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Full text of "Nataly von Eschstruth. Hofluft (vollständiger Roman, ohne Illustrationen; List 1922, Kap 1-26)"

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Hofluft 


Nataly von Efdffruth 


Hofluft 


Roman 


Paul Lift Verlag Leipzig 


Alle Rechte vorbehalten 
KEopprigbt 1922 by Baul LIR, Leipzig 


r A a, COM. 


51. 


Spamerfhe Buhdruderet in Lelpzig 


Erſtes Rapitel 


E83 war Frühling geworden. Lange Zeit hatte Die 
Newa geduldig den Naden unter das Jod) Des Winters 
gebeugt, hatte den eisgligernden Panzer getragen, Der 
ihre ftolz wogende Flut ſchmal und ftarr zufammenpreßte, 
und wie die Wagen der Triumphatoren ehemals über 
den Leib des bejiegten Feindes ftürmten, jo rollten Die 
Laſtfuhren, Elingelten die Schlitten und fauften die drei— 
fpännigen Chariots voll feden Abermuts über die ge- 
feffelte Nize, die Beherrſcherin der alten Zarenftadt. 
— As aber das bunte Getriebe der Petersburger 
immer berausfordernder wurde, und die gewaltige Kris 
ftallbrüde der Newa gar zu viel des rajtlofen Lebens 
ertragen mußte, da erglühte Das Tagesgeſtirn voll Zorn 
hinter den Schneewolfen, trieb fie auseinander wie 
Nebelgebilde und forderte mit goldenen Pfeilen den 
Winter zum Kampf. Und nicht lange währte eg, da trieb 
eine impojante Waſſerfläche ihre blauen Wogen zwifchen 
Den Eteinwällen des Kais und den Sranitwänden der 
Zeftung hindurch, an den Bärten des Fürſtlich Sobolefs- 
toifhen Palais vorüber. 

Diejer uralte prächtige Bau lag etwas erhöht über 
dem terrajfenartigen Park und gewährte aus feinen 
boben Fenſtern einen köſtlichen Ausblid über die Stadt. 
Durd) dag zarte Maigrün der Bäume fah man über eine 
weite, plabartige Ebene hinab auf die entfernteren 
Straßen und Dächer, aus denen in gedrängter Fülle 


5 


Kuppeln und Kirchtürme, koloſſale Tafernenartige Ge⸗ 
bäude und darüber Die finfteren Feſtungsmauern empor» 
ragten. 

Die Balkontür zu einem der Mittelfalons ſtand ge- 
öffnet, und die Sonnenftrahlen, Die das Zimmer über- 
fluteten, verrieten jeßt erft völlig die pomphafte Pracht, 
Die der Winter fo lange Hinter feinen Dämmerungs“ 
ſchleiern verftedt Hatte. Wenn der alte Ausſpruch: 
‚Bon der Einrichtung eines Zimmers läßt fi auf den 
Charakter des Bewohners ſchließen', richtig ift, fo mußte 
Diefes Boudoir im Palais Sobolefskoi von der ele- 
gantefien, penibelft modernen, zarteften und anmutig- 
ften Frau bewohnt werden. In gefhmadooller Weife 
waren die einzelnen Stüde des Ameublements zufam« 
mengeftellt. Unzählige Heine Koftbarfeiten lagen auf 
Tiſchchen und Konfolen ausgebreitet, rofa Schleier ver— 
büllten die Lampen, weiche Atlastiffen bildeten trauliche 
Eckchen, und wo man auch binbliden mochte, überall 
dien eine ideale, weihe und unendlich verwöhnte 
Stauenhand zu walten. Dennoch beherbergte das Palais 
Eobolefstoi feine Dame, und in dem entzüdendften aller 
®emäder, por feinem Schreibtifh, ſaß einfam Die 
ſchlanke, etwas krankhaft hagere G©eftalt eines Herrn, 
um deſſen Schläfen fi) dag Haar, wenn auch voll pein- 
liher Sorgfalt jugendlich frifiert, fo doch fehon grau und 
ſpärlich Iodte. 

Fürft Gregor Sobolefskoi, der Kammerherr bes Zaren. 

An feiner wie durchſichtig weißen Hand ſprüht ein 
Diamant von feltener Schönheit, das Shrengefchent eines 
Sroffürften, das dieſer dem erprobten Freund Des 
Kaijerhaufeg bei feinem fünfzigjährigen Pienftjubtläum 
an den Singer geftreift hat. 

Sünfzig Jahre im Pienft des ‚Hofes! Fürſt Sobo- 
lefefoi hat als zehnjähriger Knabe feine erften Pagen«- 
dienfte getan, als achtzehnjähriger Züngling als Reife» 
begleiter und SKammerberr feine Stellung bei einem 
der kaiſerlichen Prinzen offiziell angetreten, nachdem 
er bereits von klein auf ftändiger Oaſt in der Kinder- 


6 


— 


ſtube des Winterpalais und des Gatſchindger Schloſſes 
geweſen. Fünfzig Jahre! Wie ſich eine Pflanze mit 
tauſend feinen und unlöslichen Wurzelfaſern feſtſaugt 
und anklammert an den Boden, der ihr zur Heimat ge⸗ 
worden, fo iſt auch Gregor Sobolefskoi mit dem höfiſchen 
Parkert verwachſen, ſo iſt auch er mit unzähligen Banden 
ber Hofluft verfallen, die für ihn jedes Sein und Exi—⸗ 
ftieren bedeutet. Das DBermögen des Fürften ift un« 
gebeuer, er beſitzt Ländergebiete, die er nie in ihrer 
ganzen Ausdehnung geſchaut, er bat Reichtümer bei 
in- und ausländiiden Banken angehäuft, er könnte 
felbft einen Hofftaat Halten und wie ein Heiner König 
sein Sebiet regieren, und Dennoch beugt er voll fana- 
tiſchen Eiferg fein Haupt im Pienjte des Zaren, Deifen 
fleine Winte und Befehle für ihn zum Inbegriff des 
Lebens geworden find. Fünfzig Jahre am Hof! 

Ale Fäden der harmloſen und nicht harmlofen In⸗ 
trigen, die Das tägliche Leben in Fürſtenſchlöſſern um- 
Ipielen und feine Luft erfüllen, waren entweder durch 
die Hände Sobolefstois gelaufen oder doch voll bren» 
nenden ntereffes von ihm beobachtet worden, und 
ohne dieſen Heinen Klatjch, der jedesmal für ihn Die 
Richtigkeit einer ‚Krife‘ annahm, deuchte Ihm Das Leben 
unerträglich langweilig. Fürft Sobolefskoi Tannte alle 
Elemente der Geſellſchaft und war von allen gefannt, 
es gereichte zu feiner hohen Befriedigung, überall mit 
ein paar vertrauliden Worten die Hand zu fchütteln 
und mit diftinguierten Leuten intim zu fein und höchſt 
wichtigen Geſichts mit irgendeinem Würdenträger zu 
tuſcheln und zu flüftern, wenn ein Bublilum dazu an«- 
wefend war. 

Als Kammerherr wurde ihm in fpäterer Zeit meiſt 
das Ehrenamt, den Hof bei Feierlichkeiten in auswärti«- 
gen Refidenzen zu vertreten, und alsdann fonnte er 
ſich im Slanz der Fürftenfronen, die ihm jedesmal einen 
Etrahl in Form eines Ordens gegen die kreuz⸗ und 
flerngepanzerte Bruft warfen. Der Jubel des Volkes, 
Dpationen und KRundgebungen waren ihm äußerſt ſym⸗ 


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pathiſch und berührten ihn, der fo völlig mit dem Hofe 
verfhmolzen war, genau fo angenehm, wie den Hohen 
Herrn, dem fie gegolten. 

Zage, an denen er feine Hofluft atmen fonnte, zählte 
er zu den verlorenen, und der Gedanke, ſich durch irgend⸗ 
eine Unvorſichtigkeit die Huld des Zaren zu verſcherzen 
und dadurch ſeiner Stellung verluſtig zu gehen, hatte ihn 
fünfzig Jahre lang wie ein Geſpenſt verfolgt. Fünfzig 
Jahre lang! Und heute ſaß Gregor Sobolefskoi vor 
ſeinem Schreibtiſch und wollte die ſpitze kleine Feder am 
goldenen Halter zu einem ſcharfen Schwert machen, 
das mit einem einzigen Schlag all die Bande, Fäden 
und Wurzeln zerſchlagen ſollte, die den Fürſten mit 
dem kaiſerlichen Hof verbanden. Die Feder des alten 
Höflings tanzte voll nervöſer Haft über einen großen 
weißen Bogen, und die Orden auf der Bruſt Hirrten Ieife 
aufammen, als wollten fie wehllagen über ſolch uner- 
börtes Beginnen. 

Fürft Sregor Sobolefsfoi erbat vom Zaren die ©nabe, 
aus feinem langjährigen Dienft als Kammerherr ent- 
laffen gu werden. 

Das Sonnenlicht flimmerte über das ergraute Haupt, 
und der Echreiber zog fein duftendes Spigentafchentudh, 
es mit all jener Brazie, die ihm zur zweiten Natur ge» 
worden, über Die hohe Stirn zu führen. 

Dann entzündete er eine Wachslerze, kuvertierte das 
Schreiben und drüdte ‚voll umftändlicher Genauigkeit 
das Siegel darauf. Einen Augenblid ftarrte er regungs- 
los auf den inhaltſchweren Brief, Dann erhob er fi 
tief aufatmend, um an die offene DBallontür zu treten. 

Eine jede Bewegung des alten Herrn war von Seltener 
Blaftizität und der wohlbemeifenen Sleganz, die zwiſchen 
dem ©edenhaften und Formvollen ftets fcharf die Grenze 
hält. 

Das Antli war ſchmal und ſcharf geſchnitten, die 
Augen in tiefdunkler Umrahmung lebhaft und ausdruds- 
doll. Seine Kleidung war ſtets das Ergebnis peinlicher 
Eorgfalt, und obwohl über der ganzen Erſcheinung Sobo- 


8 


lefstois eine etwas weichlidhe, beinahe weibiſche Sua- 
bität lag, war der Fürſt dennoch ein anerkannt geiftooller 
Mann, der nicht allein auf dem Parkett, fondern auch 
auf mandhem Geld der Wilfenfchaft zu Haufe war. 

And nun wollte er alles aufgeben, was ihm von FKin- 
Desbeinen an zur Unentbehrlichteit geworden war, alles, 
was bisher fein Leben ausgefüllt Hatte, und alles, woran 
fein Herz und Derfiand mit taufend Banden Bing! Sein 
Herz — nein, eben dieſes Herz hing nicht mehr an jener 
purpurfarbenen Pradt, die ihn poll ftarrer Unerbitt- 
lichkeit von feiner Liebe trennte. 

Das Undentbare, Unglaublidhe, das die Petersburger 
chronique scandaleuse fhon längere Zeit als ſchwebendes 
®erüdt erfüllte, war zur Tatſache geworden. 

Fürſt Oregor Sobolefstot, der Lebemann und einge- 
fleifdte Junggefelle, der ein halbes Jahrhundert lang 
faltblütig an der vornehmften und verführerifchiten 
Frauenſchönheit aller Herren Länder porübergegangen 
war, Fürſt Gregor hatte fich mit grauem Kopf: noch ver- 
liebt — wahnwitzig und finnlos, wie ein berblendeter 
Knabe. Und in wen? 

In eine Sängerin! Sie war am SHoftheater N 
fang mit mäßiger Stimme die Agathe und Norma und 
blidte Dabei jo ſchwärmeriſch und ſanft aus ihren braunen 
Zaubenaugen in das Publitum und fchüttelte die licht» 
Blonde LZodenfülle fo ſchmachtend in den Naden, daß fich 
alle Männerhände wie bypnotijiert zu ftürmifhem App» 
laus erhoben. Aber die dunklen Augen in dem zart 
ovalen Geſicht und die goldene Haarfülle bildeten aud) 
die einzige Schönheit der Mademoijelle Sglantina Ruz- 
solane. 

Mademoifelle Sglantina war eine leidlich intereffante 
Berfon, die gut in ihre lyriſchen Rollen paßte. Daß fie 
aber das verfteinerte Herz des anſpruchsvollſten aller 
LZebemänner in fo ernfte und heiße Flammen verfeßen 
fonnte, daß er alles aufgab um ihretwillen, das war 
und blieb der Petersburger Geſellſchaft ein großes und 
unlösbares Rätfel. 


Eobolefstot war auf den Balkon binausgetreten und 
ftarrte gebanfenvoll auf das wogende Newawaſſer, auf 
die fonnenbligenden Dächer und Kuppeln des nordifchen 
Peris. Auch don dieſer, fo unendlich geliebten Heimat, 
an die fich die glüdlichften Srinnerungen fnüpfen, haben 
ihn die zierliden Federzüge in dem Briefkuvert auf 
dem Echreibtifch Drinnen getrennt, denn wenn Sglantina 
fein Weib wird, ift feines Bleibens nicht länger in 
Petersburg. Und das ift gut. 

Der Fürſt ift eiferfühtig wie ein Türke, und der 
Gedanke, fein Weib fo weit wie möglih aus Hiefigen 
Derbältnifjen zu entfernen, in tiefiter Einſamkeit feiner 
Güter mit ihr allein und nur für fie allein zu leben, hat 
etwas DBezauberndes für ihn. Sr wird wieder jung 
werden in ſolchem Maienglüd idylliſcher Flitterwochen, 
er wird voll Sntzüden feine Freiheit genießen und auf- 
atmen, wenn der läjtige Zwang dieſes Mafchinenlebeng 
poll Dienft und wieder Dienft endlich abgeftreift ift! 


Sglantinas dunfle Augen werden ihm in taujend» 
mal mwonnepollerem Glanz erftrablen, als alle Fürften- 
fäle der Welt, und die goldenen Loden werden ihn 
mit magijcheren Banden umftriden, als all die Ordens» 
bändlein und goldenen Steffen, die ihn mit dem Hof 
verknüpfen! Ia, Fürft Sobolefskoi ift feft entjchloffen, 
alles in die Wagfchale zu werfen. Sr verlacht die Mah- 
nung treuer Steunde und fendet einen reitenden Boten 
nad; dem alten, unendlidy einfam gelegenen Schloß am 
Etrand der Oſtſee, damit es fich mit DBlütengewinden 
und Fahnen ſchmücke, feine junge Herrin zu empfangen! 

Fürſt ©regor [haut lächelnd über die Lenzespradt, 
mitten in die Zulunft hinein, und reißt fi gewaltfam 
aus den Träumen, tritt in das Boudoir zurüd und 
ſchreibt mit den ftürmenden Bulsfchlägen eines Füng- 
lings einen zweiten Brief. 

Diesmal zeigt das rofige Papier ein pruntvolles Wap⸗ 
pen unter der Fürftentrone, und im Nebenfalon wartet 
ein gigantilches Bulett aus Paris, aus lauter Drangen- 


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Blüten und „Drennender Liebe“ zufammengeftellt, das 
fol! dem DBillett die nötige Folie geben. 

Fürſt Oregor Sobolefstoi Hält in aller Form um bie 
Hand der Demoijelle Sglantina Ruzzolane an. 


Der Zar hatte einen Heinen Maiausflug nah Gatſchina 
unternommen und beabfichtigte, etlihe Sage in Be— 
gleitung feiner Familie in Diefem jo außerordentlich 

anmutig gelegenen Schloffe zu verleben. 

WVor feiner Faſſade Hatte die fürftlid Sobolefskoiſche 
&quipage gehalten und war dann langfam, an dem Denk⸗ 
mal Bauls I. vorüberfabrend, in eine der Barlalleen 
eingebogen. 

Die beiden riefigen Zfcherkeffen, die mit Dolch und 
Biltolen im Gürtel in der Vorhalle die Wache bielten, 
Hatten der ſchmächtigen Geſtalt des Fürften wie etwas 
ſehr Alltäglihem nachgeſehen, als er in großer Kammer- 
berrnuniform, leiht und etwas hüpfenden Schritteg die 
. ‚Spldene Treppe‘ emporftieg. Sonjt hatte der alte Höf- 
ling unter dem Deckmäntelchen graziöfer Bofe die Hand 
- meift auf das pracdtoolle, im Renaiffanceftil gehaltene 
und ſchwer vergoldete ©itter geftüßt, weil er troß Der 
Läufer befürchtete, auf den glatten Marmorftufen aus- 
zugleiten; heute tänzelte er fo frei und ficher die Stufen 
binauf, als habe er vollftändig vergeffen, daß es fhon 
über fünfzig Jahre ber war, feit er zum erftenmal als 
Knabe diefen Weg gegangen. 

Der Kammerdiener des Zaren trat ihm entgegen, und 
an ihm vorüber jchritt Sobolefstoi in das Borzimmer, 
in dem der Adjutant ihn ftets mit en Gruß 
empfangen hatte. 

Heute ſaß dieſer in einem Seſſel am Fenſter, blickte 
mit zwinkernden Augen von ſeinem franzöſiſchen Journal 


auff, erhob ſich in Fühl-formellem Gruß und wandte ſich 


ſehr oſtenſibel ſofort wieder ſeiner Lektüre zu. 
Einen Moment war der Kammerherr befremdet, dann 
zuckte ein etwas ironiſches Lächeln um ſeine Lippen; 


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ſchweigend nahm er Platz und wartete, bis er zu Seiner 
Majeftät befohlen wurde. 

Die Audienz dauerte nicht lange, aber die Stimme 
des Zaren Mang laut und heftig, in jeder Silbe ver- 
ftändlich Big in das Vorgemach hinaus. 

Der Adjutant hatte feine Zeitung längft auf Den 
Tiſch zurüdgeworfen und war mit leifen Schritten in 
dem ®emad) auf und nieder gewandelt. 

„Graf Karnitheffl 

Der Offizier wandte fi jählings zurüd. Zwiſchen 
den Portieren Stand Die impofante ©eftalt der verwitiwe- 
ten Palaftdame Madame de Louz. 

„Frau Baronin befehlen?“ Karnitcheff glitt * eifrig 
herzu und Füßte die Dargebotene Rechte galant über dem 
hohen ſchwarzen Handſchuh. 

„Wie ſteht es mit nn Gibt er nach?“ 

„sch fürchte, nein!“ 

„Majeſtät find erregt... ah ... ich böre ihn deutlich 
reden. Karnitcheffl Iſt denn der Fürft von allen guten 
©eiftern verlajjen, daß er noch zu widerjpredhen wagt? 
Nun denn — wie man fich bettet, jo liegt man — bier 
ift Fürſt Sobolefstri von Stund an unmöglich ge⸗ 
wordenl“ 


„Natürlich unmöglich!“ triumphierte Straf Karnitcheff 
und möchte abermals die Hand Der reizenden Witwe 
küſſen, ſie winkt ihm jedoch haſtig ab, lächelt ihm zu 
und rauſcht mit endloſer Trauerſchleppe über die Tür— 
ſchwelle in die Vorhalle zurück. Als Fürſt Sobolefskoi 
mit hochgerötetem Antlitz in das Vorzimmer zurücktritt, 
ſteht der Adjutant am Fenſter und ſcheint anfänglich 
das Eintreten des Kammerherrn zu überhören; erſt, als 
ihn der alte Herr, höflich wie immer, anredet: „Leben 
Sie wohl, Graf Karnitcheff, ich werde wohl nicht mehr 
die Freude haben, Sie noch einmal in Diefen Räumen 
wiederzujehen!“ wendet er fich kurz um, ignoriert Die 
Dargebotene Hand und verneigt fich Talt und ftumm mie 
ein Pagode. | 


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„Wetterfahne!“ denkt Sobolefstot und wendet fich 
zur Zür. 

As er die Halle durchichreitet, fieht er Die beiden 
Komteſſen Imanoff und Madame de Louz in eifrigem 
Geſpräch vor den Privatgemädern der Kaijerin fiehen. 

Madame de Louz war ſtets feine gute Sreundin, die 
ihn Durch taufend Meine Liebenswürdigfeiten geradezu 
verwöhnt hat, auch die beiden Komteffen hatten ihm ftets 
nur die [hönften Dinge gejagt. Sr will feiner Gewohn- 
beit gemäß mit ein paar heiteren Worten zu den Damen 
berantreten, bleibt aber ganz betroffen ftehen, als ſich 
die Köpfchen faum halb zur Seite wenden, als ein un« 
definierbarer Blid ihn pom Scheitel bis zur Sohle mißt 
und die drei DBegleiterinnen der Zarewna mit kaum 
merklichem Gegengruß an ihm vporüberjchreiten. 

Fürft Sobolefstot ift unmöglich geworden. Sinen Mo⸗ 
ment trifft es den alten Herrn doch wie ein feiner Stich 
ins Herz, dann lächelt er abermals. Narr, ber er ift, 
zu vergeffen, daß Madame de Louz’ idealfter Traum ein 
alter ®atte mit gutem Namen und großem Dermögen 
ift, der ihr bald zum ziweitenmal den Witwenſchleier 

über das rotblonde Haupt breiten wird! Der Kammer- 
herr bleibt zögernd ſtehen und läßt den Dlid umber- 
(chweifen. Zum Ießtenmal ftehbt er auf dem Marmor- 
boden von Satfchina; wenn er die Schwelle überjchreitet, 
fällt die Tür Hinter ihm ins Schloß und fchiebt auf 
ewige Zeiten ihren Riegel zwiſchen ihn und den Hof 
des Zaren. In hoher Ungnade hat ihn der Kaifer ent- 
laffen, Hat ihn für immer aus feiner Umgebung ausge» 
[hteden, und daß fein Bittgeſuch jemals den Abgrund 
folder Berbannung überbrüden kann, weiß Sobolefgtot. 

Mit Bligendem Auge batte der hohe Herr vor ihm 
geftanden: „Sie find ein Narr, Sobolefstoi, wenn Gie 
glauben, in der Liebe eines unebenbürtigen Weibes 
Ihr Süd zu finden! Ihr ganzes Dafein wurzelt in 
Ihrer Stellung, Sie werden verſchmachten und erftiden 
wie der Fiſch auf trocknem Lande, wenn Sie feine Hof- 
luft mehr atmen!“ en 


13 


N 


Eolite der Zar recht haben? Langfam ſtrich GOregor 
über die Stirn und lächelte, aber er ſog begierig den 
Duftigen Hauch ein, der durch die Korridore wehte. 
Ia, das war Hofluft!l Wer kannte fie beffer als er? 
Balſamiſch und wunderfam feierlich, füß und ftreng zu- 
gleich, ein Gemiſch von ‚Sonne, Mond, Sterne, Himmelg- 
glanz und DVeilchenduft‘, wie Jean Paul ehemals voll 
enthuſiaſtiſchen Entzüdens aus Thüringen gejchrieben. 


Zweites Kapitel 


Die kurländiſche DBefitung des Fürſten Sobolefskoi 
dehnte ſich in außerordentlidem Fächengebiet an dem 
Etrande der Oſtſee entlang. Auf dem höchſten Punkt 
einer kurzen Hügelfette ragte ein koloſſaler, Tlofterartiger 
Schloßbau mit unzähligen Türmen und Türmchen gegen 
den blaugrauen Himmel empor, ein trugiger Marfftein 
am DBaltifchen Meere. 

Es war einfam bier, viel einfamer als es ſich Fürft 
Sobolefskoi und feine junge Gemahlin vorgeftellt hatten, 
aber in der erſten Zeit feines jungen Sheglüdes hatte 
der Kammerherr dieje Abgejchiedenheit von aller Welt 
geradezu vergdttert, und Fürſtin Gglantina tröftete 
ſich in dem Gedanken, daß ſolch ein — ja nicht ewig 
dauern Fönne. 

Das Glück iſt eine ſchiliernde, eilig dahinſchwebende 
Kugel, und auch der ſüßeſte Duft einer Roſe verweht ‚mit 
der Zeit. 

Die Gewohnheit aber tft ein ruhig und ſicher daher⸗ 
ſchreitendes Weib, in grauem Nonnengewand, mit Talten, 
unendli nüchtern blidenden Augen, Das greift mit Jerber 
Hand jegliden Flitterftaat und reißt ihn erbarmungslos 
herunter, das dedt unerbittlih alle Mängel und Fehler 
auf und zerfchlägt die rojigen Brillen, die der Optimis- 


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mus dem fhwärmerifhen Menfchenkinde vor die Augen 
gefchoben. 

Wenn Mademoifelle Sglantina bei günftiger Beleuch- 

tung auf der Bühne ftand und durch die Worte und 
Melodien, die andre erfonnen, das Publiftum entzüdte, 
war es begreiflid, daß Fürſt Sobolefskoi fich ein Leben 
an ibrer Seite fo interefjant und anregend wie nur 
möglich dadte; und wenn er fie nun im Schloß von Mis⸗ 
kow ftundenlang auf einem Piwan liegen ſah, apathiſch 
und gelangweilt, jo war eine herbe Enttäuſchung unaus- 
bleiblich. Die junge Fürftin war eine Außerft gutmütige 
Stau, die fidy troß ihrer zweijährigen Bühnenlaufbahn 
überrafchend viel Moral und gute Grundſätze bewahrt 
Datte, aber fie war ein unbefchriebenes Dlatt, ohne Er» 
ziehung, ohne Kenntniffe und ohne den mindeften Zrieb, 
ſich ſolche anzueignen. 

Anfänglich hatte Eglantinas Geiſt noch von den Pe» 
tersburger Srinnerungen und Gindrüden gezehrt, hatte 
Durch die Stemdartigfeit der neuen Umgebung und durch 
den Reiz, ‚Sürftin zu fpielen‘, für furze Zeit Nahrung 
erhalten; als aber ein halbes Jahr verftrihen war und 
jeglihe Anregung von außen mangelte, da wurde der 
Derfehr mit ihr immer nücdhterner und langieiliger. 
Fürſt Sobolefskoi aber, verwöhnt durch Konverſationen 
und lebhaft berührt durch jegliche Tagesfragen, die 
ihm die zahlloſen Zeitungen und Journale wie ein Echo 
aus der großen Welt zuriefen, empfand es geradezu als 
Qual, nicht das mindeſte Entgegenkommen auf ſeine 
Paſſionen bei Eglantina zu finden. 

Anfänglich Hatte er ſich an dem Gedanken berauſcht, 
ihr Lehrmeifter zu werden und fie zu fi) beranzu- 
bilden, doch wurde es ihm bei feiner nerböfen, unge» 
duldigen Natur bald zur Alnerträglichkeit, in die ber» 
ſtändnislos aufgeriffenen Augen feiner Gemahlin zu 
fehen, die durch ihren geiftlofen Ausdrud jeglichen 
Scharmes verluftig gingen. 

&r flüchtete in fein Zimmer zurüd, und ſchon flieg es 
bie ein graues, unheimliches Sefpenft aus dem Paradies 


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der Illuſionen empor. Da ftieg noch einmal die Sonne 
am Horizont empor und verjcheudhte Die Nebel, Die 
alles Slüd zu verfchlingen drohten. 

Fürſtin Sglantina ſchenkte ihrem Satten ein Söhnchen. 

Eine unendlihe, faft überſchwengliche Freude be- 
mädtigte fi des alten Herrn, als er das auffallend 
zarte und ſchwächliche Kind, den Stammhalter feines 
Nameng, auf den Armen wiegte. 

All fein Intereffe, feine Liebe und Sorgfalt Tonzen- 
trierten fih auf das Heine Wefen, und wie zupor die 
Wochen bleifhwer und träge dahingeſchlichen waren, 
fo ſchwanden ihm jeßt die Monate wie im Traume. 

Fürfiin Sglantina aber wurde noch ftumpffinniger und 
bejtürmte ihren ®emahl mit Tränen und Vorwürfen, fie 
nun endli” in Die große Welt zurüdguführen. 

Wohin aber follte ſich Fürfi Soholefstoi wenden? 
Gr war überall befannt, und die Kunde von feiner 
Mesalliance hatte die vornehme Welt Europas wie 
ein Lauffeuer durdeilt. Konnte er ſich mit feiner jo 
unendlich unbedeutenden Grau, Die nun obendrein bei 
all der Ruhe und guten Pflege fehr zum Starkwerden 
neigt, Tonnte .er ſich mit ihr zurück in die G©efellfchaft 
wagen, ohne berbe Demütigungen, Spott und Zurück⸗ 
mweijungen zu erleben? Nein, Fürft Sobolefstoi will in 
feinem felbftgewählten Exil geduldig ausharren, bis 
einft die Erziehung feines Sohnes einen Domizilwechfel 
notwendig macht. 

Auch ift er noch immer eiferſüchtig. Er Hat beobachtet, 
daß Sglantina den jungen Maler, der ihr Porträt an- 
fertigte, ebenfo mit den großen Taubenaugen ange» 
Ihmadtet Hat, wie ehemals ihn. Sie bat das nicht 
in böjer Abficht getan, es ift nun einmal ihre Art, fich 
durch Dlid und Mienen beliebt zu machen, weil jie 
es nicht mit Geiſt und Worten ann; aber Fürft Sobo— 
lefskoi will es nicht erleben, daß fich Die Stußer und 
Slegants fol) ein Wefen anders deuten. Einer ehemalt- 
gen Sängerin gegenüber glaubt filh jeder zu etwas 
dreifterem Verkehr berechtigt. 


16 





Der Rauſch ift verflogen, eine entfeglihe Ernüch⸗ 
terung bat fich ftatt feiner breit gemacht, eg kommt zu 
heftigen Szenen und der Kammerherr preßt aufftöhnend 
Die Hände por das Antlig und denkt an Petersburg 
zurüd, wie an ein verlorenes Paradies. 

Dazu Tomnit, daß fein Söhnchen in feiner Weiſe 
den Hoffnungen des Vaters entjpricht. Der Heine Daniel 
entwidelt ſich ſehr langſam; mit größter Sorge und Mühe 
ift das ſchwache Kind überhaupt am Leben zu erhalten, 
und es ift jo häßlich, daß bei feinem Anblid das Herz 
des Vaters blutet. 

Kein Geiſtesfünkchen leuchtet aus den dunklen Augen, 
die unnatürlid) ernft, beinahe ſchwermütig ins Leere 
ftarren; fein Jubellaut klingt über die Lippen, fein 
lebenspolles Regen der Arme oder Beinchen läßt 
auf irgendwelches Intereſſe jchließen; immer nur Das 
ftiere Borfihhinbrüten! 

Noch ein und ein halbes Jahr erträgt Fürft Sobo⸗ 
lefskoi die Miſere ſeines Hauſes. Seiner Gemahlin iſt 
er faſt völlig entfremdet, ſie amüſiert ſich damit, koſtbare 
Koſtüme und Toiletten aus Paris kommen zu laſſen, 
einen berühmten Geſanglehrer zu engagieren und all 
ihre ehemaligen Opernpartien mit Palfion wieder ein» 
auftudieren. 

Der Kammerherr jieht es gleichgültig mit an, be» 
zahlt die Rechnungen, ohne ein Wort über ihre erftaun« 
liche Höhe zu verlieren, und fit ftundenlang in Der 
Kinderftube bei feinem Knaben, der jebt endlich zu- 
fammenhängende Sätze ſpricht. Der Heine Daniel ift ein 
ganz eigentümlihes Kind. Sr weint oder [chreit nie, 
er blidt jedermann gleich ernfthaft aus Dunklen Augen 
an. Seine Mutter Tennt er Taum, fie fommt felten zu 
ihm. Und wenn die fommt, iſt's nur, um ihre Hand flüch- 
tig über den unförmig großen Kopf gleiten gu lajfen und 
bedauernd auszurufen: „Armer Daniel! Du bit doch gar 
zu häßlich!“ 

Fürſt Sobolefsktoi iſt genötigt, eine Reife zu feinem 
Barifer Bankier anzutreten, und da der Herbitwind be- 


2 Eihftrutp, Hofluft 17 


reits die bunten Blätter von den Bäumen reißt und mit 
Iharfem Saufen jene entfeßlihe Zeit verkündet, da 
Mistow in unabjehbaren Schneefeldern begraben liegt, 
Ihlingt Sglantina zum erftenmal feit langer Zeit wieder 
die Arme um den Hals des Satten und fleht ihn unter 
beißen Tränen an, fie mitzunehmen. Ein finfterer Blid 
trifft fie: „Und wer foll bei Daniel bleiben?“ 

„Sein ganzer SHofitaat, mit dem du ihn umgeben 
haft! Treue Dienftboten, ein bortrefflicher Arzt, für» 
forglide Wärterinnen und meine Geſellſchaftsdame, der 
ich diefen zweiten verlorenen Winter, den fie bier in der 
©rabeseinjamleit aushalten muß, mit Gold und Brillan⸗ 
ten aufiwiegen werde!“ 

Die Fürftin warf die blonden Loden ebenfo graziös 
zurüd wie ehemals, da fie noch auf den Brettern ftand, 
und fah dem Kammerherrn mit unwiderftehlihem Blid 
in Die Augen. 

„Ich ertrage dieſes Leben nicht länger, Gregor. Diefe 
entieglihe Ginfamleit, Die Herz und Geiſt verfümmern 
läßt, ift an all unferm Unglüd ſchuld. Führe mid) wieder 
in die Welt zurüd, laß mid) die Satjon hindurch mein 
junges Leben genießen, und ih will ohne Murren den 
langen Sommer über in Mistow fchmadten, ohne Did) 
jemals durch Langeweile oder Launen zu plagen. Du 
liebft die Sinfamtleit, wohl, fie foll dir im Sommer wer- 
den; ich aber verlange nach Menſchen, nad) Licht, Leben 
und Walzerklängen, Darum gib mir den Winter mit feiner 
bunten Luft, und wir beide werden glüdlich fein!* 

Es lag wieder ein Hauch der früheren Anmut und 
Lebhaftigkeit über der jungen Frau, die in reizender 
Morgentoilette fo vorteilhaft ausſah, wie feit langer 
Zeit nicht mehr. | 

Eine jähe Bitterleit überfam den Fürften. Ihr junges 
Leben genießen! Zangen und fi amüfieren, und den 
grauföpfigen Gatten zum Geſpötte der Welt machen! 
Das eben war es, das er nicht dulden wollte, das ihn 
binausgetrieben hatte, als Sinfiedler bier fein Schidfal 
zu verfluhen! Er war elend genug, er lechzte am 


18 


meiften nach Welt und Leben, er ſchmachtete nach jenem 
verlomen Paradies, aus dem er um ihretwillen ent«- 
flohen; oder follte er zurückkehren, fo wollte er in 
der Sphäre leben, die feine Heimat war, fo wollte er 
SHofluft atmen oder Grabesluft. 

Da er aber glaubte, fein Recht zu Haben, feiner 
©emahlin eine Reije zu verfagen, die er felber unter- 
nabm, jo audte er mit finfterm Dlid die Achfeln und 
entgegnete furz: „Meine Reife ift noch nicht Definitin be— 
ftimmt, eine Depeſche wird mir fagen, ob ich fie unter- 
laſſen fann. ft dies der Fall, wirft auch auf einen 
Aufenthalt in der Refidenz verzichten müffen.“ 

Mit bligendem Auge trat Sglantina noch um einen 
Schritt näher, fiebriſche Slut ftieg In ihre Wangen, und 
die geballten Heinen Hände bebten. „Nein, Das werde 
ih nicht!“ rief fie außer fi), „und du wirft mid) aus 
Diejem entjegliden Klima, deſſen Schneeluft ©®ift für 
mich ift, entfernen, oder es erleben, daß ich den Zaren 
um Hilfe anrufe, mich vor der Sigentwilligfeit und Bru⸗ 
talität meines ®emahls zu ſchützen! Meine Sefundbeit 
erfordert eine Reife nach dem Süden, und gewährft du 
fie nicht freiwillig, werde ich fie erzwingen!“ Der Fürft 
war erbleiht. Ihre Probung mit dem Zaren War 
lächerlich, aber Eglantinas Taktloſigkeit Tonnte es leicht 
- zuwege bringen, die ganze Mifere feiner Ehe nad) Pe- 
tersburg zu pofaunen, um ein fehallendes Triumphge⸗ 
lächter als Antwort zurüdguerhalten. In jähem Snt- 
ſchluß bob er das Haupt. 

„Oeh, ih halte dich nicht. Laß deine Koffer paden 
und reife ins Ausland, wohin du willft; Daniel wird Dich 
nicht vermilfen, hoffen wir, daß er feine Mutter wieder- 
erfennt, wenn fie zurückkehrt!“ 

Einen QAugenblid ftarrte die Fürftin den Sprecher 
aufs höchſte überraſcht an; diefe Schidfalswendung hatte 
fie weder gewollt noch erwartet. Nicht aus leichtfin- 
nigen Motiven Hatte fie eine Reife erzwingen wollen, 
fondern lediglich, weil ihrer oberflähhliden und genuß- 
fühhtigen Natur die Srabeseinfamleit von Miskow und 


zu 19 


die ftetS wachfende Nerpofität und Unliebenswürbigleit 
Sobolefgkois unerträglid wurden. Daß aber feine Liebe 
au ihr fo vollftändig erlofchen war, daß er ſich von ihr 
trennte, ohne den mindeften Kampf mit feinem Herzen, 
das Hatte fie nicht geahnt. Aufs tieffte verlegt und 
gereizt wandte fie ihm den Rüden und fchritt nach ihren 
Gemächern zurüd, voll zorniger Haft Befehle zu ihrer 
Abreife zu geben. 

Eine kurze Zeit empfand fie noch Groll und Bitter- 
feit gegen ihren ©atten, dann fiegte fchnell ihre lebens⸗ 
luftige Natur, die fich feinen Vorwurf daraus machte, 
kraft ihres Namens und Geldes ein wenig von der 
Welt zu fehen. Hatte fie nicht lange genug an Öregors 
Eeite in diefer Verbannung ausgehalten? Hatte fie ihm 
nicht treu und geduldig die fchönften Jahre ihres Lebens 
geopfert? Nun will fie auch einen Lohn dafür haben, 
denn man heiratet Doch fchließlich feinen alten Mann, um 
ihm in eine Ginöde zu folgen! 

Es ftedt eine dämoniſche Gewalt in dem bunten 
Slitterftaat und Komdödiantenglaftl Auch die Luft, die 
das Hoflager der Thalia und Euterpe umweht, bat 
etwas Zwingendes und lockt mit taufend Gewalten ihre 
fabmenflühtigen Jünger zurück! Noch einmal ftand 
Gglantina am Dettchen ihres Knaben, dejfen gelblich 
Dageres Geſichtchen wie das eines alten Mannes aus 
den feidenen Kiffen ſchaute. Groß und melancholiſch 
ftarrten fie ‚die Dunflen Augen an, fein Händchen bob 
fih der Wutter verlangend zu, nur ein leifer Seufzer 
Hang über die Lippen, als die Fürftin etwas hHaftig 
und erregt den Kleinen emporhob, ihn zu küſſen. Jedes 
harte Anfaffen verurſachte dem ſchwächlichen Körper- 
hen Schmerzen, und fo ſchloß Daniel wie ein Märtyrer 
ftumm die Augen und Jah nicht, wie feine Mutter für 
immer binter der Tür entſchwand. 

Für immer! In der erften Zeit [chidte fie kurze Nach⸗ 
rihten und fragte nad) dem Ergehen ihres Kindes, 
dann blieb wochenlang jede Kunde von ihr aus, bis 
endlid ein langer Brief aus Derona eintraf, jubelnd 


20 


und glückberauſcht. Sglantina fchrieb ihrem Gemahl, 
daß ſie im Theater gefelfen Habe, in der „Lukretia“, als 
die Sängerin dieſer Rolle plöglih an Vergiftungs- 
ſymptomen erfranft fei; da fei fie kurz entſchloſſen aus 
ihrer Loge auf die Bühne getreten und babe in ihrem 
ſchwarzen Spitenfchleppfleid und mit einem fchnell 
übergeworfenen italieniiden ‚Schleier die Partie zu 
Ende gefungen. Das Publikum fei wie von Sinnen ge=- 
weſen in feinem Enthufiasmus, und heut fei ganz Berona 
in Aufregung über die gebeimnispolle Diva. Leider 
fei ihr Name ſchon befannt geworden, und der Theater» 
Direltor beſtürmte fie auf den Sinien, noch einmal in 
der ganzen Rolle aufzutreten. Die Lukretia fei jtets 
eine Lieklingspartie von ihr gewefen, und fie könne ihm 
gar nit mit Worten das wonnevolle Entzüden be— 
jhreiben, mit dem fie feit fo langer Sntbehrung den 
Applaus der Menge vernommen! „a, die Suterpe jißt 
auf gewaltigem Thron,“ ſchloß der Brief voll Eralta- 
tion, „und Das Zepter, das fie ſchwingt, iſt mit Lorbeeren 
und Rofen ummwunden! Wo fie Hof Hält, Klingen die 
Zaubermeijen der Unfterblichkeit, und wer einmal diefe 
Luft voll Sang und Klang geatmet, dieſe Hofluft Des 
gemalten Burpurs und der Papierfronen, der ift zu ihrem 
Eflaven geworden und hängt ihr an, im Leben oder Todl“ 

Der Fürft zitterte dor Empörung und jagte eine 
Depeſche nah Verona, die feiner pflichtvergefjenen Ge— 
mahlin .aufs ftrengfte unterfagte, jemals wieder die 
Bretter zu betreten. Keine Antwort. Nah Wochen 
endlich ein eingefchriebener Brief aus Rom. Als Sobo— 
lefstot ihn öffnete, fiel ihm ein amtliches Schriftftüd 
entgegen, der Totenfchein der Fürftin Eglantina Sobo- 
lefstoi. Aber dem Schein war ein Blatt Papier bei- 
gefügt, Das folgende, von der eignen. Hand feiner 
Gemahlin gejchriebene Zeilen enthielt: 


Lieber ©regor! 


Du haft mir befohlen, nie wieder als Sängerin aufzu⸗ 
treten, und ich habe gegen Deinen Befehl gehandelt. 


21 


Ich babe mit meiner Gefellfchafterin die Rollen ge» 
tauſcht, fie fpielte die Fürftin, und ih ftand in ihrem 
Dienft und fang allabendlih und feierte Ziriumphe. 
Du Haft mir einjtmals gejagt, Du verzebrteft Dich in 
Sehnſucht nad) der Luft des Zarenhofes; wohl, auch 
ih verfhmadte, wenn ih künftighin ohne die Luft 
leben foll, die die Bupurmäntel der Könige des Theſpis⸗ 
Tarrens umweht. 

And fo mwerfe ich alles Hin, was ich beſitze, Die 
Sürftenfrone, ®eld, Satten und Kind, und flüchte mich 
zurüd in das Paradies, Das ich um Peinetiwillen ver» 
laffen Habe! Und ift’s mein Unglüd und mein Tod, ich 
fann nidt anders! — Gin Zufall fam mir zu Silfe. 
Meine arme Gejellichafterin, die Pfeudofürftin Sobo- 
lefgtot, ift in Neapel am Typhus geftorben. Man fertigte 
auf mein Derlangen den Totenſchein aus, auf den 
Namen, den fie geführt bat. Anbei jchide ich Pir das 
Leine Stückchen Papier, das unfer beider Freiheit ein« 
ſchließt. Du biſt, ebenfo wie ich, aller Bande ledig. 
Fürſtin Sobolefstot ift tot. Und ihre Gefellfchaftsdame? 
Die wird nie und nimmer wieder Deine Wege freuzen. 
Lebe wohl für ewig, ©regor, bring’ meinem Knaben 
den legten Kuß der Mutter und fei für alles ©ute, das 
Du ihr je getan, gejegnet von 

Wera Czakaroff.“ 

Einen QAugenblid griff der Fürft wie fchwindelnd 
nad der Lehne feine Seffels; er ließ das Dlatt zur 
Erde gleiten, ſchlug beide Hände por das Antli und 
bob jie alsdann inbrünftig gefaltet zum Himmel. Sin 
einziges Wort zitterte wie ein Zubeljchrei von feinen 
Lippen — „freil“ 


Drittes Kapitel 
Fürſt Sobolefsfoi las den Brief feiner Gemahlin 
immer und immer tieder. Ja, es war ein wunder- 


bares Spiel, das das Schidjal mit ihnen trieb, und 
22 


ein faft traumhaftes Glück, das ihm plößlich feine 
Steiheit wiedergab. Sr Tämpfte eine kurze Zeit mit 
feiner Nechtlichfeit und feinem Herzen, ob er bon der 
eigentümlihen Lage der Dinge Gebrauch machen dürfe, 
doch kam er fchnell zu der Einficht, daß er ein Narr 
wäre, die Schlinge, die der Zufall barmderzig ge- 
Iodert, voll übertriebenen Ehrgefühls wieder um feinen 
Hals zu ziehen. 

And was riskiert Fürft Gregor, wenn er einer amt⸗ 
lichen Beſcheinigung Glauben ſchenkt? Nicht er, fondern 
Eglantina hat ein betrügeriſches Spiel getrieben, für das 
nur fie allein zur Rechenſchaft gezogen werden Tann, 
follte fie jemals wieder unter den Lebenden auftauchen; 
denn das DBegleitfchreiben, das den Kammerherrn zum 
Mitwiffer des falfchen Spiels madt, wird in Aſche 
aujammenfallen, und fein Menſch fann jemals beweifen, 
Daß es in feine Sünde gelangte. Und wollten dennoch 
Skrupel und Beſorgniſſe warnend ihre Stimme erheben, 
. fo wurden fie pon den Seufzern fieberifher Sehnſucht 
übertönt, die den ehemaligen Höfling unwiderftehlich 
nach Betersburg zurüdzogen. Gleich wildem Heimweh 
erfaßte ihn dag DBerlangen nach feiner früheren Stellung, 
und darum gab es fein Befinnen mehr, ob er in Fortunas 
Dargereihte Hand einſchlagen Tolle oder nicht. 

Kurz entſchloſſen barg er die Zeilen Sglantinas in 
dem Geheimfach feines Schreibtifches, fchellte Dem Kam- 
merdiener und befahl ihm, das gejamte Dienftperfonal 
in der Schloßfapelle zu verjammeln. 

Dort erhielten fie die Kunde pon dem Ableben ihrer 
©ebieterin. 

Don dem Frontturm auf Mistom wehte das um⸗ 
florte Wappenbanner auf halbem Naft, aus den Ten» 
ftern hingen die ſchwarzen Trauerfahnen bernieder, und 
in düflern Porphyrbecken brannten Tag und Nacht die 
gewaltigen Pechfeuer por der Sinfahrt. Das Bild der 
Fürſtin war in der Kirche aufgeftellt, umgeben von Pal» 
men und Blütenpracht und een bon — Wachs⸗ 
kerzen. 


23 


Nah acht Tagen aber wurden die Bahnen aus 
dem Salbmaftbanner wieder entfernt, Die Feuer ver— 
lofhen, und das Bild Eglantinas wurde an feinen 
alten Pla im Zimmer Sobolefstois zurüdgetragen und 
dur) eine ſchwarze, florüberwallte Bollportiere ver⸗ 
hängt. 

Die Zeitungen des In⸗ und Auslandes brachten 
im breiten Trauerrahmen die Todesanzeige der ſo früh 
Verblichenen, und Privatanzeigen meldeten den ehe— 
maligen Freunden Gregors die traurige Neuigkeit nach 
Petersburg. 

Nur ſehr vereinzelt kamen die formellen Kondolenz⸗ 
ſchreiben zurüd, der Kammerherr aber drückte das Antlitz 
auf die ſchwarzgeränderten Bogen und atmete wie im 
Fieber den feinen Duft, den ſie ausſtrömten. Ein 
Hauch von Hofluft! Direkt aus dem Schloß des Zaren 
zu ihm herübergeweht, echt und unverfälſcht überkommen, 
zu ihm, dem Geächteten und Verbaäannten! 

Der Zar Hatte dermalen. des Fürſten DBerbindung 
mit der Madame de Louz gewünſcht und ihm dieſes 
Derlangen bei der letzten Audienz direft ausgefprochen, 
und er, der Wahnwitzige, Berblendete, hatte der dor» 
forgliden Güte feines Gebieters ein fchroffes Nein 
entgegengeftellt, Hatte poll unbegreifliden Starrſinns 
an feiner Bitte um Gntlaffung feftgehalten. 

Den Kammerherrn fröftelt’S vor Entſetzen über fich 
felbft, wenn er an dieſe letzte Stunde denkt, aber er 
will alles fühnen, was er gefehlt, er will Madame de 
2ouz’ Kleinen Fuß, mag.er ſich noch fo tyranniſch auf 
feinen Naden fegen, demütig und gehorfam wie ein 
Sklave küſſen, alles, alles will er tun, was man bon 
ihm verlangt, wenn man ihn nur wieder auf dem Parkett 
Duldet und ihn die Luft atmen läßt, ohne die er bier 
verſchmachtet. 

Der Sommer vergeht ſchnell, weil der Fürſt ihn 
zu einer Reife nach Paris benutzt, und als er wieder- 
ehrt, treten ihm Sränen der Rührung in die Augen, 
als Daniel ihn erkennt und mit feinem rejignierten 


24 


Lächeln die Meine Hand entgegenreidht.. Per Knabe 
bat ſich körperlich entwidelt, aber fein jtilles, apathi- 
des Weſen ift unverändert geblieben. Sein Gouver— 
neur und Der Arzt [prechen dem Fürſten die Überzeugung 
aus, daß keinerlei Beſorgniſſe für die geiftigen Sähig- 
teiten des Kindes zu begen find. 

Fürſt Sobolefskoi freut fich Herzli folder Wahr- - 
nebmungen, aber die Gegenſätze zwiſchen Dater und 
Sohn find gu groß, und wenn auch der nerbös erregte 
alte Herr ſich zwingt, Daniel in fein Zimmer fommen 
zu laffen und eine Stunde lang die entfeglihe Ruhe 
und Indifferenz des Kindes in einem für beide Seile 
qualvollen Verkehr zu ertragen, fo entfremdet er ſich 
trogdem immer mehr bon ihm. 

Dazu Tommt es, daß Sobolefstoi bereits mit allen 
Gedanken in Betersburg Iebt und in krankhafter Erre⸗ 
gung kaum noch die Zeit erwarten Tann, Die für fein 
Bittgefud) am geeignetjten erfcheint. Ä 

Endlich Dämmert auch jener Morgen, an dem Die 
Zeitung die Rückkehr der kaiſerlichen Familie in Die 
Reſidenz meldet. Das Schreiben liegt bereits bis auf 
dag Datum vollendet bereit; mit zitternden Händen füllt 
der Fürft die leere Stelle aus, drüdt Das Siegel auf 
und jagt einen reitenden Boten mit Dem Brief nach Der 
nächſten Boftftation. . 

Dann überblidt er flüchtig und gedankenlos die Spal- 
ten der Zeitungen, legt ein Blatt nad) dem andern aug 
der Hand und greift ſchließlich nach einem frangzöfifchen 
Sournal, fi dur Reminifzenzen an Baris zu zerftreuen. 
Anfänglih Iangweilt er fi auch Bier, plötzlich aber 
ftußt er und neigt fich frappiert näher. Die Heine Shronif 
Bringt unter verſchiedenen Hofnachrichten auch ein ſen⸗ 
fationelles Gerücht, das zur Zeit die höchſten Sefell« 
[&haftlreife der alten Zarenftadt Petersburg alarmiert. 

Man ſpricht von der in fürzefter Zeit ftattfindenden 
Vermählung der ſchönen Palaftdame der Kaijerin, Ma—⸗ 
Dame de Louz, mit einem der ruflifhen Großfürſten. 
Stau Fama will ferner wiffen, daß der Zar Ddiefer 


25 


DBerbindung viele Schwierigkeiten in den Weg ftellt, 
Daß er fie ſchon feit Fahren gefürchtet und darum den 
Wunſch gebegt babe, die fchöne Witwe Durch. eine 
ſchnelle Heirat unfchädlih zu maden. Die Ymftände, 
die dermals dieſes Projekt, zum höchſten Zorn Er. 
ajeftät, vereitelten, Haben Durch ihre romanhaften De- 
tail8 genug von ſich reden gemadt, und man bringt 
Damit Die Namen eines fürftliden Kammerherrn und 
einer Hofopernjängerin in DBerbindung. 

Die Zeitung ſchwankte in den Händen des ehemaligen 
Höflings; farblos wie das weiße Foulard, mit dem 
er über Die jchweißbededte Stirn ftrih, wurde fein 
Antlitz. 

Wenn ſich dieſes Gerücht beſtätigte, war alles ver⸗ 
loren. Hatte Sobolefskoi in ſo verhängnisvoller Weiſe 
die Pläne ſeines gnädigſten Herrn gekreuzt, ſo war 
keine Hoffnung, den Zaren jemals wieder zu verſöhnen, 
jemals wieder zu Gnaden von ihm aufgenommen zu 
werden. Und fand auch die Vermählung nicht ſtatt, fo 
war der Fürft dennoch die Deranlaffung jahrelangen 
Acrcgerniſſes für den Kaifer gewejen, denn daß der Groß- 

fürſt die ſchöne Witwe fchon damals auszeichnete, var 
Satjache. 

Wer aber Hätte zu feiner Zeit geglaubt, Daß aus 
ſolch einer Courmacherei Srnft werden fünne, daß ber. 
Prinz aus andern Motiven, ald aus Dem ‚pour passer 
le temps‘, die Kofetterien der DBaronin mit Salanterie 
beantwortete? 

Der Zar hatte beſſer Beſcheid gewußt und darum die 
Starrföpfigfeit feines Kammerherrn fo ungnädig aufge» 
nommen; er wußte, Daß dem fürftliden Kröjus Sobo— 
lefstoi feine Dame der Hofgefellichaft ein Körbchen auf 
einen Heiratsantrag geſchickt Hättel 

Eobolefstoi fühlte es eisfalt Durch alle Slieder rie»- 
feln, und dann wieder ftieg die heiße Glut jäher Herzens- 
angſt in ihm empor und trieb ihm feuchte Tropfen auf 
die Stirn. Ä 

In maßlofer Aufregung verbradite er den Tag und 


26 


die folgende Nacht, ruhelos umberirrend, verfolgt pon 
dem Schreckgeſpenſt des Sedantens „Der Zar ift un« 
verföhnlich !* 

Der nächſte Tag verging unter Folterqualen der Un⸗ 
gewißheit und DBeforgnis, und wenn auch der darauf» 
folgende Morgen eine höchſt überrajchende, fenfationelle 
Nachricht brachte, fo diente fie durchaus nicht Dazu, 
die Befürchtungen des alten Herrn zu vermindern. Die 
Heine Chronik teilte ihren Lefern die faft unglaubliche, 
aber doch wahrhafte Tatfache mit, daß am geftrigen Tag 
in aller Stille und vor nur wenigen Zeugen die Trauung 
der Madame de Lou und des Flügeladjutanten 
Er. Majeftät des Zaren, Grafen Karnitcheff in ‚Peter 
und Paul‘ vollzogen fei. 

Eobolefstoi wußte, daß weder Madame de Louz 
noch Kartnitcheff Vermögen Bejaßen, es hatte aljo dem 
Kaiſer fiherlich einen tiefen Singriff in die Privatſcha⸗ 
tulle geloftet, diefe DBermählung zu ermöglichen. Der 
Zar aber war allen großen Ausgaben, die Hätten ver⸗ 
mieden. werden können, bitter feind, und darum mochte 
er nun wohl voll doppelten Grolls an die Renitenz 
jenes ehemaligen Kammerherrn denken, die ihm ein 
Kapital Eoftete. 

As ſchwacher Troſt blieb dem Fürften der Sedante, 
daß Zeitungen viel unverantwortlide Dinge fchreiben, 
daß an dem ganzen Gerücht vielleicht feine Silbe wahr 
ift, und Madame de Louz und Karnitcheff ſich aus innig- 
fter Liebe, auf ein gutes Avancement des jungen offi⸗ 
ziers hin, geheiratet haben! 

Dennoch wußte er, der eingefleiſchte Höfling, auch 
wieder allzu gut, daß ſich manch wunderlicher Roman 
hinter den Kuliſſen der Fürſtenſäle abſpielt, und daß 
mancher Herrſcher ſchon ein edelmütig Opfer gebracht, 
um ſeines Hauſes Stammbaum von wilden Schößlingen 
frei zu halten! 

Sobolefskoi verzehrte ſich in fieberiſcher Aufregung, 
und je wahrſcheinlicher der Oedanke ‚fortdauernder 
Allerhochſter Ungnade‘ wurde, defto krankhafter fteigerte 


27 


fich die Sehnfudt nach jener Welt, aus ber er fich felber 
ausgejtoßen hatte. 

As nah Derlauf von vierzehn Tagen noch immer 
feine Antwort aus dem Kabinett des Kaiſers einge- 
troffen war, ftieg die Aufregung des Kammerherrn zu 
einem Grade, der den Arzt das Schlimmfte befürchten 
ließ. Sinem Schatten gleich, bleich und verftärt, wandelte 
er rubelos durch die Säle Miskows. Wie ein Spuk 
huſchte in der Nacht das Licht pon einem ®emad 
zum andern, und das Pienftperfonal wich dem Ge⸗— 
Bieter ſcheu aus und flüfterte fich heimlich zu: „Ss tft 
nit mehr richtig in feinem Kopf! Seit dem Tod der 

Fürſtin hat's angefangen.“ 
Acs Sobolefskoi die Ungewißheit nicht mehr ertragen 
konnte, ſchrieb er an ſeinen ehemals ſo vertrauten 
Freund, den Oberhofmarſchall, und beſchwor ihn, ihm 
beim Heil ſeiner Seele klaren und bündigen Beſcheid, 
wie feine Chancen bei dem Zaren ftünden, zu ſchicken. 
Dann wandte er fih wie ein Mondfüdtiger in das 
Zimmer feines Selretärs und befahl ihm, in die Stadt 
zu fahren, um einen Notar zu holen; er beabſichtige, fein 
Seftament zu machen! Ä 

Ser Wagen faufte den Schloßberg hinab, und der 
Fürſt begab ſich in ſein Zimmer, ſeinen Schreibtiſch 
für jedwedes Auge einzurichten. 

Sr fortierte die verſchiedenen Briefe, vernichtete, was 
.überflüffig war, und ſchrieb bier und da kurze Beſtim— 
mungen oder Bemerkungen an den Rand. Oft hielt 
er die Hand vor die Stirn und ftarrte wie geiftesab- 
weiend por fich nieder. 

Die DBrautbriefe &glantinas noch einmal durchzu— 
ſehen, behielt er ſich Bis zuletzt vor. Er legte jeg— 
liches Papier, das von ihrer Hand beſchrieben war, 
auf ein kleines Tiſchchen beiſeite, und als er endlich 
danach griff und die Zeilen zerſtreut noch einmal mit 
dem Blick überflogen Hatte, warf er jeden einzelnen 
Brief in die Flammen des Kaminfeuers. Zwei Schrift- 
ftüde waren ſchließlich noch übriggeblieben, das Billett, 


28 


in dem &glantina ihr Jawort gab, und die Zeilen, die 
fie ihrem Zotenjchein beigefügt batte. 

Sobolefstoi hielt das duftende Dlatt, das ihn vor 
fünf Jahren zum Glücklichſten der Sterblichen gemacht 
und dag ihm Dennoch zum Fluch geworden war, einen 
Moment leicht zufammenzudend in der Hand. Dann 
wandte er ſich pon dem Kamin ab, warf das Billett auf 
den Tiſch zurüd und ftüste das gedankenwirre Haupt 
finnend in die Hand. Nein, diefes Schreiben follte nicht 
in den Slammen untergehen, dieſe liebesheißen, berau- 
Ihenden Worte voll Innigfeit und Treue follten einft 
feinem Sohne Daniel beweifen, daß er um eines fold) 
verheißungspollen Slüdes willen wohl die Narrbeit 
begeben fonnte, dem Hof des Zaren den Rüden zu 
wenden. Diefer Brief Eglantinas müß des Fürſten rüd» 
fihtslofe Kühnbeit, die Hand der Madame de Louz 
auszufchlagen, rechtfertigen. Vielleicht Eonnte ihn Daniel 
noch) einmal gebrauchen. Diefes Jawort ſoll aufgehoben 
werden; aber der lebte verhängnispolle DBrief jeiner 
Semahlin, der den Tod der Fürftin Sobolefsfot zur 
Lüge madt, der muß in Rauch und Aſche aufgeben, 
ber muß für ewige Zeiten unfchädlich gemacht werben. 

In wirrer Haft griff der alte Herr nad) den beiden 
Driefen, die nebeneinander auf der fchwarzen Gben- 
bolaplatte lagen, und ſah flüchtig Darauf nieder. 

Diefes waren die Liebesihwüre und jenes die kom— 
promittierenden Eröffnungen — Sobolefskoi warf Das 
eine der Echreiben in das durch feuerfefte Metalle 
doublierte Geheimfach feines Schreibtifches und ſchob 
es zerftreut in feine Fugen zurüd. Kein Auge vermochte 
feine Eziftenz zu entdeden. 

Dann wandte er fi medhanif nad dem praffeln- 
Den euer zurüd, zerriß das weiße Blatt, Das er noch 
in Händen hielt, und ließ es in die Glut herniederwehen. 
Rote Flammen zudten auf, und fohneller, als es der 
DBlid beobachten konnte, verſchwanden die verkohlten 
Papierfloden zwiſchen den Eichklötzen der Feuerung. 

Fürft Sobolefgkot, ftand mit verfchräntten Armen und 


29 


ftarrte finfter in Die tanzenden Funken, abnunglog, 
daß ſie nicht die letzten „Zeilen Gglantinas, fondern 
ihr liebeheißes ©elöbnis der Treue unter Der Aſche 
begruben. 

Die Sröffnungen Wera Gzalaroffs lagen wohlge- 
Borgen in dem Geheimfach, und über die Türme bon 
Miskow ftrihen die Raben mit beiferem Ynglüds- 
geichrei. Nach Derlauf einer Woche [prengte der Poft- 
furier in den Schloßhof und überbradte dem Fürjten 
die Drieffchaften. 

Eine unnatürliche, ftarre Ruhe lag über dem fahlen 
Antlig Sobolefslois. Parfümiert und zierlich gefräufelt 
wie feit Wochen nicht mehr lag dag graue Haar an 
den eingefunfenen Schläfen, und der Schnurrbart war 
ſchwarz gefärbt wie in den glüdlichen Zeiten am Hofe 
des Zaren. 

Gregor nahm fefter Hand ein großfupertiertes Schrei⸗ 
ben entgegen, ſah auf die Schrift der Adreſſe und legte 
es tief aufatmend auf Die Sifchplatte nieder. Dann 
ſchritt er ernft und feierlich in fein Anfleidegemad), ließ 
fih die goldftrogende Galauniform der Kaiferlichen 
Kammerberren mit allen Orden und Ehrenzeichen an« 
legen und betrat hierauf das Zimmer feines Söhnchens. 
Daniel ſchloß zwinkernd die Augen, als tue ihnen Die 
funfelnde Pracht des Hoffleides weh; der Fürft aber hob 
ihn auf die Arme, Füßte langfam Mund, Wangen und 
Stirn des Knaben, machte unmerfli das Zeichen Des 
Kreuzes über ihn und legte felundenlang die Hand auf 
fein Köpfchen. 

And ftumm fohritt er wieder durch die Zür in fein 
Arbeitszimmer zurüd. 

©elajjen nahm er den Drief, erbrach und las ihn. 
Seine Hand zitterte nicht, und fein Antlig war leblog 
wie Stein. 

Dann trat er zum Kamin und vernichtete aud) dieſes 
Schreiben. | 

Auf dem Büchertifch ftand ein Kaften mit zwei pracht⸗ 
pollen, edelfteinbefegten Piftolen, einem Shrengejchent 


30 


des Yaren. Sobalefstoi nahm die eine und fpannte: 
den Hahn. 

Voch einmal trat er por das Bild feiner Gemahlin, 
Ihlug den ſchwarzen Borhang zurüd und fah mit gläfernem 
Dlid in die Dunfeln Augen empor, dann zog er das feine 
Spigentud, das feit feinem lebten Dienſt in Gatſchina 
unverändert in der DBrufttafche verblieben war, hervor 
en preßte das Antlitz tief atmend in feine duftigen 
Falten. 

Hofluft! Zum letztenmal ſtreifte ſie mit ihrem Hauch 
grüßend feine Stirn. Dann erzitterten Die feinen Flor- 
ftreifen por Sglantinas Bild unter dem Einfluß einer 
Ichnellen Bewegung des ehemaligen Kammerherrn Seiner 
Majeftät des Kaifers von Rußland, ein dumpfer Knall.. 
ein Aufichlagen und ein kurzes NRöcheln, und dann eine 
tiefe, tiefe Stille. 


DBiertes Kapitel 


Der Schuß im Zimmer des Fürften hatte die Mittag- 
rube von Mistow weithin durchhallt und eine außer» 
ordentlide Wirkung berborgerufen. Bon allen Scden 
und Enden ſtürzte Die Dienerfhaft in wildem Schred 
berzu, ein gellendes Angft- und Jammergefchrei, ein 
Slühten und Zuhilfeſpringen, und zwifchendurd) Die 
Befehle des Arztes, Der neben dem Öterbenden kniete 
und das blutüberftrömte, entſetzlich entſtellte Haupt auf 
ein Kiſſen bettete. 

In der großen planlofen Verwirrung hatte niemand 
auf den Heinen Daniel geachtet, der feinem davon⸗ 
eilenden Gouverneur durch die offenftehenden Türen ge» 
folgt war. 

. In die düfteren Wollfalten des Vorhanges gebrüdt, 
der por feiner Mutter Bild bernieberfiel, ftand die 
ſchwächliche Kindergeftalt und Hammerte fih an das 
ſchwarze Tuch. Doll ftieren Entſetzens richteten fich 


31 


die weitaufgeriffenen Augen auf das grauenvolle Bild, 
die Zähne fchlugen wie im Schüttelfroft zufammen und 
ein eiſiges Grauen legte fih wie Zentnerlaft auf die 
feine DBruft. 

Endlid) bemerkte eine der hbelfenden Frauen den ver- 
waiſten Knaben. Sie bob ihn erfihroden auf die Arme 
und eilte mit ihm aus dem Zimmer. Wie gebrochen 
fan? das unförmige Köpfchen auf ihre Schulter, fein 
Laut der Angft oder des Schredens klang aus feinem 
Mund; aber aug den Augen bradhen Tränen, bittere, 
heiße Tränen, Die erften, die er je gemeint. 

a, er war ein eigenartiges Kind; ‚mein einer 
Echmerzensreich‘ hatte ihn feine Mutter oft genannt, 
m feine wehmutsvolle Geduld fie mit Rührung 
erfüllte. 


Anter dem Bild feiner verewigten Gemahlin hatte 
man ben Fürften, der in einem Anfall von ©eiftesftörung 

Sand an fich gelegt, gefunden, und por dem verhüllten 
Gemälde war er aud) wenige Minuten nad; feiner Ver⸗ 
mundung verftorben. 

Auf dem Schreibtifch lag ein offener Brief, der bie 
einzige Anverwandte Sobolefskois, die Stiftsbame Gräfin 
Kathinka Arlowsk, zur Regelung feiner Angelegenheiten 
und Erziehung feines Sohnes nad) Miskow berief; ferner 
ein verfiegeltes Schreiben an des Zaren höchſteigene 
Berfon, fowie ein Verzeichnis der ausländiihen Ban⸗ 
fen, Denen er zwei Tage zuvor bare Summen aus feiner 
Schatulle überfandt. 

Die Leiche des Kammerberrn wurde in der Schloß- 
fapelle aufgebahrt, und als der Reifewagen der Gräfin 
Arlowsk nach zehn Tagen durch das hohe Portal fuhr, 
Iobten ihr die Pechbrände auf den Steinfäulen entgegen, 
rauſchten über ihr die ſchwarzen Srauerflaggen im 
Herbſtwind. 

Gregor Sobolefskoi wurde in dem Srhbegräbnig bei⸗ 
gefeßt. Sein Zeftament, in dem fich der Totenſchein 
- der Fürftin porfand, der auf Wunfch des Kammerherrn 


32 


gerihtlih verwahrt werden follte, wurde verlefen, Die 
ausgejchriebenen Legate und Erbſchaften gezahlt, ‘Die 
Vormundſchaft ernannt und alle weitern Wünjche und 
Befehle des Verftorbenen erfüllt. 

Gräfin Arlowsk jiedelte nach Miskow über, und alles 
nahm feinen gewohnten, unter den Augen der Stifts⸗ 
dame ftreng geregelten Gang. 

Mit energifhen Händen und einem männlidy Haren 
Derftand verwaltete fie das Sigentum ihres verwaiſten 
Neffen, regierte den wie eine kleine Kolonie bevölferten 
Schloßbeſitz mit all jener imponierenden Aberjicht, Deren 
Eobolefsktoi und Sglantina ermangelten, und rodete poll 
rüdfichtslofer Gnergie alles Unkraut, das ji während 
der letten berrenlos wirren Zeit unter den Weizen ge⸗ 
ſchlichen hatte. 

Gräfin Arlowsk war eine hohe, markige Frauen⸗ 
geſtalt, der die langwallenden Trauergewänder ein ge— 
radezu majeſtätiſches Anſehen verliehen. Ihre Haltung 
hatte etwas Selbſtbewußtes und Unnahbares, ihr Weſen 
flößte viel Reſpekt, aber keinerlei Zuneigung ein. Kalt 
und durchdringend ſcharf blidten die blaßblauen Augen, 
und die Lippen legten ſich jo farblos fchmal auf die 
Zähne, daß es ausfah, als würden fie ftets poll herben 
Unwillens geſchloſſen. Auf der Bruft glänzte Die ſchwere 
Soldfette, die das Stiftskreug, ein aus Gold und Eifen 
gearbeitetes Kruzifix, trug. 

Die Gräfin hatte den kleinen Daniel fofort nad) 
ihrem Eintreffen in Miskow zu fehen gewünjcht. Alan 
antwortete ihr, daß der Knabe, Der jeit den. lebten 
Zagen wiederholt Anfälle feines aſthmatiſchen Leidens 
gehabt, ſchlafe. Sie nahm den Hohen Silberleuchter 
von ihrem Soilettentifh und befahl der Kammerfrau, 
ihr den Weg zu dem Zimmer des Kindes zu zeigen. Bor 
feinem Bettchen Stand fie, ſchlug die feidenen Sardinen 
zurüd und beleuchtete den Heinen Schläfer. Eine kurze, 
ſcharfe Mufterung, bei der ihre Züge fo hart ausfahen, 
als feien fie aus Stein gemeißelt. 

„Wem gleicht er? Vater oder Mutter?“ 


3 Efyftrutp, Hofluft 35 


Die Bonne knickſte. „Das ift fchwer zu fagen, Gräf⸗ 
lihe Gnaden; eigentlich ähnelt er beiden Sltern nicht. 
Durchlaucht die Fürftiin war [ehr fchön, und ihr Semahl 
ſchien eg in der Jugend ebenfalls gewefen zu fein. Der 
Heine Fürft ift wohl durch feine Kränflichleit noch zu 
unentiwidelt, um irgendwelde Spur von dem Grbteil 
diefer Schönheit aufweifen zu können.“ 

In demjelben Moment fhlug Daniel, von dem Licht⸗ 
Ihein und den Stimmen gewedt, die Augen auf und 
richtete fie in ihrem traurigen, tränenfeuchten Olanz 
auf das fremde Geſicht, das ſich über ihn neigte. „Daniel, 
deine liebe Gräfin Tante fteht vor Dir, begrüße fie und 
gib ihr eine Hand!“ 

Gehorſam bob fich die Heine Rechte aus den Kiffen 
und bot fich dar. 


Die Stiftsdame [dien ein ängſtliches Geſchrei ertvartet 
au haben, fie nahm das Kind überrafcht auf den Arm und 
füßte mit fühlen Lippen feine Etirn. 


„Wenn du ftets artig Bift, fo werde ich Dich Lieb» 
haben, Daniell“ fagte fie in ihrer kurzen Weiſe, „jebt 
ſchlafe wieder ein“, und fie bettete ihn zurück, wandte 
ſich ab und ging. 

„Sr Dat ſchöne Augen,“ murmelte fie, „Sobolefs- Z 
koiſche Augen.“ 

Am darauffolgenden erften Tag hatte Gräfin Ar- 
Iowst die Flut der Gemächer durdfchritten. Bor dem 
verbüllten Bild Sglantinas blieb fie ftehen und fchlug 
den Dorbang zurüd. Ein haßerfüllter Blick überflog — 
die reizende Frauengeſtalt, die in weißem Allaskleid, j 
ummwallt von blonden Locken, mit ihrem fehwärmeri« I 
ſchen Lächeln aus dem goldenen Rahmen auf fie nieder- 
fad. „Komödiantenblut! — Armer PBaniell* ftieß fie 
Durch die Zähne hervor, und ihre Hand ſchleuderte Die 
dunklen Wollfalten verächtlich zurüd, und ihr DBlid, der 
fih nad) dem gegenüberhängenden Porträt Gregors 
wandte, enthielt die vorwurfspolle —— „Wie war's 
möglich?“ 


84 


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Dann ſchloß fie das Zimmer ab und verwahrte ſorg⸗ 
fam den Schlüffel. 

Die Zeit zog langfam und einförmig dahin. Gräfin 
Arlowsk Hatte nach und nach faft Die ſämtliche Diener- 
haft und Beamten von Miskow gewedjfelt; da war 
niemand mehr, der den Kammerberrn oder deſſen un⸗ 
ebenbũrtige Gemahlin gekannt Hatte. 

Daniel war ſieben Jahre alt geworden. Sein OGeiſt 
hatte ſich, dem Aler entſprechend, entwickelt, aber fein 
Körper war weit zurückgeblieben und bedurfte nach 
wie vor ſorgfältiger Pflege. Die Erziehung war muſter⸗ 
baft, und Daniel hing in rejpeltpoller Liebe an der 
firengen Patronin, die ihrerfeitS durchaus nichts Dazu 
tat, Diefe Liebe zu gewinnen. Kalt und formell wie 
eine ©ebieterin ftand fie ihm gegenüber, nur ftrafend, 
nie belobnend; fein zärtliches Wort, kein inniges Herzen 
und Kojen. Sräftn Arlowsk Hatte feine Borliebe für Kin- 
der, alle Weichheit und Milde war ihrem Wefen fremd, 
und außerdem blieb Daniel in ihren Augen ſtets der Sohn 
einer Sängerin. Sie erzog ben Knaben, wie es fich für den 
Erben des Sobolefstoifhen Namens gebührte, fie führte 
ihn durch die Ahbnengalerie, fie erzählte auch von feinem 
Dater, dem Kammerherrn und Bünftling des Zaren, deſſen 
Bruft mit Orden bededt War. 

Bon feiner ®emahlin aber verlautete nie ein Wort, 
und wenn Daniel nad) der Wutter fragte, fo erhielt 
er die ſchroffe Antwort: „Die tft tot; wenn Did) Die 
Menſchen dereinft fragen, wer deine Mutter geweſen, 
fo entgegne ifmen: Gräfin Kathinka Arlowst.“ 

Daniels liebebedürftiges, weiches Herzchen aber ſehnte 
fih nad einer Mutter, die nicht nur feine Leltionen 
überwacht und don der Shrwürdigkeit der langen Ahnen- 
reihe ſpricht, fondern die ihn .in die Arme fchließt, 
küßt und berzt, wie unten die Frau des Haushofmeifters 
ihren Heinen Iwan liebkoſt! 

Eine wehe, unbezwinglide Sehnſucht nad feiner 
Mutter überlam ihn, und je mehr die Gräfin feinen 
Stagen auswich und ihr Gedenken verwifchen wollte, 


3. | 85 


befto idealere Bilder ſchuf fih die Phantafie des 
Kindes. Gewiß, feine Mutter ſah ebenjo ſchön und 
lteblih aus, wie der Marmorengel in Der Kapelle, 
der die Arme fo freundlich nad) ihm ausbreitet, wenn 
Daniel an dem Sarkophag des DBaters beten mußte. 
Gr fragte alle Leute im Schloß, ob er wohl recht 
babe? Aber niemand Tannte feine Mutter und mußte 
bon ihr. Da Tam abermals der Jahrestag von Des 
Fürſten Tod; ein Tag, der dem Knaben als der fchred- 
lichfte im ganzen Jahr erſchien. Schloß doch die Gräfin 
dann das bdüftere, unheimlide Zimmer auf, in Dem 
der Dater ehemals mit blutendem Haupt gelegen, und 
er mußte der Totenmeſſe beiwohnen. 

Auch Heut Hatte er fein erbleichtes Geſichtchen tief 
auf die Bruft finfen Iaffen und die Augen frampfhaft 
geichloffen, als er zur Geier geführt wurde. Sein neuer 
Hauslehrer ftand neben der deutſchen ©oupernante. 

„Oft jener Herr auf bem Bild drüben ‚der verftorbene 
Fürſt?“ fragte er flüfternd. 

„sa, und ihm gegenüber, Dinter dem Dorbang, hängt 
das Porträt feiner Semahlin.“ 

„Ab — laffen Sie fehen.“ 

„Pftl um Gottes willen, Bleiben Siel die Gräfin!“ 

Paul Fedrowitſch fchnellte an feinen Plab zurüd, 
die Etiftsbame trat ein, und die Feier begann. Daniel 
aber Hatte es bei ben Worten des Fräulein durchzuckt 
wie ein eleftrifher Strom, er ftand regungslos und 
ftarrte mit weitaufgerifjenen Augen auf die wallenden 
Trauerflore, hinter denen fich das Antliß feiner Mutter 
barg! | 

Im Traum Hatte er es wohl oft gefeben! Dann 
kam eine lite Srauengeftalt, mit dem Antliß des 
Schutzengels, neigte ſich über ifn und küßte ihn, und 
wenn er aufwachte, dann dachte er feufzend: „Ad, Daß 
ih mein Mütterchen doc; immer ſehen fönnte, nicht 
allein im Sclafl* Und nun Bing ihr Bildnis dicht 
neben ihm, er braudite nur die Hand zu heben, um fie 
endlih, endlich zu ſchauen! 


36 


Das letzte ‚Amen‘ war verflungen, und nad) ber 
ftrengen Reifung der Gräfin entfernte fich die Piener- 
ſchaft in lautlofer Haft. oo 

Die alte Dame wartete, bis die lebte Geſtalt Hinter 
der Zür verfhiwunden, dann faßte fie Daniels Hand und 
wollte ebenfalls die Echwelle überfchreiten. 

Da umſchloſſen fie die mageren Armchen des Knaben 
poll leidenjchaftlider Erregung. 

„Rod nicht, gnädige Tantel“ flehte er mit zitternder 
Etimme: „Laß mich erit das Bildnis meiner Mutter 
fehen!“ 

Die angewurzelt ftand die Hohe Frauengeftalt. Ein 
zorniges Aufflammen ging dur) ihr Auge, und Die 
Drauen zogen fih fo finfter zufammen, daß Daniel 
erſchrocken die Hände ſinken ließ. 

„Qarrheit! Wer Hat dir von dem Bild geſprochen?“ 

„Sräulein Margarete!* ftotterte der Kleine und fügte 
entihuldigend Hinzu: „Aber jie hat es nur ganz, ganz 
leife gejagt! Ad, und idy möchte die Mutter fo gern 
fehen, nur ein einziges Mal ziehe den Vorhang beifeite, 
gnädige Tante!“ Die Stiftsdame faßte in ihrer ſchroffen 
Weile die Schultern ihres Neffen und [hob ihn zur 
Zür hinaus. 

„ein! jene Frau auf dem Bild ift tot und vergeſſen, 
man foll feinen Srabesfrieden ftören. ch bin Deine 
Mutter, du Haft feine andre als mich!“ 

Tränen traten in Des Kindes Auge, wie ein Auf 
frei ging es durd) feine Seele: „Du haft" mich ja nicht 
lieb, du kannſt nicht meine Mutter fein!“ Die Gräfin 
aber drehte den Schlüffel kreiſchend im Schloß, 309g ihn 
ab und fchritt nach ihren Gemächern zurüd. 

Da tat Daniel etwas, was er fonjt nie im Leben 
getan haben würde: Er blieb nicht, wie die Stiftsdame 
befahl, in dem erjten Salon zurüd, fondern ſchlich ihr 
auf den diden Seppichen bis zu ihrem Echlafzimmer 
nach und ſah, too der Schlüffel wohl bleiben werde. Ä 

In eine Heine Shenholztrube, die auf Dem Bronze» 


37 


jims über dem Sopfende des DBettes ftand, Tegte ſie 
ihn nieder. 

Am andern Tage ward die deutſche Soubernante 
ganz plöglihd aus ihrem Dienſt entlaffen, und Gräfin 
Arlowsk fagte dem Hausbofmeifter, daß in Zukunft die 
Gedächtnisfeier nicht mehr in dem Öterbezimmer, jondern 
in der Kapelle ftattfinden werde. 


Der Herbftwind pfiff abermals fein wildes Lied um 
die Schloßtürme von Miskow. Die Oftfee trieb ihre 
Ihaumgefrönten Wogen Donnernd gegen den Strand, 
und ſchwere Hagelſchauer praffelten an die Yenfter- 
iheiben. Es war eine unheimlide Nacht. 

Sinter den Scheiben der Fenſter huſchten eilig Die 
Lichter, leiſe Schritte Hafteten treppauf und treppab, 
und wenn die Diener oder Mägde in Heinen Trupps 
ftanden, fo ftedten fie mit wichtigem Zlüftern die Köpfe 
zujammen. 

Gräfin Arlowsk war unter beängftigenden Symptomen 
ganz plöglih erkrankt. Der Arzt zudte die Achfeln 
und wich nicht von dem Lager der Leidenden, die ‚mit 
Dunlelgerötetem und fieberheißem Haupt Die verwor⸗ 
tenften Dinge phantafierte. 

Segen Abend trat etwas Ruhe ein, Die Atemzüge 
wurden gleichmäßiger und die wirr um ſich blidenden 
Augen ſchloſſen fih. Pa zog man behutfam die DBett- 
gardinen zufammen, Dämpfte dag Licht und begab ſich 
in Das Nebengemach. Durch das ganze Schloß ging 
es wie ein Aufatmen, als man die 'Bebieterin mit dem 
alles überwadhenden DBlid an ihr Zimmer gefeffelt 
wußte. Sin jeder ſchlug ſchnell feine eignen Wege ein 
und profitierte von Der Freiheit, die ihm ſo unfrei⸗ 
willig gewährt wurde. | 

Auh Daniel war weniger ftreng beauffichtigt wie 
fonft. Mabdemoijelle und Paul Fedrowitſch machten eine 
romantiide Promenade durch den näditlihen Sturm, 
um ein ‚unfterblid Wort‘ über die tofenden Seen der 


38 


Brandung zu jauchzen; Miß Dane faß über einem 
Roman und blidte weder rechts noch links, und der 
deutfhe Kandidat, der die entlaffene deutſche Erzieherin 
erjegte, hatte fich in fein Zurmftübchen zurüdgezogen, 
um mit ſehnſuchtskrankem Herzen alle deutſchen National« 
lieder zu fingen und zu fpielen. 

Miß Jane wollte Daniels Arbeiten überwachen, aber 
fie ſah und hörte ‚nit, was um fie ber vorging, und 
wozu au? Der Kleine war ja ein jo unheimlich artiges 
Kind, daß er gleih wie ein Puthuhn mäuschenftill 
auf einem led figen blieb, wen man einen Kreideftrich 
um ihn herzog. So hörte fie auch nicht, wie der Heine 
Fürft vom Stuhl glitt, mit behutfamen Schritten bie 
Zür erreihte und Dahinter verfchivand. 

Der Korridbor war hell erleuchtet, aber ftill und ein- 
fam, und die Tür zu der Gräfin Salon ftand angelweit 
offen. Daniel ſchlich vorfichtig über die Teppiche bis 
in das nächſte Gemach, und weiter, immer weiter bis an 
die Portiere, Die die Schlafftube von dem Wohnzimmer 
trennte. Auch Hier feine Menfchenfeele.. Daniel atmete 
tief, faft feuchend auf. Seine Augen haben einen unge- 
wohnten leidenfchaftlihen Glanz, und fein gebrechliches 
Figürchen richtet fi” entfchlojfen auf. Leife nähert er 
fih dem dunlelpioletten Samtvorhang und lugt in das 
Kranlenzimmer, dann tritt er auf den Fußfpißen ein und 
fHleiht an das Himmelbett heran. Pie Atlasporhänge 
knirſchen unmerklich in den alten, die Schläferin regt 
ih nidt. Debend wie ein Onömden und dennoch 
mit zitternden Gliedern Befteigt der Heine Fürft einen 
Stuhl, taftet nach der fhwarzen Truhe auf bem Sims 
und ſchlägt ihren Dedel zurüd. Sin Zuden geht durch 
feine Hand, da fie den Schlüffel, den er fucht, berührt. 
©r faßt ihn, huſcht vom Stuhl zurüd und entjchwindet 
lautlos wie ein Schatten Hinter der Portiere. Im Vor⸗ 
zimmer fteht ein brennendes Licht auf der Marmorkonfole 
por dem Spiegel. Daniel nimmt es und entflieht voll 
ftebernder Haft mit feiner Beute. Niemand begegnet 
ihm, er erreicht über eine dunkle Treppe ben Flur, der 


39 


nach dem GSterbezimmer des Füriten führt. Sonſt ift 
er ftets ein fcheues, ängftlihes Kind gewefen, heut 
tennt er feine Furcht. Mit brennenden Wangen fteht 
er por der gejchnigten Sichentür, ſetzt das Licht auf 
die Dielen und ftedt den Schlüffel in das Schloß. 
Sr muß fih Schweißperlen auf die Stirn arbeiten, 
ebe der Schlüfjel ſich Tnarrend dreht; feine jchwachen 
Kräfte aber ſcheinen fich in der Aufregung verdoppelt zu 
haben, und poll zitternder Haft greift er nad) dem 
Leuchter und legt die Hand auf die Klinke. 

Die Sehnſucht nach feiner Mutter und der Wunſch, 
fie zu ſehen, der ihn voll unausfpredliden Wehes 
Tag und Nacht verfolgt bat, foll ſich endlich erfüllen. 

Sr öffnet die Tür und tritt ein. 


Sünftes Kapitel 


Der Heine Fürft ftrebte mit ftarrem Blid dem ver- 
büllten Bild der Mutter entgegen und hatte für nichts 
andres Einn und Intereſſe, als Die dunflen Schleier 
zu heben, um endlich ihr Antlig zu fchauen. 

Draußen beulte der Sturm, riß an den Fenjterläden 
und peitjchte die Eiskörner praffelnd gegen Mauer und 
Scheiben. Im Kamin fauchte und [chrillte es wie un« 
heimlicher Geiſterſpuk, und hinter dem Holzgetäfel der 
Wand trieben ein paar Mäufe rajchelnd ihr Spiel. 

Daniel fah und hörte nicht, was um ihn ber gejchab, 
er faßte die ſchwere Wollportiere und zog fie beijeite. 
Ein Stüd Goldleiſte des Rahmens, etwas ſchwarzer 
Hintergrund und die Falten eines weißen Gewandes 
wurden jichtbar, und fo ſehr das Kind ſich aud; bemühte, 
das Gemälde vollftändig zu enthüllen, es gelang nicht. 
Kurz entjchlojfen wandte er fih um und fahte einen 
der gejchnigten Seſſel, ihn heranzuſchieben: vergeblich, 
die ſchwachen Armchen Maren nicht imftande, das 
wuchtige Möbel von der Stelle zu rühren, ob auch Die 


40 


Anftrengung die Abern auf der Stirn des Knaben 
Thwellen ließ. Ratlos, fiebernd por Aufregung fchaute 
er fih um und eilte haſtig zu einem Heinen Zaburett, 
Das, auf drei zierlihen goldenen Beinchen ftehend, 
mühelos fortzubewegen war. 

Daniel erfaßte und trug es vor das ®emälde, dann 
fletterte er, den Leuchter in der Hand baltend, auf Den 
gepufften Atlasftoff und ſchob nun mit der freien Rechten 
die Wollfalten beifeite. Atemlos, mit bebenden Lippen 
und eisfalten Händchen ftarrte das Kind in das Antlig 
der jo unausſprechlich geliebten, ihm ewig fernen und 
fremden Wutter, und ftrahlendes Sntzüden leuchtete 
aus den dunklen Augen und bob die kleine Druft in 
tiefem, wonnefamem Seufzer, als ſeien Zentnerlaften von 
Kummer und SHerzleid durch diefen Augenblid von ihr 
genommen. Ä 

Die ſchön fie war, wie gut und mildel ©leich ‚dem 
Marmorengel in der Kapelle lächelte fie voller Liebe zu 
ihm nieder! Wie ein SHeiligenfchein deuchte ihm Die 
Pracht der goldenen Loden, die ihr geneigtes Haupt 
umtoallten, wie taufend zärtlide Worte ſchwebte es 
um ihre Lippen, und Die Augen, die wie in ergebungs- 
voller Sehnſucht verflärt in die feinen fchauten, Die 
Thienen ihm zuzurufen: Hab' Dank, du lieber, Tleiner 
Daniel, daß du zu deiner Mutter kommſt!“ 

Ihre Hand, die auf den weißen Atlasfalten rubte, 
hielt ein vierblättriges Kleeblatt, ein Pflänzlein, das 
ihr wohl ganz befonders teuer war. 

Daniel ſah es, ſah alles, jeden Heinften PBinfelftrich, 
aber fein DBlid fehrte immer wieder zu dem lieblichen 
Antlitz zurüd, und Auge rubte in Auge, und in feinem 
Herzchen quoll es heiß und übermädtig auf und ver- 
Iangte voll Baltlofer Sehnſucht an die Bruft der Mutter! 
Küffen wollte er ihr liebes Angeficht, nur einmal küſſen, 
wie andre Kinder ihr lebend Mütterchen herzen, und 
Daniel ftrebte Dicht zu dem Bilde heran und drüdte 
feine Lippen auf die fühle Leinwand. Da durchſchauerte 
ihn eine hohe, unausſprechliche Glückſeligkeit, er war nicht 


41 


mehr allein und verlaffen, er hatte gefunden, was er 
mit heimwehkranken Herzen geſucht. 

„xiebes, liebes Mütterhen!* ſchrie er jauchzend auf 
und taftete erfchroden nad) einem Salt. Aber unter 
feiner beftigen Bewegung Hatte ber unfidhere Stuhl 
geſchwankt, der glatte Atlas glitt unter den Füßen 
fort, und in ſchwerem Sturz ſchlug Daniel auf den harten 
Parkettboden nieder. Der Leuchter Flirrte auf der Erde, 
und dann war eg dunfel und ftill in dem Zimmer. Sinen 
Moment war der Kleine wie betäubt, dann ftarrte er 
mit angfterfülltem DBlid in die Düſterheit, die ihn um⸗ 
gab, und mollte fchnell emporfpringen, ſich nad) ber 
Zür zu flüchten. Ein jäher, furdhtbarer Schmerz im 
Rüden ließ ihn mit leifem Schmerzenslaut zurüdfinten; 
wie an allen Oliedern gelähmt lag er hilflos auf dem 
Barten Boden, und jede Bewegung verurfadhte ihm er- 
neutes Web. 

Falbes Mondliht fiel Dämmernd dur‘ die un« 
verhüllten Fenſter, fommend und gehend, je nachdem 
der Sturm das zerriffene Gewölk unter ihm vorüber» 
jagte; und erſt jet feiner gangen Situation eingedent, 
erfhauerte Dantel durch Markt und Bein. Wie allein 
er iftll Wie es um ihn ber fauft und hHeult, wie es 
an das Fenſter klopft und mit wilder Stimme unver⸗ 
ftändlide Worte ruft! Schatten huſchen über den Fuß⸗ 
boden, und dort drüben in der Ede rafchelt und Inufpert 
es. Und auch dicht Hinter ihm an der Wand beginnt 
ein wunderbares Kniftern! Der Heine Fürft hat längft 
wieder die Augen geſchloſſen; das Entfegen treibt ihm 
falten Schweiß auf die Stirn und die Schmerzen im 
Rüden werden immer fchlimmer, wenn er ſich regt. Und 
wie ein Dlig zudt ihm erft jebt das DBewußtfein durch 
den Einn: „Du bift in der unheimlichen, gefürchteten 
Etube, in der dein Vater einft mit blutendem Haupt ge» 
ftorben!“ Auf derſelben Etelle bat er gelegen, wo jebt 
Daniel liegt, und wie die Stinnerung an jenes grauen- 
polle Bild in des Kindes Phantafie lebendig wird, da 
fträuben fi) in qualvollem Sntjegen feine Haare und 


42 


die Derzweiflung reißt Ihn mit geöffneten Augen empor, 
daß er entfliehe. 

And wie er halb betäubt por Schmerz fi auf Die 
Knie emporgerafft, da ſchüttelt ihn abermals ein jäher 
Schreck. Das Zimmer ift plößlih mit rotfladerndem 
Licht erfüllt, und an dem ſchwarzen Vorhang vor feiner 
Mutter Bild züngeln die Flammen empor, Die das 
niedergefallene Licht entzündet. Höher und höher klettert 
die verderbende ©lut, und ein gellender Echrei entringt 
fih den Lippen des Knaben: „Meiner Wutter Dild, 
meinee Mutter Dild verbrennt!“ 

Er Sieht, wie die Funken bereits den goldnen 
Rahmen umfprühen, wie die leichten Florſtreifen gleich 
Zeuergarben aufflammen, und in Todesangft, außer fich, 
alles vergeffend in dem Oedanken, Das teure Kleinod zu 
retten, fpringt er auf die Füße. Sin paar Schritte 
taumelt er nach der Tür und Bricht abermals wie don 
einem Blitz getroffen zufammen. Seine Füße fcheinen 
leblos und feine Schmerzen werden unerträglich, aber der 
Teidenfhaftlihe Wunfch, das Gemälde vor dem inter» | 
gang zu retten, ftählt feine Nerven und erhält ihm das 
DBemwußtjein. &r entjinnt fi, daß fein Dater an einem 
Schellenzug Bier an der Wand gezogen, wenn er Be— 
dienung braudte. Richtig, Dicht vor ihm, im grell« 
zudenden Licht fieht er die goldnen Quaſten bernieder- 
Dängen. | 

Daniel beißt die Zähne zuſammen und fchiebt ſich 
unter wildem Schmerz langfam bis an die Schellenfchnur 
heran. Boll zitternder Haft erfaßt er den Klingelgug 
und zieht fo ſtark und unaufhörlid daran, wie feine 
Ihwindenden Kräfte erlauben. 

©ott fei gelobt, er Hört den fchrillen Glodenton er⸗ 
ſchallen, der Hilfe bringen wird. 

Sein Armchen ſinkt kraftlos hernieder, er wendet das 
Haupt nach dem Bild ſeiner Mutter. Die Vorhänge 
ſind bereits in Flammen aufgegangen, jetzt brennen 
ſie oben an der Tapete und dem Rahmen weiter. Rings⸗ 
herum brennen die Goldleiſten, auch die Leinwand glimmt, 


43 


und rotes Licht frißt gierig an den weißen XAtlasfalten 
empor. Umglüht von grellem Feuerſchein fteht die lichte 
Frauengeſtalt und blict Lächelnd zu ihrem Kinde herüber. 
Eie lebt... fie bewegt fi... tritt aus dem Rahmen 
und ſchwebt auf ihn au... 

„Mütterhen!“ hallt es wie ein Hauch von Paniels 
Lippen, fein Kopf fintt zurüd, aber er jieht noch, mie 
feine Mutter fich lächelnd neigt und ihn in die Arme 
nimmt: ‚Sei getroft, mein Heiner Schmerzensreich!‘ 
flüfterte fie Durch das Kniftern und Saufen der Flammen, 
‚ih babe ein hartes Schickſal über dich gebracht, aber 
ih komme dereinft und nehme alles Weh und alles 
Herzeleid wieder pon dir!‘ 

Da lädhelt das arme, häßliche Kinderantlit wie ver» 
Härt, und er lehnt voll füßen Friedens das Köpf- 
hen an die Bruft der Mutter, und dann iſt es Still, ganz 
hin um ihn = 


Als der ſeit Jahren nicht mehr vernommene Glocken⸗ 
ton aus den Zimmern des verſtorbenen Fürſten durch 
den Korridor ſchrillt, hat die Dienerſchaft zuerſt ein 
bleicher Schreck erfaßt. Man hat ſich bekreuzt und an 
böſen Spuk geglaubt. Gleicherzeit aber iſt Miß Jane 
angſtvoll herzugelaufen und hat gerufen: „Wo iſt Da⸗ 
niel? Der kleine Fürſt hat ſich heimlich aus dem Zimmer 
entfernt!“ 

Da ſchlägt die ©lode noch einmal ſchwach an, und 
alles ftürmt die Treppe empor nad) dem Sterbezimmer 
Sobolefskois. Rauch dringt ihnen entgegen und Brand⸗ 
gerud, und wie fie den Schlüffel im Türſchloß erbliden 
und die breiten Sichenflügel aufreißen, da ſchauen fie in 
Iohende Flammen. 

Bewußtlos liegt Daniel neben dem Echellenzug aus» 
geftredt. Außer fih por Angft hebt ihn der Gou— 
perneur auf feine Arme und ftürmt mit ihm nad) bem 
Schlafgemach. Das Feuer wird bald gelöfcht, aber das 
Gemälde der Fürftin ift faft vollftändig zerftört, nur 


44 


die Augen find feltfamerweife verfchont geblieben. Mi 
Jane nimmt fchnell das herausbrechende Stückchen Lein- 
wand an fi, in den verfohlten Trümmern wird es 
niemand vermiffen, und dur; Janes Herz zieht es wie 
eine wehmütige Ahnung, was den verwaiften Knaben 
in dieſes Zimmer getrieben. 

Die nächſtfolgenden Tage find doppelt rei an Sorge 
und Angft. Daniel liegt in einem hitzigen Nerbenfteber, 
und jede Minute würfelt um Leben und Tod. Aber 
fein elender Heiner Körper ringt mit erftaunlicher Zähig- 
feit gegen die Gewalt der Krankheit, und feine Relon- 
valeſzenz tritt fchneller ein als bei Gräfin Arlowsk. 
Doch mit dem wiederlehrenden Bewußtſein des Tleinen 
Sürften offenbart fih ein neuer Sammer, von deſſen 
Eziftenz feine Menfchenfeele eine Ahnung gehabt. Der 
Arzt unterfucht den fchmerzenden Rüden des Kindes und 
— leichenblaß bei der entſetzlichen Entdeckung, die er 
macht. 

„Sinen Schaden fürs Leben?“ ſchluchzt Miß Jane, 
an allen Gliedern zitternd, „allbarmherziger Himmel, 
wenn das unglüdlide Geſchöpfchen noch zum Krüppel 
wird, Habe ich in Ewigkeit feine ruhige Minute mehr!“ 

So gewiffenhaft der Arzt auch alle Mittel und Wege 
einfhlug, das Unheil abzuwenden, und fo rührend ge 
duldig Daniel alle Qualen ertrug, fo verriet dennoch 
die troftlofe Niene des Mediziners, daß allmählich 
jeglihe Hoffnung ſchwand. Und Hätte er auch noch mit 
vagen Bertröftungen über die Wahrheit hinwegtäuſchen 
wollen, fo wäre doch der immer fihtbarer hervortretende 
runde Rüden des Knaben der traurigfte Gegenbeweis 
gewefen. Gräfin Arlowst war zuerft, und wohl zum 
erfienmal in ihrem Leben, faſſungslos. Sie rang Die 
Hände und weinte Tränen der DBerzweiflung, den lebten 
Zweig eines fo ftolzen Geſchlechts als dürres und ver- 
Trüppeltes Reislein unter einem einzigen Wetterſtrahl 
des Schickſals zufammenbreden zu ſehen. Dann er 
faßte fie ein grenzenlofer Zorn und Haß gegen die, Die 
ein ſolches Glend durch Leihtjinn und Nachläſſigkeit ver- 


45 


ſchuldet hatten. Abermals entließ fie alle Perfonen aus 
der Umgebung des fürftlihen Erben, und Miß Janes 
heiße Tränen und feldft ihr Flehen auf den Knien ver- 
mochte nicht, Diefe Strafe von ihrem Haupt zu wenden. 

In den legten Wochen, die fie voll Zodesangjt an dem 
Echmerzenslager Daniels verlebt Hatte, war ihr der 
Kleine lieb und teuer geworden, und aud) Daniel batte, 
was fonft noch nie an ihm bemerkt worden War, eine 
befondere DBorliebe für das blaſſe fchlanfe Fräulein an 
den Tag gelegt. Und nun Tniete Miß Jane in dem 
Reifelleid neben ihm, ſchlang die Arme um die jammer- 
volle Heine Figur und nahm ſchluchzend Abſchied. Auch 
in den Augen des Kindes fpiegelte ſich das Herzeleid 
diefer Trennung. Vergeblich hatte er die Tante gebeten, 
feine gute Jane doch bei ihm zu laffen, und fo nahm er 
ihren Kopf in feine beiden mageren Händchen und fagte 
voll ungewohnten Trotzes: „Weine nicht, Du Liebe! 
Denn ich erft groß Bin und meinen eignen Willen habe, 
rufe ich Dich zurüdl“ 

Jane küßte ihn voll Zärtlichkeit. „Wirt du mid 
nit vergeffen bis dahin, Darling? Nein? Well, fo 
will ih dir ſchon jebt zeigen, wie treu ich es meine. 
Mein Baniel Hat fo Bitterlich gemeint, weil feines 
Mütterchens Bild verbrannt ift, aber fieh, alles haben 
dir die Flammen doch nicht genommen! Beine Jane 
bat ein weniges noch aus ihnen gerettet und wird es 
Dir nun zum Andenten fchenten. Sieh her! Ein Stüdchen 
Etirn mit blondem Lodenhaar und darunter die aller» 
Ihönften dunklen Augen, die man finden mag; Die 
ſehen di nun immer an und grüßen dich von deiner 
treuen Jane!“ Und die Sngländerin nahm das Stüddhen 
Leinwand, das fie aus dem verfohlten Bildnis der 
Sürftin gerettet, unter ihrem Hutſchachteldeckel hervor 
und reichte es ihrem Yögling. 

Wie erftarrt vor Freude fchaute Saniel auf Das . 
Kleinod, das ihm entgegengeboten wurde. „Ob, Jane!“ 
murmelte er, und dann faßte er zagbaft nad) dem 
Drudftüd des Bildes und betaftete und ftreichelte eg, 


46 


als müffe er fich überzeugen, daß ihn fein Saum 
täujche. 


„Hebe es gut auf und laß es ja nicht Die gnädigſte 
Tante feben, fonft nimmt fie es dir fort, und Deine 
Freude ift porüber!* mahnte Jane eindringlich. 


Daniel bob das Geſichtchen, ein fremder, zorniger 
Ausdrud beherrſchte es, und die Zähne biſſen ſich 
Inirfhend aufeinander. Dann war's, als erſchrecke er 
bor jeinen eignen Gedanken. Haſtig und mild wie 
ftets, ſchüttelte er den Kopf. „Sorge did) nicht, Jane, 
ih verwahre es gut! Hinter dem Bild der heiligen 
DBarbata über meinem Bett werde ich es befejtigen, 
dann Tann ich es alle Abend und jeden Morgen ſehen. 
Dir aber will ich's bis an den Tod gebdenten, was bu 
mir in dieſer Stunde Gutes getan!“ 


Die Jahre fchlihen Iangfam und einförmig dahin. 
Daniel war ein verwachlener unſchöner Knabe, deifen 
Weſen und Charakter fich immer eigenartiger geftal» 
teten. Stundenlang lag er in dem fonnendurdhglühten 
Dünenfand, regungslos vor fidh niederftarrend auf Die 
rubelofe, immer wechlelnde Pracht des Meeres. Wenn 
fih aber am Horizont ſchwarze Wollen ballten und 
die Slut fi aus bleigrauer Trägheit emporraffte zu 
wild auffhäumendem, donnerndem Zorn, dann branbete 
auch Hinter feiner Stirn die Leidenfhaft. Ob, Daß er 
frank und verfrüppelt war, Daß er nie als Soldat hinaus 
zum Kampf ziehen fonnte, daß er fi auf fein Roß 
ſchwingen durfte, es zu bändigen, wie andre Knaben 
feines Alters, daß er durch feine ftets wiederkehren⸗ 
den Afthbmaanfälle felbft unfähig war, zu lernen und 
zu ftudieren, um dem DBaterland wenigftens dur) Kopf 
und Geiſt nügen zu können, da er es nicht mit ftarker 
Sauft vermochte! 

Als der junge Fürft das zwanzigſte Lebensjahr er- 
reicht, beftimmte ihn Gräfin Arlowsk, zu feiner Bildung 


47 


eine Reife in das Ausland zu unternehmen. Da trat 
der &infame zum erftenmal in die bunte Welt hinaus. 
Zuerft blendete und betäubte fie ihn, Dann gemwöhnte 
er fich rejigniert an ein Leben voll Luzus, Slanz, Ab» 
wechſſung und Amüfement, ohne ihm Geſchmack abge- 
winnen zu fönnen. 

Mistow Hatte ihn manches Genuſſes und mancher 
lärmenden Zerftreuung beraubt, aber es hatte ihn auch 
vor den zahliofen Sifttropfen bewahrt, die die Welt 
mitleidslog in Das empfindfame Herz des jungen Mannes 
träufelte. Daß er ein Krüppel, untauglich zu Dienſt und 
Arbeit fei, das hatte er bereits in der Weltvergeffenheit 
feines Strandfchloffes erfahren; daß er aber ein häßlicher, 
auffallend bäßlicher Zwerg war, die Zielſcheibe mand) 
rohen Spottes und mand) frecher Schmähung, das lehrte 
ihn erft die Fremde, und das wurde zu einem berberen 
Weh für ihn als all die unfäglidden Schmerzen, Die er 
je erduldet. 

Ein wunderfamer Entſchluß keimte in feiner Seele, 
ein ungeftümes DBerlangen, das zu erforjchen und zu 
ergründen, was ihm als qualvolle Krankheit das Leben 
vergällte. Umfonft war alles Proteftieren feines Gou⸗ 
verneurs, Daniel ftudierte Medizin. Bei den berühmte» 
ften Profefforen des In⸗- und Auslandes wurde er 
Schüler, und wenn fein ſchwacher Körper anfänglich aud) 
oftmals in tiefer Ohnmacht vor den Operationstifchen 
zufammenbrad), To feßte fein eifernes Wollen und fein 
wachſender Eifer dennoch durch, Daß feine Lehrmeifter 
[hließlih die Hand auf das Haupt des jungen Fürften. 
legten und fein Können und Wiſſen groß und erftaunlich 
nannten. Und als er fein Doktorexamen beftanden und 
zum erftenmal rettend an ein Krantenlager getreten war, 
da war es ihm, als ob ©eifterlippen ihn legnend auf die 
Stirn gelüßt. 

Er kam in die Heimat zurüd und wurde majorenn; 
und an demfelben Tag, ber ihn zum unumfchränkten 
Herrn von Millionen, von einem der edelften Namen, 
von allem machte, was eines Menſchen Herz begehrt, 


48 


da kam ein Brief aus bem Kabinett des Zaren und 
berief den Fürften Daniel Sobolefskoi an feinen Hof. 

Ein füßer, feiner Duft entftrömte dem Schreiben, „ein 
Hauch jener Luft, die Kronen ummweht!* wie Gräfin 
Arlowsk enthuſiaſtiſch ausrief. Und fie umarmte den 
Neffen zum erftenmal in ihrem Leben und ſprach voll 
ftolzer ®enugtuung: „Sr wird dich zu feinem Kammer« 
herrn maden, Daniel, und das goldene Treſſenkleid 
wird alles zudeden, was die Natur an dir gejündigtl“ 

Der Erbe von Miskow antwortete nicht, er ftarrte 
zum Senfter hinaus in die blutrot untergehbende Sonne 
und dedte mit geheimen Fröfteln die Hand über. bie 
Augen. Über die fehimmernde Pracht diefes Höflings- 
Heides hatte er einft das Blut des Vaters ftrömen feben. 


Sechſtes Kapitel 


Miederholt Hat Sräftn Arlowsk zur fchleunigen Ab- 
reife nad) Petersburg gedrängt. Fürft Daniel Sobo— 
lefskoi aber fcheint feine fonderliche Sile zu haben, und 
bie Stiftsbame muß ſich poll herben Unmuts an die Tat- 
ſache gewöhnen, daf ihr Pflegebefohlener ein Mann ge» 
worden, der fih von niemand mehr befehlen läßt, au 
nicht von ihr. Daniel hat ihr das zum erftenmal bewiefen, 
als Gräfin Arlowsk ihm das Selübde abfordern wollte, 
nie nach feiner Mutter, nah ihrem Namen und ihrer 
Herkunft zu forfhen. Er verweigerte es voll aufflam- 
menden Zornes, hatte haftig feinen ®eburtsichein und Die 
Shepalten feiner Eltern unter den Händen der Gräfin 
fortgerifjen und zum erftenmal hochklopfenden Herzens 
den Namen Des geliebten Weſens gelefen. „Eglantina 
Ruzzolane!“ Ehrfurchtsboll dDrüdte er die teuern Buch 
ftaben an die Lippen, und dann wandte er das Haupt 
und mufterte die ©räfin mit einen Kl m. ver⸗ 
achtlichen Blick. | | 


4 Eihfkruth, Hofuft 49 


„Sebt begreife ich dich und ben Haß, den du gegen 
Die unebenbürtige S®emahlin des Fürften Sobolefstot 
gehegt. Mir erfcheint das unbegründet und lächerlich. 
Was weißt du pon der Familie meiner Mutter? Er- 
zähle mir!“ 

Kathinka Arlowsk lachte hart und kurz auf; ihr Blich 
ſchillerte. „Nur Batfachen, die mich in Deinen Augen 
abermals lächerlich machen würden. Wart’s ab, big 
du nad) Petersburg Tommft, dort pfeifen’s die Spaten 
vom Dahl“ Und die alte Dame reijte ſchon an dem 
darauffolgenden Tage voll tief beleidigten Stolzes wieder 
nad) ihrem Stift ab. 

Daniel erzwang fich noch ein Lebeiwohl beim Abfchiebd, 
denn er wußte nicht, ob er die Sräfin wiederſehen werde. 
Eie aber grüßte den Sohn der Eglantina Ruzzolane, wie 
man einem Bettler am Wege ein Almojen zumirft. 

Zum Dank für die Pflege fchidte ihr der junge Fürft 
die Schenkungsurkunde feines Palais in Petersburg, 
der unbemittelten Stiftsdame einen angenehmen Auf 
enthalt in der geliebten Refidenz zu ermöglichen. In 
zwei Stücke zerriffen erhielt er das Dokument zurüd. 
Damit waren die Bande zwiſchen Pflegemutter und 
Pflegefohn für ewige Zeiten gelöft. 

Da Miß Iane fi in einer mehrjährigen Stellung 
fehr wohl fühlte, Daniel aber nicht wußte, wie ihm: fein 
Schickſal noch durch die Welt treiben werde, febte er 
der einzigen Freundin feiner Kindheit ein echt fürft- 
liches Tafchengeld aus und rüftete ſich alsdann, dem Rufe 
Des Zaren zu folgen. 

Die kaiſerliche Familie Hatte abermals einen kurzen 
Aufenthalt in Oatfchina genommen, und fo wurde Der 
Sohn des ehemaligen Kammerherrn zur erften Audienz in 
Dasfelbe Zimmer befohlen, in dem vor langen Jahren jein 
Vater zum letztenmal vor feinem Kaifer geftanden. 

Wieder fauften die Rappen der Sobolefskoiſchen Gqui⸗ 
page an dem Standbild des Faiferlihen Ahnherrn vor» 
über, Die Rampe por dem Schloffe empor; wieder riffen 
träftige Tſcherkeſſenfäuſte mechaniſch die Zürflügel auf, 


50 


und der junge Fürft trat ahnungslos über die Schwelle, 
an ber das Lebensglüd feines Vaters zeriplittert war. 
Lakaien und Kammerdiener neigten fich in reſpektvollem 
Gruß, und dennoch rifjen fie die Augen weit auf vor 
Staunen, als unter dem pelzverbrämten Nlantel die un«- 
glüdlihe Geſtalt dieſes vornehmſten aller rufjiichen 
Ariſtokraten fihtbar wurde. 

Langſam, fchleppenden Schrittes, hier und da ftehen- 
bleibend, um mühfam Luft zu ſchöpfen, ftieg Daniel 
Sobolefstoi die Marmoritufen der ‚goldnen Sreppe‘ 
empor. Und an derjelben Stelle, in demjelben Saal, 
wo por langer Zeit Madame de Louz den legten Dlid 
auf Zürft Gregor geworfen, ftanden auch heute wieder 
Drei Damen in leife tufchelndem Geſpräch, und die Zere- 
monienmeifterin, Gräfin Karnitcheff, die Torpulente Ma⸗ 
trone in der Iangfchleppenden kirſchroten Samtrobe, bob 
ungeniert die Lorgnette und mujterte den Sohn des Kam- 
merberrn mit ernftem DBlid. Und a tempo hoben audy 
Die beiden andern Damen die ©läfer por die Augen, 
ließen den DBlid fcharf prüfend über den jungen Mann 
gleiten und wandten fi dann, wie in hHänderingendem 
Erftaunen, einander wieder haftig gu. 

Daniel befand fich zum erftenmal am Hof. Die weiche 
balſamiſche Luft, die ihm entgegenwehte, hatte ihm zu- 
erft leicht den Atem benommen; jebt aber, wo er Durch 
die neugierigen DBlide der Damen Spießruten laufen 
mußte, wo ihr unverhohlenes Staunen, ihr fpöttifches 
Kichern und Flüftern ihm ins Herz fchnitt und heiße Glut 
in fein Antlitz jagte, jett deuchte fie ihm ſchier uner⸗ 
träglich. Wie ein Traum mirbelte die bunte Pracht 
etliher Säle an- ihm vorüber, dann flug der vorauf« 
gehende Kammerdiener mit tiefer Reverenz eine Por- 
— zurück, und Daniel trat in das Vorzimmer ſeines 

aren. | 

Der Adjutant eilt ihm entgegen, nennt in zuvorkom⸗ 
mender Weiſe feinen Namen und bietet die Hand zum 
©ruß, aber aud) fein Blick haftet frappiert auf der ver⸗ 
wachſenen Figur des Fürften. | 


48 51 


Daniels Wimpern Itegen tief über den Augen, den⸗ 
noch fteht er alles, und fein Herz blutet. Das Warten 
in diefem DBorzimmer erjcheint ihm widerwärtig. 

Endlich ertönt filberner Slodenfchlag aus dem Arbeits- 
zimmer des Zaren, und nad) wenigen Minuten fteht 
Fürſt Sobolefskoi vor feinem Herrn und neigt das Haupt 
zum Kuß auf die gnädtg Dargereihte Hand. 

Auch der Blid Seiner Majeftät Hat voll Aberraſchung 
aufgezudt, als der einzige Erbe eines uralten Namens 
in jammerpoller Mißgeftalt vor ihn tritt. So bat er den 
Sohn des eleganten Kammerberrn feines DBaters nicht 
erwartet; aber wunderbar, felbft mit dieſem Außern ift 
ihm der junge Mann fompathifcher, als wenn er fchön 
und ſchlank als das verjüngte Ebenbild jenes treulojen 
©ünftlings por Ihm erfchienen wäre, ber feinen Dater 
fo ſchwer beleidigt hatte. 

Jene Zeiten find vorüber, aber der hohe Herr wird 
nicht gern an fie erinnert, wenngleich er perjönlich dem 
verftorbenen Fürften Sobolefstot die Weigerung: ‚Ma- 
dame de Louz zu heiraten‘ feinerzeit als einen Akt der 
Treue gegen Ihn, den G©roffürften, ausgelegt hatte. 

Bol außerordentliher Huld und Leutfeligkeit unter» 
hält fih der bohe Herr mit dem jungen Mann, deffen 
wehmutspoll düftere Augen fein Intereſſe feffeln, und 
Daniel atmet freier auf und denkt bei fih: Wunderbar, 
die Fürftentronen und Alpenfirnen gleichen fihl Yu 
ihren Süßen lagert eine ſchwüle Luft, die mand) giftig 
Samentörnlein weiterträgt und mit gauberifhem Blüten» 
duft Die Sinne betäubt; je höher man aber emporfteigt 
au den majeftätifhen Häuptern felbft, Defto frifcher 
und klarer weht’s einem entgegen! 

Als Dantel verabfchiedet war, hatte er das Ge⸗ 
fühl, als müffe er mit eiligen Rofjen bavonftürmen auf 
Nimmerwiederfehr, um ſich dieſer Stunde Segen zu 
bewahren. Wer einmal mit vollem Verftändnis echten 
Wein gefhlürft, kann dem gefälfchten nie wieder Wohl« 
geihmad abgewinnen. Daniel glaubte, fo reine. und 
öftlihe Hofluft, wie er Auge in Auge mit dem Kaifer 


52 





geatmet, werde feine Stirn doch nte Wieder umivehen. - 
Die Luft aber, die in weiteren Kreifen die Säle und 
Korridore der Fürftenfchlöffer durchzog, die deuchte ihm 
zu ſchwer und giftig für feine kranke DBruft. 

Sa, er möchte hinaus in die weite Welt fliehen, aber 
das Wort des Zaren bindet ihn für die nächſte Zeit 
an Petersburg; er fol nicht nur gelommen fein, um 
wieder gu geben, er foll in dem Palais heimijch werden. 
Und refigniert jeufzt der junge Fürft bei diefem Ge— 
danken auf und fügt fi) dem Willen feines Herrn. 

Als er durch die Halle zurüdichreitet, ſieht er Hinter 
der ©lastür, die den Singang in einen Wintergarten 
oder eine Orangerie zu gewähren fcheint, wieder eine 
der drei Damen ftehen, die ſchon zu Anfang feinen Weg 
gefreuzt. Der feuerfarbene Atlas ihrer Toilette hat ihm 
Ihon vorhin in die Augen geftochen. Jetzt ſieht er ihr 
Direlt in das fchelmifche, pilante, von dunklen Löckchen 
umzitterte Antlit. Sie lächelt ihm mit einer koketten 
Demwegung zu, als wolle fie fagen, ‚ih weiß, wer du 
bift!! und fieht ihm dabei mit einem wahrhaft berüdenden 
Blid in die Augen. Sobolefskoi fühlt, daß Ihm dunkle 
Slut in die Wangen fchieht, daß er Gefahr läuft, in 
feiner DBerlegenheit auf dem weißen Marmor zu ftol» 
pern. Aber diesmal Klingt fein Kichern und Flüſtern 
an fein Ohr, im Gegenteil, das reigende Kleine Sräulein 
trägt einen Ausdrud im Sefichtchen, wie Desdemona, 
als fie das Mitleid für den häßlichen Mohr übermannte. 

Daniel verneigt fi in haſtigem Gruß, fie wiegt 
anmutig das .Röpfchen, und der Erbe ungezäblter Reich“ 
tümer eilt verwirrt und unficher wie ein Kind die goldene 
Steppe bernieder. Gr möchte fragen, wer jene Dame 
war? Aber er hält es für unfhidlihe Neugier und 
Tchreitet mit ftummem Segengrüß an Lakaien und Zicher- 
tejfen borüber nach feinem Wagen. 

In dem Palais Sobolefskoi in Petersburg ange- 
fommen, wirft er ſich in den lichtblau feidenen Diwan 
im ehemaligen Boudoir feines Vaters nieder und ftüßt 
in Dumpfem Nachſinnen das Haupt in die Hand. 


53 


— — ürft Daniel Sobolefsfoi war in Petersburg 
geblieben und Hatte fich auf den Wunfch des Zaren aus- 
nahmslos an den Feſten ‚der Saifon beteiligt. Dem 
Beifpiel des Hohen Herrn folgend, war er überall 
mit ezquifiter Höflichkeit aufgenommen, und dennoch 
deuchte es dem Sohn des ehemaligen Kammerbherrn, als 
ftünde er inmitten des tolliten Karnevaltreibens ein« 
famer und verlafjener, denn auf den Dünen feines welt⸗ 
vergeſſenen Strandichloffes. Sein Erſcheinen in der Refi«- 
denz hatte ſelbſtverſtändlich viel Staub aufgemwirbelt, 
und fo erfuhr Daniel gar bald, weldh eine Mesalliance 
fein Bater geſchloſſen Hatte. Er war weder überraſcht, 
noch peinlich berührt, fondern dachte: „Wie jchön, wie 
edel und gut muß die Mutter gewefen fein, daß das 
Schickſal eine Fürftentrone auf ihre Stirn gedrüdt, daß 
mein DBater nicht gezögert bat, fie zu feiner Semahlin 
zu erheben!“ 

Der junge Fürft war ein charalfterfefter, rechtlich 
dentender Mann geworden, der den Verſuchungen der 
Welt widerftand und fich nicht zum Spielball andrer 
Menſchen machte. Gr Hatte fi dadurch bald unter 
den Herren feine Widerjacher gemacht, Die ihn als Geiz⸗ 
hals, als unliebenswürdigen und ungefälligen Menſchen 
verſchrien, und Die fih an ihm durch Nadelftiche räd)- 
ten, die gegen feiner Mutter Namen und Shre gerichtet 
waren. Und Damit trafen fie Sobolefstot am empfind- 
Iihften und fchlugen ihm Wunden, die nicht wieder ver⸗ 
narbten. 

Mehr und mehr überfam ihn der Ekel und Wider- 
willen gegen die Komödie diefes täglichen Lebens, Deren 
Schalbeit und verächtliche Tendenz er zu wohl durch“ 
ſchaute. 

Stand er iſoliert in der Ecke des Saales, die Pracht 
und Eigenart eines Hofballes zu überblicken, und ſchaute 
er dann mit ſeinem nüchternen klaren Verſtand all die 
kleinlichen Intrigen, Die Neid und Eiferſucht ſpinnen, 
- Die Minen und Gegenminen, die Ehrgeiz, Saljchheit und 
Selbſtſucht Iegen, dieſen Kampf, der unter dem Schild 


54 


des frommen, pollften Sriedens wütet, Diefe Steine, Die 
mit graziöfem Lächeln in den Weg andrer gejchleudert 
werden, all die Ieife ziſchenden Schlänglein, die ſich 
Durch Rofen und Brillanten winden, dann hatte er ftets 
pon neuem das Gefühl, das ihn zum erftenmal in der 
Dorhalle von Gaͤtſchina beichliden Hatte: Die Hof» 
luft erftide ihn! 

Sacha Wronski, die Tleine Gräfin mit Den großen 
Sprühaugen, die vielumfhwärmte Hofdame, die dem 
Fürſten Sobolefskoi den erften Gruß in Gaätſchina gu- 
gelächelt, iſt danach noch oftmals als Iodendes und 
betörendes Irrlichtchen über feinen Weg getanzt. — 
Als Irrlicht! Daniel Hat es bald eingefehen und voll 
Grgebung auch dieſe fchnell auffladernde Hoffnung zu 
©rabe gelegt. Anfänglich war er zu naiv, um ihre 
Kofetterien fofort zu Durchichauen, aber er Hatte bei 
öfterem Verkehr das fih ftets fteigernde Gefühl von 
Unbehagen über ihre Art und Weiſe, die fo gar nichts 
bon der engelhaften Milde und Reinheit einer Des⸗ 
demona an fich Hatte. 

Sahas Bemühungen um den reihen Erben, ‚den 
goldenen Kern in bittrer Schale‘, wie man ihn |pottend 
nennt, find nicht unbemerkt geblieben. Die Mißgunſt 
Thleiht fih an des Fürften Ohr und flüftert ihm voll 
rüder Offenheit die Pläne zu, Die das Teufelsköpfchen 
mit dem Engelslächeln fchmiedet. „Siehft du nicht, wie 
der fchlanfe Offizier, der Schönfte feines Regiments, 
fie eden zum Tanz führt? In ihren DBlumenftrauß, 
den er nedend ihrer Hand entwindet, verfenft er heim⸗ 
lich ein rofiges Billett... und um die beftimmte Stunde 
wirft Sacha den Pelz um. die fchönen Schultern und 
tritt in den verjchiwiegenen Park, um dem Geliebten 
durch perlweiße Zähnchen zuzuflüftern: ‚Wie fannft du 
auf die Goldſäcke eines Zwerges eiferfühtig Jein!'“ 

Sp ziſcht Frau Fama leife Runde, und fie fagt dem 
mißgeftalteten Manne nichts Neues, fie beftätigt nur 
mit Haren Worten, was er felbft gemutmaßt hat. Ob 
er Beweiſe verlangt? Nein, er beabfichtigt durchaus 


b5 


nicht, Gräfin Sacha zu heiraten, weder fie, noch jemals 
eine andre; fein ©lauben an Lieb und Treu iſt vergiftet. 
Er ſucht fein Weib mehr, dag ihn mit Kuß und Liebes» 
wort belügen wird, er ſucht eine Samariterin, die mit 
dunklen Augen den Frieden in feine Seele lächelt, die 
die fühle, fchwefterlihe Hand auf fein müdes Haupt 
legt und mit ihm meint, daß alles fo gefommen! 

Eirne fieberhafte Unruhe erfaßt den jungen Mann und 
treibt ihn in die Ungewißheit der weiten Welt hinaus. 

Die Hofluft, Die dem Dater fo unentbehrlih ge— 
wefen, daß er fein Leben Hinwarf, als ihm verjagt 
war, fie ferner zu atmen, tft dem Sohn fo unerträglid), 
daß er planlog in die Fremde flieht, um fi vor ihr 
zu retten. 

Der Zar bedauert es aufrichtig, daß die häufiger 
denn je auftretenden afthmatifhen DBefchwerden des 
Sürften einen Klimawechfel bedingen. Als Zeichen feiner 
dauernden Huld verleiht er ihm denſelben ruffifchen 
Sausorden, der ehemals die DBruft Des verftörbenen 
- Kammerberrn gefhmüdt, und ſpricht den Wunſch aus, 
den einzigen DBertreter des Sobolefskoiſchen Namens 
gu Öfterem, wenn auch kurzem Aufenthalt in der Heimat 
mwiederzufeben. 

Und als Daniel durch das Portal des Palais zurüd« 
fährt, hebt fich feine Bruft unter einem tiefen Seufzer 
der Grleichterung. 


Stebentes Kapitel 


Fürſt Daniel Sobolefstot hat ein ruhbelofes Wan- 
derleben geführt. Da ift wohl kaum eine Stadt in 
Europa, die er nicht geſehen bat, durch die er nicht 
müden Schrittes einhergegangen, abgeftumpft gegen die 
neugierigen Augen und dreijten Worte, gleichgültig wider 
Die Triechende Unterwürfigfeit, Die feinen goldgefüllten 
Händen gilt. Mit glanzlofem DBlid fchaut er die Wunder 


56 


des Nordens und Des Südens, ein kranker, wunfchlofer 
und lebensüberdrüffiger Mann. Was hindert Ihn am 
Sterben? Wer wehrt es ihm, feinem elenden Dafein 
ein Ende zu machen? Gr hat oft darüber nachgedacht, 
aber fein Zindlich frommer Slaube hat dag Haupt trium« 
pbierend über die Schlange gehoben, die ihn verſuchend 
aus Biltole, Sift und Waffertiefe angefcillert bat. 
Soll er feine ewige Seligfeit dabingeben, um dem Leis 
den zu entrinnen, das doch nur. für eine furge Spanne 
Sröenlebens über ihn verhängt ift? Soll er das Ziel 
all feiner Sehnſucht, feine Mutter, die er mit leib⸗ 
lichen Augen nie gefchaut, auch im Slanz des Himmel- 
reichs nicht ſchauen, — nur darum, weil er verzagt und 
Heinmütig eine Laft von fi) geworfen, die Gott ihm 
in feinem unerforfhlihen Ratſchluß auferlegt? And 
was follte aus fo vielen armen, bedürftigen Menfchen 
werden, die Fürft Sobolefskot faft täglich antrifft, denen 
er als Arzt Hilft und Gutes tut, deren Tränen er 
trodnet und deren Dank er errötend abwehrt? Es iſt 
feine Miffion auf Erden, Traft feines Wiſſens und der 
goldenen Schäte, Die ihm geworden, ein Tröſter und 
Helfer zu werden, und er freut ſich neidlos des fremden 
Elüds, wie ein Kind, das hinter dem Fenjter andrer 
einen Chriftbaum brennen fieht und weiß, daß aud) 
ihm Dereinft die Lichtlein angezündet werden. Und fo 
wandelt er ohne Murren, aber auch ohne Freude den 
dDornenpollen Weg, der zwifchen all dem bunten Leben 
der Welt dennoch fo öd und einfam ift. 

Deutſchland iſt ihm ftets Tieb und ſympathiſch ge- 
wefen, jahrelang bat er fih in feinen Srenzen aufge» 
halten, bis ihn feine krankhafte Unruhe wieder fortge» 
trieben. Angern bat er fich der Notwendigkeit gefügt, 
Die ihn zur Regulierung feiner Angelegenheiten bei 
einem fallierenden Bankhaus nad) Paris geführt. 

Sobolefstoi hat fein zweiunddreißigftes Lebensjahr 
erreicht, aber er zieht jih von der Welt und Sefellig- 
teit zurück, als trage er bereits die grauen Syaare 
eines Greifes. Da kommt der Sommer des Jahres 


57 


1870 und erfüllt die Ufer des Rheines mit gellendem 
Kampfgefchreil Per galliihe Hahn nimmt heimtückiſchen 
Slug, dem preußifchen Königsaar die Augen auszu- 
baden, und Jungfrau Germania greift voll Hirrenden 
Zorns zum Schwert und fchlägt den Räuber ihres 
Friedens nieder. 

Da überzog ich der blaue Himmel plößlich mit Dräu- 
enden Wolfen, und die Donner rollten über dag Schladht- 
feld und die ehernen Siegesſchritte der deutjchen "Armee 
ftampften den welfhen Abermut in Orund und Boden. 
Näher und näher brauften die [chwarz-weiß-roten Wo- 
gen gegen die Weltjeele Paris heran, immer furdht- 
barer gellte das deutſche ‚Hurra!‘ in Die Obren Der 
Bublerifchen Seine-Tize, die plötli mit bleihen Wan⸗ 
gen aus ihren Träumen der Gelbjtüberhebung und 
prablenden Siegesgewißheit emporſchrak und mit zittern“ 
den Händen Wall und Schanze um ihr bedrohtes Lager 
baute. 

Aus Paris flüchtete, wer da flüchten Eonnte. Daniel 
Sobolefstot aber blied. Mit einem graufigen Behagen 
ſah er der welterfchütternden Kataftrophe entgegen, Die 
die Zore von Paris zu ihren Zeugen machen wollte. 
Das Entjeten einer Belagerung jehredte ihn nicht, und 
der Gedanke an die ausbredhende Repolution reizte 
ihn, ſich mitten in die ©ärung zu ftürzen. Sie ftachelte 
den Fürften auf, in dem belagerten Paris zu bleiben, 
und als dag Elend mit feinen hohlen Wangen durch 
die Gaſſen jchlih und das Geſpenſt des Hungers und 
der Berfommenheit por den Toren hodte, da erntete 
Der gute Engel die Früchte dieſes Bleibens und machte 
Sobolefstoi auch hier zum Retter und Helfer von vielen 
taufenden, die durch feine Barmherzigkeit das Leben 
frifteten. 

Der Heine mißgeftaltete Mann wurde zu einer popu= 
lären Berfönlichkeit, por der der Pariſer Pöbel aner- 
fennend den Hut zog, dem er im Park von Monceau 
eine jubelnde Ovation bradte und der aus feinem 
ftets von DBettlern belagerten Haus feine Nationalfahne 


68 


hberauszuhängen brauchte, ſich por Rocheforts Demolie- 
rungswut zu ſchützen. Pie befte Samariterflagge, viel 
fiherer als das weithin leuchtende Kreuz, war die le— 
bendige Mauer, die ſich um die Tleine maison russe auf 
dem Boulevard von Port⸗Royal aufbaute. Zerlumpte 
Stauen und Kinder, por Kälte zitternd, mit weinenden 
Augen und leerem Magen, ftehen ununterbrochen vor 
den Parterrefenftern, ob fich das [hwarzftruppige Haupt 
des ruffifhen Doltors bald zeigen werde. Und öffnet 
fi die Scheibe, oder tritt er felber aus der Haustür, 
der kleine Fürſt Sobolefskoi, fo deucht es den Hungern⸗ 
den und Frierenden, als fet diefes häßliche Antlit mit 
den mild und erbarmungspoll blidenden Augen plößlich 
ſchön geworden wie dag eines Sngels, der mit nimmer» 
leeren Händen feine ®aben ftreut. 

Es war ein bitterfalter Tag. Per Januar hatte 
im eisgligernden Königsmantel feinen Sinzug gebalten 
und alle Schreden mit ſich gebracht, deren Vorahnung 
ben Abermut der ‚Weltjeele‘ nicht hatte dämpfen: kön⸗ 
nen. Gebt aber, wo der Donner der Geſchütze wie in 
heiligem „Zorn über das SHäufermeer rollte, wo Das 
Saufen und Ziſchen der von allen Seiten beranfliegenden 
Bomben und Sranaten ihm ein entſetzlich Todesurteil 
ſprach, wo Kälte, Hunger, Elend und Aufruhr ihre 
Schreckensherrſchaft geltend machten, jetzt neigte Die 
Iofette Sünderin an der Seine das Haupt angjtzit- 
ternd und reuepoll in den Staub. Wohin man blidte, 
die Panik, Verwirrung und Verzweiflung. 

Fürſt Sobolefskoi Hatte die Kirche in Der Rue St. 
Jacques bejudt und fie noch nicht Wieder verlajfen, 
als ein Geſchoß dicht por ihr platte und Die Menge 
in höchſte Aufregung verſetzte. Alles flüchtete ſich mit 
einem Sefchrei der Todesangſt in die Syäufer, nur die 
pelagewidelte Geſtalt des Heinen Rufjen wandelte un- 
befümmert ihren Weg, wie in feder Serausforderung 
der Gefahr, mitten auf dem Straßendamm. 

Stommelwirbel erflingt Hinter ihm. In zügellofen 
Haufen ftürmt ein Dataillon Nationalgarde an ihm 


59 


vorüber, der Pöbel folgt lärmend und verlangt zum 
Stadthaus: „La paix! la paix!“ gellen einzelne Stimmen 
Dazwifhen. Man erkennt Sobolefstoi und reißt ein 
paar rohe G©efellen von ihm zurüd, die mit gemeinen 
Schimpfreden nad feinem Pelz gegriffen haben. Un⸗ 
befümmert fchreitet der Dudlige weiter. Eine Sranate 
frepiert ganz in feiner Nähe in dem Barten von Luxem⸗ 
Burg, die Bäume Traden und brechen mit ihrer 
Schneelaft zuſammen. Daniel beachtet es kaum. Seine 
Gedanken find weit weg, und feine Stimmung tft fo 
niedergedrüdt und trübe, wie feit Jahren nit. Die 
einzige Hoffnung, zu einem Bild feiner Mutter zu ge» 
langen, ift heute gefcheitert. In Petersburg bat er 
vergeblich die höchſten Summen für ein Bild der Sän- 
gerin Gglantina Rugzolane geboten. Umfonft, Photo⸗ 
graphien eziftierten zu ihrer Zeit noch nicht, und außer- 
dem war Gglantina eine allzu unbelannte Anfängerin, 
um nad) fünfundzwanzig Jahren noch in der Srinnerung 
eines ftets wechjelnden Publikums zu leben. Da Hatte 
der Fürft nad) dem Maler geforfcht, der die Porträts 
in Miskow ausgeführt hatte. Richtig, auf feines Vaters 
Bild ftand ein unbelannter franzöjifher Name, und 
Daniel ſchrieb nad) Paris und forſchte nah Mr. Jules 
Billtard. Sr erhielt die Antwort, daß Diefer Maler 
bier eziftiert babe, por wenigen Monaten geftorben 
ſei und feine verfiegelte Hinterlaſſenſchaft erft in Drei 
Jahren geordnet werden fönne, wenn fein einziger Sohn 
aus Japan zurückkehre. Aus den drei Jahren jedoch 
wurden beinahe ſieben Jahre, und erft jest, in Diefem 
Schredenswinter, war die Zeit gefommen, da die Slkiz⸗ 
zgenmappen des Berftorbenen geöffnet werden Ionnten. 
Sobolefstoi Hatte es für felbftverftändlih angenommen, 
daß die Porträts feiner Eltern, Die von durchaus gleichen 
Leiften eingerahmt waren, zur felben Zeit und von 
der Hand des nämlihen Malers angefertigt waren. 
Wer aber ein fo engelhaft fehönes Antlig wie das 
der Fürftin verewigen durfte, der nahm in feiner Sliz⸗ 
zenmappe folhe Züge zum eigenen Andenten und Ent- 


60 


züden mit ſich. Darum fette Sobolefstoi auf die Iofen 
Blätter der ‚Studienköpfe‘ und Aufzeichnungen Mr. 
Villiards feine größte und lebte Hoffnung, und darum 
war feine Enttäufhung um fo fchmerzlicher, als der 
Sohn des verftorbenen Künftlers nach mwochenlangem 
Suchen, bei dem der Fürft ihm voll nervöſer Erregung 
Hilfe Ieiftete, ſelbſt nicht die flüchtigften  DBleiftiftlon- 
turen fand, die auf das Antlig Solantinas gedeutet 
werden Tonnten. 

 Gobolefsfoi trat in ein Kaffeehaus, ſich einen Au⸗ 
genblick auszuruhen und einem Trupp Kommuniſten 
aus dem Wege zu geben, die die Warſeillaiſe brüllten 
und ein Schild trugen, das die Bürger pon Paris 
aufforderte, Das Gefängnis Mazzas zu en und 
Sleurens zu befreien. 

Auch aus dem Gafs Drang Daniel ein wuſter Lärm 
entgegen, zweit Offiziere der Mobilgarde begegneten 
ihm auf ber Treppe, erfannten ihn und faßten ungeftüm 
feinen Arm: „Allons done, mon prince! Kommen Giel 
Selfen Sie ung, ein Maffaler zu verhüten! Wir allein 
dringen nicht mehr durch bei der wütenden Mengel“ 

„Was gefchteht? Ich beſchwöre Ste, meine Herren!“ 
Schon zogen ihn die beiden Kapitäns aufgeregt mit 
fih fort nah dem großen SKongertfaal, der in einem 
-Quergebäude nad) dem Hof'zu gelegen war. 

„Bier arme Teufel, die man für Spione hält und 
Innhen will! Mlem Anfchein nach find es auch preu- 
ßiſche Offiziere, aber wir müſſen verhüten, Daß fie 
unter den Fäuſten des Pöbels fallen!“ 

Die breiten Olastüren des Saales fchlugen fchmet- 
ternd auseinander, ehe die Herren fie erreichten. Eine 
wild erregte Menfchernmenge drängte fich hervor, vier 
anftändig gekleidete Ziviliſten, durch Taſchentücher ge- 
Inebelt, mit ſich reißend, mit geballten Fäuſten be— 
drohend und tätlich mißhandelnd. 

„An die Laterne mit den Spionen! Nieder mit ihnen! 
Schlagt fie tot, die Hundel* müteten * Stimmen 
durcheinander. | 


61 


„Halt! Ruhe Bier!“ 

Wie mit einem YZauberfchlag beranderte ſich das 
Bild, als die Zwergengeſtalt des Ruſſen mit bocher- 
bobener Hand dem Denfchenftrom entgegentrat. Höh⸗ 
nende Worte, ein wüſtes Sefchrei: „Es find Spione, 
petit bossul* und dann Drängen ſich andre bor, Die 
Sobolefstoi als ihren Wohltäter fennen und feine Par- 
tei nehmen. Sin lebhafter Wortwechfel ber und him. 
Die Offiziere ziehen die Säbel und verlangen die Aus- 
lieferung der Gefangenen, und der Fürft unterftüßt ihre 
Worte durch feinen energijhen Befehl. 

„Ihr feid DBerräter, wenn ihr die udn Kanaillen 
derſchontl“ 

„Wir ſchonen ſie nicht! Wir ſtellen ſie vor das 
Kriegsgericht!“ 

„Für ſolche Schandbuben find unſre Kugeln zu gut!“ 

„So werden wir ſie aufknüpfen!“ 

„Wo bringt ihr ſie hin?“ 

„Zum General Trochu. Gr ſoll feſtſtellen, ob dieſe 
Männer preußifhe Spione find, oder nur Gefangene 
. bon Champigny denen der General biefelben Frei⸗ 
heiten gewährt, die unſre Landsleute in Deutſchland 
genießen! Wollt ihr, wider alles Völkerrecht, Leute 
ermorden, die unter Dem Schutz des Goubverneurs und 
aller Shrenmänner Frankreichs ftehen? Schmach und 
Schande über jeden, der an feinen Gefangenen zum 
Mörder werden will!“ 

Daniel hatte die Worte laut, mit feiner eigenartig 
alzentuierten Sprache gerufen, und dabei war’ er furcht⸗ 
Ios neben einen der Gefeffelten getreten, hatte das 
Tuch von feinen Handgelenfen gelöft und es mit Der- 
achtung zu Boden geworfen. „Der Ruffe bat recht! 
Hört auf ihn, er iſt Bürger von Paris gemorden! — 
gu Trochu! en avant! Wir ziehen mit por das Gouverne⸗ 
ment!“ 

And abermals tat Sobolefsfoi ruhige, aber beftimmte 
Einſprache, wählte zwei der Räbdelsführer zur Beglei— 
tung bis zum Montmartre, wo die Unbelannten bor- 


62 


läufig von den beiden Offizieren abgeliefert werden 
follten. Die Menge fügte fich, und Die beiden Mobilgar- 
dDiften fchlugen mit ihren Schüglingen ihren Weg durch 
eine kleine Nebengaffe ein. 


In einer der fellerartigen Wachtftuben auf dem Mont⸗ 
martre geben die Offiziere ab und zu, wärmen für 
furze Zeit ihre frofterftarrten Slieder oder werfen fid), 
todmüde und gleichgültig gegen alles, auf die breiten 
Strobjhütten, auf denen den Berwundeten zeitweife Die 
Aotverbände angelegt werden. Die Matragen find un« 
tauglich geworden, Blutlahen haben ihre unbeimlidhen 
Schatten auf die Dielen geworfen. 

Don der Dede hängt eine qualmende Öllampe und 
leuchtet den Führern der Nationalgarde, die an bölger- 
nem Zifh vor ihren Slühmweinbecdhern fiten und Das 
Anglüd ihres Daterlandes beim Kartenfpiel vergeifen. 
Die Kanonen donnern ihnen die Muſik dazu, und Der 
Sturm peitſcht die Schneemaffen bis weit in 2. Zim⸗ 
mer hinein, wenn die Tür ſich öffnet. 

And fie öffnet fich in dieſem Augenblid, um unter 
ihrer tiefen Wölbung die befannte kleine Mißgeftalt 
Eobolefstois auftauchen zu laſſen, dem, die dicke Schnee» 
Ihiht von den Füßen ftampfend, ein Offizier der Fe— 
ftungsbefatung folgt. 

Aberraſcht bliden die Spieler auf, ftoßen die Stühle 
zurüd und treten den Ankommenden mit vollendeter 
Liebenswürdigkeit entgegen. 

„Alle Zeufel, Prinz, Sie find feit dem fiebenund« 
zwanzigſten Dezember der erfte Gaſt, den wir in den 
Kafematten empfangen! Was führt Sie fo direft in 
der Hölle Rachen? Wollen Sie mit den blauen Bohnen, 
die uns die jenfeitigen Schügengräben herüberwerfen, 
Sederball [pielen, oder beabfichtigen Sie, bei vierund⸗ 
zwanzig Grad Kälte eine rotflammende ©ranate für 
Ihr Knopfloch zu pflüden? Gleichpiel und auf alle 
Säle: Willlommen in unferm Baradenlager!“ 


63 


Daniel Tchüttelte die dargereichten Hände und beant- 
iwortete Die ſcherzenden Sragen mit feinem müden, ftets 
böflihen Lächeln, der junge Kapitän jedoch, deſſen 
Delanntfhaft er auf fo eigentümlide Weiſe in dem 
Safs gemadt, nahm lebhaft feinen Arm und zog ihn 
zu den dampfenden Punſchgläſern. „Ich weiß, warum 
Sie kommen, Fürft Sobolefstot, und ich werde Ihnen 
fofort Bericht erftatten! Trinken Ste mit mir auf dag 
Wohl der Stunde, die Sie geftern zum Retter ein paar 
barmlofer, armer Kerle gemacht! Da bier... dag einzige 
Bortefeuille, das bei den vermeintlihen Spionen ge= 
funden mwurdel Hahabal Hotelrechnung und Notizen 
über die gleihhgültigften Sreigniffe der legten Sage... 
Reporter des „Punch“ oder der „Zimes“, voilä tout!“ 

Die Unterhaltung wurde über das angeregte Thema 
allgemein, und Dantel griff nah dem Diden Tajchen- 
buch, das ihm fein Nachbar zuſchob, und ſchlug es 
auf. „Welh ein Slüd, daß wir der Unfchuld einen 
Dienft Ieiften fonnten. Befinden fich die vier Herren 
wieder auf freiem Fuß?“ 

„Das nicht. Wir Haben alle Urfache, felbft den ehr» 
lichſten Gefichtern zu mißtrauen. Recherchen über die 
Wahrheit der Ausfage können wir in diefen bewegten 
Sagen nicht anftellen, behalten infolgedeffen die un« 
befannten Herren als Logierbefud) in den Baracken.“ 

„Das wird die Leute an der Ausübung ihres Berufs 
bindern und fie dadurch ſchädigen!“ 

Der Franzoſe zudte die Achfeln. „Der Krieg nimmt 
feinerlet Rüdfichten. Sndeffen... wenn Sie das Maß 
Ihrer Güte vollmachen tollen, fo verwenden Sie fich 
bei Trochu für Ihre Schühlinge; wohl möglich, Daß 
er fie Ihren wahfamen Augen gu etwas größerer 
Sreiheit anvertraut! Wenn Sie —“ 

Der Sprecher vollendete nicht, ein Krachen und Dröh⸗ 
nen ging dur) Den gemwölbten Raum, daß die Wände 
erzitterten und der Fußboden gu wanken [chien. Die 
Offiziere fprangen auf. Ein kurzes, erregtes Hin und 
Her. „An die guerre d’rembuscade!l man hat eine Salve 


64 


gegeben! Verzeihen Sie, Fürft, wir Hoffen fogleich 
wieder zu Ihrer DBerfügung zu ſtehen!“ Und baftig 
nad) Säbel und Mütze greifend, wilde Flüche gegen 
den Feind auf den Lippen, ftürmten die Nationalgar- 
diften die Drei fteinernen Stufen zu der Ausgangstür 
empor. 

Daniel verharrte gelaffen auf feinem Platt. Bes 
gleiten durfte er die Offiziere nicht, fo gern er es getan 
hätte. Sr blätterte mechaniſch in dem Taſchenbuch des 
englifhen Reporters und fchlug auch die zufammenge- 
legte Ledertafhe auseinander, die, nad) ihrer Steifheit 
zu ſchließen, Photographien enthielt. 

Die Öllampe ſchwankte und warf unficheres Licht, 

die Hand des Ruſſen aber zudte zufammen, jählings 
neigte er fih vor und ftarrte auf das Bildchen, das 
fich feinen Bliden darbot. 
Träumt er? Kann es möglich fein? Aus einem 
sauberhaft Lächelnden Kindergejicht, umwallt von gold- 
‚bionden XLoden, [hauen ihn die Augen feiner Mutter 
an; diefelben träumerifch ernften, rätfelhaft Dunfeln Au- 
gen, die er auf dem Herzen trägt. Daniels Finger 
zittern, als er den Karton umfchlägt. Gin zweites 
Bildchen. Behaglich did und nur mit einem Hemd» 
chen befleidet, liegt ein etwa dreijähriges Baby in den 
Kiffen. Kleine, rebelliihe Haarftrippchen über der Stirn, 
ein Stumpfnäshen und freisrund abftehende Ohrchen. 
„Jolante“ fteht mit Tinte quer über der Photographie. 
Und der Sleinen gegenüber im Zwillingsrahmen die 
Mutter der beiden Kinder. Sin zartes, pornehmes Ge— 
fiht, mit hellen Augen und blondem Haar. Gie ift ihm 
ebenfo fremd, wie ihr älteftes Böchterchen dem Be— 
fchauer befannt erſcheint. Er fchlägt Das Blatt wieder 
zurüd und blidt wie gebannt in die dunklen Augen der 
feinen Unbelannten. Wie mag fie beißen? Vielleicht 
fteht es Hinter der Photographie. Daniel verjuht das 
Bildden aus dem Lederausfchnitt hervorzuziehen, es 
ftst fehr feft und weicht erft der Gewalt. Aber Sobo- 
lefstoi bat fih nicht getäufcht. 


5 Eſchſtruth, Hofluft 65 


„Xena Bern von Groppen, zehn Sabre“, fteht von | 
derjelben Hand, die auch „Jolante“ gefchrieben, auf 
dem weißen Papier, dag Namen und Firma eines 
deutſchen Photographen in einer deutfhen Stadt trägt. 

Detroffen ſchaut Sobolefskoi darauf nieder. Dern 
bon Öroppen ift ein unbefannter preußifher Name — wie 
fommt ein Sngländer zu folcher Berwandtihaft? Und 
bier? Was ift das? Per Atem ftodt ihm, bier bat 
fih der Atlas auf dem Karton verjchnben, als Daniel 
das Bildchen herausgezogen, und nun [haut eine Ede 
befchriebenen Papiers dahinter vor. Der Fürſt mirft 
einen fchnellen Blid um ſich ber, er ift ganz allein. 
Haftig zieht er Das Gefchriebene hinter dem Futter 
hervor und muftert es. Teils eine Zeichenſchrift, teils 
furze, underftändliche deutſche Silben und bier... Auf⸗ 
zeichnungen, ein Heiner Plan... Zablen, — — 

Ein deutſcher Spion! 

Gobolefstois Herzſchlag ftodt. Die Aufregung treibt 
ihm kalte Schweißtropfen auf die Stirn, ſchnell ent- 
ſchloſſen jchiebt er die verdäcdhtigenden Zettel in feine 
eigene DBrufttafhe. Wie ein Stich geht es ihm durchs 
Herz. Soll er der Nation, die ihm Gaftfreundfchaft 
gewährt, die Treue halten und an dem Deutfchen zum 
. Berräter werden? Gein Leben liegt in feiner Hand; 
ein Wort genügt, und diefe blonde Grau mit ihren 
beiden Kindern fteht allein in der Welt. Wieder lehrt 
fein DBlid zu den Bildern zurüd. Gr ftarrt ſekunden⸗ 
lang regungslos in Lenas dunkle Augen, und Dann 
tingt fi) ein Atemzug faft Teuchend aus feiner Bruft. 
„Befunden!“ jauchzt es in feinem Herzen, und durch 
feine Seele zieht es wie Slodenton und Engelſtimmen, 
und ihn deucht es, als öffne dag füße Kindergejicht die 
er und flüftere ihm wie eine felige Verheißung 

„Sei getroft, du armer Schmerzensreidh, all — 
Leid mad ich ein Endel“ 


66 


Fürft Sobolefstoi begab ſich perfänlih zu General 
Trochu und erbat die Freilaſſung der vier englijchen 
Reporter, die er im Cafe Honore aus den Händen des 
Pöbels befreit hatte. In liebenswürdiger Weife wurde 
ihm Diefelbe bewilligt. Und die Stunde Tam, in der 
Daniel feine Schüglinge in feinem Haufe gaftlich auf- 
nehmen. Tonnte. 

Sein Blid überflog ſcharf prüfend die vier Unbe— 
fannten. | 

„Zuvor eine Frage: Welchem der Herren darf ich 
dieſe Brieftaſche als perjönlihes Eigentum zurüder- 
ftatten?*“ Und da der DBefiger fich mit etwas haftiger 
DBerneigung meldete, ging es wie ein Lächeln der Be— 
friedigung über des Ruſſen finftere Züge. Groß, ele- 
gant, mit dunklem Bollbart und geiftoollem Auge ftand 
Lenas Vater ihm gegenüber. Trotz des reduzierten An⸗ 
zugs ein vollendeter Kapalier. 

„Darf ih Sie bitten, mir für einen Augenblid in 
Das Nebenzimmer zu folgen?“ J 

Die Tür ſchloß ſich, und Fürſt Sobolefskoi griff 
langſam in die Bruſttaſche. „Hier, Ihr Portefeuille, 
Herr von Dern⸗Groppen, und bier etliche Papierſtrei— 
fen, die ich Daraus entfernte, ehe ich es General Srochu 
al8 Beweis für die hbarmlofe Natur Ihres biejigen 
Aufenthalts oorlegte.“ 

Ein Erbleihen ging über das Antlik des Deutfchen 
Offiziers. „Mein Fürft“, ftotterte er in momentaner 
Faſſungsloſigkeit. Daniel aber trat dicht an feine Geite. 
„Mit Diefen verhängnispollen kleinen Zetteln ſchenke 
ih Ihnen und Zhren Herren Kameraden zum zweiten- 
mal dag Leben, und ich tue noch mehr denn dies, ich 
ermöglide Ihnen in den nächſten Tagen die Flucht 
und gebe Gie der Zernierungsarmee zurüd; ich bin 
Ihr Steund, und ich helfe Ihnen mit Einfaß aller 
Kräfte.“ | 
Groppen umſchloß Die dDargereichte Hand mit krampf⸗ 
haftem PDrud. „Wie follen wir jemals diefe ‚Schuld 


5” 67 


Ä / 
bei Ihnen tilgen, wie fol ih Worte finden, Ihnen zu 
danten?“ ftieß er tiefatmend hervor. 

Sobolefstot fehüttelte mit feinem müden Lächeln das 
unfhhöne Haupt, fein DBlid traf das Auge des preu- 
Bilchen Offigiers, wie der eines bittenden Kindes. „Wohl 
weiß ich, daß meine Handlungsweife Ihren Dank ver- 
dient, und ich bin meit entfernt, ihn abzulehnen. Im | 
©egenteil, ich fordere ihn. Es gibt abfonderliche Heilige 
in der Welt, und einer ihrer närrifchiten bin ich, Dem 
entfpriht meine Bitte. Sie Tennen mid) dem Namen 
nad), Herr... Herr Kapitän?“ 

„Rittmeifter des TFT Hufaren-Regiments, Bern von 
Eroppen, mein Fürft.“ 

„Ich Dante Ihnen. Alfo Sie fennen mid, Herr Ritt- 
meijter, und was Sie vielleicht noch nicht wiffen, ift mit 
furzen Worten gejagt. Ich bin Ruffe, bin gefegnet mit 
allen Slüdsgütern der Welt, bin inmitten all meiner 
Serrlichleiten ein armer, einfamer, verlajfener Mann. 
Liebe und Freundfchaft fand ich nie, eine Heimat habe: 
ih nie im Schoß meiner Familie befeifen. Mein Hera 
und meine Seele aber lechzen danach, ein Daheim zu 
finden. Ich ſchenkte Ihnen zweimal Ihr Leben, fchenten 
Sie mir dafür einen Bruder, einen Bruder in Ihnen 
felbftl Seien Sie mein Freund, nehmen Sie mich auf 
in Ihrem Haufe, ich erfehe aus den Bildern in Ihrem 
Tagebuch, daß Sie verheiratet find. Mein ganzes Leben, 
all mein Hab und Gut, meine wanlellofe Treue fet 
die Mitgift, Die ih Ihrem Haufe zutrage, dafür aber 
laffen Ste mid eine Heimat finden, Die meiner Gin⸗ 
famleit ein Ziel fett, eine Heimat mit all der ®üte 
und Sreundlichkeit, die ich bisher voll heißer Sehn- 
ſucht gefucht, aber niemals gefunden habel Nehmen 
Ste mid auf in den Schoß Ihrer Familie, und Gott 
und die Sngelshände meiner verflärten Mutter werden 
Sie dafür ſegnen!“ 

Einen Augenblid hatte fi Hohe Betroffenheit und 
Aberrafhung in Groppens Zügen gemalt, er fchten die 
feltfame Bitte des Fürften kaum zu begreifen; dann 


68 


aber war es, als ob die weiche, wehmutspolle Stimme 
Des mißgeftalteten Mannes fein innerftes Herz getroffen, 
und in eimer leidenfchaftlihen Aufwallung von Dank⸗ 
barfeit, Mitgefühl und Rührung breitete er die Arme 
aus und 30g Daniel Sobolefskoi an feine DBruft. 

„Mein Bruder und mein Freund! BDiefe Stunde bat 
meinem Haufe ein teures und liebes Familienglied ge« 
ſchenkt! Willlommen bei den Meinen! Laffen Sie es fich 
durch ungezählte Sabre Hindurch bemweifen, daß der Le⸗ 
bensretter des Vaters für Weib und Kind der Tiebfte 
Freund auf Erden ift!“ 

Die Hände verfchlangen fich in feftem Oelöbnis, und 
es deuchte Daniel Sobolefsfoi, als habe Geiſtermacht 
urplögli Zentnerlaften pon feiner kranken Bruſt ge- 
waälzt, als fei das Tränenkrüglein des Schmergensreid) 
leicht getworden, wie nie zuvor im Leben. 


Achtes Kapitel 


Dierzehn Jahre find feit dem deutſch⸗franzoͤſiſchen 
Kriege verflofien. 

Der Himmel wölbt ſich in ſonnendurchſtrahlter Dläue 
über dem nordifhen Flachland, die Wiejen jpiegeln 
feine Pracht in Milliarden von bligenden Tautropfen 
wieder, und um die Dunflen Sannen- und Laubwaldungen 
wehen die weißen Nebel, wie ein Drautjchleier, der 
Durch ſchwarze Loden getwunden ift. 

Auf dem weichen Boden des Waldweges, durchzogen 
bon bemooften Wurzeln und hoch bededt von den Baum- 
nadeln, verflingt Der Huflchlag eines Rofjes, dag jeinen 
Reiter gemächlich die Heine Anhöhe bernieder trägt. 
Die elegante Geftalt des jungen Offigiers fitt mehr 
graziös als fchulgerecht im Sattel. Stern und Adler auf 
der Tſchapka funfeln nagelneu durch die leichte Staub» 
Thicht, die fie während des Rittes überzogen, und Die 
Alanka ift von tadellofem Schnitt. 


69 


Obwohl die meiften Regimenter im Manöver früh- 
morgens mit etwas übereilter Toilette zur Abung aug- 
gerüdt find, merft man dieſem Referveleutmant der 
Garde⸗Alanen nicht Die mindefte Vernachläſſigung feines 
äußeren Menfhen an. Der hellblonde Schnurrbart mit 
den Ted emporgeftellten Spitchen ift fo zierlich gemellt, 
als gälte es einen Siegeszug über das Parlett, nicht 
aber über Sturzader und SHeideland zu halten. 

In kurzem Abftand Hinter dem jungen Offizier folgen 
ein Unteroffizier und Drei Mann, die in dem Dorf 
Groß⸗Wolkwitz für eine Schwadron Alanen Quartier 
machen follen, dieweil ſich ihr Vorgeſetzter in dem Schloß 
des Gutsherrn befanntmachen wird, für den Regiments- 
ftab ein Unterkommen zu |chaffen. 

Sonnig, Ihmud und wohlbehäbig Liegt die Ortfchaft 
in einem Kranz grüner Wipfel, und dicht Hinter ihr 
Debnt fich ein impofanter Part. 

Der Leutnant der Referpe, Graf zu Lohe⸗Illfingen, 
flemmt fein Stüdchen Fenſterglas interejfiert in das 
Auge und muftert das Bild. Dann wendet er fid) nad) 
den Quartiermachern zurüd und zieht mit einem Lächeln, 
Das mehr Herablajjung als Freundlichkeit ausdrüdt, Die 
Lippen über die Zähne empor. | 

„Iſt ſchon Groß⸗Wolkwitzl Auf Wort, alle Schorn- 
fteine dampfen bereits zum Willlommen!“ 

Der Unteroffizier würdigte den Tleinen Scherz Durch 
dankbares Laden, und Graf Lohe animierte feine Boll» 
blutjtute zu elegantem Trab. Sr ftredte das Kinn Dabei 
weit por und ritt engliih. Dor einem Haus, deſſen 
Dach von drei Linden bejchattet war, parterte er end⸗ 
lich fein Pferd. 

„Wünſche Porfichulze zu fprechen!* näjelte er, mit 
zwei Singern den Schnurrbart ftreichend, und dag junge 
Mädchen, das auf der fteinernen Bank neben der Treppe 
fa und Bflaumen ausfteinte, erhob ſich, knickſte er- 
tötend und eilte davon, den Hohen Saft zu melden. 

Die dienftlichen Angelegenheiten waren bier für Graf 
Lohe bald erledigt; er ließ feine Leute bei dem Schulzen 


70 


zurüd, die Dilletts ausrichten zu laffen, und erfragte 
den Weg nad) dem Schloß. 

Es war erit fieben Uhr, eine Zeit, die jegliche ele⸗ 
gante Dame noch in tiefſten Träumen zu ignorieren pflegt. 
Der junge Offizier aber Hatte erfahren, daß Schloß 
Wolkwitz den Vorzug genießt, mehrere Vertreterinnen 
des ſchönen Geſchlechts in feinen Mauern zu beberber- 
gen, und Darum tat es ihm in tieffter Seele leid, feinen 
Ginzug in den Schloßhof womöglich bei niedergelaffenen 
Gardinen halten zu müſſen. 

Eine ‚Dame darf gar nicht früh aufftehen, das ift nicht 
ladylike, das ift höchftens Sitte der Kammerzofen und 
Nähmädchen. Eine Dame, die nicht erft um elf Uhr ihr 
[pigenduftiges Neglige anlegt und dann auf einer Chaiſe⸗ 
Iongue ihre Morgenfchololade trinkt, erachtet Graf Lohe- 
Illfingen nicht als „poll“. Nichts ift ihm fo unſym⸗ 
pathiſch, als vernachläſſigte Mlüren, und nichts deucht 
ihm unverzeiblicher, als ein Verſtoß — und fei er noch 
fo Hein! — gegen Form und GEleganz. | 

Der Dienft nötigt ihn, zu ganz unporjchriftsmäßiger 
Stunde in Shloß Wolfwig feine Aufwartung zu machen, 
aber Graf Lohe will alles tun, was in feiner Macht 
fteht, um ſolche Ungehörigkeit zu forrigieren. Sr be— 
fchließt, zupor nad) den entfernter gelegenen Wirtfchafts- 
gebäuden zu reiten, um ſich mit dem Inſpektor über 
Stallungen und Fourage zu beſprechen. Das wird eine 
Stunde vielleiht in Anſpruch nehmen, und dann, um 
aht Uhr, muß er wohl oder übel im Schloß deranı- 
gieren! Aber um diefe Zeit jigen die Herrichaften viel» 
leicht fchon auf der Terraſſe, das erſte Frühſtück ein«- 
zunehmen. Lohe malt jich das Bild mit allen Details 
aus. Der ehemalige Dragoneroffizter, Herr pon Kuff- 
ftein, DBefiger von Wolkwitz, Tiegt im Schaufelftupl, 
lieſt die „Kreuzzeitung“ und führt bier und da die 
Mokkataſſe an die Lippen. Ihm zu Füßen lagert ein 
feudaler Rafjehbund, den die Tochter des Hauſes mit 
fchneeweißen Händchen nad) einem Lederbiffen [dnappen 
- Täßt. Die Tochter des Haufes! Sie heißt Urfula und 


71 


ift fiebzehn Sabre alt, Graf Lohe ift genau orientiert. 
Ihre Mutter iſt eine geborene Gräfin Safjeburg, die 
Schwefter der verftorbenen Frau von  Dern-Öroppen 
und der DBaronin Düttingen; deren Gemahl faum eine 
Stunde entfernt auf dem Vachbargute fißt. 

Die mag Fräulein Urfula wohl ausfehen? Schlanf, 
graziös, hoffentlich troß aller Landluft zart und ätheriſch 
wie das DBlättlein einer Afazienblüte. Etwas fcheu und 
zurückhaltend wie alle Zandlinder, in ihrem Wefen bon 
der läſſig vornehmen Art einer engliihen Erzieherin 
beeinflußt. Der Oarde-Ulan Hatte den Kopf nachdenf- 
lich gefentt und ritt im Schritt der hoben Mauer ent- 
gegen, über die die Parkbäume ihre duntellaubigen 
Wipfel erhoben. Er lenkte nach dem Fahrweg, der zu 
den Okonomiegebäuden führte, ab und ritt an der Mauer 
entlang den roten Ziegeldähern und dem Drennerei- 
Ihornftein entgegen. Wie nun, wenn der Zufall ihm 
ſchon jett eine oder die andre der Damen in den Weg 
führt? Schon jebt, ehe er einen Dlid in des In—⸗ 
Ipeltors Spiegel werfen Tonnte? Oder wenn ihn aud 
nur die MWirtfchafterin, die Mamfell erblidt und durch 
die Kammerjungfer den Damen eine Befchreibung feines 
beftaubten äußeren Menfchen macht? 

Der Gedanke war unerträglid. Graf Lohe ftoppte 
feinen Renner und bielt eine fchnelle Umſchau. Sr war 
mutterjeelenallein. 

Der junge Offizier ftreifte die Zügel über den Arm, 
griff in die Sache und zog ein Necejfaire hervor. Gr 
‚Happte den Dedel gurüd und begann por dem Spiegel 
feine Zoilette. 

Das gejchliffene Glas warf das Bild eines fehr regel- 
mäßigen, etwas blafjen Sefichtes zurüd, aus dem zwei 
große, graublaue Augen leuchteten. Der Ausdrud der 
Züge war angenehm, wenngleich er leicht den Gindrud 
des Ginftudierten und gezwungen Dlafierten machte; es 
Ihien, als habe die ftrengfte Erziehung jede Miene und 
jeden Nero in eine Faſſon gedrillt, die ftetS das rechte 

Maf Hält, die Lächelt, verneint, bejaht und bedauert, 


72 


gerade fo, wie es fich für einen Strafen zu Lohe⸗IIl⸗ 
fingen geziemt. 

Er nahm die Tſchapka pom Haupt und ftäubte fie ab; 
dann ftrih er mit zwei Bürſtchen den Scheitel des 
Sinterfopfes zu fehnurgerader Linie, Ioderte die Haar 
wellen über Stirn und Schläfen und glättete den Schnurr- 
bart. Soweit es möglich war, flopfte er auch die Uniform 
ab und wechfelte alsdann die Militärhandfchuhe mit 
Glacés, die er ftets zu mehreren Paaren bei fich trug. 

Die ganze Art und Weiſe, wie Straf Lohe Toilette 
machte, trug das G©epräge Außerfter Umftändlichteit 
. und Gineffe, und als er den Sefamteindrud feiner fterb- 
lihen Hülle nun zu guterlegt noch einmal im Spiegel 
prüfte, ein Feines Sledchen auf der Wange entdedte 
und beforgt aus einem Flakon ein Taſchentuch mit Köl«- 
nifh Waſſer befeuchtete, um damit den Schaden abzu- 
tupfen — da zudte feine Hand unwillkürlich erjchroden 
aurüd, Denn von der Parkmauer an feiner Seite ertönte 
ein fchallendes Gelächter, und eine Stimme rief in 
Ihauerlich derber Sprade: 

„Nehmen Sie doch Spudel Pie tut’s grad fo gut 
und Loft’ nifht! Unten im Hof ift auch der Enten- 
tümpel, da können Sie gratis ein Bollbad nehmen!“ — 
und wieder ein jubelndes Gelächter. 

Der Sarde-Ulan Hatte fi, zufammenfchredend, nach 
‚dem Beſitzer dieſer Stimme und Derbrecher folder de- 
goutanten Rede umgejchaut. 

Aber die Sartenmauer, durch ein Gewirr von Solunder- 
zweigen fchaute ein Jungenkopf, mit braunlodigem, arg 
zerzauftem Haar und, fopiel man bei der abfcheulichen 
Grimaſſe, die er juft fchnitt, vermuten fonnte, einem recht 
hübſchen, runden, friſchwangigen Geſicht. 

„Wollen Sie vielleicht noch Seife? Was ſo'n echter 
rechter pommerſcher Dreck is, der ſitzt feſtel‘“ Hang es 
abermals zu dem belauſchten Reitersmann hernieder, 
und Graf Lohe machte ein Geſicht, wie eine Dame, wenn 
fie mit der Ohnmacht kämpft, und dachte najerümpfend: 
Ein gräßlicher Dengell 


73 


Obne zu antworten fette er die Tſchapka wieder auf 
und ritt weiter. 

„Kochäppel! Kochäppell Kochäppel!“ Höhnte es ihm 
in rhythmiſcher Nachahmung jeines Furzen Galopps nad). 

„Sie brüten wohl Gier aus, Männchen, daß Sie fo 
ängftlih im Sattel figen?“ Und abermals ein ſchmet⸗ 
terndes Gelächter. 

„Schauderhaft!“ dachte der Referveoffizier und ſchüt⸗ 
telte fich förmlich por Widerwillen gegen folche Berwahr- 
Iofung. „Wenn diefe Särtnersrange nur feine Spionage 
nit im Schloß verwertet! Wäre höchſt fatal, wenn die 
Damen durch taftlofe DBeichreibung von meiner Zoilette 
unter freiem Himmel in Kenntnis geſetzt würden!“ 

And der Majoratsherr pon Lohe⸗Illfingen befchleu- 
nigte durch leichten Zungenfchlag die Sangart feiner 
Stute und ſchwenkte in die Torfahrt des Gehöfts ein. 


| Die Zurmuhr hatte bereits Die achte Stunde ge- 

fhlagen, als der Rejerveleutnant der Sarde-Ulanen mit 
dem Inſpektor vom nahen Geld zurüdfam, wohin er ihm, 
nah Weiſung eines jungen Gleven, und unter deifen 
Führung, gefolgt war. 

Nah Erledigung feiner Dienftlichen Beſprechung ließ 
Graf Lohe den Goldfuchs im Stall zurück und begab ſich 
zu Fuß durch den Park nach dem Schloß. 

Da er nicht liebte, und es auch für durchaus unpaſſend 
erachtete, mit Antergebenen mehr als dringend not⸗ 
wendig zu reden, fo Hatte er lediglich gefragt, ob Herr 
pon Kuffftein ſchon jetzt zu fprechen jet, was der In— 
ſpektor mit etwas frappiertem Lächeln bejabte. Gine 
porherige Anmeldung bei den Herrfchaften hatte der Sraf 
unterjagt. | 

So ſchritt er mit leiſe Elingenden Sporen durch Die 
föftlichen Anlagen dem Herrenhaufe entgegen. Sine etwas 
altertümliche, gediegene Gleganz, wohin er blidte. Dunfle, 
hochgewölbte Lindenalleen, trefflih gebaltene Raſen⸗ 


14 


fläden, auf denen Rotbuchen, Alazien, Sichen und Edel» 
tannen geſchmackoll fchattierte Tuffs bildeten. 

Bor der Front des erfihtlih fehr alten Schloffes 
dehnen fich breite Teppichbeete, und zu beiden Seiten 
der Sreitreppe öffnen ein paar klaſſiſche Wölfe dro- 
bend ihre Rachen. 

Sotenftille. Keine Menfchenfeele nah und fern zu er- 
bliden. Lohe bleibt einen Augenblid zögernd ftehen; 
aus einem Der Fenſter klingen fehr ftodend gejpielte 
Singerübungen — dann verjtummen fie wieder. 

Zangfam fteigt der junge Offizier die Stufen empor 
und Öffnet die breite Slastür, durch Die er in eine Flur» 
halle blidt, zwiſchen Deren ftügenden Säulen fi) eine 
eilerne Treppe aus den oberen Stodwerken hernieder⸗ 
windet. 

Auch Hier tft niemand gu hören und zu ſehen. Der. Ein⸗ 
dringling ſchaut fid) ratlos um, eine Klingel zu ent- 
deden, und fchreitet nah einer der Säulen, an der 
ein Löwenkopf mit einem Ring im Maule glänzt, feine 
Dedeutung zu erforfchen. 

Noch Hatte er ihn nicht berührt, als in Der erften 
Stage eine Tür Inallend in das Schloß geworfen wird. 

„Minel — Settel Zum Dpnnerietter, wo ftedt Denn 
Die ganze Bandel“ 

Lohe ftarrt nad) der Treppe empor, als traue er 
feinen Obren nit. Der ſchreckliche Junge von der 
PBarfmauer! 

„Mi—nel —— Fet—tel“ fchmettert es abermals Dur) 
die gewölbte Halle, „da Iungern Die Stubenbolgen haufen- 
weile im Haus herum, und wenn man einen toppen 
Waſſer Haben will, Tann man ſich Heifer brülleni — 
Mi—nel Jet—tel“ | 

Der pilfeine Referbeleutnant der Sarde-Ulanen fühlte 
einen Schauder durch alle Slieder riefeln. Der Junge 
bar ein Kuffftein! — Unerbört! 


Aroben Hatte fi währendbeifen ein wahrer Höllen- 
lärm erboben: „Die Klingeln geben nicht, man Tann 


15 


das Ranunfelzeug nicht mal berbeiläuten!“ wetterte Die 
Stimme. „WMeinetwegen, Dann holt eud) euren Klad⸗ 
deradatſch alleine!“ 

And klirr — Hingelingeling raffelte eine blau ge- 
malte Porzellankanne die eiferne Treppe herunter, daß 
die Funken ftoben! 

Graf Lohe⸗Illfingen war höchlichſt alteriert nach der 
boden DBlattpflanzengruppe, die fih um die Mittel- 
faule der Vorhalle aufbaute, zurüdgewichen; die Scher- 
ben aber tanzten ihm bis por die Füße, und juft ſtand 
er im Begriff, por fo viel Ungehörigkeit wieder auf 
die Deranda binauszuflüdhten, als fi) Dicht neben der 
Steppe eine Tür auftat. 

Obne den jungen Offizier zu bemerfen, ſchritt Herr 
Kuffftein, denn nur er Ionnte es fein, mit behaglich 
grunzendem: Lachen über die Schwelle. Ebenſo did wie 
Sir Sohn, aber noch um eines Hauptes länger als 
dieſer berühmtefte aller Bonhommiften an Heinrichs IV. 
Hof, hielt er beide Hände in den Hofentafchen verfentt 
und fah mit feinem ſtark geröteten Bollmondgeficht erft 
auf die Trümmer des Kruges, dann nad) der Treppe 
empor. Ein Mops, ebenfo wohlgenährt wie fein Herr, 
‚war langfam nachgewatſchelt und ftellte fich an feiner 
Seite auf, um recht übellaunig ebenfalls nad) oben zu 
glogen. 

„Aber Urſchel⸗Purſchell DBift du denn rein des Dei- 
wels, daß du mit der fchönften Smitation eines Delfter 
Potts Kegel ſchiebſt?“ Die fette Stimme des Gutsherrn 
Hang weder zornig noch überrafcht, im Gegenteil, in ihr 
ſowohl wie in feiner ganzen Haltung lag eine beinah 
ſchmunzelnde Anerkennung. „Was ift denn Ios da oben? 
— he?“ Der Mops niefte, weil es in der Halle kühl 
war, und droben über dem Seländer erfchien der dunkel⸗ 
Iodige Sungenfopf... alle guten Geiſter... Graf Lohe- 
Illfingen hatte das Gefühl, als müffe er fich mit beiden 
Händen fefthalten, um nicht vor Schred’ und Aberrafchung 
umzufallen: dieſer fchimpfende, Fratzen fchneidbende, in 
Den entfjeglichiten Ausdrüden redende Jungenkopf faß 


76 


auf dem entzüdendjten Damenfigürdhen, dag man ich 
denten fann — der DBengel war ein Mädchen! 

„Jule, geh weg, ich fpringel* lachte Fräulein Urfula 
von Kuffftein, fügte fich etwas kraftvoll derb auf das 
Seländer und fchwang fih in Dogenfäten die Steppe 
Binab, daß die Stufen unter den naturledernen Haden- 
ſchuhchen zitterten und die weißgeftidten Kleiderfalbeln 
aufiwogten. 

Der Mops wadelte feig aus dem Weg, Herr Julius 
von Kuffftein aber wiegte voll hoher Daterfreude das 
Haupt und fagte lakoniſch: „Graziös wie ein Mehlſack — 
ganz wie dein Herr Alter!“ Gleicherzeit aber ſchaute 
er ji) verwundert um; Arſula Hatte nämlich mitten auf 
Der Treppe ganz urplöglich geftoppt, mit dem Singer 
überraſcht nad) der Nlittelfäule der Halle gedeutet und 
dann die Hände mit fchallendem Gelächter zufammen- 
gefhlagen: „Da ift er! Da ift er!“ 

Graf Lohe war ſprachlos, er trat einen Schritt por 
und Happte mit einer Mufterberneigung die Silberfporen 
aufammen; Herr von Kuffftein aber wuchtete ihm, beide 
Hände darreichend, entgegen und begrüßte ihn wie einen 
guten alten Freund: | 

„Ad, voild, Berehrtefter! Willlommen als Schwalbe, 
die Hoffentlih für recht viele Kameraden Sommer- 
quartier macht! von Kuffftein, Vater von der Tleinen 
Göre dal Sehen’s mir wohl ſchon an meiner ſtolz⸗ 
geblähten Haltung an!“ Und der Befiger von Wolkwitz 
lachte in tiefem Baß und drüdte und fchüttelte Die Hände 
des Garde⸗Ulans. 

„Sraf zu Lohe-IMfingen!“ Abermals Hangen die 
Eporen. „Bitte taufendmal um Bergebung, Herr Baron, 
wenn ich als Werkzeug des königlichen Dienſtes bereits 
in fo früher Stunde die Herrfchaften derangieren muß —“ 

„Frühe Stunde? Du, Urfchel-Burfchel, iſt's bei ung 
um acht Uhr noch früh morgens?“ 

Die junge Dame hatte beide Hände auf den Rüden 
gelegt und mufterte ihr Gegenüber mit ihren großen, 
ſchallhaft bligenden Augen. „Sch waſche mich meift 


77 


Thon um fünf Uhr, aber nicht mit Parfüm, fondern mit 
ganz gemeinem vollen Wolkwitzer Brunnenwajler!“ 

„sa, und nun ſehen Sie fih mal die Pflanze an, 
Graf, find Sie ſchon Jo einem Mädel begegnet? Well 
Die Klingeln den Dienst verfagen, Flingelt fie einfach) mit 
dem PBorzellanfabarett die Treppe runter!* Und Herr 
bon Kuffftein patjchte feiner Einzigen poll Bewunderung 
auf den Lodenkopf: „Nu mach’ dich aber mal auf Die 
Soden, du Strold, und forg’ dafür, daß die Anwejen- 
heit des Strafen befannt wird! Wir wollen frühftüden, 
verjtanden? Die Mama fol fih ein wenig mit Der 
Toilette ſputen!“ 

„Geht ihr in deine Stube?“ 

„Na natürlich!“ 

„Ich babe vorhin das Kälbergatter aufgelaffen, Da 
find die Rader unters Jungvieh geraten, und nun muß 
ih erft Hin und wieder fortieren! Kommt doch mit 
und helft prügeln, dann geht’s fchneller!“ 

Graf Lohe im Kälbergatter! Es überfam ihn wie ein 
Schwindel bei diefem Gedanten. Slüdlicherweife war 
e8 dem Sutsbefiger zu heiß zu folcher DBeichäftigung. 

„Dann nich!“ und Fräulein von Kuffftein ſchwenkte 
auf den Haden um, den Kälbern gegenüber allein ihren 
Mann zu ftehen. Zupor aber ftürzte fie jich meuchlings 
auf den abnungslofen Mops, faßte ihn und rollte ihn 
ein paarmal wie eine Nudelwalze auf dem glatten 
GSteinboden Hin und her: „Ookterjo, oller, fetter Dok⸗ 
terjol“ waren hierbei die rhythmiſchen Begleitworte, 
und als der fichtlih ſchweratmige Vierfüßler pruftend 
wieder auf den Deinen ftand, da machte der kleine 
Kobold ihm mit. einer Sefte nad) dem fremden Offizier 
einen feierlihen Knids: „Herr Doktor, ich babe Die 
Shre, Ihnen Graf Pingsda vorzuftellen!*“ Im nächſten 
un fiel die Tür fehr geräufchpoll Hinter ihr ing 
Schloß. 

„So ein Balgl“ lachte der verblendete DBater. Graf 
Lohe aber war. tief gefräntt, daß er, der elegantefte 
Mann der Refidenz, in nichtachtender Weile als Graf 


78 


„Dingsda“ einem Mopfe vorgeftellt wurde. Wäre nicht 
Fräulein Yrfula neben all ihrer ſchauderhaften Derbheit 
ein gar zu bildhübjches Kleines Ding gewefen, würde 
der Majoratsherr von Fllfingen ſich fofort auf jeinen 
Goldfuchs geworfen haben, dem Schloß Wolkwitz und 
feinen entarteten Bewohnern den Rüden zu lehren! 
Sp aber beſchloß er, in Anbetracht Des FLöniglichen . 
Dienjtes, in feiner unſympathiſchen Lage auszuhalten 
und um der ſchönen Augen willen das fchredliche Kleine 
Mundwerk Arfulas zu ignorieren. Zu feiner freudigiten 
Aberrafhung machte die Mutter alles wieder gut, was 
Das Töchterchen perbrochen. 

Stau von Kuffitein erſchien, obwohl fie ſehr leidend 
war, beim Gabelfrühftüd und fah in ihrer eleganten, 
_ Iangfchleppenden Morgentoilette ſehr comme il faut aus. 
Ihr ganzes Wejen fennzeichnete die ehemalige Hofdame, 
und es erſchien dem ©arde-Ulan ſchier unbegreiflich, 
wie diefe zarte, in jedem Wort und jeder Geſte elegante 
Frau die Mama des verwildertiten Fleinen Straßenmäb- 
chens fein Tonnte. Ä 

Urſula erſchien nicht beim Frühftüd, dafür aber Die 
Erzieherin und Franzöjin, die beide an den Anblid 
bes leeren Stuhls in ihrer Mitte gewöhnt zu fein 
ſchienen. 

Stau. von Kuffſtein fragte allerdings ſehr erſtaunt 
nah dem Derbleiben ihrer Tochter, ihr ©atte jedoch 
hob eine zufammengerolite Fleifchplinje in den Mund 
und fagte mit vergnügtem Augenzwinfern: „Sie ift 
tätige Landwirtin, ftör’ fie nicht, Dalestahhen! Sowie 
ih einigermaßen Kräfte gefammelt babe, unternehme 
ih mit unferm verehrten Saft einen Streifgug und 
bringe den Heinen Salermenter ein!“ 

Als die Frau des Haufes fich mit einem Qulder- 
lächeln und gütig geftattetem Handkuß wieder zurüdge- 
zogen Hatte, griff Herr von Kuffftein nad) dem mäch- 
tigen Strobhut, der fein feiſtes Antlit wie ein Hei⸗ 
ligenfhein umrahmte, und unternahm in Begleitung - 
feines ©aftes einen Rundgang durch Schloß und Park. 


‘3 


Auf dem Müttelturm des Schloffes aber ftieg Die 
bunte Flagge empor und flatterte der Ginquartierung 
Iuftig entgegen, und fo ſtill es zuvor in dem Woll« 
wißer Herrenhaus gewefen, fo lebhaft pulfierte jetzt 
das Leben in jubelnder, jingender und Elingender ©e- 
wißheit: „Es ziehen drei Reiter zum Tore hinein — 
traral® 


Neuntes Kapitel 


Aber die Wiefen flutete das grelle Sonnenlidht, und 
Straf Lohe fah es mit ftarrer Berwunderung, daß Fräu⸗ 
lein Urfula wenig danach fragte, ob Sonnenbrand für 
den Teint einer Dame vorteilhaft fei oder nicht. Ohne 
Schirm, ja felbft ohne Hut und Handſchuhe tollte die 
junge Dame zwifchen den buntjchedigen Wiederläuern 
herum, und Der unnatürlihe Vater ftellte fih an die 
SHolzbarriere und Hielt fich die Seiten vor Lachen über 
den Ddrolligen Anblid. 

„Schlingelden, komm! Die Geſellſchaft tft ja wieder 
ganz exkluſivel“ rief er mit einem Win? nach der Kälber- 
berde. „DBegleite ung in die Koppeln!“ 

„Gleich! Diefe eine Schede muß noch raus! Glaubjt 
du wohl, daß fie will? Hat reine den Deiwel zum 
Großvater!“ und damit droſch das DBadfiichchen mit 
beiden Fäuften auf ein befonderes obftinates Kalb, 
309g es am Schwanz und drängte es mit überrajchender 
Snergie nad) der Tür, die ein Hütejunge zum Öffnen 
bereit hielt. 

„Samos! Auf Wort! Eine infame Krabbel“ achte 
der Outsherr ganz begeiftert. „Urſchel⸗Purſchel, dafür 
befommft du deinen SHochfahrer!* und fi zu Graf 
Lohe wendend, der aus lauter Betroffenheit mitlachte, 
das Heißt, nur ganz leife, denn lautes Gelächter ver«- 
abicheute er als höchſt unpaffend, fuhr er lebhaft geftilu- 
lierend fort: „Wie finden Ste das? Gin Blitzmädel, 


80 


_ fag’ ich Ihnen! Sollen mal fehen, wie die Here im 
Sattel fit und Rebböde fchießt... mir immer vor der 
Naſe weg, und klettern Tann fie wie 'ne Katel* Er 
hielt puftend inne, feine Einzige ftand neben ihm und 
verfegte ihm einen fordialen Schlag auf die Schulter. 

„Topp, Jule! Meinen Hochfahrer! Der Straf hat's 
gehört, daß du mir ihn verſprochen haft!“ 

Der Sarde-Ulan riß die Augen weit auf. „Jule?“ 
wiederholte er entſetzt. 

„a, das bin ich! So nennt fie mid), weil ich Julius . 
heiße, und weil fie eigentlich gar feinen Reſpekt por 
mir bat! Da mach’ mal einer was, wenn fih jo ein 
Dreikäſehoch Hinftellt und einen Jule tituliert!“ — und 
Herr von Kuffftein wandte fich zu einem Diener, der 
atemlos herzugelaufen fam und die Pofttafche überreichte. 

„Jetzt geht erft mal wieder die Leltüre los!“ Tonfta- 
tierte das kleine Sräulein ungeduldig, „kommen Gie, 
Graf, wir pinſchern allein voraus!“ 

„Allein?“ 

„Na!l Wollen Sie vielleiht einen Anftandswauwau 
aus der Kälberfoppel mitnehmen? Sie fürchten fi 
wohl gar, daß Sie fo ängftli tun?“ und die Kleine 
lachte fchallend auf. „Borwärts marſch, wir fahren ein 
bißchen Kahn!“ 

Gie trat unter den fchattigen Parkbäumen, wo die 
Herren bis jetzt geftanden, hervor und ſchritt Ihm quer 
dur) die Wiefen nad) den alten Anlagen voraus. Der 
Referveoffizier folgte zögernd und zog beforgt feine 
Handſchuhe an, ehe er fih dem Sonnenschein ausjebte. 

Urſula ſah es und ftemmte die Hände in Die Seiten. 
„Handſchuhe! Daß du Die Motten kriegſt! Pamit Die 
weißen Händchen nicht verbrennen! Hahahal Sie fchei«- 
nen ja ein unglaublich eitler Knopp zu fein, das merfte 
ih ſchon an der Katenwäfche Hoch zu Roß!“ 

Der ‚Rnopp‘ fuhr dem jungen Slegant wieder mie 
ein Dleigewicht in den Magen, er ſah aber in die über- 
mütig ftrablenden Augen der Leinen Sünderin und ſah 
die Grübchen in ihren Wangen und die beiden Elfen- 


6 Eſchſtruth, Hofluft 81 


füßchen, mit denen fie, diesmal viel graziöfer als zuvor, 
auf jeden einzelnen Maulwurfshaufen voltigierte. Ein 
Gedanke durchzuckte ihn: wie [charmant wäre es doch, 
wenn er diefen Edelſtein ein wenig abſchleifen könnte! 
Biel Zeit ift nicht dazu, aber Graf Lohe will wenigftens 
einen DBerfuh machen. Gr ift infolgedejfen nicht be— 
leidigt, fondern ignoriert die Unart. 

„xzeben Sie Sommer und Winter in Wolkwitz, mein 
gnädiges Fräulein?“ | 

„Isa, weil wir’s vom SHerbft und Frühjahr ſo ge— 
wöhnt find!“ 

„Unternehmen Sie feine Reifen?“ 

„DO ja, wenn Jule feinen. Haber Iosgeworden ift und 
die Ruffen unjern denaturierten Spiritus intus haben, 
dann laffen wir fhon mal einen Affen tanzen!“ 

&8 lag ein außerordentlich komiſcher Kontraft in der 
bhperfeinen Art und Weiſe, in der gewählten Sprade 
des ©rafen und der derben Manier feiner DBegleiterin, 
die ihm Durdy jedes ‚Kraftwort Nervenzuden verur— 
Tate. 

„Sie haben aber angenehme Nahbarfchaft bier, Ver— 
fehr mit jungen Damen... anregende Geſelligkeit ...“ 

„Für gewöhnlid ift nur die Förftertrude da, aber 
jest find alle Nachbargüter, wo fonft niſcht zu Holen 
ift, gerammelt voll Menſchen! Meine Kujinen PDern- 
Groppen wohnen zum Beiſpiel auch bei Tante DBüttingen 
in Alt-Dobern; ich reite in einer halben Stunde rüber, 
wenn mir Bapa die Klarijfe gibt, mit Den andern 
Schindmähren zodelt man eine halbe Eiwigfeit!“ 

„stäulein von ©roppen hier in der Nähe? Iſt ja 
ganz allerliebft, meine Snädigel Ich batte den Vorzug, 
beide Damen Tennenzulernen, und es wird mir gu ganz 
befonderem Vergnügen gereichen, in Alt-Dobern meinen 
Reipelt zu Füßen zu legen. Iſt feine Ausſicht vor— 
Banden, Ihre Fräulein Kufinen diefer Tage zu fehen?“ 

„2a, probieren Sie’s mal und nehmen Sie den Opern» 
guder, ob's was nuten wird, weiß ich ‚nicht. Sind ganz 
nette DBälge, die beiden Groppens, aber fo fürchterlich 


82 


ſchwärmen wie Mama tue ich denn doch nicht für fie! 
Öeftern waren jie bier, und wir mopjten ung gegenjeitig 
an. Lena ift jo mordsernft und jo geiftreich, daß mir 
reine übel wurde, und Solante? Die würde mit Ihnen 
ein famofes Geſpann geben, die ift aud) jo „ete patete“ 
und fo fentimental, wie Dünnebier mit Himbeer!“ Ur- 
fula blieb ftehen und perjiflierte mit viel Humor Die 
junge Dame: „Ih ſchwärme für alle ſchönen Künfte — 
Muſik und Malerei find meine Ideale! Ach, eine 
Sragödie von Wildenbruch ift das himmliſchſte, was 
eziftiert!* Sräulein von Kuffſtein Tieß die erhobenen 


SHSaändchen mit den graziög gejpreizten Fingern wieder 


in ihre natürlihe Lage zurüdfinten und fuhr in ihrem 
alten Ton fort: „Abergeſchnappt tft ſie!“ 

Der Sarde-Ulan jeufzte tief auf und dachte: „Ein 
Apfelbäumchen, dem Zucht und Pflege fehlt, schießt 
wild empor, anmutig von Geſtalt und Blüte und voll» 
fommen zufrieden mit fich jelbft.. Wenn aber die Leute 
in feine Früchte beißen, verziehen fie gewaltig den 
Mund und jagen: Wie fchade, daß ein ſolch prächtig 
DBäumlein derart verwahrloft wurde!“ 

Arjula beobachtete in demfelben Augenblid, wie Graf 
Lohe einen kleinen japanifhen Papierfächer aus der 
Bruſttaſche zog, ihn in graziöſer Weife zu benugen, 
wie er eine etwas moraftige Stelle angſtvoll vorjichtig 
auf den Fußſpitzen traperjierte, wie er höchlichſt alte» 
tiert aus dem Bereich eines blühenden Gebüſchs flüch- 
tete, Das bei feiner Berührung gelben ueulond über 
ihn geichüttet. 

„Wie jammerihade iſt's Doch um dieſen hübſchen 
Menſchen, daß er fo affig iſt!“ dachte das junge Mäd- 
chen. „Er kommt mir gerade ſo vor, wie ein ſchmucker 
Taxus in altfranzöſiſchem Garten. Wüchſe er auf, wie 
ihn die Natur geſchaffen, würde er jedermann gefallen, 
fo aber zuckt man bedauerlich über den kunſtvoll zuge» 
ftugten, in närriſchſte Modefaſſons gepreßten Bejell Die 
Achſeln und fagt: Wie fchade, daß ein ſolch prächtiger 
Baum derart zugerichtet ift!* 


6* 83 


And fie patfchte fo energifch mit der Berte, die fie 
abgerijfen, in den eich, defjen Ufer fie erreicht hatten, 
Daß dem eleganten Serrn dag trübe Waffer um Die 
Obren ſpritzte. 

„Wollen mir fahren? Dann müfjen Sie aber beim 
Rudern das Gearbeite mit dem Zliegenwebel unter- 
laffen! Und das Leder von den Händen runter! Gin 
paar Schwielen muß es geben, fonft ift der Wiß nur 
halb!“ 

Ihre Augen blitten ibn berausfordernd von Der 
Seite an. 

Der Graf klemmte das Monotel ein und blidte erft 
betroffen auf das Waffer, dann auf die junge Dame. 
„Aber meine Gnädigfte... ich Tann es mir durchaus 
nicht amüfant vorftellen, auf diefem Teich, deffen Sau- 
berfeit mir ſehr zweifelhaft erfcheint, eigenhändig zu 
gondeln!“ 

„Ein Ententümpel fann nit wie Dergfriftall aus— 
feben, und bei fo 'ner Hite riecht jedes Waſſer! Sch 
fahre immer bier, weil’s am größten ift.“ 

Lohe bielt das Taſchentuch an die Nafe. „DBenei- 
denswerte Nerven! Abrigens muß ich Ihnen gefteben, 
daß ich niemals im Leben eigenhändig ruderte und der» 
artige Kraftleiftungen ftetS befoldeten Leuten überließ.“ 

„ALS Soldat können Sie nicht mal einen Kahn führen?“ 

„sh bin Refervenffizier, und da ich für gewöhnlich 
als Aſſeſſor und Hofjunfer in der Refidenz lebe, fehlt 
es mir an Selegenbeit, derartigen Sport zu £ultipieren. 
Ehrlich gelagt, id würde es auch niemals tun. Eine 
ausgearbeitete Hand ift im Salon unmöglich, und es 
widerftrebt meiner ganzen Natur, Dinge zu unterneh- 
men, die in das Echauffement eines Tagelöhners ber» 
ſetzen!“ 

Urſula maß den Sprecher mit ſpöttiſchem Blick vom 
Scheitel bis zur Sohle. „Sie find nur Sommerleut⸗ 
nant? Nicht einmal mwirflicher Offizier?“ 

Geine Höflichkeit blieb unverändert: „Ich Hoffe im 
Staats- und Hofdienft dem DBaterland ebenfopiel zu 


84 


nügen wie mit Dem Säbel, und auf Dem Parkett meinen 
Platz ebenfo auszufüllen, wie auf dem GExerzierplatz!“ 

„Dann allerdings dürfen Sie nicht in ganz gewöhn- 
licher und gemeiner Sntengrüge umlommen! Wäre ja 
Kaviar fürs Doll, und unfre Karpfen würden ſolch 
feine Delikateſſe gar nicht zu würdigen verftehen!* Gie 
lachte fchallend auf. „Da kommt Papal Gehen Gie 
mit ihm in den Gisfeller, Damit Sie nicht länger Durch 
ein „Schauffement“ Degradiert werden! — ch Bin 
bier mang den Froſchlöffel groß geworden, und wohl» 
gepflegte Hände beanspruchen die Ochfen und Kühe 
nicht! — Gmpfehle mich!“ und mit einem vutrierten 
Knicks ftreifte fie die weißen Urmel ihres Kleides em- 
por, |prang auf den Steg und in den Nacdhen. 

Marl-Wolffratd, Sraf zu Lohe⸗Illfingen, antiwortete 
nit, aber fein Dlid fprühte auf und feine Arme 
freuzten fich über der Bruft. Jeglicher Disput ift un- 
fein, und einer Dame gegenüber gibt es auf Unarten 
keine chevaleresfere Antwort, als Schweigen. 

Urſula aber ſchien eine Entgegnung erwartet zu haben, 
fie wandte ſchnell das Köpfchen und ſah ihn an. Wie 
hübſch ſah er mit diefem böſen Sefiht aus! AU das 
Weibiſche, höflich Olatte war wie weggewiſcht, ein männ⸗ 
lich fefter, ftolzer Ausdrud beberrjchte feine Züge. So 
gefiel er ihr. Das machte fie verlegen. Heiße Röte 
ftteg in ihre Wangen, fie ſchlug die Augen nieder und 
fentte das Köpfchen. 

Die allerliebft ihr das ftand! Graf Lohe war ganz 
überrafht. Das bubenhaft Trotzige, Derbe in ihrer 
Erſcheinung war wie mit Zauberſchlag verſchwunden, 
eine entzüdende, verſchämte Anmut neigte das fchlante 
Hälschen und lag verflärend auf der zierlihen Geſtalt, 
die mit weißen Armen die Ruder heranzog. So ge» 
fiel fie ihm. Aber fie verdiente feinen freundlichen 
Blick in diefem Augenblid, und darum wandte jich 
der junge Offizier Hocherhobenen Hauptes und fchritt 
voll imponterender Ruhe dapon, Herrn von Kuffſtein 
entgegen. Der Zorn gab feinem Sang etwas Feſtes 


85 


und Marliges, das fah gut aus. Urfula bewegte lang- 
fam die Ruder und fah ihm nad). Sie war eg gewohnt, 
Groß⸗Wolkwitz und Umgegend zu kommandieren, nie- 
mand nahm ihre Unarten übel oder wagte es, Front 
gegen jie zu machen. Diejer zimperlihe Leutnant drehte 
ihr einfach den Rüden und ignorierte fie. Weil fie dag 
bon ihm am allerwenigften erwartet hatte, war ſie 
ſehr frappiert, fand fein Benehmen aber ganz in Der 
Ordnung. Es würde ihr leid getan haben, wenn er 
zu der Raſſe mit Schlappohren gebört Hätte, die fich 
alles bieten laſſen. Seine gejchniegelte und gebügelte 
Moleffe war alfo — Gott ſei Dank — nur äußerlich. 
Niht ein einziges Mal fieht er nach ihr zurüd, und 
wie ftramm er jet marfchieren Tann! 

Darum bat fie den armen Menfchen eigentlidy ſo 
[hleht behandelt? Arfula ift ganz nachdenklich ge- 
worden und rührt mit den Fingerchen mechaniſch in den 
grünen Wafferlinfen, die den Teich ringsum bededen. 
Dafür, daß der Graf als Gaſt bei ihnen eingefehrt 
ift, war fie zu unartig gegen ihn, aber... Du meine 
Büte, fie Hatte es doch nicht böfe gemeint! Sie wird 
fih irgendeinen Wiß ausdenten und ihn wieder ver- 
föhnen! 

Jetzt hat er Herrn pon Kuffftein erreicht. Pfut Teufel! 
Gleich ift er wieder der alte Scharwenzell Pienert und 
Thlängelt ji) wie ein Sandaal und macht die graziöfe- 
ften Seften. Klemmt auch mit dem vornehmen Geſicht 
das Monokel ein und wendet fi nah ihr um. ein! 
QAun ift alles wieder aus! Nun gefällt er ihr gar nicht 
mehr! 

Arjula Hob ärgerlich die Ruder und fchlug Damit jo 
jählings und heftig in das Waffer, daß die Grüße weit 
umberjprigte, und Die Gnten, Die bvertrauengjelig an 
fie berangerudert waren, mit gellendem Sejchnatter da- 
ponftiebten. Lohe feufzte Ieife auf. Wie liebreizend war 
fie joeben gewefen! Das Herz war ihm aufgegangen in 
der Aberzeugung, daß ihr burfchilofes Wefen nur Die 
rauhe Schale eines underdorbenen füßen Kernes ei, und 


86 


nun war alles wieder aus! Nun gefiel fie ihm gar nicht 
mehr! 

Der Graf neigte jih in zomiger Aufwallung und 
pflüdte eines der großen SHuflattichblätter, die auf der 
moraftigen Wiefe wucherten. Unter dem Borwand, Die 
Sonne blende ihn, hielt er es por die Augen, das un» 
äfthetifche Bild auf dem Sntentümpel nicht länger feben 
zu müſſen. 

„Simmeldonner... jebt leiſtet ſich die Pomadenbüchſe 
gar einen Sonnenſchirm!“ murmelte das Backfiſchchen 
ingrimmig, ſchwenkte kurz um und ruderte in entgegenge- 
ſetzter Richtung davon — den Anblick konnte ſie nicht 
länger ertragen! 

Mit Hingendem Spiel waren bie ©arbe-Ulanen in 
dem mehrtägigen Quartier eingerüdt.. In dem Groß» 
Wolkwitzer Schloffe rafjelten die Säbel und Sporen 
treppauf, treppab, Bantierten Diener und Mägde, in 
dem altertümlihen Eßſaal eine feftlihe Tafel zu decken. 

Die Burſchen fchleppten Das Gepäd ihrer Herren 
herzu, und als Arfula über den Korridor lief und fidh 
neugierig umfchaute, ſah fie, wie in jedes Fremden— 
zimmer ein oder zwei anfpruchslojfe Militärkofferchen ge⸗ 
tragen wurden; por einer Tür aber ftanden vier umfang» 
reiche, Hochelegante Korkioffer, neben denen ein Diener 
in Lipree Wade hielt. 

„Daß dih die Maus beißt! — Wem gehoͤrt denn 
die Bagage?“ 

Der Galonierte meiſterte feine Geſichtsmuskeln. Onä⸗ 
diges Fräulein, zu „DefeDl, dem DIE Zeutnant Strafen 
zu Lohe⸗Illfingen.“ 

„Das Hätte ich mir denken Tönen. Sind Sie fein 
Burſche ?“ 

„Nein, gnädiges Fräulein, ich bin der Bereiter des 
Herrn Grafen und habe nur privatim die Pferde zu be— 
gleiten. Ber Kammerdiener und Milttärburfche find 
noch bei der Squipage im Darum nn ich das 
Gepäck.“ 


87 


„Kammerdiener? — Militärburfhe? Na zum Kudud, 
mit wieviel DBegleitung reift denn der Leutnant?“ 

„Wir find vier Mann, zu dienen. Per Herr Graf 
läßt ftets feine Squipage im Manöver nachfahren, die 
in Den betreffenden Dörfern privatim untergebracht wird. 
Da iſt der Kutjcher, der Kammerdiener, der Militär» 
burſche und ich.“ 

„Das genügt. Na, dann laden Gie die Fuhre ab; 
wenn der Herr Graf vielleiht noch einen Stutzflügel 
und Eisſchrank mit ſich führt, melden Sie es meinem 
DBater, dann räumen wir ihm den Tanzſaal ein.“ 
Der Dereiter verneigte ſich mit zitternden Nafen- 
flügeln, und Sräulein von Kuffftein fchritt weiter. Aber- 
mals blieb fie an der nächſten Tür ftehen. 

- „Heilige Kümmernis! Wem gehört denn dieſe Laus 
bon einem Waterproofhen? Da haben doch höchſtens 
ein paar reine Manfchetten und eine Zahnbürſte Drinnen 
Platz!“ 

Der Burſche grinſte. „Nix fol Is ſik unſre erſte 
Garnitur auch noch bei Zahnburſtel beil“ 

„Unſre?“ 

„Heißt ſik Herrn Premierleutnant von Flanken!“ 

„So! Dann ſchleppen Sie ſich feinen Schaden dran.“ 

„Müſſen dieſe beiden Herren Leutnants verſchieden⸗ 
artige Menſchenkinder ſein!“ dachte das kleine Fräulein 
und begab ſich ſehr ungern in ihr Ankleidezimmer, die 
Toilette zu wechſeln. Mine blickte kläglich auf das 
friſch gewaſchene elegante weiße Kleid nieder, das jicht- 
barſte Srinnerungen an Kälbergatter und Sntentümpel 
an fid) trug. 

„Morgen abend fahren wir nad) Alt-Dobern... großes 
Bölterfeft... unfre Ginquartierung ift auch mit einge 
laden! Da fuch’ mir mal ein anftändiges Kaliber von 
einer Sahne ’raus, Mine, ih muß ein bißchen Hübfch 
ausfehen, verjtehfte, nicht wie eine Kräuterriefe.“ 

Die Jungfer blidte überrafht auf; es war das erfte- 
mal, daß Fräulein Urfula Gewicht auf ihr Ausfehen 
legte. 


88 


Auf der Zerraffe fpielte die Mufil, und im Eßſaabl 
flimmerten die Lichter, ſchwirrten die Stimmen in ani- 
miertefter Unterhaltung durcheinander, Hang das Silber 
auf feinftem Porzellan. Weihe baljamifhe Sommer- 
luft wehte durch die geöffneten Senfter, und Graf Lohe 
faß einjilbig inmitten feiner Kameraden an dem untern 
Ende der Tafel und fchielte durch die Blüten eines 
.Silberauffages zur Tochter des Haufes hinüber, die mit 
glühenden Wangen und Iuftblitenden Augen, frifeh wie 
die Roje an ihrer DBruft, ihre Umgebung durch die 
originelle Weije ihrer Unterhaltung zu entzüden jchien. 
Bapa Kuffftein hatte die Zettel in etwas eigenmwilliger 
Weiſe gelegt. „ES ift gerade genug, wenn die Urſchel⸗ 
Purſchel an einer Seite von fol 'nem alten Knaben 
flankiert wird!“ Hatte er gedacht, und darum plagierte 
er rechts von ihr einen Stabsoffizier und links einen 
Leutnant. Welchen? Das war ihm ganz ‚fchnuppe‘, 
wie er feiner Sattin perjicherte. 

Sp war Herr Premierleutnant von Flanken zu der 
überrafhenden Ehre gefommen, neben Fräulein von 
Kuffitein zu fißen. 

AUrfula war jehr gejpannt gewefen, den DBefißer der 
bejcheidenften aller Koffer kennenzulernen. Ganz ver- 
dutzt blidte fie an der redenhaften ©eftalt empor, bie 
ihr aſchblondes, mit fraufem Belod bededtes Haupt in 
marlig kurzem Gruß por ihr neigte. 

Sol einen Riefen Hatte fie zuvor noch nicht ge» 
fehben! Ber mußte ja die Sonne verdunfeln, wenn er 
aufrecht unter freiem Himmel ging, und wenn er eine 
feiner gewaltigen Hände auf die Provinz Pommern 
legte, da war fie mit Mann und Maus reichlich zuge» 
dedt. 

„Wie werden dieſe beiden Naturfinder ſich ſchnell 
gefunden haben!“ dachte Lohe Ärgerlih, und er beob» 
achtete ihre Unterhaltung, die ſchon jett an Lebhaftig- 
feit gar nichts zu wünfchen übriglief. 

Urſula und ihr Tiſchnachbar fanden. auch gegenfeitig 
viel Spaß aneinander. 


89 


„Gott fei Dank, Sie find doch aus andrem Schrot 
und Korn gebaden, wie der Mondfcheingraf da unten!“ 
lachte das Backfiſchchen anertennend. „Sie mögen ihn 
gewiß aud) recht wenig leiden, weil er fo furdtbar 
fein iſt!“ 

Slanten lachte, daß fein fräftiges Gebiß zwiſchen 
den bartlofen Lippen fihtbar wurde. „Die Begenfäte 
berühren fich ftets, mein gnädiges Fräulein, und dar- 
um zählt Lohe zu meinen liebften und vertrauteften 
Freunden. Wir gehen für einander durchs Feuer; wo 
der eine verkehrt, ift auch der andre zu finden, und wenn 
etwas unternommen wird, gefdhieht es gemeinfchaftlich. 
Dabei aber beſteht unfer Verkehr aus ununterbrodhenen 
Reibereien. Wir befämpfen gegenfeittg unfre Schwächen 
und die grellen Widerfprüche, die wir verförpern. ch 
bänfele den guten Wark-Wolffrath mit feiner vutrier- 
ten Sleganz, und er fpielt meiner hausbadenen Toll⸗ 
patidhigfeit einen Schabernad um den andern. Deide 
aber laffen wir ung nicht das mindefte gefallen, und 
fo fommt eg —“ 

„Ver Sraf läßt fich nichts gefallen?“ 

„GErſcheint Ihnen das verwunderlich? Unter Der par- 
fümierten, gebürfteten und gefräufelten Dandphülle ftedt 
der fchneidigfte Kerl, den Sie fih Denken können! Wie 
andre Leute ein DBielliebehen effen, fo taufhhen mir 
in aller Sreundichaft Die blauen Bohnen aus, und wenn 
einer Dabei Blut laſſen muß, fo macht ihm der andre 
‚ boll bejorgter Zärtlichfeit Krantenpifiten und [pielt Sechs⸗ 
undſechzig mit ihm!“ 

Der Sprecher blidte zu dem jungen Kameraden hinüber 
und machte ihm eine Fauft zu, Lohe aber hob ſehr gra- 
ziös den Champagnerkelch und erwiderte dadurch den 
Öruß. | 

„Der Braf wird ganz vortrefflid zu meiner Kufine 
Solante paffen,“ fuhr Arfula mit leiht zuſammenge⸗ 
zogenen Augenbrauen fort, „die ift genau jo verdreht 
wie er. Blauben Gie, = die —— Damen ihm 
gefallen?“ 


% 


„2a und ob!“ 

„Meinetwegen! Mag’s doch!“ Das Backfiſchchen ea 
fehr böfe aus und warf den Kopf Ted in den Naden. 
„Es ift mir höchſt gleihgültig, ob er morgen mit mir 
tanzen wird oder nicht. Argern will ich ihn zuvor noch 
gelb und grün und mich dafür rächen, daß er nicht mit 
in das Kälbergatter gegangen ijt.“ 

„Das ift Brillant, dabei helfe ich!“ lobte Flanken in 
feinem dröhnenden Baß. „Wir beide wollen den Mon- 
ſieur mal erziehen, daß er vernünftig wird!“ Und fie 
ftießen an darauf, und der Premierleutnant entwidelte 
höchſt richtige Anfichten über Ententümpel und Yung» 
vieh; felten Hatte Herrn bon Kuffiteing Ginzige jo 
u mit jemand harmoniert. 


Der nädhfte Tag war ein Sonntag. Schon in aller 
Frühe war Urjula mit Heren von Slanten ſpazieren⸗ 
geritten, und fie hatte mit der Reitpeitiche nach den 
Dichtperbängten Parterrefenftern des Grafen gedeutet 
und ingrimmig gefagt: „Wie ein MWurmeltier jchläft er 
in den hellen Sag hinein, anftatt mit uns zu galop- 
pieren, und das will ein Offizier fein! DBab, ein Sommer» 
leutnant ift er!* And fie ritt dicht an das Haus heran 
und fchlug mit dem Gertenknopf einen wahren Wirbel 
gegen die Scheibe. „Bft! — Borwärtsi* Und fie winkte 
ihrem Begleiter, über den weichen Rafen peruber die 
Flucht zu ergreifen. 

Sinter der Ede des Schlofjes lachten Beide ein Duett. 
Als fte von ihrer Promenade zurüdiehrten, faß Lohe 
mit dem Adjutanten auf der Terraſſe und nabm bag 
erfte Frühſtück. Lebterer erhob fi, der Tochter Des 
Hauſes entgegenzugeben und fie mit beiterftem „Suten 
Morgen“ zu begrüßen. 

„Scharmant, daß Sie endlich wieder die Sonne über 
Groß⸗Wolkwitz aufgehen Iaffen, meine Onädigjte, wir 
baden bis jebt trojtlos und allein im Schatten kämpfen 


91 


müffen, da ung felbft Mlle. Chalon nad) eingegoffenem 
Kaffee unferm Schickſal überließ.“ 

„An dem Drachen haben Sie gerade was verloren. 
Aber warten Sie einen Moment, ih waſche mich nur mit 
ein wenig Sau de Sologne und ziehe mich um; dann früh» 
ftüde ich in zweiter Auflage noch einmal mit Ihnen!“ 

Ihr DBlid bligte herausfordernd zu Lohe hinüber, der 
fih ſchweigend erhoben und verneigt hatte. Sr ſchwieg 
auch jeßt. Da machte das Fräulein auf den Haden kehrt 
und lief ins Schloß, und als fie, von Kopf big zu Füßen 
rofig, wiederlam und fi unter übermütigftem Ge— 
plauder mit Flanken am Frühſtück des Adjutanten be— 
teiligte, ſprach Graf Lohe auch nicht mehr denn zuvor, 
ſondern fütterte die Spatzen mit Semmelkrume und den 
Herrn Doktor, der ſich auffällig an ihn attachiert und 
neben ihm auf dem Seſſel des Hausherrn Platz ge— 
nommen hatte, mit Zuckerſtückchen. 

„Das Vieh platt ja allernächſtens vor Fettigkeit!“ 
ärgerte fih Urfula und wadelte und kippte Dergeftalt 
an dem Stuhl, daß der Poltor fi) nur mit Äußerfter 
Mübe auf feinem Lederliffen behaupten konnte. Auch 
Darauf feine S®egenäußerung. 

„Warum bift du denn fo maulfaul heut, mon che- 
valier?“ Slanfen ftieß feinen Nachbar Träftig mit dem 
Ellbogen an. Ä 

Der Graf: zog oftenfibel den Arm zurüd: „Sch kann 
mich ſehr ſchlecht an diefen häufigen Wechfel der Quar⸗ 
tiere gewöhnen, und das macht mid nerbögl“ fagte 
er kurz. 

Yrfula pruftete laut auf por Laden und erzählte, 
daß fie überall fchlafen könne; „meinetwegen auf einem 
Sad von Nußfhalen! Man muß nur müde fein und 
nit aus Rückſicht für ſchöne Hände und Füße auf 
einen gejunden Sport verzichten!“ 

Flanken machte ein pfiffiges Geficht und blinzelte 
ihr zu. Dann erhob man ich, um ein wenig Kahn zu 
fahren. Heute jette Fräulein von Kuffftein eine mit 
Diden roſa Schleifen belegte ‚Schute‘ auf, bie ihfem 


92 


Köpfchen mit dem pikanten frifehen Geſicht das Anfehen 
eines Greenawah⸗Figürchens verlieh. 

Der Graf dispenfierte fi) vom Kahnfahren; er wolle 
zur Kirche gehen. Flanken und Herr von Borniß folgten 
ihrer originellen Führerin blindlings durch Did und 
Dünn, durch Gebüſch und fumpfige Wiefen, in den 
Kälbergarten und auf den Sntentümpel. Urfula fand 
Das ganz in der Ordnung und darum machte es ihr 
feinen fonderliden Gindrud. Etliche Kraftproben des 
Premierleutnants bewunderte fie jubelnd nach) Verdienſt, 
aber fie ſah fich immer mal verftohlen um, ob Sraf 
Lohe nicht doch noch nachkomme. Er fam aber nit. 


Zehntes Kapitel 


Bor dem Schloßportal von Sroß-Wollwis hielten 
die verfchiebenen Squipagen, die die Sutsherrihaft und 
die Offiziere der Sinquartierung nad) Alt-Dobern brin«- 
gen Sollten. 

Herr don Kuffftein beftieg mit feiner Tochter das 
zweiſitzige Kupee, die zwei Rittmeifter und der Adju- 
tant folgten in offenem Landauer; zulegt fuhr Graf 
Lohe in eigener Equipage. Flanken beftand darauf, zu 
reiten. Urfula beobachtete es mit ſpöttiſch zuckenden 
£ippen, wie ein großer Koffer aufgeladen wurde, wie 
die bier Dienftbaren Geiſter, refpeltvoll wie vor einem 
Bringen, Spalier bildeten und fich überftürgten, den 
Wagenſchlag Hinter ihrem Gebieter zu fchließen. 

Stau von Kuffftein ftand mit dem Regimentsiom- 
mandeur und den beiden Graieherinnen auf der Ter⸗ 
taffe und winkte den Abfabrenden freundlichen Sruß 
nad), und der ‚Herr Poltorjo‘ faß auf der oberften Stufe 
der Freitreppe und ließ das für gewöhnlich jehr wohl⸗ 
wollend nad aufwärts geringelte Schwängchen me» 
lancholiſch niederhängen. 


93 


Die lebten rotgoldnen Strahlen der Abenbfonne fielen 
dur die hohen Spiegeljcheiben, als Lena Dern von 
©roppen die Wetterrouleaus mit weißen SONDER em» 
porwand. 


Wie bon einem SHeiligenfchein umfloffen, ftand die 
ſchlanke Mädchengeftalt; Kletterrofen und ©lycinias, Die 
jih an der ganzen Südfeite des Alt-Dpoberner Herren- 
hauſes emporranften, fhlangen ji zu düfteſchwerem 
Rahmen um das reizende Bild, an Dem der Dlid des 
Fürſten Daniel Sobolefstoi in ftarrem träumerijhen 
Schauen Ding. 

Lena blieb einen Augenblid am Fenſter ftehen, öffnete 
es und ſchaute in die Pracht der Gotteswelt hinaus, die 
ein jelten ſchöner Spätiommer mit üppigften Sarben 
gemalt. Lenas hellblondes Haar ift goldig durchleuchtet 
und erſcheint Daniel Sobolefskoi genau in der Farbe, 
wie die wallenden Loden feiner Mutter. Ihr Köpfchen 
zeichnet. fich [charf gegen den Himmel ab, und Die graztöfe 
Geſtalt ift weiß gefleidet, wie die auf dem Bild Gg- 
lantinas. 


Daniel preßte beide Hände gegen die kranke Bruſt, 
deren altes Leiden ihn ſoeben wieder ganz plötzlich heim- 
gejucht Hat; er atmet ſchwer und tief auf, läßt das Haupt, 
deffen Haar bereits von filbernem Schimmer überhaucht 
ift, kraftlos in die weichen Polſter des Seſſels zurüd- 
jinfen und ftarrt unverwandt auf das lichte Bild im 
Senjterrahbmen. Wie im Schattentang ziehen die ein- 
zelnen Jahre an feinem geiftigen Auge porüber. 

Er gedenkt der Stunde, da er zum erjtenmal, ein faum 
berftandener und fremder Eindringling, über die Schwelle 
des Dernſchen Haufes gefchritten. 

Steudentränen in den Augen hat fid die Bemahlin 
feines Sreundes an des Satten Bruft geworfen, für nie- 
mand anders Sinn und Gedanken, als an ihn, den einzig 
©eliebten, den Gottes Gnade in diefem Augenblid ihr 
neu geſchenkt hat. Zage Schritthen aber Haben ſich 
dem abjeitsftehenden Fremdling genähert, zwei dunkle 


94 


Augen haben voll Engelsgüte zu ihm aufgelädhelt, und 
eine rofige Kinderhand bat den DBlütenftrauß dargereicht 
mit dem wundertrauten Gruß: „Sei herzlich bei uns will» 
fommen, lieber Onkel Daniel!“ 

Da iſt's Dem armen mißgeftalteten Mann wie ein 
gittern und Beben durd) alle Slieder gegangen, er bat 
die Hand auf das blonde Lodenföpfchen des Kindes 
gelegt, und durch feine Seele zog es wie ein Dankgebet: 
O Mutterl“ 

In dem Blumenſtrauß jedoch prangte inmitten ein 
vergoldetes vierblättriges Kleeblatt, das Lena im ver⸗ 
floffenen Herbſt am Geburtstage des Vaters gefunden 
Batte. Grau von Dern⸗Groppen hatte es als verhei- 
Bungspolles Slüdszeihen aufbewahrt, und ihr Töch— 
terhen hat es nun gum Dank dem dargereicht, Der als 
Schugengel über dem teuerften Leben gewadt batte. 

Daniel aber kam eine plötliche Grinnerung. Auf dem 
Gemälde in dem Sterbezimmer zu Miskow Hatte aud) 
die Hand feiner Mutter diejes ſeltſame Symbol des 
Slüds gehalten. Wie ein föftliches Kleinod hütete Fürft 
Sobolefskoi dieſe erfte Liebesgabe aus Lenas Hand. 

Und die Zeit zog dahin, wolfenlos und glüdfelig, 
wie nie zuvor im Leben des vereinjamten Mannes. Mit 
berzlidher Liebe Bing Lena an dem Ruſſen, feinen bejfern 
Spiellameraden gab's für fie als ihn, feinen treuern 
Öefährten bei gemeinfamer Arbeit. Unermüdlich im 
Geſchichten erzählen, verzichtete Daniel auf jegliche Ge— 
felligfeit, um abends bei den Kindern zu jiten und 
ihnen mit feiner weichen Stimme Das gehbeimnispolle 
Zauberrei des Märchens zu erſchließen. Und als 
Zeiten voll Not und Sorge famen, als Lena von erniter 
Krankheit heimgeſucht wurde, da ſaß Sobolefstoi hel- 
fend ale Arzt Tag und Naht an dem DBettchen, jeden 
Atemzug des Lieblings poll zitternder Herzensangft zu 
beraden. Solhe Treue fnüpfte aud das Band der 
innigften Sreundfhaft zwilchen den Eltern der Kleinen 
und ihm ftets fester, und bald deuchte es allen im Haufe, 
als habe Fürft Sobolefstot nie gefehlt, als gehöre er, 


95 


gleih einem leiblihen Anverwandten, für jekt und 
immer zur Samilie des deutjchen Offiziers. 

Zur Zeit, da Daniel zum erftenmal des Rittmeifters 
Sand. umfchloffen, Tagen deſſen Verhältniſſe nicht allzu 
glänzend. Er war der drittgeborene Sohn einer begü— 
terten Familie, deren bedeutender Landbefiß laut Des 
päterlichen Teſtaments als Majorat ſtets an den ülteften 
Sohn fallen follte. Diefer war verheiratet und bercitä 
Bater von drei prächtigen Buben; ebenfo war der zweite 
Träger des Dern-Öroppenfchen Namens mit einem Ana» 
ben gefegnet, und jo war für den Rittmeifter jegliche 
Ansſicht auf den großen Beſitz ausgejchlojfen. Seine 
Semahlin, eine geborene Gräfin Saffeburg, Schweiter 
der Grau don Kuffftein und DBaronin Büttingen, war 
wohl vermögend, aber nicht reich genug, um ein völlig 
jorgenfreies Leben führen zu Tönnen. &$ hieß an allen 
Ecken und Enden [paren und fich nach der Dede ftreden, 
was dem eleganten und etwas leichtlebig beanlagten 
Rittmeifter anfänglich herzlich fauergefallen war. Als 
Fürſt Sobolefsfoi jedoch in feiner taktvollen Weile be— 
gann, die ©opldftröme feines Reichtums unter das Dad) 
feines Freundes zu leiten, da zeigte Herr pon Dern eine 
faft ſchroffe FSeftigfeit, die jegliche Unterftügung feitens 
des Ruſſen ein für allemal ausfhlug. „Es widerftrebt 
mir, aus unfrer Freundſchaft irgendwelchen, und fei es 
auch nur den Heinften Nuten zu ziehen, und außerdem 
wirft du einfehen, daß es gemwiffenlos von uns Eltern 
wäre, die Kinder in einem Yuzus zu erziehen, der nur 
vom Schickſal erborgt tft!“ | 

Daniel fügte jich mit einem geheimnispollen Lächeln 
und ſchrieb fein Teftament. 

Sabre danach, als Frau pon PDern-Öroppen unter 
den erften Keimen ihres fpäter unheilbaren Leidens 
zu Tränfeln begann, fügte fi) ihr Satte der Notiwendig- 
feit und gab Daniels flehenden Bitten nach, Die Leidende 
in beilfame Bäder bringen zu Dürfen. Sommer für 
Sonmer, in der lebten Zeit fogar noch einen Zeil bes 
Winters, reifte Sobolefsfoi mit der Familie feines 


96 


Sreundes; und wenn Herr von Dern feine Hände mit 
krampfhaftem Druck umfpannte und ausrief: „Wie foll 
ih jemals meine Schuld gegen dich abtragen?“ dann 
ging es wohl wie ein Aufſchrei der Sehnſucht durch 
das Herz des Iiebearmen Mannes: „Oib mir das, was 
fein Kaifer der Welt zu geben vermag, den höchſten 
Lohn, der je verliehen, gib mir Lenal* Aber er ftrich 
mit leifem Auffeufzen über die Stirn und entgegnete: 
„Wie Tann armfelig Geld dag Glück aufwiegen, dag ich 
in Deinem Haufe gefunden? AU mein Hab und Gut 
gehört Dir, und Doch bin ich dein Schuldner.“ 

Oft Hatte er die gemalten Augen feiner Mutter mit 
denen des jungen Mädchens verglichen, und er ftarrte 
die wunderfame Ahnlichkeit an, wie ein Rätfel, das 
nicht zu löfen ft. 

Die harmlos glüdlihen Jahre, da Lena zärtlich feine 
Wangen ftreichelte und feine Menfchenfeele ihm feine un- 
I&uldige Freude ftreitig machte, zogen fchnell dahin, 
und aufs neue fam das Schidfal und fchlug feine Kralle 
in das Herz des jo ſchwer Seprüften. | 

Lenas jung erblühte Schönheit blieb nicht unbemerft, 
und wie die Schmetterlinge dem Rofentnöfpchen ſchmei⸗ 
cheln, fo Huldigen die jungen Kameraden Dern⸗Groppens 
dem anmutigen Zöchterchen ihres Oberftleutnants. 

Qualen der Verzweiflung erduldete Daniel Sobo- 
lefsfoi. Sein Herz ſchrie auf gegen die Härte und Un⸗ 
gerechtigfeit Gottes, die ihn fchuldlos in den Staub 
getreten, ein elender Krüppel zu fein, er ballte Die 
Hände gegen fein Schidfal und brach demütig zufammen 
unter den Schmerzen, mit Denen feine kranke Bruft hef⸗ 
tiger als je ringen mußte. Soeben Hatte der Dämon in 
ihm noch gejauchzt: „Lena ift ja arm, und die modernen 
Steier brauchen eine reiche Mitgift notwendiger cls ein 
boldfelig Weib! Wer Tann fie dir rauben?“ Und nun, 
da Lena die Feine Hand auf feine Stirn legt und ſich 
voll Web und Sorge Über ihn neigt: „Seht es Dir 
beffer, lieber, armer Ontel Daniel? Was um alles 
in der Welt Hat diefen neuen Anfall verurfaht?“ da 


7 Eſchſtruth, Hofluft 97 


sittert es feucht in feinen Wimpern, und er faltet bie 
Hände in heiligem Gelöbnis: „Bott foll mich ver- 
Dammen, wenn ich in verädhtlicher Selbftfucht meines 
Lieblings Slüd zerfplittern ließel“ 

Rein, Daniel Sobolefsfoi begehrt Lena nicht zu eigen, 
aber er zittert vor der Stunde, Die ihm fein Liebftes 
nehmen wird. 

Wunderfam! Hat es Gottes Barmherzigkeit gefügt, 
ihr junges Herz gegen die Allgewalt der Liebe zu feten? 
Kühn und ſtolz geht Lena ihren Weg, und Die Hände, 
Die fich begehrend nad) ihr ausftreden, weift fie mild, 
aber energifch zurüd. „Sch liebe ihn nicht, und Wie 
fann ich ohne Liebe heiraten!“ 

In folder Stunde möchte Daniels Herz zeripringen 
bor Wonne und Olüdfeligleit; aber andre kommen, 
und Die Qual beginnt von neuem, und es find lange 
Monate und Jahre, die ihn auf die Folter fpannen. 

Daniel hat vergeblich im Derein mit den beiten Arzten 
alle Kunft aufgeboten: Grau von Dern-Groppen tft 
endlih von ihren Leiden erlöft, und Lena hat das Köpf- 
hen an die Schulter des treuen Freundes gelehnt und 
bitterlih geweint. Die Einſamkeit der tiefen Trauer 
bat die Hinterbliebenen einander noch näher "geführt, 
und es deucht Daniel, als babe fich der düftere Krepp 
wie ein Linder Balſam auf fein Herz gefenlt, es für 
Monate wenigftens in ungetrübtem Frieden genefen zu 
laffen. Und abermals fällt ein neuer Tropfen Wermut 
in den Leidensbecher des Schmerzensreich. Sine wunder⸗ 
bare Fügung des Schidfals hat den DBater der beiden 
jungen Mädchen dennoch zum Beſitzer der bedeutenden 
Dernſchen Süter gemacht. Jäh auftretende Krankheiten, 
ein Biltolenduell und ein Sturz mit dem Pferd haben 
den blühenden Mannesjtamm der Gamilie wie Blitze 
aus heiterem Himmel gu Boden gefchmettert. | 

Da Herr pon Dern⸗Groppen nur zwei Töchter befaß, 
fih nicht noch einmal verheiraten wollte und auch) die 
Güter nicht perfönlich bewirtichaften konnte. verkaufte 
er allen Nebenbefiß bis auf das alte Stammgut und 


98 


war ein reicher Mann geworden, der don dem jähen 
Umſchwung des Schidfals wie geblendet und betäubt 
ſchien. Vie Snade feines Kaifers hatte ihn, das Glück 
des paflionierten und vortrefflichen Offiziers vollkommen 
machend, als ©eneral in eine Refidenz eines deutſchen 
Staates berufen, und Daniel drüdte ihm mit berzlichem 
Glückwunſch die Hand, aber in feinem Dlid lag ein 
ftummes Weh, und fein Haupt ſank fo tief auf Die 
Druft wie dag eines Dulders, wenn er fich rejigniert 
der Laft feines Slends beugt. 

Welch ein wunderliches Gemiſch der ftolgen Freude 
und verzebrenden Angft, wenn Lena, umſchwärmt bon 
Derehrern und Freiern, por feinen Augen ihre Triumphe 
feierte! Aber feltfam — abermals ſchien ſich das Schid- 
fal des gequälten Mannes und feiner leidenfchaftlich 
tiefen, edlen und felbftlofen Liebe zu erbarmen. War 
Lena früher gegen die huldigenden Herren ſchon ab» 
weifend geweſen, ſo war fie es nun erft recht. 

„Ah, Onkel Daniell* Hatte fie einft voll ſtolzer Hcf- 
tigleit ausgerufen: „Wie verächtlich find mir all dieſe 
ritterlihen Naden, die ſich von dem elenditen Dulaten« 
fädel wie die Sklaven knechten laffen; und wie unglüd- 
felig find wir armen reihen Mädchen daran, die als 
Mittel zum Zweck mit Liebesfhwüren belogen und 
betrogen werden!“ 

„Du bift ungerecht, liebe Lenal Iſt dir nicht Die 
Liebe in reihem Maße dargebracdt, als die Welt Dich 
noch für arm hielt?“ 

Ihr dunkles Auge ſprühte auf, fie biß die Zähne 
aufammen und legte die Hand auf feine Schulter. 

„Onkel Daniel... glaubft du tatfähhlich, das fie das 
jemals getan? Man war überzeugt davon, daß der 
reichſte Fürft Des Ruffenreiches die Lebenswege feiner 
beiden einzigen Anverwandten überhoch mit Bold pfla« 
ftern werde, fobald ſich Gelegenheit geboten, eine Hochzeit 
auszurüften! Möge Sott mich bewahren, daß ich jemals 
in dem Rechenezempel eines Hetratsfandidaten die un« 
würdige Rolle des Kapitals [pielen muß!l“ 


7# | 99 


And Lena Hatte Wort gehalten. Siebenundzwanzig 
Jahre war fie alt geworden, ohne daß ihr Herz den 
herben Anfichten ihres Verſtandes widerjprochen hätte. 
Schwantend zwiſchen Furcht und Hoffnung, fih auf» 
teibend in Der Qual feiner troftlofen, tief verborgenen 
Liebe, beobachtete Sobolefstoi diefe Unnatur. 

Ein tiefer Seufzer hob feine Bruft, und Lena wandte 
ih vom Fenfter und trat zum Seffel des Kranken. 

„Acht wahr, nun wird Dir beffer, du armer Ontel 
Daniel?“ fragte fie, zärtlic; das Haar aus feiner Stirm 
ftreichend. „In der dumpfen Kellerluft mußte ja ein 
©®efunder Atemnot befommen, und wenn es fo ſchön in 
Gottes Welt ift, darf man ſich nicht Hinter enge Mauern 
verfteden! Komm, ich führe dich an das Fenfter, und - 
dann Hole ich mir den Fleinen Stuhl aus dem Kamin- _ 
edchen und erzähle Dir, was alles in der Zeitung ge- 
ftanden bat!“ 

„Mußt Du nicht Toilette machen, mein Liebling? Es 
find ſchon fo viele Wagen in den Schloßhof gefahren, 
lauter fchmude Tänzer, die du nicht warten laffen 
darfſt!“ 

Sie war neben dem Seſſel niedergekniet und blickte 
erſtaunt zu ihm auf; die Sonne warf einen zitternden 
Strahl über die ſchlanke Geſtalt und tauchte Das zarte 
Geſichtchen in rofiges Licht. „Sch bleibe bei dir, Onkel E 
Daniell ch werde Doch nicht wildfremden Menfchen -- 
die Zeit vertreiben helfen, wenn du Hier oben krank 
biſt.“ 

Die Hand, die ſich auf ihr Haupt legte, zitterte, und 
die Stimme Sobolefsfois Hang faft erfhroden. „Um 
feinen Preis der Welt! Ich fühle mich wieder völlig 
gefund und werde nad) dem Souper dem Tanz zufehen! 
Ich muß Doch ein wenig beobachten —“, Daniel zögerte, 
und ein rührendes Lächeln huſchte um feine Lippen, 
„ob nicht heut fo ein Fleiner, geflügelter Götterknabe 
durch den Saal ſchwirrt, wenn meine marmorfühle Lena 
mit einem flotten Sardeulan Walzer tanzt!“ 

Das junge Mädchen lachte leiſe auf. ‚Armer Onkel dul 


100 


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4 


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Auf fold ein Attentat Hoffft du nun fchon feit zehn 
Jahren! Und die. böfefte aller Nichten zieht eigen- 
finnig — oder fagen wir — charaftervoll durch jeden 
Ihönen Hochzeitsplan einen diden Strich! Willft du 
undankbarer Menſch mich denn abfolut los fein, daß du 
es gar nicht erwarten kannſt, bis mich irgendein fremder 
Mann, deſſen Schulden bezahlt werden müffen, erbandelt 
at?“ 


Der Fürft rang felundenlang nad) Atem, und Die 
dunklen Augenwimpern ſanken ſchwer hernieder. „O nein, 
Lena,“ fagte er leife, „ih möchte wohl, daß es immer 
fo bliebe wie jebt, ich bin fehr egoiftifch, und der Ge— 
Danke, did) oder Jolante fcheiden zu fehen, Hat viel 
Schmerzlihes für mich!“ 

Bor der Tür Hang lautes Lachen und eiliger Schritt. 
Dann klopfte es ſehr Träftig an, und ohne Antwort ab» 
zuwarten flog der Türflügel zurüd. 

Die ein Wirbelwind ftürmten Folante und Urfula, 
beide feftlich gefleidet und mit Blüten gefhmüdt, in den 
Salon; bei näherem DBlid jedod) erfannte man, daß Das 
ſchwärmeriſch zarte Fräulein von Groppen willenlos 
von den Fräftigen Armen der Kufine dirigiert wurde. 
Aber fie ſchien es fich diesmal nicht ungern gefallen zu 
Iaffen, denn auch ihr Geſichtchen war von ©elüchter 
und Amüfement höher gefärbt als fonft. 

„Guten Sag, Fürft Sobolefsktoil ‚Wenn der Derg 
nicht zu mir fommt, gebe ich zum Berg‘, fagt Mohammed! 
Wo fteden Ste denn? Hm?“ Und Urfula patfchte dem 
Genannten vergnügt auf die Schulter und fchüttelte ihn 
ein wenig. „Steigen Sie mal flint in Ihren DBratenrod 
und Iommen Siel &s ift ja zum Aberfchlagen da unten! 
Was, Iolante?... Hahahaha!“ 

Daniel zog mit freundlihem ©egengruß die Hand 
der jungen Dame an die Lippen, richtete fich ſichtlich 
erheitert im Seſſel auf und griff nach den farbigen 
Aſtern, die ihm Jolante in den Schoß geſtreut hatte. 

Urſula Hatte ſich auf eine Tifchlante geſchwungen und 
ungeniert von dem Obſt, das zur Erfriſchung des Iei- 


101 


denden Zürften beraufgefchtdt war, sgugelangt. „Ich bin 
wirklich gefpannt, wie fi) alle Courmachereien ent«- 
wideln werben, fann’s mir fchon fo ziemlich denken...“ 

„So? Da find wir doch begierig! Ditte, mein gnädiges 
Stäulein, beebren Sie ung mit Ihren SKonfidenzen!“ 

„Jolante und unfer Affe...“ 

„Aber Urfula!“ 

„Schrei doch nicht eher, als bis du weißt, wer der Affe 
ifil Ein riefig hübſcher Bengel nämlich, der Oraf Lohe, 
Renommier-Aushilfsleutnant bei den Ulanen! Aber ich 
fage euch — fo pilfein, und fo geziert, und fo furchtbar 
elegant, Daß einem ganz angft wird! Gerade fo lyriſch 
angebaut und fentimental wie Solantel Ich höre 
ſchon, wie die beiden in ſchwärmeriſchen Zitaten man⸗ 
hen werben!“ 

Solante Iehnte mit ganz füperbem Augenauffchlag 
Das Köpfchen gegen bie Seffellehne zurüd. „Auf alle 
Fälle find mir ſolche Gefühlsmenſchen taufendmal lieber 
als die rüden Ringfämpfer-Afpiranten, die ſich wie 
Die DBauernburfhen auf dem Parkett berumflegeln!“ 

Arfula lachte ſchallend auf, aber doch ‚blitte es in 
ihren Augen tie eine eiferfüchtige Drohung. „Da haben - 
wir's jal Das Pärchen iſt fertig! Armer Flanken, für 
dich ſieht's faul aus!“ 

„Der tft Flanken?“ Haudte Jolante phlegmatilch. 

„Der Riefe, deffen Eoloffales Schlachtroß dir fo fehr 
imponiertel Aber ein Krafthuberl ift der Kerl... Alle 
neun Donner! Neben dem fieht jede Dame aus wie ein 
Däumlingchen!“ 

„Haben Sie ben vielleiht für Lena beftimmt, mein 
gnädiges Fräulein?“ 

Urſula ſchnitt mit fchiefgeneigtem Köpfchen eine Gri— 
maffe. „Nee, der ift zu dumm für die geiftreihe Dame 
dal Auch viel zu Luflig und lebenswarm, um es lange in 
der Nähe folder Sletfcherjungfrau aushalten zu können! 
Rein, für Lena wüßte ich eigentlich) niemand, oder halt, 
doch! Hurra, ich hab's! Lena Triegt das Eisbein! Den 
Ihönen, intereffanten Leutnant von der Infanterie, Der 


102 


fo fühl tat und uns fo ſtolz von oben herab mufterte 
und Gretels Gouvernante und der Sefellichafterin gerade 
ſolchen Diener machte wie ung!“ 

„Et, eil ſchön und intereffant!“ Tächelte Fürft So» 
bolefsfoi mit nervös zitternden Nafenflügeln: „Und wie 
ur diefer Herrlihfte von allen, wenn man fragen 

arf?“ 

Stäulein von Kuffftein fegte fih in Poſitur und perfi- 
flierte des jungen Offiziers vornehm gemeffene Art und 
Weiſe, fich vorguftellen: „Freiherr von Altenburg! Frau 
DBaronin hatten die freundliche Snade, zu geftatten —“ 
und Urfula Happte die Haden zuſammen und blinzelte 
Ihelmifch zu Lena hinüber. 

Die ſchüttelte mit ihrem ernften ©efiht den Kopf. 
„Kleines Närrchen! Es fcheint mir, Herr von Altenburg 
hat bereitS prima vista eine Sroberung gemadt, die an 
Stürmifchleit den alten Brandenburgern nicht nadjftehtl 
Und nun geht fchnell wieder hinunter, ehe Tante Büttin- 
gen euch vermißt; ſowie fi) Onkel Daniel wieder ganz 
wohl fühlt, folgen wir nah!“ 

Sürft Sobolefskoi erhob fih. „Sch werde mir fogleich, 
auf Befehl der Heinen Gnädigen bier, den ‚Bratenrod* 
anlegen laffen, und bitte dich, Lena, Die Baronin [chleu- 
nigft in ihren Derpflichtungen als Wirtin zu unter“ 
ftügen!“ | 

Arfula fprang eifrig von ihrer Tiſchkante herunter. 
„Richt wahr? Sage ih auch! Die arme Tante muß fi) 
reineweg den Mund fuffelig reden! Sput’ did), Lena, 
wirf dich in Wichs und fomm!“ 

„Ich Bin angefleidet!“ 

Sobolefskoi ſah faft erfchroden an der ſchlanken Mäd- 
chengeſtalt empor; ihr fchlichtes weißes Spitzenkleid war 
durch feine Blüte und feine Pretiofen gefhmüdt. 

„Liebe Lena!“ bat Daniel Ieife, „ich würde mich fo 
Heralich freuen, wenn du eine einzige Heine Blume tragen 
mwollteft, mir gu ©efallen! Ich bitte dich darum!“ Sie 
[Haute finnend auf, dann verflärte plößlich wieder ihr 
mildes Lächeln das Antlig, und fie faßte fchnell nad) dem 


103 


Selkblumenftrauße, Der neben dem GSeffel des Fürften 
geitanden. Sie bog die Rifpen und Gräſer auseinander 
und 30g ein pierblättriges Kleeblatt hervor. 

„Das erite, das ich feit langen Jahren wieder, ohne 
danad) zu fuchen, gefunden! Du Iiebft dieſes glüdver- 
beißende Kräutlein ebenfo wie ih, Onkel Bantel, darum 
werde ich mid), dir zu Ehren, damit ſchmücken!“ 

Sie lächelte ihm zu, und die Hand mit dem Bierblatt 
fan? in die weißen Kleiderfalten nieder. Da war eg 
wunderbar, wie ähnlich fie dem Bild Sglantinas war. 

Daniels Herz zudte auf. Es war ihm plöblidh, als 
verfinftere es fih im Gemach. Er glaubte den Sturm 
braufen zu hören, der in jener Schredensnacdht in Miskow 
dem Schidfal mit des Unglüds ſchwarzen Fittichen por- 
ausgeflogen war. Zlammen hatten die lichte Frauen- 
geitalt mit dem Symbol bes Glüdes in der Hand ver» 
zehrt; werden auch heute Flammen entzündet werden, 
Die ihm abermals fein Liebftes auf der Welt entreißen, 
Die ihn zuſammenbrechen laſſen unter der Tränenlaft Des 
GElends? 

Ein herzzerreißendes Lächeln irrte um feine Lippen. 

„Sin vierblättriges Kleeblatt! ®ebe Gott, mein Lieb- 
ling, Daß es nicht nur das Sud verheißen, fondern auch 
Bringen mögel® - 


Elftes Kapitel 


Lena hatte an der Seite Ihrer Tante DBüttingen, einer 
Heinen rundliden und fehr lebhaften Dame mit glatte 
gefcheiteltem dunklen Haar, die Samilien der nädhltan- 
gefeffenen ®utsherren begrüßt, die mit viel Vergnügen 
der Einladung nad Alt-Dobern Folge leijteten. Das 
junge Mädchen war von der janften Liebenswürdigteit, 
die man fonft nur im engften SFamilienfreis an ihr fannte, 
und die fofort einer faft abftoßenden Kälte wich, ale 
die fremden Offiziere nach beendeter Toilette die Salons 


2104 


betraten. Solante Eofettierte mit ſchmachtenden Augen 
und der leifen fhwärmerifchen Stimme auf der Berraffe 
bor vem Tanzſaal mit all Den Hübfchen und häßlichen 
Zeutnants, die fih um den Vorzug befämpften, eines 
Direlten Wortes von ihr gewürdigt zu werden. Gruf 
Lohe war von vollendeter Liebenswürdigfeit, fie fand 
ihn auch ganz leidlich nett, obwohl es ihr ſchien, ald 
fet er fehr gerftreut und verberge unter viel fchönen 
Phraſen nur eine tiefe Verſtimmung. Auf jeden Fall 
huſchte ihr DBlid viel öfter an der riefenhaften G©eftalt 
Slantens empor, der feinen blonden Krauskopf behaglich 
an der Säule, gegen die er ſich gelehnt, Bin und ber 
trieb, zeitweife eine feiner trodenen Kraftbemerfungen 
in die Unterhaltung einftreute und als Privatvergnügen 
mit der gewaltigen Hand nad) Fliegen und Schnaken 
patſchte. Urſula Hatte in ihrer unperblümten Reife 
gefagt: „Du, Jolante, ich wette gegen ſechs alte Weiber, 
daß Flanken dich geradezu gräßlich findetl® Das ver- 
droß Sräulein von ©roppen, und Daher wollte fie dag 
PBräpenire [pielen und den ungeſchlachten Befell von 
vornherein ganz abfcheulich behandeln. Je oftenfibler 
aber ihr elfenhaftes Figürchen der Nähe des Riefen 
zu entſchweben fuchte, defto hartnäckiger ftampften Die 
ſchweren Reitftiefel ihr nad). Urfula Hatte fchnell ihren 
Kreis gefunden. Laut und übermütig übertönte ihr 
Lachen und Pebattieren das Stimmengewirr. Ste zankte 
fih mit einem Artilleriſten über Hornfpalt und balgte 
ſich zwiſchendurch einmal mit ihrem feinen Better Büt- 
tingen und feinem großen Hund. 

Graf Lohe rieb fein Monokel mit dem weißfeidenen 
Taſchentuch und warf hier und da einen Blid nach jenen 
Szenen an der DBerandatreppe, Die fi unter Urfels 
fräftiger Alfiftenz immer Iebhafter entwidelten. „Es 
fehlte nur noch, daß fie das Geländer herunterrutfcht!“ 
Dachte er voll heiliger Entrüftung, und je unmutiger fein 
Blick und je röter feine Stim wurde, Defto übermütiger 
benahm fih das DBadfifchhen, gerade, als täte fie es 
ihm zum Stoß! Papa Kuffftein ftand, Die Hände & la 


105 


Gloſter in die Hofentafchen verfenkt, mit ein paar älteren 
Herren auf dem Kiesweg drunten und fchaute mit brei«- 
tem Schmunzeln feiner Ginzigen zu. Lohe trat zu ihm 
heran, in der Hoffnung, durch irgendein gefchidtes Meines 
Manöver dem verblendeten Bater die Augen über das 
unftatthafte Benehmen feiner Tochter zu Öffnen. Er 
fragte nad) Turzer GSinleitung, ob es denn niemand in 
Sroß-Woltwig gäbe, der fo rechten Einfluß auf Fräulein 
Urſula babe. 

„3 wol Die Krabbe tanzt ung ja allen auf der Naſe 
herum!* war die wahrhaft triumphierende und bater- 
ftolzge Antwort. 

Da ſenkte Sraf Lohe refigniert das wohlfrifierte Haupt 
und verzichtete auf Weitere Verſuche, einen Splitter 
aus des Nächſten Auge zu ziehen. 

Fürſt Daniel Sobolefskoi hatte allein an bem offenen 
Salonfenfter geftanden und zugeſehen, wie die neu an« 
fommenden Offiziere den jungen PBamen vorgeftellt 
wurden. 

Als Freiherr von Altenburg fi in ftummem G©ruß 
vor Lena neigte, trat er in atemlofem Schauen unmwill« 
fürli einen Schritt vor. Sein DBlid Haftete auf dem 
Antlih feines Lieblings, als wolle er voll ängfilicher 
Sorge einen Schickſalsſpruch darinnen Iefen. Gleich- 
gültig, Talt und abweifend wie ftets in einem ſolchen 
QAugenblid blieben ihre Züge, und die wenigen Worte, 
die fie an den jungen Offizier richtete, Hangen formell 
und unnahbar. 

Hoc und ſchlank ftand Altenburg ihr gegenüber. Kein 
verbindliches Lächeln fpielte um feine Lippen, ein ernfter, 
foft etwas bochmütiger Ausdrud beberrfchte fein Geſicht. 
Sehr ſchmal und ſcharf gefchnitten war das Antlig, leicht 
gebräunt und durch ſtolze Kopfhaltung meift Hoch er— 
hoben; ein blonder Schnurrbart gab ihm ein ritterliches 
Anfeben, und: die ftrenge, beinah finftere alte, die Die 
Augenbrauen zuſammenzog, machte es intereffant. Er 
wechjelte die paar üblichen Redensarten mit ber Nichte 
der Öaftgeberin, verneigte ſich kurz und trat fofort bei» 


106 


feite, als ein paar Kameraden ber Kavallerie Die Sporen 
vor Stäulein von Sroppen zufammenflappten. 

Schon trat der Mond wie ein blaffer Silberftreifen 
Binter dem Wald hervor, al8 Baron DBüttingen der alten 
Erzellenz von Normann den Arm bot und fie Durch die 
breit aufgefchlagenen Türflügel in den Speijefaal führte. 
Die älteren Herrfchaften folgten, und unter der Jugend 
entſtand ein übereifriges Hin und Ser, ein Suchen, 
Sinden und Engagieren, ein Rangablaufen und Zufpät- 
fommen, Neden und Schmollen. 

Graf Lohe Hatte dicht neben Urfula geftanden, fein 
Dlid traf ihr Geſichtchen, das ſich erwartungsvoll nad) 
ihm richtete. Langfam wandte er fi) zur Seite und bot 
Solante den Arm. 

Herr von DBornit trat bereits neben das Badfifhchen 
und kreuzte die Arme über ber Bruft: „Wenn durch die 
Piazzetta der ‚Bratenduft‘ weht, dann weißt du, Ninetta, 
wer wartend bier fteht!* — regitierte er lachend. 

„Wir wollen uns den beiden da gegenüberfegen!“ 
nidte Urfula mit bligendem Auge. 

And als fie Graf Lohe gegenüberfaß, war fie fo 
ungezogen wie nod) nie. „Od, Daß ich taufend Zungen 
hätte und einen taufendfahen Mund!“ rief fie beim 
Anblid des Menus, und als der junge Offizier nicht mit» 
lachte wie die andern, fondern ihr einen fehr mißbilli» 
genden Blid zuwarf, fchnitt fie ihm eine Meine Grimaſſe, 
griff nach einer Apfelfine und fabrizierte zu größter Heiter«- 
teit aller Umfigenden einen ‚feelranten Shinefen‘ daraus. 
Solante errötete in verlegtem Zartgefühl, und Lohe 
bi por Urger die Zähne zufammen. Und immer toller 
trieb es der Kleine Unhold. Wehe dem armen Grafen, 
Daß er feine Nerpofität verraten hattel Urfula frabte 
boll wahrhaft teufliichen Vergnügens unausgefett mit 
den Nägeln auf dem Seidenrips des Tiſchläufers, big 
Lohe ganz altertert feine Unterhaltung mit Jolante 
unterbrach und fehr laut bemerkte: „Ss ift merkwürdig, 
Daß alle Kinder fo viel Freude daran haben, in Ge⸗ 
ſellſchaft möglichft ungebärdig zu fein und recht viel 


107 


Lärm zu machen!“ Einen Augenblid Iang vergaß Urfula 
por Aberrafhhung das Mäulchen zu [chließen, dann ftellte 
fie Iangfam beide Ellenbogen auf den Tiſch und ftüßte 
Das rofige Sefichtchen in die Hände. „Hm, Sie haben 
mir aus Der Seele gefprodhen! Darüber habe ich heute 
auch Thon nachgedacht, als die ganze Geſellſchaft in 
Wolkwitz ein Mittagsichläfchen Halten wollte, und Gie, 
wie fürs Baterland, auf dem Klapier herumpaulten! Da 
feufgte ih au): Oott erbarme ſich über fo einen Radau- 
Fritzen!“ | 

Stäulein von Kuffftein Hatte die Lader auf ihrer 
Seite, aber fie ftellte dennoh die Arbeit mit den 
Nägeln ein. Dafür erfann fie etwas noch viel Perfideres. 
Der Erbherr von Illfingen ſchien wirklich fehr ner» 
vös zu fein, die Unterhaltung mit Solante wollte gar 
nit recht in Zug fommen, weil der junge Offizier 
ftets mit halbem Ohr und Auge fein Gegenüber be» 
obachtete und es ihm bis in die Fingerſpitzen binein 
fribbelte, wenn Fräulein von Kuffftein in baarfträu- 
bender Reife eine Ungehörigkeit nad) der andern be- 
ging. Er nahm fi) vor, gar nicht mehr zu ihr Hinüber- 
aufehen, aber wunderbar, wie Durch magnetijhe Ger 
walten angezogen kehrte fein Blid immer wieder zu ihr 
aurüd, und fo oft er fte anfab, hielt ſich das allerliebfte 
Seufelhen das Spitentuh por den Mund und — 
gähnte! 

Nichts ftedt nerböfe Menſchen mehr an, als Bühnen. 
Graf Lohe zudte mit den Nafenflügeln und legte fein 
Geſicht in die wunderlichſten Falten, aber faum, daß 
er feinen Krampf etwas befämpft Hatte, gähnte Urfula 
- wieder, und je mehr der lan in zitternde Alteration 
geriet, Defto ärger trieb’S der Kleine Kobold, gebrauchte 
Ihlieglih nicht einmal mehr das Taſchentuch, jondern 
bracdte ihr Viſavis durch ihre trefflide Mimik geradezu 
zur Derzweiflung. 

Immer zerftreuter und aufgeregter wurde der Graf, 
und Iolante, in Deren Nähe Doch bis jet noch niemals 
ein Herr fortdauernd mit der fichtlichften Langeweile ge- 


108 


fämpft hatte, wandte fich etwas pifiert zu ihrem ander» 
feitigen Nachbar und ignorierte Marl-Wolffrath für 
ven Reft des Soupers. 

Arfulas Augen aber funtelten vor Triumph und Aber- 
‚mut. 

In der Leinen Paufe, die dem Tanz poranging, 
hatte fi Herr von Flanken an Solantes Seite gepirfcht. 
Er ließ fih neben ihr in einen Geffel nieder, daß 
diefer in allen Fugen ächzte, und ftredte Die gewaltigen 
Süße übergefchlagen weit auf das bunte Teppichmufter 
bor. 

„Sie find natürlih auch zur Bolonäfe engagtert, 
Gnädigſte?“ fragte er mit einem Stoßfeufzer und der 
ttefdröhnenden Stimme, Die einen fo drolligen Kontraft 
zu dem filberfeinen Organ der jungen Dame bildete. 


Solante neigte das Köpfchen etwas fchief und zupfte 
an den blaßroten Rofen ihres Bruftbufetts. „Allerdings, 
bon meinem Tiſchherrn. Warum fragen Sie? Wollen 
Sie etwa auch tanzen?“ und ihr träumeriſcher Dlid 
ſchweifte, beredter als Worte, über feine bärenhafte 
Sigur. 

Ein amüftertes Knurren feinerfeits; er knäulte nach 
feiner Manier die Handſchuhe zwiſchen den Händen 
und blinzelte feine Nachbarin fröhlih an: „Ste meinen, 
ein eiferner Geldſchrank dürfe mit demfelben Recht und 
berfelben Grazie über das Parkett ſchweben wie ich? 
Ja fehen Ste, mein gnädiges Fräulein, für gewöhnlich 
tanze ih auch nicht, weil ich nämlich feine Rundtänze 
gelernt habe. Mein Bater behauptete, in einem Ballfaal 
gäb's nichts zu raufen, da paßte ich nicht Hin, und 
wenn ih eine Dame um die Zaille fafjen wollte, 
drüdte ich Ihr höchftens Die Rippen ein! Da wurde das 
©eld für die Ausbildung meiner graziöfen Deranla- 
gung gefpart, und der einzige Tanz, in dem ich altiv 
auftreten Tann, ift die Polonäjel Pie ezelutiere ich 
nun aber auch mit Leidenfchaft, und denken Sie mal, die 
fol ih nun gerade ſchimmeln! Alle Damen, felbft die 


109 


älteften tm Saal, find ‚in feften Händen‘, und wo ich 
auch anfrage, überall einen Korb“ 

Jolante lächelte und wehte in ihrer Inrifhen Weife 
mit dem Sächer. „Es muß doch fchredlich fatal fein, 
fo riefengroß zu fein!“ 

„Heutzutage wohl! Pie Zeiten Haben fich leider 
Gottes geändert. Früher wurde der ftärffte Mann König, 
und der Fauftfchlag des alten Norwegers Helge wurde 
als Heldentat bewundert. Heute enden die ftarfen Au» 
jufts meift im Zuchthaus, und das Abermaß der Kraft, 
Das vor Zeiten des Mannes Glück ausmachte, wird im 
neunzehnten Jahrhundert meift fein trauriges Derbhäng- 
nis! Was foll eine folch altritterliche Sermanenfauft —“ 
Slanten hielt mit wehmütigem Geſicht feine gewaltigen 
Sände hin — „in einem Zeitalter anfangen, wo Der 
©änfeliel, Nepetiergewehr und Dreſchmaſchine regieren, 
wo eines Herkules’ Taten nad) dem Strafgeſetzbuch 
fritifiert werden! Und feit achtzehn, Jahren fein ein«- 
aiges frifch-fröhliches Teldzüglein, wo man wenigſtens 
noch die Hoffnung Hat, einmal die Lange einlegen zu 
fönnen!“ | 

„Sie ſcheinen ein furdhtbarer Raufbold zu fein! OB, 
ih finde alle Soldaten fchredlich, weil fie fo hHart- 
herzige Paſſionen haben!“ 

Der junge Offizier blickte juſt mit ſtarrer Bewun⸗ 
derung auf Jolantes Füßchen, das ſich an der Seite 
feines Stiefels wie ein Goldkäferchen neben einem Gle⸗ 
fanten ausnahm. „Na, was für Leute haben Sie denn 
gern?“ fragte er gedankenvoll. 

Stäulein von Bern-Sroppen blidte ſchwärmeriſch in 
den Kronleuchter empor. 

‚„Künftler! — — Alle idealen Menfchen, und nament- 
lich Die Maler!“ 

Er fuhr mit beiden Händen in fein fraufes Haar 
und riß Die Augen weit auf. „Alle neun Donner! Ge⸗— 
fällt Ihnen da nur der Samtrod und die Mähne, oder 
müfjen auch die eingerahmten Fettfleden dabei fein?“ 

Bolante war. ſehr indigntert. „Aber Herr von Flan—⸗ 


110 


be ih Tiebe nicht den äußeren Menfchen, fonbern bie 
KRunft!“ 

„Was der Tauſend!“ Einen Moment ftarrte er ge- 
radeaus, Tann bob er jählings den Kopf. „Slauben 
Sie, daß ich das Kledfen noch lernte?“ 

Sie kicherte ſpöttiſch. „Es ift zwar ſchon einmal aus 
einem Srobjcehmied ein Maler geworden, aber — neh» 
men Sie mir’s nicht übel — hahaha! Mit den Hän« 
den wollten Sie — hahahal Das iſt ja zum Totlachen!“ 

„Malen Sie felber?* Flanken lachte fröhlich mit. 

„Jawohl, mit Paſſion fogar!“ 

„Da, Dann will ih Ihnen mal was fagen. Ich 
made bei Ihnen in der Refidenz Beſuch, und dann 
geben Sie mir Stundel“ 

Jolante warf das Köpfchen empört in den Naden 
und vergaß für Minuten all ihr Phlegma. „Ihnen? 
Sällt mir ja gar nicht im Traum ein!“ 

Gie blidte ſchnippiſch über Die Schulter zurüd. Graf 
Lohe ftand vor ihr und bot den Arm, die junge Dame 
“ in den Zanzfaal zu führen. 

Slanten Happte die Sporen zufammen. In der Tür 
des Tanzſaales ftand Lohe ftill und biß fich wie in 
berber Derlegenheit auf die Lippe. Dann neigte er ſich 
au Solante nieder. 

„Mein gnädigftes Sräulein, darf ih eine Beichte 
ablegen?“ 

Cie blidte mit ihren großen, feuchtfchimmernden Augen 
erftaunt auf. „Nun?“ 

„Mir ift ein Maldeur paffiert, mein Diener bat fehr 
haftig den Koffer gepadt und vergefjen, meine Tanz⸗ 
ftiefeln zur Uniform zu legen. Es ift Doch direlt unmög- 
lich, daß ich in Diefer Shauffure, die für Die Bromenade 
berechnet ift, tanze, und darum bitte ich allergeborjamft, 
ob mein Kamerad, Fürft zu Schlüfften-Drafel, den Vor⸗ 
aug baben kann, mich bei gnädigem Fräulein zu ver⸗ 
treten?“ 

Solante war leicht errötet und zog ein recht gegziertes 
Mündchen. „Sewiß, Straf Lohel Ich begreife Sie voll- 


111 


kommenl!l Nichts ift fchredlicher in einem Tanzſaal, als 
ungebörige Fußbekleidung!“ und fie nidte ihm mit einem 
©eficht zu, das beinahe fo ausfah, als wolle fie fagen: 

„Wie fchäme ich mich, daß ich überhaupt mit Ihnen. 
foupiert habel* und wandte fi) zu dem jungen Fürften, 
der bereits neben fie getreten war und Lohes Kammer- 
Diener voll Humor den entzüdendften aller Staubge- 
borenen nannte. 

Marl-Wolffrath trat ftumm zurüd. Er war dunkel⸗ 
tot geworden, und obwohl er ja ganz richtig finden mußte, 
daB Jolante ihn fo ohne jeglihen Sinwand freigab, 
verdroß es ihn dennoch gewaltig. Seine Stiefel waren 
noch jechsmal fo elegant wie die der meiften Zänger; 
aber es war ihm perfönlich unangenehm, auf Sohlen 
zu tanzen, die dider find als ein Mohnblatt. Mit einer 
tiefen Falte auf der Stirn zog er ſich in eine Ofenede 
zurüd und wünſchte das ganze Manöver ins Pfefferland. 

Die Paare ordneten fich, und Die polltönende Regi- 
mentsmufif fette zur Polonäfe ein, an die fich in bunter 
Reihenfolge die Rundtänze ſchloſſen. 

Xena hatte beobachtet, daß Fürft Sobolefstoi Fränter 

war, als er eingeftehen wollte, daß er in der ſchwülen 
Zimmerluft Iitt und heimlich auf den Heinen Vorbau 
binausgetreten war, durch den noch eine fchmale Ne« 
bentreppe von der Weftfeite in den flügelartig angebau- 
ten Saal führte. Sie folgte ihm und rief feinen Namen. 
Keine Antwort. Die beiden Sartenftühle, die por einer 
Dleander- und Lorbeergruppe ftanden, waren unbejebt 
und fonft fein Menfch zu erbliden. 

Aus den weitgeöffneten Saalfenjtern fchallten Muſik 
und Stimmengewirr; über dem mondbellen Sarten mit 
feinen majejtätifch ragenden Bäumen jedoh lag ein 
wonnepvoller Srieden, und Lena ließ ſich tiefatmend auf 
einen der Stühle niederfinten und ſchloß die Augen. 
Die wohlig Diefe weiche, düftefchwere Nachtluft ihre 
Stim fühltel Armer Onfel Daniell Sr hatte gewiß 
unbemerft geben wollen, fein Zimmer gu erreichen, und 
ſchickte in feiner rüdjihtspollen Weiſe weder nah ihr 


112 


noch nad) ihrem Dater, um die Freude des Feftes 
niht zu ftören. Lena wollte fofort einen Diener als 
Kundichafter ausfchiden und lehnte nur noch für einen 
QAugenblid das Köpfchen zurüd, um dem leifen Windes» 
taufhen zuzuhören, dag, wie ein Scho vom fernen 
Meeresitrand, die Zweige des Bosketts regte. Die Muſik 
im Saal war verftummt, pom offenen Fenfter, dicht 
an ihrer Geite, Hang eine Stimme gu ihr heraus. 

„Ra, Altenburg? Wo alles tanzt, ftehen Sie fi 
allein die Beine in den Leib? Immer tätig, tätig, 
junger Mann! Ic dãchte doch, bei Gott, heute an 
Iohnte es ſich, etwas ’ran zu gehen!“ 

„GEs Iohnt ih? Das iſt wohl Anſichtsſache!“ 

Lena erhob fi unwillfürlih bei Dem eigentümlich 
tiefen, fonoren Wohlklang diefer Stimme. Als fie jich 
porneigte, fah fie Altenburgs Silhouette ſcharf gegen den 
hellen Hintergrund abgezeichnet. Bor ihm ftand ein 
feiner, beweglicher Infanterift mit zwei rund abjtehen- 
den Haarlödchen über den Schläfen. 

„Na, zum Kudud, ahnen Sie denn nicht, was für 
Goldfiſchchen Heute abend Iosgelajfen jind?“ 

„DO ja. Darum eben fchimmele ich fo viel. Es find 
viele reiche, aber wenig anziehende Damen Bier.“ 

„Was Teufel! Das ift doch vollkommen jchnuppel 
Wenn der Engel Geld hat, ift er immer hübſch, und 
wenn das Taufjendguldenfraut obendrein auf einem an» 
ftändigen Stammbaum wädjft, dann muß man in heutiger 
geit weiß Gott beide Augen zudrüden! Abrigens... 
ich weiß gar nicht, was Sie wollen! Die Urſel Kuffſtein 
iſt ein allerliebſter Heiner Käfer, und die älteſte ©rop- 
pen geradezu eine Sphinz! Wie oft haben Sie denn mit 
ihr getanzt?“ 

Altenburgs Haupt bob fi noch ftolger auf den 
Schultern: „Noch Teinmal. Sie wiſſen, daß ich mid) 
mit Damen, die mir unſympathiſch find, weder unter- 
Balte, noch mit ihnen tanze.“ 

„Unſympathiſch? — Pot Wetter... fagen Sie mal, 
was vorgefallen zwiſchen Ihnen?“ 


8 Eſchſtruth, Hofluft | 113 


„Nicht das mindefte. Fräulein pon Groppen bat 
Das widerwärtige Benehmen aller reichen Mädchen, - 
die aus jedem Wort und DBlid eine Gnade machen 
und es überflüfjig finden, ihre goldne Knute felbft mit 
dem bunten Bändchen der einfachſten Artigkeit zu um« 
winden. ch verlange nicht nad) den Dulatenfäden 
diefer Damen und babe Gott jei Lob und Dank einen 
zu fteifen Naden, um ihn por der Majeftät eines vollen 
PBortemonnaties zu beugen. Wer ift jene Dame, die 
neben der jüngeren Groppen dort an der Salontür ſteht?“ 

„Keinen Schimmer!... oder Doch... warten Sie mal, 
Das ift ein Fräulein pon Schwanringen... Vater bat 
das verfchuldete Majorat gleichen Namens, hübſches, 
gutes Kind... lacht gern, weil fie weiße Zähne hat! 
Aber feinen gebogenen Heller, fag’ ih Ihnen! Lohnt 
gar nicht das Anfangen! Apropos... Sie find ein ganz 
ſpaßhafter Menſch, lieber Altenburg, ein Hochmuts- 
teufel, wie er im Buche Steht, hahahal Aber Gott er» 
halte Sie fo; wäre eine verfluchte Konkurrenz mit Ihnen! 
Servus! Will die Eleinen Goldkäferchen mal wieder 
der Reihe durch abtanzen und dann mal an den ruffifchen 
Ontel ’rangeben.... Kerl ſoll Inotig viel Wolle zu ber» 
erben haben, haha, macht. einen guten Eindrud, wenn 
man ibm mal den DBudel Elopft!“ 

Lena ftand regungsios. Ihre Hände umframpften 
zitternd Die Stuhllehne und ihr Auge haftete ftarr an 
dem Schatten Altenburgs, der ſich Iangfam pom Fenſter 
löfte. Sie trat ſchnell vor und ſah feiner ſchlanken 
©eftalt nad. Mitten durch den Saal ſchritt er und 
fette jih auf den Platz, den Jolante foeben verlaffen, 
neben Fräulein von Schwanringen nieder. Der Aus 
dDrud feines Geſichts ift plötzlich vollkommen verändert. 
Wie ſchön feine Augen find, wenn er eine Dame anſieht, 
die ihm ſympathiſch ift, wie Iuftig er lachen fann, und 
wie meifterlich er tanzt! Lena blidte ihm nad, big er 
feine Sängerin wieder auf den Pla zurüdführt. 

Lena wendet fi) plöglich ab und drüdt Die ver- 
Ihlungenen Hände gegen die Bruft. Ihr Blick ſchweift 


114 


zum Simmel empor und ihre Lippen zittern, dann ſinkt 
ihr Haupt tief auf die Bruft, fie fchreitet über den, Ballon 
zurüd und tritt wieder in Den Saal. 

Hinter den Dleanderbüfcdyen aber Hingt’s wie ein Auf- 
ftöhnen unausfpredhliher Dual. Daniel Sobolefskoi ift 
neben feinem verborgenen Seſſel auf die Knie gefunten 
und preßt das Antlit in Die bebenden Hände. 

Am Himmel über ihm ftehen die Sterne und bliden 
auf ihn herab, wie Augen, in denen Tränen glänzen, 
und der Nadhtwind Tommt und ftreift wie eine kühle, 
tröftende Geiſterhand feine Stirn. 

„Sei getroft, mein armer Schmerzensreih...“ Da 
richtet fi) der mißgeftaltete Mann empor und lächelt 
mit bleichen Lippen. | 

&r weiß es, in dieſem Augenblid muß — Mutter 
Geiſt ihm nahe fein. 


Smwölftes Kapitel 


Graf Lohe faß allein auf der Veranda, unter den 
laubenartigen Gehängen der Schlingpflanzen und Kletter- 
rofen, in denen ſich in graziöfen Bogen Die Lampions 
fEaufelten. Sr hatte ein ©las Sektbowle vor ſich ftehen, 
ftarrte gedankenvoll in die auf und ‚nieder fteigenden 
Bläschen und fand die ganze Welt eine nihtswürdige 
Sinrihtung. Am liebften wäre er nach Haufe gefahren. 
Aber er hatte Flanken verfprochen, auf ihn zu arten, 
und der verrüdte Kerl Eebte juft heut wie Pech und war 
rein wie umgewandelt! Sonft war ihm ein DBallfaal in 
den Zod verhaßt, und heut kam er bei jedem Tanz, ftellte 
jih neben den ©rafen hin, legte die Hände rückwärts 
zufammen und ſah dem fröhlichen Sewirbel nachdenk⸗ 
ih zu. „Es tft weiß Gott die reine Affenfchande, 
daß ich nicht tanzen kann!“ — Und wenn eine Tour 
porüber war, Elopfte er feinen Freund ſchmunzelnd auf 
die Schulter und fagte: „So, das wäre glücklich über- 


ge | 115 


ftanden, nun will ich mich mal wieder ein bißchen an- 
kleckſen!“ Sprachs und fteuerte Direfteswegs zu Jolante. 

Seltfam! Was er nur für einen Narren an dieſem 
gezierten, unliebenswürdigen Ding gefreffen haben mag! 
Der Riefe Goliath und Däumelingchen! Je nun, Die 
©egenfäße berühren fi eben, und das allzu Gleiche 
ftößt fi ab. Um bes Geldes willen machte er ihr nicht 
die Sour, davon war Lohe überzeugt, denn er kannte 
den beinahe naiven Sinn dieſes Naturmenfchen, Der 
wohl jähem Impuls zufolge mit Keulen dreinjchlagen, 
aber nichts Elüglich berechnen fonntel Gutmütig und 
harmlos wie ein Kind war er; bie Heine graziöfe 
Puppe, das Elfhen aus dem Sommernaditstraum, er⸗ 
[dien ihm ganz erftaunlich allerliebft, und wenn jte 
wie ein Goldbienchen im Tanz an ihm vorüberſchwirrte, 
fagte er topfichüttelnd, aber voll hoher Bewunderung: 
„Du.. Marl-Wolffrath, das follen Füße fein... und 
in ihren Händchen hat fie überhaupt gar feine Knochen, 
fondern höchſtens Gräten!“ 

„Jeder hat feinen Geſchmackl!' ſagt der Sranzofel“ 

Lohe fand nun die jüngſte Fräulein von GOroppen ge- 
radezu fatal, und daß fie ohne jegliden Einſpruch auf 
einen Tanz mit ihm verzichtet hatte, das verzieh er 
ihr fein Lebtag nit! Zerfallen mit ſich und der Welt 
hatte er fich in dag fernfte Eckchen zurüdgezogen, und 
bei der großen Anzahl von Zänzern wurde er aud) 
von niemand vermißt und bon allen verfchmerzt. Das 
war nagend Gift für fein eitles, ſieggewohntes Herz. 
Da Lingen plößlich energifche Schritte neben ihm. Urfula 
tritt vor ihn, ftüßt die Hände recht unfein in die Seiten 
und muftert jtumm feine Stiefel. Zornesröte fteigt in 
die Stirn des jungen Offtziers, aber die Kehle iſt ihm 
wie zugeſchnürt. 

And nun lacht fie, erſt leiſe, dann immer lauter, 
[hließlih patjcht fie Die Händchen zufammen und will 
Thier fterben por "Bergnügen. Wie allerliebft ihr dieſes 
Lachen fteht! Die dunklen Augen bligen um die Wette 
mit den perlweißen Zähnden, und die kurzen Loden, 


116° 


die durch Das Tanzen nod) mehr verwildert erfcheinen, 
liegen tief und genial in der Siem, wie bei dem Richter- 
ſchen Stalienerfnaben. 

„Ich hab's ja gleich oefagt, Straf Lohe, vier dient» 
tuende Knechte aus Nubierland reichen nicht aus, um 
eine DBalltoilette einzupaden! Das Wichtigfte Haben fie 
natürlich vergeffen, und ihr Herr und Gebieter Tann 
in Schmierftieweln Polka tanzen! Na, das ift ja ganz 
wurft, und ih denke mir, Sie haben der olante nur 
einen feflen Bären aufgebrummt, um bier faulenzen zu 
fönnen!“ 

„Durchaus nicht, mein 'gnädiges Fräulein, ich be- 
Daure mein tatſächliches Mißgeſchick aufrichtig!“ 

„Aber zum Kudud noch eins! Sie haben ja ganz 
famofe Botten an! Was wollen Gie denn nur? Blitze⸗ 
blank und nicht eine einzige Zehe, die dDurchlommt...“ 

„Ihre Fräulein Kufine erklärte fie trog alledem gleich 
mir für unzuläſſigl!“ 

„Jolante ift ein Schafl Das Habe ich Ihnen ja gleich 
gejagt! Die fieht natürlih nur danad), ob die Äußere 
Pelle comme il faut iſt; die Menfchen, die drin fteden, 
find ihr ganz wurft, denn fonft hätte fie mit einem fo 
netten Kerl, wie Sie einer find, getanzt!“ 

Lohe hatte ſich über das ‚Schaf‘ fehr alterieren wollen, 
bei dem Nachſatz fühlte er fi) aber fo gefchmeichelt, 
daß er es unterließ. Obwohl ja Urfula genau fo derb 
wie fonft war, fiel ihre Seilnahme doch wie Balſam auf 
fein gelränftes Herz. 

„Sie find unendlich Tiebenswürdig, mein gnädiges 
Sräulein, der Sefchmad ift aber leider verſchieden, und 
ih Bin verurteilt, zuzufehen, wo alles tanzt, und muß 
bier meine traurige Quarantäne halten.“ 

„Das Sollte fehlen! Ich komme ja, um Gie 'zum 
nächſten Walzer zu holen! Mir ift es ja blitegal, was 
Sie für Stiefel anhaben, meinetivegen können Sie in 
Holzpantoffeln Iosziehen! Kommen Sie flink!“ 

®r Hatte, ſich unfdlüffig Hin und ber neigend, Die 
woblgepflegten Hände gegen die Ulanta gebrüdt und 


117 


ſah dennoch wahrhaft gerührt zu dem Backfiſchchen her⸗ 
nieder. „Sräulein Urfula... ih...“ 

Da bob fie plößlich die. bittend Aufammengelegten 
Händchen, und in dem rofigen ©efichtchen lag. der- 
felbe kindlich-treuherzige Ausdrud, wie porgeftern, als 
fie in dem Kahn faß und ihm fo gut gefiel. „Sch möchte 
jo gern nur ein einziges Mal mit Ihnen tanzen, und 
es ift nicht mehr lange Zeit, wir fahren bald nad) Haufe! 
Seien Sie doch nicht mehr böfe über die Hammel! Es 
Dar ja nur ein Witz, und wir wollen jebt wieder tun, als 
wäre gar nichts vorgefallen, ja?“ 

„Sewiß, mein gnädiges Fräulein, ih bin Ihr ge» 
horfamfter Diener!“ Mark⸗Wolffrath ſah wie gebamt 
in ihre dunklen Augen. 

„Seben Sie, ih wußte es ja, da Sie gar nicht fo 
eflig find, wie Sie immer tun!“ jubelte die Kleine 
glüdjelig. „Eben fängt die Mufil an, kommen Sie ſchnell, 
damit wir recht, recht lange tanzen: fönnen — ſechsmal 
rum!“ 

Sie faßte ungeniert feine Hand, ihn mit fortzuziehen; 
Straf Lohe aber zögerte plößlich und hielt ihre Fingerchen 
feft. „Wenn ich jeßt mit Ihnen tanze, Fräulein Ur— 
fula,* fagte er ernfthaft, „tue ih Ihnen doch natürlich 
einen großen Gefallen; wollen Sie mir als Rebande 
etwas verfprechen?“ 

Sie Jah ihn mit großen .erftaunten Augen an, nidte 
aber fehr eifrig zuftimmend: „Was denn?“ . 

„Ich möchte Ihnen einmal ganz ehrlid) und grabe- 
aus etwas jagen, aber vorher geloben Sie mir, nicht 
böfe oder beleidigt zu fein?“ 

Sie ſenkte ganz Hleinlaut das Köpfchen. „Na, id) 
danke, dann ift es wohl eine gute Pauke?“ 

„Zucht im mindeften.* 

„nein? Na, dann: immer druff uff de Fröſch'l Kann 
ih mich dazu feßen?“ 

Sie lachte ihn übermütig an, der junge Dffizier aber 
legte ihre Hand auf feinen Arm und fchüttelte den Kopf: 
„Jeztzt ift nicht Die paffende Zeit dazu, ich hebe mir dieſe 


118 


Anterredung noch auf. Dorerft wollen wir tanzen!“ 
Mit ftrablenden Augen trat Urfula an feiner Seite in 
den Saal zurüd. Herr von Kuffftein ftand in der Tür 
. und verfeßte feiner Sinzigen einen wohlgemeinten Pleinen 
Etoß mit dem vorgeftredten Daumen. 

„Du, Urſchel-Purſchel! Jetzt wird abgebaiitert, Die 
Wagen fahren glei vor“ “ 

„Na adieu! Kommen Sie wohl über, Herr ®ebatter!“ 
nidte das Backfiſchchen in unglaublidiiter Weije zurüd, 
und dann tanzte fie mit ihrem jo energijch Dazu ‚'range- 
langten‘ Leutnant. Einen fo herrlichen Walzer wie 
diefen hatte fie in ihrem Leben noch nicht getanzt. Graf 
Lohe geriet zwar ein paarmal tüchtig mit ihr ins Ge⸗ 
Dränge, jo daß die Spigen und rofa Bandſchleifen an 
dem Kleid böfe Erfahrungen machten, aber Urfula blidte 
mit bemfelben Stolz darauf nieder, wie ein Feldherr 
auf die zerfegten Fahnen, und fand, „Daß jett endlich 
Mumm in die Sache kam“! 

Und nun ‚mitten im fchönften Moment‘ wollte Papa 
Kuffftein dieſem Sommernadtstraum ein Ende bereiten. 
Der Champagner war vortrefflich gewefen, und in wein« 
feliger Stimmung, Die aber bei dem rundlich beanlagten 
alten Herrn bald in Müdigkeit überging, nahm er fein 
Töchterlein am Arm und erklärte, „Die Stabsoffiziere 
führen jetzt aud) nah Haufe, und die arme Mama ſei 
frank und werde auf des Töchterchens Rückkehr warten, 
darum müffe das Geſchwofe jett aufhören!“ 

Urſula war fehr alteriert und fträubte fich aus Leibes- 
fräften gegen die Heimfahrt, aber der Vater entwidelte 
eine überrafehende Snergie, und nachdem er noch eine 
Zeitlang gütlih mit feinem ‚Schlingelchen‘ unterhandelt 
Batte und alle DBerfprechungen nicht fruchteten, da er⸗ 
Härte er fchließlih ganz martialifh: „Seht Hältfte den 
Schnabell Paſcholl, Sute Nacht gejagt, es wird ſogleich 
eingeitiegen!“ 

Urſula [hob die Unterlippe por: „Na dann kommen 
Eie, Sraf Lohe, dann mag die Karre in drei Teufels 
Namen losgehen!“ 


119 


Ich begleite Sie Bis gum Wagen, meine Gnäbdigfte!“ 

„Sie fahren doch mit?“ 

Der Oarde-Ulan zudte die Achfeln. „Ich folge in 
furzger Zeit nad. Flanken bat mir das Verſprechen 
- abgenommen, daß ich auf ihn Marten foll, und ber 
unglaublide Menfh Hat fih ja zum DBlumentwalzer 
engagiert!“ 

„Sie Bleiben noch? — Blumenwalzer?“ ftotterte das 
Backiſchchen mit weit aufgerijfenen Augen, „und ih 
fol weg? Oh — ich werde — oh, da ſoll Doch!“ und 
wie der Wirbelwind, mit aufbligenden Augen, wandte 
fie jih ab und ftürzte davon. 


Herr von Kuffftein ftand und Elopfte feinem Schwager 
DBüttingen gerührt auf den Rüden und Iobte noch einmal 
den Selt, der auch nicht ein bißchen nad) dem ‚Pfroppen‘ 
gefchmedt Hätte, und die Aufternpaftetchen, und Die 
Sumberlandfauce, zu der man getroft felbft eine Schwie- 
germutter bätte effen fönnen, und die Neunaugen mit 
Schlagſahne, die es gar nicht gegeben Hätte, und all die 
vielen netten Menfchen, die Das. notwendige Abel bei 
dieſem Feſt gewejen wären. Pa trat ein Piener zu 
ihm beran und meldete mit tiefem DBüdling, Daß das 
gnädige Fräulein bereits im Wagen ſäße und 'auf 
den Herrn Papa wartete. Dater Julius war ganz 
verdußt und über fd viel Artigleit derart gerührt, daß 
feine blaßblauen Auglein unter Waifer traten. „Siehſte 
Srigel nun fist fie fchon in der Arche Noah drinne! 
So ganz ohne Flaufen Hat ſich das Mädel gefügt 
— ich babe es ja immer gefagt, die Urfchel-PBurfchel 
ift ein wahres Prachteremplar! Na, denn gute Nadit, 
lieber Sriße, gib mern Kuß — und grüß’ Deine Alte 
noch mal von mir — und wenn du wieder einen ſolchen 
Zaterata Iogläßt, dann meißte ja — der Dide Jule 
Kuffftein aus Wolkwitz, der kommt immer! — Oute 
Nadt, mein Fritzeken — noch 'n Kup!” 

And dann drüdte er alle Hände, Die ſich ihm dar⸗ 
boten, voll ſchluchzender Innigkeit, umarmte rechts und 


120 


Iinfs und wuchtete die Treppe Der Veranda hinab zu 
ſeinem Wagen. 

Die erſte Equipage mit den älteren Offizieren war 
bereit abgefahren. Herr von Kuffftein Tieß fich durch 
fäftige Nachhilfe in fein Coupé befördern und fanf 
ächzend in die Polfter zurüd. 

Neben ihm, in den Mantel gewidelt und Dicht ver⸗ 
Tchleiert, ſaß Urfula, tief in die Wagenede zurüdgelehnt. 
Sie ſchien doch gewaltig ſchlechter Laune zu fein, denn 
fie regte ſich nicht und fprach feine Silbe. 

„gufabren, Lebtel“ 

Der Wagen feßte fich Iangfam in DBewegung, und 
Papa Kuffftein öffnete das Fenſter, um feine Zigarre 
weiter rauchen zu Tönnen. 

„za, Arſchel⸗Purſchel — war ein ganz fideles Katzen⸗ 
ſchießen heut, was?“ | 

Keine Antivort. | 

„Setanzt haſte wie ein Wafferfall und mwarft von 
der ganzen Lämmerherde entichieden die Hübfchefte, — 
hm, Deines Affhen? Welcher von all den Gtrebe- 

pfeilern des einigen Deutfchland Hat dir denn am meiften 
imponiert? Der Deiwelgkerl, der Flanken, oder ber eine 
Major mit dem fizen Schnurrdbart — Bm?“ 

Keine Antwort. 

„Urſchel⸗Purſchel, du maulft wohl?“ 

Tiefe Stille. 

„2a, dann maule dul — Ich Babe der Mama ver» 
ſprechen müffen, daß um ein Uhr nady Haufe gefahren 
werden fol, und es ift bereits Halb zwei durch. Es ift 
ja gräßlih, wenn die Leute den Hals nicht vollkriegen 
Tönnen!* Und Herr von Kuffftein tat noch ein paar be⸗ 
hagliche Züge aus der Zigarre und warf fie dann zum 
Fenſter hinaus. „Ich Tchlafe einftweilen ein Ruckchen!“ 
And er lehnte ſich bebaglich zurüd, um ſehr bald zu 
Ihnarden. . 

Wald und Flur tanzte im Mondfchein vorbei, und 
nach kurzer Zeit rollte der Wagen in den Wollwitzer 
Schloßhof. Der Schläfer erwachte und bebnte Die Arme. 


121 


„Eeoweit wären wir! Komm, Urſchel⸗Purſchel, nun 
fettere mal zuerſt hinaus!“ 

Die junge Dame regte fi) nicht. 

„Bu — ſchläfſte?“ 

Keine Antwort. 

Da wurde der müde Vater ungeduldig. &r faßt das 
eigenfinnige Toͤchterchen mit beiden Armen, fie dem 
Diener entgegen zu heben, und läßt wie gelähmt vor 
Entfegen die wunderlide Laft wieder zurüdfallen. 

„Heiliges Schod»-Bomben-GIement!“ 

Der Schleierhut rollt bernieder, ein ganz abfonder- 
lihes Etwas ragt im Dämmerlicht als Köpfchen aus 
Dem Mantel heraus. Herr von Kuffftein taftet mit 
wahrem ©rauen daran. Sine Schlummerrollel Und wie 
er den Mantel faßt, da kugeln dem entfeßten DBater eine 
Anzahl ſchön geftidter Rückenkiſſen entgegen. 

„Urſchel⸗Purſchel! — follen doch glei ein Dutzend 
lahmer Eſel dreinfchlagen! Hat die Wetterheze mir Diefen 
Wechſelbalg unter die väterlihen Fittihe gefchoben!“ 
And fchnaufend dor Zorn und Doch wieder laut auf- 
lachend über dieſen ‚Wit‘ feines erfinderifhen Töchter» 
leing, wirft er den Wagenſchlag zu und begibt ſich ins 
Schloß, bei feiner ©attin Rat zu holen, falls fie noch 
wachen follte. 

„Meinetwegen mag die Range nun in der großen 
Parke übernachten!“ denkt er voll Seelenrub. „ante 
Klara wird fich recht freuen über den Zuwachs an Logier⸗ 
befuch!* und er kratzt ſich hinterm Ohr und findet es 
eigentlih eine wahre Riefenaufgabe, DBater zu fein. 
Dann tritt er in dag Zimmer feiner Frau, nidt ihr 
ſchmunzelnd zu und erzählt mit ftrahlendem G©eficht: 
„n Abend, Mutterhen! Nu höre mal, was unfre Pflanze 
wieder für einen Wi gemacht Hat!“ 


Fünf Minuten nachdem die Wollwitzer Gquipage mit 
Herrn und Fräulein von Kuffſtein abgefahren war, 
ſtand Baronin Büttingen im Kreiſe älterer Herrſchaften 


122 


und verabfchiedete fich von Exzellenz Normann, die mit 
Tochter und Schwiegerjohn ebenfalls die Heimfahrt an« 
treten wollte. 

Plötzlich legten fi von rückwärts zwei Faände mit 
kräftigem Patſch auf die Schultern der Gaſtgeberin, und 
Urſula lachte fchallend auf: „Na, Tante Klärdyen, wat 
fagite nu?“ 

Dorerft fagte Frau von Büttingen gar nichts, fon- 
dern ftarrte das übermütige Geſichtchen an Wie eine 
Bilion. „Mein Himmel — Arfelden! wo kommſt du 
denn wieder her! &s iſt Doch fein Malbeur mit dem : 
Wagen paffiert?“ 

Die Kleine fchüttelte jubelnd das Köpfchen. „J wo 
wird denn die alte Karre aus dem Leim gehen! Weißte, 
was ih getan habe? Sine ganz famofe Buppe habe ich 
Julchen ausgeftoppt und in den Wagen geſetzt; Damit 
kann er nun bis Duztehude fahren! Ich bleibe Heut 
nacht bier, Tantchen, kann ja bei Solante und Lena 
Idlafen, oder meinetivegen mang die Stubenbolzen oder 
in der Badewanne, fommt mir gar nit drauf anl 
And nun will ich fir noch ein bißchen tanzen, ehe Das 
Kududsei im Neſt entdedt wird und der Wagen um« 
kehrt!“ — und unter SHeiterfeit und händeringendem 
Staunen wirbelte das enfant terrible davon, um im Tanz⸗ 
faal ftürmifchen Jubel und großes Hallo zu erregen. 
Zwiſchen all dem Laden und Cchwadronieren aber 
flog ihr Blid ſuchend umher, den zu entdeden, um deſſent⸗ 
willen fie das Feld abfolut nicht hatte räumen mollen. 

©raf Lohe war nirgend zu entdeden. | 

Arſula trat auf die Terraſſe — und richtig, auf feinem 
alten Platz, am äußerſten menfchenleeren Snde des 
Dorbaus ftand der junge Offizier .und blidte nachdenklich 
in die mondbelle blumenduftige Sommernacht hinaus. 

„Straf Lohe, ih Bin wieder dal“ 

Höhlihft überrafht wandte er fi um und blidte 
in das glüdftrahlende Geſichtchen derjenigen, der ſoeben 
fein ernithafteftes Denken gegolten. 

„Sräulein Urjula, wie ift es möglih? Vor wenigen 


123 


Minuten fuhr Ihre Squipage por meinen Augen da- 
pon!* Eie ſchwang fich in ihrer ungeftümen Weife neben 
ihn auf die Baluftrade und faltete die Hände um das 
Knie. Atemlos por Amüfement und QAbermut erzählte 
fie, durch welche Lift fie ſich vor dem väterlichen Gebot 
gerettet habe, und zum Schluß ſah jie ihn treuberzig 
an und fagte naiv: „Den ganzen Abend martete id) 
Darauf, daß Ste einmal mit mir tanzen follten, und 
wie ih Sie glüdlid Hier aus Ihrem Knurreckchen 108» 
geeift hatte, da wollte man mid) nach Haufe fpedieren! 
Ich möchte fo jchredlich gern noch ein paarmal mit Ihnen 
tanzen — Sie fagten ja, Jolante Tönne es nicht übel- 
nehmen —, und darum kommen Sie ſchnell, ſowie Die 
Muſik wieder beginnt! Ss gibt auch wieder Eis Drinnen 
— und pilante Bröter — bitte, bitte, geben Sie mit 
mir!* 

&r Hatte gar nicht über ihren Witz mit der Puppe 
gelacht, regungslos ftand er und fah fie an. 

„Wiffen Sie, Fräulein Urſula, daß es nichts Häß- 
liheres und Derwerflicheres für ein junges Mädchen 
gibt, als ungehöriges und refpeltwidriges DBetragen 
gegen die Eltern?“ fragte er langfam. 

Verwundert bob fie das Köpfchen. „Reſpekt? Bor 
Julchen brauche ich doch feinen Refpelt zu haben! 2er 
madt ja allen Anſinn mit!* 

Wark⸗Wolffrath biß ſich auf die Lippe. „Fräulein 
Urſula, ih glaube, es wäre jeßt der richtige Moment, 
meine Bitte von vorhin zu wiederholen! Darf ih, Ihnen 
einmal ehrli die Wahrheit fagen und wollen Sie mir 
nicht zürnen?“ 

Sie 30g, Jhalkhaft Iachend, ein krauſes Näschen. „Nee, 
ih nehme nichts übel. In Gottes Namen, legen Gie 
los!“ und beide Händchen gegen den Magen — 
ſeufzte ſie tief auf: „Lung' und Leber duckt ae 
fommt ein Plaßregen!“ 

Der junge Öffizier fab ein, daß es Mühe toſten 
werde, ernſt zu bleiben. Er lehnte ſich in das ran⸗ 
kende Grün zurück und verſchränkte die Arme über ber 


124 


Bruft. „Möchten Sie jemals geliebt werden, $räulein 
Arfula?“ | 

Die Trage Hatte fie nicht erwartet; fie traf wie 
ein Blig. Sprachlos flarrte fie ihn einen Moment an, 
dann aber fchlug fie wie in jähem Sntzüden die Hände 
zuſammen. „Ach jal“ klang's ehrlich, aus tiefftem Her⸗ 
zensgrund. 

„Wie würde es Ihnen zumute ſein, wenn der Mann, 
in den Sie ſich einmal verlieben, ſagen würde: Nein, 
ih mag dich nicht, Du mißfällſt mir!“ 

Ihr Auge bligte auf. „Dann... ob... dann, würde 
ih ihn aus Wut erfchießen... und hinterher erjäufte 
ih mid!“ 

„Das find abfcheuliche, romanhaft überfpannte Sheen, 
an deren Ausführung Sie als Chriftin und "brapes 
Mädchen nie denken werden, dapon bin ich überzeugt. 
Außerdem — verlangen Ste nit nach einem beſſern 
©lüd, möchten Sie den Geliebten nicht viel lieber au 
eigen gewinnen, als ihn verlieren?“ 

„Zum Donner — wenn er mich ja doch nicht will?“ 

„Wenn Eie ihm nicht gefallen, find lediglich Ihre 
Sehler daran fhuld, denn Site find ein hübſches, vor- 
nehmes und liebenswürdiges Mädchen, das alle Eigen- 
Ihaften bejitt, die einen Mann entzüden müffen. Aber 
die Rofen find von fo viel ſcharfen, Häßlichen Dornen 
umgeben, daß fie nicht begehrenswert erjcheinen. Und 
nun jagen Sie felber, Fräulein Urfula, wäre es da 
nicht beffer, dieſe abfcheulichen Dornen einen um den 
andern abzulöfen, bis nur die lieblichen Blüten ftehen- 
bleiben, bis man nichts an Ihnen tadeln Tann, und alle 
Herzen Ihnen voll inniger Liebe zufliegen?“ 

Sie hatte das Köpfchen ängſtlich geſenkt und an ſich 
nieder geblidt. „Sa, du lieber ©ott, wenn ich Die 
Bieſter von Stacheln nur jehen könnte — ich) weiß ja 
gar nicht, Wo jie figen!“ 

„Soll ih es Ihnen fagen?“ 

Cie nidte eifrig, und bei all den berben Worten, 
Der ihr Mündchen ſprach, lag doch ein fo lieber und 


125 


weicher Ausbrud auf den monbbeglänzten Zügen, daß 
es dem Örafen ganz warm ums Herz wurde. 

„Ih meine es fehr gut mit Ihnen, Zräulein Ur⸗ 
ſula,“ ſagte er leiſe, „aber ſo, wie Sie jetzt ſind, bin 
ich gar nicht zufrieden mit Ihnen. Warum werfen Sie 
die mächtigſten Waffen, Die die Natur dem Weibe ver⸗ 
liehen, dag Starte Geſchlecht unmwiderftehlich zu bezwin« 
gen, fo töriht aus der Hand? Die Waffen: Weiblichkeit 
und bolde Anmut, die einzig und allein den geheimnis- 
vollen Zauber bergen, daraus die Liebe ihre goldnen 
Dande webt. Sin Frauenmund ift gefchaffen zum Kofen, 
Schmeicheln und Beten, Worte, die er [pricht, jollen 
den weißen Tauben gleichen, Die den Olzweig in das 
fturm» und flutgefchleuderte Yebensjchifflein Des Mannes 
tragen, follen die Sropfen heiligen Taues fein, mit 
dem die Blüten alles Edeln, Milden und öttlichen 
im Männerherzen geneßt werben. Keiner aber bon 
ung will Mädchenlippen küffen, die genau fo Wettern, 
fluhen und derbe Pinge jagen fönnen, wie wir felbft. 
And nit allein mit Worten, fondern auch in feinem 
Zun und Handeln foll ein junges Mädchen der weißen - 
Lilie und nicht dem kecken Ritterfporn gleichen, denn 
einen Steund und Kameraden mäg fein Mann freien, 
wohl aber einen guten Gngel, den er liebt, weil er fich 
ihm in füßem Dertrauen anfchmiegt.“ 

Atemlos Hatte Urfula gelaufht. Die farbigen Lam- 
piong über ihnen im Laube waren erlofchen, der Mond⸗ 
ſchein floß wie‘ ein breiter Silberftrom durch die Säulen« 
bogen und tauchte die beiden jugendlichen G©eftalten 

in fein geheimnispolles Glitzerlicht. Wie verllärt in 
lieblicher Unſchuld hob fi Urjulas Sefichtchen zu Dem 
Sprecher. 

„Ich hab's gar nicht gewußt, daß ich ein ſo böſes, 
unleidliches Ding bin!“ ſagte ſie treuherzig, „kein Menſch 
hat's mir noch geſagt, und ich bin es auch wirklich nicht 
mit Abſicht, nein, ganz gewiß nicht! Aber was ſoll 
ih tun? Nie wieder eine Puppe ausftopfen? Wenn 
Cie nur gehört hätten, wie alle lachten; und Refpeft 


126 


dor Papa Haben? Dann würde er fich felber ganz 
närriſch vorkommen! Und feine derben Worte jagen, 
nit fchimpfen und fludhen... ja, Du Tiebe Seit, 
ih weiß ja gar nicht, wenn ich etwas Schlimmes fage, 
weil die Leute immer lachen, und Papa es doch auch 
fagt!* . 
„Sachen Ihre Erzieherinnen auch?“ 
„Na, die Drachen ſchimpfen natürlich über jede 
Kleinigfeit, weil fie mich ſchurigeln wollen, und wenn 
ih es Julchen fage — Wama darf ich ja nicht mit 
Klatjchereien Tommen, das regt fie aufl — dann ruft 
er jedesmal: Das Frauenzimmer bat einen Sparten! 
Zonleiter und Vokabeln foll fie Dir beibringen, aber fonft 
ihre Weisheit für fich behalten!“ 
„Wie abſcheulich es doch klingt, wenn Sie Ihren 
Herrn Dater mit dem DBornamen nennen! Wie darf ſich 
ein gebildetes junges Mädchen jo etwas erlauben?“ 
Höchſt erftaunt riß Urfula die Augen auf: „Na, 
ift Denn das fo ſchlimm!? Wie ich als Heine — ganz 
Heine Griebe ihn zum erftenmal ‚Sule‘ nannte, da hat 
er fi gelugelt por Lachen und mir. Zuderſachen ge⸗ 
ſchenkt, jo viel ich nur haben wollte!“ 
Das war’s, da ſaß der Stachel im Fleiſch. Graf Rohe 
308 finfter die Augenbrauen zufammen und biß fi) auf 
die Lippe, das Backfiſchchen aber glitt von der Balu- 
trade herab und bob mit ihrem fchelmifchen, unwider— 
ſtehlichen Schmeichelgefihthen die gefalteten Hände. 

„Nun haben Sie genug gefcholten, lieber Graf, nun 
feien Sie bitte, bitte wieder gut! Sie find ein fo ſchrecklich 
feiner Menſch, darum fehen Eie fo ſchwarz, viel düfterer 
als alle andern Menſchen! Niemand denkt fo fchroff 
wie Eiel Alſo kommen Sie, und feien Sie mir wieder 
gut, ih will ja auch, weiß Kudud, ganz artig fein!“ 

Was follte Sraf Lohe entgegnen? Urfula war noch 
viel zu fehr Kind, als daß Worte tiefen Sindrud auf 
fie machen fonnten, war viel zu verwöhnt und verzogen, 
um auf Die Ötrafpredigt eines einzelnen Oewicht zu 
legen. Ein Wefen, das Urfula näher ftand, konnte fie 


127 


nicht erziehen, weil thre bezaubernde Serzlichkett und 
ihre bejtridenden Augen jelbjt Den größten Zorm ent«- 
waffnen mußten. Hier war Urſula eine kleine Königin 
unter lauter Sflapen. Sie berrjchte, und niemand oppo⸗ 
nierte, fie tat, was fie wollte, und jedermann applau- 
dierte ihr. Bon den Eltern an bis zu dem Stallburjchen 
herab fügte man fich ihrer drolligen Gigenart. So 
lange Urfula ihr eigenwillig Regiment in Wollwis 
führte, nur des Daters derbe Manier zum Borbild, ıdie 
Srfte und Tonangebende in ihrem täglichen Verkehrs⸗ 
freife, fo lange fonute nun und nimmermehr eine günftige 
Wandlung ihres Wefens herbeigeführt werden. Auch 
Die Liebe konnte nicht zur Lehrmeijterin werden, denn 
Urſulas Charakter war viel zu leicht und Ted, um eine 
Neigung zu Eultivieren, Die nicht eriwidert wurde, und 
geſchah es doch, fo konnte es höchſtens Ihrer Wildheit 
und ihrem ftolgen Sinn zum Stachel werden.  Sine 
glüdlihe Liebe aber ließ ihre Ausgelaffenheit im Aber- 
maß der Wonne vollends über alles Ziel fchießen. 

Während einer Quadrille, die das Badfifchchen mit 
Fürſt EC hhlüfften-Drafel tanzte, ftand Lohe wieder auf 
der Zerrafje, ftarrte in den Mondſchein hinaus und 
fann auf Mittel und Wege, wie: das maienfchöne, wild⸗ 
emporgetvachfene Lebensbäumlein wohl in die Hände 
eines guten, veredelnden Gärtners gelangen Tönne. Plöß- 
lich audte ihm ein Gedanke durch den Kopf. Hofluftl — 
Hofluft war die allgewaltige Meifterin, die einzig das 
Wunder vpollbringen konnte, um aus einem eigentwillig 
flirrenden Irrwiſchchen eine Harleudhtende Flamme zu 
ziehen. 

Die Hofluft gleicht jenem kühlen, ſchneidenden Herbſt⸗ 
wind, der über die Heide ſauſt und zu dem wilden 
Röslein, Das bisher ſtolz über dag niedere Gras und 
Kraut geblidt und ringsum das Höchſtgewachſene ge- 
Wweſen, ftrenge fagt: ‚Dude dich!‘ 

Diefer Herbſtwind fieht nicht, wie Hold und reizend 
das kecke Heideröslein ift, und erfragt nicht ang danach, 
ob ſich Bis jeßt alles vor ihm geneigt hat; er bläſt 


128 


unbarmherzig darüber Hin, fnidt die Eauerfproffen an 
den Zweigen, und wenn der Frühling abermals ing 
Land tommt, bat der Roſenbuſch gedemütigt feine Ranken 
zur Erde geneigt, aber er blüht doppelt fo reich wie 
zuvor. 

Graf Lohe hob ſiegesfreudig das Haupt. Ja, er 
wird dafür ſorgen, daß die Hofluft über Urſulas Köpf- 
hen weht, daß jie aus der miderjpenftigen Katharina 
ein boldjelig BADEN macht! 


Fürst Sobolefstoi war in Die Saaltür getreten, als 
der Kotillon getanzt murde. 

Fürſt Schlüfften fommandierte ihn an Lenas Seite 
und wußte nicht aenug des Scherzbaften und Driginellen 
zu arrangieren. 

Daniel preßte die Hand auf die franfe DBruft und 
ftarrte mit weitgeöffneten Augen zu dem jungen Mäd« 
chen hinüber. Sie erjchien ihm verändert, zerftreut, 
unficher, oft heiß erglühend. Wie follte fie auch nicht. 
Waren in dieſer Stunde doch die ©rundfeften ihrer 
ganzen Lebensanfhauung erſchüttert. Was fie feit 
langen Jahren als eine Illuſion verfpottet hatte, den 
Etolz eines Mannes, der größer ift als die Macht 
des Goldes, feine edle Redlichkeit und Aufrichtigfeit, 
die die Wahrheit redet, anftatt der Göttin Fortuna 
mit Lügen zu opfern, das Hatte plößlich ©eftalt und 
Sarbe gewonnen, das ftand verkörpert vor ihr und 
bob fein Haupt mit dem Schickſalsſpruch: ‚Sch begebre 
nit das Gold jener Damen!‘ — Lena hatte gefunden, 
was jie juchte, und in diefem Augenblid, das wußte 
und empfand Daniel, war ihr Herz von dem Blitzſtrahl 
getroffen, der es für ewige deiten von dem ſeinen 
losriß. 

Er ſah, wie Lenas Blick dem Freiherrn von Alten- 
burg folgte, er ſah, was ſonſt kein andrer bemerkte, 
wie ihr ganzes Intereſſe nur noch dieſem einen galt, 
er ſah, wie ſich ihr Antlitz verdüſterte, wenn der junge 


o Eſchſtruth, Hofluft 129 


Offizier Fräulein von Schwanringen durch ſtets neue 
ritterliche Aufmerkſamkeiten auszeichnete. 

Fürſt Schlüfften erbat ſich von etlichen Damen eine 
Blume aus dem Haar oder Bruſtbukett, ſie als ‚blind 
gezogen‘ von den Herren wählen zu laffen. 

Herr pon Altenburg taftete als leßter der Dlind« 
greifenden vergeblich nach einer Blüte, und Schlüfften 
Ihlug die Serpiette zurüd, nahm ein kleines, welkes 
Kleeblatt aus dem Körbchen und reichte eg lachend bar: 
„Sie ahnen Ihr vierblättriges Slüd gar nicht, lieber 
Altenburg! La voiläl Wer zulegt lacht, lacht am beiten 
— Gie tanzen mit Fräulein von Groppen 1.1“ 

Aberraſcht ſah der junge Offizier auf den Klee 
bernieder und legte die vier welfen, zufammengefalteten 
Dlätthen forglid wieder auseinander. Er hatte eine 
befondere Borliebe für Diefes poetifche Slüdszeichen. Er 
war auf dem Land geboren, juft zur Klee-&rnte, und 
als man dem Neugeborenen das erfte Bad bereitete, 
ſchwamm ein Vierblatt auf dem Waſſer. Man erklärte 
fi das Seltfame dadurch, daß die Magd mit dem Eimer 
dicht neben einem hochgepadten Wagen von Klee her- 
geſchritten fet, die alte Kinderfrau aber geftikulierte 
ſehr gebeimnispoll mit den Händen und fagte: „'s tft 
fein Glück! Der Klee wird zu des Junkherrleins Schickſal 
— alles Gute, aller Segen fommt ihm, wenn der Klee 
blüht!“ 

Altenburg ſchritt zu Lena, verneigte ſich gemeffen 
und bot ihr das welke Kräutlein Dar. 

„Önädiges Sräulein Haben Den Klee heute abend 
als Schmuck getragen?“ 

Zum erſtenmal traf fie fein DBlid, nicht anders als 
in erfiaunter Frage. 

„Es war leichtfinnig, das Symbol meines Glückes 
ift dadurch well und matt geworden!“ 

„Haben Eie das Dierblatt perjönlich gefunden?“ 

„Obne es zu ſuchen — ja.“ 

„So hätten Sie eg verjchenten müffen! Nur dann, jo 
behauptet der Aberglauben, bringt es tatſächlich Glück.“ 


130 


Lena wollte den Klee zurüdnehmen;. er zerriß, und 
‘zwei Blättchen blieben in ihrer, zwei in Altenburgs Hand. 
I —“ | 


„Ah 

Sie ſah lächelnd zu ihm auf. „Ich habe unfreiwillig 
geteilt; behalten Sie Ihre Hälfte, dann bringt dieſes 
ſpäte Geſchenk vielleicht uns beiden noch Glück!“ 

Er verneigte ſich dankend, nahm feine Brieftaſche und 
legte die beiden Blättchen hinein. SEruſt, voll kühler 
Höflichkeit. Dann tanzte er mit ihr. Nur wenige Schritte, 
die Muſik brach ab. 

And als er ſich verabſchiedete, lagen feine dunkeln 
Wimpern wieder ebenſo tief über den Augen wie zuvor. 

Daniel Sobolefskoi hatte keinen Blick von der kleinen 
Szene verwandt. Eine wunderſame Veränderung war 
mit ihm vorgegangen. Sein Atem ging keuchend, alle 
Dämone wilder, grauſamer Leidenſchaft, die ſeit langen 
Jahren geſchlummert hatten, ſpiegelten ſich in ſeinem 
glühenden Auge. 

„Das Kleeblatt liegt auf ſeiner Bruſt,“ murmelte er 
mit zitternden Lippen, „gibt's freiwillig nicht wieder — 
holen muß ich's — womit? — nur eine Kugel findet 
den Weg —“ | 

Ein Kleeblatt! Gedachte Sobolefskoi fonft daran, Jo 
ſah er’s im G©eift in feiner Wutter Hand liegen, in 
diefem Augenblid aber waren es nur die grellen, blutig- 
roten Slammen, die er ſchaute, und die fchlugen über 
ihm zufammen und verfchlangen das Slüd. 


Dreizehntes Kapitel 


Nah dem Mittageffen in der Groß⸗Wolkwitzer Speije- 
halle hatte Herr von Kuffitein nad) feinem riejigen 
Etrohhut gegriffen und mit einem Heinen Nafenftüber 
feine &inzige aufgefordert: „Du, Fröſchchen, ich habe 
den Jagdwagen anſpannen lajjen, fährjte mit zur 
Dreſchmaſchine auf das Vorwerk hinaus?“ 


9* | 131 


„Ra, natürlih! Sol ich auch die Flinte mitnehmen?“ 

„Kannfie machen! Bielleicht begegnen wir einem Bolt 
Rebhühner, dann magfte mal in die Luft niefen und 
den Herrn Oberft ein kleines Frühſtück 'runterholen!“ 

And Urfula Hatte fröhlih: „Sins, zwei, Drei, an 
der Bank vorbeil“ gepfiffen und war die Treppe hinauf» 
gepoltert, fih kriegsmäßig auszurüften. Die andern 
Herrſchaften zogen ſich in ihre Zimmer zurüd, und nur 
Straf Lohe hatte um die Grlaubnis gebeten, noch ein 
paar Augenblide der Stau Daronin auf dem Ballon 
Geſellſchaft Ieiften zu dürfen. 

Stau von Kuffftein geftattete es in ihrer Tiebens- 
würdigen und vornehm gediegenen Weife und hatte auf- 
richtige Steude daran, mit dem jungen Offizier über Die 
Thönen, lang vergangenen Zeiten zu plaudern, Da e$ ihr 
gur Gewohnheit geworden war, zu jagen: „Wir am Hof 
— oder wir im Palats — — |“ 

„Es ift feltfam, wie das Schidfal oft die grellften 
©egenfäge zufammenmwürfelt!* fuhr fie mit traurigem 
Lächeln fort, „man nannte mid als Hofdame mit dem 
ſcherzenden Beinamen: Ric-a-Ric! weil id} e8 fehr genau 
nahm mit allen Sormen und peinlidh ftreng auf jede 
Gtifette bielt! Und gerade ih bin die ©attin eines 
Mannes geworden, der nichts weniger als Rigorift ift, 
und die Mutter eines Lleinen Bubenmädels, das jeglich 
guter Form und Eitte Hohn fpricht! Seftern nacht habe 
ih Julius fo fehr gebeten, zurückzufahren und den 
lieben Böſewicht mit energiſcher Strafpredigt heimzu- 
bolen, aber er behauptete, viel zu müde zu fein, und 
fagte: ‚Laß fie nur die Suppe, Die fie ſich eingebrodt hat, 
auslöffeln! Morgen früh werde ich ihr mal fefte auf 
die Perüde fteigen!'“ 

„Gnädige Frau find zu leidend, um Fräulein Urjula 
mehr in Ihrer Umgebung zu bejchäftigen?“ 

„Ich bin jeit Jahren bon einem nerböjen Kopf 
ſchmerz geplagt, der mich zu einer willenlofen und 
apathiſchen Frau madt. Urſula würde verzweifeln, 
wenn ihre Lebhaftigleit in die Feſſeln einer Kranfen- 


132 


ftube gefchlagen werden follte, und wenn id} mit viel 
Aufopferung und Qual aud) wirklich den Meißel anlegen 
wollte, jo würde Das Deijpiel meines Mannes gleich 
dem SKeulenfchlag wieder zerftören, was ich mit faurer 
Mühe erreicht.“ 

Graf Lohe ftrich fein blondes Bärtchen und fah einen 
Moment auf die Spite feines Ladjtiefels nieder. „War⸗ 
um entſchloſſen ſich gnädigfte Frau nicht dazu, Fräulein 
Tochter in Penfion zu [hiden?“ 

Stau von Kuffftein machte eine Meine ©efte mit der 
Hand. „Wo denken Eie hin! Mein Mann hätte Haus 
und Hof im Stich gelafjen und ſich fofort in allernächſter 
Nachbarſchaft der Penſion einlogiert. Den Wirrwarr, 
den er alsdann angerichtet hätte, möchte id} felbft meinen 
bitterften Feinden nicht wünjchen! Ich weiß mir wirklich 
feinen Rat, wie das DBerjäumte in Urſulas Graiehung 
nachzuholen fein könnte.“ 

„Fräulein Urſula iſt die liebenswerteſte und reizendſte 
junge Dame, der ich je im Leben begegnete, und wenn 
die Heinen Schlacken des Abermuts und der oft ver- 
legenden Form von dem Golde abgeſchmolzen würden, 
fo gäbe es in der Tat fein begehrenswerteres Wefen 
als juft fie. Onädige Frau werden dieſe Außerung gewiß 
anmaßend finden —“ 

„Nicht im mindeſten, mein lieber Graf! Wer es gut 
mit Urfula meint, muß ihr Wefen tadeln!“ 

„Das würde id) niemals wagen, Frau DBaronin, aber 
ih Habe in aufriditigem Intereſſe darüber nachgedacht, 
wiewohl das lieblichfte aller Wunder vollbracht werden 
tünntel Und da fam mir eine Idee —“ 

„Sprechen Ste aus! ih bitte Sie Darum!“ 

„Fräulein Urfula bedarf feiner Erziehung nah Regeln 
oder wörtliche Belehrung, Jondern eines viel einfacheren, 
meiner Anficht nach unfehlbaren Mittels! Sinen Winter 
lang SHofluft atmen! Ginen einzigen Winter lang die 
ftrenge Schule des Parketts durchmachen, ſich an Den 
Dornen und Neſſeln, die darauf wuchern, jo lange Hände 


133 


und Süße brennen, bis fie gelernt bat, fih nad) Vor⸗ 
Ihrift zu bewegen!“ 

„Mon Dieu, befter Srafl Urfula am Hofl Der Gedanke 
berurfaht mir Nervenjchütteln! Wie könnten wir eg 
jemals wagen, einen fo unerzogenen kleinen Zunichtgut 
unter die Augen der Höchſten zu ftellen!“ 

Der SErbherr von Illfingen drehte mechaniſch den 
Stiel des goldenen Moffalöffelhens, das auf feiner 
KRaffeetaffe lag: „Ich Bin feft überzeugt, meine gnädigſte 
Stau, daß dieſe höchſten Augen felber niemals eine 
Angebörigfeit an Fräulein Urſula ſehen werden, dazu 
find die Säle des Palaftes zu überfüllt, und dann wird 
gerade das Spießrutenlaufen durch diefe Menfchenflut 
der jungen Seele am beſten zeigen, welch ‘ein unbe» 
beutendes Tröpfchen fie in ſolchem Meer gewichtiger 
Berfönlichkeiten tft!“ 

„Die Palaftdame der Königin-Mutter, Gräfin Ferdi» 
nand Antigna, ift meine ältefte und vertrautefte Freundin 
am Hof, und ich müßte Urfula jedenfalls unter deren 
Schutz Stellen. Dadurch würde jedoch ein intimerer Ver⸗ 
kehr im Schloß unerläßli werden, und ich fürchte, 
daß die arme Renee fi übeln Dank für ihre Güte er- 
werben möchte!“ 

„Oräfin Antigna?* Lohe rief es faft jubelnd: „Das 
ift ja ſcharmant, meine gnädigfte Frau! Keine pafjendere 
Pflegemama könnte für Ihr Sräulein Tochter gefunden 
werden, feine feftere und ficherere Hand das Steuer 
ihres Lebensfchiffleins Ienken! Um fo beifer, wenn Sräu- 
lein Urſula ©elegenheit bat, in den engeren Hofkreis 
zu treten! Kein entzüdenderes und aneifernderes Vor⸗ 
bild Tann ihr gezeigt werden, als Prinzefjin Cordelia, 
diefer Inbegriff aller geiftpollen Zartheit, Liebens⸗ 
würdigfeit und Anmut! Ich bin, der feften Überzeugung, 
daß fih Königliche Hoheit auf das wärmfte für den 
Heinen Abermut aus Groß⸗Wolkwitz intereſſieren wird, 
daß ein einziger mißbilligender DBlid der Prinzeſſin 
mehr Erfolg hat als alle Srmahnungen und Straf» 
predigten, die Fräulein Urfula je erhielt!“ 


134 


„Gine einzige Baltlofigfeit meiner Tochter würde ben 
Verkehr mit ihr fofort abbrechen!“ feufzte Frau pon Kuff- 
ftein und verfchlang die weißen Hände wie in troftlofer 
Aberzeugung. 

„Ich babe die Brinzefjin mit fo viel huldvoller Nach⸗ 
fiht im Kreife junger Damen verkehren fehen, daß ich 
Diefe Befürchtung nicht im mindeften teile. Außerdem —“ 
Graf Lohe fentte in lächelnder DBeicheidenheit den hüb⸗ 
hen Kopf, „glaube ih ein Hein wenig Ginfluß in 
den betreffenden Sefellfchaftstreifen zu haben und gebe 
gnädigfter Grau das fefte Berfprechen, die Wege nad) 
Kräften für Fräulein Tochter ebnen zu wollen! Es wird 
alles vortreffli geben, und ein paar Zeilen Ihrer 
Hand an Gräfin Antigna genügen, unferm Plan das 
Sundament zu bauen!“ 

Stau von Kuffftein nagte einen Moment ratlos an 
der fchmalen, blaßfarbenen Lippe, Dann bob fie plöglich 
entſchloſſen den Kopf, reichte dem jungen Offizier herz" 
lih die Hand und lächelte: „Sch Dante Ihnen, verehr- 
tefter Graf! Ich bin bereit, das Komplott mit Ihnen 
zu ſchmieden und werde noch heute an Rense fchreiben!“ 

Straf Lohe neigte ſich voll aufrichtiger Freude und 
füßte in feiner befannten graziöfen Weife die darge» 
reihte Rechte der Baronin. 


Währenddeffen war der leichte Jagdwagen mit dem 
Gutsherrn von Sroß-Wolfwig und feinem Töchterchen 
durch die fonnige Herbitlandichaft gerollt. AUrfula Hatte 
die Füßchen auf den gegenüberliegenden Wagenfit ge» 
ftredt und den runden Jungenhut von gelbem Stroh mit 
braunem Band weit in den Naden zurüdgefchoben. Die 
Unterhaltung wurde mehr bebaglih als eifrig geführt, 
oft durch eine landwirtfchaftlide Betrachtung unter- 
brochen. 

„Na ſag' mal, Fröſchchen, es iſt wohl ganz nett, fo 
ein bißchen Sinquartierung zu baben?“ 

„Hm — TNamentli heute morgen, wie wir dem 


135 


Sefecht zufaben! Donner jal Da Hätte ich gleich mit» 
tun mögen!“ 

„Sezappelt haſte auch genug. Und dann unfer Früh— 
ftüdstorbl Wie das ganze einige PDeutjchland unfern 
Wagen ftürmte und die Portiweinflafhen am Halſe 
triegtel... Haba... weißte, Urfchel-PBurfchel, was ich 
da beobachtet habe?“ 

„a, was denn?“ 

„Dem Lohe Hafte mindeftens dreimal fo oft einge» 
ſchenkt und mit ihm angeftoßen, wie mit den andern!“ 
Herr von Kuffftein machte ein ganz verjchmittes Geſicht 
und Iniff fein ‚Neftjolo‘ in das Ohrläppchen. 

Arfula dehnte lachend die Arme. „Weil er der Aller- 
nettfte von allen tjt!“ 

„Daß du die Motten Triegft!... Willft'n beiraten?“ 

Das DBadfifchchen blies die Baden auf. „Ach ja!“ 

„Au in Öottes Namen, mir foll’s recht fein. Aber 
acht Jahre wird noch gewartet.“ 

„sh will dir mal was fagen, Sulden!“ Yrfula 
rüdte näher und lehnte fich vertraulid; an Den Arm des 
alten Herrn: „Sp ein Wort im Pertrauen. Wie der 
Menſch jet ift, Tann ich ihn abfolut noch nicht brauchen! 
Weißt du... ich finde ihn fo hübſch, fo nett und lieb... 
daß ich ihm gleid) um den Hals fallen möchtel Aber 
eins gefällt mir gar nicht an ihm, er iſt ein folcher 
Zierbengel und tut fo furchtbar zimperlich, Daß mir mand)- 
mal ganz elend wird! Das müffen wir ihm erft noch 
abgewöhnen, nit wahr, Julchen?“ 

„Ra natürlich, mein Schlingelchen! Siehſte, das Hatte 
ich doch auch gleich weg, Daß der Kerl zu affig für ung 
war! Aber fonft ein ganz famofer Junge; wenn er erit 
glüdlid das Glacéleder vom Leibe runter bat, fann 
er ganz vernünftig fein! Hm, abgewöhnen!... So 'ne 
Marotte fit meift Höllifch fefte. Aber wart’! Ich wüßte 
Thon ein Mittel, wie man dem Wosjö etwas auf Die 
Belle rüden fünnte; der müßte man fo ein Jahr lang 
SHofluft atmen, verftehfte, Arfchel-Burjchel, ſolch 'ne 
Hofluft meine ich, die Hier bei ung über den Okonomiehof 


136 


weht! So eine echte rechte Hofluft, die friſch und Träftig 
über alles daberfommt und in ihrer ganzen jchönen 
Natürlichleit die Menfchenfeele anbläft! Die würde ihm 
bald von den Faxen und dem Schnickſchnack kuriert 
haben! Mal feite arbeiten, mit Menfchen verkehren, 
an deren Stammbaum höchſtens Erdäppel wachſen, und 
eine Kirmeß ftatt Hofball, das würde das Richtige 
für den Sunter fein!“ 

„Und Fannft du ihn dann mal fo ein bißchen kurz 
nehmen, ja?“ jubelte Arfula mit dunfelrotem Kopf. 

Herr von Kuffftein fchaute mit nachdenklichem Srinjen 
geradeaus. „Referendar oder Aſſeſſor ift er im ge» 
wöhnliden Leben... Ja, jal... ob, ih wüßte fchon, 
bie man’s anfangen Tönnte... babe an betreffenden 
Stelle, wo man's erwirten müßte, ein paar Freunde 
figen!... Haha... wag meinfte, Arſchel⸗Purſchel, wenn 
der Herr Graf plöglich ein Amtsrichter⸗- oder Landrat» 
pöftchen in irgend ſolch gottvergefjenem Hedenneft bekäm, 
wo ji) die Hafen und. Füchſe ‚Sute Nacht‘ jagen?“ 

„Famos! famos! hier in Daffewinkel! PBapa, er muß 
nah Daſſewinkel!“ 

Urſula faßte ihren DBater an beiden Armen und 
Thüttelte ihn por Entzücken dergeftalt, daß die Ahrkette 
mit den Diden Berlockes ein angejumes Dallett ‘auf 
feinem Magen tanzten. 

„Wird gemacht, wird gemacht!“ lachte Herr von Kuff⸗ 
ſtein. „Biſt mit im Komplott, Fröſchchen, dem feinen 
Gräfchen eine Arzenei einzurühren! Haha, er ſoll Mores 
gelehrt kriegen, und wenn ihm unſre Hofluft alle Flauſen 
hinter den gebrannten Löckchen weggefegt hat, dann... 
na, Urſchel⸗Purſchel, wie ſchon geſagt, ich hab' abſolut 
nichts Dagegen!“ 

Da nahm das Backfiſchchen in wortloſer Rührung 
und Anerkennung den Sprecher bei beiden Ohren, 309 
fein maffives Haupt näber heran und gab ihm einen 
mächtigen Kuß mitten auf die kurze rote Stumpfnafe. 


137 


Am Morgen nad) dem Tanzfeſt waren die Offiziere 
ſehr frühzeitig nach ihren Quartieren in den naheliegen- 
den Ortfchaften zurüdgeritten. 

Man war fehr überrafcht gewefen, an der Seite des 
Hausherren auch den Fürften Sobolefstoi auf der Alt 
Doberner Serraffe beim Frühſtück anwefend zu feben, 
um fo mehr, da er am vergangenen Abend fo Teidend 
gewefen und auch jeßt, im hellen Sonnenlicht, er» 
fhredend Blei und elend ausfah. 

&r war auch einfilfig und von beinahe finfterem 
Srnft, und erft als Freiherr von Altenburg in dem 
Kreis der Kameraden erfchien, belebten ſich Die tief» 
Itegenden Augen in dem Antlih des Ruſſen. Sr trat zu 
dem jungen Offizier heran und nahm auch an feiner 
Seite Platz, als man fih zu dem Träftigen Imbiß 
niederfeßte. 

Altenburg begriff nicht recht, warum der Fürft fo 
viele Fragen an ihn richtete, die durchaus nicht 
Das Gepräge der übliden Phrafen an fi trugen. 
Bon feiner Heimat, feinen Angehörigen und feinen 
Dienftverhältniffen follte er erzählen, und wenn er den 
feltfamen Inquifitor ftatt aller Antwort nur mit feinen 
ftolgen leuchtenden Augen vom Scheitel bis zur Zehe 
mufterte, fo ſchien das durchaus feinen Sindrud zu 
machen. Mit zäher DBebharrlichkeit hielt der Fürft an 
dem einmal angeregten Thema feft, und da fich in feinen 
düftern und doch fo unausfpredlih traurigen Augen 
weder Neugierde noch Indiskretion ausprägte. und Der 
junge Offizier feine Urſache Hatte, aus feinen Angele» 
genheiten ein Geheimnis zu machen, fo antwortete ihm 
Altenburg Tnapp und zurüdhaltend, aber ehrlich. 

Daniel erfuhr in kurzen Worten, was er wiſſen wollte: 
daß der Freiherr als drittgeborener Sohn und Bruder 
vieler Schweftern nicht viel mehr fein eigen nannte 
als den Degen, mit dem er dem DBaterland diente, daß 
er fernab von der Refidenz in Heiner Garniſon ftand 
und vorläufig mit keinem Gedanken daran Fi: zu 
beiraten. oo. W ar 


138 


Als er nach Beendigtem Frühftüd zu Pferd geftiogen 
war, Hatte Sobolefskoi die fchlanfe, ritterlihe Srjchei- 
nung mit langem DBlid umfaßt — und dann war er noch 
einmal neben den ©oldfuchg getreten und hatte die Hand 
emporgereidht. | 

„Leben Sie wohl, Herr von Altenburg! Da Sie fo 
weit ab von ber bunten Welt, von dem Pflafter der 
Metropole und aller Hofluft wohnen, werden wir uns 
Ihwerli im Leben wiederfehen! Oder ift eine Möglich" 
feit vorhanden, daß fich unfre Wege noch einmal in 
Der Refidenz kreuzen?“ Ss ging plößlich ein wunder- 
fames Aufglühen dur des Fürften Auge, und der 
Offizier richtete fi im Sattel empor und antwortete 
mit kühler Höflichkeit: „Was wäre in unfrer modernen 
Zeit noch unmöglid, Durchlaucht! Die Slüdsgöttin tft 
ein launiſch Weib, vielleicht findet fie Sefallen daran, 
blind in eine Schadtel voll Soldaten Hineinzugreifen 
und juft mich zu Gunſt und Heil herauszuholen! Möglich 
iſt's wohl — aber... mir geht's wie dem Fauſt — 
der Glaube daran fehlt!“ And Altenburg griff falutierend 
an die Müße, zudte leicht die Zügel und fprengte den 
porausreitenden Kameraden nach. Sein DBlid flog nicht 
wie der aller andern Herren die Senfter der Schloßfront 
ab, aber Daniel bob fchnell das Haupt und fah nad) 
den verbüllten Scheiben des Grkerzimmers empor. Täuſchte 
er ſich? Der feine Spitzenvorhang ſchien ganz letje zu 
zittern. 

‚Der mißgeftaltete Mann atmete tief auf und wandte 
ſich fchnell zur Seite. Sein DBlid folgte aufbligend wie 
in graufamem Triumph den Wagen und Reitern. Staub» 
wolken büllten fie ein. 

„Für ewige Zeit gefchieden! Seine Spur wird auf 
dem Irrweg des Lebens verloren fein, wie die Fuß⸗ 
ftapfen bier im Sand verwifht und verweht werden, 
und das SKleeblatt wird auf der Bruft des Treibern 
von Altenburg welt und vergeffen fein, Damit die Blume 
des Slüds noch einmal ihr tränenfeudhtes Haupt am 
Lebensbaum des Schmerzensrei heben Tann! Geſchie⸗ 


139 


den für ewige Zeit!“ — Staubwolken deden fein Bild, 
über dieje aber hebt ſich heller denn je die Sonne in 
Sobolefskois enger Welt. 

Langfam, wie ein Kranker, den nad qualvollen Stun⸗ 
den eine ſüße, erlöſende Müdigkeit überkommt, ſtieg 
der Fürſt die Treppe zu ſeinen Gemächern empor, ſank 
nieder in die Kiſſen und ſchloß tief aufſeufzend die 
Augen. Nun konnte er ruhig ſchlafen, feſt und unbe» 
ſorgt, Wetter und Sturm ſind vorübergezogen, und am 
blauen Himmel kreiſt kein Falk mehr über ſeiner 
weißen Taube. 


Vierzehntes Kapitel 


Herrn von Flankens Burſche, der brave Garde⸗Ulan 
Niekchen‘, fang luſtig vor fi Hin und ſpuckte Dazu 
auf die Stiefeln, die er bürftete, und jchielte nad) der 
Geſindeköchin Hanne Hinüber, die einen wahren Mordg- 
jpeftafel am Herd vollführte. Sie hantierte in geradezu 
erſchrecklicher Weiſe mit dem eifernen Feuerhaken zwi- 
Then den Waſſerkeſſeln und Kochtöpfen herum. Ge— 
fproden wurde gar nichts, denn auf dem Henkel der 
riefigen Kaffeefanne, die bereits dDampfend und duftend 
auf dem Tiſch ftand, ſaß Amor, der ©algenftrid, und 
ftemmte die Säuftchen in die Seiten und lachte ſich halb 
frant über die brillante ‚Doublette‘, die er bier ſchwer— 
krank geſchoſſen Hatte. 

Dem Niekchen war der Pfeil allerdings mehr ſeit⸗ 
lich in den Magen gegangen und Hatte das Herz nur 
jo en passant etwas angefragt; aber Hanne hatte die 
mörderifhe Waffe mitten im Herzen drin fteden und 
war bereits in das Tagebuch des Schützen unter Der 
Rubrik ‚unbeilbar‘ eingetragen. 

And Amorchen, der während Manöver und Ein⸗ 
quartierung nun einmal beſonders gern ſein Weſen treibt 


140 


und dabei oft mehr Munition verſchießt als Die ge- 
famte Garde⸗Artillerie, hielt es für feine Pflicht, immer 
weiteres Terrain zu relognofzieren. 

Straf Lohe ftand vor Fräulein Urfula und verab» 
ſchiedete ſich. Obwohl er ganz genau mußte, Daß es 
ein Verſtoß gegen die ftrenge Sitte ift, die Hand einer 
Dame länger umfhloffen zu halten als es der knappe 
Gruß erfordert, Hielt er die Heinen Fingerchen dennoch 
während der ganzen Dauer feiner langen Rede feit, 
und dabei ſah er gar nicht traurig aus wie einer, Der 
ſcheiden muß, jfondern wie einer, der nur an das Wieder» 
jeben denkt! 

Urſula aber war fo weich geftimmt wie nie zuvor 
in ihrem Leben, und das ärgerte fie, und darum wollte 
fie ihre Rührung hinter viel Ausgelafjenheit verfteden. 
Der arme ‚Herr Poltor‘ Hatte ſchwer darunter zu leiden, 
wurde gezwidt und gezwadt, ehe er ſich's verjah, — 
und außerdem in fäljchlidhfter Weile bejchuldigt: er 
wolle vom Grafen Lohe ein Küßchen Haben! So bes 
hauptete plöglih Fräulein Urſel und fahte den Mops 
mit eijernem Griff um das dicke Bäucheldden, ihn mit 
energifher Nötigung dem jungen Dffizier entgegenzu- 
reichen. Bei ſolchen Wien war der arme Doltor jedes- 
mal der DBlamierte, Urſula quetichte ihn und der Graf 
verſetzte ihm einen Nafenjtüber, und beide machten die 
Unſchuld zum Dpfer ihrer Abjchiedsjentimentalitäten. 

Während fich der ‚Doktorjo‘ voll Indignation fo ſchnell 
wie möglich auf feinen Stumpfbeindhen zurückzog und 
Straf Lohe dem Hausherren noch etlihe Dankesworte 
ftammelte, war Fräulein von Kuffftein neben ihm ver- 
ſchwunden. 

Sie kehrte auch nicht zurück, und der junge Offizier 
fragte und rief vergebens nach ihr. Was ſollte das 
heißen? Wollte ſie ihm kein Lebewohl nachwinken? 
Dar es ihr ganz gleichgültig, ob ſich Mark⸗Wolffrath 
aufs Pferd ſchwang, für ewige Zeiten vielleicht von ihr 
au fcheiden? 

Der GErbherr von Fllfingen zog die Brauen zuſammen 


141 


und pußte ben Kneifer fehr blank, um die Fenſter der 
Schloßfront noch einmal überbliden zu können. 

Niemand zu erfpähen. Nur Kammerjungfer und 
Stubenmädchen Bielten im ©iebelfeniter die Sadtüchlein 
bereit. 

„Muß i denn, muß i Denn, zum Städle hinaus!“ 
intonierte die Muſik. Frau von Kuffftein trat zu freu» 
Diger Aberrafchung der Offiziere auf den Ballon und. 
winkte den Abreitenden noch einen freundlich-vornehmen 
Sruß nad). Ihr Satte ftand oben auf der Freitreppe 
und ſchwenkte eine der Madeiraflaſchen vom Frühftüdg«- 
tifch, und der Herr Doktor ſaß mit griesgrämigem Geſicht 
Daneben im Schatten. Bon Urfula keine Spur zu ent⸗ 
deden. | 

Straf Lohe war fehr mißgeftimmt, er ritt langjam 
- als Iegter aus dem Schloßhof und wandte den Kopf 
ſpahend nad) reits und links. 

And wieder ging es an der ©artenmauer vorbei, 
wo er zum erjtenmal, voll fittlider Smtrüftung, Die 
Einzige jeines Gaſtgebers geſehen hatte. 

Unwilllürlih hob der junge Offizier den Dlid, ihm 
voll düftern Zorns längs der Mauer entlang zu [hiden, 
um zu jeben, ob der Lleine, treuloje Wildfang vielleicht 
bis zur Dorfſtraße, dem Rendezvous des Regiments, 
porausgelaufen jei. 

Da rauſcht es über ihm in den Zweigen, und ebe 
er ſich's verſah, wirbelte ihm ein Regen duftiger Blüten 
ins ©eficht, und wie er jählings die Zügel anzog und 
zur Seite ſah, da ftand Urſula zwiſchen dem blühenden 
Selängerjelieber und dem dunklen Lindengrün Hinter 
der Parkmauer, reizgender denn je, im weißen Kleid, mit 
einem Rofenktranz über dem lachenden Sefihtehen. 

And fie nidt ihm jubelnd zu, faßt Den Kranz und 
nimmt ihn fchnell aus dem Haar, ihn hinabzuwerfen. 

Das Blut ſchießt dem entzüdten Sarde-Mlan in Das 
Geſicht; er Tann nit an die Mauer beranteiten, weil 
ein Sraben ſich dazwiſchen drängt, aber er reißt den 


142 





Eäbel aus der Scheide, den wonnigften aller Kränge 
aufzufangen. 

Wunderlich ſchwer Fällt er über Die Klinge auf feinen 
Arm, aber Lohe bat nur Einn und Augen für Das 
reizende Bild, das ich jet Jo ganz anders zum Ab⸗ 
ſchied als zum Empfang zeigt! 

Wie ſie lacht und die Arme nach ihm ausbreitet, 
wie anmutig und graziös ſie droben in den Zweigen 
ſteht! Ihre ganze Art und Weiſe iſt ſo allerliebſt, und 
Lohes Herz ſchwillt in dem Gedanken, daß die Hofluft 
keine ſchwere Arbeit haben wird, daß dieſer Augenblick 
der Anfang einer großen Wandlung in Urfulas Charakter 
if. Und er preßt den Kranz ritterli ans Herz und 
fendet der jungen Dame fo lange wie möglich mit feinem 
parfümierten Taſchentuch die graziöfeften Grüße zurüd. 

And als das Bild an der Sartenmauer feinem DBlid 
entihwunden, Da freut fi der Erbe von Illfingen — 
denn eitel find wir! — auf die Augen der Herren 
Kameraden, wenn fie ihn plötzlich fo herrlich dekoriert 
fehen. &r will eine Roje aus dem Kranz ziehen und 
fie an die DBruft fteden, das Kränzlein felber ſoll fich 
ftol3 und triumphierend an feinem Arm fchaufeln, bis 
es einer der Dienftbaren Geiſter in Smpfang nehmen 
fann, e8 im Koffer zu bergen. | 

Juſt in diefem Augenblid fchauen ji” DBornig und 
Slanten nad) dem Berbleib des Kameraden um. 

„Bo Million... ein Rofenfranz! von wem?“ Lohe 
lächelt wahrhaft kaiſerlich und zudt diskret Die Achſeln. 
Seine Finger zupfen au einer der Blüten. 

„Was ift denn das? Die Sache fieht ja auf Der 
Rüdfeite fo komiſch aus!“ knurrte Flanken und beugt 
fi mit vorgeftredtem Hals näher. 

„Wo, inwiefern?“ Und Lohe wendet das Dlüten- 
gewinde um. An einer Stelle hat fih das dichte Laub 
ein wenig verjchoben, ein eigentümlich bellrotes Etwas 
ſchimmert daraus berpor. 

„Du, das jieht ja frappant aus“ — SFlanken unter- 


143 


bricht ſich mit ſchallendem Gelächter — „tie eine 
Schladwurft!* 

Ja, wie eine Schladwurft. Entgeiftert, gleich einem 
Bild von Stein, fit Lohe im Sattel und jtarrt auf Die 
Ihönen poetifchen Roſen, die — um eine Schladiwurft 
gewunden find! Dann lat er ebenfalls, aber etwas 
verlegen, nimmt den Kranz und mirft ihn ſeitlich 
auf den SKartoff-Iader. „Kleiner Wi von Fräulein 
Yrfula... bat ftı derartige Scherze im Kopfl“ Und 
er befichtigt voll Eorge den Urmel, ob er nun womöglid) 
mit einem Zettfled an der Uniform zum Dienſt aug- 
rüden muß. 

Slanten fpringt ab und holt den Kranz zurüd. „DBift 
Du denn rein des Teufels, Kleiner? Diefe famofe Schlad«- 
wurft wegwerfen? Urfchel-PBurfchel ift ein Patentmädel, 
das ift der erfte wirklich gefchmadvolle Kranz, dem ic) 
im Leben begegne!l Ab, ein Zettel...“ 

„Sin Zettel?...zeig’ ber!“ | 

„Fürs Seldlager heut abend! SHahahal Brillant, 
die Wurft wird abgelodt!* Und Flanken Bing Den 
Kranz mit fehr wohlgefälligen Schmunzeln über den 
Arm und trabte wohlgemut davon. 

Lohe aber klopfte die Handihuhe ab und dachte: 
„Man foll nie zu früh jubeln — o SHofluft, ich fürchte, 
Du wirft Doch fein leichtes Spiel baben!* 


Am Ende der Sartenmauer aber hatten zwei fallen 
ſcharfe Augen den Reitern nachgeſchaut und die Heine 
Szene beobachtet. 

Yrjula ftemmte die rofigen Wangen auf beide Fäuſte 
und bielt einen Monolog: „So ein Schafl Würft er 
die Schladwurft weg! Das Tommt Dapon, wenn der 
Menſch gar feinen Begriff pon etwas Selbſtgeſchlach⸗ 
tetem bat. Na, warte nur, mein Bürſchchen, Tomme 
Du nur erft in die Hofluft von Daſſewinkel, dann wirft. 
du deinen Gott ſchon erkennen lernen! Hm... ich fürchte 
aber, leihtes Spiel hat fie nicht mit thmI!“ 


144 


Als an dem nämliden Abend die Biwakfeuer auf 
der Heide leuchteten und ein Fühler Nordoftwind recht 
unböflih die Wollen vor den Mond tried, da wurde 
unter großem Jubel der Offiziere der Groß-Wolkwitzer 
Schlackwurſt der Garaus gemadt, und die welken Rofen- 
blätter in pietätooller Huldigung für Fräulein von Kuff⸗ 
ftein auf die von Flanken neu erfundene und höchſt 
taffinierte Alebowle geftreut. Man ließ das DBadfifch- 
chen zum öfteren hochleben, und Lohe, der anfänglidy nur 
[pröde an feinem Glas genippt Hatte, aus Oppoſition 
gegen die Schladiwurftmalice, wurde fo lange und fo 
beharrlich von feinem riefenhaften Freund animiert, big 
er ſchließlich auf Urfulas Wohl dem Becher jedesmal 

ttef auf den Grund fah. 

EGs ſchien Flanken ganz augenfheinlih, daß Wark⸗ 
Wolffrath Feuer gefangen hatte, und weil Flanken eine 
ſehr weiche teilnehmende Seele war, ſo füllte er dem 
Reſerveleutnant ſtets die doppelte Portion Roſenblätter 
ins Glas und beobachtete mit wahrhaft väterlichem 
Intereffe, wie diefe Mifhung von Ale und Lyrik die 
junge Seele begeiftern, wie Lohes Auge nun Die 
ganze Welt in Rofenfchimmer erbliden werde, wenn’s 
auch fo dunkle fühle Nacht iſt. 

And die Augen des Grafen wurden au tatſächlich 
immer größer und träumerifcher und Hafteten in ftarrem” 
Blid an der Himmelsgegend, da Groß-Woltwig lag, 
und als die Muſik in ihrer feterlih [hönen Weife zum 
Abendgebet gerufen Hatte, als es ftill wurde um die 
nifternden Feuer der Mannfchaft, da drüdte er die Hand 
Des Freundes, trank noch einmal aus und zog ſich nach 
dem Zelt zurück. 

Man kannte das an ihm. Der ungewohnte Dienſt 
ſtrengte den verwöhnten Menſchen außerordentlich an 
und machte ihn früher das alle andern Herren zum 
müden, teilnahmloſen Mitglied ihres Kreiſes. 

Heut aber ſchien es Flanken, als habe ſich Lohe 
nur darum zurückgezogen, um ungeſtört feinen GOedanken 
nachhängen zu können. Ob, daß fie ewig grünen bliebe, 


10 Eſqhſtruth, Hofluft 145 


die fchöne Zeit Der jungen Liebel dachte er mit be— 
haglichem Schmunzeln, und doch erfchten ihm der Gedanfe 
ganz unfaßlih, daß ein grofer vernünftiger Mann jich 
nun solo dahinſetzt und [hwärmerifch zum Himmel feufzt! 
Rein, das brädte Flanken niemals fertigl &r bleibt 
ftetS der nüchterne phlegmatifhe Menſch, Den die Liebe 
niemals aus dem Öleihgewicht bringen wird, der ſich 
niemals um der Liebe willen irgendeine Unbequemlich- 
teit auferlegt. Lächerlich! Sreilich, jüngitbin — auf dem 
Alt»Doberner Feſt — die Heine Dern-Sroppen? War 
ihm das Glfenprinzeßchen Solante mit den wunder- 
Heinen Händen und Füßchen nicht immer wieder einge- 
fallen, wenn eine Libelle über die Grika fchwebte, wenn 
ein Rehchen flüchtig über die Waldfchneife zog, wenn 
jih ein Blumenglöckchen graziös im Wind bog? Gr 
hatte am nächſten Morgen zum erjtenmal im Leben 
Ihlecht geritten. Unfinn, jeßt lachte er darüber fein 
altes bebagliches Laden. — Ganz gewiß, ihn wird die 
Liebe niemals ans Sängelband nehmen, aber der Mark⸗ 
Wolffrath, der ift Schon von Natur ein fo zartbejaiteter 
Menſch, daß er imftand wäre, Liebeslieder zu Dichten! 

Die Leine braune Here bat es ihm angetan; weil 
die Gegenſätze gar zu groß waren, verliebten fie ſich aus 
lauter Geindfeligfeit ineinander. Armer Lohe, er fibt 
gewiß in fchlaflofer Sehnſucht und preßt jedes einzelne 
der übriggebliebenen Rofenblätter in feinem Porte— 
feuille] 

Slanken erhob ſich Eopfichüttelnd und wuchtete auf 
feinen fchweren Reiterftiefeln nach Dem Offizierszelt. 
Er wollte mal heimlich nachſehen, wie die Aktien ftünden, 
und ein bißchen zur Vernunft reden. 

Nielchen trollte mit einem Heinen Handloffer an ihm 
porüber. 

„La, was iſt Denn Ios, Niekchen? Was Haft da?“ 

„38 ſik Kuffer feinigtes von Herrn Graf.“ 

„Was foll damit?“ | 

„Hab it müſſen helfen bedienen Herrn Straf... find 
ſik drinn Sporen zu pußen!“ 


146 


„ut; vorüber, mein Sohn.“ | 

Flanken lachte leife vor fih bin. Er war es ſchon 
gewohnt, daß Lohe mit feinen dienftbaren Geiftern nie- 
mals ausreichte und mit Vorliebe noch den brapen Niek— 
hen um feine Perſon bejchäftigte. In Gottes Namen! 
Flanken bedurfte feiner um jo ieniger. 

Der Wind ftrih empfindlidy fühl vom nahen Wald 
berüber, raſchelte im Stroh und blies in die grell auf- 
Iodernden Wachtfeuer. Einzelne Regentropfen begannen 
zu fallen, und der Mond verftedte ſich vollends Hinter 
dunflem Gewölk. Das GSegeltuh des Zeltes raufchte 
und ſchwankte im ftarfen Luftzug, die Stangen fnarrten, 
und das Fähnchen auf dem Knauf klatſchte eine eifrige 
Melodie. 

Slanten jtedte vorfichtig den Kopf durd Die Riße 
des Türvorhangs. An einem Strid hing eine Stall» 
laterne in der Mitte des Zeltes nieder und leuchtete 
ihm. Seitlih auf einer Schütte Stroh lag der Erb» 
herr von Sllfingen, ein feidenes Daunenkiſſen unter 
dem Kopf und eine prächtige fellartige Reifedede über 
die Knie gefchlagen. Seine Haare tvaren in ſcharf ge- 
brannten Wellen feſt an den Kopf gelegt, fein Antlitz 
von dem verräterifchen Slanz des Gold-creams über- 
haucht und die Hände forglid” mit Handſchuhen bededt. 
Er ſchlief tief und feit Den Schlaf des Gerechten. 

Ein wunderlihes Zuden und Arbeiten ging dur) 
Slanfens Geſicht, ähnlid einem, der fi} das Tiefen 
verfneifen will. Der Wind blies neben ihm durch den 
Vorhang und faufte juft in diefem Augenblid jo heftig 
. über das DBradland, daß Das Zelt in allen Leinwand» 
näbten ächate. 

Lohe warf indigniert den Kopf herum, Tchlaftrunfen 
feufzte er tief auf. „Sohn... Nielchen... madt doch 
Das Fenſter gu — eg zieht!“ lifpelte er, ſelbſt im Schlafe 
fein und vornehm. 

Flanken zog ſchleunigſt den Kopf zurück und pruftete 
laut auf por Lachen: „Bott fei Lob und Dank, Schlad- 


10* 147 


wurft und Rofenblätter Itegen ihm nicht allzu ſchwer im 
Magen — noch iſt Lohe nicht verloren!“ 

And dann ging er langfam, gedantenpoll nad) dem 
Seuer zurüd, das jetzt den Waſſerkeſſel für einen kräf⸗ 
tigen Schlummerpunfdh erhißte. 

„Seltfam,“ dachte er, „wat dem enen fin Al is, 
iS dem annern fin Nachtigall! Der kräftige Wind, der 
einem bier um die Ohren bläft und mich erquidt und 
erfrifcht und mein Lebenselement ift, den ſperrt Marl» 
Wolffrath entrüftet durch Segeltuh und Wandſchirm 
bon ſich ab, und jene fatale Hofluft, die atmet ıer voll 
Wonne und Genuß! Und doch find wir beide, obwohl 
jeder von ung in einer Luft ſchwimmt, die ihm zuſagt, 
entfchieden in falſchem Fahrwaſſer. Bei uns beiden 
berrfcht eine gewiffe Unnatur. Ich liebe gar nidt — 
und dag. ift abfolut nicht in der Drdnung, und Lohe 
ſchwärmt und liebt beftändig, ohne eine wahre Herzens⸗ 
neigung zu kennen, und das ift erft recht gegen allen 
Komment! Muß eben jeder verfuchen, auf feine eigne 
Faſſon felig zu werden. &s ſchlägt für alle das: Stünd«- 
lein, wo des Schickſals Fräftiger Odem über Heide und 
MWarmorſchwellen fauft und die Kartenhäufer fchöner 
Illuſionen wie Spreu über den Haufen bläft!“* 

Slanfen dehnte die Arme und atmete tief auf, der 
Regen ftäubte ihm in das G©eficht, und der Wind fuchte 
vergeblih nach einem Mantel, den er auf ſolch marfiger 
DBruft zaufen könne — der hing daheim im Kleider- 
ſchrank und fannte die Motten beffer als feinen Herrn. 

Der Punſch dampfte noch im SKefjel, und da Die 
umfigenden Herren gegen das heraufziehende Wetter 
im gelte Schuß fuchten, übernahm es Flanken allein, 
mit dem Refte abzurechnen. Das Haupt in die Hand 
geftügt, wie eine fagenhafte Redengeftalt der Bor» 
zeit, faß er allein neben dem lohenden euer, deffen 
Flammen wild aufzudend gegen Wind und Regen 
fämpften. 

„Aun fi) auf ein Roß werfen! Hinjagen durch diefe 
Geiſternacht und mit dem Schwert in der Fauſt Aven⸗ 


148 


tiure ſuchen!“ dachte er, „bas wäre mein Glüdl“ Und 
im gleihen Augenblid zog Lohe die Dede fefter um 
fih und feufzte fchlaftrunfen: „Srauenvolle Nacht! 
Könnte ich jeßt im weichen Teppichgemach, durchduftet 
und durhiwärmt, das Haupt an die Knie meiner viel» 
wonnefamen Herrin fchmiegen, das wäre mein Olück!“ 

Lachend ftrih der Wind vorüber. „Menfchenherzen! 
Wetterfahnen!“ fpottete er, „Das ©lüd und id, mir 
fpielen mit euch beiden!“ 


Sünfzebntes Kapitel 


Der Schnellzug war in die große, überdedte Bahn- 
bofshalle der Refidenz eingelaufen. Aug einem Coupé 
erfter Klaffe ſchob fich, Dem porbeidrängenden Publikum 
in etwas nichtachtender Weiſe die ftattlihe Rückſeite 
zuwendend, Herr von Kuffitein und Hletterte, im Diden 
Pelz noch fchwerfälliger als fonft, die Zrittbretter zu 
dem Bahnſteig herab. 

Aufpuftend Stand er ftill und [chaute nach der Wagen- 
tür empor. „Na, Urfchel»-Purfchel, mal trapp, Die Karre 
geht weiter!“ | | 

"Statt aller Antwort faufte eine Reifetafche über die 
Holzſchwellen hernieder, der im hohen Bogen eine Hut- 
ſchachtel und eine Plaidrolle folgten. 

Der alte Herr bog noch rechtzeitig aus und büdte 
fich, fo ſchnell e8 feine Korpulenz geftattete. 

„Biſte denn verrüdt, Fröſchchen? Du mwirfft ja den 
Leuten Löcher in den Kopfl Laß mal fein, der Schaffner 
fann uns ja den Krempel ausladen!“ 

Statt aller Antwort überfchlug ſich ein Zußfad in 
der Luft und edte am SZhHlinder eines Herrn an, der 
den Kopf eifrig vorgeftredt Hatte, in Das Coupé gu 
ſpähen. | 

„SHimmeldonnerwetter!l So eine Anverſchämtheit...“ 

Die wuchtige Hand Kufffteins patſchte ihm auf die 
Schulter. „Schimpfen Se doch nicht, alter Freund, es 


149 


war ja die Urjchel-PBurfhell Ih Habe auch ſchon die 
Reiſetaſche auf die Hühneraugen gefrtegt!“ 

„Mein Herr!“ 

Sn demjelben Augenblid erſchien das allerliebjte Fi- 
gürchen Urſulas in der Tür. Das rojige Geſicht unter 
dem Dunklen Pelzbarettchen zeigte in hellem Lachen Die 
weißen Zähne und kokettierte mit Den entzüdendjten 
Grübchen. 

Der junge Herr war plötlich wie umgewandelt. Gr 
riß böfli Die bedrohte Kopfbededung pom Haupt und 
nabm der jungen Dame galant ein Schirmpalet ab. 
„Bardon, meine Onädigfte, befinden fich feine SHerr- 
Ihaften weiter im Coupé?“ 

„ee — keine Laus mehr, geſchweige Menfchen!“ 

Leifes Auflachen und nochmaliger Blid in das ©e- 
jihthen der Sprecherin, und dann eine Derneigung 
gegen Bater und Tochter; der Fremde wollte weiter- 
eilen. 

„Ad, Sie da, junger Mann!“ Kufftein tippte ihm 
ſchmunzelnd mit dem Regenfhirm in den Rüden. „Sie 
fönnten mir eigentlih eine Profchle ’ranpfeifen... 
wir müfjen erft das Sepäd beforgen, und nachher find 
die Ratterfaften womöglich vergriffen. Sine erſter Güte 
... ſeien Sie fo gut!“ 

Sefundenlang jtarrte der Fremde den Sprecher an 
wie eine Bijion, dann lachte er abermals laut auf, hob 
die Hand und winkte einen Diener heran, der ihm gefolgt 
war: „Karl, beiorge mal eine Droſchke für diefen Herrn 
bier!“ und abermals ein Blid und Gruß für Arjula, 
und Der Anbekannte drängte eilig meiter. „Sie find 
ein famojer Menih! Tauſend Dankl* Feuchte der Be— 
iger pon Groß-Wolkwitz, der ſich juft nad) der Hut- 
ſchachtel büdte, und dann faßte er den Bedienten bei 
einem feiner Wappentnöpfe und infiruierte ihn betreffs 
der Droichle: „Laſſen Sie fich aber feine ſolche Karoſſe 
andreben, die ſo jchmale Plättbretter als Site bat, 
veritanden? Ich brauche Platz, das fehen Sie mir 
wohl an!“ 


150 


Der Bediente grüßte und ftürmte davon, Urfula aber 
ſchwang ſich zur Erde und fuchtelte mit dem Muff durch 
Die Luft. „Sie dal PDienftmann! Bienjtmann! 'ran mit 
Ihnen!“ Und als der Serufene auf beträchtliche Ent- 
fernung berzueilte, die Paſſanten aber jefundenlang 
in ftarrem Anftaunen des Träftigen Organs ſich ftauten, 
da ſchaute ih Herr Julius ſtolz im Kreiſe um und 
ließ fi) als DBater einer ſolchen Tochter bewundern. 

Dann wurde der Dienjtmann mit dem Gepäd be» 
laden, und Urſula babnte ſich mit flinfen Ellbogen 
neben dem Bater ber ihren Weg, feine Antwort ſchuldig 
bleibend, wenn darüber Bemerkungen laut wurden. Der 
fremde Diener ftand am Portal und überreichte Herrn 
bon KRuffftein eine Wagenmarfe, und mit lauter Aner» 
fennung wühlte der ©utsbefiger fein Portemonnaie ber- 
vor und verabreichte ein fehr fplendides Trinkgeld. 

„Herr Baron laffen fragen, ob ich den Herrſchaften 
noch weiter behilflich fein fünnte?“ 

„Nee, mein Junge, jage deinem Baron, 's wäre gut, 
und ich ließe mich ſchönſtens bedanken! Und wenn fein 
3hlinder einen Knuff weggelriegt hätte, dann täte mir 
Das jebt DoppeN Teid! Verſtanden?“ — „Defebl, gnä⸗ 
diger Herr.“ „And mir natürlich dito!“ „Befehl, 
gnädiges Sräulein.“ „Ra, denn los!“ 

Als alle Safden, Schachteln und Pakete glüdlich 
in der Droſchke waren, machte es jih Herr pon Kuff- 
ftein mit tiefem Seufzer der Grleichterung in jeiner 
Wagenede bequem und ftredte die Füße von jich. 

„Soweit wären mir, Arfchel-Burfchel, aber ohne 
Schweißtroppen iS es nicht abgegangen! Nun habe ich 
einen Lömwenhunger! Wenn mir jebt in das Hotel 
fommen, laffen wir zuerjt eine gehorjamfte Empfehlung 
auf dem Draht nah Wolkwitz reiten, und Dann ſind 
für heute abend die ſchwergeprüften Reifenden aller 
Derpflihtungen enthoben. Erſt ejjen wir Die Speije- 
farte kreuzweiſe durch, und dann gehen wir in die Kon» 
fordia und ſehen uns die dreſſierten Gänſe an — ein» 
perftanden, Fröſchchen?“ 


151 


„Rieſig. Und nachher in ein Cafe, da foll eg fo 
intereffant nad dem Theater fein!“ _ 

„Mir auch recht. Morgen fahren wir dann zu deiner 
ltebenswürdigen Gräfin Antigna, wo did die Mama 
für ein paar Wochen eingelocht bat, machen ihr einft- 
weilen eine Bifite und drüden ung wieder, denn folange 
ich bier bin, habe ich noch väterlihe Anrechte an Dich. 
Im Hotel wohnfte, und mit mir bummeln tufte — alleine 
macht mir das Doch weiß Kudud feinen Spaß!“ 

„Beer! — Hotel &., Herr Baron!“ 


Durch die hoben buntgemalten Scheiben tanzten bie 
Strahlen der Winterfonne über die Marmortreppe, wenn 
der Wind die Tannenzweige vor den Fenſtern bewegte 
und den goldnen Lichtfunten dadurh Einlaß in Die 
Flurhalle des berrichaftlihen Haufes gewährte, das 
Graf Ferdinand Antigna mit feiner Familie bewohnte. 

Die eleftriiche Klingel wurde ein paarmal fehr heftig 
in Tätigfeit gefebt, leife Bedientenfohlen haſteten über 
die Teppiche und Öffneten die Ölastür hinter der guß⸗ 
eifernen DBergitterung. 

Ein Wagen ftand auf der Straße, feine Infaffen 
waren bereitS ausgejtiegen und Hatten por der Tür 
Boito gefaßt. 

„Gräfliche Herrſchaften zu ſprechen ? 

Der Pelz des Fragers war dem geübten Lalaien- 
auge maßgebend. Ein devoter Büdling antwortete ihm. 
„Wen babe ich die Ehre zu melden?“ 

Herr von Kuffftein flug voll behaglicher Umſtänd⸗ 
lichkeit fein Portefeuille auseinander. „Hier, mein Zunge, 
auf diefem weißen „Zettel fteht’S gefchrieben! Sagen 
Sie aber der gnäbigften Gräfin nody mündlich, das 
Züpferl auf dem i wäre auch Dabeil* Und er wies mit 
dem Paumen nah) Urfula und ftampfte den feinen 
Schneefaum von den Stiefeln. Ein refpeftpolles Lächeln. 
„Darf ich geborfamft Bitten, Herr Baron!“ Pie Tür 
flog weiter auf, und der ©alonterte eilte die Treppe empor. 


152 





In freudigfter Haft trat die Gräfin dem Beſuch 
. entgegen; obwohl aber ihre Schritte befchleunigt waren 
und fie dem Gemahl ihrer intimften Freundin beide 
Hände entgegen bot, lag dennoch über ihrer ganzen Gr- 
[heinung eine unverleglihe Würde und GSleganz, eine 
Seinbeit, die felbft in der größten Erregung Maß und 
Ziel zu halten weiß. 

Groß und fchlant, faſt mager, ohne edig zu fein, mit 
ſchmal geſchnittenem und blaffem Antlitz unter afch- 
blonden Haarwellen, machte Gräfin Antigna den Sin- 
dDrud einer noch jugendlichen Stau, die wohlberechtigt 
für die Stiefmutter des erwachſenen Sohnes gehalten 
werden konnte. 

Mit einem Kuß auf die Stirn hieß ſie Urſula bei 
ſich willkommen und ſprach die Hoffnung aus, daß ſich 
ihr liebes Pflegetoöchterchen bald ebenſo heimiſch bei 
ihr fühlen möge, wie daheim im Wolfwiter Schloß. 

Das erſchien Urfula ganz felbjtverftändlich, denn das 
Mißtrauen, das fie Gräfin Antigna anfänglich ent» 
gegengebradt Hatte, war bei dem Anblid ihres milden, 
bornehmen Antlites verſchwunden. Nein, das war fein 
Gouvernanten⸗ und Thprannengefiht mit eifigem DBlid 
und funtelnden Drillengläfern, das war eine nette, 
famoje Stau, mit der es fich brillant ausfommen laſſen 
wird. 

„And nicht wahr, meine verehrteſte Gräfin, Sie halten 
mir mein Schlingelchen nicht gar zu fefte im Kappzaum?“ 
fragte Papa Kuffitein forgenpoll. „Das Kind ift fo 
friſch und fröhlich in die Höhe gewachfen, daß mir ſchon 
angft wird bei dem Gedanken, daß diefer Wildfang 
bier in den engen Straßen aushalten joll. Erjchreden 
Sie nur ja nit, wenn die Heine Wetterheze Ihnen 
eines ſchönen Tages durdhbrennt, denn dag macht fiel 
Was, Urfhel-Burfhel? Da bifte riefig kurz ange- 
bunden drinne, immer mit dem Kopp durd die Wand. 
— ‚DH, ih fage Ihnen, liebfte Sräftn“ — und der alte 
Herr richtete fih Hoch auf und fah unendlich ftolz aus, 
„Sie werden Ihr blaues Wunder an dem Mädel er- 


153 


leben! Geſchichten führt fie auf, daß einem Mund 
und Nafe offen ftehen, aber immer folofjal witig, immer 
Schneid drinn! Als wir geftern abend in der Kon- 
Iordia waren —“ Gräfin Antignas Haupt zudte empor, 
als habe jie nicht recht verftanden. Das feine Lächeln, 
Das bis jebt ihre Lippen umſpielt hatte, wich ftarrem 
Staunen. „Wo waren Gie, befter Baron?“ 

„Na, in der Konfordia, bei den dreifierten Gänſen.“ 

„Am Gottes willen — mit Arfulahen? Wer in 
aller Welt fonnte Ihnen dies Lolal empfehlen?“ 

Das Backfiſchchen rüdte eifrig näher. „In irgend 
fo einer Station warfen fie ung alle möglihen Zei— 
tungen und Zettel in das Coupé und Daraus ſuchten wir 
uns das DBefte aus — und das waren eben die dreſſierten 
Gänſe — und gingen am Abend hin! Na, gelacht haben 
mir, Daß wir uns nur immer jo rollten! Nicht wahr, 
Julchen,“ — ein fräftiger Patſch auf feine Knie — „mie 
der dDide Kerl als DBallettänzerin kam!“ 

Die Balaftdame ſchlug wahrhaft entjeßt die Hände 
zuſammen. „Das haſt Du mit angejehen, mein Herz⸗ 
hen? Aber bejter Baron, warum kehrten Sie nicht 
jofort um, als Sie fih in dem Lofal überzeugten, daß 
es Doch nicht der geeignete Aufenthalt für Damen der 
Geſellſchaft ift?“ 

Das runde, rote Gejicht Kufffteins glänzte por Gut— 
mütigfeit und Vergnügen. „IS wo werd’ ich denn! Hat 
ja gar nichts zu fagen! Die Urſel bat fi amüliert 
wie ein Gott in Frankreich, und von den Souplets hat: 
fie ja überhaupt gar nichts verftanden. Das Kind Tönnen 
Eie überall mit hinnehmen.“ 

„So? Nichts verftanden hätte ich? — Ulles habe 
ih verſtanden!“ Und triumphierend |prang Arfula em» 
por und ftemmte beide Händchen auf den Tiſch. „Ganz 
tolle Wite waren’s zeitweile — aber id) werde den 
Kudud tun und darüber fhimpfen! Wärft ja jofort mit 
mir ausgerüdt!“ 

„un fehen Sie mal die Range an, Gräfin! Iſt's 
zu glauben? Aber ich fag’s ja immer, auf den Kopf 


154 


gefallen ift fie nicht, pfiffig für fechfe!“ Und Der erftaunte 
Vater nidte vor fi Hin, als wollte er fagen: Die 
fomme ich mit meinem ſchwachen Untertanenverftand 
zu einer folch hervorragenden Tochter? 

„Aun, ich Hoffe, liebe Urjula, daß dir die Theater 
und Konzerte, in die ih dich Fünftighin führe, noch 
bejjer gefallen!“ Tächelte Gräfin Antigna, der Briefe 
gedentend, die ihre Freundin ihr geichrieben und zu 
. denen Graf Lohe noch mandherlei Kommentar geliefert; 
gleichzeitig blidte fie nach der Tür, zwifchen deren 
Portieren die Seftalt eines jungen Herrn erjchien, der 
bei dem Anblid der beiden fremden Geſichter haftig zurüd- 
treten wollte. „Ach, lieber Henry! Du biſt ung willfommen.“ 

Es lag durchaus fein befehlender Klang in der Stimme 
der Palaftdame, aber ihr Blick hatte troß feiner Milde 
etwas Zwingendes. 

Der Gerufene trat zögernd ein. Seine body aufge» 
ſchoſſene überſchlanke Geſtalt verneigte fich Haftig, ohne 
daß fein Blid fi von dem Teppich, an dem er haftete, 
gehoben hätte.: 

„Mein älteſter Sohn Henry!“ lächelte Gräfin An— 
tigna mit graziöfer Handbewegung, und die jchlanten, 
brillantbligenden Finger auf die Schulter des jungen 
Mannes legend, ganz wie von ungefähr und Dennoch 
ihn dureh den leichten Drud dirigierend, fügte fie ſcher⸗ 
zend Hinzu: „Du Daft, ebenjo unerwartet wie ich, Den 
DBorzug, deine zufünftige Pflegefhwefter Urſula Kuff- 
ftein und ihren Bater fennenzulernen, lieber Henry! Ich 
bin überzeugt, Daß du unjre verehrten Säfte ebenfo 
herzlich willfommen heißt, wie ich!* 

„Ad, jiehe da, der kleine Henrh von ehedem! Der 
Heine Henrhy, den ich zuletzt in weißen Höschen auf 
dem Schaufelpferd fiten ſahl‘ lachte Herr von Kuff- 
ftein, Henry biderb die Hand entgegenftredend; „freut 
mid), Sie fo frifch, und hochgewachſen wiederzuſehen!“ 

Henry verneigte fi ftumm; feine Röte ftieg in fein 
Seficht, und der Blid, der den alten Herm in ſchnellem 
Aufbliden traf, hatte etwas Scheues. 


155 


Neugierig Hatte ihn Urfula vom Kopf bis zu ben 
Süßen gemuftert, reihte Dann ebenfalls die Hand Bin 
und fagte in mütterlich wohlwollendem Son: „Outen 
Sag, Henry! Vor mir brauden Sie ſich abfolut nicht 
zu genieren, fo eine Landpomeranze ift nicht etepatete!“ 
— And fie lachte filberhell auf und fchüttelte feine 
Rechte, daß die Gelenke fnadten. 

Henry wurde noch röter, verneigte ſich fehr heftig 
zweimal nacheinander, ohne die junge Dame anzufeben, 
und trat dann, den Kopf mit einer hochmütig unnah⸗ 
baren Bewegung in den Naden terfend, nad) Der 
Zür zurüd. 

„xeifteft Du uns nicht für kurze geit Geſellſchaft, 
my boy?“ 

„Dedaure, liebe Mamal Mein ehemaliger Mentor 
erwartet mid) in meinen Zimmern.“ 

Leife und heiſer Hang die Stimme, abermals eine 
furze Derneigung, und die Portieren fielen Hinter Dem 
Sohn Ferdinand Antignas zufammen. 

„Mein guter Henry Hat vor acht Tagen fein Re- 
ferendarezamen gemacht!“ lächelte die Gräfin, ihm nach⸗ 
Ichauend, „er bat ſich entſchieden überarbeitet und ift 
Dadurch noch menſchenſcheuer als früher geworden.“ 

„3a, er machte ein ganz fauertöpfiges Geſicht!“ nidte 
Herr von Kuffftein mit bedenklicher Miene. „Ste müſſen 
ihn beizeiten flott machen, befte Sräfin, ehe diefe Ma- 
rotte einroftet. War er denn nit Korpgftudent?“ 

„Aur dem Namen nad. Das müfte Treiben der 
Derbindungen war ihm ein Sreuel. Mein Mann und 
ich waren Stets fo glüdlich über unfern foliden, charalter- 
feften Sohn, befommen aber jet Bedenken, weil es mit 
feiner Scheu por allem Verkehr Tranfhaft zu werden 
Drobt. Immer nur Lernen und Studieren taugt nicht 
für junges Blut.“ 

„Ja, aber, du lieber Gott, was wollen Sie denn mit 
ihm anfangen, Tante Renee?“ alterierte fi Arfula, 
ratlos die Händchen zuſammenſchlagend. Die Gräfin 
lächelte fein und mwunderfam. Ihr Dlid baftete auf 


156 


dem frifehen Geſichtchen, das fich mit großen, nur 
gterig naiven Augen zu ihr bob. 

„Henry bat id) bis jett ftandhaft geweigert, —— 
welche Geſelligkeit mitzumachen, und Strenge, die ihn 
mit gebieterifcher Hand in den Strudel des high life 
ftößt, würde bei diefem Trotzkopf gerade das Gegenteil 
betvirfen. Seine ſchwärmeriſche Liebe für unſer Herr» 
ſcherhaus ift die einzige ſchmale Planke, aus der ich 
boffentlih ein Steg zum Parkett fchlagen läßt; bat er 
ihn überfchritten, ift er der Welt geſchenkt!“ 

„Am Hof... zwifchen all den vielen Menſchen wird. 
er fih aber erft recht fürchten und fich die Sache noch 
mehr verefeln!* jchüttelte das Backfiſchchen nachdenklich 
den Kopf. 

Gräfin Antigna zudte mit amüfiertem Lächeln die 
Achſeln: „Da heißt es eben ‚va banque'! Daß der Träger 
eines der beften Namen fi und feiner Familie gemijje 
Rückſichten ſchuldig ift, fteht außer Trage. Die drei 
Wappenfähnlein der Antignas Haben, folange fie ezi- 
ftieren, in Hofluft geweht; Hofluft hat jedes Ziweiglein 
unjres Stammbaumes genährt, in der Hofluft find Die 
Ahnen und Urahnen geboren und geftorben, darum bat 
fie Rechte an die Enkel. Henry möchte mit raftlofem 
Eifer ftudieren und Profejfor werden;: feine Begabung 
prophezeit ihm eine bedeutende Zukunft. Mag er in 
Gottes Namen dereinft den ‚Mantel der Doltrin‘ um fein 
Wappenſchild fchlagen, porerft hat er feine Paſſion 
feinen DBerpflihtungen zu opfern.“ 

Die Sprecherin fchien ihrer Miene nach zu fcherzen; 
fte plauderte in dem leichten, graziöfen Konperfationg« 
ton wie zubor, aber in ihrem Auge, das fich zur Tür 
wandte, als folge fein Blid noch ber fchlanfen Geſtalt 
des jungen Mannes, lag wieder das fafzinierende, un« 
erllärlihe Etwas, das vorhin ſchon mächtiger als alle 
Worte den Sohn über die Schwelle gerufen. Dann 
änderte die Gräfin das Thema, erzählte von ihrem 
jüngften Sohn, der zurzeit noch die Ritterafademie be- 
juchte, von Graf Lohe, ber fich vor faum einer Diertel- 


157 


ftunde von ihr verabſchiedet Habe. Ihr DBlid traf Dabei 
Urfulas eifrig aufhorchendes Geſichtchen. Herr von Kuff- 
ftein erhob fih und warf feinem Böchterhen den Muff 
in den Schoß. „Mach deinen Knids, Fröſchchen, und 
fülfe der gnädigiten Tante mit der gehorjamen Anfrage 
die Hand, ob. du übermorgen mit Sad und Pad bier 
einrüden darfſt?“ 

Henrys Mutter hatte eine filberne fleine Glocke in 
Bewegung geſetzt. Jetzt legte ſie den Arm um die 
Schultern des jungen Mädchens und zog es mehr liebens— 
würdig als innig an fich heran. „Wollen Sie mir eine 
große Bitte erfüllen, mein alter Freund Kuffiteim?“ 
fragte fie in der pornehm graziöjen Weiſe, die  Urjula 
Ihon bei dem erjten DBlid als etwas ganz Defonderes 
aufgefallen war. 

„Wenn Sie es befehlen, meine gnädigfte Gräfin, eſſe 
ich ſelbſt Stiefelwichſe und laſſe mich trotz meiner drei— 
hundert Pfund noch zum Schlangenmenſchen trainieren!“ 

Die Palaſtdame lachte leis und melodiſch auf: „Solche 
Wünſche würden barbariſch fein! Non, mon ami, mein 
Attentat richtet fich Tediglih gegen Ihr Vaterherz. 
Laſſen Sie mir Urſulachen fchon jett als lang erfehnte 
Tochter zurüd, Holen Sie Ihr Gepäck im Hotel ab 
und machen Gie meinem Mann und mir Die große 
Steude, unfer Logierzimmer als Ihr home anzuſehen!“ 

„Sie find ja ein Engel, gnädigite Gräfin! Jedoch 
was mich anbelangt, jo bitte ich als unrubiger und ver— 
frautjunferter Geiſt allergehorfamft, mich mit meinem 
Quartierbillet ruhig in den Armen Des wadern Hotels» 
wirts liegen zu laſſen! Habe meine Zahnbürfte und 
die Nachtlappe bereits ausgepadt und ſcheue jeden Um«- 
zug, wie die Kate das heiße DOfenbleh. Aber Die 
Urichel-Purfchel... gern gebe ich das Ping nicht ber, 
aber wenn Sie denten... Hel Fröſchchen, willſte gleich 
bierbleiben?“ 

Urfula kniff den Vater in den Arm. „Was haft du 
denn gejtern in der Drofchfe gejagt, Hm?“ 

Der DBefiter pon Groß⸗Wolkwitz wurde beinahe ver— 


158 


legen: „Wenn doch aber die gnädigfte Tante es wünſcht, 
Urſchel⸗-Purſchell Heute abend Hole ich dich ab, dann 
fahren wir in die Reichshallen!“ 

„Hören Sie mid), befter Rittmeijter. Zu Tiſch, um 
fünf Ahr, find, Sie felbftverftändlich unjer Saft. Wir 
Dinieren zujammen und fahren dann in das Opernhaus, 
uns die ‚Quftigen Weiber‘ anzujehen. Das wird Urfula= 
chen viel Bergnügen bereiten und ift ſehr bequem, weil 
unfre Pläße abonniert find. Einverſtanden?“ 

„zuftfigen Weiber?“ Die Augen des VBackfiſchchens 
blißten. „Das klingt ja ganz famos! Wird gemadıt, 
liebe ante, da müjjen wir Hin!“ Und das Köpfchen 
über die Schulter zum Dater umivendend, fügte jie 
jelbftbewußt Hinzu: „KRarre du meinetwegen ins Hotel 
zurüd! Ich bleibe gerade jo gern bier!“ 

„Aber Urfchel-PBurfchel, das jagfte jo kaltblütig?“ 
Der tiefe Baß grollte in noch tieferem DBorwurf. 

„Am Gottes willen, lieber Baron, machen Sie mir 
Doch das Kind nicht felber rebellifch!* wehrte die Grä— 
fin und wandte das Haupt gleicherzeit nad) der Tür, 
in der ein Diener erfhienen war. „Iſt der Herr Graf 
pom Auswärtigen Amt zurüdgefehrt?“ 

„Roh immer nicht, gräflide Gnaden zu Befehl“ 

„Es ijt gut. Wartet der Wagen für Herrn Baron?“ 

„gur Stelle, gräflihe Snaden.“ 

Eine leihte Handbewegung. Per graue Kopf des 
Alten neigte fich reſpektvoll und die Bortieren ſchloſſen fich. 

„Nun fehnell, mein guter Kuffiten! Abſchied wird 
für die zwei Stunden nicht genommen. Um fünf Ahr 
auf Wiederfehen bei einem Zeller Suppe; dann fann 
Ihnen mein Pflegetöchterchen bereits erzählen, ob fie 
mit ihrem Kleinen Salon zufrieden tft! Ich führe fie 
ſofort perfönlih in ihr zufünftiges Rei. Alſo, auf 
Wiederfehen, mein lieber Freund, auf Wiederjehen!“ 
und bie ſchlanken Zinger, über Die fich der alte Herr 
neigte, fie abermals zu küſſen, dirigierten ihn ebenfo 
unfihhtbar, aber auch ebenfo unwiderftehlih wie den 
Sohn Henry; diesmal rüdwärts. 


159 


Kuffftein verftand bie Abſicht. 

„Adteu, Fröſchchen!“ fagte er poll ergwungener Heiter⸗ 
teit, verabfolgte feinem SHerzblatt einen zärtlichen Nafen- 
ftüber und mwuchtete „mit vielen einftweiligen Grüßen 
an den verehrten Herrn Gemahl“ über die Schwelle. 

Urfula aber zog die Gräfin mit ans Fenſter, riß 
flint die Scheibe auf und raffte den Schnee auf dem 
Senfterbrett zu einem Ball zufammen. 

„Was willft du denn tun, Urfelhen? Ich denke, wir 
wollen deinem DBater einen reſpektvollen Gruß nach⸗ 
winfen?“ 

Der Heine Abermut wandte lachend das Köpfchen, 
die Antwort ſchwebte bereits auf den Lippen, daß Dies 
ja der ®ruß für Julchen werden folle... Da fah fie 
in die Augen der Gräfin. Freundlich und lächelnd 
faben fie zu ihr nieder, aber fo durdhdringend klar 
und fo bobeitspoll und fo ganz eigentümlich, daß Arfula 
ein nie gelanntes Gefühl von Unficherheit und Der- 
legenheit beichlich: 

„Ich Wollt’ nur mal da den Spatz werfen!“ fagte 
jte und zielte mit dem Schneeball auf gut Slüd in die 
Sichtenzweige. 

„Sut, daß er fort ift, mein Herzchen! Wie fatal 
wäre es getvefen, wenn er ganz aus Zufall deinen guten 
DBater getroffen Hättel Pie Leute Hätten eine ganz 
falfche, Häßliche Meinung von dir befommen!* 

Und die Gräfin winkte Herrn von Kuffftein lächelnd 
zu, und Urfula machte es ihr genau nach und dachte: 
Qun nimmft du dich famos aus! 


Sechzehntes Kapitel 


Herr von Flanken dachte in allen Dingen ſehr fon» 
fervativ und war ein erflärter Feind jeglicher Neuerun« 
gen; aber was zu viel ift, das ift zu viel. Kinderlärm, 
drei Klaviere, eine ®eige und zwei fingende Geheim⸗ 
ratstöchter, und im Anfchluß daran rauchende Öfen und 


160 


allerhand vielfüßige Sinquartierung... nein, Das war 
felbft für diefen Oberleutnant zu ſtarker Tabak, und 
darum fagte Herr von Flanken eines fchönen Tages zu 
Niekchen: „Du, Nielchen, morgen ziehen wir um.“ 

„Befehl, Herr Leutnant, — werrd if paden Sachen 
unſrigte!“ 

Der Unſitte, ſich ſelber eine Garçgonwohnung mit 
allem erdenklichen Luxus zu möblieren, huldigte Flanken 
durchaus nicht. Er war eben in allen Dingen Original, 
und während die meiſten ſeiner Kameraden ihre Zimmer 
mit bequemen Diwans, ſchwellenden Teppichen, pracht⸗ 
vollen Bronzen und Gemälden vollſtopften, entfernte 
der ‚moderne Merlin‘ alles, was nur einigermaßen an 
derweichlihende Gleganz erinnerte. Lohe behauptete: 
er übertriebe es! Seine Zimmereinrihtung fei nicht 
einfach, fondern abfurd. 

Der Umzug war unter Niefchens umfichtiger Leitung 
bewerfftelligt worden, und heute mittag plötlih kam 
der Herr Oberleutnant mit finnend gefalteter Stirn nad) 
Haufe, warf die Reitgerte auf den Tiſch und febte fich 
Io kräftig vor dem Schreibtifch nieder, daß der Holz- 
Ihemel in allen Fugen fnadte. Mit Ruhe und Sründ- 
lichfeit mufterte er alle Briefe und auch den Inhalt 
der Ledermappe durch. Da Hatte er die DBefcherung! 
Das Tam von feiner Sutmütigfeit! 

Als er nämlid) nach beendigtem Manöverurlaub wie- 
der in fein Winterquartier eingerüdt war, hatte eines 
Ihönen Tages Lohes Gquipage por der Tür gehalten. 
„Schnell, mein Jungel Streife dir die erfte ©arnitur 
an, nimm ein reines Tajchentuch und begleite mich!“ 

„Wohin?“ 

„Bet General von PDern-®roppen einen Antritts- 
nid machen!“ 

„Haft wohl einen Rappel, ich Tenne gerade genug 
Menſchen, ih made Leine Bifiten mehr!“ 

Da Hatte Lohe voll fittliher Sntrüftung das Zitat 
angewandt: „Sin Mann, ein Wortl* und er hatte 
ihn an jenen verhängnispollen Abend in Alt-Dobern 


11 Eſaſtruth, Hofluft = 161 


erinnert, wo er den Damen bereits feinen Befuch in der 
Refidenz angelündigt babe. 

„Ich hatte einen Spitz, Marien — auf Wort — 
aber, zum Blitz und Knall, wenn du meinjt, Daß ich 
verpflichtet bin, fann ich ja pro forma eine Karte ab- 
werfen!“ Und ftöhnend hatte er die Tſchapka auf fein 
fraufes Haar gedrüdt und war mit gu Groppens und 
zu Gräfin Antigna gefahren, aus Rüdficht für Fräulein 
Urſchel⸗Purſchel. 

Beide Herrſchaften waren nicht zu Hauſe geweſen, 
und Flanken hatte die ganze Spazierfahrt beinah wieder 
vergeffen, als ihn Lohe heute morgen gefragt batte: 
„Ra, wir ſehen uns doh am nächſten Mittwoch bei 
Groppens! Haft du ſchon zugefagt?“ 

„Mittwoch — Groppens —? J wol Ich Habe gar 
feine Sinladung erhalten!“ - 

„undenkbar. 88 ift ein Riefenfeft, und wer nur jemals 
bei dem Herrn General angellingelt bat, ift befoblen!“ 

„Aber ich verfichere dich, ich bin nicht gewünſcht! 
Dann haft du bie Karte belommen?“ 

„Bor ſechs Tagen bereits.“ 

„Donnerwetter — an meinem Ylmzugstermin!“ Zlan- 
fen fraute fich binter dem Ohr und ſtieß einen pfeifen- 
den Ton zwiſchen den Zähnen berbor. 

„2a da haben wir's! Haft den Brief in der Räu⸗ 
merei verbummelt oder Niekchen Hat ihn in die Mappe 
gefchoben, ſuch' Doch einmal nach.“ 

And nun faß der Oberleutnant und fuchte und fuchte, 
aber er fand nichts. 

„Kreuz Birnbaum und Hagelmetter! Nielen!“ 

„DBefehll, Herr Leutnant.“ 

„Kerl, wenn du mir einen Brief verloddert haft, fol 
bi ein Unglüd Holen! He, Nielchen, ift am Umgugstag 
eine Einladung gelommen?“ 

„Sind fit jeden Tag Driefeln gelommen, wos ich 
Bab abgeliefert an Leutnant. Am Umzugstag waren 
fig zwei, Sterbebriefel mit ſchwarzem Randel und 
ander großes DBriefel mit Suldftempel Hinten drauf.“ 


162 


„Ah — richtig — Ich entfinne mich, ftedte fie in 
meine alte Jagdjoppe, tweil’s ſchon zu Dunkel zum 
Leſen war. Hol’ mal die Foppe aus dem Schrant —“ 

„38 ſik grüner Kittel von Herrn Leutnant an YUlan 
Grohnbach, wos war aus Heimatdorf von Herrn Leut- 
nant, verſchenkt worden.“ 

„Schod Schwerenot!* 


Flanken ftand fprachlos, beide Hände in den Hofen- 


taſchen, und ftarrte Niefchen an, als wolle er zur Salz⸗ 
fäule werden. Dann ſchwenkte er kurz um und ftiefelte 
mit Riejenfchritten, Ieife por ſich Hin pfeifend, in Der 
Stube auf und nieder. Der Ulan Grohnbach — richtig! 
Der Grohnbach war bei ihm gewefen, Adieu zu jagen 
und einen Brief an den Inſpektor mitzunehmen, und da 
hatte Slanten in den Kleiderfchrant gegriffen und dem 
armen Kerl noch einen warmen Rod mit auf den Weg 
gegeben. Die grüne Joppe! 

Was tun? Flanken fann bin und ber, endlich blieb 
er abermals por Niekchen Steben, fah auf die Uhr — es 
war halb fünf — und legte plögli die Hand auf Die 
Schulter feines braven Wafferpolalen. 

„Niekchen, nit wahr, du bift ein ganz geriffener 
Kerl! Du kannſt ganz fchlau fein, wenn’s darauf an- 
fommt, he?“ 

Niekchens Geſicht ftrahlte. „Kann ik fchon, Leutnant, 
fann it ſchon!“ | 

„But, mein Sohn, dann höre mal zu, was du jebt 
tun follft“, und Flanken ftellte fi) breitbeinig vor jeinem 
Saltotum auf und inftruierte ihn fo genau und fo vor«- 
ſorglich, daß Niekchen ſchon Hätte ein Kretin fein müffen, 
wenn er dieſer langen Rede kurzen Sinn nicht bätte 
fapieren wollen. Und Nielchen grinfte auch fehr ver- 
ſchmitzt und mit eifrigem Kopfniden und legte Die 
Singer an die Hofennaht. „Werd’ if ganz ſchlau an- 
fangen, Leutnant, werd’ if alles ausrichten!“ ä 


In dem großen palaisartigen Neubau, in einer der 
eleganteften Billenftraßen, zog ein Diener die rotfeidenen 


1° 163 


Dorhänge por den Fenſtern zufammen und entzündete 
die Kronleuchter im Speijezimmer. 

Der Herr General von PDern-Öroppen war foeben 
nah Haufe gefommen und hatte, vom eiligen Wind 
gezauft und durchfroren, in erjichtlih Tchlechter Laune 
die Bejchleunigung der Mittagstafel befohlen. Er hatte 
einen bequemen YUniformsrod angelegt und war alg- 
dann durch die lange Flucht der Salons nad) dem Wohn- 
zimmer feiner Töchter gefchritten, einen Kuß auf Die 
weißen Stirnen feiner Lieblinge zu drüden. 

Dort, im heiteren Kreife der Seinen ſchwanden blit- 
ſchnell die Heinen Wollen des YUnmuts, die der Tönig- 
lihe Dienſt in edler Gerechtigkeit por die Sonne Der 
Leutnants wie der ®eneralleutnants treibt, Denn General 
bon Groppen war eine fehr glüdlich beanlagte Natur 
und viel zu fehr Lebemann und Kavalier, um fi all» 
zulange in Gedanken bei den PDifteln und Dornen ftra- 
tegifcher Shrenfelder aufzuhalten, wenn er den Rofen 
und Lilien auf dem Barfett Huldigen Tonntel Geit 
Herr von Groppen in der Refidenz weilte, war eine 
[onderbare Beränderung mit ihm vorgegangen. &$ war, 
als habe ihn das Spldgefunfel feines plötzlichen Reich“ 
tums geblendet. Die Vergangenheit mit ihrem jahre» 
langen Entbehren und Sinfchränfen ſchien ihm ein wüſter, 
fataler Traum, und die Dämone der Eitelkeit, Leicht- 
lebigfeit und Genußſucht, die fo lange Zeit, männlich 
befämpft und niedergehbalten, in feinem Charalter ge- 
Ihlummert Hatten, die hoben jett plößlich wieder ihre 
Ihillernden Flügel und bevölferten all feine Gedanken, 
fein Wollen und Wünfchen. 

Im Salon der beiden jungen Damen brannte eben- 
falls Licht. Lena ſaß an dem runden, pon goldgemirkter 
Dede überhangenen Mitteltifch und Höppelte eine creme- 
farbene GSeidenfpite. Fürft Sobolefskoi ſah ihr dabei 
voll regen Intereffes auf die fchlankten, graziöfen Hände. 
und behauptete nedenderweife, Dieje Arbeit jet von den 
Damen aus fchnöder, ih Gitelfeit erfunden 
worden. 


164 


Jolante ftand auf einem SKiffenpuff und Bemübßte 
fih, den ſchwebenden Goldengelchen, die die maffer- 
blauen Moirsdraperien eines Scdarrangements hielten, 
bronzierte Palmzweige möglihft genial in die Arm» 
en au legen. | 

Sie Iehnte den Lodentopf zurüd und prüfte den 
©ejamteindrud. „Onkel Daniel, ſieh doch einmal! Iſt 
es hübſch To?“ . 

Der Fürft trat, die Hände auf den Rüden legend, 
herzu. „Ganz ſcharmant!“ lobte er. „Es ift wunder- 
bar, Jola, weld) ein Herporragendes Talent du befigeft, 
deine Umgebung zu ibdealifieren! Sch Hätte es nie für 
möglich gehalten, daß diefes Schmudfäftchen von einem 
Zimmer noch verfchönert werden könne, du aber Haft es 
dennoch zuwege gebracht!“ 

„Ja, weißt du, Onkel Daniel,“ und Jolante hob ſich 
auf die Fußſpitzen und bog die leuchtenden Fächerblätter 
fo, daß fie fich des größeren Effektes wegen in dem 
Ecktrumeau fpiegeln mußten, „ich finde nichts hübfcher, 
als ein moͤglichſt geſchmackvolles und reich eingerichtetes 
Boudoir, und nichts barbarenhafter, als Gleichgültigteit 
gegen feine Wohnräume Wie Menfchen ohne Komfort 
leben fönnen, iſt mir rätjelhaft, und daß ein Paar in 
einer ‚Eeinften Hütte‘ Raum findet, und bei einem Tiſch 
und einem Stuhl glüdlich lieben ſoll, das deucht mich 
die krankhafteſte Hyperbel, die je in einem Dichterhirn 
gereift.“ 

„Wenn du die Liebe erft kennen wirſt, Feines Närr- 
hen, wollen wir ung wieder ſprechen!“ Tächelte Lena, 
ohne bon ihrer Arbeit aufzufeben. 

„zenal“ Jolante fchlug laut Iachend die Hände zu- 
fammen, „das Tlingt ja beinahe fo, als ob du einen 
Leutnant mit zweihundert Talern Zulage heiraten wür- 

deſt!“ | 
Die Klöppel Hangen twunderli unter den fleißigen 
Händen zufammen. „Wenn ich ihn liebte, ganz gewiß!“ 

„Nimm mir’s nit übel, dann Tomme ich niemals 
zu euch, dann verleugne ich dich mitjamt deinem ©atten 


165 


und deiner Vierfreppen-Hinterhauswohnung vor Gott 
und aller Welt! Und Jolante warf fich Iachend in 
einen Geffel und verfchränfte die Arme „binter dem 
Köpfchen. 

„Onlel Daniel wird alles —— was du Der» 

fäumft, Prinzeß Zurandot! Nicht wahr, du würdeft mich 
befuchen, Onkelchen, felbft in der allerfleinften Hütte, wo 
man ſo weit, weit von aller Welt ift, daß man fie mit 
all ihrem Haften und Treiben für ein ſchwüles, be— 
ängftigendes Sraumgebilde Hält?“ — Lena Tächelte, 
aber es war, als ſchweife ihr Blid fern hinaus, feucht- 
glänzend wie in Sehnſucht. Daniels Lippen zudten, 
jene Zinger glitten plötlih wie in nervöſem Spiel 
über die Soldmufter ‘der Zifchdede; ehe er jeboch ant- 
worten Eonnte, hatte Jolante ihren Seffel mit Tchnellem 
Stoß neben den feinen gerollt, ftügte fi mit beiden 
Händen auf die Armlehne und fchaute dem Fürften mit 
einem Gemiſch von Neugierde und Seiterfeit in Die 
Augen. 
„Cächerlich, Lena, wie foll Onfel Daniel in dieſer 
Angelegenheit überhaupt mitreden! Bub, wie er Die 
Stim glei kraus zieht, wenn er nur an fol eine 
Mesalliance denkt, die unfre Lena möglicherweife ein- 
mal eingehen fönntel Da fenne ich ihn und feine An- 
fihten beifer. Abrigens* — und Jolante faßte plötzlich 
Die Hand Sobolefskois und wandte fie nad) der Innen⸗ 
Teite — „ich verſtehe mich jetzt ein‘ bißchen auf das 
Wahrfagen und muß doch einmal fehen, ob du wirflich 
ein ſo Laltherziger Barbar bift, wie es den Anfchein hat. 
Niemals Haft du uns aud nur mit einem Sterbens- 
wörtchen verraten, um meld einer Jugendliebe willen 
‚du Junggeſelle geblieben bift.“ 

Des Fürften Hand erbebte, er wollte fie Haftig zu- 
rüdgiehen. „Aber petite, ich bitte dich, bedenke meine 
grauen Haare —“ 

„Mit allem Reſpekt. Aber jetzt hältſt du ſtille, du 
Duckmäuſer, jetzt will ich deine ſämtlichen Flammen 
zuſammenzählen und bein heißes Herz entlarven.“ 


166 


Lena ließ die Arbeit ruhen, ſchlang die Hände in⸗ 
einander und blidte mit ihren großen Augen finnend in 
des Fürften Antlig. „Wie feltfam!* jagte fie harmlos, 
„es ift mir noch nie der Gedanke gelommen, Ontel 
Daniel, daB du jemand anders im Leben hätteſt lieb» 
haben können, als. Mama, Iolante und mid! Ich Tann 
mir gar nicht porftellen, daß dein Herz jemals für ein 
andres weibliches Weſen gefshlagen hat, und Dod) ift es 
fo natürli und fo wahrfcheinlich.“ 

„Nein, Lena, beim Himmel nicht! Such allein hat 
mein Herz gehört, mit feiner erjten Liebe und feinem 
erften und einzigen Slüd.“ 

„Onkel Daniel, du biſt ein verftodter Sünder!“ Tachte 
Solante mit drohend erhobenem Finger. „Wenn du 
auch noch ein fo Hägliches Geſicht machſt — bier, deine 
eigne Hand erhebt fich anflagend wider deine Wortel 
Sieh ber, dieſe fcharfe, klare, ganz bejonders ſtark aus- 
geprägte Linie verrät mir, daß die Liebe eine große 
Rolle in deinem Leben fpielt, daß fie eg ganz und gar 
erfüllt, daß alles Unglück und alles Elend, das jemals 
über dich gelommen, feinen Urfprung in diefer Schidfals«- 
Iinie, in der Liebe bat.“ 

Mit großen, ftarren Augen fehaute Sobolefstot in 
feine Ieife zitternde Hand nieder. „Und das Ende Dom 
Lied?“ fragte er mit heiferer Stimme. 

Solante 309g das Näschen fraus: „Ta, fo weit reichen 
meine Kenntnijfe nicht aus, liebe Durhlaudt! Ich weiß 
nur, daß dieſe Kleine Sternbildtung — ſiehſt du Bier, 
Die feinen ftrablenartigen Striche — die Grfüllung 
eines großen Wunfches bedeuten, und fol ein Stern 
ſchließt Die Liebeslinte in deiner Hand ab. Nehmen wir 
alfo an, du ftehft die Langgeliebte endlich wieder, ihr 
fintt euch in die Arme; dein Wunſch, fie einmal im 
Reben no an die DBruft drüden zu Zönnen, bat ich 
erfültt, ihr Tiebt euch, Habt euch, Lena und ich über- 
reihen den DBrautfranz, riefiges Diner, Riet-bumm«- 
Regimentsmufit, und das lange Lied der Liebe hat J 
Ende erreicht!“ 


167 


„Onlel Dantel! Diefem Prophetenwort mußt Du glau- 
ben!“ jubelte Lena mit weicher Stimme, und Jolante 
griff übermütig in die Schale, die mit Blumen gefüllt 
auf dem Nebentiſchchen ftand, und ſchmückte das Knopf 
loch des Fürften. 

Er verſuchte, ihre Kleinen Hände verlegen abzu— 
wehren, ſprach von Srauerweiden und längft entflohener 
Jugend, und democh leuchtete es in feinen Augen wie 
©lüdjeligfeit, und er war fo heiter und guter Pinge, 
wie feit langer Zeit nicht. 

„Hier fcheint ja Die Stimmung abfolut niht vom 
Wetter abhängig zu fein!“ Hang das Träftige Organ 
des Generals von der Tür herüber; „um fo beffer, 
Kinder, id) bin durchfroren bis ins Mark binein, und 
wenn ihr jemals den Löwen bei der Fütterung im zoolo⸗ 
gifhen Garten an dem Bitter bochgehen faht, dann 
habt ihr einen ſchwachen Begriff von meinem Hunger! 
Grüß' Gott, Daniel — Weiß das Ponnermwetter, mit 
Liebeslattih im Knopfloch? Ich fag’s ja, Mädels, in 
acht Tagen repräfentiert er bei unferm Feft den Sohn 
des Haufes, pflüdt fi) dag jüngfte aller Knöfpchen und 
tanzt Kotillon!* 

„Aber lieber Groppen!“ — und Daniel wurde dunkel» 
rot vor Verlegenheit und Schred über ſolchen Gedanken. 
Der Seneral aber hatte den Arm um ihn gelegt und zog 
den ſchwarzſtruppigen Kopf an feine DBruft, pon der 
andern Seite fchmiegte fich Lena an feine Schulter, und 
Solante griff abermals in die Blumenſchale und bewarf 
Das ‚lebende Bild“ mit dem dazugehörigen DBergiß- 
meinnicht. 

„Komm in Die Mitte, Babyh, daß ich mein Neſt bei⸗ 
ſammen habe! Seht ihr, Kinder, ſolch ein Augenblick tft 
Die Dafe in dem ‚wüften Leben‘ eines Vaters, der bon 
des erjten Morgens Lichte bis zum Brand der Gas⸗ 
Iaternen alle zarten Triebe zwifchen Lanzen und Schwer⸗ 
tern erftiden muß! Wo tft denn Tante Dore, be? Ich 
habe ihr wieder Nahrung für die Lifte mitgebracht!“ 
And Herr von Dern-Groppen füßte feine beiden Töchter 


168 


noch einmal auf Die Iodigen Scheitel und warf dann 
einen Stoß Briefe auf den Tiſch. 

„Ab, neue Zufagen?“ Wie eleltrifiert ſchnellte Jo⸗ 
lante herum und faßte die Kuverts, ihren Inhalt mit 
ſichtlicher Haſt und Erregung durchzuſehen. 

Lena aber breitete gelaſſen ein weißes Seidentuch 
über ihr Klöppelkiſſen und fagte: „Tante Dore iſt bereits 
nad) Dem Eßzimmer gegangen, um den Tifch noch ein- 
mal zu infpizieren! Sie iſt fo ftolz und glücklich darüber, 
Daß du ihre Menüs fo oft Iobft, und möchte fi nun 
in ihren Leiftungen felber überbieten!“ 

„Tante Dore ift ein Prachtexemplar, wenn fie mid 
aber noch lange warten läßt —“ 

„Herr General, die Suppe ift ferbiert!* 

„Srite, das war ein Wort zu feiner Zeit! — Avanti, 
Kinder, fonft falle ih um!“ Und lachend legte Herr von 
Dern-Sroppen die Hand feiner älteften Tochter auf 
feinen Arm und gewann im Sturmfchritt mit ihr die 
Zür. 

„Liebe Solante, ich habe ben Borzug!* 

„Ad, Onkel Daniel, es ift zum Rafendwerden!“ und 
das junge Mädchen warf das letzte der Schreiben zornig 
au ben andern Briefen zurüd und nahm Den Dargereichten 
Arm des Fürften. 

„Sind Abfagen gelommen?“ fragte Daniel erfchroden. 

„Zein, fie fagen alle zu.“ 

„And das verdrießt dich?“ 

Solante preßte die Lippen zufammen, und ihre ge- 
röteten Wangen wurden Iangfam wieder bleih. „O nein, 
bewahrel Wenn man ein Feft geben will, braucht man 
Menfhen dazu; eine jeglihe Komödie fett fi aus 
Alteurs, Statiften und viel Staffage zufammen. Aber 
es ärgert mich, wenn die Leute fo rückſichtslos find und . 
Die Antwort: faft eine Woche lang Hinauszögern. Mit 
Müh’ und Not Hat er Beſuch gemadjt, läßt. nichts 
fehen und hören von ſich, und dabei tat er Doch, damals, 
als wollte er das täglihe Brot bei ung werden.“ 

„Bon wem redeft du denn, Jolachen?“ fragte Sobo- 


169 


Iefstoi mit erftaunten Augen, „wer läßt nichts fehen und 
bören bon fi?“ 

Solante wurde dunfelrot und legte unwillfürlidh Die 
Sand vor den Mund. Dann mußte fie fchredlich huſten, 
fo lange, bis fich der General auf der Schwelle des 
Shfaales umwandte und mit erhobenem Finger fragte 
„Ei, et, find wir etwa wieder im offenen Wagen aug- 
gefahren?“ 

Da gab fein Töchterchen fehr lange und ausführliche 
Auskunft, und als man fi zu Tiſch gelebt Hatte, war 
fie oon feltener, faft nervöſer Geſprächigkeit und Tieß 
feinen andern zu Worte fommen. Tante Pore War 
höchlichſt erſtaunt darüber, denn für gewöhnlich war 
Solante fehr phlegmatifch und ſchwärmeriſch und redete 
nur das Allernotiwendigite. 

DBefagte Tante Dore, die verwitwete Baronin Dorette 
von Loguth und jüngfte Schwefter des ©eneralg, vertrat 
an ben beiden Nichten Mutterftelle und repräfentierte in 
dem ſehr gefelligen und geſuchten Haufe des Bruders. 
Sie war eine etwas Starke, würdevolle Frauengeftalt 
mit nicht geiftoollem, aber fehr Iebensluftigem und lie» 
benswürdigem Antlitz, mit viel Geſchmack und Sinn für 
elegantes Leben und einer faft Findlichen Naivität, was 
Praktik und Ökonomie anbelangte. 

Mit ſehr erwartungspollem Lächeln reichte fie Dem 
Seneral die Feine Glfenbeinfarte, auf die fie jeden 
Mittag Höchft eigenhändig die Reihenfolge der Speifen 
für den Bruber niederfchried. Der braune Seiden⸗ 
ärmel ſchob fih etwas an dem runden Arm empor,. und 
Groppen neigte fich galant und füßte ihn über der breiten 
©pldipange. 

„Rolly⸗pollh⸗Pudding, Poren?“ fagte er gerührt, 
„Damit Tannft du mich ja mal wieder aus dem Grabe 
herauslocken, wenn fein anderes Wiederbelebungsmittel 
hilft. Samos, auf Wort!“ 

„Wenn er nur recht heiß auf den Tiſch !ommt, Das 
tft eine Hauptbedingung für feinen Wohlgefchmad; fowie 
er fteif wird, iſt's vorbei. Wir müffen faltifh einen 


170 


Aufzug aus der Küche bier in den Saal haben! &8 ift 
unerhört, daß das in 11 9eme Haufe verfäumt werden 
fonnte!“ 

Der Diener hatte die Zeller nad dem erften Gang 
gewechſelt. Auf dem Korridor klingelte es heftig. 

„Nur feine Ordonnanz! Gebt kommt ja der Pudding!“ 
feufzte die Baronin in jähem Schred. 

Auch Groppen rungelte die Stirn. „Sieh mal, was 
Ios ft, Fritze.“ 

Der Diener verfhwand und ſchien lange mit dem 
Störenfried zu verhandeln. Endlich erfhien er wieder 
und blieb rapportierend an der Zür ftehen. 

„&zzellenz, da draußen ift ein Ulan, der den Herrn 
©eneral in dringender Angelegenheit zu ſprechen wũnſcht.“ 

„Sin Ulan?“ ſchrie Folante auf. 

„Sin Offizier oder fonft wer? Sprich doch Deutlich, 
zum Donnerwetter!“ 

„Er fagt, er fei der Burfche des Herrn Oberleutnant 
von Flanten.“ 

„Ra, dann wird er wohl irgendeine DBeftellung be- 
treffs des Balles machen wollen; fag’ ihm nur, wenn 
das der Fall wäre, follte er dir's getroft ausrichten!” 

„Soll ich vielleicht mal fehen, Bapa — —“ | 

„Unlinn, fiten geblieben! Werden ſchon feine Staats- 
gebeimnifje fein. Slanten? Flanken? Wer ift denn das 
eigentlih?“* 

Solante Hatte ſich zögernd wieder niedergefebt. 

„Das ift ja der Ulanenoffizier, den wir in Alt- 
D:obern Tennenlernten, Papachen! Der bei Kuffiteins 
im Quartier lag!“ berichtete fie eifrig, die Augen auf die 
Zür geheftet. „Du weißt doch, der riefenhafte Menfch!* 

„Ab fo, ih entfinne mid. Will mich vielleicht zum 
Ringfampf herausfordern laffen, der Teufelskerl!“ und 
Herr pon Groppen griff lachend nach) feinem Rotwein« 
glas. „Die Unterhaltung [cheint ſich in die Länge zu 
ziehen da draußen! He, Walter! Servieren Ste wäh- 
renddeſſen, ic kann folche Unterbrechungen bei Tiſch 
in den Tod nicht ausftehen!“ 


171 


Der Gilberdiener verfchwand eilfertig, in ber Zür 
dem zurüdfehrenden Fritz begegnend. Diefer ſah fehr 
echauffiert aus, juft, als Babe er ſich fchredlidh über 
etwas geärgert. 

„&zzellenz, der Menſch läßt fich abfolut nicht be— 
deuten, der verlangt entichieden den Herrn ©eneral 
felber zu fpredhen, weil es ihm fo von feinem Herrn 
Leutnant befohlen fei. Ich glaube, er verfteht gar nicht 
ordentlih Deutſch, er redet fo Tauderwelih, wie ein 
Slowake!“ 

„Na, zum Vonnerwetter, dann 'rein mit dem Kerl! 
Derzeiht, liebe Kinder, es ift faktiſch eine zu tolle Zur 
mutung, daß ih wegen diejes Flanken meinen Pudding 
im Stich Iaffen foll!* Und die Augen des alten Herrn 
richteten fich nach der Silberplatte, auf der fein Leib- 
gericht, Löftlih Dampfend, ſoeben in dag ‚immer ge⸗ 
tragen wurde. 

Fritze verſchwand ſehr eilig, und eine Minute ſpäter 
dröhnten des Franuſch Niekchen ſchwere Nägelitiefel 
auf dem Parkett. 

Die DBlide aller Anwefenden Hafteten auf dem büb- 
Then Geſellen mit dem gutmütigen, gebräunten Geſicht 
und den lebhaft blitenden Augen, wie er refpeltpoll vor 
feinem General ftramm Stand und die Finger an Die 
Hoſennaht legte. Sroppen ſtützte die Hand auf dag 
Knie und nidte dem gewiſſenhaften Burſchen in feiner 
jopialen Weiſe zu. „Wie beißt du, mein Sohn?“ 

„Heiß' ik Franuſch Nielchen.“ 

„Burſche bei dem Herrn Oberleutnant von Slanten?” 

„Befehl, Erzellenz.“ 

„And Du follft mir perfönlid eine Meldung maden?“ 

„Befehlt. Hat Leutnant gejogt: ‚Niefchen‘, Togt er, 
‚wirft du geben mit Straßenbahn paſcholl zu General 
bon Sroppen‘.“ 

„Out; und was follit du beftellen?“ 

Niekcheng blaurote Hand fuhr in momentaner Der- 
legenheit Hinter das Ohr, ein verfchmittes Lächeln 
audte um feinen Mund. 


172 


„38 fit Deftellung, wog ts niz fo leicht, Szzellenz. 
Hot Oberleutnant gejogt, daß if foll forſchen und aus“ 
fragen ganz pfiffig, Damit ſik Seneral nix merfen tät.“ 

Die Damen hielten mit abgewendeten Geſichtern ſchnell 
Die Taſchentücher an die Lippen, und Jolante befam 
einen blutroten Kopf. 

Herr pon Dern-Sroppen aber lachte laut auf. „Sei 
ganz beruhigt, mein braver Franuſch Nieichen, und frage 
mich getroft aus, ich merfe abſolut nichts!“ 

Der Ulan blieb todernft. „Hot Leutnant ander Stü- 
berl genommen, und hot grünes Jagdjuppen verſchenkt, 
wo fit Briefeln inftafen! Weiß Leutnant meiniges dar- 
umb niz genau, ob er hot Einladung erhalten für 
Ball oder niz Einladung!“ 

Allgemeine, heitere Srregung an ber Tafel. 

„Papachen, du Haft doch Feine Konfufion gemacht?“ 
rief Jolante ungeftüm. „Wo Haft du denn die Lifte?“ 

„Dleib nur fiten, Baby,“ lachte der Offizier Höch- 
lichſt amüftert, „Die Sache können wir gleich fonftatieren. 
Oberleutnant pon Flanten — bm — werde fofort mal 
nachſehen!“ Und er [hob den Stuhl zurüd. 

„Aber befter Bruder!* — und DBaronin Loguth wies 
kläglich auf die Iedere Puddingfcheibe, die fie ihm ſo— 
eben’ auf den Zeller gelegt hatte. 

„3a, mein Dorchen, es tut mir felber Ieid, aber du 
ſiehſt, es Hilft ‚niz‘, der Flanken hat’s noch eiliger alg 
ich!“ und Groppen erhob ich, Tieß feine Leibfpeife im 
Stih und fchritt nah feinem Zimmer. Nach Fleiner 
Weile fam er langfam zurüd, zwei mächtige Liften in der 
Sand. „Himmel und Leutnants!“ murmelte er, „jebt 
lernt man erft fol eine ftrategifhe Macht Tennen, 
Die einen Ballfaal ftügt. Horniſch — Pleſſen — Lanken 
— Röper — Arprecht — Franken — Heerden — Rankow 
— Qufterlig — da fieh mal währenddeffen die Reihe 
durd), Lena — könnt aud) mal merken, daß ihr Gene» 
ralstöchter feid! — SHalfingen — Lüthen — Malsburg 
— Ollmenn.“ Ä 

„ein, ich finde ihn nicht, Papal“ 


173 


„Aha bier!“ Groppen blidte auf das PBapter nieder 
und biß fi auf die Lippe. Dann lachte er leije auf 
und wandte fi in franzöfifcher Sprache an feine An- 
gehörigen. „Sa, bier fteht er, Kinder! Aber ein Kreuz- 
chen Dabei mit der Bemerkung: tanzt nicht; nur Diner⸗ 
einladungen, das hat mir Urſula gefagt, die mir Damals 
die Viſitenkarten der Herren ausfuchen halfl“ 

„Aber Papa, das ift unerhört von Urſulal“ fuhr 
Jolante Höhlihft alteriert empor. „Sr kommt riejig 
gern und iſt amüfanter als viele andere, Die wie Die 
Waſſerfälle tanzen! Der arme Menſch, nun tft er gewiß 
beleidigt!“ 

„Ab, Unſinn, — beleidigt! Du fiehft ja, was für 
Kniffe und Pfiffe der Schlingel in Szene fest, um noch 
eine Sinladung herauszuquetfhen! Na in Oottes Na- 
men, wer gern in mein Haus fommt, tft ftetS gern ge» 
fehen! Laden wir ihn alfo ein.“ 

Dolantes Augen leudhteten, der Seneral aber wandte 
fih au Niekchen und fprad mit lauter und Harer 
Stimme feine Inſtruktion. 

„Alfo zugehört, mein Sohn. Beftelle deinem Herrn 
Oberleutnant einen fhönen Gruß, und er wäre einge- 
laden. DBerftanden?“ 

„Befehll!“ Anftatt aber kehrt zu machen, richtete 
fih Niekchen noch ftrammer als zuvor auf, holte tief 
Atem und fagte: „Hot Leutnant meinigtes gefogt, Niel- 
chen, bot er gefogt, wenn ich bin eingeladen, Dann be» 
ftell Kumpliment böfflihes und ſog', doß Oberleut- 
nant von Flanken niz fommen kunnte, weil er bat Ein⸗ 
ladung anders.“ Einen Moment ftarres Anftaunen des 
biedern Ulanenburfchen, dann ein [challendes, Haltlojes 
Gelächter, in Das der General mit einftimmte und ich 
Die Seiten bielt. | 

„Und darum durfte mein fchöner Pudding eiskalt 
werden, Kinder! — Frite, nimm mal den Franuſch 
Niekchen mit in die Kühe und hänge ihm einen Der- 
dienftorden in Geſtalt eines großen Stüd DBratens um 
den Hals, verftanden? und eine Flaſche Bier Dazu.“ 


174 


Und fich zu dem Genannten felber wendend, fügte ber 
alte Herr voll Humor Hinzu: „Es ift gut, mein Sohn, 
warte in ber Küche, bis ich fertig gegeffen Babe, dann 
follft du einen Brief an Deinen Herrn DDEEUNaN: 
mitnehmen. SKebtt, marſchl 

„Befehll, Exzellenz.“ Und Niekchen ſchnellte mit leuch⸗ 
tenden Augen auf den Hacken herum und marſchierte 
hallenden Schrittes nach der Tür zurüd. 

„Papachen — was — mas millft du dem Herrn 
von Slanten denn fchreiben?“ fragte Jolante fehr leije, 
ohne von ihrem Zeller aufzufehen. Sie war die einzige 
gewefen, die nicht mitgeladht, fondern auffprühenden 
Dlids fich auf die Lippe 'gebiffen Hatte. 

Herr von Dern⸗Groppen ſchob in befter Laune feinen 
Zeller zurüd. 

„sch werde den Herrn von Flanken aus Rache ein- 
laden, morgen bei uns zu effen. Dann foll er zur 
Strafe den falten Pudding, an dem er die Schuld 
trägt, Bis zum lebten Happen ’runterwürgen. Hebft 
ihn auf, Dore, ganz fo, wie er da ift, verftanden?“ 


Siebgebntes Kapitel 


Urſula Hatte fich über alles Erwarten gut in Dem 
Haufe ihrer neuen Pflegemama eingelebt, und als Herr 
bon Kuffftein mit fehr viel Rührung und fehwerfter 
Aberwindung Abfichied nahm, da Hopfte ihn feine Sinzige 
tröftend auf den breiten Rüden und fagte: „Mach doch 
feine Schnaden, Julhen! Was ift denn dabei, wenn 
ih ein paar Wochen bier bleibel Wenn mir die An- 
gelegenbeit flau 'erfcheint, gehe ich einfach durch Die 
Lappen und fomme heim! ®ib mir ein bißchen Reife- 
geld, ja? Pie Mama bat ja befohlen, daß ich außer 
meinem ruppigen Tafchengeld, mit dem ich mich hoͤchſtens 
als Sperrgut aufgeben Lönnte, feinen gebogenen Seller 
in die Hand bekommel“ 

„Du arme Wurm! Ra Warte, dafür wollen wir 


176 


Ihon unfer Segengift verzappen! Meine Tochter und 
fein ©eld haben! Womit follfte denn deine Jugend 
geniefen? Die Mama hat ja gar feinen Begriff, wie 
teuer das Amüjieren in der Hauptftadt ift! Da, Fröſch⸗ 
hen, pad Dir mal diefe Scheine Hier als ‚Rettungs- 
fonds‘ in irgendeinen Strump’ rein; wenn’s alle tft, 
Ihreidfte an mich aparte, verjtanden, fo ein kleines 
Zettelchen, Das ganz harmlos in einem großen Brief 
liegt, — — dann fhid ich dir gang ebenfo harmlos 
eine Kite voll Kuhkäſe oder eine Trüffelwurft und dabei 
eine Portion Silberlinge. Und Hörfte, Urſchel⸗Purſchel⸗ 
hen, daß du dich nicht etwa Hier fchilanieren läßt! 
Du tuft, was du willſt, hat dir feine Menfchenfeele was 
su befehlen! Iſt ja Unfinn mit der Zieraffereil Ih 
war mein Leben lang au ein frifeher gottiwohlge- 
fälliger Kerl, der mit den Flegeljahren fiamefifch ver- 
wadhjen war, und bin doch immer vorweg durch die _ 
Welt gelommen!* 

Arfulas Augen bligten. „Ich mich ſchikanieren laffen? 
Ich ftredte ihnen die Krallen entgegen, wie ein Maitäfer!“ 

Der Dergleidy entzüdte Papa Kuffftein und ließ ihn 
ruhig fcheiden. Urfula aber Hatte beim beften Willen 
feine ©elegenheit, Front gegen irgendwelche Hinten- 
anjegung ihrer ‚tonfirmierten Würde‘ zu machen. 

Tante Antigna refpeltierte die achtzehn ehrwürdigen 
Lebensjahre ihres Pflegetüchterhens in geradezu wohl⸗ 
tuender Weife, und Yrfula, die anfänglid poll Miß- 
trauen die unzähligen Reprimanden, die ihr in Wolfwig 
von Mutter und Souvernanten ftünblich zuteil wurden, 
erwartet hatte, war geradezu verblüfft, daß die Gräfin 
fie vollftändig als Dame behandelte. Sie fchien gar 
nit anzunehmen, daß Urfula irgendweldhen Verftoß 
gegen die gute Form begehen koͤnne, und das fchmeichelte 
der Kleinen ganz gewaltig und fpornte fie an, ohne daß 
fte es felber recht wußte, ſolch ein Vertrauen zu recht“ 
fertigen. &$ lag in dem verzogenen und eigenfinnigen 
Weſen des jungen Mädchens, gegen jeden Befehl ober 
Derweis ein für allemal zu opponieren; hier hatte fie 


176 


das nicht nötig, und die kluge Methode der Gräfin, 
lediglich an das Selbſtbewußtſein ihrer Pflegebefohlenen 
au appellieren, ſchien in jeder Weife richtig zu fein. 

Graf Ferdinand Antigna war ein Stiller, zerjtreuter, 
von Geſelligkeit und Arbeit frühzeitig überanftrengter 
Mann, der fih feiner Familie felten widmen fonnte 
und felbft die Erziehung feiner Söhne der geiftig fo 
bedeutenden ®emahlin ohne Skrupel überließ. — Rense, 
die blonde, lächelnde Frau, ſchlank und biegfam wie eine 
Binſe, führte mit gragziöfer, aber eiferner Energie Das 
Regiment im Haufe, und die Wege, die ihr Llarer, 
Icharfer Geiſt den PBerfonen ihrer Umgebung borzeichnete, 
mußten fie wandeln, mochten fie wollen oder niit. Die 
Gräfin Hatte ſich noch nie in ihren Berechnungen ge» 
täuſcht. Alles war geglüdt, fo wie fie es ermefjen und 
durchgeführt Hatte. Ihr ältefter Sohn war Mufter an. 
Sleiß und Gehorſam. Seine Begabung war ganz außer» 
gewöhnlich, fein frühes Szamen brillant; er berechtigte 
jeine Eltern und Lehrer zu den ſtolzeſten Hoffnungen, 
und Gräfin Antigna nahm mit ihrem anmutigen Lächeln 
die ©ratulationen entgegen und gedachte jener Zeit, da 
Henry dag geiftig trägfte, renitentefte Kind gewefen, das 
jemals die Kinderftube gefannt. Wit weichen, aber 
zwingenden Händen hatte fie das Wunder feiner fee- 
liſchen Wandlung vollbracht, hatte mit filbernem Häm—⸗ 
merlein folange Splitter um Splitter gelöft, bis endlich 
die Lichtblige der Diamanten aus der Ihwerfälligen toten 
Kohle brachen. 

Und mit diefem felben Hämmerlein Huger Berechnung 
modelte fie jet an Urſulas reigendem Bild, wenn» 
gleih ihre Hände dabei ftil im Schoße lagen und 
fein leiblihes Auge ihre Arbeit fchauen konnte. 

Die ereignisreiche Stunde hatte gefchlagen, da dag Heine 
Fräulein vom Land am Hof präfentiert werden follte. 

Graf Ferdinand Antigna war mit feiner Samtlie zur 
Tafel befohlen, und Urfula, ſowie Graf Henry jollten 
bet dieſer Gelegenheit, auf Wunſch Der raue 
den Höchften Herrſchaften vorgeftellt werden. 


12 Eſh ſtruth, Hofluft 177 


Mit glühbenden Wangen und Iuftbligenden Augen 
batte Fräulein von Kuffftein Toilette gemadt. Die 
lange Echleppe, von Krepp Diamant überhangen und 
Durhichlungen von perlgligernden Shenillenegen, ſchien 
ihr ganz bejonderen Spaß zu bereiten,. und die Füßchen 
ehr energifch aufſetzend, fchritt jie Durch Die Länge des 
Zimmers auf und nieder, jich des Triumphes zu freuen, 
Daß der ‚famoje Pfauenſchwanz' wohl oder übel Hinter 
ihr ber mußtel Bon irgendweldher DBefangenheit war 
feine Spur an Urſula zu entdeden. Herzklopfen Tannte 
fie überhaupt nicht, und der Gedanke, daß ein Beſuch 
am Hof doch etwas ganz DBefonderes fei, für ein junges 
Mädchen etwa ein Ahnliches, wie für eimen Krieger Die 
erfte Schlacht, der Gedanke fam Ihr gar nicht in den 
Sinn. Sie freute fi, wie fie fich ftets freute, wenn 
‚was los war‘, und war überzeugt davon, daß man 
im Palais ihren Befuch genau fo als Ehre und Aus- 
zeichnung würdigen werde, wie Daheim, wenn die kleine 
Tyrannin von Wollwis bei dem DBürgermeifter von 
Daſſewinkel mit ‚Bieren lang‘ porfuhr. 

Gie imponierte einftweilen der Kammerjungfer ganz 
gewaltig mit ihren Plänen, was fie der Königin⸗Mutter 
oder ber Prinzeſſin Sordelia alles für forfche Geſchichten 
erzählen wollte, und verjicherte noch einmal, eg fiele ihr 
ja gar nicht ein, ſich bei dem Kompliment auf die 
Haden zu feßen, das fönne fie nicht, ihre Kratzfüße wären 
ja bis jetzt immer fhön genug geweſen! Gräfin An- 
tigna hatte ihr nämlich gezeigt, wie man fi) vor den 
Herrihaften zu verneigen babe, und Urſula Hatte fich 
halb totgelacht und gefagt: „Nee, das tue ich nicht, 
Zante, da kann id) mid) ja lieber gleich rollen!“ 

„Das ift deine Sache, liebes Kind, ich denke, bu 
wirft Dich benehmen, wie alle andern Damen und nicht 
wie ein Baby, das ein Knidschen macht.“ 

„Baby oder nicht Baby! Das ift mir ganz fehnuppe, 
ih made alles, wie ich's fonft mache!“ 

Die Gräfin wechfelte mit. feinem Lächeln das Thema. 
Und nun fiand Papa Kufffteins Herzblättchen im Salon 


178 


und wartete auf ihre gräfliden Pflegeeltern. Sie ſah 
reizend aus, fo zierlich, Ted und elegant, als habe Schlitt- 
gens Feder fie als Feine Skizze gegen die goldfarbene 
Ledertapete gezeichnet. 

Nebenan im Boudoir Hangen Stimmen. Tante Rense 
und ihr Sohn ſchienen in einen Heinen Wortwechfel 
verftridt. Urſula knöpfte gelafjfen ihre Handſchuhe zu. 
— Henry war ein Stieſel! Soviel ftand bombenfeft. 
Sp albern wie er hatte ſich noch fein Menfch zuvor 
gegen ſie benommen. Gigentlich kannte fie ihn gar nicht, 
denn freiwillig hatte der junge Mann nie ein Wort 
an fie gerichtet. Sie fah ihn aud nur bei den Mahl- 
zeiten, und zwar hatte er am erften Tage an ihrer 
Seite gejeffen; als aber Urfula, den Verkehr auf fröhliche 
Weife etwas anzubahnen, ihm meudhlings eine heiße 
Kartoffel auf die Hand legte, fchien er in dämlichſter 
Weiſe verfchnupft zu fein, denn andern Tags hatte er 
mit feinem Mentor den Pla gewechfelt und faß ihr 
nun gegenüber. Urfula dachte in gerechtem Zorn: „Du 
kannſt mir den DBudel "nauffteigen, bis ich mit Dir 
mal wieder einen Wit mache!“ und wartete, bis er ge- 
fälligft eine Unterhaltung beginnen werde. Das geſchah 
aber nicht; im Segenteil, Henry fchien jede Gelegen⸗ 
beit au vermeiden, fi an die junge Dame zu wenden, 
nur feine finfteren ‚unterirdifhen‘ Augen chidten bier 
und da einmal einen ſchnellen Blid unter den ſchwarzen 
Wimpern zu ihr binüber. — Was man wohl fo lebhaft 
zu verhandeln hatte nebenan? Urfula fchlug die Füß- 
hen übereinander und gähnte. 

„And troßdem wiederhole ich dir meine Bitte, Mamal“ 
Hang Henrys Stimme Ieife und durch die Zähne zu 
ihr berüber, „und bei Gott mit gutem Grunde. Wenn 
ich jebt, da ich noch mitten im Studium ftehe, jofort mein 
Doktorexamen abjolpiere, gefchieht es halb fo mühevoll, 
wie in Jahresfriſt, und daß ich jebt an der Arbeit 
bleibe, ohne mich zu zerftreuen, tft für meine ganze 
Zufunft von äußerfter Wichtigkeit —“ 

„Sewiß, my boy! Das fehe ich polllommen ein und 


> 179 


will dich deinen Studien durchaus nicht entziehen; aber 
ich verlange, daß ſie dich nicht pollftändig abforbieren, 
daß der Ölanz deines Wappenſchildes nicht mit Bücher- 
ftaub überzogen werde, daß du über den Poltor nicht 
den Srafen von Antigna vergißt, der die erften und 
größeren Rechte an dich befigt! Du weißt, daß eg deines 
DBaters und mein Wille ift, unfern Namen durd) Dich 
auch für die Zukunft bei Hofe vertreten zu laſſen! Pie 
furze Spanne Zeit, die du den Studien entziehft, wirft 
Du mit Deinem Fleiß und deiner Begabung bald wie» 
der einholen.“ 

„Nicht das iſt es, Mama, nicht das!“ Die Stimme 
des jungen Mannes Flang gegen das ruhige, fühle 
Organ der Mutter erregt und zitternd. „Warum zwingft 
Du mich, mid) felber fo vor dir zu demütigen, mit 
Worten auszufprechen, was du ahnſt und weißt! Du haft 
jene Kämpfe mit mir durdlebt und durdjlitten, Die 
mich zu einem ftrebenden Menfchen gemacht. AU mein 
Fleiß, all meine vermeintliden Fähigkeiten jind Un- 
natur, Deine eiferne Strenge, für die ich Dir dankend 
die Hand küſſe, Haben jene glänzenden Sigenjchaften wie 
einen Banzer um mein ureigentlihes ‚Sch‘ geichmiedet. 
Das Teichtjinnige, Ieidenfchaftlihe und zügellofe Blut 
der Antigna, das ſchon als Knabe in mir repoltierte, 
liegt dahinter in Bann und Ketten. Arbeit und Streben 
find mir zur Gewohnheit geworden, weil Du es fo be» 
fablft; du Haft fie mir aufgepfropft, wie einen edlen 
Zweig auf wilden Schößling. Jetzt aber will das 
fremde SlIement mir in Fleifh und Blut übergehen, Die 
Arbeit beginnt meine Paſſion zu werden. Mich jebt 
aus meiner Bahn berausreißen, mir Welt und geben 
zeigen, heißt meine Zukunft opfern!“ 

„untoiefern?“ 

Seine Worte Fangen erjtidt, wie in flehender War⸗ 
nung. „Ich kenne mich beffer, als du mich kennſt, 
Wutter. Ich weiß, welch fchweren Kampf ich gegen 
meinen Charakter zu Tämpfen babe. Ich Bin ein Sin- 
ſiedler, ein menſchenſcheuer Narr geworden, teil ich 


180 


es nicht wagte, mic) einer DBerfuhung auszufegen, ich 
hätte ihr nicht widerſtanden. Sch bin ein Antigna. 
Leben genießen, die Jugend verträumen und verjubeln 
ift der Sifttropfen und das Srbteil unfres füdländiichen 
Blutes. Mein Leichtfinn ringt mit meinem Pflichtge- 
fühl; erringe ich jegt nicht den Sieg, erringe ich ihn nie.“ 

„Du bift ein Phantaſt, mein Tieber Henry. Der 
Verkehr bei Hofe verträgt fich mit den folideiten An⸗ 
fihten!* | 

„Sr ift der Anfang pom Endel Gr tft jener erfte 
Stern am Himmel, dem taufende folgen, und wenn 
man einmal feinen Glanz gefhaut, gewöhnt man jid) 
nie wieder an die Duntelheit.“ 

Henry war an die Tür getreten und hatte fie ge» 
öffnet; Hoch aufgerichtet ftand er, die Türflinfe in der 
Hand, eines letten Beſcheides harrend. Urfula konnte 
in das Bouboir jehen. Sie ſchaute juft auf die Gräfin, 
die ruhig und beftimmt wie ftets por ihrem Sohn ftand 
und den wunderfamen DBlid feft auf fein Antliß beftete. 

„Bollende deine Zoilette, mein Sohn; der Wagen, 
der dich deinem Fürften und Landesherrn zuführen Joll, 
wird in einer Dierteljtunde por der Tür ftehen. Auf 
Wiederfehen, my boy, nicht mehr mit dieſer finfteren 
Stim, fondern ftolz wie ehemals die Knappen, ba fie 
ein königlich Schwert zum Ritter ſchlugl“ 

And die Stäfin lächelte ihm anmutig zu und reichte 
die Hand dar. Henry Füßte fie. „Sch werde bereit 
fein, Mama.“ Und damn trat er über die Schwelle und 
ſchloß Hinter fi die Tür. 

Als er das Zimmer durdhfchreiten wollte, erblidte er 
Urfula und wich bei ihrem Anblid frapptert zurüd. 
Gr ſah fehr bleich aus, und feine Augen, die zum 
erftenmal dem Blid des jungen Mädchens in vollem 
Anſchauen begegneten, waren von dunfel fprühendem 
Glanz. 

Sinen Augenblick ſtarrte er auf die farbenprächtige 
Erfheinung, dann legte er ſchnell die Hand gegen die 
Stirn, als befänne er ſich. 


181 


„Wir find Schidfalsgenoffen? Sie werden heute auch 
zum erftenmal SHofluft atmen, Fräulein Urfula?“ 

Noch niemals zuvor Hatte er fie angeredet, groß und 
überrafcht blidte fie zu ihm auf. 

„Na natürlih! Sch Tomme mir por wie ‚das Heine 
Zämmlein weiß wie Schnee‘, Das mit einer Strippe um 
den Hals auf Srafung geführt wird!“ 

Er lächelte zerfireut. „Sie tragen Mohnblüten im 
Saar und an der Bruft — aus Zufall?“ 

„zante Rense hat fie ausgewählt; vielleicht will fie 
den Leuten glei) ‚Dur die Blume‘ fagen, daß ich 
noch ein riefiges ‚Mohntalb‘ Bin!“ Und Fräulein von 
Kuffftein belachte ihren vermeintlihen Wit mit lauter 
Stimme. | 

Henry biß ſich leicht auf die Lippe, ohne mitzuladhen. 
„Bir wollen die gleihen Farben tragen. Ste offiziell, 
und ih ſymboliſch und verftedt. Geben Sie mir eine 
diefer roten Blumen der DBergeffenheit und Betäubung, 
ih Bitte Sie darum!“ Er ſprach haſtig und Ieife, den 
Did underwandt auf den DBlütenftrauß an ihrer DBruft 
geheftet. | 

„Meinetwvegen! Kleben Sie fi diefen rigebrand- 
farbenen SKladderadatih ins Knopfloch! Puterhähne 
wird’s ja nicht geben, die wir wild machen.“ 

Er nahm fehnell die Blume, verneigte fich dankend 
und war im nächſten Augenblid Hinter der Tür ver— 
ſchwunden. 

„Ein verdrehtes Subjekt!“ dachte das kleine Fräulein 
vom Lande. „Ich bin wirklich geſpannt, ob er mit dem 
roten Auswuchs über dem Magen losziehen wird!“ Und 
ſie erhob ſich und rauſchte, rückwärts nach der Schleppe 
blickend, vor den Spiegel, um das derangierte Bukett 
wieder zurecht zu zupfen. — Wie lange das nur dauerte, 
bis der Wagen kam, bis Tante Rense im fliederfar- 
benen Moirs antique über die Schwelle trat. Wie 
Ihön fie ausfahl Wie die Teuchtenden Falten Der 
Schleppe bei ihr fo viel gleichmäßiger über das Parkett 
wogten, als bei Arfulal Ste bewegte fich aber auch 


182 


viel langfamer und gemejfener, während fich die Kleine 
fo lebhaft Hin und ber drehte, Daß fich der Stoff in un- 
Ihönfter Weife um die Füße widelte. Die Gräfin hatte 
es gejehen und gelächelt, aber fein Wort gefagt. Das 
machte Urjula verlegener als ein Berweis, darum wollte 
fie eg auch um die Welt nicht wieder zeigen, wie un» 
gewohnt ihr ſolche Sourfchleppen waren. Sie beobachtete 
jede Bewegung der Balaftdame und fopierte fie mit 
der ihr eigenen Grazie und Befchidlichkeit. Und wieder 
lächelte die ©räfin, aber diesmal unbemerkt. Endlich 
lag der Pelz auf den Schultern der beiden Damen, 
endlich beftieg man bie Oalaequipage, Die im Haus- 
flur wartete. 

Straf Ferdinand und fein Sohn, der zu Urſulas 
großer Aberrafhung die Mohnblüte noch nicht angeftedt 
hatte, folgten in einem zweiten Wagen. 

Abermütiger als je benahm ſich der Feine Wildfang 
aus Groß⸗Wolkwitz. Der Himmel Bing ihr voller Baß⸗ 
geigen, fie ſchwatzte und late und kannte auch nicht 
das mindefte Gefühl von Scheu und Beklommenheit. 
Sollten fih Sräfin Antigna und Braf Lohe doch ver» 
rechnet Haben? — — Abwarten. 

Der Lichtglanz der Hohen Gaskandelaber brach fi 
in den gefchliffenen Wagenfenftern, die Gquipage faufte 
die Auffahrt empor und zwei Lafaien fprangen aus 
dent Portal hervor, den Schlag aufzureißen. 

„Do Bin if, ſprak de Swinegell“ rezitierte Fräulein 
bon Kuffftein poll großen Behagens, klappte dem Lafai 
mit dem Fächer auf die dargereihte und dann ſehr 
überrafcht zurüdigezogene Hand, und [prang ohne. Hilfe 
auf den Zeppich nieder. 

Mit neugierigen Augen fchaute fie fi in dem Veſti— 
bül um. „Ab, fieh mal, Tante, die beiden Marmmor- 
terle Haben wir zu Haufe auch! Bei ung fteht aber noch 
der ‚Stierbändiger‘ in der Mitte, dem ich mal Papas 
alte Lederhoſen angeflemmt hatte, als der Landesdirektor 
zum Diner erivartet wurde!“ 

Ihr Lachen Hang ganz ſchauerlich in dem feierlich 


183 


Stillen, hochgewölbten Raum. Tante Rense wandte fe- 
fundenlang das Haupt und fah fie ftarr an. Und wie 
Urſula die Sefichter der Lakaien anſah, ernft und würdig, 
wie fie die junge Dame anftarıten, wie eine Bifton, da 
hatte fie untoillfürlih das Gefühl, als fei fie in der 
Kirche. 

Zautlos wurden die Pelze von den Schultern ge- 
nommen, und als Graf Antigna an einen der Kammer- 
Diener eine Srage mit halblauter Stimme richtete, ant- 
wortete dieſer unter tiefer Derneigung im Flüfterton. 

„Du fag’ mal, Tante, nach was riecht es denn nur 
bier?“ fragte plögli Urſula laut. 

„Ambra.“ Sehr leije fang es von den Lippen der 
Sräfin, und ihre Augen ſahen aus, als ob fie Dabet 
dächte: „Das weißt du nicht?“ — Und die Lakaien ſahen 
fie ebenfalls fo groß und ftarr an — abſcheulich! 

„Was gloten die Kerle mich nur fo an?“ fragte 
Urſula ganz nervös zu Henry auf. 

„Wir find im Palais, Fräulein Urfula!* Hang es 
boll leifen Borwurfs zurüd. 

„Das fängt ja recht Iuftig an! Wird denn bier nie⸗ 
mals laut geſprochen?“ Keine Antwort. 

. Urfula wurde ganz Fleinlaut. Ambra? — Tein, 
das Tann unmögli Ambra fein, das Parfüm gibt’s 
auh in Groß⸗Wolkwitz, aber bier, bier liegt fo etwas 
ganz Gigentümliches in der Luft, es benimmt förmlich 
den Atem und geht fo fühl durch alle Slieder; und 
Dazu mag fie Hinfehen, wohin fie will, überall ftarren. 
fie ein paar ernfte, feierlihe Augen an. 

„Biſt Du bereit, Urfula?“ 

„Natürlich, längſt!“ Ganz unwillfürlich hat die Kleine 
Das helle lachende Organ gedämpft. Der Braf bietet 
feiner Gemahlin den Arm, fie die breite Marmor- 
treppe mit dem blaujfamt gepoliterten ©eländer von 
vergoldetem Schmiedeeifen empor zu führen. 

Arfula und Henry folgen. Auf den Abfäben ftehen 
bielarmige Leuchter zwifhen Palmengruppen, Gobe⸗ 
Iins mit verfchiedenartigften Darftellungen befleiden die 


184 


Wände, und prächtige Malereien unterbrechen den prunk⸗ 
pollen Stud des Plafonds. Kein Laut, fein Lachen, 
fein Wort, Teppiche dämpfen den Schritt, und überall 
weht die abjonderlihe Luft, die fi wie ein kühler 
Singer auf Urjulas Lippen legt. 

Slügeltüren werden aufgeriffen, ein Lichtmeer ſchim⸗ 
mert den Gintretenden entgegen. ®ott fei Lob und 
Danf, aud) Stimmen ſchwirren in zwar nicht ſehr lauter, 
aber animierter Unterhaltung ihnen entgegen. Arfula 
atmet erleichtert auf, ihr Blick fhweift zu dem Antlit 
ihres DBegleiters empor. Seltſam verändert ift es, heiße 
Röte brennt darauf, und feine Augen bligen beim An- 
blick der Pracht und der anweſenden PBerjönlichteiten. 

Zum erjtienmal im Leben bat das junge Mädchen 
das Gefühl, als müjfe fie bleicher als font ausjehen. 
Die fühle Luft, die fo feierlih dur) das Veſtibül 
wehte, ift ihr auf die Nerven gefallen. Jetzt wird eg 
bald anders werden. 

Graf Ferdinand und feine Semaplin begrüßen fi) 
mit den anwefenden Herrſchaften in fehr freundfchaft- 
licher und wohlvertrauter, aber dennoch durchaus form- 
poller Weile. Ein Efordialer Heiner Schlag auf die 
Schulter oder ein Fächerſtoß in den Rüden, wie Urfula in 
den heimiſchen Kreifen gern ihr Erſcheinen im Salon 
ankündigte, fcheint bier eine Unmöglichkeit zu fein. Die 
Kleine fieht fih Die Begrüßungsizene mit großen Augen 
an und findet es in Gedanken furdhtbar albern, daß 
Menfchen, die ſchon jahrelang befannt find, fich derart 
beknickſen! 

Gräfin Antigna iſt zu den beiden Hofdamen de 
Königin-Mutter getreten, ihnen die Hand zu drücken. 
Die DBlide begegneten ſich wie in heimlichem Ginver- 
ftändnis und fehweifen dann weiter zu YUrfula, die ein 
Win? der graziöfen Hand Renses an die Seite Der 
- Pflegemutter ruft. 

„Geſtatten Sie, liebe Komteffe, daß ich Ihnen mein 
eines foster-child Urfula von Kuffftein vorſtelle!“ lä⸗ 
chelt fie. „Sin foeben flügge gewordenes Küchelchen, 


185 


das fih den Winter bet ung amüfteren will! Beſtes 
Stäulein von Jäten, empfehle es auch Ihrem Wohl 
wollen!“ | 

Urfula gedentt daran, Daß fie abfolut feinen fo däm⸗ 
lichen tiefen Knids machen will. Sie blidt lachend 
au der Komteſſe mit den goldblonden Stimlödchen und 
dem feinen englifch gefchnittenen Geſicht empor und nidt 
ihr, fowie Fräulein von Jäten huldvoll zu. 

„Und wie amüfieren!*“ befräftigt fie, ohne eine An- 
rede abzuwarten, „den einen Abend ſchwofen und den 
andern ins Theater gehen und zwifchendurd) fich bei 
Diners 'rumfuttern! Nicht wahr, Tante Rense, fo flott 
muß es gehen, daß mir rein die Puſte verlieren!“ 

Die Eomifhl Die beiden fremden Damen Hatten te 
doch erft fo freundlich und vergnügt angefehen. Jetzt 
mit einem Male machten fie diefelben rımden Slasaugen 
wie vorhin die Lakaien, hoben Das Haupt fteif in Den 
Nacken und wechſelten dann untereinander einen fehr 
eigentümliden DBlid. „Es fol mich freuen, Fräulein 
bon Kuffftein, wenn Sie in unfern SKreifen heimiſch 
werden!“ entgegnete Komteffe von Wartenpogt mit 
ihrer zarten, filberhellen Stimme und ſah Dabei ziemlich 
hochmütig aus; fie wandte fih dann zu Gräfin Antigna 
und fuhr ganz verändert, heiter und liebenswürdig fort: 
„Welche Freude, daß wir endlih auch Ihren Herrn 
Sohn unter uns begrüßen fönnen, befte ®räfin, er 
nimmt Hoffentlich noch ©ratulationen zu dem brillant 
beftandenen Szamen entgegen!“ und fie nidte bereits 
mit Tächelndem Münden dem Grafen Ferdinand zu, 
der foeben mit Henry hHerantrat, den Erben feines 
Namens der Huld der beiden Damen zu empfehlen. 

Urfula bemerkte es höchlichſt verwundert, daß fie Da- 
ftand wie Butter an ber Sonne; ehe fie aber eigen- 
mädtig wieder eine Ynterhaltung anfnüpfen Tonnte, 
nahm Tante Rense abermals ihre Hand. „Komm, mein 
Herzen, ih möchte dich Exzellenz Langern, der Ge⸗ 
mahlin des Landftallmeifters, zuführen; die beiden andern 
alten Damen find Generalinnen.“ 


186 


„Wenn doch lieber die Königin⸗Mutter kommen 
wollte!“ grollte die Kleine, ſich ſehr unbehaglich fühlend; 
„bis jest ift noch gar fein Wib bei der ganzen Sache.“ 

Diesmal fielen aber die Knidfe ſchon bedeutend tiefer 
aus, und als fi) das magere, ſcharfgeſchnittene Geſicht 
der Exzellenz ihr zuwandte, da. fanf Urſula ganz un» 
willfürlih noch etwas mehr in fich zufammen. 

„Ad, Kuffftein!“ nidte die alte Dame, das Antlitz 
für einen Moment in freundlide Fälthen zwingend, 
„it mir ja fehr intereffant, meine teuerfte Gräfin! 
Das einzige Töchterhen unfrer charmanten Dalesta 
Saffeburg-Öhrten, ber ehemaligen Hofdame der Prinzeß 
Ludwig!“ erläuterte fie den umftehenden Damen mit 
fehr wohlwollendem Stimmflang. „War mir ftets eine 
äußerſt ſympathiſche GErſcheinung! Freut mich fehr, Sie: 
-Tennenzulernen, mein liebes Fräulein von Kuffftein, Sie 
müffen mir viel Srfreulihes von Ihrer idealen Heinen 
Mama erzählen!“ 

„Die alte Schachtel meint's wenigftens gut!“ Dachte 
- Yrfula, und darum ftredte fie ihr wie einem guten 
Kameraden die Hand entgegen und erwiderte vergnügt: 
- „Schön guten Sag, Exzellenzl Wenn ich Ihnen viel 
GErfreuliches von Modelden erzählen foll, müßte ich 
Sie mal Träftig anlügen, fonft weiß ich faktiſch nicht, 
wie ich's machen foll!* Sie wollte Tachen, verftummte 
aber ganz erfchroden bei der jähen Wandlung im Seficht 
der Zandftallmeifterin. Die ‚Ratenpfötchen‘, jene hundert 
feinen Fältchen der Freundlichkeit, waren von den Au- 
genwinkeln wie meggeblafen; die dargebotene Hand 
ſchien fte fowiefo gu überfehen, aber nun machte fie au 
die entfeblihen Augen, deren Marmorblid die Be» 
berrfcherin von Wolkwitz bis ins Mark und Bein hinein 
frieren ließ, diefe gräßlichen Augen, die eine fo un« 
beimlide Wirkung auf Urfula übten! Und wohin fie 
ſchaute, überall ftarrten fie diefelben Blide anl Die 
beiden Hofdamen, die Taufchend die Köpfe berumge- 
dreht Hatten, die Kammerherren und Adjutanten, die 
näher berangetreten waren, um fich der jungen Dame 


187 


porftellen zu Iaffen, alle ftanden da wie verfteinert und 
faben fie an, und dann ſanken die Wimpern über Die 
Augen, und fie fuhren in ihrer Unterhaltung fort. 
Urſula aber hatte die Empfindung, als ob fie Die 
gleiche fühle, atembenehmende Luft anwehe, wie im 
Beftibül drunten, eine Luft, die all ihren Abermut 
lähmt und die nämlichen Eigenfchaften zu befiten fcheint, 
wie ein Kappzaum, der den feden Kleinen Füllen an« 
gelegt wird. — Wenn die Menfhhen doch ſpöttiſche 
oder molant boshafte Geſichter machen wollten, dann 
würde Urfula wiffen, woran fie ift und aus lauter Trotz 
erft recht übermütig fein, aber dieſes ftarre Anſehen 
bat nichts Deleidigendes, fondern nur etwas gräßlich 
Deprimierendes. Was hatte fie denn nur getan? 

Aha! Mademoifelle Hatte ihr hundertmal gejagt: „Bei 
DBorftellungen Haft du abzuwarten, ob die betreffenden 
Damen dich anreden — du haft niemals einer älteren 
Dame zuerft die Hand zu reihen — du haft auf ihre 
Stagen reſpektvoll und manierlich zu antworten!” Das 
wird’S wohl gewefen fein, was die Leute fo verfchnupft 
hat! Na, in Zukunft fann fie ihnen ja den Willen tun 
und fi wie eine Drabtpuppe benehmen! Wie es fein 
muß, weiß fie ganz genau, aber fie hat fi) niemals nad) 
Vorſchriften gerichtet. Wieder fteht fie für ein paar 
Augenblide ignoriert. Tante Renee fpricht mit ge» 
dämpfter Stimme zu den alten Damen, und die Erzellenz 
verzieht den Mund zu feinem Lächeln. 

Straf Antigna ftellt Urſula verjchiedene Herren por; 
diefe verneigen fih ftumm und ziehen fich wieder zurüd. 

Abermals fteht Urfula allein. In ihren Füßen Tiegt’s 
‘wie Dlei; fie, die fonft Eommandierend und ſchwadro— 
nierend kreuz und quer Durch jegliche Salons triumphiert 
bat, wagt bier faum noch den Kopf zu wenden. 

Da tritt die Exzellenz wieder zu ihr heran und fragt 
freundlih, ob die arme Mama immer noch Ieidend fei? 

Urſula macht einen Knids und antwortet fo nett und 
mwohlgejittet, al8 wolle fie fi alle Mühe geben, die 
Scharte von vorhin wieder auszuwegen. Und dann tritt 


188 


auch Komteß Wartenpogt zu ihr heran und fragt, ob 
Arjula ſchon mehr am Hof verkehrt habe, oder ob es 
ihr lieb fet, hier und da in ungewohnten Situationen 
einen Heinen Wink zu erhalten. 

„Ad ja, drillen Sie mich, bitte, ein bißchen zurecht!“ 
nidte die Kleine poll treuherzigen Eifers, „es ift mir 
gräßlih, wenn die Leute mich mit ſolchen Rollaugen 
anglumpihen! Ich Tann doch nichts Dafür, Daß ich 
eine ſolch ungebildete Landpomeranze bin!“ 

„Aber mein liebes Fräulein von Kuffitein!* fchüttelt 
die junge Dame mit erzgiwungenem Ernſt das blonde 
Köpfchen, „das wird niemand von Ihnen jagen und 
denten, wenn Sie fih den Formen anpaffen, die bier 
nun einmal innegehalten werden müſſen. Sie find ja 
fo leiht und einfah! Reden Sie in der erften Zeit 
recht wenig, dann find Sie ficher, nihts Ungehöriges 
zu jagen, benehmen Sie ſich fo, wie Gie es bei ung 
fehen, und fein Menfch wird ahnen, daß Sie noch fremd 
in unjern Kreifen find. Was Ihnen zuerft Studium 
ift, wird Ihnen dann fpielend zur Gewohnheit.“ 

AUrſula hob die Anterlippe ein wenig vor. „Ich 
finde dann den Spaß, an Hof zu geben, aber recht 
mäßig!“ 

„Das werden Sie nach dem erften Hofball nicht mehr 
fagen. Treten Sie jett zur Seite neben Ihre Frau 
Dante, Die Herrihaften werden ſich fofort Durch jene 
Tür bierher begeben.“ 

Das Aufftoßen des Stabes meldete Ihre Majeftät die 
Königin-Wutter. Die breiten Flügeltüren ſchlugen aus 
einander, und die hohe Frau trat langſam, das Haupt 
nach allen Seiten neigend, in den Smpfangsfalon. 

Die impofante Feierlichkeit Diefes Augenblids machte 
auf Urfula einen tiefen Sindrud, und um Die Lippen der 
Gräfin Antigna, die ihre Schußbefohlene heimlich beob- 
achtete, fpielte ein Lächeln freudiger Senugtuung. 

Der Sercle der antvefenden Damen und Herren, Der 
fih vor den eintretenden Herrjchaften gebildet, begrüßte 
Diefe durch eine lange und ehrerbietige DBerneigung, 


189 


und Gräfin Antigna, im Dienft einer Palaftdame, trat 
etliche Schritte por und küßte die gnädig dargebotene 
Sand der ©ebieterin. 

Die Königin-Mutter war eine hohe, impojante Frauen⸗ 
geftalt, an der die Iangfchleppende Pracht einer ſchwar⸗ 
zen Samtrobe in fchweren Falten niederfloß. Weiße 
Berlen von feltener Schönheit bildeten in langen Ge⸗ 
hängen ihren Schmud, und auf dem ergrauten leichtge- 
Iodten Haupthaar lag ein ſchwarzer Spitzenſchleier, den 
ein perlengejchmüdtes Samtdiadem zufammenbielt. 

Im Gefolge der Königin traten die zur heutigen 
Tafel anwejenden Mitglieder der erlaubten Familie 
ein. Die Ältefte zum Beſuch weilende Tochter, Herzogin 
bon Würzburg nebft ihrem Gemahl, jowie Prinzefjin 
Sordelia, Nichte der Königin und Tochter Des ver- 
ewigten Prinzen Franz, fowie der füngfte Sohn Ihrer 
Majeftät, Prinz Theobald, die Uniform feines Garde» 
Srenadierregiments tragend. 

Yrjulas Herz ſchlug Hoch. im Halle, als Gräfin An« 
tigna ihre föniglihe Herrin mit lauter Stimme um Die . 
Srlaubnis bat, Fräulein Urfula von Kuffftein präfen« 
tieren zu Dürfen. Wieder diefe furchtbare Stille, wieder 
dieſes ftumme Anftarren aus aller Augen, wieder dieſe 
alte Luft, Die durch alle Nerven riefelt! | 

Yrjula fühlte ihre Knie beben, fie ſank in tiefer, tiefer 
Derneigung vor der hohen Frau zuſammen und wagte 
faum die Wimpern zu beben. 

Sehr huldvoll und gnädig ſchlug die volle Altftimme 
der Königin an ihr Ohr, eine Frage nad) der Mutter, 
Die noch wohl bei ihr in Erinnerung ftehe, und die 
Außerung, daß Deren Tochter in Diefen Räumen, Die 
lange Jahre hindurch die Heimat der ehemaligen Hof- 
dame geweſen, freundli willlommen gebeißen feil — 
Wo waren Urjulas fedlihe Illuſionen geblieben! Kaum 
daß fie es wagte, die [hüchternfte Antwort zu ftottern. 

„Ste hat Valeskas Augen geerbt, fonft finde ich je- 
doch Teine Ahnlichkeit und feinen Zug aus der Sajfe- 
burgſchen Samiltel“ bemerkte Ihre Majeftät noch, mehr 


190 


zu ihrer Palaftdame gewandt, und dann [chritt fie mit 
abermaligen Kopfneigen meiter, Henry und die andern 
Herrſchaften durch eine Anrede auszuzeichnen. Auch die 
Herzogin pon Würzburg richtete ein paar freundliche 
Worte an Arfula, und Prinzeſſin Gordelia reichte ihr 
jogar mit einem unendlich anmutigen Lächeln die Hand 
und war von ſolch heragewinnender Liebenswürdigfeit, 
daß der Heine Wildfang aus Groß⸗Wolkwitz erleichtert 
aufatmend das Köpfchen bob und wieder fefter auf den 
Sohlen der weißen Atlasihuhe ftand. Mit ftaunendem 
Sntzüden weilte ihr DBlid auf der Prinzeſſin, die im 
weißen Spitenkleid zart und liebreizend wie ein Duft- 
gebilde vor ihr ftand. Pie Furzgefchnittenen Löckchen 
umrahmten das rofige Befichtchen, Das wie ein gütiger 
Engel mit ſamtſchwarzen Augen zu ihr niederlächelte. 
Gede Bewegung war graziöfe, mädchenhafte Würde, 
jedes Wort vornehme Natürlichkeit. 

Arfulas Befangenheit war wie durch einen Zauber- 
ſchlag verflogen, und dennod) klopfte ihr Herz por Angft, 
irgend etwas Angehöriges zu tun. Sie würde es ja 
gar nicht überleben, wenn ſich auch) Die Augen der PBrin- 
zeſſin Gordelia jo unheimlich ftarr auf fie Heften wollten, 
wie die der andern Leutel — Bei Tafel überwand Arfula 
den lebten Reft ihrer Scheu. Sie faß der Prinzeſſin 
gegenüber, einen ſehr liebenswürdigen Kammerherrn auf 
Der einen und Graf Henry auf der andern Geite. Ihre 
Lebhaftigkeit, ftetS rechtzeitig gezügelt durch Gräfin 
Antignas warnenden DBlid, mutete durch ihre naive 
Friſche an, und die Palaſtdame fah mit Stolz auf ihre 
beiden Schußbefohlenen, denen fie die Hofluft als heil» 
ſame Arznei verfchrieben. Ihr menſchenſcheuer Sohn 
Ihien den erften Tropfen mit vollem Behagen zu 
Ihlürfen. Seine Lippen blieben zwar noch ftumm, aber 
feine Stirn war heiß gerötet, und feine Augen, die wie 
gebannt an Prinzeffin Cordelia hingen, leuchteten in 
heißer leidenſchaftlicher Glut. 

Seltſam, rote Mohnblüten ſchmückten auch die Bruſt 
der jungen sr 


191 


Achtzehntes Kapitel 


Als der Oberleutnant pon Flanken den Brief Des 
©eneral8 von Groppen gelejen und Niekchens ſehr 
vergnügten ausführlichen Bericht der Szpedition ange- 
hört hatte, fette er ſich langſam auf den nächſtſtehenden 
Holzſchemel nieder und ließ die Hände fchlaff hernieder- 
hängen. 

„Wann mich jett nit der Schlag rührt — nachher 
tut er’s nimmer!“ ftöhnte er, in feinem beimatlichen 
Dialelt fprechend, was er ſtets tat, wenn ihn feine Ge— 
fühle übermannten, und dann wandte er den Kopf zu 
dem jeitwärts ftehenden Franuſch und fagte lakoniſch: 
„Niekchen, einen Schnaps!“ 

And der biedere Wafferpolafe öffnete bebend den 
Heinen Eckſchrank, in dem fein MSebieter ftets einen 
‚Obnmadtshappen‘ in Form eines gigantifhen Schwar- 
tenmagens oder Edamer Käfes bereitftehen batte, ergriff 
Die dickbauchige Flaſche, darinnen ein derber Gilka 
gluderte, und kam den fchiwergeprüften Nerven feines 
Leutnants zu Hilfe. 

„So; und nun die erfte Sarnitur!* 

Mit ſchwerem Stoßfeufzer Hleidete fi Flanten um, 
nachdenklich vor fich Hinftarrend und hier und da einen 
©edantfeniplitter im Selbftgefpräh publizierend: „Sine 
nette Beſcherungl — Eine angenehme Heine Bifite — 
Dombenhagelelement — jebt Tann mir der heilige 
Münckhhaufen beiftehen, daß ich mich aus der eingebrod- 
ten Sauce wieder berauslüge!“* 

Niekchen Stand in unbehaglichem Nichtbegreifen feines 
Herrn mit der Kleiderbürfte bereit und Tratte in Der 
Angſt feines Herzens drauf Ios, als wolle er den 
Rüden des Herrn Leutnants fo ſpiegelblank wichfen, wie 
feine Stiefel. 

Endlich Iegte er ihm den Paletot über die breiten 
Schultern, und Flanken klirrte mit umwöllter Stimm 
nah) der Tür. Sr war ſchon Halb Hinausgetreten, als 
er fih no einmal umwandte: „Nielchen!“ 


192 


„Befehl, Herr Leutnant!“ | 

„Dann gehſte wieder zur DBeichte?“ 

„Seh id übermorgen, Herr Leutnant.“ 

„Na dann vergiß nicht, dem Herrn Pfarrer mit zer- 
Inirfchtem Herzen einzugejtehen, daß du das größte 
Rindvieh bift, das jemals auf dem lieben - Herrgott 
teiner Weide gegraft bat! — Kapiert?“ 

Niekchen machte ein unendlich klägliches Geſicht und 
ſenkte ſchuldbewußt das Kinn auf die Drelljacke, Flanken 
aber legte ihm wehmutsvoll die Hand auf die Schulter 
und fuhr mit ſchwerer Betonung im ſüddeutſchen Stimm⸗ 
Hange fort: „A Sünd ift’s ja grad nit, Nielchen, aber 

.Ihön fs a nit!“ Und er ſchritt mit raſſelndem 
Säbel die Treppe hinab. 

Der Nielchen aber fchämte fi jo fehr, daß ihm 
ganz ſchwach wurde, und davon wußte der Billa nad) 
Wilhelm Buſch ein Lied zu fingen: ‚Das eben tft ja das 
Malheur, wer Sorgen bat, der trinkt Likör!‘ 

Leutnant von Flanken aber warf jih in die nächſte 
Droſchke und fuhr zum General von ©roppen. 

Er traf die ganze Familie in beiterfter Laune bei 
dem Kaffee an, der nad) dem Piner im Yimmer des 
©enerals getrunfen wurde, und fand, daß die Situation 
nicht fo peinlich war, wie er ſich porgeftellt Hatte. Herr 
von Dern-Sroppen nahm ihn allerdings mit ſchlagendem 
Wi in Empfang und glaubte an alles andre eher, als 
an eine von Nielchen verurfachte Konfufion; und als 
Flanken mit wiederholten fporenklirrenden Derbeugungen 
verficherte, daß er fo gern das Tanzfeſt der Herrſchaften 
bejuchen würde, da nahm ihm der General lachend die 
Tſchapka qus der Hand und fagte: „Na, dann ſtellen 
Sie Ihr Schlachtſchwert mal in die Ecke und verſuchen 
Sie, ob Gie meine ſchwer entrüfteten Damen wieder 
perföhnen können! — Haben Ste über die näcdhite 
Stunde verfügt? — RNein?... Na, famos, dann rauchen 
Sie eine Friedenspfeife mit uns und lejen Gie zum 
Deſſert die Konduite, die Ihnen Solante heute ing 
- Tagebuch gefchrieben hat!“ 


13 Eſchſtruth, Hofluft I 193 


Sa, Solantel Flankens DBlid kehrte immer wieder 
zu ihr zurüd, denn fie war Die einzige, Die das Nüs- 
hen ein wenig piliert emporhob und ihn mit den großen, 
träumerifchen Augen ſehr vorwurfspoll anſah. Wie 
follte er fie nur wieder verjühnen? Flanken wurde eg 
bor Angſt fiedend Heiß. Und wie unglaublid reizend 
fie wieder ausjahb! Wenn fie die Mollatäßchen am 
Samowar neu füllte, glichen ihre fchneeweißen Händchen 
graziöfen Keinen Schmetterlingen, die das Silbergejchirr 
umflatterten. 

Dann erinnerte fi) Flanken plößlich des verſprochenen 
Malunterrichts, und weil gerade eine Baufe im Geſpräch 
eintrat, mahnte er Jolante fehr ernjthaft an ihre Ver— 
pflidtungen. Ste nahm's wider Srwarten freundlich auf, 
und unter allgemeinem Gelächter wurde dem Ober» 
leutnant die Erlaubnis erteilt, an den Malftunden der 
jungen Damen bier im Haufe teilzunehmen. Sr beftand 
Darauf, daß der Kurfus fofort beginne, und richtig, am 
andern Sag ſchon, zur feftgejetten Stunde Llingelte es 
gar königli an der Groppenſchen Haustür, und Herr 
bon Slanten betrat mit feierlihem Geſicht das Veſtibül, 
Binter ihm Niekchen, der eine riefige Leinwandmappe 
und einen großen Kaften voll der fchönften Farben und 
Pinſel trug. 

Die junge Malerin, die den Unterricht erteilte, hatte 
gar nichts Dagegen, daß der Alanenoffizier fih an 
den Stunden beteiligte, und Fürft Sobolefstoi fah fich 
den Fall mit an und lachte Tränen bei der ausgelafjenen 
Stimmung, die die fonft fo langweiligen Stunden plöb- 
lich beberrichte. 

„Sagen Sie mal, gnädigftes Fräulein, kann ich nicht 
auch ſolch eine Schürze porgebunden befommen, wie 
Die Damen welche tragen?“ fragte Flanken in feinem 
gutmütig tiefen Baß, und die Lehrerin nidte zu Jolantes 
lautem Lachen ganz ernfthaft und fagte: „Wenn Sie Öl 
malen wollen, würde es der Uniform fehr dienlich fein! 
Haben Sie irgendeinen Wunſch, welches Bild. oder 
welche Dorlage Gie ee möchten?” v 


194 


Der Ulan wiegte das Haupt mit dem blonden Krauss» 
haar überlegend hin und ber. „So was recht Appetit- 
liches! Dielleiht ein Stilleben mit "nem Gafan und 
Auftern drauf!“ 

Fräulein Sorgiſch blidte den Sprecher erjtaunt an 
und ſagte: „Sp ein Künftler find Sie bereits, daß 
Sie fih an folde Aufgaben wagen wollen? Allen 
Reſpekt! Bei wem Haben Sie bis jebt gemalt, Herr 
Leutnant?“ 

Flanken lächelte ſie harmlos wie ein Engel an. „Bei 
niemand; ich bin Autodidakt!“ 

„Haben Sie nicht ein paar Bilder mitgebracht?“ 

„Aber Fräulein Sorgifch, ich Tann doch meine Zijch- 
platte nicht hierher fchleppen! Und die paar Hunde und 
Kaninchen, die ich Darauf entworfen babe, find meine 
einzigen Zeichnungen!“ 

„Ab, fo wollen Sie jett überhaupt erft anfangen zu 
zeichnen?“ 

„Schnaden! Ich male jofort los!“ | 

„Aber, Herr von Flanken, das’ geht doch nicht!“ 

„Ra, dann kann ich ja in Gottes Namen erft mit 
den Faberſchen Bleiftiften Iosarbeiten!* fügte fich Der 
riefige Schüler refigniert. „Schenten Sie mir ein Stüd 
Bapier, Durhlauht — oder fann ich meine Leinwand 
nehmen?“ 

„ein, fo was pon Händen!“ 

„Gott behüte, bier haben Sie ein Zeichenbuch!“ 
And Jolante breitete ein aufgefchhlagenes Heft vor 
ihm aus, „jet wird mit Strichen angefangen; [chöne 
grade Striche — fehen Sie, fo.“ 

„Auf die Striche follen Sie fehen! Fräulein, bitte, 
zeichnen Sie ihm por.“ 

Es war ein unendlich komiſches Bild, wie der hünen⸗ 
bafte Mann mit der vieredig ungefügen Fauſt voll 
feierlichen Ernſtes begann, einen ſenkrechten und einen 
wageredhten Strih nad) dem andern auf das Papier 
au ziehen. 

„Hören Sie mal, Fräulein Sorgifd), das ift ja eine 


13° 1985 


ganz elend ſchwierige Befchichte,* ftöhnte er auf, „ich 
werde einfach das Lineal nehmen.“ 

„Bott bewahre; alles aus freier Hand!“ 

„Durchlaucht, Sie leiden das und wollen Mitglied 
des Tierſchutzvereins fein?“ 

„Bitte, Herr von Flanken, nicht immer dem Fräulein 
Solante beim Malen zuzuſehen — felber tätig fein!“ 

„a ja, ich zeichne Ihnen ja ſchon wieder die ſchönſten 
Spargeln, die Sie fich vorftellen können; id) muß mich 
immer mal verfchnaufen, jonft befomme ich den Zitter— 
fampf in die Hand! Apropos, ih will Ihnen mal 
eine prachtvolle Geſchichte erzählen, gnädiges Fräulein, 
aber Sie müffen auffehben und zuhören.“ 

„Pit, gezeichnet wird und nicht geihwaht!“ 

Fürſt Sobolefstot amüſierte fi) Töniglih, und es 
ar ganz jeltfam, wie Slanfen, diefer wildfremde Menſch, 
gleichwie der befte langjährige Freund plöglich in Dem 
Sroppenihen Haus verkehrte, als verftünde jich Das 
ganz von jelbft. 

And fo erfhten Flanken zwei Tage darauf abermals 
zur Malitunde, fogar am Tag por dem Sroppenjhen 
Ball fand er fih dazu ein. 

Im Salon der jungen Damen brannten die hellen 
Slammen über dem Tiſch, an dem Fräulein Sorgiſch 
die Nachmittagsftunde erteilte. 

Arjula war auch erfchienen, ihre Kufine gu bejuchen. 
„Kinder, den Flanken muß ich pinfeln jehen! Das dente 
ih mir ebenfo vergnüglidy anzufchauen, wie ein Nil- 
pferd, wenn’s Ballett tanzt!“ 

Jolante warf etwas indigniert das Köpfchen zurüd. 
„Wenn du Dich etwa über unfern netten Flanken molieren 
willſt, dann laß dir im voraus fagen, daß wir Das 
in unferm Haus nicht dulden werden!“ 

„Biſt verrüdt! Ich und mich über den einzigen 
Menfchen mofieren, der bier mein Leidensgenofje ifl! 
Es gemwährt jtets einen ſüßen Troſt, wenn ein Tolpatſch 
einem andern begegnet!* And Arfula wollte gewohn— 
heitsmäßig Die Arme dehnen, bejann fich aber und ließ 


196 








ſich ftatt deſſen in einen naheftehenden Schaufelftuhl 
nieder, um ſich lebhaft Darin zu ſchwingen. 
©leichzeitig fat trat Herr pon Flanken ein und be» 
Ttätigte das alte Sprichwort, daß der Wolf meijt Hinter 
dem Buſch Steht, wenn man von ihm ſpricht. Urſula 
war ſehr animiert und eröffnete fofort eine eifrige Unter- 
Daltung, der redenhafte Künftler in der Alanka jedod), 
der fi ebenfo energiſch wie ungeniert feinen Stuhl 
zwiſchen Solante und Fräulein Sorgifch geflemmt hatte, 
hauchte fich erwärmend fo in die Hände, daf alle Iojen 
" Geidenpapiere auf dem Tiſch Hoch aufflatterten; dann 
ſchlug er feierli fein Zeichenbuch auf und fchaute, 
eine ‚Singnaje‘ ziehend, mit zwinferndem Blid zu Fräu— 
lein von Kuffſtein Hinüber. „Hm, das möchten Gie 
wohl! Das fünnte Ihnen gefallen, fich tatenlos bier ing 
Xtelier zu feßen, um recht hübſch unterhalten zu werden! 
Nee, nee, meine Onädigfte, jo ift das nicht Mode bei 
uns, bier wird ftramm gearbeitet! Was glauben Gie 
Denn, wenn man gerade Striche ziehen muß, zweitaufend 
Etüd auf eine Seite, dann bedarf man der Sammlung!* 
And er fette den Dleiftift an und füllte voll feierlichen 
GErnſtes die Doppellinien mit ‚Zanzenfchäften‘ aus. 

„gum Schodöonnermwetter!“ wollte Urjula auffahren, 
aber da fiel ihr ein, daß Prinzeß Gordelia neulich 
bei Tiſch an einer Dame getadelt Batte, fie fluche wie 
ein Unteroffizier, und das fei widerwärtig, und darum 
fagte fie nur, die Hände zujammenfchlagend: „OD Du 
ewige Kümmernis, dann fterbe ich ja vor Langeweile!“ 

„Hier — ſpitzen Sie Stiftel Weiß der Kudud, wie 
dieſe Strihe ein Kapital an Dlei verfchlingen. Gie 
fönnten eigentlich auch helfen, Durchlaucht, als Gegen» 
leiftung dafür, daß Sie bier unentgeltlich die Heizung 
und Beleuchtung des Ateliers mitgenießen!“ 

Urſula und Fürft Sobolefsfoi unterjtügten den flei«- 
Bigen Oberleutnant Durch prompte Reparaturen des 
Handwerkszeuges, Das der Kraft folcher Ginger nicht 
gewachſen war. 

„un fag’ Doch einmal, Lena, wieviel Menſchen 


197 


. 


kommen eigentlih) morgen abend zum Ball?“ beginnt 
Kuſinchen Kuffftein von neuem die Unterhaltung, jchiebt 
die Lippen vor und [habt eifrig an dem ‚Faber Qt. 3°. 
„Ontel iſt ja ganz gefhhwollen por Wonne und Stolz, 
daß Prinzeß Gordelia für eine Stunde ihr Srjcheinen 
zugefagt bat! Sben als ich Tam, gudte ich in den Tanz— 
jaal hinein und ſah ihn mit den Dekorateuren höchlichſt 
intereffiert herummwirtichaften; na, ich wünfche gefegnete 
Mahlzeit, das wird wieder einen guten Batzen koſten!“ 

„Ich babe mir auch die Räumlichkeiten angejehen!“ 
nickte Stäulein Sorgiſch, den Pinfel in die Siena tau— 
hend, „und glaubte mich wirklich in einen Feenpalaft 
verzaubert. Wenn fi) in dem Fleinen DBoudoir, dag 
mit blühenden Orangen und roja Kuppeln dekoriert ift, 
nit jämtliche junge Herrſchaften verloben, dann be» 
greife ich's nicht.“ 

„GErlauben Sie mal, Fräulein Sorgifh!* Flanken 
bob mit borwurfspollem DBlid den Kopf und deutete 
auf fein Zeichenbuch, „nennen Sie das etwa Zeichens 
ftunde? Sie müffen auf die Individualität Ihrer Schüler 
eingeben und aufregende Geſpräche im Deifein eines 
LZeutnants vermeiden. Wenn fie pon Verloben reden, 
befomme ich Herzklopfen, und das ift der Ruin für eine 
ruhige Hand. Hier, fehen Sie ſich die Folgen Ihrer 
Sat an, ift das eine gerade Linie?“ 

„ein, das ift der reine Forellenbach!“ 

„Ruhig, ich werde Herrn von Flanken die Geſchichte 
vom Bratwürſtchen oder vom Däumelinchen erzählen, 
die regt ihn ſicherlich nicht auf.“ 

„Was wiſſen Sie denn von meinem Gemütsleben, 
Fräulein Urfula! Es gibt gar feine größere Alteration 
für einen bungrigen Menfchen, dem es erjt in zwei 
Stunden zum Futterfchütten bläſt, als an DBratwurft 
erinnert zu werden, und was das Däumelindhen anbe- 
langt — ja, fo ein Däumelinchen zerftreut mie auch. 
Da intereffiert es mich, was fol winziges Ding wohl 
mit Sad und Pad wiegen mag, vder was es nn eine 
Handſchuhnummer trägt.“ \ 


198 


„Aber Herr von Flanken!“ Solante zog voll Ent« 
rüftung, unter lautem Gelächter der Umſitzenden, ihre 
Hand zurüd, denn der Sprecher Hatte mit einem Pinfel 
in den Karmin getupft und in der Zerftreutheit ‚Nr. 31/‘ 
auf die zierlihe Rechte feiner Nachbarin gefchrieben. 

„Gräßlich! Was einem gedanfenwirren Menſchen doch 
alles paffieren kann! Einen Augenblid, mein gnädiges 
Stäulein! Das follte fehlen, daß Sie Die teuren Stun- 
den ſchwänzen, um fi die Hände zu wafchen.“ Und 
Slanfen zog haſtig die Fingerchen Jolantes an die 
Lippen und drüdte auf die Nr. 31/, einen Kuß. „So! Pie 
Hauptſache ift verblaßt, mit Dem Reft können Sie nad) 
Der Stunde abrechnen.“ 

Ein lautes, übermütiges Durcheinander, Jolante 
ſchmollt mit dem zierlichſten Mündchen und Lena droht 
lachend. daß Tommentwidrige Kunftfchüler an den Katzen⸗ 
tifh fämen. 

Allmählich legen fih die hohen Wogen. Flankens 
Striche werden immer abenteuerlicher, und er verfichert, 
daß er qanz entfchieden mehr Zalent für Bogenlinien 
babe. Daraufhin darf er Kreife in Quadraten zeichnen, 
was unter qualvolſem Etöhnen ausaeführt wird. Yu 
einem Hübfchen runden Ringlein Tann er es nimmer 
Brinaen, aber er gibt fich, laut feiner Verſicherung, Die 
erdenflichlte Mühe. 

Daniel amüftert fich Föftlich. Der ſchwere Kavalleriſt 
mit feiner aemütlihen Baßftimme und dem biedern‘ 
Humor hat fein aanzes Hera erobert. 

Wolkenlos Tacht der Himmel über feinem Syaupt, und 
der einfame Tiebearme Mann lacht zum erftenmal im 
Leben fo recht aus frohem, leichtem Herzen und über- 
fliegt mit zärtlihem Blid die Heine Runde Ad), daß 
es Doch immer fo bliebe! 

‚Wiederum fpielt fih das Geſpräch auf den bepor- 
ftehenden Ball binüber, und Jolante verfihert mit 
leuchtenden Augen, daß fie unendlidh nern tanze, und 
daß ein quter Walzertänzer ihr noch weit Iteber fet ale 
ein perfelter Schlittfhuhläufer. Flanken fährt feiner 


199 


Gewohnheit gemäß mit gefpreizten Fingern Durch fein 
Kraushaar. 

„Diesmal tanzen wir aber die Polonäfe zufammen!“ 
ſchmunzelt er. 

„Polonäfe?“ Jolante lehnte das Köpfchen zurüd 
und twidelte eine ihrer Lichtblonden Loden in läſſigem 
Spiel um den Dleiftift. „Es wird leider feine PBolonäfe 
morgen abend getanzt!“ 

Der Ulan Flappte mit wuchtigem Nahdrud fein Zei- 
chenbuch zu. „Keine Bolonäfe getanzt? Und das fol 


ein Ball fein? Nehmen Sie mir’s nicht übel, aber _ 


da Tann mir Ihr ganzes Feſt mit famt all feinen 


Prinzeſſinnen und Exzellenzen fechsundzwanzigmal aus .. 


dem Tornifter fallen! Sin Ball und feine Polonäſe! 


Keine Bolonäfe, wenn ich fommel Das braudhe ih mir 
nicht gefallen zu laſſen! Adjeh Sie, ih gebe nad . 


Hauſe!“ 


Fräulein Sorgiſch lachte, Daß fte beide Hände gegen - 


Die Schläfen drüden mußte. „Aber Herr von SFlanken, 


warum legen Sie denn juft fo viel Wert auf die .: 


Polonäfe?“ 


„Weil das überhaupt ber einzig menfchenwürdige : 


Tanz tft!” zürnte der junge Offizier in ſcherzhaft outrier⸗ 


ter Srregung, „all die andern DBallettfprünge Ipielen 


feine Rolle bei mir.“ 

„Das nenne ich umgelehrte Welt! Bis jetzt hörte 
ich ſtets, Daß der Kotillon der verhängnisvolle, Brenn⸗ 
punkt‘ der Tanzkarte feil Wenn eine junge Dame bon 
ein und demſelben Herrn öfter zum Kotillon engagiert 
wird, jo find feine Namenszüge, die jo harmlos auf dem 
goldgeränderten Kärtlein ausfehen, Doch meift Wölk⸗ 
chen, Die Hymens leuchtender Fackel porauswehen, und 
wenn ein junges Mädchen den Kotillon für einen 
beftimmten Tänzer referpiert, fo iſt SHeines Phöniz 
völlig berechtigt, auch von ihr zu fingen: Gie liebt ihn, 
fte liebt ihn!“ 

„Samos, Durchlaucht! Diefe Kundgebung ‚An mein 
Bolt‘ werde ih mir fofort notieren! SKotillon, weiß 


200 


der Teufel, was Das für einen Menfchen, der Die 
Sanzjäle quafi nur vom Hörenjagen Tennt, für einen 
unbeimliden Klang bat!“ Flanken legte die Arme be- 
haglich breit auf den Tiſch und mulfterte die jungen 
Damen nad) der Reihe. Sin verjchmittes Lächeln fpielte 
um feine Lippen. „Aljo der Kotillon! Na, Fräulein 
pon Kuffftein — da wir fo ganz unter ung find — für 
wen heben Sie denn diejen inhaltſchwerſten aller Kin» 
gelreihen auf?“ 

Arfula fchnitt ihm eine Srimafje „Für Sie ganz 
gewiß nicht.“ 

„Sehr brap! Sterne — und find es nur die auf den 
Achſelſtücken eines Ober — begehrt man nicht, und 
DBefcheidenheit ift die Zierde der Jugend. Für Gie 
alſo höchſtens ein Unterleutnant.“ 

„Aber einen Grafl!“ fuhr die Kleine ganz entrüſtet 
auf. — Schallendes Gelächter. 

„Die Zlammenlode an Hyhmens Fackel ſchlägt be- 
reits zum Himmel!“ lachte Flanken, mit der Hand in 
feiner tolpatfhigen Manier auf den Tiſch fchlagend. 
„Alfo Hier find wir orientiert. Weiter. Für wen rejer- 
pieren Sie, Fräulein Folante?“ 

Die junge Dame richtete ihre träumerifhen Augen 
auf das frifch gerötete Antlit des Fragers, legte den 
Dleiftift an die Lippen und beſann ſich einen Moment. 
Fürſt Sobolefskoi räufperte ſich ſehr prononciert. 

„Für den jungen Maler Malte van Doornkat; er 
ift der genialfte Künftler, den ich jemals fennenlernte, 
und erringt fi) auf der nächſten Ausftellung ficher einen 
Preis.“ Jolante fprad) langſam und entzüdt. 

„Sol“ Flanken Happte fein Zeichenbuh wieder auf 
und lachte, aber feine SHeiterfeit Hatte Diesmal einen 
feinen DBeigefehmad von Ingrimm. „Alſo ein zweites 
Herz, Das feine Mördergrube aus fih macht. Da haben 
wir’s ja, ein ſchwindſüchtiger Rafael mit einem Schwa- 
nenhals und Schlangenloden, pfui Deiwel; fo ein Kerl 
ſieht ja aus wie eine QAufter, die in Ziegenmolke 
ſchwimmtl“ 


201 


„Aber Herr von Flanken!“ 

Der junge Offizier hatte voll Zorn ein fehr Tühnes, 
Iangnafiges Profil in fein Zeichenbuch entworfen, jett 
legte er den Stift refigniert hin. „Na, wenn es Ihnen 
ein Troſt ift: auch wie der Apoll von Belvedere; fommt 
ja alles auf eins raus. Mich foll’s freuen, wenn er 
eine Medaille befommt, meinetwegen die von der Maft- 
biehausftellung, wo man ſelbſt meine beften ne 
feiner Deloration gewürdigt hat.“ 

„Ob, pour condoler!“ 

„Danke, gnädiges Fräulein“ — Flanken reichte Lena 
die Hand entgegen —, „ich fehe, Sie find unter Larven 
Die einzig fühlende DBruft.“ 

Yrfula griff drohend nach dem Wafferglas. „Soll ih?“ 

Aber der Ulan fuhr, ungeachtet der allgemeinen Snt- 
rüftung, wehmütig fort: „Und darum darf Ihre fchöne 
Eeele nun als Dritte im Bund aud ihr Bekenntnis ab» 
legen. Mit wem tanzen Sie den Kotillon? In Anbe» 
trat deffen, daß Ste noch nicht porbeftraft find, mit 
Rüdfiht auf die obwaltenden DVerhältniffe und Ahr 
reumütiges und unummwundenes ©eftänbnis, wird unfer 
hoher Serihtshof auf Milderung der Strafe erkennen 
und völlige Diskretion üben!“ 

Daniel rüdte intereffiert näher, er ftimmte in das all» 
feitige Gelächter ein, aber fein Blick fchweifte forfchend 
unter den dunflen Wimpern berpor und baftete auf dem 
zarten Profil, das Lenas Köpfchen ihm zumandte. 

„Ich bin morgen leider Gottes als Wirtin Dazu 
verurteilt, Kotillon zu tanzen!“ lächelte fie, „aber ich 
laffe den Zufall walten und ergebe mich in jede me 
Launen.“ 

Flanken kniff das rechte Auge zuſammen. A, mas 
dal — Ausflüchte — fchöne Redensarten! Sie fürchten 
nur, Sie müffen anftandsbalber mid) nennen, weil ich 
Ihnen eben auch etwas Honig ferpiert Habe! Aber un» 
beforgt, ich bin bereits feit langer Zeit in feften Händen 
— tanze den Kotillon mit Durchlaucht Bier! Alſo nun 
friſch von der Leber weg, wer von all den Sängern 


202. 


läßt Ihr Herzchen fchneller Hopfen, und bei wem halten 
Sie nicht den Daumen auf den Kotillon, wenn er um 
einen Tanz bittet?“ 

Lena lachte Herzlih auf. Dann Tegte fie feierlich 
die Hand auf das Herz. „Bei feinem, Herr von Flan—⸗ 
fen, ich verlichere es Ihnen.“ 

„Dei meiner Schwefter bat die Natur einen großen 
Sebler begangen,“ nidte Solante zuftimmend, „fie bat 
ſich vergriffen und ihr ftatt eines Herzens noch eine 
aweite Seele der Freundſchaft gejchentt.“ 

„Wieviel bekomme ich, wenn ich das glaube?“ 

„Wir beftechen nicht, namentlich nicht, wenn wir zu 
‚Diefem Glauben Profelgten machen wollen!“ 

„sch gebe jede Wette darauf ein, daß der Natur juft 
in entgegengejetter Weife eine Verwechſelung paflierte. 
Anftatt der beiden Seelen der Freundſchaft gab fie 
Shrer Fräulein Schwefter ein Herz, Das jedoch fo groß 
augfiel, daß es nicht Leicht Hält, eine Liebe zu finden, 
die es gänzlich erfüllt. Daß diefe Liebe aber jebt ge» 
funden ift, davon bin ich feft überzeugt!“ 

„Ab, bört, Hört! Der meife Flanken fpricht, und 
Flanken ift ein ehrenwerter Mann!“ 

„Na, da beobachten Sie doch einmal, wie die Gnä— 
Digfte dieſes vierblättrige Kleeblatt malt. Dieſe Innig— 
feit, dDiefer Schmelz; — fo etwas von Hingabe ift mir 
bei einem SKleeblatt überhaupt noch nicht vorgekommen! 
nd nun erft das Bergikmeinnicht Daneben. Ber Pinſel 
zittert ja förmlich, wenn. er daran berumturmen muß! 
Soll das etwa mit rechten Dingen zugehen? ch per» 
fihere Sie, meine SHerrjchaften, die Sache hat einen 
Hafen! Und ich will Little Jambo Plumpubding heißen, 
wenn nicht morgen abend ein Kapvalier in den Tanzſaal 
tritt, dem das Herz des qanädigen Fräuleins genau 
ſo entaeaenzittert, wie der Pinfel hier feinem Bergiß- 
meinnicht!“ 

„Bravo, wir fordern DBemeifel* 

Sobolefstois Auge glühte auf. „Ta, ja, ein König» 
reich für einen Beweis!“ lachte er nervös. 


203 


Lena zudte leicht die Achſeln. „Wie fchade, daß 
ein ſolcher nicht zu finden ift; ich würde mich fo ſehr 
über die neue Difitenfarte des Herrn von Flanken 
freuen.“ 

„Nicht zu bringen ift?“ Zlanfen lachte und erhob 
ji, um nad) dem Nebenfalon zu — „Vorläufig 
halte ich die Wette!“ 

„Na, na, man immer ſachte mit die tungen Pferdel“ 
höhnte ihm Urſula in ihrer draſtiſchen Weiſe nach, 
aber fie ſtand ebenfalls auf und ſchaute ihm mit Iufte 
bligenden Augen nad). 


Auch Fürft Sobolefstoi erhob fih. „Was ſucht er 
denn da drinnen?“ fragte er gedehnt. Aller Augen 
richteten fih auf den ©®ardeulan, als er im nächſten 
QAugenblid wieder über die Schwelle trat. Zn feinen 
Händen trug er die mächtige Alabafterfchale, die als 
Seeroſenkelch inmitten köſtlicher, ſchwer jilberner Blätter 
ruhte und die Viſitenkarten der jeweiligen Saifon barg. 

„So! — Glauben Sie, Durchlaucht, daß diefe Lotos⸗ 
blume, ‚die fi ängftigt und fchweigend die. Nacht 
erwartet‘, die Karten all jener Herren enthält, die 
morgen abend kommen werden?“ 


„Ich glaube es Ihnen wohl mit Beftimmtheit ver- 
fihern zu können!“ Daniels Bruft hob fi in einem 
Aufatmen hoher Erleichterung. 

„Bon, dann Tann der Ouß beginnen.“ Flanken nahm 
feierlih Platz und ftellte die Schale por ſich hin. „Gebt 
wollen wir mal ein ganz einfahes Mittel verfuchen, 
unſre Peliquentin zu überführen. Jede Oppofition iſt 
ausgeſchloſſen. Sch Hatte nämlich mal eine Kufine, die 
glih Fräulein Lena von Sroppen in ganz frappierender 
Weiſe, die wollte auch) den Leuten ein € für en U 
machen und fi dem Kloſter verſchwören, und eines 
Ihönen Tages gehe ich mit ihr fpazteren und nenne 
plötlih) ganz aus dem Stegreif den Namen eines Kas 
meraden; da bekommt fie einen Kopf wie Zinnober, 
bleibt ftehen, ſchnappt nad) Luft und drüdt beide Hände 


204 


gegen das Herz. Nah vierzehn an. ivar fie mit 
ihm verlobt.“ 

„Brillant!“ 

„und nun mollen Sie aud mir den. verräteriſchen 
Namen ſo meuchlings beibringen?“ Lena lachte leiſe 
und melodiſch auf. „Leſen Sie den Inhalt dieſer Schale 
getroſt vor; wenn ich in einen Zuſtand ähnlich dem 
Ihrer Fräulein Kuſine verfalle, verſpreche ich Ihnen 
meine Verlobungsanzeige ebenfalls in eleganteſter Gold⸗ 
umrandung, ſo ſchnell wie ſie der Drucker nur liefern 
kann, zu ſenden!“ 

Flanken kreuzte dankend die Arme über der Druft 
und griff dann ein Päckchen Karten aus ihrem Behälter, 
um — die junge Dame fcharf fizierend — langjam 
einen Namen nad) dem andern abzulejen. Lena ftüßte 
das lieblihe Haupt mit dem zarten, etwas bleichen 
Teint in die Hand und jchaute ihm ruhig, ohne mit einer 
Wimper zu’ zuden, in die Augen. „Wir wollen der 
Jugend die Sreude nicht verderben, Onfel Daniel!“ Hatte 
fte gefcherzt. „Wollte ich die Probe verweigern, möchte 
Herr von "Flanken falſche Schlüffe daraus‘ ziehen.“ 

And Flanken nannte Namen um Namen, und alle 
Anwejenden faßen und jchauten poll brennenden Eifers 
in Lenas unverändertes Antlit. Daniel hatte jich er- 
hoben und ftüßte fih auf den Sefjel. Seine Finger 
liefen in nervöſem Spiel an den Atlaspuffen auf und 
nieder. Fräulein Sorgiſch aber Hatte rejigniert Die 
Hände im Schoß gefaltet, all ihr Proteftieren und zum 
Sleife Mahnen war erfolglos geblieben. 

Da geſchah ein Unerhörtes. 

Slanten nahm eine neue Karte. „Eitel Freiherr von 
Altenburg — kommandiert zur Kriegsafademie*, las 
er, viel flühhtiger als alle Namen zupor. Ein leifer, 
balberjtidter Aufichrei: ‚Lena‘ — und dann flog Daniels 
Seſſel zurüd und Fürft Sobolefskoi ftand neben der 
Ihlanfen Geſtalt des jungen Mädchens, in fiebernder 
Erregung ihren Arm zu faffen. 

Jählings aufgerichtet, mit weit offenen Augen, zu⸗ 


205 


fammenfchredend wie ein pfeilgetroffen Wild, ftarrte 
Lena auf die Lippen des Lefenden. 

„Altenburg?“ wiederholte fie mit zitternden Lippen, 
und dann ergoffen jich heiße, glühende DBlutwellen über 
ihr erbleichtes Antlig, und die Hände preßten jich gegen 
die Schläfen, als wollten fie durch ihren fühlen Druck 
die ftürmenden Gedanken zujammenraffen. 

Ein jubelnder Lärm erhob fi, ein Rufen, Lachen, 
Stiumpbieren fondergleichen, und Lena gewann jchnell 
wieder die Herrjchaft über fi und fchüttelte in ſüßer 
Derwirrung das Köpfchen. „Das war abfcheulich! Onkel 
Daniel war mit im Komplott. Aberraſchung und Schred 
müſſen ſchwache Nerven alterieren!* Iolante hatte Die 
Karte an ſich geriffen. „Das iſt ja der interefjante 
Mandverleutnanti Wie um alles in der Welt Tommt 
er hierher zu uns?“ 

„Das wißt ihr nicht?“ ſchlug Urfula die Hände 
azufammen. „Als ich neulich mit dem Onkel Einladungen 
notierte, erzählte er mir, daß er WUltenburg, der im 
Manöver irgendwie mit ihm in Berührung gelommen 
ift, bier begegnet jei und ihn aufgefordert babe, ihn 
zu befuchen. Er ift gewiß bei euch gewefen, als ihr zu 
den Jagden nah Dlbernhau gefahren waret.“ 

„And der Fritz hat die Karten einfach bier in Die 
Schale geworfen. Kein Menſch weiß davon!“ 

— — — In der folgenden Nacht quälten Daniel 
mwüfte, fieberhafte Träume Gr war wieder Kind und 
ftand im Sarten von Miskow. Bor ihm blühte eine 
Lilie, die trug Lenas liebliches Angeficht, und um fie 
ber flatterte jener unheimliche Vogel, der fo oft feine 
ſchmerzensreichen Nächte noch um eine Qual vermehrt 
hatte, und trachtet danach, Die Blume mit fich fort in die 
Lüfte zu führen. Da fiel ein Schuß, und der ſchwarze 
Vogel ftürzte ihm por die Füße, und da er fich neigt, 
ihn aufzuheben, ſchaut ihm das Antlitz des Freiherrn 
von Altenburg entgegen. Blut riefelt über DBruft und 
Stim. Aber Daniels Ginn ift nicht weich und erbarmend 
wie ehemals. Ein tilder Triumph glüht durch fein 


206 


Herz, die Fieberfchauer von Haß und Rache fhütteln 
ihn. Und als er den Räuber feiner Lilte mit Fäuften 
padt, ihn gegen den Fels zu fehmettern, und mitleidlos 
die Hände hebt, — erwacht er. 


Neunzehntes Kapitel 


Die rotverhangenen, hell erleuchteten Fenſter des 
Groppenſchen Haujes ſchauten wie glühende Augen in 
Die dunkle Winternaht hinaus. Wagen um Wagen 
tollte por das Portal, und Drinnen in dem erjten Smp- 
fangsjalon ftand der ©eneral mit feiner Schweiter 
Dorette, als liebenswürdige und lebensluftiige Wirte 
die Säfte zu begrüßen. Es war bereits befannt in der 
Refidenz, daß General pon Sroppen eine Pracht und 
Sleganz in feinen Räumen entfaltete, die mit den Feſten 
des Hofes zu wetteifern fchienen. Dennoch frappierte er 
die Geſellſchaft jtetsS aufs neue durch Arrangements, Die 
faum noch eine Steigerung von Koftbarfeit und Schön- 
beit möglich erjcheinen Tießen. 

Die ein Kind fih am Anblid eines reichen Weihe 
nachtstiſches erfreut, beraufchte jih Herr pon ©roppen 
an dem Duft der üppigen Blüten, die fein Geſchmack 
ftets bunter und brillanter emporjchießen ließ, und gleich“ 
Jam wie ein Roulettefpieler, der dem Reiz der furrenden 
Kugel nicht widerftehen kann, blies er eine Seifenblafe 
des Raffinements nach der andern in die Luft. 

Sürft Sobolefsfoi fannte genau die Sinfünfte und 
Ausgaben feines brüderlichen Sreundes. 

„xieber Kurt, du haft fehr viel in den lebten beiden 
Jahren gebraucht“, wagte er einmal ſchüchtern zu fagen. 
„Falls du mit den Zinfen deines DBermögens nicht 
ausreichen follteft, Hoffe ich, daß du ohne Skrupel auch 
über meine Revenüen verfügft!“ 

„Wer weiß, ob ich dich nicht noch einmal zur Aber 
lajje, mein alter Zunge!“ lachte Herr pon Dern-Sroppen 


207 


in ber Frühftüdslaune. „Vorläufig fieh dir mal die 
Ente auf meinem Schreibtijch an, wie Die den Schnabel 
fo ungeheuer weit aufiperren Tann! Siehſt Du, dieſen 
Sntenfchnabel füttere ich mit den Rechnungen, Deren 
Degleihung mir momentan fein Bedürfnis ift!l Wenn 
das arme Vieh nichts mehr in fi aufnehmen Tann, 
ziehe ich den Sädell Alfo unbeforgt, Bruderherz, Du 
jtehft, es hat noch) gute Wege mit dem Anpumpen!“ 

Fa, Damals faßte der gelbe Schnabel nur wenige 
unbedeutende Zettelchen, aber Daniels DBlid ftreifte - 
ibn öfter daraufhin, und Die weißen Papiere mehrten 
und mehrten fich, daß es ausfah, als werde es der armen 
Gnte herzlich fauer, fie alle zu faffen. 

Die die Lichter glübten und flammten! Fürſt Sobo- 
lefskoi ftand der Saaltür gegenüber, an der der Frei—⸗ 
herr von Altenburg momentan zögerte, ehe er jich Durch 
den bunten Flor reizender Mädchenblüten Bahn brad), 
die Töchter des Hauſes zu begrüßen. 

Diefe waren derart umringt und in Anſpruch ge- 
nommen, daß der junge Offizier juft im Begriff ftand, 
jih bis zu einer gelegeneren Zeit zurüdzuziehen, als 
Lenas Antlit fih ihm zuwandte und ihr Dlid wie 
ſuchend über die Menge ſchweifte. Auge ruhbte in Auge. 
Sin fchnelles Lächeln verflärte ihre ſonſt fo fühlen Züge, 
und Den Kreis der jungen Damen und Herren mit 
bitiendem Wort teilend, trat Fräulein von ©roppen 
dem fo ſpät erjchienenen Saft ihres Haufes entgegen. 

„Welche Freude, Sie bei uns in der Refidenz be- 
grüßen zu können, Herr von Altenburg! Pas pier- 
blättrige SKleeblatt, das wir zum Abſchied in Alt» 
Dobern teilten, hat Glück gebracht!“ Weich und herzlich 
Hang ihre Stimme, ganz anders als Damals, als Lena 
ihn beim erften Sehen begrüßte. Wie eine leihte Be— 
fangenbeit lag’s über ihrem Wefen, und Altenburg blidte 
höchlichſt überrafcht zu der Sprecherin hernieder und er— 
widerte genau fo Höflih und formell wie ftets: „Slüd 
allerdings, mein gnädiges Fräulein, und wohl in erfter 
Reihe für mich, dem es in fo überrafchender Weife ver⸗ 


208 


gönnt tourde, feinen Reſpelt heute abend hier zu Füßen 
legen zu dürfen.“ 

„Sie lernten meinen Vater während des Manðvers 
kennen? 

Exdellenz waren ſo liebenswürdig, ſich deſſen zu 
entſinnen.“ 

„Papa hat nur ein gutes Gedächtnis, wenn ſein 
vollſtes Intereſſe ihn dabei unterſtützt. Sie werden nun 
drei Jahre lang hier in der Reſidenz bleiben?“ | 

„Auf Kommando, mein gnädigftes Fräulein.“ Sin 
feines Lächeln [pielte um feine Lippen und Lena bob 
den Sächer, ihm fcherzend damit zu drohen. 

„Freiwillig wären Sie nicht gelommen?“ 

Nein!“ 

„Je nun, wer zwang Sie dazu, Ihr kriegsakademiſches 
Szamen abzulegen?“ 

Ein wunderlicher Ausdruck beherrſchte ſeine Züge 
und fein Haupt bob ſich noch ſteifer auf dem Naden 
als zuvor. „Wer zwingt einen Vogel — zu fliegen, 
einen Fiſch — zu ſchwimmen? Niemand, auch feine 
eigene Wahl ift’S nicht, lediglich dem Schidfal muß er 
lih fügen, das ihm Floffen oder Flügel wachen Tieß. 
Wem der Degen als Angebinde mit in die Wiege gelegt 
wird, und wer als winziges Menfchenpflänzlein bereits 
in den Boden des Kadettenkorps verpflanzt wird, der 
muß vorwärts in der Bahn, darinnen feine Lebenstugel 
rollt. Wenn ein DBogel aber einmal begonnen hat, em- 
porauftreben, fo will er auch fo Hoch Hinaus, wie ihn 
nur immer feine Schwingen tragen wollen!“ 

Mit großen, glänzenden Augen blidte Lena zu ihm 
‚auf. „Antworten Ste auf eine jede Frage jedermann 
jo ehrlich?“ 

Wieder zudte es wie Sarkasmus um ſeine Lippen. 
„Es haben wenig Menfchen fo viel Intereſſe für mich, 
daß ſie meine Anſicht hören wollen.“ 

Mit rauſchendem Klang ſetzte das Orcheſter ein, den 
Ball zu eröffnen, und Altenburg verneigte ſich und 
fuhr haſtig fort: „Geſtatten Sie, mein gnädiges Fräu⸗ 


14 Eſchſtruth Hofluft 209 


lein, daß ich Sie wenigftens Ihrem Tänzer zufübre, 
Derweil ich felber Dazu verurteilt bin, mih am Zuſehen 
begnügen zu müſſen!“ 

„Sind Sie krank?“ 

„Nicht im mindejten.“ 

„Was beftimmt Sie fonft, Bublitum zu fein?“ 

Er blidte fie überrafcht an. „Mein fpätes Srfcheinen 
im DBallfaal, das mi) um den Vorzug gebracht Hat, 
einen Tanz von Ihnen zu erhalten!“ 

Cie neigte lächelnd das ſchöne Haupt auf den Mai- 
blumenftrauß in ihrer Hand bernieder. „DBorläufig baben 
Sie mich noch um feinen Ber 

„Mein gnädiges Fräulein.. 

„Sin Bläschen ift noch frei auf meiner Tanzkarte!“ 

„Ein Zufall, auf den felbft die kühnſte Zuverſicht 
nicht hoffen Eonntel — Geftatten Sie?“ 

Sie reichte ihm die bemalte SIfenbeintafel. „Das 
Souper!“ — ſich gleicherzeit in ihrer gewöhnlich fühlen 
Art zu dem Leibdragoner wendend, der neben ihr die 
Hoden zujammenflappte und meldete, daß foeben Prin- 
zejlin Gordella das Veftibül betreten habe. „Das 
Souper?“ wiederholte Altenburg, als babe er nicht 
recht verftanden. 

Lena nidte ihm Tächelnd zu, legte die Hand auf den 
Arm ihres Tänzers und fchritt Haftig vorüber, die Prin- 
zeifin und die Damen ihrer Begleitung zu begrüßen. 

An der Tür ftand Daniel Sobolefstoi. Seine Brauen 
waren zufammengezogen und fentten eine finftere alte 
in die Stirn, tief umfchattete Augen befteten ihren bren« 
nenden DBlid auf Lenas Antlit. Sie fohritt vorüber, 
ohne ihn zu bemerken. 

Als Arfula den DBallfaal betreten Hatte, war ihr 
Blick ängſtlich forſchend von einem Antlig zum andern 
geichweift, ob man fie Hier auch mit den entſetzlich 
ftarren Augen fizieren werde, wie bei ihrem crften 
Beſuch am Hof. 

Aber nein! Sott fei Dank, bier fhienen die Leute 
ganz normal und urfidel beanlagt zu fein! Lachen und 


210 


Scherzen. wohin ſie blidte, und wohlig aufatmend und 
völlig überzeugt, Daß die herzbeklemmenden Sistörnlein 
nur von der Hofluft in die Augen der Menſchen geweht 
werden, trat Urfula hinter ihre Kufine Jolante und 
perjegte ihr einen Tordialen Kleinen Stoß. „Rum Schedel“ 
lachte fie dazu in heimatlichen Lauten, fcehnitt der ent» 
festen jungen Dame eine übermütige kleine Grimaſſe 
und verjicherte mit militärifchem Honneur: „Zur Stelle!“ 

Daß Jolante diefe Begrüßung ‚fehr zimperlih‘ auf- 
fajfen werde, Hatte Fräulein bon Kuffjtein voraus» 
geliehen und mollte ihren Wit gerade jo recht bon 
Herzen beladen, in der fejten Überzeugung, Daß Die 
Amftehenden fie dabei Fräftig unterftügen würden. Aber 
fie unterbrach fih jählings. Erſchreckend laut hatte ihr 
©elächter aeflungen, und niemand ftimmte ein. Ringsum 
war die Konverfation verftummt, alle Köpfe wandten 
fih ihr zu, und alle fahen fie mit großen, erftaunten 
Augen an, geradefo, wie neulih am Hofl 

Ein höchſt unbehagliches Sefühl überfam die Kleine, 

und da fie gar fah, wie es um viele Lippen ganz fein 
und maliziös gudte, und Solante wie entfchuldigend ent» 
— „Guten Abend, du Wildfang! Vorzuſtellen 
rauche ich dich nach dieſem Entree wohl nicht, die 
Herrſchaften haben es ſämtlich gemerkt, daß du direkt aus 
dem Groß⸗Wolkwitzer Kälbergatter fommftl* da ſchoß 
ihr das Blut in die Wangen. 

Ja, jetzt lachten die Umſtehenden, und ein ältlicher 
Kammerherr applaudierte Jolante mit beiden Daumen 
und näfelte: „Borzüglich pariert, meine Gnädigſtel“ — 
Da merkte Urfula, daß die Refidenzler ſämtlich einen 
echten, rechten Wit gar nicht gu würdigen wiſſen, ſon— 
dern nur fades Wortgeklingel für ihr Amüfement per» 
langen. ®ut! Künftighin wird fie fi hüten, ‚Kaviar 
fürs Bolfl‘ zu ferpieren. Was ift der Dank dafür? Daß 
man hören muß, wie ein Leutnant lachend zu dem andern 
fagt: „Allerliebfter Heiner Fiſch! Aber noch völlig un« 
drefjiertes Sagdhundell“ 

Soll fie die Leute ärgern und nad) Haufe gehen? 


! 


14* 211 





% 


Sa, wäre fie auf einem Feſt im Wollwitzer Kreiſe, 
würde es Senfation machen, bier bemerft man es gar 
nit und amüſiert fi) ruhig weiter, dieweil Arfula 
ih zu Haufe fträflid Iangweilen würde. Ob, es ift 
ein abfcheuliches Gefühl, wenn man fi) fo völlig als 
Null und Nichts porlommt! 

©lüdlicherweife trat Graf Lohe an ihre Seite und 
begrüßte fie in feiner liebenswürdig eleganten Weiſe. 
Er ſprach fehr gedämpft und ftieß noch vornehmer mit 
der Zunge an als in Sroß-Wolfwib. 

„Ih hörte vorhin fo fehr laut bier im Saal ladyen“, 
fagte er nad) etlihen Worten der Begrüßung. „&3 Hang 
entſetzlich — nicht als ob es aus einem Eercle der eriten 
Sejellfchaft, fondern vom Borfbrunnen berüberfchallel* 

„sh bin ja auch eine Landpomeranzel* fuhr Urfula 
trogig empor, und doch wurde fie Dunfelrot dabei. „Ich 
lache, wie mir der Schnabel gewacdfen ift, und wenn 
ſich die albernen Leute hier einbilden, fie könnten mich 
ſchurigeln, dann irren fie ſich.“ 

„Ab, Sie waren bie fo hörbar vergnügte Dame“, 
lächelte Lohe fein. „Nun, dann hat die Sache nichts 
auf fi, von Ihnen erwartet man derartiges und ber- 
zeiht es.“ 

Urſulas Auge blitte höchlichſt gereizt zu ihm auf. 
„So! Don mir erwartet man Zaltlofigfeiten? Wie 
fommen die Menfchen zu fo einer Srechheit?“ 

„se nun,“ der Graf zudte die Achfeln und ſuchte fein 
Amüfement über die Selbftfritit des Badfifchchens Hinter 
ernfter Miene zu verbergen — „Ihre übermütigen 
Streihe aus Wolkwitz und Umgegend find durch Die 
Manövereinquartierung hierher folportiert worden. Man 
entſchuldigte fie mit Ihrer großen Jugend und Naipität 
und dachte: bei einem kleinen Landfräulein Tann man 
unmöglih die Wllüren einer Dame beanfprudhen!“ 
Das wirkte. Die Zingerhen der Kleinen frampften 
ih in tiefbeleidigtem Selbftgefühl zufammen. „Ich 
Bin aber eine Dame, und ich will’s, daß man alles, 
feldft Allüren von mir verlangt!“ rief fie gornig, aber 


212 


dennoch mit auffallend gemäßigtem Organ, auch ftampfte 
fie dazu mit dem Füfchen auf, wenngleich nur ganz 
leiſe. „Sch Tonnte es doch nicht riechen, wie es bie 
Menſchen -bier mit ihrem verrüdten Geſchmack ver» 
langen; nun id) es aber weiß, nun will ich ihnen zeigen, 
Daß ich mich noch zehnmal fo gut benehmen kann, Potz⸗ 
Donneriwetter jal* Lohe [chauderte. „Diefe lebte Heine 
Beftätigung gehört zu den Spradblüten, die auf dem 
Turf — nicht aber auf dem Parkett gepflegt werben. 
Prinzeſſin Cordelia iſt ein folhes Armeedeutjh im 
Wunde einer Dame verhaßt. Alfo ſcharmant, Fräulein 
Arfula, zeigen Sie es der Geſellſchaft, daß Sie kein 
übermütiges Kind, ſondern ein Fräulein von Kuffſtein 
find, deren Würde man zu reſpeltieren hat!“ 

Urſula warf das reizende Köpfchen, in deſſen dunfel- 
Iodigem Haar ein Kranz von Goldhafer gliterte, heraus- 
fordernd in den Naden. „Sutl Ich werde jebt mal 
die Würde ’rausbeißen. Aber das fage ich Ihnen, wenn 
man aud) dann noch etwas an mir herumzuſchnobbern —-“ 

„gu mäleln!“ 

— zu mäleln hat, dann ſchieße ich mit Spatenfchrot 
in dieſe ganze Paſtete Hier hinein und reiſe abl“ 

Lohe ſenkte reſigniert das wohlfriſierte Haupt. „Eine 
Eiche fällt nicht auf den erſten Hieb,“ dachte er, „und 
der gute Wille iſt auch ſchon etwas wert!“ Dann bat 
er ſchnell noch um den Kotillon, denn von allen Seiten: 
brängten die Herren berzu. „Nun werden fie ihr die 
Sour machen, ihren Unarten als ‚etwas riefig Origi- 
nellem‘ DBeifall Hatihen und damit von neuem Steine 
auf unfer mühfam beftelltes Feld werfen!“ meditierte 
er feufzend und ſah es ganz überraſcht mit an, Wie 
Urfula zum erftenmal ‚Würde hberausbiß‘. 

Slanten EHappte die Sporen vor ihr zufammen und 
ftellte etlihe Kameraden vor. 

„Mein gnädigftes Fräulein, wie fteht’s mit einem 
Soppeldeia, dem deutfchen Retgentanz?“ lachte Fürft 
Schlüfften, fich Haftig pordrängend und fichtlich auf eine 
naive Antwort gejpannt. „O weh,“ dachte Lohe, „der 


213 


Ihlägt fofort den richtigen Ton an. Darauf bleibt 
„Urſchel⸗Purſchel“ nichts fchuldig!“ 

Aber er irrte fih. Pie Kleine neigte fehr gemeffen 
Das Nafenfpischen und reichte ftumm ihre Tanzkarte. 

„Was befomme ih?“ — „Sine deutſche Reichspro- 
binz für den Kotillon!® — „Weine Onädigfte, ich 
bitte um den Herzenstanz!“ fchallte es in lautem Durch» 
einander um fie ber. | 

Urſulas Blick fchweifte in Die Runde, Iangfam, gleich- 
gültig mufternd. „Beben Sie die Karte weiter, Fürft 
Schlüfften, und wenn fie gefüllt ift, Bringen Sie ſie 
mir dort nad) dem Diwan, wo ich mich jest mit Graf 
Lohe hinſetze.“ Sie ſprach in dem Ton einer jungen 
Schaufpielerin, die zum erftenmal eine SHeroine fpielt. 

Sinen Moment fahen fich die Herren ganz überrafcht 
an. Dann verjuditen fie ihr Heil von neuem. 

„Aber mein gnädiges Fräulein, wollen Sie nit 
felber die Tänze nad) Verdienſt und Wohlgefallen ver- 
teilen, auf daß jedem das Seine zufällt?“ 

„Zein, dag tft mir ganz...“ wurſcht, mollte fie 
eigentlich herausplatzen, aber fie befann ſich noch recht— 
zeitig und fagte ſehr wohlerzogen: „gleichgültig!* | 

„Wir werden uns mit blanfen Säbeln um biefe Karte 
raufen! Deftimmen Sie menigftens bie Reihenfolge.“ 

Urſulas Auge blitte auf, aber ihr Mündchen faltete 
ih noch fpöttifcher als zuvor. „Immer der Anciennität 
nad, meine Herren!“ — 'und fie legte die Hand würde» 
poll auf Lohes Arm. 

„Drapo! famosl!“ fehallte es ihr in lautem Selächter 
nad. Die Kleine blidte zu Lohe auf. „Die Kerle lachen 
mid) wohl aus? Habe ich wieder etwas Dummes gefagt?“ 
fragte fie ergrimmt. 

„ein, mein gnädiges Fräulein, Ste haben Ihre 
Sache vortrefflich gemacht!“ verficherte er eifrig. „Diefes 
Lachen war lediglich Beifall; der Schlagfertigleit applau= 
diert man ftets, wenn fie graziös bleibt.“ 

Das Erſcheinen der PBrinzeffin Cordelia wurde an« 
gekündigt, und Lohe erhob ſich Haftig, Fräulein von 


214 


Kuffftein in den Kreis der jungen Damen zu führen. Sein 
Dlid ftreifte zuerft feine eigene Perſon, an dem tadel- 
Iofen Ballanzug bernieder bis auf die zierlihen Spitzen 
feiner Ladftiefel. Sr ſah ezquifit elegant aus wie ftets, 
und feine fchlanfe Figur präjentierte ſich außergewöhn— 
licherweife im Grad noch vorteilhafter als in der Ulanka. 
Dann mufterte er verftohlen auch feine Nachbarin. Gie 
war reizender als je, die Toilette nagelneu, koſtbar 
und gefchmadooll, aber ein Spigentafchentuh war in 
höchſt unerlaubter Weife auf der Hüfte unter den 
Goldftoff der Taille gefchoben und verdarb den ganzen 
Sindrud der fonft fo diftinguierten Grſcheinung. Auch 
die langen Handſchuhe Hatte Urfula nur fehr flüchtig 
bier und da einmal durch einen Knopf gefchloffen, und 
darum hingen fie fehr unordentlih um die Arme herum, 
deren fchöne Form durchaus beeinträchtigend. 

„Mein gnädiges Fräulein, Sie werden Ihr Taſchen⸗ 
tuch verlieren.“ 

„Auch noch! Hat meinem Alten über zweihundert 
Mark gefoftet!*“ Und die junge Dame - ftopfte es zu 
noch diderem Knäuel unter die Taille hinauf. 

„Od, wie häßlich das ausfieht.“ 

„Kümmert mi den Kudud! Ich befomme ja die 
Pimpelgicht, wenn ich jedesmal eine Halde Stunde nad) 
der Taſche fuchen fol!“ 

„Bleichviel. Diefe Art von Transport Tennt man 
bei den biefigen Damen nicht!“ 

„Die Tennen überhaupt noch blitzwenig!“ fuhr Die 
Kleine ärgerlich auf, aber fie riß das Tuch herpor und 
beförderte es in nit allzu rüdjichtspoller Weife in 
die Taſche. 

Noch immer blieb der junge Graf zögernd Stehen und 
biß fi unmwillig auf die Lippe. 

„Na, mal ein bißchen trapp, fonft ift die Prinzefjin 
wieder nah Haufe gefahren, bis wir anlommen.“ . 

„Wollen Sie nicht, erft die Handſchuhe fchließen ? 
Sie fünnen doch unmöglich —“ 

„Bei der Pökelhitze? Ich komme ja um, wenn ich 


215 


bis an den Hals in Ziegenleder kriechen fol! Nein — 
ift mir Iuftiger fo.“ 

Der Erbherr von Illfingen befämpfte heldenhaft fein 
Sntjegen. „Aber Fräulein Urfula, Sie verjpradhen mir 
doch, in jeder Weiſe die Würde einer Dame zu wahren — 
baben ſoeben noch fo ſcharmant damit begonnen —“ 

Sie ftarrte ihn ganz betroffen an. „Wie? Auch 
Ihnen gegenüber foll ich mich fo dämlich Benehmen?“ 

„Ohne Ausnahme uns allen! ®erade mir gefallen 
Sie doppelt fo gut, wenn Sie in jeder Weife geremoniell 
und Gtilette berüdjichtigen!“ 

Sigentli wollte fie fehr böfe werden, Da er aber 
den Kopf fehr energifh in den Naden bob und fein 
Blick jo lange und feft den ihren traf, da begnügte 
fie fih Damit, auf fpigem Haden herumzuſchwenken und 
wie ein Trotzköpfchen zu ſchmollen. — „IH will Ihnen 
ja gar nicht gefallen! Keinem Menfchen will ich ge- 
fallen — ih tue, was ih will!“ 

Ohne fihb nah ihm umzuſehen, eilte fie wie ein 
gliterndes Wölkchen zu den fpalierbildenden Damen 
und Ddrängelte ſich nicht gerade allzu rüdfichtspoll an 
Lenas Geite. 

Ste zog die Augenbrauen ſehr eigenwillig zufammen 
und ſah aus, als wolle fie den Kampf mit allen Re» 
fidenzen der Welt aufnehmen; ganz unbemerkt aber 
ſchloß fie einen Handſchuhknopf nah dem andern, big 
das weiße Leder glatt und prall die rofigen Arme 
umjpannte. 

Prinzeſſin Sordella Batte den Tanzfaal betreten, ver⸗ 
Ihiedene Damen, Darunter auch Fräulein von Kuff 
ftein, durch eine längere Unterhaltung ausgezeichnet und 
Ihlieglih den Ball in ihrer fo anmutigen Weiſe mit 
einem SHufarenoffizier, Prinz Waldburg, eröffnet. 

Ihre ganze Sricheinung atmete wieder den Zauber 
untoiderftehlicher Lieblichkeit, und Urſulas Augen folgten 
ihr in unverhohlenem Sntzüden. 

„Ich babe niemals beim Lejen meiner Märchenbücher 
an die Seen glauben wollen, Die zart wie DBlütenfchnee, 


216 


Ihön wie die Morgenröte und gut wie Sngel find!“ 
flüfterte fie Haftig zu Henry Antigna, der neben ihr 
an dem Zürpfoften lehnte, empor. „Seit ich aber Prin⸗ 
zeffin Sordelia gefehen babe, deucht mich die Beſchrei⸗ 
bung diefer boldeften aller Seifter noch lange nicht 
Ihön genug! Sch glaube, es gibt gar feine Worte, Die 
den Sharme ihres Wefens ausdrüden fönnen. ®lauben 
Sie nicht auch, Henry?“ 

Keine Antwort. — Urfula ſchaute empor und ftarrte 
ganz betroffen in das Antlit des jungen Mannes. 

War das derjelbe bleiche, menfhenfheue und finfter 
blidende Gelehrte, der por wenigen Tagen noch voll 
ohnmächtigen Grimms die Zähne zufammenbiß, als er 
zu Hofe follte? | 

Das Haupt porgeneigt, wie im Banne eines Magnetg, 
Bing fein Blick unvderwandt an der Geſtalt der Prin- 
zejlin, die, wie von rofigen Florwolken getragen, zart 
und graziös an ihm vorüberſchwebte. 

„Henry, hören Sie denn nicht?“ 

Sr zudte leicht zufammen und blidte fie einen Mo— 
ment wie geiftesabtwefend an. „Bardon, Fräulein Ur- 
fula, ih verſtand Sie nicht.“ 

Dte Kleine wiederholte ihre Worte, und Graf Antigna 
nidte Beifall. „Wie kommt es, daß Hoheit heute wieder 
rote Mohnblüten im Haar trägt?“ fragte er ohne allen 
Zujammenbang.. 

„Wieder?“ 

„Als ih fie zum erftenmal am Hof fah, flammten 
ihr die gleichen Jrrlichtblüten an der DBruft.“ 

„Sin Zufall! Lena fagte mir, die Prinzeſſin Tleide 
fih mit Vorliebe in ſchmuckloſes Weiß.“ 

„Seltjam. Warum blendet fie plötlih den armen 
Rahtwandlern die Augen?“ Er fagte es mit dem leifen, 
verfchleierten Stimmenflang wie fonft, und feine Brauen 
aogen ih fo finfter zuſammen wie pormals. 

„Lieben Sie denn die Mohnblüten nicht?“ 

Er lachte furz auf. „Sie bergen ein ®©ift, das mit 
füßen Saufelbildern ins DBerderben Iodt.“ 


217 


„Ad fo, Opium! Je nun, wenn man es nicht raudht, 
fann es einem aud) nicht Schaden bringen.“ 

„Wahrlih nicht?“ Sein Blid zudte zu ihr nieder, 
langjam ſtrich er die dichten Haarwellen aug der Stirn. 
„Sehen Sie diefe Narbe? Die haben mir rote Mohn- 
blumen bierber gezeichnet — und doch Hatte ich nicht 
als verblendeter Schwärmer Opium geraudht!“ 

„Sch verftehe Sie nit. Ach, wie ſchade, nun muß 
ih tanzen, da fommt Herr von DBornig! Aber nachher, 
niht wahr, Henry, nchher erzählen Sie mir, wie Sie 
zu diefer famofen Schmarre gelommen find!“ | 

Er neigte mechanifch zuftimmend den Kopf und [chritt 
Baftig an ihr vorüber durch die Menge; Prinzeſſin Cor— 
delia war in einen Nebenfalon getreten, und ©raf 
Antigna folgte ihr wie ein Schatten. Bon fern ftand 
er und verwandte feinen DBlid von ihr, und er atmete 
tief und traumbefangen, als ſchlürfe er der Feuer- 
blumen beraufchend Gift. 

Die Mufil war verftummt. Sin Schwarm rei) ga— 
Ionierter Diener alitt auf lautlofen Sohlen über dag 
Parkett. Bon glänzenden GSilberplatten Iodten die er- 
lefenften Konfitüren, Piplomatenbröthen und Frian- 
diſes, fchäumte der Sekt und winkten Limonaden und 
Mandelmild, und wie auf einem Gee die einzelnen 
Dlüteninfeln ſchwimmen, gruppierte ji die farbige 
Pracht plaudernder Damengruppen auf fpiegelglattem 
Parkett, umfhwärmt von Uniformen und gefternten 
Stade. | 

Solante faß auf einem Sckdiwan und ließ fich die 
Sour maden. 

Herr von Flanken maßte ſich auf jeglihe Tanzpauſe 
ein gewijfes Recht an und behauptete den Plat an der 
Seite der jungen Dame mit einer: fchier ‚raufluftigen‘ 
Snergie. Waren es doch die einzigen furzen Augen- 
blide, wo er angefichts der fo viel begehrten Tochter 
des Haufes auch einmal zu Worte fommen konnte, die 
einzigen Augenblide, die ihn für den ‚niederträchtigen 
Arger' entichädigen mußten, den er jedesmal zu [hluden 


218 


hatte, wenn der jüngfte Leutnant fich fiegesbewußt ver⸗ 
neigte, dem Herrn Ober die Tänzerin por der Naje weg- 
zubolen. Sa, dann kam er fich jedesmal genau fo 
bor, wie der Kater in der Fabel, der mit verblüfftem 
Geſicht dem Vögelchen nachſchaut, wenn es mit leichten 
Schwingen auf und dapon in die Lüfte fchwebt! Und 
Solante wandte das Köpfchen [pottend zurüd und Ficherte 
genau fo, wie der Heine Sänger im Fabelbuch: „Schaff 
Dir doch Flügel an, daß du mir folgen fannft!® Was 
nütte es nun dem Herkules in Ulanenuniform, daß er 
mit zebnzölligen Bomben Kegel fchieben fonntel ‚Walzer 
tanzen‘ wäre eine weit bejfere Kunft gewejen, nament- 
lich heute, wo Herr von Flanfen zu der großen Selbit- 
erfenntnis gefommen war, daß er viele Jahre lang ein 
erfchredend dummer Kerl gewefen fei, der die Schön« 
beit eines Tanzfeſtes überhaupt gar nicht 'Tapiert Hatte. 
Könnte er nur die Heinfte, jammervollſte Polka zuftande 
bringen, er würde an diefem Abend der glüdjeligite 
Menſch unter der Sonne fein! So faß er, wie die Glucke 
am Sntenteih, auf feinem Diwan Poſten, ‚ftänderte‘ 
abwechslungshalber als bewegliches Hindernis im Saal 
herum, ließ fih auf die Füße treten, trank in feiner 
Zerftreutheit alles, was man präfentierte und dankte 
©ott, wenn die Mufil wieder des graufamen Spiels 
genug fein ließ. Nun faß er wieder neben Volante, 
deren zierlihe Geſtalt in DBalltoilette noch elfenhafter 
denn fonft neben dem krausköpfigen Riefen ausfah, und 
befchräntte fich darauf, andächtig zuzuſehen, wie fie in 
ihrer ſchmachtend phlegmatifchen Weije den Atlasfächer 
bin und ber bewegte. Sie hatte gerade mit ſchwär⸗— 
merifhem DBlid verfidhert, Tanzen und Malen fei ihre 
Paſſion. und Mynheer Malte van Doornkat ſei der 
einzige Menſch, Der die beiden Künfte in bollendeter 
Weiſe in ſich vereinel Sie ſchenkte ihm darum bei 
jedem Tanz noch eine Sztratour — und Dabei drehte 
fie das fchlanfe Hälschen und Blinzelte über dag ge- 
malte Roflofopärchen ihres Fächers hinweg nad) dem 
Genannten, Der fich juft einen Kneifer auf die Künftler- 


219 


nafe fette, um Fräulein von ®roppen mit wahren De- 
teftivaugen zu beobadten. 

Das war für einen Oberleutnant der Mlanen, bet dem 
alle Walfüren, aber feine einzige Muſe Oevatter ge» 
ftanden, ſehr deprimierend, und darum ſenkte er feuf- 
gend den Kopf, drehte die Daumen umeinander und 
Tre über eine Aufbejferung obwaltender Verhält⸗ 
niſſe. 


Smwanztgftes Kapitel 


Vierzehn Tage waren feit dem ®roppenfhen Ball 
bergangen. 

Daniel Sobolefskoi lag in feinem Zimmer auf dem 
Diwan, um eine furze Giefta zu halten. So hatte fein 
Kammerdiener dem ©eneral antworten lajfen, als dieſer 
fih nad) des Fürften Berbleiben erkundigen ließ. 

Groppen fchüttelte lachend den Kopf. „Na ja, da 
baben wir’s! Muß jest am Tage fchlafen, weil er 
zu lange im Mondichein geihwärmt Hat! Sollte man's 
glauben! Sein Leben lang war der Menſch die Soli— 
dität felber, und plögßlid — feit faum gehn Tagen, 
fängt er troß feines grauen Kopfes noch an, über die 
Etränge zu ſchlagen!“ Tante Porette ſah von ihrer 
feinen Stickerei empor und fchüttelte ebenfalls den Kopf. 
„Sebr töriht von ihm; wer in einer fo ſchwachen Haut 
ftedt, follte lieber fchlafen in der Nacht, als in den 
Safes herumflanieren! Iſt es vielleicht ein befonderer 
Magnet, der ihn in fo überrafchender Weife aus ber 
altgewohnten Bahn zieht?“ 

Der General ftäubte Die Zigarette ab und audte in 
feiner Teichtlebigen Art die Achfeln. „Hoffen wir's! 
Der Heine Kerl war beinahe dreißig Jahre lang ein 
Dudmäufer, und das iſt Unnatur. Pen Schwaben- 
ftreih), den jeder Staubgeborene der Söttin Erfahrung 
als Steuer zahlen muß, bat Daniel ihr bis jekt in 
geradezu beängftigender Weife vorenthalten, und darum 


220 


will ich wirklich wünfchen, baf er noch einmal über einen 
Zirkusreifen oder eine Theaterkuliſſe Purzelbaum fchlägt, 
ehe er als verlörperte Nüchternheit in die Grube 
fährt!“ 

Die jungen Damen traten ein, und Frau von Loguth 
brach das Geſpräch ab. Aber von Stund an ruhte ihr 
Did oft voll aufriditiger Sorge auf dem Antlit des 
Quffen. Er ſah kränker aus als je, bleih, abgemagert 
und todmüde; aus tiefdunflen Augenhöhlen ſchweifte 
fein unfteter, fieberglänzender DBlid, und die Hand, Die 
oftmals das Haupt ftügen mußte, ließ faum noch ein 
blaues Geäder durch die wächſerne Haut fchimmern. 

3a, Daniel Eobolefsfoi lag wieder auf dem Ruhe 
bett, um einen Turzen Schlaf zu tun. Er wollte von 
niemand gejtört fein, und fo war es totenftill und 
dämmerig in feinem Salon, nur die Uhr tidte ein mo⸗ 
notones Schlummerlied. Dennoch kam fein Schlaf in 
feine fieberheigen Augen. Segen den zähnefletfhhenden 
Kopf einer gewaltigen Wolfsfchur, Die über den Diwan 
gebreitet war, drüdte er fein häßlich, ungeftaltet Haupt. 
Seine gebrechliche Geſtalt war zufammengezogen, wie 
bei einem Gnomen, der auf ber Lauer hodt, und feine 
Singer wühlten in nervöſem Spiel in den dichten Flocken 
des Felles. Ein Zuden und Arbeiten ging durch feine 
Züge, ein Lachen und Frohlocken, und jählings wieder 
ein qualpolles Beben, wenn ſich ein lautes Aufftöhnen 
der kranken Bruft entrang. 

Sa, Daniel Sobolefstoi hatte feinen elenden Körper 
Nacht für Naht Hinausgefchleppt in Schnee und Winter» 
fälte, voll wilden Trotzes die Zähne zufammenbeißend, 
wenn feine Kräfte ihn verlaffen wollten. Stundenlang 
hatte er beit Wind und Wetter auf der Straße geftanden, 
gegenüber dem Haufe, Darin der Freiherr von Altenhurg 
drei Treppen hoch feine befcheidene Wohnung gefunden, 
und er hatte lange vergeblich geharrt, bis er die Zeit 
ausgelundfchaftet Hatte, um die Die hohe, pom Mantel 
umbüllte Geſtalt aus dem Rahmen der Haustür trat. 

Behutſam, Ieife und gefchmeidig wie ein Raubtier, 


221 


das edel Wild befchleicht, folgte er dem Verhaßten, keu⸗ 
chend bei der Haft feines fchnellen Schrittes, Qualen 
erduldend beim Ankämpfen gegen die fcharfe Schnee» 
luft, die bei jedem Atemzug die Bruft wie Dolch und 
Schwert traf. Lange weite Wege mußte er oft ver- 
geblich zurüdlegen, bis er endlich auf der richtigen Fährte 
war, bis das „Ziel der fpäten Promenaden meift ein 
und dasjelbe war. Kein Kaffeehaus, fein Lokal, Daraus 
Spiel und Sang erfchallt, nein! Dazu Bat der arme 
Sdelmann im Rod des Königs fein Beld! — Ingrimmig 
hatte Daniel zuerft die Erfahrung gemacht, daß die Ge— 
wijfenhaftigfeit und das Ehrgefühl des jungen Offiziers 
größer waren als die Berfuchungen des modernen Babel. 
Der Dämon hatte feine Krallen bis in dag Herzblut des 
verwachſenen Mannes gefchlagen, und wie ein Meppifto 
die Sallftride por den Füßen feines Opfers ausipannt, 
batte auch Sobolefstoi Netze gelegt, feinen ®egner darin 
au erdrofjeln. 

Als Freund Hatte er fi in beinahe aufdringlicher 
Liebenswürdigfeit an Altenburgs Ferſen gebeftet. Sein 
Dertrauen zu gewinnen, fpielte er die gewagteften Ko— 
mödien, und als der junge Mann ihm endlich nähertrat 
und fih ihm mehr anfchloß als andern Herren — um 
Lenas willen — da bob Mephifto die funfelnden Sädel 
feines Reichtums, und er hing den Dedimantel der Liebe 
über feinen Pferdefuß und ſprach: „Nimm von meinem 
Aberfluß, junger Freund! ch fordere fein einziges 
dieſer Goldſtücke jemals bon dir zurüd. Lebe, genießel 
Stürz’ dich dem Dergnügen in die Arme, je wilder, deſto 
bejjer, man ift nur einmal jung! Und ih? Ich hab’ ja 
meine Steude dran!“ 

Sp hatte fih die Schlange an dem mittellofen Mann 
emporgeringelt, hatte ihn mit den Augen der Berjuchung 
angefunfelt und bereits ihr giftig Haupt geredt, ihn 
verderbend in das Herz zu ftechen. Altenburg aber 
hatte im Kampf mit ihr gefiegt wie ein Held, und 
wenn Daniel auch feiner moralifhen Niederlage fluchte, 
fo batte fein Auge dennoch voll Bewunderung aufge» 


222 


leuchtet, als es einen Blid in dies ehrenfefte Jüng— 
lingsherz getan. Aber fein böfer Geiſt, der mächtig 
wachgerüttelte, dedte mit ſchwarzem Fittich das ſehende 
Auge des Fürften. 

Eine neue Falle geftellt! — Und heimlich beobachtet 
und verfolgt er den Freiherrn auf Schritt und Zritt, 
um eine ſchwache Stelle zu finden, an der die Axt den 
ftolgen Eihbaum fällen Tann. 

Kein Kaffeehaus, feine Spielhöllel Eitel von Wlten- 
burg bleibt in ärmlicher, Eleiner ©afje por einem turm- 
hoben Haufe ftehen, öffnet mit einem eigenen Haus⸗ 
Ihlüffel und verweilt von zehn Uhr bis oft lang nad 
Mitternacht. 

Wo gebt er Hin? Daniel triumphiert bereits. Sr 
bat fich zwei Abende nacheinander in Dem wenig herr» 
ſchaftlichen Haufe einjchliegen laſſen und es einem Zu- 
fall verdankt, daß er fpät in der Nacht durch ein paar 
heimfehrende Nähberinnen wieder befreit wurde. Am 
dritten Abend fommt endlich der junge Offizier. Sr 
trägt zu diefen Promenaden ftets Zivil, jchreitet haſtig 
durch den Flur des Vorderhauſes und eilt nad) dem 
rechten Quergebäude des Hofes. | 

Die ein Echatten fchleiht ihm Sobolefskoi nad). Sr 
hört den Schritt auf Der hölzernen Treppe Elingen, hoch 
— immer böber. Im vierten Stod Eopft er an die Tür. 

Andern Tags hat es Sobolefskoi ausgekundfchaftet, 
Daß dort ein alter Tanzlehrer wohnt, ein Franzoſe, deſſen 
allerliebfte Enkelin bei dem Ballett engagiert ift. 

Ahal — Geht Altenburg jemals auf die Billetts der 
Afademie ins Theater, fo ift es ftets in das Opernhaus, 
„weil er Muſik fo fehr Tiebel* Daniel Sobolefstot hat 
laut aufgelacht, feit Ianger Zeit zum erftenmal wieder 
Ihallend aufgelacht. Und jett liegt er auf dem Diwan 
und ſpinnt wüfte, phantaftifche Träume. Das Kaminfeuer 
‚flammt auf; wenn fein greller Schein den Wolfstopf 
ftreift, funfeln die grünen Slasaugen wie Phosphor. 

Der Budlige ftiert in die zudende Olut, auch fein Blid 
flimmert wie der eines Raubtieres. Der Plan ift reif. 


223 


Drei Wochen lang iſt es ber, feit Altenburg an Lenas 
Seite gejefjen, während eines langen Soupers voll ftets 
wachſenden nterejjes in die Dunklen Mädchenaugen zu 
Ihauen, die zu ihm anders emporbliden, wie zu jedem 
andern. Arm in Arm find fie im Tanz dahingeſchwebt, 
die erfte Schleife Hat Lenas Hand auf der DBruft des 
fremden, von allen andern kaum beachteten Mannes 
gebeftet, und in Lenas Zimmer hatte [päter ein einziger 
Kotillonftraug auf dem Schreibtifch gelegen, an dem 
waren die ftaniolumwidelten Stiele umgebogen, zum 
Merkmal. i 

Daniel Sobolefsfot Hatte die Hände gegen die Bruft 
gepreßt und gewaltjam die Augen geſchloſſen, dennod) 
Bat er den kleinen Strauß wie ein Schredgejpenft bie 
ganze Nacht hindurch gefehen, in wüſtem, muſikdurch⸗ 
"gelltem Traum. Was hat er verbrocdhen, daß das Schid- 
fal ihn fo unbarmherzig und ruhelos durch fein ganzes 
Leben verfolgt? Wie ein Kainszeichen brandmarlt ihn 
feine Mißgeftalt, die ihn aus dem Parabiefe der Liebe 
und des Slüds ausftößt wie einen Paria; Krankheit und 
phyſiſche Schmerzen peinigen ihn, fo Iange er benfen 
kann, einfam und verlafjen feit Jugend auf, ärmer wie 
Das in Lumpen gehüllte Kind, das eine Mutter auf ben 
Armen wiegt, das feine Tränen an einem Wutter- 
berzen weinen Tann! 

Die ein Fluch Hat ihn das Unglüd verfolgt, unge- 
hört ift fein Jammergeſchrei verhallt, unerfüllt ift Das 
flehende Gebet feines Lebens geblieben — was hat 
Daniel Sobolefstoi gefrevelt, daß fein ©ott ihn fo ganz 
und gar verlaſſen Hat? 

Sp weit er zurüddenten kann, bat’er feine fchlechte 
Tat begangen. Sein Wollen und Wünfchen war brav 
und gut. Wie ein Märtyrer hat er fein fchuldlos Haupt 
unter die ©eißelbiebe der Welt gebeugt und bat poll 
Demütiger Geduld auf Haß mit Liebe geantivortet. Und. 
Die Heiligen im Himmel fcheint’s zu erbarmen, er findet 
Die dunklen Augen, die feines Lebens Sehnfucht waren. 
Aber er foll fie lieben, ohne fie zu begebren, er ſoll fie 


224 


nur gefunden haben, um fie wieder zu berlieren. So 
reißt man dem Verſchmachtenden den Becher von den 
Lippen. Entſagen! Wieder gellt es ihm mitleidlos in 
die Ohren: Entjagen! Wieder trifft es ihn mit ſcharfem 
Stadhel in das Herz. Der Sngel der Ergebung aber ijt 
während der langen Pilgerfabrt über Stein und Porn 
matt geworden, feine gefalteten Hände Lönnen den Dämon 
nit mehr niederhalten, er wählt wie ein Rieje und 
triumphiert. Daniel hat es mit anfehen müfjen, wie fich 
fremde Hände nad) dem Kleinod feiner Seele ausftreden. 
&r beobachtet, wie Die Liebe in Lenag Herz erwacht, wie 
der Freiherr von Altenburg in der Nähe des Liebreizen- 
den Mädchens ein andrer wird. Nach dem Sroppenjchen 
Dall Haben fie fich verſchiedentlich wieder gejeben, und 
er, Daniel, war ein Narr, wenn er Fallftride legte; fie 
ind gu goldenen Fäden geworden, Die Altenburg mehr 
als je zu dem Haufe des Senerals gezogen. Sie lieben 
jih! Jeder DBlid, jedes Wort verrät’s, und wenn der 
junge Offizier auch in ſtolzem Trotz noch nicht um 
die Hand der reihen Erbin wirbt, fo wird dennoch der 
Sag kommen, wo die Allgewalt der Leidenſchaft die 
Dämme einreißt, die übertriebenes Shrgefühl in den 
Meg getürmt. Darum auf zur Tat, ehe es zu ſpät wird! 
Daniel bat nicht umfonft gearbeitet, er will auch ernten. 
Sein Entſchluß ſteht feft, die Beobachtungen, die er 
gemadt, nun auch zu verwerten. Vor Lenas Augen 
fteht das Bild des ©eliebten in reiner, mafellofer ©lorie, 
der Inbegriff allen Edelfinns, aller Rechtfchaffenheit ver- 
förpert fi in Der ritterlihen Geſtalt Gitels. 

Aber Fürft Sobolefstoi wird dieſes Spiegelbild ins 
rechte Licht drehen; ein einziger Lufthaud), der über 
den Hof jenes fünfftöcdigen Haufes weht, darin des fran- 
zölifhen Tanzmeiſters Enkelin wohnt, foll es treffen, 
und das ftrablende Bild wird unter ihm fo jählings 
trübe werden, daß es Lena voll Abſcheu aus Der ftolzen 
Sand ſchleudert! 

Das Teuer im Kamin niftert auf wie boshaftes Ki«- 
ern, und die zufammengelauerten Ölieder Des Rufen 


15 Eſchſtruth, Hofluft | 225 


dehnen fih auf dem Wolfsfel. Mit kurzem Rud ber 
Sntichloffenheit gleitet er von feinem Lager und wühlt 
noch einmal die hageren Singer durch fein ftruppig Haar; 
dann fchreitet er zur Tür, öffnet leife und tritt auf den 
bellen, Durhwärmten Flur hinaus. Pie teppichbelegte 
Steppe dämpft feinen Schritt, der Fürſt durcheilt Die 
Salons der erjten Stage und bleibt felundenlang vor 
dem Gmpfangszimmer der jungen Dame jtehen. 

Auf feiner Stirn troßt ein faft graufamer Wille, der- 
jelbe rachſüchtige Zug lagert um feinen Wund, Der 
ſchon im Schloß von Miskow des Kindes Antlit ver⸗ 
zerrte, wenn er unerbittliche Strafen für irgendeinen 
PBeiniger erjann. 

And er legte die Hand Hart auf Die Klinfe und 
trat ein. 

„Lena?“ rang es fi) rauh und heiſer von feinen 
Lippen. Keine Antwort. Aber ein wunderliches Geräuſch 
dringt pon einem Seſſel zu ihm berüber, es Flingt wie 
lautes Aufſchluchzen. 

Der DBudlige durchmißt haftig das Zimmer, und aber- 
mals hallt es ‚Lenal’ durch den ftillen Salon; diesmal 
aber iſt's ein Auffchrei des Schredeng, und die Singer 
der gekrampften Hand löſen fich zitternd, um den Arm 
des jungen Mädchens zu umfpannen. „Xena — du 
weinft?“ 

Sn den weichen Plüſchpolſtern liegt ihre ſchlanke 
©eftalt. Sie regt fi) nicht, nur ein leidenſchaftliches 
Weinen fchüttelt die Glieder. 

„Lena! Allmächtiger Gott, was ift geſchehen?“ Wie 
umgewandelt ift der Ausdrud in Daniels Zügen, ver- 
zehrende Serzensangft blidt aus feinen Augen, und an 
ihr nieder auf die Knie fintend, ftreichelt er wie ein 
Kind ihre Hand. 

„zena, ic beſchwöre dich, was tft Dir widerfahren?“ 
flebt e8 zu ihr empor: „Sch Habe Dich feit deiner 
Kindheit nicht mehr weinen fehen, diefe Tränen ängftigen 
mi! Vertraue dih mir an... Du meißt’s, daß ich 
mein Herzblut gebe, wenn ich dir helfen Tann!“ 


226 


da ſchlingen ſich ihre Arme krampfhaft um feinen 
Naden, und das fchöne tränenbetaute Antlig ſinkt wie 
eine gebrochene Blüte auf feine Schulter, mit dem halb 
erftidten Aufichrei: „Onkel Daniel — er jtirbt!" 

Der mißgeftaltete Mann zudt zufammen. „Wer jtirbt, 
Lena?“ 

Sr fühlt’s, wie ihr Körper zittert und erjchaudert. 

„Altenburg!* 

„Andenfbar; ich ſah ihn Heute morgen, was foll ihm 
paljiert jein?“ 

Da richtet fie fi) empor und drüdt die Hände gegen 
das wehe Herz. „Seftürzgt — mit dem Pferde. — Durch 
unglüdlihen Sal in Glasſcherben — eine [were Hals- 
wunde!“ ringt es fich abgebrochen von ihren Lippen. 

Sr hat fich erhoben. Ein wunderliches Fröſteln durch- 
läuft ihn vom Scheitel bis zur Sohle. Er möchte frob- 
Ioden, und dennody preßt ihm der Sammer die Kehle 
zujammen. „DBeruhige dich, mein Liebling, falje dich!“ 
tröftet er mit weicher, zärtliher Stimme, „wer weiß, mit 
wel irrigem und übertriebenem Gerücht man dich er» 
Ihredt bat.“ 

Lena jehüttelt aufgeregt das Köpfchen. „Slanten hat 
alles mit angejehen,“ flüftert fie haftig. „Beide Herren 
find zuſammen geritten — Altenburg leichtjinnigerweije 
auf einem faft völlig unzugerittenen Bollblutrappen ſeines 
DBetters Lanken! Beim Traverſieren einer Straße ftürzt 
bon einem dicht porauffahrenden Wagen ein Slajchen- 
forb, und das junge Pferd, durh das Klirren er« 
ſchreckt, bäumt auf und — und —“ Lena drüdt Die 
Hände gegen die Schläfen und fchluchzt laut auf: „Ontel 
Daniel, Gott im Himmel mög’s verhüten, daß er ſtirbt!“ 

Sobolefstot blidt jtarr vor fich nieder. Seine Zähne 
Ichneiden in die Lippen, tiefe Atemzüge heben jeine 
Bruſt. Er möchte flehen: ‚Laß mir den Hoffnungsitrahl, 
allmädtiger Gott! Wer fo viel fühes Glück genojjen wie 
Altenburg, der ftirbt reich und ſchön. Ich aber bin 
arm und elend!' 

Einen Augenblid herrſcht Schweigen, dann umfchließt 


15* 227 


Lena die Hand des Fürften abermals mit bebendem 
Drud. „Ontel Daniel,“ flüjterte fie, „Eennft du die Qualen 
eines Hangen und DBangen, eines Harren in Zweifel 
und Ungewißheit? Ich weiß, daß er fchwer Frank ift, 
daß er vielleicht in diefem Augenblid mit dem ode 
tingt, und fein Menſch ift auf der weiten Welt, Der 
mir Nachricht Bringt, den ich bertrauenspoll an Das 
Krantenlager ſenden könnte!“ 

„Lena, iſt es nur Mitleid, daß du an feinem Schick⸗ 
fal teilnimmft?* Seine Stimme klingt halb erftidt, und 
ihre Wimpern fenten fi, da fein wunderlicher Dlid 
ihr Auge trifft. Ste antwortet nicht, ringt die Hände 
frei und Ichlägt fie por das bleiche Antlitz. 

Sürft Sobolefskoi neigt fich näher, fein Atem ftreift 
faft ihre Wange. „Bu Tiebft ihn!“ tönt es leiſe, wie 
Hanglofes Zifchen in ihr Ohr. 

Da bebt fie das ſchöne Haupt und fieht ihn an. 
Tränen glänzen an den Wimpern, aber ein Lächeln, ſüß 
und glüdfelig, verflärt ihr Angeficht. „Sa, Ontel Daniel, 
id) Tiebe ihn! Keinem Menfchen auf Oottes weiter 
‚Welt will ih es anvertrauen, als dir allein, du treue 
Seele, du mein einziger, mein befter Freund!“ 

Die ein Schwindel brauft’s durch all feine Sinne, 
feine Knie zittern, langſam ſinkt er auf den Seffel. Er 
Batte geahnt und gewußt, daß dieſe Stunde kommen 
würde. Aber fo? Stredte Gott dennoch feine barm⸗ 
berzige Sand über ihn aus, obwohl .er in letter Zeit 
fo vielfah von feinen Wegen abgewichen ift? Wird 
Altenburg flerben und ihm wieder das Slüd lächeln? 

„Onkel Daniel!“ fleht Lena, „du ſiehſt die Angft, 
die ich um ihn leidel Hab’ Mitleid, Hab’ Erbarmen; 
erfülle mir den größten Liebesdienft, den mir je ein 
Menſch leiſten kann, du bijt Arzt, fahre zu. Altenburgs 
Wohnung und ieh, wie es um ihn Steht.“ 

Er nidt ſchweigend mit dem Haupt und erhebt ji. 

Da ſchlingt fie die Arme um feinen Naden und fieht 
ihn mit unbefchreiblihem DBlid an. So nah, fo gauber- 
ſchön in ihrer tränenfeuhten Qual bat Daniel ihre 


228 


Augen nod) nie gefehen, noch nie find fie den dunklen 
Sternen, die er in der goldenen Kapfel auf .der Bruft 
trägt, fo ähnlich geweſen! 

„Onkel Daniel, gelobe es mir, daß du alles für ihn 
tun willft, was in Menfchenfräften ſteht! Du treuer, 
felbftlofer Samariter, der ſchon an fo viele Kranten- 
lager wie ein Oottgefandter getreten iſt, um zu belfen 
und zu retten, du, der Wilfen und Kenntnijfe gleich Dem 
beften Arzt bejitt, Du wirft auch diesmal voll opfer- 
mutiger Liebe alles einſetzen, diesmal, wo du weißt, daß 
du mit feinem Leben aud das meine erhältft!“ 

Gr ſieht nur in ihre Augen und legt feine Hand 
mechaniſch in die ihre. 

„Berjprih es mir!“ 

„Ich gelobe es!“ 

Ein tiefer Atemzug der Erleichterung Hebt ihre DBruft, 
mit zitternden Singern rührt fie die Schelle. 

„Du fährſt Doch gleich?“ bittet fie abermals, und nod) 
einmal ftredt fie ihm in aufwallender Dankbarkeit die 
Hände entgegen; er ſcheint es nicht zu fehen, den DBlid 
wie gebannt geſenkt, fchreitet er unficheren Schrittes an 
ihr vorbei durch die Zür. 


Herr von Flanken jaß por feinem hölzernen Tiſch 
und ftügte finnend den Kopf in die Hand. Es erging 
ihm ähnlich wie dem Löwen, wenn er auf den Geſchmack 
des Blutes gelommen. Vor ihm lagen drei DBallein- 
ladungen, und Franuſch Niekchen trabte foeben an den 
Brieflaften, um fchleunigft die Antwortfchreiben zu bes 
fördern, die den gütigen ©aftgebern verjichern follten, 
daß der Herr Oberleutnant ‚mit größtem Vergnügen 
uſw. ufw. Folge leiſten werde‘. 

Der hätte das por vier Wochen geglaubt! War 
„der Groppenſche Ball daran fchuld, oder waren es Jo⸗ 
*Tantes Heine Hände? Gie fpielten gar zu allerliebft 
mit dem Fächer und wehten damit die Soldloden zurüd, 
fo daß fich eine dapon gleich einer Schlange an dem 
Urmel des Ulans emporringelte Oder war es ihre 


229 


DBalltoilette? So etwas Duftiges und Spinnwebfeines! 
Grauen find die lieblihen Zwifchenträger pom Himmel; 
fie find Engel, denen man die Flügel genommen bat, 
Damit fie nicht vorzeitig ihre Tränenkrüglein zur Heimat 
aurüdtragen. 

Fa, in Flanfens Seele lebten noch Ideale, und Die 
Liebe, die in feinem Herzen faft unbemwußt ihr Köpf- 
hen bob, lächelte wie ein Kind, das Teufchen Sinnes 
noch an Märchen glaubt. 

In Gedanken verfunfen faß er inmitten feiner blauen 
Tabakswölkchen und überlegte, wie es wohl anzufangen 
fei, daß er Jolante auch einmal zu einem Walzer enga- 
gieren könnte. Es müßte doch rein des Teufels jein, 
wenn er nicht tanzen lernte, wenn er nicht Die paar 
Schritte und Schleifer fchnell begriffen hätte! Davon 
war er überzeugt, aber — Flanfen fuhr mit gefpreizten 
Singern dur) fein Kraushaar — lernen wollte er ja 
gern, aber wie und wo? Ba lag der Hafe im Pfeffer. 
Kann ein fo alter Menſch wie er noch Tanzſtunde neh— 
men? Das würde einen guten Speftafel bei den Ka— 
meraden geben! Und wenn auch) der Tanzmeifter diskret 
wäre, fo würde fih Flanken doch Lieber einen Finger 
abbeißen, ehe er fich por fol wildfremdem Menſchen 
mit täppifhen Bockſprüngen lächerlich machte. Außerdem 
— mit wem follte er tanzen? Ein Lehrer, ein Muſiker 
und einer, der als Dame tanzte, das find bereits drei 
Perſonen, die ins DBertrauen gezogen werden müßten. 
Nein, vor fo viel Publikum läßt fich fein würdiger 
Mann die Deine gelenf brechen! 

Slanten feufzte tief auf und hob gleichzeitig lauſchend 
den Kopf. Was war denn das für eine Katenmufil 
da drüben? 

Sein und filberhell, aber dabei fehr intenfip, vernahm 
er nebenan im Zimmer feiner Wirtin wohlbekannte, 
Klänge. Das war derſelbe Walzer, pon dem Solante 
neulich mit leuchtenden Augen bochatmend und Heiß 
erglüht gefagt Hatte: Es mag eine triviale Melodie 
fein, aber gleichpiel, es tanzt fi) himmliſch Dana! 


230 


Die Tür öffnete fih, und Niekchen trat ein, um eine 
ausgebürftete Uniform wieder in den Schrank zu Hängen. 
Mit drei gewaltigen Schritten Stand fein Herr neben 
ihm, faßte den braven Polen beim Genid und 309g 
ihn an die Wand: „Niekchen! Hörft du was?“ 

Der fo außergewöhnlich Bebandelte dudte fich wie ein 
Jagdhund por der Peitihe und machte ein Geſicht, als 
erwarte er fürdhterlihe Dinge dur) die Wand zu er- 
laufchen. 

„Na, börfte was?“ wiederholte Flanken ungeduldig 
und ließ den Kragen der alten Jagdjoppe log, Die 
Niekchen im Haufe auftragen durfte. 

„Hör ik nur Spieldofel von Wirtin unfrigtes!* ſchüt⸗ 
telte er enttäufht den fchwarzlodigen Kopf. 

„Mehr verlange ih gar nicht! Kennft du vielleicht 
das Stüd, das fie eben fpielt?* Pie ſchlanke Figur 
des Ulans fchnellte wieder empor, und ein fehr fröhliches 
Lachen ließ momentan die Zähne durch den Schnurrbart 
blißen. | 

„Werrd ik doch Tennen Schunfelwalzer, Herr Leut- 
nant!“ 

Slanten blidte auf die Füße feines Scherasmin her- 
nieder, die fich in der heißblütigen Art feiner Nation 
fofort im Salt beivegten. 

„Du Tannjt wohl gar tanzen?“ beinahe klang's wie 
heller Neid in der Stimme des Fragers. 

Die Augen des Polen litten. „Kann if tanzen beffer 
als fizeftes Madel, Leutnant. Hob if gemacht unzähliges 
Mafur — und Hollebiesfa — und Krakowiak —“ 

„Damit Tannft du mir aus dem Zornifter fallen! 
Aber Walzer —“ Flankens Hand legte fih wuchtig auf 
die Schulter des gejchmeidigen Geſellen, „Tannft Du auch 
Walzer tanzen?“ 

„Oh! — Oh!“ und Niekchens Mimik und Handbe- 
wegung fagten alles weitere. 

Da blitte es durch die Gedanken des Oberleuinants 
wie ein großes, großes Licht. „Dann wirft du mich das 
Walzertanzen lehren, Niekchen!“ ſprach er feierlich, „geb 


231 


hinüber zur Frau Wirtin und fag’ ein ſchönes Kompli- 
ment und frag’: ob fie uns mal ihre Spieldofe pumpen 
wolltel Aber nicht verraten, daß wir bier tanzen werden, 
perftanden, Kerl? Sag’, ich fei ein muſikaliſcher Menſch 
und wollte gern das Inſtrument fpielen lernen — ja fo 
— Das jpielt fih von allein. Na, dann fag’ nur, ich 
hätte ganz Tannibalifhe Kopffchmerzen und da wollte 
ih mid ein bißchen aufbeitern!“ 

Sämtlihe Selenfe an Franuſch Niekchen tanzten be— 
reits, als er wie ein Wirbelwind durch die Tür ftob, 
den Befehl auszuführen. 

Slanten aber faßte den ſchweren Eichentiſch mit beiden 
Händen und trug ihn, wie andre Sterbliche vielleicht 
ein Fußbänkchen, durch das Zimmer in Die Ofenede. 
Teppiche gab es G©ott fei Dank nicht zu rollen, und 
nachdem noch die Schemel beijeitegefehoben und ein 
Driefluvert als ftörend Hindernis ſorgſam bejeitigt wor⸗ 
den, ſah fich der blonde Rieſe wohlgefällig in feinem 
ZSanzfaal um und ſchaute dem Lehrmeiſter Nielchen 
erwartungspoll entgegen, als diefer dag Zimmer wieder 
betrat. F 

Sein Geſicht war hochgerötet, ſeine Hände leer. 

„Nun? Wo bleibt denn die Muſik?“ 

„Hob ik gefragt Madel von Wirtin unſrigtes nach 
Schunkelwalzerkaſtel, Hot aber gejagt Marinka ausper- 
Ihämtes, daß bei Wirtin is grußes Damenappell mit 
Kaffeevergniefen, und dag Wirtin narrifhes Darum 
fann niz hergeben Spielödojell“ - | 

„Soll doch ein Schnddonnerwetter —! Tanzen die 
Damen denn au?“ 

„Sitzen gonz maujeljtill auf Kanapee und loſſen immer 
Koffeetaffeln friſch füllen und wodeln mit Kinnbaden 
wie mafurifh Rind, wenn's wiederfäut. Dozu muß 
Snftrument Muſik machen, bis Dame ausgehungertes 
Ionn niz mehr beitun, dann fangt’s an allen Ecken an 
gu verzählen Neuigfeit, und Dofel jpielt immer pressenti, 
Damit niz Paufe wird!“ 

„Das iſt ja eine heitere Beſcherung! Ja, Nielchen, 


232 


da müjfen wir die Stunde heute auffteden, Blitz und 
Knall! und ich Hätte fo gem bis nächſten Mittmod) 
Walzer gelernt!“ 

„Können wir machen alles ohne Muſik!“ 

„Nein, dann bleibe ich nicht im Takt!“ 

„Bonn Leutnant wird niz böfe, Franuſch Niekchen 
konn Schunkelwalzer dazu pfeifen!“ 

Flanken ftarrte feinen ©etreuen einen Moment fprad)- 
los an, dann erglängte fein friſch gerötetes Geſicht wie 
ein Bollmond, der fich ftegreich über düftere Wolfen 
hebt, und langſam ein Preimarfftüd aus der Börfe 
nehmend, reichte er feinem Burſchen anerfennend die 
Hund: „Die dee war einen Taler wert, Nielchen! 
Dorwärts, es kann Insgehen!“ 

Set, wie das ſchlurrte und fchleifte, als der ſchwarz⸗ 
äugige Geſell por feinem Gebieter Probe tanztel Gr 
hatte ſich zuvor in Wichs geworfen, und der blond» 
Iodige Herkules ſah fchmunzelnd auf diefen graziöfeften 
aller dreijährigen Ulanen, der, fed und elegant im 
jeder Bewegung, einem jeden DBallfaal zur Zierde ge— 
reiht Haben würde. Ja, ja, Temperament gehört dazu! 

Boll ehrliden Eifers fette fich auch der Schüler in 
Dewegung. Wo aber bei Niekchen Taum eine Diele 
gebebt Hatte, da zitterten unter des deutſchen Edel—⸗ 
mannes Füßen die Ballen, und wo Niekchen leicht 
und beinahe lautlos die Schritte vormachte, da dröhnte 
es unter Flanfens Sohle wie Donner und Wettergraus. 
Und wie man im beften Zuge war, und Niekchen, 
melodifch pfeifend, fich als zarte Schöne in den Armen 
feines noch fehr tolpatihigen Tänzers zu wiegen ver- 
judte, da Flopfte es erſt zaghaft und dann immer 
energiſcher an die Tür. 

Der Reigen ftodte. 

Slanken wiſchte feuchend mit dem Taſchentuch über 
die Stirn, und Franuſch changterte auf feinen Wint 
bebende zur Tür, um dahinter zu verfchwinden. Mit 
ganz betretener Miene erfhien er nad) lautem Wort- 


233 


wechlel vieler Stimmen wieder por dem Angeficht jeines 
Herrn. 

„Na, was gab’s denn?“ 

„Woren fie Kopf an Kopf die Krängchendamen bon 
Wirtin geängftigtes und Madeln und Mietersleut und 
junftiges Bagag’ auf’ Kurridor. Haben fie all gefreuzigt 
und gejegnet ſik und gefragt, was ig bei Leutnant 
paſſiert? Is ſik unten in Kellerwohnung alles Kalt 
von Stubendede gebrochen, und hot Frau einfältiges ge- 
Ihrien, daß ſik Haus ftürzt ein! Und Kaffeedamen 
Ihreien mit, daß auf Tiſch ihrigtem alle Taſſen und 
©läjeln hoben geflirrt!“ 

Slanten kraute fich verlegen Hinter dem Ohr. 

„Was Teufel, Niefhen! Das ift eine üble Ent— 
dedung. Was haft du denn gejagt?“ 

Der wadere Tanzmeiſter lächelte fehr verfchmitt. 

„Az Wohrheit hob if gefagt, fundern bob gejagt: 
Zeutnant meinigtes bot Kopfweh und mill fit Zeit ver- 
treiben. Wirtin Didfelliges bot niz wollen geben Spiel» 
dojel, da hat Franuſch Niekchen gemacht allein Mufit 
mit Pfeifen und Stampfen, wos is polnifches KRunzert!“* 

„Ale Hagel! Das haft du den Damen geantwortet? 
Waren wohl fehr giftig, He?“ 

„Nix giftig, Leutnant. Hot Wirtin reumütiges roten 
Kopf gefriegt und gelocht: Sag zu beine fchwerrfranfen 
Patient, daß er foll haben Spieldoſel fofort!* Und mit 
triumpbierendem Lächeln wandte er fich abermals zur 
Tür, an die es fchüchtern Flopfte, und nahm würdevoll 
das annoncierte Inſtrument in Empfang. 

Slanten ftrich fich nachdenklich das Kinn. „Stell’ fie 
auf den Tiſch, Nielchen, und dann geh’ "hinüber zum 
Meifter Knieriem und Taufe mir zwei fehöne, weiche 
Silapantoffeln! Pie erften werden’s fein, die ih an die 
Süße befomme, aber was tut man nicht alles, um einen 
Walzer zu lernen!“ Gott Amor faß aber auf der Tifch- 
fante und bielt fich die Seiten por Lachen. 

De Filgpantoffeln wurden gekauft, und Tanzmeiſter 
Niekchen bat fein Meifterftüd gemadt. 


234 


Sinundzwanztgftes Kapitel 


Es war ein alter ftürmifcher Nopdemberabend, als 
die Squipage des Fürften Sobolefskoi durch die Park» 
anlagen nad) einem der Vorſtadtviertel der Rejidenz 
binausfaufte. 

Wunderlihe Stimmen Hangen durh Wind und rau» 
Ihende DBaummipfel. DVielleiht fährt er zu einem 
Schwerkranken, vielleiht zu einem Sterbenden. Nicht 
zum erftenmal legte er fol einen Weg zurüd; in 
Italien und Paris war fein Pla lange Wochen hin— 
durch Hei Sarg und Totenbett gewefen, und feine Hand 
hatte jich fühl und friedlich auf die breddenden Augen 
gelegt, und feine Lippen Ionnten beten. Heute zitterte 
er felber wie ein Schwerfranfer, und die Sedanten, 
die glei wie ein Wirbelfturm alle Leidenfchaft feiner 
gefolterten Seele aufrührten, waren fein Gebet, fondern 
ein Trotzen, Frohlocken und läfterlih Anrufen der Ge⸗ 
rechtigfeit, endlich ihrem Stieffind fein wohlverdientes 
©lüdsteil auszuzahlen. — Zwei dunfle Mädchenaugen 
hatten ihn zum millenlofen Werkzeug gemacht und ihn 
hierher auf diefen Weg gedrängt. Unter ihrem Einfluß 
und dem feines guten Engels war er gefchieden, und 
nun ſchlug die Nacht ihre düſteren Fittiche um ihn, und 
in den Lüften lebte und webte es wie Höllenfpuf. Und 
dann bielt der Wagen mit jähem Rud auf dem Pflafter. 

Der Diener riß die Tür auf, und Daniel ftleg me» 
chaniſch zur Erde und trat durch das ſchlichte Portal 
des Hauſes ein. Schwer atmend erflomm er eine Treppe 
um die andre. Gin Burſche ftolperte mit einem Simer 
poll Eis Hinter ihm die Stufen hinauf, und eine Stau 
tufchelte auf einem der Treppenabſätze pol] Tamentieren- 
der Wichtigkeit mit einem jungen Zipviliften. Sobo— 
lefsfoi griff an den Hut und fihritt vorüber. Pie 
Korridortür ftand offen, und aus der nächſten ebenfalls 
nur angelehnten Zimmertür hörte man leiſe Stimmen. 
Ein Militärarzt verabfchiedete ſich von Herm von Flan- 
fen. Mit einem gedämpften Laut freudiger Aberrafchung 


235 


trat der Oberleutnant der unerwarteten Erſcheinung im 
Türrahmen entgegen, in feiner ungefchidten Weiſe fich 
bemühend, lautlos auf den Tnarrenden Dielen zu geben. 

„Sott fei Lob und Danf, daß Sie Iommen, Durch⸗ 
laucht!“ flüfterte er mit Fräftigem Händedrud. „Sie 
Ihidt ein guter Engel zur rechten Stunde! Haben Gie 
eine Weile Zeit, fünnen Sie momentan bierbleiben!“ 

Daniel bejahte Haftig, fein Blick flog ſuchend durch 
Das Zimmer und haftete auf der geöffneten Stubentür. 
„Ich komme, meine Dienfte anzubieten, meine Herren. 
Nicht als Arzt, dazu bin ich zu lange Zeit aug jeglicher 
Abung, wohl aber als Freund und Handlanger, wenn 
man mid als ſolchen verwerten Tann!“ 

„und ob wir es fönnen!“ atmete der Alan tief auf. 
„Unſer braver Doktor muß noch einem andern Patienten 
Hilfe bringen, und ich fie bereits feit zwei Uhr mittags 
bier auf demfelben Fled, babe in der Aufregung der 
legten Stunden Eſſen und Trinken vergeſſen, und nun 
hängt mir der Magen bis in die Stiefel herunter!“ Und 
das frifhe Antlitz des Sprechers fah fo Häglich zu Fürſt 
Sobolefsfoi nieder, daß Diefem ganz unfreiwillig ein 
Lächeln um die Lippen huſchte. 

„Sehen Sie fchnell, befter Flanken, und forgen Gie, 
daß wir an Ihnen feinen zweiten Patienten zu pflegen 
befommen! ch bleibe Hier und vertrete Sie, folange 
Sie nur irgend verlangen.“ — 

„Um zehn Uhr iſt der Krankenpfleger hier, Durch⸗ 
laucht“, verneigte ſich der Arzt. „Wenn Sie bis dahin 
die große Güte Haben wollten, bier auszuhalten —“ 

„Anfinn! Ich bin um neun ficher zurüd. Mehr als 
eine Stunde brauche ich nicht, um in der nächſten beiten 
Kneipe zum Futtern zu blafen!“ 

Dantel hatte den Pelz abgeworfen. „Sind irgend- 
welhe Mafregeln bei dem SKranfen zu beobachten?“ 
fragte er, fi) der Tür des Nebenzimmers nähernd. 

„Augenblidlich nicht; verbindlichſten Dank. Der un- 
glüdlihe Herr von Altenburg braucht vorläufig nur 


236° 


Ruhe, viel Rube. Ser ungeheure Blutverluft bat ibn 
bis zur Ohnmacht entfräftet.“ 

„Sit Die Halswunde ſchwer?“ 

Der Arzt zudte die Achfeln. „So ſchwer, Daß er 
uns faft unter den Händen verblutete! Aber jebt, da 
wir ihn regelreht bandagiert haben, tft er, jo Gott 
will, gerettet.“ 

„Wenn nur fein Fieber kommt,“ nidte Flanken jorgen- 
poll, „und wenn der Berband nur haftet.“ 

Der Arzt griff nah dem Hut. „Sieber wäre aller- 
dings ein böfer ©aft, aber gottlob find feine Anzeichen 
Dafür da, er atmet ruhig und regelmäßig“, und er trat 
an Daniels Seite abermals in das Kranfenzimmer, um 
noch einmal pon dem Zuftand des jungen Dffiziers 
Kenntnis zu nehmen. 

Eine leife geführte Unterredung der beiden Mediziner, 
diewweil Slanten auf dem Flur den Säbel umjchnallte; 
dann inftruierte der Militärarzt noch einmal den DBur- 
ſchen, jedem Befehl feiner Durhlaudt Folge zu leiften, 
und mit furzem SHändedrud verabſchiedeten ſich die 
Herren. 

Daniel geleitete ſie bis zur Treppe, ſchloß lautlos 
hinter ihnen die Korridortür und beauftragte den Sol⸗ 
daten, die Schelle abzuftellen und auf jegliches Klopfen 
zu achten. Dann trat er langjam in das Zimmer zurüd 
und jette jih an das Krantenlager feines gehaßten 
Nebenbublers, über Schlaf und Leben zu wachen. 

Mechaniſch neigte er ſich vor, das Antlit des Kranken 
mit ftarrem Dlid zu umfaffen. Das gedämpfte Licht 
ließ die Züge Altenburgs geifterbleich erfcheinen, ſo 
marmorlühl und regungslos, daß Sobolefskoi jählings 
emporſchnellte, das Ohr dicht gegen Die Lippen Des 
Verwundeten zu neigen. 

And langſam, die Zähne zufammenbeißend, ſank er 
wieder in den Korbfefjel zurüd; noch hoben matte Atem- 
süge die Bruft. Nachdenklich Streift Daniels Blick unter 
den finfterbufhigen Brauen berbor, als wolle er voll 
alter Wiffenfchaftlichleit berechnen, ob dieſe fchlante 


237 


Sünglingsgeftalt, deren Angeficht fo deutlich die Spuren 
übergroßer Arbeit und rajtlofen Fleißes trug, Diejen 
Schidjalsichlag überdauern werde, der feine ganze Kraft 
in rinnenden Blutftrömen gebrochen. ®erade dieje zarten 
und elend ausfehenden Menſchen find auf dem Kranten- 
lager zäh und fchmiegfam wie die Binfen. Seine Augen 
find geſchloſſen, ein Zug erniter, beinahe energiſcher 
Refignation liegt auf den regelmäßig und edel gejchnit- 
tenen Zügen, und Fürſt Sobolefstoi dedt mit leijem 
Aufftöhnen die Hand über die DBrauen; er begreift es 
jo wohl, daß Lenas DBlid voll Liebe und Entzüden an 
diejem Antlit Hängen muß, nicht allein um feiner eigen- 
artigen Schönheit, fondern auch um des Geiſtes willen, 
der ihm fein leuchtend Siegel auf die Stimm gedrüdt. 
Aber e8 iſt eine Dual, ftundenlang fiten zu müſſen, 
um das Haupt eines Mannes zu ſchauen, um deſſent⸗ 
willen man an allem Glück zum Dettler geworden. 
Daniel wendet fi in aufwallender Erbitterung ab, 
das Zimmer einer Mufterung zu unterziehen, Bücher, 
lauter Bücher, Landkarten, Meßgeräte und Zeichnungen, 
alles einfach, jolid und anſpruchslos, fein Ajchenbecher 
oder Rauchferpice, fein Band aus der Leihhibliothef, 
feine Dielliebehen, Bafen und Bronzen, feine Photo» 
graphien aus Zirkus und Operette — nur über dem 
Bett hing ein kleines Kruzifix und darunter das fchlicht 
umrahmte Bildchen einer fchlanten, vornehm blidenden 
Dame, deren Antlit eine frappierende Ahnlichkeit mit 
dem jungen Offizier zeigt: feine Mutter. Dantel zudt 
zufammen und neigt fich etwas näher. Auch fie bat 
Dunkle Augen, und weil fie das Haupt etwas gefentt 
hält, ſieht es aus, als ruhe ihr DBlid voll ernfter Weh⸗ 
mut auf dem leidenden Sohn. 
And wieder reißt ſich Daniel faft ungeftüm von 
dieſem Anblid los. | 
Am ſich au befchäftigen, refapituliert er feine Unter- 
tedung mit dem Militärarzt über die Art der Derwun- 
Dung und ihre Behandlung, greift in die Taſche und 
sieht etliche Papierftreifen herpor, Die der Doktor pom 


238 


Tiſch genommen und ihm zur beffern Ortentierung ge- 
reicht hat. Es jind ärztliche Verordnungen und Re— 
zepte, Die eventuell noch angewandt Werden ſollen. 
Langſam entfaltet er die Blätter, lieft das erjte, dann 
das zweite. Plöglih ftugt er. Franzöſiſch? — Was 
fol das bedeuten? „Wie fol ih Ihnen danken, mein 
Wohltäter, mein edeliter Baron, dag Sie mir wieder 
zwei Marf mehr als mein Stundenhonorar gejandt 
haben? ft es nicht ſchon genug des Erbarmeng, daß 
Sie vier Treppen hoch in einem SHinterhaus empor- 
fteigen, bei einem unglüdlihen alten Mann Sprad)» 
ftudien zu nehmen, wo Ihnen gewiß viele vornehme 
Lehrer zu Dienſten ftehen? Gott Iohne es Ihnen um 
meiner armen, armen Kläre willen, für die ih nun 
wieder Medizin und Suppen faufen fann! Prei Fahre 
Ihon gelähmt, ein einundzwanzigjähriges Mädchen, ©ott 
möge ſich bald erbarmen! Ad, wäre meine Tochter. 
doch damals bei der Frau DBaronin geblieben, anjtatt 
die unfelige Heirat zu tun, das Glend Wäre nie ge- 
fommen — aber franzöfifhe Bonne fein — —“ 

Daniel ließ das ärmliche Driefblatt, auf dem eine 
aittrige alte Hand ſich mit Schriftzügen abgemüht, wie 
geiſtesabweſend finfen und ftarrte geradeaus ing Leere. 
War es denkbar, menſchenmöglich? Waren all die leicht» 
finnigen Motive, die er dem jungen Offizier unterlegt 
hatte, irrig?  Scheiterten fie abermals an der ftolzen 
Ehrenhaftigfeit des Freiherrn von Altenburg, der barm» 
berzig durch Wind und Wetter geht, um bei dem DBater 
feiner ehemaligen franzöfifhen Bonne Sprachunterricht. 
zu nehmen? Und Kläre —? Der Fürſt fenfte das 
Saupt tief auf die Bruft und verſchlang die Hände 
krampfhaft um das Inifternde Papier. „DBergebe Gott 
mir meinen nidhtswürdigen Verdacht.“ 

Minutenlang faß er und blidte regungslos por ſich 
nieder, Dann erhob er fich, fehritt Tautlos in dag Neben- 
zimmer und rüdte das Zintenfaß herzu. Bogen und 
Kuverts lagen noch auf dem Tiſch. Sobolefskoi zog 
jein Portefeuille und faßte alles, was er an Banknoten 


239 


darin fand, zufammen. „Für Kläre, Bon einem, der 
noch elender ift als fie“, fchrieb er auf einen Zettel, 
Ihloß ihn zu der hohen Geldſumme in einen Umfchlag 
und adrefjierte ihn an den greifen Schüßling Des Frei— 
herrn von Altenburg. Zwei Mark hatte diejer ihn über 
das Honorar geſchickt — mie ſchwer ſanken fie in Die 
Wagſchale gegen diefes Kapitall | 

Die Tür wurde leife geöffnet; der Burſche Alten⸗ 
burgs erſchien und fagte: „Der Kammerdiener tft draußen 
und meldet, Daß der Wagen wieder porgefahren jei.“ 

Daniel nahm fchnell feinen ſoeben gejchlojfenen Brief, 
fab auf die Uhr und trat auf den Korridor. Es war 
juft in der neunten Stunde und die Häufer der Groß— 
ftadt noch nicht gejchloffen; infolgedeffen inftruierte der 
Fürſt feinen getreuen Alezandromitich, in Sharfem Tempo 
jofort nah) der H.⸗Straße zu fahren, dieſen Brief im 
Sinterhaus an feine Adrejje abzugeben und ohne ein 
Wort der Erklärung augenblidlih wieder zu geben. 
Die Equipage brauche nicht mehr hierher zu kommen; 
wenn er nah Haufe fahren wolle, jeien jederzeit Droſch⸗ 
fen zu haben. Fräulein ‚Lena; von Groppen jolle er einen 
Gruß beftellen und jagen, daß der Freiherr fehr ſchwer 
erfrantt, allem Anfchein nad) aber bereits außer Le— 
bensgefahr fei. Der Fürſt übernehme perfönlidy die 
Nachtwache. 

Als der Diener ſich haftig entfernte, trat ihm Herr 
bon Flanken entgegen. Er war wieder vollitändig 
rejtauriert und erjichtlih guter Laune; poll rührender 
©utmütigfeit erbat er fi, bei Altenburg zu wachen, 
bis der Krankenpfleger fäme. Er erzählte mit gedämpfter 
Stimme noch einmal alle Details des unglüdlichen Sturzes 
und ſchloß in feiner treuherzigen Weife: „Da babe ich 
undanfbarer Gejell immer behauptet, meine Muskel⸗ 
fraft fei ein totes Kapital im neunzehnten Jahrhundert, 
und nun babe ich mich Überzeugen müfjen, daß fie Doch 
noch zu etwas nütze iftl Wie ein Widellind babe ich 
Altenburg in den Armen getragen, und hätten meine 
tarfen Hände nit mit zugegriffen und gehalten, fo 


240 


wäre wohl das Bandagieren auch nicht fo ſchnell ge- 
gangen. Na, verzeihen Sie, Durchlaucht, daß ich eine 
fo hohe Meinung von mir befommen babe — Gie 
glauben gar nicht, wie ſtolz es mich macht, daß ich 
auch mal zu etwas nütze war!“ 

Daniel drüdt ihm lächelnd die Hand; Der blonde 
Riefe jedoch, dem nichts fo fremd war wie Krankheit, 
fuhr bedauernd fort: „Zu fchade, daß der arme Kerl 
da drinnen fo feſt [hlafen muß; wenn er wach Wäre, 
könnten wir fo nett einen Heinen Stat zu dreien fptelen — 
zum „Zeitvertreib! Rauchen darf ich wohl auch nicht?“ 

Rein, zum Krankenwärter hatte Herr von Flanten 
borläufig noch nicht das mindefte Talent, Darum redete 
Daniel ihm auch dringend zu, die Sorge für den Pa- 
tienten allein ihm, dem Arzt, zu überlaffen. 

„a, meinetwegen — wenn ich nicht nötig bin, werde 
ih mid) nachher heimwärts fchlängeln, aber fo lange 
bleiben Sie noch bier im Korridor, Durchlaucht, Damit 
ih Sie ein bißchen unterhalten kann. — Sagen Gie 
mal, wie geht es denn Fräulein Zolante?“ 

„Dante fchön, ganz vorzüglich!“ 

„Srzählen Sie mir doch mal ein wenig von ihr, fo 
intereffante Heine Züge, über die man fie perfönlich 
nit gut ausfragen kann —“ 

„Ich berftehe nicht!“ 

„Na, ift fie zum DBeifpiel Iteber Schofolade oder 
Marzipan — wenn man mal eine Bonbonniere fchiden 
wollte?“ 

Daniel lächelte. „Soptel ich weiß, liebt fie beides!“ 

Slanten rüdte etwas näher und neigte ſich vertrau- 
lich nieder. „Ich glaube, fo ein Elfchen ift überhaupt 
nur DBonbong,“ flüfterte er, und feine SKinderaugen 
ſchauten recht bedenklich drein; „wenn fie ſich nun ein« 
mal verheiratet, glauben Ste, daß Solante ihrem Mann 
dann auch zumutet, Tediglid) von Konfelt zu leben?“ 

Sobolefstot hielt das Taſchentuch an Die Lippen. 
„zein, mein befter Slanten. Wenn Solante überhaupt 


16 Eſchſtruth, Hofluft 241 


heiratet, Bat fte ihren Mann fehr lieb, und bie Liebe 
überwindet alles, dem ©atten zu Gefallen fogar Die 
erfion gegen — Sauerkraut! Und nun leben Gie 
wohl, mein lieber Oberleutnant, auf baldiges Wieder- 
ſehn!“ | 


Wie endlos lang doch foldy eine Naht im Kranten- 
zimmer iſt! — Aus dem Korridor Elingen bie tiefen 
Atemzüge des fchlafenden Burjchen und des Wärters, — 
die Uhr hat foeben die dritte Morgenftunde verkündet, 
und Daniel Sobolefstoi fist allein am Lager jeines 
Nebenbuhlers und ftügt das Haupt mit den brennenden 
Augen in die Hand. — Sein Körper iſt tief erjchöpft, 
aber feine Seele ift erregter denn je. Zwiſchen Mitter- 
naht und Hahnenfchrei öffnet die Hölle ihre Düftern 
Pforten; dann ziehen die greuliden Anholde ihren 
Sallftrid um die Füße der Menfchen, dann jebt fich 
das Verbrechen neben den Schlummerlofen und malt 
ihm wilde Phantafien ins Hirn, dann boden jich DBerrat, 
Treuloſigkeit und Selbſtſucht um ihn ber und flüftern 
ihre ſündhaften Anjchläge in fein Ohr! AU die fahlen 
©eifter der Berfuchung umflammern ihn und loden und 
ziehen heran zu ihrem Sezenfabbat, und der ©eift, 
der fonft fo millige, Tann dem Rauſch phantaftilcher 
Hirngefpinfte nicht miderftehen, und das Fleiih ift 
Ihwadh... DBewahre ©ott in Snaden des Menſchen 
Seele vor folchen Stunden einfamer, grabesſtiller Mitter- 
naht! — Daniel Sobolefskoi ftarrt regungslos auf das 
bleihe Angeficht in den Kijfen, und an den Sedanten, 
daß Lenas Liebe diefem Manne gehöre, fchließen jich 
in wirbelndem Reigen noch viele andre Gedanken an. 
Die Eiferfucht mit ihrer erbarmungslofeften Qual foltert 
fein Herz, Srbitterung und wildes Radhegelüft wachen 
mächtig auf, und obwohl Daniel weiß, daß der Schlaf 
eines Menfchen durch ſcharfes Anfchauen gejtört wird, 
figt er dennoch weit vorgebeugt und heftet den fun- 
kelnden Blid auf das Antlit feines Feindes. Der 


242 


Kranfe atmet unruhiger, feine Hände zuden auf der 
Dede. 

Wie Stohloden zieht's Durch alle Safern und Nerven 
. des Mißgeftalteten. WMlein mit dem Räuber feines 
Ölüdes, fein Leben, fein Bejtehen in feine Hand ge» 
geben... wer bindert ihn daran, Durch einen einzigen 
Augenblid die rollende Kugel des Schidjals in andre 
Bahnen zu fchleudern? Niemand ſieht's — niemand 
hört's — Teiner Tann es beweijen... nicht im Himmel, 
nicht auf Gröden. | 

Der Berwundete öffnet jtöhnend die Lippen und lallt 
unverftändlide Worte... fein Arm hebt ji wie ab- 
wehrend gegen die ftieren DBlide, die auf ihn gerichtet 
find, .wie die eines Raubtieres auf fein Opfer... — In 
den farblojen Wangen fladert es rot empor. und zeichnet 
grelle Sleden auf die Backenknochen. 

Das Fieber! — Das Fieber! — — Wie eine Schlange 
ringelt e8 jih um die zujammengefauerte Ziwergen- 
geitalt — er will laden... aber die Lippen verzerren 
jich bloß, und die Zähne bligen grell auf. — Wer wehrt 
es ihm, in dieſer jtillen dunklen Nacht die Bandagen 
zu lodern, wer fann ihn hemmen, den dunflen Blut» 
ftrom, der für Zeit und Ewigkeit eine Kluft reißt zwiſchen 
Lena und ihm? — Ein kurzer fchneller Sriff, und das 
Lebensglück Sobolefskois iſt gerettet! 

Der Satan ſchlägt ſeine Krallen in Herz und Hirn, 
es zieht ihn wie mit teufliſchen Sewalten näher und 
immer näher zu feinem Opfer. Sr niet auf das Bett... 
er neigt jih vor — ftredt die Hand aus — — Hal — 
Wie wagt es jenes Heine Bild, ihn plöglich mit dunklen 
Augen anzubliden — jenes Bild an der Wand, das 
den DBlid wie magnetifh an fich zieht, das wie zu 
geifterhafter Größe anwachſend, fich flehend und angjt« 
boll über den Sohn neigt? 

Seine Mutter! — Ein unartifulierter Laut ringt ſich 
gurgelnd aus Daniels Kehle, — wie zujammenbrechend 
in fich felbft fchridt er zurüd, er wanlt, und feine Hand 
fügt fich [hwer auf die Bruft des Kranken. — Wild 


16* 243 


emporfchredend reißt Altenburg die Augen auf. Pie 
Blut des Fiebers brennt in dem irren Blid, mit dumpfem 
Schrei der Wut fchnellt er empor, padt die fremde 
Sputgeftalt mit beiden Zäuften und will fie erwürgen. 

Sin kurzer, furhtbarer Kampf. — Daniel ringt fich 
feuchend frei, feine lieder zittern, ihm felber wühlt’s 
wie Ziebergluten dur) den Sinn. — Wtenburg ftürzt 
in die Kiffen gurüd, und Sobolefskoi bricht auf Die 
Knie zuſammen, Die gefalteten Hände zum Himmel 
bebend, mit dem Murmeln der DBerzweiflung —: 
Wutter... was wollte id tunl Und dann fpringt er 
empor und neigt ſich über den Verwundeten, voll 
Todesangſt in feine verglaften Augen zu bliden. Schnell 
Das Siebermittel... Doch, albarmherziger Himmel — 
was tft das? — über die weißen Binden des Halſes 
rinnt ein feiner roter Streifen, und das weiße Nadht- 
bemd auf der DBruft färbt fi zu dunklem Purpur. 
Regungslos, wie tot, nur ein leifes Röcheln auf den 
Kippen, liegt der Krante. 

Daniel taumelt zurüd. Ein marferfchütternder Schrei 
gellt durch das Zimmer. Dann ftürzt er mit feuchendem 
Atem in Das Nebengemad), wo die ärztlichen Inſtrumente 
und Dandagen noch auf dem Tiſch ausgebreitet liegen. 
Der Krantenwärter fchridt empor. — „Zu Hilfe!“ fchreit 
Daniel, „der DBerband. Hat fi) geldft!“ 

Und dann wagt er fi mit dem Mut der Derzweif- 
lung an das furdhtbare Werft. Entweder gelingt es ihm 
ohne Hilfe, oder der junge Offizier ftirbt unter feinen 
Händen. Entſetzen fehüttelt den Fürften: „Mutter er- 
barme Dich meiner!* — ringt fih’s wie in Todesnot 
bon feinen Lippen, und er beißt die Zähne zujammen 
und beginnt mit Hilfe des Wärters den Verband ab- 
aulöjen und die blutende Ader neu zu unterbinden. 
Bon feinem Herzen aus geht es wie falte Schauer 
Durch feine ©lieder, eine wunderjame Ruhe überfommt 
ihn, mit dem DBewußtjein der Gefahr fehrt fein Wiſſen 
und Können zurüd. — Wohl rinnt der Angſtſchweiß 
bon feiner Stirn, aber feine Hände arbeiten rubig 


244 


und jicher, und wie der furchtbare rote Quell verjiegt, 
wie fi) die Linnen fejt und ficher darüber legen, da 
klingt's nur wie ein Schluchzen aus feiner DBruft hervor, 
und als Altenburg wieder ftill und ruhig auf feinem 
Schmerzenslager liegt, fein Burſche an dem Bett nieder- 
niet und das Geſicht mit feuchten Augen tief auf- 
atmend in den Händen birgt, wie der Kranfenwärter 
poll leifen Jubels ausruft — „Dem Himmel fei Dant, 
Herr Doktor — jebt ift er gerettet!“ — da fühlte 
Daniel plößlich, wie feine Knie erzitterten. 

Eine unbezwinglihe Schwäche überfällt ihn, blutrote 
Nebel wallen vor feinen Augen, und er greift taftend 
um ſich. — „Um Deinetwillen, Mutter... um deinet⸗ 
willen, Lena! Gott fei gelobt! —“ murmelt er, und 
dann ſinkt fein Haupt gegen die Seſſellehne zurüd. 
Wie Himmlifde Muſik umflingt es ihn, zwei dunkle 
Augen lädeln ihm zu, und dann umfangen ihn die 
Chatten tiefer Ohnmacht. — 

Der Fürft Hatte befohlen, daß fein Wort über jene 
Demußtlojigfeit, die ihn in dieſer Nacht befallen, ver⸗ 
lauten folle. Er erholte fich [chnell, nahm etlihe Tropfen 
aus einer Keinen Phiole, Die er bei fich führte, und 
befand ſich auch bald wieder in’einem völlig gefräftigten, 
beinahe aufgeregt frifhen Zuſtand. 

Boll wahrhaft aufopfernder Sorgfalt bütete und 
pflegte er den Kranfen und fuhr am nädhften Morgen 
erft nah Haufe, als er den Freiherrn der Sorge des 
Milttärarztes anvertrauen fonnte. Betroffen blidte diefer 
in das Angeficht des Fürften. Das Tageslicht zeigte 
eine wunderbare, faft erfchredende Veränderung. Hohl 
und fieberglänzend ftarrten die Augen; tiefe Furchen 
gruben fi in Wange und Stirn, und das Haar deuchte 
den Beobachter heute viel ergrauter noch, als geftern 
abend. — Das war begreiflih: die qualoolle Auf- 
regung, die der Fürft Stunden hindurch gelitten hatte, 
war groß gewefen, um fo mehr, wenn er tatfächlich mit 
fo viel freundfchaftliher Liebe dem Kranken zugetan 
war, wie es den Anſchein hatte. — Der Kranfenwärter 


245 


erzählte, daß der Fürft den Reft der Nacht kniend 
an dem Bett des Verwundeten verbracht babe, Die 
Hände mie in tieffter Seelenqual im Gebet ringend. 

Auch am nächſten Tag wich Sobolefstoi faum von 
der Seite Eitels. Gr drüdte dem Erwachenden die Hand 
und legte die Rechte wie fegnend auf fein Haupt. Oft 
bielt er fi) wie in jähem Schwindel an den Möbeln 
fejt oder preßte die Hände gegen die Bruſt. 

Mit einer faft Frankhaften Haft und Grregung be— 
ſchwor er die Arzte, eine Überführung des Kranken in 
des Fürften Wohnung zu ermöglichen. Dieſe jei voll» 
fommen zwedentjprechend und babe den Vorzug, daß 
er den Freund ſtets unter feiner ärztlichen Auflicht habe. 

Man ftellte die Aberführung für den zweitnächſten 
Sag in Ausficht, und Daniel fchleppte fich während dieſer 
Zeit pflichtgetreu zu feinem Schußbefohlenen, wie ein 
Bater über ihm zu wachen. 

And der Tag kam, dba der Freiherr pon Altenburg 
nad) glüdlihem Transport unter dem feidenen Baldachin 
in Sobolefskois größtem und Iuftigftem Zimmer lag und 
nah ftärfendem Schlaf die Augen öffnete. Da ftand 
Daniel vor ihm und hielt das Feine Bildchen in der 
Sand, pon dem Eitels Mutter mit dunklen Augen ihm 
zuzulächeln fchien. 

„&8 Toll wieder feinen angeftammten Platz erhalten!“ 
fagte er leiſe mit eigentümlich fremder Stimme. „Als 
ich es abnahm, fiel mir die Hälfte eines trodenen Klee» 
Blattes entgegen, — bier ift fiel Sch werde dieſes 
Glückszeichen gut aufbewahren für Sie, denn es hat in 
der Tat wie ein guter Etern über Ihnen gewadt!* 

Reife Röte ftieg in Eitels bleihes Angeficht. 

„Warum foll es nicht au den gewoͤhnlichen Platz 
behalten?“ 

Daniels Blick ſchweifte wie geiſtesabweſend über das 
Antlitz des Fragers hinweg. „Die Zeit des Kräutleins 
iſt um; — droben flicht Lena einen Kranz von roten 
Roſen, der dieſes Bild umrahmen ſoll. In ihrem Duft 
follen Sie träumen, und wenn die Blüten verwelkt 


246 


find, wird ſie perfönli fommen, neue Zweige zu 
bringen.* — Ber Fürft dedte die Hand über die Augen. 
„Dann wird ein Engel an Ihr Krankenlager treten, 
defjen Lächeln Sie genefen lajjen wird, — an Xeib 
und Seele.“ 

Ein bebender SHändedrud war die Antwort des 
jungen Offiziers. — An demfelben Tage jedoch fand 
man den Fürften befinnungslos vor feinem Schreib- 
tiſch zuſammengebrochen, ein ſchwarzgeſiegeltes Kupert 
lag auf der Platte. — ‚Mein letter Wille‘ war jene 
Aufſchrift. 

Die Arzte konſtatierten den Ausbruch eines — 
leidens, das ſich bereits ſeit längerer Zeit vorbereitet 
zu haben ſchien. Im Verein mit den ſtets heftiger auf— 
tretenden aſthmatiſchen Beſchwerden gab es Anlaß zu 
ernſten Beſorgniſſen. 

Wochen voll Sorge und Angſt vergingen, und als 
der Chriſtbaum ſeine Flammenſternlein an den Zweigen 
brennen ließ, da ſaß Fürſt Daniel bleich und gebrochen 
im Rollſtuhl und blickte mit dem herzzerreißenden Lä» 
cheln eines Dulders in den weihnachtlichen Slanz empor. 

Altenburg ftand hoch und ftattlih an feiner Geite, 
heute als völlig gefundet aus Der ärztlichen Pflege 
entlaffen. Friſcher, blühender als je trug er das Haupt 
auf den Schultern, und in feinem Auge fpiegelte fich 
ein ungetvohnter fonniger Glanz des Slüdes, ein Wider- 
Ihein jener unausſprechlich feligen Stunden, während 
derer Lena an feinem Lager gefeffen, den Zauber aller 
jungen Liebe und allen jungen Lebens über Ihn ergießend. 
Draußen hatten die Schneefloden mahnend ihren fühlen 
Kuß auf die jungen Keime gebrüdt, die zu früh zum 
Licht herbordrängen mollten, und drinnen preßte der 
junge Offizier die Hände wehrend gegen das unaeftüme 
Herz und faate ſich voll ftolzen Chraefühls, daß es 
noch nit an der Zeit fet, die NRofen zu pflüden, und 
Daß man mit leeren Händen nun und nimmermehr 
füen und ernten könne. 


247 


3weiundawanzigftes Kapitel 


Das Königlihe Schloß bat feine Säle geöffnet und 
[haut wie mit hundert glühenden Seueraugen in Die 
pon Schneefloden durchwirbelte Sinfternis hinaus. Im 
Beftibül paradieren die Lakaien und Huifjiers in voller 
Gala, und im Feldberrnjaal erwartet der Oberbofmar- 
Ihall, den Stab mit filbernem Knopf voll eleganter 
Würde zur Hand, die Säfte feiner erlaudhten Gebieter. 

Ale Würdenträger und die pornehmften Damen und 
Herren der Gefellihaft fanden fih bier zufammen, 
Ezrzellenzen, Marjhälle und Glieder der Ritterjchaft, 
repräfentierende Mütter und tanzluftige Töchter. 

Yrfula tft glüdielig; Prinz Theobald bat fie Durch 
einen Banz ausgezeichnet, und weil fie heute feine Luft 
bat, ‚Wite Ioszulajfen‘ und fich Darin gefällt, ‚aus 
Affigfeit‘ einmal alles ganz genau fo machen, tie 
die andern jungen Damen, find alle Leute Tolojfal nett 
zu ihr, und Graf Lohe, in feiner ‚patenten‘ Hofjunfer- 
uniform, fcheint geradezu entzüdt zu fein und verjichert: 
‚es babe fih ein holdes Wunder an ihr begeben! 

Er fteht neben ihr und muftert mit Wohlgefallen 
ihre zierliche Geſtalt. Heute ift gar nichts mehr an der 
Zoilette auszujegen. 

„Fräulein Urfula... Sie haben ja heute die Hand» 
Ihube bis zum lebten Knopf geſchloſſen!“ 

Sie glüht wie ein Röschen und fächert ſich Kühlung 
au; bei feinem nedenden Son ſchießt ihr das Dlut 
bollends in die Wangen: „Weil heute eine Hundefälte 
iſt, — ich frierel“ troßt fie ihm entgegen, und faum, 
daß ihr das Wort entfchlüpft, beißt fie fi erſchrocken 
auf die Lippe und tut ſcheuen Umblid, ob jemand dag 
polizei« und courwidrige Wort gehört bat. Das ftebt 
ihr allerliebft und der Erbherr von Illfingen überwindet 
fein Mißbehagen und bittet um den Vorzug, mit ihr 
foupieren zu dürfen. 

„Nein — ich bedaure.“ 

“Ab... find Sie bereits engagiert?“ 


248 


„ein!“ i 

Sein Auge fprüht auf: „Warum weiſen Sie mid) 
dann zurüd?“ 

Da ſchlägt fie ihre Augen poll auf, dieſe großen, 
naiven Kinderaugen, tritt ihm noch einen Schritt näher 
und flüftert ſchmollend: „Weil Sie mir immer fo wenig 
zu eſſen bringen, lauter zuderfüße Jämmerlichkeiten; 
und wenn ich noch "was Ordentliches haben will, dann 
machen Sie jedesmal ein Seficht, als wollten Sie jagen: 
Du Freßſackl!“ 

Fa, Urfula hatte wieder ein Attentat auf Lohes zarte 
Nerven ausgeführt, allerdings nur ganz, ganz leije, fein 
fremdes Ohr hatte es gehört, aber dem Grafen ging 
Doch ein Fröſteln über, und er war plößlich wieder aus 
allen Himmeln geftürzt. Wäre er ein befferer Menſchen— 
fenner gewefen, fo Hätte er wohl mit GEntzüden den 
Kampf diefer kindlichen Mädchenjeele bemerft, die voll 
zärtlihen Willens allein ihm zuliebe in die Bahnen 
einlenkt, die er vorgefchrieben, und doch zu fpröde und 
ſtolz ift, es ihm einzugefteben. Der Welt gegenüber 
wollte fi Urjula feine einzige Ungezogenbeit und Derb- 
beit mehr zuſchulden Tommen laſſen, aber Graf Lohe 
ſollte nichts von folder Wandlung merken, fonft Hätte 
er fih womöglich eingebildet, jie gehorche ihm, — ob, 
und Daran war nicht zu denken! Das Fräulein von 
Kuffftein tut einzig, was fie will, und davon beißt 
feine Maus einen Faden ab! 

Lohe verjiherte mit einer etwas fteifen Kopfhaltung, 
daß er Diesmal jede Vorſchrift der Aſthetik unberüd- 
jihtigt laffen und das gnädige Fräulein zur Yufrieden- 
beit bedienen wolle. — Sr babe darum den Wunfd 
gehabt, ihr Tiſchnachbar zu fein, weil er ihr eine Neuig- 
feit zu erzählen babe. 

„Aa meinetwegen, dann fchießen Sie Ins!“ nidte Die 
Kleine leihthin, „werde Sie alfo an der Krippe dulden!“ 
— And ihr Auge blitte noch einmal recht triumphierend 
zu ihm auf, und dann tanzte fie mit einem Gardeoffi— 
zier davon. | 


249 


— 


„Sin allerliebftes Knöfpchen!* erflang es neben dem 
jungen Grafen; „will es mir zum nächſten Walzer 
pflüden!“ 

Mark⸗Wolffrath zog die Augenbrauen zufammen und 
wandte den Kopf fchnell zu feinem intimften Freund, 
dem Fürſt Schlüfften, herum. „Auf Wort, gefällt fie 
Ihnen? — Geit wann das?“ 

„GEhrlich geftanden, erft feit unferm Wiederfehen bier 
in der Refidenz! Früher war fie ein gar zu wild auf» 
gewachſener Bub, jet ift fie ein fcharmantes Mädel 
geworden!“ 

„Inwiefern? Sch finde fie noch genau fo draftijch 
und unerzogen wie früher! — Lohe warf den Kopf 
zurüd und machte das SBeficht, das ihm den Spitznamen 
feiner Kameraden ‚der prüde Joſef' eingetragen. 

„Unbegreiflihl Sie benimmt ſich durchaus comme il 
faut, und wenn fie wirklich mal ein wenig flin? mit dem 
Zünglein ift, nun, fo ift eg in einer fo frifchen naiven 
Art, daß man höchſtens wohltuend davon berührt wird. 
— Sie ftellen eben gar zu hohe Anforderungen, beiter 
Sraf, und was wir andern Staubaeborenen amüfant und 
originell nennen, fträubt Ihnen als eine Taktloſigkeit Die 
Saarel Kommen Gie aus den Wolken herab und fochen 
Cie mit Waſſer, wie wir auh! — Ab voilä... da Tommt 
die Kleine zurüd — ... Meine Onädigfte, darf ich 
um eine Cztratour bitten?“ 

Lohe biß ſich ärgerlidy auf die Lippe. ‚Rommen Gie 
aus den Wolken berabl!!' — — Lächerlich, ift es feine 
Schuld, wenn die Natur ihn mit allzu peniblem ®e- 
ſchmack ausgeftattet? Daß diejer ein Unglüd für ihn 
fet und ihm den Lebensweg mit viel unnötigen Dornen 
pflaftere, war ihm fchon oft genug gejagt, — von 
Menſchen, die impertinent genug waren, fich ein Urteil 
über fein Wejen anzumaßen! Ber Stab des Hofmar- 
ſchalls berührte aufflopfend das Parkett, die tanzenden 
Paare traten zurüd, und Prinzeſſin Gordelia fchwebte 
im Arm des jungen Grafen Antigna auf wiegenden 
Walzerllängen dahin. 


250 


Yrfula riß die Augen weit auf por Staunen und 
Steude. Wie gütig und Huldpoll von Ihrer Hoheit, 
den blutjungen SKapalier, den Neuling am Hof, zum 
Tanz zu befehlen! Man ſieht es ihm an, wie dieje uner- 
wartete ®nade ihn erregt, wie DBerlegenheit und Angft, 
diefer Auszeichnung nicht gewachſen zu fein, ihm fieber«- 
hafte Glut in das fonft fo farblofe Antlit treibt. 

Er ift ein wenig geübter Tänzer, fein Arm umſchließt 
die elfenhafte Geſtalt der PBringeffin zu feft und zu 
nervös, faft fieht es aus, als preffe er fie voll leiden“ 
ſchaftlichen Ungeftüms an die Bruft. 

Zweimal haben fie die Runde des Fleinen Kreifes 
getanzt, dann neigt die junge Fürftin danfend das 
Köpfen und fchreitet am Arm des Grafen nach dem 
Divan zurüd. Sin engelhaftes Lächeln fpielt um ihre 
Lippen, und mie fie mit jedem ihrer Tänzer ein paar 
freundlide Worte plaudert, fo fchlägt fie die leuchten- 
den Augen auch zu Henry Antigna auf und richtet 
etlihe Sragen an ihn. — Ber junge Graf antivortete 
ſchnell und Haftig. Urfula Tann feine Worte nicht ver— 
ftehen, obwohl fie nur wenige Schritte pon ihm ent- 
fernt ift, aber die Unterhaltung fcheint die Prinzeſſin 
zu interejfieren.. — Geltfam! Henry, dieſer fcheue, 
tedeunluftige Menſch tft wie ausgewechfelt. — Endlich 
neigt Sordelia abermals lächelnd das Haupt, und nach 
tiefer Derneigung tritt Antigna in die Menge zurüd. 
Haftig Schafft er fih Bahn, fein Blid ſchweift wie gei- 
ftesabtwejend über das bunte Gewoge hinweg. Da fühlt 
er feinen Arm gefaßt. Urfula legt ſchnell ihre Händchen 
Darauf und fchreitet an feiner Seite mit fort. 

„Nehmen Sie mich mit, ih habe Ste an etwas zu 
erinnern, Henryl“ flüftert fie, da fein überrafchtes Ant— 
lig fih ihr gumendet. — Er nidt ſchweigend, aber fehr 
einperftanden und führt Die junge Dame in den Neben- 
faal zu einem palmmwedelüberdadten Eckfauteuil. 

Die Kleine blickt forfchend zu ihrem Begleiter empor. 
Welche Veränderung in feinen Zügen — er fann gewiß 
Das Tanzen nicht vertragen! Sein erft fo heiß erglühtes 


251 


Geſicht ift wieder bleich und ernft, noch viel farblofer 
als zuvor, die Augen Tiegen tief, und feine Lippen 
zittern. Sr fest ſich an ihrer Seite und ftarrt in Das 
Kichtgefuntel des Kronleuchter empor: „Nun?“ 

„Sie verfpradhen mir zu erzählen, warum rote Mohn- 
blumen Ihre Augen Blenden.“ 

Sein Dlid flammt zu ihr Hinüber. „Weshalb ftellen 
Sie diefe Trage juft in Diefem Augenblid an mich?“ 

„Weil fie mir gerade jebt in den Sinn fam, und ih 
ſtets ſolchem Impuls folge!* — Ganz wichtig und alt- 
Hug ſah fie ihn an, und Henry ſtrich langſam mit 
der Sand über die Stirn und lachte plößlich mit einem 
nervöſen Klang in der Stimme leife auf. „ch Hätte 
Ihnen und der Mutter diefe Geſchichte erzählen follen, 
bepor wir unfern erften Befuh am Hofe abjtatteten! 
Jetzt iſt's zu fpät* — er atmete tief auf — „und ein 
Umkehren bat feinen Zwed mehr. Aber gleichviell Sie 
felber traten mir Damals in den Weg und trugen Mohn- 
blüten an Haar und DBruft, eine Warnung, der ich nicht 
Solge leiſten Durftel“ | 

Sr ſchwieg einen Moment und zog in aufgeregtem 
Spiel das wappengefticdte Taſchentuch durd) die Hand, 
Dann lehnte er fich in den Seſſel gurüd und fein brennen- 
der Dlid traf ſie Durch Die dunklen Wimpern. 

„Bor Jahren wars. Auf dem elterlihden Schloß 
weilten wir, und da ich nie ein fonderlicher Freund vom 
Lernen und Studieren gewefen, warf ich mich lieber auf 
ein Roß und jagte querfeldein. Keinen Begleiter duldete 
ih an meiner Seite, fein Ziel hatte ich por Augen, feine 
Gefahr Ihredte mid. Es lag in meiner Natur, zügel- 
los vorwärts zu ftürmen, ohne DBefinnen und Überlegen 
jede Schranke zu durchbrechen, wüft und Teidenfchaftlich 
in das Leben Hineinzutollen. Das DBollblutpferd mag 
nicht für meine jungen Arme getaugt haben, eg repoltierte 
gegen einen Feldweg, Doch ich zwang's mit Sporen und 
Peitſche. Da ſchlug es den Pfad endlich mit [häumendem 
Gebiß ein, aber faum daß ein paar Wacdteln fi) por 
feinen Hufen flüchten Eonnten, bäumt’s wild auf und 


252 


Ihridt zurüd. Mitten auf dem Weg ftand ein Straud 
bon roten Mohnblumen; grell beichienen von der Sonne, 
bom Winde Hin und ber bewegt. Mein Pferd fcheute 
davor, ich will es forcieren, reiße die Zügel an und 
— überſchlage mid) mit ihm in fchwerem Sturz.“ 

Urſula rüdte mit weit offnen Augen, fiebernd vor 
Interefje, näher; Graf Antigna aber neigte mit wunder- 
lichem Lächeln den Kopf und fuhr Ieife, gedanfenpoli 
fort: „als mein DBewußtfein zurückkehrte, blidte ich 
in das verwitterte braunrunzlige Geſicht eines alten 
Weibes. Sie hielt meinen Kopf im Schoß, neigte ſich 
über mich und murmelte beſchwörende Worte über meine 
blutende Stirnwunde. Und ſie hob warnend den Finger 
und ſprach: „Habt zu hitzig Blut, Junkerlein, rennt 
mit blinden Augen ins Verderben! Leidenſchaft iſt 
Euch gefährlich und bringt Euch zu Fall; drum merkt 
wohl: Wo der Teufel Euch hinlocken will, da ſtreut 
er rote Mohnblüten auf den Weg, — wandelt Ihr 
ihn, führt's zum frühen Grab.“ 

Henry Antigna ſprang empor und lachte laut auf. 
„Iſt das nicht etwas, was nicht alle Tage paſſiert? 
Erzählen Sie es nicht weiter, ſonſt lachen uns die 
Leute aus! Aber wir wollen die Alraunenweisheit leben 
laſſen —“ und er ergriff mit unſicherer Hand ein Gelt- 
glas von der GSilberplatte eines ferpierenden Lafaien, 
ſtürzte feinen Inhalt herab und nahm ein zweites” 
„Die roten Mohnblüten, die mich ins Verderben locken 
iollen, leben, blühen und gedeihen! Und nun kommen 
Sie, Urſula, man tanzt wieder, und mir ift’s, als müſſe 
ih mich totrafen nach diefen füßen Klängen, als müffe 
ih jeden Moment benugen, um die Jahre wieder ein- 
u die ich Narr hinter den Büchern verloren 
babe!“ 

Sr wartete feine Antwort ab, legte ihre Hand auf 
feinen Arm und ftürmte mit fladerndem DBlid in den 
Saal zurüd. 

Die Herren und Damen aber Tamen zu Gräfin Ans 
tigna und gratulierten ihr, daß ihr ‚unnatürlich fleißiger‘ 


253 


Sohn, der menfchenfcheue Selehrte, der Welt zurüdge» 
ſchenkt ſei; Graf Henry fei mit Leib und Seele beim 
Tanz, unerfättlih wie ein Löwe, wenn er Dlut geledt! 
— And die ftolzge Mutter lächelte ihren Sreunden berz- 
lihen Dank und blidte Hochaufgerichtet und triumphie- 
rend auf das Bild ihrer geheimften Träume: Henry 
überreicht der Prinzeſſin Sordelia den Kotillonftrauß 
bon brennend roten Blüten, Hoheit lächelt ihm freund» 
lich zu und tanzt zum aweitenmal mit ihm. 


Die breite Marmortreppe der Schloßhalle fteigt lang- 
fam, beinahe zögernd ein junger nfanterieoffizier em«- 
por. Alle Säfte find längft verfammelt, er Tommt ſpät. 
Dennoch fcheint er feine Eile zu haben, die lichtftrablen- 
den Säle zu betreten; auf dem blumengeichmüdten 
Treppenabſatz bleibt er fogar ſtehen und legte die Hand, 
tiefatmend, gegen die Stim. 

Eitel Freiherr pon Altenburg! Er geht zum SHof- 
ball, zum erften» und lettenmal. Verſchiedene Sründe 
find es, die ihn berführen. Seit er als ſchwerkranker 
Mann in der Wohnung des Fürften Sobolefstoi gaft- 
liche Aufnahme gefunden, feit eine lichte Mädchenge- 
ftalt voll milder opfermutiger Sorge das Haupt über 
ihn geneigt, feit er durch feine Sieberträume ihre fühle . 
Sand auf feiner Stim gefühlt, und feit er mit wieder“ 
Tebrendem Bewußtſein Lenas jüßer Stimme gelauſcht, 
feit diefer Zeit ijt er ein andrer geworden. Nur einen 
Gedanken, nur eine Sehnſucht und einen Wunjd gab 
es Hinfort für ihn: LZenal Und nur eine Hoffnung, fie 
jemals zu erringen: Gelbftändigfeitl Groß, edel und 
wahr ſenkte fich die Liebe in fein Herz, und groß und 
edel wie fie war der Stolz, der ſie durch ein langeqd 
Leben hindurch ftüten follte. Die Ausfichten auf ein 
Apancement in der Armee waren fchledhter als je, er 
als mittellofer Leutnant mußte lange Jahre noch war» 
ten, ehe er daran Denken fonnte, ji) einen Hausftandı 
zu gründen. Außerdem verfnüpfen ſich mit dem Rod 
Des Königs Verpflichtungen, die ein Leben in voller 


254 


Zurüdgezogendheit und Sparfamteit unmöglich machen. 
Hätte Lena in ihrer rührenden Demut auch ohne alle 
Aniprühe feine Gattin werden wollen, jo hätte Die 
Würde feines Standes fich als gebietend Hindernis 
in den Weg geftellt. — Altenburg blieb alfo nur eine 
Wahl, Lena — oder der Degen. Eines mußte geopfert 
werden. Und nach ſchwerem Seelenkampfe Hatte Die 
Allgewalt der Liebe geliegt. Der Freiherr wollte ich 
entſchließen, Fürft und Vaterland aufzugeben, um eine 
fehr vorteilhafte Zipilftellung im Ausland anzunehmen 
und den Degen, der ihm das Glück nicht erlämpfen 
fonnte, feinem Landesherrn zurüdzuerftatten. 

Heute abend, angejihts der höchſten Pracht und 
Herrlichkeit, wollte er Lena fragen, ob fie all dieſes 
wonnejfame Leben poll Luft und Genuß dabingeben 
wolle, um ihm in eine befcheidene, armjelige Häus— 
lichkeit zu folgen, Darinnen nichts glüht und blüht als 
die unverwelflichen, Dornenlofen Purpurroſen feiner 
Liebel Ihre Antwort follte entjcheiden, in ihre Hand 
legte er zuverſichtlich fein Geſchick. 

Gin ſchwerer Gang. Altenburg blidt in Die ge» 
öffneten Saaltüren; der Lichterglang blendet fein Auge, 
und Muſik und beiteres Stimmgewirr [chlagen wie be— 
täubend gegen fein Ohr. | 

Gr wendet ſich und tritt in die Galerie, die fich 
ftill und menfchenleer zur rechten Seite neben den fürft- 
lihen Gemächern entlang zieht. 

Ruhig und einfam. Der junge Offizier bleibt aber- 
mals ſtehen, feine erregten Nerven zu beruhigen. Welch 
eine wunderfame, geheimnisvolle Macht legt jich plüß- 
lich wie bejtridend über alle feine Sinne? Leife und 
weich, füß, duftig und fehmeichelnd weht es um feine 
Stirn, eine Luft, wie er fie noch nie geatmet, eine 
feierlihe zwingende Luft — SHofluft. 

Zangjam fest fi der Freiherr auf den Diwan zur 
Seite nieder und atmet tief auf. Wie hoch und ftolg 
gewölbt ijt Der Raum, der ihn aufgenommen, wie blitt 
es rings von Gold, wie ehrwürdig und gebieterifch 


255 


wirkt alles! Große Gemälde find zwifchen die Nlarmor- 
fäulen eingelaffen, die Porträts der glorreihen Ahn— 
herren des Königshaufes, weltbefannte, unfterbliche Hel- 
Dengeftalten der Sefhihtel 

And abermals weht die geheimnispolle Luft über den 
jungen Offizier, und es ift, als made fie feine müden 
Augen plöglih Hell und fehend. Altenburg erhebt fich 
und tritt, wie magnetifch angezogen, von einem Der 
Semälde zum andern. Sein Herz Hopft Hoch auf beim 
Anblid jener bobeitspollen Geſtalten, deren Bild er 
voll warmer DBegeifterung in der DBruft getragen, jeit- 
dem ihm als Knabe und Süngling zum erftenmal der 
heilige Begriff von Fürft und Vaterland verftändlich 
und zu Fleiſch und Blut geworden! 

Sin ritterlich Heldenhaftes Herrſcherhaus! Hier ftehen 
jie por ihm, die Soldaten in Krone und Sermelin, Denen 
nichts teurer und heiliger gewefen, als der Degen in der 
Hand, und fie richten die Augen auf ihn, ernft, gewaltig 
und vorwurfspoll: ‚Um einer Rofe willen wirfft Du 
den Lorbeer aus den Händen?‘ 

Sin tiefer, faft feuchender Atemzug hebt die Bruft 
Des jungen Offiziers; feine Hand krampft ſich zitternd 
um den Degengriff und durch feine Seele geht es wie 
ein jubelnder Auffchrei: „Noch Halte ih die Waffe, 
der ih Treue ſchwur, und beim ewigen Himmel, — ich 
will eher mein Herz aus der Bruſt reißen, ehe ich 
diefen Schwur brechel“ 

Sin Taumel leidenſchaftlicher Begeifterung erfaßt thn. 
Iſt die Luft, die er hier atmet, verzaubert, daß fiel eine 
ſolche Wirkung auf ihn ausübt? Hofluft ift’s, und ein 
Poet Hat einft gejagt, fie fet ein balfamifch Gemiſch von 


“ Gternenglanz und DBeilchenduft — lädherlih! Falſch 


Zeugnis bat der Mann geredet. Pie Duftwoge, Die 
dureh einen DBallfaal zieht, Hat er verwechſelt mit dem 
fraftoollen Hauch der echten Hofluft, Die voll’ Heiliger 
Weihe dur deutfhe Fürftenhäufer weht! Hier klingt 
und fingt und fäufelt es nicht voll weichlicher Wolluft, 
bier rauſcht der Flügelſchlag des Königsaars, bier flat- 


256 


tert das Banner hoher Herrlichkeit, und der ehberne 
Schritt von Jahrhunderten zittert wie ein ftolges Echo 
durch die Luft! Keine Veilchen duften darein, Das 
Zaub der Siegeseichen, der Lorbeer, Der SHeldenftirnen 
frängt. 

Das ift Hofluft! 

And Altenburg fühlt den Segen und die Kraft, die 
fte in ſich [chließt. Und wie einft die Ahnherren Des 
jungen Sdelmannes unter die Fahnen diefer Helden» 
fürften getreten find, getreu in Sturm und Not, getreu 
zu Steg und Tod, fo erneuert au) der Enkelſohn in 
Diefem Augenblid das Gelöbnis der Väter, und feine 
Hand umfhließt den Degen, feft und feierlich, in dem 
Schwur: fih freiwillig nie von ihm zu löſen! 

Sern in den Eälen jubelt die Tanzmuſik, dort lacht 
und fcherzt’s, und Die Luft, die die Flammen zittern 
läßt, trägt Himmelsglanz und Veilhenduft auf Den 
Schwingen; der Freiherr von Altenburg aber fchreitet 
feften Schritts die Marmorjtufen wieder hernieder, ohne 
nur das Haupt nad) jener Iodenden Pracht zu wenden. 
Die Weihe jener Hofluft, die wie ein mahnender Sturm⸗ 
wind fein Lebensjhiff auf die rechte Bahn zurüdge- 
führt, wollte er unperfälfcht mit fi hinaus in Den 
Kampf gegen fein eigen Herz nehmen! 

Lena bleibt das lichte Bild der Gnade, zu Dem 
er fih in wantellofer Lieb’ und Treue emporringen 
wird, aber mit dem Degen und im Dienft feines Kö⸗ 
nigs! Liebt fie ihn, fo wird fte in Ergebung der Zeit 
Barren, da er fommen fann, um fie zu werben, und ſo, 
wie er der Gifenbraut den Schwur der Treue hielt, fo 
wird er ihn auch feinem Weibe halten. 


Graf Lohe und Arfula foupierten zuſammen, als 
zweites Paar Hatten Jolante und Herr von Flanken an 
dem Heinen Marmortifchhen Platz genommen. 

Doll koloſſaler Selbftüberwindung hatte Mark⸗Wolff⸗ 
rath ein wahrhaftes ‚Srenadiereffen‘ am Büfett ausge» 


17 Eſchſtruth, Hofluft 257 


wählt, viel Sauerkraut mit wenig Faſan, reihlih Pa- 
prilafauce und etwas Braten, Heringsjalat und landierte 
Zwiebeln, Zrüffelfarce und Baftete, nur feinen Käje, 
denn Das ging effeltiv über feine Kräfte Und Urfula 
fchwelgte vor Gntzüden und aß um die Wette mit 
Steund Flanken, der mit ftrahlendem Geſicht ihren 
Geſchmack und Appetit ‚ausnahmsweife normal’ nannte. 

„35h kann es in den Tod nicht ausftehen, wenn die 
Damen rehts und Iinls um einen herum fiten und 
faften, entweder find jie zu eng angezogen, oder fie 
zieren fi), oder find krank — na, und eins finde ich 
fo gräßlich wie Das andrel* 

Jolante opponierte fehr entrüftet, aber nad) einer 
feinen Weile fagte fie: „Nun, feherzeshalber will ich 
dein bochgepriefenes Sauerfraut einmal often, Urfulal 
Bitte, Herr von Flanken, beforgen Sie mir etwas, aber 
nur eine ®abeljpige voll!“ Der Oberleutnant ftürmte 
Davon, holte für fich eine Doppelte, für Stäulein von 
©roppen eine ‚halbe Portion‘ — und freute ſich wie 
ein Kind, weit vorgebeugt, Diefem Mirafel zugujehen: das 
Elfchen aß wirklih und wahrhaftig Sauerfraut! Der 
ganze Himmel hing ibm plöglich voller Baßgeigen, und 
wenn Jolante auch noch jo fehr dag Geſichtchen ver— 
zog und wie ein eigenfinniges Kind mit den Händen 
abwehrte — ‚Ichmedt fchauderhaft!‘, fo ſah er dennoch 
in rofigen Zufunftswolfen einen GEßtiſch fchweben, daran 
Jolante und er als wahrhaftiges Ehepaar jaßen, por 
ji eine riefige Schüffel voll Sauerfraut und Pölcl«- 
fleifhHl Graf Lohe war fchweigfam und erfichtlich ver— 
ftimmt, und Urfula ſchien nicht fonberli auf feine 
Neuigfeit zu brennen, denn erjt zum Schluß, als fie die 
Handſchuhe wieder an den Armen emporftreifte, fragte 
fie ganz nebenbei, ob er denn feine verheißene Mit- 
teilung zum Deffert aufgefpart babe? 

„Diefer Nachtiſch möchte einen bittern Beigefhmad 
haben, wenigftens für mich!“ entgegnete er mit umwöllter 
Etirn. 

„2a, alfo? Raus mit der wilden Kabel“ 


258 


„Sch reife in acht Sagen für ein halbes Jahr vor 
bier ab.“ 

Das hatte die Kleine Denn doch nicht erwartet, und 
darum ließ fie aller Übermut und alle Selbftbeherrichung 
Häglih im Stich. Ganz ſtarr vor Schreden ſaß ſie 
ihm gegenüber. „Aber Graf Lohel Das ift abjcheulich 
von Ihnen, Das leide ich nicht, das gebe ich u 
zu — _e 

„Urſulal“ erinnerte Solante. 

„Ah was,“ rief Urfula, „es ift empörend!l Kein 
Menſch Hat ihm etwas zuleide getan, denn wenn ich aus 
QAlbernheit mich immer nochmal geflegelt habe, jo war 
Das doch nur aus Nedereil Allen andern Menſchen 
gegenüber babe ich mich wie Prinzeſſin Gordelia be» 
nommen, fein einzig unpafjendes Wort habe ih —“ 

„Mein gnädigjtes Fräulein, wie fann überhaupt dapon 
die Rede fein!“ unterbrach Lohe ein wenig verlegen, 
und Dennoch befam er beim Anblid ihrer tränenbligen« 
den Augen einen dunfelroten Kopf, „ich gehe doch nicht 
freiwilligI Ich Bin ja felber ganz außer mir über 
Diefen infamen Poſſen, den mir irgendein übelgejinnter 
Vorgeſetzter gejpielt Haben muß! Sräulein Urfula, be= 
denken Sie doch, nach Daſſewinkel ſchickt man mich als 
ftelldeitretenden Landrat!“ 

And Graf Lohe Strich in Verzweiflung über die Stirn, 
auf die fchon bei ſolchem Gedanken der Angftichweiß 
trat. „Daſſewinkel! Dieſes entjeglichfte aller Heinen 
Zandftädtchen! Sie fennen es wohl, meine Damen, e8 
liegt ja ganz in der Nähe von Alt-Dobern — ohne Mi- 
Iittär, ohne Gas, ohne Wafferleitung und Straßenpflafter. 
Das vornehmfte Slement ein Bürgermeifter, ber in 
den Mußeftunden —“ 

„Torf trampelt!* Urfula fchlug in höchſter Alteration 
die Hände zuſammen. „Das iſt ja eine nette Beſcherung, 
Daran babe ich gar nicht mehr gedadht. Ob, Papa, das 
ift perfide bon Dir, gerade jett den Grafen wegzuholen!“ 

„Ihr Herr DBater ift ja ganz unfchuldig an dieſem 
Anglüd,* verſicherte Lohe wehmütig, „ih bin nicht von 


17° 259 


/ 


dem SKreife gewählt worden, fondern werbe lediglich 
aus Ranfüne irgendeines boshaften Vorgeſetzten bin- 
geihidt. Serade mid) zu ſolch einem Poſten auszu- 
fuden, mid, dem nichts unfympathifcher ift, als Der 
Aufenthalt in Peiner Stabt; und nun gar Daffewintel, 
Diefe Grenze der Kultur! Bei Gott, ein Kommando 
‚Separatarreft‘ wäre mir nicht fo entſetzlich, wie dieſe 
Berbannung, in der id als Beamter gezwungen bin, 
mit einer Sorte Menfchen zu verkehren, die mir Nerven⸗ 
fhütteln verurſacht!“ 

Straf Lohe hatte fehr erregt gefprochen, und dieweil 
Stäulein von Kuffftein verlegen das Köpfchen hängen 
ließ und auffeufzte wie ein böfes ®ewiffen, legte Slanten 
energifh die Babel nieder, trank fein Olas aus und 
wiſchte fih nahdrüdlih den Mund. „Unſinn, Iteber 
©tafl Daſſewinkel ift ein riefig bebagliches kleines Neft, 
in dem Ihre Ladftiefeln allerdings im Schlamm fteden- 
bleiben, Ihre Büchſe aber geradezu fchwelgen Tann, 
was eine gute Jagd anbelangt! Na, zum Kudud, und 
außerdem ſchadet es Ihnen gar nichts, wenn Ste mal 
vom Barlett 'runterfommen! Der Menfh wird ja ein- 
feitig, wenn er nur mit ‚Sreme‘ gefüttert wird! ch für 
meine Berfon möchte mich am liebſten verfeßen Taffen, 
wenn ich mich verheirate, in irgend fo ein Tleines —“ 

„Wenn Eie fich verheiraten?“ 

„Ra natürlich, nächſtens geht's los, Walzer tanzen 
fann ich ſchon!“ 

„Brillant! Gehört diefe Kunft zur Ehe?!“ 

Flanken kniff das rechte Auge mit verſchmitztem Lächeln 
zu und fchielte mit dem Tinfen nach Jolante. „O ja, 
es gibt gewiffe Damen, die verlangen, daß der Gatte 
in regelrehtem Salt nad) ihrer Pfeife tanzt!“ Jolante 
wandte das Köpfchen Tofett von ihm ab. 

„Das verftehen Sie jebt allerdings!“ 

„Nicht wahr?“ Der blonde Rieſe patjchte fehr ver- 
gnügt mit der Hand auf die Zifchplatte: „Haben Ste 
zufällig meine Quabdrille vorhin mit angefehen, Lohe? 
Ra, ih Tage Ihnen, ich hielt überhaupt Die ganze Sache! 


26U 


Kein Menſch Tonnte was, aber ich tanzte ‚normal‘! 
Sogar mit Bas und ohne jeglihe Konfufion in der 
‚Iheenen Anglaije‘, obwohl ich eine Linktatfhe bin!“ 

Marl-Wolffratd mußte tro& feiner fchlechten Laune 
laden: „Hand aufs Herz, Verehrteſter, wo haben Gie 
denn dieſe Kunſt noch auf Ihre alten Sage gelernt?“ 

Slanten legte die Hand an den Mund: „Pit! daß 
es die Damen nicht Hören! Corps de ballet! Will mir 
jest auch noch die Francçaiſe eimdrillen laſſen, weil 
Stäulein von Groppen verlangt, daß ich in allen Zänzen 
Meifter feil“ 

Solantes Köpfchen wandte fi blitzſchnell herum. 

„Ich liebe die Francaife durchaus nicht und tanze fie 
niemals, meinetwegen brauchen Sie feine Stunde welter 
zu nehmen!“ rief fie Haftig, und ihre ſchwärmeriſchen 
Augen flammten auf. 

„um fo beffer!* fhmunzelte ihr diplomatifher Ver⸗ 
ebrer, fich gleich den andern Herrfchaften erhebend. „So 
bitte ich denn vorläufig um meinen Zifchwalzer, aber ohne 
Eztratouren, gibt’S überhaupt niemals bei mir, und 
ebenfo wie ich einzig und allein mit Ihnen tanze, ſo 
mäffen Sie fünftighin auch) alle andern Herren abweifen.“ 

„Aber Herr von Zlanten?“ Solante blieb ftehen und 
rümpfte indigniert das Näschen. „Das würde ein höchſt 
auffallendes Benehmen fein!“ 

„Schnaden! Wir wollen den Leuten mal zeigen, was 
ne Sache ift!“ 

„Mynheer Malte van Doornkat würde mir das ſehr 
übelnehmen!“ 

„Mag er doch! Was liegt uns benn an dem Farben- 
kleckſer!“ 

Er machte ein böfes Geſicht, und darum mußte ihn 
das kokette kleine Fräulein noch etwas mehr ärgern. 
Farbenkleckſer? Diefer Ausdrud iſt ungerecht und be» 
leidigend! Herr van Malte ift ein bedeutender Künftler, 
und Das Bild, das er zur Zeit in Arbeit bat, wird 
fihder auf der QAugftellung einen Preis belommen!“ 


261 


„Das ift was Rechtes!“ Höhnte der Ulan ingrimmig; 
„meine Fetthammel find auf der Ausftellung aud) de— 
foriert worden!“ 

„Auf alle Fälle werden Sie eg Herrn van Malte 
nit gleichtun!“* 

„So? Und warum denn nicht, wenn ich fragen Darf?“ 
Gr ftellte fi) wie der Gigant pon Rhodus por fie 
hin und ftrich herausfordernd den Schnurrbart, Der 
immer noch nicht gewachſen war. 

Ste Ticherte Ieife auf und fah ihn abwechflungshalber 
mal wieder fo ſchmachtend an, daß ihm das Blut noch 
mehr in den Kopf hof: „Wollen Gie vielleiht Ihr 
gZeihenbuh mit dem ‚Sardellen- und Lanzenftilleben‘ 
der Kunftalademie anvertrauen ?* 

„ein, das nicht! Aber ein Mann, der Walzer 
tanzen lernt, lernt auch) irgendeinen Hafen oder Dachs 
in HI zuaubereiten, und, beim Bart des Propheten, Sie 
follen fih wundern, was id für ein Gemälde aus» 
ſtelle!“ 

Sie lachte fo ſilberhell und graziös, wie es der Ober- 
leutnant nie reizender gehört hatte. 

„Herr von Flanken, Ihr Wort in Ehren! Walzer 
tanzen und Bilder malen iſt ein himmelweiter Unter⸗ 
ſchied!“ 

„Wetten, daß —I* 

„Diefe Wette gehe ih ein!“ 

„Bon; nehmen wir die Sache zu Protofoll! Bitte, 
feßen Sie fich noch einen Moment bier auf den Diwan 
nieder, ich fchreibe.“ 

And er zog eine fehr mwohlgenährte Brieftafhe aus 
der Uniform und ſchlug eine leere Seite auf. 

„Allo: Fräulein Jolante von Dern-Groppen Meitet, 
daß ich nicht imftande bin, ein Ölgemälde zur Kon— 
furrenz in die Kunftausftellung zu geben!“ 

„3a, das wette ih!“ und die junge Dame hielt den 
Fächer por den Mund und blidte höchlichſt amüſiert 
auf die vierfchrötige Hand hernieder, die Herzlich unge 
Ihidt den kleinen Bleiftift führte. 


262 


„Sp, nun fchreiben Sie Ihren Namen darunter, mein 
gnädiges Fräulein!“ grollte er. 

Gie tat es in aller Heiterkeit, und dann nahm er 
das Buch zurüd und feste feinen Namen dicht unter 
den ihren. 

„So, die Urkunde Hätten wir.“ 

„Aber nun, um was haben wir eigentlich gewettet?“ 

Slanten zudte die Achfeln. „Wenn ich gewinne, ver» 
lange id nur die Grlaubnis, dieſes ———— ver⸗ 
öffentlichen zu dürfen!“ 

„Wie beſcheiden!“ 

„Die Großmut ziert den Krieger! Und nun unfer 
Walzer! Das Partkett ſoll feinen Meifter zitternd er- 
fennen lernen!” u 

Als nah Mitternaht Jolante das Köpfchen daheim 
in Die Kiffen neigte, lächelte fie im Traum. Arfula 
aber fette fich zuvor an den Schreibtifh und tauchte 
die Feder refolut in das Tintenfaß: „Ich will nad 
Haufe, in acht Tagen fomme id), hat gar feinen Zwed 
mehr, daß ich bierbleibel* war der. lafonifhe Inhalt 
ihres Driefes. Und dann ftürzten die Tränen aus 
ihren Augen, und fie ließ das Köpfchen in die Arme 
jinten. 


Dreiundzwanzigftes Kapitel 


Gräfin Antigna faß in eleganter Morgentoilette vor 
ihrem Schreibtiſch und ſchloß einen Brief. Sr war an 
Baronin Kuffftein adreffiert und dazu beftimmt, ſehr 
überrafhend und fehr ummwälzend in die Verhältniſſe 
bon Groß⸗Wolkwitz - einzugreifen. Sin Lächeln Hoher 
Defriedigung fpielte um die ſchmalgeſchnittenen Lippen 
der Gräfin; ja, die Welt hatte recht, an ihr war ein. 
Diplomat verdorben. Mit einer Klappe hatte fie joeben 
zwei Sliegen gefchlagen. 

- Klar und bündig hatte fie ihrer Freundin die Lage 
der Dinge gefchildert. Urfula, bereits auf dem beften 


263 


Wege, alle Hoffnungen zu erfüllen, die man auf ihren 
biefigen Aufenthalt gefebt, will alles in kindiſchem Un⸗ 
geftüm und Trotz über den Haufen fioßen, um dem 
©rafen Lohe, an den fie ernftlich ihr Hergchen verloren, 
in ‚Die Berbannung‘ zu folgen. Dadurdy wird ihre wie 
feine Kur verdorben, die man ihnen verordnet hat. Frau 
bon Kuffftein muß als Mutter ein Opfer bringen und 
durch ihre fchnelle Abreife von Wolkwitz Urſulas Heim- 
fehr vereiteln.. Wenige Wochen noch, und SHofluft, 
Sehnſucht und SHerzeleid haben aus dem verwilderten 
Backfiſchchen eine Tieblihe und veredelte Mädchenblüte 
geſchaffen. So wird es der Mutter zur Pflicht gemacht, 
im Öntereffe ihrer Tochter endlich etwas für fich felber 
zu tun und Dem jahrelangen Wunſch ihres ©atten 
und ihrer Freunde gu folgen, fi) aus ihrer Apathie 
aufzureißen und einen Spegzialiften zu Eonfultteren. Dann 
ift drei Menfchen geholfen, und Sräfin Antigna, die 
Huge umſichtige Stau, hat die Fäblein diejes Gängel⸗ 
bandes fchnell und geſchickt zufammengefponnen. 

Sie rührte die Slode und befahl dem eintretenden 
Diener, diefen Brief zu bejorgen und dem Kammer» 
Diener‘ des Grafen Henry zu melden, daß Gräfliche 
©®naden ben Herrn Sohn zu fprechen wünſche. 

„Am Dergebung, Grau Gräfin, Die Zimmer des 
Iinfen Slügels find noch feft gefchloffen. Der junge 
Herr Graf kamen erft gegen Morgen nah Haufe und 
ruhen noch.“ | 

„Sut. Du Tannft geben.“ Und bie Palaftdame der 
Königin-Wutter Tächelte fehr zufrieden. 

„Oott fet Lob und Dant, ich denke, der Profefforbut 
tft jet für alle Zeiten an den Nagel gehängt!“ 


Herr von Flanken war foeben von einem Liebesmahl 
aus dem Kafino gelommen und Hatte auf feinem Tiſch 
eine Seldfumme zurechtgelegt. Dann rief er Franuſch 
Nielchen und klopfte ihm freundlih auf Die Schulter: 
„Das tft für dich, Nielchen, zum Lohn für Die Tänze, 
die du mir beigebracht Haft! Nimm's Hin, haſt's redlich 


264 


verdient, und wenn Du Dich vielleiht auch verbetraten 
willſt —“ 

Der wadere Franuſch zog eine jähe Srimaffe und 
[hüttelte ftürmifh den Kopf. „Niz verheiraten, Leut- 
nant!“ 

„Zanu? Seit wann bildeft du did denn zum Gin- 
fiedlerfrebs aus? Ich weiß Doch, daß die Hanne aus 
Groß⸗Wolkwitz deine Braut ift!“ 

Niefhen Ticherte und zog die Schultern hoch. „IS 
fit Hanne nur Manöverbeziehung gewefen! Hob if ge- 
babt danach ſchon Mieder Königgeburtstagsbrautel, 
un’ Wofchmadel, wos muß franfo woſchen, un’ Köchin 
überall in Samillen, wo it muß machen KRumpliments 
pon Leutnant! Werrd ik heiraten niz ein einzelnes 
Marinla, weil Franuſch Niekchen wirrd fil funft kommen 
auf halbes Ration!“ 

Slanten wiegte nachdenklich den Kopf und bilidte 
ſchier neidifh in das lachende Geſicht des Polacken. 

Diefer glückliche Menſch, der fo gar feine Ahnung 
Davon hat, wie es verliebten Leuten zumute ift! Ja, 
fo hatte er früher aud) alles Heiraten verſchworen, aber 
Dabei die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Srüher 
rührte er weder Hand noch Fuß, um einer Dame zu 
gefallen, und jebt ift er ſchier verrüdt geworden, lernt 
Walzer tanzen und Olbilder malen, oha! Da fiel ihm 
ja feine Wette wieder ein. 

„Du bift ein Eſel, Niefchen, und verbienft überhaupt 
gar feine Grau, verftanden? Und nun pafholl, Zivil 
rtann, ich will ausgehen!“ 

In großer Haft machte ber Oberleutnant Toilette, 
widelte einen breitfrempigen Künftlerhut von grauem 
Seidenfilz aus einem Papier und drüdte ihn fo genial 
wie möglich in die Furggefchorene Leutnantsante. Ein 
bimmelblauer Schlips flattert Iofe gefnotet über das 
Samtjadett, aus der Brufttafche Iugt der Katalog ber 
pvorjährigen Kunftausftellung heraus. 

„Sol Der äußere Menfch tft gefchaffen, nun: ‚Bor 
wärts mit friſchem Mut, die Lieb’ ift mein Panter!‘ 


268 


Wiederfehn, Nieten!“ Und feelenvergnügt pfeifend 
und mit dem Pelzmantel alle Känſtlerpracht verdeckend, 
dröhnt er die Treppe hinab. 

„DBefehll, Herr Leutnant, adieu!“ erwidert Der ge— 
treue Knappe, firamm mit den Händen an der Hoſen⸗ 
naht, Happt die Sntreetür zu und flirt in die Stube 
zurück. fi nun rüdhaltlos dem freudigen Anblid feines 
Honorars hinzugeben. Und er meditiert: 

„38 fit zwar altes Reff un’ Teifiges, Marinfa, Köchin 
felbiges bon General Groppen, bot aber befte Ber- 
töftigung; werrd Hintrollen und Köchin [pendabeles ein» 
laden für Zirkus, wirrd gut fein!“ 

MWährenddeffen [chritt Herr von Flanfen wie mit Sie» 
benmeilenftiefeln dur) die Straßen. Die Leute fchau- 
ten in ftummer Bewunderung zu Der impofanten Gr- 
Iheinung empor, überzeugt, daß dieſer Athlet, der länger 
war als der Tag vor Johanni, fih auf dem Weg 
zu irgendeinem Zirkus befand, um dort als milder 
Mann die Leute zu [hwingen! Aber Irren ift menfchlidh, 
und fein Gedanke lag dem Oberleutnant auf diefer 
Promenade ferner, als der, einen redenhaften Strauß 
zu beftehen. 

Sern aus den fahlen Wipfeln eines Parts hebt ſich 
das flahe Dach der Ofteria, wo die Maler ihr Iuftig 
Hoflager aufgefchlagen. Strohumflochtene Fiaschetten, 
Samburinsg und SHoboen, Keldhe, Humpen, Tonpafen 
und Künftlergerätfchaften erzählen ohne Wort und Ton 
ein Lied von hHeißerer Eonne, und Daneben fchimmern 
weiße Stierfchädel, und ringsum an den Mauern und 
DWandpilaftern Haben Humor und Poeſie die farben- 
präctiaften Opfer mit Pinfel und Palette dargebracht. 

Hierher Ienfte Herr pon Flanken poll froder Zuper- 
fiht den Schritt, und obwohl er noch feinen einziaen 
der Maler kannte. fo war er doch überzeuat, daß fein 
himmelblauer Schlips und bas koſtbare Samtjadett eine 
DBrüde über die gähnende Untiefe zwifchen Kunft und 
fäbelraffelnder Proſa fchlagen werden! 

Und er hatte ſich nicht getäufcht. Pie herkuliſche 


266 


Geſtalt erregte Aufſehen, und da die wahre Kunft 
ftets ein offen Herz und offene Arme bat, hielt es nicht» 
Ihwer, auf ein bieder ‚Grüß Gott‘ ein fröhlih ‚Schön 
Dant‘ zu hören. So Wurde Herr von Flanken bald 
Stammgaſt in der Ofteria, fneipte und erzählte mit 
feinem unver wüftlich trodenen Humor die amüjanteften 
Geſchichten und lachte, daß die Wände wadelten, wenn 
die Stöblichleit des Künftlervölfleing ihre üppigen Blü— 
ten trieb. | 

And eines ſchönen Abends war der Wein ganz be» 
fonders feurig aus den Fiaschetten gegludert und hatte 
die Zungen gelöft, und der Oberleutnant fchlug mit 
der Hand auf den Holztifch, daß es klirrte, und ſprach 
energiſch: 

„Barum id) Maler werden will, ihr Herren? Bon, 
ih wills euch fagen. Weil ich. nämlich bis über die 
Puppen verliebt bin in das reizendfte Heine Teufelchen, 
das jemals einen vernünftigen Kerl an Das Gängelband 
genommen bat, ihn fo unbernünftig gu machen, wie 
weiland den Monfieur Herkules, der die Keule in Die 
Ede ftellte und das Spinnen lerntel Na, und fo ein 
Seld bin ich aud) geworden! Hat die Kleine mir nämlich 
erflärt, fie werde nur einen Maler heiraten, und zwar 
nur einen folden, von dem in der nächſten Kunftaus- 
ftellung ein Bild angenommen werde. So ein Ge— 
mälde will ich mir nun leiten! Das Tann Doch nicht 
ſchwer fein, was? Farben habe ich ſchon gekauft, pinjele 
los, und wenn ich in der Ausftellung hänge, mache id) 
Hochzeit!“ | 

Ein fchallendes Gelächter erhob fih, alle Släfer 
blintten ihm entgegen: „Darauf wollen wir anftoßgen! 
Flanken ftellt ein Bild aus!* jubelte es im reife. 
Srafthaft tat der Oberleutnant Befcheid. 

„Dante Ihnen, meine Herren! Aber jet Tommt 
erit des Pudels Kern! Wer pon euch will mein Lehrer 
fein und mir helfen?“ 

Abermals ein fcehallendes Hallo. „Wir alle ftehen 
in der Liebe Sold! Wir helfen alle!“ 


267 


Tief gerührt umarmte der zuflünftige Zeuzis rechts 
. und links die hilfsbereiten Kollegen, und eg wurde ber» 
einbart, daß er allein ein Motiv wähle und das Bild 
wenigjtens entiwerfe, auf daß man mit gutem Gewiſſen 
Herrn von Flanken als den Urheber nennen könne. 

©efagt, getan. Am folgenden Tage, als der junge 
Offizier vom Dienſt kam, Taufte er fih einen alten 
tlluftrierten Jagdkalender und durchblatterte ihn mit 
Kennerblick. 

Es dauerte lange, bis er etwas Paſſendes gefunden 
hatte. Auf dem einen Bild waren zu viel Tiere, auf 
dem andern zu viel Landſchaft, auf dem dritten gar 
Jäger, endlich ſchmunzelte er ein pfiffiges ‚Abal‘, fuhr 
mit den Fingern behaglich durch fein Kraushaar und 
rüdte noch etwas näher zum Fenſter. Das war ganz 
fein Sal! Schnee, lauter Schnee, den man mittels 
weißer Farbe entichteden jehr mühelos berftellt, in Der 
Mitte ein alter, Tahler Baum — Mmird braun ange- 
ftrihen! Mit einer riefigen Höhle, aus der liftig und 
verſchlagen ein Füchslein hervorlugt und es auf ein 
paar Zeldmäufe, die feitwärts eine Rübe nagen, abge- 
ſehen zu haben fcheint. Der Fuchs war vortrefflich als 
Hauptfigur des ganzen Bildes gezeichnet und mußte 
jedes Jägerherz entzüden, Dennoch mufterte ihn Herr 
bon Slanfen mit fehr Bedenklicher. Miene. Diefer Fuchs 
verdarb ihm wieder die ganze Freude an dem hübſchen 
Dild, denn Biere Tann er abfolut nicht ‚rausfriegen‘, 
bor allen Dingen nicht folche, die eine fo vielſagende 
Phyſiognomie wie diefer Langſchwanz haben! 

Ohne Freund Reinede wäre das Bild fo ganz nach 
feinem Herzen geweſen; que faire? Der Jünger ber 
Kunft überlegt ber und bin, plößlich zudt es hell wie 
Sonnenfhein über fein frifehes Geſicht und in ent- 
züdtem Selbſtgeſpräch verfichert er ſich felber: „Das 
‚bafte gut gemadt, alter Junge, die Idee kannſte Dir - 
patentieren laffen! Warum muß denn diefes rote Fuchs⸗ 
gefihte gerad’ in dem Moment, wo ich Dies Bild male, 
nad) den Mäufen herausſchnüffeln? Unfinn, mein Fuchs, 


268 





den tch male, tft drin im Bau, und die Mäufe find 
aud) im Bau, nit 'n Haar ift von dem Viehzeug zu 
fehen, und ich bin fchöne raus!“ 

Und ganz begetjtert von der dee, fein Gemälde 
‚„Fuchs tm DBaul' zu nennen, nahm der Oberleutnant 
fofort den Blendrahmen mit der fchön gefpannten Lein- 
wand zur Hand, band Niekchens graue Pußfchürze in 
Art eines Kinderläschens vor und ging an die Arbeit. 

Gine Staffelei 'hatte er nicht, war auch gar nicht 
nötig. Er legte das Bild auf den Tiſch, holte Farben 
und Binfel Herzu und nahm zuerft einen mächtigen 
Stift, mit dem er genial die Grenze zwiſchen Himmel 
und Erde zog. Das Buſchwerk des Hintergrundes hatte 
gar feinen moralifhen Wert, Flanken nahm an, daß der 
Beſitzer der Landichaft es bereits Hatte abholzen laffen, 
ehe er fein Bild begann. Alfo der ferne Wald bleibt 
weg, wirkt viel natürlicher bei den heurigen [chlechten 
Zeiten, wenn die Gegend möglichft abrafiert iſt — To! 
And nun der DBaumftamm: Drei Wurzeln weift er 
auf; eine rechts rum, die andre Imfs rum, die dritte 
ab durch die Nlitte. Sie winden fich allerdings unter 
dem Stift des Kopiften fo abenteuerlich, wie das Fabel⸗ 
ungeheuer der Seefchlange im Monat Juni und Juli 
Durch Die Zeitungsipalten; aber Herr von Flanken findet 
Das gerade recht apart, und darum Ändert er gar 
nihts daran, fondern geht fofort zu dem Stamme 
felbft über. „Drei Zinten ragen in blaue Luft!“ Der 
junge Künftler formt fte recht hübſch gleichmäßig, wie 
den Dreizgad Neptuns, denn anders leidet es fein ftreng 
militärifches Auge nicht, und auch die feinen Weiden- 
gerten, die noch dem Stumpfe entjproffen, ordnet er 
unter dem Kommando: „Richt’t euch!* ganz ordentlich 
in Reib und Glied. Nun fommt das Loch, zidgad gebt 
fein Rand, Fuchs vacat, Dläufe vacat, fo; Die Aufzeich- 
nung, das fchwerfte Stüd Arbeit, ift glüdlich über- 
ftanden. Das Anmalen ift ja SKinderfpiel. GErſt mal 
das Zöpfchen mit ber blauen Farbe ran, für den 
Simmel! 


269 


Sa, wenn der liebe Bott dem Herrn Oberleutnant” 


das Kommando übers Wetter anvertraut hätte, würde 
die Welt ihre Freude erleben! — Tief eingetaucht Den 
Pinſel — den größten, der im Mallaften aufzufinden 
war — und nun ritſch — ritſch — immer von oben 
nach unten das fchönfte wolfenlofe Blau aufgetragen! 

Geht riefig fir. — Jetzt fommt ſchon der Schnee an 
die Reihbel — Eigentlich eine famofe Ginrichtung mit 
ſolchem Echnee! — Man drüdt aus dem Inhalt der wei- 
Ben Zube mitten einen diden Kleds und ftreicht dann 
fräftig nach allen Eeiten auseinander. Nur Vorſicht muß 
man beobachten, daß die Wurzeln nicht verwiſcht werden, 
was leider etwas aufhält. 

Flanken wiſcht ſich den Schweiß von der Stirn und 
rührt ‚Braun‘ an, für den Baum, und dann malt er 
ihn, — was auch etwas weniger jchnell geht, da Der 
Pinſel fehr Start ift und die einzelnen Weidenruten 
zu Did ausfallen. Aber Geduld überwindet alles, und 
die Delohnung jeder Mühe ift der Moment, wo 
Slanfen, der Unfterbliche, voll Eolofjaler Genugtuung 
eine Riejenquantität tiefſtes Nachtjehwarz über Das 
Loch pinjelt! — „So, Bürſchchen, weg wärſt du, — — 
da hätten wir ja den Fuchs im DBaul!* 

Das war eine gewaltige Leiftung. Der Ulanenoffizter 
dehnt die Arme und atmet in wahren Stoßfeufzern, 
und Dann ftellt er Das Bild gegen Die Stuhllehne, 


tritt zurüd und hält die Hand über die Augen, um 


bejfer zu feben. . 

„Hut ab, mein lieber Flanken, das Haft Du Schwere» 
nöter ganz großartig gemacht! Ta, ja, was man aus 
Liebe tut!“ 

„Niekchen!“ 

„Befehll, Herr Leutnant!“ 

Sein Herr ſchiebt die Hand in die Bruſttaſche und 
ſtellt den einen Fuß gravitätiſch vor. 

— erkennſt du, was dieſes Bild vorſtellen 
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270 


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Der Genannte nimmt eine gebüdte Stellung ein und 
ftemmt beide Hände auf die gefpreigten Knie. 

„Sull fit Mord jebildet werden, Leutnant, fehllt aber 
noch erjchlagenes Fig, oder Madel mit Keblle abge» 
ſchnittenes!“ 

„Du haſt fein Kunſtverſtändnis, Niekchen, dein Urteil 
iſt nicht kompetent“, ſchüttelt der ſelbſtbewußte Verfaſſer 
beinahe mitleidig den Kopf. „Seh. lieber und hol’ eine 
Droichfe, wir wollen mit dem Bild zum Atelier des 
Profeſſors H. fahren!“ 

And furze Zeit darauf fuhren Herr, Pieneraund 
Gemälde in einer Drofchle erjter Klajfe davon. 

Slanten nahm im Fond, der wadre Franuſch mit 
dem ‚Fuchs im Bau' ihm gegenüber Plat. So fährt 
eine junge Wutter mit ihrem Baby zum erjtenmal 
zur Großmama! Strahlend por Stolz und ©lüd, viel 
Dider und breiter noch als fonft, jaß der Künftler von 
Gottes Onaden feinem Meijterwert gegenüber, feinen 
DBlid von dem Bilde wendend, das fo herzerfrijchend 
blau, weiß und braun zwiſchen Nietchens Fäujten lächelt. 
- Der Brofeffior H. bat das Konkurrenzwerk für Die 
Kunftausftellung poll lebhaften nterefjes angejehen, 
aber weil er ftarf erfältet war, bat ihn ein fataler 
Krampfhuften längere Zeit an dem Ausfpruch der Kritik 
gehindert. Endlich fand er Worte. | 

„Recht brav gemacht, mein lieber Herr Leutnant!“ 
nidt er und Elopft den Rüden dee neuen Kollegen. 
„Nur bei dem Himmel muß noch etwas nachgeholfen 
werden! Gie willen, daß gerade der Himmel meine 
Spezialität ift: wenn Sie mein Schüler find, darf und 
muß ich Sie Lorrigieren! Lajjen Sie mir das Bild ein 
paar Sage hier.“ | 

Das tat der ftolzge Bater vom ‚Suhs im Bau‘ fehr 
bertrauenspoll, aber er fam jeden Morgen, fich nach 
dem Schidjal feines Kindes zu erlundigen. Ja, da 
ſah er allerdings Wunder. Aus dem pinfertsblauen 
Simmel wurde ein zartes, graudunftiges Schneegemölf, 
Durch das der Mond mit rötlihem Licht bricht, ge- 


271 


heimnispoll, magifch leuchtend, fo wie nur biefes 
Meifters Hand malen Tann. — Ein halbes Pfund 
blaue $arbe, die zuvor abgefra&t worden, ſah der Ober- 
leutnant ohne Schmerz fcheiden. 

Das Atelier des Profeffors wurde nicht leer von 
den Sreunden aus der Ofterta, die fämtlih Flankens 
Lehrer werden wollten. Ein Wettjtreit beiterften Aber“ 
muts begann unter den Meiftern. 

Nachdem der Himmel. ein Kunſtwerk geworden war, 
trat ein andrer Zehrer auf. „Jetzt ift alles fehr hübſch 
bis auf den Hintergrund, mein befter Flanken, Ste 
geftatten, daß ich ihm etwas unter die Arme greife.“ 
And der Pinfel tupfte und glitt über die Leinwand, und 
ein mondlichter, weißbefchneiter Laubwald breitet fein 
Gezweig wie glibernde Spitengewebe por den Augen 
des ftaunenden Schülers aus. Tagelang hat der Künftler 
in übergroßer Liiebenswürdigfeit gearbeitet, um nad) 
Singebung einer heitern Laune fein Beftes zu geben. 

And dann kommt ein dritter und nimmt fich des 
Dordergrundes an, Der malt den Schnee, jener ein 
DBrombeergeftrüäpp mit feinem legten froftüberhaudhten- 
Laub — wieder ein anbrer wandelt die rechte Ecke 
des Schneefeldes in einen halb zugefrorenen Teich um, 
an deſſen Ufer das Schilf zu Tniftern und zu raſſeln 
fcheint. Ber Pinfel wandert in eine andre Hand, Die 
aus dem Weidenftumpf ein Stüdlein fchauriger Poeſie 
zaubert; der Wind fauft Daher und faßt die ſchwanken 
Zweige, fie wiegen ſich und flattern und ächzen, und 
der verfrüppelte Stamm nimmt eine ganz abjonderliche 
Geftalt an, gefpenftifh und unklar, juft fo, wie Die 
alten Weiden das Auge im Dämmerlicht täufhen. — 
And wieder ein neuer Lehrer freut Schneefloden in 
den Wind, und das einzige, was in feinem Kernpunft 
unverändert bfeibt, und was die Herren einftimmig 
Ioben, ift das Loch und der höchſt originelle Zitel 
des Bildes. 

Wie einft der liebe Herrgott all feine Farbennäpfchen 
austupfte, dem armen Stieglitz zu feinem fchönen Wäms⸗ 


212 - 


lein gu verhelfen, fo ſteuerten unter Lachen und Scherzen 
die erften Meifter der Kunft mit ihren farbenreichen 
Pinfeln dazu bei, das Gemälde des Leumants bon 
Slanten zu einem tatfächlichen Meifterwer? umzufchaffen. 

„Diskretion Ehrenſache!“ ſchwebte als treu famerad- 
Ihaftlihe Deviſe über diefem geheimnispollen Schaffen, 
und als der ‚Fuchs im Bau‘ fertiggeftellt war, da 
ſchrieb Herr von Flanken tief gerührt feinen Namen mit 
ftiegelladroter Farbe in die Ecke und harrte des Mo— 
ments, wo ihm, dem Schüler des Profefjors H., eine 
Antwort aus der Kunftausftellung zu D. werden wird. 
And die Antwort Tam, daß das Gemälde ‚Fuchs im 
Dau‘ zur Konkurrenz unter die Merle der Meifter an⸗ 
genommen ſei. 

An jenem. Abend bat es die Ofteria erfahren, daß 
Die jungen Peutfchen noch genau fo trinten und nn 
fönnen wie die alten. 


Bierundzwanzigftes Kapitel 


Hinter dem Lichtſchirm brannte die Lampe in Fürft 
Sobolefstois Schlafgemad). 

Die zweite Stunde nah Mitternaht war bereits 
angebrochen, und dennoch Fam fein Schlaf in die bren- 
nend heißen Augen des Kranken. Ga, des Kranken! 
Wenn er au tagsüber pom Seſſel zur Shaifelongue 
wankte oder fi die Treppe empor zu den Salons 
der Groppenſchen Familie fchleppte, wenn er mit feinem 
ftillen, geduldigen Lächeln auch wieder Anteil nahm 
an allem, was um ihn ber vor fih ging, fo war er 
dennoch ein verlöfhend Lebensbild, das ſich nur noch 
im letten qualvollen Auffladern an das Leben Flam- 
merte. 

Niemind wußte das beffer, als er ſelbſt, denn keine 
Menſchenſeele ahnte ſeiner Leiden ſchwerſtes, das tod⸗ 
bringender als alle körperlichen Gebrechen an feinem 


18 Eſchſtruth, Hofluft 273 


Herzblut zehrte. — So wie heute, hatte er Naht für 
Nacht. fchlummerlog gelegen während einer langen 
Dinterfatfon, da die Gquipage Drunten vor die Zür 
rollte, feinen Liebling hinaus zu Spiel und Zanz zu 
führen. Dann gedachte er all der füß vertrauenden 
Worte, die Lena ihm am Tage zugeflüftert Hatte, an 
feinem Bett figend und ihm von den Stunden erzählend, 
die fie mit Altenburg verlebte. Da war nicht eine ge- 
tingfte Degebenbeit, die fie dem geliebten Onkel Daniel, 
dem Freund und Dertrauten ihrer gebeimften Sedanten, 
verjchwiegen hätte — ihn mußte Doch alles und jedes 
interejjieren, was Kunde von Eitel brachte; und ging 
Bier und Da ein frampfhaftes Zittern durch Die Hände, 
Die fie umſchloſſen hielt, fo gab fie es feinen lörper- 
lihen Schmerzen jchuld, nicht ahnend, daß fie felbft 
Dem Unglüdlihen tagtäglich Folterqualen ſchuf, unter 
Denen fein Herz tropfenweife verblutete. Mit lächelnden 
Lippen jedoch litt er fein Web, und die Antwort auf 
al ihr treues Bekennen und Geſtehen war ein Segens« 
wunſch für fie und den, den ihre Liebe mit einem 
Ölorienfchein edler Vollkommenheit umgab. Und jeder 
Abend konnte die Entjcheidung bringen, konnte Lena 
heimkehren lafjfen als Braut, als Iosgetrennte Blüte 
vom Baum feines Lebens, der nur dieſe einzige, tränen- 
betaute Blume der Entſagung getragen.’ 

Wohl wußte er, daß ein flebendes Wort, ein Dlid, 
ein Bulsfchlag, Der verriet, wie frank er war, fie an 
fein Lager felfeln fonnte, aber er legte die gefalteten 
Hände auf fein fehnfühtig Herz und täufchte fie mit 
gefchloffenen Augen und einem Lächeln friedlichen Wohl⸗ 
behagens. Der treue Alezandrowitfh mußte ihr zu- 
flüftern, daß Durchlaucht momentan fchmerzfrei jei und 
Die Nacht gewiß ohne Unterbrechung fehlafen werde, 
— und dann hörte Daniel das leife Aufraufhen von 
Atlas und Spiten, füßer Duft umtwehte ihn, und er 
wußte, daß Lena fi mit forgendem Dlid über ihn 
neigte. 

Ad, nur jebt die Augen auffchlagen dürfen, dieſes 


274 


füße Bild feftzubalten für eine lange, entfetlich einfame 
und fchmerzensreihe Nacht! Aber Daniel Sobolefstot 
iſt ftandhaft wie ein Held, er verjagt fih auch dieſen 
heißen Wunſch, um zu büßen, immer wieder zu büßen, 
was er einft im Wahnwig an dem Freiberrn von 
Altenburg fündigen wollte. 

Nun find die Fefte porüber; Frühlingshauch weht 
koſend über das Grab des Winters und will tröftend 
zu neuen Leben emporridhten, was Schnee und Eis 
erbarmungslos gefnidt. Daniel hört es wie Propheten- 
ftiimmen dur‘ Naht und Wind faufen, und es tft ihm, 
da er die Augen fchließt, als vernähme er ein lieb» 
liches Flüftern in dieſem Lenzesodem: ‚Sei getroft, 
mein kleiner Schmerzensreih! Die Zeit ift nicht mehr 
fern, da ih fommen werde, al dein Leid wieder bon 
Dir zu nehmen!‘ 

Ein tiefer Seufzer ringt fih von den farblofen Lippen 
des Kranfen: „OD Mutter, ich harre fchon fo lang, fo 
lange deiner! Alle Schmerzen, die mein armer Körper 
erduldet, will ich ja gern tragen zur Sühne meiner 
Ihweren Schuld; nur das, was meine Seele zermartert, 
nimm von mir, Du Reine, Berflärtel Denn es ift 
Die täglihe Anfechtung, in der ich ftehe, das hölliſche 
Seuer, das mich nicht als Chriſt fterben läßt!“ Und 
Daniel richtete fich mit fiebernden Pulſen empor und 
rang die Hände in inbrünftigem leben gegen Die 
fturmumfauften Zenfter. „Erbarme did), Mutter, und 
löſche die Qualen der Giferfuht in meinem Herzen, 
gib mir Ruhe und Frieden und erbitte du mir am 
Thron des Höchſten, daß er die unfelige begehrliche 
Leidenſchaft in meinem Herzen wandeln möge in die 
heilige Flamme brüderlicher Liebe, damit ich fegnen 
fann, ohne zum Meineidigen zu werden, damit ich 
fterben Tann, ohne daß alle Faſern meiner Seele noch 
in Diefer Welt wurzeln!“ 

Stille wurde es draußen und: drinnen. Daniel Iehnte 
das müde Haupt gurüd und ſchloß die Augen. Horch — 
was ift das? Wieder die Schritte über ihm in dem 


18* | 275 


s 


Zimmer des Senerals. Es tft bereits die fünfte Nacht, 
Daß Sobolefskoi feinen Freund ruhelos auf und nieder 
wandeln hört, lange Stunden hindurh. Und am Tag 
ift es ihm aufgefallen, daß Groppen fahl und verftörf 
ausfieht, daß eine nerpöfe Unruhe ihn peinigt und aus 
dem Haufe treibt. Er Hagt über Grfältung und Kopf- 
ſchmerz. Iſt er tatfächlih Patient? Diefes nächtliche 
Hin» und Herftürmen, diefe aufgeregten Schritte ängftigen 
Daniel. Ein ®edante blitte ihm dur den Kopf: Was 
anfänglid ein Scherz gefchienen, die angefammelten 
Rechnungen in dem Gntenfchnabel, ift Bitterer GErnſt 
geworden. War er denn mit Blindheit gefchlagen, es 
nit längft zu fehen, Daß Groppen über feine Ver— 
Hältniffe Iebte? Seit feinem Aufenthalt hier in der Re⸗ 
ftdenz war's über ihn gekommen wie eine böfe Gewalt, 
die ihn zum Verſchwender gemadt. Die Hofluft war 
ihm zu Kopf gejtiegen und hatte mit ihrem Soldftaud 
fein jo leiht empfängliches Semüt vergiftet. "Auf glatter 
Dahn war er vorwärts geftürmt, nachahmend, was 
er ſah, überbietend, was man bemwunberte, bis er Halt 
und GStüße verlor und zuſammenbrach. War es ſchon 
jo weit? Eine unausſprechliche Angft erfaßte Daniel, 
jeder Dumpf Hallende Schritt über ihm traf ihn wie 
ein Sauftihlag gegen die Bruft. Er richtete ſich auf 
und rührte heftig die Schelle. 

„Alezandrowitfch, der Herr General find noch nicht 
zur Ruhe gegangen; ich laſſe dringend bitten, einen 
QAugenblid berabzulommen!“ 

Der KRammerdiener ri die fchlaftrunfenen Augen auf 
und verſchwand eilig Hinter der Portiere. 

Nah wenig Minuten ſchon ftand Groppen auf der 
Schwelle, er trat haftig näher und neigte ſich angſtvoll 
über den Freund: „Daniel, um alles in der Welt, bijt 
Du wieder krank geworden?“ 

Der Fürft richtete fi) Iangfam in den Kiffen auf, 
feine beißen Finger umframpften die Hände des Se- 
nerals und fein DBlid traf feft und durdhdringend Das 
bleide Antlitz, als wollte er die geheimften Gedanken 


276 


hinter der gefurchten Stirn Iefen. Leiſe, beifer lang 
feine Stimme. „Nein, Kurt, nit ich, fondern du biſt 
fran? an Leib und Geele!“ 

Ein Zufammenzuden. „Unfinn, lieber Freund, eine 
Heine Sndigeftion! Das geht bald vorüber!“ Aber der 
©eneral ftreicht tief atmend über die Stirn und die ein- 
gefunfenen Schläfen. 

„Warum Bintergehft du mid?“ 

Dann neigt fich der Ruffe dicht, ganz dicht zum Ohr 
des Freundes. Und er flüftert en paar Worte, und 
Groppen ſchlägt aufftöhnend die Hände vor das Antlitz 
und bricht Traftlos mit dem Haupt auf das Lager her- 
nieder. — Ein paar Augenblide ringt er nad) Faſſung, 
dann richtet er fih energiſch empor: „Nicht ganz fo 
ſchlimm ift es, Dantell* fchüttelt er mit finfter gefal- 
teten DBrauen das Haupt. „Sch bin kein Bettler, ih 
ftehe nur wieder auf demfelben Punkt wie damals, da 
Du Deine Hand zuerft in die meine legteft! Ja, ich 
babe nihtswürdig und gewiſſenlos gewirtichaftet, ich 
war ein Pflihtvergeffener, ein Wahntwibiger, den fein 
guter Engel verlafien Hatte. ch lebte über meine Ver⸗ 
hältniffe, und um Dergeudetes wieder einzubringen, 
.fpefulierte ih, nahm auf Sie Güter auf, geriet in 
Die Hände der Wucherer und mußte fehließlich noch 
DBarvermögen opfern, um menigftens die kleinſte der 
Belitungen noch zu reiten. Selbſt Lenas Privatver- 


mõ on ihrer verſtorbenen Mutter her mußte ich 

ngeben, und das iſt bei allem Elend die drückendſte 
Schuld.“ \ 

„Lena — Privätvermögen? Davon weiß id) ja gar 


nichts!“ 

Einen Moment preßte der General die Lippen zu- 
fammen und ftarrte fchweigend por fich nieder, dann 
faßte er plötlih die Hand Sobolefstois mit Teiden- 

ſchaftlichem Drud. „Ja, du weißt nichts davon, Daniel; 
es ift unverzeihlich genug bon mir, daß es fo fit) aber 
du wirft mein Schweigen verftehen lernen. Soll ich 
meine Mitteilung bis zu gelegenerer Zeit aufheben, 


277 


oder fühlft Du Dich wohl genug, noch mit mir zu 
plaudern?“ 

„Sprich, ich Bitte dich!“ | 

Da richtete Groppen das Haupt empor und fchaute 
Daniel voll in das Auge „Lena ift meine Tochter 
eriter She,“ fagte er kurz, „aber weder fie felbft noch 
die große Welt weiß um dieſes forglich gehütete Ge— 
beimnis. Ich war zweimal vermählt.“ 

Sobolefstoi ſchrak mit einem Auffchrei des Staunens 
empor, der ®eneral aber fuhr haſtig fort: „Bitte, höre 
mic) an, ich beantworte alle deine Fragen, ohne daß du 
fie an mich richteſt. — Ich war noch ein blutjunger 
Wenſch, als ich, von den raten für Iungenfrant erklärt, 
nah Italien gejfhidt wurde. Dort lernte ich eine 
Sängerin kennen, ein Weib von beraufchender, eigen- 
artiger Schönheit, Wera Szalaroff, eine geborene Ruffin. 
Die Arzte gaben mir nur noch kurze Frift, und ich wollte 
den Reft meines Lebensbechers in fühem Liebestrant 
Ihlürfen. Obwohl Wera bedeutend Älter war als id), 
permählte ich mid) mit ihr, die eine heiße, unruhige 
Leidenfchaft für mich erfaßt hatte. Dieſe unerklärliche 
Aufregung und eine fajt krankhafte Menfchenfcheu, bie 
fi) beinahe bis zum DVerfolgungswahn fteigerte, waren 
Die einzigen Schatten, die in Den blendenden Sonnen» 
glanz unfrer überſchwenglich glüdlichen Ehe fielen. Aber 
wunderfam, pon Stund’ meiner Bermählung an wurde 
ich gefund und immer gejünder, dieweil meine arme Wera 
wie ein Schatten dahinjiehte. Da ich überzeugt war, 
Daß meine Eltern unfre She niemals billigen würden, 
fandte ich ihnen die Anzeige erft nad vollgogener 
Trauung und führte dadurch einen langjährigen Bruch) 
mit meiner Samilte herbei. Wera ſchenkte einem Töch— 
terchen, unfrer Lena, das Leben und ftarb unter wun- 
derjamen Fieberpbantajien in meinen Armen. Allein, 
verlafjen mit dem neugeborenen Kind im fremden Land! 
Da fügte es der Yufall, daß eine Gräfin Safjfeburg mit 
ihrer jüngften Tochter in dem nämlichen Hotel Wohnung 
genommen. Gie hörte meinen Namen und erfuhr die 


278 


peinlihe Lage, in ber ich mich befand. Voll barın- 
berziger ®üte nahm fie ſich des Kindes an, wir Ternten 
ung fennen und wurden Freunde, nun, und Das Ende des 
Romans Haft du felbft erlebt, indem du meine zweite 
Stau, die junge Sräfin Safjeburg, in Jolantes Mutter 
fennenlernteft. Wir heirateten ung ebenfalls in Italien 
und blieben noch fünf Sabre Dort, um meine Zunge 
pollftändig auszufurieren. Während dieſer Zeit ver» 
föhnte ich mid) mit den Eltern, furz bepor fia mir dur 
einen jähen Tod entriffen wurden, und in fremde, gänz⸗ 
lich veränderte Familienverhältniffe Tehrte ich Heim. 
Da meine erfte Ehe und meine fonjtigen Schidfale 
nit befannt geworden, nahm jedermann an, daß Lena 
unfre leiblihe Tochter fet, und wir ließen diefe An« 
nahme gern gelten, um nicht Den mindeften Zwieſpalt 
zwifchen ihr und der bedeutend [päter geborenen Jolante 
auffommen zu laffen. Man fragte nicht, und wir plau« 
derten nicht, und unfre Kinder wuchfen auf, wie zwei 
Reifer auf einem Stamm. Lena liebte ihre Pflege» 
mutter mit wahrhaft ſchwärmeriſcher Innigkeit, und 
wir haben es nicht über das Herz bringen fönnen, felbft 
dem beranwadhfenden Mädchen die Wahrheit zu ent» 
büllen; es Hätte einen Echatten mehr auf ihr ſowieſo 
ſchon zur Schwermut neigendes Semüt geworfen. Dies 
meine Beichte, Daniel, vergib mir, daß ich fie erft nach 
fo langen Jahren ablege, aber meine liebe, ftets fo 
rihtig dentende Grau kam ehemals mit mir in dem 
Vorſatz überein, auch dir den Frieden und das Bes 
hagen unfres Hauſes ohne jeden Zwieſpalt zu erhalten. 
Zürne ung nit deswegen, wir meinten eg gut!“ 
Schweigend drüdte Fürft Sobolefskoi die Hand des 
Sprechers. Zu viel des Unerwarteten ftürmte auf ihn 
ein. „Eine Ruffin, Wera Czakaroff, war ihre Mutter!“ 
lächelte er plößli wie verflärt. „Alſo find es doch 
geheimnisvolle Bande der Zugehörigkeit geweſen, die 
mid) in dein Haus gezogen!“ Nach kurzem Ginnen 
fragte er, jäh pon dem Thema abjpringend: „Und 
Lenas möütterlihes Bermögen mußteft du auch opfern? 


279 


Laß uns bereden, wie wir deine andern Güter fo jchnell 
wie moͤglich zurüdfaufen! Warum haft du fo lange 
DBerfteden mit mir gefpielt? Sin Wort hätte genügt, 
dir all die fchlaflofen Nächte und unnötigen Aufre⸗ 
gungen zu erjparen! Du weißt, daß mein Dermögen 
auch das beine ift, alfo war es zum mindeften töricht, 
Landbeſitz unter den Hammer zu bringen, wenn Die 
Angelegenheit durch bares Geld geregelt werden Ionnte!“ 

©roppen Hatte ſich Hoch und energifch aufgerichtet. 
Seine DBruft arbeitete, fein Auge blitzte unter den mweiß- 
bufhigen Brauen: „Nein, Daniel, das weiß ich nicht 
und will es auch nicht wilfen, denn du darfſt mid) jebt 
nieht unterjtügen, willft du als Freund und Ghren- 
mann handeln! Ich bin aud) jebt gottlob nicht ärmer 
als in jener Zeit, da du zuerſt mein Haus betrateft, und 
ebenfowenig, wie ich damals einen roten Seller von 
dir angenommen habe, ebenfotvenig tue ich es heute. 
Wir fünnen auch jett noch ‚mit meinem ©eneralsgehalt 
und der Heinen Rente pon Dernburg anftändig leben, 
wenn wir uns nad) der Dede ftreden; gibjt du mir aber 
bon neuem Mittel in die Hand, in den alten Strom 
zurückzuſchwimmen, fo iſt es deine Schuld, wenn ich 
rettungslos Darin untergehel Soviel DBernunft babe 
ic) noch, mir das felbft zu jagen! Leichtfinn tt ein Un⸗ 
fraut, das mit der Wurzel ausgerottet werden muß; reiße 
ih mich nicht Ios vom Parkett, über das die Hofluft 
weht, berauſcht und beftridt fie mich pon neuem, dann 
babe ich, Gott fei es geklagt, nicht Snergie genug, Den 
noblen Baflionen zu widerftehen, deren Bazillen jo an« 
jftedend in jener Atmofphäre wehen! Laß mich mit 
meiner ernten, vernünftigen Lena fprechen, lieber Freund, 
ich weiß, daß fie mich nicht verurteilen, fondern in. ihrer 
Sngelsgüte allem entjagen wird, um mir den Weg zur 
Umkehr mit Rofen zu [hmüden! Aber Zolantel Meine 
verwöhnte, forglofe, glüdjelige Solante, wird fie fich 
jemals in Kleinere Derbältnifje finden?“ Und ©roppen 
Ihlug die bebende Hand por das Antlib und ſchritt 
abermals mit erregten Schritten im. Zimmer auf und 


280 


nieder. Plotzlich blieb er por Sobolefskoi ftehen und 
umfhloß mit beiden Händen Trampfhaft feine nieder- 
hängende Rechte. „Daniel,“ murmelte er zwiſchen den 
Zähnen, „ih fürdhte, Jolante wird einen Umſchwung in 
unfern DBerhältniffen nicht ertragen. Flanken bat ihr 
fehr oftenjibel gebuldigt, die ganze Stadt [pricht davon, 
Daß er um ihretwillen tanzen lernte, daß er bereits feit 
Wochen bei dem BProfeffor H. Malunterriht nimmt, 
weil es die Kleine alfo gewünſcht hat. Flanken ift wohl 
ein vermögender Mann, aber wer garantiert es ung, 
Daß er Yolante nicht dennoch allein um ihres goldenen 
SHeiligenfcheines willen buldigte? Zöge er ſich von 
dem vermögenlojen Mädchen plößlich zurüd, würde es 
für mein armes Kind ein geradezu vernichtender Schlag 
fein, den fie niemals überwinden würdel Daniel — 
nit für Lena und für mich erbitte ich deine Siilfe, 
wohl aber für unfern feinen Liebling, die zarte baltlofe 
Mädchenblüte, Die feinen Sturm überdauern fann! Wenn 
Flanken anhalten follte — darf ich ihm dann eine Mit⸗ 
gift zuſagen, Daniel?“ 

Der Ruſſe ſtreichelte zärtlich das Haupt feines brüder- 
lihen Freundes, ein wehmütiges Lächeln fpielte. um 
feine Lippen. „Obwohl ich eine bejfere Meinung bon 
dem braven Alan bege als du, bitte ich Dich, fogleich 
einen Einblid in die Kopie meines Teſtaments zu tun, 
damit du meißt, wie reich deine Töchter find. Ob 
heut oder morgen, das Kapital liegt für fie bereit. Noch 
eine Stage: in welcher Weiſe willft du dich einjchrän- 
ten, ohne zum Stadtgefpräd zu werden?“ 

„Ich gedenfe eine einfachere Wohnung zu beziehen, 
weniger Pienftboten zu Halten, nicht täglidy Diners 
ferpieren zu laſſen; ich werde irgendeinen Vorwand 
finden, den Verkehr und die Geſelligkeit zu redu- 
zieren.“ 

„Alles mit einem Schlage fo auffällig verändern? 
Das wäre rückſichtslos gegen Dich, deine Familie und 
deinen Freund, deſſen Name gemijjermaßen zu dem 
deinen gehört. Ich weiß beſſern Rat. Sei mein Gaſt! 


281 


Ich miete Tünftighin dieſes Haus und lade dich ein, 
bei mir zu wohnen. Der Sommer fteht vor der Tür. 
Während wir einen Landaufenthalt nehmen, wird Der 
Haushalt. aufgelöft, dann läßt fich jede Anderung un- 
befchadet anbringen.“ Daniels Stimme ift fehr leife ge- 
worden, plößlich hebt er in feiner kindlich zuderficht- 
lihen Weife das Haupt und fagt beinahe feherzend: 
„Du warſt Teichtjinnig, Kurt, und kommſt jebt unter 
Kuratell Ich bin bein Bormund, und ich werde jebt 
einmal deine ganzen Angelegenheiten in die Hand neh— 
men. Dich perfönlidy werde ich fehr knapp Halten, ſo— 
wohl an Dulaten, wie an Hofluft; die taugt nicht für 
jedermann, nicht für Did) und nicht für mich. Ich Babe 
au ſchweres und du zu leichtes Blut!“ 


Die Dilla, die General Groppen bewohnte, lag in 
einer parlartigen Straße, die dag laubige Brün wohl» 
gepflegter ®ärten in anmutigem Wechfel zwijchen die 
einzelnen Heinen Schlößchen fchob. 

Die Fenſter waren weit geöffnet; lenzfriſches Gezweig 
umflocht fie mit duftender Blütenpracht, und die Sonne 
warf zitternde Lichter über die ſchlanke Mädchengeftalt, 
die in ernftem Sinnen dem DBogelgezwitfcher in den 
Sltederfträuchern lauſchte. Wunderfam, eine Grinnerung 
wachte auf in Lenas Herzen und mollte fie nicht mehr 
perlaffen. Jener Ballnacht in Alt-Dobern gedachte fie, 
da auch die Bäume fie umraufchten, da füß Duftende 
ſchwüle Semitterluft um ihre Stirne ftrih, und eine 
Männerftimme an ihr Ohr fihlug: ‚Sch verlange nicht 
nad) den Dulatenfäden diefer Damen und babe Gott ſei 
2ob und Dank einen zu fteifen Naden, um ihn por der 
Majeftät eines vollen PBortemonnaies zu beugen!‘ Ya, 
der Freiherr pon Altenburg hat fein Wort gehalten, wie 
ein Ehrenmann! Obwohl er ihr Freund geworden, der 
ihr Herz und üre Seele befjer erfennen lernte als je 
ein andrer, bat das Geld dennoch trennend zwifchen 
ihnen geftanden! Zu ftolz, um feinen Hausftand auf 


282 


das DBermögen feines Weibes zu gründen, zu ftolz, um 
eine Liebe zu geftehen, die er nicht betätigen Tann! 


Nun tft fie arm, und abermals drängt fih das Geld 
zwifchen ihre Herzen, zuerft Darum, weil es in zu reicher 
Sülle vorhanden war, und nun, weil es gänzlich mangelt, 
und auch das befcheidenfte Glück dieſer Srde mit filber- 
nem Glanz erfauft werden muß! 

Ja, fte ift arm, fie fteht ihm näher als je, und 
dennoh muß fie um Solantes willen die pruntende 
Maske vor dem Antlit dulden und ihn fernhalten durch 
erborgten Glanz. O möge Sott im Himmel geben, daß 
die Schwefter fich bald ein reiches und forgenfreies Heim 
gründet; Lena erträgt dieſes Scheinleben nicht mebr, fie 
ift müde zum Öterben und möchte alle Luft und alles 
Leben fliehen, fliehen auch ihn, von dem fie ja Doch 
weit, weit getrennt ift, ob fi) ihre Hände aud im Oruß 
aufammenzulegen. 


Hinter ihr klingen Schritte, und als ſie erfchroden 
Das Haupt wendet und durch Tränen aufblidt, jtebt 
der Freiherr von Altenburg inmitten des Zimmers, die 
Augen mit glüdftrahlendem Blid auf fie gerichtet, an- 
Ders, ganz anders als fonft. Lena fühlt einen brennenden 
Schmerz im Herzen, aber fie tritt auch jebt Dem Offizier 
mit dem gewohnten Lächeln entgegen und reicht ihm 
die Hand. Sr hält fie lange in der feinen. „Verzeihen 
Sie, mein gnädiges Fräulein, daß ich ungemeldet bier 
eindringe, Ihr Herr Vater ſchickte mich jedoch direkt 
dur Die Salons zu Ihnen berüber!“ 

„Unter guten Sreunden nimmt es die Etikette nicht 
allzu genaul* Sie bittet in ihrer anmutigen Würde 
Durch eine Geſte, Plab zu nehmen. „Sie fommen bon 
Papa? Zu fol) ungewohnter Stunde?“ 

„sn ganz gefchäftlicher Angelegenheit! Während des 
Mandvers äußerte Ihr Herr Vater den Wunfch, die 
Beſitzung des Grafen Röhrbach aufzulaufen, um fie 
feinem ©üterfomplez einzuperleiben. Ich erhielt ſoeben 
durch Zufall die ganz private Mitteilung, Daß der Graf 


283 


zu verlaufen gedenkt, und meldete diefe Neuigfeit ſofort 
an der rechten Stelle.“ 

Ein wehes Lächeln zudte um Lenas Lippen. „An 
der rechten Stelle? WIN Papa die Güter anfaufen?“ 

Ginen Moment fah ihr Altenburg tief in Die Augen. 

„Zein, er will eg nicht, Fräulein Lenal“ 

Sie zudte zufammen, da er fie zum erftenmal mit 
ihrem Namen nannte. Aber fie wich feinem Dlid aus 
und fragte leihthin: „Weil die Güter fich heutzutage 
zu ſchlecht rentieren?“ 

„ein, weil er fein ®eld hat, Lena, weil er es nicht 
leugnete, daß er über Nacht zu einem armen Mann 
geworden iſt, weil —“ 

Sie Hatte fich erbleichend aus ihrem Seſſel aufge» 
richtet. 

„Allmächtiger ©ott, wie durfte er felber ein Ge— 
beimnis verraten, das er uns andern um Jolantes willen 
jo dringend anempfahl?“ 

Altenburg Stand neben ihr und faßte in ſtürmiſchem 
Jubel ihre beiden Hände: „Weil er’s mir zugeftehen 
mußtel Stets babe ich mich feiner herzlichen Sym⸗ 
pathien zu erfreuen gehabt, und da ich unfreiwillig 
Zeuge einer Unterredung zwiſchen ihm und einem feiner 
©läubiger wurde, der in taftlofer Weiſe die augen» 
blidliche Lage der Finanzen berührte, fo nannte er min im 
Dertrauen auf meine Diskretion den wahren Srund, der 
ihm den Anlauf von Ländereien unmöglich madel Und 
ein jedes feiner Worte hallte wie die Berheißung füßen, 
Iangerjebnten Slüdes in meinem Herzen Wieder. 

O Xena, folange der Reihtum dich auf feinen glei- 
ßenden Sittihen trug, babe ich Dich verlorengegeben, 
wie die Sterne am Himmel, zu denen man mit dem 
Bewußtſein emporfchaut, daß fie ewig fern und uner- 
reihbar ftehen. Es gibt Schranken, über die fi) das 
Ehrgefühl eines Mannes nicht hinwegſetzen fann und 
darf, will er nicht das Glück feiner Zukunft auf un« 
würdigem Fundament erbauen!“ 

Sefter faßte er ihre bebenden Hände und zog fie 


284 


an die Bruft. „Nun find diefe Schranken gefallen, die 
mir den Weg zu Dir verfperrten, und nun, da ich es 
dir beweiſen fann, du einzig Geliebte, daß ich nichts 
Höheres auf der Welt begehre als dich allein, nun dich, 
ohne Deines Vaters Geld und Gut, nun werbe id} um 
Dich in treuer Heiliger Liebe, und ich flehe dich an, 
Lena: fei mein! Verlobe dich mir, bis es mir einft 
möglich ijt, Dich als mein Weib heimzuführen!“ 

Das Haupt wie eine Träumende zurüdgeneigt, Die 
Augen wie verflärt auf ihn gerichtet, lauſchte Lena zu 
ihm empor. Ein Schauer füßer Wonne durchbebte jie, 
ftil, ohne Antwort verharrte fie, als fände fie nicht Die 
Kraft, die zauberpolle Weihe diefes Augenblids zu 
brechen. Dann aber fam es über fie wie ein jchmerz- 
lihes Erwachen. Langſam wich fie von ihm zurüd 
und löfte fanft, aber entjchieden ihre Hände aus den 
feinen. Wehmütig fchüttelte fie Das Köpfchen, und ihre 
Stimme Tlang weich und leife. 

„Spott Iohne Ihnen diefe Worte, Gitel, die mich 
in meiner Armut reicher gemacht haben als alle Grauen 
der Welt! Der Gedanke, von Ihnen mit fo viel Treue 
und Selbitlojigfeit geliebt gu werden, wird mit meinem 
Herzen leben und fterben, unzertrennlid” pon ihm wie 
der Bulsichlag, der es bewegt. Aber Sie unterſchätzen 
meine Liebe zu Ihnen! Ich bin nicht eigennüßig genug, 
um in die Hand einzufchlagen, die fi mir fo opfer- 
mütig bietet. Ich weiß, daß ich diefe Hand fetten und 
belaften würde, daß der Ring der Treue zur Feſſel 
werden würde, die fich vielleicht Ihrem ganzen Lebens» 
‚glüd in den Weg ftelltl — Unterbredhen Sie midy nicht. 
Nicht allein die Shrenhaftigfeit eines Mannes bat 
Schranken zu berüdjichtigen, auch die wahre Liebe Des 
Weibes iſt nicht finnlofe Leidenſchaft, jondern edler 
Stolz, der beſſer entfagt, als daß er fi zur DBürde 
des Geliebten macht.“ 

Schneller und erregter hatte fie gefprochen, jebt legte 
jie die gefalteten Hände auf die Bruft und ſah mit 
einem DBlid erniter Liebe in fein Auge. 


285 


„Nicht gefeffelt. und nicht gebunden follen Sie fein! 
Diefe Stunde wird gelöfcht fein in Ihrer Grinnerung, 
und frei wte bisher follen Sie Ihren Weg geben, be- 
techtigt, Das Glück mit beiden Händen zu faljen, tritt 
es Ihnen zu andrer Zeit und in andrer G©eftalt ent- 
gegen. Die Zeit ift lang, bis Sie ein Weib ernähren 
fönnen, und die Menfchenblumen in Geld und Flur, 
fie welfen, wenn der Herbft kommt. Leben Sie: wohl, 
Gie teurer, Sie geliebter Freund! Iſt es Opttes Wille, 
fehen wir ung wieder!“ 

„xena, ich beſchwöre dich, nur einen Augenblid Höre 
mid an — —“ 

Ihre weiße Hand winkte legten Gruß zurüd, mie 
das Bild einer Heiligen unaufhaltfam zerrinnt, ent- 
Ihwand auch ihre ſchlanke Seftalt wie ein lieber Traum 
binter den Portieren. 


Dämmerig und ftill war es in Daniel Sobolefskois 
Zimmer geworden. Regungslos faß der Fürft in Dem 
Seffel, an deffen Seite foeben Lena gefniet Batte, um 
das Haupt, leiſe ſchluchzend, auf die gefalteten Hände 
zu neigen. Da Hatte fie Daniel alles Tundgetan, was 
ſich zwifchen ihr und Altenburg begeben, und der Kranfe 
batte feinen andern Troſt zu bieten, als goldgefüllte 
Hände, jenes Gold, das die beiden Nienfchenherzen 
Ihied, gleichviel, ob Lena es befaß oder nicht. Energiſch 
batte es das junge Mädchen zurüdgemwiefen, hatte Die 
tränenfeuhte Wange auf Sobolefskois Schulter geneigt 
und mit fchmerzlihem Lächeln geflüftert: „SZerbrich Dir 
nit den Kopf, du ©uter, wie du uns helfen Tannft! 
Seinem Schidjal entgeht fein Menſch, und das meine 
beißt: Scheiden und meiden, alles meiden, was mid) 
bon dir und dem DBater trennen will! Nun bat .mein 
armes ſchwaches Herz einen andern Weg eingefchlagen, 
und da Gottes Hand es zurüdweift in die Srenzen, 
Die er ihm geftedt, da will es fehler brechen und ver«- 
bluten in feinem Schmerz. Aber auch das wird über- 
wunden werden! Schon jett, da id) mich bei deinem 


286 


‘ 


treuen Zuſpruch ausweinen durfte, klopft der Heine 
Aubeftörer viel geduldiger und ergebener in der DBruftl 
Wit der Zeit wird’s immer befjer werden, und gib acht, 
wenn es erjt ganz jo Tommt, wie wir es uns früher 
ausgedadht haben, wenn Solante verheiratet ift, und Du 
mit Bapa und mir nad Wiskow reift, dann wird der 
Stieden wieder in meinem Herzen wohnen, und mir 
werden in der Weltvergefjenbeit jo glücklich fein, wie 
wir jett ung gar nicht träumen laſſen!“ 

Daniels Hände bebten, er preßte fie plötlich wieder 
gegen die DBruft und rang nad) Atem. Sleicherzeit 
flürmte Solante in das Zimmer. und berichtete, joeben 
babe ihr die Hofdame, Sräulein von Jäten, Die ber» 
traulihe Mitteilung gemadt, daß die bereits als Be. 
rücht Lurfierende Verlobung der Prinzeſſin Gordelia 
mit dem Erbprinzen von 9. in den nächſten Tagen pu- 
bliziert werde! Darüber herrſchte großer Yubel. Don 
dem armen Henry Antigna dabingegen bradte fie 
ſchlechte Nachrichten. Sr Hatte fich während der Saiſon 
fo jharmant in den Hoffreifen eingelebt und jchien ſich 
des ganz befonderen Wohlwollens der Prinzeſſin zu 
erfreuen, die in ihrer Herzensgüte alles getan hatte, dem 
menfchenfcheuen jungen Gelehrten den Weg über das 
Parkett möglichft angenehm und leicht zu geftalten. Seit 
dem Beſuch des Srbprinzen von 9. babe er jedoch ange- 
fangen, etwas zu eztrabagieren. Sr fei da vielleicht 
aupdiel herangezogen worden, und das Antignafhe Blut 
tönne feine füdländifche Nationalität noch immer nicht 
verleugnen, es fchäume leicht über Maß und Ziel hinaus. 
Nun fähe er ſeit etlihen Tagen wie eine wandelnde 
Leiche aus und bereite feinem Dater viel Sorge; die 
Wutter fege ſich Ieichter darüber hinweg und behaupte: 
„QAur der Moft, der gärt, wird Wein, und beifer 
etwas zu flott, als zu philifterhaft.*“ So wüſte Henry 
Antigna weiter auf feine Sefundheit ein, feine neuefte 
Marotte fei: Opium zu rauchen. Das könne fein gutes 
Ende nehmen. — — So plauderte Jolante, bis fie 
plögli unterbrochen wurde; Der Diener brachte ein 


287 


töftlihes Bukett mit der Karte des Herrn von Flanken; 
fie war fehr genial mit bunter Ölfarbe betupft. Da 
mußte Lena der Schweiter folgen, ebenfalls eine Ant- 
wort in Ölfarbe zu entwerfen. 

Daniel war allein. Es dunfelte mehr und mehr. 
Sein Puls fieberte, und die Gedanken jagten fi in 
wirren phantaftifchen Bildern. Seine Seele will jauchzen 
und triumphieren, aber feine Hände frampfen fi und 
ringen voll Berzweiflung im Sebet. Unerwartet, über- 
ſchwenglich tft das Glück an fein einfam Lager getreten, 
aber die roten Rofen, Die es ihm bietet, find mit 
Lenas Tränen genett, und der DBoden, daraus fie 
ſproſſen, iftt das ®rab, das das Lebensglüd [eines 
Lieblings verfchlungen. „Nun ift fie für ewig Dein, 
nimm dein Kleinod und rette es dir in die tiefite Ein- 
famteit!* zifcht der Dämon in fein Obr, und der gute 
Engel verbüllt weinend fein Angefiht: „Du Tennit der 
Liebe Leid, du Sraufamer, und du erbarmft dich nicht?“ 

Noh einmal liegt Daniel auf den Knien, und er 
hebt die gerungenen Hände zum Himmel und fchreit auf 
wie ein Kind, nad) dem ſich eine verderbendrohende 
Hand ausftredt: ‚Mutter!! Und ihm iſt's, als lege fidh 
ſchützend und rettend eine Hand auf fein Haupt; da 
befiegt er jich felbft. Wantend erhebt er ji) und fchleppt 
fih zu feinem Schreibtiih. SHaftig, mit leuchtenden 
Augen wirft er ein paar Zeilen bin, ftegelt und adreijtert 
fie. &in paarmal tft es, als ſchleiche ein Grauen durch 
feine Glieder, aber er beißt die Zähne zujammen, 
ſchellt Alezandrowitich und befiehlt ihm, den Brief zu 
bejorgen. 

And als die Seftalt des PDieners hinter der Tür per» 
Ihwunden, fommt es über ihn. wie eine tiefe, tiefe 
Ruhe. Zentnerlaften find von feiner Bruft genommen, 
fein Antlig Tächelt wie verflärt. 

„3b babe meine Pfliht getan und mit dem Leben 
abgeſchloſſen, nun wirft du mich fegnen, Mutter, und 
wirft zum Lohn jene Höllengluten der Eiferſucht in 
meinem . Herzen löfchen!“ 


288 


ft fein Gebet erhört? Tagelang Tiegt’s wie ein 
jüßer Stieden über dem Dulder. 

Wieder verfchleiert fi) der Himmel mit dem grauen 
Gewölk der Naht. Bor dem Haufe des Fürften Sobos 
lefstot Hat ein Wagen gehalten; eine fchtwarzgefleidete 
Dame wird bereits an dem Portal pon Mezandrowitich 
empfangen und direkt in die Semächer des Fürſten ge— 
leitet. Da Daniel ihren Schritt hört, geht ein Zittern 
und Stöfteln Durch feine Slieder, aber er zwingt fich 
zur Rube und fehaut mit faft ftarrem Dlid der Ein- 
tretenden entgegen. Dieſelben milden Augenfterne rich- 
ten fi auf ihn, Die damals über dem Bett des Frei- 
berrn von Altenburg Wacht über den kranken Sohn 
. gehalten, diejelben, die ihm Das Leben gerettet. Gie 
tritt Daniel mit ſchnellen Schritten entgegen und reicht 
ihm wie einem alten treuen Freunde beide Hände dar. 
Sobolefskoi zieht fie faft demütig an die Lippen. 

„Dergeben Sie mir, meine gnädige Frau, daß ich 
als Kranker, dem alles Reifen ftreng unterjagt tft, es 
wagen mußte, Sie hierher zu bemühen. Nicht um einer 
Kleinigkeit willen ift es gefchehen, das Glück Ihres 
Sohnes ftehbt auf dem Spiel!“ 

Stau von Altenburg nahm an der Seite des Leiden«- 
den Platz. Ste verfichert ihm, daß fie Tängft dDiefen 
Beſuch geplant Habe, ihm aus überbollem Herzen für 
al die ®üte und Hilfe zu danken, mit der er ihren 
franten Sohn während feiner ſchweren Verwundung 
überfchüttet Habe. Nur eines fei ihr befremdlich in dem 
Schreiben des Fürften gewefen, daß er gebeten babe, 
ſelbſt Gitel nit Don ihrem Beſuch bei dem Fürften 
zu unterrichten! 

Daniels Hände drehen in nerböfem Spiel die jeidenen 
Schnuren des Seffels. „Wollen gnädigfte Frau die Ge- 
duld Haben, eine lange Auseinanderfegung anzuhören?“ 

Die Hohe impofante Frauengeftalt in dem ſchwarzen 
Witwengewand neigt in fchneller Zuftimmung das Haupt 
und lauſcht mit ftets wachfender Erregung und Rührung 
den Worten des wunderfamen Mannes, die leife, fich 


19 Eſchſtruth, Hofluft 289 


überhaftend an ihr Obr fchlagen. Ste will entgegen- 
Iprechen, da ſieht er mit einem unwiderftehlich flehenden 
Dlid in ihre Augen, und die Freifrau erhebt fih in 
aufwallendem Gefühl und legt beide Hände auf Die 
Schulter des Ruffen: „Gott fegne Ste für jo viel 
Opfermut und Sreundfchaft, Deren Srund und Urſache ich 
kaum begreifen, gefchweige mir erklären Tann“ 

Noch ein geheimnispoll gefchäftiges Berabreden und 
Deiprehen, und dann nimmt Frau pon Altenburg herz⸗ 
lichen Abſchied und fchreitet, ſchwarz verjchleiert und 
ungefeben, wie fie gefommen, zum Wagen zurüd. 


Sünfundzwanzigftes Kapitel 


Am Morgen nad jener inhaltfhiweren Nacht, in 
der Herr von Flanken die Annahme feines Semäldegs in 
der Kunftausftellung gefeiert hatte, wurde es dem brapen 
Franuſch Niekchen faurer denn je, feinen Gebieter den 
Armen des Oottes Morpheus zu entreißen. Das war 
Ihon für gewöhnlich fein leichtes Stüd Arbeit und 
ftellte Hohe Anforderungen an das Diplomatifhe Talent 
des Offiziersburfchen, heute aber wollte fchier gar nichts 
verfangen, fein Bitten und kein Schmeicdheln, jelbjt Die 
Meldung: ‚Kaffee kocht ſik ſchon, Leutnant!! machte 
feinen Eindruck auf den Schöpfer des Bildes , Fuchs im 
Bau'. Flanken ruhte zum erſtenmal auf feinen Lorbeeren, 
und da dieſe ſehr, ſehr reichlich mit den Freudentränen 
der Witwe Cliquot begoſſen waren, ſo ruhte er ſüß und 
feſt darauf, ſo behaglich, daß ſeinetwegen die ganze 
Kaffeemaſchine neben ihm ezplodieren konnte, ohne ihn 
zu iritieren. Der Zeiger aber rüdte unerbittlid) vor, 
und der Herr Oberleutnant hatte Klafjfenreiten; wenn er 
Dazu nicht rechtzeitig gewedt wurde, dann gab's Wo» 
möglih ein Donnerwetter, erft für ihn und dann für 
Niekchen. Die fatale Naturerjcheinung hatte der Sohn 


290 


der Provinz Poſen bereits beobachtet, Daß ſolche mili- 
tärifhe Semitter immer von oben nad) unten ziehen und 
bei der niedrigften Station zeitweije ‚einzufchlagen‘ 
pflegen. 

Der Angftichweiß trat ihm infolgedeifen wohlberech⸗ 
tigt auf die Stirn, und er ſchritt abermals an das Lager 
feines Herrn: „Leutnant, es ſchlaggt ſchon ſieben Uhr!“ 

Flanken warf ſich auf Die andre Seite: „Schlag's 
wieder!“ | 

„Leutnant, Pferrd fteht fchon halbes Stundel lang 
. bor der Tür!“ 

„Himmelfchoddonnerwetter, bring ihm einen Stuhl 
runter! — Raus; will ſchlafen!“ 

Aber Niefchen wich und wanfte nicht. „LZeufnant muß 
aufitehn, Trumpeter blaſt ſchon!“ 

Der Oberleutnant debnte die ©lieder wie ein Löwe, 
wenn er erwadt. 

„Dlaft ſchon?“ wiederholte er mit aufleimendem 
Intereſſe. 

Niekchen ftand am Fenſter. „Leutnant, Reutnant! muß 
fit zum Bett raus! Kommandeur reit fit porüber!* 

Diefer Angftfchrei wirkte. Mit einem Sa war Flan- 
ten aus den Federn, völlig ermuntert. 

„Bo? Zum Neunmillionenfhod —I“ 

Niekchen hielt die Türklinfe bereits in der Hand. Sin 
engelhaftes Lächeln fträubte fein ſpitzes Schnurrbärtchen, 
beruhigend f[chüttelte er den Kopf. „IS fit niz wohr, 
Zeutnant; bot erft Zeiger auf viertel fieben gerudt!“ 
And er zog fchleunigft die Tür Hinter fich zu. 

Sinen Moment ftand der Aberliftete ſprachlos, dann 
zog ein RUNGEN polliter Anertennung feine Lippen in 
bie Breite: „Sin Satanskerl! aber koloſſal intelligent! — 
Heda, Niekchen!“ 

Die Zür wurde ein wenig geöffnet, und der Iodige 
Kopf des G©erufenen Iugte mit aller DBorficht herein. 
„Befehll!“ 

„Reinkommen, du Gaunerl!“ Flanken machte eifrig 


19% | 23] 


Toilette. „Hör mal, lieber Niekchen, wenn ich nachher 
vom DBienft zurüdfomme, leg’ mir den Paradeanzug zu⸗ 
recht !* 

Reichen fchlängelte fich näher wie ein Ohrwürmchen. 
„Befehl. Is ſik erfter April Heut, Leutnant!“ fügte er 
porjihtshalber noch wie zur Entſchuldigung Hinzu. 

Der Oberleutnant tauchte das Haupt in kaltes Waſſer. 
„38 ſik noch viel mehr Heute!“ perjiflierte er in rofigfter 
Laune, zwinkerte geheimnispoll mit den Augen und pfiff 
ih eins. — „Wir winden dir den Jungfernkranz mit 
veilchenblauer Seide. — Niekchen, merffte was?“ 

„Werke niz, Leutnant!” 

„GEſel!“ 

„Befehll.“ 


Wie die Sonne am Himmel ſtand und lachte, und wie 
die grünenden Gebüſche im Stadtpark lachten! Jeder Vogel, 
der ſich zwitſchernd in die warme Frühlingsluft empor⸗ 
ſchwang, lachte mit, und alle Menſchen, die dem Herrn 
von Flanken begegneten und ihn fo blitzblank und glüd- 
ftrablend in feinem Paradeanzug daherkommen fahen, 
die lachten ebenfalls, und dennoch Hatten fie feine Ah⸗ 
nung davon, Daß auf der Bruſt des jungen Offiziers ein 
Schreiben lag, in dem fich die Künftlerjurh für die An- 
nabme des Semäldes ‚Fuchs im Bau‘ ausjprad. Auch 
fah es niemand den ladglänzenden Füßen an, auf denen 
Herr von Flanten ging, daß es Freiersfüße waren. 

Der Oberleutnant ftieg würdevoll die Treppe zu der 
Groppenſchen Billa empor. 

Jolante faß an ihrem Schreibtifch und verfaßte einen 
Drief, als Herr von Flanken, ſpeziell ihr, gemeldet wurde. 

Riefengroß, aber durchaus nicht hoffnungslos ftand er 
wenige Augenblide danach vor ihr. Alles glänzte und 
ftrahlte an ihm, und Jolante fchüttelte mit Tofett ge» 
wandtem Hälshhen die blonden Loden zurüd und fagte 
tichernd: „Sa nicht auf diefen Bronzeftuhl ſetzen, Herr 


292 


bon Flanken, der ‚erträgt‘ eine ſolche Auszeichnung 
nicht!“ 

„Sp, ahnt er bereits, was für ein gewichtiger Mann 
aus mir geworden ft?“ 

„&r fennt Sie noch pom Winter her!“ 

„Dann hat er eine fehr falſche Meinung von mir.“ 
Der Oberleutnant ftüßte fi mit beiden Händen auf 
feinen Säbel und ſah die junge Dame martialifh an. — 
„Fräulein Jolante, — ih babe ein Bild gemalt!“ Sie 
ſchlug lachend die Hände zufammen. „Mögen es Fhnen 
alle Holden Mufen gnädigft verzeihen!“ 

„Fräulein Jolante, ich Habe meine Wette gewonnen, 
das Bild ift von der Künftlerjury für die Kunftausftel«- 
lung angenommen!“ 

Da warf fi das Elfchen in die blauen Atlaspolſter 
zurüd und lachte, lachte noch mehr als Sonne, Blumen, 
Dögel und alle Menſchen, die dem Künftler pon Pro» 
feſſors Gnaden zuvor begegnet waren, und als fie mit 
dem Spigentafchentuch die Tränen in den Augen trodnete : 
und endlih zu Worte kam, da fchüttelte fie nur Das 
Köpfchen. 

„April! Aprill — Bitte ftehen Ste früher auf, wenn 
Ste wünfchen, daß ih auf ſolchen Scherz bereinfallen 
folt!“ | 

Er blieb ganz ernft, griff in die Brufttajche, zog einen 
Brief hervor und reichte ihn dar mit dem Selbjtbewußt- 
fein des Lafontainefchen Zeichlönigs, wenn er fragt: 
„Suis-je?1* 

„Hahahal Ein Briefl. Wohl die Rechnung von Ihrem 
PBinfelfabrifanten?“ 

„Wer Augen bat zu Iefen, der leſel“ — Und Herr von 
Slanten ließ fich voll Grandezza in einen Seifel fallen 
und drehte eriwartungspoll die Daumen umeinander. — 
Jolante lachte noch immer, fie entfaltete, ohne dag Ku— 
vert einer Beſichtigung zu würdigen, den großen Bogen 
und begann voll outrierter Feierlichkeit zu ftudteren. 
Das Lachen verjtummte, immer größer und überrafchter 
wurden die Augen, immer fchneller überflogen fie den 


293 


Inhalt Des Schreibens, und plößlic ſank das Papier 
fnifternd bernieder und Jolante ftarrte den ame Des 
„Fuchs im Bau‘ an wie eine Bifton. 

„Herr von Flanken,“ ftotterte fie heiß erglühend, „int 
Das alles ein Aprilfcherz?“ 

„Da ,Fuchs im Bau‘ mein erftes berporragendes 
Werk ift, Tann ich dieſe Frage nicht übelnehmen, obwohl 
fie für einen Künftler meiner Art: recht Beleidigend tft. 
Falls Ihnen jedoch diefer Brief noch fein genügender 
Demeis ſcheint — bier! Da haben Ste die Paftete mit 
Druckerſchwärze angerührt!* — And mit mwahrhafter 
Blafiertheit zog der berühmte Mann eine Zeitung her- 
por, ſchlug fie auseinander und tippte mit dem behand⸗ 
ſchuhten Zeigefinger auf eine rot angeftrichene Anzeige. 
— Ja, da ftand es ſchwarz auf weiß: „Das Bild ‚Fuchs 
im Bau’ — Erftlingswerf eines noch unbefannten, aber 
hoch talentierten Malers, Herrn pon Flanken, Schülers 
bon Profefjior H. — bat die Teuerprobe glänzend be- 
ſtanden und wird fiher zu den Perlen der Ausstellung 
zählen, da es in ganz wunderbarer Weile faft Jämtliche 
DBorzüge Der bedeutendjten Nleifter in ſich vereinigt!“ 

Das Tageblatt zitterte in den Händchen der Lefenden, 
angftvoll fahen die fcehwärmerifhen Augen zu Dem 
Ylanenoffizier auf. „Aber, ich begreife gar nicht — mie 
ift es denn nur möglich — Sie ſind ganz plößlich ein 
berühmter Künftler geworden?“ 

„a, du lieber Gott, gegen fein Genie fann man doch 
nit anfämpfen!“ 

„Aber bei Stäulein Sorgifch Tonnten Sie faum einen 
Strich zeichnen!“ 

Slanten lächelte jehr überlegen. „Alles Derftellung! 
Denn Sie gemerlt hätten, daß ich die ganze Sache ſchon 
weg batte, würden Sie mid doch an die Luft gelebt 
haben!“ 

„IQ, aber, ich, ih — 

„— fiße jeßt nett in = Tinte drin!“ vollendete er 
mit graufamem Nahdrud. „Ihre Wette ift radikal ver- 
Ioren, und nun verlange ich das Reugeld!“ Gr hatte fich 


294 


erboben und war an den Schreibtifch getreten. „Hier ift 
unſer Kontralt. Sie haben wohl oder übel zu geftatten, 
Daß ich ihn, oder wenigſtens einen Beil dapon, in allen 
Zeitungen der Welt veröffentlichel“ Ä 

Sie zog die Stirn in Falten. „Das tft ja Unfinn! Die 
Leute würden es gar nicht verftehen!“ 

„Aun, ſo erlauben Gie, daß ich eine Erklärung hinzu» 
füge. Nur acht Buchſtaben, Die Sie aber por allen Men- 
hen anerfennen müjfen! Ja?“ 

„Acht Bucftaben?“ | 

„Ja oder nein! ch verlange fie als Austrag der 
Wette!“ 

Eie atmete angjtpoll fchnell. „Schreiben Sie, bitte, 
einmal Hin!“ 

Da taudte er bie Feder tief in die rote inte und 
ſchrieb juft unter Die beiden Namen „Jolante pon 
©roppen“ und „Karl von Slanten“ die acht Buchfiaben — 
„DBerlobte*. Und dann fchnitt er die obere Hälfte des 
Dlattes ab und ſprach ſchmunzelnd: „So, Ddiefe Drei 
Zeilen genügen, darf ich fie in die Redaktion ſchicken?“ 

Das Elfchen ftand ſprachlos, und da der abjonder- 
lihe Freier ihre beiden Hände hielt und fich mit feinem 
vergnügteften Baßlachen zu ihr nieder neigte, Tonnte ſie 
nicht einmal entfliehen. Das war eigentlich für alle beide 
eine fhauderhafte Derlegenheit, denn Herr von Flanken 
hat fpäterbin ehrlich befannt: „Nie im Leben babe er 
eine jolhe Himmelsangft ausgeftanden, wie in dieſen 
paar Gefunden, da er, der Rieje, nicht gewußt babe, ob 
er die kleinſten aller Liliputhändchen werde in den 
feinen fefthalten können!“ 

Aber Spott fei Zob und Dankl Jolante erinnerte ich 
noch rechtzeitig, was man einem großen Künftler und Ver⸗ 
faſſer des Bildes ‚Fuchs im Bau'‘ ſchuldig ift, und weil 
fte ihr glühendes Geſichtchen gar nirgend anders ver- 
fteden fonnte, barg jie es an feiner Bruft. Da lachten 
Eonne, Blüten und Döglein noch weit Iuftiger als zus 
por, aber Herr von Flanken lachte zuletzt, und wer zu- 
legt lacht, lacht am beften! 


j 


295 


Ein Halbes Jahr war vergangen, feit Sraf Lohe an 
einem trüben ſchneedurchwirbelten Wintertag in Dajje- 
winfel einfuhr. Sin Schauder riefelte ihm Durch alle 
Glieder, da feine Squipage wie auf ſtürmiſcher Flut über 
die ungepflajterte Straße ſchwankte und die Kleinen, 
oft nur mannshohen SHäuslein rechts und links wie eine 
höhniſch grinfende Bettelfinderparade porüberzogen. 

Grauenvolle Sziftenz! — Graf Lohe ließ refigntert 
das Monokel niederfallen, lehnte fich mit zufammen- 
gebiffenen Zähnen in die Atlaspolfter zurüd und tat ein 
Gelübde im Herzen, lieber in feiner Klaufe bier mit Der 
Shatfelongue zu verwachſen, als ſich unter diefe Sociste 
de Dassewinkel zu begeben! Aber die Langemeile iſt 
für jemand, der fie zuvor nicht gefannt, ein Geſpenſt, 
Das felbft dem Beberzteften Beine macht, fie zu fliehen. 
Arbeit gab eg faft gar nicht; um das Zimmer der alten 
Kiofterrentei beulte ein permanenter Nordfturm, die 
Öfen beizten nur mittelmäßig, und hinter den alten Tas 
peten feierten Die Mäufe Karneval. Wenn der junge 
Graf fi, in warme Pelzdecken gehüllt, die Augen an 
den Romanbüdern müde gelefen, erhob er fich ftöhnend 
von feinem Rubelager und trat ang Senfter. Keine Seele 
weit und breit, eine troftloje verfchneite Sinfamtleit, und 
dann brachte der Diener die Lampe, und Mart-Wolffrath 
griff wieder zum Bud), oder fchrieb wütende Briefe, oder 
aß mit fjchlechtefter Laune fein meift recht Tchlechtes 
Abendbrot; ebenfo allein wie das Nlittageffen. Sol 
ein Leben war auf Die Dauer nicht zu ertragen! . Aus 
lauter Derzweiflung empfing er fchließlich den ‚torf- 
trampelnden‘ DBürgermeifter in ‚dienftlicher Angelegen- 
beit‘. Der Mann war gar nicht fo raubbeinig, wie er 
fih ihn gedacht hatte. Arg verbauert allerdings, ohne 
jeglihe Lebensart, aber er redete doch wenigſtens, ſo⸗ 
gar ohne jegliden Rüdhalt, über feine politifchen An- 
fihten. Das war etwas Neues für Lohe und ganz amü- 
fant zu hören, wie diefe Leute ſich die Weltgeſchichte in 
den engen Srenzen ihres Schädels zurechtlegen. Wirk» 
lich ganz vernünftig, ganz nett, Graf Lohe findet es 


296 


plöglih ‚einen intereflanten Gedanken‘, einmal ſo des 
‚Bolfes Herz‘ zu ftudieren. Im Safthaus ‚Zur Grünen 
Dteje‘ ſitzen allabendlih die Honoratioren von Daffe- 
winkel, fcherzeshalber wird der Herr Hofjunker einmal 
in Diejem Kreiſe erfcheinen. Er gebt bin und amüſiert 
ſich in der Tat brillant in diefer originellen Umgebung; 
feine Ladjtiefel Haben allerdings die Promenade durch 
die grundlofe Straße nicht vertragen, darum läßt Marl» 
Wolffrath fich ‚icherzeshalber‘ ein Paar ungeheure 
Nägeljtiefel vom Dorfſchuſter beforgen. Auch die Diden 
Düffeljaden, wie fie Apotbefer und Rentmeifter tragen, 
ſcheinen ihm ſehr praftifch bei Hiefiger Witterung. Er 
Tann ja Die feine Masferade einmal mitmachen! Pie 
Herren erzählen mit dem ernfthafteften Seficht ganz un» 
glaublihe Sachen von Weib und Kind und gedenken mit 
viel ehrfurchtsvoller Anerkennung der ‚Sanzträngchen‘, die 
die Frau Oberförfter, die vornehmſte unter den Ewig⸗ 
weiblichen, jeden Sonntagabend hier veranftaltet. Graf 
Lohe Hört’s mit einem Anfall von Schüttelfroft; da er 
aber in Erfahrung bringt, daß alle Güter der Umgegend 
im Winter verwaift ftehen, und er jich immer unerträg» 
licher langweilt, bejchließt er, ‚pour passer le temps‘ ein 
paar Beſuche im Städtchen zu machen. Daß er den Damen 
bereits hoch interejfant und als eine Art ‚Märchenprinz‘ 
ericheint, tut feinem gerfchlagenen Herzen wohl. Gr läßt 
alfo anfpannen, leidet den Diener in ©alalipree und 
fährt bei der Frau DBürgermeifter vor. Kolofjale Auf» 
regung. Türfchlagen, Stimmen rufen durcheinander, eine 
Klingel läutet Sturm, und der Diener, der feinen Ge⸗— 
bieter melden foll, bleibt eine Stwigfeit aus. Endlich er» 
ſcheint er — mit dunfelrotem Kopf, ſchluchzend por inner- 
lichem Lachen. „Die Damen lajfen bitten, Herr Graf!“ — 
Marl-Wolffrath redet nie mit feinen Untergebenen, dies⸗ 
mal fragt er dennoch nach der Urſache ſolch endlofen War- 
tens. „Die Damen hatten mid) für den Herrn Strafen ge» 
halten und ließen mich gar nicht wieder aus dem Sofa 
heraus, auf das mich die gnädige Grau niedergedrüdt 
hattel“ — „DBrer!® Der Erbe von Illfingen fteigt re» 


297 


ftgniert Die Treppe empor. Auf dem Hausflur empfangen 
ihn bereits die Frau DBürgermeifter in mächtiger Staats- 
haube mit faftgrünem Band und Komblumenbulett über 
der Stirn, und neben ihr, ‚mit zücdhtigen, verſchämten 
Wangen‘ die drei Töchter, die knickſend als: „Diefe tft 
mein Lieschen, und diefe die Melanie, die ’S Klavier [pielt, 
und dieſe bier unfer Lottchen, die Franzöſiſch kann!“ — 
präfentiert werden. — Fabelhafte Töchter! Sie fehen 
blaurot aus und platzen beinahe por Geſundheit. Der 
Abſchied fällt ſchwer, aber er gelingt. Bei der Frau 
Oberförfter iſt's bei weitem befjer. Zwar ftürzt auch bier 
erft eine Magd an dem Srafen vorüber in die gute Stube 
und zieht ben fteifbeinigen Lehnftühlen die Kattun- 
böshen aus, und eine Hundekälte ift’s, und ein un«- 
Definierbarer Geruch! Spide, Kamillen» und DBeifuß- 
büfchel hängen zum Trodnen an den großen Hirfchge- 
weihen, vielleiht rührt er dabon ber. Aber die Grau 
Oberförfter ift eine ftattliche, fehr liebenswürdige Dame, 
Die entſchieden eine vortrefflihe Erziehung, fern von 
Daſſewinkel, genoffen bat. Und weiter geht's von Tür 
zu Tür. Cine rothaarige ‚Stüge der Hausfrau‘ flattert 
im Schneefturm dem Wagen des hohen Herrn boraus. 
Sind fie meldet mit aufgeregtem Armfucdhteln in den be- 
treffenden Häufern: „He fümmt! — He Fümmt!“ und die 
Schlüſſel Treifchen in den Schlöffern der Sonntagsnad- 
mittagsjtuben, und die Schönen von Dafjewinfel machen 
in fliegender Haft große Soilette. 

Der Sonntag fam, und der einftimmig, ftürmifch ein« 
geladene Graf Lohe rüftete ſich zum Tanzfeſt. Seine 
Robinfonade begann ihn bereits königlich zu amüjfteren, 
und ‚auf alles gefaßt‘, betrat er den Saal im Safthof 
‚gur Srünen Wieſe‘. Da waren Böcke und Lämmlein 
ftrengfteng getrennt. 

Die Herren faßen im Kegelzimmter, raudhten wie die 
Fabrikſchlöte und tranfen fünf Stunden lang an einem 
Töpfchen Bier; die Damen in [hönem Kranz, gewiſſen⸗ 
haft nad Rang und Stellung geordnet, behaupteten den 
Caal. Eine jede hatte am Arm ihren Ridikül hängen, 


298 


aus dem fie zuerst feierlich einen Obolus entnahm und 
vor fih auf den Tiſch legte; das war die ‚ausgemachte‘ 
Eumme, bie in einer Taſſe Kaffee mit Napfkuchen ver» 
praßt werden durfte. Dann folgte das Stridgeug, nur 
die Frau Pächterin emanzipierte fich und häfelte für ihr 
DZüngfies ein Widelband. Drei Muſikanten jaßen jeitlich 
auf einer Pritfhe und taten ihr möglichites, und nach 
dem ein paar aufheulende Hunde aus dem Kegelzimmer 
entfernt, legten die jungen Herren die Zigarre für fünf 
Minuten aufs Tenfterbrett, zogen einen Zwirnhandſchuh 
an und ſchwenkten zuerst die Mütter, dann je eine Tochter 
durch den Saal. Ernſt, ſchweigſam, opfermütig; ein 
rechtwinkliger Krabfuß, und die Zigarre im Kegelzimmer 
feierte mit ihrem DBefißer ein herzliches Wiederjehn. 
Graf Lohe begrüßte die Älteren Damen und madte 
alsdann den fühnen Verſuch, ſich als Schmetterling dem 
Kranz der jungen Mädchen einzureihen. Sin verlegenes 
Kichern, befchleunigtes Klappern der Nadeln und zeit» 
weiſes gegenfeitiges Anrennen mit den Sllenbogen war 
das einzige Refultat feiner Bemühungen, eine Unterhal⸗ 
tung zu eröffnen. Auch die Mütter wurden unruhig und 
fegten die Brillen auf. Da merkte Marf-MWolffrath, 
daß ein derartiger Verkehr in Dafjewinfel nicht Aſus 
war. Der Hornift intonierte in befchleunigtem Tempo 
die ‚Lorelei‘, nad) der man bier Galopp tanzte, und 
der Arrangeur der ezquifiteften NRefidenzfefte neigte das 
forgfam frifierte Haupt por der Frau Oberförfter und 
führte fie zum Tanz. Die erfte Ronde im Saal Tief 
fih recht gut aurüdlegen. Die gedunfelten Dielen er=- 
wiefen jih als außergewöhnlich glatt; bei dem zweiten 
Tanz jedoch fühlte der Graf wunderlihe Knoten und 
Beulen unter feinen zarten Sohlen, und plößlid) jtieg es 
ihm pridelnd in die Nafe, und weil alle andern auch 
nieften und fich fchnaubten, fo fragte er feine Partnerin 
nad) der Urſache dieſer außergewöhnlichen Erſcheinung. 
„sa, jeben Sie,“ war die Antwort, „Das geniert ung 
nicht mebr, wir find jet daran gewöhnt! Weil nämlidy 
der Sußboden bier fo ſchlecht ift, Käßt ihn der Wirt vor 


299 


jedem Tanz mit Seife ſchmieren, das macht hübſch glatt!“ 


— Daber plöglich diefer niederträchtige Geſchmack auf 
der Zungel Dem verwöhnteften aller Kapaliere tvurde 
es ganz übel vor Schred, er ftammelte feiner Tänzerin 
eine Exküſe, machte Reih’ um fein Kompliment und floh 
die Hinterlift der pfiffigen Daffewinkler, die den Tempel 
der Terpfihore nicht auf den Farben des Regenbogeng, 
fondern auf — Schmierfeife erbauten. 

Und gleih der Haffifchen Seherin flüchtete er fi} 
während der nächſten Tage in des Waldes tieffte Gründe, 
um feinen Kummer zu vergeffen. Ein glüdlider Schuß, 
der einen gewaltigen Wildeber zur Strede brachte, ließ 
alles vergeffen und vergeben fein, was Daſſewinkel je 
gefündigt. Voll leutſeliger Höflichteit nahm der junge 
Sraf, obwohl er Schweinefleifch ſehr ungern aß, fogar 
die Sinladung zu Dberförfters an, ‚jeine Fagdbeute‘ 
berfpeifen zu helfen. — Sin fehr ſcharmanter, behaglicher 
Mittag! Per Kopf mit der Zitrone im Rüffel ſchmeckte 
porzüglih, und die Wirte waren fo angenehm, wie es 
Mark⸗Wolffrath außerhalb des Parfetts gar nicht für 
möglich gehalten. Am nächſten Tag lud der Sutspächter 
zum Eſſen ein. Wer A jagt, muß in diefen Fleinen Ver⸗ 
hältniſſen auch DB fagen. Lohe befam ben Rüden des 
erlegten Keilers vorgejegt und half ihn verfpeifen. Der 
folgende Morgen bradte eine Einladung zu Dürger- 
meifters. Sin ahmungspoller Schred durchzuckte Den 
Empfänger. — Hab’ Grbarmen, Gott der Liebel — 
Sin Borderfhinten des unfeligen Wutzchens erfcheint auf 
dem Tiſch. Der Graf würgt ein Stüd herunter, und 
als man ihn zum Eſſen nötigt, daß ihm die Sinne ſchwin⸗ 
den, teilt er mit Lottchen noch eine DBratenjcheibe. 

Ag er fein Wohnzimmer wieder betritt, lächelt ihm 
ein Brief von dem Tifch entgegen: ‚Der Herr Apotheker 
erbittet fich allergeborfamft — ufw., ufv.” — „Abjagen, 
Stiedrich, abſagen!“ ftöhnt der ftelldertretende Land⸗ 
rat. Es Hilft nichts; außer fi und tief gefränft Tommt 
die ©aftgeberin perſönlich angeftürmt und jet dem 
gegen Damen ftets böflichen Opfer die Piftole auf die 


300 


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DBruft. Er muß fommen, weil er zu ben andern aud) ging, 
— und er belommt den zweiten Schinken porgejegt! — 
And folange noch ein Stüdlein Wildfchwein vorhanden 
ift, muß Mark⸗Wolffrath es bei irgendeiner Familie 
effen helfen. Tauwetter ift eingetreten, und er riecht 
das Menü bereits auf dem Hausflur. — Das war eine 
fürdterliche Zeit! Und als der Oberförfter wieder Jagd 
madt, und dem Grafen ein Wildfchtwein zu Schuß fommt, 
da läßt er die Büchſe ſchaudernd ſinken und dentt: 


Sieber auf den Schuß: verzichten, als noch einmal acht 


Sage lang Schweinebraten effen! 

«&8 war eine harte ſchwere Schule, die ‚le chevalier 
sans faute et sans reproche‘ in Dafjewinfel durchmachen 
mußte. Aber Not lehrt beten, und was im Nebel undaus 
der Gerne. wie eine Vogelſcheuche ausfieht, erweiſt fich 
bei näherer Betraddtung oftmals als ein Bäumchen, das 
gejunde und ſchmackhafte Früchte trägt. 

Die Luft, die über die verfchiedenen Höfe von Daſſe⸗ 
winkel ftrih, war raub, fräftig, und ganz Natur, aber 
fie war heilfam und blies ihren frifchen Ddem durch Leib 
und Seele. Graf Lohe gewöhnte fich fehr ſchwer und 
widerwillig daran, und wenn er es fchließlich tat, geſchah 
es, ohne daß er es felber merkte. Als er ich dem Schid- 
fal fügte und fich feine neue Welt ruhig und vernünftig 
anfab, fand er oft Gelegenheit zu beobachten, Daß. 
eigentlih das. Natürlide und Ungekünſtelte ſtets am 
ſchönſten fet, und daß gar manches, was er bis jebt als 
höchſte Form und Stifette Hochgehalten, eine krankhafte 
Abertreibung war. Nicht zu viel, aber auch nicht zu 
wenig. Gegen die Damen von Daffewintel war Yrfula 
ſchick, elegant, frife$ und amüfant; gegen die der Nefidenz: 
übermütig, verzogen und derb! Pie Kleine hielt aber, 
namentlich jo, wie er fie zuletzt gefehen, die richtige 
golöne Mitte, und wenn er fich ihrer letzten Geſpräche 
erinnerte, jo begriff er es ſelber nicht, wie er ſie ſo ſtreng 
noch hatte richten können! 

Die Trennung gleicht einem Sturmwind, Der die 
Flamme der Liebe erfaßt; iſt ſie klein, jo löſchte er fie, 


801 


wuchs fie aber ſchon zu einer gewiffen Größe empor, fo 
fat er fie an zu Iohender Olut. Mark⸗Wolffraths Ge⸗ 
danken weilten mehr und immer mehr bei Urfula, und 
als er erfuhr, daß Herr von Kuffitein nah Groß⸗Wollk⸗ 
wis zurüdgefehrt fei, ließ er ſofort anfpannen, feinen 
Beſuch abauftatten. Er traf ben Baron allein im Schloffe 
an. Dick, behaglich, wenn auch etwas wehmütiger drein» 
ſchauend als früher. „Sie haben mir meine Urfchel- 
Purſchel ganz rammdöfig in diefem verfluchten Häufer- 
pafticco gemacht!“ feufzte er ganz Häglich, „wie von der 
Drechfelbant weggebolt, ohne Saft und Kraft! Na, ih 
foll ſie nur erft wieder hier Haben! Ich will ihr Diefe 
bleihfüdhtigen Knidfe ſchon bald wieder abgewöhnen! 
Nicht wahr, Herr Poltor, das wollen wir? Wäre Doch 
[ade um unjern Fleinen Bengell“ 

Herr ‚Doltorjo‘ ſaß dem Sprecher gegenüber auf dem 
Lederſeſſel und gloßte mit feinen allerfchläfrigften Augen 
über den Srühftüdstifh, der ihm mit feinem ewigen 
Schinken und den ®änjeleberwürften bereits odiös wurde. 
Es war zum mindeften rüdfihtslos von feinem Freund 
Julius, ihn wegen eines fol langweiligen Imbiſſes 
aus dem Schlaf zu weden; und Urſchel-Purſchel? Dol- 
torjo Hatte überhaupt feine ntereffen mehr auf dDiefer 
Welt, feine undurchdringliche Speckſchwarte panzerte ihn 
gegen jeglihe ©®efühlsdufelei. Und fo würdigte der alte 
- Herr weder fein Gegenüber Kuffitein noch den Graf Lohe, 
noch die Delifatefjen eines wohlwollenden Blides, ſon⸗ 
dern fchnobberte mißpergnügt nach dem Parkett herunter. 

„Haſte noch keinen Appetit, Doktor?“ erkundigte ſich 
der Hausherr teilnahmvoll, „na, dann warte noch ein 
halbes Stündchen, ich lege dir einen Wurjchtzippel neben 
Dein Bettel* und er bob den Mops vom Seſſel, und 
beide madelbeinten nach der Dfenede, wo der DBer- 
droffene fein Plüſchkiſſen beitieg. 

„&s ift ein ganz merfwürdiger Hund!“ wandte ſich der 
Baron zu ſeinem jungen Gaſt zurück. „Nun geben 
Sie mal acht, nachher macht er ſich an fein Srübftüdchen 
beran, aber was tut er? Pie Spedgrieben buddelt er 


302 


fih raus, und die Schale läßt er liegen; ein mer! 
würdiger Hund!“ 

Das interejfierte den jungen Grafen weniger, aber 
die Nachricht, daß Frau von Kuffitein und Arjula am 
20. April zurüdfehren würden, die erfüllte ihn mit nie 
gefannter Sreudigfeit. 


Aber Naht war der Lenz angelommen, überrajchend 
früh, ungeftüm und verfchiwenderifcher als je. Wetter- 
leuchtend Hatte es am Horizont geflammt, feuchtwarmer 
Wind jagte Wolken herauf, und aus ihren dunflen ver» 
T&hleierten Augen ftürzten die Tränenftröme ſegnend über 
Das knoſpende Gezweig. Das erjchauerte bis in Das 
Mark hinein. Aus langem bangem Traum wachte es 
plöglih auf, und es erfchloß die taufend jungen Augen 
und ſchaute Den ©eiftern des Frühlings, die Die Silber- 
Thwingen unter Blig und Donner entfalten, voll füßer 
Scheu entgegen. 

Als aber die Morgenfonne ihr ftrahblend Haupt er» 
bob, da hatten unfichtbare Hände die Welt geihmüdt, - 
hatten rofige DBlütenfchleier über Bujch und Baum ge» 
hängt und das mwelfe Laub hinweggefegt, dem Himmel» 
fhlüffelden und der blauen Cylla das winterliche Haus 
zu zerbrechen. Und fie.ftehen und lachen im Morgen- 
tau und rühren die duftigen Slödlein, Oftern einzu- 
läuten. Wachtel und Lerche haben es mit lautem Jubel» 
lied verfündet, daß der Palmfonntag gefeiert worden, 
daß heute die ganze Welt ein Feſt der Auferftehung 
begeht, die neu feimende Natur und die Menfchenherzen, 
die im Winterfchlaf gelegen. 

Die dürren Reifer prangen urplöglih im Hoffnungs- 
grün; was alt getworden, verjüngt jih in neuem Saft 
und neuer Kraft, und was herniederbrach unter allzu 
ſchwerer Laft, hebt fein Haupt getroft und freudigen 
Muts der Sonne zul — Oftern tft gefommen, und aus den 
©räbern fprießen die DBlüten eines neuen Lenzes! — 
Aber die Sartenmauer von Groß⸗Wollwitz hängen die 


803 


Zweige mit den filbernen und braunen Käbchen, ftreut 
ein wildes Kirfchbäumchen feinen Blütenſchnee. Zwei 
Ihlanfe Mädchenhände biegen die Aſte hernieder und 
pflüden einen Strauß, und dann neigt Urjula das Köpf- 
hen vor und ſpäht die Fahrftraße hinab. 

Die Sonne ftreut Soldfunfen auf den braunen Loden- 
kopf und flimmert auf der Metallftiderei des dunkeln 
Tuchkleides, Das hoch unter dem rofigen Kinn fchließt. 
Nichts erinnert mehr an das Backfiſchchen des ver- 
gangenen Herbſtes. Noch ift es allerdings das kecke, 
friſchwangige Kindergefiht, in dem die fchelmifchen 
Grübchen lachen, aber es ift ein. ganz, ganz ander Ladyen 
als früher. Was ehemals Troßgebärde und Mutwillen 
war, ift jegt heitere Anmut, was früher nur Körper mar, 
ift jeßt Seele geworden. Puck ift eingeſchlafen und die 
Pſyche dafür Hold lächelnd aufgewacht. Aus den braunen 
Augen ftrahlt ein Himmel pon ©lüdfeligfeit, aber nicht 
‚mehr das Slüd kindlicher Ausgelafjenheit; jet grüßt 
Stau Minne aus dem Dlid, und das Feuer, das fie 
Darinnen nährt, fladert nicht, fondern leuchtet. Horch ... 
Hufſchlag. — Urſula möchte laut aufjubeln; fie lacht, 
Iuftig und friſch wie immer, aber fie drüdt dabei Die 
Händchen gegen Das Herz. 

Da Tommt er! Ob er wohl wieder Toilette macht? 
Juſt an diefer Stelle hatte er damals den Spiegel aus 
der Taſche gezogen. 

Nein; diesmal ſcheint er an nichts derartiges zu 
denten, er reitet jcharf, voll Ungeduld hinab. Wie feltfam 
ſieht er denn aus? Derbe, hoch bejtaubte Stiefel, eine 
elegante, aber dabei ſehr jolide Joppe, anftatt Zylinder 
fißt ein weicher Filzhut tief in der Stirn und Fein Monokel 
im Auge! Wie fchön tft er jo! Ganz ungelünitelt, ganz 
und gar ein Mann! 

Schon pon weitem blidt er nach der Mauer, ftußt 
und fpornt das Pferd. Seine Hand bebt den Hut und 
ſchwenkt ihn. 

Sf das Urfula? denkt er, dann ift aus dem Knöfpchen 
die wonnigfte aller Rofen geworden. Schid, elegant, 


304 


ganz Damel Ste Hält einen Strauß in ber Hand. Wird 
fie ihn mit Teder Heiner Grimaſſe wieder nah ihm 
werfen, wie damals den Kranz mit der Wurft? Wird 
fte ihm ein derbes Willlommen zurufen? — ©raf Lohe 
würde. es nicht mehr fo unerträglich ſchauderhaft finden 
wie einft, aber täte fie’s nicht, würde es ihn Hoch 
beglüden. 

„Grüß Oott, mein gnädiges Fräulein!“ 

„Herzlich willlommen, Graf Lohe, welch eine treff- 
liche Ofterfreude, Sie bier zu fehen!* Sie fagt es fröh- 
lich und ungeniert, aber fie wirft ihm den Strauß nicht 
Dazu in Das Geſicht, jondern neigt fich, ihm auf ganz 
allerliedfte Weife die Heine Hand darzureichen. Mark» 
Wolffrath küßt fie, und das junge Mädchen errötet 
heiß, ohne jedoch in verlegener oder findifher Weiſe die 
Rechte zurüdzuziehen. Sr beobachtet es mit Sntzüden. 

„Wollen Ste bitte durch den Park reiten! Ich benach⸗ 
rihtige Die Eltern fofort!* 

„Darf ih Ste nit zu Fuß begleiten? ch gebe 
jenem jungen Menſchen dort das Pferd zur Weiter- 
beförderung!“ 

„Sewiß! Aber es ift Teine Tür bier in der Wauer. 
Ste müffen erſt bis an die Ecke reiten!“ | 

„Darf ih nicht als guter Turner überflettern?“ 

Arfula traut ihren Ohren nicht, und da fie ganz be 
troffen in fein lachendes Geſicht ſieht, fährt er heiter fort: 

„Ich Habe in Daſſewinkel fchauerlide Manieren an⸗ 
genommen und babe Die Überzeugung gewonnen, Daß der 
Menſch fih nicht zum Sklaven machen darf, weder zu: 
feinem eigenen, noch zu Dem fremder Marotten!* 

„Bitte, verfuchen Sie nur... aber Ihre Handſchuhe?“ 

„Handſchuhe?“ Sr lachte. „Sehen Sie mall Ganz 
zweite ©arniturl O ich Bin verwildert in Daffewintell 
Aber die beffern fteden noch in der Tafche, es ging fehr 
eilig zu, heute morgen!“ entjchuldigte er ich mit einem 
Anflug feiner früheren Amftändlichteit. 

„um fo beifer!* 
Der Graf pfiff Dem Knecht und übergab ihm feinen 


Ä 


2 Eihfteuth, Hofluft 305. 


Soldfuhs, dann ermittelte er ein paar ausgebrochene 
Eteine in der Mauer, ftellte den Fuß ein und ſchwang 
fih gefchidt über. 

Heute fehritt er ganz anders an ihrer Seite, als im 
vergangenen Herbſt; die Sonne brannte ihm in das ©e- 
jiht, aber diesmal wehrte der Graf fie nicht durch 
chineſiſchen Fächer ab, und er ſprach ganz anders als 
früher, lachte und ſcherzte und fand Daffewintel ein recht 
nettes Heines Neftchen, Das viel beſſer fei als fein Aufl 
Arjula aber war’s zu Sinn, als müffe fie jubelnd Die 
Arme ausbreiten, die frifehe würzige Luft, die ihnen 
entgegenftrich, zu umfangen: „Hab’ Dank, bu Meifterin 
‚Hofluft‘, daß du aus einem Helden der Salons einen 
Mann gemadt haft!“ 

Und Mark-Wolffratds Blid ftaunte das ſüße Wunder 
an, Das ſich Außerlich und innerlich an der Tyrannin 
von Wolkwitz begeben; war es vielleicht nur die andre 
Gewohnheit? Hatte nicht fie, fondern er ſich geändert? 
Wie konnte er fragen! Maienhold, frifch und Iofe ftand 
Das junge Bäumchen vor ihm, all die wilden Sproffen - 
waren Dur) zarten Hauch gebrochen und die Knoſpen 
ur Dlüte wach gefüßt! — „Hofluft! liebe, freundliche 
Bauberin!” | 

Oftern 30g dahin, als aber die Pfingftmaien die 
Schloßtüren von Wollwitz ſchmückten, da ſchritt ein junges 
Drautpaar über die Schwelle, und Herr von Kuffftein 
ging mit Doltorjo weit in den Park hinein fpazieren; — 
fern auf einer Bank hat er gefejfen und mit dem großen 
rotfeidnen Taſchentuch die Augen gewiſcht: „Gebt wird's 
‚bei uns Abend, Doktor, jebt mach’ ich's wie du, leg' mich 
in dem ftillen leeren Haus aufs Ohr und träum’ von 
meiner AUrſchel⸗Purſchell Ja, ja, nun wird fie uns ein 
fremder Kerl megitiebigen — und mir beiden alten 
Diden jiten da und guden in den Mond!“ 

Der Herr Doktor gähnte und machte ein Geſicht, 
als wollte er fagen: „Dies alles iſt mir furchtbar wurſt!“ 
ftredte Die kurzen ne bon fih und 
ſchnarchte. — 


306 








Da feufzte der Brautvater tief auf, Iehnte den Kopf 
an den Alazienftamm zurüd und ſchnarchte mit. 

Im Gebüſch aber fchlug leiſe, leiſe eine Nachtigall, 
und die Tleinen Geiſter der Liebe, die Das Schloß 
umſchwärmten, famen berzu und ftreuten ihr Duftige 
Blüten ing Neſt. | 


Sehsundzwanzigftes Kapitel 


Steiherr von Altenburg faß in feinem Zimmer, ftüßte 
das Haupt in beide Hände und ftarrte auf einen Brief 
bernieder, der aufgefchlagen vor ihm auf dem Tiſch Tag. 
Die ein ETräumender überlas er den Inhalt, wieder 
und wieder. Es gefcheben viel abjonderlihe Dinge in 
der Welt, begegnen fie einem jedoch direkt, jo fchüttelt 
man den Kopf und reibt fich die Stirn, um zw erforjchen, 
ob man wohl träume. Juſt fo erging es dem jungen 
Offizier. Die Handſchrift feiner Mutter war Zatjache, 
aber die Neuigleit, die fie ihm mitteilte, ein Wirakel. 

Da war plöglic auf ihrem Heinen armjeligen Land« 
gut ein Unterhändler erfchienen und Hatte einen außer» 
ordentlichen Kaufpreis geboten. Der älteſte Sohn, Den 
Stau von Altenburg in Kenntnis gefebt Hatte, fand 
Diefes Anerbieten verdächtig und ließ Die Ländereien 
auf Kohlen» oder Metallager unterjuchen. Nichts fand 
jih por, der verlappte Kaufliebhaber jedoch ließ jein 
Angebot beinah verdoppeln, und die Sutsherrin, Die 
Aniverfalerbin ihres Mannes war, [bloß ohne De- 
finnen den Kauf ab. 

Für den trodenen Sandboden und die neuangepflanz- 
ten Heinen Waldungen hatte fie eine faft unglaubliche 
Eumme erhalten, und fie benachrichtigte ſoeben ihren 
Sohn Eitel, daß fie den Betrag unter ihre Kinder per» 
teilen wolle, unt ihnen die Möglichkeit zu geben, ſich 
einen eignen Hausftand zu gründen. 

Slühende Blutwellen ftiegen in Wangen und Stirm 


20% | 807 


Atenburgs; er preßte Me Hände gegen bie Bruft und 
Batte zum erftenmal im Leben bas Empfinden, als müffe 
er himmelhoch jauchzen vor Glüdfeligfeit und Wonnel 

Das ihm vor wenig Tagen beinahe noch als eine Un- 
möglichleit erjchienen, was er erſehnt und erhofft hatte 
als ein fernes traumhaftes Slüd, das war plößlich wie 
Durch ein Wunder verwirklicht worden, das hob, ſich 
leuchtend wie eine Sonne aus dunkler Nacht und tauchte 
ihm Herz und Seele in blendende Helle. Ein Pleiner, 
wollenhafter Schatten nur zog fehnell und wehmütig 
durch Ddiefen ©lanz, das war der ©ebante, feine liebe 
traute Heimat, die Scholle, an der er mit Leib und 
Seele gehangen, dabingeben zu müffen für immer. 

Die Hand des jungen Mannes bebte, als er Haftig 
ein paar geilen an feinen lieben getreuen Freund Sobo- 
lefskoi niederfchrieb. Mit kurzen Worten benachrichtigte 
er ihn von dem G©efchehenen und bat ihn, Seneral von 
©roppen und Lena auf feinen Beſuch vorzubereiten; 
in wenig Stunden werde er Tommen als glüdfeligfter 
Menfch in dbeutfchen Landen, und diesmal werde er einen 
Strauß von Myrten und Orangen tragen, auf ben, fo 
Gott will, fein Raubreif fällt! 

nverhängt waren die Fenſter. Silbern und Har füllte 
das Mohdlicht die Zimmer des Fürſten Sobelefskoi und 
tauchte die Iniende Geſtalt des verwachſenen Mannes 
in glorienhaften Schein. Bor dem hochlehnigen Seſſel 
im Erker war er zufammengebrocdhen. Seine gefalteten 
Sände lagen auf der goldenen Kapfel, die das Stüd- 
lein Leinwand barg, darauf die Augen feiner Mutter 
lächelten. — Regungslos lag er, nur feine bleichen Lippen 
bewegten fi} im ®ebet. Da Elingen Schritte auf der Stein⸗ 
treppe Draußen, Da zittert der ©lodenton durch das 
Beitibül. Der Körper des Ruſſen zudt und bebt, feine 
Hände Frampften fih in jäher Verzweiflung Langfam 
bebt er das Haupt und lauft. Ya, er ift es; er fteigt 
die Stufen nach der erften Stage empor — jet tritt er in 
den Salon — jeßt wohl in Lenag Zimmer. 

Kalter Schweiß tritt auf die Stirn des Kranken, er 


308 


ſpringt auf und hebt die gerungenen Hände zum Himmel: 
„Nimm deine Hand nicht von mir, Mutter, fei bei mir 
und laß mich ſtark fein, nur kurze Zeit noch, auf daß ich 
Gieger bleibe in dem Kampf!“ 

Aber die DBlütenzweige por dem Fenſter fiel der 
nächtige Sau wie Tränen des Mitleids Hernieder, und 
während der Freiherr von Altenburg auf die bebenden 
Lippen feiner Braut den erften Kuß drückte, neigte fich 
Aexandrowitſch in jähem Schreden über die lebloſe Ge— 
ftalt des Fürften und iirug den DBemwußtlofen auf fein 
Lager zurüd. 

Kein Slüd und fein Stern! — In der Vacht, da Daniel 
Sobolefskoi geboren wurde, heulte der Sturm um die 
Senfter von Miskow, faßte das Banner auf dem Turm 
und fette eg hernieder; das Meer ging hoch und trieb 
ein Schiff auf die Klippen, da gellten die Notfignale der 
Anglüdlicden durch das Unwetter. — So wurde er ge- 
boren, und fo war fein Schidfal. Der Sturm folgte 
ihm mit düftern Schwingen, rüttelte und fchüttelte feinen 
Lebensbaum, daß er weder Blüte noch Frucht trug, und 
er brach ihm Das Herz in taufendfacher Qual, wie einft 
die roten Herzen im Wappenbild des Schloßbanners 
zerriffen waren. Was ihn aber begleitete von Land zu 
Zand und von Tag zu Tag, das waren die Hilferufe Des 
Glends, die Seufzer und Klagen des Unglüds, und wie 
einft in feiner ©eburtsftunde ein Fürft Sobolefskoi Hilfe 
und Rettung auf das Meer gefchidt, fo wurde auch Daniel 
ein Freund und Helfer aller Not, ein Arzt, der zum 
Segen Zaufender rettend an die Kranlenlager trat und 
Doch felber den Tod im Herzen trug. 

Der Juni ftreute feine roten Liebesroſen auf dia 
jungfräulide Erde, und die Glocken Hangen heller und 
jubelnder als jemals vom Turm, dem Hochzeitszug der 
Königin Minne ihr Willlommen zuzurufen. Da Trängte 
man aud) Lenas Stirn mit bräutlichem ®rün, und Daniel, 
auf deſſen flehenden Wunſch die Hochzeit befchleunigt 
war, legte feine zitternde Hand auf ihr Haupt und regte 
Die Lippen, ohne daß man feine Worte verftand. 


309 


Wie Das Bladern des Irrſinns ging es dur fen 

Auge, da er in ihr liebliches ſchleierumwalltes Antlitz 
jab, und das Fieber trieb neue Blut in die Wangen und 
gab feinen Zügen einen fremden, faft graufigen Ausdrud. 
Eo muß das Auge eines Mannes brechen, Der auf der 
Solter liegt. 
Ss wird ftill um ihn, Die Wagenräder, die drunten 
rollen, fcheinen fi zermalmend über feine DBruft zu 
wälzen. — Alezandrowitfch hat feinen Herrn noch nie fo 
krank gefehen wie heute. Schon feit feinem lebten Ohn⸗ 
madtsanfall muß er das Bett hüten, er tft zu ſchwach 
gewefen, um fich erheben zu können, aber er bat voll 
beinahe trogigen S&igenfinns auf der Hochzeit des Fräu⸗ 
leing von ®roppen beftanden, und nun iſt's doch zu viel 
der Aufregung gewefen. Schon während der lebten 
Vacht Hat der Fürft in wirren Phantaſien feine Mutter 
angerufen, und auch jekt reißt ihn das Fieber mit 
glübenden Augen aus den Kiffen empor. — Ein Laden 
ſchallt durch das Zimmer, ein Lachen, das in leiden- 
ſchaftlichem Schluchzen erftidt, und dann fchreit er bei« 
nahe drobend auf: „Halte dein Wort, Mutter! Sn diefer 
Stunde ift es an ber Zeit, Daß du ſolchen Leides Aber⸗ 
maß von mir nimmft! Komm und erfülle, was du zur 
gejagt, fonft wird mein ®laube an dich zerbrechen wie 
mein ®laube an Öott und alle Heiligen, die die Schuld. 
Iofen verdbammen und leiden lafjfen, die graufam und 
ungerecht find, und die mein Gebet hätten erbören 
müfjen — wenn fie ezijtierten!* — Gr fchüttelt die ge- 
ballten Hände, und Alexandrowitſch ſchaudert bei dem 
Ausbruch folcher Verzweiflung. 

Da Mopft es leife an die Tür des Nebenzimmers. 
Ein Diener bringt das Poftpalet, dag aus Rußland 
fommt und von der Steuer abgeholt worden iſt. DViel- 
leicht zerftreut es die wilden Phantafien des Kranken. 
Alezandromitfch meldet, und Daniel richtet die ftarren 
Augen wie geiftesabwejend auf die Tleine Kifte und 
murmelt: „Öffne!“ 

Das Holz jplittert auseinander, ein Heines metall- 


310 


ausgelegtes Schiebfach wird fichtbar, in dem ein Päckchen 
. berfiegelter Papiere liegt. Sin offener Drief obenauf. 
Alexandrowitſch Tieft feinen ruſſiſchen Inhalt auf einen 
apathifhen Wink des Fürften vor. Der Hausbofmeifter 
bon Miskow teilt feinem Herm und Gebieter mit, Daß 
ein DBligftrahl den alten Schloßbau getroffen und ge» 
zündet habe. Slüdlicherweife ift man des Feuers bald 
Herr geworden, nur zwei Zimmer, die des verftorbenen 
KRammerberrn, find faft völlig ausgebrannt. Der antife 
Sekretär des Hochfeligen Fürften wurde ebenfalls ein 
Raub der Flammen, nur das feuerfefte Gefach, das nebſt 
feinem Inhalt anbei überfandt wird, fonnte man unver⸗ 
ſehrt den Trümmern entnehmen. 

Mechaniſch ftredt Daniel die Hand aus und faßt die 
Papiere, die in der Glut braun und mürbe geworden find. 

Seine Gedanken jind weit entfernt, da, wo der 
Priefter zwei Hände zum Bund für alle Zeit ineinander 
legt; als aber Mezandrowitfch das Schweigen abermals 
bricht und den Fürften darauf aufmerffam macht, daß es 
wohl wichtige Dokumente feien, die Der verftorbene 
Kammerherr fo ficher verwahrt habe, da wirft er einen 
ſchnellen fieberheißen DBlid auf die Schriften. Briefe 
find es, aus dem einen fällt ein Zettel. „Zotenfhhein — 
Sglantina — die Hofluft der Bretter...“ 


Der Krante fieht baftig nach der Unterfchrift. „Wera 
Czakaroff.“ — Wera Czakaroff? Der Name ift ihm fo 
befannt, wo börte er ihn bereits? Daniel reibt fich Die 
brennende Stirn, plößlich zudt er zufammen, ein gurgeln- 
der Laut der Aberraſchung ringt ſich über feine Lippen. 
Lenas Mutter! Wie kommt ein Handichreiben von ihr 
in ben DBefit des Fürften Sobolefstoi? Er richtet [ich 
verfiört in den Kiffen empor, und der treue Pfleger 
Ihlägt die Senfterborhänge zurüd. 

„zieber Gregor,“ lieft Daniel — vor feinen Augen 
flimmert es vor Aufregung, das Blatt ſchwankt in feinen 
Händen, und ein unartiluliertes Murmeln gebt plöglich 
in ein Stöhmen und Röcheln über. — Seine Mutter 


Bil 


ſchickt ihren gefälfchten Totenſchein — feine Mutter ver- 
läßt Mann und Kind — feine Mutter tft die Sängerin 
era Szalaroffl 

Ein markerſchütternder Schrei gellt durch das ſtille 
Zimmer, und da Alexandrowitſch voll Entſetzen zuſpringt, 
fällt der Körper des Kranken ſchwer und ſteif in ſeine 
Arme zurüd. 

Ein Schlaganfall! Pas Hochzeitshaus Hallt plößlich 
wider von Den Angftrufen und dem Getreibe höchſter 
Verwirrung. Noch lebt der Fürft, als ein Arzt an fein 
Lager tritt, aber es fcheint eine Lähmung eingetreten zu 
fein, die jeden Moment eine neue, tödlide Wieder- 
bolung des Anfalls befürdten läßt. Noch find Die 
Wagen nit aus der Kirche zurüdgelehrt, als ſich Die 
erften Anzeichen neu erwachenden Bewußtfeins bemerk⸗ 
Bar maden. Fürft Sobolefstoi öffnet die Augen und 
ftarrt regungslos ing Leere. Tränen rollen über feine 
eingefunfenen Wangen, und ein Zug unaugfprechlichen 
Echmerzes liegt um die Lippen. Da leert er den Becher 
feiner Leiden bis auf bie lebte, Bitterfte Hefe. „Kann 
wohl ein Weib ihres Kindleins vergeſſen?“ — Her» 
niedergebrochen aus feiner ftrahlenden Höhe iſt das 
©nadenbild, dag feines Lebens Kleinod gewefen — ja, 
feine Mutter Hatte ihres Kindleing vergeſſen, hatte es 
derlafjen in feinem SlIend, hatte von ihm feheiden fönnen 
ohne eine Träne des Herzeleids! Verlaſſen war er ge— 
wefen, verlaffen fein Leben lang. — In Lug und Trug 
zerrann fein frommer Sinderglaube; nicht die engel» 
gleihe Lichtgeftalt feiner Mutter trat an das Totenbett 
Des Schmerzensreidh, all fein Leid von ihm zu nehmen, 
ihn emporzutragen auf den heiligen Schwingen ber 
Ziebe, dahin, wo die Märtyrer das Antlit Gottes ſchauen 
— Statt ihrer kam die Berzweiflung mit verzerrten Lippen 
und fchreit dem Sterbenden ins Ohr: „Deine Mutter 
ging von dir und kennt dich nicht! Einen Stein Eonnte 
beine Berlafjenheit erbarmen, deine Mutter erbarmte ſich 
— — Ja, verlaſſen war er, verwaiſt bis in den Tod 

inein! 


Bl2 


Horch, Wagen rollten drunten. Lena, das holde bräut- 
liche Weib fehrt zurüd. Lena, Lena, feineSchmweiter! 
— Ein wunderfames Beben und Zittern geht durch Die 
Slieder des Eterbenden, ein tiefes Auffeufzen hebt 
plöglich feine DBruft, und ein füßer, nie gefannter Friede 
fommt über ihn. Lena, feine Schwefter! Wohin entfloh 
plöglih Die wilde, verzweifelte Siferfucht, Die begebr- 
liche Liebe feines Herzens? Still ift es plößlich in ihm 
geworden, ein Jauchzen und Jubeln geht durch feine 
Eeele: „Lena, meine Schwefter!* And die Starrheit 
feines Armes löſt fih; er kann die Hände ineinander- 
legen und beten. Tränen ftürzen aus feinen Augen, wie 
verllärt lächelt das Antlitz des mißgeftalteten Mannes. 
„Autter!“ ruft er laut, „vergib mir, wag ich foeben in 
Gedanken an dir gefündigt!* Und dann zieht es Durch 
fein Denken wie ein feliges DVBerftehen und Begreifen. 
Nein, fie hat ihn nicht verlaffen, fie ging nur don ihm, 
einen Öngel zu fenden, der länger und beglüdender als 
fie das einfame Leben des Sohnes Thmüdtel Und fie 
erbörte fein Gebet und nahm feiner Leiden ſchwerſtes 
von ihm, das jeiner fchmerzensreichen Liebe. Nun war 
der Sriede und das Slüd gefommen, nun fchaute er Die 
lebenden Augen feiner Mutter, und Lena ftand por ihm, 
nicht mehr das Weib feiner Sehnfucht, fondern die 
Schwefter, deren Hand er fonder Leid und Qual in die 
feines jungen Greundes legen fann. Sr faßt den ‘Brief 
und reiht ihn Alexandrowitſch. „Berbrenne ihn!“ flüftert 
er, „bier vor meinen Augen“. Pie Flamme fchlägt auf, 
und Daniel ftarrt, mit weit offenen Augen in ihr Licht. 
Sind wie fie fladert und glübt, fo zudt noch einmal die 
Lebensflamme des Sterbenden empor. Das Fieber ſchürt 
fte und malt ihm mit phantaftifchem Finger die wirren 
Bilder ins Hirn. 

Sr ift wieder in Misfow. Ber Sturm tobt um das 
Schloß; Siskförner prafjeln gegen die Scheiben und im 
Raudfang ſchrillt und faucht's wie Talter Geiſterſpuk. 
inter feinen Füßen ſchwankt's — er bricht bernieder — 
eisfalter Schmerz [chauert durch Rüden und Leib — 


813 


und wie er Die Augen: öffnet, da fchlagen Flammen em- 
por und verfählingen das Bild feiner Mutter! 

Daniel fchreit gellend auf, und AMezandromitich wirft 
erfhroden die brennenden Papiere in den Kamin; in Der 
Zür aber fteht Lena und eilt in bebender Angft an dag 
Lager des Fürften, feine von Grauen geſchüttelten Glie— 
Der mit den Armen zu umjchließen. 

Da ftarrt er fie an wie eine Bifton, feine geframpf- 
ten Hände Iöfen fi und umfchlingen ihren Naden. 
„Mütterchen, Mütterchen, du kommſt doch noch zu mir!“ 

Sein Haupt ſinkt langſam zurüd, fein Auge, ſchon 
halb gebrochen, ftrahlt auf in unendlidher Glüchſeligkeit, 
voll ſcheuen Entzüdens; wie gebannt hängt fein Dlid an 
der fchlanfen Grauengeftalt, die gleih einer &ngels- 
erſcheinung vor ihm ſteht. — Ja, es tft feine Mutter; 
Das weiße Gewand umglänzt fie, die blonden Locken 
füffen ihre Stirn, und mit dunflen Augen neigt fie fich. 
liebevoll über ihn, wie vor langer Zeit, Da te dem hilf⸗ 
log liegenden Kind zugeflüftert: „Set getroft, mein kleiner 
Schmerzensreich, ich babe ein hartes Schidfal über Dich 
gebracht, aber ich Tomme dereinft und nehme alles Weh 
und Serzeleid wieder von dir!“ 

„Mütterchen, bift du bei mir?“ fragt er noch einmal 
mit umflortem DBlid. Tränen erftiden Lenas Stimme, 
fie neigt fich ſchweigend über ihn und küßt ihm die 
Stirn. 

Ein feliges, zitterndes Aufatmen, das arme zwergen⸗ 
hafte Haupt ſinkt an ihre DBruft, und Daniel Sobolefstot 
fließt die Augen wie zu füßem Traum. Schwerer und 
ſchwerer fällt er in ihren Armen zufammen, wie ein 
Hauch weht’s noch einmal über feine Lippen: „Mutter!“ 
And dann wird’s ftill — totenftill. 

Groppen, Jolante und Altenburg treten ein, ſchluch⸗ 
zend bricht Lena an dem Sterbebett gufammen, und der 
General neigt ſich tief erjchüttert, Die erlalteten Hände 
des treueften Sreundes zu küſſen. 

Daniel ift nicht mehr verlajfen, fein Tächelndes Antlitz 
fheint die Weinenden zu fragen: „Was Hagt ihr um 


314 


mih? Ich Habe gelämpft und gefiegt, und der Tod Hat 
gefühnt, was das Leben an mir verfchuldet.“ 

— Fürſt Sobolefskoi ift in der Samiliengruft zu Mig- 
kow beigefeßt, das Banner, das bei feiner Geburt zer- 
riß und nicht erneuert wurde, raufchte feine Totenflage 
in den Wind, als der Lebte des Geſchlechts zur ewigen 
Ruhe gebettet wurde. Auf feinem Herzen lag eine goldne 
Kapfel, feine Hände umfhloffen das Kruzifiz, das im 
Eterbezimmer feines DBaters auf jener Stelle des Par- 
Tetts gelegen, wo das Haupt des Srſchoſſenen gerußt. 

Die rujjifhen Befißungen hatte der Verblichene einem 
entfernten Berwandten, dem Strafen Arlowsk, teftamen- 
tariſch zugefprocdhen, fein Barvermögen erbten die Töch⸗ 
ter des Generals von Broppen, und ein Kodizill ver- 
machte das neuangefaufte Stammaut der Sreiherren von 
Altenburg dem zweitgeborenen Sohn Sitel derfelben 
Samilie zum Hochzeitsgeſchenk. 

Das war eine große unbefchreiblidhe Freude für den 
jungen Offizier, der erft Durch diefe Beftimmung den 
wahren Namen des Käufers und die mehr wie freund- 
ſchaftliche Lift erfuhr, durch die Fürft Sobolefstoi fein 
und Lenas Lebensglüd gegründet. Trotz des außer- 
ordentlichen Bermögens feiner jungen Gemahlin lebt der 
Steiherr in [hlihten und doch vornehmen Berhältnijfen, 
und Die einzigen Feſte, die er mit Vorliebe befucht, 
find die des Hofes. Sr hat Lena in jene Galerie geführt, 
in der der unerllärlihe Zauber der Hofluft ihn zur Er⸗ 
fenntnis feiner ſelbſt gebracht. Ihr allein verdantt er 
das ©lüd, das ihm wie verheißungspolles Morgenrot 
entgegenwinft. 

Herr von Flanken ift ein berühmter Mann geworden. 
Sein Bid ,‚Fuchs im DBau‘ Hat ſich der ehrenpollften 
Kritifen zu erfreuen gehabt und ift für Hohen Preis nad) 
einer. freien deutfhen Neichsftadt verfauft worden. Herr 
von, Slanten überwies die Summe armen Malern in 
Italien. Solante ftrahlte vor Stolz und drang ftürmifch 
in den ®atten, ‚noch mehr Meifterwerfe zu fchaffen!‘ 
Da fein bejcheidenes Sträuben nichts Half, rettete er 


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fih durch eine Lift. „Out,“ fagte er, „ich babe einen 
großartigen Gedanken, ich werde mal eine Benus malen! 
Nur muß id) mich zubor nad) einem Modell umfdhauen!“ 
Da fand Frau Jolante plößlid), daß es des Ruhms 
genug fet, und ſchloß ihrem Gatten fehr energiſch Binfel 
und Leinwand in ben Ddiebesficheren Geldſchrank ein. 
So mußte fi der gottbegnadete Künftler feufzend in 
den barbarifhen Willen der Hausfrau fügen. 

Sn der Dfteria bat die Entſtehungsgeſchichte bon 
‚Fuchs im Bau‘ Iange Zeit Stoff zur größten Heiterkeit 
gegeben, doch bat man ftets eine [ehr liebenswürdige 
Diskretion gewahrt. Da Frau Jolante mit den Jahren 
doch erfuhr, was ihr Oatte eigentlidy an dem Gemälde 
gefchaffen hatte, — Das Loch und den Zitell — ſo habe 
ih jet die Srlaubnis erhalten, das amüfante Geheimnis 
auszuplaudern. Flanken, der fchmungelnd glüdliche 
Hausherr, bat gar feine Angft mebr vor den Borwürfen 
feiner Grau, denn das ‚Sifchen‘ ift eine ſehr behaglich 
Dide kleine Mutter geworden, die fich voll beneidens« 
werten Phlegmas im Schaufelftuhl wippt, fich von ihrem 
©oliath jede Sreppenftufe berauftragen und bei jeder 
lleinſten Gelegenheit ritterlich bedienen läßt. Sr gehorcht, 
noch ebenjo galant und verliebt wie als Bräutigam 
je!em ihrer Winfe, und fie revandhiert ji) dafür und 
ißt jeden Donnerstag voll ſichtlichen Bergnügens Sauer- 
traut und Bötelfleifch mit ihm. 

Die Ehe des Freiherrn pon Alenburg iſt für Das 
große Publitum etwas ganz Außergewöhnliches: ein 
junges Paar, das fih nicht in den Strudel der Welt 
ftürzt, fondbern feines Glückes höchſte Bolllommenbeit in 
dem ftillen traulichen Heim findet, das will heute nie- 
mand mehr recht begreifen! Wer aber einen Blid in 
Diefe ftille Häuslichleit getan und ſich an all der Liebe 
und dem neinanderaufgehn das Herz warm geſchaut 
bat, dem ift’s zu Sinn, als trete er aus ſchwülem ſtau⸗ 
bigem Jahrmarkt in den frifhen Morgenwind Binaus. 

Srfula bat es längſt aufgegeben, dieſe Binfiedler 
hinaus zu Epiel und Zanz zu Ioden. Gräfin Lohe ift 


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volllommen Weltdame geworden, und zu Mark⸗Wolff⸗ 
raths größtem Amüfement ift es fogar ſchon vorgekom⸗ 
men, daß fie ihn wegen DBernadjläffigung feines äußeren 
Menſchen — er hatte vergeffen, fi den Schnurrbart 
etwas ‚[chid‘ brennen zu lajfen — ganz entrüftet ge- 
tadelt hatte! 

Die Hofluft ift ihr Lebenselement geworden, und 
als Herr von Kuffftein nebſt dem Herrn Doktor zum 
erftenmal zu Beſuch kam, da ftemmte er die Hände in 
Die Seiten und fragte mit verſchmitztem DBlinzeln: „Na, 
Urſchel⸗Purſchel, wollen wir wieder eine Dierreife 
maden und 's mit. den dreffierten ®änfen ristieren?“ 
Diesmal fand feine Tochter folch eine Idee ‚haarſträu⸗ 
bend!‘, und Bara Julius räfonnierte: „Der Mark⸗Wolff⸗ 
rath verdirbt alle guten Sitten; Der Dengel geht nur 
dahin, wo's ein Heidengeld Entree Eoftetl“ Und er jer- 
bierie dem Herrn Doktor noch ein Frankfurter Würftchen 
und wuchtete dapon, um ‚den Flanken‘ abzuholen. 

Dort öffnete ibm Franuſch Niekchen die Tür. Er 
Batte feine Zeit abgedient und war bei feinem Herrn 
‚Rittmeifter‘ als Lipreeburfhe weiter im Pienjt ge» 
blieben. Aber der brave Niekchen ſah recht nieder- 
gedrüdt aus, ftill und ergeben, magerer und blafjer als 
fonft. Dem übermütigen Monfieur war auch vom Schid«- 
fal übel mitgefpielt worden. rat er da eines Tages 
kreuzfidel vor feinen Herrn und ſprach: „Leutnant! trog’ 
ich feit geftern Ringel am Finger!“ und er präfentierta 
einen gewaltigen Siegelring mit Achatftein. „Hot ſik 
Köchin altes vermögendes von Seneral Sroppen olle 
Singern abgeledt nach mir, Hot fie mir gemadt plau- 
fibel, daß niz heiraten iS gutt, heiraten abber is beifer. 
Hob ich gefaggt: wann Warianka will fein Taubchen 
fanftes guttmütiges, full fie werden Frau vom Franuſch 
Niekchen — und nu iS Hochzeit in nächſte Woch', wann 
niz is Dreckwetter.“ 

Flanken Hatte bedenklich das Haupt geſchüttelt und 
den betörten Jüngling geiwarnt, aber das Sparkaſſenbuch 
der alten Heiratsluftigen blendete feine Augen. So var 


317 


das Malbeur gefhehen. Als Niekchen nad einem 
Vierteljahr kläglich vor feinem Gebieter erfchten, mit 
fünf roten Zingerabdrüden auf ber Wange, und ehrlid) 
befannte: „Is ſik niz Taubchen, Rittmeifter, is fil 
Drache, alter biffiger!* da Tam guter Rat zu ſpät, 
und Herr von Flanken nidte nur: „Siehſte wohl!“ 


®eneral von Groppen nahm nach kurzer Zeit feinen 
Abſchied und zog fi aufs Land zurüd, ein eifriger 
Nimrod zu werden. Die Hofluft war ein allzu gefähr- 
ih Gift und taugte nicht für ihn, darum ging er Ihr 
aus dem Wege. Sr war charalterfeft genug, fi) noch 
rechtzeitig dem verführerifhen Zauber zu entziehen, 
Dem der junge Graf Antigna in fo trauriger Weije zum 
Opfer gefallen war. Gine ezxzentrifche und eigenartige 
Natur war diefer wohl ſtets gewefen, und der Um⸗ 
Ihwung, der den menſchenſcheuen Gelehrten aus dem 
Etudierzimmer plöglihd auf den Nizenfee fptegelnden 
Barletts fchleuderte, mußte wohl zu groß geweſen fein. 
Da umtvehte es ihn füß und fchmeichelnd und fant wie 
ein rofiger Schleier über feine Augen, daß er blindlings 
in Die fremde, Iodende Welt Bineintaumelte.e Vom 
Schreibtiſch ans Shampagnerbüfett, aus der nüchternen 
Ginſamkeit des Studierzimmers in die tollen Wirbel 
großftädtifchen Lebens! — Ja, wäre es bei den Hof- 
feften geblieben! Die Flöten und Geigen aber, die ihm 
dort ſo zauberifch entgegenflangen, gliden nur dem 
Lied der Nachtigall, es rief ihn in die blühende wonnige 
Welt, unfhuldig Daran, wenn er auf Abwege geriet, Die 
finfter und voll wüften Lärms waren. 

Diele nannten den jungen Grafen verrüdt, da er in 
faft Tranfhafter Dorliebe für rote Mohnblüten fein 
Zimmer täglich mit diefen Blumen ſchmücken ließ; auch 
Das Dpiumraucden führte man auf die Paſſion zurüd. 
Seit Brinzeffin Cordelta verlobt war, und die Feſte der 
Caifon fich jagten, Hatte er diefe unfelige Angewohn- 
beit in unvernünftigfter Weife übertrieben, und es war 


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nur eine ganz natürlihe Folge, daß das Gift fein 
Opfer forderte. Sin ſchweres Nerbenfieber Brady ihn 
nieder, wie der Froſt über Nacht die roten Mohnblüten 
auf dem Felde Inidt, und als die Sadeln zur Hochzeits- 
feier der Brinzejfin in feierlihem Tanze dur) das 
Schloß flammten, neigte Henry Antigna das Haupt und 
Ihloß die Augen zum ewigen Schlaf. 

Seine Mutter aber nahm ein Meines Bild von ber 
Bruſt des Toten und legte es auf einem Strauße welken 
Mohns in die Kaminflammen, — zum erftenmal im Leben 
‚zitterte die weiße, energifhe Frauenhand. 

Als aber der Weihrauch durch den Saal mwallte, und 
alle, die da einen großen Namen hatten, fich perfammel- 
ten, Dem Berftorbenen die legte Ehre zu erweifen, ſtand 
Gräfin Antigna wie gewohnt inmitten Des Gemaches 
und neigte das Haupt zum Gruß. DBleich und ruhig 
wie ſtets war ihr Antliß, nur das verbindliche Lächeln 
fehlte, und die Tränen, die an den Wimpern perlten, 
entjtellten nicht. Seft und zwingend wie einft auf Henrys 
Schultern, lag ihre weiße Hand auf dem Saupt Des 
jüngften Sohnes. 

DBlumenfülle dedte den Sarg, das Auge der Gräfin 
aber weilte unverwandt auf dem glänzenden Ritterhelm, 
der zu feinen Häupten ftand. Und fie atmete hoch auf 


und bob ſtolz den Naden; hatte fie auch den Sohn ver⸗ 


Ioren, fo gab fie ihn doch dahin als ein gräflich Blut, 
als ein unverfälfchtes Reis von altem Stamme, des ein«- 
iger Schmud nur Helm und Schild und nicht ein Doltor- 
hut gewefen. 

SHofluft war’s, die Sräfin Antigna geatmet hatte, feit 
fie felbftändig die Füßchen regen fonnte, und all die 
Heinen Stäubchen konſervativer Treue, die darin wehten, 
waren ihr zu Fleifh und Dlut geworden, zu einem 
Panzer altariftofratifcher ©efinnung, der moderne Ans» 
ſichten troßig abwehrt und lieber aufopfert, ehe er fich 
Dem neuen Zeitgeift fügt. 

a, Hofluft, du feltfame unerforfhlide Zauberin, 
mannigfah wie die Garben des Regenbogens jchillert 


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dein Duftiger Hauch, und taufendfach, wie die Lippen, Die 
dih atmen, ijt der Sinfluß, den du auf die Seelen übft. 
Webe deine geheimnispollen Schleier weiter um die 
Stirne, fülle mit Begeifterung und ftolzer Treue Herz und 
Sinn und flüftre mir auf wiegenden Klängen auch ferner« 
bin deine wunderfamen Mären ins Ohr — Hofluft, Du 
lieblich Gemiſch von Sonne, Mond, Sternenglanz und 
Beilchenduft! | 














SITY OF MINNESOTA 


NN