz lebe, fehlt
es mir an Selegenbeit, derartigen Sport zu £ultipieren.
Ehrlich gelagt, id würde es auch niemals tun. Eine
ausgearbeitete Hand ift im Salon unmöglich, und es
widerftrebt meiner ganzen Natur, Dinge zu unterneh-
men, die in das Echauffement eines Tagelöhners ber»
ſetzen!“
Urſula maß den Sprecher mit ſpöttiſchem Blick vom
Scheitel bis zur Sohle. „Sie find nur Sommerleut⸗
nant? Nicht einmal mwirflicher Offizier?“
Geine Höflichkeit blieb unverändert: „Ich Hoffe im
Staats- und Hofdienft dem DBaterland ebenfopiel zu
84
nügen wie mit Dem Säbel, und auf Dem Parkett meinen
Platz ebenfo auszufüllen, wie auf dem GExerzierplatz!“
„Dann allerdings dürfen Sie nicht in ganz gewöhn-
licher und gemeiner Sntengrüge umlommen! Wäre ja
Kaviar fürs Doll, und unfre Karpfen würden ſolch
feine Delikateſſe gar nicht zu würdigen verftehen!* Gie
lachte fchallend auf. „Da kommt Papal Gehen Gie
mit ihm in den Gisfeller, Damit Sie nicht länger Durch
ein „Schauffement“ Degradiert werden! — ch Bin
bier mang den Froſchlöffel groß geworden, und wohl»
gepflegte Hände beanspruchen die Ochfen und Kühe
nicht! — Gmpfehle mich!“ und mit einem vutrierten
Knicks ftreifte fie die weißen Urmel ihres Kleides em-
por, |prang auf den Steg und in den Nacdhen.
Marl-Wolffratd, Sraf zu Lohe⸗Illfingen, antiwortete
nit, aber fein Dlid fprühte auf und feine Arme
freuzten fich über der Bruft. Jeglicher Disput ift un-
fein, und einer Dame gegenüber gibt es auf Unarten
keine chevaleresfere Antwort, als Schweigen.
Urſula aber ſchien eine Entgegnung erwartet zu haben,
fie wandte ſchnell das Köpfchen und ſah ihn an. Wie
hübſch ſah er mit diefem böſen Sefiht aus! AU das
Weibiſche, höflich Olatte war wie weggewiſcht, ein männ⸗
lich fefter, ftolzer Ausdrud beberrjchte feine Züge. So
gefiel er ihr. Das machte fie verlegen. Heiße Röte
ftteg in ihre Wangen, fie ſchlug die Augen nieder und
fentte das Köpfchen.
Die allerliebft ihr das ftand! Graf Lohe war ganz
überrafht. Das bubenhaft Trotzige, Derbe in ihrer
Erſcheinung war wie mit Zauberſchlag verſchwunden,
eine entzüdende, verſchämte Anmut neigte das fchlante
Hälschen und lag verflärend auf der zierlihen Geſtalt,
die mit weißen Armen die Ruder heranzog. So ge»
fiel fie ihm. Aber fie verdiente feinen freundlichen
Blick in diefem Augenblid, und darum wandte jich
der junge Offizier Hocherhobenen Hauptes und fchritt
voll imponterender Ruhe dapon, Herrn von Kuffſtein
entgegen. Der Zorn gab feinem Sang etwas Feſtes
85
und Marliges, das fah gut aus. Urfula bewegte lang-
fam die Ruder und fah ihm nad). Sie war eg gewohnt,
Groß⸗Wolkwitz und Umgegend zu kommandieren, nie-
mand nahm ihre Unarten übel oder wagte es, Front
gegen jie zu machen. Diejer zimperlihe Leutnant drehte
ihr einfach den Rüden und ignorierte fie. Weil fie dag
bon ihm am allerwenigften erwartet hatte, war ſie
ſehr frappiert, fand fein Benehmen aber ganz in Der
Ordnung. Es würde ihr leid getan haben, wenn er
zu der Raſſe mit Schlappohren gebört Hätte, die fich
alles bieten laſſen. Seine gejchniegelte und gebügelte
Moleffe war alfo — Gott ſei Dank — nur äußerlich.
Niht ein einziges Mal fieht er nach ihr zurüd, und
wie ftramm er jet marfchieren Tann!
Darum bat fie den armen Menfchen eigentlidy ſo
[hleht behandelt? Arfula ift ganz nachdenklich ge-
worden und rührt mit den Fingerchen mechaniſch in den
grünen Wafferlinfen, die den Teich ringsum bededen.
Dafür, daß der Graf als Gaſt bei ihnen eingefehrt
ift, war fie zu unartig gegen ihn, aber... Du meine
Büte, fie Hatte es doch nicht böfe gemeint! Sie wird
fih irgendeinen Wiß ausdenten und ihn wieder ver-
föhnen!
Jetzt hat er Herrn pon Kuffftein erreicht. Pfut Teufel!
Gleich ift er wieder der alte Scharwenzell Pienert und
Thlängelt ji) wie ein Sandaal und macht die graziöfe-
ften Seften. Klemmt auch mit dem vornehmen Geſicht
das Monokel ein und wendet fi nah ihr um. ein!
QAun ift alles wieder aus! Nun gefällt er ihr gar nicht
mehr!
Arjula Hob ärgerlich die Ruder und fchlug Damit jo
jählings und heftig in das Waffer, daß die Grüße weit
umberjprigte, und Die Gnten, Die bvertrauengjelig an
fie berangerudert waren, mit gellendem Sejchnatter da-
ponftiebten. Lohe feufzte Ieife auf. Wie liebreizend war
fie joeben gewefen! Das Herz war ihm aufgegangen in
der Aberzeugung, daß ihr burfchilofes Wefen nur Die
rauhe Schale eines underdorbenen füßen Kernes ei, und
86
nun war alles wieder aus! Nun gefiel fie ihm gar nicht
mehr!
Der Graf neigte jih in zomiger Aufwallung und
pflüdte eines der großen SHuflattichblätter, die auf der
moraftigen Wiefe wucherten. Unter dem Borwand, Die
Sonne blende ihn, hielt er es por die Augen, das un»
äfthetifche Bild auf dem Sntentümpel nicht länger feben
zu müſſen.
„Simmeldonner... jebt leiſtet ſich die Pomadenbüchſe
gar einen Sonnenſchirm!“ murmelte das Backfiſchchen
ingrimmig, ſchwenkte kurz um und ruderte in entgegenge-
ſetzter Richtung davon — den Anblick konnte ſie nicht
länger ertragen!
Mit Hingendem Spiel waren bie ©arbe-Ulanen in
dem mehrtägigen Quartier eingerüdt.. In dem Groß»
Wolkwitzer Schloffe rafjelten die Säbel und Sporen
treppauf, treppab, Bantierten Diener und Mägde, in
dem altertümlihen Eßſaal eine feftlihe Tafel zu decken.
Die Burſchen fchleppten Das Gepäd ihrer Herren
herzu, und als Arfula über den Korridor lief und fidh
neugierig umfchaute, ſah fie, wie in jedes Fremden—
zimmer ein oder zwei anfpruchslojfe Militärkofferchen ge⸗
tragen wurden; por einer Tür aber ftanden vier umfang»
reiche, Hochelegante Korkioffer, neben denen ein Diener
in Lipree Wade hielt.
„Daß dih die Maus beißt! — Wem gehoͤrt denn
die Bagage?“
Der Galonierte meiſterte feine Geſichtsmuskeln. Onä⸗
diges Fräulein, zu „DefeDl, dem DIE Zeutnant Strafen
zu Lohe⸗Illfingen.“
„Das Hätte ich mir denken Tönen. Sind Sie fein
Burſche ?“
„Nein, gnädiges Fräulein, ich bin der Bereiter des
Herrn Grafen und habe nur privatim die Pferde zu be—
gleiten. Ber Kammerdiener und Milttärburfche find
noch bei der Squipage im Darum nn ich das
Gepäck.“
87
„Kammerdiener? — Militärburfhe? Na zum Kudud,
mit wieviel DBegleitung reift denn der Leutnant?“
„Wir find vier Mann, zu dienen. Per Herr Graf
läßt ftets feine Squipage im Manöver nachfahren, die
in Den betreffenden Dörfern privatim untergebracht wird.
Da iſt der Kutjcher, der Kammerdiener, der Militär»
burſche und ich.“
„Das genügt. Na, dann laden Gie die Fuhre ab;
wenn der Herr Graf vielleiht noch einen Stutzflügel
und Eisſchrank mit ſich führt, melden Sie es meinem
DBater, dann räumen wir ihm den Tanzſaal ein.“
Der Dereiter verneigte ſich mit zitternden Nafen-
flügeln, und Sräulein von Kuffftein fchritt weiter. Aber-
mals blieb fie an der nächſten Tür ftehen.
- „Heilige Kümmernis! Wem gehört denn dieſe Laus
bon einem Waterproofhen? Da haben doch höchſtens
ein paar reine Manfchetten und eine Zahnbürſte Drinnen
Platz!“
Der Burſche grinſte. „Nix fol Is ſik unſre erſte
Garnitur auch noch bei Zahnburſtel beil“
„Unſre?“
„Heißt ſik Herrn Premierleutnant von Flanken!“
„So! Dann ſchleppen Sie ſich feinen Schaden dran.“
„Müſſen dieſe beiden Herren Leutnants verſchieden⸗
artige Menſchenkinder ſein!“ dachte das kleine Fräulein
und begab ſich ſehr ungern in ihr Ankleidezimmer, die
Toilette zu wechſeln. Mine blickte kläglich auf das
friſch gewaſchene elegante weiße Kleid nieder, das jicht-
barſte Srinnerungen an Kälbergatter und Sntentümpel
an fid) trug.
„Morgen abend fahren wir nad) Alt-Dobern... großes
Bölterfeft... unfre Ginquartierung ift auch mit einge
laden! Da fuch’ mir mal ein anftändiges Kaliber von
einer Sahne ’raus, Mine, ih muß ein bißchen Hübfch
ausfehen, verjtehfte, nicht wie eine Kräuterriefe.“
Die Jungfer blidte überrafht auf; es war das erfte-
mal, daß Fräulein Urfula Gewicht auf ihr Ausfehen
legte.
88
Auf der Zerraffe fpielte die Mufil, und im Eßſaabl
flimmerten die Lichter, ſchwirrten die Stimmen in ani-
miertefter Unterhaltung durcheinander, Hang das Silber
auf feinftem Porzellan. Weihe baljamifhe Sommer-
luft wehte durch die geöffneten Senfter, und Graf Lohe
faß einjilbig inmitten feiner Kameraden an dem untern
Ende der Tafel und fchielte durch die Blüten eines
.Silberauffages zur Tochter des Haufes hinüber, die mit
glühenden Wangen und Iuftblitenden Augen, frifeh wie
die Roje an ihrer DBruft, ihre Umgebung durch die
originelle Weije ihrer Unterhaltung zu entzüden jchien.
Bapa Kuffftein hatte die Zettel in etwas eigenmwilliger
Weiſe gelegt. „ES ift gerade genug, wenn die Urſchel⸗
Purſchel an einer Seite von fol 'nem alten Knaben
flankiert wird!“ Hatte er gedacht, und darum plagierte
er rechts von ihr einen Stabsoffizier und links einen
Leutnant. Welchen? Das war ihm ganz ‚fchnuppe‘,
wie er feiner Sattin perjicherte.
Sp war Herr Premierleutnant von Flanken zu der
überrafhenden Ehre gefommen, neben Fräulein von
Kuffitein zu fißen.
AUrfula war jehr gejpannt gewefen, den DBefißer der
bejcheidenften aller Koffer kennenzulernen. Ganz ver-
dutzt blidte fie an der redenhaften ©eftalt empor, bie
ihr aſchblondes, mit fraufem Belod bededtes Haupt in
marlig kurzem Gruß por ihr neigte.
Sol einen Riefen Hatte fie zuvor noch nicht ge»
fehben! Ber mußte ja die Sonne verdunfeln, wenn er
aufrecht unter freiem Himmel ging, und wenn er eine
feiner gewaltigen Hände auf die Provinz Pommern
legte, da war fie mit Mann und Maus reichlich zuge»
dedt.
„Wie werden dieſe beiden Naturfinder ſich ſchnell
gefunden haben!“ dachte Lohe Ärgerlih, und er beob»
achtete ihre Unterhaltung, die ſchon jett an Lebhaftig-
feit gar nichts zu wünfchen übriglief.
Urſula und ihr Tiſchnachbar fanden. auch gegenfeitig
viel Spaß aneinander.
89
„Gott fei Dank, Sie find doch aus andrem Schrot
und Korn gebaden, wie der Mondfcheingraf da unten!“
lachte das Backfiſchchen anertennend. „Sie mögen ihn
gewiß aud) recht wenig leiden, weil er fo furdtbar
fein iſt!“
Slanten lachte, daß fein fräftiges Gebiß zwiſchen
den bartlofen Lippen fihtbar wurde. „Die Begenfäte
berühren fich ftets, mein gnädiges Fräulein, und dar-
um zählt Lohe zu meinen liebften und vertrauteften
Freunden. Wir gehen für einander durchs Feuer; wo
der eine verkehrt, ift auch der andre zu finden, und wenn
etwas unternommen wird, gefdhieht es gemeinfchaftlich.
Dabei aber beſteht unfer Verkehr aus ununterbrodhenen
Reibereien. Wir befämpfen gegenfeittg unfre Schwächen
und die grellen Widerfprüche, die wir verförpern. ch
bänfele den guten Wark-Wolffrath mit feiner vutrier-
ten Sleganz, und er fpielt meiner hausbadenen Toll⸗
patidhigfeit einen Schabernad um den andern. Deide
aber laffen wir ung nicht das mindefte gefallen, und
fo fommt eg —“
„Ver Sraf läßt fich nichts gefallen?“
„GErſcheint Ihnen das verwunderlich? Unter Der par-
fümierten, gebürfteten und gefräufelten Dandphülle ftedt
der fchneidigfte Kerl, den Sie fih Denken können! Wie
andre Leute ein DBielliebehen effen, fo taufhhen mir
in aller Sreundichaft Die blauen Bohnen aus, und wenn
einer Dabei Blut laſſen muß, fo macht ihm der andre
‚ boll bejorgter Zärtlichfeit Krantenpifiten und [pielt Sechs⸗
undſechzig mit ihm!“
Der Sprecher blidte zu dem jungen Kameraden hinüber
und machte ihm eine Fauft zu, Lohe aber hob ſehr gra-
ziös den Champagnerkelch und erwiderte dadurch den
Öruß. |
„Der Braf wird ganz vortrefflid zu meiner Kufine
Solante paffen,“ fuhr Arfula mit leiht zuſammenge⸗
zogenen Augenbrauen fort, „die ift genau jo verdreht
wie er. Blauben Gie, = die —— Damen ihm
gefallen?“
%
„2a und ob!“
„Meinetwegen! Mag’s doch!“ Das Backfiſchchen ea
fehr böfe aus und warf den Kopf Ted in den Naden.
„Es ift mir höchſt gleihgültig, ob er morgen mit mir
tanzen wird oder nicht. Argern will ich ihn zuvor noch
gelb und grün und mich dafür rächen, daß er nicht mit
in das Kälbergatter gegangen ijt.“
„Das ift Brillant, dabei helfe ich!“ lobte Flanken in
feinem dröhnenden Baß. „Wir beide wollen den Mon-
ſieur mal erziehen, daß er vernünftig wird!“ Und fie
ftießen an darauf, und der Premierleutnant entwidelte
höchſt richtige Anfichten über Ententümpel und Yung»
vieh; felten Hatte Herrn bon Kuffiteing Ginzige jo
u mit jemand harmoniert.
Der nädhfte Tag war ein Sonntag. Schon in aller
Frühe war Urjula mit Heren von Slanten ſpazieren⸗
geritten, und fie hatte mit der Reitpeitiche nach den
Dichtperbängten Parterrefenftern des Grafen gedeutet
und ingrimmig gefagt: „Wie ein MWurmeltier jchläft er
in den hellen Sag hinein, anftatt mit uns zu galop-
pieren, und das will ein Offizier fein! DBab, ein Sommer»
leutnant ift er!* And fie ritt dicht an das Haus heran
und fchlug mit dem Gertenknopf einen wahren Wirbel
gegen die Scheibe. „Bft! — Borwärtsi* Und fie winkte
ihrem Begleiter, über den weichen Rafen peruber die
Flucht zu ergreifen.
Sinter der Ede des Schlofjes lachten Beide ein Duett.
Als fte von ihrer Promenade zurüdiehrten, faß Lohe
mit dem Adjutanten auf der Terraſſe und nabm bag
erfte Frühſtück. Lebterer erhob fi, der Tochter Des
Hauſes entgegenzugeben und fie mit beiterftem „Suten
Morgen“ zu begrüßen.
„Scharmant, daß Sie endlich wieder die Sonne über
Groß⸗Wolkwitz aufgehen Iaffen, meine Onädigjte, wir
baden bis jebt trojtlos und allein im Schatten kämpfen
91
müffen, da ung felbft Mlle. Chalon nad) eingegoffenem
Kaffee unferm Schickſal überließ.“
„An dem Drachen haben Sie gerade was verloren.
Aber warten Sie einen Moment, ih waſche mich nur mit
ein wenig Sau de Sologne und ziehe mich um; dann früh»
ftüde ich in zweiter Auflage noch einmal mit Ihnen!“
Ihr DBlid bligte herausfordernd zu Lohe hinüber, der
fih ſchweigend erhoben und verneigt hatte. Sr ſchwieg
auch jeßt. Da machte das Fräulein auf den Haden kehrt
und lief ins Schloß, und als fie, von Kopf big zu Füßen
rofig, wiederlam und fi unter übermütigftem Ge—
plauder mit Flanken am Frühſtück des Adjutanten be—
teiligte, ſprach Graf Lohe auch nicht mehr denn zuvor,
ſondern fütterte die Spatzen mit Semmelkrume und den
Herrn Doktor, der ſich auffällig an ihn attachiert und
neben ihm auf dem Seſſel des Hausherrn Platz ge—
nommen hatte, mit Zuckerſtückchen.
„Das Vieh platt ja allernächſtens vor Fettigkeit!“
ärgerte fih Urfula und wadelte und kippte Dergeftalt
an dem Stuhl, daß der Poltor fi) nur mit Äußerfter
Mübe auf feinem Lederliffen behaupten konnte. Auch
Darauf feine S®egenäußerung.
„Warum bift du denn fo maulfaul heut, mon che-
valier?“ Slanfen ftieß feinen Nachbar Träftig mit dem
Ellbogen an. Ä
Der Graf: zog oftenfibel den Arm zurüd: „Sch kann
mich ſehr ſchlecht an diefen häufigen Wechfel der Quar⸗
tiere gewöhnen, und das macht mid nerbögl“ fagte
er kurz.
Yrfula pruftete laut auf por Laden und erzählte,
daß fie überall fchlafen könne; „meinetwegen auf einem
Sad von Nußfhalen! Man muß nur müde fein und
nit aus Rückſicht für ſchöne Hände und Füße auf
einen gejunden Sport verzichten!“
Flanken machte ein pfiffiges Geficht und blinzelte
ihr zu. Dann erhob man ich, um ein wenig Kahn zu
fahren. Heute jette Fräulein von Kuffftein eine mit
Diden roſa Schleifen belegte ‚Schute‘ auf, bie ihfem
92
Köpfchen mit dem pikanten frifehen Geſicht das Anfehen
eines Greenawah⸗Figürchens verlieh.
Der Graf dispenfierte fi) vom Kahnfahren; er wolle
zur Kirche gehen. Flanken und Herr von Borniß folgten
ihrer originellen Führerin blindlings durch Did und
Dünn, durch Gebüſch und fumpfige Wiefen, in den
Kälbergarten und auf den Sntentümpel. Urfula fand
Das ganz in der Ordnung und darum machte es ihr
feinen fonderliden Gindrud. Etliche Kraftproben des
Premierleutnants bewunderte fie jubelnd nach) Verdienſt,
aber fie ſah fich immer mal verftohlen um, ob Sraf
Lohe nicht doch noch nachkomme. Er fam aber nit.
Zehntes Kapitel
Bor dem Schloßportal von Sroß-Wollwis hielten
die verfchiebenen Squipagen, die die Sutsherrihaft und
die Offiziere der Sinquartierung nad) Alt-Dobern brin«-
gen Sollten.
Herr don Kuffftein beftieg mit feiner Tochter das
zweiſitzige Kupee, die zwei Rittmeifter und der Adju-
tant folgten in offenem Landauer; zulegt fuhr Graf
Lohe in eigener Equipage. Flanken beftand darauf, zu
reiten. Urfula beobachtete es mit ſpöttiſch zuckenden
£ippen, wie ein großer Koffer aufgeladen wurde, wie
die bier Dienftbaren Geiſter, refpeltvoll wie vor einem
Bringen, Spalier bildeten und fich überftürgten, den
Wagenſchlag Hinter ihrem Gebieter zu fchließen.
Stau von Kuffftein ftand mit dem Regimentsiom-
mandeur und den beiden Graieherinnen auf der Ter⸗
taffe und winkte den Abfabrenden freundlichen Sruß
nad), und der ‚Herr Poltorjo‘ faß auf der oberften Stufe
der Freitreppe und ließ das für gewöhnlich jehr wohl⸗
wollend nad aufwärts geringelte Schwängchen me»
lancholiſch niederhängen.
93
Die lebten rotgoldnen Strahlen der Abenbfonne fielen
dur die hohen Spiegeljcheiben, als Lena Dern von
©roppen die Wetterrouleaus mit weißen SONDER em»
porwand.
Wie bon einem SHeiligenfchein umfloffen, ftand die
ſchlanke Mädchengeftalt; Kletterrofen und ©lycinias, Die
jih an der ganzen Südfeite des Alt-Dpoberner Herren-
hauſes emporranften, fhlangen ji zu düfteſchwerem
Rahmen um das reizende Bild, an Dem der Dlid des
Fürſten Daniel Sobolefstoi in ftarrem träumerijhen
Schauen Ding.
Lena blieb einen Augenblid am Fenſter ftehen, öffnete
es und ſchaute in die Pracht der Gotteswelt hinaus, die
ein jelten ſchöner Spätiommer mit üppigften Sarben
gemalt. Lenas hellblondes Haar ift goldig durchleuchtet
und erſcheint Daniel Sobolefskoi genau in der Farbe,
wie die wallenden Loden feiner Mutter. Ihr Köpfchen
zeichnet. fich [charf gegen den Himmel ab, und Die graztöfe
Geſtalt ift weiß gefleidet, wie die auf dem Bild Gg-
lantinas.
Daniel preßte beide Hände gegen die kranke Bruſt,
deren altes Leiden ihn ſoeben wieder ganz plötzlich heim-
gejucht Hat; er atmet ſchwer und tief auf, läßt das Haupt,
deffen Haar bereits von filbernem Schimmer überhaucht
ift, kraftlos in die weichen Polſter des Seſſels zurüd-
jinfen und ftarrt unverwandt auf das lichte Bild im
Senjterrahbmen. Wie im Schattentang ziehen die ein-
zelnen Jahre an feinem geiftigen Auge porüber.
Er gedenkt der Stunde, da er zum erjtenmal, ein faum
berftandener und fremder Eindringling, über die Schwelle
des Dernſchen Haufes gefchritten.
Steudentränen in den Augen hat fid die Bemahlin
feines Sreundes an des Satten Bruft geworfen, für nie-
mand anders Sinn und Gedanken, als an ihn, den einzig
©eliebten, den Gottes Gnade in diefem Augenblid ihr
neu geſchenkt hat. Zage Schritthen aber Haben ſich
dem abjeitsftehenden Fremdling genähert, zwei dunkle
94
Augen haben voll Engelsgüte zu ihm aufgelädhelt, und
eine rofige Kinderhand bat den DBlütenftrauß dargereicht
mit dem wundertrauten Gruß: „Sei herzlich bei uns will»
fommen, lieber Onkel Daniel!“
Da iſt's Dem armen mißgeftalteten Mann wie ein
gittern und Beben durd) alle Slieder gegangen, er bat
die Hand auf das blonde Lodenföpfchen des Kindes
gelegt, und durch feine Seele zog es wie ein Dankgebet:
O Mutterl“
In dem Blumenſtrauß jedoch prangte inmitten ein
vergoldetes vierblättriges Kleeblatt, das Lena im ver⸗
floffenen Herbſt am Geburtstage des Vaters gefunden
Batte. Grau von Dern⸗Groppen hatte es als verhei-
Bungspolles Slüdszeihen aufbewahrt, und ihr Töch—
terhen hat es nun gum Dank dem dargereicht, Der als
Schugengel über dem teuerften Leben gewadt batte.
Daniel aber kam eine plötliche Grinnerung. Auf dem
Gemälde in dem Sterbezimmer zu Miskow Hatte aud)
die Hand feiner Mutter diejes ſeltſame Symbol des
Slüds gehalten. Wie ein föftliches Kleinod hütete Fürft
Sobolefskoi dieſe erfte Liebesgabe aus Lenas Hand.
Und die Zeit zog dahin, wolfenlos und glüdfelig,
wie nie zuvor im Leben des vereinjamten Mannes. Mit
berzlidher Liebe Bing Lena an dem Ruſſen, feinen bejfern
Spiellameraden gab's für fie als ihn, feinen treuern
Öefährten bei gemeinfamer Arbeit. Unermüdlich im
Geſchichten erzählen, verzichtete Daniel auf jegliche Ge—
felligfeit, um abends bei den Kindern zu jiten und
ihnen mit feiner weichen Stimme Das gehbeimnispolle
Zauberrei des Märchens zu erſchließen. Und als
Zeiten voll Not und Sorge famen, als Lena von erniter
Krankheit heimgeſucht wurde, da ſaß Sobolefstoi hel-
fend ale Arzt Tag und Naht an dem DBettchen, jeden
Atemzug des Lieblings poll zitternder Herzensangft zu
beraden. Solhe Treue fnüpfte aud das Band der
innigften Sreundfhaft zwilchen den Eltern der Kleinen
und ihm ftets fester, und bald deuchte es allen im Haufe,
als habe Fürft Sobolefstot nie gefehlt, als gehöre er,
95
gleih einem leiblihen Anverwandten, für jekt und
immer zur Samilie des deutjchen Offiziers.
Zur Zeit, da Daniel zum erftenmal des Rittmeifters
Sand. umfchloffen, Tagen deſſen Verhältniſſe nicht allzu
glänzend. Er war der drittgeborene Sohn einer begü—
terten Familie, deren bedeutender Landbefiß laut Des
päterlichen Teſtaments als Majorat ſtets an den ülteften
Sohn fallen follte. Diefer war verheiratet und bercitä
Bater von drei prächtigen Buben; ebenfo war der zweite
Träger des Dern-Öroppenfchen Namens mit einem Ana»
ben gefegnet, und jo war für den Rittmeifter jegliche
Ansſicht auf den großen Beſitz ausgejchlojfen. Seine
Semahlin, eine geborene Gräfin Saffeburg, Schweiter
der Grau don Kuffftein und DBaronin Büttingen, war
wohl vermögend, aber nicht reich genug, um ein völlig
jorgenfreies Leben führen zu Tönnen. &$ hieß an allen
Ecken und Enden [paren und fich nach der Dede ftreden,
was dem eleganten und etwas leichtlebig beanlagten
Rittmeifter anfänglich herzlich fauergefallen war. Als
Fürſt Sobolefsfoi jedoch in feiner taktvollen Weile be—
gann, die ©opldftröme feines Reichtums unter das Dad)
feines Freundes zu leiten, da zeigte Herr pon Dern eine
faft ſchroffe FSeftigfeit, die jegliche Unterftügung feitens
des Ruſſen ein für allemal ausfhlug. „Es widerftrebt
mir, aus unfrer Freundſchaft irgendwelchen, und fei es
auch nur den Heinften Nuten zu ziehen, und außerdem
wirft du einfehen, daß es gemwiffenlos von uns Eltern
wäre, die Kinder in einem Yuzus zu erziehen, der nur
vom Schickſal erborgt tft!“ |
Daniel fügte jich mit einem geheimnispollen Lächeln
und ſchrieb fein Teftament.
Sabre danach, als Frau pon PDern-Öroppen unter
den erften Keimen ihres fpäter unheilbaren Leidens
zu Tränfeln begann, fügte fi) ihr Satte der Notiwendig-
feit und gab Daniels flehenden Bitten nach, Die Leidende
in beilfame Bäder bringen zu Dürfen. Sommer für
Sonmer, in der lebten Zeit fogar noch einen Zeil bes
Winters, reifte Sobolefsfoi mit der Familie feines
96
Sreundes; und wenn Herr von Dern feine Hände mit
krampfhaftem Druck umfpannte und ausrief: „Wie foll
ih jemals meine Schuld gegen dich abtragen?“ dann
ging es wohl wie ein Aufſchrei der Sehnſucht durch
das Herz des Iiebearmen Mannes: „Oib mir das, was
fein Kaifer der Welt zu geben vermag, den höchſten
Lohn, der je verliehen, gib mir Lenal* Aber er ftrich
mit leifem Auffeufzen über die Stirn und entgegnete:
„Wie Tann armfelig Geld dag Glück aufwiegen, dag ich
in Deinem Haufe gefunden? AU mein Hab und Gut
gehört Dir, und Doch bin ich dein Schuldner.“
Oft Hatte er die gemalten Augen feiner Mutter mit
denen des jungen Mädchens verglichen, und er ftarrte
die wunderfame Ahnlichkeit an, wie ein Rätfel, das
nicht zu löfen ft.
Die harmlos glüdlihen Jahre, da Lena zärtlich feine
Wangen ftreichelte und feine Menfchenfeele ihm feine un-
I&uldige Freude ftreitig machte, zogen fchnell dahin,
und aufs neue fam das Schidfal und fchlug feine Kralle
in das Herz des jo ſchwer Seprüften. |
Lenas jung erblühte Schönheit blieb nicht unbemerft,
und wie die Schmetterlinge dem Rofentnöfpchen ſchmei⸗
cheln, fo Huldigen die jungen Kameraden Dern⸗Groppens
dem anmutigen Zöchterchen ihres Oberftleutnants.
Qualen der Verzweiflung erduldete Daniel Sobo-
lefsfoi. Sein Herz ſchrie auf gegen die Härte und Un⸗
gerechtigfeit Gottes, die ihn fchuldlos in den Staub
getreten, ein elender Krüppel zu fein, er ballte Die
Hände gegen fein Schidfal und brach demütig zufammen
unter den Schmerzen, mit Denen feine kranke Bruft hef⸗
tiger als je ringen mußte. Soeben Hatte der Dämon in
ihm noch gejauchzt: „Lena ift ja arm, und die modernen
Steier brauchen eine reiche Mitgift notwendiger cls ein
boldfelig Weib! Wer Tann fie dir rauben?“ Und nun,
da Lena die Feine Hand auf feine Stirn legt und ſich
voll Web und Sorge Über ihn neigt: „Seht es Dir
beffer, lieber, armer Ontel Daniel? Was um alles
in der Welt Hat diefen neuen Anfall verurfaht?“ da
7 Eſchſtruth, Hofluft 97
sittert es feucht in feinen Wimpern, und er faltet bie
Hände in heiligem Gelöbnis: „Bott foll mich ver-
Dammen, wenn ich in verädhtlicher Selbftfucht meines
Lieblings Slüd zerfplittern ließel“
Rein, Daniel Sobolefsfoi begehrt Lena nicht zu eigen,
aber er zittert vor der Stunde, Die ihm fein Liebftes
nehmen wird.
Wunderfam! Hat es Gottes Barmherzigkeit gefügt,
ihr junges Herz gegen die Allgewalt der Liebe zu feten?
Kühn und ſtolz geht Lena ihren Weg, und Die Hände,
Die fich begehrend nad) ihr ausftreden, weift fie mild,
aber energifch zurüd. „Sch liebe ihn nicht, und Wie
fann ich ohne Liebe heiraten!“
In folder Stunde möchte Daniels Herz zeripringen
bor Wonne und Olüdfeligleit; aber andre kommen,
und Die Qual beginnt von neuem, und es find lange
Monate und Jahre, die ihn auf die Folter fpannen.
Daniel hat vergeblich im Derein mit den beiten Arzten
alle Kunft aufgeboten: Grau von Dern-Groppen tft
endlih von ihren Leiden erlöft, und Lena hat das Köpf-
hen an die Schulter des treuen Freundes gelehnt und
bitterlih geweint. Die Einſamkeit der tiefen Trauer
bat die Hinterbliebenen einander noch näher "geführt,
und es deucht Daniel, als babe fich der düftere Krepp
wie ein Linder Balſam auf fein Herz gefenlt, es für
Monate wenigftens in ungetrübtem Frieden genefen zu
laffen. Und abermals fällt ein neuer Tropfen Wermut
in den Leidensbecher des Schmerzensreich. Sine wunder⸗
bare Fügung des Schidfals hat den DBater der beiden
jungen Mädchen dennoch zum Beſitzer der bedeutenden
Dernſchen Süter gemacht. Jäh auftretende Krankheiten,
ein Biltolenduell und ein Sturz mit dem Pferd haben
den blühenden Mannesjtamm der Gamilie wie Blitze
aus heiterem Himmel gu Boden gefchmettert. |
Da Herr pon Dern⸗Groppen nur zwei Töchter befaß,
fih nicht noch einmal verheiraten wollte und auch) die
Güter nicht perfönlich bewirtichaften konnte. verkaufte
er allen Nebenbefiß bis auf das alte Stammgut und
98
war ein reicher Mann geworden, der don dem jähen
Umſchwung des Schidfals wie geblendet und betäubt
ſchien. Vie Snade feines Kaifers hatte ihn, das Glück
des paflionierten und vortrefflichen Offiziers vollkommen
machend, als ©eneral in eine Refidenz eines deutſchen
Staates berufen, und Daniel drüdte ihm mit berzlichem
Glückwunſch die Hand, aber in feinem Dlid lag ein
ftummes Weh, und fein Haupt ſank fo tief auf Die
Druft wie dag eines Dulders, wenn er fich rejigniert
der Laft feines Slends beugt.
Welch ein wunderliches Gemiſch der ftolgen Freude
und verzebrenden Angft, wenn Lena, umſchwärmt bon
Derehrern und Freiern, por feinen Augen ihre Triumphe
feierte! Aber feltfam — abermals ſchien ſich das Schid-
fal des gequälten Mannes und feiner leidenfchaftlich
tiefen, edlen und felbftlofen Liebe zu erbarmen. War
Lena früher gegen die huldigenden Herren ſchon ab»
weifend geweſen, ſo war fie es nun erft recht.
„Ah, Onkel Daniell* Hatte fie einft voll ſtolzer Hcf-
tigleit ausgerufen: „Wie verächtlich find mir all dieſe
ritterlihen Naden, die ſich von dem elenditen Dulaten«
fädel wie die Sklaven knechten laffen; und wie unglüd-
felig find wir armen reihen Mädchen daran, die als
Mittel zum Zweck mit Liebesfhwüren belogen und
betrogen werden!“
„Du bift ungerecht, liebe Lenal Iſt dir nicht Die
Liebe in reihem Maße dargebracdt, als die Welt Dich
noch für arm hielt?“
Ihr dunkles Auge ſprühte auf, fie biß die Zähne
aufammen und legte die Hand auf feine Schulter.
„Onkel Daniel... glaubft du tatfähhlich, das fie das
jemals getan? Man war überzeugt davon, daß der
reichſte Fürft Des Ruffenreiches die Lebenswege feiner
beiden einzigen Anverwandten überhoch mit Bold pfla«
ftern werde, fobald ſich Gelegenheit geboten, eine Hochzeit
auszurüften! Möge Sott mich bewahren, daß ich jemals
in dem Rechenezempel eines Hetratsfandidaten die un«
würdige Rolle des Kapitals [pielen muß!l“
7# | 99
And Lena Hatte Wort gehalten. Siebenundzwanzig
Jahre war fie alt geworden, ohne daß ihr Herz den
herben Anfichten ihres Verſtandes widerjprochen hätte.
Schwantend zwiſchen Furcht und Hoffnung, fih auf»
teibend in Der Qual feiner troftlofen, tief verborgenen
Liebe, beobachtete Sobolefstoi diefe Unnatur.
Ein tiefer Seufzer hob feine Bruft, und Lena wandte
ih vom Fenfter und trat zum Seffel des Kranken.
„Acht wahr, nun wird Dir beffer, du armer Ontel
Daniel?“ fragte fie, zärtlic; das Haar aus feiner Stirm
ftreichend. „In der dumpfen Kellerluft mußte ja ein
©®efunder Atemnot befommen, und wenn es fo ſchön in
Gottes Welt ift, darf man ſich nicht Hinter enge Mauern
verfteden! Komm, ich führe dich an das Fenfter, und -
dann Hole ich mir den Fleinen Stuhl aus dem Kamin- _
edchen und erzähle Dir, was alles in der Zeitung ge-
ftanden bat!“
„Mußt Du nicht Toilette machen, mein Liebling? Es
find ſchon fo viele Wagen in den Schloßhof gefahren,
lauter fchmude Tänzer, die du nicht warten laffen
darfſt!“
Sie war neben dem Seſſel niedergekniet und blickte
erſtaunt zu ihm auf; die Sonne warf einen zitternden
Strahl über die ſchlanke Geſtalt und tauchte Das zarte
Geſichtchen in rofiges Licht. „Sch bleibe bei dir, Onkel E
Daniell ch werde Doch nicht wildfremden Menfchen --
die Zeit vertreiben helfen, wenn du Hier oben krank
biſt.“
Die Hand, die ſich auf ihr Haupt legte, zitterte, und
die Stimme Sobolefsfois Hang faft erfhroden. „Um
feinen Preis der Welt! Ich fühle mich wieder völlig
gefund und werde nad) dem Souper dem Tanz zufehen!
Ich muß Doch ein wenig beobachten —“, Daniel zögerte,
und ein rührendes Lächeln huſchte um feine Lippen,
„ob nicht heut fo ein Fleiner, geflügelter Götterknabe
durch den Saal ſchwirrt, wenn meine marmorfühle Lena
mit einem flotten Sardeulan Walzer tanzt!“
Das junge Mädchen lachte leiſe auf. ‚Armer Onkel dul
100
‚ma
4
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Fe r£ B'\
‘ f re
Kal
Auf fold ein Attentat Hoffft du nun fchon feit zehn
Jahren! Und die. böfefte aller Nichten zieht eigen-
finnig — oder fagen wir — charaftervoll durch jeden
Ihönen Hochzeitsplan einen diden Strich! Willft du
undankbarer Menſch mich denn abfolut los fein, daß du
es gar nicht erwarten kannſt, bis mich irgendein fremder
Mann, deſſen Schulden bezahlt werden müffen, erbandelt
at?“
Der Fürft rang felundenlang nad) Atem, und Die
dunklen Augenwimpern ſanken ſchwer hernieder. „O nein,
Lena,“ fagte er leife, „ih möchte wohl, daß es immer
fo bliebe wie jebt, ich bin fehr egoiftifch, und der Ge—
Danke, did) oder Jolante fcheiden zu fehen, Hat viel
Schmerzlihes für mich!“
Bor der Tür Hang lautes Lachen und eiliger Schritt.
Dann klopfte es ſehr Träftig an, und ohne Antwort ab»
zuwarten flog der Türflügel zurüd.
Die ein Wirbelwind ftürmten Folante und Urfula,
beide feftlich gefleidet und mit Blüten gefhmüdt, in den
Salon; bei näherem DBlid jedod) erfannte man, daß Das
ſchwärmeriſch zarte Fräulein von Groppen willenlos
von den Fräftigen Armen der Kufine dirigiert wurde.
Aber fie ſchien es fich diesmal nicht ungern gefallen zu
Iaffen, denn auch ihr Geſichtchen war von ©elüchter
und Amüfement höher gefärbt als fonft.
„Guten Sag, Fürft Sobolefsktoil ‚Wenn der Derg
nicht zu mir fommt, gebe ich zum Berg‘, fagt Mohammed!
Wo fteden Ste denn? Hm?“ Und Urfula patfchte dem
Genannten vergnügt auf die Schulter und fchüttelte ihn
ein wenig. „Steigen Sie mal flint in Ihren DBratenrod
und Iommen Siel &s ift ja zum Aberfchlagen da unten!
Was, Iolante?... Hahahaha!“
Daniel zog mit freundlihem ©egengruß die Hand
der jungen Dame an die Lippen, richtete fich ſichtlich
erheitert im Seſſel auf und griff nach den farbigen
Aſtern, die ihm Jolante in den Schoß geſtreut hatte.
Urſula Hatte ſich auf eine Tifchlante geſchwungen und
ungeniert von dem Obſt, das zur Erfriſchung des Iei-
101
denden Zürften beraufgefchtdt war, sgugelangt. „Ich bin
wirklich gefpannt, wie fi) alle Courmachereien ent«-
wideln werben, fann’s mir fchon fo ziemlich denken...“
„So? Da find wir doch begierig! Ditte, mein gnädiges
Stäulein, beebren Sie ung mit Ihren SKonfidenzen!“
„Jolante und unfer Affe...“
„Aber Urfula!“
„Schrei doch nicht eher, als bis du weißt, wer der Affe
ifil Ein riefig hübſcher Bengel nämlich, der Oraf Lohe,
Renommier-Aushilfsleutnant bei den Ulanen! Aber ich
fage euch — fo pilfein, und fo geziert, und fo furchtbar
elegant, Daß einem ganz angft wird! Gerade fo lyriſch
angebaut und fentimental wie Solantel Ich höre
ſchon, wie die beiden in ſchwärmeriſchen Zitaten man⸗
hen werben!“
Solante Iehnte mit ganz füperbem Augenauffchlag
Das Köpfchen gegen bie Seffellehne zurüd. „Auf alle
Fälle find mir ſolche Gefühlsmenſchen taufendmal lieber
als die rüden Ringfämpfer-Afpiranten, die ſich wie
Die DBauernburfhen auf dem Parkett berumflegeln!“
Arfula lachte ſchallend auf, aber doch ‚blitte es in
ihren Augen tie eine eiferfüchtige Drohung. „Da haben -
wir's jal Das Pärchen iſt fertig! Armer Flanken, für
dich ſieht's faul aus!“
„Der tft Flanken?“ Haudte Jolante phlegmatilch.
„Der Riefe, deffen Eoloffales Schlachtroß dir fo fehr
imponiertel Aber ein Krafthuberl ift der Kerl... Alle
neun Donner! Neben dem fieht jede Dame aus wie ein
Däumlingchen!“
„Haben Sie ben vielleiht für Lena beftimmt, mein
gnädiges Fräulein?“
Urſula ſchnitt mit fchiefgeneigtem Köpfchen eine Gri—
maffe. „Nee, der ift zu dumm für die geiftreihe Dame
dal Auch viel zu Luflig und lebenswarm, um es lange in
der Nähe folder Sletfcherjungfrau aushalten zu können!
Rein, für Lena wüßte ich eigentlich) niemand, oder halt,
doch! Hurra, ich hab's! Lena Triegt das Eisbein! Den
Ihönen, intereffanten Leutnant von der Infanterie, Der
102
fo fühl tat und uns fo ſtolz von oben herab mufterte
und Gretels Gouvernante und der Sefellichafterin gerade
ſolchen Diener machte wie ung!“
„Et, eil ſchön und intereffant!“ Tächelte Fürft So»
bolefsfoi mit nervös zitternden Nafenflügeln: „Und wie
ur diefer Herrlihfte von allen, wenn man fragen
arf?“
Stäulein von Kuffftein fegte fih in Poſitur und perfi-
flierte des jungen Offiziers vornehm gemeffene Art und
Weiſe, fich vorguftellen: „Freiherr von Altenburg! Frau
DBaronin hatten die freundliche Snade, zu geftatten —“
und Urfula Happte die Haden zuſammen und blinzelte
Ihelmifch zu Lena hinüber.
Die ſchüttelte mit ihrem ernften ©efiht den Kopf.
„Kleines Närrchen! Es fcheint mir, Herr von Altenburg
hat bereitS prima vista eine Sroberung gemadt, die an
Stürmifchleit den alten Brandenburgern nicht nadjftehtl
Und nun geht fchnell wieder hinunter, ehe Tante Büttin-
gen euch vermißt; ſowie fi) Onkel Daniel wieder ganz
wohl fühlt, folgen wir nah!“
Sürft Sobolefskoi erhob fih. „Sch werde mir fogleich,
auf Befehl der Heinen Gnädigen bier, den ‚Bratenrod*
anlegen laffen, und bitte dich, Lena, Die Baronin [chleu-
nigft in ihren Derpflichtungen als Wirtin zu unter“
ftügen!“ |
Arfula fprang eifrig von ihrer Tiſchkante herunter.
„Richt wahr? Sage ih auch! Die arme Tante muß fi)
reineweg den Mund fuffelig reden! Sput’ did), Lena,
wirf dich in Wichs und fomm!“
„Ich Bin angefleidet!“
Sobolefskoi ſah faft erfchroden an der ſchlanken Mäd-
chengeſtalt empor; ihr fchlichtes weißes Spitzenkleid war
durch feine Blüte und feine Pretiofen gefhmüdt.
„Liebe Lena!“ bat Daniel Ieife, „ich würde mich fo
Heralich freuen, wenn du eine einzige Heine Blume tragen
mwollteft, mir gu ©efallen! Ich bitte dich darum!“ Sie
[Haute finnend auf, dann verflärte plößlich wieder ihr
mildes Lächeln das Antlig, und fie faßte fchnell nad) dem
103
Selkblumenftrauße, Der neben dem GSeffel des Fürften
geitanden. Sie bog die Rifpen und Gräſer auseinander
und 30g ein pierblättriges Kleeblatt hervor.
„Das erite, das ich feit langen Jahren wieder, ohne
danad) zu fuchen, gefunden! Du Iiebft dieſes glüdver-
beißende Kräutlein ebenfo wie ih, Onkel Bantel, darum
werde ich mid), dir zu Ehren, damit ſchmücken!“
Sie lächelte ihm zu, und die Hand mit dem Bierblatt
fan? in die weißen Kleiderfalten nieder. Da war eg
wunderbar, wie ähnlich fie dem Bild Sglantinas war.
Daniels Herz zudte auf. Es war ihm plöblidh, als
verfinftere es fih im Gemach. Er glaubte den Sturm
braufen zu hören, der in jener Schredensnacdht in Miskow
dem Schidfal mit des Unglüds ſchwarzen Fittichen por-
ausgeflogen war. Zlammen hatten die lichte Frauen-
geitalt mit dem Symbol bes Glüdes in der Hand ver»
zehrt; werden auch heute Flammen entzündet werden,
Die ihm abermals fein Liebftes auf der Welt entreißen,
Die ihn zuſammenbrechen laſſen unter der Tränenlaft Des
GElends?
Ein herzzerreißendes Lächeln irrte um feine Lippen.
„Sin vierblättriges Kleeblatt! ®ebe Gott, mein Lieb-
ling, Daß es nicht nur das Sud verheißen, fondern auch
Bringen mögel® -
Elftes Kapitel
Lena hatte an der Seite Ihrer Tante DBüttingen, einer
Heinen rundliden und fehr lebhaften Dame mit glatte
gefcheiteltem dunklen Haar, die Samilien der nädhltan-
gefeffenen ®utsherren begrüßt, die mit viel Vergnügen
der Einladung nad Alt-Dobern Folge leijteten. Das
junge Mädchen war von der janften Liebenswürdigteit,
die man fonft nur im engften SFamilienfreis an ihr fannte,
und die fofort einer faft abftoßenden Kälte wich, ale
die fremden Offiziere nach beendeter Toilette die Salons
2104
betraten. Solante Eofettierte mit ſchmachtenden Augen
und der leifen fhwärmerifchen Stimme auf der Berraffe
bor vem Tanzſaal mit all Den Hübfchen und häßlichen
Zeutnants, die fih um den Vorzug befämpften, eines
Direlten Wortes von ihr gewürdigt zu werden. Gruf
Lohe war von vollendeter Liebenswürdigfeit, fie fand
ihn auch ganz leidlich nett, obwohl es ihr ſchien, ald
fet er fehr gerftreut und verberge unter viel fchönen
Phraſen nur eine tiefe Verſtimmung. Auf jeden Fall
huſchte ihr DBlid viel öfter an der riefenhaften G©eftalt
Slantens empor, der feinen blonden Krauskopf behaglich
an der Säule, gegen die er ſich gelehnt, Bin und ber
trieb, zeitweife eine feiner trodenen Kraftbemerfungen
in die Unterhaltung einftreute und als Privatvergnügen
mit der gewaltigen Hand nad) Fliegen und Schnaken
patſchte. Urſula Hatte in ihrer unperblümten Reife
gefagt: „Du, Jolante, ich wette gegen ſechs alte Weiber,
daß Flanken dich geradezu gräßlich findetl® Das ver-
droß Sräulein von ©roppen, und Daher wollte fie dag
PBräpenire [pielen und den ungeſchlachten Befell von
vornherein ganz abfcheulich behandeln. Je oftenfibler
aber ihr elfenhaftes Figürchen der Nähe des Riefen
zu entſchweben fuchte, defto hartnäckiger ftampften Die
ſchweren Reitftiefel ihr nad). Urfula Hatte fchnell ihren
Kreis gefunden. Laut und übermütig übertönte ihr
Lachen und Pebattieren das Stimmengewirr. Ste zankte
fih mit einem Artilleriſten über Hornfpalt und balgte
ſich zwiſchendurch einmal mit ihrem feinen Better Büt-
tingen und feinem großen Hund.
Graf Lohe rieb fein Monokel mit dem weißfeidenen
Taſchentuch und warf hier und da einen Blid nach jenen
Szenen an der DBerandatreppe, Die fi unter Urfels
fräftiger Alfiftenz immer Iebhafter entwidelten. „Es
fehlte nur noch, daß fie das Geländer herunterrutfcht!“
Dachte er voll heiliger Entrüftung, und je unmutiger fein
Blick und je röter feine Stim wurde, Defto übermütiger
benahm fih das DBadfifchhen, gerade, als täte fie es
ihm zum Stoß! Papa Kuffftein ftand, Die Hände & la
105
Gloſter in die Hofentafchen verfenkt, mit ein paar älteren
Herren auf dem Kiesweg drunten und fchaute mit brei«-
tem Schmunzeln feiner Ginzigen zu. Lohe trat zu ihm
heran, in der Hoffnung, durch irgendein gefchidtes Meines
Manöver dem verblendeten Bater die Augen über das
unftatthafte Benehmen feiner Tochter zu Öffnen. Er
fragte nad) Turzer GSinleitung, ob es denn niemand in
Sroß-Woltwig gäbe, der fo rechten Einfluß auf Fräulein
Urſula babe.
„3 wol Die Krabbe tanzt ung ja allen auf der Naſe
herum!* war die wahrhaft triumphierende und bater-
ftolzge Antwort.
Da ſenkte Sraf Lohe refigniert das wohlfrifierte Haupt
und verzichtete auf Weitere Verſuche, einen Splitter
aus des Nächſten Auge zu ziehen.
Fürſt Daniel Sobolefskoi hatte allein an bem offenen
Salonfenfter geftanden und zugeſehen, wie die neu an«
fommenden Offiziere den jungen PBamen vorgeftellt
wurden.
Als Freiherr von Altenburg fi in ftummem G©ruß
vor Lena neigte, trat er in atemlofem Schauen unmwill«
fürli einen Schritt vor. Sein DBlid Haftete auf dem
Antlih feines Lieblings, als wolle er voll ängfilicher
Sorge einen Schickſalsſpruch darinnen Iefen. Gleich-
gültig, Talt und abweifend wie ftets in einem ſolchen
QAugenblid blieben ihre Züge, und die wenigen Worte,
die fie an den jungen Offizier richtete, Hangen formell
und unnahbar.
Hoc und ſchlank ftand Altenburg ihr gegenüber. Kein
verbindliches Lächeln fpielte um feine Lippen, ein ernfter,
foft etwas bochmütiger Ausdrud beberrfchte fein Geſicht.
Sehr ſchmal und ſcharf gefchnitten war das Antlig, leicht
gebräunt und durch ſtolze Kopfhaltung meift Hoch er—
hoben; ein blonder Schnurrbart gab ihm ein ritterliches
Anfeben, und: die ftrenge, beinah finftere alte, die Die
Augenbrauen zuſammenzog, machte es intereffant. Er
wechjelte die paar üblichen Redensarten mit ber Nichte
der Öaftgeberin, verneigte ſich kurz und trat fofort bei»
106
feite, als ein paar Kameraden ber Kavallerie Die Sporen
vor Stäulein von Sroppen zufammenflappten.
Schon trat der Mond wie ein blaffer Silberftreifen
Binter dem Wald hervor, al8 Baron DBüttingen der alten
Erzellenz von Normann den Arm bot und fie Durch die
breit aufgefchlagenen Türflügel in den Speijefaal führte.
Die älteren Herrfchaften folgten, und unter der Jugend
entſtand ein übereifriges Hin und Ser, ein Suchen,
Sinden und Engagieren, ein Rangablaufen und Zufpät-
fommen, Neden und Schmollen.
Graf Lohe Hatte dicht neben Urfula geftanden, fein
Dlid traf ihr Geſichtchen, das ſich erwartungsvoll nad)
ihm richtete. Langfam wandte er fi) zur Seite und bot
Solante den Arm.
Herr von DBornit trat bereits neben das Badfifhchen
und kreuzte die Arme über ber Bruft: „Wenn durch die
Piazzetta der ‚Bratenduft‘ weht, dann weißt du, Ninetta,
wer wartend bier fteht!* — regitierte er lachend.
„Wir wollen uns den beiden da gegenüberfegen!“
nidte Urfula mit bligendem Auge.
And als fie Graf Lohe gegenüberfaß, war fie fo
ungezogen wie nod) nie. „Od, Daß ich taufend Zungen
hätte und einen taufendfahen Mund!“ rief fie beim
Anblid des Menus, und als der junge Offizier nicht mit»
lachte wie die andern, fondern ihr einen fehr mißbilli»
genden Blid zuwarf, fchnitt fie ihm eine Meine Grimaſſe,
griff nach einer Apfelfine und fabrizierte zu größter Heiter«-
teit aller Umfigenden einen ‚feelranten Shinefen‘ daraus.
Solante errötete in verlegtem Zartgefühl, und Lohe
bi por Urger die Zähne zufammen. Und immer toller
trieb es der Kleine Unhold. Wehe dem armen Grafen,
Daß er feine Nerpofität verraten hattel Urfula frabte
boll wahrhaft teufliichen Vergnügens unausgefett mit
den Nägeln auf dem Seidenrips des Tiſchläufers, big
Lohe ganz altertert feine Unterhaltung mit Jolante
unterbrach und fehr laut bemerkte: „Ss ift merkwürdig,
Daß alle Kinder fo viel Freude daran haben, in Ge⸗
ſellſchaft möglichft ungebärdig zu fein und recht viel
107
Lärm zu machen!“ Einen Augenblid Iang vergaß Urfula
por Aberrafhhung das Mäulchen zu [chließen, dann ftellte
fie Iangfam beide Ellenbogen auf den Tiſch und ftüßte
Das rofige Sefichtchen in die Hände. „Hm, Sie haben
mir aus Der Seele gefprodhen! Darüber habe ich heute
auch Thon nachgedacht, als die ganze Geſellſchaft in
Wolkwitz ein Mittagsichläfchen Halten wollte, und Gie,
wie fürs Baterland, auf dem Klapier herumpaulten! Da
feufgte ih au): Oott erbarme ſich über fo einen Radau-
Fritzen!“ |
Stäulein von Kuffftein Hatte die Lader auf ihrer
Seite, aber fie ftellte dennoh die Arbeit mit den
Nägeln ein. Dafür erfann fie etwas noch viel Perfideres.
Der Erbherr von Illfingen ſchien wirklich fehr ner»
vös zu fein, die Unterhaltung mit Solante wollte gar
nit recht in Zug fommen, weil der junge Offizier
ftets mit halbem Ohr und Auge fein Gegenüber be»
obachtete und es ihm bis in die Fingerſpitzen binein
fribbelte, wenn Fräulein von Kuffftein in baarfträu-
bender Reife eine Ungehörigkeit nad) der andern be-
ging. Er nahm fi) vor, gar nicht mehr zu ihr Hinüber-
aufehen, aber wunderbar, wie Durch magnetijhe Ger
walten angezogen kehrte fein Blid immer wieder zu ihr
aurüd, und fo oft er fte anfab, hielt ſich das allerliebfte
Seufelhen das Spitentuh por den Mund und —
gähnte!
Nichts ftedt nerböfe Menſchen mehr an, als Bühnen.
Graf Lohe zudte mit den Nafenflügeln und legte fein
Geſicht in die wunderlichſten Falten, aber faum, daß
er feinen Krampf etwas befämpft Hatte, gähnte Urfula
- wieder, und je mehr der lan in zitternde Alteration
geriet, Defto ärger trieb’S der Kleine Kobold, gebrauchte
Ihlieglih nicht einmal mehr das Taſchentuch, jondern
bracdte ihr Viſavis durch ihre trefflide Mimik geradezu
zur Derzweiflung.
Immer zerftreuter und aufgeregter wurde der Graf,
und Iolante, in Deren Nähe Doch bis jet noch niemals
ein Herr fortdauernd mit der fichtlichften Langeweile ge-
108
fämpft hatte, wandte fich etwas pifiert zu ihrem ander»
feitigen Nachbar und ignorierte Marl-Wolffrath für
ven Reft des Soupers.
Arfulas Augen aber funtelten vor Triumph und Aber-
‚mut.
In der Leinen Paufe, die dem Tanz poranging,
hatte fi Herr von Flanken an Solantes Seite gepirfcht.
Er ließ fih neben ihr in einen Geffel nieder, daß
diefer in allen Fugen ächzte, und ftredte Die gewaltigen
Süße übergefchlagen weit auf das bunte Teppichmufter
bor.
„Sie find natürlih auch zur Bolonäfe engagtert,
Gnädigſte?“ fragte er mit einem Stoßfeufzer und der
ttefdröhnenden Stimme, Die einen fo drolligen Kontraft
zu dem filberfeinen Organ der jungen Dame bildete.
Solante neigte das Köpfchen etwas fchief und zupfte
an den blaßroten Rofen ihres Bruftbufetts. „Allerdings,
bon meinem Tiſchherrn. Warum fragen Sie? Wollen
Sie etwa auch tanzen?“ und ihr träumeriſcher Dlid
ſchweifte, beredter als Worte, über feine bärenhafte
Sigur.
Ein amüftertes Knurren feinerfeits; er knäulte nach
feiner Manier die Handſchuhe zwiſchen den Händen
und blinzelte feine Nachbarin fröhlih an: „Ste meinen,
ein eiferner Geldſchrank dürfe mit demfelben Recht und
berfelben Grazie über das Parkett ſchweben wie ich?
Ja fehen Ste, mein gnädiges Fräulein, für gewöhnlich
tanze ih auch nicht, weil ich nämlich feine Rundtänze
gelernt habe. Mein Bater behauptete, in einem Ballfaal
gäb's nichts zu raufen, da paßte ich nicht Hin, und
wenn ih eine Dame um die Zaille fafjen wollte,
drüdte ich Ihr höchftens Die Rippen ein! Da wurde das
©eld für die Ausbildung meiner graziöfen Deranla-
gung gefpart, und der einzige Tanz, in dem ich altiv
auftreten Tann, ift die Polonäjel Pie ezelutiere ich
nun aber auch mit Leidenfchaft, und denken Sie mal, die
fol ih nun gerade ſchimmeln! Alle Damen, felbft die
109
älteften tm Saal, find ‚in feften Händen‘, und wo ich
auch anfrage, überall einen Korb“
Jolante lächelte und wehte in ihrer Inrifhen Weife
mit dem Sächer. „Es muß doch fchredlich fatal fein,
fo riefengroß zu fein!“
„Heutzutage wohl! Pie Zeiten Haben fich leider
Gottes geändert. Früher wurde der ftärffte Mann König,
und der Fauftfchlag des alten Norwegers Helge wurde
als Heldentat bewundert. Heute enden die ftarfen Au»
jufts meift im Zuchthaus, und das Abermaß der Kraft,
Das vor Zeiten des Mannes Glück ausmachte, wird im
neunzehnten Jahrhundert meift fein trauriges Derbhäng-
nis! Was foll eine folch altritterliche Sermanenfauft —“
Slanten hielt mit wehmütigem Geſicht feine gewaltigen
Sände hin — „in einem Zeitalter anfangen, wo Der
©änfeliel, Nepetiergewehr und Dreſchmaſchine regieren,
wo eines Herkules’ Taten nad) dem Strafgeſetzbuch
fritifiert werden! Und feit achtzehn, Jahren fein ein«-
aiges frifch-fröhliches Teldzüglein, wo man wenigſtens
noch die Hoffnung Hat, einmal die Lange einlegen zu
fönnen!“ |
„Sie ſcheinen ein furdhtbarer Raufbold zu fein! OB,
ih finde alle Soldaten fchredlich, weil fie fo hHart-
herzige Paſſionen haben!“
Der junge Offizier blickte juſt mit ſtarrer Bewun⸗
derung auf Jolantes Füßchen, das ſich an der Seite
feines Stiefels wie ein Goldkäferchen neben einem Gle⸗
fanten ausnahm. „Na, was für Leute haben Sie denn
gern?“ fragte er gedankenvoll.
Stäulein von Bern-Sroppen blidte ſchwärmeriſch in
den Kronleuchter empor.
‚„Künftler! — — Alle idealen Menfchen, und nament-
lich Die Maler!“
Er fuhr mit beiden Händen in fein fraufes Haar
und riß Die Augen weit auf. „Alle neun Donner! Ge⸗—
fällt Ihnen da nur der Samtrod und die Mähne, oder
müfjen auch die eingerahmten Fettfleden dabei fein?“
Bolante war. ſehr indigntert. „Aber Herr von Flan—⸗
110
be ih Tiebe nicht den äußeren Menfchen, fonbern bie
KRunft!“
„Was der Tauſend!“ Einen Moment ftarrte er ge-
radeaus, Tann bob er jählings den Kopf. „Slauben
Sie, daß ich das Kledfen noch lernte?“
Sie kicherte ſpöttiſch. „Es ift zwar ſchon einmal aus
einem Srobjcehmied ein Maler geworden, aber — neh»
men Sie mir’s nicht übel — hahaha! Mit den Hän«
den wollten Sie — hahahal Das iſt ja zum Totlachen!“
„Malen Sie felber?* Flanken lachte fröhlich mit.
„Jawohl, mit Paſſion fogar!“
„Da, Dann will ih Ihnen mal was fagen. Ich
made bei Ihnen in der Refidenz Beſuch, und dann
geben Sie mir Stundel“
Jolante warf das Köpfchen empört in den Naden
und vergaß für Minuten all ihr Phlegma. „Ihnen?
Sällt mir ja gar nicht im Traum ein!“
Gie blidte ſchnippiſch über Die Schulter zurüd. Graf
Lohe ftand vor ihr und bot den Arm, die junge Dame
“ in den Zanzfaal zu führen.
Slanten Happte die Sporen zufammen. In der Tür
des Tanzſaales ftand Lohe ftill und biß fich wie in
berber Derlegenheit auf die Lippe. Dann neigte er ſich
au Solante nieder.
„Mein gnädigftes Sräulein, darf ih eine Beichte
ablegen?“
Cie blidte mit ihren großen, feuchtfchimmernden Augen
erftaunt auf. „Nun?“
„Mir ift ein Maldeur paffiert, mein Diener bat fehr
haftig den Koffer gepadt und vergefjen, meine Tanz⸗
ftiefeln zur Uniform zu legen. Es ift Doch direlt unmög-
lich, daß ich in Diefer Shauffure, die für Die Bromenade
berechnet ift, tanze, und darum bitte ich allergeborjamft,
ob mein Kamerad, Fürft zu Schlüfften-Drafel, den Vor⸗
aug baben kann, mich bei gnädigem Fräulein zu ver⸗
treten?“
Solante war leicht errötet und zog ein recht gegziertes
Mündchen. „Sewiß, Straf Lohel Ich begreife Sie voll-
111
kommenl!l Nichts ift fchredlicher in einem Tanzſaal, als
ungebörige Fußbekleidung!“ und fie nidte ihm mit einem
©eficht zu, das beinahe fo ausfah, als wolle fie fagen:
„Wie fchäme ich mich, daß ich überhaupt mit Ihnen.
foupiert habel* und wandte fi) zu dem jungen Fürften,
der bereits neben fie getreten war und Lohes Kammer-
Diener voll Humor den entzüdendften aller Staubge-
borenen nannte.
Marl-Wolffrath trat ftumm zurüd. Er war dunkel⸗
tot geworden, und obwohl er ja ganz richtig finden mußte,
daB Jolante ihn fo ohne jeglihen Sinwand freigab,
verdroß es ihn dennoch gewaltig. Seine Stiefel waren
noch jechsmal fo elegant wie die der meiften Zänger;
aber es war ihm perfönlich unangenehm, auf Sohlen
zu tanzen, die dider find als ein Mohnblatt. Mit einer
tiefen Falte auf der Stirn zog er ſich in eine Ofenede
zurüd und wünſchte das ganze Manöver ins Pfefferland.
Die Paare ordneten fich, und Die polltönende Regi-
mentsmufif fette zur Polonäfe ein, an die fich in bunter
Reihenfolge die Rundtänze ſchloſſen.
Xena hatte beobachtet, daß Fürft Sobolefstoi Fränter
war, als er eingeftehen wollte, daß er in der ſchwülen
Zimmerluft Iitt und heimlich auf den Heinen Vorbau
binausgetreten war, durch den noch eine fchmale Ne«
bentreppe von der Weftfeite in den flügelartig angebau-
ten Saal führte. Sie folgte ihm und rief feinen Namen.
Keine Antwort. Die beiden Sartenftühle, die por einer
Dleander- und Lorbeergruppe ftanden, waren unbejebt
und fonft fein Menfch zu erbliden.
Aus den weitgeöffneten Saalfenjtern fchallten Muſik
und Stimmengewirr; über dem mondbellen Sarten mit
feinen majejtätifch ragenden Bäumen jedoh lag ein
wonnepvoller Srieden, und Lena ließ ſich tiefatmend auf
einen der Stühle niederfinten und ſchloß die Augen.
Die wohlig Diefe weiche, düftefchwere Nachtluft ihre
Stim fühltel Armer Onfel Daniell Sr hatte gewiß
unbemerft geben wollen, fein Zimmer gu erreichen, und
ſchickte in feiner rüdjihtspollen Weiſe weder nah ihr
112
noch nad) ihrem Dater, um die Freude des Feftes
niht zu ftören. Lena wollte fofort einen Diener als
Kundichafter ausfchiden und lehnte nur noch für einen
QAugenblid das Köpfchen zurüd, um dem leifen Windes»
taufhen zuzuhören, dag, wie ein Scho vom fernen
Meeresitrand, die Zweige des Bosketts regte. Die Muſik
im Saal war verftummt, pom offenen Fenfter, dicht
an ihrer Geite, Hang eine Stimme gu ihr heraus.
„Ra, Altenburg? Wo alles tanzt, ftehen Sie fi
allein die Beine in den Leib? Immer tätig, tätig,
junger Mann! Ic dãchte doch, bei Gott, heute an
Iohnte es ſich, etwas ’ran zu gehen!“
„GEs Iohnt ih? Das iſt wohl Anſichtsſache!“
Lena erhob fi unwillfürlih bei Dem eigentümlich
tiefen, fonoren Wohlklang diefer Stimme. Als fie jich
porneigte, fah fie Altenburgs Silhouette ſcharf gegen den
hellen Hintergrund abgezeichnet. Bor ihm ftand ein
feiner, beweglicher Infanterift mit zwei rund abjtehen-
den Haarlödchen über den Schläfen.
„Na, zum Kudud, ahnen Sie denn nicht, was für
Goldfiſchchen Heute abend Iosgelajfen jind?“
„DO ja. Darum eben fchimmele ich fo viel. Es find
viele reiche, aber wenig anziehende Damen Bier.“
„Was Teufel! Das ift doch vollkommen jchnuppel
Wenn der Engel Geld hat, ift er immer hübſch, und
wenn das Taufjendguldenfraut obendrein auf einem an»
ftändigen Stammbaum wädjft, dann muß man in heutiger
geit weiß Gott beide Augen zudrüden! Abrigens...
ich weiß gar nicht, was Sie wollen! Die Urſel Kuffſtein
iſt ein allerliebſter Heiner Käfer, und die älteſte ©rop-
pen geradezu eine Sphinz! Wie oft haben Sie denn mit
ihr getanzt?“
Altenburgs Haupt bob fi noch ftolger auf den
Schultern: „Noch Teinmal. Sie wiſſen, daß ich mid)
mit Damen, die mir unſympathiſch find, weder unter-
Balte, noch mit ihnen tanze.“
„Unſympathiſch? — Pot Wetter... fagen Sie mal,
was vorgefallen zwiſchen Ihnen?“
8 Eſchſtruth, Hofluft | 113
„Nicht das mindefte. Fräulein pon Groppen bat
Das widerwärtige Benehmen aller reichen Mädchen, -
die aus jedem Wort und DBlid eine Gnade machen
und es überflüfjig finden, ihre goldne Knute felbft mit
dem bunten Bändchen der einfachſten Artigkeit zu um«
winden. ch verlange nicht nad) den Dulatenfäden
diefer Damen und babe Gott jei Lob und Dank einen
zu fteifen Naden, um ihn por der Majeftät eines vollen
PBortemonnaties zu beugen. Wer ift jene Dame, die
neben der jüngeren Groppen dort an der Salontür ſteht?“
„Keinen Schimmer!... oder Doch... warten Sie mal,
Das ift ein Fräulein pon Schwanringen... Vater bat
das verfchuldete Majorat gleichen Namens, hübſches,
gutes Kind... lacht gern, weil fie weiße Zähne hat!
Aber feinen gebogenen Heller, fag’ ih Ihnen! Lohnt
gar nicht das Anfangen! Apropos... Sie find ein ganz
ſpaßhafter Menſch, lieber Altenburg, ein Hochmuts-
teufel, wie er im Buche Steht, hahahal Aber Gott er»
halte Sie fo; wäre eine verfluchte Konkurrenz mit Ihnen!
Servus! Will die Eleinen Goldkäferchen mal wieder
der Reihe durch abtanzen und dann mal an den ruffifchen
Ontel ’rangeben.... Kerl ſoll Inotig viel Wolle zu ber»
erben haben, haha, macht. einen guten Eindrud, wenn
man ibm mal den DBudel Elopft!“
Lena ftand regungsios. Ihre Hände umframpften
zitternd Die Stuhllehne und ihr Auge haftete ftarr an
dem Schatten Altenburgs, der ſich Iangfam pom Fenſter
löfte. Sie trat ſchnell vor und ſah feiner ſchlanken
©eftalt nad. Mitten durch den Saal ſchritt er und
fette jih auf den Platz, den Jolante foeben verlaffen,
neben Fräulein von Schwanringen nieder. Der Aus
dDrud feines Geſichts ift plötzlich vollkommen verändert.
Wie ſchön feine Augen find, wenn er eine Dame anſieht,
die ihm ſympathiſch ift, wie Iuftig er lachen fann, und
wie meifterlich er tanzt! Lena blidte ihm nad, big er
feine Sängerin wieder auf den Pla zurüdführt.
Lena wendet fi) plöglich ab und drüdt Die ver-
Ihlungenen Hände gegen die Bruft. Ihr Blick ſchweift
114
zum Simmel empor und ihre Lippen zittern, dann ſinkt
ihr Haupt tief auf die Bruft, fie fchreitet über den, Ballon
zurüd und tritt wieder in Den Saal.
Hinter den Dleanderbüfcdyen aber Hingt’s wie ein Auf-
ftöhnen unausfpredhliher Dual. Daniel Sobolefskoi ift
neben feinem verborgenen Seſſel auf die Knie gefunten
und preßt das Antlit in Die bebenden Hände.
Am Himmel über ihm ftehen die Sterne und bliden
auf ihn herab, wie Augen, in denen Tränen glänzen,
und der Nadhtwind Tommt und ftreift wie eine kühle,
tröftende Geiſterhand feine Stirn.
„Sei getroft, mein armer Schmerzensreih...“ Da
richtet fi) der mißgeftaltete Mann empor und lächelt
mit bleichen Lippen. |
&r weiß es, in dieſem Augenblid muß — Mutter
Geiſt ihm nahe fein.
Smwölftes Kapitel
Graf Lohe faß allein auf der Veranda, unter den
laubenartigen Gehängen der Schlingpflanzen und Kletter-
rofen, in denen ſich in graziöfen Bogen Die Lampions
fEaufelten. Sr hatte ein ©las Sektbowle vor ſich ftehen,
ftarrte gedankenvoll in die auf und ‚nieder fteigenden
Bläschen und fand die ganze Welt eine nihtswürdige
Sinrihtung. Am liebften wäre er nach Haufe gefahren.
Aber er hatte Flanken verfprochen, auf ihn zu arten,
und der verrüdte Kerl Eebte juft heut wie Pech und war
rein wie umgewandelt! Sonft war ihm ein DBallfaal in
den Zod verhaßt, und heut kam er bei jedem Tanz, ftellte
jih neben den ©rafen hin, legte die Hände rückwärts
zufammen und ſah dem fröhlichen Sewirbel nachdenk⸗
ih zu. „Es tft weiß Gott die reine Affenfchande,
daß ich nicht tanzen kann!“ — Und wenn eine Tour
porüber war, Elopfte er feinen Freund ſchmunzelnd auf
die Schulter und fagte: „So, das wäre glücklich über-
ge | 115
ftanden, nun will ich mich mal wieder ein bißchen an-
kleckſen!“ Sprachs und fteuerte Direfteswegs zu Jolante.
Seltfam! Was er nur für einen Narren an dieſem
gezierten, unliebenswürdigen Ding gefreffen haben mag!
Der Riefe Goliath und Däumelingchen! Je nun, Die
©egenfäße berühren fi eben, und das allzu Gleiche
ftößt fi ab. Um bes Geldes willen machte er ihr nicht
die Sour, davon war Lohe überzeugt, denn er kannte
den beinahe naiven Sinn dieſes Naturmenfchen, Der
wohl jähem Impuls zufolge mit Keulen dreinjchlagen,
aber nichts Elüglich berechnen fonntel Gutmütig und
harmlos wie ein Kind war er; bie Heine graziöfe
Puppe, das Elfhen aus dem Sommernaditstraum, er⸗
[dien ihm ganz erftaunlich allerliebft, und wenn jte
wie ein Goldbienchen im Tanz an ihm vorüberſchwirrte,
fagte er topfichüttelnd, aber voll hoher Bewunderung:
„Du.. Marl-Wolffrath, das follen Füße fein... und
in ihren Händchen hat fie überhaupt gar feine Knochen,
fondern höchſtens Gräten!“
„Jeder hat feinen Geſchmackl!' ſagt der Sranzofel“
Lohe fand nun die jüngſte Fräulein von GOroppen ge-
radezu fatal, und daß fie ohne jegliden Einſpruch auf
einen Tanz mit ihm verzichtet hatte, das verzieh er
ihr fein Lebtag nit! Zerfallen mit ſich und der Welt
hatte er fich in dag fernfte Eckchen zurüdgezogen, und
bei der großen Anzahl von Zänzern wurde er aud)
von niemand vermißt und bon allen verfchmerzt. Das
war nagend Gift für fein eitles, ſieggewohntes Herz.
Da Lingen plößlich energifche Schritte neben ihm. Urfula
tritt vor ihn, ftüßt die Hände recht unfein in die Seiten
und muftert jtumm feine Stiefel. Zornesröte fteigt in
die Stirn des jungen Offtziers, aber die Kehle iſt ihm
wie zugeſchnürt.
And nun lacht fie, erſt leiſe, dann immer lauter,
[hließlih patjcht fie Die Händchen zufammen und will
Thier fterben por "Bergnügen. Wie allerliebft ihr dieſes
Lachen fteht! Die dunklen Augen bligen um die Wette
mit den perlweißen Zähnden, und die kurzen Loden,
116°
die durch Das Tanzen nod) mehr verwildert erfcheinen,
liegen tief und genial in der Siem, wie bei dem Richter-
ſchen Stalienerfnaben.
„Ich hab's ja gleich oefagt, Straf Lohe, vier dient»
tuende Knechte aus Nubierland reichen nicht aus, um
eine DBalltoilette einzupaden! Das Wichtigfte Haben fie
natürlich vergeffen, und ihr Herr und Gebieter Tann
in Schmierftieweln Polka tanzen! Na, das ift ja ganz
wurft, und ih denke mir, Sie haben der olante nur
einen feflen Bären aufgebrummt, um bier faulenzen zu
fönnen!“
„Durchaus nicht, mein 'gnädiges Fräulein, ich be-
Daure mein tatſächliches Mißgeſchick aufrichtig!“
„Aber zum Kudud noch eins! Sie haben ja ganz
famofe Botten an! Was wollen Gie denn nur? Blitze⸗
blank und nicht eine einzige Zehe, die dDurchlommt...“
„Ihre Fräulein Kufine erklärte fie trog alledem gleich
mir für unzuläſſigl!“
„Jolante ift ein Schafl Das Habe ich Ihnen ja gleich
gejagt! Die fieht natürlih nur danad), ob die Äußere
Pelle comme il faut iſt; die Menfchen, die drin fteden,
find ihr ganz wurft, denn fonft hätte fie mit einem fo
netten Kerl, wie Sie einer find, getanzt!“
Lohe hatte ſich über das ‚Schaf‘ fehr alterieren wollen,
bei dem Nachſatz fühlte er fi) aber fo gefchmeichelt,
daß er es unterließ. Obwohl ja Urfula genau fo derb
wie fonft war, fiel ihre Seilnahme doch wie Balſam auf
fein gelränftes Herz.
„Sie find unendlich Tiebenswürdig, mein gnädiges
Sräulein, der Sefchmad ift aber leider verſchieden, und
ih Bin verurteilt, zuzufehen, wo alles tanzt, und muß
bier meine traurige Quarantäne halten.“
„Das Sollte fehlen! Ich komme ja, um Gie 'zum
nächſten Walzer zu holen! Mir ift es ja blitegal, was
Sie für Stiefel anhaben, meinetivegen können Sie in
Holzpantoffeln Iosziehen! Kommen Sie flink!“
®r Hatte, ſich unfdlüffig Hin und ber neigend, Die
woblgepflegten Hände gegen die Ulanta gebrüdt und
117
ſah dennoch wahrhaft gerührt zu dem Backfiſchchen her⸗
nieder. „Sräulein Urfula... ih...“
Da bob fie plößlich die. bittend Aufammengelegten
Händchen, und in dem rofigen ©efichtchen lag. der-
felbe kindlich-treuherzige Ausdrud, wie porgeftern, als
fie in dem Kahn faß und ihm fo gut gefiel. „Sch möchte
jo gern nur ein einziges Mal mit Ihnen tanzen, und
es ift nicht mehr lange Zeit, wir fahren bald nad) Haufe!
Seien Sie doch nicht mehr böfe über die Hammel! Es
Dar ja nur ein Witz, und wir wollen jebt wieder tun, als
wäre gar nichts vorgefallen, ja?“
„Sewiß, mein gnädiges Fräulein, ih bin Ihr ge»
horfamfter Diener!“ Mark⸗Wolffrath ſah wie gebamt
in ihre dunklen Augen.
„Seben Sie, ih wußte es ja, da Sie gar nicht fo
eflig find, wie Sie immer tun!“ jubelte die Kleine
glüdjelig. „Eben fängt die Mufil an, kommen Sie ſchnell,
damit wir recht, recht lange tanzen: fönnen — ſechsmal
rum!“
Sie faßte ungeniert feine Hand, ihn mit fortzuziehen;
Straf Lohe aber zögerte plößlich und hielt ihre Fingerchen
feft. „Wenn ich jeßt mit Ihnen tanze, Fräulein Ur—
fula,* fagte er ernfthaft, „tue ih Ihnen doch natürlich
einen großen Gefallen; wollen Sie mir als Rebande
etwas verfprechen?“
Sie Jah ihn mit großen .erftaunten Augen an, nidte
aber fehr eifrig zuftimmend: „Was denn?“ .
„Ich möchte Ihnen einmal ganz ehrlid) und grabe-
aus etwas jagen, aber vorher geloben Sie mir, nicht
böfe oder beleidigt zu fein?“
Sie ſenkte ganz Hleinlaut das Köpfchen. „Na, id)
danke, dann ift es wohl eine gute Pauke?“
„Zucht im mindeften.*
„nein? Na, dann: immer druff uff de Fröſch'l Kann
ih mich dazu feßen?“
Sie lachte ihn übermütig an, der junge Dffizier aber
legte ihre Hand auf feinen Arm und fchüttelte den Kopf:
„Jeztzt ift nicht Die paffende Zeit dazu, ich hebe mir dieſe
118
Anterredung noch auf. Dorerft wollen wir tanzen!“
Mit ftrablenden Augen trat Urfula an feiner Seite in
den Saal zurüd. Herr von Kuffftein ftand in der Tür
. und verfeßte feiner Sinzigen einen wohlgemeinten Pleinen
Etoß mit dem vorgeftredten Daumen.
„Du, Urſchel-Purſchel! Jetzt wird abgebaiitert, Die
Wagen fahren glei vor“ “
„Na adieu! Kommen Sie wohl über, Herr ®ebatter!“
nidte das Backfiſchchen in unglaublidiiter Weije zurüd,
und dann tanzte fie mit ihrem jo energijch Dazu ‚'range-
langten‘ Leutnant. Einen fo herrlichen Walzer wie
diefen hatte fie in ihrem Leben noch nicht getanzt. Graf
Lohe geriet zwar ein paarmal tüchtig mit ihr ins Ge⸗
Dränge, jo daß die Spigen und rofa Bandſchleifen an
dem Kleid böfe Erfahrungen machten, aber Urfula blidte
mit bemfelben Stolz darauf nieder, wie ein Feldherr
auf die zerfegten Fahnen, und fand, „Daß jett endlich
Mumm in die Sache kam“!
Und nun ‚mitten im fchönften Moment‘ wollte Papa
Kuffftein dieſem Sommernadtstraum ein Ende bereiten.
Der Champagner war vortrefflich gewefen, und in wein«
feliger Stimmung, Die aber bei dem rundlich beanlagten
alten Herrn bald in Müdigkeit überging, nahm er fein
Töchterlein am Arm und erklärte, „Die Stabsoffiziere
führen jetzt aud) nah Haufe, und die arme Mama ſei
frank und werde auf des Töchterchens Rückkehr warten,
darum müffe das Geſchwofe jett aufhören!“
Urſula war fehr alteriert und fträubte fich aus Leibes-
fräften gegen die Heimfahrt, aber der Vater entwidelte
eine überrafehende Snergie, und nachdem er noch eine
Zeitlang gütlih mit feinem ‚Schlingelchen‘ unterhandelt
Batte und alle DBerfprechungen nicht fruchteten, da er⸗
Härte er fchließlih ganz martialifh: „Seht Hältfte den
Schnabell Paſcholl, Sute Nacht gejagt, es wird ſogleich
eingeitiegen!“
Urſula [hob die Unterlippe por: „Na dann kommen
Eie, Sraf Lohe, dann mag die Karre in drei Teufels
Namen losgehen!“
119
Ich begleite Sie Bis gum Wagen, meine Gnäbdigfte!“
„Sie fahren doch mit?“
Der Oarde-Ulan zudte die Achfeln. „Ich folge in
furzger Zeit nad. Flanken bat mir das Verſprechen
- abgenommen, daß ich auf ihn Marten foll, und ber
unglaublide Menfh Hat fih ja zum DBlumentwalzer
engagiert!“
„Sie Bleiben noch? — Blumenwalzer?“ ftotterte das
Backiſchchen mit weit aufgerijfenen Augen, „und ih
fol weg? Oh — ich werde — oh, da ſoll Doch!“ und
wie der Wirbelwind, mit aufbligenden Augen, wandte
fie jih ab und ftürzte davon.
Herr von Kuffftein ftand und Elopfte feinem Schwager
DBüttingen gerührt auf den Rüden und Iobte noch einmal
den Selt, der auch nicht ein bißchen nad) dem ‚Pfroppen‘
gefchmedt Hätte, und die Aufternpaftetchen, und Die
Sumberlandfauce, zu der man getroft felbft eine Schwie-
germutter bätte effen fönnen, und die Neunaugen mit
Schlagſahne, die es gar nicht gegeben Hätte, und all die
vielen netten Menfchen, die Das. notwendige Abel bei
dieſem Feſt gewejen wären. Pa trat ein Piener zu
ihm beran und meldete mit tiefem DBüdling, Daß das
gnädige Fräulein bereits im Wagen ſäße und 'auf
den Herrn Papa wartete. Dater Julius war ganz
verdußt und über fd viel Artigleit derart gerührt, daß
feine blaßblauen Auglein unter Waifer traten. „Siehſte
Srigel nun fist fie fchon in der Arche Noah drinne!
So ganz ohne Flaufen Hat ſich das Mädel gefügt
— ich babe es ja immer gefagt, die Urfchel-PBurfchel
ift ein wahres Prachteremplar! Na, denn gute Nadit,
lieber Sriße, gib mern Kuß — und grüß’ Deine Alte
noch mal von mir — und wenn du wieder einen ſolchen
Zaterata Iogläßt, dann meißte ja — der Dide Jule
Kuffftein aus Wolkwitz, der kommt immer! — Oute
Nadt, mein Fritzeken — noch 'n Kup!”
And dann drüdte er alle Hände, Die ſich ihm dar⸗
boten, voll ſchluchzender Innigkeit, umarmte rechts und
120
Iinfs und wuchtete die Treppe Der Veranda hinab zu
ſeinem Wagen.
Die erſte Equipage mit den älteren Offizieren war
bereit abgefahren. Herr von Kuffftein Tieß fich durch
fäftige Nachhilfe in fein Coupé befördern und fanf
ächzend in die Polfter zurüd.
Neben ihm, in den Mantel gewidelt und Dicht ver⸗
Tchleiert, ſaß Urfula, tief in die Wagenede zurüdgelehnt.
Sie ſchien doch gewaltig ſchlechter Laune zu fein, denn
fie regte ſich nicht und fprach feine Silbe.
„gufabren, Lebtel“
Der Wagen feßte fich Iangfam in DBewegung, und
Papa Kuffftein öffnete das Fenſter, um feine Zigarre
weiter rauchen zu Tönnen.
„za, Arſchel⸗Purſchel — war ein ganz fideles Katzen⸗
ſchießen heut, was?“ |
Keine Antivort. |
„Setanzt haſte wie ein Wafferfall und mwarft von
der ganzen Lämmerherde entichieden die Hübfchefte, —
hm, Deines Affhen? Welcher von all den Gtrebe-
pfeilern des einigen Deutfchland Hat dir denn am meiften
imponiert? Der Deiwelgkerl, der Flanken, oder ber eine
Major mit dem fizen Schnurrdbart — Bm?“
Keine Antwort.
„Urſchel⸗Purſchel, du maulft wohl?“
Tiefe Stille.
„2a, dann maule dul — Ich Babe der Mama ver»
ſprechen müffen, daß um ein Uhr nady Haufe gefahren
werden fol, und es ift bereits Halb zwei durch. Es ift
ja gräßlih, wenn die Leute den Hals nicht vollkriegen
Tönnen!* Und Herr von Kuffftein tat noch ein paar be⸗
hagliche Züge aus der Zigarre und warf fie dann zum
Fenſter hinaus. „Ich Tchlafe einftweilen ein Ruckchen!“
And er lehnte ſich bebaglich zurüd, um ſehr bald zu
Ihnarden. .
Wald und Flur tanzte im Mondfchein vorbei, und
nach kurzer Zeit rollte der Wagen in den Wollwitzer
Schloßhof. Der Schläfer erwachte und bebnte Die Arme.
121
„Eeoweit wären wir! Komm, Urſchel⸗Purſchel, nun
fettere mal zuerſt hinaus!“
Die junge Dame regte fi) nicht.
„Bu — ſchläfſte?“
Keine Antwort.
Da wurde der müde Vater ungeduldig. &r faßt das
eigenfinnige Toͤchterchen mit beiden Armen, fie dem
Diener entgegen zu heben, und läßt wie gelähmt vor
Entfegen die wunderlide Laft wieder zurüdfallen.
„Heiliges Schod»-Bomben-GIement!“
Der Schleierhut rollt bernieder, ein ganz abfonder-
lihes Etwas ragt im Dämmerlicht als Köpfchen aus
Dem Mantel heraus. Herr von Kuffftein taftet mit
wahrem ©rauen daran. Sine Schlummerrollel Und wie
er den Mantel faßt, da kugeln dem entfeßten DBater eine
Anzahl ſchön geftidter Rückenkiſſen entgegen.
„Urſchel⸗Purſchel! — follen doch glei ein Dutzend
lahmer Eſel dreinfchlagen! Hat die Wetterheze mir Diefen
Wechſelbalg unter die väterlihen Fittihe gefchoben!“
And fchnaufend dor Zorn und Doch wieder laut auf-
lachend über dieſen ‚Wit‘ feines erfinderifhen Töchter»
leing, wirft er den Wagenſchlag zu und begibt ſich ins
Schloß, bei feiner ©attin Rat zu holen, falls fie noch
wachen follte.
„Meinetwegen mag die Range nun in der großen
Parke übernachten!“ denkt er voll Seelenrub. „ante
Klara wird fich recht freuen über den Zuwachs an Logier⸗
befuch!* und er kratzt ſich hinterm Ohr und findet es
eigentlih eine wahre Riefenaufgabe, DBater zu fein.
Dann tritt er in dag Zimmer feiner Frau, nidt ihr
ſchmunzelnd zu und erzählt mit ftrahlendem G©eficht:
„n Abend, Mutterhen! Nu höre mal, was unfre Pflanze
wieder für einen Wi gemacht Hat!“
Fünf Minuten nachdem die Wollwitzer Gquipage mit
Herrn und Fräulein von Kuffſtein abgefahren war,
ſtand Baronin Büttingen im Kreiſe älterer Herrſchaften
122
und verabfchiedete fich von Exzellenz Normann, die mit
Tochter und Schwiegerjohn ebenfalls die Heimfahrt an«
treten wollte.
Plötzlich legten fi von rückwärts zwei Faände mit
kräftigem Patſch auf die Schultern der Gaſtgeberin, und
Urſula lachte fchallend auf: „Na, Tante Klärdyen, wat
fagite nu?“
Dorerft fagte Frau von Büttingen gar nichts, fon-
dern ftarrte das übermütige Geſichtchen an Wie eine
Bilion. „Mein Himmel — Arfelden! wo kommſt du
denn wieder her! &s iſt Doch fein Malbeur mit dem :
Wagen paffiert?“
Die Kleine fchüttelte jubelnd das Köpfchen. „J wo
wird denn die alte Karre aus dem Leim gehen! Weißte,
was ih getan habe? Sine ganz famofe Buppe habe ich
Julchen ausgeftoppt und in den Wagen geſetzt; Damit
kann er nun bis Duztehude fahren! Ich bleibe Heut
nacht bier, Tantchen, kann ja bei Solante und Lena
Idlafen, oder meinetivegen mang die Stubenbolzen oder
in der Badewanne, fommt mir gar nit drauf anl
And nun will ich fir noch ein bißchen tanzen, ehe Das
Kududsei im Neſt entdedt wird und der Wagen um«
kehrt!“ — und unter SHeiterfeit und händeringendem
Staunen wirbelte das enfant terrible davon, um im Tanz⸗
faal ftürmifchen Jubel und großes Hallo zu erregen.
Zwiſchen all dem Laden und Cchwadronieren aber
flog ihr Blid ſuchend umher, den zu entdeden, um deſſent⸗
willen fie das Feld abfolut nicht hatte räumen mollen.
©raf Lohe war nirgend zu entdeden. |
Arſula trat auf die Terraſſe — und richtig, auf feinem
alten Platz, am äußerſten menfchenleeren Snde des
Dorbaus ftand der junge Offizier .und blidte nachdenklich
in die mondbelle blumenduftige Sommernacht hinaus.
„Straf Lohe, ih Bin wieder dal“
Höhlihft überrafht wandte er fi um und blidte
in das glüdftrahlende Geſichtchen derjenigen, der ſoeben
fein ernithafteftes Denken gegolten.
„Sräulein Urjula, wie ift es möglih? Vor wenigen
123
Minuten fuhr Ihre Squipage por meinen Augen da-
pon!* Eie ſchwang fich in ihrer ungeftümen Weife neben
ihn auf die Baluftrade und faltete die Hände um das
Knie. Atemlos por Amüfement und QAbermut erzählte
fie, durch welche Lift fie ſich vor dem väterlichen Gebot
gerettet habe, und zum Schluß ſah jie ihn treuberzig
an und fagte naiv: „Den ganzen Abend martete id)
Darauf, daß Ste einmal mit mir tanzen follten, und
wie ih Sie glüdlid Hier aus Ihrem Knurreckchen 108»
geeift hatte, da wollte man mid) nach Haufe fpedieren!
Ich möchte fo jchredlich gern noch ein paarmal mit Ihnen
tanzen — Sie fagten ja, Jolante Tönne es nicht übel-
nehmen —, und darum kommen Sie ſchnell, ſowie Die
Muſik wieder beginnt! Ss gibt auch wieder Eis Drinnen
— und pilante Bröter — bitte, bitte, geben Sie mit
mir!*
&r Hatte gar nicht über ihren Witz mit der Puppe
gelacht, regungslos ftand er und fah fie an.
„Wiffen Sie, Fräulein Urſula, daß es nichts Häß-
liheres und Derwerflicheres für ein junges Mädchen
gibt, als ungehöriges und refpeltwidriges DBetragen
gegen die Eltern?“ fragte er langfam.
Verwundert bob fie das Köpfchen. „Reſpekt? Bor
Julchen brauche ich doch feinen Refpelt zu haben! 2er
madt ja allen Anſinn mit!*
Wark⸗Wolffrath biß ſich auf die Lippe. „Fräulein
Urſula, ih glaube, es wäre jeßt der richtige Moment,
meine Bitte von vorhin zu wiederholen! Darf ih, Ihnen
einmal ehrli die Wahrheit fagen und wollen Sie mir
nicht zürnen?“
Sie 30g, Jhalkhaft Iachend, ein krauſes Näschen. „Nee,
ih nehme nichts übel. In Gottes Namen, legen Gie
los!“ und beide Händchen gegen den Magen —
ſeufzte ſie tief auf: „Lung' und Leber duckt ae
fommt ein Plaßregen!“
Der junge Öffizier fab ein, daß es Mühe toſten
werde, ernſt zu bleiben. Er lehnte ſich in das ran⸗
kende Grün zurück und verſchränkte die Arme über ber
124
Bruft. „Möchten Sie jemals geliebt werden, $räulein
Arfula?“ |
Die Trage Hatte fie nicht erwartet; fie traf wie
ein Blig. Sprachlos flarrte fie ihn einen Moment an,
dann aber fchlug fie wie in jähem Sntzüden die Hände
zuſammen. „Ach jal“ klang's ehrlich, aus tiefftem Her⸗
zensgrund.
„Wie würde es Ihnen zumute ſein, wenn der Mann,
in den Sie ſich einmal verlieben, ſagen würde: Nein,
ih mag dich nicht, Du mißfällſt mir!“
Ihr Auge bligte auf. „Dann... ob... dann, würde
ih ihn aus Wut erfchießen... und hinterher erjäufte
ih mid!“
„Das find abfcheuliche, romanhaft überfpannte Sheen,
an deren Ausführung Sie als Chriftin und "brapes
Mädchen nie denken werden, dapon bin ich überzeugt.
Außerdem — verlangen Ste nit nach einem beſſern
©lüd, möchten Sie den Geliebten nicht viel lieber au
eigen gewinnen, als ihn verlieren?“
„Zum Donner — wenn er mich ja doch nicht will?“
„Wenn Eie ihm nicht gefallen, find lediglich Ihre
Sehler daran fhuld, denn Site find ein hübſches, vor-
nehmes und liebenswürdiges Mädchen, das alle Eigen-
Ihaften bejitt, die einen Mann entzüden müffen. Aber
die Rofen find von fo viel ſcharfen, Häßlichen Dornen
umgeben, daß fie nicht begehrenswert erjcheinen. Und
nun jagen Sie felber, Fräulein Urfula, wäre es da
nicht beffer, dieſe abfcheulichen Dornen einen um den
andern abzulöfen, bis nur die lieblichen Blüten ftehen-
bleiben, bis man nichts an Ihnen tadeln Tann, und alle
Herzen Ihnen voll inniger Liebe zufliegen?“
Sie hatte das Köpfchen ängſtlich geſenkt und an ſich
nieder geblidt. „Sa, du lieber ©ott, wenn ich Die
Bieſter von Stacheln nur jehen könnte — ich) weiß ja
gar nicht, Wo jie figen!“
„Soll ih es Ihnen fagen?“
Cie nidte eifrig, und bei all den berben Worten,
Der ihr Mündchen ſprach, lag doch ein fo lieber und
125
weicher Ausbrud auf den monbbeglänzten Zügen, daß
es dem Örafen ganz warm ums Herz wurde.
„Ih meine es fehr gut mit Ihnen, Zräulein Ur⸗
ſula,“ ſagte er leiſe, „aber ſo, wie Sie jetzt ſind, bin
ich gar nicht zufrieden mit Ihnen. Warum werfen Sie
die mächtigſten Waffen, Die die Natur dem Weibe ver⸗
liehen, dag Starte Geſchlecht unmwiderftehlich zu bezwin«
gen, fo töriht aus der Hand? Die Waffen: Weiblichkeit
und bolde Anmut, die einzig und allein den geheimnis-
vollen Zauber bergen, daraus die Liebe ihre goldnen
Dande webt. Sin Frauenmund ift gefchaffen zum Kofen,
Schmeicheln und Beten, Worte, die er [pricht, jollen
den weißen Tauben gleichen, Die den Olzweig in das
fturm» und flutgefchleuderte Yebensjchifflein Des Mannes
tragen, follen die Sropfen heiligen Taues fein, mit
dem die Blüten alles Edeln, Milden und öttlichen
im Männerherzen geneßt werben. Keiner aber bon
ung will Mädchenlippen küffen, die genau fo Wettern,
fluhen und derbe Pinge jagen fönnen, wie wir felbft.
And nit allein mit Worten, fondern auch in feinem
Zun und Handeln foll ein junges Mädchen der weißen -
Lilie und nicht dem kecken Ritterfporn gleichen, denn
einen Steund und Kameraden mäg fein Mann freien,
wohl aber einen guten Gngel, den er liebt, weil er fich
ihm in füßem Dertrauen anfchmiegt.“
Atemlos Hatte Urfula gelaufht. Die farbigen Lam-
piong über ihnen im Laube waren erlofchen, der Mond⸗
ſchein floß wie‘ ein breiter Silberftrom durch die Säulen«
bogen und tauchte die beiden jugendlichen G©eftalten
in fein geheimnispolles Glitzerlicht. Wie verllärt in
lieblicher Unſchuld hob fi Urjulas Sefichtchen zu Dem
Sprecher.
„Ich hab's gar nicht gewußt, daß ich ein ſo böſes,
unleidliches Ding bin!“ ſagte ſie treuherzig, „kein Menſch
hat's mir noch geſagt, und ich bin es auch wirklich nicht
mit Abſicht, nein, ganz gewiß nicht! Aber was ſoll
ih tun? Nie wieder eine Puppe ausftopfen? Wenn
Cie nur gehört hätten, wie alle lachten; und Refpeft
126
dor Papa Haben? Dann würde er fich felber ganz
närriſch vorkommen! Und feine derben Worte jagen,
nit fchimpfen und fludhen... ja, Du Tiebe Seit,
ih weiß ja gar nicht, wenn ich etwas Schlimmes fage,
weil die Leute immer lachen, und Papa es doch auch
fagt!* .
„Sachen Ihre Erzieherinnen auch?“
„Na, die Drachen ſchimpfen natürlich über jede
Kleinigfeit, weil fie mich ſchurigeln wollen, und wenn
ih es Julchen fage — Wama darf ich ja nicht mit
Klatjchereien Tommen, das regt fie aufl — dann ruft
er jedesmal: Das Frauenzimmer bat einen Sparten!
Zonleiter und Vokabeln foll fie Dir beibringen, aber fonft
ihre Weisheit für fich behalten!“
„Wie abſcheulich es doch klingt, wenn Sie Ihren
Herrn Dater mit dem DBornamen nennen! Wie darf ſich
ein gebildetes junges Mädchen jo etwas erlauben?“
Höchſt erftaunt riß Urfula die Augen auf: „Na,
ift Denn das fo ſchlimm!? Wie ich als Heine — ganz
Heine Griebe ihn zum erftenmal ‚Sule‘ nannte, da hat
er fi gelugelt por Lachen und mir. Zuderſachen ge⸗
ſchenkt, jo viel ich nur haben wollte!“
Das war’s, da ſaß der Stachel im Fleiſch. Graf Rohe
308 finfter die Augenbrauen zufammen und biß fi) auf
die Lippe, das Backfiſchchen aber glitt von der Balu-
trade herab und bob mit ihrem fchelmifchen, unwider—
ſtehlichen Schmeichelgefihthen die gefalteten Hände.
„Nun haben Sie genug gefcholten, lieber Graf, nun
feien Sie bitte, bitte wieder gut! Sie find ein fo ſchrecklich
feiner Menſch, darum fehen Eie fo ſchwarz, viel düfterer
als alle andern Menſchen! Niemand denkt fo fchroff
wie Eiel Alſo kommen Sie, und feien Sie mir wieder
gut, ih will ja auch, weiß Kudud, ganz artig fein!“
Was follte Sraf Lohe entgegnen? Urfula war noch
viel zu fehr Kind, als daß Worte tiefen Sindrud auf
fie machen fonnten, war viel zu verwöhnt und verzogen,
um auf Die Ötrafpredigt eines einzelnen Oewicht zu
legen. Ein Wefen, das Urfula näher ftand, konnte fie
127
nicht erziehen, weil thre bezaubernde Serzlichkett und
ihre bejtridenden Augen jelbjt Den größten Zorm ent«-
waffnen mußten. Hier war Urſula eine kleine Königin
unter lauter Sflapen. Sie berrjchte, und niemand oppo⸗
nierte, fie tat, was fie wollte, und jedermann applau-
dierte ihr. Bon den Eltern an bis zu dem Stallburjchen
herab fügte man fich ihrer drolligen Gigenart. So
lange Urfula ihr eigenwillig Regiment in Wollwis
führte, nur des Daters derbe Manier zum Borbild, ıdie
Srfte und Tonangebende in ihrem täglichen Verkehrs⸗
freife, fo lange fonute nun und nimmermehr eine günftige
Wandlung ihres Wefens herbeigeführt werden. Auch
Die Liebe konnte nicht zur Lehrmeijterin werden, denn
Urſulas Charakter war viel zu leicht und Ted, um eine
Neigung zu Eultivieren, Die nicht eriwidert wurde, und
geſchah es doch, fo konnte es höchſtens Ihrer Wildheit
und ihrem ftolgen Sinn zum Stachel werden. Sine
glüdlihe Liebe aber ließ ihre Ausgelaffenheit im Aber-
maß der Wonne vollends über alles Ziel fchießen.
Während einer Quadrille, die das Badfifchchen mit
Fürſt EC hhlüfften-Drafel tanzte, ftand Lohe wieder auf
der Zerrafje, ftarrte in den Mondſchein hinaus und
fann auf Mittel und Wege, wie: das maienfchöne, wild⸗
emporgetvachfene Lebensbäumlein wohl in die Hände
eines guten, veredelnden Gärtners gelangen Tönne. Plöß-
lich audte ihm ein Gedanke durch den Kopf. Hofluftl —
Hofluft war die allgewaltige Meifterin, die einzig das
Wunder vpollbringen konnte, um aus einem eigentwillig
flirrenden Irrwiſchchen eine Harleudhtende Flamme zu
ziehen.
Die Hofluft gleicht jenem kühlen, ſchneidenden Herbſt⸗
wind, der über die Heide ſauſt und zu dem wilden
Röslein, Das bisher ſtolz über dag niedere Gras und
Kraut geblidt und ringsum das Höchſtgewachſene ge-
Wweſen, ftrenge fagt: ‚Dude dich!‘
Diefer Herbſtwind fieht nicht, wie Hold und reizend
das kecke Heideröslein ift, und erfragt nicht ang danach,
ob ſich Bis jeßt alles vor ihm geneigt hat; er bläſt
128
unbarmherzig darüber Hin, fnidt die Eauerfproffen an
den Zweigen, und wenn der Frühling abermals ing
Land tommt, bat der Roſenbuſch gedemütigt feine Ranken
zur Erde geneigt, aber er blüht doppelt fo reich wie
zuvor.
Graf Lohe hob ſiegesfreudig das Haupt. Ja, er
wird dafür ſorgen, daß die Hofluft über Urſulas Köpf-
hen weht, daß jie aus der miderjpenftigen Katharina
ein boldjelig BADEN macht!
Fürst Sobolefstoi war in Die Saaltür getreten, als
der Kotillon getanzt murde.
Fürſt Schlüfften fommandierte ihn an Lenas Seite
und wußte nicht aenug des Scherzbaften und Driginellen
zu arrangieren.
Daniel preßte die Hand auf die franfe DBruft und
ftarrte mit weitgeöffneten Augen zu dem jungen Mäd«
chen hinüber. Sie erjchien ihm verändert, zerftreut,
unficher, oft heiß erglühend. Wie follte fie auch nicht.
Waren in dieſer Stunde doch die ©rundfeften ihrer
ganzen Lebensanfhauung erſchüttert. Was fie feit
langen Jahren als eine Illuſion verfpottet hatte, den
Etolz eines Mannes, der größer ift als die Macht
des Goldes, feine edle Redlichkeit und Aufrichtigfeit,
die die Wahrheit redet, anftatt der Göttin Fortuna
mit Lügen zu opfern, das Hatte plößlich ©eftalt und
Sarbe gewonnen, das ftand verkörpert vor ihr und
bob fein Haupt mit dem Schickſalsſpruch: ‚Sch begebre
nit das Gold jener Damen!‘ — Lena hatte gefunden,
was jie juchte, und in diefem Augenblid, das wußte
und empfand Daniel, war ihr Herz von dem Blitzſtrahl
getroffen, der es für ewige deiten von dem ſeinen
losriß.
Er ſah, wie Lenas Blick dem Freiherrn von Alten-
burg folgte, er ſah, was ſonſt kein andrer bemerkte,
wie ihr ganzes Intereſſe nur noch dieſem einen galt,
er ſah, wie ſich ihr Antlitz verdüſterte, wenn der junge
o Eſchſtruth, Hofluft 129
Offizier Fräulein von Schwanringen durch ſtets neue
ritterliche Aufmerkſamkeiten auszeichnete.
Fürſt Schlüfften erbat ſich von etlichen Damen eine
Blume aus dem Haar oder Bruſtbukett, ſie als ‚blind
gezogen‘ von den Herren wählen zu laffen.
Herr pon Altenburg taftete als leßter der Dlind«
greifenden vergeblich nach einer Blüte, und Schlüfften
Ihlug die Serpiette zurüd, nahm ein kleines, welkes
Kleeblatt aus dem Körbchen und reichte eg lachend bar:
„Sie ahnen Ihr vierblättriges Slüd gar nicht, lieber
Altenburg! La voiläl Wer zulegt lacht, lacht am beiten
— Gie tanzen mit Fräulein von Groppen 1.1“
Aberraſcht ſah der junge Offizier auf den Klee
bernieder und legte die vier welfen, zufammengefalteten
Dlätthen forglid wieder auseinander. Er hatte eine
befondere Borliebe für Diefes poetifche Slüdszeichen. Er
war auf dem Land geboren, juft zur Klee-&rnte, und
als man dem Neugeborenen das erfte Bad bereitete,
ſchwamm ein Vierblatt auf dem Waſſer. Man erklärte
fi das Seltfame dadurch, daß die Magd mit dem Eimer
dicht neben einem hochgepadten Wagen von Klee her-
geſchritten fet, die alte Kinderfrau aber geftikulierte
ſehr gebeimnispoll mit den Händen und fagte: „'s tft
fein Glück! Der Klee wird zu des Junkherrleins Schickſal
— alles Gute, aller Segen fommt ihm, wenn der Klee
blüht!“
Altenburg ſchritt zu Lena, verneigte ſich gemeffen
und bot ihr das welke Kräutlein Dar.
„Önädiges Sräulein Haben Den Klee heute abend
als Schmuck getragen?“
Zum erſtenmal traf fie fein DBlid, nicht anders als
in erfiaunter Frage.
„Es war leichtfinnig, das Symbol meines Glückes
ift dadurch well und matt geworden!“
„Haben Eie das Dierblatt perjönlich gefunden?“
„Obne es zu ſuchen — ja.“
„So hätten Sie eg verjchenten müffen! Nur dann, jo
behauptet der Aberglauben, bringt es tatſächlich Glück.“
130
Lena wollte den Klee zurüdnehmen;. er zerriß, und
‘zwei Blättchen blieben in ihrer, zwei in Altenburgs Hand.
I —“ |
„Ah
Sie ſah lächelnd zu ihm auf. „Ich habe unfreiwillig
geteilt; behalten Sie Ihre Hälfte, dann bringt dieſes
ſpäte Geſchenk vielleicht uns beiden noch Glück!“
Er verneigte ſich dankend, nahm feine Brieftaſche und
legte die beiden Blättchen hinein. SEruſt, voll kühler
Höflichkeit. Dann tanzte er mit ihr. Nur wenige Schritte,
die Muſik brach ab.
And als er ſich verabſchiedete, lagen feine dunkeln
Wimpern wieder ebenſo tief über den Augen wie zuvor.
Daniel Sobolefskoi hatte keinen Blick von der kleinen
Szene verwandt. Eine wunderſame Veränderung war
mit ihm vorgegangen. Sein Atem ging keuchend, alle
Dämone wilder, grauſamer Leidenſchaft, die ſeit langen
Jahren geſchlummert hatten, ſpiegelten ſich in ſeinem
glühenden Auge.
„Das Kleeblatt liegt auf ſeiner Bruſt,“ murmelte er
mit zitternden Lippen, „gibt's freiwillig nicht wieder —
holen muß ich's — womit? — nur eine Kugel findet
den Weg —“ |
Ein Kleeblatt! Gedachte Sobolefskoi fonft daran, Jo
ſah er’s im G©eift in feiner Wutter Hand liegen, in
diefem Augenblid aber waren es nur die grellen, blutig-
roten Slammen, die er ſchaute, und die fchlugen über
ihm zufammen und verfchlangen das Slüd.
Dreizehntes Kapitel
Nah dem Mittageffen in der Groß⸗Wolkwitzer Speije-
halle hatte Herr von Kuffitein nad) feinem riejigen
Etrohhut gegriffen und mit einem Heinen Nafenftüber
feine &inzige aufgefordert: „Du, Fröſchchen, ich habe
den Jagdwagen anſpannen lajjen, fährjte mit zur
Dreſchmaſchine auf das Vorwerk hinaus?“
9* | 131
„Ra, natürlih! Sol ich auch die Flinte mitnehmen?“
„Kannfie machen! Bielleicht begegnen wir einem Bolt
Rebhühner, dann magfte mal in die Luft niefen und
den Herrn Oberft ein kleines Frühſtück 'runterholen!“
And Urfula Hatte fröhlih: „Sins, zwei, Drei, an
der Bank vorbeil“ gepfiffen und war die Treppe hinauf»
gepoltert, fih kriegsmäßig auszurüften. Die andern
Herrſchaften zogen ſich in ihre Zimmer zurüd, und nur
Straf Lohe hatte um die Grlaubnis gebeten, noch ein
paar Augenblide der Stau Daronin auf dem Ballon
Geſellſchaft Ieiften zu dürfen.
Stau von Kuffftein geftattete es in ihrer Tiebens-
würdigen und vornehm gediegenen Weife und hatte auf-
richtige Steude daran, mit dem jungen Offizier über Die
Thönen, lang vergangenen Zeiten zu plaudern, Da e$ ihr
gur Gewohnheit geworden war, zu jagen: „Wir am Hof
— oder wir im Palats — — |“
„Es ift feltfam, wie das Schidfal oft die grellften
©egenfäge zufammenmwürfelt!* fuhr fie mit traurigem
Lächeln fort, „man nannte mid als Hofdame mit dem
ſcherzenden Beinamen: Ric-a-Ric! weil id} e8 fehr genau
nahm mit allen Sormen und peinlidh ftreng auf jede
Gtifette bielt! Und gerade ih bin die ©attin eines
Mannes geworden, der nichts weniger als Rigorift ift,
und die Mutter eines Lleinen Bubenmädels, das jeglich
guter Form und Eitte Hohn fpricht! Seftern nacht habe
ih Julius fo fehr gebeten, zurückzufahren und den
lieben Böſewicht mit energiſcher Strafpredigt heimzu-
bolen, aber er behauptete, viel zu müde zu fein, und
fagte: ‚Laß fie nur die Suppe, Die fie ſich eingebrodt hat,
auslöffeln! Morgen früh werde ich ihr mal fefte auf
die Perüde fteigen!'“
„Gnädige Frau find zu leidend, um Fräulein Urjula
mehr in Ihrer Umgebung zu bejchäftigen?“
„Ich bin jeit Jahren bon einem nerböjen Kopf
ſchmerz geplagt, der mich zu einer willenlofen und
apathiſchen Frau madt. Urſula würde verzweifeln,
wenn ihre Lebhaftigleit in die Feſſeln einer Kranfen-
132
ftube gefchlagen werden follte, und wenn id} mit viel
Aufopferung und Qual aud) wirklich den Meißel anlegen
wollte, jo würde Das Deijpiel meines Mannes gleich
dem SKeulenfchlag wieder zerftören, was ich mit faurer
Mühe erreicht.“
Graf Lohe ftrich fein blondes Bärtchen und fah einen
Moment auf die Spite feines Ladjtiefels nieder. „War⸗
um entſchloſſen ſich gnädigfte Frau nicht dazu, Fräulein
Tochter in Penfion zu [hiden?“
Stau von Kuffftein machte eine Meine ©efte mit der
Hand. „Wo denken Eie hin! Mein Mann hätte Haus
und Hof im Stich gelafjen und ſich fofort in allernächſter
Nachbarſchaft der Penſion einlogiert. Den Wirrwarr,
den er alsdann angerichtet hätte, möchte id} felbft meinen
bitterften Feinden nicht wünjchen! Ich weiß mir wirklich
feinen Rat, wie das DBerjäumte in Urſulas Graiehung
nachzuholen fein könnte.“
„Fräulein Urſula iſt die liebenswerteſte und reizendſte
junge Dame, der ich je im Leben begegnete, und wenn
die Heinen Schlacken des Abermuts und der oft ver-
legenden Form von dem Golde abgeſchmolzen würden,
fo gäbe es in der Tat fein begehrenswerteres Wefen
als juft fie. Onädige Frau werden dieſe Außerung gewiß
anmaßend finden —“
„Nicht im mindeſten, mein lieber Graf! Wer es gut
mit Urfula meint, muß ihr Wefen tadeln!“
„Das würde id) niemals wagen, Frau DBaronin, aber
ih Habe in aufriditigem Intereſſe darüber nachgedacht,
wiewohl das lieblichfte aller Wunder vollbracht werden
tünntel Und da fam mir eine Idee —“
„Sprechen Ste aus! ih bitte Sie Darum!“
„Fräulein Urfula bedarf feiner Erziehung nah Regeln
oder wörtliche Belehrung, Jondern eines viel einfacheren,
meiner Anficht nach unfehlbaren Mittels! Sinen Winter
lang SHofluft atmen! Ginen einzigen Winter lang die
ftrenge Schule des Parketts durchmachen, ſich an Den
Dornen und Neſſeln, die darauf wuchern, jo lange Hände
133
und Süße brennen, bis fie gelernt bat, fih nad) Vor⸗
Ihrift zu bewegen!“
„Mon Dieu, befter Srafl Urfula am Hofl Der Gedanke
berurfaht mir Nervenjchütteln! Wie könnten wir eg
jemals wagen, einen fo unerzogenen kleinen Zunichtgut
unter die Augen der Höchſten zu ftellen!“
Der SErbherr von Illfingen drehte mechaniſch den
Stiel des goldenen Moffalöffelhens, das auf feiner
KRaffeetaffe lag: „Ich Bin feft überzeugt, meine gnädigſte
Stau, daß dieſe höchſten Augen felber niemals eine
Angebörigfeit an Fräulein Urſula ſehen werden, dazu
find die Säle des Palaftes zu überfüllt, und dann wird
gerade das Spießrutenlaufen durch diefe Menfchenflut
der jungen Seele am beſten zeigen, welch ‘ein unbe»
beutendes Tröpfchen fie in ſolchem Meer gewichtiger
Berfönlichkeiten tft!“
„Die Palaftdame der Königin-Mutter, Gräfin Ferdi»
nand Antigna, ift meine ältefte und vertrautefte Freundin
am Hof, und ich müßte Urfula jedenfalls unter deren
Schutz Stellen. Dadurch würde jedoch ein intimerer Ver⸗
kehr im Schloß unerläßli werden, und ich fürchte,
daß die arme Renee fi übeln Dank für ihre Güte er-
werben möchte!“
„Oräfin Antigna?* Lohe rief es faft jubelnd: „Das
ift ja ſcharmant, meine gnädigfte Frau! Keine pafjendere
Pflegemama könnte für Ihr Sräulein Tochter gefunden
werden, feine feftere und ficherere Hand das Steuer
ihres Lebensfchiffleins Ienken! Um fo beifer, wenn Sräu-
lein Urſula ©elegenheit bat, in den engeren Hofkreis
zu treten! Kein entzüdenderes und aneifernderes Vor⸗
bild Tann ihr gezeigt werden, als Prinzefjin Cordelia,
diefer Inbegriff aller geiftpollen Zartheit, Liebens⸗
würdigfeit und Anmut! Ich bin, der feften Überzeugung,
daß fih Königliche Hoheit auf das wärmfte für den
Heinen Abermut aus Groß⸗Wolkwitz intereſſieren wird,
daß ein einziger mißbilligender DBlid der Prinzeſſin
mehr Erfolg hat als alle Srmahnungen und Straf»
predigten, die Fräulein Urfula je erhielt!“
134
„Gine einzige Baltlofigfeit meiner Tochter würde ben
Verkehr mit ihr fofort abbrechen!“ feufzte Frau pon Kuff-
ftein und verfchlang die weißen Hände wie in troftlofer
Aberzeugung.
„Ich babe die Brinzefjin mit fo viel huldvoller Nach⸗
fiht im Kreife junger Damen verkehren fehen, daß ich
Diefe Befürchtung nicht im mindeften teile. Außerdem —“
Graf Lohe fentte in lächelnder DBeicheidenheit den hüb⸗
hen Kopf, „glaube ih ein Hein wenig Ginfluß in
den betreffenden Sefellfchaftstreifen zu haben und gebe
gnädigfter Grau das fefte Berfprechen, die Wege nad)
Kräften für Fräulein Tochter ebnen zu wollen! Es wird
alles vortreffli geben, und ein paar Zeilen Ihrer
Hand an Gräfin Antigna genügen, unferm Plan das
Sundament zu bauen!“
Stau von Kuffftein nagte einen Moment ratlos an
der fchmalen, blaßfarbenen Lippe, Dann bob fie plöglich
entſchloſſen den Kopf, reichte dem jungen Offizier herz"
lih die Hand und lächelte: „Sch Dante Ihnen, verehr-
tefter Graf! Ich bin bereit, das Komplott mit Ihnen
zu ſchmieden und werde noch heute an Rense fchreiben!“
Straf Lohe neigte ſich voll aufrichtiger Freude und
füßte in feiner befannten graziöfen Weife die darge»
reihte Rechte der Baronin.
Währenddeffen war der leichte Jagdwagen mit dem
Gutsherrn von Sroß-Wolfwig und feinem Töchterchen
durch die fonnige Herbitlandichaft gerollt. AUrfula Hatte
die Füßchen auf den gegenüberliegenden Wagenfit ge»
ftredt und den runden Jungenhut von gelbem Stroh mit
braunem Band weit in den Naden zurüdgefchoben. Die
Unterhaltung wurde mehr bebaglih als eifrig geführt,
oft durch eine landwirtfchaftlide Betrachtung unter-
brochen.
„Na ſag' mal, Fröſchchen, es iſt wohl ganz nett, fo
ein bißchen Sinquartierung zu baben?“
„Hm — TNamentli heute morgen, wie wir dem
135
Sefecht zufaben! Donner jal Da Hätte ich gleich mit»
tun mögen!“
„Sezappelt haſte auch genug. Und dann unfer Früh—
ftüdstorbl Wie das ganze einige PDeutjchland unfern
Wagen ftürmte und die Portiweinflafhen am Halſe
triegtel... Haba... weißte, Urfchel-PBurfchel, was ich
da beobachtet habe?“
„a, was denn?“
„Dem Lohe Hafte mindeftens dreimal fo oft einge»
ſchenkt und mit ihm angeftoßen, wie mit den andern!“
Herr von Kuffftein machte ein ganz verjchmittes Geſicht
und Iniff fein ‚Neftjolo‘ in das Ohrläppchen.
Arfula dehnte lachend die Arme. „Weil er der Aller-
nettfte von allen tjt!“
„Daß du die Motten Triegft!... Willft'n beiraten?“
Das DBadfifchchen blies die Baden auf. „Ach ja!“
„Au in Öottes Namen, mir foll’s recht fein. Aber
acht Jahre wird noch gewartet.“
„sh will dir mal was fagen, Sulden!“ Yrfula
rüdte näher und lehnte fich vertraulid; an Den Arm des
alten Herrn: „Sp ein Wort im Pertrauen. Wie der
Menſch jet ift, Tann ich ihn abfolut noch nicht brauchen!
Weißt du... ich finde ihn fo hübſch, fo nett und lieb...
daß ich ihm gleid) um den Hals fallen möchtel Aber
eins gefällt mir gar nicht an ihm, er iſt ein folcher
Zierbengel und tut fo furchtbar zimperlich, Daß mir mand)-
mal ganz elend wird! Das müffen wir ihm erft noch
abgewöhnen, nit wahr, Julchen?“
„Ra natürlich, mein Schlingelchen! Siehſte, das Hatte
ich doch auch gleich weg, Daß der Kerl zu affig für ung
war! Aber fonft ein ganz famofer Junge; wenn er erit
glüdlid das Glacéleder vom Leibe runter bat, fann
er ganz vernünftig fein! Hm, abgewöhnen!... So 'ne
Marotte fit meift Höllifch fefte. Aber wart’! Ich wüßte
Thon ein Mittel, wie man dem Wosjö etwas auf Die
Belle rüden fünnte; der müßte man fo ein Jahr lang
SHofluft atmen, verftehfte, Arfchel-Burjchel, ſolch 'ne
Hofluft meine ich, die Hier bei ung über den Okonomiehof
136
weht! So eine echte rechte Hofluft, die friſch und Träftig
über alles daberfommt und in ihrer ganzen jchönen
Natürlichleit die Menfchenfeele anbläft! Die würde ihm
bald von den Faxen und dem Schnickſchnack kuriert
haben! Mal feite arbeiten, mit Menfchen verkehren,
an deren Stammbaum höchſtens Erdäppel wachſen, und
eine Kirmeß ftatt Hofball, das würde das Richtige
für den Sunter fein!“
„Und Fannft du ihn dann mal fo ein bißchen kurz
nehmen, ja?“ jubelte Arfula mit dunfelrotem Kopf.
Herr von Kuffftein fchaute mit nachdenklichem Srinjen
geradeaus. „Referendar oder Aſſeſſor ift er im ge»
wöhnliden Leben... Ja, jal... ob, ih wüßte fchon,
bie man’s anfangen Tönnte... babe an betreffenden
Stelle, wo man's erwirten müßte, ein paar Freunde
figen!... Haha... wag meinfte, Arſchel⸗Purſchel, wenn
der Herr Graf plöglich ein Amtsrichter⸗- oder Landrat»
pöftchen in irgend ſolch gottvergefjenem Hedenneft bekäm,
wo ji) die Hafen und. Füchſe ‚Sute Nacht‘ jagen?“
„Famos! famos! hier in Daffewinkel! PBapa, er muß
nah Daſſewinkel!“
Urſula faßte ihren DBater an beiden Armen und
Thüttelte ihn por Entzücken dergeftalt, daß die Ahrkette
mit den Diden Berlockes ein angejumes Dallett ‘auf
feinem Magen tanzten.
„Wird gemacht, wird gemacht!“ lachte Herr von Kuff⸗
ſtein. „Biſt mit im Komplott, Fröſchchen, dem feinen
Gräfchen eine Arzenei einzurühren! Haha, er ſoll Mores
gelehrt kriegen, und wenn ihm unſre Hofluft alle Flauſen
hinter den gebrannten Löckchen weggefegt hat, dann...
na, Urſchel⸗Purſchel, wie ſchon geſagt, ich hab' abſolut
nichts Dagegen!“
Da nahm das Backfiſchchen in wortloſer Rührung
und Anerkennung den Sprecher bei beiden Ohren, 309
fein maffives Haupt näber heran und gab ihm einen
mächtigen Kuß mitten auf die kurze rote Stumpfnafe.
137
Am Morgen nad) dem Tanzfeſt waren die Offiziere
ſehr frühzeitig nach ihren Quartieren in den naheliegen-
den Ortfchaften zurüdgeritten.
Man war fehr überrafcht gewefen, an der Seite des
Hausherren auch den Fürften Sobolefstoi auf der Alt
Doberner Serraffe beim Frühſtück anwefend zu feben,
um fo mehr, da er am vergangenen Abend fo Teidend
gewefen und auch jeßt, im hellen Sonnenlicht, er»
fhredend Blei und elend ausfah.
&r war auch einfilfig und von beinahe finfterem
Srnft, und erft als Freiherr von Altenburg in dem
Kreis der Kameraden erfchien, belebten ſich Die tief»
Itegenden Augen in dem Antlih des Ruſſen. Sr trat zu
dem jungen Offizier heran und nahm auch an feiner
Seite Platz, als man fih zu dem Träftigen Imbiß
niederfeßte.
Altenburg begriff nicht recht, warum der Fürft fo
viele Fragen an ihn richtete, die durchaus nicht
Das Gepräge der übliden Phrafen an fi trugen.
Bon feiner Heimat, feinen Angehörigen und feinen
Dienftverhältniffen follte er erzählen, und wenn er den
feltfamen Inquifitor ftatt aller Antwort nur mit feinen
ftolgen leuchtenden Augen vom Scheitel bis zur Zehe
mufterte, fo ſchien das durchaus feinen Sindrud zu
machen. Mit zäher DBebharrlichkeit hielt der Fürft an
dem einmal angeregten Thema feft, und da fich in feinen
düftern und doch fo unausfpredlih traurigen Augen
weder Neugierde noch Indiskretion ausprägte. und Der
junge Offizier feine Urſache Hatte, aus feinen Angele»
genheiten ein Geheimnis zu machen, fo antwortete ihm
Altenburg Tnapp und zurüdhaltend, aber ehrlich.
Daniel erfuhr in kurzen Worten, was er wiſſen wollte:
daß der Freiherr als drittgeborener Sohn und Bruder
vieler Schweftern nicht viel mehr fein eigen nannte
als den Degen, mit dem er dem DBaterland diente, daß
er fernab von der Refidenz in Heiner Garniſon ftand
und vorläufig mit keinem Gedanken daran Fi: zu
beiraten. oo. W ar
138
Als er nach Beendigtem Frühftüd zu Pferd geftiogen
war, Hatte Sobolefskoi die fchlanfe, ritterlihe Srjchei-
nung mit langem DBlid umfaßt — und dann war er noch
einmal neben den ©oldfuchg getreten und hatte die Hand
emporgereidht. |
„Leben Sie wohl, Herr von Altenburg! Da Sie fo
weit ab von ber bunten Welt, von dem Pflafter der
Metropole und aller Hofluft wohnen, werden wir uns
Ihwerli im Leben wiederfehen! Oder ift eine Möglich"
feit vorhanden, daß fich unfre Wege noch einmal in
Der Refidenz kreuzen?“ Ss ging plößlich ein wunder-
fames Aufglühen dur des Fürften Auge, und der
Offizier richtete fi im Sattel empor und antwortete
mit kühler Höflichkeit: „Was wäre in unfrer modernen
Zeit noch unmöglid, Durchlaucht! Die Slüdsgöttin tft
ein launiſch Weib, vielleicht findet fie Sefallen daran,
blind in eine Schadtel voll Soldaten Hineinzugreifen
und juft mich zu Gunſt und Heil herauszuholen! Möglich
iſt's wohl — aber... mir geht's wie dem Fauſt —
der Glaube daran fehlt!“ And Altenburg griff falutierend
an die Müße, zudte leicht die Zügel und fprengte den
porausreitenden Kameraden nach. Sein DBlid flog nicht
wie der aller andern Herren die Senfter der Schloßfront
ab, aber Daniel bob fchnell das Haupt und fah nad)
den verbüllten Scheiben des Grkerzimmers empor. Täuſchte
er ſich? Der feine Spitzenvorhang ſchien ganz letje zu
zittern.
‚Der mißgeftaltete Mann atmete tief auf und wandte
ſich fchnell zur Seite. Sein DBlid folgte aufbligend wie
in graufamem Triumph den Wagen und Reitern. Staub»
wolken büllten fie ein.
„Für ewige Zeit gefchieden! Seine Spur wird auf
dem Irrweg des Lebens verloren fein, wie die Fuß⸗
ftapfen bier im Sand verwifht und verweht werden,
und das SKleeblatt wird auf der Bruft des Treibern
von Altenburg welt und vergeffen fein, Damit die Blume
des Slüds noch einmal ihr tränenfeudhtes Haupt am
Lebensbaum des Schmerzensrei heben Tann! Geſchie⸗
139
den für ewige Zeit!“ — Staubwolken deden fein Bild,
über dieje aber hebt ſich heller denn je die Sonne in
Sobolefskois enger Welt.
Langfam, wie ein Kranker, den nad qualvollen Stun⸗
den eine ſüße, erlöſende Müdigkeit überkommt, ſtieg
der Fürſt die Treppe zu ſeinen Gemächern empor, ſank
nieder in die Kiſſen und ſchloß tief aufſeufzend die
Augen. Nun konnte er ruhig ſchlafen, feſt und unbe»
ſorgt, Wetter und Sturm ſind vorübergezogen, und am
blauen Himmel kreiſt kein Falk mehr über ſeiner
weißen Taube.
Vierzehntes Kapitel
Herrn von Flankens Burſche, der brave Garde⸗Ulan
Niekchen‘, fang luſtig vor fi Hin und ſpuckte Dazu
auf die Stiefeln, die er bürftete, und jchielte nad) der
Geſindeköchin Hanne Hinüber, die einen wahren Mordg-
jpeftafel am Herd vollführte. Sie hantierte in geradezu
erſchrecklicher Weiſe mit dem eifernen Feuerhaken zwi-
Then den Waſſerkeſſeln und Kochtöpfen herum. Ge—
fproden wurde gar nichts, denn auf dem Henkel der
riefigen Kaffeefanne, die bereits dDampfend und duftend
auf dem Tiſch ftand, ſaß Amor, der ©algenftrid, und
ftemmte die Säuftchen in die Seiten und lachte ſich halb
frant über die brillante ‚Doublette‘, die er bier ſchwer—
krank geſchoſſen Hatte.
Dem Niekchen war der Pfeil allerdings mehr ſeit⸗
lich in den Magen gegangen und Hatte das Herz nur
jo en passant etwas angefragt; aber Hanne hatte die
mörderifhe Waffe mitten im Herzen drin fteden und
war bereits in das Tagebuch des Schützen unter Der
Rubrik ‚unbeilbar‘ eingetragen.
And Amorchen, der während Manöver und Ein⸗
quartierung nun einmal beſonders gern ſein Weſen treibt
140
und dabei oft mehr Munition verſchießt als Die ge-
famte Garde⸗Artillerie, hielt es für feine Pflicht, immer
weiteres Terrain zu relognofzieren.
Straf Lohe ftand vor Fräulein Urfula und verab»
ſchiedete ſich. Obwohl er ganz genau mußte, Daß es
ein Verſtoß gegen die ftrenge Sitte ift, die Hand einer
Dame länger umfhloffen zu halten als es der knappe
Gruß erfordert, Hielt er die Heinen Fingerchen dennoch
während der ganzen Dauer feiner langen Rede feit,
und dabei ſah er gar nicht traurig aus wie einer, Der
ſcheiden muß, jfondern wie einer, der nur an das Wieder»
jeben denkt!
Urſula aber war fo weich geftimmt wie nie zuvor
in ihrem Leben, und das ärgerte fie, und darum wollte
fie ihre Rührung hinter viel Ausgelafjenheit verfteden.
Der arme ‚Herr Poltor‘ Hatte ſchwer darunter zu leiden,
wurde gezwidt und gezwadt, ehe er ſich's verjah, —
und außerdem in fäljchlidhfter Weile bejchuldigt: er
wolle vom Grafen Lohe ein Küßchen Haben! So bes
hauptete plöglih Fräulein Urſel und fahte den Mops
mit eijernem Griff um das dicke Bäucheldden, ihn mit
energifher Nötigung dem jungen Dffizier entgegenzu-
reichen. Bei ſolchen Wien war der arme Doltor jedes-
mal der DBlamierte, Urſula quetichte ihn und der Graf
verſetzte ihm einen Nafenjtüber, und beide machten die
Unſchuld zum Dpfer ihrer Abjchiedsjentimentalitäten.
Während fich der ‚Doktorjo‘ voll Indignation fo ſchnell
wie möglich auf feinen Stumpfbeindhen zurückzog und
Straf Lohe dem Hausherren noch etlihe Dankesworte
ftammelte, war Fräulein von Kuffftein neben ihm ver-
ſchwunden.
Sie kehrte auch nicht zurück, und der junge Offizier
fragte und rief vergebens nach ihr. Was ſollte das
heißen? Wollte ſie ihm kein Lebewohl nachwinken?
Dar es ihr ganz gleichgültig, ob ſich Mark⸗Wolffrath
aufs Pferd ſchwang, für ewige Zeiten vielleicht von ihr
au fcheiden?
Der GErbherr von Fllfingen zog die Brauen zuſammen
141
und pußte ben Kneifer fehr blank, um die Fenſter der
Schloßfront noch einmal überbliden zu können.
Niemand zu erfpähen. Nur Kammerjungfer und
Stubenmädchen Bielten im ©iebelfeniter die Sadtüchlein
bereit.
„Muß i denn, muß i Denn, zum Städle hinaus!“
intonierte die Muſik. Frau von Kuffftein trat zu freu»
Diger Aberrafchung der Offiziere auf den Ballon und.
winkte den Abreitenden noch einen freundlich-vornehmen
Sruß nad). Ihr Satte ftand oben auf der Freitreppe
und ſchwenkte eine der Madeiraflaſchen vom Frühftüdg«-
tifch, und der Herr Doktor ſaß mit griesgrämigem Geſicht
Daneben im Schatten. Bon Urfula keine Spur zu ent⸗
deden. |
Straf Lohe war fehr mißgeftimmt, er ritt langjam
- als Iegter aus dem Schloßhof und wandte den Kopf
ſpahend nad) reits und links.
And wieder ging es an der ©artenmauer vorbei,
wo er zum erjtenmal, voll fittlider Smtrüftung, Die
Einzige jeines Gaſtgebers geſehen hatte.
Unwilllürlih hob der junge Offizier den Dlid, ihm
voll düftern Zorns längs der Mauer entlang zu [hiden,
um zu jeben, ob der Lleine, treuloje Wildfang vielleicht
bis zur Dorfſtraße, dem Rendezvous des Regiments,
porausgelaufen jei.
Da rauſcht es über ihm in den Zweigen, und ebe
er ſich's verſah, wirbelte ihm ein Regen duftiger Blüten
ins ©eficht, und wie er jählings die Zügel anzog und
zur Seite ſah, da ftand Urſula zwiſchen dem blühenden
Selängerjelieber und dem dunklen Lindengrün Hinter
der Parkmauer, reizgender denn je, im weißen Kleid, mit
einem Rofenktranz über dem lachenden Sefihtehen.
And fie nidt ihm jubelnd zu, faßt Den Kranz und
nimmt ihn fchnell aus dem Haar, ihn hinabzuwerfen.
Das Blut ſchießt dem entzüdten Sarde-Mlan in Das
Geſicht; er Tann nit an die Mauer beranteiten, weil
ein Sraben ſich dazwiſchen drängt, aber er reißt den
142
Eäbel aus der Scheide, den wonnigften aller Kränge
aufzufangen.
Wunderlich ſchwer Fällt er über Die Klinge auf feinen
Arm, aber Lohe bat nur Einn und Augen für Das
reizende Bild, das ich jet Jo ganz anders zum Ab⸗
ſchied als zum Empfang zeigt!
Wie ſie lacht und die Arme nach ihm ausbreitet,
wie anmutig und graziös ſie droben in den Zweigen
ſteht! Ihre ganze Art und Weiſe iſt ſo allerliebſt, und
Lohes Herz ſchwillt in dem Gedanken, daß die Hofluft
keine ſchwere Arbeit haben wird, daß dieſer Augenblick
der Anfang einer großen Wandlung in Urfulas Charakter
if. Und er preßt den Kranz ritterli ans Herz und
fendet der jungen Dame fo lange wie möglich mit feinem
parfümierten Taſchentuch die graziöfeften Grüße zurüd.
And als das Bild an der Sartenmauer feinem DBlid
entihwunden, Da freut fi der Erbe von Illfingen —
denn eitel find wir! — auf die Augen der Herren
Kameraden, wenn fie ihn plötzlich fo herrlich dekoriert
fehen. &r will eine Roje aus dem Kranz ziehen und
fie an die DBruft fteden, das Kränzlein felber ſoll fich
ftol3 und triumphierend an feinem Arm fchaufeln, bis
es einer der Dienftbaren Geiſter in Smpfang nehmen
fann, e8 im Koffer zu bergen. |
Juſt in diefem Augenblid fchauen ji” DBornig und
Slanten nad) dem Berbleib des Kameraden um.
„Bo Million... ein Rofenfranz! von wem?“ Lohe
lächelt wahrhaft kaiſerlich und zudt diskret Die Achſeln.
Seine Finger zupfen au einer der Blüten.
„Was ift denn das? Die Sache fieht ja auf Der
Rüdfeite fo komiſch aus!“ knurrte Flanken und beugt
fi mit vorgeftredtem Hals näher.
„Wo, inwiefern?“ Und Lohe wendet das Dlüten-
gewinde um. An einer Stelle hat fih das dichte Laub
ein wenig verjchoben, ein eigentümlich bellrotes Etwas
ſchimmert daraus berpor.
„Du, das jieht ja frappant aus“ — SFlanken unter-
143
bricht ſich mit ſchallendem Gelächter — „tie eine
Schladwurft!*
Ja, wie eine Schladwurft. Entgeiftert, gleich einem
Bild von Stein, fit Lohe im Sattel und jtarrt auf Die
Ihönen poetifchen Roſen, die — um eine Schladiwurft
gewunden find! Dann lat er ebenfalls, aber etwas
verlegen, nimmt den Kranz und mirft ihn ſeitlich
auf den SKartoff-Iader. „Kleiner Wi von Fräulein
Yrfula... bat ftı derartige Scherze im Kopfl“ Und
er befichtigt voll Eorge den Urmel, ob er nun womöglid)
mit einem Zettfled an der Uniform zum Dienſt aug-
rüden muß.
Slanten fpringt ab und holt den Kranz zurüd. „DBift
Du denn rein des Teufels, Kleiner? Diefe famofe Schlad«-
wurft wegwerfen? Urfchel-PBurfchel ift ein Patentmädel,
das ift der erfte wirklich gefchmadvolle Kranz, dem ic)
im Leben begegne!l Ab, ein Zettel...“
„Sin Zettel?...zeig’ ber!“ |
„Fürs Seldlager heut abend! SHahahal Brillant,
die Wurft wird abgelodt!* Und Flanken Bing Den
Kranz mit fehr wohlgefälligen Schmunzeln über den
Arm und trabte wohlgemut davon.
Lohe aber klopfte die Handihuhe ab und dachte:
„Man foll nie zu früh jubeln — o SHofluft, ich fürchte,
Du wirft Doch fein leichtes Spiel baben!*
Am Ende der Sartenmauer aber hatten zwei fallen
ſcharfe Augen den Reitern nachgeſchaut und die Heine
Szene beobachtet.
Yrjula ftemmte die rofigen Wangen auf beide Fäuſte
und bielt einen Monolog: „So ein Schafl Würft er
die Schladwurft weg! Das Tommt Dapon, wenn der
Menſch gar feinen Begriff pon etwas Selbſtgeſchlach⸗
tetem bat. Na, warte nur, mein Bürſchchen, Tomme
Du nur erft in die Hofluft von Daſſewinkel, dann wirft.
du deinen Gott ſchon erkennen lernen! Hm... ich fürchte
aber, leihtes Spiel hat fie nicht mit thmI!“
144
Als an dem nämliden Abend die Biwakfeuer auf
der Heide leuchteten und ein Fühler Nordoftwind recht
unböflih die Wollen vor den Mond tried, da wurde
unter großem Jubel der Offiziere der Groß-Wolkwitzer
Schlackwurſt der Garaus gemadt, und die welken Rofen-
blätter in pietätooller Huldigung für Fräulein von Kuff⸗
ftein auf die von Flanken neu erfundene und höchſt
taffinierte Alebowle geftreut. Man ließ das DBadfifch-
chen zum öfteren hochleben, und Lohe, der anfänglidy nur
[pröde an feinem Glas genippt Hatte, aus Oppoſition
gegen die Schladiwurftmalice, wurde fo lange und fo
beharrlich von feinem riefenhaften Freund animiert, big
er ſchließlich auf Urfulas Wohl dem Becher jedesmal
ttef auf den Grund fah.
EGs ſchien Flanken ganz augenfheinlih, daß Wark⸗
Wolffrath Feuer gefangen hatte, und weil Flanken eine
ſehr weiche teilnehmende Seele war, ſo füllte er dem
Reſerveleutnant ſtets die doppelte Portion Roſenblätter
ins Glas und beobachtete mit wahrhaft väterlichem
Intereffe, wie diefe Mifhung von Ale und Lyrik die
junge Seele begeiftern, wie Lohes Auge nun Die
ganze Welt in Rofenfchimmer erbliden werde, wenn’s
auch fo dunkle fühle Nacht iſt.
And die Augen des Grafen wurden au tatſächlich
immer größer und träumerifcher und Hafteten in ftarrem”
Blid an der Himmelsgegend, da Groß-Woltwig lag,
und als die Muſik in ihrer feterlih [hönen Weife zum
Abendgebet gerufen Hatte, als es ftill wurde um die
nifternden Feuer der Mannfchaft, da drüdte er die Hand
Des Freundes, trank noch einmal aus und zog ſich nach
dem Zelt zurück.
Man kannte das an ihm. Der ungewohnte Dienſt
ſtrengte den verwöhnten Menſchen außerordentlich an
und machte ihn früher das alle andern Herren zum
müden, teilnahmloſen Mitglied ihres Kreiſes.
Heut aber ſchien es Flanken, als habe ſich Lohe
nur darum zurückgezogen, um ungeſtört feinen GOedanken
nachhängen zu können. Ob, daß fie ewig grünen bliebe,
10 Eſqhſtruth, Hofluft 145
die fchöne Zeit Der jungen Liebel dachte er mit be—
haglichem Schmunzeln, und doch erfchten ihm der Gedanfe
ganz unfaßlih, daß ein grofer vernünftiger Mann jich
nun solo dahinſetzt und [hwärmerifch zum Himmel feufzt!
Rein, das brädte Flanken niemals fertigl &r bleibt
ftetS der nüchterne phlegmatifhe Menſch, Den die Liebe
niemals aus dem Öleihgewicht bringen wird, der ſich
niemals um der Liebe willen irgendeine Unbequemlich-
teit auferlegt. Lächerlich! Sreilich, jüngitbin — auf dem
Alt»Doberner Feſt — die Heine Dern-Sroppen? War
ihm das Glfenprinzeßchen Solante mit den wunder-
Heinen Händen und Füßchen nicht immer wieder einge-
fallen, wenn eine Libelle über die Grika fchwebte, wenn
ein Rehchen flüchtig über die Waldfchneife zog, wenn
jih ein Blumenglöckchen graziös im Wind bog? Gr
hatte am nächſten Morgen zum erjtenmal im Leben
Ihlecht geritten. Unfinn, jeßt lachte er darüber fein
altes bebagliches Laden. — Ganz gewiß, ihn wird die
Liebe niemals ans Sängelband nehmen, aber der Mark⸗
Wolffrath, der ift Schon von Natur ein fo zartbejaiteter
Menſch, daß er imftand wäre, Liebeslieder zu Dichten!
Die Leine braune Here bat es ihm angetan; weil
die Gegenſätze gar zu groß waren, verliebten fie ſich aus
lauter Geindfeligfeit ineinander. Armer Lohe, er fibt
gewiß in fchlaflofer Sehnſucht und preßt jedes einzelne
der übriggebliebenen Rofenblätter in feinem Porte—
feuille]
Slanken erhob ſich Eopfichüttelnd und wuchtete auf
feinen fchweren Reiterftiefeln nach Dem Offizierszelt.
Er wollte mal heimlich nachſehen, wie die Aktien ftünden,
und ein bißchen zur Vernunft reden.
Nielchen trollte mit einem Heinen Handloffer an ihm
porüber.
„La, was iſt Denn Ios, Niekchen? Was Haft da?“
„38 ſik Kuffer feinigtes von Herrn Graf.“
„Was foll damit?“ |
„Hab it müſſen helfen bedienen Herrn Straf... find
ſik drinn Sporen zu pußen!“
146
„ut; vorüber, mein Sohn.“ |
Flanken lachte leife vor fih bin. Er war es ſchon
gewohnt, daß Lohe mit feinen dienftbaren Geiftern nie-
mals ausreichte und mit Vorliebe noch den brapen Niek—
hen um feine Perſon bejchäftigte. In Gottes Namen!
Flanken bedurfte feiner um jo ieniger.
Der Wind ftrih empfindlidy fühl vom nahen Wald
berüber, raſchelte im Stroh und blies in die grell auf-
Iodernden Wachtfeuer. Einzelne Regentropfen begannen
zu fallen, und der Mond verftedte ſich vollends Hinter
dunflem Gewölk. Das GSegeltuh des Zeltes raufchte
und ſchwankte im ftarfen Luftzug, die Stangen fnarrten,
und das Fähnchen auf dem Knauf klatſchte eine eifrige
Melodie.
Slanten jtedte vorfichtig den Kopf durd Die Riße
des Türvorhangs. An einem Strid hing eine Stall»
laterne in der Mitte des Zeltes nieder und leuchtete
ihm. Seitlih auf einer Schütte Stroh lag der Erb»
herr von Sllfingen, ein feidenes Daunenkiſſen unter
dem Kopf und eine prächtige fellartige Reifedede über
die Knie gefchlagen. Seine Haare tvaren in ſcharf ge-
brannten Wellen feſt an den Kopf gelegt, fein Antlitz
von dem verräterifchen Slanz des Gold-creams über-
haucht und die Hände forglid” mit Handſchuhen bededt.
Er ſchlief tief und feit Den Schlaf des Gerechten.
Ein wunderlihes Zuden und Arbeiten ging dur)
Slanfens Geſicht, ähnlid einem, der fi} das Tiefen
verfneifen will. Der Wind blies neben ihm durch den
Vorhang und faufte juft in diefem Augenblid jo heftig
. über das DBradland, daß Das Zelt in allen Leinwand»
näbten ächate.
Lohe warf indigniert den Kopf herum, Tchlaftrunfen
feufzte er tief auf. „Sohn... Nielchen... madt doch
Das Fenſter gu — eg zieht!“ lifpelte er, ſelbſt im Schlafe
fein und vornehm.
Flanken zog ſchleunigſt den Kopf zurück und pruftete
laut auf por Lachen: „Bott fei Lob und Dank, Schlad-
10* 147
wurft und Rofenblätter Itegen ihm nicht allzu ſchwer im
Magen — noch iſt Lohe nicht verloren!“
And dann ging er langfam, gedantenpoll nad) dem
Seuer zurüd, das jetzt den Waſſerkeſſel für einen kräf⸗
tigen Schlummerpunfdh erhißte.
„Seltfam,“ dachte er, „wat dem enen fin Al is,
iS dem annern fin Nachtigall! Der kräftige Wind, der
einem bier um die Ohren bläft und mich erquidt und
erfrifcht und mein Lebenselement ift, den ſperrt Marl»
Wolffrath entrüftet durch Segeltuh und Wandſchirm
bon ſich ab, und jene fatale Hofluft, die atmet ıer voll
Wonne und Genuß! Und doch find wir beide, obwohl
jeder von ung in einer Luft ſchwimmt, die ihm zuſagt,
entfchieden in falſchem Fahrwaſſer. Bei uns beiden
berrfcht eine gewiffe Unnatur. Ich liebe gar nidt —
und dag. ift abfolut nicht in der Drdnung, und Lohe
ſchwärmt und liebt beftändig, ohne eine wahre Herzens⸗
neigung zu kennen, und das ift erft recht gegen allen
Komment! Muß eben jeder verfuchen, auf feine eigne
Faſſon felig zu werden. &s ſchlägt für alle das: Stünd«-
lein, wo des Schickſals Fräftiger Odem über Heide und
MWarmorſchwellen fauft und die Kartenhäufer fchöner
Illuſionen wie Spreu über den Haufen bläft!“*
Slanfen dehnte die Arme und atmete tief auf, der
Regen ftäubte ihm in das G©eficht, und der Wind fuchte
vergeblih nach einem Mantel, den er auf ſolch marfiger
DBruft zaufen könne — der hing daheim im Kleider-
ſchrank und fannte die Motten beffer als feinen Herrn.
Der Punſch dampfte noch im SKefjel, und da Die
umfigenden Herren gegen das heraufziehende Wetter
im gelte Schuß fuchten, übernahm es Flanken allein,
mit dem Refte abzurechnen. Das Haupt in die Hand
geftügt, wie eine fagenhafte Redengeftalt der Bor»
zeit, faß er allein neben dem lohenden euer, deffen
Flammen wild aufzudend gegen Wind und Regen
fämpften.
„Aun fi) auf ein Roß werfen! Hinjagen durch diefe
Geiſternacht und mit dem Schwert in der Fauſt Aven⸗
148
tiure ſuchen!“ dachte er, „bas wäre mein Glüdl“ Und
im gleihen Augenblid zog Lohe die Dede fefter um
fih und feufzte fchlaftrunfen: „Srauenvolle Nacht!
Könnte ich jeßt im weichen Teppichgemach, durchduftet
und durhiwärmt, das Haupt an die Knie meiner viel»
wonnefamen Herrin fchmiegen, das wäre mein Olück!“
Lachend ftrih der Wind vorüber. „Menfchenherzen!
Wetterfahnen!“ fpottete er, „Das ©lüd und id, mir
fpielen mit euch beiden!“
Sünfzebntes Kapitel
Der Schnellzug war in die große, überdedte Bahn-
bofshalle der Refidenz eingelaufen. Aug einem Coupé
erfter Klaffe ſchob fich, Dem porbeidrängenden Publikum
in etwas nichtachtender Weiſe die ftattlihe Rückſeite
zuwendend, Herr von Kuffitein und Hletterte, im Diden
Pelz noch fchwerfälliger als fonft, die Zrittbretter zu
dem Bahnſteig herab.
Aufpuftend Stand er ftill und [chaute nach der Wagen-
tür empor. „Na, Urfchel»-Purfchel, mal trapp, Die Karre
geht weiter!“ | |
"Statt aller Antwort faufte eine Reifetafche über die
Holzſchwellen hernieder, der im hohen Bogen eine Hut-
ſchachtel und eine Plaidrolle folgten.
Der alte Herr bog noch rechtzeitig aus und büdte
fich, fo ſchnell e8 feine Korpulenz geftattete.
„Biſte denn verrüdt, Fröſchchen? Du mwirfft ja den
Leuten Löcher in den Kopfl Laß mal fein, der Schaffner
fann uns ja den Krempel ausladen!“
Statt aller Antwort überfchlug ſich ein Zußfad in
der Luft und edte am SZhHlinder eines Herrn an, der
den Kopf eifrig vorgeftredt Hatte, in Das Coupé gu
ſpähen. |
„SHimmeldonnerwetter!l So eine Anverſchämtheit...“
Die wuchtige Hand Kufffteins patſchte ihm auf die
Schulter. „Schimpfen Se doch nicht, alter Freund, es
149
war ja die Urjchel-PBurfhell Ih Habe auch ſchon die
Reiſetaſche auf die Hühneraugen gefrtegt!“
„Mein Herr!“
Sn demjelben Augenblid erſchien das allerliebjte Fi-
gürchen Urſulas in der Tür. Das rojige Geſicht unter
dem Dunklen Pelzbarettchen zeigte in hellem Lachen Die
weißen Zähne und kokettierte mit Den entzüdendjten
Grübchen.
Der junge Herr war plötlich wie umgewandelt. Gr
riß böfli Die bedrohte Kopfbededung pom Haupt und
nabm der jungen Dame galant ein Schirmpalet ab.
„Bardon, meine Onädigfte, befinden fich feine SHerr-
Ihaften weiter im Coupé?“
„ee — keine Laus mehr, geſchweige Menfchen!“
Leifes Auflachen und nochmaliger Blid in das ©e-
jihthen der Sprecherin, und dann eine Derneigung
gegen Bater und Tochter; der Fremde wollte weiter-
eilen.
„Ad, Sie da, junger Mann!“ Kufftein tippte ihm
ſchmunzelnd mit dem Regenfhirm in den Rüden. „Sie
fönnten mir eigentlih eine Profchle ’ranpfeifen...
wir müfjen erft das Sepäd beforgen, und nachher find
die Ratterfaften womöglich vergriffen. Sine erſter Güte
... ſeien Sie fo gut!“
Sefundenlang jtarrte der Fremde den Sprecher an
wie eine Bijion, dann lachte er abermals laut auf, hob
die Hand und winkte einen Diener heran, der ihm gefolgt
war: „Karl, beiorge mal eine Droſchke für diefen Herrn
bier!“ und abermals ein Blid und Gruß für Arjula,
und Der Anbekannte drängte eilig meiter. „Sie find
ein famojer Menih! Tauſend Dankl* Feuchte der Be—
iger pon Groß-Wolkwitz, der ſich juft nad) der Hut-
ſchachtel büdte, und dann faßte er den Bedienten bei
einem feiner Wappentnöpfe und infiruierte ihn betreffs
der Droichle: „Laſſen Sie fich aber feine ſolche Karoſſe
andreben, die ſo jchmale Plättbretter als Site bat,
veritanden? Ich brauche Platz, das fehen Sie mir
wohl an!“
150
Der Bediente grüßte und ftürmte davon, Urfula aber
ſchwang ſich zur Erde und fuchtelte mit dem Muff durch
Die Luft. „Sie dal PDienftmann! Bienjtmann! 'ran mit
Ihnen!“ Und als der Serufene auf beträchtliche Ent-
fernung berzueilte, die Paſſanten aber jefundenlang
in ftarrem Anftaunen des Träftigen Organs ſich ftauten,
da ſchaute ih Herr Julius ſtolz im Kreiſe um und
ließ fi) als DBater einer ſolchen Tochter bewundern.
Dann wurde der Dienjtmann mit dem Gepäd be»
laden, und Urſula babnte ſich mit flinfen Ellbogen
neben dem Bater ber ihren Weg, feine Antwort ſchuldig
bleibend, wenn darüber Bemerkungen laut wurden. Der
fremde Diener ftand am Portal und überreichte Herrn
bon KRuffftein eine Wagenmarfe, und mit lauter Aner»
fennung wühlte der ©utsbefiger fein Portemonnaie ber-
vor und verabreichte ein fehr fplendides Trinkgeld.
„Herr Baron laffen fragen, ob ich den Herrſchaften
noch weiter behilflich fein fünnte?“
„Nee, mein Junge, jage deinem Baron, 's wäre gut,
und ich ließe mich ſchönſtens bedanken! Und wenn fein
3hlinder einen Knuff weggelriegt hätte, dann täte mir
Das jebt DoppeN Teid! Verſtanden?“ — „Defebl, gnä⸗
diger Herr.“ „And mir natürlich dito!“ „Befehl,
gnädiges Sräulein.“ „Ra, denn los!“
Als alle Safden, Schachteln und Pakete glüdlich
in der Droſchke waren, machte es jih Herr pon Kuff-
ftein mit tiefem Seufzer der Grleichterung in jeiner
Wagenede bequem und ftredte die Füße von jich.
„Soweit wären mir, Arfchel-Burfchel, aber ohne
Schweißtroppen iS es nicht abgegangen! Nun habe ich
einen Lömwenhunger! Wenn mir jebt in das Hotel
fommen, laffen wir zuerjt eine gehorjamfte Empfehlung
auf dem Draht nah Wolkwitz reiten, und Dann ſind
für heute abend die ſchwergeprüften Reifenden aller
Derpflihtungen enthoben. Erſt ejjen wir Die Speije-
farte kreuzweiſe durch, und dann gehen wir in die Kon»
fordia und ſehen uns die dreſſierten Gänſe an — ein»
perftanden, Fröſchchen?“
151
„Rieſig. Und nachher in ein Cafe, da foll eg fo
intereffant nad dem Theater fein!“ _
„Mir auch recht. Morgen fahren wir dann zu deiner
ltebenswürdigen Gräfin Antigna, wo did die Mama
für ein paar Wochen eingelocht bat, machen ihr einft-
weilen eine Bifite und drüden ung wieder, denn folange
ich bier bin, habe ich noch väterlihe Anrechte an Dich.
Im Hotel wohnfte, und mit mir bummeln tufte — alleine
macht mir das Doch weiß Kudud feinen Spaß!“
„Beer! — Hotel &., Herr Baron!“
Durch die hoben buntgemalten Scheiben tanzten bie
Strahlen der Winterfonne über die Marmortreppe, wenn
der Wind die Tannenzweige vor den Fenſtern bewegte
und den goldnen Lichtfunten dadurh Einlaß in Die
Flurhalle des berrichaftlihen Haufes gewährte, das
Graf Ferdinand Antigna mit feiner Familie bewohnte.
Die eleftriiche Klingel wurde ein paarmal fehr heftig
in Tätigfeit gefebt, leife Bedientenfohlen haſteten über
die Teppiche und Öffneten die Ölastür hinter der guß⸗
eifernen DBergitterung.
Ein Wagen ftand auf der Straße, feine Infaffen
waren bereitS ausgejtiegen und Hatten por der Tür
Boito gefaßt.
„Gräfliche Herrſchaften zu ſprechen ?
Der Pelz des Fragers war dem geübten Lalaien-
auge maßgebend. Ein devoter Büdling antwortete ihm.
„Wen babe ich die Ehre zu melden?“
Herr von Kuffftein flug voll behaglicher Umſtänd⸗
lichkeit fein Portefeuille auseinander. „Hier, mein Zunge,
auf diefem weißen „Zettel fteht’S gefchrieben! Sagen
Sie aber der gnäbigften Gräfin nody mündlich, das
Züpferl auf dem i wäre auch Dabeil* Und er wies mit
dem Paumen nah) Urfula und ftampfte den feinen
Schneefaum von den Stiefeln. Ein refpeftpolles Lächeln.
„Darf ich geborfamft Bitten, Herr Baron!“ Pie Tür
flog weiter auf, und der ©alonterte eilte die Treppe empor.
152
In freudigfter Haft trat die Gräfin dem Beſuch
. entgegen; obwohl aber ihre Schritte befchleunigt waren
und fie dem Gemahl ihrer intimften Freundin beide
Hände entgegen bot, lag dennoch über ihrer ganzen Gr-
[heinung eine unverleglihe Würde und GSleganz, eine
Seinbeit, die felbft in der größten Erregung Maß und
Ziel zu halten weiß.
Groß und fchlant, faſt mager, ohne edig zu fein, mit
ſchmal geſchnittenem und blaffem Antlitz unter afch-
blonden Haarwellen, machte Gräfin Antigna den Sin-
dDrud einer noch jugendlichen Stau, die wohlberechtigt
für die Stiefmutter des erwachſenen Sohnes gehalten
werden konnte.
Mit einem Kuß auf die Stirn hieß ſie Urſula bei
ſich willkommen und ſprach die Hoffnung aus, daß ſich
ihr liebes Pflegetoöchterchen bald ebenſo heimiſch bei
ihr fühlen möge, wie daheim im Wolfwiter Schloß.
Das erſchien Urfula ganz felbjtverftändlich, denn das
Mißtrauen, das fie Gräfin Antigna anfänglich ent»
gegengebradt Hatte, war bei dem Anblid ihres milden,
bornehmen Antlites verſchwunden. Nein, das war fein
Gouvernanten⸗ und Thprannengefiht mit eifigem DBlid
und funtelnden Drillengläfern, das war eine nette,
famoje Stau, mit der es fich brillant ausfommen laſſen
wird.
„And nicht wahr, meine verehrteſte Gräfin, Sie halten
mir mein Schlingelchen nicht gar zu fefte im Kappzaum?“
fragte Papa Kuffitein forgenpoll. „Das Kind ift fo
friſch und fröhlich in die Höhe gewachfen, daß mir ſchon
angft wird bei dem Gedanken, daß diefer Wildfang
bier in den engen Straßen aushalten joll. Erjchreden
Sie nur ja nit, wenn die Heine Wetterheze Ihnen
eines ſchönen Tages durdhbrennt, denn dag macht fiel
Was, Urfhel-Burfhel? Da bifte riefig kurz ange-
bunden drinne, immer mit dem Kopp durd die Wand.
— ‚DH, ih fage Ihnen, liebfte Sräftn“ — und der alte
Herr richtete fih Hoch auf und fah unendlich ftolz aus,
„Sie werden Ihr blaues Wunder an dem Mädel er-
153
leben! Geſchichten führt fie auf, daß einem Mund
und Nafe offen ftehen, aber immer folofjal witig, immer
Schneid drinn! Als wir geftern abend in der Kon-
Iordia waren —“ Gräfin Antignas Haupt zudte empor,
als habe jie nicht recht verftanden. Das feine Lächeln,
Das bis jebt ihre Lippen umſpielt hatte, wich ftarrem
Staunen. „Wo waren Gie, befter Baron?“
„Na, in der Konfordia, bei den dreifierten Gänſen.“
„Am Gottes willen — mit Arfulahen? Wer in
aller Welt fonnte Ihnen dies Lolal empfehlen?“
Das Backfiſchchen rüdte eifrig näher. „In irgend
fo einer Station warfen fie ung alle möglihen Zei—
tungen und Zettel in das Coupé und Daraus ſuchten wir
uns das DBefte aus — und das waren eben die dreſſierten
Gänſe — und gingen am Abend hin! Na, gelacht haben
mir, Daß wir uns nur immer jo rollten! Nicht wahr,
Julchen,“ — ein fräftiger Patſch auf feine Knie — „mie
der dDide Kerl als DBallettänzerin kam!“
Die Balaftdame ſchlug wahrhaft entjeßt die Hände
zuſammen. „Das haſt Du mit angejehen, mein Herz⸗
hen? Aber bejter Baron, warum kehrten Sie nicht
jofort um, als Sie fih in dem Lofal überzeugten, daß
es Doch nicht der geeignete Aufenthalt für Damen der
Geſellſchaft ift?“
Das runde, rote Gejicht Kufffteins glänzte por Gut—
mütigfeit und Vergnügen. „IS wo werd’ ich denn! Hat
ja gar nichts zu fagen! Die Urſel bat fi amüliert
wie ein Gott in Frankreich, und von den Souplets hat:
fie ja überhaupt gar nichts verftanden. Das Kind Tönnen
Eie überall mit hinnehmen.“
„So? Nichts verftanden hätte ich? — Ulles habe
ih verſtanden!“ Und triumphierend |prang Arfula em»
por und ftemmte beide Händchen auf den Tiſch. „Ganz
tolle Wite waren’s zeitweile — aber id) werde den
Kudud tun und darüber fhimpfen! Wärft ja jofort mit
mir ausgerüdt!“
„un fehen Sie mal die Range an, Gräfin! Iſt's
zu glauben? Aber ich fag’s ja immer, auf den Kopf
154
gefallen ift fie nicht, pfiffig für fechfe!“ Und Der erftaunte
Vater nidte vor fi Hin, als wollte er fagen: Die
fomme ich mit meinem ſchwachen Untertanenverftand
zu einer folch hervorragenden Tochter?
„Aun, ich Hoffe, liebe Urjula, daß dir die Theater
und Konzerte, in die ih dich Fünftighin führe, noch
bejjer gefallen!“ Tächelte Gräfin Antigna, der Briefe
gedentend, die ihre Freundin ihr geichrieben und zu
. denen Graf Lohe noch mandherlei Kommentar geliefert;
gleichzeitig blidte fie nach der Tür, zwifchen deren
Portieren die Seftalt eines jungen Herrn erjchien, der
bei dem Anblid der beiden fremden Geſichter haftig zurüd-
treten wollte. „Ach, lieber Henry! Du biſt ung willfommen.“
Es lag durchaus fein befehlender Klang in der Stimme
der Palaftdame, aber ihr Blick hatte troß feiner Milde
etwas Zwingendes.
Der Gerufene trat zögernd ein. Seine body aufge»
ſchoſſene überſchlanke Geſtalt verneigte fich Haftig, ohne
daß fein Blid fi von dem Teppich, an dem er haftete,
gehoben hätte.:
„Mein älteſter Sohn Henry!“ lächelte Gräfin An—
tigna mit graziöfer Handbewegung, und die jchlanten,
brillantbligenden Finger auf die Schulter des jungen
Mannes legend, ganz wie von ungefähr und Dennoch
ihn dureh den leichten Drud dirigierend, fügte fie ſcher⸗
zend Hinzu: „Du Daft, ebenjo unerwartet wie ich, Den
DBorzug, deine zufünftige Pflegefhwefter Urſula Kuff-
ftein und ihren Bater fennenzulernen, lieber Henry! Ich
bin überzeugt, Daß du unjre verehrten Säfte ebenfo
herzlich willfommen heißt, wie ich!*
„Ad, jiehe da, der kleine Henrh von ehedem! Der
Heine Henrhy, den ich zuletzt in weißen Höschen auf
dem Schaufelpferd fiten ſahl‘ lachte Herr von Kuff-
ftein, Henry biderb die Hand entgegenftredend; „freut
mid), Sie fo frifch, und hochgewachſen wiederzuſehen!“
Henry verneigte fi ftumm; feine Röte ftieg in fein
Seficht, und der Blid, der den alten Herm in ſchnellem
Aufbliden traf, hatte etwas Scheues.
155
Neugierig Hatte ihn Urfula vom Kopf bis zu ben
Süßen gemuftert, reihte Dann ebenfalls die Hand Bin
und fagte in mütterlich wohlwollendem Son: „Outen
Sag, Henry! Vor mir brauden Sie ſich abfolut nicht
zu genieren, fo eine Landpomeranze ift nicht etepatete!“
— And fie lachte filberhell auf und fchüttelte feine
Rechte, daß die Gelenke fnadten.
Henry wurde noch röter, verneigte ſich fehr heftig
zweimal nacheinander, ohne die junge Dame anzufeben,
und trat dann, den Kopf mit einer hochmütig unnah⸗
baren Bewegung in den Naden terfend, nad) Der
Zür zurüd.
„xeifteft Du uns nicht für kurze geit Geſellſchaft,
my boy?“
„Dedaure, liebe Mamal Mein ehemaliger Mentor
erwartet mid) in meinen Zimmern.“
Leife und heiſer Hang die Stimme, abermals eine
furze Derneigung, und die Portieren fielen Hinter Dem
Sohn Ferdinand Antignas zufammen.
„Mein guter Henry Hat vor acht Tagen fein Re-
ferendarezamen gemacht!“ lächelte die Gräfin, ihm nach⸗
Ichauend, „er bat ſich entſchieden überarbeitet und ift
Dadurch noch menſchenſcheuer als früher geworden.“
„3a, er machte ein ganz fauertöpfiges Geſicht!“ nidte
Herr von Kuffftein mit bedenklicher Miene. „Ste müſſen
ihn beizeiten flott machen, befte Sräfin, ehe diefe Ma-
rotte einroftet. War er denn nit Korpgftudent?“
„Aur dem Namen nad. Das müfte Treiben der
Derbindungen war ihm ein Sreuel. Mein Mann und
ich waren Stets fo glüdlich über unfern foliden, charalter-
feften Sohn, befommen aber jet Bedenken, weil es mit
feiner Scheu por allem Verkehr Tranfhaft zu werden
Drobt. Immer nur Lernen und Studieren taugt nicht
für junges Blut.“
„Ja, aber, du lieber Gott, was wollen Sie denn mit
ihm anfangen, Tante Renee?“ alterierte fi Arfula,
ratlos die Händchen zuſammenſchlagend. Die Gräfin
lächelte fein und mwunderfam. Ihr Dlid baftete auf
156
dem frifehen Geſichtchen, das fich mit großen, nur
gterig naiven Augen zu ihr bob.
„Henry bat id) bis jett ftandhaft geweigert, ——
welche Geſelligkeit mitzumachen, und Strenge, die ihn
mit gebieterifcher Hand in den Strudel des high life
ftößt, würde bei diefem Trotzkopf gerade das Gegenteil
betvirfen. Seine ſchwärmeriſche Liebe für unſer Herr»
ſcherhaus ift die einzige ſchmale Planke, aus der ich
boffentlih ein Steg zum Parkett fchlagen läßt; bat er
ihn überfchritten, ift er der Welt geſchenkt!“
„Am Hof... zwifchen all den vielen Menſchen wird.
er fih aber erft recht fürchten und fich die Sache noch
mehr verefeln!* jchüttelte das Backfiſchchen nachdenklich
den Kopf.
Gräfin Antigna zudte mit amüfiertem Lächeln die
Achſeln: „Da heißt es eben ‚va banque'! Daß der Träger
eines der beften Namen fi und feiner Familie gemijje
Rückſichten ſchuldig ift, fteht außer Trage. Die drei
Wappenfähnlein der Antignas Haben, folange fie ezi-
ftieren, in Hofluft geweht; Hofluft hat jedes Ziweiglein
unjres Stammbaumes genährt, in der Hofluft find Die
Ahnen und Urahnen geboren und geftorben, darum bat
fie Rechte an die Enkel. Henry möchte mit raftlofem
Eifer ftudieren und Profejfor werden;: feine Begabung
prophezeit ihm eine bedeutende Zukunft. Mag er in
Gottes Namen dereinft den ‚Mantel der Doltrin‘ um fein
Wappenſchild fchlagen, porerft hat er feine Paſſion
feinen DBerpflihtungen zu opfern.“
Die Sprecherin fchien ihrer Miene nach zu fcherzen;
fte plauderte in dem leichten, graziöfen Konperfationg«
ton wie zubor, aber in ihrem Auge, das fich zur Tür
wandte, als folge fein Blid noch ber fchlanfen Geſtalt
des jungen Mannes, lag wieder das fafzinierende, un«
erllärlihe Etwas, das vorhin ſchon mächtiger als alle
Worte den Sohn über die Schwelle gerufen. Dann
änderte die Gräfin das Thema, erzählte von ihrem
jüngften Sohn, der zurzeit noch die Ritterafademie be-
juchte, von Graf Lohe, ber fich vor faum einer Diertel-
157
ftunde von ihr verabſchiedet Habe. Ihr DBlid traf Dabei
Urfulas eifrig aufhorchendes Geſichtchen. Herr von Kuff-
ftein erhob fih und warf feinem Böchterhen den Muff
in den Schoß. „Mach deinen Knids, Fröſchchen, und
fülfe der gnädigiten Tante mit der gehorjamen Anfrage
die Hand, ob. du übermorgen mit Sad und Pad bier
einrüden darfſt?“
Henrys Mutter hatte eine filberne fleine Glocke in
Bewegung geſetzt. Jetzt legte ſie den Arm um die
Schultern des jungen Mädchens und zog es mehr liebens—
würdig als innig an fich heran. „Wollen Sie mir eine
große Bitte erfüllen, mein alter Freund Kuffiteim?“
fragte fie in der pornehm graziöjen Weiſe, die Urjula
Ihon bei dem erjten DBlid als etwas ganz Defonderes
aufgefallen war.
„Wenn Sie es befehlen, meine gnädigfte Gräfin, eſſe
ich ſelbſt Stiefelwichſe und laſſe mich trotz meiner drei—
hundert Pfund noch zum Schlangenmenſchen trainieren!“
Die Palaſtdame lachte leis und melodiſch auf: „Solche
Wünſche würden barbariſch fein! Non, mon ami, mein
Attentat richtet fich Tediglih gegen Ihr Vaterherz.
Laſſen Sie mir Urſulachen fchon jett als lang erfehnte
Tochter zurüd, Holen Sie Ihr Gepäck im Hotel ab
und machen Gie meinem Mann und mir Die große
Steude, unfer Logierzimmer als Ihr home anzuſehen!“
„Sie find ja ein Engel, gnädigite Gräfin! Jedoch
was mich anbelangt, jo bitte ich als unrubiger und ver—
frautjunferter Geiſt allergehorfamft, mich mit meinem
Quartierbillet ruhig in den Armen Des wadern Hotels»
wirts liegen zu laſſen! Habe meine Zahnbürfte und
die Nachtlappe bereits ausgepadt und ſcheue jeden Um«-
zug, wie die Kate das heiße DOfenbleh. Aber Die
Urichel-Purfchel... gern gebe ich das Ping nicht ber,
aber wenn Sie denten... Hel Fröſchchen, willſte gleich
bierbleiben?“
Urfula kniff den Vater in den Arm. „Was haft du
denn gejtern in der Drofchfe gejagt, Hm?“
Der DBefiter pon Groß⸗Wolkwitz wurde beinahe ver—
158
legen: „Wenn doch aber die gnädigfte Tante es wünſcht,
Urſchel⸗-Purſchell Heute abend Hole ich dich ab, dann
fahren wir in die Reichshallen!“
„Hören Sie mid), befter Rittmeijter. Zu Tiſch, um
fünf Ahr, find, Sie felbftverftändlich unjer Saft. Wir
Dinieren zujammen und fahren dann in das Opernhaus,
uns die ‚Quftigen Weiber‘ anzujehen. Das wird Urfula=
chen viel Bergnügen bereiten und ift ſehr bequem, weil
unfre Pläße abonniert find. Einverſtanden?“
„zuftfigen Weiber?“ Die Augen des VBackfiſchchens
blißten. „Das klingt ja ganz famos! Wird gemadıt,
liebe ante, da müjjen wir Hin!“ Und das Köpfchen
über die Schulter zum Dater umivendend, fügte jie
jelbftbewußt Hinzu: „KRarre du meinetwegen ins Hotel
zurüd! Ich bleibe gerade jo gern bier!“
„Aber Urfchel-PBurfchel, das jagfte jo kaltblütig?“
Der tiefe Baß grollte in noch tieferem DBorwurf.
„Am Gottes willen, lieber Baron, machen Sie mir
Doch das Kind nicht felber rebellifch!* wehrte die Grä—
fin und wandte das Haupt gleicherzeit nad) der Tür,
in der ein Diener erfhienen war. „Iſt der Herr Graf
pom Auswärtigen Amt zurüdgefehrt?“
„Roh immer nicht, gräflide Gnaden zu Befehl“
„Es ijt gut. Wartet der Wagen für Herrn Baron?“
„gur Stelle, gräflihe Snaden.“
Eine leihte Handbewegung. Per graue Kopf des
Alten neigte fich reſpektvoll und die Bortieren ſchloſſen fich.
„Nun fehnell, mein guter Kuffiten! Abſchied wird
für die zwei Stunden nicht genommen. Um fünf Ahr
auf Wiederfehen bei einem Zeller Suppe; dann fann
Ihnen mein Pflegetöchterchen bereits erzählen, ob fie
mit ihrem Kleinen Salon zufrieden tft! Ich führe fie
ſofort perfönlih in ihr zufünftiges Rei. Alſo, auf
Wiederfehen, mein lieber Freund, auf Wiederjehen!“
und bie ſchlanken Zinger, über Die fich der alte Herr
neigte, fie abermals zu küſſen, dirigierten ihn ebenfo
unfihhtbar, aber auch ebenfo unwiderftehlih wie den
Sohn Henry; diesmal rüdwärts.
159
Kuffftein verftand bie Abſicht.
„Adteu, Fröſchchen!“ fagte er poll ergwungener Heiter⸗
teit, verabfolgte feinem SHerzblatt einen zärtlichen Nafen-
ftüber und mwuchtete „mit vielen einftweiligen Grüßen
an den verehrten Herrn Gemahl“ über die Schwelle.
Urfula aber zog die Gräfin mit ans Fenſter, riß
flint die Scheibe auf und raffte den Schnee auf dem
Senfterbrett zu einem Ball zufammen.
„Was willft du denn tun, Urfelhen? Ich denke, wir
wollen deinem DBater einen reſpektvollen Gruß nach⸗
winfen?“
Der Heine Abermut wandte lachend das Köpfchen,
die Antwort ſchwebte bereits auf den Lippen, daß Dies
ja der ®ruß für Julchen werden folle... Da fah fie
in die Augen der Gräfin. Freundlich und lächelnd
faben fie zu ihr nieder, aber fo durdhdringend klar
und fo bobeitspoll und fo ganz eigentümlich, daß Arfula
ein nie gelanntes Gefühl von Unficherheit und Der-
legenheit beichlich:
„Ich Wollt’ nur mal da den Spatz werfen!“ fagte
jte und zielte mit dem Schneeball auf gut Slüd in die
Sichtenzweige.
„Sut, daß er fort ift, mein Herzchen! Wie fatal
wäre es getvefen, wenn er ganz aus Zufall deinen guten
DBater getroffen Hättel Pie Leute Hätten eine ganz
falfche, Häßliche Meinung von dir befommen!*
Und die Gräfin winkte Herrn von Kuffftein lächelnd
zu, und Urfula machte es ihr genau nach und dachte:
Qun nimmft du dich famos aus!
Sechzehntes Kapitel
Herr von Flanken dachte in allen Dingen ſehr fon»
fervativ und war ein erflärter Feind jeglicher Neuerun«
gen; aber was zu viel ift, das ift zu viel. Kinderlärm,
drei Klaviere, eine ®eige und zwei fingende Geheim⸗
ratstöchter, und im Anfchluß daran rauchende Öfen und
160
allerhand vielfüßige Sinquartierung... nein, Das war
felbft für diefen Oberleutnant zu ſtarker Tabak, und
darum fagte Herr von Flanken eines fchönen Tages zu
Niekchen: „Du, Nielchen, morgen ziehen wir um.“
„Befehl, Herr Leutnant, — werrd if paden Sachen
unſrigte!“
Der Unſitte, ſich ſelber eine Garçgonwohnung mit
allem erdenklichen Luxus zu möblieren, huldigte Flanken
durchaus nicht. Er war eben in allen Dingen Original,
und während die meiſten ſeiner Kameraden ihre Zimmer
mit bequemen Diwans, ſchwellenden Teppichen, pracht⸗
vollen Bronzen und Gemälden vollſtopften, entfernte
der ‚moderne Merlin‘ alles, was nur einigermaßen an
derweichlihende Gleganz erinnerte. Lohe behauptete:
er übertriebe es! Seine Zimmereinrihtung fei nicht
einfach, fondern abfurd.
Der Umzug war unter Niefchens umfichtiger Leitung
bewerfftelligt worden, und heute mittag plötlih kam
der Herr Oberleutnant mit finnend gefalteter Stirn nad)
Haufe, warf die Reitgerte auf den Tiſch und febte fich
Io kräftig vor dem Schreibtifch nieder, daß der Holz-
Ihemel in allen Fugen fnadte. Mit Ruhe und Sründ-
lichfeit mufterte er alle Briefe und auch den Inhalt
der Ledermappe durch. Da Hatte er die DBefcherung!
Das Tam von feiner Sutmütigfeit!
Als er nämlid) nach beendigtem Manöverurlaub wie-
der in fein Winterquartier eingerüdt war, hatte eines
Ihönen Tages Lohes Gquipage por der Tür gehalten.
„Schnell, mein Jungel Streife dir die erfte ©arnitur
an, nimm ein reines Tajchentuch und begleite mich!“
„Wohin?“
„Bet General von PDern-®roppen einen Antritts-
nid machen!“
„Haft wohl einen Rappel, ich Tenne gerade genug
Menſchen, ih made Leine Bifiten mehr!“
Da Hatte Lohe voll fittliher Sntrüftung das Zitat
angewandt: „Sin Mann, ein Wortl* und er hatte
ihn an jenen verhängnispollen Abend in Alt-Dobern
11 Eſaſtruth, Hofluft = 161
erinnert, wo er den Damen bereits feinen Befuch in der
Refidenz angelündigt babe.
„Ich hatte einen Spitz, Marien — auf Wort —
aber, zum Blitz und Knall, wenn du meinjt, Daß ich
verpflichtet bin, fann ich ja pro forma eine Karte ab-
werfen!“ Und ftöhnend hatte er die Tſchapka auf fein
fraufes Haar gedrüdt und war mit gu Groppens und
zu Gräfin Antigna gefahren, aus Rüdficht für Fräulein
Urſchel⸗Purſchel.
Beide Herrſchaften waren nicht zu Hauſe geweſen,
und Flanken hatte die ganze Spazierfahrt beinah wieder
vergeffen, als ihn Lohe heute morgen gefragt batte:
„Ra, wir ſehen uns doh am nächſten Mittwoch bei
Groppens! Haft du ſchon zugefagt?“
„Mittwoch — Groppens —? J wol Ich Habe gar
feine Sinladung erhalten!“ -
„undenkbar. 88 ift ein Riefenfeft, und wer nur jemals
bei dem Herrn General angellingelt bat, ift befoblen!“
„Aber ich verfichere dich, ich bin nicht gewünſcht!
Dann haft du bie Karte belommen?“
„Bor ſechs Tagen bereits.“
„Donnerwetter — an meinem Ylmzugstermin!“ Zlan-
fen fraute fich binter dem Ohr und ſtieß einen pfeifen-
den Ton zwiſchen den Zähnen berbor.
„2a da haben wir's! Haft den Brief in der Räu⸗
merei verbummelt oder Niekchen Hat ihn in die Mappe
gefchoben, ſuch' Doch einmal nach.“
And nun faß der Oberleutnant und fuchte und fuchte,
aber er fand nichts.
„Kreuz Birnbaum und Hagelmetter! Nielen!“
„DBefehll, Herr Leutnant.“
„Kerl, wenn du mir einen Brief verloddert haft, fol
bi ein Unglüd Holen! He, Nielchen, ift am Umgugstag
eine Einladung gelommen?“
„Sind fit jeden Tag Driefeln gelommen, wos ich
Bab abgeliefert an Leutnant. Am Umzugstag waren
fig zwei, Sterbebriefel mit ſchwarzem Randel und
ander großes DBriefel mit Suldftempel Hinten drauf.“
162
„Ah — richtig — Ich entfinne mich, ftedte fie in
meine alte Jagdjoppe, tweil’s ſchon zu Dunkel zum
Leſen war. Hol’ mal die Foppe aus dem Schrant —“
„38 ſik grüner Kittel von Herrn Leutnant an YUlan
Grohnbach, wos war aus Heimatdorf von Herrn Leut-
nant, verſchenkt worden.“
„Schod Schwerenot!*
Flanken ftand fprachlos, beide Hände in den Hofen-
taſchen, und ftarrte Niefchen an, als wolle er zur Salz⸗
fäule werden. Dann ſchwenkte er kurz um und ftiefelte
mit Riejenfchritten, Ieife por ſich Hin pfeifend, in Der
Stube auf und nieder. Der Ulan Grohnbach — richtig!
Der Grohnbach war bei ihm gewefen, Adieu zu jagen
und einen Brief an den Inſpektor mitzunehmen, und da
hatte Slanten in den Kleiderfchrant gegriffen und dem
armen Kerl noch einen warmen Rod mit auf den Weg
gegeben. Die grüne Joppe!
Was tun? Flanken fann bin und ber, endlich blieb
er abermals por Niekchen Steben, fah auf die Uhr — es
war halb fünf — und legte plögli die Hand auf Die
Schulter feines braven Wafferpolalen.
„Niekchen, nit wahr, du bift ein ganz geriffener
Kerl! Du kannſt ganz fchlau fein, wenn’s darauf an-
fommt, he?“
Niekchens Geſicht ftrahlte. „Kann ik fchon, Leutnant,
fann it ſchon!“ |
„But, mein Sohn, dann höre mal zu, was du jebt
tun follft“, und Flanken ftellte fi) breitbeinig vor jeinem
Saltotum auf und inftruierte ihn fo genau und fo vor«-
ſorglich, daß Niekchen ſchon Hätte ein Kretin fein müffen,
wenn er dieſer langen Rede kurzen Sinn nicht bätte
fapieren wollen. Und Nielchen grinfte auch fehr ver-
ſchmitzt und mit eifrigem Kopfniden und legte Die
Singer an die Hofennaht. „Werd’ if ganz ſchlau an-
fangen, Leutnant, werd’ if alles ausrichten!“ ä
In dem großen palaisartigen Neubau, in einer der
eleganteften Billenftraßen, zog ein Diener die rotfeidenen
1° 163
Dorhänge por den Fenſtern zufammen und entzündete
die Kronleuchter im Speijezimmer.
Der Herr General von PDern-Öroppen war foeben
nah Haufe gefommen und hatte, vom eiligen Wind
gezauft und durchfroren, in erjichtlih Tchlechter Laune
die Bejchleunigung der Mittagstafel befohlen. Er hatte
einen bequemen YUniformsrod angelegt und war alg-
dann durch die lange Flucht der Salons nad) dem Wohn-
zimmer feiner Töchter gefchritten, einen Kuß auf Die
weißen Stirnen feiner Lieblinge zu drüden.
Dort, im heiteren Kreife der Seinen ſchwanden blit-
ſchnell die Heinen Wollen des YUnmuts, die der Tönig-
lihe Dienſt in edler Gerechtigkeit por die Sonne Der
Leutnants wie der ®eneralleutnants treibt, Denn General
bon Groppen war eine fehr glüdlich beanlagte Natur
und viel zu fehr Lebemann und Kavalier, um fi all»
zulange in Gedanken bei den PDifteln und Dornen ftra-
tegifcher Shrenfelder aufzuhalten, wenn er den Rofen
und Lilien auf dem Barfett Huldigen Tonntel Geit
Herr von Groppen in der Refidenz weilte, war eine
[onderbare Beränderung mit ihm vorgegangen. &$ war,
als habe ihn das Spldgefunfel feines plötzlichen Reich“
tums geblendet. Die Vergangenheit mit ihrem jahre»
langen Entbehren und Sinfchränfen ſchien ihm ein wüſter,
fataler Traum, und die Dämone der Eitelkeit, Leicht-
lebigfeit und Genußſucht, die fo lange Zeit, männlich
befämpft und niedergehbalten, in feinem Charalter ge-
Ihlummert Hatten, die hoben jett plößlich wieder ihre
Ihillernden Flügel und bevölferten all feine Gedanken,
fein Wollen und Wünfchen.
Im Salon der beiden jungen Damen brannte eben-
falls Licht. Lena ſaß an dem runden, pon goldgemirkter
Dede überhangenen Mitteltifch und Höppelte eine creme-
farbene GSeidenfpite. Fürft Sobolefskoi ſah ihr dabei
voll regen Intereffes auf die fchlankten, graziöfen Hände.
und behauptete nedenderweife, Dieje Arbeit jet von den
Damen aus fchnöder, ih Gitelfeit erfunden
worden.
164
Jolante ftand auf einem SKiffenpuff und Bemübßte
fih, den ſchwebenden Goldengelchen, die die maffer-
blauen Moirsdraperien eines Scdarrangements hielten,
bronzierte Palmzweige möglihft genial in die Arm»
en au legen. |
Sie Iehnte den Lodentopf zurüd und prüfte den
©ejamteindrud. „Onkel Daniel, ſieh doch einmal! Iſt
es hübſch To?“ .
Der Fürft trat, die Hände auf den Rüden legend,
herzu. „Ganz ſcharmant!“ lobte er. „Es ift wunder-
bar, Jola, weld) ein Herporragendes Talent du befigeft,
deine Umgebung zu ibdealifieren! Sch Hätte es nie für
möglich gehalten, daß diefes Schmudfäftchen von einem
Zimmer noch verfchönert werden könne, du aber Haft es
dennoch zuwege gebracht!“
„Ja, weißt du, Onkel Daniel,“ und Jolante hob ſich
auf die Fußſpitzen und bog die leuchtenden Fächerblätter
fo, daß fie fich des größeren Effektes wegen in dem
Ecktrumeau fpiegeln mußten, „ich finde nichts hübfcher,
als ein moͤglichſt geſchmackvolles und reich eingerichtetes
Boudoir, und nichts barbarenhafter, als Gleichgültigteit
gegen feine Wohnräume Wie Menfchen ohne Komfort
leben fönnen, iſt mir rätjelhaft, und daß ein Paar in
einer ‚Eeinften Hütte‘ Raum findet, und bei einem Tiſch
und einem Stuhl glüdlich lieben ſoll, das deucht mich
die krankhafteſte Hyperbel, die je in einem Dichterhirn
gereift.“
„Wenn du die Liebe erft kennen wirſt, Feines Närr-
hen, wollen wir ung wieder ſprechen!“ Tächelte Lena,
ohne bon ihrer Arbeit aufzufeben.
„zenal“ Jolante fchlug laut Iachend die Hände zu-
fammen, „das Tlingt ja beinahe fo, als ob du einen
Leutnant mit zweihundert Talern Zulage heiraten wür-
deſt!“ |
Die Klöppel Hangen twunderli unter den fleißigen
Händen zufammen. „Wenn ich ihn liebte, ganz gewiß!“
„Nimm mir’s nit übel, dann Tomme ich niemals
zu euch, dann verleugne ich dich mitjamt deinem ©atten
165
und deiner Vierfreppen-Hinterhauswohnung vor Gott
und aller Welt! Und Jolante warf fich Iachend in
einen Geffel und verfchränfte die Arme „binter dem
Köpfchen.
„Onlel Daniel wird alles —— was du Der»
fäumft, Prinzeß Zurandot! Nicht wahr, du würdeft mich
befuchen, Onkelchen, felbft in der allerfleinften Hütte, wo
man ſo weit, weit von aller Welt ift, daß man fie mit
all ihrem Haften und Treiben für ein ſchwüles, be—
ängftigendes Sraumgebilde Hält?“ — Lena Tächelte,
aber es war, als ſchweife ihr Blid fern hinaus, feucht-
glänzend wie in Sehnſucht. Daniels Lippen zudten,
jene Zinger glitten plötlih wie in nervöſem Spiel
über die Soldmufter ‘der Zifchdede; ehe er jeboch ant-
worten Eonnte, hatte Jolante ihren Seffel mit Tchnellem
Stoß neben den feinen gerollt, ftügte fi mit beiden
Händen auf die Armlehne und fchaute dem Fürften mit
einem Gemiſch von Neugierde und Seiterfeit in Die
Augen.
„Cächerlich, Lena, wie foll Onfel Daniel in dieſer
Angelegenheit überhaupt mitreden! Bub, wie er Die
Stim glei kraus zieht, wenn er nur an fol eine
Mesalliance denkt, die unfre Lena möglicherweife ein-
mal eingehen fönntel Da fenne ich ihn und feine An-
fihten beifer. Abrigens* — und Jolante faßte plötzlich
Die Hand Sobolefskois und wandte fie nad) der Innen⸗
Teite — „ich verſtehe mich jetzt ein‘ bißchen auf das
Wahrfagen und muß doch einmal fehen, ob du wirflich
ein ſo Laltherziger Barbar bift, wie es den Anfchein hat.
Niemals Haft du uns aud nur mit einem Sterbens-
wörtchen verraten, um meld einer Jugendliebe willen
‚du Junggeſelle geblieben bift.“
Des Fürften Hand erbebte, er wollte fie Haftig zu-
rüdgiehen. „Aber petite, ich bitte dich, bedenke meine
grauen Haare —“
„Mit allem Reſpekt. Aber jetzt hältſt du ſtille, du
Duckmäuſer, jetzt will ich deine ſämtlichen Flammen
zuſammenzählen und bein heißes Herz entlarven.“
166
Lena ließ die Arbeit ruhen, ſchlang die Hände in⸗
einander und blidte mit ihren großen Augen finnend in
des Fürften Antlig. „Wie feltfam!* jagte fie harmlos,
„es ift mir noch nie der Gedanke gelommen, Ontel
Daniel, daB du jemand anders im Leben hätteſt lieb»
haben können, als. Mama, Iolante und mid! Ich Tann
mir gar nicht porftellen, daß dein Herz jemals für ein
andres weibliches Weſen gefshlagen hat, und Dod) ift es
fo natürli und fo wahrfcheinlich.“
„Nein, Lena, beim Himmel nicht! Such allein hat
mein Herz gehört, mit feiner erjten Liebe und feinem
erften und einzigen Slüd.“
„Onkel Daniel, du biſt ein verftodter Sünder!“ Tachte
Solante mit drohend erhobenem Finger. „Wenn du
auch noch ein fo Hägliches Geſicht machſt — bier, deine
eigne Hand erhebt fich anflagend wider deine Wortel
Sieh ber, dieſe fcharfe, klare, ganz bejonders ſtark aus-
geprägte Linie verrät mir, daß die Liebe eine große
Rolle in deinem Leben fpielt, daß fie eg ganz und gar
erfüllt, daß alles Unglück und alles Elend, das jemals
über dich gelommen, feinen Urfprung in diefer Schidfals«-
Iinie, in der Liebe bat.“
Mit großen, ftarren Augen fehaute Sobolefstot in
feine Ieife zitternde Hand nieder. „Und das Ende Dom
Lied?“ fragte er mit heiferer Stimme.
Solante 309g das Näschen fraus: „Ta, fo weit reichen
meine Kenntnijfe nicht aus, liebe Durhlaudt! Ich weiß
nur, daß dieſe Kleine Sternbildtung — ſiehſt du Bier,
Die feinen ftrablenartigen Striche — die Grfüllung
eines großen Wunfches bedeuten, und fol ein Stern
ſchließt Die Liebeslinte in deiner Hand ab. Nehmen wir
alfo an, du ftehft die Langgeliebte endlich wieder, ihr
fintt euch in die Arme; dein Wunſch, fie einmal im
Reben no an die DBruft drüden zu Zönnen, bat ich
erfültt, ihr Tiebt euch, Habt euch, Lena und ich über-
reihen den DBrautfranz, riefiges Diner, Riet-bumm«-
Regimentsmufit, und das lange Lied der Liebe hat J
Ende erreicht!“
167
„Onlel Dantel! Diefem Prophetenwort mußt Du glau-
ben!“ jubelte Lena mit weicher Stimme, und Jolante
griff übermütig in die Schale, die mit Blumen gefüllt
auf dem Nebentiſchchen ftand, und ſchmückte das Knopf
loch des Fürften.
Er verſuchte, ihre Kleinen Hände verlegen abzu—
wehren, ſprach von Srauerweiden und längft entflohener
Jugend, und democh leuchtete es in feinen Augen wie
©lüdjeligfeit, und er war fo heiter und guter Pinge,
wie feit langer Zeit nicht.
„Hier fcheint ja Die Stimmung abfolut niht vom
Wetter abhängig zu fein!“ Hang das Träftige Organ
des Generals von der Tür herüber; „um fo beffer,
Kinder, id) bin durchfroren bis ins Mark binein, und
wenn ihr jemals den Löwen bei der Fütterung im zoolo⸗
gifhen Garten an dem Bitter bochgehen faht, dann
habt ihr einen ſchwachen Begriff von meinem Hunger!
Grüß' Gott, Daniel — Weiß das Ponnermwetter, mit
Liebeslattih im Knopfloch? Ich fag’s ja, Mädels, in
acht Tagen repräfentiert er bei unferm Feft den Sohn
des Haufes, pflüdt fi) dag jüngfte aller Knöfpchen und
tanzt Kotillon!*
„Aber lieber Groppen!“ — und Daniel wurde dunkel»
rot vor Verlegenheit und Schred über ſolchen Gedanken.
Der Seneral aber hatte den Arm um ihn gelegt und zog
den ſchwarzſtruppigen Kopf an feine DBruft, pon der
andern Seite fchmiegte fich Lena an feine Schulter, und
Solante griff abermals in die Blumenſchale und bewarf
Das ‚lebende Bild“ mit dem dazugehörigen DBergiß-
meinnicht.
„Komm in Die Mitte, Babyh, daß ich mein Neſt bei⸗
ſammen habe! Seht ihr, Kinder, ſolch ein Augenblick tft
Die Dafe in dem ‚wüften Leben‘ eines Vaters, der bon
des erjten Morgens Lichte bis zum Brand der Gas⸗
Iaternen alle zarten Triebe zwifchen Lanzen und Schwer⸗
tern erftiden muß! Wo tft denn Tante Dore, be? Ich
habe ihr wieder Nahrung für die Lifte mitgebracht!“
And Herr von Dern-Groppen füßte feine beiden Töchter
168
noch einmal auf Die Iodigen Scheitel und warf dann
einen Stoß Briefe auf den Tiſch.
„Ab, neue Zufagen?“ Wie eleltrifiert ſchnellte Jo⸗
lante herum und faßte die Kuverts, ihren Inhalt mit
ſichtlicher Haſt und Erregung durchzuſehen.
Lena aber breitete gelaſſen ein weißes Seidentuch
über ihr Klöppelkiſſen und fagte: „Tante Dore iſt bereits
nad) Dem Eßzimmer gegangen, um den Tifch noch ein-
mal zu infpizieren! Sie iſt fo ftolz und glücklich darüber,
Daß du ihre Menüs fo oft Iobft, und möchte fi nun
in ihren Leiftungen felber überbieten!“
„Tante Dore ift ein Prachtexemplar, wenn fie mid
aber noch lange warten läßt —“
„Herr General, die Suppe ift ferbiert!*
„Srite, das war ein Wort zu feiner Zeit! — Avanti,
Kinder, fonft falle ih um!“ Und lachend legte Herr von
Dern-Sroppen die Hand feiner älteften Tochter auf
feinen Arm und gewann im Sturmfchritt mit ihr die
Zür.
„Liebe Solante, ich habe ben Borzug!*
„Ad, Onkel Daniel, es ift zum Rafendwerden!“ und
das junge Mädchen warf das letzte der Schreiben zornig
au ben andern Briefen zurüd und nahm Den Dargereichten
Arm des Fürften.
„Sind Abfagen gelommen?“ fragte Daniel erfchroden.
„Zein, fie fagen alle zu.“
„And das verdrießt dich?“
Solante preßte die Lippen zufammen, und ihre ge-
röteten Wangen wurden Iangfam wieder bleih. „O nein,
bewahrel Wenn man ein Feft geben will, braucht man
Menfhen dazu; eine jeglihe Komödie fett fi aus
Alteurs, Statiften und viel Staffage zufammen. Aber
es ärgert mich, wenn die Leute fo rückſichtslos find und .
Die Antwort: faft eine Woche lang Hinauszögern. Mit
Müh’ und Not Hat er Beſuch gemadjt, läßt. nichts
fehen und hören von ſich, und dabei tat er Doch, damals,
als wollte er das täglihe Brot bei ung werden.“
„Bon wem redeft du denn, Jolachen?“ fragte Sobo-
169
Iefstoi mit erftaunten Augen, „wer läßt nichts fehen und
bören bon fi?“
Solante wurde dunfelrot und legte unwillfürlidh Die
Sand vor den Mund. Dann mußte fie fchredlich huſten,
fo lange, bis fich der General auf der Schwelle des
Shfaales umwandte und mit erhobenem Finger fragte
„Ei, et, find wir etwa wieder im offenen Wagen aug-
gefahren?“
Da gab fein Töchterchen fehr lange und ausführliche
Auskunft, und als man fi zu Tiſch gelebt Hatte, war
fie oon feltener, faft nervöſer Geſprächigkeit und Tieß
feinen andern zu Worte fommen. Tante Pore War
höchlichſt erſtaunt darüber, denn für gewöhnlich war
Solante fehr phlegmatifch und ſchwärmeriſch und redete
nur das Allernotiwendigite.
DBefagte Tante Dore, die verwitwete Baronin Dorette
von Loguth und jüngfte Schwefter des ©eneralg, vertrat
an ben beiden Nichten Mutterftelle und repräfentierte in
dem ſehr gefelligen und geſuchten Haufe des Bruders.
Sie war eine etwas Starke, würdevolle Frauengeftalt
mit nicht geiftoollem, aber fehr Iebensluftigem und lie»
benswürdigem Antlitz, mit viel Geſchmack und Sinn für
elegantes Leben und einer faft Findlichen Naivität, was
Praktik und Ökonomie anbelangte.
Mit ſehr erwartungspollem Lächeln reichte fie Dem
Seneral die Feine Glfenbeinfarte, auf die fie jeden
Mittag Höchft eigenhändig die Reihenfolge der Speifen
für den Bruber niederfchried. Der braune Seiden⸗
ärmel ſchob fih etwas an dem runden Arm empor,. und
Groppen neigte fich galant und füßte ihn über der breiten
©pldipange.
„Rolly⸗pollh⸗Pudding, Poren?“ fagte er gerührt,
„Damit Tannft du mich ja mal wieder aus dem Grabe
herauslocken, wenn fein anderes Wiederbelebungsmittel
hilft. Samos, auf Wort!“
„Wenn er nur recht heiß auf den Tiſch !ommt, Das
tft eine Hauptbedingung für feinen Wohlgefchmad; fowie
er fteif wird, iſt's vorbei. Wir müffen faltifh einen
170
Aufzug aus der Küche bier in den Saal haben! &8 ift
unerhört, daß das in 11 9eme Haufe verfäumt werden
fonnte!“
Der Diener hatte die Zeller nad dem erften Gang
gewechſelt. Auf dem Korridor klingelte es heftig.
„Nur feine Ordonnanz! Gebt kommt ja der Pudding!“
feufzte die Baronin in jähem Schred.
Auch Groppen rungelte die Stirn. „Sieh mal, was
Ios ft, Fritze.“
Der Diener verfhwand und ſchien lange mit dem
Störenfried zu verhandeln. Endlich erfhien er wieder
und blieb rapportierend an der Zür ftehen.
„&zzellenz, da draußen ift ein Ulan, der den Herrn
©eneral in dringender Angelegenheit zu ſprechen wũnſcht.“
„Sin Ulan?“ ſchrie Folante auf.
„Sin Offizier oder fonft wer? Sprich doch Deutlich,
zum Donnerwetter!“
„Er fagt, er fei der Burfche des Herrn Oberleutnant
von Flanten.“
„Ra, dann wird er wohl irgendeine DBeftellung be-
treffs des Balles machen wollen; fag’ ihm nur, wenn
das der Fall wäre, follte er dir's getroft ausrichten!”
„Soll ich vielleicht mal fehen, Bapa — —“ |
„Unlinn, fiten geblieben! Werden ſchon feine Staats-
gebeimnifje fein. Slanten? Flanken? Wer ift denn das
eigentlih?“*
Solante Hatte ſich zögernd wieder niedergefebt.
„Das ift ja der Ulanenoffizier, den wir in Alt-
D:obern Tennenlernten, Papachen! Der bei Kuffiteins
im Quartier lag!“ berichtete fie eifrig, die Augen auf die
Zür geheftet. „Du weißt doch, der riefenhafte Menfch!*
„Ab fo, ih entfinne mid. Will mich vielleicht zum
Ringfampf herausfordern laffen, der Teufelskerl!“ und
Herr pon Groppen griff lachend nach) feinem Rotwein«
glas. „Die Unterhaltung [cheint ſich in die Länge zu
ziehen da draußen! He, Walter! Servieren Ste wäh-
renddeſſen, ic kann folche Unterbrechungen bei Tiſch
in den Tod nicht ausftehen!“
171
Der Gilberdiener verfchwand eilfertig, in ber Zür
dem zurüdfehrenden Fritz begegnend. Diefer ſah fehr
echauffiert aus, juft, als Babe er ſich fchredlidh über
etwas geärgert.
„&zzellenz, der Menſch läßt fich abfolut nicht be—
deuten, der verlangt entichieden den Herrn ©eneral
felber zu fpredhen, weil es ihm fo von feinem Herrn
Leutnant befohlen fei. Ich glaube, er verfteht gar nicht
ordentlih Deutſch, er redet fo Tauderwelih, wie ein
Slowake!“
„Na, zum Vonnerwetter, dann 'rein mit dem Kerl!
Derzeiht, liebe Kinder, es ift faktiſch eine zu tolle Zur
mutung, daß ih wegen diejes Flanken meinen Pudding
im Stich Iaffen foll!* Und die Augen des alten Herrn
richteten fich nach der Silberplatte, auf der fein Leib-
gericht, Löftlih Dampfend, ſoeben in dag ‚immer ge⸗
tragen wurde.
Fritze verſchwand ſehr eilig, und eine Minute ſpäter
dröhnten des Franuſch Niekchen ſchwere Nägelitiefel
auf dem Parkett.
Die DBlide aller Anwefenden Hafteten auf dem büb-
Then Geſellen mit dem gutmütigen, gebräunten Geſicht
und den lebhaft blitenden Augen, wie er refpeltpoll vor
feinem General ftramm Stand und die Finger an Die
Hoſennaht legte. Sroppen ſtützte die Hand auf dag
Knie und nidte dem gewiſſenhaften Burſchen in feiner
jopialen Weiſe zu. „Wie beißt du, mein Sohn?“
„Heiß' ik Franuſch Nielchen.“
„Burſche bei dem Herrn Oberleutnant von Slanten?”
„Befehl, Erzellenz.“
„And Du follft mir perfönlid eine Meldung maden?“
„Befehlt. Hat Leutnant gejogt: ‚Niefchen‘, Togt er,
‚wirft du geben mit Straßenbahn paſcholl zu General
bon Sroppen‘.“
„Out; und was follit du beftellen?“
Niekcheng blaurote Hand fuhr in momentaner Der-
legenheit Hinter das Ohr, ein verfchmittes Lächeln
audte um feinen Mund.
172
„38 fit Deftellung, wog ts niz fo leicht, Szzellenz.
Hot Oberleutnant gejogt, daß if foll forſchen und aus“
fragen ganz pfiffig, Damit ſik Seneral nix merfen tät.“
Die Damen hielten mit abgewendeten Geſichtern ſchnell
Die Taſchentücher an die Lippen, und Jolante befam
einen blutroten Kopf.
Herr pon Dern-Sroppen aber lachte laut auf. „Sei
ganz beruhigt, mein braver Franuſch Nieichen, und frage
mich getroft aus, ich merfe abſolut nichts!“
Der Ulan blieb todernft. „Hot Leutnant ander Stü-
berl genommen, und hot grünes Jagdjuppen verſchenkt,
wo fit Briefeln inftafen! Weiß Leutnant meiniges dar-
umb niz genau, ob er hot Einladung erhalten für
Ball oder niz Einladung!“
Allgemeine, heitere Srregung an ber Tafel.
„Papachen, du Haft doch Feine Konfufion gemacht?“
rief Jolante ungeftüm. „Wo Haft du denn die Lifte?“
„Dleib nur fiten, Baby,“ lachte der Offizier Höch-
lichſt amüftert, „Die Sache können wir gleich fonftatieren.
Oberleutnant pon Flanten — bm — werde fofort mal
nachſehen!“ Und er [hob den Stuhl zurüd.
„Aber befter Bruder!* — und DBaronin Loguth wies
kläglich auf die Iedere Puddingfcheibe, die fie ihm ſo—
eben’ auf den Zeller gelegt hatte.
„3a, mein Dorchen, es tut mir felber Ieid, aber du
ſiehſt, es Hilft ‚niz‘, der Flanken hat’s noch eiliger alg
ich!“ und Groppen erhob ich, Tieß feine Leibfpeife im
Stih und fchritt nah feinem Zimmer. Nach Fleiner
Weile fam er langfam zurüd, zwei mächtige Liften in der
Sand. „Himmel und Leutnants!“ murmelte er, „jebt
lernt man erft fol eine ftrategifhe Macht Tennen,
Die einen Ballfaal ftügt. Horniſch — Pleſſen — Lanken
— Röper — Arprecht — Franken — Heerden — Rankow
— Qufterlig — da fieh mal währenddeffen die Reihe
durd), Lena — könnt aud) mal merken, daß ihr Gene»
ralstöchter feid! — SHalfingen — Lüthen — Malsburg
— Ollmenn.“ Ä
„ein, ich finde ihn nicht, Papal“
173
„Aha bier!“ Groppen blidte auf das PBapter nieder
und biß fi auf die Lippe. Dann lachte er leije auf
und wandte fi in franzöfifcher Sprache an feine An-
gehörigen. „Sa, bier fteht er, Kinder! Aber ein Kreuz-
chen Dabei mit der Bemerkung: tanzt nicht; nur Diner⸗
einladungen, das hat mir Urſula gefagt, die mir Damals
die Viſitenkarten der Herren ausfuchen halfl“
„Aber Papa, das ift unerhört von Urſulal“ fuhr
Jolante Höhlihft alteriert empor. „Sr kommt riejig
gern und iſt amüfanter als viele andere, Die wie Die
Waſſerfälle tanzen! Der arme Menſch, nun tft er gewiß
beleidigt!“
„Ab, Unſinn, — beleidigt! Du fiehft ja, was für
Kniffe und Pfiffe der Schlingel in Szene fest, um noch
eine Sinladung herauszuquetfhen! Na in Oottes Na-
men, wer gern in mein Haus fommt, tft ftetS gern ge»
fehen! Laden wir ihn alfo ein.“
Dolantes Augen leudhteten, der Seneral aber wandte
fih au Niekchen und fprad mit lauter und Harer
Stimme feine Inſtruktion.
„Alfo zugehört, mein Sohn. Beftelle deinem Herrn
Oberleutnant einen fhönen Gruß, und er wäre einge-
laden. DBerftanden?“
„Befehll!“ Anftatt aber kehrt zu machen, richtete
fih Niekchen noch ftrammer als zuvor auf, holte tief
Atem und fagte: „Hot Leutnant meinigtes gefogt, Niel-
chen, bot er gefogt, wenn ich bin eingeladen, Dann be»
ftell Kumpliment böfflihes und ſog', doß Oberleut-
nant von Flanken niz fommen kunnte, weil er bat Ein⸗
ladung anders.“ Einen Moment ftarres Anftaunen des
biedern Ulanenburfchen, dann ein [challendes, Haltlojes
Gelächter, in Das der General mit einftimmte und ich
Die Seiten bielt. |
„Und darum durfte mein fchöner Pudding eiskalt
werden, Kinder! — Frite, nimm mal den Franuſch
Niekchen mit in die Kühe und hänge ihm einen Der-
dienftorden in Geſtalt eines großen Stüd DBratens um
den Hals, verftanden? und eine Flaſche Bier Dazu.“
174
Und fich zu dem Genannten felber wendend, fügte ber
alte Herr voll Humor Hinzu: „Es ift gut, mein Sohn,
warte in ber Küche, bis ich fertig gegeffen Babe, dann
follft du einen Brief an Deinen Herrn DDEEUNaN:
mitnehmen. SKebtt, marſchl
„Befehll, Exzellenz.“ Und Niekchen ſchnellte mit leuch⸗
tenden Augen auf den Hacken herum und marſchierte
hallenden Schrittes nach der Tür zurüd.
„Papachen — was — mas millft du dem Herrn
von Slanten denn fchreiben?“ fragte Jolante fehr leije,
ohne von ihrem Zeller aufzufehen. Sie war die einzige
gewefen, die nicht mitgeladht, fondern auffprühenden
Dlids fich auf die Lippe 'gebiffen Hatte.
Herr von Dern⸗Groppen ſchob in befter Laune feinen
Zeller zurüd.
„sch werde den Herrn von Flanken aus Rache ein-
laden, morgen bei uns zu effen. Dann foll er zur
Strafe den falten Pudding, an dem er die Schuld
trägt, Bis zum lebten Happen ’runterwürgen. Hebft
ihn auf, Dore, ganz fo, wie er da ift, verftanden?“
Siebgebntes Kapitel
Urſula Hatte fich über alles Erwarten gut in Dem
Haufe ihrer neuen Pflegemama eingelebt, und als Herr
bon Kuffftein mit fehr viel Rührung und fehwerfter
Aberwindung Abfichied nahm, da Hopfte ihn feine Sinzige
tröftend auf den breiten Rüden und fagte: „Mach doch
feine Schnaden, Julhen! Was ift denn dabei, wenn
ih ein paar Wochen bier bleibel Wenn mir die An-
gelegenbeit flau 'erfcheint, gehe ich einfach durch Die
Lappen und fomme heim! ®ib mir ein bißchen Reife-
geld, ja? Pie Mama bat ja befohlen, daß ich außer
meinem ruppigen Tafchengeld, mit dem ich mich hoͤchſtens
als Sperrgut aufgeben Lönnte, feinen gebogenen Seller
in die Hand bekommel“
„Du arme Wurm! Ra Warte, dafür wollen wir
176
Ihon unfer Segengift verzappen! Meine Tochter und
fein ©eld haben! Womit follfte denn deine Jugend
geniefen? Die Mama hat ja gar feinen Begriff, wie
teuer das Amüjieren in der Hauptftadt ift! Da, Fröſch⸗
hen, pad Dir mal diefe Scheine Hier als ‚Rettungs-
fonds‘ in irgendeinen Strump’ rein; wenn’s alle tft,
Ihreidfte an mich aparte, verjtanden, fo ein kleines
Zettelchen, Das ganz harmlos in einem großen Brief
liegt, — — dann fhid ich dir gang ebenfo harmlos
eine Kite voll Kuhkäſe oder eine Trüffelwurft und dabei
eine Portion Silberlinge. Und Hörfte, Urſchel⸗Purſchel⸗
hen, daß du dich nicht etwa Hier fchilanieren läßt!
Du tuft, was du willſt, hat dir feine Menfchenfeele was
su befehlen! Iſt ja Unfinn mit der Zieraffereil Ih
war mein Leben lang au ein frifeher gottiwohlge-
fälliger Kerl, der mit den Flegeljahren fiamefifch ver-
wadhjen war, und bin doch immer vorweg durch die _
Welt gelommen!*
Arfulas Augen bligten. „Ich mich ſchikanieren laffen?
Ich ftredte ihnen die Krallen entgegen, wie ein Maitäfer!“
Der Dergleidy entzüdte Papa Kuffftein und ließ ihn
ruhig fcheiden. Urfula aber Hatte beim beften Willen
feine ©elegenheit, Front gegen irgendwelche Hinten-
anjegung ihrer ‚tonfirmierten Würde‘ zu machen.
Tante Antigna refpeltierte die achtzehn ehrwürdigen
Lebensjahre ihres Pflegetüchterhens in geradezu wohl⸗
tuender Weife, und Yrfula, die anfänglid poll Miß-
trauen die unzähligen Reprimanden, die ihr in Wolfwig
von Mutter und Souvernanten ftünblich zuteil wurden,
erwartet hatte, war geradezu verblüfft, daß die Gräfin
fie vollftändig als Dame behandelte. Sie fchien gar
nit anzunehmen, daß Urfula irgendweldhen Verftoß
gegen die gute Form begehen koͤnne, und das fchmeichelte
der Kleinen ganz gewaltig und fpornte fie an, ohne daß
fte es felber recht wußte, ſolch ein Vertrauen zu recht“
fertigen. &$ lag in dem verzogenen und eigenfinnigen
Weſen des jungen Mädchens, gegen jeden Befehl ober
Derweis ein für allemal zu opponieren; hier hatte fie
176
das nicht nötig, und die kluge Methode der Gräfin,
lediglich an das Selbſtbewußtſein ihrer Pflegebefohlenen
au appellieren, ſchien in jeder Weife richtig zu fein.
Graf Ferdinand Antigna war ein Stiller, zerjtreuter,
von Geſelligkeit und Arbeit frühzeitig überanftrengter
Mann, der fih feiner Familie felten widmen fonnte
und felbft die Erziehung feiner Söhne der geiftig fo
bedeutenden ®emahlin ohne Skrupel überließ. — Rense,
die blonde, lächelnde Frau, ſchlank und biegfam wie eine
Binſe, führte mit gragziöfer, aber eiferner Energie Das
Regiment im Haufe, und die Wege, die ihr Llarer,
Icharfer Geiſt den PBerfonen ihrer Umgebung borzeichnete,
mußten fie wandeln, mochten fie wollen oder niit. Die
Gräfin Hatte ſich noch nie in ihren Berechnungen ge»
täuſcht. Alles war geglüdt, fo wie fie es ermefjen und
durchgeführt Hatte. Ihr ältefter Sohn war Mufter an.
Sleiß und Gehorſam. Seine Begabung war ganz außer»
gewöhnlich, fein frühes Szamen brillant; er berechtigte
jeine Eltern und Lehrer zu den ſtolzeſten Hoffnungen,
und Gräfin Antigna nahm mit ihrem anmutigen Lächeln
die ©ratulationen entgegen und gedachte jener Zeit, da
Henry dag geiftig trägfte, renitentefte Kind gewefen, das
jemals die Kinderftube gefannt. Wit weichen, aber
zwingenden Händen hatte fie das Wunder feiner fee-
liſchen Wandlung vollbracht, hatte mit filbernem Häm—⸗
merlein folange Splitter um Splitter gelöft, bis endlich
die Lichtblige der Diamanten aus der Ihwerfälligen toten
Kohle brachen.
Und mit diefem felben Hämmerlein Huger Berechnung
modelte fie jet an Urſulas reigendem Bild, wenn»
gleih ihre Hände dabei ftil im Schoße lagen und
fein leiblihes Auge ihre Arbeit fchauen konnte.
Die ereignisreiche Stunde hatte gefchlagen, da dag Heine
Fräulein vom Land am Hof präfentiert werden follte.
Graf Ferdinand Antigna war mit feiner Samtlie zur
Tafel befohlen, und Urfula, ſowie Graf Henry jollten
bet dieſer Gelegenheit, auf Wunſch Der raue
den Höchften Herrſchaften vorgeftellt werden.
12 Eſh ſtruth, Hofluft 177
Mit glühbenden Wangen und Iuftbligenden Augen
batte Fräulein von Kuffftein Toilette gemadt. Die
lange Echleppe, von Krepp Diamant überhangen und
Durhichlungen von perlgligernden Shenillenegen, ſchien
ihr ganz bejonderen Spaß zu bereiten,. und die Füßchen
ehr energifch aufſetzend, fchritt jie Durch Die Länge des
Zimmers auf und nieder, jich des Triumphes zu freuen,
Daß der ‚famoje Pfauenſchwanz' wohl oder übel Hinter
ihr ber mußtel Bon irgendweldher DBefangenheit war
feine Spur an Urſula zu entdeden. Herzklopfen Tannte
fie überhaupt nicht, und der Gedanke, daß ein Beſuch
am Hof doch etwas ganz DBefonderes fei, für ein junges
Mädchen etwa ein Ahnliches, wie für eimen Krieger Die
erfte Schlacht, der Gedanke fam Ihr gar nicht in den
Sinn. Sie freute fi, wie fie fich ftets freute, wenn
‚was los war‘, und war überzeugt davon, daß man
im Palais ihren Befuch genau fo als Ehre und Aus-
zeichnung würdigen werde, wie Daheim, wenn die kleine
Tyrannin von Wollwis bei dem DBürgermeifter von
Daſſewinkel mit ‚Bieren lang‘ porfuhr.
Gie imponierte einftweilen der Kammerjungfer ganz
gewaltig mit ihren Plänen, was fie der Königin⸗Mutter
oder ber Prinzeſſin Sordelia alles für forfche Geſchichten
erzählen wollte, und verjicherte noch einmal, eg fiele ihr
ja gar nicht ein, ſich bei dem Kompliment auf die
Haden zu feßen, das fönne fie nicht, ihre Kratzfüße wären
ja bis jetzt immer fhön genug geweſen! Gräfin An-
tigna hatte ihr nämlich gezeigt, wie man fi) vor den
Herrihaften zu verneigen babe, und Urſula Hatte fich
halb totgelacht und gefagt: „Nee, das tue ich nicht,
Zante, da kann id) mid) ja lieber gleich rollen!“
„Das ift deine Sache, liebes Kind, ich denke, bu
wirft Dich benehmen, wie alle andern Damen und nicht
wie ein Baby, das ein Knidschen macht.“
„Baby oder nicht Baby! Das ift mir ganz fehnuppe,
ih made alles, wie ich's fonft mache!“
Die Gräfin wechfelte mit. feinem Lächeln das Thema.
Und nun fiand Papa Kufffteins Herzblättchen im Salon
178
und wartete auf ihre gräfliden Pflegeeltern. Sie ſah
reizend aus, fo zierlich, Ted und elegant, als habe Schlitt-
gens Feder fie als Feine Skizze gegen die goldfarbene
Ledertapete gezeichnet.
Nebenan im Boudoir Hangen Stimmen. Tante Rense
und ihr Sohn ſchienen in einen Heinen Wortwechfel
verftridt. Urſula knöpfte gelafjfen ihre Handſchuhe zu.
— Henry war ein Stieſel! Soviel ftand bombenfeft.
Sp albern wie er hatte ſich noch fein Menfch zuvor
gegen ſie benommen. Gigentlich kannte fie ihn gar nicht,
denn freiwillig hatte der junge Mann nie ein Wort
an fie gerichtet. Sie fah ihn aud nur bei den Mahl-
zeiten, und zwar hatte er am erften Tage an ihrer
Seite gejeffen; als aber Urfula, den Verkehr auf fröhliche
Weife etwas anzubahnen, ihm meudhlings eine heiße
Kartoffel auf die Hand legte, fchien er in dämlichſter
Weiſe verfchnupft zu fein, denn andern Tags hatte er
mit feinem Mentor den Pla gewechfelt und faß ihr
nun gegenüber. Urfula dachte in gerechtem Zorn: „Du
kannſt mir den DBudel "nauffteigen, bis ich mit Dir
mal wieder einen Wit mache!“ und wartete, bis er ge-
fälligft eine Unterhaltung beginnen werde. Das geſchah
aber nicht; im Segenteil, Henry fchien jede Gelegen⸗
beit au vermeiden, fi an die junge Dame zu wenden,
nur feine finfteren ‚unterirdifhen‘ Augen chidten bier
und da einmal einen ſchnellen Blid unter den ſchwarzen
Wimpern zu ihr binüber. — Was man wohl fo lebhaft
zu verhandeln hatte nebenan? Urfula fchlug die Füß-
hen übereinander und gähnte.
„And troßdem wiederhole ich dir meine Bitte, Mamal“
Hang Henrys Stimme Ieife und durch die Zähne zu
ihr berüber, „und bei Gott mit gutem Grunde. Wenn
ich jebt, da ich noch mitten im Studium ftehe, jofort mein
Doktorexamen abjolpiere, gefchieht es halb fo mühevoll,
wie in Jahresfriſt, und daß ich jebt an der Arbeit
bleibe, ohne mich zu zerftreuen, tft für meine ganze
Zufunft von äußerfter Wichtigkeit —“
„Sewiß, my boy! Das fehe ich polllommen ein und
> 179
will dich deinen Studien durchaus nicht entziehen; aber
ich verlange, daß ſie dich nicht pollftändig abforbieren,
daß der Ölanz deines Wappenſchildes nicht mit Bücher-
ftaub überzogen werde, daß du über den Poltor nicht
den Srafen von Antigna vergißt, der die erften und
größeren Rechte an dich befigt! Du weißt, daß eg deines
DBaters und mein Wille ift, unfern Namen durd) Dich
auch für die Zukunft bei Hofe vertreten zu laſſen! Pie
furze Spanne Zeit, die du den Studien entziehft, wirft
Du mit Deinem Fleiß und deiner Begabung bald wie»
der einholen.“
„Nicht das iſt es, Mama, nicht das!“ Die Stimme
des jungen Mannes Flang gegen das ruhige, fühle
Organ der Mutter erregt und zitternd. „Warum zwingft
Du mich, mid) felber fo vor dir zu demütigen, mit
Worten auszufprechen, was du ahnſt und weißt! Du haft
jene Kämpfe mit mir durdlebt und durdjlitten, Die
mich zu einem ftrebenden Menfchen gemacht. AU mein
Fleiß, all meine vermeintliden Fähigkeiten jind Un-
natur, Deine eiferne Strenge, für die ich Dir dankend
die Hand küſſe, Haben jene glänzenden Sigenjchaften wie
einen Banzer um mein ureigentlihes ‚Sch‘ geichmiedet.
Das Teichtjinnige, Ieidenfchaftlihe und zügellofe Blut
der Antigna, das ſchon als Knabe in mir repoltierte,
liegt dahinter in Bann und Ketten. Arbeit und Streben
find mir zur Gewohnheit geworden, weil Du es fo be»
fablft; du Haft fie mir aufgepfropft, wie einen edlen
Zweig auf wilden Schößling. Jetzt aber will das
fremde SlIement mir in Fleifh und Blut übergehen, Die
Arbeit beginnt meine Paſſion zu werden. Mich jebt
aus meiner Bahn berausreißen, mir Welt und geben
zeigen, heißt meine Zukunft opfern!“
„untoiefern?“
Seine Worte Fangen erjtidt, wie in flehender War⸗
nung. „Ich kenne mich beffer, als du mich kennſt,
Wutter. Ich weiß, welch fchweren Kampf ich gegen
meinen Charakter zu Tämpfen babe. Ich Bin ein Sin-
ſiedler, ein menſchenſcheuer Narr geworden, teil ich
180
es nicht wagte, mic) einer DBerfuhung auszufegen, ich
hätte ihr nicht widerſtanden. Sch bin ein Antigna.
Leben genießen, die Jugend verträumen und verjubeln
ift der Sifttropfen und das Srbteil unfres füdländiichen
Blutes. Mein Leichtfinn ringt mit meinem Pflichtge-
fühl; erringe ich jegt nicht den Sieg, erringe ich ihn nie.“
„Du bift ein Phantaſt, mein Tieber Henry. Der
Verkehr bei Hofe verträgt fich mit den folideiten An⸗
fihten!* |
„Sr ift der Anfang pom Endel Gr tft jener erfte
Stern am Himmel, dem taufende folgen, und wenn
man einmal feinen Glanz gefhaut, gewöhnt man jid)
nie wieder an die Duntelheit.“
Henry war an die Tür getreten und hatte fie ge»
öffnet; Hoch aufgerichtet ftand er, die Türflinfe in der
Hand, eines letten Beſcheides harrend. Urfula konnte
in das Bouboir jehen. Sie ſchaute juft auf die Gräfin,
die ruhig und beftimmt wie ftets por ihrem Sohn ftand
und den wunderfamen DBlid feft auf fein Antliß beftete.
„Bollende deine Zoilette, mein Sohn; der Wagen,
der dich deinem Fürften und Landesherrn zuführen Joll,
wird in einer Dierteljtunde por der Tür ftehen. Auf
Wiederfehen, my boy, nicht mehr mit dieſer finfteren
Stim, fondern ftolz wie ehemals die Knappen, ba fie
ein königlich Schwert zum Ritter ſchlugl“
And die Stäfin lächelte ihm anmutig zu und reichte
die Hand dar. Henry Füßte fie. „Sch werde bereit
fein, Mama.“ Und damn trat er über die Schwelle und
ſchloß Hinter fi die Tür.
Als er das Zimmer durdhfchreiten wollte, erblidte er
Urfula und wich bei ihrem Anblid frapptert zurüd.
Gr ſah fehr bleich aus, und feine Augen, die zum
erftenmal dem Blid des jungen Mädchens in vollem
Anſchauen begegneten, waren von dunfel fprühendem
Glanz.
Sinen Augenblick ſtarrte er auf die farbenprächtige
Erfheinung, dann legte er ſchnell die Hand gegen die
Stirn, als befänne er ſich.
181
„Wir find Schidfalsgenoffen? Sie werden heute auch
zum erftenmal SHofluft atmen, Fräulein Urfula?“
Noch niemals zuvor Hatte er fie angeredet, groß und
überrafcht blidte fie zu ihm auf.
„Na natürlih! Sch Tomme mir por wie ‚das Heine
Zämmlein weiß wie Schnee‘, Das mit einer Strippe um
den Hals auf Srafung geführt wird!“
Er lächelte zerfireut. „Sie tragen Mohnblüten im
Saar und an der Bruft — aus Zufall?“
„zante Rense hat fie ausgewählt; vielleicht will fie
den Leuten glei) ‚Dur die Blume‘ fagen, daß ich
noch ein riefiges ‚Mohntalb‘ Bin!“ Und Fräulein von
Kuffftein belachte ihren vermeintlihen Wit mit lauter
Stimme. |
Henry biß ſich leicht auf die Lippe, ohne mitzuladhen.
„Bir wollen die gleihen Farben tragen. Ste offiziell,
und ih ſymboliſch und verftedt. Geben Sie mir eine
diefer roten Blumen der DBergeffenheit und Betäubung,
ih Bitte Sie darum!“ Er ſprach haſtig und Ieife, den
Did underwandt auf den DBlütenftrauß an ihrer DBruft
geheftet. |
„Meinetwvegen! Kleben Sie fi diefen rigebrand-
farbenen SKladderadatih ins Knopfloch! Puterhähne
wird’s ja nicht geben, die wir wild machen.“
Er nahm fehnell die Blume, verneigte fich dankend
und war im nächſten Augenblid Hinter der Tür ver—
ſchwunden.
„Ein verdrehtes Subjekt!“ dachte das kleine Fräulein
vom Lande. „Ich bin wirklich geſpannt, ob er mit dem
roten Auswuchs über dem Magen losziehen wird!“ Und
ſie erhob ſich und rauſchte, rückwärts nach der Schleppe
blickend, vor den Spiegel, um das derangierte Bukett
wieder zurecht zu zupfen. — Wie lange das nur dauerte,
bis der Wagen kam, bis Tante Rense im fliederfar-
benen Moirs antique über die Schwelle trat. Wie
Ihön fie ausfahl Wie die Teuchtenden Falten Der
Schleppe bei ihr fo viel gleichmäßiger über das Parkett
wogten, als bei Arfulal Ste bewegte fich aber auch
182
viel langfamer und gemejfener, während fich die Kleine
fo lebhaft Hin und ber drehte, Daß fich der Stoff in un-
Ihönfter Weife um die Füße widelte. Die Gräfin hatte
es gejehen und gelächelt, aber fein Wort gefagt. Das
machte Urjula verlegener als ein Berweis, darum wollte
fie eg auch um die Welt nicht wieder zeigen, wie un»
gewohnt ihr ſolche Sourfchleppen waren. Sie beobachtete
jede Bewegung der Balaftdame und fopierte fie mit
der ihr eigenen Grazie und Befchidlichkeit. Und wieder
lächelte die ©räfin, aber diesmal unbemerkt. Endlich
lag der Pelz auf den Schultern der beiden Damen,
endlich beftieg man bie Oalaequipage, Die im Haus-
flur wartete.
Straf Ferdinand und fein Sohn, der zu Urſulas
großer Aberrafhung die Mohnblüte noch nicht angeftedt
hatte, folgten in einem zweiten Wagen.
Abermütiger als je benahm ſich der Feine Wildfang
aus Groß⸗Wolkwitz. Der Himmel Bing ihr voller Baß⸗
geigen, fie ſchwatzte und late und kannte auch nicht
das mindefte Gefühl von Scheu und Beklommenheit.
Sollten fih Sräfin Antigna und Braf Lohe doch ver»
rechnet Haben? — — Abwarten.
Der Lichtglanz der Hohen Gaskandelaber brach fi
in den gefchliffenen Wagenfenftern, die Gquipage faufte
die Auffahrt empor und zwei Lafaien fprangen aus
dent Portal hervor, den Schlag aufzureißen.
„Do Bin if, ſprak de Swinegell“ rezitierte Fräulein
bon Kuffftein poll großen Behagens, klappte dem Lafai
mit dem Fächer auf die dargereihte und dann ſehr
überrafcht zurüdigezogene Hand, und [prang ohne. Hilfe
auf den Zeppich nieder.
Mit neugierigen Augen fchaute fie fi in dem Veſti—
bül um. „Ab, fieh mal, Tante, die beiden Marmmor-
terle Haben wir zu Haufe auch! Bei ung fteht aber noch
der ‚Stierbändiger‘ in der Mitte, dem ich mal Papas
alte Lederhoſen angeflemmt hatte, als der Landesdirektor
zum Diner erivartet wurde!“
Ihr Lachen Hang ganz ſchauerlich in dem feierlich
183
Stillen, hochgewölbten Raum. Tante Rense wandte fe-
fundenlang das Haupt und fah fie ftarr an. Und wie
Urſula die Sefichter der Lakaien anſah, ernft und würdig,
wie fie die junge Dame anftarıten, wie eine Bifton, da
hatte fie untoillfürlih das Gefühl, als fei fie in der
Kirche.
Zautlos wurden die Pelze von den Schultern ge-
nommen, und als Graf Antigna an einen der Kammer-
Diener eine Srage mit halblauter Stimme richtete, ant-
wortete dieſer unter tiefer Derneigung im Flüfterton.
„Du fag’ mal, Tante, nach was riecht es denn nur
bier?“ fragte plögli Urſula laut.
„Ambra.“ Sehr leije fang es von den Lippen der
Sräfin, und ihre Augen ſahen aus, als ob fie Dabet
dächte: „Das weißt du nicht?“ — Und die Lakaien ſahen
fie ebenfalls fo groß und ftarr an — abſcheulich!
„Was gloten die Kerle mich nur fo an?“ fragte
Urſula ganz nervös zu Henry auf.
„Wir find im Palais, Fräulein Urfula!* Hang es
boll leifen Borwurfs zurüd.
„Das fängt ja recht Iuftig an! Wird denn bier nie⸗
mals laut geſprochen?“ Keine Antwort.
. Urfula wurde ganz Fleinlaut. Ambra? — Tein,
das Tann unmögli Ambra fein, das Parfüm gibt’s
auh in Groß⸗Wolkwitz, aber bier, bier liegt fo etwas
ganz Gigentümliches in der Luft, es benimmt förmlich
den Atem und geht fo fühl durch alle Slieder; und
Dazu mag fie Hinfehen, wohin fie will, überall ftarren.
fie ein paar ernfte, feierlihe Augen an.
„Biſt Du bereit, Urfula?“
„Natürlich, längſt!“ Ganz unwillfürlich hat die Kleine
Das helle lachende Organ gedämpft. Der Braf bietet
feiner Gemahlin den Arm, fie die breite Marmor-
treppe mit dem blaujfamt gepoliterten ©eländer von
vergoldetem Schmiedeeifen empor zu führen.
Arfula und Henry folgen. Auf den Abfäben ftehen
bielarmige Leuchter zwifhen Palmengruppen, Gobe⸗
Iins mit verfchiedenartigften Darftellungen befleiden die
184
Wände, und prächtige Malereien unterbrechen den prunk⸗
pollen Stud des Plafonds. Kein Laut, fein Lachen,
fein Wort, Teppiche dämpfen den Schritt, und überall
weht die abjonderlihe Luft, die fi wie ein kühler
Singer auf Urjulas Lippen legt.
Slügeltüren werden aufgeriffen, ein Lichtmeer ſchim⸗
mert den Gintretenden entgegen. ®ott fei Lob und
Danf, aud) Stimmen ſchwirren in zwar nicht ſehr lauter,
aber animierter Unterhaltung ihnen entgegen. Arfula
atmet erleichtert auf, ihr Blick fhweift zu dem Antlit
ihres DBegleiters empor. Seltſam verändert ift es, heiße
Röte brennt darauf, und feine Augen bligen beim An-
blick der Pracht und der anweſenden PBerjönlichteiten.
Zum erjtienmal im Leben bat das junge Mädchen
das Gefühl, als müjfe fie bleicher als font ausjehen.
Die fühle Luft, die fo feierlih dur) das Veſtibül
wehte, ift ihr auf die Nerven gefallen. Jetzt wird eg
bald anders werden.
Graf Ferdinand und feine Semaplin begrüßen fi)
mit den anwefenden Herrſchaften in fehr freundfchaft-
licher und wohlvertrauter, aber dennoch durchaus form-
poller Weile. Ein Efordialer Heiner Schlag auf die
Schulter oder ein Fächerſtoß in den Rüden, wie Urfula in
den heimiſchen Kreifen gern ihr Erſcheinen im Salon
ankündigte, fcheint bier eine Unmöglichkeit zu fein. Die
Kleine fieht fih Die Begrüßungsizene mit großen Augen
an und findet es in Gedanken furdhtbar albern, daß
Menfchen, die ſchon jahrelang befannt find, fich derart
beknickſen!
Gräfin Antigna iſt zu den beiden Hofdamen de
Königin-Mutter getreten, ihnen die Hand zu drücken.
Die DBlide begegneten ſich wie in heimlichem Ginver-
ftändnis und fehweifen dann weiter zu YUrfula, die ein
Win? der graziöfen Hand Renses an die Seite Der
- Pflegemutter ruft.
„Geſtatten Sie, liebe Komteffe, daß ich Ihnen mein
eines foster-child Urfula von Kuffftein vorſtelle!“ lä⸗
chelt fie. „Sin foeben flügge gewordenes Küchelchen,
185
das fih den Winter bet ung amüfteren will! Beſtes
Stäulein von Jäten, empfehle es auch Ihrem Wohl
wollen!“ |
Urfula gedentt daran, Daß fie abfolut feinen fo däm⸗
lichen tiefen Knids machen will. Sie blidt lachend
au der Komteſſe mit den goldblonden Stimlödchen und
dem feinen englifch gefchnittenen Geſicht empor und nidt
ihr, fowie Fräulein von Jäten huldvoll zu.
„Und wie amüfieren!*“ befräftigt fie, ohne eine An-
rede abzuwarten, „den einen Abend ſchwofen und den
andern ins Theater gehen und zwifchendurd) fich bei
Diners 'rumfuttern! Nicht wahr, Tante Rense, fo flott
muß es gehen, daß mir rein die Puſte verlieren!“
Die Eomifhl Die beiden fremden Damen Hatten te
doch erft fo freundlich und vergnügt angefehen. Jetzt
mit einem Male machten fie diefelben rımden Slasaugen
wie vorhin die Lakaien, hoben Das Haupt fteif in Den
Nacken und wechſelten dann untereinander einen fehr
eigentümliden DBlid. „Es fol mich freuen, Fräulein
bon Kuffftein, wenn Sie in unfern SKreifen heimiſch
werden!“ entgegnete Komteffe von Wartenpogt mit
ihrer zarten, filberhellen Stimme und ſah Dabei ziemlich
hochmütig aus; fie wandte fih dann zu Gräfin Antigna
und fuhr ganz verändert, heiter und liebenswürdig fort:
„Welche Freude, daß wir endlih auch Ihren Herrn
Sohn unter uns begrüßen fönnen, befte ®räfin, er
nimmt Hoffentlich noch ©ratulationen zu dem brillant
beftandenen Szamen entgegen!“ und fie nidte bereits
mit Tächelndem Münden dem Grafen Ferdinand zu,
der foeben mit Henry hHerantrat, den Erben feines
Namens der Huld der beiden Damen zu empfehlen.
Urfula bemerkte es höchlichſt verwundert, daß fie Da-
ftand wie Butter an ber Sonne; ehe fie aber eigen-
mädtig wieder eine Ynterhaltung anfnüpfen Tonnte,
nahm Tante Rense abermals ihre Hand. „Komm, mein
Herzen, ih möchte dich Exzellenz Langern, der Ge⸗
mahlin des Landftallmeifters, zuführen; die beiden andern
alten Damen find Generalinnen.“
186
„Wenn doch lieber die Königin⸗Mutter kommen
wollte!“ grollte die Kleine, ſich ſehr unbehaglich fühlend;
„bis jest ift noch gar fein Wib bei der ganzen Sache.“
Diesmal fielen aber die Knidfe ſchon bedeutend tiefer
aus, und als fi) das magere, ſcharfgeſchnittene Geſicht
der Exzellenz ihr zuwandte, da. fanf Urſula ganz un»
willfürlih noch etwas mehr in fich zufammen.
„Ad, Kuffftein!“ nidte die alte Dame, das Antlitz
für einen Moment in freundlide Fälthen zwingend,
„it mir ja fehr intereffant, meine teuerfte Gräfin!
Das einzige Töchterhen unfrer charmanten Dalesta
Saffeburg-Öhrten, ber ehemaligen Hofdame der Prinzeß
Ludwig!“ erläuterte fie den umftehenden Damen mit
fehr wohlwollendem Stimmflang. „War mir ftets eine
äußerſt ſympathiſche GErſcheinung! Freut mich fehr, Sie:
-Tennenzulernen, mein liebes Fräulein von Kuffftein, Sie
müffen mir viel Srfreulihes von Ihrer idealen Heinen
Mama erzählen!“
„Die alte Schachtel meint's wenigftens gut!“ Dachte
- Yrfula, und darum ftredte fie ihr wie einem guten
Kameraden die Hand entgegen und erwiderte vergnügt:
- „Schön guten Sag, Exzellenzl Wenn ich Ihnen viel
GErfreuliches von Modelden erzählen foll, müßte ich
Sie mal Träftig anlügen, fonft weiß ich faktiſch nicht,
wie ich's machen foll!* Sie wollte Tachen, verftummte
aber ganz erfchroden bei der jähen Wandlung im Seficht
der Zandftallmeifterin. Die ‚Ratenpfötchen‘, jene hundert
feinen Fältchen der Freundlichkeit, waren von den Au-
genwinkeln wie meggeblafen; die dargebotene Hand
ſchien fte fowiefo gu überfehen, aber nun machte fie au
die entfeblihen Augen, deren Marmorblid die Be»
berrfcherin von Wolkwitz bis ins Mark und Bein hinein
frieren ließ, diefe gräßlichen Augen, die eine fo un«
beimlide Wirkung auf Urfula übten! Und wohin fie
ſchaute, überall ftarrten fie diefelben Blide anl Die
beiden Hofdamen, die Taufchend die Köpfe berumge-
dreht Hatten, die Kammerherren und Adjutanten, die
näher berangetreten waren, um fich der jungen Dame
187
porftellen zu Iaffen, alle ftanden da wie verfteinert und
faben fie an, und dann ſanken die Wimpern über Die
Augen, und fie fuhren in ihrer Unterhaltung fort.
Urſula aber hatte die Empfindung, als ob fie Die
gleiche fühle, atembenehmende Luft anwehe, wie im
Beftibül drunten, eine Luft, die all ihren Abermut
lähmt und die nämlichen Eigenfchaften zu befiten fcheint,
wie ein Kappzaum, der den feden Kleinen Füllen an«
gelegt wird. — Wenn die Menfhhen doch ſpöttiſche
oder molant boshafte Geſichter machen wollten, dann
würde Urfula wiffen, woran fie ift und aus lauter Trotz
erft recht übermütig fein, aber dieſes ftarre Anſehen
bat nichts Deleidigendes, fondern nur etwas gräßlich
Deprimierendes. Was hatte fie denn nur getan?
Aha! Mademoifelle Hatte ihr hundertmal gejagt: „Bei
DBorftellungen Haft du abzuwarten, ob die betreffenden
Damen dich anreden — du haft niemals einer älteren
Dame zuerft die Hand zu reihen — du haft auf ihre
Stagen reſpektvoll und manierlich zu antworten!” Das
wird’S wohl gewefen fein, was die Leute fo verfchnupft
hat! Na, in Zukunft fann fie ihnen ja den Willen tun
und fi wie eine Drabtpuppe benehmen! Wie es fein
muß, weiß fie ganz genau, aber fie hat fi) niemals nad)
Vorſchriften gerichtet. Wieder fteht fie für ein paar
Augenblide ignoriert. Tante Renee fpricht mit ge»
dämpfter Stimme zu den alten Damen, und die Erzellenz
verzieht den Mund zu feinem Lächeln.
Straf Antigna ftellt Urſula verjchiedene Herren por;
diefe verneigen fih ftumm und ziehen fich wieder zurüd.
Abermals fteht Urfula allein. In ihren Füßen Tiegt’s
‘wie Dlei; fie, die fonft Eommandierend und ſchwadro—
nierend kreuz und quer Durch jegliche Salons triumphiert
bat, wagt bier faum noch den Kopf zu wenden.
Da tritt die Exzellenz wieder zu ihr heran und fragt
freundlih, ob die arme Mama immer noch Ieidend fei?
Urſula macht einen Knids und antwortet fo nett und
mwohlgejittet, al8 wolle fie fi alle Mühe geben, die
Scharte von vorhin wieder auszuwegen. Und dann tritt
188
auch Komteß Wartenpogt zu ihr heran und fragt, ob
Arjula ſchon mehr am Hof verkehrt habe, oder ob es
ihr lieb fet, hier und da in ungewohnten Situationen
einen Heinen Wink zu erhalten.
„Ad ja, drillen Sie mich, bitte, ein bißchen zurecht!“
nidte die Kleine poll treuherzigen Eifers, „es ift mir
gräßlih, wenn die Leute mich mit ſolchen Rollaugen
anglumpihen! Ich Tann doch nichts Dafür, Daß ich
eine ſolch ungebildete Landpomeranze bin!“
„Aber mein liebes Fräulein von Kuffitein!* fchüttelt
die junge Dame mit erzgiwungenem Ernſt das blonde
Köpfchen, „das wird niemand von Ihnen jagen und
denten, wenn Sie fih den Formen anpaffen, die bier
nun einmal innegehalten werden müſſen. Sie find ja
fo leiht und einfah! Reden Sie in der erften Zeit
recht wenig, dann find Sie ficher, nihts Ungehöriges
zu jagen, benehmen Sie ſich fo, wie Gie es bei ung
fehen, und fein Menfch wird ahnen, daß Sie noch fremd
in unjern Kreifen find. Was Ihnen zuerft Studium
ift, wird Ihnen dann fpielend zur Gewohnheit.“
AUrſula hob die Anterlippe ein wenig vor. „Ich
finde dann den Spaß, an Hof zu geben, aber recht
mäßig!“
„Das werden Sie nach dem erften Hofball nicht mehr
fagen. Treten Sie jett zur Seite neben Ihre Frau
Dante, Die Herrihaften werden ſich fofort Durch jene
Tür bierher begeben.“
Das Aufftoßen des Stabes meldete Ihre Majeftät die
Königin-Wutter. Die breiten Flügeltüren ſchlugen aus
einander, und die hohe Frau trat langſam, das Haupt
nach allen Seiten neigend, in den Smpfangsfalon.
Die impofante Feierlichkeit Diefes Augenblids machte
auf Urfula einen tiefen Sindrud, und um Die Lippen der
Gräfin Antigna, die ihre Schußbefohlene heimlich beob-
achtete, fpielte ein Lächeln freudiger Senugtuung.
Der Sercle der antvefenden Damen und Herren, Der
fih vor den eintretenden Herrjchaften gebildet, begrüßte
Diefe durch eine lange und ehrerbietige DBerneigung,
189
und Gräfin Antigna, im Dienft einer Palaftdame, trat
etliche Schritte por und küßte die gnädig dargebotene
Sand der ©ebieterin.
Die Königin-Mutter war eine hohe, impojante Frauen⸗
geftalt, an der die Iangfchleppende Pracht einer ſchwar⸗
zen Samtrobe in fchweren Falten niederfloß. Weiße
Berlen von feltener Schönheit bildeten in langen Ge⸗
hängen ihren Schmud, und auf dem ergrauten leichtge-
Iodten Haupthaar lag ein ſchwarzer Spitzenſchleier, den
ein perlengejchmüdtes Samtdiadem zufammenbielt.
Im Gefolge der Königin traten die zur heutigen
Tafel anwejenden Mitglieder der erlaubten Familie
ein. Die Ältefte zum Beſuch weilende Tochter, Herzogin
bon Würzburg nebft ihrem Gemahl, jowie Prinzefjin
Sordelia, Nichte der Königin und Tochter Des ver-
ewigten Prinzen Franz, fowie der füngfte Sohn Ihrer
Majeftät, Prinz Theobald, die Uniform feines Garde»
Srenadierregiments tragend.
Yrjulas Herz ſchlug Hoch. im Halle, als Gräfin An«
tigna ihre föniglihe Herrin mit lauter Stimme um Die .
Srlaubnis bat, Fräulein Urfula von Kuffftein präfen«
tieren zu Dürfen. Wieder diefe furchtbare Stille, wieder
dieſes ftumme Anftarren aus aller Augen, wieder dieſe
alte Luft, Die durch alle Nerven riefelt! |
Yrjula fühlte ihre Knie beben, fie ſank in tiefer, tiefer
Derneigung vor der hohen Frau zuſammen und wagte
faum die Wimpern zu beben.
Sehr huldvoll und gnädig ſchlug die volle Altftimme
der Königin an ihr Ohr, eine Frage nad) der Mutter,
Die noch wohl bei ihr in Erinnerung ftehe, und die
Außerung, daß Deren Tochter in Diefen Räumen, Die
lange Jahre hindurch die Heimat der ehemaligen Hof-
dame geweſen, freundli willlommen gebeißen feil —
Wo waren Urjulas fedlihe Illuſionen geblieben! Kaum
daß fie es wagte, die [hüchternfte Antwort zu ftottern.
„Ste hat Valeskas Augen geerbt, fonft finde ich je-
doch Teine Ahnlichkeit und feinen Zug aus der Sajfe-
burgſchen Samiltel“ bemerkte Ihre Majeftät noch, mehr
190
zu ihrer Palaftdame gewandt, und dann [chritt fie mit
abermaligen Kopfneigen meiter, Henry und die andern
Herrſchaften durch eine Anrede auszuzeichnen. Auch die
Herzogin pon Würzburg richtete ein paar freundliche
Worte an Arfula, und Prinzeſſin Gordelia reichte ihr
jogar mit einem unendlich anmutigen Lächeln die Hand
und war von ſolch heragewinnender Liebenswürdigfeit,
daß der Heine Wildfang aus Groß⸗Wolkwitz erleichtert
aufatmend das Köpfchen bob und wieder fefter auf den
Sohlen der weißen Atlasihuhe ftand. Mit ftaunendem
Sntzüden weilte ihr DBlid auf der Prinzeſſin, die im
weißen Spitenkleid zart und liebreizend wie ein Duft-
gebilde vor ihr ftand. Pie Furzgefchnittenen Löckchen
umrahmten das rofige Befichtchen, Das wie ein gütiger
Engel mit ſamtſchwarzen Augen zu ihr niederlächelte.
Gede Bewegung war graziöfe, mädchenhafte Würde,
jedes Wort vornehme Natürlichkeit.
Arfulas Befangenheit war wie durch einen Zauber-
ſchlag verflogen, und dennod) klopfte ihr Herz por Angft,
irgend etwas Angehöriges zu tun. Sie würde es ja
gar nicht überleben, wenn ſich auch) Die Augen der PBrin-
zeſſin Gordelia jo unheimlich ftarr auf fie Heften wollten,
wie die der andern Leutel — Bei Tafel überwand Arfula
den lebten Reft ihrer Scheu. Sie faß der Prinzeſſin
gegenüber, einen ſehr liebenswürdigen Kammerherrn auf
Der einen und Graf Henry auf der andern Geite. Ihre
Lebhaftigkeit, ftetS rechtzeitig gezügelt durch Gräfin
Antignas warnenden DBlid, mutete durch ihre naive
Friſche an, und die Palaſtdame fah mit Stolz auf ihre
beiden Schußbefohlenen, denen fie die Hofluft als heil»
ſame Arznei verfchrieben. Ihr menſchenſcheuer Sohn
Ihien den erften Tropfen mit vollem Behagen zu
Ihlürfen. Seine Lippen blieben zwar noch ftumm, aber
feine Stirn war heiß gerötet, und feine Augen, die wie
gebannt an Prinzeffin Cordelia hingen, leuchteten in
heißer leidenſchaftlicher Glut.
Seltſam, rote Mohnblüten ſchmückten auch die Bruſt
der jungen sr
191
Achtzehntes Kapitel
Als der Oberleutnant pon Flanken den Brief Des
©eneral8 von Groppen gelejen und Niekchens ſehr
vergnügten ausführlichen Bericht der Szpedition ange-
hört hatte, fette er ſich langſam auf den nächſtſtehenden
Holzſchemel nieder und ließ die Hände fchlaff hernieder-
hängen.
„Wann mich jett nit der Schlag rührt — nachher
tut er’s nimmer!“ ftöhnte er, in feinem beimatlichen
Dialelt fprechend, was er ſtets tat, wenn ihn feine Ge—
fühle übermannten, und dann wandte er den Kopf zu
dem jeitwärts ftehenden Franuſch und fagte lakoniſch:
„Niekchen, einen Schnaps!“
And der biedere Wafferpolafe öffnete bebend den
Heinen Eckſchrank, in dem fein MSebieter ftets einen
‚Obnmadtshappen‘ in Form eines gigantifhen Schwar-
tenmagens oder Edamer Käfes bereitftehen batte, ergriff
Die dickbauchige Flaſche, darinnen ein derber Gilka
gluderte, und kam den fchiwergeprüften Nerven feines
Leutnants zu Hilfe.
„So; und nun die erfte Sarnitur!*
Mit ſchwerem Stoßfeufzer Hleidete fi Flanten um,
nachdenklich vor fich Hinftarrend und hier und da einen
©edantfeniplitter im Selbftgefpräh publizierend: „Sine
nette Beſcherungl — Eine angenehme Heine Bifite —
Dombenhagelelement — jebt Tann mir der heilige
Münckhhaufen beiftehen, daß ich mich aus der eingebrod-
ten Sauce wieder berauslüge!“*
Niekchen Stand in unbehaglichem Nichtbegreifen feines
Herrn mit der Kleiderbürfte bereit und Tratte in Der
Angſt feines Herzens drauf Ios, als wolle er den
Rüden des Herrn Leutnants fo ſpiegelblank wichfen, wie
feine Stiefel.
Endlich Iegte er ihm den Paletot über die breiten
Schultern, und Flanken klirrte mit umwöllter Stimm
nah) der Tür. Sr war ſchon Halb Hinausgetreten, als
er fih no einmal umwandte: „Nielchen!“
192
„Befehl, Herr Leutnant!“ |
„Dann gehſte wieder zur DBeichte?“
„Seh id übermorgen, Herr Leutnant.“
„Na dann vergiß nicht, dem Herrn Pfarrer mit zer-
Inirfchtem Herzen einzugejtehen, daß du das größte
Rindvieh bift, das jemals auf dem lieben - Herrgott
teiner Weide gegraft bat! — Kapiert?“
Niekchen machte ein unendlich klägliches Geſicht und
ſenkte ſchuldbewußt das Kinn auf die Drelljacke, Flanken
aber legte ihm wehmutsvoll die Hand auf die Schulter
und fuhr mit ſchwerer Betonung im ſüddeutſchen Stimm⸗
Hange fort: „A Sünd ift’s ja grad nit, Nielchen, aber
.Ihön fs a nit!“ Und er ſchritt mit raſſelndem
Säbel die Treppe hinab.
Der Nielchen aber fchämte fi jo fehr, daß ihm
ganz ſchwach wurde, und davon wußte der Billa nad)
Wilhelm Buſch ein Lied zu fingen: ‚Das eben tft ja das
Malheur, wer Sorgen bat, der trinkt Likör!‘
Leutnant von Flanken aber warf jih in die nächſte
Droſchke und fuhr zum General von ©roppen.
Er traf die ganze Familie in beiterfter Laune bei
dem Kaffee an, der nad) dem Piner im Yimmer des
©enerals getrunfen wurde, und fand, daß die Situation
nicht fo peinlich war, wie er ſich porgeftellt Hatte. Herr
von Dern-Sroppen nahm ihn allerdings mit ſchlagendem
Wi in Empfang und glaubte an alles andre eher, als
an eine von Nielchen verurfachte Konfufion; und als
Flanken mit wiederholten fporenklirrenden Derbeugungen
verficherte, daß er fo gern das Tanzfeſt der Herrſchaften
bejuchen würde, da nahm ihm der General lachend die
Tſchapka qus der Hand und fagte: „Na, dann ſtellen
Sie Ihr Schlachtſchwert mal in die Ecke und verſuchen
Sie, ob Gie meine ſchwer entrüfteten Damen wieder
perföhnen können! — Haben Ste über die näcdhite
Stunde verfügt? — RNein?... Na, famos, dann rauchen
Sie eine Friedenspfeife mit uns und lejen Gie zum
Deſſert die Konduite, die Ihnen Solante heute ing
- Tagebuch gefchrieben hat!“
13 Eſchſtruth, Hofluft I 193
Sa, Solantel Flankens DBlid kehrte immer wieder
zu ihr zurüd, denn fie war Die einzige, Die das Nüs-
hen ein wenig piliert emporhob und ihn mit den großen,
träumerifchen Augen ſehr vorwurfspoll anſah. Wie
follte er fie nur wieder verjühnen? Flanken wurde eg
bor Angſt fiedend Heiß. Und wie unglaublid reizend
fie wieder ausjahb! Wenn fie die Mollatäßchen am
Samowar neu füllte, glichen ihre fchneeweißen Händchen
graziöfen Keinen Schmetterlingen, die das Silbergejchirr
umflatterten.
Dann erinnerte fi) Flanken plößlich des verſprochenen
Malunterrichts, und weil gerade eine Baufe im Geſpräch
eintrat, mahnte er Jolante fehr ernjthaft an ihre Ver—
pflidtungen. Ste nahm's wider Srwarten freundlich auf,
und unter allgemeinem Gelächter wurde dem Ober»
leutnant die Erlaubnis erteilt, an den Malftunden der
jungen Damen bier im Haufe teilzunehmen. Sr beftand
Darauf, daß der Kurfus fofort beginne, und richtig, am
andern Sag ſchon, zur feftgejetten Stunde Llingelte es
gar königli an der Groppenſchen Haustür, und Herr
bon Slanten betrat mit feierlihem Geſicht das Veſtibül,
Binter ihm Niekchen, der eine riefige Leinwandmappe
und einen großen Kaften voll der fchönften Farben und
Pinſel trug.
Die junge Malerin, die den Unterricht erteilte, hatte
gar nichts Dagegen, daß der Alanenoffizier fih an
den Stunden beteiligte, und Fürft Sobolefstoi fah fich
den Fall mit an und lachte Tränen bei der ausgelafjenen
Stimmung, die die fonft fo langweiligen Stunden plöb-
lich beberrichte.
„Sagen Sie mal, gnädigftes Fräulein, kann ich nicht
auch ſolch eine Schürze porgebunden befommen, wie
Die Damen welche tragen?“ fragte Flanken in feinem
gutmütig tiefen Baß, und die Lehrerin nidte zu Jolantes
lautem Lachen ganz ernfthaft und fagte: „Wenn Sie Öl
malen wollen, würde es der Uniform fehr dienlich fein!
Haben Sie irgendeinen Wunſch, welches Bild. oder
welche Dorlage Gie ee möchten?” v
194
Der Ulan wiegte das Haupt mit dem blonden Krauss»
haar überlegend hin und ber. „So was recht Appetit-
liches! Dielleiht ein Stilleben mit "nem Gafan und
Auftern drauf!“
Fräulein Sorgiſch blidte den Sprecher erjtaunt an
und ſagte: „Sp ein Künftler find Sie bereits, daß
Sie fih an folde Aufgaben wagen wollen? Allen
Reſpekt! Bei wem Haben Sie bis jebt gemalt, Herr
Leutnant?“
Flanken lächelte ſie harmlos wie ein Engel an. „Bei
niemand; ich bin Autodidakt!“
„Haben Sie nicht ein paar Bilder mitgebracht?“
„Aber Fräulein Sorgifch, ich Tann doch meine Zijch-
platte nicht hierher fchleppen! Und die paar Hunde und
Kaninchen, die ich Darauf entworfen babe, find meine
einzigen Zeichnungen!“
„Ab, fo wollen Sie jett überhaupt erft anfangen zu
zeichnen?“
„Schnaden! Ich male jofort los!“ |
„Aber, Herr von Flanken, das’ geht doch nicht!“
„Ra, dann kann ich ja in Gottes Namen erft mit
den Faberſchen Bleiftiften Iosarbeiten!* fügte fich Der
riefige Schüler refigniert. „Schenten Sie mir ein Stüd
Bapier, Durhlauht — oder fann ich meine Leinwand
nehmen?“
„ein, fo was pon Händen!“
„Gott behüte, bier haben Sie ein Zeichenbuch!“
And Jolante breitete ein aufgefchhlagenes Heft vor
ihm aus, „jet wird mit Strichen angefangen; [chöne
grade Striche — fehen Sie, fo.“
„Auf die Striche follen Sie fehen! Fräulein, bitte,
zeichnen Sie ihm por.“
Es war ein unendlich komiſches Bild, wie der hünen⸗
bafte Mann mit der vieredig ungefügen Fauſt voll
feierlichen Ernſtes begann, einen ſenkrechten und einen
wageredhten Strih nad) dem andern auf das Papier
au ziehen.
„Hören Sie mal, Fräulein Sorgifd), das ift ja eine
13° 1985
ganz elend ſchwierige Befchichte,* ftöhnte er auf, „ich
werde einfach das Lineal nehmen.“
„Bott bewahre; alles aus freier Hand!“
„Durchlaucht, Sie leiden das und wollen Mitglied
des Tierſchutzvereins fein?“
„Bitte, Herr von Flanken, nicht immer dem Fräulein
Solante beim Malen zuzuſehen — felber tätig fein!“
„a ja, ich zeichne Ihnen ja ſchon wieder die ſchönſten
Spargeln, die Sie fich vorftellen können; id) muß mich
immer mal verfchnaufen, jonft befomme ich den Zitter—
fampf in die Hand! Apropos, ih will Ihnen mal
eine prachtvolle Geſchichte erzählen, gnädiges Fräulein,
aber Sie müffen auffehben und zuhören.“
„Pit, gezeichnet wird und nicht geihwaht!“
Fürſt Sobolefstot amüſierte fi) Töniglih, und es
ar ganz jeltfam, wie Slanfen, diefer wildfremde Menſch,
gleichwie der befte langjährige Freund plöglich in Dem
Sroppenihen Haus verkehrte, als verftünde jich Das
ganz von jelbft.
And fo erfhten Flanken zwei Tage darauf abermals
zur Malitunde, fogar am Tag por dem Sroppenjhen
Ball fand er fih dazu ein.
Im Salon der jungen Damen brannten die hellen
Slammen über dem Tiſch, an dem Fräulein Sorgiſch
die Nachmittagsftunde erteilte.
Arjula war auch erfchienen, ihre Kufine gu bejuchen.
„Kinder, den Flanken muß ich pinfeln jehen! Das dente
ih mir ebenfo vergnüglidy anzufchauen, wie ein Nil-
pferd, wenn’s Ballett tanzt!“
Jolante warf etwas indigniert das Köpfchen zurüd.
„Wenn du Dich etwa über unfern netten Flanken molieren
willſt, dann laß dir im voraus fagen, daß wir Das
in unferm Haus nicht dulden werden!“
„Biſt verrüdt! Ich und mich über den einzigen
Menfchen mofieren, der bier mein Leidensgenofje ifl!
Es gemwährt jtets einen ſüßen Troſt, wenn ein Tolpatſch
einem andern begegnet!* And Arfula wollte gewohn—
heitsmäßig Die Arme dehnen, bejann fich aber und ließ
196
ſich ftatt deſſen in einen naheftehenden Schaufelftuhl
nieder, um ſich lebhaft Darin zu ſchwingen.
©leichzeitig fat trat Herr pon Flanken ein und be»
Ttätigte das alte Sprichwort, daß der Wolf meijt Hinter
dem Buſch Steht, wenn man von ihm ſpricht. Urſula
war ſehr animiert und eröffnete fofort eine eifrige Unter-
Daltung, der redenhafte Künftler in der Alanka jedod),
der fi ebenfo energiſch wie ungeniert feinen Stuhl
zwiſchen Solante und Fräulein Sorgifch geflemmt hatte,
hauchte fich erwärmend fo in die Hände, daf alle Iojen
" Geidenpapiere auf dem Tiſch Hoch aufflatterten; dann
ſchlug er feierli fein Zeichenbuch auf und fchaute,
eine ‚Singnaje‘ ziehend, mit zwinferndem Blid zu Fräu—
lein von Kuffſtein Hinüber. „Hm, das möchten Gie
wohl! Das fünnte Ihnen gefallen, fich tatenlos bier ing
Xtelier zu feßen, um recht hübſch unterhalten zu werden!
Nee, nee, meine Onädigfte, jo ift das nicht Mode bei
uns, bier wird ftramm gearbeitet! Was glauben Gie
Denn, wenn man gerade Striche ziehen muß, zweitaufend
Etüd auf eine Seite, dann bedarf man der Sammlung!*
And er fette den Dleiftift an und füllte voll feierlichen
GErnſtes die Doppellinien mit ‚Zanzenfchäften‘ aus.
„gum Schodöonnermwetter!“ wollte Urjula auffahren,
aber da fiel ihr ein, daß Prinzeß Gordelia neulich
bei Tiſch an einer Dame getadelt Batte, fie fluche wie
ein Unteroffizier, und das fei widerwärtig, und darum
fagte fie nur, die Hände zujammenfchlagend: „OD Du
ewige Kümmernis, dann fterbe ich ja vor Langeweile!“
„Hier — ſpitzen Sie Stiftel Weiß der Kudud, wie
dieſe Strihe ein Kapital an Dlei verfchlingen. Gie
fönnten eigentlich auch helfen, Durchlaucht, als Gegen»
leiftung dafür, daß Sie bier unentgeltlich die Heizung
und Beleuchtung des Ateliers mitgenießen!“
Urſula und Fürft Sobolefsfoi unterjtügten den flei«-
Bigen Oberleutnant Durch prompte Reparaturen des
Handwerkszeuges, Das der Kraft folcher Ginger nicht
gewachſen war.
„un fag’ Doch einmal, Lena, wieviel Menſchen
197
.
kommen eigentlih) morgen abend zum Ball?“ beginnt
Kuſinchen Kuffftein von neuem die Unterhaltung, jchiebt
die Lippen vor und [habt eifrig an dem ‚Faber Qt. 3°.
„Ontel iſt ja ganz gefhhwollen por Wonne und Stolz,
daß Prinzeß Gordelia für eine Stunde ihr Srjcheinen
zugefagt bat! Sben als ich Tam, gudte ich in den Tanz—
jaal hinein und ſah ihn mit den Dekorateuren höchlichſt
intereffiert herummwirtichaften; na, ich wünfche gefegnete
Mahlzeit, das wird wieder einen guten Batzen koſten!“
„Ich babe mir auch die Räumlichkeiten angejehen!“
nickte Stäulein Sorgiſch, den Pinfel in die Siena tau—
hend, „und glaubte mich wirklich in einen Feenpalaft
verzaubert. Wenn fi) in dem Fleinen DBoudoir, dag
mit blühenden Orangen und roja Kuppeln dekoriert ift,
nit jämtliche junge Herrſchaften verloben, dann be»
greife ich's nicht.“
„GErlauben Sie mal, Fräulein Sorgifh!* Flanken
bob mit borwurfspollem DBlid den Kopf und deutete
auf fein Zeichenbuch, „nennen Sie das etwa Zeichens
ftunde? Sie müffen auf die Individualität Ihrer Schüler
eingeben und aufregende Geſpräche im Deifein eines
LZeutnants vermeiden. Wenn fie pon Verloben reden,
befomme ich Herzklopfen, und das ift der Ruin für eine
ruhige Hand. Hier, fehen Sie ſich die Folgen Ihrer
Sat an, ift das eine gerade Linie?“
„ein, das ift der reine Forellenbach!“
„Ruhig, ich werde Herrn von Flanken die Geſchichte
vom Bratwürſtchen oder vom Däumelinchen erzählen,
die regt ihn ſicherlich nicht auf.“
„Was wiſſen Sie denn von meinem Gemütsleben,
Fräulein Urfula! Es gibt gar feine größere Alteration
für einen bungrigen Menfchen, dem es erjt in zwei
Stunden zum Futterfchütten bläſt, als an DBratwurft
erinnert zu werden, und was das Däumelindhen anbe-
langt — ja, fo ein Däumelinchen zerftreut mie auch.
Da intereffiert es mich, was fol winziges Ding wohl
mit Sad und Pad wiegen mag, vder was es nn eine
Handſchuhnummer trägt.“ \
198
„Aber Herr von Flanken!“ Solante zog voll Ent«
rüftung, unter lautem Gelächter der Umſitzenden, ihre
Hand zurüd, denn der Sprecher Hatte mit einem Pinfel
in den Karmin getupft und in der Zerftreutheit ‚Nr. 31/‘
auf die zierlihe Rechte feiner Nachbarin gefchrieben.
„Gräßlich! Was einem gedanfenwirren Menſchen doch
alles paffieren kann! Einen Augenblid, mein gnädiges
Stäulein! Das follte fehlen, daß Sie Die teuren Stun-
den ſchwänzen, um fi die Hände zu wafchen.“ Und
Slanfen zog haſtig die Fingerchen Jolantes an die
Lippen und drüdte auf die Nr. 31/, einen Kuß. „So! Pie
Hauptſache ift verblaßt, mit Dem Reft können Sie nad)
Der Stunde abrechnen.“
Ein lautes, übermütiges Durcheinander, Jolante
ſchmollt mit dem zierlichſten Mündchen und Lena droht
lachend. daß Tommentwidrige Kunftfchüler an den Katzen⸗
tifh fämen.
Allmählich legen fih die hohen Wogen. Flankens
Striche werden immer abenteuerlicher, und er verfichert,
daß er qanz entfchieden mehr Zalent für Bogenlinien
babe. Daraufhin darf er Kreife in Quadraten zeichnen,
was unter qualvolſem Etöhnen ausaeführt wird. Yu
einem Hübfchen runden Ringlein Tann er es nimmer
Brinaen, aber er gibt fich, laut feiner Verſicherung, Die
erdenflichlte Mühe.
Daniel amüftert fich Föftlich. Der ſchwere Kavalleriſt
mit feiner aemütlihen Baßftimme und dem biedern‘
Humor hat fein aanzes Hera erobert.
Wolkenlos Tacht der Himmel über feinem Syaupt, und
der einfame Tiebearme Mann lacht zum erftenmal im
Leben fo recht aus frohem, leichtem Herzen und über-
fliegt mit zärtlihem Blid die Heine Runde Ad), daß
es Doch immer fo bliebe!
‚Wiederum fpielt fih das Geſpräch auf den bepor-
ftehenden Ball binüber, und Jolante verfihert mit
leuchtenden Augen, daß fie unendlidh nern tanze, und
daß ein quter Walzertänzer ihr noch weit Iteber fet ale
ein perfelter Schlittfhuhläufer. Flanken fährt feiner
199
Gewohnheit gemäß mit gefpreizten Fingern Durch fein
Kraushaar.
„Diesmal tanzen wir aber die Polonäfe zufammen!“
ſchmunzelt er.
„Polonäfe?“ Jolante lehnte das Köpfchen zurüd
und twidelte eine ihrer Lichtblonden Loden in läſſigem
Spiel um den Dleiftift. „Es wird leider feine PBolonäfe
morgen abend getanzt!“
Der Ulan Flappte mit wuchtigem Nahdrud fein Zei-
chenbuch zu. „Keine Bolonäfe getanzt? Und das fol
ein Ball fein? Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber _
da Tann mir Ihr ganzes Feſt mit famt all feinen
Prinzeſſinnen und Exzellenzen fechsundzwanzigmal aus ..
dem Tornifter fallen! Sin Ball und feine Polonäſe!
Keine Bolonäfe, wenn ich fommel Das braudhe ih mir
nicht gefallen zu laſſen! Adjeh Sie, ih gebe nad .
Hauſe!“
Fräulein Sorgiſch lachte, Daß fte beide Hände gegen -
Die Schläfen drüden mußte. „Aber Herr von SFlanken,
warum legen Sie denn juft fo viel Wert auf die .:
Polonäfe?“
„Weil das überhaupt ber einzig menfchenwürdige :
Tanz tft!” zürnte der junge Offizier in ſcherzhaft outrier⸗
ter Srregung, „all die andern DBallettfprünge Ipielen
feine Rolle bei mir.“
„Das nenne ich umgelehrte Welt! Bis jetzt hörte
ich ſtets, Daß der Kotillon der verhängnisvolle, Brenn⸗
punkt‘ der Tanzkarte feil Wenn eine junge Dame bon
ein und demſelben Herrn öfter zum Kotillon engagiert
wird, jo find feine Namenszüge, die jo harmlos auf dem
goldgeränderten Kärtlein ausfehen, Doch meift Wölk⸗
chen, Die Hymens leuchtender Fackel porauswehen, und
wenn ein junges Mädchen den Kotillon für einen
beftimmten Tänzer referpiert, fo iſt SHeines Phöniz
völlig berechtigt, auch von ihr zu fingen: Gie liebt ihn,
fte liebt ihn!“
„Samos, Durchlaucht! Diefe Kundgebung ‚An mein
Bolt‘ werde ih mir fofort notieren! SKotillon, weiß
200
der Teufel, was Das für einen Menfchen, der Die
Sanzjäle quafi nur vom Hörenjagen Tennt, für einen
unbeimliden Klang bat!“ Flanken legte die Arme be-
haglich breit auf den Tiſch und mulfterte die jungen
Damen nad) der Reihe. Sin verjchmittes Lächeln fpielte
um feine Lippen. „Aljo der Kotillon! Na, Fräulein
pon Kuffftein — da wir fo ganz unter ung find — für
wen heben Sie denn diejen inhaltſchwerſten aller Kin»
gelreihen auf?“
Arfula fchnitt ihm eine Srimafje „Für Sie ganz
gewiß nicht.“
„Sehr brap! Sterne — und find es nur die auf den
Achſelſtücken eines Ober — begehrt man nicht, und
DBefcheidenheit ift die Zierde der Jugend. Für Gie
alſo höchſtens ein Unterleutnant.“
„Aber einen Grafl!“ fuhr die Kleine ganz entrüſtet
auf. — Schallendes Gelächter.
„Die Zlammenlode an Hyhmens Fackel ſchlägt be-
reits zum Himmel!“ lachte Flanken, mit der Hand in
feiner tolpatfhigen Manier auf den Tiſch fchlagend.
„Alfo Hier find wir orientiert. Weiter. Für wen rejer-
pieren Sie, Fräulein Folante?“
Die junge Dame richtete ihre träumerifhen Augen
auf das frifch gerötete Antlit des Fragers, legte den
Dleiftift an die Lippen und beſann ſich einen Moment.
Fürſt Sobolefskoi räufperte ſich ſehr prononciert.
„Für den jungen Maler Malte van Doornkat; er
ift der genialfte Künftler, den ich jemals fennenlernte,
und erringt fi) auf der nächſten Ausftellung ficher einen
Preis.“ Jolante fprad) langſam und entzüdt.
„Sol“ Flanken Happte fein Zeichenbuh wieder auf
und lachte, aber feine SHeiterfeit Hatte Diesmal einen
feinen DBeigefehmad von Ingrimm. „Alſo ein zweites
Herz, Das feine Mördergrube aus fih macht. Da haben
wir’s ja, ein ſchwindſüchtiger Rafael mit einem Schwa-
nenhals und Schlangenloden, pfui Deiwel; fo ein Kerl
ſieht ja aus wie eine QAufter, die in Ziegenmolke
ſchwimmtl“
201
„Aber Herr von Flanken!“
Der junge Offizier hatte voll Zorn ein fehr Tühnes,
Iangnafiges Profil in fein Zeichenbuch entworfen, jett
legte er den Stift refigniert hin. „Na, wenn es Ihnen
ein Troſt ift: auch wie der Apoll von Belvedere; fommt
ja alles auf eins raus. Mich foll’s freuen, wenn er
eine Medaille befommt, meinetwegen die von der Maft-
biehausftellung, wo man ſelbſt meine beften ne
feiner Deloration gewürdigt hat.“
„Ob, pour condoler!“
„Danke, gnädiges Fräulein“ — Flanken reichte Lena
die Hand entgegen —, „ich fehe, Sie find unter Larven
Die einzig fühlende DBruft.“
Yrfula griff drohend nach dem Wafferglas. „Soll ih?“
Aber der Ulan fuhr, ungeachtet der allgemeinen Snt-
rüftung, wehmütig fort: „Und darum darf Ihre fchöne
Eeele nun als Dritte im Bund aud ihr Bekenntnis ab»
legen. Mit wem tanzen Sie den Kotillon? In Anbe»
trat deffen, daß Ste noch nicht porbeftraft find, mit
Rüdfiht auf die obwaltenden DVerhältniffe und Ahr
reumütiges und unummwundenes ©eftänbnis, wird unfer
hoher Serihtshof auf Milderung der Strafe erkennen
und völlige Diskretion üben!“
Daniel rüdte intereffiert näher, er ftimmte in das all»
feitige Gelächter ein, aber fein Blick fchweifte forfchend
unter den dunflen Wimpern berpor und baftete auf dem
zarten Profil, das Lenas Köpfchen ihm zumandte.
„Ich bin morgen leider Gottes als Wirtin Dazu
verurteilt, Kotillon zu tanzen!“ lächelte fie, „aber ich
laffe den Zufall walten und ergebe mich in jede me
Launen.“
Flanken kniff das rechte Auge zuſammen. A, mas
dal — Ausflüchte — fchöne Redensarten! Sie fürchten
nur, Sie müffen anftandsbalber mid) nennen, weil ich
Ihnen eben auch etwas Honig ferpiert Habe! Aber un»
beforgt, ich bin bereits feit langer Zeit in feften Händen
— tanze den Kotillon mit Durchlaucht Bier! Alſo nun
friſch von der Leber weg, wer von all den Sängern
202.
läßt Ihr Herzchen fchneller Hopfen, und bei wem halten
Sie nicht den Daumen auf den Kotillon, wenn er um
einen Tanz bittet?“
Lena lachte Herzlih auf. Dann Tegte fie feierlich
die Hand auf das Herz. „Bei feinem, Herr von Flan—⸗
fen, ich verlichere es Ihnen.“
„Dei meiner Schwefter bat die Natur einen großen
Sebler begangen,“ nidte Solante zuftimmend, „fie bat
ſich vergriffen und ihr ftatt eines Herzens noch eine
aweite Seele der Freundſchaft gejchentt.“
„Wieviel bekomme ich, wenn ich das glaube?“
„Wir beftechen nicht, namentlich nicht, wenn wir zu
‚Diefem Glauben Profelgten machen wollen!“
„sch gebe jede Wette darauf ein, daß der Natur juft
in entgegengejetter Weife eine Verwechſelung paflierte.
Anftatt der beiden Seelen der Freundſchaft gab fie
Shrer Fräulein Schwefter ein Herz, Das jedoch fo groß
augfiel, daß es nicht Leicht Hält, eine Liebe zu finden,
die es gänzlich erfüllt. Daß diefe Liebe aber jebt ge»
funden ift, davon bin ich feft überzeugt!“
„Ab, bört, Hört! Der meife Flanken fpricht, und
Flanken ift ein ehrenwerter Mann!“
„Na, da beobachten Sie doch einmal, wie die Gnä—
Digfte dieſes vierblättrige Kleeblatt malt. Dieſe Innig—
feit, dDiefer Schmelz; — fo etwas von Hingabe ift mir
bei einem SKleeblatt überhaupt noch nicht vorgekommen!
nd nun erft das Bergikmeinnicht Daneben. Ber Pinſel
zittert ja förmlich, wenn. er daran berumturmen muß!
Soll das etwa mit rechten Dingen zugehen? ch per»
fihere Sie, meine SHerrjchaften, die Sache hat einen
Hafen! Und ich will Little Jambo Plumpubding heißen,
wenn nicht morgen abend ein Kapvalier in den Tanzſaal
tritt, dem das Herz des qanädigen Fräuleins genau
ſo entaeaenzittert, wie der Pinfel hier feinem Bergiß-
meinnicht!“
„Bravo, wir fordern DBemeifel*
Sobolefstois Auge glühte auf. „Ta, ja, ein König»
reich für einen Beweis!“ lachte er nervös.
203
Lena zudte leicht die Achſeln. „Wie fchade, daß
ein ſolcher nicht zu finden ift; ich würde mich fo ſehr
über die neue Difitenfarte des Herrn von Flanken
freuen.“
„Nicht zu bringen ift?“ Zlanfen lachte und erhob
ji, um nad) dem Nebenfalon zu — „Vorläufig
halte ich die Wette!“
„Na, na, man immer ſachte mit die tungen Pferdel“
höhnte ihm Urſula in ihrer draſtiſchen Weiſe nach,
aber fie ſtand ebenfalls auf und ſchaute ihm mit Iufte
bligenden Augen nad).
Auch Fürft Sobolefstoi erhob fih. „Was ſucht er
denn da drinnen?“ fragte er gedehnt. Aller Augen
richteten fih auf den ©®ardeulan, als er im nächſten
QAugenblid wieder über die Schwelle trat. Zn feinen
Händen trug er die mächtige Alabafterfchale, die als
Seeroſenkelch inmitten köſtlicher, ſchwer jilberner Blätter
ruhte und die Viſitenkarten der jeweiligen Saifon barg.
„So! — Glauben Sie, Durchlaucht, daß diefe Lotos⸗
blume, ‚die fi ängftigt und fchweigend die. Nacht
erwartet‘, die Karten all jener Herren enthält, die
morgen abend kommen werden?“
„Ich glaube es Ihnen wohl mit Beftimmtheit ver-
fihern zu können!“ Daniels Bruft hob fi in einem
Aufatmen hoher Erleichterung.
„Bon, dann Tann der Ouß beginnen.“ Flanken nahm
feierlih Platz und ftellte die Schale por ſich hin. „Gebt
wollen wir mal ein ganz einfahes Mittel verfuchen,
unſre Peliquentin zu überführen. Jede Oppofition iſt
ausgeſchloſſen. Sch Hatte nämlich mal eine Kufine, die
glih Fräulein Lena von Sroppen in ganz frappierender
Weiſe, die wollte auch) den Leuten ein € für en U
machen und fi dem Kloſter verſchwören, und eines
Ihönen Tages gehe ich mit ihr fpazteren und nenne
plötlih) ganz aus dem Stegreif den Namen eines Kas
meraden; da bekommt fie einen Kopf wie Zinnober,
bleibt ftehen, ſchnappt nad) Luft und drüdt beide Hände
204
gegen das Herz. Nah vierzehn an. ivar fie mit
ihm verlobt.“
„Brillant!“
„und nun mollen Sie aud mir den. verräteriſchen
Namen ſo meuchlings beibringen?“ Lena lachte leiſe
und melodiſch auf. „Leſen Sie den Inhalt dieſer Schale
getroſt vor; wenn ich in einen Zuſtand ähnlich dem
Ihrer Fräulein Kuſine verfalle, verſpreche ich Ihnen
meine Verlobungsanzeige ebenfalls in eleganteſter Gold⸗
umrandung, ſo ſchnell wie ſie der Drucker nur liefern
kann, zu ſenden!“
Flanken kreuzte dankend die Arme über der Druft
und griff dann ein Päckchen Karten aus ihrem Behälter,
um — die junge Dame fcharf fizierend — langjam
einen Namen nad) dem andern abzulejen. Lena ftüßte
das lieblihe Haupt mit dem zarten, etwas bleichen
Teint in die Hand und jchaute ihm ruhig, ohne mit einer
Wimper zu’ zuden, in die Augen. „Wir wollen der
Jugend die Sreude nicht verderben, Onfel Daniel!“ Hatte
fte gefcherzt. „Wollte ich die Probe verweigern, möchte
Herr von "Flanken falſche Schlüffe daraus‘ ziehen.“
And Flanken nannte Namen um Namen, und alle
Anwejenden faßen und jchauten poll brennenden Eifers
in Lenas unverändertes Antlit. Daniel hatte jich er-
hoben und ftüßte fih auf den Sefjel. Seine Finger
liefen in nervöſem Spiel an den Atlaspuffen auf und
nieder. Fräulein Sorgiſch aber Hatte rejigniert Die
Hände im Schoß gefaltet, all ihr Proteftieren und zum
Sleife Mahnen war erfolglos geblieben.
Da geſchah ein Unerhörtes.
Slanten nahm eine neue Karte. „Eitel Freiherr von
Altenburg — kommandiert zur Kriegsafademie*, las
er, viel flühhtiger als alle Namen zupor. Ein leifer,
balberjtidter Aufichrei: ‚Lena‘ — und dann flog Daniels
Seſſel zurüd und Fürft Sobolefskoi ftand neben der
Ihlanfen Geſtalt des jungen Mädchens, in fiebernder
Erregung ihren Arm zu faffen.
Jählings aufgerichtet, mit weit offenen Augen, zu⸗
205
fammenfchredend wie ein pfeilgetroffen Wild, ftarrte
Lena auf die Lippen des Lefenden.
„Altenburg?“ wiederholte fie mit zitternden Lippen,
und dann ergoffen jich heiße, glühende DBlutwellen über
ihr erbleichtes Antlig, und die Hände preßten jich gegen
die Schläfen, als wollten fie durch ihren fühlen Druck
die ftürmenden Gedanken zujammenraffen.
Ein jubelnder Lärm erhob fi, ein Rufen, Lachen,
Stiumpbieren fondergleichen, und Lena gewann jchnell
wieder die Herrjchaft über fi und fchüttelte in ſüßer
Derwirrung das Köpfchen. „Das war abfcheulich! Onkel
Daniel war mit im Komplott. Aberraſchung und Schred
müſſen ſchwache Nerven alterieren!* Iolante hatte Die
Karte an ſich geriffen. „Das iſt ja der interefjante
Mandverleutnanti Wie um alles in der Welt Tommt
er hierher zu uns?“
„Das wißt ihr nicht?“ ſchlug Urfula die Hände
azufammen. „Als ich neulich mit dem Onkel Einladungen
notierte, erzählte er mir, daß er WUltenburg, der im
Manöver irgendwie mit ihm in Berührung gelommen
ift, bier begegnet jei und ihn aufgefordert babe, ihn
zu befuchen. Er ift gewiß bei euch gewefen, als ihr zu
den Jagden nah Dlbernhau gefahren waret.“
„And der Fritz hat die Karten einfach bier in Die
Schale geworfen. Kein Menſch weiß davon!“
— — — In der folgenden Nacht quälten Daniel
mwüfte, fieberhafte Träume Gr war wieder Kind und
ftand im Sarten von Miskow. Bor ihm blühte eine
Lilie, die trug Lenas liebliches Angeficht, und um fie
ber flatterte jener unheimliche Vogel, der fo oft feine
ſchmerzensreichen Nächte noch um eine Qual vermehrt
hatte, und trachtet danach, Die Blume mit fich fort in die
Lüfte zu führen. Da fiel ein Schuß, und der ſchwarze
Vogel ftürzte ihm por die Füße, und da er fich neigt,
ihn aufzuheben, ſchaut ihm das Antlitz des Freiherrn
von Altenburg entgegen. Blut riefelt über DBruft und
Stim. Aber Daniels Ginn ift nicht weich und erbarmend
wie ehemals. Ein tilder Triumph glüht durch fein
206
Herz, die Fieberfchauer von Haß und Rache fhütteln
ihn. Und als er den Räuber feiner Lilte mit Fäuften
padt, ihn gegen den Fels zu fehmettern, und mitleidlos
die Hände hebt, — erwacht er.
Neunzehntes Kapitel
Die rotverhangenen, hell erleuchteten Fenſter des
Groppenſchen Haujes ſchauten wie glühende Augen in
Die dunkle Winternaht hinaus. Wagen um Wagen
tollte por das Portal, und Drinnen in dem erjten Smp-
fangsjalon ftand der ©eneral mit feiner Schweiter
Dorette, als liebenswürdige und lebensluftiige Wirte
die Säfte zu begrüßen. Es war bereits befannt in der
Refidenz, daß General pon Sroppen eine Pracht und
Sleganz in feinen Räumen entfaltete, die mit den Feſten
des Hofes zu wetteifern fchienen. Dennoch frappierte er
die Geſellſchaft jtetsS aufs neue durch Arrangements, Die
faum noch eine Steigerung von Koftbarfeit und Schön-
beit möglich erjcheinen Tießen.
Die ein Kind fih am Anblid eines reichen Weihe
nachtstiſches erfreut, beraufchte jih Herr pon ©roppen
an dem Duft der üppigen Blüten, die fein Geſchmack
ftets bunter und brillanter emporjchießen ließ, und gleich“
Jam wie ein Roulettefpieler, der dem Reiz der furrenden
Kugel nicht widerftehen kann, blies er eine Seifenblafe
des Raffinements nach der andern in die Luft.
Sürft Sobolefsfoi fannte genau die Sinfünfte und
Ausgaben feines brüderlichen Sreundes.
„xieber Kurt, du haft fehr viel in den lebten beiden
Jahren gebraucht“, wagte er einmal ſchüchtern zu fagen.
„Falls du mit den Zinfen deines DBermögens nicht
ausreichen follteft, Hoffe ich, daß du ohne Skrupel auch
über meine Revenüen verfügft!“
„Wer weiß, ob ich dich nicht noch einmal zur Aber
lajje, mein alter Zunge!“ lachte Herr pon Dern-Sroppen
207
in ber Frühftüdslaune. „Vorläufig fieh dir mal die
Ente auf meinem Schreibtijch an, wie Die den Schnabel
fo ungeheuer weit aufiperren Tann! Siehſt Du, dieſen
Sntenfchnabel füttere ich mit den Rechnungen, Deren
Degleihung mir momentan fein Bedürfnis ift!l Wenn
das arme Vieh nichts mehr in fi aufnehmen Tann,
ziehe ich den Sädell Alfo unbeforgt, Bruderherz, Du
jtehft, es hat noch) gute Wege mit dem Anpumpen!“
Fa, Damals faßte der gelbe Schnabel nur wenige
unbedeutende Zettelchen, aber Daniels DBlid ftreifte -
ibn öfter daraufhin, und Die weißen Papiere mehrten
und mehrten fich, daß es ausfah, als werde es der armen
Gnte herzlich fauer, fie alle zu faffen.
Die die Lichter glübten und flammten! Fürſt Sobo-
lefskoi ftand der Saaltür gegenüber, an der der Frei—⸗
herr von Altenburg momentan zögerte, ehe er jich Durch
den bunten Flor reizender Mädchenblüten Bahn brad),
die Töchter des Hauſes zu begrüßen.
Diefe waren derart umringt und in Anſpruch ge-
nommen, daß der junge Offizier juft im Begriff ftand,
jih bis zu einer gelegeneren Zeit zurüdzuziehen, als
Lenas Antlit fih ihm zuwandte und ihr Dlid wie
ſuchend über die Menge ſchweifte. Auge ruhbte in Auge.
Sin fchnelles Lächeln verflärte ihre ſonſt fo fühlen Züge,
und Den Kreis der jungen Damen und Herren mit
bitiendem Wort teilend, trat Fräulein von ©roppen
dem fo ſpät erjchienenen Saft ihres Haufes entgegen.
„Welche Freude, Sie bei uns in der Refidenz be-
grüßen zu können, Herr von Altenburg! Pas pier-
blättrige SKleeblatt, das wir zum Abſchied in Alt»
Dobern teilten, hat Glück gebracht!“ Weich und herzlich
Hang ihre Stimme, ganz anders als Damals, als Lena
ihn beim erften Sehen begrüßte. Wie eine leihte Be—
fangenbeit lag’s über ihrem Wefen, und Altenburg blidte
höchlichſt überrafcht zu der Sprecherin hernieder und er—
widerte genau fo Höflih und formell wie ftets: „Slüd
allerdings, mein gnädiges Fräulein, und wohl in erfter
Reihe für mich, dem es in fo überrafchender Weife ver⸗
208
gönnt tourde, feinen Reſpelt heute abend hier zu Füßen
legen zu dürfen.“
„Sie lernten meinen Vater während des Manðvers
kennen?
Exdellenz waren ſo liebenswürdig, ſich deſſen zu
entſinnen.“
„Papa hat nur ein gutes Gedächtnis, wenn ſein
vollſtes Intereſſe ihn dabei unterſtützt. Sie werden nun
drei Jahre lang hier in der Reſidenz bleiben?“ |
„Auf Kommando, mein gnädigftes Fräulein.“ Sin
feines Lächeln [pielte um feine Lippen und Lena bob
den Sächer, ihm fcherzend damit zu drohen.
„Freiwillig wären Sie nicht gelommen?“
Nein!“
„Je nun, wer zwang Sie dazu, Ihr kriegsakademiſches
Szamen abzulegen?“
Ein wunderlicher Ausdruck beherrſchte ſeine Züge
und fein Haupt bob ſich noch ſteifer auf dem Naden
als zuvor. „Wer zwingt einen Vogel — zu fliegen,
einen Fiſch — zu ſchwimmen? Niemand, auch feine
eigene Wahl ift’S nicht, lediglich dem Schidfal muß er
lih fügen, das ihm Floffen oder Flügel wachen Tieß.
Wem der Degen als Angebinde mit in die Wiege gelegt
wird, und wer als winziges Menfchenpflänzlein bereits
in den Boden des Kadettenkorps verpflanzt wird, der
muß vorwärts in der Bahn, darinnen feine Lebenstugel
rollt. Wenn ein DBogel aber einmal begonnen hat, em-
porauftreben, fo will er auch fo Hoch Hinaus, wie ihn
nur immer feine Schwingen tragen wollen!“
Mit großen, glänzenden Augen blidte Lena zu ihm
‚auf. „Antworten Ste auf eine jede Frage jedermann
jo ehrlich?“
Wieder zudte es wie Sarkasmus um ſeine Lippen.
„Es haben wenig Menfchen fo viel Intereſſe für mich,
daß ſie meine Anſicht hören wollen.“
Mit rauſchendem Klang ſetzte das Orcheſter ein, den
Ball zu eröffnen, und Altenburg verneigte ſich und
fuhr haſtig fort: „Geſtatten Sie, mein gnädiges Fräu⸗
14 Eſchſtruth Hofluft 209
lein, daß ich Sie wenigftens Ihrem Tänzer zufübre,
Derweil ich felber Dazu verurteilt bin, mih am Zuſehen
begnügen zu müſſen!“
„Sind Sie krank?“
„Nicht im mindejten.“
„Was beftimmt Sie fonft, Bublitum zu fein?“
Er blidte fie überrafcht an. „Mein fpätes Srfcheinen
im DBallfaal, das mi) um den Vorzug gebracht Hat,
einen Tanz von Ihnen zu erhalten!“
Cie neigte lächelnd das ſchöne Haupt auf den Mai-
blumenftrauß in ihrer Hand bernieder. „DBorläufig baben
Sie mich noch um feinen Ber
„Mein gnädiges Fräulein..
„Sin Bläschen ift noch frei auf meiner Tanzkarte!“
„Ein Zufall, auf den felbft die kühnſte Zuverſicht
nicht hoffen Eonntel — Geftatten Sie?“
Sie reichte ihm die bemalte SIfenbeintafel. „Das
Souper!“ — ſich gleicherzeit in ihrer gewöhnlich fühlen
Art zu dem Leibdragoner wendend, der neben ihr die
Hoden zujammenflappte und meldete, daß foeben Prin-
zejlin Gordella das Veftibül betreten habe. „Das
Souper?“ wiederholte Altenburg, als babe er nicht
recht verftanden.
Lena nidte ihm Tächelnd zu, legte die Hand auf den
Arm ihres Tänzers und fchritt Haftig vorüber, die Prin-
zeifin und die Damen ihrer Begleitung zu begrüßen.
An der Tür ftand Daniel Sobolefstoi. Seine Brauen
waren zufammengezogen und fentten eine finftere alte
in die Stirn, tief umfchattete Augen befteten ihren bren«
nenden DBlid auf Lenas Antlit. Sie fohritt vorüber,
ohne ihn zu bemerken.
Als Arfula den DBallfaal betreten Hatte, war ihr
Blick ängſtlich forſchend von einem Antlig zum andern
geichweift, ob man fie Hier auch mit den entſetzlich
ftarren Augen fizieren werde, wie bei ihrem crften
Beſuch am Hof.
Aber nein! Sott fei Dank, bier fhienen die Leute
ganz normal und urfidel beanlagt zu fein! Lachen und
210
Scherzen. wohin ſie blidte, und wohlig aufatmend und
völlig überzeugt, Daß die herzbeklemmenden Sistörnlein
nur von der Hofluft in die Augen der Menſchen geweht
werden, trat Urfula hinter ihre Kufine Jolante und
perjegte ihr einen Tordialen Kleinen Stoß. „Rum Schedel“
lachte fie dazu in heimatlichen Lauten, fcehnitt der ent»
festen jungen Dame eine übermütige kleine Grimaſſe
und verjicherte mit militärifchem Honneur: „Zur Stelle!“
Daß Jolante diefe Begrüßung ‚fehr zimperlih‘ auf-
fajfen werde, Hatte Fräulein bon Kuffjtein voraus»
geliehen und mollte ihren Wit gerade jo recht bon
Herzen beladen, in der fejten Überzeugung, Daß Die
Amftehenden fie dabei Fräftig unterftügen würden. Aber
fie unterbrach fih jählings. Erſchreckend laut hatte ihr
©elächter aeflungen, und niemand ftimmte ein. Ringsum
war die Konverfation verftummt, alle Köpfe wandten
fih ihr zu, und alle fahen fie mit großen, erftaunten
Augen an, geradefo, wie neulih am Hofl
Ein höchſt unbehagliches Sefühl überfam die Kleine,
und da fie gar fah, wie es um viele Lippen ganz fein
und maliziös gudte, und Solante wie entfchuldigend ent»
— „Guten Abend, du Wildfang! Vorzuſtellen
rauche ich dich nach dieſem Entree wohl nicht, die
Herrſchaften haben es ſämtlich gemerkt, daß du direkt aus
dem Groß⸗Wolkwitzer Kälbergatter fommftl* da ſchoß
ihr das Blut in die Wangen.
Ja, jetzt lachten die Umſtehenden, und ein ältlicher
Kammerherr applaudierte Jolante mit beiden Daumen
und näfelte: „Borzüglich pariert, meine Gnädigſtel“ —
Da merkte Urfula, daß die Refidenzler ſämtlich einen
echten, rechten Wit gar nicht gu würdigen wiſſen, ſon—
dern nur fades Wortgeklingel für ihr Amüfement per»
langen. ®ut! Künftighin wird fie fi hüten, ‚Kaviar
fürs Bolfl‘ zu ferpieren. Was ift der Dank dafür? Daß
man hören muß, wie ein Leutnant lachend zu dem andern
fagt: „Allerliebfter Heiner Fiſch! Aber noch völlig un«
drefjiertes Sagdhundell“
Soll fie die Leute ärgern und nad) Haufe gehen?
!
14* 211
%
Sa, wäre fie auf einem Feſt im Wollwitzer Kreiſe,
würde es Senfation machen, bier bemerft man es gar
nit und amüſiert fi) ruhig weiter, dieweil Arfula
ih zu Haufe fträflid Iangweilen würde. Ob, es ift
ein abfcheuliches Gefühl, wenn man fi) fo völlig als
Null und Nichts porlommt!
©lüdlicherweife trat Graf Lohe an ihre Seite und
begrüßte fie in feiner liebenswürdig eleganten Weiſe.
Er ſprach fehr gedämpft und ftieß noch vornehmer mit
der Zunge an als in Sroß-Wolfwib.
„Ih hörte vorhin fo fehr laut bier im Saal ladyen“,
fagte er nad) etlihen Worten der Begrüßung. „&3 Hang
entſetzlich — nicht als ob es aus einem Eercle der eriten
Sejellfchaft, fondern vom Borfbrunnen berüberfchallel*
„sh bin ja auch eine Landpomeranzel* fuhr Urfula
trogig empor, und doch wurde fie Dunfelrot dabei. „Ich
lache, wie mir der Schnabel gewacdfen ift, und wenn
ſich die albernen Leute hier einbilden, fie könnten mich
ſchurigeln, dann irren fie ſich.“
„Ab, Sie waren bie fo hörbar vergnügte Dame“,
lächelte Lohe fein. „Nun, dann hat die Sache nichts
auf fi, von Ihnen erwartet man derartiges und ber-
zeiht es.“
Urſulas Auge blitte höchlichſt gereizt zu ihm auf.
„So! Don mir erwartet man Zaltlofigfeiten? Wie
fommen die Menfchen zu fo einer Srechheit?“
„se nun,“ der Graf zudte die Achfeln und ſuchte fein
Amüfement über die Selbftfritit des Badfifchchens Hinter
ernfter Miene zu verbergen — „Ihre übermütigen
Streihe aus Wolkwitz und Umgegend find durch Die
Manövereinquartierung hierher folportiert worden. Man
entſchuldigte fie mit Ihrer großen Jugend und Naipität
und dachte: bei einem kleinen Landfräulein Tann man
unmöglih die Wllüren einer Dame beanfprudhen!“
Das wirkte. Die Zingerhen der Kleinen frampften
ih in tiefbeleidigtem Selbftgefühl zufammen. „Ich
Bin aber eine Dame, und ich will’s, daß man alles,
feldft Allüren von mir verlangt!“ rief fie gornig, aber
212
dennoch mit auffallend gemäßigtem Organ, auch ftampfte
fie dazu mit dem Füfchen auf, wenngleich nur ganz
leiſe. „Sch Tonnte es doch nicht riechen, wie es bie
Menſchen -bier mit ihrem verrüdten Geſchmack ver»
langen; nun id) es aber weiß, nun will ich ihnen zeigen,
Daß ich mich noch zehnmal fo gut benehmen kann, Potz⸗
Donneriwetter jal* Lohe [chauderte. „Diefe lebte Heine
Beftätigung gehört zu den Spradblüten, die auf dem
Turf — nicht aber auf dem Parkett gepflegt werben.
Prinzeſſin Cordelia iſt ein folhes Armeedeutjh im
Wunde einer Dame verhaßt. Alfo ſcharmant, Fräulein
Arfula, zeigen Sie es der Geſellſchaft, daß Sie kein
übermütiges Kind, ſondern ein Fräulein von Kuffſtein
find, deren Würde man zu reſpeltieren hat!“
Urſula warf das reizende Köpfchen, in deſſen dunfel-
Iodigem Haar ein Kranz von Goldhafer gliterte, heraus-
fordernd in den Naden. „Sutl Ich werde jebt mal
die Würde ’rausbeißen. Aber das fage ich Ihnen, wenn
man aud) dann noch etwas an mir herumzuſchnobbern —-“
„gu mäleln!“
— zu mäleln hat, dann ſchieße ich mit Spatenfchrot
in dieſe ganze Paſtete Hier hinein und reiſe abl“
Lohe ſenkte reſigniert das wohlfriſierte Haupt. „Eine
Eiche fällt nicht auf den erſten Hieb,“ dachte er, „und
der gute Wille iſt auch ſchon etwas wert!“ Dann bat
er ſchnell noch um den Kotillon, denn von allen Seiten:
brängten die Herren berzu. „Nun werden fie ihr die
Sour machen, ihren Unarten als ‚etwas riefig Origi-
nellem‘ DBeifall Hatihen und damit von neuem Steine
auf unfer mühfam beftelltes Feld werfen!“ meditierte
er feufzend und ſah es ganz überraſcht mit an, Wie
Urfula zum erftenmal ‚Würde hberausbiß‘.
Slanten EHappte die Sporen vor ihr zufammen und
ftellte etlihe Kameraden vor.
„Mein gnädigftes Fräulein, wie fteht’s mit einem
Soppeldeia, dem deutfchen Retgentanz?“ lachte Fürft
Schlüfften, fich Haftig pordrängend und fichtlich auf eine
naive Antwort gejpannt. „O weh,“ dachte Lohe, „der
213
Ihlägt fofort den richtigen Ton an. Darauf bleibt
„Urſchel⸗Purſchel“ nichts fchuldig!“
Aber er irrte fih. Pie Kleine neigte fehr gemeffen
Das Nafenfpischen und reichte ftumm ihre Tanzkarte.
„Was befomme ih?“ — „Sine deutſche Reichspro-
binz für den Kotillon!® — „Weine Onädigfte, ich
bitte um den Herzenstanz!“ fchallte es in lautem Durch»
einander um fie ber. |
Urſulas Blick fchweifte in Die Runde, Iangfam, gleich-
gültig mufternd. „Beben Sie die Karte weiter, Fürft
Schlüfften, und wenn fie gefüllt ift, Bringen Sie ſie
mir dort nad) dem Diwan, wo ich mich jest mit Graf
Lohe hinſetze.“ Sie ſprach in dem Ton einer jungen
Schaufpielerin, die zum erftenmal eine SHeroine fpielt.
Sinen Moment fahen fich die Herren ganz überrafcht
an. Dann verjuditen fie ihr Heil von neuem.
„Aber mein gnädiges Fräulein, wollen Sie nit
felber die Tänze nad) Verdienſt und Wohlgefallen ver-
teilen, auf daß jedem das Seine zufällt?“
„Zein, dag tft mir ganz...“ wurſcht, mollte fie
eigentlich herausplatzen, aber fie befann ſich noch recht—
zeitig und fagte ſehr wohlerzogen: „gleichgültig!* |
„Wir werden uns mit blanfen Säbeln um biefe Karte
raufen! Deftimmen Sie menigftens bie Reihenfolge.“
Urſulas Auge blitte auf, aber ihr Mündchen faltete
ih noch fpöttifcher als zuvor. „Immer der Anciennität
nad, meine Herren!“ — 'und fie legte die Hand würde»
poll auf Lohes Arm.
„Drapo! famosl!“ fehallte es ihr in lautem Selächter
nad. Die Kleine blidte zu Lohe auf. „Die Kerle lachen
mid) wohl aus? Habe ich wieder etwas Dummes gefagt?“
fragte fie ergrimmt.
„ein, mein gnädiges Fräulein, Ste haben Ihre
Sache vortrefflich gemacht!“ verficherte er eifrig. „Diefes
Lachen war lediglich Beifall; der Schlagfertigleit applau=
diert man ftets, wenn fie graziös bleibt.“
Das Erſcheinen der PBrinzeffin Cordelia wurde an«
gekündigt, und Lohe erhob ſich Haftig, Fräulein von
214
Kuffftein in den Kreis der jungen Damen zu führen. Sein
Dlid ftreifte zuerft feine eigene Perſon, an dem tadel-
Iofen Ballanzug bernieder bis auf die zierlihen Spitzen
feiner Ladftiefel. Sr ſah ezquifit elegant aus wie ftets,
und feine fchlanfe Figur präjentierte ſich außergewöhn—
licherweife im Grad noch vorteilhafter als in der Ulanka.
Dann mufterte er verftohlen auch feine Nachbarin. Gie
war reizender als je, die Toilette nagelneu, koſtbar
und gefchmadooll, aber ein Spigentafchentuh war in
höchſt unerlaubter Weife auf der Hüfte unter den
Goldftoff der Taille gefchoben und verdarb den ganzen
Sindrud der fonft fo diftinguierten Grſcheinung. Auch
die langen Handſchuhe Hatte Urfula nur fehr flüchtig
bier und da einmal durch einen Knopf gefchloffen, und
darum hingen fie fehr unordentlih um die Arme herum,
deren fchöne Form durchaus beeinträchtigend.
„Mein gnädiges Fräulein, Sie werden Ihr Taſchen⸗
tuch verlieren.“
„Auch noch! Hat meinem Alten über zweihundert
Mark gefoftet!*“ Und die junge Dame - ftopfte es zu
noch diderem Knäuel unter die Taille hinauf.
„Od, wie häßlich das ausfieht.“
„Kümmert mi den Kudud! Ich befomme ja die
Pimpelgicht, wenn ich jedesmal eine Halde Stunde nad)
der Taſche fuchen fol!“
„Bleichviel. Diefe Art von Transport Tennt man
bei den biefigen Damen nicht!“
„Die Tennen überhaupt noch blitzwenig!“ fuhr Die
Kleine ärgerlich auf, aber fie riß das Tuch herpor und
beförderte es in nit allzu rüdjichtspoller Weife in
die Taſche.
Noch immer blieb der junge Graf zögernd Stehen und
biß fi unmwillig auf die Lippe.
„Na, mal ein bißchen trapp, fonft ift die Prinzefjin
wieder nah Haufe gefahren, bis wir anlommen.“ .
„Wollen Sie nicht, erft die Handſchuhe fchließen ?
Sie fünnen doch unmöglich —“
„Bei der Pökelhitze? Ich komme ja um, wenn ich
215
bis an den Hals in Ziegenleder kriechen fol! Nein —
ift mir Iuftiger fo.“
Der Erbherr von Illfingen befämpfte heldenhaft fein
Sntjegen. „Aber Fräulein Urfula, Sie verjpradhen mir
doch, in jeder Weiſe die Würde einer Dame zu wahren —
baben ſoeben noch fo ſcharmant damit begonnen —“
Sie ftarrte ihn ganz betroffen an. „Wie? Auch
Ihnen gegenüber foll ich mich fo dämlich Benehmen?“
„Ohne Ausnahme uns allen! ®erade mir gefallen
Sie doppelt fo gut, wenn Sie in jeder Weife geremoniell
und Gtilette berüdjichtigen!“
Sigentli wollte fie fehr böfe werden, Da er aber
den Kopf fehr energifh in den Naden bob und fein
Blick jo lange und feft den ihren traf, da begnügte
fie fih Damit, auf fpigem Haden herumzuſchwenken und
wie ein Trotzköpfchen zu ſchmollen. — „IH will Ihnen
ja gar nicht gefallen! Keinem Menfchen will ich ge-
fallen — ih tue, was ih will!“
Ohne fihb nah ihm umzuſehen, eilte fie wie ein
gliterndes Wölkchen zu den fpalierbildenden Damen
und Ddrängelte ſich nicht gerade allzu rüdfichtspoll an
Lenas Geite.
Ste zog die Augenbrauen ſehr eigenwillig zufammen
und ſah aus, als wolle fie den Kampf mit allen Re»
fidenzen der Welt aufnehmen; ganz unbemerkt aber
ſchloß fie einen Handſchuhknopf nah dem andern, big
das weiße Leder glatt und prall die rofigen Arme
umjpannte.
Prinzeſſin Sordella Batte den Tanzfaal betreten, ver⸗
Ihiedene Damen, Darunter auch Fräulein von Kuff
ftein, durch eine längere Unterhaltung ausgezeichnet und
Ihlieglih den Ball in ihrer fo anmutigen Weiſe mit
einem SHufarenoffizier, Prinz Waldburg, eröffnet.
Ihre ganze Sricheinung atmete wieder den Zauber
untoiderftehlicher Lieblichkeit, und Urſulas Augen folgten
ihr in unverhohlenem Sntzüden.
„Ich babe niemals beim Lejen meiner Märchenbücher
an die Seen glauben wollen, Die zart wie DBlütenfchnee,
216
Ihön wie die Morgenröte und gut wie Sngel find!“
flüfterte fie Haftig zu Henry Antigna, der neben ihr
an dem Zürpfoften lehnte, empor. „Seit ich aber Prin⸗
zeffin Sordelia gefehen babe, deucht mich die Beſchrei⸗
bung diefer boldeften aller Seifter noch lange nicht
Ihön genug! Sch glaube, es gibt gar feine Worte, Die
den Sharme ihres Wefens ausdrüden fönnen. ®lauben
Sie nicht auch, Henry?“
Keine Antwort. — Urfula ſchaute empor und ftarrte
ganz betroffen in das Antlit des jungen Mannes.
War das derjelbe bleiche, menfhenfheue und finfter
blidende Gelehrte, der por wenigen Tagen noch voll
ohnmächtigen Grimms die Zähne zufammenbiß, als er
zu Hofe follte? |
Das Haupt porgeneigt, wie im Banne eines Magnetg,
Bing fein Blick unvderwandt an der Geſtalt der Prin-
zejlin, die, wie von rofigen Florwolken getragen, zart
und graziös an ihm vorüberſchwebte.
„Henry, hören Sie denn nicht?“
Sr zudte leicht zufammen und blidte fie einen Mo—
ment wie geiftesabtwefend an. „Bardon, Fräulein Ur-
fula, ih verſtand Sie nicht.“
Dte Kleine wiederholte ihre Worte, und Graf Antigna
nidte Beifall. „Wie kommt es, daß Hoheit heute wieder
rote Mohnblüten im Haar trägt?“ fragte er ohne allen
Zujammenbang..
„Wieder?“
„Als ih fie zum erftenmal am Hof fah, flammten
ihr die gleichen Jrrlichtblüten an der DBruft.“
„Sin Zufall! Lena fagte mir, die Prinzeſſin Tleide
fih mit Vorliebe in ſchmuckloſes Weiß.“
„Seltjam. Warum blendet fie plötlih den armen
Rahtwandlern die Augen?“ Er fagte es mit dem leifen,
verfchleierten Stimmenflang wie fonft, und feine Brauen
aogen ih fo finfter zuſammen wie pormals.
„Lieben Sie denn die Mohnblüten nicht?“
Er lachte furz auf. „Sie bergen ein ®©ift, das mit
füßen Saufelbildern ins DBerderben Iodt.“
217
„Ad fo, Opium! Je nun, wenn man es nicht raudht,
fann es einem aud) nicht Schaden bringen.“
„Wahrlih nicht?“ Sein Blid zudte zu ihr nieder,
langjam ſtrich er die dichten Haarwellen aug der Stirn.
„Sehen Sie diefe Narbe? Die haben mir rote Mohn-
blumen bierber gezeichnet — und doch Hatte ich nicht
als verblendeter Schwärmer Opium geraudht!“
„Sch verftehe Sie nit. Ach, wie ſchade, nun muß
ih tanzen, da fommt Herr von DBornig! Aber nachher,
niht wahr, Henry, nchher erzählen Sie mir, wie Sie
zu diefer famofen Schmarre gelommen find!“ |
Er neigte mechanifch zuftimmend den Kopf und [chritt
Baftig an ihr vorüber durch die Menge; Prinzeſſin Cor—
delia war in einen Nebenfalon getreten, und ©raf
Antigna folgte ihr wie ein Schatten. Bon fern ftand
er und verwandte feinen DBlid von ihr, und er atmete
tief und traumbefangen, als ſchlürfe er der Feuer-
blumen beraufchend Gift.
Die Mufil war verftummt. Sin Schwarm rei) ga—
Ionierter Diener alitt auf lautlofen Sohlen über dag
Parkett. Bon glänzenden GSilberplatten Iodten die er-
lefenften Konfitüren, Piplomatenbröthen und Frian-
diſes, fchäumte der Sekt und winkten Limonaden und
Mandelmild, und wie auf einem Gee die einzelnen
Dlüteninfeln ſchwimmen, gruppierte ji die farbige
Pracht plaudernder Damengruppen auf fpiegelglattem
Parkett, umfhwärmt von Uniformen und gefternten
Stade. |
Solante faß auf einem Sckdiwan und ließ fich die
Sour maden.
Herr von Flanken maßte ſich auf jeglihe Tanzpauſe
ein gewijfes Recht an und behauptete den Plat an der
Seite der jungen Dame mit einer: fchier ‚raufluftigen‘
Snergie. Waren es doch die einzigen furzen Augen-
blide, wo er angefichts der fo viel begehrten Tochter
des Haufes auch einmal zu Worte fommen konnte, die
einzigen Augenblide, die ihn für den ‚niederträchtigen
Arger' entichädigen mußten, den er jedesmal zu [hluden
218
hatte, wenn der jüngfte Leutnant fich fiegesbewußt ver⸗
neigte, dem Herrn Ober die Tänzerin por der Naje weg-
zubolen. Sa, dann kam er fich jedesmal genau fo
bor, wie der Kater in der Fabel, der mit verblüfftem
Geſicht dem Vögelchen nachſchaut, wenn es mit leichten
Schwingen auf und dapon in die Lüfte fchwebt! Und
Solante wandte das Köpfchen [pottend zurüd und Ficherte
genau fo, wie der Heine Sänger im Fabelbuch: „Schaff
Dir doch Flügel an, daß du mir folgen fannft!® Was
nütte es nun dem Herkules in Ulanenuniform, daß er
mit zebnzölligen Bomben Kegel fchieben fonntel ‚Walzer
tanzen‘ wäre eine weit bejfere Kunft gewejen, nament-
lich heute, wo Herr von Flanfen zu der großen Selbit-
erfenntnis gefommen war, daß er viele Jahre lang ein
erfchredend dummer Kerl gewefen fei, der die Schön«
beit eines Tanzfeſtes überhaupt gar nicht 'Tapiert Hatte.
Könnte er nur die Heinfte, jammervollſte Polka zuftande
bringen, er würde an diefem Abend der glüdjeligite
Menſch unter der Sonne fein! So faß er, wie die Glucke
am Sntenteih, auf feinem Diwan Poſten, ‚ftänderte‘
abwechslungshalber als bewegliches Hindernis im Saal
herum, ließ fih auf die Füße treten, trank in feiner
Zerftreutheit alles, was man präfentierte und dankte
©ott, wenn die Mufil wieder des graufamen Spiels
genug fein ließ. Nun faß er wieder neben Volante,
deren zierlihe Geſtalt in DBalltoilette noch elfenhafter
denn fonft neben dem krausköpfigen Riefen ausfah, und
befchräntte fich darauf, andächtig zuzuſehen, wie fie in
ihrer ſchmachtend phlegmatifchen Weije den Atlasfächer
bin und ber bewegte. Sie hatte gerade mit ſchwär⸗—
merifhem DBlid verfidhert, Tanzen und Malen fei ihre
Paſſion. und Mynheer Malte van Doornkat ſei der
einzige Menſch, Der die beiden Künfte in bollendeter
Weiſe in ſich vereinel Sie ſchenkte ihm darum bei
jedem Tanz noch eine Sztratour — und Dabei drehte
fie das fchlanfe Hälschen und Blinzelte über dag ge-
malte Roflofopärchen ihres Fächers hinweg nad) dem
Genannten, Der fich juft einen Kneifer auf die Künftler-
219
nafe fette, um Fräulein von ®roppen mit wahren De-
teftivaugen zu beobadten.
Das war für einen Oberleutnant der Mlanen, bet dem
alle Walfüren, aber feine einzige Muſe Oevatter ge»
ftanden, ſehr deprimierend, und darum ſenkte er feuf-
gend den Kopf, drehte die Daumen umeinander und
Tre über eine Aufbejferung obwaltender Verhält⸗
niſſe.
Smwanztgftes Kapitel
Vierzehn Tage waren feit dem ®roppenfhen Ball
bergangen.
Daniel Sobolefskoi lag in feinem Zimmer auf dem
Diwan, um eine furze Giefta zu halten. So hatte fein
Kammerdiener dem ©eneral antworten lajfen, als dieſer
fih nad) des Fürften Berbleiben erkundigen ließ.
Groppen fchüttelte lachend den Kopf. „Na ja, da
baben wir’s! Muß jest am Tage fchlafen, weil er
zu lange im Mondichein geihwärmt Hat! Sollte man's
glauben! Sein Leben lang war der Menſch die Soli—
dität felber, und plögßlid — feit faum gehn Tagen,
fängt er troß feines grauen Kopfes noch an, über die
Etränge zu ſchlagen!“ Tante Porette ſah von ihrer
feinen Stickerei empor und fchüttelte ebenfalls den Kopf.
„Sebr töriht von ihm; wer in einer fo ſchwachen Haut
ftedt, follte lieber fchlafen in der Nacht, als in den
Safes herumflanieren! Iſt es vielleicht ein befonderer
Magnet, der ihn in fo überrafchender Weife aus ber
altgewohnten Bahn zieht?“
Der General ftäubte Die Zigarette ab und audte in
feiner Teichtlebigen Art die Achfeln. „Hoffen wir's!
Der Heine Kerl war beinahe dreißig Jahre lang ein
Dudmäufer, und das iſt Unnatur. Pen Schwaben-
ftreih), den jeder Staubgeborene der Söttin Erfahrung
als Steuer zahlen muß, bat Daniel ihr bis jekt in
geradezu beängftigender Weife vorenthalten, und darum
220
will ich wirklich wünfchen, baf er noch einmal über einen
Zirkusreifen oder eine Theaterkuliſſe Purzelbaum fchlägt,
ehe er als verlörperte Nüchternheit in die Grube
fährt!“
Die jungen Damen traten ein, und Frau von Loguth
brach das Geſpräch ab. Aber von Stund an ruhte ihr
Did oft voll aufriditiger Sorge auf dem Antlit des
Quffen. Er ſah kränker aus als je, bleih, abgemagert
und todmüde; aus tiefdunflen Augenhöhlen ſchweifte
fein unfteter, fieberglänzender DBlid, und die Hand, Die
oftmals das Haupt ftügen mußte, ließ faum noch ein
blaues Geäder durch die wächſerne Haut fchimmern.
3a, Daniel Eobolefsfoi lag wieder auf dem Ruhe
bett, um einen Turzen Schlaf zu tun. Er wollte von
niemand gejtört fein, und fo war es totenftill und
dämmerig in feinem Salon, nur die Uhr tidte ein mo⸗
notones Schlummerlied. Dennoch kam fein Schlaf in
feine fieberheigen Augen. Segen den zähnefletfhhenden
Kopf einer gewaltigen Wolfsfchur, Die über den Diwan
gebreitet war, drüdte er fein häßlich, ungeftaltet Haupt.
Seine gebrechliche Geſtalt war zufammengezogen, wie
bei einem Gnomen, der auf ber Lauer hodt, und feine
Singer wühlten in nervöſem Spiel in den dichten Flocken
des Felles. Ein Zuden und Arbeiten ging durch feine
Züge, ein Lachen und Frohlocken, und jählings wieder
ein qualpolles Beben, wenn ſich ein lautes Aufftöhnen
der kranken Bruft entrang.
Sa, Daniel Sobolefstoi hatte feinen elenden Körper
Nacht für Naht Hinausgefchleppt in Schnee und Winter»
fälte, voll wilden Trotzes die Zähne zufammenbeißend,
wenn feine Kräfte ihn verlaffen wollten. Stundenlang
hatte er beit Wind und Wetter auf der Straße geftanden,
gegenüber dem Haufe, Darin der Freiherr von Altenhurg
drei Treppen hoch feine befcheidene Wohnung gefunden,
und er hatte lange vergeblich geharrt, bis er die Zeit
ausgelundfchaftet Hatte, um die Die hohe, pom Mantel
umbüllte Geſtalt aus dem Rahmen der Haustür trat.
Behutſam, Ieife und gefchmeidig wie ein Raubtier,
221
das edel Wild befchleicht, folgte er dem Verhaßten, keu⸗
chend bei der Haft feines fchnellen Schrittes, Qualen
erduldend beim Ankämpfen gegen die fcharfe Schnee»
luft, die bei jedem Atemzug die Bruft wie Dolch und
Schwert traf. Lange weite Wege mußte er oft ver-
geblich zurüdlegen, bis er endlich auf der richtigen Fährte
war, bis das „Ziel der fpäten Promenaden meift ein
und dasjelbe war. Kein Kaffeehaus, fein Lokal, Daraus
Spiel und Sang erfchallt, nein! Dazu Bat der arme
Sdelmann im Rod des Königs fein Beld! — Ingrimmig
hatte Daniel zuerft die Erfahrung gemacht, daß die Ge—
wijfenhaftigfeit und das Ehrgefühl des jungen Offiziers
größer waren als die Berfuchungen des modernen Babel.
Der Dämon hatte feine Krallen bis in dag Herzblut des
verwachſenen Mannes gefchlagen, und wie ein Meppifto
die Sallftride por den Füßen feines Opfers ausipannt,
batte auch Sobolefstoi Netze gelegt, feinen ®egner darin
au erdrofjeln.
Als Freund Hatte er fi in beinahe aufdringlicher
Liebenswürdigfeit an Altenburgs Ferſen gebeftet. Sein
Dertrauen zu gewinnen, fpielte er die gewagteften Ko—
mödien, und als der junge Mann ihm endlich nähertrat
und fih ihm mehr anfchloß als andern Herren — um
Lenas willen — da bob Mephifto die funfelnden Sädel
feines Reichtums, und er hing den Dedimantel der Liebe
über feinen Pferdefuß und ſprach: „Nimm von meinem
Aberfluß, junger Freund! ch fordere fein einziges
dieſer Goldſtücke jemals bon dir zurüd. Lebe, genießel
Stürz’ dich dem Dergnügen in die Arme, je wilder, deſto
bejjer, man ift nur einmal jung! Und ih? Ich hab’ ja
meine Steude dran!“
Sp hatte fih die Schlange an dem mittellofen Mann
emporgeringelt, hatte ihn mit den Augen der Berjuchung
angefunfelt und bereits ihr giftig Haupt geredt, ihn
verderbend in das Herz zu ftechen. Altenburg aber
hatte im Kampf mit ihr gefiegt wie ein Held, und
wenn Daniel auch feiner moralifhen Niederlage fluchte,
fo batte fein Auge dennoch voll Bewunderung aufge»
222
leuchtet, als es einen Blid in dies ehrenfefte Jüng—
lingsherz getan. Aber fein böfer Geiſt, der mächtig
wachgerüttelte, dedte mit ſchwarzem Fittich das ſehende
Auge des Fürften.
Eine neue Falle geftellt! — Und heimlich beobachtet
und verfolgt er den Freiherrn auf Schritt und Zritt,
um eine ſchwache Stelle zu finden, an der die Axt den
ftolgen Eihbaum fällen Tann.
Kein Kaffeehaus, feine Spielhöllel Eitel von Wlten-
burg bleibt in ärmlicher, Eleiner ©afje por einem turm-
hoben Haufe ftehen, öffnet mit einem eigenen Haus⸗
Ihlüffel und verweilt von zehn Uhr bis oft lang nad
Mitternacht.
Wo gebt er Hin? Daniel triumphiert bereits. Sr
bat fich zwei Abende nacheinander in Dem wenig herr»
ſchaftlichen Haufe einjchliegen laſſen und es einem Zu-
fall verdankt, daß er fpät in der Nacht durch ein paar
heimfehrende Nähberinnen wieder befreit wurde. Am
dritten Abend fommt endlich der junge Offizier. Sr
trägt zu diefen Promenaden ftets Zivil, jchreitet haſtig
durch den Flur des Vorderhauſes und eilt nad) dem
rechten Quergebäude des Hofes. |
Die ein Echatten fchleiht ihm Sobolefskoi nad). Sr
hört den Schritt auf Der hölzernen Treppe Elingen, hoch
— immer böber. Im vierten Stod Eopft er an die Tür.
Andern Tags hat es Sobolefskoi ausgekundfchaftet,
Daß dort ein alter Tanzlehrer wohnt, ein Franzoſe, deſſen
allerliebfte Enkelin bei dem Ballett engagiert ift.
Ahal — Geht Altenburg jemals auf die Billetts der
Afademie ins Theater, fo ift es ftets in das Opernhaus,
„weil er Muſik fo fehr Tiebel* Daniel Sobolefstot hat
laut aufgelacht, feit Ianger Zeit zum erftenmal wieder
Ihallend aufgelacht. Und jett liegt er auf dem Diwan
und ſpinnt wüfte, phantaftifche Träume. Das Kaminfeuer
‚flammt auf; wenn fein greller Schein den Wolfstopf
ftreift, funfeln die grünen Slasaugen wie Phosphor.
Der Budlige ftiert in die zudende Olut, auch fein Blid
flimmert wie der eines Raubtieres. Der Plan ift reif.
223
Drei Wochen lang iſt es ber, feit Altenburg an Lenas
Seite gejefjen, während eines langen Soupers voll ftets
wachſenden nterejjes in die Dunklen Mädchenaugen zu
Ihauen, die zu ihm anders emporbliden, wie zu jedem
andern. Arm in Arm find fie im Tanz dahingeſchwebt,
die erfte Schleife Hat Lenas Hand auf der DBruft des
fremden, von allen andern kaum beachteten Mannes
gebeftet, und in Lenas Zimmer hatte [päter ein einziger
Kotillonftraug auf dem Schreibtifch gelegen, an dem
waren die ftaniolumwidelten Stiele umgebogen, zum
Merkmal. i
Daniel Sobolefsfot Hatte die Hände gegen die Bruft
gepreßt und gewaltjam die Augen geſchloſſen, dennod)
Bat er den kleinen Strauß wie ein Schredgejpenft bie
ganze Nacht hindurch gefehen, in wüſtem, muſikdurch⸗
"gelltem Traum. Was hat er verbrocdhen, daß das Schid-
fal ihn fo unbarmherzig und ruhelos durch fein ganzes
Leben verfolgt? Wie ein Kainszeichen brandmarlt ihn
feine Mißgeftalt, die ihn aus dem Parabiefe der Liebe
und des Slüds ausftößt wie einen Paria; Krankheit und
phyſiſche Schmerzen peinigen ihn, fo Iange er benfen
kann, einfam und verlafjen feit Jugend auf, ärmer wie
Das in Lumpen gehüllte Kind, das eine Mutter auf ben
Armen wiegt, das feine Tränen an einem Wutter-
berzen weinen Tann!
Die ein Fluch Hat ihn das Unglüd verfolgt, unge-
hört ift fein Jammergeſchrei verhallt, unerfüllt ift Das
flehende Gebet feines Lebens geblieben — was hat
Daniel Sobolefstoi gefrevelt, daß fein ©ott ihn fo ganz
und gar verlaſſen Hat?
Sp weit er zurüddenten kann, bat’er feine fchlechte
Tat begangen. Sein Wollen und Wünfchen war brav
und gut. Wie ein Märtyrer hat er fein fchuldlos Haupt
unter die ©eißelbiebe der Welt gebeugt und bat poll
Demütiger Geduld auf Haß mit Liebe geantivortet. Und.
Die Heiligen im Himmel fcheint’s zu erbarmen, er findet
Die dunklen Augen, die feines Lebens Sehnfucht waren.
Aber er foll fie lieben, ohne fie zu begebren, er ſoll fie
224
nur gefunden haben, um fie wieder zu berlieren. So
reißt man dem Verſchmachtenden den Becher von den
Lippen. Entſagen! Wieder gellt es ihm mitleidlos in
die Ohren: Entjagen! Wieder trifft es ihn mit ſcharfem
Stadhel in das Herz. Der Sngel der Ergebung aber ijt
während der langen Pilgerfabrt über Stein und Porn
matt geworden, feine gefalteten Hände Lönnen den Dämon
nit mehr niederhalten, er wählt wie ein Rieje und
triumphiert. Daniel hat es mit anfehen müfjen, wie fich
fremde Hände nad) dem Kleinod feiner Seele ausftreden.
&r beobachtet, wie Die Liebe in Lenag Herz erwacht, wie
der Freiherr von Altenburg in der Nähe des Liebreizen-
den Mädchens ein andrer wird. Nach dem Sroppenjchen
Dall Haben fie fich verſchiedentlich wieder gejeben, und
er, Daniel, war ein Narr, wenn er Fallftride legte; fie
ind gu goldenen Fäden geworden, Die Altenburg mehr
als je zu dem Haufe des Senerals gezogen. Sie lieben
jih! Jeder DBlid, jedes Wort verrät’s, und wenn der
junge Offizier auch in ſtolzem Trotz noch nicht um
die Hand der reihen Erbin wirbt, fo wird dennoch der
Sag kommen, wo die Allgewalt der Leidenſchaft die
Dämme einreißt, die übertriebenes Shrgefühl in den
Meg getürmt. Darum auf zur Tat, ehe es zu ſpät wird!
Daniel bat nicht umfonft gearbeitet, er will auch ernten.
Sein Entſchluß ſteht feft, die Beobachtungen, die er
gemadt, nun auch zu verwerten. Vor Lenas Augen
fteht das Bild des ©eliebten in reiner, mafellofer ©lorie,
der Inbegriff allen Edelfinns, aller Rechtfchaffenheit ver-
förpert fi in Der ritterlihen Geſtalt Gitels.
Aber Fürft Sobolefstoi wird dieſes Spiegelbild ins
rechte Licht drehen; ein einziger Lufthaud), der über
den Hof jenes fünfftöcdigen Haufes weht, darin des fran-
zölifhen Tanzmeiſters Enkelin wohnt, foll es treffen,
und das ftrablende Bild wird unter ihm fo jählings
trübe werden, daß es Lena voll Abſcheu aus Der ftolzen
Sand ſchleudert!
Das Teuer im Kamin niftert auf wie boshaftes Ki«-
ern, und die zufammengelauerten Ölieder Des Rufen
15 Eſchſtruth, Hofluft | 225
dehnen fih auf dem Wolfsfel. Mit kurzem Rud ber
Sntichloffenheit gleitet er von feinem Lager und wühlt
noch einmal die hageren Singer durch fein ftruppig Haar;
dann fchreitet er zur Tür, öffnet leife und tritt auf den
bellen, Durhwärmten Flur hinaus. Pie teppichbelegte
Steppe dämpft feinen Schritt, der Fürſt durcheilt Die
Salons der erjten Stage und bleibt felundenlang vor
dem Gmpfangszimmer der jungen Dame jtehen.
Auf feiner Stirn troßt ein faft graufamer Wille, der-
jelbe rachſüchtige Zug lagert um feinen Wund, Der
ſchon im Schloß von Miskow des Kindes Antlit ver⸗
zerrte, wenn er unerbittliche Strafen für irgendeinen
PBeiniger erjann.
And er legte die Hand Hart auf Die Klinfe und
trat ein.
„Lena?“ rang es fi) rauh und heiſer von feinen
Lippen. Keine Antwort. Aber ein wunderliches Geräuſch
dringt pon einem Seſſel zu ihm berüber, es Flingt wie
lautes Aufſchluchzen.
Der DBudlige durchmißt haftig das Zimmer, und aber-
mals hallt es ‚Lenal’ durch den ftillen Salon; diesmal
aber iſt's ein Auffchrei des Schredeng, und die Singer
der gekrampften Hand löſen fich zitternd, um den Arm
des jungen Mädchens zu umfpannen. „Xena — du
weinft?“
Sn den weichen Plüſchpolſtern liegt ihre ſchlanke
©eftalt. Sie regt fi) nicht, nur ein leidenſchaftliches
Weinen fchüttelt die Glieder.
„Lena! Allmächtiger Gott, was ift geſchehen?“ Wie
umgewandelt ift der Ausdrud in Daniels Zügen, ver-
zehrende Serzensangft blidt aus feinen Augen, und an
ihr nieder auf die Knie fintend, ftreichelt er wie ein
Kind ihre Hand.
„zena, ic beſchwöre dich, was tft Dir widerfahren?“
flebt e8 zu ihr empor: „Sch Habe Dich feit deiner
Kindheit nicht mehr weinen fehen, diefe Tränen ängftigen
mi! Vertraue dih mir an... Du meißt’s, daß ich
mein Herzblut gebe, wenn ich dir helfen Tann!“
226
da ſchlingen ſich ihre Arme krampfhaft um feinen
Naden, und das fchöne tränenbetaute Antlig ſinkt wie
eine gebrochene Blüte auf feine Schulter, mit dem halb
erftidten Aufichrei: „Onkel Daniel — er jtirbt!"
Der mißgeftaltete Mann zudt zufammen. „Wer jtirbt,
Lena?“
Sr fühlt’s, wie ihr Körper zittert und erjchaudert.
„Altenburg!*
„Andenfbar; ich ſah ihn Heute morgen, was foll ihm
paljiert jein?“
Da richtet fie fi) empor und drüdt die Hände gegen
das wehe Herz. „Seftürzgt — mit dem Pferde. — Durch
unglüdlihen Sal in Glasſcherben — eine [were Hals-
wunde!“ ringt es fich abgebrochen von ihren Lippen.
Sr hat fich erhoben. Ein wunderliches Fröſteln durch-
läuft ihn vom Scheitel bis zur Sohle. Er möchte frob-
Ioden, und dennody preßt ihm der Sammer die Kehle
zujammen. „DBeruhige dich, mein Liebling, falje dich!“
tröftet er mit weicher, zärtliher Stimme, „wer weiß, mit
wel irrigem und übertriebenem Gerücht man dich er»
Ihredt bat.“
Lena jehüttelt aufgeregt das Köpfchen. „Slanten hat
alles mit angejehen,“ flüftert fie haftig. „Beide Herren
find zuſammen geritten — Altenburg leichtjinnigerweije
auf einem faft völlig unzugerittenen Bollblutrappen ſeines
DBetters Lanken! Beim Traverſieren einer Straße ftürzt
bon einem dicht porauffahrenden Wagen ein Slajchen-
forb, und das junge Pferd, durh das Klirren er«
ſchreckt, bäumt auf und — und —“ Lena drüdt Die
Hände gegen die Schläfen und fchluchzt laut auf: „Ontel
Daniel, Gott im Himmel mög’s verhüten, daß er ſtirbt!“
Sobolefstot blidt jtarr vor fich nieder. Seine Zähne
Ichneiden in die Lippen, tiefe Atemzüge heben jeine
Bruſt. Er möchte flehen: ‚Laß mir den Hoffnungsitrahl,
allmädtiger Gott! Wer fo viel fühes Glück genojjen wie
Altenburg, der ftirbt reich und ſchön. Ich aber bin
arm und elend!'
Einen Augenblid herrſcht Schweigen, dann umfchließt
15* 227
Lena die Hand des Fürften abermals mit bebendem
Drud. „Ontel Daniel,“ flüjterte fie, „Eennft du die Qualen
eines Hangen und DBangen, eines Harren in Zweifel
und Ungewißheit? Ich weiß, daß er fchwer Frank ift,
daß er vielleicht in diefem Augenblid mit dem ode
tingt, und fein Menſch ift auf der weiten Welt, Der
mir Nachricht Bringt, den ich bertrauenspoll an Das
Krantenlager ſenden könnte!“
„Lena, iſt es nur Mitleid, daß du an feinem Schick⸗
fal teilnimmft?* Seine Stimme klingt halb erftidt, und
ihre Wimpern fenten fi, da fein wunderlicher Dlid
ihr Auge trifft. Ste antwortet nicht, ringt die Hände
frei und Ichlägt fie por das bleiche Antlitz.
Sürft Sobolefskoi neigt fich näher, fein Atem ftreift
faft ihre Wange. „Bu Tiebft ihn!“ tönt es leiſe, wie
Hanglofes Zifchen in ihr Ohr.
Da bebt fie das ſchöne Haupt und fieht ihn an.
Tränen glänzen an den Wimpern, aber ein Lächeln, ſüß
und glüdfelig, verflärt ihr Angeficht. „Sa, Ontel Daniel,
id) Tiebe ihn! Keinem Menfchen auf Oottes weiter
‚Welt will ih es anvertrauen, als dir allein, du treue
Seele, du mein einziger, mein befter Freund!“
Die ein Schwindel brauft’s durch all feine Sinne,
feine Knie zittern, langſam ſinkt er auf den Seffel. Er
Batte geahnt und gewußt, daß dieſe Stunde kommen
würde. Aber fo? Stredte Gott dennoch feine barm⸗
berzige Sand über ihn aus, obwohl .er in letter Zeit
fo vielfah von feinen Wegen abgewichen ift? Wird
Altenburg flerben und ihm wieder das Slüd lächeln?
„Onkel Daniel!“ fleht Lena, „du ſiehſt die Angft,
die ich um ihn leidel Hab’ Mitleid, Hab’ Erbarmen;
erfülle mir den größten Liebesdienft, den mir je ein
Menſch leiſten kann, du bijt Arzt, fahre zu. Altenburgs
Wohnung und ieh, wie es um ihn Steht.“
Er nidt ſchweigend mit dem Haupt und erhebt ji.
Da ſchlingt fie die Arme um feinen Naden und fieht
ihn mit unbefchreiblihem DBlid an. So nah, fo gauber-
ſchön in ihrer tränenfeuhten Qual bat Daniel ihre
228
Augen nod) nie gefehen, noch nie find fie den dunklen
Sternen, die er in der goldenen Kapfel auf .der Bruft
trägt, fo ähnlich geweſen!
„Onkel Daniel, gelobe es mir, daß du alles für ihn
tun willft, was in Menfchenfräften ſteht! Du treuer,
felbftlofer Samariter, der ſchon an fo viele Kranten-
lager wie ein Oottgefandter getreten iſt, um zu belfen
und zu retten, du, der Wilfen und Kenntnijfe gleich Dem
beften Arzt bejitt, Du wirft auch diesmal voll opfer-
mutiger Liebe alles einſetzen, diesmal, wo du weißt, daß
du mit feinem Leben aud das meine erhältft!“
Gr ſieht nur in ihre Augen und legt feine Hand
mechaniſch in die ihre.
„Berjprih es mir!“
„Ich gelobe es!“
Ein tiefer Atemzug der Erleichterung Hebt ihre DBruft,
mit zitternden Singern rührt fie die Schelle.
„Du fährſt Doch gleich?“ bittet fie abermals, und nod)
einmal ftredt fie ihm in aufwallender Dankbarkeit die
Hände entgegen; er ſcheint es nicht zu fehen, den DBlid
wie gebannt geſenkt, fchreitet er unficheren Schrittes an
ihr vorbei durch die Zür.
Herr von Flanken jaß por feinem hölzernen Tiſch
und ftügte finnend den Kopf in die Hand. Es erging
ihm ähnlich wie dem Löwen, wenn er auf den Geſchmack
des Blutes gelommen. Vor ihm lagen drei DBallein-
ladungen, und Franuſch Niekchen trabte foeben an den
Brieflaften, um fchleunigft die Antwortfchreiben zu bes
fördern, die den gütigen ©aftgebern verjichern follten,
daß der Herr Oberleutnant ‚mit größtem Vergnügen
uſw. ufw. Folge leiſten werde‘.
Der hätte das por vier Wochen geglaubt! War
„der Groppenſche Ball daran fchuld, oder waren es Jo⸗
*Tantes Heine Hände? Gie fpielten gar zu allerliebft
mit dem Fächer und wehten damit die Soldloden zurüd,
fo daß fich eine dapon gleich einer Schlange an dem
Urmel des Ulans emporringelte Oder war es ihre
229
DBalltoilette? So etwas Duftiges und Spinnwebfeines!
Grauen find die lieblihen Zwifchenträger pom Himmel;
fie find Engel, denen man die Flügel genommen bat,
Damit fie nicht vorzeitig ihre Tränenkrüglein zur Heimat
aurüdtragen.
Fa, in Flanfens Seele lebten noch Ideale, und Die
Liebe, die in feinem Herzen faft unbemwußt ihr Köpf-
hen bob, lächelte wie ein Kind, das Teufchen Sinnes
noch an Märchen glaubt.
In Gedanken verfunfen faß er inmitten feiner blauen
Tabakswölkchen und überlegte, wie es wohl anzufangen
fei, daß er Jolante auch einmal zu einem Walzer enga-
gieren könnte. Es müßte doch rein des Teufels jein,
wenn er nicht tanzen lernte, wenn er nicht Die paar
Schritte und Schleifer fchnell begriffen hätte! Davon
war er überzeugt, aber — Flanfen fuhr mit gefpreizten
Singern dur) fein Kraushaar — lernen wollte er ja
gern, aber wie und wo? Ba lag der Hafe im Pfeffer.
Kann ein fo alter Menſch wie er noch Tanzſtunde neh—
men? Das würde einen guten Speftafel bei den Ka—
meraden geben! Und wenn auch) der Tanzmeifter diskret
wäre, fo würde fih Flanken doch Lieber einen Finger
abbeißen, ehe er fich por fol wildfremdem Menſchen
mit täppifhen Bockſprüngen lächerlich machte. Außerdem
— mit wem follte er tanzen? Ein Lehrer, ein Muſiker
und einer, der als Dame tanzte, das find bereits drei
Perſonen, die ins DBertrauen gezogen werden müßten.
Nein, vor fo viel Publikum läßt fich fein würdiger
Mann die Deine gelenf brechen!
Slanten feufzte tief auf und hob gleichzeitig lauſchend
den Kopf. Was war denn das für eine Katenmufil
da drüben?
Sein und filberhell, aber dabei fehr intenfip, vernahm
er nebenan im Zimmer feiner Wirtin wohlbekannte,
Klänge. Das war derſelbe Walzer, pon dem Solante
neulich mit leuchtenden Augen bochatmend und Heiß
erglüht gefagt Hatte: Es mag eine triviale Melodie
fein, aber gleichpiel, es tanzt fi) himmliſch Dana!
230
Die Tür öffnete fih, und Niekchen trat ein, um eine
ausgebürftete Uniform wieder in den Schrank zu Hängen.
Mit drei gewaltigen Schritten Stand fein Herr neben
ihm, faßte den braven Polen beim Genid und 309g
ihn an die Wand: „Niekchen! Hörft du was?“
Der fo außergewöhnlich Bebandelte dudte fich wie ein
Jagdhund por der Peitihe und machte ein Geſicht, als
erwarte er fürdhterlihe Dinge dur) die Wand zu er-
laufchen.
„Na, börfte was?“ wiederholte Flanken ungeduldig
und ließ den Kragen der alten Jagdjoppe log, Die
Niekchen im Haufe auftragen durfte.
„Hör ik nur Spieldofel von Wirtin unfrigtes!* ſchüt⸗
telte er enttäufht den fchwarzlodigen Kopf.
„Mehr verlange ih gar nicht! Kennft du vielleicht
das Stüd, das fie eben fpielt?* Pie ſchlanke Figur
des Ulans fchnellte wieder empor, und ein fehr fröhliches
Lachen ließ momentan die Zähne durch den Schnurrbart
blißen. |
„Werrd ik doch Tennen Schunfelwalzer, Herr Leut-
nant!“
Slanten blidte auf die Füße feines Scherasmin her-
nieder, die fich in der heißblütigen Art feiner Nation
fofort im Salt beivegten.
„Du Tannjt wohl gar tanzen?“ beinahe klang's wie
heller Neid in der Stimme des Fragers.
Die Augen des Polen litten. „Kann if tanzen beffer
als fizeftes Madel, Leutnant. Hob if gemacht unzähliges
Mafur — und Hollebiesfa — und Krakowiak —“
„Damit Tannft du mir aus dem Zornifter fallen!
Aber Walzer —“ Flankens Hand legte fih wuchtig auf
die Schulter des gejchmeidigen Geſellen, „Tannft Du auch
Walzer tanzen?“
„Oh! — Oh!“ und Niekchens Mimik und Handbe-
wegung fagten alles weitere.
Da blitte es durch die Gedanken des Oberleuinants
wie ein großes, großes Licht. „Dann wirft du mich das
Walzertanzen lehren, Niekchen!“ ſprach er feierlich, „geb
231
hinüber zur Frau Wirtin und fag’ ein ſchönes Kompli-
ment und frag’: ob fie uns mal ihre Spieldofe pumpen
wolltel Aber nicht verraten, daß wir bier tanzen werden,
perftanden, Kerl? Sag’, ich fei ein muſikaliſcher Menſch
und wollte gern das Inſtrument fpielen lernen — ja fo
— Das jpielt fih von allein. Na, dann fag’ nur, ich
hätte ganz Tannibalifhe Kopffchmerzen und da wollte
ih mid ein bißchen aufbeitern!“
Sämtlihe Selenfe an Franuſch Niekchen tanzten be—
reits, als er wie ein Wirbelwind durch die Tür ftob,
den Befehl auszuführen.
Slanten aber faßte den ſchweren Eichentiſch mit beiden
Händen und trug ihn, wie andre Sterbliche vielleicht
ein Fußbänkchen, durch das Zimmer in Die Ofenede.
Teppiche gab es G©ott fei Dank nicht zu rollen, und
nachdem noch die Schemel beijeitegefehoben und ein
Driefluvert als ftörend Hindernis ſorgſam bejeitigt wor⸗
den, ſah fich der blonde Rieſe wohlgefällig in feinem
ZSanzfaal um und ſchaute dem Lehrmeiſter Nielchen
erwartungspoll entgegen, als diefer dag Zimmer wieder
betrat. F
Sein Geſicht war hochgerötet, ſeine Hände leer.
„Nun? Wo bleibt denn die Muſik?“
„Hob ik gefragt Madel von Wirtin unſrigtes nach
Schunkelwalzerkaſtel, Hot aber gejagt Marinka ausper-
Ihämtes, daß bei Wirtin is grußes Damenappell mit
Kaffeevergniefen, und dag Wirtin narrifhes Darum
fann niz hergeben Spielödojell“ - |
„Soll doch ein Schnddonnerwetter —! Tanzen die
Damen denn au?“
„Sitzen gonz maujeljtill auf Kanapee und loſſen immer
Koffeetaffeln friſch füllen und wodeln mit Kinnbaden
wie mafurifh Rind, wenn's wiederfäut. Dozu muß
Snftrument Muſik machen, bis Dame ausgehungertes
Ionn niz mehr beitun, dann fangt’s an allen Ecken an
gu verzählen Neuigfeit, und Dofel jpielt immer pressenti,
Damit niz Paufe wird!“
„Das iſt ja eine heitere Beſcherung! Ja, Nielchen,
232
da müjfen wir die Stunde heute auffteden, Blitz und
Knall! und ich Hätte fo gem bis nächſten Mittmod)
Walzer gelernt!“
„Können wir machen alles ohne Muſik!“
„Nein, dann bleibe ich nicht im Takt!“
„Bonn Leutnant wird niz böfe, Franuſch Niekchen
konn Schunkelwalzer dazu pfeifen!“
Flanken ftarrte feinen ©etreuen einen Moment fprad)-
los an, dann erglängte fein friſch gerötetes Geſicht wie
ein Bollmond, der fich ftegreich über düftere Wolfen
hebt, und langſam ein Preimarfftüd aus der Börfe
nehmend, reichte er feinem Burſchen anerfennend die
Hund: „Die dee war einen Taler wert, Nielchen!
Dorwärts, es kann Insgehen!“
Set, wie das ſchlurrte und fchleifte, als der ſchwarz⸗
äugige Geſell por feinem Gebieter Probe tanztel Gr
hatte ſich zuvor in Wichs geworfen, und der blond»
Iodige Herkules ſah fchmunzelnd auf diefen graziöfeften
aller dreijährigen Ulanen, der, fed und elegant im
jeder Bewegung, einem jeden DBallfaal zur Zierde ge—
reiht Haben würde. Ja, ja, Temperament gehört dazu!
Boll ehrliden Eifers fette fich auch der Schüler in
Dewegung. Wo aber bei Niekchen Taum eine Diele
gebebt Hatte, da zitterten unter des deutſchen Edel—⸗
mannes Füßen die Ballen, und wo Niekchen leicht
und beinahe lautlos die Schritte vormachte, da dröhnte
es unter Flanfens Sohle wie Donner und Wettergraus.
Und wie man im beften Zuge war, und Niekchen,
melodifch pfeifend, fich als zarte Schöne in den Armen
feines noch fehr tolpatihigen Tänzers zu wiegen ver-
judte, da Flopfte es erſt zaghaft und dann immer
energiſcher an die Tür.
Der Reigen ftodte.
Slanken wiſchte feuchend mit dem Taſchentuch über
die Stirn, und Franuſch changterte auf feinen Wint
bebende zur Tür, um dahinter zu verfchwinden. Mit
ganz betretener Miene erfhien er nad) lautem Wort-
233
wechlel vieler Stimmen wieder por dem Angeficht jeines
Herrn.
„Na, was gab’s denn?“
„Woren fie Kopf an Kopf die Krängchendamen bon
Wirtin geängftigtes und Madeln und Mietersleut und
junftiges Bagag’ auf’ Kurridor. Haben fie all gefreuzigt
und gejegnet ſik und gefragt, was ig bei Leutnant
paſſiert? Is ſik unten in Kellerwohnung alles Kalt
von Stubendede gebrochen, und hot Frau einfältiges ge-
Ihrien, daß ſik Haus ftürzt ein! Und Kaffeedamen
Ihreien mit, daß auf Tiſch ihrigtem alle Taſſen und
©läjeln hoben geflirrt!“
Slanten kraute fich verlegen Hinter dem Ohr.
„Was Teufel, Niefhen! Das ift eine üble Ent—
dedung. Was haft du denn gejagt?“
Der wadere Tanzmeiſter lächelte fehr verfchmitt.
„Az Wohrheit hob if gefagt, fundern bob gejagt:
Zeutnant meinigtes bot Kopfweh und mill fit Zeit ver-
treiben. Wirtin Didfelliges bot niz wollen geben Spiel»
dojel, da hat Franuſch Niekchen gemacht allein Mufit
mit Pfeifen und Stampfen, wos is polnifches KRunzert!“*
„Ale Hagel! Das haft du den Damen geantwortet?
Waren wohl fehr giftig, He?“
„Nix giftig, Leutnant. Hot Wirtin reumütiges roten
Kopf gefriegt und gelocht: Sag zu beine fchwerrfranfen
Patient, daß er foll haben Spieldoſel fofort!* Und mit
triumpbierendem Lächeln wandte er fich abermals zur
Tür, an die es fchüchtern Flopfte, und nahm würdevoll
das annoncierte Inſtrument in Empfang.
Slanten ftrich fich nachdenklich das Kinn. „Stell’ fie
auf den Tiſch, Nielchen, und dann geh’ "hinüber zum
Meifter Knieriem und Taufe mir zwei fehöne, weiche
Silapantoffeln! Pie erften werden’s fein, die ih an die
Süße befomme, aber was tut man nicht alles, um einen
Walzer zu lernen!“ Gott Amor faß aber auf der Tifch-
fante und bielt fich die Seiten por Lachen.
De Filgpantoffeln wurden gekauft, und Tanzmeiſter
Niekchen bat fein Meifterftüd gemadt.
234
Sinundzwanztgftes Kapitel
Es war ein alter ftürmifcher Nopdemberabend, als
die Squipage des Fürften Sobolefskoi durch die Park»
anlagen nad) einem der Vorſtadtviertel der Rejidenz
binausfaufte.
Wunderlihe Stimmen Hangen durh Wind und rau»
Ihende DBaummipfel. DVielleiht fährt er zu einem
Schwerkranken, vielleiht zu einem Sterbenden. Nicht
zum erftenmal legte er fol einen Weg zurüd; in
Italien und Paris war fein Pla lange Wochen hin—
durch Hei Sarg und Totenbett gewefen, und feine Hand
hatte jich fühl und friedlich auf die breddenden Augen
gelegt, und feine Lippen Ionnten beten. Heute zitterte
er felber wie ein Schwerfranfer, und die Sedanten,
die glei wie ein Wirbelfturm alle Leidenfchaft feiner
gefolterten Seele aufrührten, waren fein Gebet, fondern
ein Trotzen, Frohlocken und läfterlih Anrufen der Ge⸗
rechtigfeit, endlich ihrem Stieffind fein wohlverdientes
©lüdsteil auszuzahlen. — Zwei dunfle Mädchenaugen
hatten ihn zum millenlofen Werkzeug gemacht und ihn
hierher auf diefen Weg gedrängt. Unter ihrem Einfluß
und dem feines guten Engels war er gefchieden, und
nun ſchlug die Nacht ihre düſteren Fittiche um ihn, und
in den Lüften lebte und webte es wie Höllenfpuf. Und
dann bielt der Wagen mit jähem Rud auf dem Pflafter.
Der Diener riß die Tür auf, und Daniel ftleg me»
chaniſch zur Erde und trat durch das ſchlichte Portal
des Hauſes ein. Schwer atmend erflomm er eine Treppe
um die andre. Gin Burſche ftolperte mit einem Simer
poll Eis Hinter ihm die Stufen hinauf, und eine Stau
tufchelte auf einem der Treppenabſätze pol] Tamentieren-
der Wichtigkeit mit einem jungen Zipviliften. Sobo—
lefsfoi griff an den Hut und fihritt vorüber. Pie
Korridortür ftand offen, und aus der nächſten ebenfalls
nur angelehnten Zimmertür hörte man leiſe Stimmen.
Ein Militärarzt verabfchiedete ſich von Herm von Flan-
fen. Mit einem gedämpften Laut freudiger Aberrafchung
235
trat der Oberleutnant der unerwarteten Erſcheinung im
Türrahmen entgegen, in feiner ungefchidten Weiſe fich
bemühend, lautlos auf den Tnarrenden Dielen zu geben.
„Sott fei Lob und Danf, daß Sie Iommen, Durch⸗
laucht!“ flüfterte er mit Fräftigem Händedrud. „Sie
Ihidt ein guter Engel zur rechten Stunde! Haben Gie
eine Weile Zeit, fünnen Sie momentan bierbleiben!“
Daniel bejahte Haftig, fein Blick flog ſuchend durch
Das Zimmer und haftete auf der geöffneten Stubentür.
„Ich komme, meine Dienfte anzubieten, meine Herren.
Nicht als Arzt, dazu bin ich zu lange Zeit aug jeglicher
Abung, wohl aber als Freund und Handlanger, wenn
man mid als ſolchen verwerten Tann!“
„und ob wir es fönnen!“ atmete der Alan tief auf.
„Unſer braver Doktor muß noch einem andern Patienten
Hilfe bringen, und ich fie bereits feit zwei Uhr mittags
bier auf demfelben Fled, babe in der Aufregung der
legten Stunden Eſſen und Trinken vergeſſen, und nun
hängt mir der Magen bis in die Stiefel herunter!“ Und
das frifhe Antlitz des Sprechers fah fo Häglich zu Fürſt
Sobolefsfoi nieder, daß Diefem ganz unfreiwillig ein
Lächeln um die Lippen huſchte.
„Sehen Sie fchnell, befter Flanken, und forgen Gie,
daß wir an Ihnen feinen zweiten Patienten zu pflegen
befommen! ch bleibe Hier und vertrete Sie, folange
Sie nur irgend verlangen.“ —
„Um zehn Uhr iſt der Krankenpfleger hier, Durch⸗
laucht“, verneigte ſich der Arzt. „Wenn Sie bis dahin
die große Güte Haben wollten, bier auszuhalten —“
„Anfinn! Ich bin um neun ficher zurüd. Mehr als
eine Stunde brauche ich nicht, um in der nächſten beiten
Kneipe zum Futtern zu blafen!“
Dantel hatte den Pelz abgeworfen. „Sind irgend-
welhe Mafregeln bei dem SKranfen zu beobachten?“
fragte er, fi) der Tür des Nebenzimmers nähernd.
„Augenblidlich nicht; verbindlichſten Dank. Der un-
glüdlihe Herr von Altenburg braucht vorläufig nur
236°
Ruhe, viel Rube. Ser ungeheure Blutverluft bat ibn
bis zur Ohnmacht entfräftet.“
„Sit Die Halswunde ſchwer?“
Der Arzt zudte die Achfeln. „So ſchwer, Daß er
uns faft unter den Händen verblutete! Aber jebt, da
wir ihn regelreht bandagiert haben, tft er, jo Gott
will, gerettet.“
„Wenn nur fein Fieber kommt,“ nidte Flanken jorgen-
poll, „und wenn der Berband nur haftet.“
Der Arzt griff nah dem Hut. „Sieber wäre aller-
dings ein böfer ©aft, aber gottlob find feine Anzeichen
Dafür da, er atmet ruhig und regelmäßig“, und er trat
an Daniels Seite abermals in das Kranfenzimmer, um
noch einmal pon dem Zuftand des jungen Dffiziers
Kenntnis zu nehmen.
Eine leife geführte Unterredung der beiden Mediziner,
diewweil Slanten auf dem Flur den Säbel umjchnallte;
dann inftruierte der Militärarzt noch einmal den DBur-
ſchen, jedem Befehl feiner Durhlaudt Folge zu leiften,
und mit furzem SHändedrud verabſchiedeten ſich die
Herren.
Daniel geleitete ſie bis zur Treppe, ſchloß lautlos
hinter ihnen die Korridortür und beauftragte den Sol⸗
daten, die Schelle abzuftellen und auf jegliches Klopfen
zu achten. Dann trat er langjam in das Zimmer zurüd
und jette jih an das Krantenlager feines gehaßten
Nebenbublers, über Schlaf und Leben zu wachen.
Mechaniſch neigte er ſich vor, das Antlit des Kranken
mit ftarrem Dlid zu umfaffen. Das gedämpfte Licht
ließ die Züge Altenburgs geifterbleich erfcheinen, ſo
marmorlühl und regungslos, daß Sobolefskoi jählings
emporſchnellte, das Ohr dicht gegen Die Lippen Des
Verwundeten zu neigen.
And langſam, die Zähne zufammenbeißend, ſank er
wieder in den Korbfefjel zurüd; noch hoben matte Atem-
süge die Bruft. Nachdenklich Streift Daniels Blick unter
den finfterbufhigen Brauen berbor, als wolle er voll
alter Wiffenfchaftlichleit berechnen, ob dieſe fchlante
237
Sünglingsgeftalt, deren Angeficht fo deutlich die Spuren
übergroßer Arbeit und rajtlofen Fleißes trug, Diejen
Schidjalsichlag überdauern werde, der feine ganze Kraft
in rinnenden Blutftrömen gebrochen. ®erade dieje zarten
und elend ausfehenden Menſchen find auf dem Kranten-
lager zäh und fchmiegfam wie die Binfen. Seine Augen
find geſchloſſen, ein Zug erniter, beinahe energiſcher
Refignation liegt auf den regelmäßig und edel gejchnit-
tenen Zügen, und Fürſt Sobolefstoi dedt mit leijem
Aufftöhnen die Hand über die DBrauen; er begreift es
jo wohl, daß Lenas DBlid voll Liebe und Entzüden an
diejem Antlit Hängen muß, nicht allein um feiner eigen-
artigen Schönheit, fondern auch um des Geiſtes willen,
der ihm fein leuchtend Siegel auf die Stimm gedrüdt.
Aber e8 iſt eine Dual, ftundenlang fiten zu müſſen,
um das Haupt eines Mannes zu ſchauen, um deſſent⸗
willen man an allem Glück zum Dettler geworden.
Daniel wendet fi in aufwallender Erbitterung ab,
das Zimmer einer Mufterung zu unterziehen, Bücher,
lauter Bücher, Landkarten, Meßgeräte und Zeichnungen,
alles einfach, jolid und anſpruchslos, fein Ajchenbecher
oder Rauchferpice, fein Band aus der Leihhibliothef,
feine Dielliebehen, Bafen und Bronzen, feine Photo»
graphien aus Zirkus und Operette — nur über dem
Bett hing ein kleines Kruzifix und darunter das fchlicht
umrahmte Bildchen einer fchlanten, vornehm blidenden
Dame, deren Antlit eine frappierende Ahnlichkeit mit
dem jungen Offizier zeigt: feine Mutter. Dantel zudt
zufammen und neigt fich etwas näher. Auch fie bat
Dunkle Augen, und weil fie das Haupt etwas gefentt
hält, ſieht es aus, als ruhe ihr DBlid voll ernfter Weh⸗
mut auf dem leidenden Sohn.
And wieder reißt ſich Daniel faft ungeftüm von
dieſem Anblid los. |
Am ſich au befchäftigen, refapituliert er feine Unter-
tedung mit dem Militärarzt über die Art der Derwun-
Dung und ihre Behandlung, greift in die Taſche und
sieht etliche Papierftreifen herpor, Die der Doktor pom
238
Tiſch genommen und ihm zur beffern Ortentierung ge-
reicht hat. Es jind ärztliche Verordnungen und Re—
zepte, Die eventuell noch angewandt Werden ſollen.
Langſam entfaltet er die Blätter, lieft das erjte, dann
das zweite. Plöglih ftugt er. Franzöſiſch? — Was
fol das bedeuten? „Wie fol ih Ihnen danken, mein
Wohltäter, mein edeliter Baron, dag Sie mir wieder
zwei Marf mehr als mein Stundenhonorar gejandt
haben? ft es nicht ſchon genug des Erbarmeng, daß
Sie vier Treppen hoch in einem SHinterhaus empor-
fteigen, bei einem unglüdlihen alten Mann Sprad)»
ftudien zu nehmen, wo Ihnen gewiß viele vornehme
Lehrer zu Dienſten ftehen? Gott Iohne es Ihnen um
meiner armen, armen Kläre willen, für die ih nun
wieder Medizin und Suppen faufen fann! Prei Fahre
Ihon gelähmt, ein einundzwanzigjähriges Mädchen, ©ott
möge ſich bald erbarmen! Ad, wäre meine Tochter.
doch damals bei der Frau DBaronin geblieben, anjtatt
die unfelige Heirat zu tun, das Glend Wäre nie ge-
fommen — aber franzöfifhe Bonne fein — —“
Daniel ließ das ärmliche Driefblatt, auf dem eine
aittrige alte Hand ſich mit Schriftzügen abgemüht, wie
geiſtesabweſend finfen und ftarrte geradeaus ing Leere.
War es denkbar, menſchenmöglich? Waren all die leicht»
finnigen Motive, die er dem jungen Offizier unterlegt
hatte, irrig? Scheiterten fie abermals an der ftolzen
Ehrenhaftigfeit des Freiherrn von Altenburg, der barm»
berzig durch Wind und Wetter geht, um bei dem DBater
feiner ehemaligen franzöfifhen Bonne Sprachunterricht.
zu nehmen? Und Kläre —? Der Fürſt fenfte das
Saupt tief auf die Bruft und verſchlang die Hände
krampfhaft um das Inifternde Papier. „DBergebe Gott
mir meinen nidhtswürdigen Verdacht.“
Minutenlang faß er und blidte regungslos por ſich
nieder, Dann erhob er fich, fehritt Tautlos in dag Neben-
zimmer und rüdte das Zintenfaß herzu. Bogen und
Kuverts lagen noch auf dem Tiſch. Sobolefskoi zog
jein Portefeuille und faßte alles, was er an Banknoten
239
darin fand, zufammen. „Für Kläre, Bon einem, der
noch elender ift als fie“, fchrieb er auf einen Zettel,
Ihloß ihn zu der hohen Geldſumme in einen Umfchlag
und adrefjierte ihn an den greifen Schüßling Des Frei—
herrn von Altenburg. Zwei Mark hatte diejer ihn über
das Honorar geſchickt — mie ſchwer ſanken fie in Die
Wagſchale gegen diefes Kapitall |
Die Tür wurde leife geöffnet; der Burſche Alten⸗
burgs erſchien und fagte: „Der Kammerdiener tft draußen
und meldet, Daß der Wagen wieder porgefahren jei.“
Daniel nahm fchnell feinen ſoeben gejchlojfenen Brief,
fab auf die Uhr und trat auf den Korridor. Es war
juft in der neunten Stunde und die Häufer der Groß—
ftadt noch nicht gejchloffen; infolgedeffen inftruierte der
Fürſt feinen getreuen Alezandromitich, in Sharfem Tempo
jofort nah) der H.⸗Straße zu fahren, dieſen Brief im
Sinterhaus an feine Adrejje abzugeben und ohne ein
Wort der Erklärung augenblidlih wieder zu geben.
Die Equipage brauche nicht mehr hierher zu kommen;
wenn er nah Haufe fahren wolle, jeien jederzeit Droſch⸗
fen zu haben. Fräulein ‚Lena; von Groppen jolle er einen
Gruß beftellen und jagen, daß der Freiherr fehr ſchwer
erfrantt, allem Anfchein nad) aber bereits außer Le—
bensgefahr fei. Der Fürſt übernehme perfönlidy die
Nachtwache.
Als der Diener ſich haftig entfernte, trat ihm Herr
bon Flanken entgegen. Er war wieder vollitändig
rejtauriert und erjichtlih guter Laune; poll rührender
©utmütigfeit erbat er fi, bei Altenburg zu wachen,
bis der Krankenpfleger fäme. Er erzählte mit gedämpfter
Stimme noch einmal alle Details des unglüdlichen Sturzes
und ſchloß in feiner treuherzigen Weife: „Da babe ich
undanfbarer Gejell immer behauptet, meine Muskel⸗
fraft fei ein totes Kapital im neunzehnten Jahrhundert,
und nun babe ich mich Überzeugen müfjen, daß fie Doch
noch zu etwas nütze iftl Wie ein Widellind babe ich
Altenburg in den Armen getragen, und hätten meine
tarfen Hände nit mit zugegriffen und gehalten, fo
240
wäre wohl das Bandagieren auch nicht fo ſchnell ge-
gangen. Na, verzeihen Sie, Durchlaucht, daß ich eine
fo hohe Meinung von mir befommen babe — Gie
glauben gar nicht, wie ſtolz es mich macht, daß ich
auch mal zu etwas nütze war!“
Daniel drüdt ihm lächelnd die Hand; Der blonde
Riefe jedoch, dem nichts fo fremd war wie Krankheit,
fuhr bedauernd fort: „Zu fchade, daß der arme Kerl
da drinnen fo feſt [hlafen muß; wenn er wach Wäre,
könnten wir fo nett einen Heinen Stat zu dreien fptelen —
zum „Zeitvertreib! Rauchen darf ich wohl auch nicht?“
Rein, zum Krankenwärter hatte Herr von Flanten
borläufig noch nicht das mindefte Talent, Darum redete
Daniel ihm auch dringend zu, die Sorge für den Pa-
tienten allein ihm, dem Arzt, zu überlaffen.
„a, meinetwegen — wenn ich nicht nötig bin, werde
ih mid) nachher heimwärts fchlängeln, aber fo lange
bleiben Sie noch bier im Korridor, Durchlaucht, Damit
ih Sie ein bißchen unterhalten kann. — Sagen Gie
mal, wie geht es denn Fräulein Zolante?“
„Dante fchön, ganz vorzüglich!“
„Srzählen Sie mir doch mal ein wenig von ihr, fo
intereffante Heine Züge, über die man fie perfönlich
nit gut ausfragen kann —“
„Ich berftehe nicht!“
„Na, ift fie zum DBeifpiel Iteber Schofolade oder
Marzipan — wenn man mal eine Bonbonniere fchiden
wollte?“
Daniel lächelte. „Soptel ich weiß, liebt fie beides!“
Slanten rüdte etwas näher und neigte ſich vertrau-
lich nieder. „Ich glaube, fo ein Elfchen ift überhaupt
nur DBonbong,“ flüfterte er, und feine SKinderaugen
ſchauten recht bedenklich drein; „wenn fie ſich nun ein«
mal verheiratet, glauben Ste, daß Solante ihrem Mann
dann auch zumutet, Tediglid) von Konfelt zu leben?“
Sobolefstot hielt das Taſchentuch an Die Lippen.
„zein, mein befter Slanten. Wenn Solante überhaupt
16 Eſchſtruth, Hofluft 241
heiratet, Bat fte ihren Mann fehr lieb, und bie Liebe
überwindet alles, dem ©atten zu Gefallen fogar Die
erfion gegen — Sauerkraut! Und nun leben Gie
wohl, mein lieber Oberleutnant, auf baldiges Wieder-
ſehn!“ |
Wie endlos lang doch foldy eine Naht im Kranten-
zimmer iſt! — Aus dem Korridor Elingen bie tiefen
Atemzüge des fchlafenden Burjchen und des Wärters, —
die Uhr hat foeben die dritte Morgenftunde verkündet,
und Daniel Sobolefstoi fist allein am Lager jeines
Nebenbuhlers und ftügt das Haupt mit den brennenden
Augen in die Hand. — Sein Körper iſt tief erjchöpft,
aber feine Seele ift erregter denn je. Zwiſchen Mitter-
naht und Hahnenfchrei öffnet die Hölle ihre Düftern
Pforten; dann ziehen die greuliden Anholde ihren
Sallftrid um die Füße der Menfchen, dann jebt fich
das Verbrechen neben den Schlummerlofen und malt
ihm wilde Phantafien ins Hirn, dann boden jich DBerrat,
Treuloſigkeit und Selbſtſucht um ihn ber und flüftern
ihre ſündhaften Anjchläge in fein Ohr! AU die fahlen
©eifter der Berfuchung umflammern ihn und loden und
ziehen heran zu ihrem Sezenfabbat, und der ©eift,
der fonft fo millige, Tann dem Rauſch phantaftilcher
Hirngefpinfte nicht miderftehen, und das Fleiih ift
Ihwadh... DBewahre ©ott in Snaden des Menſchen
Seele vor folchen Stunden einfamer, grabesſtiller Mitter-
naht! — Daniel Sobolefskoi ftarrt regungslos auf das
bleihe Angeficht in den Kijfen, und an den Sedanten,
daß Lenas Liebe diefem Manne gehöre, fchließen jich
in wirbelndem Reigen noch viele andre Gedanken an.
Die Eiferfucht mit ihrer erbarmungslofeften Qual foltert
fein Herz, Srbitterung und wildes Radhegelüft wachen
mächtig auf, und obwohl Daniel weiß, daß der Schlaf
eines Menfchen durch ſcharfes Anfchauen gejtört wird,
figt er dennoch weit vorgebeugt und heftet den fun-
kelnden Blid auf das Antlit feines Feindes. Der
242
Kranfe atmet unruhiger, feine Hände zuden auf der
Dede.
Wie Stohloden zieht's Durch alle Safern und Nerven
. des Mißgeftalteten. WMlein mit dem Räuber feines
Ölüdes, fein Leben, fein Bejtehen in feine Hand ge»
geben... wer bindert ihn daran, Durch einen einzigen
Augenblid die rollende Kugel des Schidjals in andre
Bahnen zu fchleudern? Niemand ſieht's — niemand
hört's — Teiner Tann es beweijen... nicht im Himmel,
nicht auf Gröden. |
Der Berwundete öffnet jtöhnend die Lippen und lallt
unverftändlide Worte... fein Arm hebt ji wie ab-
wehrend gegen die ftieren DBlide, die auf ihn gerichtet
find, .wie die eines Raubtieres auf fein Opfer... — In
den farblojen Wangen fladert es rot empor. und zeichnet
grelle Sleden auf die Backenknochen.
Das Fieber! — Das Fieber! — — Wie eine Schlange
ringelt e8 jih um die zujammengefauerte Ziwergen-
geitalt — er will laden... aber die Lippen verzerren
jich bloß, und die Zähne bligen grell auf. — Wer wehrt
es ihm, in dieſer jtillen dunklen Nacht die Bandagen
zu lodern, wer fann ihn hemmen, den dunflen Blut»
ftrom, der für Zeit und Ewigkeit eine Kluft reißt zwiſchen
Lena und ihm? — Ein kurzer fchneller Sriff, und das
Lebensglück Sobolefskois iſt gerettet!
Der Satan ſchlägt ſeine Krallen in Herz und Hirn,
es zieht ihn wie mit teufliſchen Sewalten näher und
immer näher zu feinem Opfer. Sr niet auf das Bett...
er neigt jih vor — ftredt die Hand aus — — Hal —
Wie wagt es jenes Heine Bild, ihn plöglich mit dunklen
Augen anzubliden — jenes Bild an der Wand, das
den DBlid wie magnetifh an fich zieht, das wie zu
geifterhafter Größe anwachſend, fich flehend und angjt«
boll über den Sohn neigt?
Seine Mutter! — Ein unartifulierter Laut ringt ſich
gurgelnd aus Daniels Kehle, — wie zujammenbrechend
in fich felbft fchridt er zurüd, er wanlt, und feine Hand
fügt fich [hwer auf die Bruft des Kranken. — Wild
16* 243
emporfchredend reißt Altenburg die Augen auf. Pie
Blut des Fiebers brennt in dem irren Blid, mit dumpfem
Schrei der Wut fchnellt er empor, padt die fremde
Sputgeftalt mit beiden Zäuften und will fie erwürgen.
Sin kurzer, furhtbarer Kampf. — Daniel ringt fich
feuchend frei, feine lieder zittern, ihm felber wühlt’s
wie Ziebergluten dur) den Sinn. — Wtenburg ftürzt
in die Kiffen gurüd, und Sobolefskoi bricht auf Die
Knie zuſammen, Die gefalteten Hände zum Himmel
bebend, mit dem Murmeln der DBerzweiflung —:
Wutter... was wollte id tunl Und dann fpringt er
empor und neigt ſich über den Verwundeten, voll
Todesangſt in feine verglaften Augen zu bliden. Schnell
Das Siebermittel... Doch, albarmherziger Himmel —
was tft das? — über die weißen Binden des Halſes
rinnt ein feiner roter Streifen, und das weiße Nadht-
bemd auf der DBruft färbt fi zu dunklem Purpur.
Regungslos, wie tot, nur ein leifes Röcheln auf den
Kippen, liegt der Krante.
Daniel taumelt zurüd. Ein marferfchütternder Schrei
gellt durch das Zimmer. Dann ftürzt er mit feuchendem
Atem in Das Nebengemad), wo die ärztlichen Inſtrumente
und Dandagen noch auf dem Tiſch ausgebreitet liegen.
Der Krantenwärter fchridt empor. — „Zu Hilfe!“ fchreit
Daniel, „der DBerband. Hat fi) geldft!“
Und dann wagt er fi mit dem Mut der Derzweif-
lung an das furdhtbare Werft. Entweder gelingt es ihm
ohne Hilfe, oder der junge Offizier ftirbt unter feinen
Händen. Entſetzen fehüttelt den Fürften: „Mutter er-
barme Dich meiner!* — ringt fih’s wie in Todesnot
bon feinen Lippen, und er beißt die Zähne zujammen
und beginnt mit Hilfe des Wärters den Verband ab-
aulöjen und die blutende Ader neu zu unterbinden.
Bon feinem Herzen aus geht es wie falte Schauer
Durch feine ©lieder, eine wunderjame Ruhe überfommt
ihn, mit dem DBewußtjein der Gefahr fehrt fein Wiſſen
und Können zurüd. — Wohl rinnt der Angſtſchweiß
bon feiner Stirn, aber feine Hände arbeiten rubig
244
und jicher, und wie der furchtbare rote Quell verjiegt,
wie fi) die Linnen fejt und ficher darüber legen, da
klingt's nur wie ein Schluchzen aus feiner DBruft hervor,
und als Altenburg wieder ftill und ruhig auf feinem
Schmerzenslager liegt, fein Burſche an dem Bett nieder-
niet und das Geſicht mit feuchten Augen tief auf-
atmend in den Händen birgt, wie der Kranfenwärter
poll leifen Jubels ausruft — „Dem Himmel fei Dant,
Herr Doktor — jebt ift er gerettet!“ — da fühlte
Daniel plößlich, wie feine Knie erzitterten.
Eine unbezwinglihe Schwäche überfällt ihn, blutrote
Nebel wallen vor feinen Augen, und er greift taftend
um ſich. — „Um Deinetwillen, Mutter... um deinet⸗
willen, Lena! Gott fei gelobt! —“ murmelt er, und
dann ſinkt fein Haupt gegen die Seſſellehne zurüd.
Wie Himmlifde Muſik umflingt es ihn, zwei dunkle
Augen lädeln ihm zu, und dann umfangen ihn die
Chatten tiefer Ohnmacht. —
Der Fürft Hatte befohlen, daß fein Wort über jene
Demußtlojigfeit, die ihn in dieſer Nacht befallen, ver⸗
lauten folle. Er erholte fich [chnell, nahm etlihe Tropfen
aus einer Keinen Phiole, Die er bei fich führte, und
befand ſich auch bald wieder in’einem völlig gefräftigten,
beinahe aufgeregt frifhen Zuſtand.
Boll wahrhaft aufopfernder Sorgfalt bütete und
pflegte er den Kranfen und fuhr am nädhften Morgen
erft nah Haufe, als er den Freiherrn der Sorge des
Milttärarztes anvertrauen fonnte. Betroffen blidte diefer
in das Angeficht des Fürften. Das Tageslicht zeigte
eine wunderbare, faft erfchredende Veränderung. Hohl
und fieberglänzend ftarrten die Augen; tiefe Furchen
gruben fi in Wange und Stirn, und das Haar deuchte
den Beobachter heute viel ergrauter noch, als geftern
abend. — Das war begreiflih: die qualoolle Auf-
regung, die der Fürft Stunden hindurch gelitten hatte,
war groß gewefen, um fo mehr, wenn er tatfächlich mit
fo viel freundfchaftliher Liebe dem Kranken zugetan
war, wie es den Anſchein hatte. — Der Kranfenwärter
245
erzählte, daß der Fürft den Reft der Nacht kniend
an dem Bett des Verwundeten verbracht babe, Die
Hände mie in tieffter Seelenqual im Gebet ringend.
Auch am nächſten Tag wich Sobolefstoi faum von
der Seite Eitels. Gr drüdte dem Erwachenden die Hand
und legte die Rechte wie fegnend auf fein Haupt. Oft
bielt er fi) wie in jähem Schwindel an den Möbeln
fejt oder preßte die Hände gegen die Bruſt.
Mit einer faft Frankhaften Haft und Grregung be—
ſchwor er die Arzte, eine Überführung des Kranken in
des Fürften Wohnung zu ermöglichen. Dieſe jei voll»
fommen zwedentjprechend und babe den Vorzug, daß
er den Freund ſtets unter feiner ärztlichen Auflicht habe.
Man ftellte die Aberführung für den zweitnächſten
Sag in Ausficht, und Daniel fchleppte fich während dieſer
Zeit pflichtgetreu zu feinem Schußbefohlenen, wie ein
Bater über ihm zu wachen.
And der Tag kam, dba der Freiherr pon Altenburg
nad) glüdlihem Transport unter dem feidenen Baldachin
in Sobolefskois größtem und Iuftigftem Zimmer lag und
nah ftärfendem Schlaf die Augen öffnete. Da ftand
Daniel vor ihm und hielt das Feine Bildchen in der
Sand, pon dem Eitels Mutter mit dunklen Augen ihm
zuzulächeln fchien.
„&8 Toll wieder feinen angeftammten Platz erhalten!“
fagte er leiſe mit eigentümlich fremder Stimme. „Als
ich es abnahm, fiel mir die Hälfte eines trodenen Klee»
Blattes entgegen, — bier ift fiel Sch werde dieſes
Glückszeichen gut aufbewahren für Sie, denn es hat in
der Tat wie ein guter Etern über Ihnen gewadt!*
Reife Röte ftieg in Eitels bleihes Angeficht.
„Warum foll es nicht au den gewoͤhnlichen Platz
behalten?“
Daniels Blick ſchweifte wie geiſtesabweſend über das
Antlitz des Fragers hinweg. „Die Zeit des Kräutleins
iſt um; — droben flicht Lena einen Kranz von roten
Roſen, der dieſes Bild umrahmen ſoll. In ihrem Duft
follen Sie träumen, und wenn die Blüten verwelkt
246
find, wird ſie perfönli fommen, neue Zweige zu
bringen.* — Ber Fürft dedte die Hand über die Augen.
„Dann wird ein Engel an Ihr Krankenlager treten,
defjen Lächeln Sie genefen lajjen wird, — an Xeib
und Seele.“
Ein bebender SHändedrud war die Antwort des
jungen Offiziers. — An demfelben Tage jedoch fand
man den Fürften befinnungslos vor feinem Schreib-
tiſch zuſammengebrochen, ein ſchwarzgeſiegeltes Kupert
lag auf der Platte. — ‚Mein letter Wille‘ war jene
Aufſchrift.
Die Arzte konſtatierten den Ausbruch eines —
leidens, das ſich bereits ſeit längerer Zeit vorbereitet
zu haben ſchien. Im Verein mit den ſtets heftiger auf—
tretenden aſthmatiſchen Beſchwerden gab es Anlaß zu
ernſten Beſorgniſſen.
Wochen voll Sorge und Angſt vergingen, und als
der Chriſtbaum ſeine Flammenſternlein an den Zweigen
brennen ließ, da ſaß Fürſt Daniel bleich und gebrochen
im Rollſtuhl und blickte mit dem herzzerreißenden Lä»
cheln eines Dulders in den weihnachtlichen Slanz empor.
Altenburg ftand hoch und ftattlih an feiner Geite,
heute als völlig gefundet aus Der ärztlichen Pflege
entlaffen. Friſcher, blühender als je trug er das Haupt
auf den Schultern, und in feinem Auge fpiegelte fich
ein ungetvohnter fonniger Glanz des Slüdes, ein Wider-
Ihein jener unausſprechlich feligen Stunden, während
derer Lena an feinem Lager gefeffen, den Zauber aller
jungen Liebe und allen jungen Lebens über Ihn ergießend.
Draußen hatten die Schneefloden mahnend ihren fühlen
Kuß auf die jungen Keime gebrüdt, die zu früh zum
Licht herbordrängen mollten, und drinnen preßte der
junge Offizier die Hände wehrend gegen das unaeftüme
Herz und faate ſich voll ftolzen Chraefühls, daß es
noch nit an der Zeit fet, die NRofen zu pflüden, und
Daß man mit leeren Händen nun und nimmermehr
füen und ernten könne.
247
3weiundawanzigftes Kapitel
Das Königlihe Schloß bat feine Säle geöffnet und
[haut wie mit hundert glühenden Seueraugen in Die
pon Schneefloden durchwirbelte Sinfternis hinaus. Im
Beftibül paradieren die Lakaien und Huifjiers in voller
Gala, und im Feldberrnjaal erwartet der Oberbofmar-
Ihall, den Stab mit filbernem Knopf voll eleganter
Würde zur Hand, die Säfte feiner erlaudhten Gebieter.
Ale Würdenträger und die pornehmften Damen und
Herren der Gefellihaft fanden fih bier zufammen,
Ezrzellenzen, Marjhälle und Glieder der Ritterjchaft,
repräfentierende Mütter und tanzluftige Töchter.
Yrfula tft glüdielig; Prinz Theobald bat fie Durch
einen Banz ausgezeichnet, und weil fie heute feine Luft
bat, ‚Wite Ioszulajfen‘ und fich Darin gefällt, ‚aus
Affigfeit‘ einmal alles ganz genau fo machen, tie
die andern jungen Damen, find alle Leute Tolojfal nett
zu ihr, und Graf Lohe, in feiner ‚patenten‘ Hofjunfer-
uniform, fcheint geradezu entzüdt zu fein und verjichert:
‚es babe fih ein holdes Wunder an ihr begeben!
Er fteht neben ihr und muftert mit Wohlgefallen
ihre zierliche Geſtalt. Heute ift gar nichts mehr an der
Zoilette auszujegen.
„Fräulein Urfula... Sie haben ja heute die Hand»
Ihube bis zum lebten Knopf geſchloſſen!“
Sie glüht wie ein Röschen und fächert ſich Kühlung
au; bei feinem nedenden Son ſchießt ihr das Dlut
bollends in die Wangen: „Weil heute eine Hundefälte
iſt, — ich frierel“ troßt fie ihm entgegen, und faum,
daß ihr das Wort entfchlüpft, beißt fie fi erſchrocken
auf die Lippe und tut ſcheuen Umblid, ob jemand dag
polizei« und courwidrige Wort gehört bat. Das ftebt
ihr allerliebft und der Erbherr von Illfingen überwindet
fein Mißbehagen und bittet um den Vorzug, mit ihr
foupieren zu dürfen.
„Nein — ich bedaure.“
“Ab... find Sie bereits engagiert?“
248
„ein!“ i
Sein Auge fprüht auf: „Warum weiſen Sie mid)
dann zurüd?“
Da ſchlägt fie ihre Augen poll auf, dieſe großen,
naiven Kinderaugen, tritt ihm noch einen Schritt näher
und flüftert ſchmollend: „Weil Sie mir immer fo wenig
zu eſſen bringen, lauter zuderfüße Jämmerlichkeiten;
und wenn ich noch "was Ordentliches haben will, dann
machen Sie jedesmal ein Seficht, als wollten Sie jagen:
Du Freßſackl!“
Fa, Urfula hatte wieder ein Attentat auf Lohes zarte
Nerven ausgeführt, allerdings nur ganz, ganz leije, fein
fremdes Ohr hatte es gehört, aber dem Grafen ging
Doch ein Fröſteln über, und er war plößlich wieder aus
allen Himmeln geftürzt. Wäre er ein befferer Menſchen—
fenner gewefen, fo Hätte er wohl mit GEntzüden den
Kampf diefer kindlichen Mädchenjeele bemerft, die voll
zärtlihen Willens allein ihm zuliebe in die Bahnen
einlenkt, die er vorgefchrieben, und doch zu fpröde und
ſtolz ift, es ihm einzugefteben. Der Welt gegenüber
wollte fi Urjula feine einzige Ungezogenbeit und Derb-
beit mehr zuſchulden Tommen laſſen, aber Graf Lohe
ſollte nichts von folder Wandlung merken, fonft Hätte
er fih womöglich eingebildet, jie gehorche ihm, — ob,
und Daran war nicht zu denken! Das Fräulein von
Kuffftein tut einzig, was fie will, und davon beißt
feine Maus einen Faden ab!
Lohe verjiherte mit einer etwas fteifen Kopfhaltung,
daß er Diesmal jede Vorſchrift der Aſthetik unberüd-
jihtigt laffen und das gnädige Fräulein zur Yufrieden-
beit bedienen wolle. — Sr babe darum den Wunfd
gehabt, ihr Tiſchnachbar zu fein, weil er ihr eine Neuig-
feit zu erzählen babe.
„Aa meinetwegen, dann fchießen Sie Ins!“ nidte Die
Kleine leihthin, „werde Sie alfo an der Krippe dulden!“
— And ihr Auge blitte noch einmal recht triumphierend
zu ihm auf, und dann tanzte fie mit einem Gardeoffi—
zier davon. |
249
—
„Sin allerliebftes Knöfpchen!* erflang es neben dem
jungen Grafen; „will es mir zum nächſten Walzer
pflüden!“
Mark⸗Wolffrath zog die Augenbrauen zufammen und
wandte den Kopf fchnell zu feinem intimften Freund,
dem Fürſt Schlüfften, herum. „Auf Wort, gefällt fie
Ihnen? — Geit wann das?“
„GEhrlich geftanden, erft feit unferm Wiederfehen bier
in der Refidenz! Früher war fie ein gar zu wild auf»
gewachſener Bub, jet ift fie ein fcharmantes Mädel
geworden!“
„Inwiefern? Sch finde fie noch genau fo draftijch
und unerzogen wie früher! — Lohe warf den Kopf
zurüd und machte das SBeficht, das ihm den Spitznamen
feiner Kameraden ‚der prüde Joſef' eingetragen.
„Unbegreiflihl Sie benimmt ſich durchaus comme il
faut, und wenn fie wirklich mal ein wenig flin? mit dem
Zünglein ift, nun, fo ift eg in einer fo frifchen naiven
Art, daß man höchſtens wohltuend davon berührt wird.
— Sie ftellen eben gar zu hohe Anforderungen, beiter
Sraf, und was wir andern Staubaeborenen amüfant und
originell nennen, fträubt Ihnen als eine Taktloſigkeit Die
Saarel Kommen Gie aus den Wolken herab und fochen
Cie mit Waſſer, wie wir auh! — Ab voilä... da Tommt
die Kleine zurüd — ... Meine Onädigfte, darf ich
um eine Cztratour bitten?“
Lohe biß ſich ärgerlidy auf die Lippe. ‚Rommen Gie
aus den Wolken berabl!!' — — Lächerlich, ift es feine
Schuld, wenn die Natur ihn mit allzu peniblem ®e-
ſchmack ausgeftattet? Daß diejer ein Unglüd für ihn
fet und ihm den Lebensweg mit viel unnötigen Dornen
pflaftere, war ihm fchon oft genug gejagt, — von
Menſchen, die impertinent genug waren, fich ein Urteil
über fein Wejen anzumaßen! Ber Stab des Hofmar-
ſchalls berührte aufflopfend das Parkett, die tanzenden
Paare traten zurüd, und Prinzeſſin Gordelia fchwebte
im Arm des jungen Grafen Antigna auf wiegenden
Walzerllängen dahin.
250
Yrfula riß die Augen weit auf por Staunen und
Steude. Wie gütig und Huldpoll von Ihrer Hoheit,
den blutjungen SKapalier, den Neuling am Hof, zum
Tanz zu befehlen! Man ſieht es ihm an, wie dieje uner-
wartete ®nade ihn erregt, wie DBerlegenheit und Angft,
diefer Auszeichnung nicht gewachſen zu fein, ihm fieber«-
hafte Glut in das fonft fo farblofe Antlit treibt.
Er ift ein wenig geübter Tänzer, fein Arm umſchließt
die elfenhafte Geſtalt der PBringeffin zu feft und zu
nervös, faft fieht es aus, als preffe er fie voll leiden“
ſchaftlichen Ungeftüms an die Bruft.
Zweimal haben fie die Runde des Fleinen Kreifes
getanzt, dann neigt die junge Fürftin danfend das
Köpfen und fchreitet am Arm des Grafen nach dem
Divan zurüd. Sin engelhaftes Lächeln fpielt um ihre
Lippen, und mie fie mit jedem ihrer Tänzer ein paar
freundlide Worte plaudert, fo fchlägt fie die leuchten-
den Augen auch zu Henry Antigna auf und richtet
etlihe Sragen an ihn. — Ber junge Graf antivortete
ſchnell und Haftig. Urfula Tann feine Worte nicht ver—
ftehen, obwohl fie nur wenige Schritte pon ihm ent-
fernt ift, aber die Unterhaltung fcheint die Prinzeſſin
zu interejfieren.. — Geltfam! Henry, dieſer fcheue,
tedeunluftige Menſch tft wie ausgewechfelt. — Endlich
neigt Sordelia abermals lächelnd das Haupt, und nach
tiefer Derneigung tritt Antigna in die Menge zurüd.
Haftig Schafft er fih Bahn, fein Blid ſchweift wie gei-
ftesabtwejend über das bunte Gewoge hinweg. Da fühlt
er feinen Arm gefaßt. Urfula legt ſchnell ihre Händchen
Darauf und fchreitet an feiner Seite mit fort.
„Nehmen Sie mich mit, ih habe Ste an etwas zu
erinnern, Henryl“ flüftert fie, da fein überrafchtes Ant—
lig fih ihr gumendet. — Er nidt ſchweigend, aber fehr
einperftanden und führt Die junge Dame in den Neben-
faal zu einem palmmwedelüberdadten Eckfauteuil.
Die Kleine blickt forfchend zu ihrem Begleiter empor.
Welche Veränderung in feinen Zügen — er fann gewiß
Das Tanzen nicht vertragen! Sein erft fo heiß erglühtes
251
Geſicht ift wieder bleich und ernft, noch viel farblofer
als zuvor, die Augen Tiegen tief, und feine Lippen
zittern. Sr fest ſich an ihrer Seite und ftarrt in Das
Kichtgefuntel des Kronleuchter empor: „Nun?“
„Sie verfpradhen mir zu erzählen, warum rote Mohn-
blumen Ihre Augen Blenden.“
Sein Dlid flammt zu ihr Hinüber. „Weshalb ftellen
Sie diefe Trage juft in Diefem Augenblid an mich?“
„Weil fie mir gerade jebt in den Sinn fam, und ih
ſtets ſolchem Impuls folge!* — Ganz wichtig und alt-
Hug ſah fie ihn an, und Henry ſtrich langſam mit
der Sand über die Stirn und lachte plößlich mit einem
nervöſen Klang in der Stimme leife auf. „ch Hätte
Ihnen und der Mutter diefe Geſchichte erzählen follen,
bepor wir unfern erften Befuh am Hofe abjtatteten!
Jetzt iſt's zu fpät* — er atmete tief auf — „und ein
Umkehren bat feinen Zwed mehr. Aber gleichviell Sie
felber traten mir Damals in den Weg und trugen Mohn-
blüten an Haar und DBruft, eine Warnung, der ich nicht
Solge leiſten Durftel“ |
Sr ſchwieg einen Moment und zog in aufgeregtem
Spiel das wappengefticdte Taſchentuch durd) die Hand,
Dann lehnte er fich in den Seſſel gurüd und fein brennen-
der Dlid traf ſie Durch Die dunklen Wimpern.
„Bor Jahren wars. Auf dem elterlihden Schloß
weilten wir, und da ich nie ein fonderlicher Freund vom
Lernen und Studieren gewefen, warf ich mich lieber auf
ein Roß und jagte querfeldein. Keinen Begleiter duldete
ih an meiner Seite, fein Ziel hatte ich por Augen, feine
Gefahr Ihredte mid. Es lag in meiner Natur, zügel-
los vorwärts zu ftürmen, ohne DBefinnen und Überlegen
jede Schranke zu durchbrechen, wüft und Teidenfchaftlich
in das Leben Hineinzutollen. Das DBollblutpferd mag
nicht für meine jungen Arme getaugt haben, eg repoltierte
gegen einen Feldweg, Doch ich zwang's mit Sporen und
Peitſche. Da ſchlug es den Pfad endlich mit [häumendem
Gebiß ein, aber faum daß ein paar Wacdteln fi) por
feinen Hufen flüchten Eonnten, bäumt’s wild auf und
252
Ihridt zurüd. Mitten auf dem Weg ftand ein Straud
bon roten Mohnblumen; grell beichienen von der Sonne,
bom Winde Hin und ber bewegt. Mein Pferd fcheute
davor, ich will es forcieren, reiße die Zügel an und
— überſchlage mid) mit ihm in fchwerem Sturz.“
Urſula rüdte mit weit offnen Augen, fiebernd vor
Interefje, näher; Graf Antigna aber neigte mit wunder-
lichem Lächeln den Kopf und fuhr Ieife, gedanfenpoli
fort: „als mein DBewußtfein zurückkehrte, blidte ich
in das verwitterte braunrunzlige Geſicht eines alten
Weibes. Sie hielt meinen Kopf im Schoß, neigte ſich
über mich und murmelte beſchwörende Worte über meine
blutende Stirnwunde. Und ſie hob warnend den Finger
und ſprach: „Habt zu hitzig Blut, Junkerlein, rennt
mit blinden Augen ins Verderben! Leidenſchaft iſt
Euch gefährlich und bringt Euch zu Fall; drum merkt
wohl: Wo der Teufel Euch hinlocken will, da ſtreut
er rote Mohnblüten auf den Weg, — wandelt Ihr
ihn, führt's zum frühen Grab.“
Henry Antigna ſprang empor und lachte laut auf.
„Iſt das nicht etwas, was nicht alle Tage paſſiert?
Erzählen Sie es nicht weiter, ſonſt lachen uns die
Leute aus! Aber wir wollen die Alraunenweisheit leben
laſſen —“ und er ergriff mit unſicherer Hand ein Gelt-
glas von der GSilberplatte eines ferpierenden Lafaien,
ſtürzte feinen Inhalt herab und nahm ein zweites”
„Die roten Mohnblüten, die mich ins Verderben locken
iollen, leben, blühen und gedeihen! Und nun kommen
Sie, Urſula, man tanzt wieder, und mir ift’s, als müſſe
ih mich totrafen nach diefen füßen Klängen, als müffe
ih jeden Moment benugen, um die Jahre wieder ein-
u die ich Narr hinter den Büchern verloren
babe!“
Sr wartete feine Antwort ab, legte ihre Hand auf
feinen Arm und ftürmte mit fladerndem DBlid in den
Saal zurüd.
Die Herren und Damen aber Tamen zu Gräfin Ans
tigna und gratulierten ihr, daß ihr ‚unnatürlich fleißiger‘
253
Sohn, der menfchenfcheue Selehrte, der Welt zurüdge»
ſchenkt ſei; Graf Henry fei mit Leib und Seele beim
Tanz, unerfättlih wie ein Löwe, wenn er Dlut geledt!
— And die ftolzge Mutter lächelte ihren Sreunden berz-
lihen Dank und blidte Hochaufgerichtet und triumphie-
rend auf das Bild ihrer geheimften Träume: Henry
überreicht der Prinzeſſin Sordelia den Kotillonftrauß
bon brennend roten Blüten, Hoheit lächelt ihm freund»
lich zu und tanzt zum aweitenmal mit ihm.
Die breite Marmortreppe der Schloßhalle fteigt lang-
fam, beinahe zögernd ein junger nfanterieoffizier em«-
por. Alle Säfte find längft verfammelt, er Tommt ſpät.
Dennoch fcheint er feine Eile zu haben, die lichtftrablen-
den Säle zu betreten; auf dem blumengeichmüdten
Treppenabſatz bleibt er fogar ſtehen und legte die Hand,
tiefatmend, gegen die Stim.
Eitel Freiherr pon Altenburg! Er geht zum SHof-
ball, zum erften» und lettenmal. Verſchiedene Sründe
find es, die ihn berführen. Seit er als ſchwerkranker
Mann in der Wohnung des Fürften Sobolefstoi gaft-
liche Aufnahme gefunden, feit eine lichte Mädchenge-
ftalt voll milder opfermutiger Sorge das Haupt über
ihn geneigt, feit er durch feine Sieberträume ihre fühle .
Sand auf feiner Stim gefühlt, und feit er mit wieder“
Tebrendem Bewußtſein Lenas jüßer Stimme gelauſcht,
feit diefer Zeit ijt er ein andrer geworden. Nur einen
Gedanken, nur eine Sehnſucht und einen Wunjd gab
es Hinfort für ihn: LZenal Und nur eine Hoffnung, fie
jemals zu erringen: Gelbftändigfeitl Groß, edel und
wahr ſenkte fich die Liebe in fein Herz, und groß und
edel wie fie war der Stolz, der ſie durch ein langeqd
Leben hindurch ftüten follte. Die Ausfichten auf ein
Apancement in der Armee waren fchledhter als je, er
als mittellofer Leutnant mußte lange Jahre noch war»
ten, ehe er daran Denken fonnte, ji) einen Hausftandı
zu gründen. Außerdem verfnüpfen ſich mit dem Rod
Des Königs Verpflichtungen, die ein Leben in voller
254
Zurüdgezogendheit und Sparfamteit unmöglich machen.
Hätte Lena in ihrer rührenden Demut auch ohne alle
Aniprühe feine Gattin werden wollen, jo hätte Die
Würde feines Standes fich als gebietend Hindernis
in den Weg geftellt. — Altenburg blieb alfo nur eine
Wahl, Lena — oder der Degen. Eines mußte geopfert
werden. Und nach ſchwerem Seelenkampfe Hatte Die
Allgewalt der Liebe geliegt. Der Freiherr wollte ich
entſchließen, Fürft und Vaterland aufzugeben, um eine
fehr vorteilhafte Zipilftellung im Ausland anzunehmen
und den Degen, der ihm das Glück nicht erlämpfen
fonnte, feinem Landesherrn zurüdzuerftatten.
Heute abend, angejihts der höchſten Pracht und
Herrlichkeit, wollte er Lena fragen, ob fie all dieſes
wonnejfame Leben poll Luft und Genuß dabingeben
wolle, um ihm in eine befcheidene, armjelige Häus—
lichkeit zu folgen, Darinnen nichts glüht und blüht als
die unverwelflichen, Dornenlofen Purpurroſen feiner
Liebel Ihre Antwort follte entjcheiden, in ihre Hand
legte er zuverſichtlich fein Geſchick.
Gin ſchwerer Gang. Altenburg blidt in Die ge»
öffneten Saaltüren; der Lichterglang blendet fein Auge,
und Muſik und beiteres Stimmgewirr [chlagen wie be—
täubend gegen fein Ohr. |
Gr wendet ſich und tritt in die Galerie, die fich
ftill und menfchenleer zur rechten Seite neben den fürft-
lihen Gemächern entlang zieht.
Ruhig und einfam. Der junge Offizier bleibt aber-
mals ſtehen, feine erregten Nerven zu beruhigen. Welch
eine wunderfame, geheimnisvolle Macht legt jich plüß-
lich wie bejtridend über alle feine Sinne? Leife und
weich, füß, duftig und fehmeichelnd weht es um feine
Stirn, eine Luft, wie er fie noch nie geatmet, eine
feierlihe zwingende Luft — SHofluft.
Zangjam fest fi der Freiherr auf den Diwan zur
Seite nieder und atmet tief auf. Wie hoch und ftolg
gewölbt ijt Der Raum, der ihn aufgenommen, wie blitt
es rings von Gold, wie ehrwürdig und gebieterifch
255
wirkt alles! Große Gemälde find zwifchen die Nlarmor-
fäulen eingelaffen, die Porträts der glorreihen Ahn—
herren des Königshaufes, weltbefannte, unfterbliche Hel-
Dengeftalten der Sefhihtel
And abermals weht die geheimnispolle Luft über den
jungen Offizier, und es ift, als made fie feine müden
Augen plöglih Hell und fehend. Altenburg erhebt fich
und tritt, wie magnetifch angezogen, von einem Der
Semälde zum andern. Sein Herz Hopft Hoch auf beim
Anblid jener bobeitspollen Geſtalten, deren Bild er
voll warmer DBegeifterung in der DBruft getragen, jeit-
dem ihm als Knabe und Süngling zum erftenmal der
heilige Begriff von Fürft und Vaterland verftändlich
und zu Fleiſch und Blut geworden!
Sin ritterlich Heldenhaftes Herrſcherhaus! Hier ftehen
jie por ihm, die Soldaten in Krone und Sermelin, Denen
nichts teurer und heiliger gewefen, als der Degen in der
Hand, und fie richten die Augen auf ihn, ernft, gewaltig
und vorwurfspoll: ‚Um einer Rofe willen wirfft Du
den Lorbeer aus den Händen?‘
Sin tiefer, faft feuchender Atemzug hebt die Bruft
Des jungen Offiziers; feine Hand krampft ſich zitternd
um den Degengriff und durch feine Seele geht es wie
ein jubelnder Auffchrei: „Noch Halte ih die Waffe,
der ih Treue ſchwur, und beim ewigen Himmel, — ich
will eher mein Herz aus der Bruſt reißen, ehe ich
diefen Schwur brechel“
Sin Taumel leidenſchaftlicher Begeifterung erfaßt thn.
Iſt die Luft, die er hier atmet, verzaubert, daß fiel eine
ſolche Wirkung auf ihn ausübt? Hofluft ift’s, und ein
Poet Hat einft gejagt, fie fet ein balfamifch Gemiſch von
“ Gternenglanz und DBeilchenduft — lädherlih! Falſch
Zeugnis bat der Mann geredet. Pie Duftwoge, Die
dureh einen DBallfaal zieht, Hat er verwechſelt mit dem
fraftoollen Hauch der echten Hofluft, Die voll’ Heiliger
Weihe dur deutfhe Fürftenhäufer weht! Hier klingt
und fingt und fäufelt es nicht voll weichlicher Wolluft,
bier rauſcht der Flügelſchlag des Königsaars, bier flat-
256
tert das Banner hoher Herrlichkeit, und der ehberne
Schritt von Jahrhunderten zittert wie ein ftolges Echo
durch die Luft! Keine Veilchen duften darein, Das
Zaub der Siegeseichen, der Lorbeer, Der SHeldenftirnen
frängt.
Das ift Hofluft!
And Altenburg fühlt den Segen und die Kraft, die
fte in ſich [chließt. Und wie einft die Ahnherren Des
jungen Sdelmannes unter die Fahnen diefer Helden»
fürften getreten find, getreu in Sturm und Not, getreu
zu Steg und Tod, fo erneuert au) der Enkelſohn in
Diefem Augenblid das Gelöbnis der Väter, und feine
Hand umfhließt den Degen, feft und feierlich, in dem
Schwur: fih freiwillig nie von ihm zu löſen!
Sern in den Eälen jubelt die Tanzmuſik, dort lacht
und fcherzt’s, und Die Luft, die die Flammen zittern
läßt, trägt Himmelsglanz und Veilhenduft auf Den
Schwingen; der Freiherr von Altenburg aber fchreitet
feften Schritts die Marmorjtufen wieder hernieder, ohne
nur das Haupt nad) jener Iodenden Pracht zu wenden.
Die Weihe jener Hofluft, die wie ein mahnender Sturm⸗
wind fein Lebensjhiff auf die rechte Bahn zurüdge-
führt, wollte er unperfälfcht mit fi hinaus in Den
Kampf gegen fein eigen Herz nehmen!
Lena bleibt das lichte Bild der Gnade, zu Dem
er fih in wantellofer Lieb’ und Treue emporringen
wird, aber mit dem Degen und im Dienft feines Kö⸗
nigs! Liebt fie ihn, fo wird fte in Ergebung der Zeit
Barren, da er fommen fann, um fie zu werben, und ſo,
wie er der Gifenbraut den Schwur der Treue hielt, fo
wird er ihn auch feinem Weibe halten.
Graf Lohe und Arfula foupierten zuſammen, als
zweites Paar Hatten Jolante und Herr von Flanken an
dem Heinen Marmortifchhen Platz genommen.
Doll koloſſaler Selbftüberwindung hatte Mark⸗Wolff⸗
rath ein wahrhaftes ‚Srenadiereffen‘ am Büfett ausge»
17 Eſchſtruth, Hofluft 257
wählt, viel Sauerkraut mit wenig Faſan, reihlih Pa-
prilafauce und etwas Braten, Heringsjalat und landierte
Zwiebeln, Zrüffelfarce und Baftete, nur feinen Käje,
denn Das ging effeltiv über feine Kräfte Und Urfula
fchwelgte vor Gntzüden und aß um die Wette mit
Steund Flanken, der mit ftrahlendem Geſicht ihren
Geſchmack und Appetit ‚ausnahmsweife normal’ nannte.
„35h kann es in den Tod nicht ausftehen, wenn die
Damen rehts und Iinls um einen herum fiten und
faften, entweder find jie zu eng angezogen, oder fie
zieren fi), oder find krank — na, und eins finde ich
fo gräßlich wie Das andrel*
Jolante opponierte fehr entrüftet, aber nad) einer
feinen Weile fagte fie: „Nun, feherzeshalber will ich
dein bochgepriefenes Sauerfraut einmal often, Urfulal
Bitte, Herr von Flanken, beforgen Sie mir etwas, aber
nur eine ®abeljpige voll!“ Der Oberleutnant ftürmte
Davon, holte für fich eine Doppelte, für Stäulein von
©roppen eine ‚halbe Portion‘ — und freute ſich wie
ein Kind, weit vorgebeugt, Diefem Mirafel zugujehen: das
Elfchen aß wirklih und wahrhaftig Sauerfraut! Der
ganze Himmel hing ibm plöglich voller Baßgeigen, und
wenn Jolante auch noch jo fehr dag Geſichtchen ver—
zog und wie ein eigenfinniges Kind mit den Händen
abwehrte — ‚Ichmedt fchauderhaft!‘, fo ſah er dennoch
in rofigen Zufunftswolfen einen GEßtiſch fchweben, daran
Jolante und er als wahrhaftiges Ehepaar jaßen, por
ji eine riefige Schüffel voll Sauerfraut und Pölcl«-
fleifhHl Graf Lohe war fchweigfam und erfichtlich ver—
ftimmt, und Urfula ſchien nicht fonberli auf feine
Neuigfeit zu brennen, denn erjt zum Schluß, als fie die
Handſchuhe wieder an den Armen emporftreifte, fragte
fie ganz nebenbei, ob er denn feine verheißene Mit-
teilung zum Deffert aufgefpart babe?
„Diefer Nachtiſch möchte einen bittern Beigefhmad
haben, wenigftens für mich!“ entgegnete er mit umwöllter
Etirn.
„2a, alfo? Raus mit der wilden Kabel“
258
„Sch reife in acht Sagen für ein halbes Jahr vor
bier ab.“
Das hatte die Kleine Denn doch nicht erwartet, und
darum ließ fie aller Übermut und alle Selbftbeherrichung
Häglih im Stich. Ganz ſtarr vor Schreden ſaß ſie
ihm gegenüber. „Aber Graf Lohel Das ift abjcheulich
von Ihnen, Das leide ich nicht, das gebe ich u
zu — _e
„Urſulal“ erinnerte Solante.
„Ah was,“ rief Urfula, „es ift empörend!l Kein
Menſch Hat ihm etwas zuleide getan, denn wenn ich aus
QAlbernheit mich immer nochmal geflegelt habe, jo war
Das doch nur aus Nedereil Allen andern Menſchen
gegenüber babe ich mich wie Prinzeſſin Gordelia be»
nommen, fein einzig unpafjendes Wort habe ih —“
„Mein gnädigjtes Fräulein, wie fann überhaupt dapon
die Rede fein!“ unterbrach Lohe ein wenig verlegen,
und Dennoch befam er beim Anblid ihrer tränenbligen«
den Augen einen dunfelroten Kopf, „ich gehe doch nicht
freiwilligI Ich Bin ja felber ganz außer mir über
Diefen infamen Poſſen, den mir irgendein übelgejinnter
Vorgeſetzter gejpielt Haben muß! Sräulein Urfula, be=
denken Sie doch, nach Daſſewinkel ſchickt man mich als
ftelldeitretenden Landrat!“
And Graf Lohe Strich in Verzweiflung über die Stirn,
auf die fchon bei ſolchem Gedanken der Angftichweiß
trat. „Daſſewinkel! Dieſes entjeglichfte aller Heinen
Zandftädtchen! Sie fennen es wohl, meine Damen, e8
liegt ja ganz in der Nähe von Alt-Dobern — ohne Mi-
Iittär, ohne Gas, ohne Wafferleitung und Straßenpflafter.
Das vornehmfte Slement ein Bürgermeifter, ber in
den Mußeftunden —“
„Torf trampelt!* Urfula fchlug in höchſter Alteration
die Hände zuſammen. „Das iſt ja eine nette Beſcherung,
Daran babe ich gar nicht mehr gedadht. Ob, Papa, das
ift perfide bon Dir, gerade jett den Grafen wegzuholen!“
„Ihr Herr DBater ift ja ganz unfchuldig an dieſem
Anglüd,* verſicherte Lohe wehmütig, „ih bin nicht von
17° 259
/
dem SKreife gewählt worden, fondern werbe lediglich
aus Ranfüne irgendeines boshaften Vorgeſetzten bin-
geihidt. Serade mid) zu ſolch einem Poſten auszu-
fuden, mid, dem nichts unfympathifcher ift, als Der
Aufenthalt in Peiner Stabt; und nun gar Daffewintel,
Diefe Grenze der Kultur! Bei Gott, ein Kommando
‚Separatarreft‘ wäre mir nicht fo entſetzlich, wie dieſe
Berbannung, in der id als Beamter gezwungen bin,
mit einer Sorte Menfchen zu verkehren, die mir Nerven⸗
fhütteln verurſacht!“
Straf Lohe hatte fehr erregt gefprochen, und dieweil
Stäulein von Kuffftein verlegen das Köpfchen hängen
ließ und auffeufzte wie ein böfes ®ewiffen, legte Slanten
energifh die Babel nieder, trank fein Olas aus und
wiſchte fih nahdrüdlih den Mund. „Unſinn, Iteber
©tafl Daſſewinkel ift ein riefig bebagliches kleines Neft,
in dem Ihre Ladftiefeln allerdings im Schlamm fteden-
bleiben, Ihre Büchſe aber geradezu fchwelgen Tann,
was eine gute Jagd anbelangt! Na, zum Kudud, und
außerdem ſchadet es Ihnen gar nichts, wenn Ste mal
vom Barlett 'runterfommen! Der Menfh wird ja ein-
feitig, wenn er nur mit ‚Sreme‘ gefüttert wird! ch für
meine Berfon möchte mich am liebſten verfeßen Taffen,
wenn ich mich verheirate, in irgend fo ein Tleines —“
„Wenn Eie fich verheiraten?“
„Ra natürlich, nächſtens geht's los, Walzer tanzen
fann ich ſchon!“
„Brillant! Gehört diefe Kunft zur Ehe?!“
Flanken kniff das rechte Auge mit verſchmitztem Lächeln
zu und fchielte mit dem Tinfen nach Jolante. „O ja,
es gibt gewiffe Damen, die verlangen, daß der Gatte
in regelrehtem Salt nad) ihrer Pfeife tanzt!“ Jolante
wandte das Köpfchen Tofett von ihm ab.
„Das verftehen Sie jebt allerdings!“
„Nicht wahr?“ Der blonde Rieſe patjchte fehr ver-
gnügt mit der Hand auf die Zifchplatte: „Haben Ste
zufällig meine Quabdrille vorhin mit angefehen, Lohe?
Ra, ih Tage Ihnen, ich hielt überhaupt Die ganze Sache!
26U
Kein Menſch Tonnte was, aber ich tanzte ‚normal‘!
Sogar mit Bas und ohne jeglihe Konfufion in der
‚Iheenen Anglaije‘, obwohl ich eine Linktatfhe bin!“
Marl-Wolffratd mußte tro& feiner fchlechten Laune
laden: „Hand aufs Herz, Verehrteſter, wo haben Gie
denn dieſe Kunſt noch auf Ihre alten Sage gelernt?“
Slanten legte die Hand an den Mund: „Pit! daß
es die Damen nicht Hören! Corps de ballet! Will mir
jest auch noch die Francçaiſe eimdrillen laſſen, weil
Stäulein von Groppen verlangt, daß ich in allen Zänzen
Meifter feil“
Solantes Köpfchen wandte fi blitzſchnell herum.
„Ich liebe die Francaife durchaus nicht und tanze fie
niemals, meinetwegen brauchen Sie feine Stunde welter
zu nehmen!“ rief fie Haftig, und ihre ſchwärmeriſchen
Augen flammten auf.
„um fo beffer!* fhmunzelte ihr diplomatifher Ver⸗
ebrer, fich gleich den andern Herrfchaften erhebend. „So
bitte ich denn vorläufig um meinen Zifchwalzer, aber ohne
Eztratouren, gibt’S überhaupt niemals bei mir, und
ebenfo wie ich einzig und allein mit Ihnen tanze, ſo
mäffen Sie fünftighin auch) alle andern Herren abweifen.“
„Aber Herr von Zlanten?“ Solante blieb ftehen und
rümpfte indigniert das Näschen. „Das würde ein höchſt
auffallendes Benehmen fein!“
„Schnaden! Wir wollen den Leuten mal zeigen, was
ne Sache ift!“
„Mynheer Malte van Doornkat würde mir das ſehr
übelnehmen!“
„Mag er doch! Was liegt uns benn an dem Farben-
kleckſer!“
Er machte ein böfes Geſicht, und darum mußte ihn
das kokette kleine Fräulein noch etwas mehr ärgern.
Farbenkleckſer? Diefer Ausdrud iſt ungerecht und be»
leidigend! Herr van Malte ift ein bedeutender Künftler,
und Das Bild, das er zur Zeit in Arbeit bat, wird
fihder auf der QAugftellung einen Preis belommen!“
261
„Das ift was Rechtes!“ Höhnte der Ulan ingrimmig;
„meine Fetthammel find auf der Ausftellung aud) de—
foriert worden!“
„Auf alle Fälle werden Sie eg Herrn van Malte
nit gleichtun!“*
„So? Und warum denn nicht, wenn ich fragen Darf?“
Gr ftellte fi) wie der Gigant pon Rhodus por fie
hin und ftrich herausfordernd den Schnurrbart, Der
immer noch nicht gewachſen war.
Ste Ticherte Ieife auf und fah ihn abwechflungshalber
mal wieder fo ſchmachtend an, daß ihm das Blut noch
mehr in den Kopf hof: „Wollen Gie vielleiht Ihr
gZeihenbuh mit dem ‚Sardellen- und Lanzenftilleben‘
der Kunftalademie anvertrauen ?*
„ein, das nicht! Aber ein Mann, der Walzer
tanzen lernt, lernt auch) irgendeinen Hafen oder Dachs
in HI zuaubereiten, und, beim Bart des Propheten, Sie
follen fih wundern, was id für ein Gemälde aus»
ſtelle!“
Sie lachte fo ſilberhell und graziös, wie es der Ober-
leutnant nie reizender gehört hatte.
„Herr von Flanken, Ihr Wort in Ehren! Walzer
tanzen und Bilder malen iſt ein himmelweiter Unter⸗
ſchied!“
„Wetten, daß —I*
„Diefe Wette gehe ih ein!“
„Bon; nehmen wir die Sache zu Protofoll! Bitte,
feßen Sie fich noch einen Moment bier auf den Diwan
nieder, ich fchreibe.“
And er zog eine fehr mwohlgenährte Brieftafhe aus
der Uniform und ſchlug eine leere Seite auf.
„Allo: Fräulein Jolante von Dern-Groppen Meitet,
daß ich nicht imftande bin, ein Ölgemälde zur Kon—
furrenz in die Kunftausftellung zu geben!“
„3a, das wette ih!“ und die junge Dame hielt den
Fächer por den Mund und blidte höchlichſt amüſiert
auf die vierfchrötige Hand hernieder, die Herzlich unge
Ihidt den kleinen Bleiftift führte.
262
„Sp, nun fchreiben Sie Ihren Namen darunter, mein
gnädiges Fräulein!“ grollte er.
Gie tat es in aller Heiterkeit, und dann nahm er
das Buch zurüd und feste feinen Namen dicht unter
den ihren.
„So, die Urkunde Hätten wir.“
„Aber nun, um was haben wir eigentlich gewettet?“
Slanten zudte die Achfeln. „Wenn ich gewinne, ver»
lange id nur die Grlaubnis, dieſes ———— ver⸗
öffentlichen zu dürfen!“
„Wie beſcheiden!“
„Die Großmut ziert den Krieger! Und nun unfer
Walzer! Das Partkett ſoll feinen Meifter zitternd er-
fennen lernen!” u
Als nah Mitternaht Jolante das Köpfchen daheim
in Die Kiffen neigte, lächelte fie im Traum. Arfula
aber fette fich zuvor an den Schreibtifh und tauchte
die Feder refolut in das Tintenfaß: „Ich will nad
Haufe, in acht Tagen fomme id), hat gar feinen Zwed
mehr, daß ich bierbleibel* war der. lafonifhe Inhalt
ihres Driefes. Und dann ftürzten die Tränen aus
ihren Augen, und fie ließ das Köpfchen in die Arme
jinten.
Dreiundzwanzigftes Kapitel
Gräfin Antigna faß in eleganter Morgentoilette vor
ihrem Schreibtiſch und ſchloß einen Brief. Sr war an
Baronin Kuffftein adreffiert und dazu beftimmt, ſehr
überrafhend und fehr ummwälzend in die Verhältniſſe
bon Groß⸗Wolkwitz - einzugreifen. Sin Lächeln Hoher
Defriedigung fpielte um die ſchmalgeſchnittenen Lippen
der Gräfin; ja, die Welt hatte recht, an ihr war ein.
Diplomat verdorben. Mit einer Klappe hatte fie joeben
zwei Sliegen gefchlagen.
- Klar und bündig hatte fie ihrer Freundin die Lage
der Dinge gefchildert. Urfula, bereits auf dem beften
263
Wege, alle Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihren
biefigen Aufenthalt gefebt, will alles in kindiſchem Un⸗
geftüm und Trotz über den Haufen fioßen, um dem
©rafen Lohe, an den fie ernftlich ihr Hergchen verloren,
in ‚Die Berbannung‘ zu folgen. Dadurdy wird ihre wie
feine Kur verdorben, die man ihnen verordnet hat. Frau
bon Kuffftein muß als Mutter ein Opfer bringen und
durch ihre fchnelle Abreife von Wolkwitz Urſulas Heim-
fehr vereiteln.. Wenige Wochen noch, und SHofluft,
Sehnſucht und SHerzeleid haben aus dem verwilderten
Backfiſchchen eine Tieblihe und veredelte Mädchenblüte
geſchaffen. So wird es der Mutter zur Pflicht gemacht,
im Öntereffe ihrer Tochter endlich etwas für fich felber
zu tun und Dem jahrelangen Wunſch ihres ©atten
und ihrer Freunde gu folgen, fi) aus ihrer Apathie
aufzureißen und einen Spegzialiften zu Eonfultteren. Dann
ift drei Menfchen geholfen, und Sräfin Antigna, die
Huge umſichtige Stau, hat die Fäblein diejes Gängel⸗
bandes fchnell und geſchickt zufammengefponnen.
Sie rührte die Slode und befahl dem eintretenden
Diener, diefen Brief zu bejorgen und dem Kammer»
Diener‘ des Grafen Henry zu melden, daß Gräfliche
©®naden ben Herrn Sohn zu fprechen wünſche.
„Am Dergebung, Grau Gräfin, Die Zimmer des
Iinfen Slügels find noch feft gefchloffen. Der junge
Herr Graf kamen erft gegen Morgen nah Haufe und
ruhen noch.“ |
„Sut. Du Tannft geben.“ Und bie Palaftdame der
Königin-Wutter Tächelte fehr zufrieden.
„Oott fet Lob und Dant, ich denke, der Profefforbut
tft jet für alle Zeiten an den Nagel gehängt!“
Herr von Flanken war foeben von einem Liebesmahl
aus dem Kafino gelommen und Hatte auf feinem Tiſch
eine Seldfumme zurechtgelegt. Dann rief er Franuſch
Nielchen und klopfte ihm freundlih auf Die Schulter:
„Das tft für dich, Nielchen, zum Lohn für Die Tänze,
die du mir beigebracht Haft! Nimm's Hin, haſt's redlich
264
verdient, und wenn Du Dich vielleiht auch verbetraten
willſt —“
Der wadere Franuſch zog eine jähe Srimaffe und
[hüttelte ftürmifh den Kopf. „Niz verheiraten, Leut-
nant!“
„Zanu? Seit wann bildeft du did denn zum Gin-
fiedlerfrebs aus? Ich weiß Doch, daß die Hanne aus
Groß⸗Wolkwitz deine Braut ift!“
Niefhen Ticherte und zog die Schultern hoch. „IS
fit Hanne nur Manöverbeziehung gewefen! Hob if ge-
babt danach ſchon Mieder Königgeburtstagsbrautel,
un’ Wofchmadel, wos muß franfo woſchen, un’ Köchin
überall in Samillen, wo it muß machen KRumpliments
pon Leutnant! Werrd ik heiraten niz ein einzelnes
Marinla, weil Franuſch Niekchen wirrd fil funft kommen
auf halbes Ration!“
Slanten wiegte nachdenklich den Kopf und bilidte
ſchier neidifh in das lachende Geſicht des Polacken.
Diefer glückliche Menſch, der fo gar feine Ahnung
Davon hat, wie es verliebten Leuten zumute ift! Ja,
fo hatte er früher aud) alles Heiraten verſchworen, aber
Dabei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Srüher
rührte er weder Hand noch Fuß, um einer Dame zu
gefallen, und jebt ift er ſchier verrüdt geworden, lernt
Walzer tanzen und Olbilder malen, oha! Da fiel ihm
ja feine Wette wieder ein.
„Du bift ein Eſel, Niefchen, und verbienft überhaupt
gar feine Grau, verftanden? Und nun pafholl, Zivil
rtann, ich will ausgehen!“
In großer Haft machte ber Oberleutnant Toilette,
widelte einen breitfrempigen Künftlerhut von grauem
Seidenfilz aus einem Papier und drüdte ihn fo genial
wie möglich in die Furggefchorene Leutnantsante. Ein
bimmelblauer Schlips flattert Iofe gefnotet über das
Samtjadett, aus der Brufttafche Iugt der Katalog ber
pvorjährigen Kunftausftellung heraus.
„Sol Der äußere Menfch tft gefchaffen, nun: ‚Bor
wärts mit friſchem Mut, die Lieb’ ift mein Panter!‘
268
Wiederfehn, Nieten!“ Und feelenvergnügt pfeifend
und mit dem Pelzmantel alle Känſtlerpracht verdeckend,
dröhnt er die Treppe hinab.
„DBefehll, Herr Leutnant, adieu!“ erwidert Der ge—
treue Knappe, firamm mit den Händen an der Hoſen⸗
naht, Happt die Sntreetür zu und flirt in die Stube
zurück. fi nun rüdhaltlos dem freudigen Anblid feines
Honorars hinzugeben. Und er meditiert:
„38 fit zwar altes Reff un’ Teifiges, Marinfa, Köchin
felbiges bon General Groppen, bot aber befte Ber-
töftigung; werrd Hintrollen und Köchin [pendabeles ein»
laden für Zirkus, wirrd gut fein!“
MWährenddeffen [chritt Herr von Flanfen wie mit Sie»
benmeilenftiefeln dur) die Straßen. Die Leute fchau-
ten in ftummer Bewunderung zu Der impofanten Gr-
Iheinung empor, überzeugt, daß dieſer Athlet, der länger
war als der Tag vor Johanni, fih auf dem Weg
zu irgendeinem Zirkus befand, um dort als milder
Mann die Leute zu [hwingen! Aber Irren ift menfchlidh,
und fein Gedanke lag dem Oberleutnant auf diefer
Promenade ferner, als der, einen redenhaften Strauß
zu beftehen.
Sern aus den fahlen Wipfeln eines Parts hebt ſich
das flahe Dach der Ofteria, wo die Maler ihr Iuftig
Hoflager aufgefchlagen. Strohumflochtene Fiaschetten,
Samburinsg und SHoboen, Keldhe, Humpen, Tonpafen
und Künftlergerätfchaften erzählen ohne Wort und Ton
ein Lied von hHeißerer Eonne, und Daneben fchimmern
weiße Stierfchädel, und ringsum an den Mauern und
DWandpilaftern Haben Humor und Poeſie die farben-
präctiaften Opfer mit Pinfel und Palette dargebracht.
Hierher Ienfte Herr pon Flanken poll froder Zuper-
fiht den Schritt, und obwohl er noch feinen einziaen
der Maler kannte. fo war er doch überzeuat, daß fein
himmelblauer Schlips und bas koſtbare Samtjadett eine
DBrüde über die gähnende Untiefe zwifchen Kunft und
fäbelraffelnder Proſa fchlagen werden!
Und er hatte ſich nicht getäufcht. Pie herkuliſche
266
Geſtalt erregte Aufſehen, und da die wahre Kunft
ftets ein offen Herz und offene Arme bat, hielt es nicht»
Ihwer, auf ein bieder ‚Grüß Gott‘ ein fröhlih ‚Schön
Dant‘ zu hören. So Wurde Herr von Flanken bald
Stammgaſt in der Ofteria, fneipte und erzählte mit
feinem unver wüftlich trodenen Humor die amüjanteften
Geſchichten und lachte, daß die Wände wadelten, wenn
die Stöblichleit des Künftlervölfleing ihre üppigen Blü—
ten trieb. |
And eines ſchönen Abends war der Wein ganz be»
fonders feurig aus den Fiaschetten gegludert und hatte
die Zungen gelöft, und der Oberleutnant fchlug mit
der Hand auf den Holztifch, daß es klirrte, und ſprach
energiſch:
„Barum id) Maler werden will, ihr Herren? Bon,
ih wills euch fagen. Weil ich. nämlich bis über die
Puppen verliebt bin in das reizendfte Heine Teufelchen,
das jemals einen vernünftigen Kerl an Das Gängelband
genommen bat, ihn fo unbernünftig gu machen, wie
weiland den Monfieur Herkules, der die Keule in Die
Ede ftellte und das Spinnen lerntel Na, und fo ein
Seld bin ich aud) geworden! Hat die Kleine mir nämlich
erflärt, fie werde nur einen Maler heiraten, und zwar
nur einen folden, von dem in der nächſten Kunftaus-
ftellung ein Bild angenommen werde. So ein Ge—
mälde will ich mir nun leiten! Das Tann Doch nicht
ſchwer fein, was? Farben habe ich ſchon gekauft, pinjele
los, und wenn ich in der Ausftellung hänge, mache id)
Hochzeit!“ |
Ein fchallendes Gelächter erhob fih, alle Släfer
blintten ihm entgegen: „Darauf wollen wir anftoßgen!
Flanken ftellt ein Bild aus!* jubelte es im reife.
Srafthaft tat der Oberleutnant Befcheid.
„Dante Ihnen, meine Herren! Aber jet Tommt
erit des Pudels Kern! Wer pon euch will mein Lehrer
fein und mir helfen?“
Abermals ein fcehallendes Hallo. „Wir alle ftehen
in der Liebe Sold! Wir helfen alle!“
267
Tief gerührt umarmte der zuflünftige Zeuzis rechts
. und links die hilfsbereiten Kollegen, und eg wurde ber»
einbart, daß er allein ein Motiv wähle und das Bild
wenigjtens entiwerfe, auf daß man mit gutem Gewiſſen
Herrn von Flanken als den Urheber nennen könne.
©efagt, getan. Am folgenden Tage, als der junge
Offizier vom Dienſt kam, Taufte er fih einen alten
tlluftrierten Jagdkalender und durchblatterte ihn mit
Kennerblick.
Es dauerte lange, bis er etwas Paſſendes gefunden
hatte. Auf dem einen Bild waren zu viel Tiere, auf
dem andern zu viel Landſchaft, auf dem dritten gar
Jäger, endlich ſchmunzelte er ein pfiffiges ‚Abal‘, fuhr
mit den Fingern behaglich durch fein Kraushaar und
rüdte noch etwas näher zum Fenſter. Das war ganz
fein Sal! Schnee, lauter Schnee, den man mittels
weißer Farbe entichteden jehr mühelos berftellt, in Der
Mitte ein alter, Tahler Baum — Mmird braun ange-
ftrihen! Mit einer riefigen Höhle, aus der liftig und
verſchlagen ein Füchslein hervorlugt und es auf ein
paar Zeldmäufe, die feitwärts eine Rübe nagen, abge-
ſehen zu haben fcheint. Der Fuchs war vortrefflich als
Hauptfigur des ganzen Bildes gezeichnet und mußte
jedes Jägerherz entzüden, Dennoch mufterte ihn Herr
bon Slanfen mit fehr Bedenklicher. Miene. Diefer Fuchs
verdarb ihm wieder die ganze Freude an dem hübſchen
Dild, denn Biere Tann er abfolut nicht ‚rausfriegen‘,
bor allen Dingen nicht folche, die eine fo vielſagende
Phyſiognomie wie diefer Langſchwanz haben!
Ohne Freund Reinede wäre das Bild fo ganz nach
feinem Herzen geweſen; que faire? Der Jünger ber
Kunft überlegt ber und bin, plößlich zudt es hell wie
Sonnenfhein über fein frifehes Geſicht und in ent-
züdtem Selbſtgeſpräch verfichert er ſich felber: „Das
‚bafte gut gemadt, alter Junge, die Idee kannſte Dir -
patentieren laffen! Warum muß denn diefes rote Fuchs⸗
gefihte gerad’ in dem Moment, wo ich Dies Bild male,
nad) den Mäufen herausſchnüffeln? Unfinn, mein Fuchs,
268
den tch male, tft drin im Bau, und die Mäufe find
aud) im Bau, nit 'n Haar ift von dem Viehzeug zu
fehen, und ich bin fchöne raus!“
Und ganz begetjtert von der dee, fein Gemälde
‚„Fuchs tm DBaul' zu nennen, nahm der Oberleutnant
fofort den Blendrahmen mit der fchön gefpannten Lein-
wand zur Hand, band Niekchens graue Pußfchürze in
Art eines Kinderläschens vor und ging an die Arbeit.
Gine Staffelei 'hatte er nicht, war auch gar nicht
nötig. Er legte das Bild auf den Tiſch, holte Farben
und Binfel Herzu und nahm zuerft einen mächtigen
Stift, mit dem er genial die Grenze zwiſchen Himmel
und Erde zog. Das Buſchwerk des Hintergrundes hatte
gar feinen moralifhen Wert, Flanken nahm an, daß der
Beſitzer der Landichaft es bereits Hatte abholzen laffen,
ehe er fein Bild begann. Alfo der ferne Wald bleibt
weg, wirkt viel natürlicher bei den heurigen [chlechten
Zeiten, wenn die Gegend möglichft abrafiert iſt — To!
And nun der DBaumftamm: Drei Wurzeln weift er
auf; eine rechts rum, die andre Imfs rum, die dritte
ab durch die Nlitte. Sie winden fich allerdings unter
dem Stift des Kopiften fo abenteuerlich, wie das Fabel⸗
ungeheuer der Seefchlange im Monat Juni und Juli
Durch Die Zeitungsipalten; aber Herr von Flanken findet
Das gerade recht apart, und darum Ändert er gar
nihts daran, fondern geht fofort zu dem Stamme
felbft über. „Drei Zinten ragen in blaue Luft!“ Der
junge Künftler formt fte recht hübſch gleichmäßig, wie
den Dreizgad Neptuns, denn anders leidet es fein ftreng
militärifches Auge nicht, und auch die feinen Weiden-
gerten, die noch dem Stumpfe entjproffen, ordnet er
unter dem Kommando: „Richt’t euch!* ganz ordentlich
in Reib und Glied. Nun fommt das Loch, zidgad gebt
fein Rand, Fuchs vacat, Dläufe vacat, fo; Die Aufzeich-
nung, das fchwerfte Stüd Arbeit, ift glüdlich über-
ftanden. Das Anmalen ift ja SKinderfpiel. GErſt mal
das Zöpfchen mit ber blauen Farbe ran, für den
Simmel!
269
Sa, wenn der liebe Bott dem Herrn Oberleutnant”
das Kommando übers Wetter anvertraut hätte, würde
die Welt ihre Freude erleben! — Tief eingetaucht Den
Pinſel — den größten, der im Mallaften aufzufinden
war — und nun ritſch — ritſch — immer von oben
nach unten das fchönfte wolfenlofe Blau aufgetragen!
Geht riefig fir. — Jetzt fommt ſchon der Schnee an
die Reihbel — Eigentlich eine famofe Ginrichtung mit
ſolchem Echnee! — Man drüdt aus dem Inhalt der wei-
Ben Zube mitten einen diden Kleds und ftreicht dann
fräftig nach allen Eeiten auseinander. Nur Vorſicht muß
man beobachten, daß die Wurzeln nicht verwiſcht werden,
was leider etwas aufhält.
Flanken wiſcht ſich den Schweiß von der Stirn und
rührt ‚Braun‘ an, für den Baum, und dann malt er
ihn, — was auch etwas weniger jchnell geht, da Der
Pinſel fehr Start ift und die einzelnen Weidenruten
zu Did ausfallen. Aber Geduld überwindet alles, und
die Delohnung jeder Mühe ift der Moment, wo
Slanfen, der Unfterbliche, voll Eolofjaler Genugtuung
eine Riejenquantität tiefſtes Nachtjehwarz über Das
Loch pinjelt! — „So, Bürſchchen, weg wärſt du, — —
da hätten wir ja den Fuchs im DBaul!*
Das war eine gewaltige Leiftung. Der Ulanenoffizter
dehnt die Arme und atmet in wahren Stoßfeufzern,
und Dann ftellt er Das Bild gegen Die Stuhllehne,
tritt zurüd und hält die Hand über die Augen, um
bejfer zu feben. .
„Hut ab, mein lieber Flanken, das Haft Du Schwere»
nöter ganz großartig gemacht! Ta, ja, was man aus
Liebe tut!“
„Niekchen!“
„Befehll, Herr Leutnant!“
Sein Herr ſchiebt die Hand in die Bruſttaſche und
ſtellt den einen Fuß gravitätiſch vor.
— erkennſt du, was dieſes Bild vorſtellen
ol“ |
270
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Der Genannte nimmt eine gebüdte Stellung ein und
ftemmt beide Hände auf die gefpreigten Knie.
„Sull fit Mord jebildet werden, Leutnant, fehllt aber
noch erjchlagenes Fig, oder Madel mit Keblle abge»
ſchnittenes!“
„Du haſt fein Kunſtverſtändnis, Niekchen, dein Urteil
iſt nicht kompetent“, ſchüttelt der ſelbſtbewußte Verfaſſer
beinahe mitleidig den Kopf. „Seh. lieber und hol’ eine
Droichfe, wir wollen mit dem Bild zum Atelier des
Profeſſors H. fahren!“
And furze Zeit darauf fuhren Herr, Pieneraund
Gemälde in einer Drofchle erjter Klajfe davon.
Slanten nahm im Fond, der wadre Franuſch mit
dem ‚Fuchs im Bau' ihm gegenüber Plat. So fährt
eine junge Wutter mit ihrem Baby zum erjtenmal
zur Großmama! Strahlend por Stolz und ©lüd, viel
Dider und breiter noch als fonft, jaß der Künftler von
Gottes Onaden feinem Meijterwert gegenüber, feinen
DBlid von dem Bilde wendend, das fo herzerfrijchend
blau, weiß und braun zwiſchen Nietchens Fäujten lächelt.
- Der Brofeffior H. bat das Konkurrenzwerk für Die
Kunftausftellung poll lebhaften nterefjes angejehen,
aber weil er ftarf erfältet war, bat ihn ein fataler
Krampfhuften längere Zeit an dem Ausfpruch der Kritik
gehindert. Endlich fand er Worte. |
„Recht brav gemacht, mein lieber Herr Leutnant!“
nidt er und Elopft den Rüden dee neuen Kollegen.
„Nur bei dem Himmel muß noch etwas nachgeholfen
werden! Gie willen, daß gerade der Himmel meine
Spezialität ift: wenn Sie mein Schüler find, darf und
muß ich Sie Lorrigieren! Lajjen Sie mir das Bild ein
paar Sage hier.“ |
Das tat der ftolzge Bater vom ‚Suhs im Bau‘ fehr
bertrauenspoll, aber er fam jeden Morgen, fich nach
dem Schidjal feines Kindes zu erlundigen. Ja, da
ſah er allerdings Wunder. Aus dem pinfertsblauen
Simmel wurde ein zartes, graudunftiges Schneegemölf,
Durch das der Mond mit rötlihem Licht bricht, ge-
271
heimnispoll, magifch leuchtend, fo wie nur biefes
Meifters Hand malen Tann. — Ein halbes Pfund
blaue $arbe, die zuvor abgefra&t worden, ſah der Ober-
leutnant ohne Schmerz fcheiden.
Das Atelier des Profeffors wurde nicht leer von
den Sreunden aus der Ofterta, die fämtlih Flankens
Lehrer werden wollten. Ein Wettjtreit beiterften Aber“
muts begann unter den Meiftern.
Nachdem der Himmel. ein Kunſtwerk geworden war,
trat ein andrer Zehrer auf. „Jetzt ift alles fehr hübſch
bis auf den Hintergrund, mein befter Flanken, Ste
geftatten, daß ich ihm etwas unter die Arme greife.“
And der Pinfel tupfte und glitt über die Leinwand, und
ein mondlichter, weißbefchneiter Laubwald breitet fein
Gezweig wie glibernde Spitengewebe por den Augen
des ftaunenden Schülers aus. Tagelang hat der Künftler
in übergroßer Liiebenswürdigfeit gearbeitet, um nad)
Singebung einer heitern Laune fein Beftes zu geben.
And dann kommt ein dritter und nimmt fich des
Dordergrundes an, Der malt den Schnee, jener ein
DBrombeergeftrüäpp mit feinem legten froftüberhaudhten-
Laub — wieder ein anbrer wandelt die rechte Ecke
des Schneefeldes in einen halb zugefrorenen Teich um,
an deſſen Ufer das Schilf zu Tniftern und zu raſſeln
fcheint. Ber Pinfel wandert in eine andre Hand, Die
aus dem Weidenftumpf ein Stüdlein fchauriger Poeſie
zaubert; der Wind fauft Daher und faßt die ſchwanken
Zweige, fie wiegen ſich und flattern und ächzen, und
der verfrüppelte Stamm nimmt eine ganz abjonderliche
Geftalt an, gefpenftifh und unklar, juft fo, wie Die
alten Weiden das Auge im Dämmerlicht täufhen. —
And wieder ein neuer Lehrer freut Schneefloden in
den Wind, und das einzige, was in feinem Kernpunft
unverändert bfeibt, und was die Herren einftimmig
Ioben, ift das Loch und der höchſt originelle Zitel
des Bildes.
Wie einft der liebe Herrgott all feine Farbennäpfchen
austupfte, dem armen Stieglitz zu feinem fchönen Wäms⸗
212 -
lein gu verhelfen, fo ſteuerten unter Lachen und Scherzen
die erften Meifter der Kunft mit ihren farbenreichen
Pinfeln dazu bei, das Gemälde des Leumants bon
Slanten zu einem tatfächlichen Meifterwer? umzufchaffen.
„Diskretion Ehrenſache!“ ſchwebte als treu famerad-
Ihaftlihe Deviſe über diefem geheimnispollen Schaffen,
und als der ‚Fuchs im Bau‘ fertiggeftellt war, da
ſchrieb Herr von Flanken tief gerührt feinen Namen mit
ftiegelladroter Farbe in die Ecke und harrte des Mo—
ments, wo ihm, dem Schüler des Profefjors H., eine
Antwort aus der Kunftausftellung zu D. werden wird.
And die Antwort Tam, daß das Gemälde ‚Fuchs im
Dau‘ zur Konkurrenz unter die Merle der Meifter an⸗
genommen ſei.
An jenem. Abend bat es die Ofteria erfahren, daß
Die jungen Peutfchen noch genau fo trinten und nn
fönnen wie die alten.
Bierundzwanzigftes Kapitel
Hinter dem Lichtſchirm brannte die Lampe in Fürft
Sobolefstois Schlafgemad).
Die zweite Stunde nah Mitternaht war bereits
angebrochen, und dennoch Fam fein Schlaf in die bren-
nend heißen Augen des Kranken. Ga, des Kranken!
Wenn er au tagsüber pom Seſſel zur Shaifelongue
wankte oder fi die Treppe empor zu den Salons
der Groppenſchen Familie fchleppte, wenn er mit feinem
ftillen, geduldigen Lächeln auch wieder Anteil nahm
an allem, was um ihn ber vor fih ging, fo war er
dennoch ein verlöfhend Lebensbild, das ſich nur noch
im letten qualvollen Auffladern an das Leben Flam-
merte.
Niemind wußte das beffer, als er ſelbſt, denn keine
Menſchenſeele ahnte ſeiner Leiden ſchwerſtes, das tod⸗
bringender als alle körperlichen Gebrechen an feinem
18 Eſchſtruth, Hofluft 273
Herzblut zehrte. — So wie heute, hatte er Naht für
Nacht. fchlummerlog gelegen während einer langen
Dinterfatfon, da die Gquipage Drunten vor die Zür
rollte, feinen Liebling hinaus zu Spiel und Zanz zu
führen. Dann gedachte er all der füß vertrauenden
Worte, die Lena ihm am Tage zugeflüftert Hatte, an
feinem Bett figend und ihm von den Stunden erzählend,
die fie mit Altenburg verlebte. Da war nicht eine ge-
tingfte Degebenbeit, die fie dem geliebten Onkel Daniel,
dem Freund und Dertrauten ihrer gebeimften Sedanten,
verjchwiegen hätte — ihn mußte Doch alles und jedes
interejjieren, was Kunde von Eitel brachte; und ging
Bier und Da ein frampfhaftes Zittern durch Die Hände,
Die fie umſchloſſen hielt, fo gab fie es feinen lörper-
lihen Schmerzen jchuld, nicht ahnend, daß fie felbft
Dem Unglüdlihen tagtäglich Folterqualen ſchuf, unter
Denen fein Herz tropfenweife verblutete. Mit lächelnden
Lippen jedoch litt er fein Web, und die Antwort auf
al ihr treues Bekennen und Geſtehen war ein Segens«
wunſch für fie und den, den ihre Liebe mit einem
Ölorienfchein edler Vollkommenheit umgab. Und jeder
Abend konnte die Entjcheidung bringen, konnte Lena
heimkehren lafjfen als Braut, als Iosgetrennte Blüte
vom Baum feines Lebens, der nur dieſe einzige, tränen-
betaute Blume der Entſagung getragen.’
Wohl wußte er, daß ein flebendes Wort, ein Dlid,
ein Bulsfchlag, Der verriet, wie frank er war, fie an
fein Lager felfeln fonnte, aber er legte die gefalteten
Hände auf fein fehnfühtig Herz und täufchte fie mit
gefchloffenen Augen und einem Lächeln friedlichen Wohl⸗
behagens. Der treue Alezandrowitfh mußte ihr zu-
flüftern, daß Durchlaucht momentan fchmerzfrei jei und
Die Nacht gewiß ohne Unterbrechung fehlafen werde,
— und dann hörte Daniel das leife Aufraufhen von
Atlas und Spiten, füßer Duft umtwehte ihn, und er
wußte, daß Lena fi mit forgendem Dlid über ihn
neigte.
Ad, nur jebt die Augen auffchlagen dürfen, dieſes
274
füße Bild feftzubalten für eine lange, entfetlich einfame
und fchmerzensreihe Nacht! Aber Daniel Sobolefstot
iſt ftandhaft wie ein Held, er verjagt fih auch dieſen
heißen Wunſch, um zu büßen, immer wieder zu büßen,
was er einft im Wahnwig an dem Freiberrn von
Altenburg fündigen wollte.
Nun find die Fefte porüber; Frühlingshauch weht
koſend über das Grab des Winters und will tröftend
zu neuen Leben emporridhten, was Schnee und Eis
erbarmungslos gefnidt. Daniel hört es wie Propheten-
ftiimmen dur‘ Naht und Wind faufen, und es tft ihm,
da er die Augen fchließt, als vernähme er ein lieb»
liches Flüftern in dieſem Lenzesodem: ‚Sei getroft,
mein kleiner Schmerzensreih! Die Zeit ift nicht mehr
fern, da ih fommen werde, al dein Leid wieder bon
Dir zu nehmen!‘
Ein tiefer Seufzer ringt fih von den farblofen Lippen
des Kranfen: „OD Mutter, ich harre fchon fo lang, fo
lange deiner! Alle Schmerzen, die mein armer Körper
erduldet, will ich ja gern tragen zur Sühne meiner
Ihweren Schuld; nur das, was meine Seele zermartert,
nimm von mir, Du Reine, Berflärtel Denn es ift
Die täglihe Anfechtung, in der ich ftehe, das hölliſche
Seuer, das mich nicht als Chriſt fterben läßt!“ Und
Daniel richtete fich mit fiebernden Pulſen empor und
rang die Hände in inbrünftigem leben gegen Die
fturmumfauften Zenfter. „Erbarme did), Mutter, und
löſche die Qualen der Giferfuht in meinem Herzen,
gib mir Ruhe und Frieden und erbitte du mir am
Thron des Höchſten, daß er die unfelige begehrliche
Leidenſchaft in meinem Herzen wandeln möge in die
heilige Flamme brüderlicher Liebe, damit ich fegnen
fann, ohne zum Meineidigen zu werden, damit ich
fterben Tann, ohne daß alle Faſern meiner Seele noch
in Diefer Welt wurzeln!“
Stille wurde es draußen und: drinnen. Daniel Iehnte
das müde Haupt gurüd und ſchloß die Augen. Horch —
was ift das? Wieder die Schritte über ihm in dem
18* | 275
s
Zimmer des Senerals. Es tft bereits die fünfte Nacht,
Daß Sobolefskoi feinen Freund ruhelos auf und nieder
wandeln hört, lange Stunden hindurh. Und am Tag
ift es ihm aufgefallen, daß Groppen fahl und verftörf
ausfieht, daß eine nerpöfe Unruhe ihn peinigt und aus
dem Haufe treibt. Er Hagt über Grfältung und Kopf-
ſchmerz. Iſt er tatfächlih Patient? Diefes nächtliche
Hin» und Herftürmen, diefe aufgeregten Schritte ängftigen
Daniel. Ein ®edante blitte ihm dur den Kopf: Was
anfänglid ein Scherz gefchienen, die angefammelten
Rechnungen in dem Gntenfchnabel, ift Bitterer GErnſt
geworden. War er denn mit Blindheit gefchlagen, es
nit längft zu fehen, Daß Groppen über feine Ver—
Hältniffe Iebte? Seit feinem Aufenthalt hier in der Re⸗
ftdenz war's über ihn gekommen wie eine böfe Gewalt,
die ihn zum Verſchwender gemadt. Die Hofluft war
ihm zu Kopf gejtiegen und hatte mit ihrem Soldftaud
fein jo leiht empfängliches Semüt vergiftet. "Auf glatter
Dahn war er vorwärts geftürmt, nachahmend, was
er ſah, überbietend, was man bemwunberte, bis er Halt
und GStüße verlor und zuſammenbrach. War es ſchon
jo weit? Eine unausſprechliche Angft erfaßte Daniel,
jeder Dumpf Hallende Schritt über ihm traf ihn wie
ein Sauftihlag gegen die Bruft. Er richtete ſich auf
und rührte heftig die Schelle.
„Alezandrowitfch, der Herr General find noch nicht
zur Ruhe gegangen; ich laſſe dringend bitten, einen
QAugenblid berabzulommen!“
Der KRammerdiener ri die fchlaftrunfenen Augen auf
und verſchwand eilig Hinter der Portiere.
Nah wenig Minuten ſchon ftand Groppen auf der
Schwelle, er trat haftig näher und neigte ſich angſtvoll
über den Freund: „Daniel, um alles in der Welt, bijt
Du wieder krank geworden?“
Der Fürft richtete fi) Iangfam in den Kiffen auf,
feine beißen Finger umframpften die Hände des Se-
nerals und fein DBlid traf feft und durdhdringend Das
bleide Antlitz, als wollte er die geheimften Gedanken
276
hinter der gefurchten Stirn Iefen. Leiſe, beifer lang
feine Stimme. „Nein, Kurt, nit ich, fondern du biſt
fran? an Leib und Geele!“
Ein Zufammenzuden. „Unfinn, lieber Freund, eine
Heine Sndigeftion! Das geht bald vorüber!“ Aber der
©eneral ftreicht tief atmend über die Stirn und die ein-
gefunfenen Schläfen.
„Warum Bintergehft du mid?“
Dann neigt fich der Ruffe dicht, ganz dicht zum Ohr
des Freundes. Und er flüftert en paar Worte, und
Groppen ſchlägt aufftöhnend die Hände vor das Antlitz
und bricht Traftlos mit dem Haupt auf das Lager her-
nieder. — Ein paar Augenblide ringt er nad) Faſſung,
dann richtet er fih energiſch empor: „Nicht ganz fo
ſchlimm ift es, Dantell* fchüttelt er mit finfter gefal-
teten DBrauen das Haupt. „Sch bin kein Bettler, ih
ftehe nur wieder auf demfelben Punkt wie damals, da
Du Deine Hand zuerft in die meine legteft! Ja, ich
babe nihtswürdig und gewiſſenlos gewirtichaftet, ich
war ein Pflihtvergeffener, ein Wahntwibiger, den fein
guter Engel verlafien Hatte. ch lebte über meine Ver⸗
hältniffe, und um Dergeudetes wieder einzubringen,
.fpefulierte ih, nahm auf Sie Güter auf, geriet in
Die Hände der Wucherer und mußte fehließlich noch
DBarvermögen opfern, um menigftens die kleinſte der
Belitungen noch zu reiten. Selbſt Lenas Privatver-
mõ on ihrer verſtorbenen Mutter her mußte ich
ngeben, und das iſt bei allem Elend die drückendſte
Schuld.“ \
„Lena — Privätvermögen? Davon weiß id) ja gar
nichts!“
Einen Moment preßte der General die Lippen zu-
fammen und ftarrte fchweigend por fich nieder, dann
faßte er plötlih die Hand Sobolefstois mit Teiden-
ſchaftlichem Drud. „Ja, du weißt nichts davon, Daniel;
es ift unverzeihlich genug bon mir, daß es fo fit) aber
du wirft mein Schweigen verftehen lernen. Soll ich
meine Mitteilung bis zu gelegenerer Zeit aufheben,
277
oder fühlft Du Dich wohl genug, noch mit mir zu
plaudern?“
„Sprich, ich Bitte dich!“ |
Da richtete Groppen das Haupt empor und fchaute
Daniel voll in das Auge „Lena ift meine Tochter
eriter She,“ fagte er kurz, „aber weder fie felbft noch
die große Welt weiß um dieſes forglich gehütete Ge—
beimnis. Ich war zweimal vermählt.“
Sobolefstoi ſchrak mit einem Auffchrei des Staunens
empor, der ®eneral aber fuhr haſtig fort: „Bitte, höre
mic) an, ich beantworte alle deine Fragen, ohne daß du
fie an mich richteſt. — Ich war noch ein blutjunger
Wenſch, als ich, von den raten für Iungenfrant erklärt,
nah Italien gejfhidt wurde. Dort lernte ich eine
Sängerin kennen, ein Weib von beraufchender, eigen-
artiger Schönheit, Wera Szalaroff, eine geborene Ruffin.
Die Arzte gaben mir nur noch kurze Frift, und ich wollte
den Reft meines Lebensbechers in fühem Liebestrant
Ihlürfen. Obwohl Wera bedeutend Älter war als id),
permählte ich mid) mit ihr, die eine heiße, unruhige
Leidenfchaft für mich erfaßt hatte. Dieſe unerklärliche
Aufregung und eine fajt krankhafte Menfchenfcheu, bie
fi) beinahe bis zum DVerfolgungswahn fteigerte, waren
Die einzigen Schatten, die in Den blendenden Sonnen»
glanz unfrer überſchwenglich glüdlichen Ehe fielen. Aber
wunderfam, pon Stund’ meiner Bermählung an wurde
ich gefund und immer gejünder, dieweil meine arme Wera
wie ein Schatten dahinjiehte. Da ich überzeugt war,
Daß meine Eltern unfre She niemals billigen würden,
fandte ich ihnen die Anzeige erft nad vollgogener
Trauung und führte dadurch einen langjährigen Bruch)
mit meiner Samilte herbei. Wera ſchenkte einem Töch—
terchen, unfrer Lena, das Leben und ftarb unter wun-
derjamen Fieberpbantajien in meinen Armen. Allein,
verlafjen mit dem neugeborenen Kind im fremden Land!
Da fügte es der Yufall, daß eine Gräfin Safjfeburg mit
ihrer jüngften Tochter in dem nämlichen Hotel Wohnung
genommen. Gie hörte meinen Namen und erfuhr die
278
peinlihe Lage, in ber ich mich befand. Voll barın-
berziger ®üte nahm fie ſich des Kindes an, wir Ternten
ung fennen und wurden Freunde, nun, und Das Ende des
Romans Haft du felbft erlebt, indem du meine zweite
Stau, die junge Sräfin Safjeburg, in Jolantes Mutter
fennenlernteft. Wir heirateten ung ebenfalls in Italien
und blieben noch fünf Sabre Dort, um meine Zunge
pollftändig auszufurieren. Während dieſer Zeit ver»
föhnte ich mid) mit den Eltern, furz bepor fia mir dur
einen jähen Tod entriffen wurden, und in fremde, gänz⸗
lich veränderte Familienverhältniffe Tehrte ich Heim.
Da meine erfte Ehe und meine fonjtigen Schidfale
nit befannt geworden, nahm jedermann an, daß Lena
unfre leiblihe Tochter fet, und wir ließen diefe An«
nahme gern gelten, um nicht Den mindeften Zwieſpalt
zwifchen ihr und der bedeutend [päter geborenen Jolante
auffommen zu laffen. Man fragte nicht, und wir plau«
derten nicht, und unfre Kinder wuchfen auf, wie zwei
Reifer auf einem Stamm. Lena liebte ihre Pflege»
mutter mit wahrhaft ſchwärmeriſcher Innigkeit, und
wir haben es nicht über das Herz bringen fönnen, felbft
dem beranwadhfenden Mädchen die Wahrheit zu ent»
büllen; es Hätte einen Echatten mehr auf ihr ſowieſo
ſchon zur Schwermut neigendes Semüt geworfen. Dies
meine Beichte, Daniel, vergib mir, daß ich fie erft nach
fo langen Jahren ablege, aber meine liebe, ftets fo
rihtig dentende Grau kam ehemals mit mir in dem
Vorſatz überein, auch dir den Frieden und das Bes
hagen unfres Hauſes ohne jeden Zwieſpalt zu erhalten.
Zürne ung nit deswegen, wir meinten eg gut!“
Schweigend drüdte Fürft Sobolefskoi die Hand des
Sprechers. Zu viel des Unerwarteten ftürmte auf ihn
ein. „Eine Ruffin, Wera Czakaroff, war ihre Mutter!“
lächelte er plößli wie verflärt. „Alſo find es doch
geheimnisvolle Bande der Zugehörigkeit geweſen, die
mid) in dein Haus gezogen!“ Nach kurzem Ginnen
fragte er, jäh pon dem Thema abjpringend: „Und
Lenas möütterlihes Bermögen mußteft du auch opfern?
279
Laß uns bereden, wie wir deine andern Güter fo jchnell
wie moͤglich zurüdfaufen! Warum haft du fo lange
DBerfteden mit mir gefpielt? Sin Wort hätte genügt,
dir all die fchlaflofen Nächte und unnötigen Aufre⸗
gungen zu erjparen! Du weißt, daß mein Dermögen
auch das beine ift, alfo war es zum mindeften töricht,
Landbeſitz unter den Hammer zu bringen, wenn Die
Angelegenheit durch bares Geld geregelt werden Ionnte!“
©roppen Hatte ſich Hoch und energifch aufgerichtet.
Seine DBruft arbeitete, fein Auge blitzte unter den mweiß-
bufhigen Brauen: „Nein, Daniel, das weiß ich nicht
und will es auch nicht wilfen, denn du darfſt mid) jebt
nieht unterjtügen, willft du als Freund und Ghren-
mann handeln! Ich bin aud) jebt gottlob nicht ärmer
als in jener Zeit, da du zuerſt mein Haus betrateft, und
ebenfowenig, wie ich damals einen roten Seller von
dir angenommen habe, ebenfotvenig tue ich es heute.
Wir fünnen auch jett noch ‚mit meinem ©eneralsgehalt
und der Heinen Rente pon Dernburg anftändig leben,
wenn wir uns nad) der Dede ftreden; gibjt du mir aber
bon neuem Mittel in die Hand, in den alten Strom
zurückzuſchwimmen, fo iſt es deine Schuld, wenn ich
rettungslos Darin untergehel Soviel DBernunft babe
ic) noch, mir das felbft zu jagen! Leichtfinn tt ein Un⸗
fraut, das mit der Wurzel ausgerottet werden muß; reiße
ih mich nicht Ios vom Parkett, über das die Hofluft
weht, berauſcht und beftridt fie mich pon neuem, dann
babe ich, Gott fei es geklagt, nicht Snergie genug, Den
noblen Baflionen zu widerftehen, deren Bazillen jo an«
jftedend in jener Atmofphäre wehen! Laß mich mit
meiner ernten, vernünftigen Lena fprechen, lieber Freund,
ich weiß, daß fie mich nicht verurteilen, fondern in. ihrer
Sngelsgüte allem entjagen wird, um mir den Weg zur
Umkehr mit Rofen zu [hmüden! Aber Zolantel Meine
verwöhnte, forglofe, glüdjelige Solante, wird fie fich
jemals in Kleinere Derbältnifje finden?“ Und ©roppen
Ihlug die bebende Hand por das Antlib und ſchritt
abermals mit erregten Schritten im. Zimmer auf und
280
nieder. Plotzlich blieb er por Sobolefskoi ftehen und
umfhloß mit beiden Händen Trampfhaft feine nieder-
hängende Rechte. „Daniel,“ murmelte er zwiſchen den
Zähnen, „ih fürdhte, Jolante wird einen Umſchwung in
unfern DBerhältniffen nicht ertragen. Flanken bat ihr
fehr oftenjibel gebuldigt, die ganze Stadt [pricht davon,
Daß er um ihretwillen tanzen lernte, daß er bereits feit
Wochen bei dem BProfeffor H. Malunterriht nimmt,
weil es die Kleine alfo gewünſcht hat. Flanken ift wohl
ein vermögender Mann, aber wer garantiert es ung,
Daß er Yolante nicht dennoch allein um ihres goldenen
SHeiligenfcheines willen buldigte? Zöge er ſich von
dem vermögenlojen Mädchen plößlich zurüd, würde es
für mein armes Kind ein geradezu vernichtender Schlag
fein, den fie niemals überwinden würdel Daniel —
nit für Lena und für mich erbitte ich deine Siilfe,
wohl aber für unfern feinen Liebling, die zarte baltlofe
Mädchenblüte, Die feinen Sturm überdauern fann! Wenn
Flanken anhalten follte — darf ich ihm dann eine Mit⸗
gift zuſagen, Daniel?“
Der Ruſſe ſtreichelte zärtlich das Haupt feines brüder-
lihen Freundes, ein wehmütiges Lächeln fpielte. um
feine Lippen. „Obwohl ich eine bejfere Meinung bon
dem braven Alan bege als du, bitte ich Dich, fogleich
einen Einblid in die Kopie meines Teſtaments zu tun,
damit du meißt, wie reich deine Töchter find. Ob
heut oder morgen, das Kapital liegt für fie bereit. Noch
eine Stage: in welcher Weiſe willft du dich einjchrän-
ten, ohne zum Stadtgefpräd zu werden?“
„Ich gedenfe eine einfachere Wohnung zu beziehen,
weniger Pienftboten zu Halten, nicht täglidy Diners
ferpieren zu laſſen; ich werde irgendeinen Vorwand
finden, den Verkehr und die Geſelligkeit zu redu-
zieren.“
„Alles mit einem Schlage fo auffällig verändern?
Das wäre rückſichtslos gegen Dich, deine Familie und
deinen Freund, deſſen Name gemijjermaßen zu dem
deinen gehört. Ich weiß beſſern Rat. Sei mein Gaſt!
281
Ich miete Tünftighin dieſes Haus und lade dich ein,
bei mir zu wohnen. Der Sommer fteht vor der Tür.
Während wir einen Landaufenthalt nehmen, wird Der
Haushalt. aufgelöft, dann läßt fich jede Anderung un-
befchadet anbringen.“ Daniels Stimme ift fehr leife ge-
worden, plößlich hebt er in feiner kindlich zuderficht-
lihen Weife das Haupt und fagt beinahe feherzend:
„Du warſt Teichtjinnig, Kurt, und kommſt jebt unter
Kuratell Ich bin bein Bormund, und ich werde jebt
einmal deine ganzen Angelegenheiten in die Hand neh—
men. Dich perfönlidy werde ich fehr knapp Halten, ſo—
wohl an Dulaten, wie an Hofluft; die taugt nicht für
jedermann, nicht für Did) und nicht für mich. Ich Babe
au ſchweres und du zu leichtes Blut!“
Die Dilla, die General Groppen bewohnte, lag in
einer parlartigen Straße, die dag laubige Brün wohl»
gepflegter ®ärten in anmutigem Wechfel zwijchen die
einzelnen Heinen Schlößchen fchob.
Die Fenſter waren weit geöffnet; lenzfriſches Gezweig
umflocht fie mit duftender Blütenpracht, und die Sonne
warf zitternde Lichter über die ſchlanke Mädchengeftalt,
die in ernftem Sinnen dem DBogelgezwitfcher in den
Sltederfträuchern lauſchte. Wunderfam, eine Grinnerung
wachte auf in Lenas Herzen und mollte fie nicht mehr
perlaffen. Jener Ballnacht in Alt-Dobern gedachte fie,
da auch die Bäume fie umraufchten, da füß Duftende
ſchwüle Semitterluft um ihre Stirne ftrih, und eine
Männerftimme an ihr Ohr fihlug: ‚Sch verlange nicht
nad) den Dulatenfäden diefer Damen und babe Gott ſei
2ob und Dank einen zu fteifen Naden, um ihn por der
Majeftät eines vollen PBortemonnaies zu beugen!‘ Ya,
der Freiherr pon Altenburg hat fein Wort gehalten, wie
ein Ehrenmann! Obwohl er ihr Freund geworden, der
ihr Herz und üre Seele befjer erfennen lernte als je
ein andrer, bat das Geld dennoch trennend zwifchen
ihnen geftanden! Zu ftolz, um feinen Hausftand auf
282
das DBermögen feines Weibes zu gründen, zu ftolz, um
eine Liebe zu geftehen, die er nicht betätigen Tann!
Nun tft fie arm, und abermals drängt fih das Geld
zwifchen ihre Herzen, zuerft Darum, weil es in zu reicher
Sülle vorhanden war, und nun, weil es gänzlich mangelt,
und auch das befcheidenfte Glück dieſer Srde mit filber-
nem Glanz erfauft werden muß!
Ja, fte ift arm, fie fteht ihm näher als je, und
dennoh muß fie um Solantes willen die pruntende
Maske vor dem Antlit dulden und ihn fernhalten durch
erborgten Glanz. O möge Sott im Himmel geben, daß
die Schwefter fich bald ein reiches und forgenfreies Heim
gründet; Lena erträgt dieſes Scheinleben nicht mebr, fie
ift müde zum Öterben und möchte alle Luft und alles
Leben fliehen, fliehen auch ihn, von dem fie ja Doch
weit, weit getrennt ift, ob fi) ihre Hände aud im Oruß
aufammenzulegen.
Hinter ihr klingen Schritte, und als ſie erfchroden
Das Haupt wendet und durch Tränen aufblidt, jtebt
der Freiherr von Altenburg inmitten des Zimmers, die
Augen mit glüdftrahlendem Blid auf fie gerichtet, an-
Ders, ganz anders als fonft. Lena fühlt einen brennenden
Schmerz im Herzen, aber fie tritt auch jebt Dem Offizier
mit dem gewohnten Lächeln entgegen und reicht ihm
die Hand. Sr hält fie lange in der feinen. „Verzeihen
Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich ungemeldet bier
eindringe, Ihr Herr Vater ſchickte mich jedoch direkt
dur Die Salons zu Ihnen berüber!“
„Unter guten Sreunden nimmt es die Etikette nicht
allzu genaul* Sie bittet in ihrer anmutigen Würde
Durch eine Geſte, Plab zu nehmen. „Sie fommen bon
Papa? Zu fol) ungewohnter Stunde?“
„sn ganz gefchäftlicher Angelegenheit! Während des
Mandvers äußerte Ihr Herr Vater den Wunfch, die
Beſitzung des Grafen Röhrbach aufzulaufen, um fie
feinem ©üterfomplez einzuperleiben. Ich erhielt ſoeben
durch Zufall die ganz private Mitteilung, Daß der Graf
283
zu verlaufen gedenkt, und meldete diefe Neuigfeit ſofort
an der rechten Stelle.“
Ein wehes Lächeln zudte um Lenas Lippen. „An
der rechten Stelle? WIN Papa die Güter anfaufen?“
Ginen Moment fah ihr Altenburg tief in Die Augen.
„Zein, er will eg nicht, Fräulein Lenal“
Sie zudte zufammen, da er fie zum erftenmal mit
ihrem Namen nannte. Aber fie wich feinem Dlid aus
und fragte leihthin: „Weil die Güter fich heutzutage
zu ſchlecht rentieren?“
„ein, weil er fein ®eld hat, Lena, weil er es nicht
leugnete, daß er über Nacht zu einem armen Mann
geworden iſt, weil —“
Sie Hatte fich erbleichend aus ihrem Seſſel aufge»
richtet.
„Allmächtiger ©ott, wie durfte er felber ein Ge—
beimnis verraten, das er uns andern um Jolantes willen
jo dringend anempfahl?“
Altenburg Stand neben ihr und faßte in ſtürmiſchem
Jubel ihre beiden Hände: „Weil er’s mir zugeftehen
mußtel Stets babe ich mich feiner herzlichen Sym⸗
pathien zu erfreuen gehabt, und da ich unfreiwillig
Zeuge einer Unterredung zwiſchen ihm und einem feiner
©läubiger wurde, der in taftlofer Weiſe die augen»
blidliche Lage der Finanzen berührte, fo nannte er min im
Dertrauen auf meine Diskretion den wahren Srund, der
ihm den Anlauf von Ländereien unmöglich madel Und
ein jedes feiner Worte hallte wie die Berheißung füßen,
Iangerjebnten Slüdes in meinem Herzen Wieder.
O Xena, folange der Reihtum dich auf feinen glei-
ßenden Sittihen trug, babe ich Dich verlorengegeben,
wie die Sterne am Himmel, zu denen man mit dem
Bewußtſein emporfchaut, daß fie ewig fern und uner-
reihbar ftehen. Es gibt Schranken, über die fi) das
Ehrgefühl eines Mannes nicht hinwegſetzen fann und
darf, will er nicht das Glück feiner Zukunft auf un«
würdigem Fundament erbauen!“
Sefter faßte er ihre bebenden Hände und zog fie
284
an die Bruft. „Nun find diefe Schranken gefallen, die
mir den Weg zu Dir verfperrten, und nun, da ich es
dir beweiſen fann, du einzig Geliebte, daß ich nichts
Höheres auf der Welt begehre als dich allein, nun dich,
ohne Deines Vaters Geld und Gut, nun werbe id} um
Dich in treuer Heiliger Liebe, und ich flehe dich an,
Lena: fei mein! Verlobe dich mir, bis es mir einft
möglich ijt, Dich als mein Weib heimzuführen!“
Das Haupt wie eine Träumende zurüdgeneigt, Die
Augen wie verflärt auf ihn gerichtet, lauſchte Lena zu
ihm empor. Ein Schauer füßer Wonne durchbebte jie,
ftil, ohne Antwort verharrte fie, als fände fie nicht Die
Kraft, die zauberpolle Weihe diefes Augenblids zu
brechen. Dann aber fam es über fie wie ein jchmerz-
lihes Erwachen. Langſam wich fie von ihm zurüd
und löfte fanft, aber entjchieden ihre Hände aus den
feinen. Wehmütig fchüttelte fie Das Köpfchen, und ihre
Stimme Tlang weich und leife.
„Spott Iohne Ihnen diefe Worte, Gitel, die mich
in meiner Armut reicher gemacht haben als alle Grauen
der Welt! Der Gedanke, von Ihnen mit fo viel Treue
und Selbitlojigfeit geliebt gu werden, wird mit meinem
Herzen leben und fterben, unzertrennlid” pon ihm wie
der Bulsichlag, der es bewegt. Aber Sie unterſchätzen
meine Liebe zu Ihnen! Ich bin nicht eigennüßig genug,
um in die Hand einzufchlagen, die fi mir fo opfer-
mütig bietet. Ich weiß, daß ich diefe Hand fetten und
belaften würde, daß der Ring der Treue zur Feſſel
werden würde, die fich vielleicht Ihrem ganzen Lebens»
‚glüd in den Weg ftelltl — Unterbredhen Sie midy nicht.
Nicht allein die Shrenhaftigfeit eines Mannes bat
Schranken zu berüdjichtigen, auch die wahre Liebe Des
Weibes iſt nicht finnlofe Leidenſchaft, jondern edler
Stolz, der beſſer entfagt, als daß er fi zur DBürde
des Geliebten macht.“
Schneller und erregter hatte fie gefprochen, jebt legte
jie die gefalteten Hände auf die Bruft und ſah mit
einem DBlid erniter Liebe in fein Auge.
285
„Nicht gefeffelt. und nicht gebunden follen Sie fein!
Diefe Stunde wird gelöfcht fein in Ihrer Grinnerung,
und frei wte bisher follen Sie Ihren Weg geben, be-
techtigt, Das Glück mit beiden Händen zu faljen, tritt
es Ihnen zu andrer Zeit und in andrer G©eftalt ent-
gegen. Die Zeit ift lang, bis Sie ein Weib ernähren
fönnen, und die Menfchenblumen in Geld und Flur,
fie welfen, wenn der Herbft kommt. Leben Sie: wohl,
Gie teurer, Sie geliebter Freund! Iſt es Opttes Wille,
fehen wir ung wieder!“
„xena, ich beſchwöre dich, nur einen Augenblid Höre
mid an — —“
Ihre weiße Hand winkte legten Gruß zurüd, mie
das Bild einer Heiligen unaufhaltfam zerrinnt, ent-
Ihwand auch ihre ſchlanke Seftalt wie ein lieber Traum
binter den Portieren.
Dämmerig und ftill war es in Daniel Sobolefskois
Zimmer geworden. Regungslos faß der Fürft in Dem
Seffel, an deffen Seite foeben Lena gefniet Batte, um
das Haupt, leiſe ſchluchzend, auf die gefalteten Hände
zu neigen. Da Hatte fie Daniel alles Tundgetan, was
ſich zwifchen ihr und Altenburg begeben, und der Kranfe
batte feinen andern Troſt zu bieten, als goldgefüllte
Hände, jenes Gold, das die beiden Nienfchenherzen
Ihied, gleichviel, ob Lena es befaß oder nicht. Energiſch
batte es das junge Mädchen zurüdgemwiefen, hatte Die
tränenfeuhte Wange auf Sobolefskois Schulter geneigt
und mit fchmerzlihem Lächeln geflüftert: „SZerbrich Dir
nit den Kopf, du ©uter, wie du uns helfen Tannft!
Seinem Schidjal entgeht fein Menſch, und das meine
beißt: Scheiden und meiden, alles meiden, was mid)
bon dir und dem DBater trennen will! Nun bat .mein
armes ſchwaches Herz einen andern Weg eingefchlagen,
und da Gottes Hand es zurüdweift in die Srenzen,
Die er ihm geftedt, da will es fehler brechen und ver«-
bluten in feinem Schmerz. Aber auch das wird über-
wunden werden! Schon jett, da id) mich bei deinem
286
‘
treuen Zuſpruch ausweinen durfte, klopft der Heine
Aubeftörer viel geduldiger und ergebener in der DBruftl
Wit der Zeit wird’s immer befjer werden, und gib acht,
wenn es erjt ganz jo Tommt, wie wir es uns früher
ausgedadht haben, wenn Solante verheiratet ift, und Du
mit Bapa und mir nad Wiskow reift, dann wird der
Stieden wieder in meinem Herzen wohnen, und mir
werden in der Weltvergefjenbeit jo glücklich fein, wie
wir jett ung gar nicht träumen laſſen!“
Daniels Hände bebten, er preßte fie plötlich wieder
gegen die DBruft und rang nad) Atem. Sleicherzeit
flürmte Solante in das Zimmer. und berichtete, joeben
babe ihr die Hofdame, Sräulein von Jäten, Die ber»
traulihe Mitteilung gemadt, daß die bereits als Be.
rücht Lurfierende Verlobung der Prinzeſſin Gordelia
mit dem Erbprinzen von 9. in den nächſten Tagen pu-
bliziert werde! Darüber herrſchte großer Yubel. Don
dem armen Henry Antigna dabingegen bradte fie
ſchlechte Nachrichten. Sr Hatte fich während der Saiſon
fo jharmant in den Hoffreifen eingelebt und jchien ſich
des ganz befonderen Wohlwollens der Prinzeſſin zu
erfreuen, die in ihrer Herzensgüte alles getan hatte, dem
menfchenfcheuen jungen Gelehrten den Weg über das
Parkett möglichft angenehm und leicht zu geftalten. Seit
dem Beſuch des Srbprinzen von 9. babe er jedoch ange-
fangen, etwas zu eztrabagieren. Sr fei da vielleicht
aupdiel herangezogen worden, und das Antignafhe Blut
tönne feine füdländifche Nationalität noch immer nicht
verleugnen, es fchäume leicht über Maß und Ziel hinaus.
Nun fähe er ſeit etlihen Tagen wie eine wandelnde
Leiche aus und bereite feinem Dater viel Sorge; die
Wutter fege ſich Ieichter darüber hinweg und behaupte:
„QAur der Moft, der gärt, wird Wein, und beifer
etwas zu flott, als zu philifterhaft.*“ So wüſte Henry
Antigna weiter auf feine Sefundheit ein, feine neuefte
Marotte fei: Opium zu rauchen. Das könne fein gutes
Ende nehmen. — — So plauderte Jolante, bis fie
plögli unterbrochen wurde; Der Diener brachte ein
287
töftlihes Bukett mit der Karte des Herrn von Flanken;
fie war fehr genial mit bunter Ölfarbe betupft. Da
mußte Lena der Schweiter folgen, ebenfalls eine Ant-
wort in Ölfarbe zu entwerfen.
Daniel war allein. Es dunfelte mehr und mehr.
Sein Puls fieberte, und die Gedanken jagten fi in
wirren phantaftifchen Bildern. Seine Seele will jauchzen
und triumphieren, aber feine Hände frampfen fi und
ringen voll Berzweiflung im Sebet. Unerwartet, über-
ſchwenglich tft das Glück an fein einfam Lager getreten,
aber die roten Rofen, Die es ihm bietet, find mit
Lenas Tränen genett, und der DBoden, daraus fie
ſproſſen, iftt das ®rab, das das Lebensglüd [eines
Lieblings verfchlungen. „Nun ift fie für ewig Dein,
nimm dein Kleinod und rette es dir in die tiefite Ein-
famteit!* zifcht der Dämon in fein Obr, und der gute
Engel verbüllt weinend fein Angefiht: „Du Tennit der
Liebe Leid, du Sraufamer, und du erbarmft dich nicht?“
Noh einmal liegt Daniel auf den Knien, und er
hebt die gerungenen Hände zum Himmel und fchreit auf
wie ein Kind, nad) dem ſich eine verderbendrohende
Hand ausftredt: ‚Mutter!! Und ihm iſt's, als lege fidh
ſchützend und rettend eine Hand auf fein Haupt; da
befiegt er jich felbft. Wantend erhebt er ji) und fchleppt
fih zu feinem Schreibtiih. SHaftig, mit leuchtenden
Augen wirft er ein paar Zeilen bin, ftegelt und adreijtert
fie. &in paarmal tft es, als ſchleiche ein Grauen durch
feine Glieder, aber er beißt die Zähne zujammen,
ſchellt Alezandrowitich und befiehlt ihm, den Brief zu
bejorgen.
And als die Seftalt des PDieners hinter der Tür per»
Ihwunden, fommt es über ihn. wie eine tiefe, tiefe
Ruhe. Zentnerlaften find von feiner Bruft genommen,
fein Antlig Tächelt wie verflärt.
„3b babe meine Pfliht getan und mit dem Leben
abgeſchloſſen, nun wirft du mich fegnen, Mutter, und
wirft zum Lohn jene Höllengluten der Eiferſucht in
meinem . Herzen löfchen!“
288
ft fein Gebet erhört? Tagelang Tiegt’s wie ein
jüßer Stieden über dem Dulder.
Wieder verfchleiert fi) der Himmel mit dem grauen
Gewölk der Naht. Bor dem Haufe des Fürften Sobos
lefstot Hat ein Wagen gehalten; eine fchtwarzgefleidete
Dame wird bereits an dem Portal pon Mezandrowitich
empfangen und direkt in die Semächer des Fürſten ge—
leitet. Da Daniel ihren Schritt hört, geht ein Zittern
und Stöfteln Durch feine Slieder, aber er zwingt fich
zur Rube und fehaut mit faft ftarrem Dlid der Ein-
tretenden entgegen. Dieſelben milden Augenfterne rich-
ten fi auf ihn, Die damals über dem Bett des Frei-
berrn von Altenburg Wacht über den kranken Sohn
. gehalten, diejelben, die ihm Das Leben gerettet. Gie
tritt Daniel mit ſchnellen Schritten entgegen und reicht
ihm wie einem alten treuen Freunde beide Hände dar.
Sobolefskoi zieht fie faft demütig an die Lippen.
„Dergeben Sie mir, meine gnädige Frau, daß ich
als Kranker, dem alles Reifen ftreng unterjagt tft, es
wagen mußte, Sie hierher zu bemühen. Nicht um einer
Kleinigkeit willen ift es gefchehen, das Glück Ihres
Sohnes ftehbt auf dem Spiel!“
Stau von Altenburg nahm an der Seite des Leiden«-
den Platz. Ste verfichert ihm, daß fie Tängft dDiefen
Beſuch geplant Habe, ihm aus überbollem Herzen für
al die ®üte und Hilfe zu danken, mit der er ihren
franten Sohn während feiner ſchweren Verwundung
überfchüttet Habe. Nur eines fei ihr befremdlich in dem
Schreiben des Fürften gewefen, daß er gebeten babe,
ſelbſt Gitel nit Don ihrem Beſuch bei dem Fürften
zu unterrichten!
Daniels Hände drehen in nerböfem Spiel die jeidenen
Schnuren des Seffels. „Wollen gnädigfte Frau die Ge-
duld Haben, eine lange Auseinanderfegung anzuhören?“
Die Hohe impofante Frauengeftalt in dem ſchwarzen
Witwengewand neigt in fchneller Zuftimmung das Haupt
und lauſcht mit ftets wachfender Erregung und Rührung
den Worten des wunderfamen Mannes, die leife, fich
19 Eſchſtruth, Hofluft 289
überhaftend an ihr Obr fchlagen. Ste will entgegen-
Iprechen, da ſieht er mit einem unwiderftehlich flehenden
Dlid in ihre Augen, und die Freifrau erhebt fih in
aufwallendem Gefühl und legt beide Hände auf Die
Schulter des Ruffen: „Gott fegne Ste für jo viel
Opfermut und Sreundfchaft, Deren Srund und Urſache ich
kaum begreifen, gefchweige mir erklären Tann“
Noch ein geheimnispoll gefchäftiges Berabreden und
Deiprehen, und dann nimmt Frau pon Altenburg herz⸗
lichen Abſchied und fchreitet, ſchwarz verjchleiert und
ungefeben, wie fie gefommen, zum Wagen zurüd.
Sünfundzwanzigftes Kapitel
Am Morgen nad jener inhaltfhiweren Nacht, in
der Herr von Flanken die Annahme feines Semäldegs in
der Kunftausftellung gefeiert hatte, wurde es dem brapen
Franuſch Niekchen faurer denn je, feinen Gebieter den
Armen des Oottes Morpheus zu entreißen. Das war
Ihon für gewöhnlich fein leichtes Stüd Arbeit und
ftellte Hohe Anforderungen an das Diplomatifhe Talent
des Offiziersburfchen, heute aber wollte fchier gar nichts
verfangen, fein Bitten und kein Schmeicdheln, jelbjt Die
Meldung: ‚Kaffee kocht ſik ſchon, Leutnant!! machte
feinen Eindruck auf den Schöpfer des Bildes , Fuchs im
Bau'. Flanken ruhte zum erſtenmal auf feinen Lorbeeren,
und da dieſe ſehr, ſehr reichlich mit den Freudentränen
der Witwe Cliquot begoſſen waren, ſo ruhte er ſüß und
feſt darauf, ſo behaglich, daß ſeinetwegen die ganze
Kaffeemaſchine neben ihm ezplodieren konnte, ohne ihn
zu iritieren. Der Zeiger aber rüdte unerbittlid) vor,
und der Herr Oberleutnant hatte Klafjfenreiten; wenn er
Dazu nicht rechtzeitig gewedt wurde, dann gab's Wo»
möglih ein Donnerwetter, erft für ihn und dann für
Niekchen. Die fatale Naturerjcheinung hatte der Sohn
290
der Provinz Poſen bereits beobachtet, Daß ſolche mili-
tärifhe Semitter immer von oben nad) unten ziehen und
bei der niedrigften Station zeitweije ‚einzufchlagen‘
pflegen.
Der Angftichweiß trat ihm infolgedeifen wohlberech⸗
tigt auf die Stirn, und er ſchritt abermals an das Lager
feines Herrn: „Leutnant, es ſchlaggt ſchon ſieben Uhr!“
Flanken warf ſich auf Die andre Seite: „Schlag's
wieder!“ |
„Leutnant, Pferrd fteht fchon halbes Stundel lang
. bor der Tür!“
„Himmelfchoddonnerwetter, bring ihm einen Stuhl
runter! — Raus; will ſchlafen!“
Aber Niefchen wich und wanfte nicht. „LZeufnant muß
aufitehn, Trumpeter blaſt ſchon!“
Der Oberleutnant debnte die ©lieder wie ein Löwe,
wenn er erwadt.
„Dlaft ſchon?“ wiederholte er mit aufleimendem
Intereſſe.
Niekchen ftand am Fenſter. „Leutnant, Reutnant! muß
fit zum Bett raus! Kommandeur reit fit porüber!*
Diefer Angftfchrei wirkte. Mit einem Sa war Flan-
ten aus den Federn, völlig ermuntert.
„Bo? Zum Neunmillionenfhod —I“
Niekchen hielt die Türklinfe bereits in der Hand. Sin
engelhaftes Lächeln fträubte fein ſpitzes Schnurrbärtchen,
beruhigend f[chüttelte er den Kopf. „IS fit niz wohr,
Zeutnant; bot erft Zeiger auf viertel fieben gerudt!“
And er zog fchleunigft die Tür Hinter fich zu.
Sinen Moment ftand der Aberliftete ſprachlos, dann
zog ein RUNGEN polliter Anertennung feine Lippen in
bie Breite: „Sin Satanskerl! aber koloſſal intelligent! —
Heda, Niekchen!“
Die Zür wurde ein wenig geöffnet, und der Iodige
Kopf des G©erufenen Iugte mit aller DBorficht herein.
„Befehll!“
„Reinkommen, du Gaunerl!“ Flanken machte eifrig
19% | 23]
Toilette. „Hör mal, lieber Niekchen, wenn ich nachher
vom DBienft zurüdfomme, leg’ mir den Paradeanzug zu⸗
recht !*
Reichen fchlängelte fich näher wie ein Ohrwürmchen.
„Befehl. Is ſik erfter April Heut, Leutnant!“ fügte er
porjihtshalber noch wie zur Entſchuldigung Hinzu.
Der Oberleutnant tauchte das Haupt in kaltes Waſſer.
„38 ſik noch viel mehr Heute!“ perjiflierte er in rofigfter
Laune, zwinkerte geheimnispoll mit den Augen und pfiff
ih eins. — „Wir winden dir den Jungfernkranz mit
veilchenblauer Seide. — Niekchen, merffte was?“
„Werke niz, Leutnant!”
„GEſel!“
„Befehll.“
Wie die Sonne am Himmel ſtand und lachte, und wie
die grünenden Gebüſche im Stadtpark lachten! Jeder Vogel,
der ſich zwitſchernd in die warme Frühlingsluft empor⸗
ſchwang, lachte mit, und alle Menſchen, die dem Herrn
von Flanken begegneten und ihn fo blitzblank und glüd-
ftrablend in feinem Paradeanzug daherkommen fahen,
die lachten ebenfalls, und dennoch Hatten fie feine Ah⸗
nung davon, Daß auf der Bruſt des jungen Offiziers ein
Schreiben lag, in dem fich die Künftlerjurh für die An-
nabme des Semäldes ‚Fuchs im Bau‘ ausjprad. Auch
fah es niemand den ladglänzenden Füßen an, auf denen
Herr von Flanten ging, daß es Freiersfüße waren.
Der Oberleutnant ftieg würdevoll die Treppe zu der
Groppenſchen Billa empor.
Jolante faß an ihrem Schreibtifch und verfaßte einen
Drief, als Herr von Flanken, ſpeziell ihr, gemeldet wurde.
Riefengroß, aber durchaus nicht hoffnungslos ftand er
wenige Augenblide danach vor ihr. Alles glänzte und
ftrahlte an ihm, und Jolante fchüttelte mit Tofett ge»
wandtem Hälshhen die blonden Loden zurüd und fagte
tichernd: „Sa nicht auf diefen Bronzeftuhl ſetzen, Herr
292
bon Flanken, der ‚erträgt‘ eine ſolche Auszeichnung
nicht!“
„Sp, ahnt er bereits, was für ein gewichtiger Mann
aus mir geworden ft?“
„&r fennt Sie noch pom Winter her!“
„Dann hat er eine fehr falſche Meinung von mir.“
Der Oberleutnant ftüßte fi mit beiden Händen auf
feinen Säbel und ſah die junge Dame martialifh an. —
„Fräulein Jolante, — ih babe ein Bild gemalt!“ Sie
ſchlug lachend die Hände zufammen. „Mögen es Fhnen
alle Holden Mufen gnädigft verzeihen!“
„Fräulein Jolante, ich Habe meine Wette gewonnen,
das Bild ift von der Künftlerjury für die Kunftausftel«-
lung angenommen!“
Da warf fi das Elfchen in die blauen Atlaspolſter
zurüd und lachte, lachte noch mehr als Sonne, Blumen,
Dögel und alle Menſchen, die dem Künftler pon Pro»
feſſors Gnaden zuvor begegnet waren, und als fie mit
dem Spigentafchentuch die Tränen in den Augen trodnete :
und endlih zu Worte kam, da fchüttelte fie nur Das
Köpfchen.
„April! Aprill — Bitte ftehen Ste früher auf, wenn
Ste wünfchen, daß ih auf ſolchen Scherz bereinfallen
folt!“ |
Er blieb ganz ernft, griff in die Brufttajche, zog einen
Brief hervor und reichte ihn dar mit dem Selbjtbewußt-
fein des Lafontainefchen Zeichlönigs, wenn er fragt:
„Suis-je?1*
„Hahahal Ein Briefl. Wohl die Rechnung von Ihrem
PBinfelfabrifanten?“
„Wer Augen bat zu Iefen, der leſel“ — Und Herr von
Slanten ließ fich voll Grandezza in einen Seifel fallen
und drehte eriwartungspoll die Daumen umeinander. —
Jolante lachte noch immer, fie entfaltete, ohne dag Ku—
vert einer Beſichtigung zu würdigen, den großen Bogen
und begann voll outrierter Feierlichkeit zu ftudteren.
Das Lachen verjtummte, immer größer und überrafchter
wurden die Augen, immer fchneller überflogen fie den
293
Inhalt Des Schreibens, und plößlic ſank das Papier
fnifternd bernieder und Jolante ftarrte den ame Des
„Fuchs im Bau‘ an wie eine Bifton.
„Herr von Flanken,“ ftotterte fie heiß erglühend, „int
Das alles ein Aprilfcherz?“
„Da ,Fuchs im Bau‘ mein erftes berporragendes
Werk ift, Tann ich dieſe Frage nicht übelnehmen, obwohl
fie für einen Künftler meiner Art: recht Beleidigend tft.
Falls Ihnen jedoch diefer Brief noch fein genügender
Demeis ſcheint — bier! Da haben Ste die Paftete mit
Druckerſchwärze angerührt!* — And mit mwahrhafter
Blafiertheit zog der berühmte Mann eine Zeitung her-
por, ſchlug fie auseinander und tippte mit dem behand⸗
ſchuhten Zeigefinger auf eine rot angeftrichene Anzeige.
— Ja, da ftand es ſchwarz auf weiß: „Das Bild ‚Fuchs
im Bau’ — Erftlingswerf eines noch unbefannten, aber
hoch talentierten Malers, Herrn pon Flanken, Schülers
bon Profefjior H. — bat die Teuerprobe glänzend be-
ſtanden und wird fiher zu den Perlen der Ausstellung
zählen, da es in ganz wunderbarer Weile faft Jämtliche
DBorzüge Der bedeutendjten Nleifter in ſich vereinigt!“
Das Tageblatt zitterte in den Händchen der Lefenden,
angftvoll fahen die fcehwärmerifhen Augen zu Dem
Ylanenoffizier auf. „Aber, ich begreife gar nicht — mie
ift es denn nur möglich — Sie ſind ganz plößlich ein
berühmter Künftler geworden?“
„a, du lieber Gott, gegen fein Genie fann man doch
nit anfämpfen!“
„Aber bei Stäulein Sorgifch Tonnten Sie faum einen
Strich zeichnen!“
Slanten lächelte jehr überlegen. „Alles Derftellung!
Denn Sie gemerlt hätten, daß ich die ganze Sache ſchon
weg batte, würden Sie mid doch an die Luft gelebt
haben!“
„IQ, aber, ich, ih —
„— fiße jeßt nett in = Tinte drin!“ vollendete er
mit graufamem Nahdrud. „Ihre Wette ift radikal ver-
Ioren, und nun verlange ich das Reugeld!“ Gr hatte fich
294
erboben und war an den Schreibtifch getreten. „Hier ift
unſer Kontralt. Sie haben wohl oder übel zu geftatten,
Daß ich ihn, oder wenigſtens einen Beil dapon, in allen
Zeitungen der Welt veröffentlichel“ Ä
Sie zog die Stirn in Falten. „Das tft ja Unfinn! Die
Leute würden es gar nicht verftehen!“
„Aun, ſo erlauben Gie, daß ich eine Erklärung hinzu»
füge. Nur acht Buchſtaben, Die Sie aber por allen Men-
hen anerfennen müjfen! Ja?“
„Acht Bucftaben?“ |
„Ja oder nein! ch verlange fie als Austrag der
Wette!“
Eie atmete angjtpoll fchnell. „Schreiben Sie, bitte,
einmal Hin!“
Da taudte er bie Feder tief in die rote inte und
ſchrieb juft unter Die beiden Namen „Jolante pon
©roppen“ und „Karl von Slanten“ die acht Buchfiaben —
„DBerlobte*. Und dann fchnitt er die obere Hälfte des
Dlattes ab und ſprach ſchmunzelnd: „So, Ddiefe Drei
Zeilen genügen, darf ich fie in die Redaktion ſchicken?“
Das Elfchen ftand ſprachlos, und da der abjonder-
lihe Freier ihre beiden Hände hielt und fich mit feinem
vergnügteften Baßlachen zu ihr nieder neigte, Tonnte ſie
nicht einmal entfliehen. Das war eigentlich für alle beide
eine fhauderhafte Derlegenheit, denn Herr von Flanken
hat fpäterbin ehrlich befannt: „Nie im Leben babe er
eine jolhe Himmelsangft ausgeftanden, wie in dieſen
paar Gefunden, da er, der Rieje, nicht gewußt babe, ob
er die kleinſten aller Liliputhändchen werde in den
feinen fefthalten können!“
Aber Spott fei Zob und Dankl Jolante erinnerte ich
noch rechtzeitig, was man einem großen Künftler und Ver⸗
faſſer des Bildes ‚Fuchs im Bau'‘ ſchuldig ift, und weil
fte ihr glühendes Geſichtchen gar nirgend anders ver-
fteden fonnte, barg jie es an feiner Bruft. Da lachten
Eonne, Blüten und Döglein noch weit Iuftiger als zus
por, aber Herr von Flanken lachte zuletzt, und wer zu-
legt lacht, lacht am beften!
j
295
Ein Halbes Jahr war vergangen, feit Sraf Lohe an
einem trüben ſchneedurchwirbelten Wintertag in Dajje-
winfel einfuhr. Sin Schauder riefelte ihm Durch alle
Glieder, da feine Squipage wie auf ſtürmiſcher Flut über
die ungepflajterte Straße ſchwankte und die Kleinen,
oft nur mannshohen SHäuslein rechts und links wie eine
höhniſch grinfende Bettelfinderparade porüberzogen.
Grauenvolle Sziftenz! — Graf Lohe ließ refigntert
das Monokel niederfallen, lehnte fich mit zufammen-
gebiffenen Zähnen in die Atlaspolfter zurüd und tat ein
Gelübde im Herzen, lieber in feiner Klaufe bier mit Der
Shatfelongue zu verwachſen, als ſich unter diefe Sociste
de Dassewinkel zu begeben! Aber die Langemeile iſt
für jemand, der fie zuvor nicht gefannt, ein Geſpenſt,
Das felbft dem Beberzteften Beine macht, fie zu fliehen.
Arbeit gab eg faft gar nicht; um das Zimmer der alten
Kiofterrentei beulte ein permanenter Nordfturm, die
Öfen beizten nur mittelmäßig, und hinter den alten Tas
peten feierten Die Mäufe Karneval. Wenn der junge
Graf fi, in warme Pelzdecken gehüllt, die Augen an
den Romanbüdern müde gelefen, erhob er fich ftöhnend
von feinem Rubelager und trat ang Senfter. Keine Seele
weit und breit, eine troftloje verfchneite Sinfamtleit, und
dann brachte der Diener die Lampe, und Mart-Wolffrath
griff wieder zum Bud), oder fchrieb wütende Briefe, oder
aß mit fjchlechtefter Laune fein meift recht Tchlechtes
Abendbrot; ebenfo allein wie das Nlittageffen. Sol
ein Leben war auf Die Dauer nicht zu ertragen! . Aus
lauter Derzweiflung empfing er fchließlich den ‚torf-
trampelnden‘ DBürgermeifter in ‚dienftlicher Angelegen-
beit‘. Der Mann war gar nicht fo raubbeinig, wie er
fih ihn gedacht hatte. Arg verbauert allerdings, ohne
jeglihe Lebensart, aber er redete doch wenigſtens, ſo⸗
gar ohne jegliden Rüdhalt, über feine politifchen An-
fihten. Das war etwas Neues für Lohe und ganz amü-
fant zu hören, wie diefe Leute ſich die Weltgeſchichte in
den engen Srenzen ihres Schädels zurechtlegen. Wirk»
lich ganz vernünftig, ganz nett, Graf Lohe findet es
296
plöglih ‚einen intereflanten Gedanken‘, einmal ſo des
‚Bolfes Herz‘ zu ftudieren. Im Safthaus ‚Zur Grünen
Dteje‘ ſitzen allabendlih die Honoratioren von Daffe-
winkel, fcherzeshalber wird der Herr Hofjunker einmal
in Diejem Kreiſe erfcheinen. Er gebt bin und amüſiert
ſich in der Tat brillant in diefer originellen Umgebung;
feine Ladjtiefel Haben allerdings die Promenade durch
die grundlofe Straße nicht vertragen, darum läßt Marl»
Wolffrath fich ‚icherzeshalber‘ ein Paar ungeheure
Nägeljtiefel vom Dorfſchuſter beforgen. Auch die Diden
Düffeljaden, wie fie Apotbefer und Rentmeifter tragen,
ſcheinen ihm ſehr praftifch bei Hiefiger Witterung. Er
Tann ja Die feine Masferade einmal mitmachen! Pie
Herren erzählen mit dem ernfthafteften Seficht ganz un»
glaublihe Sachen von Weib und Kind und gedenken mit
viel ehrfurchtsvoller Anerkennung der ‚Sanzträngchen‘, die
die Frau Oberförfter, die vornehmſte unter den Ewig⸗
weiblichen, jeden Sonntagabend hier veranftaltet. Graf
Lohe Hört’s mit einem Anfall von Schüttelfroft; da er
aber in Erfahrung bringt, daß alle Güter der Umgegend
im Winter verwaift ftehen, und er jich immer unerträg»
licher langweilt, bejchließt er, ‚pour passer le temps‘ ein
paar Beſuche im Städtchen zu machen. Daß er den Damen
bereits hoch interejfant und als eine Art ‚Märchenprinz‘
ericheint, tut feinem gerfchlagenen Herzen wohl. Gr läßt
alfo anfpannen, leidet den Diener in ©alalipree und
fährt bei der Frau DBürgermeifter vor. Kolofjale Auf»
regung. Türfchlagen, Stimmen rufen durcheinander, eine
Klingel läutet Sturm, und der Diener, der feinen Ge⸗—
bieter melden foll, bleibt eine Stwigfeit aus. Endlich er»
ſcheint er — mit dunfelrotem Kopf, ſchluchzend por inner-
lichem Lachen. „Die Damen lajfen bitten, Herr Graf!“ —
Marl-Wolffrath redet nie mit feinen Untergebenen, dies⸗
mal fragt er dennoch nach der Urſache ſolch endlofen War-
tens. „Die Damen hatten mid) für den Herrn Strafen ge»
halten und ließen mich gar nicht wieder aus dem Sofa
heraus, auf das mich die gnädige Grau niedergedrüdt
hattel“ — „DBrer!® Der Erbe von Illfingen fteigt re»
297
ftgniert Die Treppe empor. Auf dem Hausflur empfangen
ihn bereits die Frau DBürgermeifter in mächtiger Staats-
haube mit faftgrünem Band und Komblumenbulett über
der Stirn, und neben ihr, ‚mit zücdhtigen, verſchämten
Wangen‘ die drei Töchter, die knickſend als: „Diefe tft
mein Lieschen, und diefe die Melanie, die ’S Klavier [pielt,
und dieſe bier unfer Lottchen, die Franzöſiſch kann!“ —
präfentiert werden. — Fabelhafte Töchter! Sie fehen
blaurot aus und platzen beinahe por Geſundheit. Der
Abſchied fällt ſchwer, aber er gelingt. Bei der Frau
Oberförfter iſt's bei weitem befjer. Zwar ftürzt auch bier
erft eine Magd an dem Srafen vorüber in die gute Stube
und zieht ben fteifbeinigen Lehnftühlen die Kattun-
böshen aus, und eine Hundekälte ift’s, und ein un«-
Definierbarer Geruch! Spide, Kamillen» und DBeifuß-
büfchel hängen zum Trodnen an den großen Hirfchge-
weihen, vielleiht rührt er dabon ber. Aber die Grau
Oberförfter ift eine ftattliche, fehr liebenswürdige Dame,
Die entſchieden eine vortrefflihe Erziehung, fern von
Daſſewinkel, genoffen bat. Und weiter geht's von Tür
zu Tür. Cine rothaarige ‚Stüge der Hausfrau‘ flattert
im Schneefturm dem Wagen des hohen Herrn boraus.
Sind fie meldet mit aufgeregtem Armfucdhteln in den be-
treffenden Häufern: „He fümmt! — He Fümmt!“ und die
Schlüſſel Treifchen in den Schlöffern der Sonntagsnad-
mittagsjtuben, und die Schönen von Dafjewinfel machen
in fliegender Haft große Soilette.
Der Sonntag fam, und der einftimmig, ftürmifch ein«
geladene Graf Lohe rüftete ſich zum Tanzfeſt. Seine
Robinfonade begann ihn bereits königlich zu amüjfteren,
und ‚auf alles gefaßt‘, betrat er den Saal im Safthof
‚gur Srünen Wieſe‘. Da waren Böcke und Lämmlein
ftrengfteng getrennt.
Die Herren faßen im Kegelzimmter, raudhten wie die
Fabrikſchlöte und tranfen fünf Stunden lang an einem
Töpfchen Bier; die Damen in [hönem Kranz, gewiſſen⸗
haft nad Rang und Stellung geordnet, behaupteten den
Caal. Eine jede hatte am Arm ihren Ridikül hängen,
298
aus dem fie zuerst feierlich einen Obolus entnahm und
vor fih auf den Tiſch legte; das war die ‚ausgemachte‘
Eumme, bie in einer Taſſe Kaffee mit Napfkuchen ver»
praßt werden durfte. Dann folgte das Stridgeug, nur
die Frau Pächterin emanzipierte fich und häfelte für ihr
DZüngfies ein Widelband. Drei Muſikanten jaßen jeitlich
auf einer Pritfhe und taten ihr möglichites, und nach
dem ein paar aufheulende Hunde aus dem Kegelzimmer
entfernt, legten die jungen Herren die Zigarre für fünf
Minuten aufs Tenfterbrett, zogen einen Zwirnhandſchuh
an und ſchwenkten zuerst die Mütter, dann je eine Tochter
durch den Saal. Ernſt, ſchweigſam, opfermütig; ein
rechtwinkliger Krabfuß, und die Zigarre im Kegelzimmer
feierte mit ihrem DBefißer ein herzliches Wiederjehn.
Graf Lohe begrüßte die Älteren Damen und madte
alsdann den fühnen Verſuch, ſich als Schmetterling dem
Kranz der jungen Mädchen einzureihen. Sin verlegenes
Kichern, befchleunigtes Klappern der Nadeln und zeit»
weiſes gegenfeitiges Anrennen mit den Sllenbogen war
das einzige Refultat feiner Bemühungen, eine Unterhal⸗
tung zu eröffnen. Auch die Mütter wurden unruhig und
fegten die Brillen auf. Da merkte Marf-MWolffrath,
daß ein derartiger Verkehr in Dafjewinfel nicht Aſus
war. Der Hornift intonierte in befchleunigtem Tempo
die ‚Lorelei‘, nad) der man bier Galopp tanzte, und
der Arrangeur der ezquifiteften NRefidenzfefte neigte das
forgfam frifierte Haupt por der Frau Oberförfter und
führte fie zum Tanz. Die erfte Ronde im Saal Tief
fih recht gut aurüdlegen. Die gedunfelten Dielen er=-
wiefen jih als außergewöhnlich glatt; bei dem zweiten
Tanz jedoch fühlte der Graf wunderlihe Knoten und
Beulen unter feinen zarten Sohlen, und plößlid) jtieg es
ihm pridelnd in die Nafe, und weil alle andern auch
nieften und fich fchnaubten, fo fragte er feine Partnerin
nad) der Urſache dieſer außergewöhnlichen Erſcheinung.
„sa, jeben Sie,“ war die Antwort, „Das geniert ung
nicht mebr, wir find jet daran gewöhnt! Weil nämlidy
der Sußboden bier fo ſchlecht ift, Käßt ihn der Wirt vor
299
jedem Tanz mit Seife ſchmieren, das macht hübſch glatt!“
— Daber plöglich diefer niederträchtige Geſchmack auf
der Zungel Dem verwöhnteften aller Kapaliere tvurde
es ganz übel vor Schred, er ftammelte feiner Tänzerin
eine Exküſe, machte Reih’ um fein Kompliment und floh
die Hinterlift der pfiffigen Daffewinkler, die den Tempel
der Terpfihore nicht auf den Farben des Regenbogeng,
fondern auf — Schmierfeife erbauten.
Und gleih der Haffifchen Seherin flüchtete er fi}
während der nächſten Tage in des Waldes tieffte Gründe,
um feinen Kummer zu vergeffen. Ein glüdlider Schuß,
der einen gewaltigen Wildeber zur Strede brachte, ließ
alles vergeffen und vergeben fein, was Daſſewinkel je
gefündigt. Voll leutſeliger Höflichteit nahm der junge
Sraf, obwohl er Schweinefleifch ſehr ungern aß, fogar
die Sinladung zu Dberförfters an, ‚jeine Fagdbeute‘
berfpeifen zu helfen. — Sin fehr ſcharmanter, behaglicher
Mittag! Per Kopf mit der Zitrone im Rüffel ſchmeckte
porzüglih, und die Wirte waren fo angenehm, wie es
Mark⸗Wolffrath außerhalb des Parfetts gar nicht für
möglich gehalten. Am nächſten Tag lud der Sutspächter
zum Eſſen ein. Wer A jagt, muß in diefen Fleinen Ver⸗
hältniſſen auch DB fagen. Lohe befam ben Rüden des
erlegten Keilers vorgejegt und half ihn verfpeifen. Der
folgende Morgen bradte eine Einladung zu Dürger-
meifters. Sin ahmungspoller Schred durchzuckte Den
Empfänger. — Hab’ Grbarmen, Gott der Liebel —
Sin Borderfhinten des unfeligen Wutzchens erfcheint auf
dem Tiſch. Der Graf würgt ein Stüd herunter, und
als man ihn zum Eſſen nötigt, daß ihm die Sinne ſchwin⸗
den, teilt er mit Lottchen noch eine DBratenjcheibe.
Ag er fein Wohnzimmer wieder betritt, lächelt ihm
ein Brief von dem Tifch entgegen: ‚Der Herr Apotheker
erbittet fich allergeborfamft — ufw., ufv.” — „Abjagen,
Stiedrich, abſagen!“ ftöhnt der ftelldertretende Land⸗
rat. Es Hilft nichts; außer fi und tief gefränft Tommt
die ©aftgeberin perſönlich angeftürmt und jet dem
gegen Damen ftets böflichen Opfer die Piftole auf die
300
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mh. 1 9a se_rı m
WU,
DBruft. Er muß fommen, weil er zu ben andern aud) ging,
— und er belommt den zweiten Schinken porgejegt! —
And folange noch ein Stüdlein Wildfchwein vorhanden
ift, muß Mark⸗Wolffrath es bei irgendeiner Familie
effen helfen. Tauwetter ift eingetreten, und er riecht
das Menü bereits auf dem Hausflur. — Das war eine
fürdterliche Zeit! Und als der Oberförfter wieder Jagd
madt, und dem Grafen ein Wildfchtwein zu Schuß fommt,
da läßt er die Büchſe ſchaudernd ſinken und dentt:
Sieber auf den Schuß: verzichten, als noch einmal acht
Sage lang Schweinebraten effen!
«&8 war eine harte ſchwere Schule, die ‚le chevalier
sans faute et sans reproche‘ in Dafjewinfel durchmachen
mußte. Aber Not lehrt beten, und was im Nebel undaus
der Gerne. wie eine Vogelſcheuche ausfieht, erweiſt fich
bei näherer Betraddtung oftmals als ein Bäumchen, das
gejunde und ſchmackhafte Früchte trägt.
Die Luft, die über die verfchiedenen Höfe von Daſſe⸗
winkel ftrih, war raub, fräftig, und ganz Natur, aber
fie war heilfam und blies ihren frifchen Ddem durch Leib
und Seele. Graf Lohe gewöhnte fich fehr ſchwer und
widerwillig daran, und wenn er es fchließlich tat, geſchah
es, ohne daß er es felber merkte. Als er ich dem Schid-
fal fügte und fich feine neue Welt ruhig und vernünftig
anfab, fand er oft Gelegenheit zu beobachten, Daß.
eigentlih das. Natürlide und Ungekünſtelte ſtets am
ſchönſten fet, und daß gar manches, was er bis jebt als
höchſte Form und Stifette Hochgehalten, eine krankhafte
Abertreibung war. Nicht zu viel, aber auch nicht zu
wenig. Gegen die Damen von Daffewintel war Yrfula
ſchick, elegant, frife$ und amüfant; gegen die der Nefidenz:
übermütig, verzogen und derb! Pie Kleine hielt aber,
namentlich jo, wie er fie zuletzt gefehen, die richtige
golöne Mitte, und wenn er fich ihrer letzten Geſpräche
erinnerte, jo begriff er es ſelber nicht, wie er ſie ſo ſtreng
noch hatte richten können!
Die Trennung gleicht einem Sturmwind, Der die
Flamme der Liebe erfaßt; iſt ſie klein, jo löſchte er fie,
801
wuchs fie aber ſchon zu einer gewiffen Größe empor, fo
fat er fie an zu Iohender Olut. Mark⸗Wolffraths Ge⸗
danken weilten mehr und immer mehr bei Urfula, und
als er erfuhr, daß Herr von Kuffitein nah Groß⸗Wollk⸗
wis zurüdgefehrt fei, ließ er ſofort anfpannen, feinen
Beſuch abauftatten. Er traf ben Baron allein im Schloffe
an. Dick, behaglich, wenn auch etwas wehmütiger drein»
ſchauend als früher. „Sie haben mir meine Urfchel-
Purſchel ganz rammdöfig in diefem verfluchten Häufer-
pafticco gemacht!“ feufzte er ganz Häglich, „wie von der
Drechfelbant weggebolt, ohne Saft und Kraft! Na, ih
foll ſie nur erft wieder hier Haben! Ich will ihr Diefe
bleihfüdhtigen Knidfe ſchon bald wieder abgewöhnen!
Nicht wahr, Herr Poltor, das wollen wir? Wäre Doch
[ade um unjern Fleinen Bengell“
Herr ‚Doltorjo‘ ſaß dem Sprecher gegenüber auf dem
Lederſeſſel und gloßte mit feinen allerfchläfrigften Augen
über den Srühftüdstifh, der ihm mit feinem ewigen
Schinken und den ®änjeleberwürften bereits odiös wurde.
Es war zum mindeften rüdfihtslos von feinem Freund
Julius, ihn wegen eines fol langweiligen Imbiſſes
aus dem Schlaf zu weden; und Urſchel-Purſchel? Dol-
torjo Hatte überhaupt feine ntereffen mehr auf dDiefer
Welt, feine undurchdringliche Speckſchwarte panzerte ihn
gegen jeglihe ©®efühlsdufelei. Und fo würdigte der alte
- Herr weder fein Gegenüber Kuffitein noch den Graf Lohe,
noch die Delifatefjen eines wohlwollenden Blides, ſon⸗
dern fchnobberte mißpergnügt nach dem Parkett herunter.
„Haſte noch keinen Appetit, Doktor?“ erkundigte ſich
der Hausherr teilnahmvoll, „na, dann warte noch ein
halbes Stündchen, ich lege dir einen Wurjchtzippel neben
Dein Bettel* und er bob den Mops vom Seſſel, und
beide madelbeinten nach der Dfenede, wo der DBer-
droffene fein Plüſchkiſſen beitieg.
„&s ift ein ganz merfwürdiger Hund!“ wandte ſich der
Baron zu ſeinem jungen Gaſt zurück. „Nun geben
Sie mal acht, nachher macht er ſich an fein Srübftüdchen
beran, aber was tut er? Pie Spedgrieben buddelt er
302
fih raus, und die Schale läßt er liegen; ein mer!
würdiger Hund!“
Das interejfierte den jungen Grafen weniger, aber
die Nachricht, daß Frau von Kuffitein und Arjula am
20. April zurüdfehren würden, die erfüllte ihn mit nie
gefannter Sreudigfeit.
Aber Naht war der Lenz angelommen, überrajchend
früh, ungeftüm und verfchiwenderifcher als je. Wetter-
leuchtend Hatte es am Horizont geflammt, feuchtwarmer
Wind jagte Wolken herauf, und aus ihren dunflen ver»
T&hleierten Augen ftürzten die Tränenftröme ſegnend über
Das knoſpende Gezweig. Das erjchauerte bis in Das
Mark hinein. Aus langem bangem Traum wachte es
plöglih auf, und es erfchloß die taufend jungen Augen
und ſchaute Den ©eiftern des Frühlings, die Die Silber-
Thwingen unter Blig und Donner entfalten, voll füßer
Scheu entgegen.
Als aber die Morgenfonne ihr ftrahblend Haupt er»
bob, da hatten unfichtbare Hände die Welt geihmüdt, -
hatten rofige DBlütenfchleier über Bujch und Baum ge»
hängt und das mwelfe Laub hinweggefegt, dem Himmel»
fhlüffelden und der blauen Cylla das winterliche Haus
zu zerbrechen. Und fie.ftehen und lachen im Morgen-
tau und rühren die duftigen Slödlein, Oftern einzu-
läuten. Wachtel und Lerche haben es mit lautem Jubel»
lied verfündet, daß der Palmfonntag gefeiert worden,
daß heute die ganze Welt ein Feſt der Auferftehung
begeht, die neu feimende Natur und die Menfchenherzen,
die im Winterfchlaf gelegen.
Die dürren Reifer prangen urplöglih im Hoffnungs-
grün; was alt getworden, verjüngt jih in neuem Saft
und neuer Kraft, und was herniederbrach unter allzu
ſchwerer Laft, hebt fein Haupt getroft und freudigen
Muts der Sonne zul — Oftern tft gefommen, und aus den
©räbern fprießen die DBlüten eines neuen Lenzes! —
Aber die Sartenmauer von Groß⸗Wollwitz hängen die
803
Zweige mit den filbernen und braunen Käbchen, ftreut
ein wildes Kirfchbäumchen feinen Blütenſchnee. Zwei
Ihlanfe Mädchenhände biegen die Aſte hernieder und
pflüden einen Strauß, und dann neigt Urjula das Köpf-
hen vor und ſpäht die Fahrftraße hinab.
Die Sonne ftreut Soldfunfen auf den braunen Loden-
kopf und flimmert auf der Metallftiderei des dunkeln
Tuchkleides, Das hoch unter dem rofigen Kinn fchließt.
Nichts erinnert mehr an das Backfiſchchen des ver-
gangenen Herbſtes. Noch ift es allerdings das kecke,
friſchwangige Kindergefiht, in dem die fchelmifchen
Grübchen lachen, aber es ift ein. ganz, ganz ander Ladyen
als früher. Was ehemals Troßgebärde und Mutwillen
war, ift jegt heitere Anmut, was früher nur Körper mar,
ift jeßt Seele geworden. Puck ift eingeſchlafen und die
Pſyche dafür Hold lächelnd aufgewacht. Aus den braunen
Augen ftrahlt ein Himmel pon ©lüdfeligfeit, aber nicht
‚mehr das Slüd kindlicher Ausgelafjenheit; jet grüßt
Stau Minne aus dem Dlid, und das Feuer, das fie
Darinnen nährt, fladert nicht, fondern leuchtet. Horch ...
Hufſchlag. — Urſula möchte laut aufjubeln; fie lacht,
Iuftig und friſch wie immer, aber fie drüdt dabei Die
Händchen gegen Das Herz.
Da Tommt er! Ob er wohl wieder Toilette macht?
Juſt an diefer Stelle hatte er damals den Spiegel aus
der Taſche gezogen.
Nein; diesmal ſcheint er an nichts derartiges zu
denten, er reitet jcharf, voll Ungeduld hinab. Wie feltfam
ſieht er denn aus? Derbe, hoch bejtaubte Stiefel, eine
elegante, aber dabei ſehr jolide Joppe, anftatt Zylinder
fißt ein weicher Filzhut tief in der Stirn und Fein Monokel
im Auge! Wie fchön tft er jo! Ganz ungelünitelt, ganz
und gar ein Mann!
Schon pon weitem blidt er nach der Mauer, ftußt
und fpornt das Pferd. Seine Hand bebt den Hut und
ſchwenkt ihn.
Sf das Urfula? denkt er, dann ift aus dem Knöfpchen
die wonnigfte aller Rofen geworden. Schid, elegant,
304
ganz Damel Ste Hält einen Strauß in ber Hand. Wird
fie ihn mit Teder Heiner Grimaſſe wieder nah ihm
werfen, wie damals den Kranz mit der Wurft? Wird
fte ihm ein derbes Willlommen zurufen? — ©raf Lohe
würde. es nicht mehr fo unerträglich ſchauderhaft finden
wie einft, aber täte fie’s nicht, würde es ihn Hoch
beglüden.
„Grüß Oott, mein gnädiges Fräulein!“
„Herzlich willlommen, Graf Lohe, welch eine treff-
liche Ofterfreude, Sie bier zu fehen!* Sie fagt es fröh-
lich und ungeniert, aber fie wirft ihm den Strauß nicht
Dazu in Das Geſicht, jondern neigt fich, ihm auf ganz
allerliedfte Weife die Heine Hand darzureichen. Mark»
Wolffrath küßt fie, und das junge Mädchen errötet
heiß, ohne jedoch in verlegener oder findifher Weiſe die
Rechte zurüdzuziehen. Sr beobachtet es mit Sntzüden.
„Wollen Ste bitte durch den Park reiten! Ich benach⸗
rihtige Die Eltern fofort!*
„Darf ih Ste nit zu Fuß begleiten? ch gebe
jenem jungen Menſchen dort das Pferd zur Weiter-
beförderung!“
„Sewiß! Aber es ift Teine Tür bier in der Wauer.
Ste müffen erſt bis an die Ecke reiten!“ |
„Darf ih nicht als guter Turner überflettern?“
Arfula traut ihren Ohren nicht, und da fie ganz be
troffen in fein lachendes Geſicht ſieht, fährt er heiter fort:
„Ich Habe in Daſſewinkel fchauerlide Manieren an⸗
genommen und babe Die Überzeugung gewonnen, Daß der
Menſch fih nicht zum Sklaven machen darf, weder zu:
feinem eigenen, noch zu Dem fremder Marotten!*
„Bitte, verfuchen Sie nur... aber Ihre Handſchuhe?“
„Handſchuhe?“ Sr lachte. „Sehen Sie mall Ganz
zweite ©arniturl O ich Bin verwildert in Daffewintell
Aber die beffern fteden noch in der Tafche, es ging fehr
eilig zu, heute morgen!“ entjchuldigte er ich mit einem
Anflug feiner früheren Amftändlichteit.
„um fo beifer!*
Der Graf pfiff Dem Knecht und übergab ihm feinen
Ä
2 Eihfteuth, Hofluft 305.
Soldfuhs, dann ermittelte er ein paar ausgebrochene
Eteine in der Mauer, ftellte den Fuß ein und ſchwang
fih gefchidt über.
Heute fehritt er ganz anders an ihrer Seite, als im
vergangenen Herbſt; die Sonne brannte ihm in das ©e-
jiht, aber diesmal wehrte der Graf fie nicht durch
chineſiſchen Fächer ab, und er ſprach ganz anders als
früher, lachte und ſcherzte und fand Daffewintel ein recht
nettes Heines Neftchen, Das viel beſſer fei als fein Aufl
Arjula aber war’s zu Sinn, als müffe fie jubelnd Die
Arme ausbreiten, die frifehe würzige Luft, die ihnen
entgegenftrich, zu umfangen: „Hab’ Dank, bu Meifterin
‚Hofluft‘, daß du aus einem Helden der Salons einen
Mann gemadt haft!“
Und Mark-Wolffratds Blid ftaunte das ſüße Wunder
an, Das ſich Außerlich und innerlich an der Tyrannin
von Wolkwitz begeben; war es vielleicht nur die andre
Gewohnheit? Hatte nicht fie, fondern er ſich geändert?
Wie konnte er fragen! Maienhold, frifch und Iofe ftand
Das junge Bäumchen vor ihm, all die wilden Sproffen -
waren Dur) zarten Hauch gebrochen und die Knoſpen
ur Dlüte wach gefüßt! — „Hofluft! liebe, freundliche
Bauberin!” |
Oftern 30g dahin, als aber die Pfingftmaien die
Schloßtüren von Wollwitz ſchmückten, da ſchritt ein junges
Drautpaar über die Schwelle, und Herr von Kuffftein
ging mit Doltorjo weit in den Park hinein fpazieren; —
fern auf einer Bank hat er gefejfen und mit dem großen
rotfeidnen Taſchentuch die Augen gewiſcht: „Gebt wird's
‚bei uns Abend, Doktor, jebt mach’ ich's wie du, leg' mich
in dem ftillen leeren Haus aufs Ohr und träum’ von
meiner AUrſchel⸗Purſchell Ja, ja, nun wird fie uns ein
fremder Kerl megitiebigen — und mir beiden alten
Diden jiten da und guden in den Mond!“
Der Herr Doktor gähnte und machte ein Geſicht,
als wollte er fagen: „Dies alles iſt mir furchtbar wurſt!“
ftredte Die kurzen ne bon fih und
ſchnarchte. —
306
Da feufzte der Brautvater tief auf, Iehnte den Kopf
an den Alazienftamm zurüd und ſchnarchte mit.
Im Gebüſch aber fchlug leiſe, leiſe eine Nachtigall,
und die Tleinen Geiſter der Liebe, die Das Schloß
umſchwärmten, famen berzu und ftreuten ihr Duftige
Blüten ing Neſt. |
Sehsundzwanzigftes Kapitel
Steiherr von Altenburg faß in feinem Zimmer, ftüßte
das Haupt in beide Hände und ftarrte auf einen Brief
bernieder, der aufgefchlagen vor ihm auf dem Tiſch Tag.
Die ein ETräumender überlas er den Inhalt, wieder
und wieder. Es gefcheben viel abjonderlihe Dinge in
der Welt, begegnen fie einem jedoch direkt, jo fchüttelt
man den Kopf und reibt fich die Stirn, um zw erforjchen,
ob man wohl träume. Juſt fo erging es dem jungen
Offizier. Die Handſchrift feiner Mutter war Zatjache,
aber die Neuigleit, die fie ihm mitteilte, ein Wirakel.
Da war plöglic auf ihrem Heinen armjeligen Land«
gut ein Unterhändler erfchienen und Hatte einen außer»
ordentlichen Kaufpreis geboten. Der älteſte Sohn, Den
Stau von Altenburg in Kenntnis gefebt Hatte, fand
Diefes Anerbieten verdächtig und ließ Die Ländereien
auf Kohlen» oder Metallager unterjuchen. Nichts fand
jih por, der verlappte Kaufliebhaber jedoch ließ jein
Angebot beinah verdoppeln, und die Sutsherrin, Die
Aniverfalerbin ihres Mannes war, [bloß ohne De-
finnen den Kauf ab.
Für den trodenen Sandboden und die neuangepflanz-
ten Heinen Waldungen hatte fie eine faft unglaubliche
Eumme erhalten, und fie benachrichtigte ſoeben ihren
Sohn Eitel, daß fie den Betrag unter ihre Kinder per»
teilen wolle, unt ihnen die Möglichkeit zu geben, ſich
einen eignen Hausftand zu gründen.
Slühende Blutwellen ftiegen in Wangen und Stirm
20% | 807
Atenburgs; er preßte Me Hände gegen bie Bruft und
Batte zum erftenmal im Leben bas Empfinden, als müffe
er himmelhoch jauchzen vor Glüdfeligfeit und Wonnel
Das ihm vor wenig Tagen beinahe noch als eine Un-
möglichleit erjchienen, was er erſehnt und erhofft hatte
als ein fernes traumhaftes Slüd, das war plößlich wie
Durch ein Wunder verwirklicht worden, das hob, ſich
leuchtend wie eine Sonne aus dunkler Nacht und tauchte
ihm Herz und Seele in blendende Helle. Ein Pleiner,
wollenhafter Schatten nur zog fehnell und wehmütig
durch Ddiefen ©lanz, das war der ©ebante, feine liebe
traute Heimat, die Scholle, an der er mit Leib und
Seele gehangen, dabingeben zu müffen für immer.
Die Hand des jungen Mannes bebte, als er Haftig
ein paar geilen an feinen lieben getreuen Freund Sobo-
lefskoi niederfchrieb. Mit kurzen Worten benachrichtigte
er ihn von dem G©efchehenen und bat ihn, Seneral von
©roppen und Lena auf feinen Beſuch vorzubereiten;
in wenig Stunden werde er Tommen als glüdfeligfter
Menfch in dbeutfchen Landen, und diesmal werde er einen
Strauß von Myrten und Orangen tragen, auf ben, fo
Gott will, fein Raubreif fällt!
nverhängt waren die Fenſter. Silbern und Har füllte
das Mohdlicht die Zimmer des Fürſten Sobelefskoi und
tauchte die Iniende Geſtalt des verwachſenen Mannes
in glorienhaften Schein. Bor dem hochlehnigen Seſſel
im Erker war er zufammengebrocdhen. Seine gefalteten
Sände lagen auf der goldenen Kapfel, die das Stüd-
lein Leinwand barg, darauf die Augen feiner Mutter
lächelten. — Regungslos lag er, nur feine bleichen Lippen
bewegten fi} im ®ebet. Da Elingen Schritte auf der Stein⸗
treppe Draußen, Da zittert der ©lodenton durch das
Beitibül. Der Körper des Ruſſen zudt und bebt, feine
Hände Frampften fih in jäher Verzweiflung Langfam
bebt er das Haupt und lauft. Ya, er ift es; er fteigt
die Stufen nach der erften Stage empor — jet tritt er in
den Salon — jeßt wohl in Lenag Zimmer.
Kalter Schweiß tritt auf die Stirn des Kranken, er
308
ſpringt auf und hebt die gerungenen Hände zum Himmel:
„Nimm deine Hand nicht von mir, Mutter, fei bei mir
und laß mich ſtark fein, nur kurze Zeit noch, auf daß ich
Gieger bleibe in dem Kampf!“
Aber die DBlütenzweige por dem Fenſter fiel der
nächtige Sau wie Tränen des Mitleids Hernieder, und
während der Freiherr von Altenburg auf die bebenden
Lippen feiner Braut den erften Kuß drückte, neigte fich
Aexandrowitſch in jähem Schreden über die lebloſe Ge—
ftalt des Fürften und iirug den DBemwußtlofen auf fein
Lager zurüd.
Kein Slüd und fein Stern! — In der Vacht, da Daniel
Sobolefskoi geboren wurde, heulte der Sturm um die
Senfter von Miskow, faßte das Banner auf dem Turm
und fette eg hernieder; das Meer ging hoch und trieb
ein Schiff auf die Klippen, da gellten die Notfignale der
Anglüdlicden durch das Unwetter. — So wurde er ge-
boren, und fo war fein Schidfal. Der Sturm folgte
ihm mit düftern Schwingen, rüttelte und fchüttelte feinen
Lebensbaum, daß er weder Blüte noch Frucht trug, und
er brach ihm Das Herz in taufendfacher Qual, wie einft
die roten Herzen im Wappenbild des Schloßbanners
zerriffen waren. Was ihn aber begleitete von Land zu
Zand und von Tag zu Tag, das waren die Hilferufe Des
Glends, die Seufzer und Klagen des Unglüds, und wie
einft in feiner ©eburtsftunde ein Fürft Sobolefskoi Hilfe
und Rettung auf das Meer gefchidt, fo wurde auch Daniel
ein Freund und Helfer aller Not, ein Arzt, der zum
Segen Zaufender rettend an die Kranlenlager trat und
Doch felber den Tod im Herzen trug.
Der Juni ftreute feine roten Liebesroſen auf dia
jungfräulide Erde, und die Glocken Hangen heller und
jubelnder als jemals vom Turm, dem Hochzeitszug der
Königin Minne ihr Willlommen zuzurufen. Da Trängte
man aud) Lenas Stirn mit bräutlichem ®rün, und Daniel,
auf deſſen flehenden Wunſch die Hochzeit befchleunigt
war, legte feine zitternde Hand auf ihr Haupt und regte
Die Lippen, ohne daß man feine Worte verftand.
309
Wie Das Bladern des Irrſinns ging es dur fen
Auge, da er in ihr liebliches ſchleierumwalltes Antlitz
jab, und das Fieber trieb neue Blut in die Wangen und
gab feinen Zügen einen fremden, faft graufigen Ausdrud.
Eo muß das Auge eines Mannes brechen, Der auf der
Solter liegt.
Ss wird ftill um ihn, Die Wagenräder, die drunten
rollen, fcheinen fi zermalmend über feine DBruft zu
wälzen. — Alezandrowitfch hat feinen Herrn noch nie fo
krank gefehen wie heute. Schon feit feinem lebten Ohn⸗
madtsanfall muß er das Bett hüten, er tft zu ſchwach
gewefen, um fich erheben zu können, aber er bat voll
beinahe trogigen S&igenfinns auf der Hochzeit des Fräu⸗
leing von ®roppen beftanden, und nun iſt's doch zu viel
der Aufregung gewefen. Schon während der lebten
Vacht Hat der Fürft in wirren Phantaſien feine Mutter
angerufen, und auch jekt reißt ihn das Fieber mit
glübenden Augen aus den Kiffen empor. — Ein Laden
ſchallt durch das Zimmer, ein Lachen, das in leiden-
ſchaftlichem Schluchzen erftidt, und dann fchreit er bei«
nahe drobend auf: „Halte dein Wort, Mutter! Sn diefer
Stunde ift es an ber Zeit, Daß du ſolchen Leides Aber⸗
maß von mir nimmft! Komm und erfülle, was du zur
gejagt, fonft wird mein ®laube an dich zerbrechen wie
mein ®laube an Öott und alle Heiligen, die die Schuld.
Iofen verdbammen und leiden lafjfen, die graufam und
ungerecht find, und die mein Gebet hätten erbören
müfjen — wenn fie ezijtierten!* — Gr fchüttelt die ge-
ballten Hände, und Alexandrowitſch ſchaudert bei dem
Ausbruch folcher Verzweiflung.
Da Mopft es leife an die Tür des Nebenzimmers.
Ein Diener bringt das Poftpalet, dag aus Rußland
fommt und von der Steuer abgeholt worden iſt. DViel-
leicht zerftreut es die wilden Phantafien des Kranken.
Alezandromitfch meldet, und Daniel richtet die ftarren
Augen wie geiftesabwejend auf die Tleine Kifte und
murmelt: „Öffne!“
Das Holz jplittert auseinander, ein Heines metall-
310
ausgelegtes Schiebfach wird fichtbar, in dem ein Päckchen
. berfiegelter Papiere liegt. Sin offener Drief obenauf.
Alexandrowitſch Tieft feinen ruſſiſchen Inhalt auf einen
apathifhen Wink des Fürften vor. Der Hausbofmeifter
bon Miskow teilt feinem Herm und Gebieter mit, Daß
ein DBligftrahl den alten Schloßbau getroffen und ge»
zündet habe. Slüdlicherweife ift man des Feuers bald
Herr geworden, nur zwei Zimmer, die des verftorbenen
KRammerberrn, find faft völlig ausgebrannt. Der antife
Sekretär des Hochfeligen Fürften wurde ebenfalls ein
Raub der Flammen, nur das feuerfefte Gefach, das nebſt
feinem Inhalt anbei überfandt wird, fonnte man unver⸗
ſehrt den Trümmern entnehmen.
Mechaniſch ftredt Daniel die Hand aus und faßt die
Papiere, die in der Glut braun und mürbe geworden find.
Seine Gedanken jind weit entfernt, da, wo der
Priefter zwei Hände zum Bund für alle Zeit ineinander
legt; als aber Mezandrowitfch das Schweigen abermals
bricht und den Fürften darauf aufmerffam macht, daß es
wohl wichtige Dokumente feien, die Der verftorbene
Kammerherr fo ficher verwahrt habe, da wirft er einen
ſchnellen fieberheißen DBlid auf die Schriften. Briefe
find es, aus dem einen fällt ein Zettel. „Zotenfhhein —
Sglantina — die Hofluft der Bretter...“
Der Krante fieht baftig nach der Unterfchrift. „Wera
Czakaroff.“ — Wera Czakaroff? Der Name ift ihm fo
befannt, wo börte er ihn bereits? Daniel reibt fich Die
brennende Stirn, plößlich zudt er zufammen, ein gurgeln-
der Laut der Aberraſchung ringt ſich über feine Lippen.
Lenas Mutter! Wie kommt ein Handichreiben von ihr
in ben DBefit des Fürften Sobolefstoi? Er richtet [ich
verfiört in den Kiffen empor, und der treue Pfleger
Ihlägt die Senfterborhänge zurüd.
„zieber Gregor,“ lieft Daniel — vor feinen Augen
flimmert es vor Aufregung, das Blatt ſchwankt in feinen
Händen, und ein unartiluliertes Murmeln gebt plöglich
in ein Stöhmen und Röcheln über. — Seine Mutter
Bil
ſchickt ihren gefälfchten Totenſchein — feine Mutter ver-
läßt Mann und Kind — feine Mutter tft die Sängerin
era Szalaroffl
Ein markerſchütternder Schrei gellt durch das ſtille
Zimmer, und da Alexandrowitſch voll Entſetzen zuſpringt,
fällt der Körper des Kranken ſchwer und ſteif in ſeine
Arme zurüd.
Ein Schlaganfall! Pas Hochzeitshaus Hallt plößlich
wider von Den Angftrufen und dem Getreibe höchſter
Verwirrung. Noch lebt der Fürft, als ein Arzt an fein
Lager tritt, aber es fcheint eine Lähmung eingetreten zu
fein, die jeden Moment eine neue, tödlide Wieder-
bolung des Anfalls befürdten läßt. Noch find Die
Wagen nit aus der Kirche zurüdgelehrt, als ſich Die
erften Anzeichen neu erwachenden Bewußtfeins bemerk⸗
Bar maden. Fürft Sobolefstoi öffnet die Augen und
ftarrt regungslos ing Leere. Tränen rollen über feine
eingefunfenen Wangen, und ein Zug unaugfprechlichen
Echmerzes liegt um die Lippen. Da leert er den Becher
feiner Leiden bis auf bie lebte, Bitterfte Hefe. „Kann
wohl ein Weib ihres Kindleins vergeſſen?“ — Her»
niedergebrochen aus feiner ftrahlenden Höhe iſt das
©nadenbild, dag feines Lebens Kleinod gewefen — ja,
feine Mutter Hatte ihres Kindleing vergeſſen, hatte es
derlafjen in feinem SlIend, hatte von ihm feheiden fönnen
ohne eine Träne des Herzeleids! Verlaſſen war er ge—
wefen, verlaffen fein Leben lang. — In Lug und Trug
zerrann fein frommer Sinderglaube; nicht die engel»
gleihe Lichtgeftalt feiner Mutter trat an das Totenbett
Des Schmerzensreidh, all fein Leid von ihm zu nehmen,
ihn emporzutragen auf den heiligen Schwingen ber
Ziebe, dahin, wo die Märtyrer das Antlit Gottes ſchauen
— Statt ihrer kam die Berzweiflung mit verzerrten Lippen
und fchreit dem Sterbenden ins Ohr: „Deine Mutter
ging von dir und kennt dich nicht! Einen Stein Eonnte
beine Berlafjenheit erbarmen, deine Mutter erbarmte ſich
— — Ja, verlaſſen war er, verwaiſt bis in den Tod
inein!
Bl2
Horch, Wagen rollten drunten. Lena, das holde bräut-
liche Weib fehrt zurüd. Lena, Lena, feineSchmweiter!
— Ein wunderfames Beben und Zittern geht durch Die
Slieder des Eterbenden, ein tiefes Auffeufzen hebt
plöglich feine DBruft, und ein füßer, nie gefannter Friede
fommt über ihn. Lena, feine Schwefter! Wohin entfloh
plöglih Die wilde, verzweifelte Siferfucht, Die begebr-
liche Liebe feines Herzens? Still ift es plößlich in ihm
geworden, ein Jauchzen und Jubeln geht durch feine
Eeele: „Lena, meine Schwefter!* And die Starrheit
feines Armes löſt fih; er kann die Hände ineinander-
legen und beten. Tränen ftürzen aus feinen Augen, wie
verllärt lächelt das Antlitz des mißgeftalteten Mannes.
„Autter!“ ruft er laut, „vergib mir, wag ich foeben in
Gedanken an dir gefündigt!* Und dann zieht es Durch
fein Denken wie ein feliges DVBerftehen und Begreifen.
Nein, fie hat ihn nicht verlaffen, fie ging nur don ihm,
einen Öngel zu fenden, der länger und beglüdender als
fie das einfame Leben des Sohnes Thmüdtel Und fie
erbörte fein Gebet und nahm feiner Leiden ſchwerſtes
von ihm, das jeiner fchmerzensreichen Liebe. Nun war
der Sriede und das Slüd gefommen, nun fchaute er Die
lebenden Augen feiner Mutter, und Lena ftand por ihm,
nicht mehr das Weib feiner Sehnfucht, fondern die
Schwefter, deren Hand er fonder Leid und Qual in die
feines jungen Greundes legen fann. Sr faßt den ‘Brief
und reiht ihn Alexandrowitſch. „Berbrenne ihn!“ flüftert
er, „bier vor meinen Augen“. Pie Flamme fchlägt auf,
und Daniel ftarrt, mit weit offenen Augen in ihr Licht.
Sind wie fie fladert und glübt, fo zudt noch einmal die
Lebensflamme des Sterbenden empor. Das Fieber ſchürt
fte und malt ihm mit phantaftifchem Finger die wirren
Bilder ins Hirn.
Sr ift wieder in Misfow. Ber Sturm tobt um das
Schloß; Siskförner prafjeln gegen die Scheiben und im
Raudfang ſchrillt und faucht's wie Talter Geiſterſpuk.
inter feinen Füßen ſchwankt's — er bricht bernieder —
eisfalter Schmerz [chauert durch Rüden und Leib —
813
und wie er Die Augen: öffnet, da fchlagen Flammen em-
por und verfählingen das Bild feiner Mutter!
Daniel fchreit gellend auf, und AMezandromitich wirft
erfhroden die brennenden Papiere in den Kamin; in Der
Zür aber fteht Lena und eilt in bebender Angft an dag
Lager des Fürften, feine von Grauen geſchüttelten Glie—
Der mit den Armen zu umjchließen.
Da ftarrt er fie an wie eine Bifton, feine geframpf-
ten Hände Iöfen fi und umfchlingen ihren Naden.
„Mütterchen, Mütterchen, du kommſt doch noch zu mir!“
Sein Haupt ſinkt langſam zurüd, fein Auge, ſchon
halb gebrochen, ftrahlt auf in unendlidher Glüchſeligkeit,
voll ſcheuen Entzüdens; wie gebannt hängt fein Dlid an
der fchlanfen Grauengeftalt, die gleih einer &ngels-
erſcheinung vor ihm ſteht. — Ja, es tft feine Mutter;
Das weiße Gewand umglänzt fie, die blonden Locken
füffen ihre Stirn, und mit dunflen Augen neigt fie fich.
liebevoll über ihn, wie vor langer Zeit, Da te dem hilf⸗
log liegenden Kind zugeflüftert: „Set getroft, mein kleiner
Schmerzensreich, ich babe ein hartes Schidfal über Dich
gebracht, aber ich Tomme dereinft und nehme alles Weh
und Serzeleid wieder von dir!“
„Mütterchen, bift du bei mir?“ fragt er noch einmal
mit umflortem DBlid. Tränen erftiden Lenas Stimme,
fie neigt fich ſchweigend über ihn und küßt ihm die
Stirn.
Ein feliges, zitterndes Aufatmen, das arme zwergen⸗
hafte Haupt ſinkt an ihre DBruft, und Daniel Sobolefstot
fließt die Augen wie zu füßem Traum. Schwerer und
ſchwerer fällt er in ihren Armen zufammen, wie ein
Hauch weht’s noch einmal über feine Lippen: „Mutter!“
And dann wird’s ftill — totenftill.
Groppen, Jolante und Altenburg treten ein, ſchluch⸗
zend bricht Lena an dem Sterbebett gufammen, und der
General neigt ſich tief erjchüttert, Die erlalteten Hände
des treueften Sreundes zu küſſen.
Daniel ift nicht mehr verlajfen, fein Tächelndes Antlitz
fheint die Weinenden zu fragen: „Was Hagt ihr um
314
mih? Ich Habe gelämpft und gefiegt, und der Tod Hat
gefühnt, was das Leben an mir verfchuldet.“
— Fürſt Sobolefskoi ift in der Samiliengruft zu Mig-
kow beigefeßt, das Banner, das bei feiner Geburt zer-
riß und nicht erneuert wurde, raufchte feine Totenflage
in den Wind, als der Lebte des Geſchlechts zur ewigen
Ruhe gebettet wurde. Auf feinem Herzen lag eine goldne
Kapfel, feine Hände umfhloffen das Kruzifiz, das im
Eterbezimmer feines DBaters auf jener Stelle des Par-
Tetts gelegen, wo das Haupt des Srſchoſſenen gerußt.
Die rujjifhen Befißungen hatte der Verblichene einem
entfernten Berwandten, dem Strafen Arlowsk, teftamen-
tariſch zugefprocdhen, fein Barvermögen erbten die Töch⸗
ter des Generals von Broppen, und ein Kodizill ver-
machte das neuangefaufte Stammaut der Sreiherren von
Altenburg dem zweitgeborenen Sohn Sitel derfelben
Samilie zum Hochzeitsgeſchenk.
Das war eine große unbefchreiblidhe Freude für den
jungen Offizier, der erft Durch diefe Beftimmung den
wahren Namen des Käufers und die mehr wie freund-
ſchaftliche Lift erfuhr, durch die Fürft Sobolefstoi fein
und Lenas Lebensglüd gegründet. Trotz des außer-
ordentlichen Bermögens feiner jungen Gemahlin lebt der
Steiherr in [hlihten und doch vornehmen Berhältnijfen,
und Die einzigen Feſte, die er mit Vorliebe befucht,
find die des Hofes. Sr hat Lena in jene Galerie geführt,
in der der unerllärlihe Zauber der Hofluft ihn zur Er⸗
fenntnis feiner ſelbſt gebracht. Ihr allein verdantt er
das ©lüd, das ihm wie verheißungspolles Morgenrot
entgegenwinft.
Herr von Flanken ift ein berühmter Mann geworden.
Sein Bid ,‚Fuchs im DBau‘ Hat ſich der ehrenpollften
Kritifen zu erfreuen gehabt und ift für Hohen Preis nad)
einer. freien deutfhen Neichsftadt verfauft worden. Herr
von, Slanten überwies die Summe armen Malern in
Italien. Solante ftrahlte vor Stolz und drang ftürmifch
in den ®atten, ‚noch mehr Meifterwerfe zu fchaffen!‘
Da fein bejcheidenes Sträuben nichts Half, rettete er
316
fih durch eine Lift. „Out,“ fagte er, „ich babe einen
großartigen Gedanken, ich werde mal eine Benus malen!
Nur muß id) mich zubor nad) einem Modell umfdhauen!“
Da fand Frau Jolante plößlid), daß es des Ruhms
genug fet, und ſchloß ihrem Gatten fehr energiſch Binfel
und Leinwand in ben Ddiebesficheren Geldſchrank ein.
So mußte fi der gottbegnadete Künftler feufzend in
den barbarifhen Willen der Hausfrau fügen.
Sn der Dfteria bat die Entſtehungsgeſchichte bon
‚Fuchs im Bau‘ Iange Zeit Stoff zur größten Heiterkeit
gegeben, doch bat man ftets eine [ehr liebenswürdige
Diskretion gewahrt. Da Frau Jolante mit den Jahren
doch erfuhr, was ihr Oatte eigentlidy an dem Gemälde
gefchaffen hatte, — Das Loch und den Zitell — ſo habe
ih jet die Srlaubnis erhalten, das amüfante Geheimnis
auszuplaudern. Flanken, der fchmungelnd glüdliche
Hausherr, bat gar feine Angft mebr vor den Borwürfen
feiner Grau, denn das ‚Sifchen‘ ift eine ſehr behaglich
Dide kleine Mutter geworden, die fich voll beneidens«
werten Phlegmas im Schaufelftuhl wippt, fich von ihrem
©oliath jede Sreppenftufe berauftragen und bei jeder
lleinſten Gelegenheit ritterlich bedienen läßt. Sr gehorcht,
noch ebenjo galant und verliebt wie als Bräutigam
je!em ihrer Winfe, und fie revandhiert ji) dafür und
ißt jeden Donnerstag voll ſichtlichen Bergnügens Sauer-
traut und Bötelfleifch mit ihm.
Die Ehe des Freiherrn pon Alenburg iſt für Das
große Publitum etwas ganz Außergewöhnliches: ein
junges Paar, das fih nicht in den Strudel der Welt
ftürzt, fondbern feines Glückes höchſte Bolllommenbeit in
dem ftillen traulichen Heim findet, das will heute nie-
mand mehr recht begreifen! Wer aber einen Blid in
Diefe ftille Häuslichleit getan und ſich an all der Liebe
und dem neinanderaufgehn das Herz warm geſchaut
bat, dem ift’s zu Sinn, als trete er aus ſchwülem ſtau⸗
bigem Jahrmarkt in den frifhen Morgenwind Binaus.
Srfula bat es längſt aufgegeben, dieſe Binfiedler
hinaus zu Epiel und Zanz zu Ioden. Gräfin Lohe ift
316
volllommen Weltdame geworden, und zu Mark⸗Wolff⸗
raths größtem Amüfement ift es fogar ſchon vorgekom⸗
men, daß fie ihn wegen DBernadjläffigung feines äußeren
Menſchen — er hatte vergeffen, fi den Schnurrbart
etwas ‚[chid‘ brennen zu lajfen — ganz entrüftet ge-
tadelt hatte!
Die Hofluft ift ihr Lebenselement geworden, und
als Herr von Kuffftein nebſt dem Herrn Doktor zum
erftenmal zu Beſuch kam, da ftemmte er die Hände in
Die Seiten und fragte mit verſchmitztem DBlinzeln: „Na,
Urſchel⸗Purſchel, wollen wir wieder eine Dierreife
maden und 's mit. den dreffierten ®änfen ristieren?“
Diesmal fand feine Tochter folch eine Idee ‚haarſträu⸗
bend!‘, und Bara Julius räfonnierte: „Der Mark⸗Wolff⸗
rath verdirbt alle guten Sitten; Der Dengel geht nur
dahin, wo's ein Heidengeld Entree Eoftetl“ Und er jer-
bierie dem Herrn Doktor noch ein Frankfurter Würftchen
und wuchtete dapon, um ‚den Flanken‘ abzuholen.
Dort öffnete ibm Franuſch Niekchen die Tür. Er
Batte feine Zeit abgedient und war bei feinem Herrn
‚Rittmeifter‘ als Lipreeburfhe weiter im Pienjt ge»
blieben. Aber der brave Niekchen ſah recht nieder-
gedrüdt aus, ftill und ergeben, magerer und blafjer als
fonft. Dem übermütigen Monfieur war auch vom Schid«-
fal übel mitgefpielt worden. rat er da eines Tages
kreuzfidel vor feinen Herrn und ſprach: „Leutnant! trog’
ich feit geftern Ringel am Finger!“ und er präfentierta
einen gewaltigen Siegelring mit Achatftein. „Hot ſik
Köchin altes vermögendes von Seneral Sroppen olle
Singern abgeledt nach mir, Hot fie mir gemadt plau-
fibel, daß niz heiraten iS gutt, heiraten abber is beifer.
Hob ich gefaggt: wann Warianka will fein Taubchen
fanftes guttmütiges, full fie werden Frau vom Franuſch
Niekchen — und nu iS Hochzeit in nächſte Woch', wann
niz is Dreckwetter.“
Flanken Hatte bedenklich das Haupt geſchüttelt und
den betörten Jüngling geiwarnt, aber das Sparkaſſenbuch
der alten Heiratsluftigen blendete feine Augen. So var
317
das Malbeur gefhehen. Als Niekchen nad einem
Vierteljahr kläglich vor feinem Gebieter erfchten, mit
fünf roten Zingerabdrüden auf ber Wange, und ehrlid)
befannte: „Is ſik niz Taubchen, Rittmeifter, is fil
Drache, alter biffiger!* da Tam guter Rat zu ſpät,
und Herr von Flanken nidte nur: „Siehſte wohl!“
®eneral von Groppen nahm nach kurzer Zeit feinen
Abſchied und zog fi aufs Land zurüd, ein eifriger
Nimrod zu werden. Die Hofluft war ein allzu gefähr-
ih Gift und taugte nicht für ihn, darum ging er Ihr
aus dem Wege. Sr war charalterfeft genug, fi) noch
rechtzeitig dem verführerifhen Zauber zu entziehen,
Dem der junge Graf Antigna in fo trauriger Weije zum
Opfer gefallen war. Gine ezxzentrifche und eigenartige
Natur war diefer wohl ſtets gewefen, und der Um⸗
Ihwung, der den menſchenſcheuen Gelehrten aus dem
Etudierzimmer plöglihd auf den Nizenfee fptegelnden
Barletts fchleuderte, mußte wohl zu groß geweſen fein.
Da umtvehte es ihn füß und fchmeichelnd und fant wie
ein rofiger Schleier über feine Augen, daß er blindlings
in Die fremde, Iodende Welt Bineintaumelte.e Vom
Schreibtiſch ans Shampagnerbüfett, aus der nüchternen
Ginſamkeit des Studierzimmers in die tollen Wirbel
großftädtifchen Lebens! — Ja, wäre es bei den Hof-
feften geblieben! Die Flöten und Geigen aber, die ihm
dort ſo zauberifch entgegenflangen, gliden nur dem
Lied der Nachtigall, es rief ihn in die blühende wonnige
Welt, unfhuldig Daran, wenn er auf Abwege geriet, Die
finfter und voll wüften Lärms waren.
Diele nannten den jungen Grafen verrüdt, da er in
faft Tranfhafter Dorliebe für rote Mohnblüten fein
Zimmer täglich mit diefen Blumen ſchmücken ließ; auch
Das Dpiumraucden führte man auf die Paſſion zurüd.
Seit Brinzeffin Cordelta verlobt war, und die Feſte der
Caifon fich jagten, Hatte er diefe unfelige Angewohn-
beit in unvernünftigfter Weife übertrieben, und es war
318
nur eine ganz natürlihe Folge, daß das Gift fein
Opfer forderte. Sin ſchweres Nerbenfieber Brady ihn
nieder, wie der Froſt über Nacht die roten Mohnblüten
auf dem Felde Inidt, und als die Sadeln zur Hochzeits-
feier der Brinzejfin in feierlihem Tanze dur) das
Schloß flammten, neigte Henry Antigna das Haupt und
Ihloß die Augen zum ewigen Schlaf.
Seine Mutter aber nahm ein Meines Bild von ber
Bruſt des Toten und legte es auf einem Strauße welken
Mohns in die Kaminflammen, — zum erftenmal im Leben
‚zitterte die weiße, energifhe Frauenhand.
Als aber der Weihrauch durch den Saal mwallte, und
alle, die da einen großen Namen hatten, fich perfammel-
ten, Dem Berftorbenen die legte Ehre zu erweifen, ſtand
Gräfin Antigna wie gewohnt inmitten Des Gemaches
und neigte das Haupt zum Gruß. DBleich und ruhig
wie ſtets war ihr Antliß, nur das verbindliche Lächeln
fehlte, und die Tränen, die an den Wimpern perlten,
entjtellten nicht. Seft und zwingend wie einft auf Henrys
Schultern, lag ihre weiße Hand auf dem Saupt Des
jüngften Sohnes.
DBlumenfülle dedte den Sarg, das Auge der Gräfin
aber weilte unverwandt auf dem glänzenden Ritterhelm,
der zu feinen Häupten ftand. Und fie atmete hoch auf
und bob ſtolz den Naden; hatte fie auch den Sohn ver⸗
Ioren, fo gab fie ihn doch dahin als ein gräflich Blut,
als ein unverfälfchtes Reis von altem Stamme, des ein«-
iger Schmud nur Helm und Schild und nicht ein Doltor-
hut gewefen.
SHofluft war’s, die Sräfin Antigna geatmet hatte, feit
fie felbftändig die Füßchen regen fonnte, und all die
Heinen Stäubchen konſervativer Treue, die darin wehten,
waren ihr zu Fleifh und Dlut geworden, zu einem
Panzer altariftofratifcher ©efinnung, der moderne Ans»
ſichten troßig abwehrt und lieber aufopfert, ehe er fich
Dem neuen Zeitgeift fügt.
a, Hofluft, du feltfame unerforfhlide Zauberin,
mannigfah wie die Garben des Regenbogens jchillert
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dein Duftiger Hauch, und taufendfach, wie die Lippen, Die
dih atmen, ijt der Sinfluß, den du auf die Seelen übft.
Webe deine geheimnispollen Schleier weiter um die
Stirne, fülle mit Begeifterung und ftolzer Treue Herz und
Sinn und flüftre mir auf wiegenden Klängen auch ferner«
bin deine wunderfamen Mären ins Ohr — Hofluft, Du
lieblich Gemiſch von Sonne, Mond, Sternenglanz und
Beilchenduft! |
SITY OF MINNESOTA
NN