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Full text of "Nataly von Eschstruth. Illustrierte Romane und Novellen 2. Serie, Band 1 = Der Majoratsherr Band 1"

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Dataly vou Eſchſtruth 


Alluſtrierke 
Romane und Hovellen 


| Dyus Folge 
Erfler Band 


Der Majuratshervy | 





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Der ۸ 


Roman 
Dataly von Eſchltruth 


mit Ilufrafionen von TH, Hashar 





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~ Berlagsbucdhhandlung von Paul Lift. 











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Seiner Exrellenj 


dem General der Infanterie 
Beren von Deroy Du 1 ۶ 
und 


Ihrer Exrelleng 
Fran von Derby du Dernvis : 


in aufrichtigſter Berehrung und 272010 


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Auf dem Wege rent nicht voran und ſicht nicht 0000 0 0 


۶ in entjeßliches ۲ war ¢3, das reine Alpen 


mü den Händen, deur bus a der ۱۷ 
Wias. 


Stillleben voll Höhen wid Tiefen, voll Stein 
und Schlanm und hochaufſpritzender Waffer- 

pfüben, welche zwijchen den einzelnen Hochragenden 2 
eh gelagert waren, wie die Bergjeen zwijchen majeſtä— 





tijchen Schneehäuptern. — Und dazu ۵ quietjchte 


der Happrige Hotelomnibus in allen Fugen, und ſchwankte 


wie betrunken über dieſes regenfeuchte Pflaſter, juſt, ald — 
LOS ۶ ſchwindlig geworden vor Erſtaunen, daß zwei Fremde,— 
zwei hochelegant ausſehende fremde 0+011 in 00 ae 


Blak genommen hatten! 


Der Hausfnecht und Kutſcher ſchienen fu in ۱ gleicher 


ſeeliſcher Berfa ung zu ‚befinden. 

Gottlieb ſaß mit vorgeftrecttem Kopf auf dem ulcer: 
bo und gloßte mie geiſtesabweſend vor Hd) hin, er hatte 
die Mütze mit Dem ehemals blant gewejenen Hoteljchild 
„Zur Stadt Hamburg“ verehrt auf und 0676 


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das Schirmpafet feiner vornehmen Säfte fo frampfhaft, 
al fürchte er, das Traumhafte fünne unter feinen blau- 
roten Fäuſten wirklich alg Schaum und Traum zer: 
rinnen! 

Zwei feidene Regenjchirme — der eine fogar mit ele 
gantejtem Elfenbeingriff, auf welchem ein goloner Jtamens- 
zug unter vielperliger Strone pruntte — und darumber 
gewickelt und weich wie Gammet, fo nagelneu und ſeiden⸗ 
glänzend eine Meijedede — ein wahres Prachtſtück“ Wie 
famen diefe Schirme — bide Dede — dieje 1 


hierher nach Angerwies? Dieſem fleinen, fümmerlichen 


Städtchen, welches ſchon feit Jahren mit feinen Feinden 
in ſchwerem Kampfe rang, ob ق‎ wohl berechtigt let 110 
0 7 zu nennen? — — 
. Der fiber des „Hotels“ zur Stadt Hamburg hatte 
einmal in tiefem Weltfchmerz gejeufzt: Wenn nicht "mal 
ein Eijenbahnunglüd auf unferer elendiglichen Station 
paffiert und mir ein paar Paſſagiere erfter Klaffe ins 
Haus jchleudert — mit gebrodjenen Beinen, daß fie ſechs 
Wochen lang liegen müffen — — wenn ber liche Herr: 
gott das nicht fügt, dann fomme ich in dieſem Lumpen⸗ 
neſt niemals auf einen grünen Zweig! — War der 
fromme Wunſch jetzt etwa erhört worden? — > 

Die Neifenden erjter Klaſſe famen, aber. fie ftiegen 
mit heilen Knochen aus dem Zug und fprachen freiwillig 
und ungezwungen das Unfaßliche aus — fie wollten ein 
paar Tage in Angerwies in der „Stadt Hamburg“ zur 
Sommerfrijche weilen!! — 





= 10 > 


Und dabei war e3 erjt März, ein Hundewetter voll 
Sturm, Schnee und Regen — fo daß man nod Jeg 
mußte! x 

Gottlieb fag und ftarrte wie ein Pagode gerade aus, 
unfähig die Loſung diefes großen Nätjel3 zu finden, und 
der Kutſcher an jeiner Celte ſaß ebenjo ftarr und ita, 
mit einem Geficht, als erwarte er jeden Augenblid das 
Ende der Welt. 3 

Sonſt pfiff er vergnüglich vor HO Dirt, nike und 
grüßte rechts umd linfs, hieb mit der Peitſche nad den 
flaffenden Hunden und hielt wohl auch ein paar Minuten 
an, um mit Dicjem oder jenem ein ۵ 671 
zu halten. Die paar Neijenden, melche er für gewöhnlich) 
fuhr, beanjpruchten feine Umftände, und eë vergingen oft 
Wochen, wo er überhaupt feine Fremden heimbrachte, 
aber heile ات اب‎ 

Ein hergbeflemmendes 904 تر‎ ſich ۰ 
Er wagte faum an den Zigeln zu rucken, Damit die ۵ 
nicht etwa noch jchneller liefen. Er fürchtete fich formlich, 
mit Diejen hohen Gäſten fo jähli ings überrajchend bei Det 
„Stadt Hamburg“ vorzufahren. 

Was würde die Wirtin fagen! Auf joldjen Bejud 
ijt ſie ja gar nicht vorbereitet. Die Fremdenſtuben liegen 
noch im Winterſchlaf Über zwei Gute“ und eine „beſſere“ 
verfügt das Hotel überhaupt nur. Und in Diefer 1 
hingen die Würfte und Schinken an einem Seil, welches 
ſchrägüber zur Thüre gejpannt war, und auf dem Fup: 
‚boden lagerte die bide Strohichicht mit dem legten Reſt 


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Der ——— und der Backpflaumen auf üren 010 
tenen Dörrfchütten. 

Nebenan aber, in der „Guten ode: bie Wäfche, 
weil e3 auf dem Boden durchregnete, da blieb nur nod | 
die blaue @dftube! — Du lieber Himmel, gerade die! — 


Der lebte Reiſende, welcher fie bewohnte, hatte nicht = = 
wenig geſchimpft, und behauptet, die ganze Nacht Habe 1 5 EEE 
er mit Der Elle in der Hand — (an die Bezeichnung 


„Metermaß” gemwöhnte fich in Angerwies erft Die jüngſte 
Ichulpflichtige Sugend!) im Bett geſeſſen und fic) der 
Maule erwebhrt, welde wahre Quadrillen auf feinem 
Plümeau getanzt hätten. Da lobe er fich die märkiſchen 
‘Klein = Bauernquartiere, wo wenigstens neben jedem Bette 
109011 ver ےت‎ Muſelnüttel⸗ وی ی‎ 
fol سے‎ 

Und in dieſe blaue 56 jollten nun die Baffagiere 
erſter Klaſſe mit den feidenen Negenjchirmen? Die fchauer- 
lich feine Dame mit dem königlichen Pelgmantel, welche 
bei jedem Schritt in Eamt und Seide raujdte und nad) 
einem Haaröl buftete - — pie Salomo in aller feiner Herr: 
lichkeit? — 

Dem Denker trat der Angitichweiß auf die Stirn. 
Sollte er den Onmibus vielleicht vor dem Haufe erſt um 
werfen, um der Frau Marthe Zeit zu laffen, die Wäfche, 
Wiirfte und Apfel ud eine Treppe tiefer zu fchleu- 
den? — 

Der Wagen 0 man leider nicht mehr aus, ‘und 
feine Reparatur würde den Profit verjchlingen, — 


— 142 یٹ 


bie Stadt Hamburg an ihren erjten und einzigften PBaffa- 
gieren erjter Klajfe machen würde. — 
Bu wen fie nur wollen? — Und warm ie nicht 


lieber nod) eine Stunde weiter nah Schloß Niedeck zum 
Grafen fahren? Der hat doch die Salons und Gaile . 


zur Auswahl! Aber freilich... . er der Graf... Hm... 


zu dem fommt jchon längft fein vernünftiger Chrijtens. N 


menîh mehr! Und ق‎ wäre doch fo gut für bie ganze 
Umgegend, wenn es wieder ein Leben ا‎ Dem 16 
gäbe wie früher! — 

Hih سے‎ — — brr!! سب‎ 

Gottlieb und der Kuticher fchrafen a tempo aus ihren 
ichweren Träumen auf, denn die beiden alten Braunen 
welche den Weg vom Bahnhof bis zum „Hotel“ ſchon 
im Traume machten, ftanden jelbjtverftändlich vor der 
Steintreppe der „Stadt Hamburg” ftill, ohne erjt einen 
diesbezüglichen Befehl abzuwarten. 

as 0011 — ہے‎ 

In feiner Herzensangit fabte Der Schröder die Peitſche 
und {nallte wie beſeſſen Darauf los. Erjchredt fuhren die 


Köpfe der unvermählten Herren, welche bei Frau a e 


ihren Mittagstiich erhielten, an die Fenſter. 
Säfte! Eine Dame und ein Herr!! 


Der Apotheker und Steuerrevijor ſaßen wie verſteinet 


vor Überrajchung, und der Herr Auditeur ließ vor Staunen 
fogar die Cigarre aus dem Munde fallen, nur der Ge- 
richtZafjeffor zeigte fich als Mann von Welt, welcher Die 
Contenance nicht fo leicht verlor. : 


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r fdnellte in die Höhe und erreichte mit zwei 

Sätzen die ۰ 

Fraulein Klärchen, rufen Cie Vater und Mutter, ق‎ 
fommen Fremde! — — Weiße Schürze ۱۱ھ وو‎ — frie - 
er voll Feuereifer der Tochter des Haujes, 70٤ gerade 
die Kartoffeln abgoß, zu. ۱ 

Fremde?“ ftotterte Rlarden mit weit aufgerijfenen 
Augen. „Ss, Herr Wifelfor ... das fann ja gar nicht 
möglich fein!” — ۱ . 

„Schnell doch, zum Kuckuck! Eine fehr elegante Dame!” 
tobte der Affeffor, und dann, als er den fchlurrenden Schritt 
des Wirtes bereits auf dem Flur hörte, ſchnellte er zurüd 
und haltete abermal3 nach dem Fenſter Aber er empfand 
plößlich etwas wie einen feinen Stich im Herzen. Er 
ſchämte fi. — Alfo jo weit war e8 feit den vier Jahren 
jeiner Angerwiejer Crijteng jchon mit ihm gefommen, Da 
ein paar anftandig gelleidete Neijende thn wie ein unge- 
heuerliches Evenement erregten! — 

Schreeflih, — er ift bereits völlig a er, 
der flottefte aller Studenten, Der feſcheſte aller Groß— 
jtadtreferendare!! — tempi passati! Sebt preBt er Die 
Rafe an der Fenſterſcheibe platt, um mit jchmerzlich 
füßem Grauen einmal wieder eine feine Dame angu- 
ftarren! 

Sie telat foeben aus, — bon ihrem Begleiter gejtüßt, 
denn Vater Simmel, der Herr Wirt, fteht m faffungs- 
(oler Berlegenheit und reibt fic) die Hände. 
Wile Wetter, dieſes Füßchen, — etn weichlederner 


— 


hoher Knopfſtiefel umſchließt es in tadelloſer Form, ſeidene, 
ſpißenbeſehte Pliſſees bauſchen unter dem langen Pelz— 
mantel auf, deſſen mächtiger Kragen das Köpfchen wie 
eine — umwallt. Sebt ſieht er Das Gelicht. — 

Fein, — etwas bleich, mit einem Zug undefinierbarer 
Bornehmbeit, Kühl — gleihgültig — gelangweilt — 
ſehr hochmütig. Über afchblondes Haar fallen die Golds 
ſpihen eines Kleinen, dunfelfamtnen Capothütchens neuefter 


Mode, ‚der großgetupjte Schleier fpannt fd) über das 


Zartfarbene Antlitz, deſſen hHalbgeöffnete Augen mit müdem 


Bie umber blicen, — auf die Regenlachen rechts und 


links der Treppe, auf die ſpieß bürgerlich gefleideten Weiber 
und Kinder, welche aus den umliegenden Hausthüren 
treten und gaffend näher drängen — auf die graugetünchte 
Front des alten Fachwerkhaufes, über deſſen nieberer 
Thür das blaue Schild mit den verblaßten 81 
der „Stadt Hamburg” hängt, und fchließlich auf den عق‎ 
haber ۵۱0۱8 Brachthotels, welcher in feiner grauen Woll- 
Jade und der blauen Dienerfchürze feinen eigenen Haus: 
knecht zu repräfentieren ſcheint. Herr Simmel empfindet 
auch das Ungehörige feiner Erjeheinung ſolchen Gäften 
gegenüber, und das lähmt 2ھ‎ die Sinne dieſes fchon 
nicht fehr weltgewandten Wirtes. x 

Er fteht, dreht fein Käppchen 01 den Händen 
und macht einen tiefen Biidling um den anderen, dieweil 
jih fein rundes, gutmiitiges Geficht fdjier blaurot vor 
Berlegenheit färbt. Der fremde Herr, nicht minder elc- 
gant und vornehm wie feine Gattin ausfehend, wendet 


— 1 — 


ihm das jcharfgejchnittene, 03ء‎ — Geſicht mit huld⸗ 
vollem Augenzwinkern zu. 

„Haben Sie Zimmer bereit, Verehrteſter? Wir ge— 
denken etliche Tage hier au 0101 Sch hätte uns 
telegraph angemeldet, wenn unfere Abreife ficher zu 
beitimmen gewejen wäre. — Wollen Sie uns zwei Stuben 
— Salon und Schlafzimmer — 7ء‎ 

Herm Simmel ‚blieb die Antwort vor آ22‎ im 
Halje ۰ — ۱ 

Ew Gnaden . .“ ftotterte er und Dann collie — 
waſſerblauen Auglein hilſeſuchend umber, bis fie voll 
ſeligen Aufleuchtens an der Geftalt ſeiner Gattin haften 
blieben. Er ſtürzte der Nahenden atemlos entgegen; 
„Marthe — fieh du mal zu —!” und damit verfchwand 
feine forpulente Gejtalt in rettender Flucht Dinter der 
Thür, durch welche die Frau Wirtin ruhig und felbft- 
bewußt foeben heraus trat. 

Eine weiße Haube auf dem Kopf, eine fchneemweiße 
Schürze über dem grauen Reid, knixte Frau Simmel jo 
feierlich, daß ihre hohe, grobfnochige Geftalt ferzengrad 
hinabtauchte, wie Frau Erda, wenn fie Hd, von Wodan 
für Die Unterwelt verabfchiedet. ۱ 

„Willkommen die gnädige Herrichaft!” fagte fie 
witrdevoll, und der Kutſcher Echröder jtarrte fie an wie 
eine Viſion, — hatte bie Frau denn vollkommen ihre 
Wäſche, Würſte, Schinken und Apfel in ber ۵ 
vergejien? — 

Der fremde Herr richtet jeine rage mit berbirî: 


سد 18 — 


lichftem Lächeln noch einmal an die beffere Hälfte 8 
verfchwundenen Wirtes, und während Schröder und Gott- 
lieb mit ftocendem Herzichlag atemlos ihrer Antwort 
harrten, fnirte Frau Simmel abermald, ohne aud) nur 
mit einer Wimper zu zuden und fprad): 

„Dir find auf jo hohen Bejuch nicht ganz vorbereitet, 
da etliche Zimmer nen tapeziert werden und bie anderen 
heute morgen erjt von SHerrichaften verlaffen wurden. 
Darf ich darım bitten, bab Cw. Gnaden für kurze Beit 
mit einem einfachen, Heimen Zimmerchen fürlieb nehmen, 
— in zwei Stunden eben Salon und Sula 7 zur 
Verfügung.” 

„Ausgezeichnet, nidte der Herr. „Es ai bir dod) 
ebenfalls recht, ٤ Melanie?” — 

Seine Begleiterin rif ben Blid von dem Stordinelt 
anf dem Nachbarhaufe los: „Es it mir alles gleich- 
gültig, ich finde mich darein, mon ami!’ — 6 
fie mit einer Stimme, welche wie ein halber Seufzer Elang, 
dann legte fie die elegant behandichuhte Nechte auf den 
Arm des Gatten und ftieg langſam, voll laffiger Grazie 
die fteinernen Stufen empor. Boll andächtiger Scheu folg- 
ten ihr alle Blide. Frau Simmel aber ſchwenkte ftolz links— 
um und folgte triumphierend ihren Gaften erfter Klaſſe 

„Hüh”, atmete Schröder tief auf, und der Omnibus 
ratterte in den Hof; Gottlieb aber folgte dem Wink 
feiner Gebieterin und jab voll Überrafchung, daß der 
Mensch nie auslernen kann und Geiftesgegenwart ein 
ſchönes Ding ijt. 





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Er glaubte, nun werde eine wilde Jagd anheben, 
Die Wäſche⸗ und Würſteſtube ſchleunigſt zu räumen, — 
aber nein, Frau Simmel nahm gelaſſen den Schlüſſel 
pom ie Ring und fchloß rechter Hand vom 2 
[ur das Heiligtum ihres Haufes, die Bub: und. runt 
jtube Der Familie auf. ت.‎ 

Hier, wo ſonſt nur die Samitienfefte اس‎ 11110 210012 
mal im Jahre ein Honoratiorenfaffee gegeben ward, wo 
alle fteifbeinigen Bolftermöbel in geblümten 7 
ftediten und die Luft geheimnisvoll nad) Kampfer und 
Naphtalin rod) — hier rif die Wirtin zur „Stadt San 
burg” Kurz entichloffen die Fenfter auf, fommandierte 
Ausfegen — Feuer machen — Möbel bürften!” und 
ichritt gelafjen in das Nebenzimmer, einer großen, zwei: 
fenjirigen Eckſtube, in deſſen Mitte ein Billard ftand und 
an Ddeffen Wänden die Rupferftidje längft verewigter 
Landesväter und -Mütter hingen, zwifchendurch Die 
Glaskäſten voll bunter Schmetterlinge, welche ber ver- 


ſtorbene Onkel Schullehrer gejammelt, und eine Land- 


{daft aus Kork gejchnigt, hinter Glas und — 
nem Rahmen, eine Kunſtleiſtung des 000 welcher 
Buchbinder gelernt hatte 

Dieſe Stube ward nur im Winter geöffnet, wenn ber 
Kriegerverein und die Vürgerreffource ihre Bälle in der 
„Stadt Hamburg” abhielten und das würdige Alter fich 
aus dem Gaal zurüdziehen wollte, welcher fich ala Seiten- 
flügel befagtem Billardzimmer anjchloß. — 
Emfige Hände verwandelten e3 bligjchnell in eine recht 


- í oo 


behagliche, wenn auch etwas altfränfifche Schlafftube, und ° 
Frau Simmel nidte ſchmunzelnd vor 0 hin, ala ihr 
Gatte fie in wahrem Wonneraufch umarmte und beinahe 
jchluchzend vor Nührung hervorſtieß: 

psd, Alte, wenn du nicht warft! — - Sung Bieh Dar 
junge Kraft — aber die alten Stlepper ziehen die Karre 
aus dem red —! Wenn das unjer Marden hätte aus- 
richten follen — du lieber Gott!” — Frau Marthe driictte 
das Kinn fteif an und jog die Schultern pod. „Schuid- 
ihnad — dag Mädel braucht’s nicht; die fol höher 
hinaus. Iſt nicht zur Wirtin geboren. — Und mun marjeh 
dich, Vater, und frag droben an, was die von 
Ipeijen wollen.” — | 


* 


An der Thür der blauen Eckſtube flopfte e3. Die 


Stimme des fremden Herrm rief ein furges „Herein!’ — 
und nach zögerndem Dru auf die Klinfe erjdjien der 


Gaftwirt der „Stadt Hamburg” auf der Schwelle. 

Die Wolljade und Schürze waren gefallen, — ein 
feierlidjer jchwarzer Gevatterrod, ein weißer Fragen und 
blau getupfte Strawatte zeigten an, daß Vater Simmel ` 
wußte, was man Bafjagieren erjter Klaffe an Reſpekt 
jchuldet. Er ۵ einen Devoten Kratzfuß und räu⸗ 
ſperte ſich : 

Der vornehme Beilchendutt, welcher dem geöffneten 
Handkoffer entjtrömte, und welchen die Dame mittels 
eines fein gejchliffenen Flacons juft in alle Eden fprühte, — 

| | ۱ es x 


— ات 


benahm ihm den Atem, er wagte faum zu exiftieren in 
dem feines Nichts 0 hobtenbeni Gefühl! 

Der Herr ſtand am Fenjter, — er wandte den Kopf 
und blicte den Wirt fragend an, — und die Dare febte 
bas Parfümglas nieder auf den Tijd) und {arf feide- 
raufchend in die Ede des alterſchwachen Kattunſofas — 
Auch ſie richtete die müden Augen in ſtummer Frage 
auf den armen Simmel, der gar nicht begriff, daß das 
Sofa aus Schreck über die Ehre, welche ihm angethan 
ward, nicht zuſammenkrachte. Er ſprach noch immer ×× nicht 

Da erbarmte ſich der fremde Herr. 

Wünſchen Sie etwas, Herr Wirt?” fragte er jo über- 
aus freundlich, daß dem Beſitzer der „Stadt Hamburg‘ 
das Blut in die Wangen ۱908. ۰. 


woe)... ich wollte mir alferınterthänigft Die tage 
geitatten . . . Em. Gnaden . . . wann die allergnädigfte 
Herrichaft zu jpeilen . . . und vielleicht was es 
foll . . meint meine rau. . .” 


„2 richtig — هم‎ dürfte Beit zum کت‎ 
fein!” nickte die Dame mit leichtem Super 

„Frühſtück? . . es it ein Uhr mittags —- — 
Stau!” ſtotterte — entſetzt 

Der Herr lachte leiſe auf. „Ganz recht, und dag 
ijf im Angerwies die Tifdhftunde. Liebe Melanie, wir 
werden uns den Sitten des Landes fitgen, denn es ift 
das einzig Wahre und Bernünftige, wen die Menfchen um 
ein Uhr zu Mittag efjen, nicht wahr, mein fehr verehrter 
Herr Wirt? Ich gebe Ihnen vollfommen recht darin.“ 


ot — 


Herr Simmel erglühte vor Entzüden, denn Der ء۶٤‎ 
ſprach voll gemwinnendfter Liebenswürdigfeit und fuhr 
näher tretend fort: „Nun dann jagen Cie uns einmal, 
was Ihre Frau für den Mittagstiich gekocht hat? Ich 
jah, daß ein paar Herren drunten im Speiſezimmer ant 
gebedten Tiſche ſaßen, es gibt alfo doch table d’höte 
bei Ihnen, wie dies in Ihrem vorzüglich renommierten 


Hotel zu erwarten ware’ Der Herr Wirt jchnappte vor ` 


Entzüden nad) aa r biel ٤+ — Her . 
ery . 

„Herr Oral” — fiel ber Fremde mit tgnibigem Ropf- 
111861 ۰ 

Simmel jant beinahe in die frie .. . „Herr Graf! 
— Aber unfere table d’höte dürfte den سو‎ Herrichaften 
doch wohl viel zu einfach fein — — ۱ 

‚ta fommt darauf an. Alſo was sib es?“ — 

„Haferfuppe mit Badpflaumen . . .“ 

Gin leifer Laut von dem Sofa herüber, — der 
Graf aber wandte mit jchnellem Blick den Kopf und 
die Gräfin Huftete ſchwach und leidend in ihr Tajchentuch. 

Vorzüglich, ich ſchätze diefe Euppe jehr!” fuhr der 
Graf verbindlichit fort, — „was weiter? —“ 

,oammeltoteletts mit Schnittbohnen!“ — == 

„Suche Bohnen bereits?” — richtete Hd) die Gräfin 
interejjiert auf. — 

Herr Simmel erbleidjte vor Schred: ‚Al bie] e Belt 

— im März? 2” ftieß er hervor. 

Abermals lachte der Graf leiſe auf. „Aber — 


بت 992 ہے 


Melanie, — du haft nie eine Bohne wachjen gejehen, 
darum muß der Herr Wirt deine Frage verzeihen! Es 
find felbitverftändlich Büchfenbohnen!” Faßbohnen, Herr 
Graf!” verbefferte Simmel demütig, „aber weich wie 
Butter! Meine Alte hat fie felber eingelegt und verſteht 
jd) darauf!“ Die Gräfin ſank wie vernichtet m die 
Sofaede zurüd, aber ihr Gemahl lächelte fehr jovial: 
„Davon bin ich überzeugt, — Ihre Frau fol ja eine 
Meiiterin der Kochkunſt وا‎ - — Hno damit um wir 
am ) 2“ 

Nun mud der —— wieder felbftbewut em: 
yor. „Noch Hühnerbraten mit Kartoffelfalat!” ſetzte er 
Hola hinzu: „Der Herr Affeffor hat ق‎ fo eingeführt, daß 
‘wit Drei Gänge N a Sonntags fogar neg eine 
ſüße Speife.” 

„Ei, das ijt ja fabelhaft! Nun, Sie haben mir e 
reitS den Mund wäſſerig gemacht, beiter Herr, und bitte 
ich, jogleich für unë fervieren šu laffert.“ 

„Die Herrjchaften wünschen hier oben zu ſpeiſen 2 
Die Gräfin wollte lebhaft zujtunmen, — aber wieder 
traf fie der feltjame Blid des Grafen. 

„O nein, Warum das? Wir lieben die Gejellichait”, 
lächelte er abermals jehr Huldvoll, „und werden an der 
table d’höte fpeifen.” — „Herr Graf!!” wie ein Schrei 
des Entzückens fang es. | 

er find die Herren, Die das Mahl mit uns teilen 
werden 2” — 
هر‎ gmäbigfte Grafin — ſeht feine, fehe anftändige 


تے 955 نے 


Herren, mur Honoratioren der Stadt —! Da it der 
Herr Aſſeſſor Barning — früher in den ٢ Städten 
gewejen, der Vater fogar Geheimrat — dann der Herr 
Apothefer — ein jehr vermöglicher Herr, Dem das ٤ 
Eckhaus drüben am Markt gehört — dann der Herr 
Kreisſyndikus, deſſen Mutter jogar vom Abel geweſen, 
— der Auditeur . . .” 

„Schon gut! {don qut! Das Find ja höchſt rejpef- 
table, ehrenwerte Herren, mit Denen zu fpeifen ein Bers 
gnügen und ein Vorzug if; — wollen Sie das den 
Herren bitte jagen und uns an ihren Tiſch placieren, اب‎ 
wir fommen jojort.“ — 

Herr Simmel jtolperte üder die Schwelle zurüd, wie 
betrunfen vor Entzüden. Wtemlos fam er in die ۰ 
{tube und richtete jeinen Auftrag aus: „Der Herr Graf und 
bie Frau Gräfin werden hier unten bei Ihnen jpeijen!” — 

Wie eine Bombe wirkten dieſe Worte. Der 7٣ 
befam zwei rote Flecken auf den Wangen, und fprang 
empor. „Noch zehn Minuten warten! Sd) muß Toilette 
machen, wenn wir Damenbefuch erhalten —“ jehrie er 
und ftürzte wie ein Blutvergießer aus dem Zimmer. 0 
nach it wilder Eile die anderen Herren, welche nicht 
hinter dem tonangebenden Genoſſen zurüchtehen wollten. 

Fraulein Klärchen bedte wmahrenddefjen den Tiſch neu 
um, — lauter friſche Wäjche, obwohl es unter Frau 
Marthes Szepter überall fanber ausjah. — Sogar ein 
Strauß von frischem Tannengrün und Epheu 44 
Die Tafel. ES 


سا 81 تے 


Endlich erfchienen die Herren wieder auf der ۰ 
fläche, pomadijtert, rafiert und fonntaglich gekleidet. Der 
Affeffor trug die goldene Uhrkette mit den vielen Ber: 
loques und den Diamantring am Heinen Finger, — der 
Apothefer hatte über die linfe Hand einen Handſchuh 
gezogen, weil er einen 77 ginger Batte und dev 
Lappen darum ihm nicht fein genug deuchte. Man ſtand 
voll feierlicher Spannung und erwartete die hohen Säfte, 
Endlich raufchten die jeidenen Röcke auf der steilen Holz⸗ 
treppe. Am Arın ihres Gatten betrat die Gräfin das 
Speifezimmer. Ohne Pelz und Hut jah fie noch {hiner 
aus und dem Affefjor wallte das Blut zum Herzen, wie 
von füßer Erinnerung an bejjere Zeiten — an eleftrifches 
Licht, — Profefjorenbille und den ganzen Zauber des 
großftädtiichen high life! — 

Die ftahlblaue, ſchwere Seide umfpannte tadellos 
die jchlanfe und dod) üppige Figur, die blonden Haare 
ichimmerten matt über der weißen Stirn, und wenn aud 
das. Gelicht bei näherer Betrachtung nicht jehr ۵ 
ns nicht regelmäßig oder anziehend in ſeinem Ausdrud 

‚ fo wirkte e3 doch geradezu verblüffend vornehin. 

"Dick letzte Art war auch dem Grafen in hohem 
Maße eigen. Er jal aus wie ein Diplomat. Im Grunde 
genommen fchienen jeine Züge und Augen kalt, berechnend, 
— jeelenlos wie ein Stein, — aber wenn er mit feiner 
leijen, einſchmeichelnden Stimme ſprach, legte ſich das 
farbloſe Geſicht in die liebenswürdigſten Falten, und es 
hatte geradezu etwas Beraufchendes, wenn dieſer ſichtlich 


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ſehr permöhnte, ےو‎ Mann voll gewinnenditer Höflich- 
feit bie Meinungen feiner Tijchgenofjen anerfannte und 
jedem der Herren etwas Angenehmes zu fagen wußte. 
Sein Haar war leicht ergraut und jchon etwas gelichtet, 
aber der Schnurrbart noch tiefſchwarz und auf dad eles 
gantefte gefräufelt, da3 machte ihn intereffant. — Schmale, 
bleiche Hände mit langgebogenen Nägeln verrieten den 
Ariftofraten. Die Gräfin war fteifer und einfilbiger ۶ 
ifr Mann, aber fie ward lebhafter, als ihr Nachbar, 
der Aſſeſſor alle alten Künste des Courmachens ۶ 
beſchwor und die fote Frau in allen Tonarten an, 
jchmachtete. 

Ein paarmal ftand ihm ſchier das Herz Ri, 
jüger Wonne, als Frau Melanie in ihrer ساس‎ 
Weife ein ganz flein wenig mit ihm fofettierte und als 
fie jchlieglich einen Apfel jchälte, ihn mit den diamant: 
gligernden Händchen grazibs zerteilte und den Zeller bei 
den Herren in die Runde ſchickte, wäre wohl ein jeder 
۳ fie durch Das Feuer gegangen. 

Namen und Wohnort hatte man noch nicht erfahren 
und wagte auch jelbjtveritändlich nicht, Dies zu erforfchen. 
Man erfuhr nur, daß der Graf nad) einer Frijenfe für 
di Gattin und einem Rammerjungjerdienfte leitenden 
‚Stubenmädchen' gefragt hatte. — Umitände halber war 
e3 nicht möglich geweſen, die eigene 20000 mitzus 
nehmen. 

Dap die 80 in ber Wether lebten und 
intim bet Hofe verkehrten, ging aus jedem Wort hervor. 


— 5 


Auch große Reifen im In⸗ und Wuslande hatten fie 


gemacht, — und tro all diefer gewiß namenlojen Berz 


wohnung waren fie die gewinnendſte Güte und Nachficht! 

Der Graf richtete die Hhuldvollften Worte an Frau 
Marthe und Lobte ihr Efjen ganz außerordentlich, „es 
fei ein Genuß, folch meifterlich bereitete Speijen zu 
6۱0.۳ — 

Da hatte er die Stelle getroffen, wo bie biedere 
Wirtin fterblid) war. — Ganz gejchwollen vor Stolz 
und Glück jchritt fie einher, und all die Bafen und 
Gevatterinnen. welche bie Neugierde zu ihr in die Küche © 
trieb, hörten eitel Begeijterung über die feinsten aller ۰ 

M12 fic) die Tafel bereits ihrem Ende näherte, jab 
die Gräfin plößlich angeftrengt aus dem Feujter, vor 
welchem fich, bequem zu überjehen, der holprige, ziemlich 
große Marktplab mit dem überdachten Brunnen in der 
Mitte, ausdehnte. 

Shr Blick Schärfte fich, — unbemerkt ſtieß fie ihren 
Gatten mit dem Fuße an und dieſer folgte der Nichtung 
ihres ۰ 0 

Da fab er etwas Überrafchendes! 

Quer über bas Brlajter ftolperte eine ganz ٣ 
angfehende Männergeftalt. 

Cine fleine gedrungene Figur jtaf in einem 6 
pelg — Die Haare nad) innen — welder den Cindrud 
eines Sades machte und um die Taille nur einen ſcharfen 
۶720 aufwies, welchen ein — 8 Gürtel benußter 

© rick gezogen. 


obige hohe Stiefel von Rindateder machten Die 
Füße zu wahren Monjtruns und der fer bide Kopf 
mit breitem, bartlojem, ftarfgerdtetem Geficht trug eine 
Pelzmüte, wie He in der Kinderftube der Knecht Ruprecht 
bor ٹا‎ tett als ſhretkenerregendes Requiſit zur 
Schau trägt. . 

Der feltfaine Mann rannte mit vorgeſtrecktem Halſe 
in ſtierem Eifer daher, — fuchtelte mit den Händen in 
die Luft und ſchien laute Selbſtgeſpräche zu halten. 

Seltſamerweiſe ſahen ihm ein paar 70 
nur grinfend nach, ohne johlend neben der 1ء‎ 
Erſcheinung Hergutraben. Diejelbe mute aljo wohl in 
Angerwies fchon befannt fein. — Graf und Gräfin 
wechfelten blißichnell einen Blick des Einverjtändnifjes, ja 
der Gatte machte eine jählings zuitimmende Kopfbe- 
wegung. Da uahm Frau Melanie ganz wie von unge- 
۲۵9۲ ihre langjtielige Lorgnette von cijeltertem Gold zur 
Hand und blictte noch einmal hinaus, diesmal offiziell. 
Und damı ities fie einen leiſen, enifesten Laut der 
۱ ‘TWeerrafehung aus, welcher jedes Geſpräch verftummen 
niachte, wies nach der jeltjanen Geftalt auf dem Markt— 
pla und vief mit | jehr Harter, lauter Stimme und ganz 
bejonderem Ausdruf: „Mon Dieu, wie au td), da 
läuft ja ein Berrücter!!” — 












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SUN) 





11 


Hama, behende vom Echwung, wie fonft fein anderes Scheujal, 
Hübrigkeit mehrt ihr Gedeihn, und friltiger wird fie im Yortgeben; 
Anfangs Hein und verzagt; bald bod in die Lüfte Rd hebend 
Tritt fie einher auf den Boden und birgt in den Wolfen bie 71 

Birgit 


W ine verlegene Stille ۰ 
y Der Aſſeſſor räufperte fich mit vielfagendem 
Blick ringsum, der Apotheker neigt fein fpibes 
inn auf den Teller und ficherte leiſe auf, und als der 
Wuditenr fogar laut in jeine Serviette pruftete, und der 
bedienende Simmel die breite, rote Hand mit geipreizten 
Fingern vor das Geficht preßte, wie einer, der halb cts 
ſchrocken, halb beluftiqt feine Gefühle verbergen will, — 
da gab es fein Halten mehr, ein lautes, wohlthuendes 
Gelächter ericholl. 
`. Die 7 nie ein jehr reizend 5 Geſicht 
und wandte fich zutraulich gu ihrem entzückten Nachbar: 
„Stimmt e3 wirklich, Herr Wifeffor? Habe 35 Das Rechte 
en 2۲ — 





کے NF‏ جو 


Der Gefragte verneigte fich: Gnädigſte Frau — 
haben wenigitens die Anficht von Angerwies und Um— 
gegend ausgefprochen!” — lachte er noch immer. „Man 
fam ja manches denten, was man aus o I in 
Worte kleiden darf. a 

„AUS Refpeft 2” — Der Graf salt mod — die 
Weinfarte zur Hand und winfte dem Wirt: — Ich bitte 
Sie um alles, befter Herr Aſſeſſor, wer ijt jenes Mon: 
ftrum im Schafpel;, daß es Nefpeft von Menſchen ver: 
langen fann, in deren Augen e3 {ih felber fo lächerlich 
herabjeßt 2” 

Abermals jubelndes Gelächter, dann ficherte der pos 
thefer: „Bor dem Schafpelz hat man allerdings feine 
Devotion — wohl aber vor dem Namen, welchen er um: 

hullt! Der feltjame Herr da draußen war der Reichsgraf 


Ç Willibald pon Nieded, der Befiger eines der reichiten und 


herrlichiten Wiajorate, weldje das Deutjche Vaterland 77 

Ein leifer Aufjchrei der Überraichung tönte von den 
Lippen der fremden Gräfin, fie preßte das jpigenbejebte, 
duftende, weißleidene Tajchentuch gegen die Lippen, als 
fürchte fie eine Ohnmacht. „Schauderhaft! shoking!!“ 
jtöhnte fie auf. „Sie jcherzen, lieber Afjeffor! — Wenn 
diefer Menfch der reichfte, vornehmite Majoratsherr ift 
— dann gehört er entiweder in jeine eigene Rumpelkammer 
oder — in das Srrenhaus!!” — 

Der Wffeffor zuckte mit vieljagendem Blick die Achjeln, 
der Graf aber jchien gang in die Weinfarte verjunfen. 
Mit geminnendftem Lächeln fal er jest auf. 


م۹ سن 


Ich finde, metite fehr verehrten Herrichaften, daß wir 
hier aͤußerſt gemütlich zufammen fiben und gar nichts 
befferes thun können, als dieſe charmante Tiſchſtunde 
noch ein wenig auszudehnen! Das Regenwetter feſſelt 
uns heute jo wie jo an das Zimmer, darum bitte ich die 
Herren, mir al liebe Gajte noch ein Weilchen Gejellichaft 
zu leiften. Mein befter Meijter Simmel, ich [eje daß Sie — 
auch Sekt in dem Keller haben! Laſſen Sie, bitte, eine 
Flaſche jogleich herauf bringen, und vier andere auf Eis ` 
legen, — ich freue mich, die Nepräfentanten der Anger- 
wiefer eriten Gejellichaft dazu einzuladen!” — 

Welch eine Wirkung hatten diefe Worte! Vater Sim: 
mel Stand einen Augenblid, alg traue er feinen Ohren 
nicht, — dann verflärte ein geradezu traumhaftes Lächeln 
fein Untlig, und beide Hände ineinander fchlagend wie 
einer, welcher fein Glück nicht faffen fann, wankte er zur 


Thür. Die zwölf Flaſchen echt franzöſiſchen Seftes, welche — — 
im eller lagerten, deuchten ihm längft die Nägel zu 


feinem Sarge. Er hatte fie anläßlich der Hochzeit des 
reichen Brenncreibelibers fommen laffen, aber vierzehn 
Tage vor der Hochzeit ftarb der Bräutigam, und nun 
gab e3 in Angerwies feine Gelegenheit für franzöfijchen 
Champagner, der deutjche billige Schaummein war fein — 
Todesurteil. In feiner Verzweiflung hatte Simmel dem 
Grafen Willibald Nieded den kleinen Poſten angeboten, 
war aber zu feinen tiefen Grol abjchlägig befchieden 
worden! Und nun, als er das teuere Schmerzensfind 
Stiquot fort langjt zu Grabe gelegt hatte im Seller, 


— مت 


fam dieſer herrliche, unvergleichliche, fremde Märchengraf 
und [pra fein Zauberwort, welches den Sejam öffnete! 
— Das war eine That, welche ihn ewig zu des ٤ 
Schuldner machte! 
Und nun gar die Gefichter der umfigenden Herren, 
welche heute, am fimplen, werktägigen Mittwoch für ganz 
۱۱۱۱۱۵۱۱۱۲ echt franzbſiſchen Champagner trinfen jollten. 
Hohe Shut ftieg in aller Wangen, — linfifche Ver: 


-  Beugungen, unverftändlich gemurmelte Worte bes 5 


antworteten auf die entzückende Einladung. 
Der Upotheler trat in jeiner 6٤ jeinent 
-- Nachbar beinahe die Zehen unter dem Tiſche ab, und 
der Auditenr kniff und ſchuppte 8 snibentertt; aber 
energifch den Poftaffijtenten, daß diefem fiedeheiß ward. 
Rach der erften beglückt verlegenen Stille ergriff Die 
unbändig gejchmeichelten Herren eine wahre Quartaner- 
tröhlichfeit; der Graf ließ zu allem Überfluß noch fein 
Gigarrenetui bie Nunde machen, aus welchem die echten 
Havannas einen Duft ausftrömten, daß der 74+۲ 
mit feucht verſchwimmenden Augen flüfterte: ,,Rinder, dag 
find folche ‚geftrüben‘, von denen damals pipe — 
. gum Fürſten erzählte!” 
` Der Graf mandte fich an feine Gemahlin: en es 
| sie unangenehm, rein wir rauchen, liebe Melanie? Be: 
fiehltft du, Daf ich Dich in dein Bimmer zurüd führe?” سے‎ 
Der Aſſeſſor fuhr erſchreckt zufammen, fein Blick traf 
wie erfterbend in Schmerz die ſchöne Nachbarin, und die 
Gräfin war feine Turandot. Mit reizender, 07 





99 616۲۲۵۱5, SU. Nom. u. Nov., Der Maioratsberr I 8 


و ی 


9] lächelte ie ihm au und jchüttelte dann den Kopf: 
„Nein, Rüdiger, wenn es nicht geniert, möchte ih euch 
Geſellſchaft ۷ Drüben langweile id mid) allein, 
während Hier in. icharmanter Weije für meine Unter: 


haltung gejorgt wird!” “Sabe 6 wieder ein ۴ ~ s | 
wie ein ۲ Funken zu dem Aſſeſſor hinüber, wel حم‎ — 


‚chem bet jo viel Huld ganz fchwindelig ward. 

‘Und dann fam ber Seft und perlte in den Olajern, 
und der Graf febte aller Leutſeligkeit Die Krone auf und 
ließ noch ein Glas bringen, um ق‎ für den. „waderen 
877" füllen zu lafjen! Das war zu viel für Vater 
Simmel! Helle Thränen traten ihm in die Augen. 

Der Graf aber nahm den abgeriffenen es der 
Unterhaltung wieder auf. 

Wenn id) vorhin recht verftand, meine — war 
der verrücte Menſch in der Bärenmütze der Graf Willi- 
bald Niedek! Es interejfiert mid) aufs lebhaftefte, von’ 
dieſem narriſchen Kauz das Nähere zu hören! In der 
Reſidenz erzählt man fic) ja ſchier unglauhliche Dinge 
von ihm, aber es ſcheint doch manches unwahr und über- 
trieben zu fein, denn man erzählte zum Beijpiel nod) jüngft 
bei Hofe, der Graf habe die Weltordnung auf den Kopf 
geitellt, er fdjlafe am Tage und made in der Nacht. Nun 
jehen wir ihn aber doch foeben in Heller Mittagsftunde 
spazieren geben?’ — Der Apotheker hielt jein Spitzglas 

mit der unbehandichuhten Rechten krampfhaft uniklamniert. 
Der Wein 0 ihm nod) in der Mafe. 

„8a, ja — der Herr Graf haben aber irohdem recht”, 


کے — 


rief er erregt, „nur mit dem Bemerten, daß der 81 
feine Baffionen wie die Hemden wechjelt! Noch vor vier 
Wochen lebte er ausichlieglich in der Nacht. Um 8خ‎ 
Uhr wurde ihm das Diner ferviert, dann ging oder rannte 
er vielmehr wie cin Bürftenbinder guerfeldein durch Delt 
Barf. Als er bei einer folchen Promenade aber in Der 
Daunkelhen ftürzte und {ih den Fuß verſtauchte, at er 

das Nachtleben wieder aufgegeben!” — 
û „Änerhört, er mu in ein mel ۶ا"‎ ſich 
vie Gräfin. 

„Mund nun fulbiat ¢ er wieder anderen 07“ 
۲۵۲۱۵۵1۵ ihr Gemahl fopfichüttelnd. 
s wird alle Tage Schlimmer mit ihm!” nice Der 
Poſtaſſiſtent mic fehdeluftigem Blick. Ich fuhr jüngft 
einmal nad Niedeck hinaus, um ein größeres Kapital 
ficher Hinzubringen, aber ich gejtehe ehrlich ein, daß ich 
jo viel Blödfinn nicht erwartet 0501 = 

Anſinn — er ijt überhaupt gar fein richtiger Braj! 
er Beift man bloß 10۲۶ — grollte Vater Sinunel ber: 
ächtlic) dazwiſchen. ۱ 

7 XG, intereffiert mich lebhaft! Was jahen Sie zum 

Beiipiel, mein verehrier junger Freund?“ Der Graf 
fächelte ifm zu und der Affiftent ergfühte vor Stolz. 

„eut, hochverehrter Herr —“ antwortete er hibiq und ~ 
fichtlich froh, zu Worte zu kommen und die feinen Herr- 
ichaften intereffant unterhalten zu fónnen, „wie ich zum 
Beifpiel anfam, nahm id) an, daß man mid) in das 
wundervolle Schloß zum Grafen führen würde, Sch ſah 

3+ 


alle Fenjter erleuchtet und war überzeugt, eine größere Sefell- 
ſchaft zu treffen, obwohl ja die Dienerjchaft erzählt, daß der 
jteinreihe Mann niemal3 eine 6+ zu 2 eins 


| lade - — ےتور‎ 


yoo, er fault ja nicht für fünf Prenmige i in An gerwies“,‏ کر 
brummte Simmel abermals dazwijchen; ja, zu Lebzeiten dex‏ 
alten Hertſchaften, da ſoll ein echt gräfliches Leben auf Nieded‏ 
Zeweſen fein; da wurden alle Gefchäfte in der Stadt reich, —‏ 

. aber bei soe jebigen da werden Mir allejamt bantrott !“ — 

„Das ijt ja findhaft! Der Mann hat dod) Bers 
pflichtungen gegen Die Staufleute!” — ereiferte ſich Die 
Gräfin, der Aſſiſtent aber fuhr nach neuem 2 fort: 
Ich ſuche aljo den Herrn Grafen in Gedanken ur — 
schönen Schloß, und 100 anne ich ibn: 22% — 

U ٦ 
U Der Kutſcherwohnung des Beiehäubest” 

„Andenkbar!!” 

„ber wahr, Da Graf! Seht weiß es ia ae ne 
Die ganze Stadt! Ja, da hat der Niecdecker die unglaub- 
lhe Hirnverbranntheit, ſich in dem niedrigiten, ärmlichiten 
fleinen Loche einzuquartieven, wo er doch den ſchönſten 
Prachtbau des ganzen Landes fein eigen nemit! Der 
Stutjcher mit jeiner Familie wohnt nun in den jchönen 
Barterrefälen, und der Herr Graf hauft in zwei winzig 


— kleinen Käfigen in Dem Hofgebäude! Jeden Abend muß 


das ganze Schloß von oben bis unten glänzend erleuchtet 


a werden, aber die Zimmer ftehen öde und leer, der "2 
Here felber febt feinen 6 hinein.“ 


„Rum —, hat er deun einen verniinjtigen, 1. A ۵ 


dafür?”‏ وھ 

as man nicht 74 

Der Graf jchüttelte den Kopf. „Er iff geftestranf, 
10 beträgt. ſich fein vernünftiger Menſch!“ 

aman ۱۵۱6 8 wirklich annehmen, daß eine‏ زمر 
Schraube bei ihm loſe iſt!“ Inchte der Aſſeſſor mit:‏ 


glühender Stimm; die Gräfin hatte ihr goldenes Cigarrene = 
١00 aus dem Seide gezogen und mit gragidjen Finger اي‎ 
chen zwei Cigaretten gedreht, eine Hür den Afjeffor, cime 9 
für ſich nun fa fie und blies die blauen Rauhwöl: = 
chen durch die feinen blaffarbenen Lippen, — jo gang 


der Typus der eleganten Brau, für welche le, ie 
eine Leidenſchaft achabt. 

` „Qum Beiſpiel grenzt e3 doch auch ſchon an 930(1 
heit, daß er einen Marfiall edelfter Pferde für feine 
Diencrichaft Halt!” — 

Für jene 07” 

„Sewiß, nur für Ruther und Bediente, die elegante 
Equipage fährt täglich fpazieren, ohne bab der Herr 
- Graf jemals in derjelben Blak genommen hätte. Bei 

Wind und Wetter trabt er zu Fuß hinter dem Wagen 
her, bei Hite und Sounenglut feucht er fchweißtriefend 
die weiteften Wege auf Schufters Rappen, dieweil fein 
Maritall faum noch die Zahl der edelſten ole faſſen 
fal — 

Das it ja einfach 807 fchüttelte der 
Graf entrüftet den Kopf. „Wenn er dawn die Neitpferde 


wenigitens Ihnen, meine Herren, zur Verfügung 6 — 


und die Schönen von De in dem Wagen ſpazieren 
fahren ließ 1” 

Schallendes, ingrimmiges ٹس‎ Dieſer Filz! 
Diefer. Geizhals! Er fennt uns ja kaum, er ja 
mit keinem Menſchen in der Stadt!“ | 0 

„Und doch wäre Dies feine verdammte Pflicht und 
Schuldigkeit!“ rief die Gräfin. ei frig. „Er follte alle 
paar Tage ein jchönes, großes Felt auf Schloß Nieded 
` geber und die Gefellidjaft von Angerwies dazu einladen! 

“Mon Dieu — Rüdiger — wenn wir an Stelle des Ders 
rückten Menjchen waren, wie wollten wir anders für das 
Wohl von Land und Leuten jorgen! Beſter Herr Aſſeſſor, 
Sie witrden allerdings ſchlecht dabei wegkommen“ — 
fügte jie mit leifem Lachen und begauberndem Blick Din: 


zu, „Sie müßten Tag aus Tag ein mein Ravatier fein 


und mich zu Wagen und Roß begleiten! 
u grädigfte Grafin — faufen Sie Nieded!” rief 
Barning enthufiaftiich, und die anderen Herren griffen 


ftürmifch zu den Gläfern und jubelten mit weinjchweren | —D 


Köpfen „Durra! das it eine Idee! Herr SR Sie 
müſſen Niedeck ۳ 

Der Fremde zuckte 1)1 Lächeln Die Achſ ein. „Ein 
Majorat faufen, meine Herren? Diejes Kunſtſtück machen 
Sie mir einmal vor!” Er ftrich langfam den ipibengedrehten 
Schnurrbart, dann hob er in jähem Entſchluß den Kopf. 

„Meine Herren” — rief er laut — „fünnen Sie 
Schweigen 7“ — a. 


کت 96 کے 


„Herr Graf! — Wie das Grab!” — fang e3 zurück, 
während die weinjeligen Gefichter fi) voll fiebernden 
Intereſſes über den Tiſch neigten. „Ihr Vertrauen ift 
uns fönigliche Ehre” — 

Nun denn, meine Herren — Sie fehen in der Gräfin 
und mir Die künftigen Beſitzer von Schloß Mieded! 0 
habe die Ehre, mid) Ihnen befannt zu machen — last 
not least! . . . Sch bin Rüdiger, Graf zu Miedeck.” — 

Wie gelahmt vor Überrafhung ſaßen die Herren, 
einen Augenblick herrſchte beflommenes Echweigen, dann — 
erhob fich der Apothefer, verneigte fic) tief und ſchuldbe— 


wußt und ftotterte: „Wir hatten feine Ahnung, Herr ss 
Graf... ich bitte für ums alle gang unterthanigft == 
taufendmal um Entſchuldigung, Daf wir eë gewagt Babet, 
fo jehr abfällig von Ihrem 080ھ‎ Germ Deter ہے‎ 


zu Sprechen!” — = 
Der Graf ۵ 0 ben Kopf, م00"‎ 0 
Sprecher herzlich die Hand entgegen und britdte fie lebhaft. 
„Mein verehrter Herr” - — lachte er — ich bitte Sie 
um alles, feine Exfüfen! Sie haben die volle, lautere 
Wahrheit gejagt, welche ich Wort für Wort unterjchreibe! 
— Meine Herren! Ich bin für gewöhnlich nicht fo ſchnell 
mit Befanntichaften machen, aber ich muß geitehen, Daf 
Sie alle mir einen fo außerordentlich ſympathiſchen Sins 
Orud machen, daß ich das Gefühl Habe, guten, lang- 
‚jährigen Freunden gegenüber zu ſitzen, und Daf dies nod) 
` if Wirklichfeit Durch lange Jahre der Fall fein möge — 
. Darauf, meine Herren, fallen Ste uns die Öläfer leeren! 


— 40 


— Meine وتا‎ atte auf Schloß an fie 
leben hoch! Be 
En brauſendes Hurra erfüllte daB Simmer. Wie 
ein wahrer Rauſch überfam es die gejchmeichelten Herren. 
— Gie warfen fd in bie Bruft, als habe fie das Wort 
des Grafen allefamt 18 geichlagen, — fie ſchüttelten 
und drücten ihm die Hände mit einem Enthufiagmus, و‎ 
gälte e8, ein einiges Deutfchland zu feiern. Ein vereinigtes 
Angerwies und Niedeck“ ſchien allen in diejem Augenblid 
noch taufendmal wichtiger und weihevoller. Der ۲ 
۱ fühte ſchon zum dritten Male die Hand der Gräfin und 
‚rief Teidenfchaftlich: „Die Fünftigen Herren von Nicdeck! 
Wann bricht aber diefe oe un 2-۱٦ 11118 alle an, 
015۵1016 Grafine’ — 
` Gime atemloje Stille tone ein. „Sa, wann bridjt fie 
an?” wiederholte der Apotheker mit 1 7 
Seufzer. 

Der Graf blicite ernit un fein Glas. — Ra mein 
Wetter zu jenen Vätern heimberufen wird, meine Herren, 
— und das möge nod Zeit und Weile haben, ich will 
ihm fein Leben bei Gott von Herzen gönnen, wenngleich 
er in feinem traurigen, 8: Zuſtand nicht viel Gee 
nuß davon hat, und auch anderen. nicht, zum Glücke 
dient. — Ic weiß nicht, ob Sie. nit unferen Familien⸗ 
ſatzungen vertraut find, meine Herren? - — Nein? — das 
wundert mich, denn diefelben find fo eigenartig, daß fie 
als Abfonderlichkeiten im ganzen Lande, befannt find und 
viel beiprochen werden. Der Vater meines Vetters Bill 


۷ 


Ña e: 


— 
Harz, Vy 





— A 


bald und der meine waren Brüder. Nach Recht und Ge: 
feb erbte der Yltere, Willibalds Vater, das Majorat, und 
diefen folgte rechtmäßig fein einziger Sohn, der jebige 
Bejiber. Dbwohl Willibald feit Jugend auf eit ab: 
jonderlicher Kauz war und den Begriff „‚Degeneriert” 
(eider ftart bewahrbeitete, [dien doch für mich wenig 
Ausficht auf das Erbe, und darum heiratete ich ohne 
Nücjicht auf die wichtigite aller یت‎ 1 meine 


ہے Frau hier‏ ما 


“0110190111 کر 

„Die volle Wahrheit, ſchöne Gräfin! l 

Obwohl ich dadurch — mich perjönlich jedes Recht 
auf das Majorat aujgab.” 

‚Mein Gott, in wie ent bas, Herr Graf?!” — 

„Meine Frau it eine geborene Bürgerliche, die Tochter 
eines unjerer bedeutendften Sndujtriellen des Landes, — 
wer jedDod) Majoratsherr von Nieded fein oder werden 


will, darf mur eine Gattin mit jechzehn Ahnen, die 


Tochter eines im ane angeſeſſenen 00۴۶ 
heimführen . . .“ 
„Wie abjurd! — — - سے 77470 سے‎ 
Sa, meine Herren, Die Klaufel iſt nicht nur lächer⸗ 


UE ` fû, fondern unhaltbar, denn bei unſeren heutigen gejell- 


schaftlichen Verhältniffen gehört eine Dame mit fechzehn 
Ahnen zu den großen Seltenheiter, fie ijt faum nod im 
beutjchen Neiche zu finden, gejchweige denn in unjerem 
fleinen Ländehen, wenn fein Adel auch als eimer der erz 
kluſivſten noch aul Ein tadellofer Stammbaum von Ders 


artiger Höhe ift nur noch bei zwei Familien des Landes 
zu finden, und der Zufall wollte es, daß juft für unfere 
Generation — ic) meine für Willibald und mich, feine 
heiratsfähigen Töchter vorhanden waren. sch fab ۰ 
dem meine fleine Frau — und damit war mein Schiefal 
beſiegelt⸗ — 

pd, Wie ۳ tete Der a 6110۲ mit ling 
merifchem Blick. 

Ich perjönlich kann allo niemals seb Belißer und 
Majoratsherr von Niede werden, jondern mein 8۵ 
Söhnden wird erft im diefe Rechte treten, wohl aber 
fann id) alg Vater und Vormund 8 Kindes das Erbe 


für ihır verwalten, falls Willibald vor ۲ Volljafrig- 


feit Sterben jollte.“ Der Sprecher ſchwieg, — nachdenk— 


` ih ftarrten die Herren in die Gläfer. 


ie fehr traurig liegen die Verhältnifje für uns, 
Herr Graf!” jeufzte der Apotheker, „denn ich fürchte, fo 


krank aud) der Geift des Herrn Grafen jem muß, fo 


ferngefund ijt fein Körper und läßt ihn ein jer aber 
Alter erreichen!” — 

` ,ر‎ Das ware i lia, wenn wir . . 2 rief die 
Gräfin jehr eifrig, verftummte aber unter dem fcharfen, 
warnenden Blick, welchen ihr Gatte ihr zumwarf. 

Wenn wir wenigitens zeitweile als Gaft auf Nieded 
weilen und unfere liebenswürdigen Freunde hier bei ung 
jehen könnten!” — fiel er ihr ſchnell mit gewinnendem 
Lächeln ins Wort, „nun, die Hoffnung müffen wir auf 


x geben, mein Rind, denn bu weißt, Daf Willibald und Mm: 


Me 


uns al3 feindliche Vettern gegenüber ftchen, Bd) Huldige 
Der Devife: Leben und leben lajfen! und bin bemüht, 
durch mein Geld auch anderen Menfchen Freude und 
Genuß zu verjchaffen. Willibald dahingegen ift ein 
fnickeriger Egoift, welcher fein Dera für ne Mit: 
menjchen ۳ 
„Das Stimmt!” flang es erbittert im reife 
Bird denn aber ifr Söhnchen eine Frau mit fed)- 
zehn Ahnen finden, Herr Graf?” fragte der Pojtaffiftent 
ihüchtern, — die Sache ging ihm gewaltig im rn 
— und beunruhigte ihn erſichtlich x ۱ 
Graf Rüdiger lacie: „Sa, mein lieber Müller, dafür 
habe ich jchon beizeiten Sorge getragen, Mein ältefter 


Junge tft jebt zehn Sabre alt, und bet dem Freiherrn 
0 von Nördlingen-Gummerbach ijt por vier Jahren ein 


reizendes, blondhaariges Töchterchen geboren, welches recht 
arm an Geld, aber deſto reicher an Ahnen iſt 

Dieſe Heine Pia ift Die gegebene Frau ‘at meinen 
Wulff⸗Dietrich Bei ihrer Taufe haben wir Vater die 
Sache bereits abgemacht, und ich erachte das fleine Elf: 
chen ſchon völlig als Schwiegertochter, denn fie muß €3 
werben, es gibt feine andere Frau int Lande für den 
Niedecfer. — Nun aber noch einmal an die Glafer, meine 
Herren! Das Wetter Hart Hd auf und Papa Simmel 
muß ung 1 Wagen beichaffen, daß wir ein wenig, 
fpagieren fahren fünnen. Sc) muß Doch einmal nach dem 
echten fehen, ob die Beſihungen unter dem Regime des 
geiftesfranfen Herrn nicht allzufchr herunter kommen! — 


BR 45: s 


Heute abend auf Wieberfehen, meine Herren? Gie ee 


doch wohl wieder hier?" 


Wan rieb ſich Halb verlegen, jal eifrig Die Hände ۱ 

pour gewöhnlich kommen wir erft nad) dem Abend— 
brot wieder hier zufammen, aber wenn wir die hohe Ehre 
genießen können, mit den 01 abermals zufammen _ = 


zu ۱6۱۲ . , —“ 

"Natürlich! Wir wollen doch die furze Beit genießen, 
um ung recht gut fennen zu lernen!” lächelte die Gräfin 
wie ein Engel und reichte jedem der Herren die Hand. 

„Sch bin auf jeden Fall hier! Ich bin der Schatten 
meiner e Su vie} der 7 voll fühner 
Ecttlaune. 

Die elegante Frau (achte amiifiert und der Graf flopfte 
ihm jovial auf die Schultern: „Necht jo! tragen Ste ihr 
Die Schleppe, licher Bärning, fie ift fo fehr an Verehrer 
‚gewöhnt, daß fie fich nicht langweilen darf.” 

Gott ſei Dank, der Gatte war nicht eiferfüchtig! 

Dem Wijeffor ward ganz fcywindlig vor Wonne. Das 
Ehepaar Simmel aber lächelte fi ftrahlend zu. 0 
war e3 recht! Die Herrichaften jorgten auch für ۰ 
tiichgäfte in der „Stadt Hamburg.” 


* * 
* 


Drei Tage waren vergangen, ſeit Graf und Gräfin 


Niedeck in Angerwies ihren Einzug gehalten und eë war, . 
als ob diefe drei Tage genügt hätten, einen völlig neuen ۰ 


Hauch des Lebens in das Städtchen zu tragen. 


Alle Gemüter befanden fil in höchſter Aufregung, 
man lief Straß auf, Straf ab fpazieren, um die Herr 
jchaften zu fehen, von welchen wahre Wunderdinge Der 
Leutſeligkeit, Freiqebigfeit und Eleganz erzählt wurden. 

Das gräfliche Ehepaar beſuchte die einzelnen Geſchäfte 
und machte brillante Einkäufe. Alle teuren „Modellſtücke“, 
welche zum Nummer ber Beſitzer als ewige Ladenhüter 
prangten, wurden jebt an den Mann gebracht. Man 
machte glänzende Geſchäfte, denn da Alt und Sung den 
Trieb fühlte, fid) über die außerordentlichen Ereigniſſe 
auszuſprechen, liefen aud) dic Angerwieſer von einem Laz 
den in den anderem und kauften zum Vorwand gar mans 
cherlet, was fie fonjt nicht nötig gehabt hätten. Überall 
hörte man begeiftertes Lob über die fremden Niededs, 
überall ward der Ruf laut: Ach, warm Ut nicht ۲ 
Graf der Majoratsherr!” “a, diefer verstand es beffer, 
Hd) bie Herzen zu gewinnen und den Grafen zu repräs 
jentiren, wie jener Sonderling i un: Edal pelg, welcher faum 
zu Weihnachten. einem armen Kind fünf 6 jchentte! 

Graf Rüdiger hatte das Armenhaus bejucht und volle 
hundert Mark in die ſchwindſüchtige Kafje desſelben ge: 
legt; er war mit feiner Gemahlin bei dem Krankenhaus 
vorgefahren und hatte auch hier Hundert Mark deponiert. 

Begeguete ihnen ein Bettler, oder arme Holslejer, oder 
ſonſt ein bedürftig Ausjchender, fo hatte Graf Nüdiger 
jofort die Birje in der Hand und fchenfte mit verblüffen- 
der Freigebigfeit. Was Wunder, wenn die Namen der 
fremden Herrschaften voll überjtrömenden Lobes in aller 


— 47 — 


Munde waren und aus manchem Körnlein ein — ge 
macht murbe! 

Wie eine Bombe ſchlug die Nachricht ein, baj der 
Graf über ,Maijers Geburtstag” in Angerwies bleiben 
würde und daß er ſich als guter Deutfcher ganz beſonders 
jreuen würde, wenn der Mriegerverein dieſen Tag Des 
ſonders feftlic) begehen wollte! Waren doch erit fünf 
Sabre لاہ(‎ dem glorreichen Tage verfloffer, an welchem 
aler Wilhelm der Erite, als Ciniger des ط٣۰‎ 


— Reiches, aus Frankreich heimgekehrt war! 


Da flammte der Patriotismus noch in aller Seren, 
und Die Bürger von Angerwies, welche für gewöhnlich 
nur den Geburtstag ihres Yandesfüriten feierten, jubelten 
bet Der gegebenen Anregung, zweimal im Sabre ihren 
Gefühlen freien Lauf laffen zu fünnen. | 

Bon felber waren fie nicht auf den Gedanfen qez 
fommen; erjtens waren fie zu jchwerfällig, um ſelbſtändige 

۵1 zu treffen, und zweitens grollten fie immer 

noch ein wenig, weil man tro ihrer wiederholten Bitten 

UAngerwies nicht zur Garnijon gemacht hatte. Wer hätte 

aber jeht an jo etwas gedacht, wo Graf Nüdiger mit 
Seiner Gemahlin ihr Erjcheinen auf dem Rriegerball ju: 

gejagt hatten, wo Die Runde ging, der Graf habe drei 
Faſſer Wein durd) Simmel kommen laffen, um fie dem 
Verein als Ehrengejchenf zu machen! 

Eine fieberhafte Thätigkeit entiwicelte fi in dem Stadt: 
den. Die Damen wufden die weißen Kleider, fauften 
Band und Spiker, und die Schneiderinnen fonnten faum 


جا ارات 


Die Arbeit bewältigen, welche auf fie einftrömte. Die 
Herren bürjteten die Frads und ließen Hd neue Stiefel 
anmeljen. Die Väter der Stadt ſaßen Abend fiir Abend 


im Gaftzimmer der „Stadt Hamburg“, um gebläht vor 


Stolz und Genugthuung mit dem lentjeligen Grajen zu 
verfehren wie mit ihresgleichen. — 
Ja, die Herren ftürmten das Hotel, um die Befannt- | 


Schaft zu machen. Die Damen aber mußten e3 vol . 


brennender Ungeduld abwarten, bi3 der Siriegerverein 
ihnen Gelegenheit geben würde, die fagenhafte Gräfin 
Aug in Auge zu fehen. So ein Leben hatte Angerwies 
noch nie gefannt, — und mitten in die hochgradige Er: 
regung fiel die Nachricht, das gräflihe Paar fei, gütig 
‚und friedliebend, nach Schloß Nieder gefahren, um den 
verrückten Grafen zu befuchen, diefer aber habe den Vetter 
voll jchroffen Hafjes zurückgewieſen — Dies war zu viel 
für die begeiiterten Gemüter, — in wilden Flammen lo: 
derte bie Empörung gegen Graf Willibald auf. 








N.v. Eihftrutb, QU om. u. Now, Der Maioratsberr 4 


ANOVA 





_ iL 


— — — Gold 1۱8 ja, dad Zutritt fouft ſehr oft; ja ء٤‎ beitiht 
Dianens Forfter, baf fie felbit bas Wild dem Dieb entgegen treiben, 
Shaleipeare Chmbeline II. Aufz. 3. Ee. 


er oe tag brad) an. ۱ 

Als ۵۲۱۱ Nachricht, welche die Herzen ber 
weiblichen Bewohner von Angerwies hoch auf- 
ſchlagen lich, fam die Runde von der Poſt, daß für die 
Frau Gräfin eine mächtige Kifte aus der Nefidenz ۶ 
gefommen fei, welche ficher eine Toilette berge, wie fie 
feit Beſtehen der Stadt 0 nicht in ihren Mauern oe 
ſchaut war. 

Da huſchte eà hin und her zwilchen Dent Hmusthüren, 
um dieſes Ereignis voll höchſter Mutmaßungen zu be: 
fprechen; — die älteren Damen wandelten ungeniert in 
den Morgenhauben, deren Fülle die Haarnadeln, über 
welche die Scheitel fejtlich gewellt waren, 1006ا‎ ber= 
1160116111 — Die jungen Mädchen aber Haken. ih wahr: 
haft orientafifch verjchleiert, um jedem Epäherauge die 
Papilloten zu verbergen, in deren een Die 000ھ‎ 
. 1077 des Abends peer 





63 wari n Angerwies felbftverftandlid), daß man vor 
einem Ball nicht zweimal Toilette machte, fondern tags- 
über in jenem geheimnisvollen, unfertigen, halbverträumten 
Negligee einherfchiwebte, welches die Dedblätter der ۶ 
tepräfentierte,, aus welchen abends Die ſtrahl ende Blüte 
brah! 9 9 پ۰‌۹‎ 

Diejes „Nachtjaden= م0‎ = Morgen u 
gehörte nun einmal zu jeder Feftvorfreude, darum ftarrten 
die Schönen von Angenwies auch höchlichſt verblüfft auf 
die Gräfin, welche auch Heute in eleganter Promenaden— 
toilette {hon vormittags fpazieren ging, und bet Tijd) fich 
ganz wie gewöhnlich jchid und feſch gefleidet bor den Herren 
‘Der table d’höte zeigte. ۱ 

„Sa, Die Reſidenzlerinnen“, ſeufzte Die rau Buͤrger⸗ 
meiſterin, die ſind auf das Toilettenmachen ganz anders 
eingedrillt als wie unſereins! Die können's auch! Hat 
doch die Gräfin ihre franzöſiſche Kammerjungfer noch 


nachkommen laſſen, weil der alte Friſeur hier fich abfolut ےت‎ 
nicht auf ihre neumodiſche Friſur verjtand. Du lieber Gott, 
wie foll er auch! Er legt nur Schnefen von den Haaren 


und fann fjechzehndrähtig breite Ropfe flechten, das ilt 
feine Hauptlunft! Aber die Gräfin mit all ihren +1 


Löckchen . . n es fieht ja gum toll werden jchön aus, 
wie Der Aſeſſor ſagt — und meine drei Mädels 
heut abend... 0, wenn fie ahnten!” Dabei aber 


ſchlug ſich — indiskrete Mutter mit der oe 
Hand bor den Mund und fidjerte: „ Du licher Gott . 


ich darf ja beileibe 1118 verraten!” 
4* 


کپ — ا 


Eo waren die Kemnaten üiberreich mit dem inter: 
effanten Geſprächsſtoff verjehen, aber auch das (mia 
Männliche von Angerwies hatte ei Thema gefunden, 
welches gar nicht genug bejprochen werden fonnte!: 

Überall auf der Straße jah man die chrjamen Bürger 
zuſammenſtehen, wie büjtere fleine Wetterwolfen, welche 
fid) immer finfterer und drohender gujammenballen, um 
ih Schließlich al Gewitter zu entladen. — ۱ 

Obwohl der Tag fühl und regnerijd) war, redeten 
fich die Männer doch immer mehr in bie Hise, jo Daß 
zur Mittagszeit ein ‚jeder nad) Haufe dampfte wie ein 
ee. welcher — bor bent e — 
au جو ود‎ 

Wehe dem Schafpelz von Siebel, ea fot den Dek 

gejhürt und Die Mache Herausgejordert hatte! 
Alſo hatte fich die Geſchichte zugetragen: Obwohl Graf 
Nudiger und feine Gemahlin umfonft an dem Portal von 
Schloß Niedeck angeklopft hatten, kannten die hochherzigen, 
edlen Menjchen Dod fein Gefühl des Zornes und der 
Rache, un Gegenteil, Graf Nüdiger hatte Hd abends zu 


den alten Freunden der table d’höte und den Vätern der 


Stadt gejest und Hatte mit ihnen ehrlich und aufrichtig, 
wie zu feinen beiten 71 geiprochen. Obwohl ihn 
Graf Willibald jüngithin noch aufs Herslofejte gefräntt 

hatte, war er Dod zu ihm nach Niedeck gefahren, die Hand 


oder Verföhnung au bieten. Nicht um jeinetwillen — و‎ 


bewahre! Es fant dem M illionär Rüdiger ganz gleich- 


s وو‎ = 


ki ob ber Better ihm zürnt oder nicht, er trägt‏ ول0 
fein Begehr nad) dem Majorat, welches fein Sohn ja‏ 
doch einmal erben muß und wird, — nein, wm der armen,‏ 
vernachläffigten Wngerwiejer wollte Gray Rüdiger auf‏ 


Niedeck voriprechen! Cr beabjichtigte dem geigigen Better ۱ 


einmal ernjtlich in das Gewiſſen zu reden, daß er Hd 
der Seinen doch beffer annehmen möge! Da gab es eine 
neue 6 6 gu bauen, welche der Majoratsherr 
jelbjtredend der Stadt zum Gefchent machen müßte, dann 
war es dringend nötig, Chaufjeen und Wege verbeffern 
zu laffen, eine Ausgabe, welche er der armen Stadt auf 
jeden Fall abnehmen müßte! Nun und jchlieglich noch fo 


taufenderlet anderes! Man fab ja, wie Handel und Wandel = — x 
aufblühten, wenn ein wirklich gräflich auftretender 96۵4 ے٦‎ Er 


nur acht Tage lang in der Stadt weilte! Hier hatte iá < 


‘der Sprecher allerdings feujzend unterbroden: „Dis 


festere wird allerdings nie bet Graf Willibald zu ers 
reichen fein, denn wo feine rau im Haufe it, fann fein 


: Aufwand gemacht werden, da gibt feine Anjprüche, feine 


 Sejelligfeit! — Wie {oll aber ein Verrückter heiraten? 
Diefer Gedanke ijt leider ganz ausgeſchloſſen!“ — Dann 
aber hatte er die jammernden Häupter getröjtet, er 
wolle noch ein Letztes verjuchen, günjtig auf jenen Better 
einzumirken. Er bate darum, daß man dem Grafen eine 
formelle Einladung zum Feſtaltus und Ball des ۶ 
vereins fchickte! Graf Willibald habe ja freilich nie am 
Pulver gerochen und feinen feindlichen Frangofen je zu 


Geficht befommen, dennoch müſſe ex jo viel Patriotismus 


ا د 


beſitzen, um an dem Feſte teil zu nehmen! Er fünne ja 
die freundliche Einladung gar nicht ablehnen, ohne Dadurd) 
fämtliche Bürger der Stadt aufs tödlichfte zu kränken und 
zu beleidigen. Nur Krankheit könne ihn entſchuldigen — 
er fet aber nicht frank. Gagte er dennoch ab, wäre es 
eine Schmach! Auf dem Ball aber wolle Braj Rüdiger 
den Wetter fdjon ftellen, Dap er ihm Gehör geben müßte, 
und damn wollte er auf jeden Fall die Schule und Chaufjee- 
bauten bei ihm durchfeßen.” 

Welch eine Aufregung hatten dieje Worte verurjacht! 

Sie wirften mie ein Stich ins ۸۱ 
۱ Man jubelte Graf Rüdiger zu und er maß mit funfeln- 
‚den Augen die Möglichkeit, daß der Miajoratsherr viel: 
leicht doch abjagen fonne! Bei diejen Gedanfen ballten 
fie Die Hände zu Fäuften! 

Daun hatte man eine feierliche, jehr 2٤+ 
und rejpeftvolle Einladung aufgejegt, welche zwei Herren 
perjönlich nad) Schloß ۵ brachten. 

Natürlich befamen fie den Grafen, welder ausge= 
gangen fei, nicht zu Geficht. Aber es follte baldmöglichit 
Antwort gejchiett werden. Heute morgen war diefe Ant: 
wort endlich eingetroffen, und als der Bürgermeifter fie 
las, brach eë wie ein Wutſchrei über ſeine Lippen 

„Er fommt nicht, Lieschen! — zum Teufel, er fount 
nicht! — 

Brau Lieschen jchüttelte den Kopf. Ich habe es gleich 
nicht begriffen, daß ihr ihn eingeladen habt! So etwas 
‘ft euch Doch früher nicht in den Sinn gekommen! Da 


سس 85 = 


fagtet ifr: ‚Wie können wir ق‎ wagen, einen hochge— 
borenen Reichögrafen zu uns Aderbauern zu 1۳ 
und nun mit einem Mal thut ihr, als wäre 6۲ ۰ 
gleichen” — 

Der Bürgermeister tobte mit wütenden Schritten Durch 
die Stube: „Schweig jtill ! das verftehft Du nicht! ۱۰ 
gray Hin — Neichsgraf her! — zeigt es nicht ۲ 
Freund Rüdiger und feine Gemahlin, daß man mit uns 
verkehren faut? Und die find auch Grafen bon Niedeck 
— und Millionäre! Aber fie fermen feinen Diinfel und 
Hochmut wie der verdammte Kerl im Schafspelz! 


Dieſer Verrückte! Dieſer Geizhalz, dieſer Kleidertrödler, 


der ſich nicht ſchämt, einher zu gehen wie ein Lump, 
wie ein Slowak!!“ Damit ſtürzte er zur Thür hinaus. 

Und wie Anno 48 ein dumpfes Murmeln aufrühre— 
riſchen Haſſes durch das Volk ging, ſo ſchlug auch jetzt 
Die Bunge des Stadtoberhauptes als Alaärmglocke an —: 
„Bürger heraus!!“ — Das lief an allen Straßenecken 
zufammen, fchimpfte und fuchtelte, immer bedrohlicher 
und higiger. ات‎ 

Gevatter Handjchuhmacher aber zudte wehmütig die 
Achſeln „Ruhig Blut, Kinder! Was mit alles Ge- 
zeter? Ein Majoratsherr üt fein König, den eine Rez 
volution ftürzen fan. Der Niededer fist ficher und un 


` antaftbar im Neft, und ehe nicht Freund Hein ihn Bers 


auswirft, nift alles Sturmlaufen unfererfeitS ganz und 
gar nichts!" — ۱ 
02 muß man ſich etiva einen Verrücdten zum Herrn 


— 56 — 


gefallen laffen? — Sagt nicht die — 1 ein Een 


. . ۵00801 8 Narrenhaus ?” نے‎ 


„Die Gräfin mag das fort سے‎ denn fie gehört; au: 
feiner Familie, aber uns geht das nichts an!” سے‎ 

Dadrüber liege ſich wohl reden!” troßten etliche 
Stimmen: „Ein Gaudi wär's für uns, wenn eS dem 
hochmütigen Schuft paffierte!” — 

‚tagt doch den ۲ ber muß eS ja willen, ob ۱ 
wir ihm nicht eine Suppe einbrorken fünnen.” 1 

„Laßt aber den Rüdiger nichts merfen! Ge an — 
fein Vornehmer gern einen Better im Tollhaus haben!” — 

Bah — er und die Gräfin haben ihn ja zuerſt Vers 
rüct genannt!” | 

pod) rate euch, fprecht erit mit dem Aljefjor!” — 

„Heute abend jondieren wir den Ss der Wein loft 
die Zunge!” | x 

Out, heute abend!” 

Mit wetterfchwilen Stirnen troflten fie Heim. Die 
Schmach, die Graf Willibald ihnen angethan, frag ihnen 
an der Ehre, und einer hetzte Den anderen auf, wenn gar 
ein Wort fiel: و طه‎ denn wahrlich ein fo 0٤ Schimpf 
fel, wenn ein Sonderling nicht gern unter Menſchen gehe! 


Die Sonne ſank — und voll ficbernden 53 rite 


die Frauen und Sungfrauen von Angerwies die Spiegel — 
zurecht, um endlich die Feſſeln der Rapilloten zu jprengen! 

Wenn eó nur aufhören wollte zu regnen! Die Mütter 
fonnten ja feſte, rindslederne Stiefel anziehen, aber Die 
tanzenden Töchter! je nun, man hatte fich in folcher Der: 


innert 





58 نے 


legenheit ſchon ſo oft nehoffen, warum nicht aud) heute? 
In Ermangelung einer Droſchke thaten die rieſenhaften 
Holzpantoffeln genau ſo gute Dienſte, und darum waren 
fie jo lange man denken founte in Angerwies exiſtenz— 
و‎ und genoffen Die Achtung, welche Ni 07 مت‎ 
mäßige überall erwirbt, 

Eine halbe Etunde bor der angefeßten Beit hate man 
denn aud) ein unermüdliches „Klipp-Klapp⸗Klipp-⸗Klapp“ 
auf dem holprigen Pflaſter und dann und wann ein 
jungfräulich zartes Aufkreiſchen, wenn eins der hölzernen 
Piedeftale in einer Pfüße verfant. — - 6 0 6 
und flatternde Umfchlagetücher verhülften den Sharer 
‚neugieriger Gaffer Die Bradt, welche ſich E ber 
Hotelthitre enthillen jollte. — 
ما‎ und da ſchwankte ein Laterncdjen Dor einer Honv- 
 ratiorendame fer, und je nachdem, ob ein oder zwei 
Lichtlein in Demfelben brannten, erfannte man ben Grad 
der Würde, welchen die Nahende einnahm 

Mehr und mehr füllte ſich der Feftjaal. 

Die Herren in feltfam langſchößigen Srads, mit weißen 
Zwirnhandſchuhen an den Händen. — Der Wffeffor, 
Upothefer und Doktor, jomwie etlihe der „übertrieben“ 
eleganten jungen Herren hatten Glacés angelegt, föftlich 
duftend nad) Pomade und Mojchus, die Krieger mit der 
Denfmünze oder gar dem ſchwarz-weißen Bändchen im 
Knopfloch, bie Nicht Krieger mit fleinen 60 an der 
Bruft, deren Blüten in diefer blütenlofen Märzzeit Durch 
کے سو‎ geſchmackvoll und ſinnig erſetzt wurden 


= 5 =. 


Die Damen hatten ungefeneriche Snfirehaingen qez 
macht, zu glänzen. 

Die Mamas fanden 4 mit Wirde in t entjagungsvolle ` 
Farben, ſchwarz, pflaumenblau, faffeebraun, lila und grau, 
Nitancen, welche jedoch aufs lieblichite durch die drei- 
eig gelegten weißen Grép de chin-Tücher gehoben mur 


den, ohne welche eine Ballmutter von Augerwies 0 


undenfbar war. 

Die Matronen hatten einen 4 71 Ropipus, eine 
Art blumenumrantter, federummallter, ſpitzenumnickter und 
bänderumflorter Sturmhauben, bei deren jchwiegermütter- 
lichem Anblid eigentlich jedem Freier, aud dem beherz- 
teſten, das Herz in die Hojen rutichen mußte, — jO 
friegerijd) fampfesmutig trugen die Damen diefes ſtattlich 


— geſchmückte Haupt auf den Schultern. 


Der Mittelſchlag der noch nicht ergrauten Frauen 
lächelte unter Puffſcheiteln oder Zöpfen hervor, welche 
als Wunder der Flechtkunſt um die Ohren gelegt waren, 


ein paar handfeſte Rojen oder Whtern 727 


den Liebreiz, goldene oder elfenbeingeſchnihte Kreuze oder 
Broſchen pruntten am Halfe. — Tros manches hübjchen, 
vollmangigen Geſichts waren dieſe mittelalterlichen Oats 
tinnen bie vollite Ehrbarfeit, welche nicht mehr an Tan- 
zen und Stofettieren denkt; der Strickſtrumpf erinnerte aud) 
jebt in ihrer Hand an bie lieben Kleinen daheim. 

Die holde Jugend war vollzählig und wie überall 
in Heineren Städtchen im Übergewicht erfchienen. Auf 
vier Damen fam ein Herr, weswegen die Fräuleins un: 


== 060. RE 


nil unter fic) tanzten. Weiß, roja, hinmelblau, Blu: 


menfrange, Filethandſchuh, bemalte Holzfächer und aus— ce ae x 
gefchnittene Kittlederfchuhe . . . fehwarze, blonde, rote 


Haare, dick und dünn, groß mh Hein, hübſch und آ4‎ B: 
lich, graziös und plump, alles war vertreten. 

Em Gefühl, aus Staunen, Bewunderung und 8 
gemijcht, bejchlich aller Herzen, als die 1 
mit ihren drei Töchtern eintrat! ae Überrajchung war 
. 10۱1۱01], سب‎ 
Modern frifiert! — das. Athergebrachte einfach über 
ben Haufen geworfen, nad) dem Mufter der Gräfin hod) 

modern feifiert! Die Haare Des halben Worderfopfes — 


waren fur; ge) ichnitten und in frauje Lorken gebrannt. ۱ 


Hoc auf dem Kopfe bäumten fie fich, wie indiqniert über 
jolche Zumutung, gleich einem Kakaduſchopf, von der Stirn 
abjtarrendD und über die Ohren Hinweg ragend! — 

Wie wunderjchön verändert Die Mädchen ausjahen! 
Die beiden ÜÄltejten waren ja nie jehr hübſch — aber 
heute... Hm... oder täufchte man fi? Eine jo hod: 
moderne Frijur muß ja gut cider, es war mr das 
Ungewohnte des Anblid3, welches jedes Auge ftubig 
machte! Cin Wagen rollte heran. Oberföriters. — Nun 
waren die hohen Witrdentritger verjammelt, min fonnte 
das gräfliche Paar auch ericheinen; Die Getrenen von 
Angerwies jtellten fich feterlich, mit hochklopfenden Herzen 
rings an den Wänden auf, glei dem Hofitaat, welcher 
Die Majeitäten erwartet. — Während dejjen hatte Gräfin 
Melanie ihre Toilette beendet und die Jungfer hinaus 


at 


Es War die Boje fone Schweſter, we lche ſie‏ و 
fic) vom Laude hatte kommen laſſen, und welche fo qut‏ 
wie fein Wort Deutſch ۰ x‏ 

Dicjen Umjtand lobte ber Graf joeben wieder. „Es 
ijt ein Glick, daß die Perfor nicht ahnt, was um fie Der 
‚vorgeht, ihre Spradunfenntnis it der Hemmſchuh für 
jeglichen Klatſch Es wäre dir doch auch fehr zu em: 
pfehlen, anjtatt 67 entjelichen Brau Stiehl auch eine 
Franzöfin zu engagieren! Denfe dir die Stiehl hierher 
in dieſe Situation! Ihre Bunge würde uns jeden Plan — 
durchkreuzen, ſowohl hier wie in der Reſidenz“ 

Die Gräfin feufzte: „Du Halt ganz recht, aber fag 
felber, wäre eS vorteilhaft, Ddicjes Frauenzimmer jJebt 
zu entlafjen, damit fie unë in der ganzen Stadt Ders 
umbringt? Sie hat zu oft gehorcht und ausjpiontert, 
um nicht über mandjerlet vollftändig informiert zu 
fein. Die Klugheit gebietet energisch, fie im Dale zu 
behalten!” — 5 

Rüdiger fnurrte etwas Unveritändliches, jeine 2 
mahlin aber ftand vor dem Spiegel und mufterte ihre 


ſtrahlende Erjcheinung mit ironijchem Blick Und als fie 


Die Brillantarmbänder antegte, brad) fie plögl ich men 
leiſes Gelächter aus und warf fic) in das Sofa, ۰ 
preßte Das Duftende Epigentuch gegen Das Seficht, aber 
jehr vorfichtig, daß Der Puder nicht abwilchte - — und 
lachte intmer mehr und Immer jpöttifcher. 

Der Graf, welder in eleganteftem Ballangug mit 
Orden und 07 ور‎ im Simmer auf und 


69 سے 


abgegangen war, blieb vor a ftehen und blidte fie mit 
` feinen jcharfen, falten Mugen überraiht an. 
„Bit du von Sinnen? Was foll dies ۳ 2 
. 07,130, er fie ärgerlid al... 
„Berzeih, کا"(‎ — ¿š kommt mit jo namenlos toz 
mi por. 5 = 

` „Bas denn, wenn man Fragen darf ou | 

Ihr Dli flog mufternd über feine jchlanfe Geſtalt 
und fie lachte abermals! „Daß wir jo fabelhafte An- 
ftrengungen machen, um uns für dicjes odiöje Kräh- 
winkelpack zu pußen! Schade um meine {Dine Schleppe!” 

Er zudte nervös die Achſeln „Ihuen wir eë etwa 
zum Vergnügen? Ich dächte, bu wüßteſt genugjam, um 
was es fi handelt!” — 

Weiß ich auch, mon ami“ — nidte fie plBtslich ال‎ 
werdend und fich erhebend — „und ich will ھ٤٤‎ ۶ 
Toilette und noch weitere: acht Tage meines Lebens gern 
e wenn wir dadurch das Biel erreichen Können! 

Bis jeht ftehen die Chancen gut, und. id) Denfe, heute 
abend werden wir fiegen.” — 

Ich bitte Dich, liebe Met anie, bet der außerordent- 
lichen Farce, welche du zu 01 belommſt, ernjt zu bleis 
ben. Dente, du bejuchit einen Koftimball — altmodifche, 
ſpießburgerliche Berhältniiie find Borichrift. Und 17 
fomm und öffte der Liebenswürdigfeit alle Schleußen, um 
mir in die Hände zu arbeiten!” — Cr bot ihr aujfjenf- 
gend den Arm umd ſchritt zur Thür. 

Wie durch einen Zauberfchlag verjtummite das Epre: 


سے 85 — 


hen, Lachen und Geigenftimmen im Gaal, al Şerr 
Simmel atemlos in der Thür ۰ء‎ und in heimat 


lichen Lauten meldete: „Se fumm'n — Se fumm’n!” — 

Und fie ۲۸ 

Der Bürgermeifter hatte ſich mit Derm Gedanken ge: 
tragen, beim Eintritt des gräflichen Baares die National: 
hymne jpielen zu laſſen, der Doktor und Oberförfter fan: 
den Diefe Shee jedoch nicht ganz pafjend, und der Vater 
der Stadt fühlte fic) ein wenig beleidigt. — — 

Dafür aber Schritt er, von fämtlichen Honoratioren 
der Stadt geleitet, den Eintretenden unter zahllofen Büd- 
lingen entgegen, und das gefeierte Baar wußte bei aller 
 Liebenswürdigfeit Doch fo viel hoheitsvolle Würde zu 
zeigen, Daß es den Herren und Damen von Angerwies 
poll traumhaft jeligen Entgiicens zu Mute war, als ob 
fie doch einmal in ihrem Leben auf höfiſchem Parquet 
ftünden, Wd tief vor den Majeftäten zu 7۰ 
S Der Graf drüdte dem Biirgermeifter die Hand. 
„Wollen Sie uns zu Ihrer Frau Gemahlin führen und 
ung mit den Damen der Gefellfchaft befannt madden 2” 
10010 er in dem 0 hoher Wichtigkeit, welcher ganz 
bejonder3 zu unponieren pflegt. 

Der Ausgezeichnete legte die Hand in dem m 
71 Handſchuh mit geſpreizten Fingern auf die Bruſt 
und machte einen Kratzfuß, ein Benehmen, welches die 
hinter ifm ftehenden Herren fofort fopterten, bis auf den 
Aſſeſſor, welcher voll weltmänniſcher Eleganz fofort als 
Rammerherr an die Seite der Gräfin trat. 


pages‏ ای 


Sie grüßte ihm lächelnd mit vertraulichem Händedrud, 
und Barning erglühte vor Stolz und blicte Hd) rings 
im reife um, als wollte er jagen: „Welch ein 04 
bin ich 114 peas ‘ ' 

Dann begann die Tournee. 

Unter feierlichſtem Schweigen ſchritt man quer burd 
den Saal, zum Entzucken Der Damen, welche nun fo 
x recht von allen Seiten das Prachtkleid der hochgeborenen 
Frau mit den Augen verſchlingen fonnten! 

Wie geblendet ftarrte Alt und Sung auf die mr 
hafte Ericheinung diefer fchönften aller Gräfinnen, welche 
wie eine ata Morgana gligernd und ſchier jpufhaft über 
Die weißgejcheuerten Dielen fchmwebte. 

Sa, fie war doch nod) 8 anders کے‎ wie 
Bürgermeiſters Töchter!! — 

Wie es möglich war, das Haar Deéartig zu wellen, 
au Fräufeln, zu puffer und aujzubanen, deuchte jedermann 
ein Nätjel, das fabelhafteite aber war ein breites, gol- 
Denes Diadem, , Dellen Mitte einen Brillante trug, 
iprühend und glühend in allen Farben! So alſo jehen 
Die Diamanten aus, von denen Hemric Heine fingt: Cae 


— Liebchen, was willſt du noch mehr?“ 


Und nicht nur der Haarreif war mit dieſen 1اس‎ 
Steinen beſetzt, nein, über Hals, Bruft und Armen flim- 
merten fle wie ein Märchen aus Taujend und einer Nacht, 
> wunderbar! unfaßlich! Ja, da mußte das Vermögen 


nach Millionen zählen, wenn man derartige Schäbe unver: 


zinft in Dic Kommode legen fann!!! 


۱1801۲ I, 


lora 


‚u Nov, Der Mai 


SI, Mom. 


, 


tuth 


Ef bft 


N. n. 





— 66 — 


Mit {cifem ۳۱۷ 06 die 4+ 
Eeidenplüfchjchleppe wie ein qleifeuder ۲ hinter Der 
ichlanfen Geftalt her, und die Herren, welche folgten und 


jolche Toi (clienpracht nicht kannten, gerieten anfangs bes 
in Die Gefahr, rechts und lints darüber Himveg zu ftolpern! — 
Aber fie fanden ſich ſchnell in die höfiſche Sitte Hb — ` 


hielten Diftance bon der feidenglänzenden Pracht 

„Sie hat ard) tofa Schuhe und Strümpfe an!“ flüfterte 
c3 ſchier atemlos bor Staunen im Kreiſe der Damen. 

„Ad Handfehuhe bis über die Ellbogen hinauf!” 
„Und der Atlas vorn ain Kleid iff mit Golo au 
سی‎ ۱ 

„Sebt öffnet fie den Fächer —! Minchen, que doch nur, 
cr it ganz und gar von roja 7 ا‎ 
`. „ut faut ich mir Doc) vorftellen, wie die Königin: 
ausficht“, ſchwärmte cin ftumpfnäfiges Fräulein. Die 
Bürgermeifterin knirte und fchlittelte der Gräfin die zarte 
Niechte, als wolle fie das Gelenk auf feine Dauerhaftig: 
keit um. — 

Dan Sr fie iS in links tach ۴۸۵٥3 0 
zerrte Die ſchämigen, Duntelrot erglühenden Töchter vor, 
Frau Melanie Hubte bei deren Anblif, auch über ihr 
۱۱۱۱۱۲۱۵ ergoß ۹ verräterifche Slut, fie Hob den Fächer 


bis an die Mugen und Huftete fo Heitig, daß die Frau 


Bürgermeifterin im Begriff ſtand, allen Reſpekt verge] fend, 
fie hilfreich in den Nüden zu Elopfen. 


Der Graf ۶ den Arm der Gemahlin aud لد‎ == 


beforgt an fi, — ta legte fib der Huften, bie Gräfin 


(ächelte wie ein Engel und reichte Den jungen 7 
die Hand, mit dem ſcharmanten Kompliment für die Frau 
Mama: „Was haben Ste für friſche, bildſchoöne THehter- 
۱ oe Frau 7" 
er war beglüdter als dieje! ۱ 
“Und dant wurden Die nächitftehenden Damen vorge: 
۱ tel (t und ba3 gräfliche Paar hatte für jede bie gewinnend- 
sten Worte. ۱ | 
x Wührend deffen gab der Graf einen Wink, bab ber 
Tanz beginne, Er bot ber Bürgermeifterin galant den 
Arm, — die Gräfin legte mit graziöfen Lächeln ihre Hand 
auf den des Herrn Bürgermeifters und die große Polo. 
nije begann. Cie tanzen fogar mit!! 
wWie Enthuſiasmus ſchwellte es aller Bruſt, sefbit Die 
Mufifanten ſchmetterten {0 begeiftert darauf los, Daf 
Gräfin Niede manchmal ſchmerzhaft zufanmenzuckte. 
Das Feſt halle begonnen, und einen glängenben 
Berlauf. 
| Die grail hen Herrfehnften دشا‎ mit allen’ ۱2 
weſenden und dic Gnadenſonne ihrer Huld beftrahlte aus— 
nahmslos einen jeden, welcher fich in ihre Nähe wagte. 
Der Aſſeſſor fieberte! Die Gräfin tangte Walzer mit 
ihm, — der Apotheker und Affiftent klatſchten während 
deſſen alle anderen tangenden Paare ab, teils aus 8٥7 
Devotion, teils um ein Unglüd mit der Schleppe zu Derz 
hüten, welche die hochgeborene Frau zu allgemeinen 
Staunen felbit während der Rundtange nicht hoch nai 
| Uber — war ein Mordsterl, er machte feine 


t £ 


مت ےم نے 


Cache brillant, und ۴ nachher (00 von allen grbftes 
Lob ein. | 
„sa, mit 6006٤ tanzen!“ lächelte er blafiert — 


das will eben gelernt fein! Ich Habe lange Jahre in den 


großen Städten dazu Zeit gehabt!” 

Es war ganz augenfcheinlih, daß das Anjehen des 
Aſſeſſors mit diefem Tange nod) bedeutend ſtieg, and) 
Die anderen jungen Herren bildeten plößlich ein Streber- 
tum, — fie bemühten fidy im Schweiße ihres Angefichts 
zu zeigen, Daf auch fie Mut und Schliff genug beſaßen, 
eine Dame mie Gräfin Niedeck aufs 00116 zu unterhalten! 

` Der Tanz nahm feinen Fortgang, und während Frau 
Melanies Diamantgefuntel die Herzen und Ecelen im 
Saale in Zauberbande fchlug, febte {ih der Graf im 
Nebenzimmer nieder, im Kreiſe feiner Getreuen 1172 
۱۵1110106 Neden zu öffegen! 

Er hatte voll 767 Korbialität den Doktor - 
ait feine Seite gerufen und jchien eë ganz befonders darauf 


abzufehen, auch dicjen Herrn mit Leib und oS fie. ſich oe 


۱ ,۰ لاخ 

Bertehren Sie viel und intim mit meinem Better 
Willibald auf Schloß Miedeck?” fragte cr. - 

Der Arzt gog ein jauerfüßes Geficht: „Doch nicht, 


` err Graf!“ — verneigte er fich, „meine Bekanntschaft 


nit dem Majorateheren ift leider nur eine fehr ober- 
flächliche!” 

Rüdiger war ftarr. ‚Wie it das möglich? Der Arzt 
pflegt gewöhnlich auf dem Lande der vertrautefte Freund 


ہے و8 نے 


und Natgeber zu fein? — Aber ganz recht, ich entfinne [۔۔۔۔‎ 
mich, daß Willibald ftets eine Averfion gegen Ärzte Begte, 


ihre Wifjenjchaft verjpottete und fich lieber einen Quack— 
jalber von Wunderjchäfer holen نا ا‎ aujtatt elite Autori⸗ 
tät zu ۲0۱۵۱۱۱۲۸۳ 

Der Doktor lachte [dari auf. 

„Ganz recht! Der alte Schäfer Enfe ift Faktotum kei 
bem Herrn Grafen, falls derjelbe wirklich einmal ju Hagen 
hat, was äußerit jelten der Fall it!” a 

pour... bei Lenten feines Gei fteSanitandes Bilden 
ſich ja — kranlhafte Marotten!” nickte Graf Rüdiger 
traurig, „aber er ijt pod) Hoffentlich anſtändig genug, 
Shnen als Entjhädigung für jolche Nichtachtung ein 83 


Sahrgehalt zu zahlen, um Shr Anſehen i in der Stadt nicht 


1 2“ 


Das magere Geficht des Sefragten فا‎ allen ue کے‎ 


qrimm, welcher wohl jchon ſeit Jahren an dem armen, — 
finderreichen Jamilienvater ۰ 


nein, nicht einen roten Heller beziehe ich von ihn, 2‏ نار 
wie follte ich auch, da ich ja gar nicht nach Niedeck gez 2‏ 


Holt werde!” 
Rüüdiger war empört, außer Hd) „Sit es — 01 
ſoweit mit dem Unglücklichen gekommen, daß ihm jedes. 
Pflicht: und Ehrgefühl mangelt? Wenn eine anjtandig . 
Deitfende Familie auf tiene wohnte, müßten Sie ein 
fürftliches Salär beziehen, teuerjter Dottor! ein Salär, 


wie es Ihre hohen Kenniniffe einfach bedingen!” — 


Der Heine Landarzt ſeufzte tief auf und nickte troft- 


(03 mit den Nopfe, Dat fragte er mit ۰ 
den Mugen: ¿ie halten ihm wirklich Für a s: 
Gravee on ۱ 
` „Beri, Sie etwa nicht, lieber Doktor, der doch, als” 


Mann der Wiſſenſchaft feinen Zuſtand am beſten m 


teilen nn 
po © — „ich ۲ te tas Nachbar 
verlegen , — babe. ie ftet3 fiir einen Conderling ge- 
halten, — gu näherer 2 Beobacd)tung feines geiftigen Ruz 
jtandes habe ich (cider noch feine Gelegenheit gehabt!“ 
„Und bedarf ق‎ derfelben wirklich?” feufzte Rüdiger 
kummervoll auf. 
ار‎ ٥804016, alles, was man von meinem armen Better 
hört und fieht, ſpraͤche deutlich genug für feinen Zuftand. 


` Degeneriert! — Dies eine Wort fagt alles! 500011 CEE oe: 


feinen unförmigen Kopf an, — wie eine Waffermelone! 
Das fommt het den 7 9071 heraus.“ 

Der Bitrgermeifter lachte hart auf. „Sa, ja, das 
fieht cin Sind ein, bab es bei dem Grafen Willibald 
nicht mehr richtig im Hirn ift! Haben Sie ſchon von feiner 
neueſten Verrücktheit gehört, meine E 

Alle Köpfe haften وه‎ näher: „Nein, bitte, erzählen 
Sie? — 

pat, Der Herr Sa Hat ſich icht für i i fell 
Schaft geforgt! Es wird täglich für ſechs Rerfonen getocht 


und gededt. Dam geht Seine Hochgeboren hinüber in die 


Ahnengalerie, wählt fünf Porträts aus, diefelben werden 
in Das Kutſcherſtübchen gejest, und nun nimmt der Graf 


rl 


neben ihnen Blas, legt jeinen 1 Gajter 0 bor, 
jchenft ihnen em, — fpricht mit ihnen — —“ 

„Großer Gott! entſetzlich!““ ſtoͤhnte Nüdiger auf, 
„vollſtändige Gehirnerweichung! Man hat. derartige Gr: 
jcheimungen ſehr oft, ٤ Kalaſtrophen eintreten, wicht 
wahr, mein lieber Doktor, Sie fennen ےم کس‎ 
Fälle?!” 

Gewiß“, nidte dieſer ſelbſtbewußt, ‚bie Galante 
Encephalomalacia, bei Verſchluß der Schlagadern 3 
Bezirkes, kennzeichnet ſich durch langſante Abnahme b: L 
Seilteshälte” 

„Srokartig”, bewunderte der Graf, „vortrefflich bes 
wandert, Diefer Doktor! Ba, meine Herren, ich fürchte, 
2 DO werden wir uns auf ganz ul gefaßt 
machen miiffen 
1 wäre ja alles, was noch jeflte 12 

Dm haben wir uns das ۵ gefallen zu fafier ۳ 

u .. <. Was in meinen Kräften jtcht, um alles qut 
zu mache, was mein Vetter an Ihnen und der Stadt 
hier verfäumt, meine Herren, 101 0٤. Vor allen 
Dingen will ich much fofort perfönlic) bet dem Herzog 
melden laljen, um es í dap 9۲۱۵۵۱۱۵۱۵۵ Gar 
۱۱۱0۱۲ wand!” ۰. | | 

„QULI — Dutra! 

„D bitte, jubeln Sie nicht zu fril), meine Seibel 
Willibald Hat fehr viel ur dieſer Aırgelegenheit verfehen, 
indent er {ich nie für die Sache verwandt hat! Er, als 
Majoratsherr, hätte dem Herzog gegenüber ganz anders 


Ç‏ سم 


ss‏ چوس مھت 


energiſch vorgehen können, wie ich jebt, Der ja eigentlich 
gar nichts mit ber Angelegenheit zu thun hat. Geb fürchte 


auch, daran werden meine Bemühungen feheiten! Ja, — 
wenn ich Majoratzherr ware — oder für meinen minder = 
jährigen Sohn als Vormund fprechen könnte — 020۳۱۳ 1 


Atemlos laufchte man im ۰ 


Endlich ſtieß der Bürgermeifter heraus. Nun, get 


Graf — und könnten Sie denn نے‎ an jet 0 
werden?" 

Rüdiger ۶ die We: Bo lebt ja ۱ nn 
cile Herten? | 

‚Aber er 1۱ ۳ 

‚Sa, 80010, er ۱۱ 4 

‚Man muß ihn in ein Narrenhaus bringen und 1 

Cohn als Erben proflamteren, Herr Graf!” 

Das Cis war gebrochen, in wilden Durcheinander 
Hangen die Stimmen und auf Nüdigers fable Wangen 
traten zwei rote Flecken höchſter, — Erregung. 
Er feutte die Wimpern über bie Augen, um feine ver: 
räterifch aufblitenden Blicke zu verbergen. Bak feufzte 
er tief auf, ftrecte jählings dem Bürgermeifter und Doktor 


die Hände hin und rief voll fchmerzlicher Extafe: „Sa, 
meine Herren, fünnte man dem armen Geijtesfranfen Die 
Wohlthat anthun, ihn in eine Anstalt zu bringen, fo wäre — 


Miigerwies gerettet und könnte blühen, wachjen und ge 
Deifen zu einer Stadt erften Manges! — Nicht an mid 
denke ic) — ich habe ¢3 nicht nötig — fondern nur an 
Angerwies und feine Bewohner, wenn id) erflire — 3 - 


— — 


= SEET 
— — 





würde ein Gluck fein, ا‎ fönute men. 0 7 Vetter 
einem 6+ 1 werden!” 

„sa, ein Süd, ein Glück fir ihn und ums ۳ allie ۱ 
es ۲ Kreiſe „Erbarnen Cie ſich⸗ Ser Graf, bel fen ۱ 
oe ie, u es geſchehel⸗ ee ۱ 








I 


Wir nehmen night ein Herz mit ius ven Binnen, das nicht in 


Einftimmung mit unſerem lebt, und laſſen leins babinten, bas wicht — 


minit, taf uns Erfolg und Sieg bealeiten mag! | 
5 ۱٥٥۱۲۲۸ König ۵ VTE Aufz. 
Ein teuer Baris, meut Herr! 
۱ Komödie ber Irrungen. 1. 3 2, Sc. 


tire wunderfiche Veränderung war mit dem 1 
Angerwies felt Dem Kriegerball vor fich „gegangen. 

Der Sturm tobte im Wafferglas. 

` Feld ein Flüftern, Tuichel ıı und Naunen aller Eden 
und Enden! Welch eine wichtige Geheimnistramerct unter 
den Vätern des Städtchens und feinen Honoratioren! 

Biirgermeifter und 7 gingen aus amd ein bei 
Graf Rüdiger, 1 8 ۶٤ hatte dent s a ber Herren 
mir iu wehren. 

Bor allen Dingen ا‎ fiber die ganze Angelegenheit 
tle] ites Echweigen beobachtet werden, meine Herren!” be 
fahl er {ebr nachdriiclich, „ud namentlich über den Plan, 
welchen wir entwerfen wollen, um die Sache möglichſt 
bald und ohne viel Aufhebens zum Abjchluß zu bringen! 
Sie künnen nicht verlangen, meine Freunde, daß ich mich 





— 70 — 


 perfönlich fompromittiere, wenn ich für Ihr Wohl zu Felde 
ziehe, — für Ihr Wohl, lediglich für das Ihre, denn Sie 
wiffen, daß ich nicht bie 1 Intereffen an dem Majo- 
rat habe; ob eë mein Sohn ein paar sabre früher oder jpäter 
befißt, ift ja völlig gleichgültig. Alfo nur Ihrem 60 
gilt eë, wenn ich mic) Ihren 901 füge und die fatale 
ا‎ in die Hand nehme! Darum erjuche ich 


ا auch, fic) blindlings meinen Anordnungen zu fügen‏ ما 


und tiefſtes Schweigen über ۵۱0۱۵۱00۲ zu wahren!” 


Die Herren gelobten es voll fanatifchen Eifers, und. — 
ihre Bingen floſſen über von eitel Lob und Preis, gab 

eë dod) wirklich nichts Nührenderes und Selbftlofere3, ald... 
das Handeln Graf Nüdigers, welder als edler Menfihen بب‎ 


freund dem armen, vernachläffigten Städtchen zu Hilfe fam. 


Die Bürgermeifterin hatte anfangs den Kopf gefchüttelt. a کک‎ — 


Sie war eine Frau von geſundem und klarem Urteil und 
kannte bis pato fette Selbftüberhebung! wore Würde 
war groß genug wd genügte ihr. ۱ 

Ich begreife die ploglicje Unzufriedenheit der Anger— 
wiejer nicht!” fagte fie. „Wir haben ja bisher glücklich 
und vergniigt gelebt und nichts darnach gefragt, ob Braj 
Willibald verrückt fet oder nicht! Wir haben قہ‎ uns 
auch Früher nie im Traum einfallen lafferty, zu verlangen, 
daß der men schenfcheue Mann an unferen Bällen 1 
jolle! Meiner Anficht nad) war unfere Einladung eine 
ungientlide Keckheit, und Daf die der Graf ablefnte, hat 
mich weder überrafcht, nod) beleidigt. Was aber ift um 
alles in der Welt plöglich in euch gefahren? Kein Menſch 


will fich mehr begnügen! We wollen: mehr verdienen, 
wollen höher hinaus, wollen Dinge verlangen, Die 1 
felber zupor wicht im Traum eingefallen find! Gerade 
alg ob der Hochmutsteufel und die Geldgier euch alleſamt 
ergriffen hätte!“ 

Der Bürgermeiſter antwortete grob und erregt, „Das 
verjtehe He nicht, und Die Weiber hätten ihren ا‎ ugen Nat 
für fi) zu ۳ 

Da jchwieg Frau Lieschen achjelzudend, und ihr Gatte 
ging in Die „Stadt Hamburg”, um Hd dort die Seele 
frei zu ſchimpfen. Nächiten Tags fuhr die Frau Gräfin 
bei der Fran Bürgermeilterin bor und machte diejer einen 
langen Beluch, ein jo fabelhaftes Ereignis, daß die Straße 
bpr dem Haus gedrängt voll Neugieriger {tand und Frau 


Lieschen feine Kleinftädterin und fein Weib hätte fein 


mitfjen, um fold eine Auszeichnung faltblütig aufzunehmen! 
Sie glühte vor Stolz und Genugthuung, und die Gräfin 
fprach mit weicher, einfchmeichelnder Stimme fo unglaublich 
liebenswürdige Cader, daß die einfache Frau Hd Schon - 
aus lauter Höflichkeit davon überzeugen lafjen mußte. 
„sa, vorwärts ftreben! nicht immer am alten Zopf 


hangen jondern frifch und energijd neue Beſſerungen 
q | ü : 


‚alter Zuftände erreichen wollen! Es ift nicht mehr zeit- 


gemäß, im verjährten Schlendrian einher zu trollen! Cine 


Stadt muß aufjblühen, wachſen und gedeihen! Flottes 
Militär muß nach Angerwies fommten, damit die vielen, 
reizenden jungen Mädchen flotte Tänzer und ſchmucke Ehe- 
Gatten befommen!” — 


Bei Dicen Worten erglühten die drei Töchter in ۶ 
iten Hoffnungen und Frau Lieschen nidte Tächelnde Qu: 
ftimmung. — Sa, Männer für ihre Töchter, das war in 
dem Heinen Angerwies, das fo reich an Mädchen und 
arm an Heiratsfandidaten war, der wunde Punkt, ۲ 
jedem Mutterherzen fchlaflofe Nächte bereitete! Wenn diejer 
Kalamität Abhilfe geichaffen werden könnte — جز‎ ۱ 
Dann wollte die Frau Bürgermeiſterin gern zu allem Ja 
und Amen ſagen, was die Männer planten und erſtrebten! 
Sie zeigte voll ftrahlenden Stolzes der Gräfin die (۰ 
tigen Holztruhen, in welchen alle 8:110٤ AUT 
Ausftattung der Mädels bereits fir und fertig lagen, und 
Frau Melanie necte die jungen Damen fo entzüdend 
ſchelmiſch mit den künftigen Leutnants, Dağ ¢3 die Det 
vatsluftigen Schönen wie ein Kontera] erfaßte. 

Die Gräfin hatte faum die Hausthür Hinter ſich, als 
die bürgermeifterlihen Damen mit glühenden Wangen 

Schon nach allen Windrichtungen davon flogen, die felige 
Verheißung von künftigen Freiern zu allen 007 
۱ zu tragen. 

Und weiter verlangte ja die Frau Gräfin nichts. Die 
anderen Mütter und Töchter dachten: „Wenn Bürger: 
meiſters einen لئ‎ fapern, Daun fällt für uns wohl 
auch noch einer ab!” und damit war das Signal gegeben, 
daß bie Damen am cifrigiten und energiſchſten auf einen 
neuen Wajoratsherrn drangen, welcher der Stadt für 
Garuijon forgte. x 

„Was aber die Grau will — das will Gott!” fagt 


Die geheimnisvollen Beratungen in dem‏ مت 
Heinen Privatzimmer der „Stadt Hamburg” wurden immer‏ 
lebbafter, bis fie nach drei Tagen ihren definitiven und‏ . 
feierlichen Abichluß fanden. Man ſchüttelte Hd) in trener‏ 
VBerbrüderung die Hände und gelobte fic), friſch an das‏ 
Werk zu gehen. Es ward folgendes befchloffen: „Stehrte —‏ 
S jebt Graf Nüdiger in die Nefidenz zuriick, fo ward er‏ 

von num an mit bittjchriftlichen Briefen der Angerwieſer 
beſturmt, den unerträglichen Zuftänden ein Cude zu machen, - 
belche ihr geiftesfranter. ہت‎ auf Niedeck über 

fie heranfbejchwor. x 

Dieje Briefe follten Graf Wil (ibald in all feiner Ber: 
rücktheit Schildern, follten ihn alles defjen anflagen, was. 
er verabjäumte and burd was er die Gemeinde Anger: 
wies in ihren wohlberechtigten Forderungen fchädigte. 
Detr Aſſeſſor ſollte die Sache recht geiſtreich und ge— 
ſchickt, mit allen Chilanen eines ور‎ aus. 
Hügeln. | 

Auf Dieje Drive hin le (ral 9lñbiqer alba ۱ 
feinen Antrag auf Entmimbigung bei dem Amtsgericht 
) 1. 

Als Sachverftändiger jollte der Doktor berufen werdet, 
bie Zeugen follten Durch den Bürgernieifter und andere. 
wohlgemeinte Perfonen geftellt werden. Ganz +85 
aut fich ja basu meiden! | 
Was die Dienerfchaft auf Nieded anbelangte, fo 46 

beizeiten Dafür geforgt werden, Diejelben Den Anfichten — 
amd Miinchen der „Berfchvorenen” geneigt zu machen! 


— BO = 


Der Apothefer wiegte bedenflid) den Kopf. „Diele 
Bagage fünnte zum Stein des Anſtoßes werden”, jagte 
er fleinlaut, „ihnen gefällt das zuchtlofe Leben unter dem 
verrückten Herrn, welcher fie schalten und walten läßt, wie 


es ihnen beliebt! Sie werden mit einer Anderung der Bers 
hältnifje am wentgjten einverftanden 77 

„ah!“ polterte der Afjeffor, „te können doch ۶ 
(andbefannten Verdrehtbeiten nicht ableugnen, und auf 
Diefe fommt es hauptjächlich an!” 
Das wohl, aber fie fönnen vieles befepönigen, weun 
a fie wollen!” 
ase nut, man muß eben — ſie auf dieſe oder 
jene Weiſe zu gewinnen!“ zuckte Graf Rüdiger die Achſeln. 
„Sch denke mir, die Gagen werden bet dem Geizhals 
Willibald nicht allguhod) ausfallen, der künftige Majo— 
ratsherr bewilligt He in doppelter oder gar ۶۳۲س‎ 
Höhe!” 

Wortrefflich, Herr Graf, das wird 74 

Ich überlaſſe Ihnen plein pouvoir meine Herren, 


oder jene Zugeftändniffe zu machen, welche Sie int‏ زو 


Intereſſe der Cache für nötig Halten“, fuhr Niüdiger 
gleichgültig fort, „ich bin fein Knaufer und gönne ger 
jedem das Eeine, Und nun wollen wir diefe leidige Anz. 
gelegenheit hiermit erledigt fein faffen und recht vergrügt 
noch) ein Glas Wein zufammen trinfen! Ich bitte Sie, 
‚meine Freunde, gu Galt und leere das erfte Glas auf 
‚ein „Gut Gelingen!” Man that voll aufgeregter Freude 
Beicheid; der Wein perlite in den Gläſern und in ben 


6 


Rov., Der Matoratsberr I. 


u, 


truth, SU. Nom, 


Eid 


p 


N 





سو وو نے 


Köpfen ſpukten — fte e Bilder von einer finftigen 2 
befferen Beit! 


Mod) einmal 0+ bas gräfliche Paar alle سط‎ aoe 


Durch bezaubernde Liebensmwürdigfeit, dann nahm man 
Abjchied, aber man lächelte dabei ein 1 fiegesf freudiges Auf 
_ 0 ۳ 

Am 1144016611 Morgen holperte der Hotelommibug aber: 
mals vor die Thür, um die feltenen Neifenden zum Bahn: 
Ho} zu bringen. Der Aſſeſſor jtand mit einem Strauß an 


Der Wagenthiir. Gs war ein Meifterftück des ty gerwiejer = 
Gärtners, welcher jeine ſchönſten Bl umenftöde geplündert 
hatte, um dieſen Abjchiedsgruß zu ermöglichen. Es war — 


fire die Gräfin! Da that er es mit Begeifterung — denn 
die hohe Dame Datie mit feiner Frau auf dem Strieger- 
ball gefprochen und feiner Zochter jogar auf den Fuß 
getreten, — fo dicht: [tand fie ami ichen ihnen! Die halbe 
Stadt war auf den Beinen, um die gefeierten Meni cher: 
freunde nod) einmal zu feben. 

Man rief Hurra! ſchwenkte die Tajchentücher und 
etliche Damen ۹۷ jogar, weil fie es für vejpektwoll 
und ſchicklich hielten. Ç 

Die Herrichaften grüßten und winkten mit dem. Aus- 
druck größter Herzlichkeit und Innigkeit nach allen Seitert 
und der Abſchied von an hatte etwas geradezu 
rührendes! 

Es war auch ۶6 و‎ flix Die bicderen 1 
Sie hatten in Diejent zwölf Tagen mehr verdient, mic fonft 
in Sa ait Das war eine ےت‎ we =: 


ee‏ وھ 


die „Stadt Hamburg” für وہ‎ 200 Dem gräflichen 
Paar verpflichtete. | 

Und nun gar die Hoffnung, dieſe M تہ‎ Dauernd 
auf Nieded zu wiſſen — nach wie vor in Wigerwies freund- 
ichaftlich verfehrend — nah Adam Niefe war Vater 
Simmel dann jehr bald for ein gemadter ۲ 

Koch eit lete Lebewohl und nielfagendes Auf 
Wiederjehen!” dann ſchwankte der gelbe Kaften ۷۱ 
nach vorn, fette [id i in Bewegung und rumpelte dic Strafe 
entlang. 

Die Straßenjungen gaben jelbftnerftändtich das Ge: 
feit, und der Graf jchüttelte als [ebte Menjchenfreundlic)- 
feit fein Portemonnaie unter fie. Da gabs ein unendliches 
Gejohle, Gebalge und. Gepurzle und während alle Welt 


\ dieſe Freigebigkeit مزا ےم‎ ber. Omnibus 
` Der Blicken 


AS ſich auch Der Abſchieb bon Gottlieb und S Schröder. 
mit aller Iubrunft vollzogen — man jtredte der Gräfin 
im berma der Freude über das fürftliche Trinkgeld 
wieder und wieder die Hand zum biederen Drude ent 
gegen — Schloß fich endlich die Coupéthür erjter Mlaffe 


hinter den Neijenden. Mit einem Seufzer, welcher einem 


Aufitöhnen glich, ſank die Gräfin in die Polfter zurüd 
und auch ihr Gemahl warf ſich wie ein Erlöfter in die 
Ede nieder. ۱ 

„Bott fet Dank! das ware 106۲1101100111۳۲ Die Gräfin 
ftreifte die perlgranen Handjchuhe ab und jchleuderte {ie 


mit einem Ausdruck des Ekels von fich. “Pfui! wie viel 
_ — و جو‎ as — 


— 84 = 


Schinierige Raffern haben fie gedrückt! Zu allem DDerz 
fluß auch noch Diefer ungebildete Hausfnecht! Riidiger, 
es war entjeßlich, Dieje schn Tage haben mich Nerven 
gekoſtet!!“ 

Der Graf ftrich langſam mit dem eleganten Taſchen— 
tuch über die ۰ | 

„Ich hoffe, mein Kind, fie haben mehr eingebracht 
wie gefoftet! 884 gebe zu, Daß Diefe Beit in Angeriies 
eine ۲۵ 0746 für Dich fowohl wie für mich و‎ 
wejen it aber du weißt, um yas es fd) gehandelt hat, 
und weißt auch, was wir hoffentlich erreicht haben. Sm 
iibrigen mache ich dir mein stonpliment, wie meiſterlich 
du deine Rolle geſpielt haft!” | 

erſten Schauſpielerin 6001 Du Konkurrenz‏ لور 

machen! G8 wird jest manch ۸ ٤ Erinnerung für 
uns geben, wenn wir an den Gliteball des Sirieger- 
bereit Denfen! Halt du 0222 mit Frau Simmel 
Schweiterichaft getrunten 2“ 

Frau Melanie lachte leife auf. „Spotte nur, sche 
dich ſchon in Zukunft Arm und Arm mit dem Herm ۰ 
thefer und Auditeur durch die Etraßen von 98 
wandern! Und das erite Diner, welches wir auf Nieded 
geben, wird eine außerordentlich buntjchedige Gejellfchaft 
aufveilen, falls bu wirklich die horrende Idee haben ſollteſt, 
dieſes Krähwinkelvolk auch tinftighin als سر‎ Hür 
gang für uns zu erachten!“ 

Graf Nüdiger entzündete eine Cigarrette, jem 007ا‎ 
۱0۲۵۱۵168 Geficht hatte die Maske fascinierender Liebens— 





RB = 





mwürdigfeit abgelegt und ۵ den Ausdruck ود‎ 


ae 1. 


0 لا id) dente, ma chere — wenn wir‏ — سرت 
wir nod) das‏ بت lich Befib von Niedeck ergreifen,‏ 
letzte ۲ Bringen und Die Singer, — welche Die Raz‏ 
ſtanien für uns aus dem Feuer holen werden — zum‏ 
Dante etwas fchmieren! Cine Mafienabfütterung muß‏ 
ftattfinden. A untjere lieben, guten Angerwiejer Freunde‏ 
werden Dann für einen Tag den ſüßen Traum träumen,‏ 
als intimer Verfehr in Schloß Niedet aus und ein zu‏ 
schen! Ochſen und Maftvich liefert ſelbſtredend Herr‏ 
Simmel — und was fot notwendig. ift, wird aud) aus‏ 
Des guten Uberganges wegen! Dann‏ . 000 905 
befommft bu einen hartnädigen Katarıh und ich forge ba:‏ 
für, dah unjer neuer Hausarzt dir cine Reife nad) Dert‏ 
verordnet. Bis dahin habe id) bie Pachtverhalte‏ 21801 
je der Beſitzungen geordnet, und nach ۲ kurzen,‏ 
aber glänzenden Gajtrolle reifen wir ab — nad) Stafien.‏ 
Vann werden Gründe jeil wie Brombeeren fet, um für‏ 
die Zulunft einen längeren Aufenthalt in Niedeck unmög—‏ 
zu machen,“ | ۱‏ 
„evi, falls du nicht nod) das Aſſ [7 11‏ 
DUI -‏ 
„Slaubjt Dil, ma clere, bak ich noch als Majorats-‏ ۱ 
herr Eramen machen werde 27‏ 
nicht?“‏ ة Cie fab überrafcht auf. „Du willjt‏ 
Er lachte hart und rauh: „Nein, dann habe ich es‏ 


— ati mich als Laſttier noch ferner in das Joch zu ſpannen, 


dann haben wir «3 ja gültigen aus A mehr 
nötig! 1 x 
yey, bantu ‘outlet wir frei ein ۳ ume all Me— 
lanie hoch auf. „Dann haben wir ja feine Zukunft mehr 
zu fürchten! Aber warum noch fo viele Umitinde mit 
dent greulichen Kaffernvolk in Wngerwies machen? 71 
‚der Mohr feine Schuldigfeit gethban Dat, mag er dod 
gehen!” 

Er zudte die Achjeln. „Se nun, darüber können wir 
ja immer nod) bejtimmen, aber bu weißt — noblesse راہ‎ 


lige — und nun, was jollte aus deinem Anbeter Bare 
111116 werden, wenn 6٤ N ue 10 ODE 01 
wollte 2’ 


Die Gräfin lächelte: تشر‎ teurer Eonsenburgit mofierte 
jie fich, nach feinem Bouquet greifend, „dieſes ۲ 
drückt feine (yriichen Gefühle aus! Gelbveiglein, 2 
rin und 98000011 Co ganz der Abalanz der 2 
dernen Refidengitadt Angerwies! Man fann Doch un: 
möglich verlangen, daß ich mich mit dicjer heilloſen Kuchen: 
papiermanfchette zu Hauje lächerlich mache!” und die ۵ 
Hand jchleuderte die Blüten, welche mit jo viel Liebe und 
Bartlichfeit gepflegt und fo viel warmherziger Begeijterung 
geopfert waren, crbarmungslos zum Feniter hinaus. | 
‚Apropos — willft du wirklich Garnijon nach Angers 
wies verurteilen? Das wäre perfide gegen die Unglücks 
leutnants!“ | 
NRuüdiger (achte 750 — Aber Kind, das ijt 
ja überhaupt ein Ding der Unmöglichfeit! Es gehörte 


88 < 


Die ganze Naivetät dieſer N وت م تل‎ bagi, um I 1 
ein ſolches Märchen zu glauben ° 

Arme Bürgermeiflern! Ste 01ھ‎ Ion die Braut 
fleider !!” 

‚äh nicht, liebes Mütterfein, am roten — 
Na die Holden Mägdlein können ja die hochzeitlichen Ge— 


wander zu unſerem Einzuge auf Niedeck anlegen! Mun 


aber zieh andere Handſchuhe an, Tenerjte, ber Zug pfeift! 
Bir müljen in Su (۱ !⁄ ۱ 


— 

Dämmerung lag über dem mächtigen Schloßbau von 
Niedeck Uraltes Gemäuer baute $d, trefflich erhalten 
zu Türmen und Zinnen empor, epheubewachſen und grün— 
bemooft, wie es feines Malers Phantaſie idealer und poe- 
tiſcher hätte erfinnen fünnen. An den eigentlichen ,, Urban” 
— dem älteften Teil, welcher auch noch den Namen „Burg“ 
trug und wie ein trubiges Felſenneſt auf der hächſten 
Spike des bewaldeten Berges thronte, hatte faft jedes 
ſpätere Jahrhundert einen neuen Schloßteil hinzugefügt, 
und jo war schließlich ein qang eigenartiger Komplex von 
Schloßhöfen, Seiten. und Querflügeln, Türmen und Ere 
fern entftanden, Das gab nicht nur ein jehr impofantes, © 
ſondern auch ein recht originelle Ausfehen, und darım 
war Schloß Niede auch im ganzen Lande alê einer der 
großartigſten und feudalften Herrenfite befannt. 

Die legten Connenftrahlen hatten in den unzähligen 
genftern aufgeglüht, hatten den mächtigen Sau, welder 


E TEDSTER PALL ov ef ERR 1 





x ana وی 7 — ما‎ = 90 
— 
¥ * 


in — عامس‎ Tube, gleich dem verjaubecten اما‎ 
des Dornröschen da lag, noch einmal märdhenhaft per: 
golbet, und waren ban — den hochragenden Tannen 
= zůr 91106 gegangen. 

Graf Willibald fap dalam und Schweigend in dem 
niederen Kutſcherſtübchen, wi er fi zum Wohnzimmer 
auserwählt hatte. x 

Hart über dem el ſenabhang — bot das blei— 
gefaßte Fenſterchen einen herrlichen Fernblick über Die 
Thalebene mit dem maleriſch zwiſchen grünen Wäldern 
gelegenen Städtchen Wngerwies, über die ſich feruhin Debs 
nenden Hiigelfetten und das blitzeude Flupband, weldjes — 
fic) it fraujen Linien zwifchen ihnen hervor jchlängelte. — 
Seitwärts aber fprang der Schloßberg mit fchroffer 
Ede vor und gewährte den Aublick auf den alten Burge 
teil, welcher in ۳۲ vollen 671 Schönheit einzig 
von dem fleinen Fenſter des 5 zu ſehen mar. 

Und Graf Willibald lichte diejen Anblick über alles. 

Kein Fenjter des ganzen riefigen Schloffes zeigte fo 
viel landichaftliche Schönheit, wie dicje bleigefaßten € det 
ben, und 7 fragte der einfame Majpratsherr nicht 
lange, ob ¢3 närriſch jet oder nicht, wenn er all die weiten, 
büfteren, troftlofen, leeren Säle verlieh und hierher in 
das poetijchite aller Schloß wintelchen überfiedelte, | 

Un auch) jet | jaf der Graj in dem bequemen, afte 
modijchen Lederfe} jet an feinem Vieblingsplagden und blidte 
01. hinaus in die Land Ichaft, über welche 
der Abendfrieden feine 00117 و‎ breitete. 


NESE: Epes 


Um die ٤ freiften bie Elftern und fudten "7 
ihre Neiter, von der Stadt herauf Hang das Abendläuten = 


und fern ber, von dem Eifenbahndamm bligten die eriten 
Lichtchen empor. Graf Willibald ſtützte den unjirmigen 
Kopf in die Hand und feufzte tief auf. Er liebte Die 
Dammerfiunde fo fehr — aber fie liebte ihn nicht, fie 
quälte ihn mehr denn jede andere Zeit mit einem fehnfuchts- 
vollen Weh, gegen welches er fchon jo lange, lange Jahre 


verzweiflungsvoll anfämpfte, ohne doch feiner Herr werden — 


zu ۲ 7 
Wie verlaffen und verloren ftand er inmitten 7 


toten Neichtümer, in einer fremden, 00ا2‎ ame 


jtandenen Welt! 


` Glüdlid) fein! — weld) ein traumhafter Beri j 1۳ gut : = 
Und doch Hatte es einft eine Heit gegeben, 0 Qu. 


er glücklich ۷ 


Aber Diele Beit lag weit zurüd, fo weit wie ۰ 


goldene, ſorgenloſe Kindheit! 

a, da war er glücklich, als die Mutter ihn noch auf 
den niem wiegte, als fie fein armes, häfliches Haupt 
voll zärtlicher Liebe zwiſchen dic tantan, edelfteinfunfeln- 
den Hände nahin und ۱ 

D, wie weit und glücjelig war da fein Herz! Da 
liebte er Die 2 2,2 auf Mamas Schoß ۵0 
ſehnſüchtig tief wie jebt سے‎ damals aber jtillte fie noch 
۵۱0۱6۵ Sehnen dure) die treucfte Liebe, welche es gab, 
während er heute einfam, mit bfutenden Herzen zum 
Himmel blickt, oft ſich le in تا‎ > e) سے‎ 


oft verbittert, grillentaft, zornig mit dem Schickſal, mit 
Welt und Menfchen habdernd! 

Warum blieb eë nicht immer fo wie damals? Warum 
nahm ihm der Tod das einzig Liebe, was er noch bejaß, 
feine Mutter, nachdem auch der Vater von ihm 7 

Da fing fein Elend an, fein namenlofes ۰ 

Man nahm ihn fort von Nieded, man brachte ihn in 
das Haus des Onkels, feines Vormundes. Dort follte 
er mit Vetter Rüdiger sufammen erzogen werden, obwohl 
er um Jahre älter war wie dieſer; daß er dieſen Namen 
nie gehört — dieſen Knaben nie geſehen hätte! — 

Der Fluch feiner Jugend hieg Rüdiger! — 

Graf Willibald ächzt auf bei dem Gedanken an die 
Qualen, welche er durch ihn erbuldet. Er pret die 
 mageren Hände frampfhaft zufammen nnd ftarrt hinaus 
in die Schatten, welche fich tiefer und tiefer über das Thal 
breiten. Die Thüre hinter thm öffnete fich, leiſe, ſchlurrende 
Schritte nähern fd, ein gebeugter alter Mann in Livree 
bleibt Hinter dem Stuhl des Grafen u Willibald 
wendet: anßzuckend den Kopf. 

Was gibt es, Ruhnert 2” 

Reine Antwort. Nur ein leijes Geräuſch, als ob ein 
Menſch gewaltſam gegen die Thränen anfämpfte. Der 
Graf erhebt Hd) und tritt neben Der Kaſtellan 

Kuhnert!“ ruft er entjeßt und fat beide Hinde des 
Alten, ,۸ ۸۰٢٢ | x 

Über die eingefallenen Wangen des 03 اون2‎ 3 
feucht. Er pret die Hände des Grafen und fink allen 


za کے‎ 


Reſpekt vergeffend auf den Stuhl nieder: „Mein armer, 
armer Herr!” flingt e3 wie ein Aufichrei von ſeinen Lippen 
poprid, Kubnert — ein Unghie? 1” — 

Der Alte beißt die Zähne zufammen und fchüttelt wild 
den Kopf. , Mehr a (3 das, Herr Graf! ein Verbrecjen!” — 

„lmächtiger Gott! Í jprich’s aus!“ — 

„Straf Rüdiger — it 

EEE! = ma... DOB . . 7” 

Ach Herr Oral — eS ijt zu biel der کت‎ 

Willibald richtet fib hoch auf, fein Auge انام‎ 

ESprich!“ — ringt es Hd rauh von feinen Lippen. 

Der Alte umffammert mit bebenden Händen den Art 
۱6۱1168 Herrn. x 

„Sie müſſen fort von t bier, Herr Graf!” — 

„sh? Nicht um die Welt!” — 

„Sie müflen! — bei Gait, mein armer, armer Herr, 
Sie miiffen, fonit . x | 

Eonſt bringt man فی‎ fort? In bie Kapelle drüben?“ 
رن‎ Willibald bitter hervor: „Mit Gift oder 47 

‚Nicht in die Kapelle . . .“ ۱ | 

„Richt? ... Wohin denn ۱۵۱۱۶ 

In 39 Serio, Herr Graf!” — 

Tiefe Stille — leichenblaß, requngslos steht der Majo- 
ratsherr von Nieded, Geſpenſtiſch ſtarren jeine - Augen 
aus dem Dunkel. Dann 0 ein gellendes a von 
jeinen Lippen. ۱ 

„sn 8 Srreujaus! Bravo, Ritdiger | der Ban ift 
eines Teufels ا‎ Er wendet ſich und fdjreitet lang⸗ 


— Ó ہے‎ 


fam im Zimmer auf und nieder, dann bleibt er vor dem 
Alten Stehen, legt die Hände auf feine Schulter und fagt 
weich und herzlich: „Du treue, brave Eeele! — erzähle 
mir, was du von der Sade gehört haft!” — ۱ 








۳1-1 


2 


Sch habe Berrat fief haffen gelernt und weiß O 
fein i, bag وط‎ mich erfüllt mit Abfhent- - 


SE‏ == رها 


re rat Willibald zog einen Stuhl heran und ume 
Ar Ichlo feine Lehne krampfhaft mit den Händen, 
als juche er einen Halt, um nicht bei dem llu: 
۱ ےت‎ mas er hören jollte, umzuſinken Kuhnert 
aber erhob fic) mit zitternden Ruien und Strich das "0 
aus der feuchtperlenden StH. 
را‎ Herr Graf!” jammerte er, „es it ja nicht zu 
glauben, daß ein Chriſtenmenſch jo schlecht, 0 fündhaft 
Handeln fann — und nun gar das eigene Fleiſch und 
Blut, der leibliche Vetter des Herrn Grafen!” — x 
Der Majoratsherr lachte abermals heiſer auf, der. 
alte Mann aber fuhr fchweratmend fort: ,,Da ijt er hiers 
her gefommen, hat fi zehn Tage fang init der Frau 
Gemahlin in der Etadt Hamburg einquartiert und nun. 
mit allem Gorbedacht und aller Lift eine wahre Menterei — 
unter den Leuten angeftiftet! — O, du mein Heiland, wie 





— OG = 


fieht es bei den fchlichten, braver Angerwieſern aus! 8 
ob der Teufel los wäre — und als ob unfer quter Herr 
Graf die ganze Gegend ms Unglück brächte! — Verrüct 
wäre der Herr Graf! {agen fie, er gehöre in das Narren: 
haus, und der Herr Kammerjunfer Riidiqer, der fet der 
wahre Majoratsherr, der gehöre hierher nach Nieded! 
Natürlich hat er felber ihnen das eingeblajen — ach wenn 
man hört, wie e3 bie Herrichaften getrieben haben! — 
An den Wirtstiſch ‚haben fie fic) geſetzt und ſich schier 
auf ‚du und du‘ mit allem Krämervolf geftellt, — md. 


‚die Fran Gräfin hat 0 u bei den تہ تس‎ 


gemacht.” — 

Frau Melanie in فدہ نل9‎ Rifiten gemacht?“ unter: 
brach Willibald und ſchlug die Hände über dem (۲ 
zufammen, „Die arrogante — hochmütige Berfon, welche 
ihresgleichen wie Schmutz an den Füßen erachtet, feit es 
ihr glücdte einen Grafen zu freien?” — 

„Die find bie jchlimmiten, Herr Graf!” — nidte 
Stubnert mit emer verächtlichen Handbewegung, „pie 
jchämen Hd) vor ſich felbit, daß fie in einer bürgerlichen 
Wiege gelegen, wenn Die Wiege in dem Haufe 
eines joldjen Slüdsritters und ‚Sründers‘ geftanden, wie 


der alte Bourlier einer ift!— Na — das ift j ja feine eigene . oe 


Sache! — Aber die Vifiten der Frau Gräfin find nod) 
nicht dag ſchlimmſte, was jagen der Herr Graf wohl dazu, 
daß die beiden Herrfchaften auf dem Kriegerball erichienen 
find, — eimerfeitS wie die Fürften auftretend und dann 
doch wieder die demofratijche Verbrüderung mit jedem 


er MS Geb OT‏ نوبز 
"mi wu, 1‏ 
ee‏ وم 0 š wi‏ 
می { 





Mv. CTE truth, I. Mom. w. Nov, Der Maioratebere T. 7 


En 


Gevatter Schufter und Schneider — fogar getanzt Rat ہت‎ 
die Grafin — —.” Willibald hatte den Kopf vorgeſtreck ح-تے‎ 
als höre er nicht recht, jest fant er mit fehallendem Ge ° | 


[ächter auf den Stuhl und prepite Die Hände gegen Die 
Schläfen. „Diefe Poſſe ijt ja Entree wert“, rief et mit 
ſchneidender Stimme, „bei Gott, Die abelftolzen Leute 
haben fich das Majoratsrecht teuer erfauft und ٤ 
ihres Angeficht3 darum geworben! — Die Gräfin Melanie 
tanzt mit den Angerwiefer Aderbürgern!! Nun jollen Daz 


> für die armen Schluder wohl auc) gehörig nad ihrer 


reife tanzen!‘ — > 
Thun fie Shen, Herr. Graf! thun fie jchon, wie 
bie Dreffierten Pudell Der Herr Kammerjunter hat fie 
in zehn Tagen gut abgerichtet, — fo zu jagen „auf den 
Mann dreffiert“, num. fallen fie, wie die Bluthunde den 
eigenen Herrn an; dafür hat der Herr Graf ane auch ۱ 
das Geld mit oe Händen ausgeftreut . ۱ 

hat er denn plötzlich Seh? :‏ 0090۲ — لت 


Bor vier Wochen wollte er doch nod) eine Anleihe machen ۱ 


und jdjrieb, das Mefjer jake ihm an Der Keble! Der 
reiche Echwiegerpapa bantrott — die unerjchöpfliche 
Soldquelle plöglic verfiegt — hm... Sie mare Dod) 
wohl wieder!“ 

Der Kaftellan fchüttelte den Kopf, das Cilberfanr 
leuchtete durch bie Dunkelheit des Stübchens. ۱ 


9 „Daun würde er wohl nicht ein folch gemagtes Epil 
ſpielen und Nieded auf dem Wege des Verbrechens m 


fich reißen wollen!“ — 


š — 99 — 


„Er ſpielt fein gewagtes Spiel! Dazu it mein Heber 
Vetter viel zu ſchlau! O ich durchichaue jeinen Plan! 
Die Bürger von Angerwies füen und er erntet, — Wenn 
es wirklich möglich fein follte, was du ſagſt, — — 
ich kann es ja nicht B0 eS wäre ja zu PONDS 
jo unjagbar teufliich — 

„&3 it jo, Herr Graf! bei Gott es ۱۱۱ jo! und baru 
müſſen Der gnädige Herr morgen in aller Frühe fort bon 
hier, damit Sie der Meute aus den Zähnen 71 

Sch hab's ja auch nicht glauben wollen, aber der Apo- 
thefer hat es unferem Johann flar ins Geficht gefagt: 
„Der Antrag auf Entmündigung des 11 Grafen fei 
jchon bei dem Amtsgericht geltellt worden! Ganz Anger: — 
wies zeugt gegen den Herrn Grafen; und uns bier, Die 
Dienerſchaft von Niedeck wollen fie auch beftechen, dah 
wir uns auf ihre Seite ftellen — Gott im Himmel möge 
es Strafen — doppelten Lohn würden wir vom Graf Rüdiger 
befommen, — und darum jollten wir es doch mit ber 
‚neuen Herrſchaſt halten, denn der jehige Majoratsherr 
jet Schon jest fo gut wie ein toter Wann!” — Der 
Sprecher ſchlug die Hände vor das greife Gefiht und 
schluchzte feije auf. „Es Steht ſchlimm, fehr ſchlimm, lieber — 
guadiger Herr, — der Doktor unten aus der Stadt ift zum 
Sachverjtändigen vorgejchlagen — und wir willen ¢3 ja, 
daß der Quacfalber Ihnen nicht grün gefonnen ijt!” — 

Willibald jchritt wieder mit heftigen Schritten ut dem 
S Heinen Raum auf und nieder! Sein Atem ging feuchend, 
feine Hände bebten 


— 100 — 


„And du glaubit, ne bies ie 709 ej — 


heit ift, Kuhnert 7 — ee 
„Sch beſchwöre eë ‚ Herr rat. تر‎ 


„was follte nur über eine Abreife ui ben? Das, 3 Se 


fie an mir verrücdt nennen, ijt befaunt und wird von 
meinen 77. beftütigt werden |” 

„Semih, Herr Graf, — das, was man ‚verrüdt! 
nennt! Aber ba eS nicht verrückt ijt, muß es vor allen 
Dingen gerechtfertigt werden! Hier aber in der Gegend 
ift fein Verlag auf die Menichen, — ich bin mißtrauiich 
geworden und traue dem Herrn Kammerjunfer gar weit— 
gehende Vorbereitungen zu! Alfo fort von bier, Here 
Graf, in die Nefidenz, wo Sie den Schub des Herzog 
anrufen und den beften Rechtsanwalt uchmen fönnen! 
Wenn dam die Herren Sachverftandigen hier antreten, 
it Das Neft ausgeflogen! Sch pade den Koffer und morgen 
früh fahren wir. — Darf wh mir den Schlüſſel zur 
Sdhrantefammer holen? Er hängt noch in dem alten 
Calon” 

Was willſt Du dort?” — 

01011001811 holen.“ — 

Ich Habe ja meinen Pelz Hier!” —. 

Kuhnert [chüttelte energijch den Kopf: „Der 2 
pels muß jebt ausgejpielt haben, Herr SD. Der bat 
auch zu dem Geſchwaͤtz deigetragen.” — 


„ber Ende verlangt doch, Daf ic) ihn tragen لت‎ 
الام‎ Reſpelt zu jagen, Herr Graf — der 60۲ 
= ‚meint es wohl ganz gut und will Ew. Guaden vor Gicht — 


سو 101 — 


bewahren, aber er vergift, daß ein vornehmer Herr nicht 
wie jeinesgleichen herumlaufen fann! Auch die Armbewe— 
gungen beim Gehen mitffen der Herr Graf jest cinftellen, 
— das fieht auch ganz veriradt aus, und wer nicht weiß, 
daß ¢3 Vorſchrift ift, denkt fich alles mögliche dabei. — 

In der Nefidenz müffen der Herr Graf all diefe Dinge - 


beifeite laſſen und wie jeder andere Menfch auftreten, ſouſt ہے‎ 


erhält man dort auch eine falfche Meinung! Darf id 


unterthänigft fragen, ob alles gur Neife vorbereitet werden 


Darf? Der Herr Graf fünnen fich auf mich verlaffen.” 

Will ibald fuchte in der Dunkelheit die Hand des alten 
Mannes und drückte fie voll zitternder Bewegung. ,, Thue 
رق‎ Kuhnert, ordne alles an, ich füge mich Dir in allen 
Stüden. Du und Johann, ihr follt mich begleiten!” — 

„Beiehl, Herr Graf!” nidte der Kaftellan und wieder 
{lang leifes Schluchzen durch feine Stimme: „Der liebe 
Gott wird ung helfen! Den wollen wir vor allen Dingen 
mitnehmen, dann fant alles Teufelswerf nicht auffommen. 
Nefehlen der gnädige Herr Licht?” — 

‚Dein, Kuhnert, der Mond geht auf, ich fiße gern 
noch cin Weilchen in feinem Glanz am سے “ مامت‎ 

„Beiehl, Herr Graf!’ — 

„Stört nih nicht, laßt mich ۱ ein Weilchen allein. ا‎ 

„Sehr wohl, Euer Guaden.” 

Die leifen, müden, fdjlurrenden Schritte سا‎ 
hinter der Thür, und Graf Willibald ſank auf den Stuhl 
nieder, legte die ۶ — das Fenſterbrett und. drückte 
bas ane i4 آ0‎ nieder | 


2.40 — 


Ein Cchüttern und Beben ging durch feine Geftalt, 
wie wenn Die Verzweiflung einen Menſchen mit rauhen 
Händen pact und fchüttelt. Sus Irrenhaus! . 

Diefer Aufchlag krönte alles Elend, welches ibn, den 
Einfamen, Unglücklichen je heimfuchte! — _ 

Eine Piftolenfugel — ein Giftpulver würde all dem 
troftlofen Leber ein wohlthuendes Ende bereitet und den 
Majoratsherrn von Nieded von feinem Dafein erlöft haben, 
welches jeder Freude und jeden Ol lückes bar war. Aber 
ein Srrenhaus! Mit geſundem Verſtand zeitlebens einge⸗ 
kerkert ſein, verurteilt zu Dem jchwerjten, 01 
2o3, welches je eine Menſchenſeele gemordet, — gefangen, 
ausgejchloffen — des eigenen Willens, der goldenen Frei⸗ 
heit beraubt, fürchterlich geſtraft wie der ſchwerſte Ver— 
brecher —! Diejer Gedauke trieb dem verlaffenen Mann 
den Angſtſchweiß des Eutfeßens auf die Stirn. War ق‎ 
auszudenfen, zu glauben? 

Warum nicht?! — 

Stehen die Zeitungen nicht voll der graufigften Dinge, 


wie das fin de siècle die Srrenanftalten mißbrauden 


(aft? 

Ein Prozeß um den andern 08ء‎ von den unge⸗ 
| 0+7 Dingen, welche Hd hinter den Mauern der 
Nervenheilanſtalt abſpielen jollen, — berichten von mehr 
wie einer Kamilientragödie, welche fic) im Narrenhaus 
abjpielt, — warum follte Vetter Nüdiger, welcher ſich nie 
icheute, das Leben des unglüclichen, verwaijter Knaben 
und sünglings zu vergiften — davor zurüdjchreden, den 


— 302 = 


10 1 Erbherrn ni Diefe A Weife aus Dem 


Wege zu räumen?” — | 
Er felber wäjcht ja feine Hände i in Unschuld! Er folgt 
nur dem Drängen anderer, befehligt nur die Meute, 
welche das Wild in den Abgrımd jagt! — 

Ein dumpfer Schrei der Qual — der leidenfchaftlichen 
Erbitterung bricht über Willibalds Lippen. Er hebt das 
blajje Antlit und ftarrt wie in verzweifelter Auflage zum 
Himmel. Mid und friedlich — رل‎ ae über 
jein Haupt. 

Durch die nächtlich Dunklen Wolfen 0 Der Mm ond 
wie ein Angeſicht, welches voll tröſtender, unendlich treuer 
Liebe auf ihn herab blickt. Weich, wie zärtliche Mutter— 
haände ſtreicht per Windhauch Durch das Fenſ ſter und lühlt 
feine Stirn. 

Nein, er Ut nach nicht vergeifen da oben! — 

(8 gibt einen gerechten, wahrhaftigen Gott, welcher 
die Seinen nicht verfommen läßt, welcher auch ee Bers 
faffenften und Berlorenjten ein Glüd bejchteden hat, — 


nur bie Wege, darauf man es erreicht, find verjdjieden 


und führen gar wunderſam durch Nacht zum Licht. — 
Thränen treten in die Augen Willibald. ۰ 2 
jeufzend lehnt er fich zurüd in Den Seffel und. ftarrt 
voll wehmitigen 8۵ hinaus in Die fälle Mond- 
ae oe 
M 0۲ Toll er ſcheiden von hier, — wer weiß, ۵ 
er wiederfehrt. — 
— nn ihn das رت‎ 11 bie enden, 


obwohl er fich feft vorgenommen — die verhaßte Stadt 
nie mehr gu betreten. 
Er denkt zurüc an die Sabre, welche er dort Debt = 
Entjeliche Jahre! Sabre voll bitterſten Herzeleid 
voll Heimweh und geheimer Qual. 
Er entfinnt fich noch jeder Stunde, welche Riidiger 
ifm vergallt. Cr wird nie den Augenblick pergelfen, wo - 


der ſchöne, 6 Knabe zuerfi vor ihm ftand und in eit 


herzlofes Gelächter ausbrach: „Was, diejer Nußknacker 
ijt Vetter Willibald? Na, das faqe ich dir, du fleiner 
Wifpelmann, mit dir zeige ich mich nicht auf der Straße, 
ſonſt bellen uns die Hunde an!“ 

Da erfuhr das verwaijte Kind zum erftenmale voll 
“tober Deutlichfeit, daß es häßlich fet. — 


Häßlich! — O du furchtbarjte aller Heimfuchungen! us 


Häßlich fein .an der Seite eines hübfchen, allgemein Ders 
hätjchelten und beivunderten Knaben! Häßlich fein! it 
einem Haufe, wo man die Häßlichkeit wie ein Verbrechen — 
erachtete, wo man das Häßliche gemein und و‎ 
nannte, eë berjpottete und verachtete! — ° 

Welch eine Kette unausgeſetzter +71 war ae 
Leben, wie blutete fein feinfithltges und رک‎ Herz 
unter jolcher ۲ ۲ | x 

Er lernte ۶٠×١ während Rüdiger 1۸ auffaßte 
und behielt. | 

Willibalds kränklicher Körper konnte nit Echritt halten 
mit Den geiftigen Anforderungen, welche man ftellte, und 
wenn man ihn in der Pflege während verfchiedener Krank— 





— 106 = 


heiten auch nicht direkt vernachläffigte, fo gab man fic 
dod) auch nicht fonderliche Mühe, den Majoratsherrn, 
deſſen Exiftenz den eigenen Sohn zum Bettler madjte, am 
Leben zu erhalten. 

Aber das fchwache Leben rang Hd) dennoch Durch all 
die ſchweren förperlichen und geijtigen Kriſen bindurd), 
gleichfam zum Hohn für den jchönen, fraftftrobenden 
Better, welcher neben dem fümmerlichen, häßlichen Erb» 


Herrn von Niedeck dennoch) zuſammenſchrumpfte, wie der — 


Schatten vor der Sonne! 

Ja, das Majorat, das beneidete ihm Nüdiger ſchon 5 
Kind! Er war flug und egoiftiich genug um jchon als 
Knabe den Wert des Geldes und den guten Klang eines 
Titels zu ermeſſen und zu begehren. Er haßte den Glick 
lichen, welchem das Schickſal Reichtum und € Stellung ſchon 
in die Wiege gelegt, und damals reifte wohl ſchon der 
Plan in ihm, auf gd eine "7 den we zu 
entfernen, ۱ = 

tit der rohen Kraft der Fauſt heile: er es nidht ; 
mehr wagen, jeit er einmal bei einem Streit um ein 
Spiel den fchwachen Willibald beinahe zu Tode gewürgt. 
Der Erzicher ſprang noch rechtzeitig zu Hilfe, und wich 
[cit jener Zeit nicht mehr von der Seite de3 Knaben. 
Seine Sympathien hatten ftets Dem armen, gequalten 
Erben gegolten, während fich Rüdiger durch fein Berri 
ſches heimtuckiſches Weſen im ganzen Hauſe unliebſam 
machte. | 

Auch Nüdigers Vater trat zum erjtenmale mit der 


=s 04 


vollen Strenge und Energie gegen den Sohn auf, als 
er bon dem Vorkommnis Meldung erhielt. Man ٤ 
Die feindlichen Bettern und ſchickte Willibald auf eine 
Nitterafademie. Dort hätte er wohl ein erträgliches Leben 
führen können, wenn ihn nicht die vielen Kränfungen, 
welche er im Hauſe des 28 erduldet, ſchon es und 
verbittert gemacht hätten. 

Dazu fam, Daß 8 heiter Freund: aus der 
Reſidenz ۷ BIME ward und die Quälereien 
fortießte, welche jener begonnen, er verdarb ifm von 
vornherein bie Stellung bei den anderen Schülern, und 
Willibald zog fic) immer menjchenfeindlicher von jedem 
freundjchaftlichen Verkehr zurück. Nach feiner Konfirmation 
weilte er furze Zeit zum Befuch bei dem Onfel, — ver: 
febte unerträgliche Wochen, in denen er abermals zur 
Bielfcheibe allen Spottes wurde. Je mehr die Knaben 
heranmwuchjen, dejto greller trat der Unterjchted ۷ 
ihnen zu Tage, und je älter Willibald ward, deſto bitterer 
empfand er es, häßlich, linkiſch und geistig unbedeutend 
zu fein. Sein jchenes, gedrüdtes, menjchenfeindliches 
Wejen ſtach feltfan ab, gegen Die jichere, elegante Ge— 
wandheit des weltmänniſchen Rüdigers, welcher vielleicht 
viel weniger gelernt hatte wie der Vetter, aber voll ſchlag— 
fertiger Unverjrorenheit mit den ſpärlichen Kenntniſſen 
brillierte, daß dieſelben, unterftüt bon feinem einnehmen: x 
den Auferen, alle Welt bewunderte. Je mehr aber Rüdiger — 


ſich voll ]) 67 Spottfucht bemühte, den Erbhern — 


. pon Niede in den AN zu ſtellen und in den — 


— 108 — 


der Leute lächerlich zu machen, defto freiwilliger zog HO 
0358ص"‎ von allem Berlehr zurück 

Auf Befehl des Onfels beſuchte er die 7×00 
` Aum erſtenmale im Leben fchlug fein Herz höher auf 


bei dem Anblic eines engelhaft fhinen, reigenden Mädchens, 


deſſen Goldhaar ihn wie mit ſüßem, magiſchem Zauberlicht 
bleudete Sie war auch freundlich und gütig zu ihm, ſie 
legte ſogar ihre Hane lächefnd in Die lent, um mit ifm 
zu tanzen. = 

Wie ein Rauſch ber. Monne, Des ORD ier 
Gntzücens überfam es Willibald. | 

Er, der fo betteların an jedem Glücksempfinden war, 
jchien wie betäubt von fo viel Unerwartetem, doppelt tief, 
doppelt gewaltig und glühend zog die erjte, junge Liebe 
in fein Herz. 

Hur fünften 7٤ erihien Rüdiger, welcher bis 
dahin frank gelegen. 

Sein Eintritt in den Tanzſaal madjte allem ۵ 
ein Ende Mit fchnellem Umblic war er orientiert. Er 
empfand es als ein bejonderes Gaudium, dem „Wifpel- 
mann” die Flammeé abjpenjtig zu machen. Und e3 gelang 
ifn. Welch ein Mädchen wäre unempfindlich, wenn feine 
Eitelfeit gereizt wird! Welch ein Badfischchen macht ſich 
durch einen Berehrer lächerlich, über welchen alle Andern 
gloffieren? = ۱ 

Mit der ſchonungsloſen Grauſamkeit der Kindernatur 
bas blonde Elfchen in Rüdigers Armen dahin, 

— Direft in das feindliche Yager hinein. 


— .109 عم 


Auf dem 6 aber erzählte der Sieger voll harm⸗ 
[oler 2۳۲۵0۱064 ‚Die Thea ift ein zu famofer Bala! ۰ 
brillante Wise macht fie, — allen Leuten gibt fie Spit: 
namen! „Weißt bu, wie fie Dich nennt, Willibald? — 
‚Das goldene Kalb‘, brillant, سے‎ - was? bei deinem 71 
Geld!“ 

Der Erbe von N jeder کت‎ ۵ die Sand 
über dem Herzen, welches in DEN, s Mr Veh 
verbflutete. 
o> OS er nt jener Nacht lel, ۱ feines 
Menjchen Mund, — alS aber Die Eon fein ۵8 
finfteres, ſchmerzzerriſſenes Antlit traf, Da {a3 fie einen 
itarren Entjchluß darin, — Willibald von Niche wird 
fich nie im Leben wieder zum Epott eines Mädchemmundes 
machen! Diefe Nacht hatte den Weiberhaffer geboren. 
Und nicht allein fie ate er, — nein, aud) 7 Rüdiger 
wuchs der Funken des Hafjes zur Flanıme an. — Alles, 
was er ihm 87 angethan, war ein Nichts gegen den — 
Mord an jeiner jungen Liebe, Der einzigen Roſe, welche 
ein Dornenreidhes Leben getragen. 

Die Studienzeit trennte die Bettern abermals ww 
Willibald fand Gründe, das Haus des Vornundes 
meiden 

Erſt ſeine Mündigſprechung zwang in au einem Ber 
hub in ۰ 

Wie umgewandelt erfchien ihm Nüdiger 0 
Junig, freundſchaftlich; gewaltſam itiu. 

Der Peſſimiſt von Nieded war aber nicht — zu 





jO 


täufchen. Der Haß lebte zu frijeh und gewaltfam in thm, 
um durch ein paar gleifnerifdje Worte in Freundjchaft _ 
verwandelt gn werden. Er durchſchaute den Vetter nur 
zu bald. 
Eine neue Gutrigue jollte dem Majoratsherrn das 
Majorat entziehen. 
. Gab €$ nicht eine Erbſchaftsklauſel, welche ſechzehn 
Ahnen von der künftigen Schloßfrau von Niedeck verlangt? 
Dieſes ſollte ausgenußt werden. 
Thea beſaß Feine ſechzehn Ahnen, — heiratete fie 
Willibald, ward Rüdiger Erbe. x 
Und 1 plan verfolgte er ۵ ſchlau wie hart: 
nadig. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt ges 
macht. €o oft er auch eine Begegnung zwiſchen beiden x 


herbeiführte, und fo bezaubernd wie Thea dem auch ohne — x 


Majorat jchwer reichen — Grafen sulächelte, es prallte 
wirkungslos an dem ftarren, geiftlofen Blick ab, mit welchen 
der Erbherr die reizende Jugendliebe mufterte. Als Rüdiger — 
endlich deutlich ward und von der tiefen Neigung ber 
armen Thea Iprach, welche jehnfuchsvoll auf die Erklärung 
Batre, — da flanımte es in den foviel beſpöttelten Glotz— 
augen” des Wiſpelmänncheus“ wunderbar geijtreich und 
ironisch auf, und er jprach: „Ei, die kleine Thea ]ا‎ doh 
eine gute Ehriftin, und will troßdem Gößendienerin werden — 
und um das „goldene Kalb“ tanzen?! ۱ 
Rüdiger bib ſich auf die Lippen. Bum erftenmale 
im Leben hatte er fich felber die Grube gegraben. Er 
- änderte jeine Maxime. Wollte Willibald nicht nad) feinen. 


` lj کے‎ 


91 heiraten, nun jo burite er fie Überhaupt nicht 
vermäblen. — 
Bei feiner ſchwachen Geſundheit nah er wohl nicht 
allzu alt und Rüdiger mußte ihn alsdain beerben, denn 
er war der einzige Nieded, falls der M ajoratshere ohne 
Erben Harb. Er ifermadhte Die beiden einzigen jungen 
Damen der Nefidenz, welche fechzehn Ahnen 11ء‎ 
fonuten, mit Argusaugen, bereit, eine Verlobung auf jez + 
den Fall zu verhindern. Die jüngere und hübfchere hätte. 
er felber wohl gefreit, wäre 771 vorhanden qez 
را‎ — fo begnügte er fich, fie fo ſchnell wie möglich 
mit einem anderen guten Freund, welcher ihm den Liebes— 

dienſt erweiſen fonute, zu verloben. لے‎ 

Bei der anderen fonfpirierte er in anderer Weife gegen 
den Vetter, bis ihm der Aufall zu Hilfe fam und die 
junge Dame von jelber das Feld räumte, fie ftlirgte bet 


ee einer Wagenfahrt fo unglüdlich, dak fie die Hüfte brad) 


und mut elend und verfrüppelt im Rollſtuhl jag. 

Rüdiger hriumphiertel 

Nun war eine vorichriftsmäßige Partie für Willibald 
ausgeſchloſſen und er ۷ 0 Erbe, — er er 
felt —— Sol. 

Diefe Ruverjicht machte ihn bermi. Er lebte — 
Die künftige Erbichaft hin m Cans und Braus und machte 
Schulden, joviel es ihm beliebte. 
> Mber. der größte Kredit fann jchließlih lahm gelegt 
werden. Sabre vergingen, und Der Majoratsherr lebte 
و‎ und immer lg werdend, auf un Sob. 


— 119 — 


Die Glaubiger drängten. 

Rüdiger borgte den Heinen Vetter au und erhielt 
thatlächlich Hilfe, da Willibald ein viel zu vornehm und 
ideal denfender Mann war, um den 71 Niedeck emem — 


Sfandal preis zu geben. Er fam nicht dem verhaßten : 3 
Better, foudern lediglich dent m RI 0 nee er — 


Namens zu Hilfe — 
Allerdings erklärte er, daß in Zutunft — Aus 
hilfe mehr von ihn zu erwarten fet. Rüdiger glaubte 
nicht daran, ſondern hoffte gerade durch dieſen jo ängſtlich 
gehüteten Namen einen dauernden Zwang auf den 2" 

jovatsherrn ausüben zu ٤۵1172. 
Er irrte ۰ 
Willibald zeigte Tud bei 00ہ‎ Ansprüchen un: 


` erbitflich und Rüdiger ballte voll ohmmächtiger Wut dic 


Hände gegen den blödfinnigen Kerl mit den Millionen- 
jüden! | 

Seine Gläubiger drängten mehr denn je, eë galt 
Stellung und Crifteng für thn! 

Da half ihm fein unverwüftliches Glück abermale. 

Er heiratete alS Neferendar eine der reichten Erbinnen 
des Landes, die Tochter eines Großinduftriellen, welcher 
durch qewagte Spefulationen ein auferordentliches Ber: 
mögen erworben hatte. Nidigers Leichtſinn war aber 
1103 größer wie die fabelhafte Zulage, welche ihm fein 
Schwiegerpapa gab. Das junge Paar lebte in fürftlichen 
Luxus, welcher geradezu in Berfchwendung ausartete, als 
ber erite Sohn — der Erbe des Majorats, geboren ward. 









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Nv. .معا‎ Der Maioratsberr I. 8 


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Nun war ja jeder Zweifel schoben: wer cnt لا‎ 
von Nieded ſein würde! 

Ein zweiter Sohn folgte und ficherte Die Er6folge, 
— Graf Rüdiger und Frau Melanie aber hielten ihre 
| num für fo unerjchöpflich, daß fie jeden, felbft 
den koſtſpieligſten aj ajfionen die Zügel ſchießen ließen. 

. Etliche Jahre lang ftrahlte diefes wolfenlofe Glück, 
— dann fam der deutſch franzöſiſche Krieg und nach ihm 
die felig-unfelige Gründerzeit! 

Auch Nüdigers Schwiegervater ließ Hd auf das 
-„Öründen“ ein. Er fpefulterte qewagter wie je, und das 
Glücksrad fprang herum und rollte dem Abhang zu— 


Erſt wurden die fürſtlichen Zulagen eingeſchränkt, dann Sn 1 


ſchrumpften fie bis auf das äußerfte zufammen. 
Rüdiger tobte und Gräfin Melanie befam Nerven- 


främpfe, aber beides fonnte dem Ruin des 0 کے‎ 


feinen Einhalt ۰ 
| Noch einmal wandte fich der وٹ‎ tinier an den 
Better, .; 
Er erhielt den Brief zerriffen zurück 
Und da mochte wohl Haß und Verzweiflung einen 
Plan in ihm gereift haben, deffen ungeheuerliche Aus- 
führung foeben von Kuhnert berichtet worden war. 
oc) war der Banfrott des Kommerzienrates fein 
offizieller, noch galt Rüdiger in der Nefidenz für den 
Beliser von Millionen, — Willibald allein wußte Durch 
den brieflichen Bericht des Wetters, wie die Dinge lagen 
Der Kammerjunfer aber in die foftharen Tage, 


ee es 


da die Welt ۳ nod) für reich hielt, benugen zu wollen, 
um ſich anf Soften peš 80 ‘bor dem مل‎ 
gange zu retten. 


Ihn, den Beſitzer eines fabelhat ten ال‎ hielt 


fein Menjch für fähig, aus perjönlicher Suge. nad) . 


dem Majorat des 69 zu tradjten. | 

Er handelte einzig auf Drängen und Bitten der Pitre 1 
ger von Angerwies, 0 das Treiben des Geijtestranten 
"0 {anger mehr mit anſehen tonnten. x 

Nun war Riidiger al Water des Erben geradezu 
verpflichtet, für das bedrohte Beliktum einzutreten, ۱ 

Dieſer Plan war jo fein und raffiniert erfonnen, Daf 
er 7 Ehre machte. Gral Willibald hob das 
vergramte Antlih und fein Blid ſchweifte hinauf zu dem 
mondhellen Nachthimmel Er preßte die Bände frampi- 
haft zufammen. Sa, der Plan ifl ſchlau und fluy ers 
dacht, dDroben aber wacht einer über die Schickſale der 
Menjchen, der kann auch den meifterlichiten Anſchlag zu 
nichte machen und die Hände über ein gehebtes Wild 
breiten. Meine Gedanken find nicht eure Gedanken -I 


۱ ee 





VE 


Tener ift mir der Freund, dod aud ben Feind fann ich nüßen. 
Zeigt mir der Freund was ich سد‎ lehrt mth der end, was ich fell. ° 
Schiller 


3 Tagesgeſpräch im ganzen Herzogtum bildete 
der Fall Nieded. Man hatte dieſe Wendung 
der Dinge eigentlich: längft erwartet, denn das ` 
Gerücht bezeichnete Graf Willibald feit Jahren bereits 
als geiltesfranfen Mann. 

Nun war die Geduld ۲ Baolong ما‎ 002 
rife. 
Man erzählte fich, bab der Bürgermeifter von Anger: 
wies id) mit dringenden Vorſtellungen an Graf Rüdiger 





gewandt Habe. Diejer fet infolgedeffen in Begleitung 


Gemahlin nad) dem Städtchen abgereift, um Hd‏ ما 
unter der Hand von der Lage der Dinge zu überzeugen.‏ 
Die Ergebniffe der Nevifion feien geradezu entſetzliche‏ 

00 
Der Wlajoratsherr leijte die unerhorteften beli 


Allem Anfchein nach fet eine Gehirnerweichung bereits in 
he * 


— 111 — 


vollem Gange, was he Be außerordentlichen dicen 
Waſſerkopf des Degenerierten faum erstaunlich fein fonnte. 
Daß unter fold) einem unzurechnungsfähigen Herrn die 
ganzen Befikungen ruiniert würden, jet far, und Daru 


firme man es dem Better nicht im mindeften verdenfen, 


wenn er rechtzeitig Schritte thue, das bedrohte Erbe für 
— den Cohn gu retten. 

Sehr überrajcht war man daher, als die Kunde ۶ 
tauchte, Graf Willibald Yet in der Nefidenz angefommen, 
um fich eines der erjten Rechtsanwälte zu 81 
und — wie man erzählte — fich gegen die bösartigen 
Rerleumdiurgen, welche über ihn erfunden ſeien — unter 
den perfünlichen Schuß des Herzogs zu Stellen. 

Vian war and) erjtaunt, den Grafen in offener Equi- 
page zeitweilig durch die Stadt fahren zu fehen; er war 
elegant und modern gekleidet und machte durchaus nicht 
den verfontmencn und geiftesichwachen Eindrud, wie man 
fich erzählt hatte. 

Sicherlich war auch dabei ftarf übertrieben, sani 

gerade Dieje Art von Menſchen bejonders mißtrauiſch und 
raffiniert jedes äußere Merkmal ihrer Krankheit zu ber: 
ſtecken juchen. 
Man jab der Löſung der Dinge im großen — 
ziemlich gleichgültig entgegen, denn Graf Rudiger war ein 
reicher Wann, defjen : Verhältniſſe Durch Den gewonnenen 
Brozeß kaum eine fichtbare Änderung erfahren durften, 
und der Erbherr von Niedeck war zu سیم‎ um Die 
große Menge zu intereffieren. 


EE l° 


Die Angelegenheit کا‎ den wb Verlauf, — 


die Zeugen wurden verhirt und die Sachverfländigen — 
walteten ihres Amtes. Cie hatten ihr Gutachten bereits — 


= abgegeben, nachdem fie auch in Niederk die Rechnungs⸗ 
bücher und den Stand und die Lage ber ne 
Gut sverhäl tniffe geprüft hatten. — 

Nun erwartete man die endgitltige Seide de 
Amtsgerichts. 

In Dem elegantejten Villenviertel der Nefidenz lag nu ۱ 
mitten eines wundervollen Barks der Prachtbau der Villa 


Gajabella, dag Eigentum des Kammerjunfers Des Herzogs, x 


Grafen Nüdiger von Niedeck, welcher mehr zum Vergnügen — 

und um wenigſtens eine Beſchäftigung zu haben, dieſe 
Stellung am Hofe beffeidete. Villa Cafabella ftroßte a 
von Prunk und 068 wie ein Schmuckkaſte — 


chen, in welches unerfättliche Hände ۶ stojtbarfeiten ۱ 
häuften 


Man hatte in der Hofgefellfchaft anfangs etwas و‎ : = 
jiert, über bie beinahe unfeine und proßenhafte Weije, 


mit welcher das graflide Ehepaar ihre Neichtümer zur 
Schau jtellte und fpottete [elle und laut über „la dame 
parvenue“, welche mit ihrem Spefulanten-Gejchmad ۰ 
wedem Ding des gräflichen Hanshalts den Stempel 
aufdrücdte. Aber Graf Rüdiger war fiets tonangebend 
gewefen und allen Niiftergungen Durch fein ۵6 
Mundwerk fo überlegen, daß niemand wagte, auch nur 
im 8 au feiner geſellſchaftlichen Poſition zu rühren! 


— CI 


Er verjtand ¢3, fic) voll genialer Arroganz 1861 
zu behaupten, und da feine „Echandichnauge” jabelhaft 
amuſant und ſein opulentes gaſtliches Haus ſehr be 


quent und angenehm war, fo beugte auch diesmal Die 


taht des Geldes die Rücken der Leute, ımd derjenige, 
welcher zeitlebens am meijten und ſchärfſten über Mes- 
alliancen gejpottet, bewies den Leuten, daß man feine 
Anficht ändern und ae des Beifalls der Mage ficher 
ſein fan. N 
Leute, welche einen großen Ontel oder viel Geld Dez 
fiber, genießen nun einmal in der Welt das Preftige, 
immer Recht zu haben, und wer den Mund am unver- 
ichäntteften voll nimmt, ber wird aur Monftranz, vor 
welcher {ih alles شک"‎ neigt und auf die Knie fallt, — 
wann utd wo fie Hd) nur bliden läßt! — Billa Caja 
bella blähte Hd) immer hochmutiger und Dominierte als 
Königin unter ihren viel bejcheideneren Nachbarinnen. 
Der Bark lag im erjten Frühlingsgrün. Die 71 
Blumen dufteten und prangten auf den Teppichbeeten, koſt— 
Sate Marmorftatuen waren der winterlichen 7 
entfleidet und Leuchteten voll märchenhaften Haubers durch 
den fmaragdenen Schimmer jungen Laubes, 
Fernerhin, wo ſich die herrlichiten 9ط 88و‎ 
Dichter zufammendrängen und einen Kleinen Wald bilden, 
wo eine fünftliche Nuine für Staffage forgt und fühle 
Grotten und Lauben für den pifanten Zauber italienifcher 
Nächte bereit Helen, huſcht eine late oa 
über die buntgligernden Sandwege. | 


— A = 


Hie umd da bleibt Wulff- Dietrich flehen und ſpäht bors 
jichtig den Weg zurüc, welchen er gefommen. Ringsum- 


her jchweift fein Blick in ruhigem Forfchen, dann atmet 


er tief auf. Er الا‎ dem Haushofmeifter unbemerkt ent- 
wifeht, er Ht allein und ungejehen. ۱ 

Er huſcht in die nächſte noch fable Raabe in کل‎ 
jedoch fchon elegante Bambusmöbel aujgeftellt find, 
۱۵۱۲۲۶ fic) in einen Rohrſeſſel nieber und zieht ein Bud 
aus der Gammetbluje. 

Mit leuchtenden Mugen ſchlägt er es auf und petit 
fich in die Zeftüre der pAguptijchen Königstochter“, welche 
ihm, als noch nicht pafjend für jene Jahre, von dem Er- 
ziehungstyrannen unterjagt ijt. 

Wulff- Dietrich Liebt aber nichts mehr auf ber Welt, 
al3 gute, interellante Bücher. 

Er verjteht jie auch befjer als man ahnt, 7 feine 
Seele gleicht einem stillen, tiefen Wäfferlein, auf 8 
Grunde eë von heimlichen Schätzen gleißt. ےت‎ 

Wer aber hat in Billa Cafabella Zeit und Lut, das 
zu erforschen? — Wulff-Dietrich geniest nicht die Syms ۔‎ 
pathien wie fein feder, 07 und ات‎ jüngerer 
Bruder Hartwig. 

Er ift ein ernſter ſchweigſamer Knabe, ſtolz und 
ſpröde bis zur Empfindlichkeit, — ſeinen Jahren weit 
voraus, er ſieht und beobachtet ſcharf, und iſt ein ftrenger, 
aber gerechter 58 1:۰ ۱ 

Das ift der Leichtlebigfeit unbequem, und oft Hat 
Grafin Melanie ſchon ärgerlich den Kopf 818 und 


—7 


PART ae 
Hips VAs 








a 122 a 


geklagt „80 Der Suge. nur das eee Blut her hat! 


1 Gewiſſenhaftigkeit ift ja recht ſchön, aber wenn fre über: 


trieben wird, wirft fie als Bedanterie! Wul ff-Dietrich hat 
alle Anlage zum langweiligen Moralprediger und wenn 
` “er Tih nicht noch jehr ändert, wird Niedeck unter feinem 
Ñ ات‎ ein Softer oder eine Univerfität!” 
Sa, Wulff-Dietrich war ein eigenwilliger Knabe, ein 
Charakter im Flügelkleide, aber eS war feinerlei Unnatur 
in feinem Weſen und der fleine Moralift fündigte jogar 
mit größter Kaltblütigfeit, wenn es galt, an 80 
litterarijdjen Früchten. zu ۰ 

Seine großen, dunklen Augen 17 راو‎ als 
ihn jein Water einjt darüber zur Nede ftellte. Ich [eje 
feine gemeinen und feine gottlojen Bücher”, antworte er 
felt, „und mir eine gute Lektüre verbieten, ft Un: 
finn. Ob ich fle berjtehe oder nicht, — das ift meine 
Suche.” 

Denno) beharrten Gltern und Lehrer bei ihrem Ber: 
bot und dennoch fündigte Wulff-Dietrich mit beten Ge- 
wiſſen dagegen, fo oft fid) ihm eine Gelegenheit bot. 

Den Stopf tief herabgeneigt, las er mit heißen Wangen. 
Fern her hallte der Straßenlärm, über ihm zwitjcherte 
es im Gezweig. Der fünftige Erbe von Niedeck war ein 
| ichlanter, und Doch jehr kräftiger Knabe, deffen Ant! if 
for jebt den Ausdrud trug, welcher e3 einft als Männer- 
geſicht veredeln und intereffant machen wird. ۱ 

Schmale, feingefchnittene, etwas blafie Blige, welche. 
ſtolz und ruhig, beinahe allzu leblos ſcheinen würden, wenn 


— 123 — 


nicht die Dunklen Augen tief und jeelenvoll aus ihnen 
hervor leuchteten. Das Haar it in altdeutjcher Art tief 
in die Stirn gefchnitten und fällt bis auf die Schultern, 
über welche ein £oftbarer Spitzenkragen breit zurückfällt. 

Der ganze Anzug des jungen Grafen ijt fo an 
wie faum bet einem Prinzen. 

Die feivenen Knieſtrümpfe, bie Lackſchnhe, ber bumfel- 
blaue Sammetanzug find tadellos, und nach Anficht Der 
Gräfin jofort unbrauchbar, wenn er auch nur das ٤+ 
Fleckchen aufweilt. Die Spiten des Batijthembdes fallen 
über die Hand, und wenn die Knaben einmal geturnt 
oder mit Kameraden wild gefpielt haben, wandern die 
echten Valengiennes in die Lumpen! Wer hätte die Kinder 
wohl jemals gelehrt, Rückſicht auf ie ee: zu 
nehmen? 

war ein ebenjo piebejtiches Wort wie‏ “۵0118110 رر 
„paren“, darum war beides im Haufe Nieded verpönt. |‏ 

Wulff-Dietrich hatte die Füße übereinander gefchlagen 
und lebte fo ſehr in allen Gedanken an den Ufern des 
Nils, daß ihn erjt ein 5 Bellen ann) in ۲ Nähe 
aufſchrecken ließ 

Das Schoßhündchen der Mama kollerte wie ein — 
Seidenknäuel über den ſammetweichen Raſen, und ií furzer 
Entfernung folgten ihm der Graf and Gräfin Haftigen 
Schrittes. Shr Sohn fprang jählings empor und ftarrte 
erſchreckt durch das fnojpende Laub. Die Eltern waren 
feit einigen Tagen in der fchlechteften Laune, zanften und 
Schalten über jede Stleinigfeit, — es würde eine febr 


اوه نز 


Heftige Scene: eben, wenn tie den 71 oe : 
abermals bei. verbotener Lektüre ertappten. — ۱ 

Schnell entſchloſſen ſprang Wulff = Dietrich die dane 7 
Anhöhe empor, in der Nuine Schuß zu fuchen, — faum 
aber, daß er fie betreten, merkte er, daß die Nahenden — 
ihre Schritte ebenfalls nach dem alten Gemäuer "in 
Was thun? — 

Bur Seite lehnte eine fleine eiſerne Thi lofe im 
den Angeln, fie ſchloß einen gewölbeartigen Naum ab, in 
welchem die Gartner ihre Gerät haften unterftellten. 

Ohne fic) zu bejinnen, huſchte der kuͤnftige Erbhert 
pon Niedeck in den Steller hinein, 08 wartend, daß 
die Eltern vorüberjchreiten würden. 

Er täuſchte ۰ x | 
Tiefatmend trat die Gräfin: in Die Ruine, warf 
einen jpähenden Blid ringsum und fant aa auf Die 
| nächjte Steinbanf nieder. | 

„Hier find wir ganz allein und ungeftört, ie mac} 
auf und lies!” ſtieß fle durch die Zähne hervor. 

Graf Riidiger fchritt voll nervöfer Aufregung noch 
einmal an den Mauern entlang, Hd) zu überzeugen, daß ° 


feine Beobachter in der Nähe waren, dann zog er einen — 


Brief aus der Brufttafche und fuhr zuvor mit dem jeidenen 
Tafchentucd über die Stirn, che er ihn öffnete. 
pom Haufe ift man ja 707 Augenblid unbelaufcht 
— und ich ertrage es nicht mehr, all die Aufregungen 
jchweigend in mich hinem zu würgen! Se nun — fo dann! | 
— Laß uns unſer Sdhidfal ۳ رم‎ 


ee 4952. 5 


Aufs 1٤ ele ſtarrte . Den ` 


bie Thürfpalte. 


Er zudte zufammen, al8 er in die Büge be Balers 
blidte, farblos, — gerriffen von Aufregung und wilder 
— mit feſt zuſammengepreßten Lippen ftarrte 
er auf das Papier nieder, welches leiſe zwiſchen ſeinen 
bebeuden Fingern {nifterte. Im angſtvoller Spannung 
hingen die weitaufgeriſſenen Augen der Gräfin an ſeinem 
Munde Da rang ſich ein heiſerer Aufſchrei von den 
Lippen des Lefenden. — Laut aufftöhnend hob er beide 
Fäufte und ſchlug jie wie ein Najender gegen die Stirn: 
„Das Gericht Ichnt den Antrag auf Entmündigung ab!” 
— schrie er auf. „Wir haben veripielt, Melanie, wir 
find vernichtet 1“ | | 

Die Mutter war aufgelprungen und jtand am der Seite x 
ihres Gatten. Wulff-Dietrich wich jahlings GENE, als 
er im ihr ent{telltes Geſicht jal. ۱ 

Nüdiger!“ rie} fie außer Hd), „Willibald behauptet 
ih? AM unfere Mühe — all unjere namenlofe Opfer 
umſonſt gewejen? Die ganze Ichauerliche Beit in dem ent 
jeglichen Krähwinkel ۱ 

Sie lachte ſchrill auf. 

„> du portrefflicher Diplomat! Ich fagte dir Doh: 
gleich, daß alle ٣٥ und Pfiffe nichts niber würden, 


daß wir den verrückten Kerl um 0 — uns 


Ichädlih machen fönnten | ۱ 
٦ Der Mammerjunter lachte bitter ant: pe ja, wenn 
man vom Rathaus fommt, iff man ftet3 Hüger, als wenn 


— 456 > 


man Hingeht! Warſt du e3 nicht ſelbſt, Die mich zuerit 
auf Die Idee brachte, Willibald in ein Srrenhaus zu 
{tecEen 27 un 

„ewi, e8 war ja das Einzige, a du ۲ 
fonnteft, um deine Familie vor dem Berhungern zu 
ſchützen“ zuckte Melanie mit 0 Blick die Achſeln. 

„So? Und wer trägt die Echuld, Daf wir verhun⸗ 


gern müſſen? Der کر‎ ar Schwiegerpapa! Da. E 


۱ ماگ 
ا وی ا Rüdiger!! l“‏ 


per Schindler, der لس ان‎ Der meineidige 
Halsabjchneider, welcher den gräflichen Qreter mit M a 


fionen anlodte und ifm zum Schluß den Betteljtab vor 
die Füße wirft!” tobte der Graf in unbezähmbarer Wut. 
„Sch habe mich auf dein. Vermögen verlaffen, als ic) 
heiratete, wenn ic) dieſes Vermögen aber al3 ein Dunit 
erweiſt, jo trifft nicht mich, fondern dich die Schuld 7 
Melanie verfchränfte mit fchillerndem Blicé die Arme 
unter der Bruſt „Was der Taufend! Ein netter Freier, 
we (cher fic) von der lieben Gattin durchfüttern laſſen 
will! Hätteſt du jemals Ehr- und Pflichtgefühl gekannt, 
jo würdeft Du Dich vor allen Dingen bemüht haben, jelber 
etwas zu leiſten, um deine Familie ernähren zu fünnen! 
Als du aber die Millionen der Frau in der Taſche u 
haben q laubtejt, da hatte der Neferendar weder Zeit — | 


Luft mehr, das Wifefforeramen zu machen! Haha! Nun — 


mußt du dich vielleicht jebt noch auf die Hoſen feber uid 
e3 nachholen, denn das ſiehſt bu dod) wohl jelber ein, 


Daf es nichts Verächtlicheres gibt, als fold) ein ۶ 
bummler, der nichts weiß, nichts fann und nichts ۳ — 
Frau Melanie hatte in finnlofer Heftigfeit gejprochen, 
einzig von dem Gefühl geleitet, ihrem fochenden Grimm 
auf irgend eine Weiſe Luft zu machen, aber Wulff-Dietrich, 
welcher halb ohnmächtig bor Entjeßen hinter der Thür 
fauerte, konnte ihre Gemütsitimmung nicht beurteilen, er 
hörte mir die Klaren, nadten Worte und jah die Wirfung, 
welche fie auf den Vater ausübten. Zum exjtenmal im 
Leben fehlte Graf Nüdiger die Entgegnung, 
بات ام ما0‎ an allen Gliedern zitternd, lehnte er den 
Kopf gegen das Gemäuer zurück und feine Rechte zer: 
fnäulte den Unglüdsbrief, welcher bieje Scene ee 
ichworen. 
Der Ausdruck feines 8 — einen un— 
auslöðſchlichen Eindruck auf die Seele des lauſchenden 
— = 
Er jah cë dem Vater an, daß er Hd auf bie Derbe 
Anſchuldigung nicht rechtfertigen fonnte, bab Scham und 
Demütigung ihm die Kehle zufchnürten, daß ihn diefer 
Augenblick erniedrigte vor jener Frau und Hd felbit. 
Dann aber zudte ein Blick durch feine Wimpern, Dab 
das Herz des Kindes erbebte. 

Er hob langjam den Kopf und wandte feiner Gemab- 
lin langfam den Rüden, um unficher, wantend wie ein 
Kranker, davon zu fehreiten. | 

Frau Melanie jtürmte ihm nach und hielt ck Arm. 
„Verzeih, Nüdiger! Ich habe dich beleidigt, ich war fo 


— 128 — 


heftig!“ rief ſie plötich ie ein Rind in 1-4 
Schluchzen ausbrechend. „Ach, ich bin fo unglüdtich, 


daß unfer Plan fehlgefchlagen ijt! Rüdiger, fag mir 


um Gotteswillen, was fol nun werden?” 

Warts ab!” entgegnete er rauh, vielleicht thue 
ic) dir den Gefallen uh febe mic) wieder auf Die — 
bank!“ 

AUnſinn! Dein Afiefforgehalt fönnte ung auch nicht 
ernähren! Wir müffen etwas anderes ausdenfen, um zu 
Geld zu ۳ 

Er ftieß ihren Arm rüdfichtzlos von HO: „Gut, dent 
dir nur etwas aus, — ich bin ja ein zu fchlechter Diplo- 
mat! Wenn ich nod) einmal einen ins Srrenhaus bringen 
wollte, der leider nicht verritdt ift, möchte eë mir am 
Ende abermals nicht glüden!” 

Die Stimmen verlangen, nur das fchrille, weinerliche 
Organ der Gräfin hallte noch et paarmal jurüd, dann 
war 68 ftill in der Ruine wie zuvor. 

Die eiferne Thür ſchlug zurüd und Wulff صا‎ 
taumelte Die jteinerne Stufe empor, — 

Sein junges Gefiht war alchfahl, cà jah ان‎ aus 
wie das eines Mannes. ` ۱ 

Er ftand und ftrich mit zitternden Händen Die Haare 
ans der Stirn, angitvoll wie ein Wend, welcher aus 
Ihwerem Zraum erwacht, jtarrte er um fic) her. 

Wie ein Schüttelfroft flog es durch feine Glieder, 
mechanisch ſetzte er fich nieder und [dua die Hände vor 
das Antlif. Die Eröffnungen biejer Stunde waren ent- 





Nv. CiHftruth, Bu. Nom u. Nov, Der Majoratshery L 9 


ae‏ اف سک 


jeglich, fo qualvoll überraichend, daß feine Seele fie faut 
zu fajjen vermochte. Er war ert zehn Sabre. alt, aber 
in Diefer Stunde fühlte er wie ein Slingling. Er empfand 
die Schmach, welche es ift, wenn ein Mant nicht auf 
eigenen Füßen fteht, jondern von fremdem Geld und. 
fremden Willen abhängt. Und diefes Empfinden brannte 
fic) ein in feine junge Seele und rütteite fie wach aus 
den wohligen Behagen ſorgſamer Gleichgültigfeit. Wie 
ein Woetterjturm war es ‚joeben. über fem Kinderhaupt 
dahin gezogen, der riß mit graujamer Hand Die Schleier 
entzivei, welche feine 7 perhitllt hatten. Gr jah es,‘ 


— jah es pliglich erfdjaudernd, was jeine Eltern beset O 


hatten, als fie Den Majpratsherrn von Nieded für geiſtes⸗ 
franf erflären wollten, jaf, wie es hinter pen Eoulifjen 
der Komödie ausjah, welche in Villa ) 748 der Welt 
und Den eigenen Slindern vorgejpielt wurde. Wie ein 
90111180111 entrang es fich Wulff Dietrichs Lippen. | 
۱ Wie ein phyſiſcher Schmerz nagte eë an feinem Herzen. 
Hätte er nur weinen können, um das Entjeget, welches 
ibn padte, hinweg zu waſchen! 
Aber jeine Augen waren troden und fieberdei, af, 
renb Eiſeskälte durch feine Glieder kroch ۱ 
: Seine Eltern waren arm geworden, plößlich ul 
Aber Das war das Sehlimmite nicht. 
te Hatten nur ir Geld verloren, thr Sohn aber 
verlor in dieſer Stunde noch taujendmal mehr, — Alles. 
— verlor bag ks o ک0"‎ 2 | 


* 


= ee 


Auf Niedeck rechten die Flaggen pon Turm uud 
Soller, Guirlanden ſchlangen Hd feitlih um die Säulen 
und jchaufelten buntgemalte „Hurra” und „Willtommen‘ 
über ver Einfahrt. Graf Willibald fehrte in feiner Väter 
Schloß zurück, er nahm von neuem Befit bot einem Erbe, 
welches ihm liftige und verbrecherijche Ränke hatten ab⸗ 
ſtreiten wollen 

sm offenen Wagen ſaß er ce fuhr. bi a unarmiss, 
daß die Funken unter den Hufen der Noffe jprühten. 

Es war merkwürdig Hill und leer auf den Straßen; 
hte und da Itand eine (Walt hinter den Thüren, welche 
Scheu zuritckhufchte, als die Equipage ۰ ۱ 

Ein paar Bürger, welche nicht rechtzeitig cinen Unters 
ichlupf erreichen fonnten, zogen wie die begofjenen Budel 
bez und wehmütig die Käpplein, und bemerften mit 
Schreden, daß der finjtere Blick des 070 fie 
itreifte alg wären fie Luft. 

Ihr Gruß blieb unerwidert. 

Su gedrüdter Stimmung jak man abends pt her Stadt 
Hamburg“ zufammen und bejprach voll banger 0 
das Fiasfo, welches man gemacht. Sie befanden fich 
in mißlicher Lage, denn ihr Patronatsherr war aufs 


tödlichite von ihnen gefränft und beleidigt worden, er war ےت‎ 


aus einem Freund zum Feind geworden, und anjtatt zu 
gewinnen, Hatten fie bei dem 7 Hazard alles verloren! 
سط‎ begriffen fie eë felber nicht, wie fie Hd fo thöricht 
hatten hereinlegen lafjen, wie He jo ohne Pernunft und 
Überlegung hatten handeln — 
s . ۱ — 


— 132. 


Aber e3 war zu fpät zum ändern, und alles Murren 
und Hadern half nichts mehr. 

Nun hieß e8, voller Refignation die Suppe auseffen, 
welche fie fic) felber in ihrer Dummheit eingebrodt hatten, 
denn dak Graf Willibald ihnen nun aus Made mand) 
harten Broden zu jchluden geben würde, das erichien 
ihnen ſelbſtverſtändlich Ihre Befürchtungen erfüllten fich 
nur zu bald. Der erfte April ftand vor der Thür, und 
Graf Niedeck benubte den Termin, der Stadt etliche 
Hypothefer zu fiindigen, ٤ 0۴+ Vergünſtigungen 
zu annullieren 

Der Bürgermeifter ja blak und zu Tode erjchredt 
vor diefen Schriftftüden, welche die höchſte Ungnade des 
Grafen alg Stempel am Rande trugen. 


w * 


Wieder war es Abend geworden. 

Das letzte Sonnenlicht zitterte um die Türme der alten 
Burg. — Der Himmel leuchtete im Hintergrund jo klar 
und wolfenlos, jo blendend im vollen Abendglanz, Daf 
fic) das dunkle Gemäuer dagegen abhob mie ein klaſſiſches 
Gemälde auf Goldgrund — 

Graf Willibald ſaß in ſeinem bequemen Seſſel in dem 
geliebten Fenſtereckchen und ſtarrte nachdenklich in die 
Gotteswelt hinaus. Jetzt erſt, nachdem die nervenmordende 
Gorge und Unruhe von ihm genommen, jetzt, wo er die 
geliebte Heimat wie neu gefdjenft abermals in Beſitz qez 
nommen, jegı erjt ward ihm bei ruhigem Überlegen die 


— 133 — 


ganze Größe de3 Unrechts flar, welches man ihm hatte 
. anthun wollen, und dag erfüllte feine ٤ mit bitterem, 
leidenfchaftlihem Nachedurft. 

Seltjame Widerfprüche vereinigte fein Si in Diefer 
Beziehung. Er war ein fronmer Mann, voll wahrhaft 
findlichen Glauben8 und Gottvertrauens. Er hatte fil, 
ohne je zu murren oder mit dem Höchiten zu hadern, in 
das traurige Schickſal gefügt, welches er ihm bejchieden, 
jebt aber, wo jeine Seele voll innigjten Danfes gegen 
Gott war, bebherrjchte ihn dennoch ein ſchier unerfättlicher 
Rachedurjt, und der leidenschaftliche Wunfch, feinen Feinden 
mit gleicher Münze heimzuzablen. 


Und diejes Sinnen und Trachten vereinigte er ohne  ے‎ 
Sfrupel mit feinem Kinderglauben. Er jagte fih, Dah 


Gott die irdifde Juftiz gefchaffen und bewilligt hat, um 
das Böſe zu Strafen. Wollte man alles dem lieben Gott 
alg Racer der Echandthaten überlaffen, fo brauchte es 
feine Hohe Obrigkeit zu geben, — und in Diejem alle 
würde der Heiland uns nicht ermahnt haben, bent König 
und jenem Geſetz unterthan zu fein. 

In diefem Falle num erachtete fic) Graf Willibald 
selber als Richter, welcher berechtigt ijt, Juſtiz zu üben 
und gejchehene Frevel zu ftrafen. Hatten doch die Grafen 
von Miedeck jeit grauen Zeiten die eigene Gericht3barfeit 
ausgeübt. Die Zeiten hatten ſich geändert. 

Er konnte die Bürger von Angerwies und den Vetter 
Rüdiger nicht mehr unter die Nechtslinde laden, den Stab 
über fie zu brechen, aber er hatte dafür andere Mittel 


س 134 — 


in der Hand, ihre Untreue empfindlich zu ftrafen, und 
diefer Mittel wollte er Hd) bedienen. — 

Wenn man Graf Willibald verrücdt nannte, fo that 
man ihm bitter Unrecht, aber als einen Sonderling eigner 


Art fonnte man ihm fier bezeichnen, denn das war er 


in der That. 


Die langen Jahre welter Abgeſchloſſenheit hatten 


wunderliche Charakterjchrullen in ihm reifen fajjen, welche 
jchließlich ۴ Wejen beherrichten. x 


Sie waren nicht bösartig — aber jeltfam ) r Die < 


ſeltſamſte von allen Warotten, welche er je gezeitigt, war 
wohl der Plan, wie er {ih am bitterjten an feinem Tod» 
feinde Nidiger rächen könnte. 
Tage⸗ und wochenlang hatte er gejejjen und über bien 7 
` Blan gegrübelt, bis jene Augen jchließlih voll Triumph 
aufleuchteten und feine Lippen glücjelig murmelten: „Sa, ۱ 
fo ift eS gut! — fo muß es gehen! und id) Dente, wenn 
alle Vorbedingungen n, führe ih men +11 
auch durch — “` 
Sem 610801 in der Nefidenz hatte ihm, über: 
rafchendermeije, recht gut geiallen. Das Neifen hatte 
ihm Spaß gemacht, und der Anblid des luſtigen Stadt: 
getriebes weckte eine heiße Sehnſucht in ihm, der ver- 
ihmähten Welt doch wieder ein wenig näher zu treten. 
Er fchritt vor den Spiegel und jah ſich prüfend an. 
Er war nod) nicht zu alt und and) garnicht fo entjeglich 


häßlich, um nicht nod) heiraten zu fünnen! Und heiraten 


wollte er und mußte er, Denn jujt darin beftand der erſte 


JOD 


Zeil feiner Nache, daß er Better Nüdiger jeden Anſpruch 
an das Majorat ein für allemal entzog. Ja, er wollte. 
heiraten. 

Aber eine Tochter des Landes mit he Ahnen 
mußte die Zufünftige fein, denn ohne Ddiefe hätte die. 
Ehe feinen Zweck gehabt. 

Ein majoratsberechtigter Sohn, mie ihn die itrengen 
Erbſchaftsſatzungen vorjchrieben, mußte ihm geboren ۲۶ 
den, Denn nur ein folder machte Wulff: Dietrich ae dem 
lteren, die Erbichaft ſtreitig — 

Eine Frau mit ٤7 Ahnen, die Tochter eines 
ہسہ"""‎ Gejchlechts! Das war eine jchwierige, 
üble Cache! 

Gray Willibald ward bleich vor Schreck bei dem Ge- 
danfen, daß an einer jolchen Gattin fein ganzer 7٤ 
Blan jcheitern fonne! 

Voll ficbernder Ungeduld jtürnte er in die Bibliothet 
und holte den Adelsfalender. 

Er las und las — und zählte und rechnete — und 
fand doch nur die eine, ihm Schon von früher ber befannte 
Thatjache beftätigt, daß e3 nur drei Damen in dem kleinen 
Herzogtum gab, welche die nötige Ahnenzahl aufweisen 
fonnten. Die eine war Etiftsoberin zu Schlierftein, eine 
Jungfrau von einigen fiebzig Jahren, welche auf Kinder: 
jegen nicht mehr rechnen fonnte, bie ziveite, — eine bier: 
unddreikigjährige Johanna von Nördlingen-Gummersbad) 
— hatte einft die Hüfte gebrochen und war jahrelang im 
Rollſtuhl gefahren, — ob fie wieder gehen kann, ahnt 


— 136 — 


er nicht — und die dritte, — Sohannas Eleine Nichte, 


Pia von Nördlingen, zählte erjt vier Lenze, war aljo 


wieder viel zu jung für den alternden Erbherrn von 
Nieded. 

Willibald fraute fih voll höchſter Beftürzung den 
Kopf, — dann fete er ſich langjam auf feinen Sefjel 
nieder und überlegte den jo äußerſt jchwierigen Fall. 

300011118 ! ja, Johanna war der Strohhalm, an welchen 
fi) all feine Hoffnungen flammerten! Auch eine Frau 
mit gebrochener Hüfte fann Mutter eines Sohnes werden! 

Auf jeden Fall war fie die einzige, welche in Betracht 
fam. Ob jo — oder fo, — heiratete er fie, war dod 
immer die Möglichkeit vorhanden, während er al Sung: 
gejelle feinerlei Chancen für die Erfüllung feines 8 
hatte. — Sa, er mußte heiraten! Diefe Notwendigkeit 
hatte ihn fein Feind gelehrt, — nun ward fie Pflicht. — 

Sollte er an Johanna fchreiben? — Nein, er will 
perfinlid) zu ihr gehen und um fie werben! 

Abermals wurden die Koffer gepadt. 


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š 
3 


— end —w 








VIL 


Lavendel, الا‎ 0٢۶ und Iymian, bie blühen in bem Garten, 
Wie lange bleibt ber FreierSmann, ih fann es nicht erwarten! 


۴ ۰ 






NN 13 Graf Willibald allein in dem Coupé erfter 
2 , Klaffe ſaß und Station um Station vorüber: 
flog, ihm jedesmal von neuem fündend, Daf 
er fi der Reſidenz in Sturmeseile nähere, ات"‎ ihn 
pliglich wieder das Gefühl tödlichſter Beklommenheit 
und Angft, welches ihm ftets die Kchle zugeichnürt hatte, 
wenn er an den entjeßlichen Moment eines Heiratsan— 
trages dachte! ۱ | 

Er ftarrte bleid) und verftört auf feine nagelneuen 
Glacéhandfejuhe nieder und jen Atem ging fo fchwer, 
bab er einem Stöhnen gli. 

Dennoch war diesmal der Grund feiner bangen Er: 
regung ein völlig anderer wie ehedem. 

Wenn er fic) früher in die Situation eines Freiers 
verjeßte, jo überfam ihn das Entjehen bei dem Gedanten: 
Was follft du bei deiner tölpelhaften Verlegenheit jagen? 


— 


Was ſollſt du anfangen, wenn fie „a“ jagt und dir an 
Die Bruft ſinkt? Wie jollft du dich im Verkehr mit 
einer Dame überhaupt benehmen, mit einer Dame, die 
dann deine Braut ijt, die Zärtlichfeiten, Xiebesworte und 
zarte Aufmerkſamkeiten verlangt? 

Dieje Borjtellung Hatte ihm ftet3 den Angitichweiß 
auf die Stirn getrieben und weil er fich fo ſehr vor 
dem “ہزرر‎ der fünftigen Braut fiirdjtete, hatte er es nie 
über fich vermocht, Dic verhängnispolle Frage an fie zu richten. 

Heute lagen die Dinge völlig anders. 

Das Blatt hatte fich gewendet. 

Diesmal zitterte Graf Willibald vor der Möglichkeit, 
ein „nein” al Antwort zu erhalten. 

Mit dem Fanatismus des Hafjes hatte er {i in den 
Gedanken verbiffen, Rache an jeinen Feinden zu nehmen, 
und Die Leidenfchaft hatte feine Energie gejtählt und fein 
Selbitbewußtjein wachgerüttelt. ۱ 

Er fiirdjtete fid) nicht mehr vor dem Heiratsantrag, 
bor dem Verfehr mit der Braut, er wußte genau, was 
er jagen wollte — aber er bebte vor einem Nichterfolg, 
— er verfam in 76٤6 und Angſt, daß Johanna ihm 
einen Korb geben fünntel — ` 

Nur das nicht! — Alles andere foll fie ihm anthun, 
ifn mit Launen und Grillen quälen, ihn tyrannilieren, 
verjpotten und ärgern — nur nicht abweifen! nur nicht 
feinen Antrag ausichlagen! 

Und ijt überhaupt eine Möglichkeit, daß fie ihn er- 
hort? — 


— 140 — 


Graf Willibald brüdt die Hände gegen die Cchläfen 


und chliegt wie ein Schwindelnder die Augen. Sohanna . 
ift jahrelang leidend geweſen, das Hat fie vielleicht mens: 


ichenfeindlich und verbittert gemacht, — hat fie weltlichen 
Intereſſen entfremdet. — Wie oft hört man nicht von 
franfen Mädchen, welche mit allem Srdifchen abjchließen, 
um treue, entjagungsvolle Braute des Himmels zu 
werden! — ۱ 

Und wäre Johanna auch feine freiwillige Nonne qez 
worden, — je nun, fo hat fie dod) ficher von dem greu: 
lichen Prozeß gehört, welchen Vetter Rüdiger gegen ihn, 
den angeblich Berriidten, angeftrengt! — ۱ 

Welch ein Mädchen aber Dat Mut und Selbftver- 

leugnung genug, einen Mann zu wählen, welcher im Auf 
eines Beiftesfranfen jteht, über welchen man fo viel ge 
laftert und gehöhnt hat, wie über den Majoratsherrn 
von Nieded? Und außerdem . . . wird Johanna e3 über 
fid) gewinnen, ihn, den häßlichen, unanjehnlichen Mann 
zu freien? — x 

Ein Fröfteln geht durch die Geftalt des Denfenden, 
Graft Willibald erhebt {ih und tritt jahlings vor den 
fleinen Spiegel, welcher über dem roten Sigpolfter an 
der Wand angebracht ift. Er ftarrt {ih an, وله‎ müßte 
er fein eigener Nichter fein. x s 

Gott im Himmel, wie Halid ift er! Mod) nie im 
Leben iff eS thm fo aufgefallen wie heute. Aber Graf 
Willibald vergißt, daß er in Ddiefem Augenblid in ein 
Geſicht blickt, welches Angjt und Aufregung verzerrt haben! 


— 141 — 


Seine fonft fo freundlichen, fehwermütigen, milden 
Augen bliden jet ftarr und auzdrudslos, — fie treten - 
weit hervor und geben dem 6:717 Geficht einen 
jremden, erjchredenden Ausdrud. 

Der Einfiedler von Nieded fintt üchzend mieder zurüd 

und jtüßt den dicen Kopf auf die Hände „Nein, — fie 
nimmt mich nicht! — fie nimmt mic) nicht!” — ftöhnte 
er auf, und bie Verzweiflung überfommt ihn und jliijtert 
ihm zu ,fehr um, du Narr! und blamiere did) nicht 
erit!” — 
Soll er wirflich umfehren? — Soll er's? — Nein! 
taujendmal nein! — Dazu ijt auch fpdter noch Zeit, 
wenn alles verloren ift! — Nüdiger fol nicht trium- 
phieren, er haßt ihn! D, wie er dieſen Menjchen haft, fo 
hat wohl noc) fein anderer einen anderen verabfcheut! 
Er will Hd) rächen an ihm — um jeden Preis! Und 
ift er auch häßlich und von der Welt verhöhnt, es gibt 
ja doch vielleicht noch ein Mädchenherz, welches fich 
jeiner erbarınt — gerade Die Rranfe, welche weiß, wie 
bitter Das Verlaſſenſein ift, gerade fie, die ebenjo einjam 
Ut wie er, fühlt Mitleid mit ifm! — 

D, wenn fie e3 thate! Wie wollte er ihr dieſes Opfer 
fohnen! Willibalds Augen leuchteten auf in ſchwärme— 
rifchem Entzüden. Wie eine Göttin wollte er fie anbeten, 
wie ein Sklave ihr dienen, fie überjchütten mit Liebe — 
Gold und Schäßen! — 

Der Zug faufte an großen Güterjchuppen und langen 
Reihen rangierender Wagen vorüber, hohe Häuſer rechts 


— 142 سب 


und linfg, — ein Pfiff — langanhaltendes Schrillen 
ber 6 man mae in Den =e Der Hele 
Deng ein. ۱ ۱ 

Der 90 0+ ſchrickt وا‎ Alles Blut 
drängt nad) feinem Herzen. Moc) einmal überfommt 
ihn eine lähmende, entjegliche Angft. — Coll er unt 
fehren ?! — 

Mechanifch greift er nach feiner Eleinen Handtaſche, 
und ftarrt, ohne zu erfennen, in das Gewühl der a 
hofshallen hinaus. 

Die Coupethür wird aufgeriffen, Kuhnert fteht mit 
freudigem Geficht auf dem Perron, ſchwingt Hd, empor 
und ergreift Das Handgepäd {eines Herrn. 

pour Stelle, Herr Graf!” — meldet er heiter, „nun 
Glick auf!” — Verdutzt blidt ihn Willibald an. Ahnt 
der Alte etwa — —? — Nein, unmöglid. Sein Plan 
liegt als Geheimnis tief in feiner Bruft eingejargt. و‎ 
denklich fieht er den Getrenen an. 

„Barum bift du fo vergnügt, Rubnert 2” fragt er. 

Der Getreue lächelt verſchmitzt: „Diefe Meije bringt 
uns Glick, Cw. Gnaden, die alte Lene hat mir 80 
Die Karten gelegt.” ۱ 

Der Majoratsherr wird ountelrot. Mit een | 
Ruck richtet er fic) empor. ae 

„Anlinn! — haben denn Lenes Karten ۲ afters 
Die Wahrheit gejagt?” — 

Immer, Herr Graf; — man kann darauf 00+ 
Wo befehlen Cw. Gnaden hin?“ — 


2143 — 


„Wieder nach Britifh Hotel!” — nidt Willibald Bods 
aufatmend. — „Vorwärts!” — 


š : 3 
* 


Die Altitadt der mitteldeutichen Reſidenz beitand nicht 
aus engen, hohen, verräucherten Straßen, jondern aus 
jener Specie? von kleinſtädtiſchen Gaſſen, welche durch 
vornehme Altmodiſchkeit auffallen. 

Langgeſtreckte, einfach gehaltene Häuſer mit — gleich⸗ 
mäßigen Fenſterreihen, breiter Thorfahrt vor fteinernen 
Treitreppen, erzählten dem Beſchauer, Daf hier feit vielen 
Hundert Jahren der alte Landadel feine Heimftätte qez 
gründet hatte. Noch prangten hie und da die Wappen über 
den wunderlich geſchnitzten und verjchnörfelten alten Thüren, 
‚ein Garten drängte ſich, durch hohe Mauern abgejchloffen, 
zwifchen bie Häuferreihen und über manchen Thorbogen 
nickten dunkle Lindenwipfel oder knorrige Afazien, welche 
noch von Seiten erzählten, da die alten gräflichen Gala- 
futichen mit den feierlich gepußten Lafaien über das holp- 
rige Pilafter jchwanften, die gräfliche oder freiherrliche 
Familie zu Feften und gen in das zu ihres 
Herzogs zu bringen. — 

Andere Zeiten waren gefommen und Balte gar n mans 
ches in den herrichaftlichen Straßen der Heinen 02 
geändert. Mand ſchöner Garten, welcher ehemals der 
Stolz und friedliche Erholungsplaß der Großeltern ges 
wejen, war dem praftijchen — — der Enkel zum 
Opfer gefallen. — 


— .144 ہے 


Da, wo ehemals die blühenden Wipfel über die Mauer 
nidten, erhoben fic) nun neue, vielftödige Gebäude, welche 
wunderlich abitachen gegen thre niederen altehrwürdigen 
Nachbarn! Hier und dort war auch einer der herrichaft- 
lichen Beſitze verfauft, und jeine großen, niederen faal- 
artigen Zimmer waren in Magazine und Geſchäſtsräume 
umgewandelt, und da, wo ehemals die Krone über dem 
Wappen geprangt, leuchteten jest Die buntgemalten Firmen 
fchilder und die ۰ | | 

Sp waren bie alten Gaffen ein eigenartiges Gemifch 
von „ehemals und jest” geworden, ohne doch im großen 
ganzen ihren eigenartigen, ruhigen und altmodifden 
Charakter zu verlieren. In einem der grauen Gebäude 
wohnte auch jebt nod) der Freiherr von Nördlingen — 


Gummersbad, jo wie es Vater Hno Borviiter bor ihm Ç 


auch gethan hatten. 

Außer dem alten Haufe war fein — Erbe auf 
den jungen Offizier überkommen, als feine Eltern geitorben 
waren und ihn und feine Schweſter Johanna in be 
jcheidenften Vermögensverhältniffen zurüdließen, — 

Die Geſchwiſter wohnten nach wie vor in dem Vater: 
hauje, deſſen unteren Stock jie günſtig an eine vermwitwete 
Hofmarjchallin vermietet hatten. Hans Georg ftand als 
Dffizier in dem Leibgrenadier-Regiment feines Herzogs, 
und alg er Hauptmann geworden war, vermablte er fich 
mit der Tochter des Staatsminifters, welche außer ihrem 
vornehmen Namen auch nicht mehr wie die Kaution mit 
in die Ehe brachte. 


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Die Eltern aber unterſtützten durd) gute Zulage, eine 
alte Bathentante that desgleichen, und fo lebte das junge 
Baar in forglojen und glüdlichen, wenn aud) nicht glan- 
zenden Berhältnijjen. Sohanna fah man offiziell als 
die dereinftige Gemahlin des Majoratsherrn von ۸ 
an, denn eë war befannt, daß fie wohl Die einzigite 
paffende Partie für ihn jet, in einer Beit, wo ein ganz 
wunderbarer Mangel an jungen Damen von tadellofer 
Ahnenreihe war. Sn 

Nie hatte ein Nieded eine derart frappe Auswahl 
an pafjenden Partien gehabt, und Darum rechnete 
Die Familie Nördlingen mit Beitimmtheit auf den reichen 
Freier. 

Aber das Schickſal zog durch all die glänzenden Pläne 
einen jähen, grauſamen Strid. Bei einer Wagenfahrt 
über Land verunglüdte die junge Dame jo jdwer, daß 
fie die Hüfte brad) und jahrelang als Watientin das 
Bimmer hüten mußte. ۱ 

Der Freiersmann blieb jelbitverjtändlih aus. Die 
Beit flog mit grauen, tragen Schwingen dahin, und der 
Einfiedler auf Niedeck verlor fic) in feine Cinjamfeit, 
— jo fern und tief, Daß faum noch eine Kunde von ihm 
in Die Nefidenz drang, ¢3 fei höchſtens das Gerücht 
feiner Wunderlichfeit und Unzurechnungsfähigfeit, welche 
jede Heirat ausjchloß und den ältejten Sohn des Grafen 
Riidiger, den Heinen Wulff-Dietrih zum fünftigen Erben 
machte. : 

Der Che Hans-Georgs war währenddeſſen ein 


— 147 لت 


Zöchterchen entfproffen, welches Pia getauft und fcherzen- 
der Weile jchon in der Wiege mit Wulff-Dietrich ۶ 
verlobt ward. | 

Graf Rüdiger war ein vorfichtiger Mann und ficherte 
fid) baie „Braut mit den jechzehn Ahnen‘ rechtzeitig für 
den Sohn, denn unbegreiflicherweife jchien auch für die 
Zufunft wenig Aussicht, daß die alten Stammbäume 
liebliche Blüten für die Niededs erjpriegen ließen. Bei 
Pias Taufe hatte man das Heine Pärchen miteinander 
„veriprochen”‘ — ein preter wie Graf Miedeck hatte nicht 
leicht in der armen Dffiziersfamilie einen Korb zu be: 
- fürchten! — und der leutjelige und jehr animierte Vater 
Rüdiger hing dem zufünftigen Schwiegertüchterchen eigen- 
händig ein bligendes Brillantmedaillon um, auf deffen 
Rückſeite der ſcherzhafte Vers eingraviert war. — 


„Du Rind mit goldenen Härchen, 

Wart’ nod achtzehn Bahrdjen, 
Dann fommt mein Sohn Wulff-Dieterid) 
“Und macht zu feiner Gräfin 7 


Das Kind Pia wuchs in holder, eigenartiger Schön: 
heit heran, gepflegt und gehegt, geliebt und verhätjchelt von 
allen, am meijten aber von Tante Johanna, der armen 
Kranken, welche fein größeres Vergnügen fannte, als den 
Beſuch ihres Heimen Lieblings in ihrem einjamen Stüb- 
chen. Gar oft prebte fie Die Augen auf das lichte Gold- 
haar de3 Nichtchens und nebte eë mit Thränen, jab fie 
boc) in der Kleinen die Verwirklichung all ihrer eigenen 

vA | en : 10* 


Zeig نت‎ 


Traume, die Erfüllung alles belen, was fie mit bluten- 
dem Herzen al’ Traum zu Grabe gelegt. ۱ 

. G8 war ein fonniger, leuchtender Junitag! $o ۔‎ 
— hatte bie Fenſter ihres Zimmerchens weit geöffnet 
und jak, einen blühenden Fliederſtrauß, wohl den legten 
diefes Jahres, auf dem Schoß, in dem altmodijchen Lehn⸗ 
را‎ um fehnjuchtsvoll zu dem blauen Himmel empor 
zu blicken. Sie fam foeben von einer Kleinen Promenade 
heim, — das Gehen ftrengte fie immer noc) an und 
machte eë thr Og die ferner gelegenen Barfanlagen 
zu erreichen. 

Ein Spaziergang in den jchattenlofen, engen Waffen 
war jedoch faum eine Erquicung, und jo janf die Baz 
roneß mit fdjmerglichem Aufſeufzen in den Sejjel nieder 
und ſchloß erichöpft die Augen. Thränen rannen über 
Die bleichen, zarten Wangen, welche fic) noch jo voll und 
fieblich rundeten als fet ihre Beligerin nicht ein Mädchen 
von fünfunddreißig Jahren, jondern ein 000 
welches joeben ins Leben eintritt, .. 

Die tiefe Ruhe und Abgeichlofjenheit 8 دوجس‎ 
Liegens und 8 hatten: Antlig und Figur rund und 
voll geftaltet, und wenn auch die Frifche und rofige Farbe 
'chlte, jah Sohanna dennoch überrafchend jung aus. 

Der feine Leidenszug zwiſchen den dunklen Augenbrauen 
gab bem milden, unbejchreiblich herzensguten und freund- 
lichen Geficht der Kranken einen ganz befonderen Reiz, und 
wen ihre braunen, jammetigen Augen — „Aurifelaugen“ 
nannte fie ehemals ihr Vater — anfchauten, dem ward e3 


AG 


gar wohl zu Sinn und er fühlte warme 501007 für 
das arme 0 6 Wadden. 

Mach Ausfagen der Ärzte war die Hüfte sehr tang: : 
fam und ſchwierig, aber doch endlich ganz normal und 
zur Bufriedenheit geheilt. 

Eine gewiffe Steifheit war aber 7 ۵۷0ر‎ (211 
Die Figur war ein wenig jchräg geworden und der Gang 
behielt ein leichtes Hinten bei. Johanna empfand 6 


Gebrechen ‚tief und ſchmerzlich und zog Hd um ihretwillen 


vollſtaͤndig von allem Verkehr zurüd. Was ſollte fie, 


Die mittelloje, verunftaltete alte Sungfer zwiſchen frohen, — 


lebensluftiqen Menfchen? x 

Das Geld, welches Toilette und Geſellſchaft gefojter 
haben würden, jparte Johanna und ginnte Hd, dafür im 
Sommer allwöchentlih eine Spazierfahrt in die freie, 
herrliche Gottesnatur, welche fie jo über alles liebte, und 
von welcher fie bie grauen Stabtmauern jo unbarmberzig 
trennten! 

Auch heute empfand fie ein heißes, jehnfüchtiges Bers 
langen nad) Wald und Feld, welche fie geftern mit wahrer 
Begeifterung gejchaut hatte, — aber ¢3 war unmöglich, 
daß fie heute jchon wieder einen teuern Wagen bezahlen 
fonnte, darum faltete fie Die Hände rejigniert um ihre 
geliebten Fliederzweige und blidte zu dem Himmel empor, 


al Bege fie nur nod) einen einzigen Wunſch, bald die A 


ichmerzgelöjten Glieder droben in dem 7 eich 


des Lichtes und des Friedens zu baden! Das Leben war 


jo namenlos traurig und arm für fiel — 


— 150 — 


Seit ihr Liebling und einziger Troft, die fleine Pia, 
das Haus verlaffen hatte, war aller Sonnenjchein mit 
ihr ۰ءء‎ 

Bittere, blutige Thränen hatte das einjame, ۶۴ 
Mädchen geweint, als fie Abſchied von ihrem Hergblatt 
nehmen mußte. — Hans-Georg aber machte ihr flar, Daf 
e8 ein großes Olid für das Kind fet, in dem Haus der 
reichen, vornehmen Berwandten in aris erzogen zu 
werden! Wie fonnte fic) beffere Gelegenheit für Pia 
bieten, der frangofijdjen Sprache vollfommen 09 gu 
werden? 

Und Spradfenntniffe find für ein anbemitieltes 
Mädchen von hohem Wert. 

Das Schidjal Johannas hatte es bewiefen, daß über 
Nacht alle Pläne und Hoffnungen auf eine Heirat ۶ 
nichtet werden fünnen. | 

Das jah Gohanna nur allzu qut ein, auch wußte fie, 
daß Pia im Haufe des Legationsrates aufs bejte und 
gewiſſenhafteſte aufgehoben jet und fie bekämpfte helden- 

muütig ihren Schmerz, und gab aud) das [este Olid, 
welches ihr geblieben, felbitlos dahin. — ۱ 

Shr Leben aber ward öd und troftlos; ihre beiden 
wilden, Kleinen Neffen fanden feinen Geſchmack an der 
Rranfenjtube und den liebevollen Feen- und Engel: 
geichichten Der Tante. Sie hielten fic) fern, — ebenjo 
fern wie ihre Mutter, welche, jung und lebensluftig, den 
ganzen Tag über viel zu fehr bejchäftigt war, um 
eine wnintereijante. alte Sungfer unterhalten zu fönnen. 


al > 


Der Bruder war zumeiſt im Dienft — er fprach nur felten 
einmal bei ihr bor, wenn er Bücher, Blumen oder ۳ 
eine Heine Aufmerkſamkeit für fie hatte. — 

Sohanna nahm es micht übel, fie wußte, daß man 
in Diejer fchnelllebigen Zeit nicht viel Muße hatte, in ein 
Erderjtübchen empor zu jteigen und vergilbte Jungfern— 
weisheit zu hören; aber fie empfand ihre Einſamkeit 
dennoch jehr jehmerzlich, und hauptſächlich darum, weil 
ihr jeder Naturgenuß in derjelben verfagt war. Sa, hätte 
fie jeden Tag nur eine Stunde lang hinaus in die fchöne 
Gotteswelt gekonnt, — fie würde alles andere darum 
vergefjen haben! Ob im Somenſchein, Sturm, Negen 
oder Schnee, — die Natur hatte ftet3 einen magijchen 
Reig für fie, und ihre tief empfindende Geele laujchte 
gerade dem Wechſel und Wandel in Wald und Feld die 
zauberhafte Schönheit ab. 

Wie oft aB fie nicht abends und malte fich liebe Bilder 
aus, wie fie e3 wohl haben mote! — 

Reifen! — ja ſtill im Wagen figen und alle Herrlich; 
feiten ſchauen, — am ſchönſten Fledchen und 1 
ausjteigen und langjam, jo langjam wie es ihr Gebrechen 
bedingte, dahin wandeln in trunfenem Entzüden! — 

Neifen, wie fonnte fie an Reifen denfen! Ach, #3 
hätte ja and) jchon längſt genügt, wenn fie draußen im 
Walde hätte wohnen können, fein Leben und Wehen nom 
Fenſter aus ۶ ſchauen fönnen, raufchende Wipfel, 
Vogelgezwitſcher, friedlich ۶٤ (0 — ad, weld 
ein anderer Anblick, al3 diefe hohen, verraucherten Mauern, 


سے 152 — 


über welche fern herein ein paar ftaubige Zaubfronen 
bliden! Und wenn Johanna Herz fd) wund und weh 
nach folch ftillem Glück jehnte — dann preßte fie wohl 
Die Hände gegen die Bruft und feufzte tief auf: „Ach, bab 
eine Menfchenfecle fic) meiner erbarmte und mir die Sterfer: 
thüren öffnen wollte! Auf den Stuten würde iS e3 danken, 
mein Leben lang!” — 

Der Herr hört dag Gebet der Berlaffenen. 

Wie geheimnisvoll der lieder heute Duftet, wie Die 
fleine Schwalbe mit hellem Gubelfdret an Dem Fenſter 
vorüberichießt, als wolle fie fagen: So fchnell wie i 
fliegt auch das Gli! Es trägt goldene Schwingen und 
fällt unvermutet vom Himmel herab! Auch das fernfte, 
verſteckteſte Stübchen findet es auf und huſcht durch bie 
engite Sube herein! — Seine Zeit muß nur fommen! 
Es wartet ebenjo auf den Frühling wie ih! — Wenn des 
Winters Not und Qual fiegreich überwunden, fommt jedes: 
mal der Len} mit den Schwalben und dem Gli! — سے‎ — 

An der Thür klopft eS, die ehemalige Ridin der 
verftorbenen Eltern, welche bei ,unjerem armen franten 
> Binde” — treulich — wenn auch etwas tyrannifch Haus 
hält, tritt ein. 

Sie hält eine Bifitenfarte it der Hand, und fcheint 
iprachlos vor Überrafchung. 

„Bnä Frölen Hanning” — jagt He und ſtreicht Bods 
atmend mit dem Handriicen über die Stimm: ,nuendlid) 17 
kümmt hei!“ — Verjtändnislos blidt die Baronejje fie 


an und ftredt die weiße, gierlide Hand nad) der Karte ۱۱. ۱ 





— 154 — 


aus. Einen ſchnellen Blick darauf, und dann ſchießen 
dunkle Blutwellen in ihr Antlitz, wie ſchwindelnder Schreck 
überkommt es ſie, und doch zuckt iht Herz auf wie in 
jäher Ahnung großen, unendlichen Glüdes. 

Einen Augenblick kämpft fie an gegen die Überrafchung, 
welche fie vollftändig verwirrt, dann fchilt fie fic) in ۶ 
banten felber eine Thörin, und blidt mit dem V rubigen, 
etwas wehmütigem Ladeln auf. 

Ich 1۵116 den Herrn Grafen bitten, einzutreten! Er 
wird fic) gewiß nach feiner künftigen Kleinen Nichte ers 
fundigen wollen!” — Die Alte fieht bei diefen Worten 
etwas enttäufcht aus, wendet fic) kopfſchüttelnd ab und 

verſchwindet hinter ber Thür, — Johanna aber preßt die 
and gegen das Herz-und erhebt fi, — mit 0ئ‎ 
Knien {teht fie neben dem 1, 
` Die fchmale, grüne Wollportiere regt fi abermalg, 
Graf Willibald fchreitet über die Schwelle. 


Die Erregung hat aud) fein ٤ gerötet, er bleibt: =. 


ein wenig unbeholfen an der Thür ftehen und verneigt ih. 

Da fieht er, wie die Heine, rundlide Mädchengeftalt 
ihin entgegen tritt und die Hand zum Gruß reicht! 

Sie fit nicht mehr im Fahrftuhl? Sie geht fogar 
ganz allein ohne 26٤04٤ und 7۶ 

Diefe freudige Überrajchung malt fic in unverhohlenem 
Entzüden auf feinem WAntlig und verjchönt es 2 den 
Ausdrud reiner, ehrlicher Freude. 

„Baroneß, Sie gehen? Cie lönnen wieder ganz allein 
gehen? Sie find wieder geſund?“ poltert er anjtatt jeder 


— 685 ہے 


Begrüßung heraus, aber ¢3 flingt ein folder Gubel durch 
jeine Stimme, eine fo aufrichtige, wahre Freude, Daf 
Sohannas Herz in dankbarftem Empfinden hod) aufwallt. 
So viel Teilnahme an ihrer Genejung hat ihr noch) 
niemand erzeigt. 

„sa, Herr Graf — Gott fei Dank geht e8 mir Des 
deutend beffer, wenngleich ich nod) immer hinke und wohl 
auch zeitlebens an dieſem Gebrechen tragen ۳ 

Er drüdt jtürmijch, aufgeregt ihre weiche, Heine Hand: 
„Od, das it ja gang unbedeutend — da ift ja ganz neben: 
jählih! Weld ein Glick, daß Sie jo friſch und wohl 
find! Habe eS mir gar nicht träumen laffen, Baronef 
— . fonjt ... ja —ſonſt wäre ich wohl 109011 eher 
۱ qefonune l” — 

Sie erglüht abermals und bittet mit 1م‎ Hands 
bewegung Blak zu nehmen. 

„Es ijt eine rechte Überrafchung, Cie einmal ھ8‎ 
in der Nefidenz zu fehen, Herr Graf!” lächelte fie fo 
unbefangen wie möglih: „Wie lange Sabre haben Sie 
fic) nicht mehr bliden laffen!” — 

Er fieht fie ehrlich an: „Was jollte ich bier, Sräulein 
Sohanna? 616 wiffen eë wohl jelber, wie man mir hier 


begegnet ift. Die traurigen Erfahrungen haben mid) — 


menjchenfcheu und munderlich gemacht, die Welt gab mir 
fein Oli, darum bin ich in die Einſamkeit geflüchtet, 
wohin ſolch ein ungejdladter, häßlicher Gejelle wie ich 
einzig bingehört!! — Wie in flehender Angft hing fein 
Blick an ihren Lippen, Fohanna aber fhüttelte voll milden 


— ول 


Ernftes bas Haupt und antwortete: „Wie können Sie fo — 
etwas jagen, Herr Grafl 0ھ‎ und Häplichfeit find 
Geihmadjahe!” — 

„Und wie urteilt Shr Gefchmad, 67 fragt er 
leife, wie ein bittendes ۰ 

Sie Ichaute ihm — abermals errötend — in Die Augen. 

Ich finde felbft das ſchönſte Antlitz häßlich, wenn e3 
den Ausdruck gemeiner, unlauterer und fündhafter Ems 


pfindungen und Begierden trägt, und ich nenne das وق‎ 


lichſte Geficht ſchöͤn — wenn fich in jenen Augen eine — 
Seele fpiegelt, wenn Güte, Treue, Wahrheit ihm ihren | 
Stempel aufgeprägt haben!” — 

Der Klang ihrer Stimme fagte mehr nod) wie ibe 
Worte, wie in einem Taumel des Entzüdens fapte 12 
bald ihre Hand und gog fie mit einer Kühnheit, welche 
er jelber nicht begriff, an die Lippen. | 

„Denn die Wahrheit jchön macht, Sohauna — fo laffen 
Sie mich auch durch fie {hon werden!“ rief er ungeftüm: 
„nenn wahr jein möchte ich in Diejer Stunde mehr denn 
je! Lafjen Sie uns jet nicht von gleichguitigen Dingen 
reden, Denn Das würde eine Züge jein angeſichts ۲ 
tiefinnerjten Empfindungen. Sie wiſſen warum ich hierher 
fomme, Johanna, — Cte ۱۵۱۱۱6۲ eë jo aut wie ıh! Da 
ift nur ein Wunſch und Gedanke, welcher mich beichäftigt, 
und Miles, was eine Enticheidung aufhält, qualt und 
beunruhigt iid! Ich fann nicht über Wetter, Menſchen 
und Theater mit Ihnen ſprechen, wenn mein Herz ganz 
andere Linge denft! — Warum wenden Ere fic) ab? 


— 187 سیم 


— Erfchredt Sie diefe fchnelle, ehrliche Wahrheit nun 
bod)? — Habe ich e3 alld angefangen? © dann vers 
geben Sie mir! Haben Sie Nadhficht mit einem Mann, 
welcher der Welt fo fremd geworden iſt — Ich meine 
es ja gut, Johanna — jo von Herzen gut!” — — 


Er hatte ihre Hand ergriffen und drüdte fie wie be 


ſchwörend zwiſchen den feinen. 

Whermals begegneten fich ihre Blice, und in beider 
Augen lag derjelbe Ausdrud, eine feliqg bange Scheu, 
eine Beicheidenheit und PVerzagtheit an das Glück zu 
glauben! — ۱ 

Johannas Wangen färbten fic) immer höher, wie 
eine glühende, blühende Roje lächelte ihn ihr Antlitz an, 
und Die engelhafte Güte und Demut, welche Hd) darin 
ausſprachen, ließen Ten Herz wie in trunfenem 7 
aufjauchzen. Er preßte ihre Hand an feine Lippen. 

„Sie fennen mich noch nicht, Johanna — und alles 
was Sie wohl von mir hörten, war nicht dazu angethan 
mir 838 Herz zu gewinnen! Sd) weiß, welch eine Bers 
mejjenheit e3 von mir it, Hier vor Ihnen zu ftehen und 
unter foldjen Umftänden um Ihre Hand zu werben! 7> 
bei Gott, Johanna, Sie follen eë nie bereuen, mein Weib 
geworden zu fein! — Mich felber und meinen äußeren 
Menichen fann ich ja leider nicht ändern, den müſſen 0 
nachfichtig mit in den Kauf nehmen, aber mein Leben — 
mein Handeln — Denfen — Fühlen — das fteht in meiner 


Gewalt, und das will ich Ihnen in innigfter, treufter Liche 


zu eigen geben — das fol Sie gliidlid) machen!” — 


سی :198 — 


Er hatte ſchnell, Leidenfchaftlich erregt gefprrchen, er 
ſtaunte nicht über feine Kühnheit und wunderte Hd nicht, 
woher er all die Worte nahm — fie flofjen ihm unge- 
fuht aus dem tiefiten Herzen heraus — und darum 
gingen fie aud) zu Herzen. Große, leuchtende 2011 
glänzten in Johannas Augen. 

Wie find Sie jo gut zu mir, ber Ginjamen, Rranten, 
die auf der Welt fein Glück mehr erhoffte! Aber ich fürchte, 
Graf Nieded, Sie überfhägen mich, Sie halten mich für 
gefünder als ich bin —” 

Ich wähnte Sie nod im Rollſtuhl figend und fam 
Dennod) als Freier zu Ihnen!” — rief er jtiirmijd, legte 
den Arm um fie und gog fie an Hd — ارر‎ bin wie gez 
blendet von dem, was ich ſehe!“ — 

„ber Sie fennen mich nod) fo wenig — 

Da lachte er, und das Lachen 02, jean Geficht, 
das glüditrahlende, ſchön — 

„Mir it eë zu Sinnen, al8 ob wir unë fchon lange, 
lange fennten, — jo wie ein Kind fic) feine Weihnachts- 
puppe in Gedanken ausmait und wenn e8 fie dann am 
heiligen Abend in den Händen hält, ausruft: „ja — die 
meinte ich, Die gerade, die wollte ich haben!” 

Nun lachte fie auch, aber fie lehnte das Haupt an 
feine Schulter und flüfterte: „Es ift ja erft Sommerzeit; 
id) tann es noch gar nicht faffen und begreifen, daß es 
10001 Weihnacht für mich geworden!” 

Einen Augenblid blieb es till, nur zwei übervolle 
Menjchenherzen Hopjten in dem Rauſch unglaublichen 


= ازور — 


Glückes zum Berfpringen. Ein nie gefanntes Gefühl 
durchichauerte den einjamen Mann, als er Die weiche, 
fleine Mädchenhand mit feftem Drud in ber feinen fühlte, 
al3 er die Wange auf ihr jeidenweiches Haar prefte. 

Er, welder aus Haß und Nachjucht den Plan qes 
faßt, zu heiraten, welcher hierher gefommen war, einzig 
um eine Gemahlin zu gewinnen, welche die Wünfche und 
Hoffnungen des Grafen Rüdiger durchkreuzen jollte, er 
jab plöglich als zärtlicher Bräutigam zu Füßen der Er: 
wählten, voll himmelanjtürmender Seligfeit den Inbegriff 
alles Glüdes in ihr vergötternd! Und Johanna, welche 
im erjten Augenblid in dem Freier nur einen ۲ 
aus tieffter Verlaffenheit gefehen, von welchem fie nur 
Das beicheidenite erhofft, den Genuß, ohne Sorgen in 
Niedeck, dem freien, waldumraufchten wohnen zu fünnen, 
fie fühlte es plöblich fo frühlingswarm in ihrem Herzen 
emporquellen, al3 fei ihr in Dem Freier, welchen alle Welt 
fo häßlich nannte, das Sdeal aller edlen, treuen, preifens: 
werten Männlichkeit erjchienen. 

Wenn es bei den Frauen vom Mitleid bis zu der 
Liebe nur eines fleinen Schrittchens bedarf, fo geht bei 
ihnen die Dankbarkeit mit ber Liebe wohl immer Hand 
in Hand. ۱ 

Es war ein wunderliches Finden, welches Me beiden 
Herzen diejer einjamen, freudearmen Menjchen verband. 
Eines fühlte fich tief und unauslöfchlih in der Echuld 
des anderen, eines erblidte in dem anderen jenen größten 

Wohlthäter, jedes empfand das Glüd, welches ihm ges 


— 


2,460. 


worden, al3 unverdientes Gnadengefchend, welches ihm 
die Barınherzigfeit gemacht. Im Übermaß Des Empfin: 
۵0118 waren fie beide verjtummt. Hand in Hand jafen 
fie nebeneinander, — vor einer Stunde noch fremd und 
weltenfern — jet im innigften Glüd vereint für alle 
Beit. Willibald küßte die Braut auf den Mund: „Laß 
una zu deinem Bruder gehen!“ bat er. 

Und fie gingen, wie von Engeljchwingen getragen. 
Ein rounderliches Brautpaar. Der häßliche, ٤ 
Mann, das Hinfende verfrüppelte Mädchen; und dod) ftand 
der Himmel über ihnen offen, und fie — den Liebes⸗ 
pſalter der Rn, | 


herr I, 


Der Majorat 


Gfitruth, QU. Rom. u, Nov., 


Ef 


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Ih muß geduldig fein, bis ber Afpect am Himmel günftiger ift. 
Wintermarden Il. Nufy 1. Se. 
„26 will ihm dienen, ihm Leben, ihm angehören ganz.” 
۱ )5 9 ۵ ۰ 






2 as war eine der größten Überrafchungen, wele 
an گی‎ die Nefidenz jemals erlebt hatte, ala am nad: 
; ` ter Morgen die Verlobungsanzeige des Grafen 
Willibald von Niedek mit Johanna, Freiin von Nörd- 
lingen-Gummersbadh, in der Zeitung ۰ 

Frau Melanie ftieß einen gellenden Schrei aus, fo 
daß ihr Gatte entſetzt von der Chaifelongue, anf welcher 
er jeine Frühſtückscigarette rauchte, emporjchnellte. 

„Nüdiger — auch das noch! — Das war alles, was 
noch ۳ 

Der Graf warf einen erklären Blick auf das Bei- 
tung3blatt. Er ward fehr bleich. 

„Ah — das ift perfidel!” ftieß er furz hervor, dann 
preßte er bie Lippen zujammen und ftarrte an feiner auf: 
geregten Gattin vorüber ing Leere. Plötzlich lachte er 


Iho. =‏ مب 


Hart auf: „Je nun, gönnen wir thm doch das harmloſe 
Vergnügen!“ er achjelzuefend. 


„Harmlojes Vergnügen, wenn der Majoratzherr bi | 


ratet 2” 

,Sewip! — Wen e. er — Bat bie fleine 
Budlige it jehr ungefährlich !“ 

„Johanna ift nicht ۳ 

„Run, dann ift fie ſchief — und Hinft! 5 
ift wohl ausgefchloffen, daß fie den Klapperſtorch noch 
zu ihrem Hoflieferanten macht!” — 

„Ite Dich nicht! Man hat Beifpiele — —” 

Nüdiger ftampfte voll zorniger Gereiztheit bas Parkett: 
„Unfe doch nicht ewig! — Als ob ich e3 ändern fünnte! — 
Hol’ der Teufel den verrücdten Kerl, wenn er etiva 1 
sungen noch einen Erben vor die Nafe jegen will!” — 

„Der Teufel fcheint feinen Appetit auf ihn zw haben, 
jonft hätte er ihm wohl jchon eher den Hals umgedreht! 
— Rüdiger — ich beihwöre dich — was fol aus uns 
werden, wenn Wulff Dietrih auch nod) dad Majorat 
verliert?! Wird in Nieded ein Sohn geboren, haben 
wir auch jedweden Kredit verloren!’ 

Der Graf fchritt, wie ein Tiger im Käfig, auf dem 
Teppich Hin und her. Er nagte voll zitternder Nervofität 
an den Schnurrbartipigen, feine Gefichtsfarbe jpielte in 
das ۸ 

„Sa, was fol dann werden?” murmelte er tonlos. 

Die Gräfin fant laut aufweinend wie ein Rind in 
einen Seffel. „Papa muß 76 

111 


۷ اد تا 


„Dein Herr Water ift ۳‏ ل 


„Noch nicht offiziell — er n ۷۵۵۵2 nod) etwas 


vo retten? — 


Wenn er etwas rettet, denft der brave Mant ne 
an fich!” fpottete Rüdiger. 

„Sc werde zu Tante Aurelie reifen und thr unjere 
Lage mitteilen! Sie ift meine Bate und jteinreic !” 

reife du zu Tante Aurelie, — aber bergi nidt, 
daß fie unferem Wulff ein Alfenide-Befted zum Patenge- 
ichenf gemacht hat, — dir gab fie überhaupt nichts. Tante 
Aurelie ift das gemeinſte, Fnaufrigfte Frauenzimmer unter 
der Sonne!” — 

„Du haft rect; — ich fürdte . . . ich fürchte . .” 
ihre Etimme erjtidte in verzweifeltem Schluchzen. 
Bur Not verkaufen wir die Befigung Hier und 

ziehen uns in das Ausland zurüd; unbefannt in einer 
fleinen Stadt fönnen wir 71 den Zinſen de3 Erlöſes 
[eben 1“ 

„Aber wie!! Gold eine unmwürdige Eriltenz ertrage 
ih nicht! — Ich tan mih midt einfchränfen — ih 
fann nicht Darben! — Lieber will ich ۳ 

„Das Steht dir ja immer noch fret!” höhnte er mit 
Barter Stimme, „fall dir nicht im lebten Moment nod 
einfüllt, daß Selbſtmord tödlich ۳ 

„tap ole unverjchämte, herzlofe 774 
braufte fie wütend auf, ,,bildeft du dir ein, ich würde in 


folhem Elend bei dir bleiben? $d laffe mich von dr .. 


] — 


س 165 — 


Gr verneigte fich höflich: „Wird mir ein ganz be: 
ſonderer Borzug fein!” — dann wandte er fic) kurz ab, 
nahm die Zeitung abermals zur Hand und warf Hd in 
einen Geffel nieder, um gleichgül tig in den Papieren zu 
blättern. 

Über jeine Augen fchweiften ruhelos über die Beilen 
hinweg, es fchillerte und flacterte darin wie bei einem 
Menichen, dejjen Inneres durch wiifte Stürme leiden- 
Ichaftlicher Erregung durchtobt wird. 

Frau Melanie fchluchzte leife vor {ih hin, zerbiß in 
törmlicher Wut ihr Spibentafchentuch und hammerte mit — 
dem roten Abſatz ihres orientalischen 02 gegen 
die Goldleiften des ۰ 

So mochte eine Stunde verfloffen fein, eine Stunde, 
in welcher die beiden Menfchenfeelen die Qualen eines 
Fegefeuers durchlitten. Bon der Verzweiflung und Angft, 
bon der Sorge um ihre ganze Ertjtenz gejchüttelt, kämpf— 
ten fie einjam gegen die Schreckniſſe ihres drohenden 
Ruins an. 

Keines fand bei bem anderen Troft und AZufprud), 
feines milde, liebevolle Teilnahme, welche ſtützen, helfen, 


raten und ertragen will. Wenn fic) zwei Herzen im Olid 


falt und fremd gegenüber ftehen, jo empfinden fie die Ode 
und Berlaffenheit ihres Lebens nicht jo jchroff, weil noch 
"Mittel zu Gebote jtehen, die Einne zu betäuben, — tritt 
aber das Unglüd rauh und falt neben jolche Ehegatten, 
dann reißt e3 fie rettung3lo8 auseinander und bedt den 
Ihmindelnden Abgrund, welder rojenverdedt zwiſchen 


— 168 — 


ihnen gähnte, auf, daß er jedem Glück und jedem Frieden 
zum Grabe ۰ 

Eine troftloje, entjfeßliche ۶  Bitterfter Berlaffen- 
heit! Eine Stunde, melde das Schidjal als Keulenjchlag 
gegen bie Herzen führt, fie mit brutaler Hand aufzu- 
ſchrecken und zu mahnen Aber die Stunde verftrich, und 
Die Herzen waren härter gewejen wie Die Seule. 

- Der Zufall mifchte die Karten noch einmal tückiſch 
zum Spiel. Wn der Thüre des Mebenfalons Elopfte es. 

Grafin Melanie [draf mit 8ئ‎ Augen und 
verjtörten Geficht empor. 

Sie ftarrte dem Diener, welcher auf flbernem Tablett 
ein Papier trug, entgegen. 

„Bas [tiren Sie mi? — — Was bringen Sie?” 
hertfdjte fie den Galonierten zomig an. 

Graf Rüdiger lachte ironisch: ,,Die 
Hergdhen! Haft du [hort eine Toilette bereit?! — 

Melanie Dif die Zähne zufammen und rig den Grief 
an id). 

„Eine Depeche! — Wn mich?” — 

„Befehl, Frau Gräfin!” 

„ha — der Vetter hat es eilig mit dem Heiraten!“ 
flang die Stimme Des Grafen abermals heifer ba: 
zwifchen, aber er erhob fich und trat hinter den a x 
feiner Gemahlin. 

Ebenfo wie vorhin brad) auch jebt ein Schrei über 
bie Lippen der Gräfin, aber diesmal war 8 "00 Sube, 
کو‎ Durd) Das ماق‎ ١ halte. | 


— 10% سم 


pics!” rief fie triumphierend und warf ihrem Gatten 
mit flammenden Augen das Blatt zu. 

Es ift gut; gehen Sie“, fügte fie mit ihrer gewohnten, 
hochmütigen سرت‎ gegen den Diener ان‎ 
Hinzu. | 

Lautlos glitt niche über den Teppich zurüd. Graf 
Riidiger aber la3 mit fliegenden Bulfen: „Tante ۷ 
foeben am Herzichlag geitorben, fommt fogleich zur ۰ 
mentseröffnung, Melanie ift 111007 

„Hurrah! — Hurrah!” سے‎ — 

Wie ein Wufatmen der Erlöfung nach Todesangft über: 
fam es Die beiden Ehegatten, — fie ka hd) an, lachten, 
— reichten fic) Die Hände, 

Rüdiger küßte galant die 17ء‎ feiner Gemahlin. 

Ich gratuliere dir und mir —! Jd) mußte e3 ja, 
das Glid Hatte nod) nicht das lebte Wort mit und ges 
ſprochen!“ 

And nun glaube ich auch an ſeine dauernde Gunit! ۳ 
lachte Rüdiger übermütig. „Was gilt die Wette, Gnädigſte, 
der Erbe pon Nieded wird dem Vetter nicht geboren!“ 

Sie zudte lächelnd die Achfeln: „Hoffen wir, ich wette ` 
um das Perlenhalsband, welches dir le&thin noch zu teuer 
für mich war!” 

yD accord, —” 

„Jun werde ich Trauertoilette beitellen. Wollen wir 
die Jungeng mit zur Beerdigung nehmen?” — 

„Sa, es macht einen befjeren Cindrud.” Der Graf 
ichellte und befahl den Erzieher der Knaben zu fih. — 


— 168 — 


„Sie miifjen ein paar Tage Ferien geben, Herr 2201181 
Ihre Zöglinge follen unë zu einer Trauerfeierlichkeit Des 
¬ gleiten“, und der Sprecher wandte {ih zu feinen Söhnen, 

welche ihrem Lehrer gefolgt waren: „Na, ihr Schlingel, 
das fommt euch wohl recht gelegen, mal wieder ein paar 
Tage jchwänzen zu formen ?” — Der jüngere der Knaben 


breitete mit einem Stoßjeufzer die Arme aus: ,,Gott fei . 


Dank! dies elende Gebüfrfele hatte ich nachgerade fatt!” — 

Die Gräfin lachte, der Hauslehrer aber fagte ernit: 
„Gerade Hartwig dürfte am wenigiten eine Paufe machen, 
Herr Graf; er üt fehr weit zurüc geblieben und hält in 
feiner Weile Schritt mit dem Bruder.” 

Hartwig jchmiegte Jd an die Mutter und hob das 
Geſichtchen voll herausfordernden Trotzes nach dem aba 
80. 

„Fällt mir im Traume ein, mich derart abzufchinden, 
wie Wulff-Dietrih! Wenn er ein ſolches Schaf ift unt 
ochft wie ein Unfinniger, obwohl er weiß, daß er mal 
Majoratsherr wird, — fo ift das fein Privatvergnügen —! — 
Sd werde Dragoner — und das bischen, was ic) dazu ` 
brauche, paufen Cie mir ſchon auf der Breffe ein!” — 

Frau Melanie lachte abermals höchlichſt amüfiert und 
itreichelte bie rofige Wange ihres Lieblings, dann hob 
fie die Lorgnette und jab ihren älteiten Cohn prüfend 
an: „Mon Dieu, Dietel . . . Du arbeiteft fo viel? Was 
ift Denn plößlich in dic) gefahren? Natürlich ganz blag 
und fümmerlich fiehft du [don aus! Als ob du fir Geld 
ſchaffteſt!“ — 





— 170 — 


Wulff-Dietrich hob den Kopf mil hir ibin eigenen ío x 
abweiſenden Bewegung: „Sch arbeite aud) für Geld, 


Mama, — ob jest oder fpater, das bleibt ſich gleich.” 

Gräfin Niederf riß die Augen weit auf und trat dem 
Sprecher einen Schritt näher, 00000 Hartwig vor 7 
in Die Hände prujtete. 

„Für Gelb? Bah — was ‘ol das heißen?!” — 

Wulff-Dietridh zog Die dunklen Augenbrauen gujammen. 
„Das fol heipen, Mama, daß ich lernen und ftudieren 
will, nm fpäter eine Stellung im Leben einzunehmen und 
‚auf eigenen Füßen zu Stehen!” — 

„Ah — du überrafcheit mich! 21811 8 š Majorat 
herr willft du Graminas machen?” — 

„Selbft dann; vorläufig bin ich es aber noch nicht, ۱ 
und es iH ۶۲ 0+۳+0 ob ich e3 werde; Better Willi 
bald? Verlobung fteht ja Beute in der Zeitung” 

Graf Rüdiger war ſchweigend im Zimmer hin und 
her gegangen, jebt blieb er neben feinem 200116 ۲ 
und fagte mit dem Anflug von Sronie, welcher jeiner 
Sprechweife eigen war: „Gut, mein Zunge, ich habe ab: 
jolut nicht? gegen dieſe löblichen Abfichten einzuwenden! 
Das Majorat ift freilich zur Reit ein hochgehängter Korb 
für Dih, und darum ift e3 ficherer, wenn du nicht darauf 
rechnejt. Ich fürchte nur, dein Teuereifer wird ſehr bald 
erlöjchen, wenn dir Niedeck unbeftritten fidjer bleibt!” — 

Wulff-Dietrich richtete fich noch höher auf: Ich hoffe 
Dih von dem Gegenteil zu überzeugen. ے‎ 
„Aber jage dod), Zunge, — was hat did bean plöglich 


= p = 


[o verwandelt?” — forjchte bie Gräfin voll naiven ۰۶ 
fiaunens —, „früher hattet du jo wenig Paſſion für 
bas Lernen, daß wir meift Klagen hören mußten, und 
num enti bu did) zum 1001 Wie fommt 
das! J = 
۱ Der Gefvaate. 10011110116 Die دطہ ااخاصد‎ Sains ۸11 
ri und preßte bie Lippen zufammen. Sein Blick ۶٤+ 
wunderjam auf, aber er jchwieg. — 

Der Graf jedoch brach furz ab. — „Nun wir freuen 
uns ber Thatfache und hoffen, Daß du bei der Stange 
bleibft, mein Sohn, jebt geht und laßt eure offer paden ۱ — 

„Du geſtatteſt, Bapa, daß ich hier bleibe, um meine 
Stunden nicht zu unterbrechen! Mein Privatlehrer im 
Latein verreift nächſten Monat, — bis dahin wu wir 
unjer Penfum abjolviert Haben!” — ` 

Graf Rüdiger blinzelte feinen Ülteften momentan mit 
halb gugetniffenen Augen an — dann lachte er in ۴ 
Laune auf. ,,Betend, daß Gott dich erhalte, jo fleißig, 
fromm und rein!” — ۱ 

„But, bleibe du hier! Ich bin fehr Stolz, der Welt 
von ſolch unnatürlichem 01 erzählen zu fönnen! Und 
du, Hartwig?” — 

Der Kleine fchnitt eine Grimaffe und nidte dem Vater 
pfiffig zu: „Sch werde dich felbftredend nicht im Stich 
laſſen, fondern den Kronprinzen nad) Kräften vertreten !” — 

Lautes Gelächter belohute den Wik, und wie Hartwig 
mit ironiſchem Lächeln einen tiefen, Depoten Diener vor 
dein älteren Bruder machte, trat troß feines runden, ۷ 


— 172 — 


KRindergefichts die Ähnlichkeit mit feinem Vater ۲ 
denn je hervor. — — 

Sn der Küche aber jab der Kammerdiener im Kreiſe 
des Geſindes und ſagte mit bedeutſamem Lächeln: Selt— 
ſame Menſchen! Als die Hochzeitsnachricht kam, verfiel 
die Gräfin in Weinkrämpfe und als die Depeſche den Tod 
der lieben Tante meldete, hallte das Haus wider von dem 
Jubel und Gelächter, — ſeltſame Menſchen!“ — 


* 

Sn Ungerwies Derridte große Erregung über die Bers 
lobung8angeige des Majoratsherrn von Nieded. 

Man jubelte und ſchwelgte in dem Gedanken an beffere 
Seiten; — bie Optimiften wagten jogar einen Fühnen Flug 
in das Reich der Phantaſie und prophezeiten: , Graf Billie 
bald werde in feinem bräutlichen Glück allen Groll Ders 
geffen, der Stadt die alten Vergünftigungen wiederum ges 
währen und noch viele neue hinzufügen, ja man malte 
fic) ſchon die herrlichiten Zufunftsbilder aus, wie man 


`. bem jungen Paare einen enorm fchmeichelhaften Empfang 


bereiten und von Anfang an für die Angerwiefer Intereſſen 
gewinnen werde. Wenn die Braut nur halb fo viel Huma- 
nität und Herzensgüte befäße, wie ihre Coujine Melanie, 
würde fie fiber allen Einfluß aufbieten, Beziehungen mit 
der Stadt anzufnüpfen, wie fie Graf Rüdiger nebjt Ge: 
mahlın jo herzerquidend angebahnt hatten! — 
Man jchmwelgte in Diefer Hoffnung; die 7 = 
bod) fchüttelten die Köpfe und fprachen: „Ihr fennt ben 


س 173 — 


. Sonderling ſchlecht, wenn ihr an feine Verzeihung glaubt! 
— Wenn {olde Menfchen einmal haffen — dann ift es 
grändlih! Graf Willibald ift Fanatifer, er hält zähe felt 
an Gefühlen und Empfindungen, welde Macht über ihn 
8٤٥080111161 haben!” — 

Und leider follte fich dies bewahrheiten. — 

Während man nod) eifrig Debattierend in der „Stadt 
Hamburg” gujammen fap und die Ausſchmückung der 
Stadt — weldje nad) viel ausjehen und wenig foften follte 
— hbejprad, als man juft darüber ftritt, ob ſechs oder 
acht weißgefleidete Ehrenjungfrauen der Gräfin einen 
Blumenjtrauß überreichen follten und ob der Bürgermeifter 
jeine Anſprache auf dem Marftplab oder am Thore halten 
müffe, rollte eine Equipage in ſcharfem Trabe vorüber. 
Solch elegantes Räderrollen gehörte in Angerwies nicht 
zu dem täglichen Brot, darum jchnellten alle Ran © em⸗ 
por und dugten hinaus. 

Und dann Jaber fich Die Biter der Stadt ſchweigend 
und jah betroffen an. | 

„Die ۲ Equipage! سب‎ 

bah — e8 werden Die Herren Dienftboten ein wenig 
Ipazieren fahren!” tröfteten bie Optimiften. 

„Sebt acht, fie find angefommen!” — wehflagten Die 
Schwarzfeher, und fie follten abermals recht behalten. 

Der Bahnhofzvorfteher ſtürmte nad wenigen. Minuten 
atemlo3 in das Galtzimmer. 

„Eben einpaffiert! ganz überrajchend! ganz — An— 
meldung! — vor einer halben Stunde hat der Graf tele— 


graphijd) einen Wagen an die Bahn bett Nun bs 
fie Da — ohne jeden Empfang! Pe; a 
Die Beitürzung war groß. 
Was thin? — Ratlos fraute Hd = ohare Rat | 
den Kopf. 


„Bir bringen einen Fadelzug nad) dem ک۳ ق6010‎ rie 


der Apothefer. 


„Bravo — brillant! ‚gleich heute abend muß ق‎ fein! x 


— Und ein Feuerwerk brennen wir ab. — Der Birger 
meifter fchüttelte beforgt den Kopf. „Wo follen wir denn 
Faden, Windlichter und Feuermerf heruehmen? Das 
müßte Doch erit alles beitellt werden!” — 

Abermals tiefe Stille, 

„Run, dann machen wir e3 eben ein paar Tage fpäter!” . 
prablte der Muditeur, „wer fann denn id ا ی‎ nad) x 
drei Wochen ſchon die Hochzeit it! — 

‚sa, wir veranitalten Die Feierlichkeit pite 

Mian tröftete Hd) jo gut man ۰ 

Wer die Gräfin auf der Bahn gejehen hatte, erzählte 
Wunderdinge, wie jchr freundlich und gütig fie gelächelt 
und gegrüßt hatte! Hinfen thäte fie ja etwas, aber bas 
fei doc gleichgültig für eine, die im Wagen fahren könne! 
Und Graf Willibald fet gar nicht zum Wiedererfennen, 
jo nobel gefleidet und fo glüdjtrahlend! Er habe feine 
Frau in den Wagen gehoben, als ob fie von Glas wäre, 
— — und beide hätten einander fo zärtlich angefchaut, 
wie die jüngften und verliebteften Hochzeiter! Man hoffte 
nun, daß die nächiten Tage ſchon merklich mehr Leben 


— 10 — ۱ 


in die Ctadt bringen würden, zu allgemeiner Überraſchung 
lich fic) die Gräfin aber mit feinem Blick fehen, und 
Niedeck lag fo ſtill und unverändert einfam auf feiner 
waldigen Bergtuppe, alg habe nie eine junge Herrin den 
Fuß über feine Schwelle geſetzt, neue Zeiten für das alte 
Schloß zu bringen. Endlich fonnte man des alten Kuhnert 
einmal habhaft werden. 

Der Biirgermeifter beehrte ihn 0 mit einer 
Unterredung. Er teilte mit, daß die Stadt großartige 
Empfangsfeierlichfeiten geplant hätte, welche leider nicht 
hätten zur Ausführung fommen fünnen. Das Feuerwerk 
und die Fackeln zu feierlichem Zuge nach Nieder lägen 
nun bereit und die Bürger beabjichtigten, in Diefen Tagen 
das junge Paar zu ehren, — ob wohl der nächſte Sonntag 
dem Herrn Grafen angenehm jein werde? — Der alte 
Kuhnert 30g ein abjonderliches Geficht, vor lauter Runen 
und Fältchen konnte man nicht erkennen, was eS eigentlich 
ausdrücdte. Er neigte fic) wichtig flüjternd näher. 

„Sebt Ut überhaupt noch nicht der richtige Moment, 
Herr Bürgermeilter!l Das Paar will ganz und gar durch 
nichts geftört fein! Du lieber Himmel, was ift das für 
ein Glück da oben! Solche Flitterwochen lafje id) mir 
gefallen! Wie die Turteltäubchen find fie miteinander! 
Was fie fih nur Liebes an den Augen abfehen fünnen, 
thuen fie fih an! Wer jo etwas ſich hätte träumen faffen! 
Die Frau Gräfin, welche warid ein Eugel in Menjchen- 
geftalt ijt, fo zart und fügjam und milde und gut — die 
ift ja ganz entzüdt von unjerem alten Nieded! — 6 


— 176 — 


verflärt fieht fie alles an, — und bie Ausſicht pon ben 
Fenftern des Kutſcherſtübchens findet fie aud) am ſchönſten! 
Da fiber fie jeden Abend Hand in Hand und freuen fi 
an dem fchönen Anblid! Nun wird der arme Graf aud 
feines Lebens froh —! adj) und wie oh! — ° 

„Und das Sue 2“ erinnerte Der Biirgermeifter 
beflommen. 

„Sa, dafür it jetzt raid nod) feine Beit! Das 


junge Baar ift ja ganz infognito hier, und fie wifjen, Dab 


der Graf wunderlid) in manchen Dingen ijt, er würde | 
ſich fiber jede Störung ärgern. Aber einen guten Rat 
will ich ihnen geben! Sn vier Wochen it dod) der Sec 
burtstag Seiner Gnaden, da wäre fold) eine Ovation 
vieleicht als Überrafchung ganz angebracht! Ich glaube 
das würde die Herrichaften freuen! Aber wie gejagt, das 
ift nur fo ein Ratjchlag von mir und für den Erfolg gac 
rantieren fart ich ۲ 

Der Vater der Stadt war entzüdt. 

Er danfte mit wärmften Worten und verfuchte noch 
burd) eine Einladung zum Glaje Bier feine Beziehungen 
zu dem Faktotum von Niedeck möglichjt intim zu geftalten, 
Kuhnert lehnte jedoch) unter dem Vorwand, ¢3 fehr eilig 
zu haben, recht entichieden ab, und die Goldfüchfe griffen 
Doppelt eilig aus, Die Mauern von Angerwies Hinter ñd 
zu haben. — ہے‎ 
۱ Die Wochen vergingen und das Feuerwerf ward mit 
größtem Pomp vorbereitet. Biirgermeifters Lieschen lernte 


im Schweiße ihres Angefichts ein äußert فلامدوسسو)‎ 





Mv. Eſchſt ruth, FU. Rom. u, Nov,, Der Majoratsherr I. 12 


Gedicht, welches der Aſſeſſor verfaßt Hatte, und welches 
fie bei Überreihung eines riefigen Blumenjtraußes der 
Frau Gräfin aufjagen ſollte — Am Abend vor dem 
fejtlidjen Tage faßen Graf Willibald und Johanna wie 
immer an dem Weitgeöffnetem Fenſter des Kutſcherſtüb— 
chen8, den entzüdenden Anblid in das Thal zu genießen. 


. Obwohl fie für gewöhnlich die eleganten Gemader des 


Schloſſes bewohnten, liebten fie es dennoch, abends das 
‚ehemalige Junggeſellenſtübchen des Majoratsherrn auf⸗ 


zuſuchen. 


Johanna hatte es in ihrer Feinfühligkeit ſofort be— 
merkt, wie ſehr es ihren Mann beſeligte, daß ſie dieſen 
Fenſterplatz ebenſo anziehend fand wie er, und ſie ſorgte 
dafür, daß er liebgewonnene جح‎ auch weiter 
pflegen fonnte. 

Willibald hatte den Arm um feine: junge Fe qez 
ſchlungen: „Du bift 0 einverftanden mit meinen Plänen, 
tenerftes Herz?” — x 

Sohanna jah ein wenig jorgenvoll in feine Mugen. 
„sc fiirdte, Willibald — bu legft dir mit diefer Reife 
{dere Opfer um meinetwillen auf?” — 

Er lachte glüdjelig: „Ich ſchwöre dir, nein! Sch felber 
fenne feinen höheren. Wunjd, als die nächſte Beit auf 
Reiſen verleben zu fonnen. = 

Shr Blick ftrahlte vor Freude: „Wahrlih? p dann 
bin ich mit bir froh und gliiclid! Dann werde ih all 
bie unendliche Freude ohne Gewiljensbilfe genießen 
finnen! Neifen! Ich habe nod nie eine Reije gemacht, 


— 179 — 


ich Habe noch nichts von Gottes fchöner Welt gefehen! 
D, lieber Mann, wie foll ich dir für fo viel Glüd 
۵801116111 — x x 

Er fite voll überftrömender Zärtlichkeit ihr Wntlib, 
ihre Hände. Ich habe bir zu danken, — i allein! 
D, Sohanna, wie haft du mir die Welt in einen Himmel 
verwandelt! — Und morgen früh fahren wir, — du haft 
deine Koffer paden 7 

„E3 ijt alles bereit. — Aber der Fadelzug der ۶ 
0 — 

Sein Geficht ward finſter „Ste follen uns ۰ 
lic) juchen. Ich haſſe fie! Sekt erft ermeffe ich ganz, 
um wie viel Slücjeligfeit meine Feinde mich durch ihren 
verruchten Anfchlag bringen wollten! Johanna, du fühlft 
fonft in allen Dingen fo gleich mit mir, empfinde aud 
meinen Haß mit mir!” 

Sie drückte ihm zärtlich die Hand, wie man ein auf- 
gereqteS Kind beichwichtigt: „Du weißt, daß ich alles 
will, mie du willft!” fagte fie, und ihr Antlig ٤ 
in hingebender Demut und Bejcheidenheit. 

Sohanna hatte nie einen Widerſpruch im Leben laut 
werden laffen, ihr janftes Wefen fügte fic) gern jedem 
Wunjce und jeder Anficht ihrer Lieben, — wieviel mehr 
dem Willen eines Mannes, in welchem fie voll über: 
Ichwenglicher Danfbarfeit ihren Crretter aus aller Not 
und Ginjamfeit fab. Wenn ihr auch felber jede 9 


von Haß und Rade fern lag, jo refpeftierte fie doch das .. 


leidenjchaftliche Empfinden Willibalds, und wenn fie aud 
| | i2* 


سین 280 — 


den wunderlichen Plan, welchen er hegte, unbegreiffich 
fand, jo fügte fie fic) dennoch ohne den mindeiten Wider: 
ftand feinem Willen, — er war ihr Det — er jollte bes 
fehlen und fie wollte gehorden! — . 

` ie mar den Bürgern von 5 eine höhere 
Enttäufchung geworden, als im jenen Augenblick, wo fie 
mit Faden, Baufen und Trompeten vor Schloß Nieded 
anlangten und das Neft leer und verlaffen fanden. 

Knirſchend vor Ingrimm und Beſchämung kehrten ſie 
um, und wußlen nun genau Beſcheid, wie die Aktien auf 
Niedeck fiir fie ftanden. 

Es war ihre eigene Edul und das verdroß fie am 
meiften. Graf Rüdiger war jehr unangenehm überrafdht, 
alg er erfuhr, Dap Vetter Willibald fi für unbeftimmte 
Zeit mit fener Gemahlin auf Reifen begeben hatte. Sie 
entzogen fic) nun völlig feiner Beobachtung, und das 
verdroß ihn. Er erwog die Notwendigfeit, das neu ers 
erbte Vermögen fliglic) zu Hate zu halten, bis Hd die 
Erbfolge von Niedeck entjchieden habe. Er bewog jeine 
Gattin, die samilientrauer zum Borwaud zu nehmen, 
um das koſtſpielige Leben etwas einzufchränfen: „Nur auf 
furge Zeit!” tröjtete er, „wird fein Sohn auf Nieded ges 
borer, bleibt das Majorat für Wulff-Dietrih, jo holen 
wir alles doppelt nad!“ — 

Die Zeit verging. Voll fiebernder Spannung 6> 
man ber fommenden Dinge Ein Freund des Grafen, 
welcher die Niededer in der Schweiz getroffen, berichtete, 
daß Gräfin Johanna wahr und wahrhaftig vor einem 


تج 181: ہے 


freudigen Ereignis ftehe. Rüdiger snd Melanie 761 
vor Aufregung. — Da tra nah Monaten ein Brief aus 
Wiesbaden ein. 

„Bon Willibald!“ feuchte Rüdiger bleich und bebend, 
er riß mit zitternder Hand den Umjchlag ab. Dann 


ellte ein Triumphgelächter bund das Bimmer: = „eine 


a — Ye 





Men anhaltendes Olid zu fhwinbelnden Freuden 
erbob, fentet der Wechſel in Gram. 


Hora}. 


12 em Majoratsherrn von Nieded war eine Tochter 
UE geboren! Cine Tochter, anftatt des höchſt ےہ‎ 
lehnten, hochwichtigen Sohnes! — 
Diefe Nachricht wirkte auf Frau Melanie wie eine 
9۵۵۲۲۵۲6, Sie ftarrte mit blödem Lächeln vor fich Hin 
und wiederholte wie im Zraume: „Eine Tochter! nur 
eine Tochter!” und dann lachte fie plößlich in ſchaden— 
frohem Gelächter hell auf: „DO, wie ich ihm das ginne, 
dem verrückten Kerl! wie mir das eine Genugthuung 
1117 سے‎ a 

Graf Rüdiger hatte die Arme getreuzt und wanderte 
mit hajtigen Schritten im Salon auf nieder: „Sa, das 
ift dem jungen Ehegatten recht gejchehen”, fpottete er mit 
glimmenden DBliden. ‚‚Dieje Niete dürfte doch wohl als 
Naureif auf jein Turteltaubenglüd fallen, denn ich hoffe, 
zum zweitenmal ſchwingt Hd) das Budelinchen nicht zu 
derartigen Leiftungen auf!” — | 





— 183 — 


„Vielleicht ftirbt fie noch” fuhr Frau Melanie mit 
gehäſſigem Blic auf, „dann würde ja die Erbfolge am 
beiten erledigt fein! Schreibt er gar mae über ihr Bez 
finden 2“ 

PS wo wird er denn an mi ])7 Gs iſt eine 
gedructe Anzeige.” 

„Laß mid) jehen!” — Die Gräfin nahm haftig 8 
Papier zur Hand und entfaltcte es: „Da bier, da ۶ 
ja ‚vertel‘ alfo laß die andere Eeite ſehen — richtig! 
da Hat er noch etwas Hingefrabt!” Was nicht ift, 8 
fann noch werden!” — die Leferin brach in ein fchallendes 
80160010۲ aus. „Köftlih, er madt noch Wige! o fief, 
Nüdiger, das ift ja unbezahlbar!!” — 

„Bas nicht üt, das fann noch werden” — las ber 
RKammerjunter ebenfalls und er lachte gleich feiner ۶ 
mahlın — aber beider Fröhlichfeit lang dod) ein wenig 
gewaltjam, und wenn Nüdiger aud) über den ,,Galgen- 
Humor” {pottete, fo furchte fic) feine Stirn dennoch dabei. 

Schließlich zudte er nervös die Achſeln: „Se nun, bet 
Gott لا‎ ja kein Ding unmöglich! Wenn das ۵۵۶ 
fene Frauenzimmer überhaupt ein Kind in die Welt fett, 
fant eS auch noch feds Sejchwilterchen befommen! Alſo 
berlajjen fünnen wir uns nod) nicht auf das Majorat!” 

Melanie bik fich auf die Lippe: تشر‎ es wäre ja em: 
pörend! — ¢3 wäre — — —“ fie brach kurz abl 
und trommelte mit den langen Fingernägeln aufgeregt 
auf dem jteifen Rartonpapier der Anzeige, weldye vor ihr 
auf dem Tiſch lag. 


— 184 — 


„Barum er es uns überhaupt anzeigt?” fuhr fie 
‚ärgerlich fort, „das Porto hätte fid) der Geizhals aud 
[paren ٤81111611.“ — | 

yah — er will fid bon) weit blamieren und jeinen = 
Ärger zeigen!” 

„Das ift möglich. — Wenn fie bod) eben wollte!” 

Sie ftirbt nicht, — {olde Sammerbilder find am ` 
zäheiten, aber wie gejagt, wir dürfen nicht auf ۵۱6 Erb- 
ichaft rechnen, — noch nidjt. Und da ijt eine dringende 
Notwendigkeit, daß wir uns mit Dem, was wir jeßt be- 
fiber, einrichten. Unfer Haushalt hier ijt viel zu Eoft- 
چنا ام‎ und ich jehe nicht ein, warum wir ein Heer pon 
Schmarogern durchfüttern follen, welche unë abjolut nichts 
niet. So fdjlage ih vor, wir fprengen das Gerücht 
aus, deine Gefundheit verlange einen Aufenthalt im 
Süden. Wir lifer hier den ganzen Haushalt auf, ſchicken 


die Jungen auf die Nitterafademie und nehmen Aufent: 


halt in Italien. Du nimmſt dir deine Sungfer, ich mir 
den Kammerdiener mit, und dann können wir im Hotel 
mit aller Bequemlichkeit und allem Komfort leben, — 
dazu reichen unfere Zinfen aus. — Collten wir Seihmad 
an dem Wanderleben finden, fo bleiben wir fern von 
Madrid. — Sit in zehn Sahren noch fein Sohn auf 
Niedeck geboren, jo fünnen wir das Erbe al völlig ficher 
erachten. Wir fehren dann nach bier zurück und holen 
alles nach, was wir etwa verfäumt haben follten. Biſt 
du damit einveritanden ?” a 

Grafin Melanie nidte. Sie liebte die Abwechslung 





ج 8G‏ 1 ہہ 


und jab es nebenbei aud) ein, daß man unter den pb: 
waltenden Umjtänden nicht mehr blindlings in den Tag 
hinein leben durfte. Gene Ctunde im Fegefeuer der 
Angſt, welche Tante Wureliens Erbjchaft vorausging, 
febte noch in ihrer Erinnerung und mahnte fie zur Bors 
ſicht — 

So ward der fitrfilide Haushalt des Grafen ۵ 
aufgelöft und Billa Cafabella ſchloß die ftrahlenden Fen— 
fteraugen zu einem langen, langen Winterjchlaf. 

Wulff-Dietrih und Hartwig fiebelten auf die Nitter- 
afademie über, — der Wltere mit viel Eifer und Ge: 
nugthuung, der Süngere grollend und außer ſich, 8 
behagliche, elegante Leben Des Baterhaujes aufgeben zu 
müſſen. 

Er beſtürmte die Eltern mit bitteren: Vorwürfen und 
verlangte die Beweggründe für diefe Neuerung zu wiffen, 
welche ihm in dem leidenden Zuftand der Gräfin ange: 
geben wurden, Er lachte fpöttiich auf: „Mama it ja 
gejund wie ein Fiſch im Waffer und darum könnte ich euch 
Dod) auch mit meinem Hausichrer begleiten!” Graf Nü- 
biger ward ſchließlich gro, und Hartwig verſtummte tief 
gefränft. 

Wulff⸗Dietrich hatte feine einzige Frage an die Eltern 
gerichtet, alS er ihre überrajchenden Vorbereitungen be— 
merkte. Er jab fehr blaß aus, und Die Derbe Linie re- 
fervierten Stolzes ſenkte fic) jchärfer wie je um feine 
Lippen. x 

Es mar jchon jeit längerer Zeit auffallend gemejen, 


wie anjpruch3los und fparfam der ehedem fo ۶6 
Knabe geworden war. Er berbat fich die ſpitzenbeſetzte 
Wäſche al eines Jungen unmürdig, er vermied alle Spiele, 
weldje jeine foftbaren Anzüge ruinierten und unterließ all 
die vielen, unnüben Ausgaben, welche früher fein Tajchen- 
geld verſchlungen hatten. 

Auch die neue Ausstattung, welche er für Die Ritter- 
afademie erhielt, ward auf jeinen ausdrüdlichen 8 
jehr einfach, beinahe {HUME gehalten, und obwohl die Gräfin | 
in ihrer großfpurigen Weife laut lachend die Hände über 
jolde Narrheit, — fold) eine Marotte — zufammen- 
ſchlug, befahl fie dennoch in heiteriter Laune, diefe ,,€emina: 
riſtenausſtattung“ genau nad) feiner Angabe anzufertigen. 

Hartwig Anjprüche waren deito unbejcheidener, aber 
aud) fie wurden anftandslos bemilligt. Nie war der 
Unterfchied zwilchen den Brüdern fo jchroff zu Tage gez 
treten wie jest; während Wulff-Dietrich mit feinen noch 
nicht vollendeten dreizehn Jahren den Eindrud eines 
ernftdenfenden, ruhigen, beinahe verjchlojjenen jungen 
Mannes madjte, verriet fd) in Hartwig Wejen ۷ 
jest Der ganze forgloje und anjpruchsvolle Leichtjinn, 
welchen er wohl als fataleS Erbteil jeiner Eltern mitbe- 
fommen. Die Grafen Nieded hatten ftets für ein jolides, 
gewiffenhaftes, ritterliches Gejdhledjt gegolten, Rüdiger 
bildete wohl die erjte Ausnahme von Diefer ۰ 

Sein ältefter Sohn verleugnete das Blut feiner Ahnen 
nicht und jchien in jeder Beziehung den Traditionen der 
Familie Ehre machen zu wollen, Hartwig aber war ein 


مسا و — 


echtes Rind feiner modernen Beit, bas treue Abbild des 


Vaters, und gleich der Mutter ein frembes Reis auf dem — 


alten Stamm. — 
* + 
Sahre waren vergangen, jünfzehn lange Sabre. Gar 
manches Batte fich in diefer Zeit geändert und wenig 
nur war fic) gleich geblieben. Yu diefem Wenigen gehört 
auch das alte Schloß Nieded, in welchen faum ein Stuhl. 
von der ‚Stelle gerüdt worden war, geichmweige Daf eine 


eingreifendere Neuerung an feinem Inneren oder Äußeren 


vorgenommen ware. Die gräfliche Herrjchaft wohnte nur 
wenige Sommer und Herbſtmonate in Der Heimat; fie 
fam unerwartet an, und fein Menſch würde etwas von 
ihrer Anwejenheit gemerkt haben, wenn nicht die Bauern 
und Waldhüter der Equipage in den 81 begegnet 
wären. 

In ———— ließ ſich niemand von der Familie 
blicken, ebenſowenig in der Umgegend. Da Niedeck ein 
mächtig ausgedehnter Länderkomplex war, befanden fi 
feine Güter in der Nähe, auf welchen man von dem 
Schlofje aus hätte verfehren fonnen. Aber Graf nd 
Gräfin Niedeck ſchienen gerade die Cinfamfeit ganz beion- 
ders zu lieben. 

Sie pflegten voll Entzüden bie alten Erinnerungen, 
faßen abends Hand in Hand an dem Fenjter des Rutjcher: 
jtübchens und jahen Jd) wie einjt in den Flitterwochen 
voll zärtlicher Anbetung in die Augen. Johanna war 
mit den Jahren nod) ftiller, fügfamer und fanfter geworden, 


— 189 — 


. Willibald hingegen jchien die friſche Luft der fremden Lander 
in lebhaftejter Weife angeregt zu haben. 

Sonderling blieb er nad) wie vor, — jeine fleinen 
Eigenheiten legte er nicht ab, — aber eë waren zumeift 
Schrullen, von denen die Außenwelt nicht viel merkte und 
welche feine Gattin voll nie ermüdender Engelsgeduld 
ertrug. Nachdem Graf Willibald feiner Zeit bie Geburt 
einer Tochter angezeigt hatte, ſchien der Klapperjtord die 
116080116 peš Majoratsherrn volljtändig vergejjen zu haben. 

Der Erbe, nad) welchem fo viele Augen voll brennenden 
Intereffes ausfchauten, ward nicht geboren, und je mehr 
Jahre verftrichen, ohne einen Heinen Majoratsherrn mit 
zubringen, umfo triumphierender und felbjtbewußter wieg- 
ten fic) Graf Rüdiger und Melanie in der jeligen Ge— 
wifheit, das Majorat unbeftritten auf ihren Sohn über: 
gehen نام‎ ۰ 

Geltjamerweije hörte man fo gut wie nichts von der 
Familie Willibalds. 

Niemand traf fie auf Retjen an, in — Fremden⸗ 
buche war der Name Niedeck zu finden, obwohl man 
wußte, daß die Familie in Venedig, Rom, Neapel weilte, 
weil die Briefſchaften von Niedeck poſtlagernd nach dort 
geſandt wurden | 

Dann hatte Graf Nüdiger erforfcht, Daf der Better ۱ 
den Winter in Kairo zubringe. 

Die Neugierde trieb ihn, mit feiner Gattin ebenfalls 
in Rairo Aufenthalt zu nehmen. Wher von Graf Willi: 
bald und jeiner Familie war feine Spur zu entdeden, 


— 190 — 


fo fehr fie auch alle Hotels und Frembdenpenfionen nad) 
` ihm abjorjdjten. Da öfters von reichen Engländern, 
Amerikanern und Nuffen ganze, villenartige Häufer ۶ 
mietet wurden, forjchte Rüdiger auch in diefen nach, Doh 
erfuhr er nur unbefannte Namen von etlichen Ausländern, 
welche ſich diefen Lurus geftatteten. 

Und doch würde e3 den Rammerherrn außerordentlich 
intereffiert haben, einmal die Nichte von Angelicht zu 
fchauen, welche nad) dem eigenartigen Elternpaar ein 
ganz abfonderliches Fleines Weſen Jen mußte. | 

Es gelang ihm aber nicht. ۱ 

Endlich hörte er auf Ummegen von ihr. 

Ein Niededer Forjtläufer war für Geld und gute 
Worte erbötig, von ber gnädigen Komteſſe Frangdjen zu 
erzählen. x 

Fränzchen! Alfo dod) Franzisfa getauft! Wie per: 
rüdt war Das einmal wieder! So weit man 2 71 
fonnte, gab e3 feine Sranzisfa in der Familie, — höchſtens 
ما‎ die Ovation irgend einer lieben Nördlingen gelten. 

Alſo Komteß Fränzchen ward ihm als fehr frijches, derbes, 
außerordentlich übermütiges Mädel gefchildert, welches 
die Freiheit von Niedeck dazu benuße, in wildefter ۶0 
herumgutollen. ۱ 

Die Eltern feien unglaublid) beforgt um das Kind. 
Die Gräfin jchlafe nie, ohne ihr Töchterchen an der Seite 
zu haben, fie fei Tag und Nacht um die Kleine, warte 
e meilt ganz allein und geftatte den Wärterinnen nur 
die Heinften Handreichungen. Eine alte Engländerin, welche 


— 191 — 


fein Wort Deutich verftehe, dürfe allein das 7 
betreten. Graf Willibald ſchien feine Lebensaufgabe darin 
zu jeer, das Kind zu behüten. Fränzchen fet nie ohne 
die Eltern zu fehen und die Liebe zwiſchen ihnen geradezu 
abgöttifch. 

Ob Fränzchen hübfch fet? — | 

Auf diefe Frage war der junge Forftmann ein wenig 
verlegen geworden. Cie habe etwas große derbe Züge, 
ühnele aber Dod) der Gräfin. Namentlich die Augen jeien 
jo ſchön, jo groß und braun wie die der Mutter, nur daß 
fie bei dem wilden Rind ganz anders dreinfchauten wie 
bei der Grafin. Jetzt fet eben noch nicht viel zu jagen, 
— aber er glaube wohl, daß dag Komteßchen nod) mal 
eine recht Schmude Dame werde! — 

Weiter reichte Die Wiſſenſchaft des Jägers nicht, und 
Graf Nüdiger mußte fich mit diejem ffizzenhaften Bilde 
der unbefannten Nichte genügen Yaffe. 

Als er e3 entworfen befam, zählte Fränzchen vier 
Sabre, jebt war fie ſchon ein Backfiſchchen von fünfzehn 
Lenzen, und noch hatte fein Menſch jemals den Schleier 


gehoben, welder dieſes Bild von Said verhüllte — 


Als zwölf Jahre feit der Geburt der Kleinen verftrichen 
waren, ohne daß fic) der Erbe von Nieded eingeftellt 
hatte, ſchien Graf Nüdiger das Majorat für feinen Cohn 
gewiß zu fein. Die rubelofen, aber immerhin recht inter: 
effanten Wanderjahre wurden beendet. 

Nad) langer Abweſenheit gog Graf Rüdiger mit feiner 
Gemahlin abermals in Villa Cafabella ein, von neuem — 


— ھا ا ری وس 


feine altgemohnte, glänzende Rolle in Der Reſidenz gu ſpielen. 
Seine Familienverhältniffe hatten fid) während der Beit 
bedeutend verändert. Ehemals lebte er mit zwei 1 
Knaben, jet gingen erwachjene Söhne in jenem Haufe 
aus und ein, 
Wulff-Dietrich hatte ote oritcarriere ermählt und war 
bereits wohlbejtallter Forjtafjejlor geworden. Nebenbei 
hatte er den Titel eines Hofjagdjunfers erhalten, Denn er 
war bei Hof {ebr beliebt und erfreute ſich beſonders der 
Sympathien feines Herzogs Karl⸗Friedrich Wie man 
fagte, hatte Graf Wulff⸗Dietrich ſich dieſe e Auszeichnung 
durch eine fehr amiijante Schlagfertigfeit verdient, weldje 


ihrerzeit viel beiprochen wurde. Anläßlich einer befonderen 


Hoffeftlichkeit in Dresden jdjidte Herzog Karl- Friedrich 
eine Gefandtichaft nach dort, und attachierte Derjelben auch 
` in befonderem Wohlwollen den jungen Aſſeſſor Graf Niedeck- 
Wie es bei folder Gelegenheiten üblich, wurden die 
Herren von dem König von Sachen deforiert, und auch — 
Wulff- Dietrich kehrte mit einem Orden heim. 

Al3 kurze Zeit darnach ein hoher Gait im Schloß 
Rarl- Friedrichs einfehrte, ward aud) der junge Nieded 
zum Dienjt einberufen, 

Die Herren und Damen ftanden nach dem Galadiner 
zum Cercle verjammelt und laujchten der mehr oder min: 
der huldvollen Anjprachen, durch welche der zum Beſuch 
weilende König die einzelnen Würdenträger auszeichnete, 

Seine Majeftät war dafür befannt, oft etwas {chart 
zu fpotten, — man zitterte vor feinen Gcherzen, weil fie 





Rov, CSjoftruth, SH. Vou. u Now, Der Piajoratshertl, © 13 


ی .494 — 


zumeiit für den Betroffenen den Fluch der Lüächerlichteit 
nach fd zogen. €o ftand auch diesmal der Konig und 
bemerkte mit adlerſcharfem Blick den Orden auf der Brut 
des ےہ‎ Aſſeſſors 
ſchaute immer angeſtrengter, ſein Geſicht nahm 
aa — mehr den gefürchteten Ausdruck der Ironie an, 
und aller Augen hingen in angitvollem Schweigen an dem 


unglücklichen Opfer Nieded, auf welchen der König lange 

fam zufchritt. Er blieb bor dem Aſſeſſor Stehen, blidte ا‎ 
auf den Orden und fragte mit ] 771 Lächeln: Om, 
jagen Cie mal, Verehrtefter, was haben Sie 7 n 1 جج‎ 


für Sachen getan? 2! سے‎ 
Betroffene Mienen ringsum, — — ۲ 
Graf Wulff-Dietrich hielt den Kopf hoch und ftolz auf 


den Schultern und antwortete 770 ironiſch: „ten: N 


Midglichjtes, Majetät!! — 
Der König brach in ein jchallendes Gelächter aus, in 


welches alle Umftehenden von Herzen einftimmten, dann — 


reichte er Dem Aſſeſſor fehr gnädig die Hand und nidte 
ihm zu: „Out geantwortet, — der Herzog wird nod 
Freude an Ihnen haben.” — Und der Herzog erlebte fie. 

Graf Wulff-Dietrich war einer feiner talentvollſten und 
x ftrebjamften Beamten, und wenn er aud) in manchen Dingen 


recht eigenartig und wunderlich jchien, | ojah manıhmmande > 
Starrtöpfigfeit und Schroffheit nad), weil er vollſten e ہے‎ 


jpeft und Anerkennung verdiente. 


War ¢3 nicht in hohem Grade ehrenwert, daß der > 
junge Mann, ۹ des Reichtums jeiner Eltern, trop bes 


— 105 — 


fürſtlichen Majoxats, welches ſeiner wartete, einen eiſernen 
Fleiß entwickelte ſich fell bftändig zu machen und eine 2/۵۵۵ 
a eigener Kraft zu erwerben? 

Er war zu {tol 3, um fic bor ۱ Meld er: 
nähren zu lajjen, er war piel zu edel und rechtlich Denfend, 
um dem blinden Zufall jeine Exiftenz verdanken zu wollen. 

Selbjt i t der Mann! — Was er im Leben war und 
galt, wollte er nur fich allein verdanten. 

Allerdings übertrieb- er in ۲ Anficht ein wenig 
Wie man fagte, nahm er nur. die allernotwendig] te Bue ۱ 


[aqe von den Eltern au, lebte jo folid und einfach wie 


{cine 110111. Kollegen ۵ hielt fich der Nefidenz 
mit دہ‎ koſtſpieligen Hofleben mit Vorliebe fert. 
Der Herzog ſchien ganz andere ٤ betreffs feiner 


Satrierr zu haben, — und fehr ungern gab er dem Ge: “ Ñ 2 _ 
juch des jungen Grafen nad), in der Abgejchiedenheit Dre 


Wälder feinen Dienft verrichten zu dürfen. — 
Als abermaliges Zeichen bejonderer Huld beförderte - 


der Sandesherr ihn zum Oberförfter auf Leuenjtein, einem — 


Jagdſchlo of des Herzogs, romantiſch im Gebirge gelegen, 
auf weldyem der hohe Herr djters im Jahre weilte, 7 die 
verjchiedenen Jagden abzuhalten. x 
Graf Wulff Dietrich [ebte dort in سن‎ und 
07 Weife, Tut sol jan, eit e Ser und. auf 
eigenen Füßen ۰ ہت‎ _ 
Sem Weg 6 ih nur — in bie 9 ۱۵ went - 


die Eltern ihn zu den hohen chriſtlichen Selten, au Gee . 
burtstagen ‚oder. ſonſtigen تل‎ einluden, oder — = = 


ee 


تک چھور نے 


wenn er Befehl betaw, feiner Stellung als Sagdjunfer 


gemäß am Det Dienſt zu thur. Weld) ein men nn 


00 en Wul SE Dietrich: und feinem Bruder Hartwig! — 


Graf Nüdiger Hatte feinen jüngiten Cohn bei a 


| Dragonern, welche in Der Nefidenz jtanden, eintreten laſſen, 
und fo ſparſam HD anjpruchst 08 wie der fünfti ge Majorats- 
Herr non Nieder (ehle, j0 grenzenlos verwöhnt und un⸗ 


| beredjenbar war Hartwig. Die Zulage, welche er von 
den Eltern bezog, war enorm, und weil WuljfeDietrid) 


feinerfet Unterf ſtützung mehr von deu Vater annahm, jo 
erzählte man id, daß Hartwig auch och den Teil, welcher. 
für den Bruder ausgeſeht 1ھ‎ gleich einem 111111171162 
کل‎ M 00:0 verichlänge, 

Und tropdan war er nit in Geldver! ei und 62 
nitigt, die Gil (fe der verbfendeten Eltern gar manda al. 
٤ privatint 0 fen. | 

Troß feines Le 100. erfreute ſich der junge Orel 
einer gewiſſen Beliebtheit, 

Seine äußere Erich veining, mar نو‎ und Besa 
wenn auch jein rundes Geficht mit Dem Dumler, gebr annten 
6010 choad Puppenh jaftes gegen die jtolgen, 
großen, geradlinigen Züge des Bruders hatte. 


Hartwig war auch bedeutend Kleiner wie Wulff: 21 5 ae 
| deffen hohe jchlanfe Gejtalt, mit der imponierend ruhigen | 


Haltung Die meiſten SE a um ۵ تا کس‎ 
überragte. x ۱ ۱ 
Hartwig bel jaf alle gefelli 00 Talente, ade 
dem zukünftigen Majoratsherrn abgingen, er beran es و‎ 


zu amüfieren, — er machte ungezählten Damen die Cour, 
— er wettete und trank mit den Slameraden, er jagte den 
verheirateten Damen die verwegeniten Elogen, — zahlte 
verſchwenderiſche Gum men für alle Euppenvereine, Kranken⸗, 
Waiſen⸗ und Armenhäufer, welche die unverheirateten älteren 
Damen leiteten, er arrangierte alle Partien, Kafinofeite, 
Thenteraufjührungen und. Sawn Tenis: Schlachten, weiche 
Mütter und Töchter von ihm verlangten, und jo war es 
ſe (bftoerftändlich, 8ھ‎ er eine hervorragende Nolle in der 
Geſellſchaft ſpielte und unbeſtritten a Löwe des ne 
in den Ealons sudo 
* 
Das Weihnachtsfeſt bor der Thür. 
Über den gligernden Fahrweg, welcher vor dem ſtrahlend 
erleuchteten Wortal der Villa Cajabella miindete, rollte 


die Equipage, welche Graf Wulff Dietrich von 1 Bahn z 


abgeholt hatte. 


Dhue auf Die Hilfe per Dienerjchaft zu warten, — 
der junge Oberfirfter felbjt pen Schlag zurüd und ſprang ہب‎ 


auf Die fptegelnden M ojaitflicjen nieder. 

| Gr ſtach wunderlich gegen ſeine prächtige Umgebung 
ab, alg er in Dem einfachen grauen Sagodcivil Die golde 
gegitterte Treppe emporſtieg, aber dic Diener verneigten 
ſich fo rejpeftvoll vor ihm wie vor einem Manne, welchem 
man nicht nur Ehre arthur muß, jondern welchem man 
auch gern alle Ehre ermeift. — Die Gräfin trat ihm mit — 


phrafenhaftem Willfommen entgegen und Graf Nüdiger | 


umarinte ihn voll gönmerhaften Wohhmwollens, nur Hartwig — 


blieb ungeniert in dem bequemen Ceffel liegen, breitete 
bie Arme weit aus und fang mit viel Stimme und wenig _ 
Melodie: „Max, ſchieß nicht — ic) bin die weiße Taube!” 
سب‎ en — Scherz für den „gräflichen Jagdburſch“ 
welcher Sräfin Mutter außerordentlich amüjierte. 

pod, lieber Wulff, der arrogante fleine Schlingel da 
fant es bir immer noch nicht recht verzeihen, daß Du in 
die fimple Siigerjoppe geichlüpft biſt!“ — lachte jie — 


und fügte ein wenig. ſchmollend Hinzu, „ebenfo ie = 


Deiner. eitlen Mutter ſtets von neuem einen Stich ins Herz 
gibt, wenn fie ihren Alteſten ſo ſchmucklos gekleidet daher 
kommen ſieht — 
„Hm. — Gin Ordensjtern und Trejjenhut, die find 
gar 7 — Die find gar gut!“ — intonierte der Dragoner 
abermals, dem Bruder die Hand jchüttelnd und 7ء‎ 
in Proſa fortfahrend: „Sch verwahre mid) gegen deine 
Anjchuldigung, Mama, unjer teurer Freiſchütz ijt ein durh⸗ 


aus ſchmucker Burſch, welcher ſogar den Ordensjtern ur — 


weijen fann! Was willft du —? Sein Civil hat tadel⸗ 
loſen Schnitt, سب‎ verfaffert ift Wulff: Dietrich nicht in 
feiner Ginjamteit, fondern troß dicjem „Grau in Grau” 
jo pichittt, daß ich morgen Vormittag öffentlich mit am. 
ſpazieren gehen will’ — 

Grau in Grau! das 1 e& jal” — fenfste Gräfin 
Melanie und. jchmiegte fic) fo zärtlich vorwurfsvoll an 
den Arm ihres Großen, dak ihre elegante Toilette in 
allen 6671. rauſchte, ſüßer Goldlilienduft jeder 
Spike und B Bandſchleife zu entſchweben chen. 


— 199 lea 


„Mein jchöner, fattlicher unge verfriecht fich in ein 
Fledermausfell, während er in blitzender Uniform ein Gott 
unter Sterblichen jein würde!” — 

„I Eitelfeit, Wa Name ut Mutter!!! — 

Wulffe Dietrich fühte bie Diamantgligernden Fingerchen 
der noch immer fehr jugendlichen Mama: „ie ſchade, 
bab das Echdne mit dem Nüglichen jo felten Hand in 
Hand geht!” jebte er lächelnd hinzu. „Als Offizier würde 
ich euch jebt noch eben lp viel jchweres Geld toten, wie 
der. blaue Apoll dort — welcher feine Götterherrlichfeit 
recht teuer bezahlen muß; als Jägermarel brauch ich end) 
aber sc mehr zur nr zu len, 00 verdiene felber 
genug. —! 

um او لے‎ und Rind ernähren zu nan) brave! 
das flingt unendlich efrbar und bieder — fo herzer- 
freulich wie das Licd vom braven Mann!” amiifierte ſich 
Hartwig, die ſilbernen Sporen melodiſch zuſammen klin— 
gend. „Aber wie das Lied eines fünftigen Majorats- 
herrn und reichjten Großgrundbefigers Hingt es nicht! سے‎ 
Teufel ja, e3 ift ein recjter Mißgriff des Schickſals, Daf 
es nicht mid) zum A tejten von uns beiden gemacht hat!” — 

Wulff-Dictrich Hat zwiſchen jeinen Eltern Plab ges 
nommen. Gr zudte in jeiner ruhigen Weiſe die Uchjeln: 
„Borläufig hat uns das Schickſal alle beide noch nicht 
zum Majoratsheren gemacht, weder dich noch mid!” — 

Schallendes Gelächter. „Menjch! — Wulff! — glaubjt 
du etwa jebt noch, daß fic) Tante Johanna, die Bucklige, 
mit Sinderfranfheiten abgeben wird?” 


„Nein, aber tropdem rechne td) wicht eher mut einer. 
Möglichfeit, als big fie zur Thatſache geworden ۳ 


„Das möchte bod) unprattijd fen —“ Ichüttelte 


Graf Nüdiger den Kopf: „ich hatte dir im Gegenteil 
eine ganz andere Nolle in Dice 0 olgelriege 2 
dat!” — ` | 
٠. کی“‎ ۵(۵ welche 2 — ER 

` „Du mußt dir bei Zeiten — a. — fo fchnell wie 
möglich einen Verbündeten fichern, welcher dir den 0 
garantiert!” — ۱ | — 
ps verſtehe dich nicht, Papa.“ 3 
Hartwig ftieß den Water fichernd an: Die وڈ‎ in 
der Groving find viel zu harmlos, um auf ſolche Spitz⸗ 
findigfeiten gu reagieren, wenn da nicht der Brautbitter 
mit dem Strauße m der Hand an Die Thür Elopft um 
fein Berächen ftammelt, ۶ nicht, was bon ihnen 
verlangt wire! ٠ Wul 20 — teh — 2 
projefte! tsherrn von 2 
bed wurden che Enê 1 dea Se — gefragt!” 
8ار‎ recht! bie ſechzehn Ahnen werden immer rarer 

Hier zu Land, und kannſt du faktisch von folofjalem Olid 
. reden, daß die Einzige, welche deine ‚Zufünftige werden 
ره‎ ein junges, reizendes Mädchen, ohne Bartel oder 
Ñ Blatternarben 1۳ — | 
| Meine BZufünftigel — ariiflich, pon einem wild» 
x fremden Wejen derart ſprechen zu können! Sch fenne bis 
jet feine junge Dame, welche id) zur Gräfin Nieded 
machen . 








Ey 


„Un fo feller, Daf dein Vater deiner Unentichloffen: 
heit zu Hilfe gekommen Ut — Hartwig I die 
Daumen umentander uno recitierte: 
„Dann kommt mein Sohn Wulff Dieterich, 
Und macht zu ſeiner 00 dich!“ 

a 5! Dee Heiratsantrag, welchen Papa dem Wickel⸗ 

finde Bia madte! — Hat das blonde Kind wirflic) gez 
duldig auf Den verichriebenen Freier gewartet? —” 

`. „Das verjtcht fich, Pia weiß wohl, was fie dem Ge- 
Schlecht der Niedeck fchuldig ift! Und wie glücklich {ih 
das trifft! Ihr Vater — welcher doch jeit Jahren nach 
N. verjegt war, Bat jet als Dberftleutnant den ۶ 
ichied genommen — wie man jagt aus Gejundheitsrüd- 
fichten! — und zieht fic) nun hierher in das Haus jener 
Väter zurück Bia lebt immer noch bet dem Bormund, 
ehemals in Paris, jebt im Haag. Auf Wunſch des Vaters 
aber {oll fie diefen Winter nach Haufe fommen, um Die 
biefige 01 zu „verichönern.” Sch lobte die Abſicht 
ſehr — ja id) gejtehe ebrlic) ein, Daß Ich Darauf gedrungen 
habe, denn ق‎ wird die höchite Beit, daß ihr euch kennen 
lernt! ‘Bia wird nicht jünger — und bei ihrer Schön— 
heit dürften fich wohl auch Freier für ein armes Mäd— 
chen finden. Du haft aber feine andere Wahl wie ۶ 
Nördlingen, und darum ijt eS gut, wenn dem ehemals 
jchriftlich gemachten Antrag nun 8ھ"‎ 09 Der münd— 
liche folgt.” 

Wulff⸗Dietrich preßte Die Lipper awjammen und blickte 

{tarr vor fich ۰ 


— 203 — 


poh Taffe mir durch das elende Erbe mitt und nimmer 
mein Lebensglüd zerjtören —/ fagte er ernjt — „und ich 
gebe Dir mein heiliges Wort, wenn Fräulein von Nöcd— 


lingen nicht nach meinem Gefchmad it, wenn ich fie nicht - 


lieben farm —, werde ich fie nun und nimmermehr ۳ = 
raten!” Atemloſe Stille. | 

And das Majorat” or 
z „Das werde id) als Junggeſell ہک‎ nb e 

Hartwig freiftellen, durch eine entiprechende a jeinen 

Sohn zu meinem Erbe zu machen.” ° - 

Graf Riidiger ۵ jo inöttifeh wie immer اد‎ 
jchnitt eine jehr erregte Einmiſchung feiner Gemahlin durch 
die Worte ab: „Gut, du bijt dein eiqner Herr und kannt 
handeln wre du willit. Ich denke aber, Pia wird dein 
Fiſchblut auf jeden Fall in Wallung bringen, und du 
wirjt Die Genugthuung haben, deinen Ruf als ٢۷۴ 
Ehrenmann nicht im mindeften Durch eine ummoralijedje 
Bermunftsheirat zu gefährden!” — Er ſchwieg und wandte 


ſich nach der Thür, in welcher ein Diener erichtien, DOG a. 


Couper zu melden. 

Wulff: Dietrich bot auf einen Wink des Grafen der — 
Mutter höflich den Arm und führte fie fchweigend durch š 
die lange Flucht ber Salons nach dem Speijejaal. Mehr 
rote je empfand er eS, ein (rember in jeinem Baterhaus | 
geworden zu ۰ تا‎ 





Laune [ft — was Laune ۶ 
6٣٣ 


ıı dem alten freiherrlich von Nördlingenfchen Haufe 
k brammte bie Lampe in dem etwas altmodifchen, 
۱۱ einfachen, aber ſehr behaglichen Wohnzimmer. In 
bem bequemen Lederjeffel, welcher jchräg neben den Sila 
gerückt war, jaß Der Oberſtleutnant und ſtudierte eifrig 
die Zeitungen 

Draußen. heulte der Schneeſturm durch die enge Gaſſe, 
6+ von Eiskörnchen prafjelten gegen die Scheiben 
und die roſtigen Fenſterläden greinten in den Angeln. 

Wie gemütlich war e8 im warmen Zimmer! Der 





Freiherr rieb Sich in beiter Lamune bie Hände und os — 


ſich nachdentlich in den Seſſel zurück x 
Seine eigenen Angelegenheiten ۵ ſſierten ihn mo- 
mentan mehr, als alle Händel der fernen Außenwelt, 
welche die Zeitungen erörterten. Ein Gefühl innigfter 


und glüdlichiter Zufriedenheit überfam ifn. 


Nach mancherlei Stürmen, Sorgen und Mühen war 
er in den Hafen glückſeliger Ruhe eingelaufen, jetzt erſt, 





د 906 سب 


nachdem er den bunten Nod ausgezogen hatte, in Wahr: 
heit ein Freihert zu fein. Seine Berhältniffe waren nie 
glänzend gewejen und. bi ficben auch jetzt recht beicheiden, 
aber die ۲ reichten für ein anftändiges, genügjames 
x Leben aus, und das war die Haupt} ſache 
Seine beiden Söhne waren gut aufgehoben. Der 
Alleſte war Marineoffizier geworden, der Jüngſte be— 
rechtigte in der Selekta des Kadettenkorps zu den bef ten 
‚Hoffnungen — und Pia — feine einzige Tochter — — 

Ein {tra hleudes Lächeln pertlarte das Antlitz des alten 
Offtziers Für Pia war nicht nur ‚gelorgt, ےت‎ ۳ 
gar glänzend geforgt. 

Vorhin Hatte er Graf N übiqer im otelatlub کت‎ 
In intimſter und vertranl ‘ichfter Weije hatte ſich ۵68 
erfundigt, ob dem fein fünftiges Schwiegertöchterchen 
nun endlich eingetroffen fet; felt Weihnachten habe er 
fie bereits ſehnlichſt erwartet, denn ق‎ werde Dod) nun 
b hohe Beit, daß er das Wort einlöfe, welches er für i ſeinen 
Som dermalen an die ‚Kleine verpfändet! 
". Her. von Nördlingen hatte ſchmunzelnd erwidert, 
bak fein Töchterchen jeit Drei Tagen zu Haufe angelangt 
fei, und daß er nicht er ۱ De ie in Villa 2 
bella zu präfentieren! 

Der ‚Graf war näher zu m herangeriit 

Am 14. diefes Monats findet der lebte Hofball 
ftatt — hatte er geflüftert. „Ih habe Wulff-Dietrich 
dazu Herbeordert, damit er auf die Brautichau gehe. 
Sorgen Sie nary lieber Ne, daß Pia auf dem 


os‏ وو 


Balle anweſend ijt, Damit wir die مه‎ der دوز‎ 
Reute anbahnen! Mein Junge ijt nun alt genug, تس‎ — 
heiraten zu können, und ein Erbe it meinem Vetter Willie 9 


bald auch nicht geboren. ۷ 0 miiffen wir an die Aufunft 
benfen! — Wulff Dietrich ijt ein. 667 Kauz ex 
nimmt e3 in Liebesdingen ſehr ernft und ‚feierlich, Hoffent- 
lich ift Pia in ihrem Weſen recht ansgefprochen deutich 
‚geblieben, troß der langen Sabre welche fie in Baris 


verlebte! Wulff⸗Dietrich haßt alle franzöſiſche Art, und ich — 
glaube, er hegt in diefer Beziehung Be fürchtungen! Wollen 


Sie und Ihre Frau Gemahlin nun nach Kräften auf die 
junge Dame einwirken, befter Freund, daß fie Hd dem 


Gejchmack meines کوٹ‎ ein wenig anpakt —! Edit 


weiblich! Nicht von Bolabüchern und amüjanten Erleb⸗ | 
nifjen im Chat noir erzählen! Dafür hat mein folider Sohn 


fein Verftändnis! — Alfo ich verlaffe mich auf Sie, lieber: 3 


Nördlingen, das Glück unferer Kinder fteht auf dem Spiele! 
Daran dachte der Freiherr jest, und ein pfiffiges 
Lächeln huſchte über fein Geficht. — 
ia, feine goldlodige Pia, eine Parijerin!! ۱ 
OH, wie wird Graf Wulff-Dietrich jenen schwarzen 
Verdacht, welchen er hegte, vor diefem Urbild aller deutjchen 
Sittiamfeit, alles edlen Stolzes fniefällig abbitten! — 
Was wird er für Augen machen, wein er Die Hit ibn 
Yuserwäblte 116011 — 
Der Oberftleutnant wiegt fich ſchon in den rofigiten 
Hoffnungen und fieht die ftolgen Triumphe vor Augen, 
welche jeine Tochter und durch fie auch er feiern wird! 


— 208 = 


Er Hat Pia allerdings — nicht mit jungen Herren 


verfchren jehen, aber er iff überzeugt, daß ihr ftolges, ` — x 
ſelbſtbewußtes Wejen nie die Grenze des Erlaubten über ° 


Ichreiten wird! Dennoch thut er wohl aut, ihr zu jagen — 
was Graf Wulff Dietrich von jungen Mädchen verlangt, 
und was für fle auf dem Epiele Steht. — 

Die Thür im Nebenzimmer öffnet ſich ein feichter 


Schritt nähert ſich, = Dani n ein مت‎ 0 an 


dem À 

bla. 2 

‚sa, Papachen, en bin es!“ ae 

„das 10۱۱۲ bu?” ۱ mee 

yrs) gebe noch zwei Fleiſchgabeln heraus, — ſie fehlen 
auf dem Tablett. 1ل"‎ ru Ht du? Coll id) dir etwas 
beforgen ? ' 

(71 beſorge nur imal mein Töchterchen Diether!” 

Cie lacht leife auf und tritt ein. Der Lichtichein der - 


Lanipe fällt auf ihre hohe, fchlanfe Geftalt in Dem ge— ; — : 


ſchmackbollen, dunklen Hausfleid. 


Wie eine junge Edeltanne iſt Me gewad] fen, haul ۳ 200 
مھ‎ biegſam und graziös. Ihre Bewegungen 


ſind ungezwungen, fehr fiber und deunoch anmutig, etwas 
2101208 ر‎ Eigenwilliges drückt Hd in der Haltung ihres 

und Kopfes aus. Ein auffallend reigendes itll‏ حرش 
"wendet fih dem alten Harn zu. Blondes Hanr,‏ 
welches ausjicht, als ob grefle Goldjüntchen darauf‏ 
brennen, lot {ih voll und üppig über der 0 und‏ 
ſchlingt ſich zu ſo dichtem, hellglaͤnzendem Knoten, dap‏ 











isin: | = 
W. ad e 


01 9 





2 





9 و 


Des 


Wy. EpaHftruth, IL Nom. u. New. Der Majoratsberr |: 





— — 


ih wohl. ‘eben Beihauer der Wunſch aufbrängt, I — 


goldene Pracht einmal gelöſt zu ſchauen 


Große, veilchenblaue Augen feuchten über zart rojigen > 


Wangen, — die Nafe iſt gerade und 7759ھ(‎ ber 2۳ x 
gleicht friſchen Kirſchen — 

Ein Ausdrud finnender Weichheit liegt fiber bet garten ۱ 
Gelichtchen, und dennoch faut dericlbe ſchnell ſchwinden 
und einer ſtolzen, ſpröden Kälte, einer leidenſchaftlichen 
Erregtheit Platz ۵ . x 

Shr Onfel Dat den: ‚Eltern: geichrieben: „ia TH ۲ 
leicht zu behandeln, wenn man ihrer Eigenart gerecht 
‚wird, Cie fann dahinjchmelzen in Licbe und Weichheit, 


benn man ihr mit ber zarten, liebevollen Rüdficht bes ve 


geqnet, wie fie thr unberiigrtes, ich möchte beinahe jagen 
هموزر‎ Kindergemüt | verlangt. Eine Hobe, fittliche 


` “900011 prägt all ihrem Handeln und Denfen den 


Stempel auf, fie it fähig ſich für einen 71 
` Bettler, welcher ihr, mit Rejpett begegnet und eine ehren 
hatte Gejinnung begeigt, aufzuopfern, und fie ijt gleiche — 
falls fähig, einem Prinzen, welcher fie nur ۱ 71 
Dutd) einen kecken Blick oder ein ٤9 Wort verlept, 


Krone und Purpur vor die Füße au werfen, wollte = os 


ihr diefelben: anbieten! — ` 

ch 2 ehr! ich ein, dab mir Diele, alferbings ا‎ etwas 
Ichroffen Gegenjäte ihres 8 eher fultiviert wie ab: ` 
geichliffen haben, denn Pia gleicht einer Noje, welche der 
Dornen bedarf, ihre feu jche Schönheit zu Dibe. — 
Ben ie و‎ Tugend 08 gut Zeit auch noch zuläßt, 


= 1 — 


daß Via m ihrer Mimo} jenbaltiatci Die und ba gu weit 
geht, jo wird fied das „zuviel“ ſchon ganz von felbit 
ae. wenn fie ruhige md reee Anſichten von 
Welt und Menſchen erhält. > | 

Der Legationsrat war ein 092 und geilt- 
reicher Mann, er hatte Die Kleine Nichte, welche in jenem 
Haufe herangewachjen war, ſehr richtig geichildert, aber 
Herr von Nördlingen war gar nicht im mindeften diplo- 


matifch beanlagt, und viel zu ungewandt in der Behand». 


lung von Mädchenherzen, als dab obiger Brief die gez 
wünfchte Wirkung hätte auf ign ausüben fonnen. Er 
hatte ut ۲ Sugend faum ideale 0070 gekannt, 
— jebt, im Alter, nach dem ſchweren, 71 ے‎ 
des Lebens, hatte er ۶6 völlig verloren. 
6 dachte nur praktijch, nur real und nüchtern, ind ۱ 
wer anders au Denfen wagte, den nannte er überjpannt 
und unvernünitig. Der Gedanfe, bab ein M ädchen cine 
jo glänzende Partie wie den Majoratsherın von Niedeck 
nicht mit allen Fiebern des Herzens erjchnen, — ja, woz 
möglich ausfchlagen finite — diejer Gedante fain ihm gar 
nicht in den Sinn, tm Gegenteil, er war überzeugt, daß die 
Pläne des Grafen Rüdiger Pias Herz mit demſelben Stolz 
und behaglichem Entzücken erfüllen würden. die Das ۰, 
‘Und ۲ Überzeugung 30g er das reigende Töchter 
hen neben fich auf einen Eeffel und reichte ihr ſchmunzelnd 
۱ cin großes, gelblich gefärbtes Kartonblätt gin. — 9 
„ta, Was hätte ich denn hier, Mamjellchen 2 — Donner 


u Doria nod Me, ich Hoffe, Du freuft dich! 
14* 


Er oo 


‘Ria warf einen lic auft bas وط ا‎ Wappen 


und Die gedruckten Heilen en darunter. Ein ſonniges Michels ae 


erhellte ihre Züge: : a 
„Ein Hofball? — am 14 22 aut ich bin ai 10000 ہے‎ 
mit eingeladen? ©, das ijt reigend, ich freue mid) gar 


zu ſehr, unjere hohen Herrjchaften kennen zu lernen, denn 
نموه‎ war es doc) toll, daß ich in der fo DOIG 


fremd geblieben 

| ‚Der Freiherr fniff mit geheimnisvollem Lächeln. Die 
: unin zufammen: „Sa, هه‎ üt toll, — du bift viel zu 
Lange meggeblicben, und haft nun gar Manes ichleunigit 


nachzuholen, mach dich mur ganz beſonders hubſch, und 


nimm deine roſigſte Laune mit, mein Goldfaſänchen — 
denn es it noch eine viel wichtigere Perſönlichkeit wie 
Cerenifi unus ba, welche dich auch kennen lernen will!“ — 

ia blickte under fangen auf; die langen, dunklen Wimpern 
malten breite Echatten um die Augen. 


„Noch wichtiger, wie die 0 سیت‎ Saif 


ja gar nicht 8 774 — ER 
Der Oberſtleutnant kniff fie vol o 2:10٤ 


in Die Wange: „stlemer WF du! was gehen ein junges کک‎ 
Middel denn Die verheirateten Leute an! — Bei euch font ا‎ 
doc). immer zuerſt die oe 0 dann erjt Die Königs: 


| — 1 ی 
Bias lachetndes Wnt ib ward plößlich ernit: <‏ 
dich nicht, Papa! — ſagte fie, unwillkürlich ein‏ 00111006 
wenig weiter zurüchveichend. Da lachte Nördlingen in‏ 
jeiner etwas derben Manier laut auf und recitierte —‏ ‚ 


„Du Kind mit goldenen Harden, 

Wart’ noch achtzehn Zährcen, 

Dann kommt mein Cohn Wulff-Dieterich 
Und macht zu ſeiner Gräfin Dich!“ 


„Hahaha — Epiritug, merkt du 7 ۱ 
Das junge Mädchen zuckte zufanımen, hoch und ftolz 
bob ie) das goldjchinnmernde Haupt auf den ۰ 
you weift, Papa, daß ich ۷ abſcheulichen, frivolen 
Bers Hajje!” — Stich fie mit bebenden Lippen hervor 
Nein, Herr von Nördlingen war gar fein Menjchenz | 
kenner, jonjt hätte er fchleunigit feinen 601017 
geändert. 
Er verstand Hid aber nicht auf den Blick aus ۰ 
augen, darum +7٤ er noch mehr und noch ۰ 
„eu haft ihn gewiß, mein Herzchen, weil der jaumfelige 
۷۱۷۶ die achtzehn Sabre verftreidjen Beb, ohne jen Wort — 
cingulijen? Na, das war nicht feine Echuld, ۲ 
Willibald Hat fie ja durch jeme Heirat auf Wartezeit - 
راو‎ und jebt erſt ۲ wohl die Erbjolge gefichert.” — — 
ار‎ — die Werbung galt allp mur den 11 Ahnen?“ 
furchte Pia die Stirn und fuhr voll ſchneidender 7٤+ 
fort: „Die Braut felber war völlig Nebenjache! erhielt 
| Graf Wulff das Mojorat nicht, jo war auc) ۱6 ۵ 


Ehe unnötig. Er hielt es nicht einmal für notwendig, 


fic) Die Butünf tige anzusehen, bis ihm das Meſſer an 
der Kehle jaß; nun aber, wo es ernftlich Zeit ward, an 
‚den Handel zu denfen, nun kommt er wohl gar auf den 
SHofball, um nich zu mufteen 7۱۳ — 





Der Freiherr. zuckte gleichmiitiq Die join: : „ou N 
0 über Dinge, die dur nicht verſtehſt; Prinzeſſinnen ٦ 
und Edeldamen, welche 1 auf Traditionen zu 


nchmen haben, müffen id 00816 Liebeswerbungen a aus See 


dem Kopf ۲ a 
„sch bin aber feine Wrinzeffin. — ich für Sand — 
und Welt opfern muß! — 


Aber du biſt ein armes, blutarmes Mädchen, welches aoe ٦ 


auf jeine Familie Miicfichten zu nehmen hat und Gott 
auf 11 Danten mup, wenn Der reichite Erbe des Herzog⸗ ® 
tums ق‎ zu feiner Gattin machen will : 

| Pia hatte ich erhoben, ihre ſchlanke Ge} italt bebte, ihr 
Antliß war leichenblaß. „Co arm ijt meine Familie nicht, 
um ein derart fündhaftes Opfer von mir zu verlangen, 
und fo elend, ſo verworfen und unmoraliſch bint ich nicht, 
um einen derartigen 9 zu billigen, ء٤‎ 
Gott dafür zu danfen, daß man — bis zur Conan 
oe oil! ا‎ 

Hormesröte ftieg in das ۸ bes Dberftleumants, 
aber ev war noch viel zu betroffen, viel au Starr über 
Dieje 1806 unfaßliche Wendung ber Dinge, a er kaum 
zu ſpr echen vermochte. 

Cr Hübte die beiven Hände felt auf Die دسا‎ 
„Halt du eine bejjere Partie in Ausficht, alS wie den 
Grafen ۷ 03س‎ ۱ | 

„ren, Papal’ 

„Halt Du did) bereits im einen anderen verliebt 2” 

en Papa, ۷ — | 


un, dawn verbitte ig me in Sufumft alle deine — 
kindiſchen Einwände aufs ftrengjte! Kannſt Du mir 
einen anderen Freier zuführen, welcher. ſich in jeder Weife 
mit Dem Majoratsheren von Nieder mefjen fann, gut, jo 
will id) dir gern Die freie Wahl zwijchen beiden geftatten, 
x kannſt bu es nicht, jo Balt bu Dich gehorjam dem Willen 
deiner Eltern zu fügen, welche ee 9 und deine Zukunft 
jorgen wollen! —” ` 
Auch die Gewalt der Eltern hat ihre Gr enzen braufte 
Bia voll Leiden} 67 Erregung auf. x | 


Allerdings, fie hört auf, wenn fle ungehorfäme nd 


widerjegliche Kinder aus dem Baterhaus verftogen! — 
Und ich verfichere dir, Daf ich nich nicht von 78, 
vBockfiſchſchrullen und franfhaften € Sentimentalitäten turan: 

nijieren laſſe! Füaft du dich nicht unjerer Fürſorge, gut, 
jo fich, wie du allein fertig wirft, unfer Sind Pit Du 
dann wicht mehr, das merfe dir. —“ 

Er hatte mit jehr ruhiger, beinahe kalter € @limme qez 
jprochen, und das junge Mädchen wußte, was das bei 
dem 77 befagen wollte. a. ہت‎ 
Gr hatte nie einen Widerſpruch ertragen, er konnte 
na Rlos heftig und jahzornig werden, wenn man ſich Anz 


۱ افو‎ welche er getroffen, nicht fügte. - Daran war 
ee a auch feine militärifche Carriere gejdjeitert. 


Und 7 Tropfen biejes Hibigen Blutes رورت‎ 27 ۱ 
im Pins Adern. ۱ | 
Bis in Die Lippen erbleicht end fie bor Dem gran- | 
famen Sprecher. Sie kämpfte und rang gegen ſich jelber. ۱ 


— 216 — 


90 fie jebt, fo war 8 he ewig aus wiſch en 
ihnen, das mußte fi. | — 
Und fie hatte den 701 im Saag er 
auf die Sehroffheit des 8 Rückſicht zu nehmen und 

feine Scenen herauf zu beichwören. 
Alſo jehweigen; — Zeit gewonnen, alles qempunen. 
Sie hob das Haupt ا‎ in den Nacken und wandte fi 

zur Thür. 

prod eins!” klang Die Stimme des Oberftfeutnante 
hinter ihr. Glaube ja nicht, daß du den Grafen Durch 
ein unliebenswürdiges Benchmen zurüchchreden ]6111111! — 
oon abweijen oder abjchreden bleibt eins für mid). Ich 
werde dafür forgen, daß du im Verfehr mit ihm beob- 
. achtet 0 x 
Ein bitteres Auflachen wollte fic) von ben Lippen des 
jungen Mädchens ringen, aber fie preßte Diejelben wie 
unter phyſiſchem 7 krampfhaft zuſammen und trat 
haſtig über die 8۶ — 


In demſelben Sanden, ‘aut demfelben Etuhl, 


wo einſt Tante Johanna ſaß und gequälten Herzens den : : 
Blick zum Himmel hob, 8ژ‎ jest ihr Liebling Bia und. 
preßte das Antlig fehluchsend im die Hinde. ES waren 


Thränen der Verzweiflung, der leidenſchaftlichſten Em- 


pörung, welche fo brennend heiß Durch Die ſchlanken Finger x — 


periten. 


Ihre heiligiten, lauterjten Gefühle waren verleht, ahr es 


Stolz zudte unter dem Keulenjchlag, welcher ihn getroffen. 


5 xe = 
< aw _ 





— — 


2 


Als Ware — als willen nb ا5ء‎ ihre jollte 


fie verhandelt werden, — wie eine Stlavin ichleppte man = = 


fie auf den Markt, pries ihre jechzehnt Ahnen mit prahe 


leriſchem Geſchrei an und der Mann, ‚welcher jut eine 
Stammtafel Diejes Inhalts gebrauchte, um damit im Ein 


taujch eines Wajorats em gutes Geſchäft zu — 


fam mit gleichgiil tigem Blick, Das notwendige Tibet, ) welded. ce 


Wozu noch dieſe entehrenbe, demiirigende Komödie A 


zu dem alten Stammbann gehörte, in agente zu 
nehmen! = ۱ ۱ = 


Ob fie im gefiel oder nicht, — es war ja jo gleich⸗ — xÇ 
gültig! er wah te fie ja doch nie und. nimmer aus hem ے.نتے.‎ 


Yırtrieb, aus Liebe und herzlichen Zune gung, er heiratete = 


fie eben nur barunu weil er He ۷ mußte, weil ihm — — 3 
feine andere Wahl اط‎ ied, weil die, 00110851 die 8 li : 
Ba Erbfol gerecht ihre Bedin aung | 00 x ‚Hatte 1 W Willibald are 

oe تو‎ gert, Tante Sopanna heimzuführen? oh 
— Sie, die al terube, 2 Berfrüppelte, nach toeldher jonit رت‎ 
mie تہ‎ anderer Dann, ۷ا‎ der bejcheidenjte nicht, vie 7تت‎ 


hatte? Tante Sohanna behauvicte —‏ کو Hände ausge‏ ا 


au fie fet überjchwenglich — geworden! 

2 9. aber zur Sliteklichiten zu machen, — dazu qez 
hörte nicht viel! Ihre Engeljanftmut, ihre Beſcheiden⸗ 
heit, welche an Untenvürfigfeit grenzte, — ihre namen: 
0 Dankbarken für die tleinſte Freumolichten und Auf⸗ 


mertſamkeit — ja, wie hätte Tante Johanna jemals alte: ۱ — 
der Seue eines Mannes unglidlich werden follen, wenn der 
ſelbe ihr jattjam zu eſſen gegeben hätte, ohne ſie zu prügeln!! BR 


gen 


` Uber Pia trug nicht die Serappjeheingen Diefer Dulberin ۱ 


den Schultern! — 


€p, wie einſt Johanna Bier n hatte und das 
anne. eines Grafen. Niedeck jum Inbegriff all ihres 
x Gluckes zur Sıfüllung ‚ihrer 671 Träume ward, 
jo jap jebt Ihre Nichte an 7 Plat UND. zermar⸗ 
terte ihr. Köpf chen mit den. abenteuerlichſten Plänen, mie 
fie den verhaßten ی ی‎ — Grafen Nieded 
fernhalten ۰7 | en 


Cie fagte fich jelbit, bag. te bei den 6 fein Bere . Ñ Ç 
ſtändnis für ihre Herzensnot finden werde, hak ont 2: 


lungen und Bitten erjolglos bleiben wiirden, und fie fagte 
Sich ferner, Dab Graf Wulff⸗ Dietrich Huldvolfft ihre Hand 
-accepticren würde, meun er fich überzeugt hätte, Daf die 
۱ „offizielle“ Gattin, welche er heimführen mußte, fein Un: 

 QeDeucr an Haßlichkeit oder Bosheit fei! Pia, die Epride, 
Feinfühlige, gitterte vor Scham bei dem Gedanken an E se 
0 Begegnen mit dem Grafen ۱ x 

bini te nicht jtattfinden, mm und mere 

Aber wie ſollte fie es verhindern? 

Bon ihr durfte bas Vereiteln der eltetlidien Blane 
nicht ausgehen, سے‎ es würde fie das Baterhaus und die 
Heimat: koſten, es würde 0 Bande ziwiichen ihr und den 
Menichen zerreihen, welche ihrem ‚Herzen — der Welt — 

am 11 Ranben! 
لا‎ Tante Sohanna 7ء‎ = 

Gerade Sie: fann in dieſer Angelegenheit ‘wo. Bann. 

um ihr Bejim handelt, 020ھ‎ jür fie eintreten! 


— 220. — 


Was 1011121 — 

Bi نارق‎ zuͤckt eë wie ein rettender Gedanfe durch ihr 
Köpfchen; dierotgeweinten Augen Strahlen auf, ein Shimmer 
` toliger Hoffnung vertlärt ihr Antlitz ۱ 
<. Ele wird an Graf Wulff-Dietrich felber jchreiben! 
Man fagt ja, er fei ein Ehrenmann, reich an allen Tugenden, 
ijt e8 thatjächlic) der Fall, jo ift er vielleicht ۸ 
genug, ihr zu Hilfe zu ۰ ۱ 
Bia fräufelt roniſch die Lippen Gibt es heutzutage 

atjächfich noc) Männer, deren Nitterlichkeit 0 — 
ft wie ihre Goldgicr? 
. Wenn fie ihm fchreibt, dah fie die ۸۵ mb erz 
zwungene Ehe 71 ihnen unmoralifch und entwürdigend, 
für ihren Etolz geradezu 1150 lich findet, jo wird er 
fier poll Diplomatijcher Gewandheit alle möglichen 
Ausflüchte und 1ا20‎ in Das Treffen ſchicken, 
wird fic) auf die, durch Jahrhunderte geheiligte عم‎ 
dition berufen, und wird Die Konvenienz der Fürſten— 
een citieren und was €3 0 en mehr an klingenden 
Phraſen gibt. | 

Nein, damit padt fie ihn nicht bei der Ehre, damit 
faßt fie nicht jene einzige Anficht, über welche e3 für 
ritterlich denkende Männer fein Disputieren gibt. 


Cie wird es anders anfangen, jefuitisch — mit Sem 


Wiegentiedlein für ihre Sfrupel, daß ja der Zweck die 
| Mittel heil 01: Pia nimmt mit ftürmenden Pulſen Feder 

un Papier zur Hand und [bt fic) nieder, an Graf 
Wulff⸗Dietrich zu ichreiben: | 


کے 


ie et per Graf! 


58 wird Sie überrajchen, einen Brief von mir, br ll 
Unbetannten, zu erhalten. 30 weiß, bab ¢3 nd ۱ 


gegen Form und gute Sitte ۱0۲ ر‎ wenn eine junge 
Dame an 71 fremden jungen. Herrn einen Brief richtet; 
es gibt aber Lebenslagen, in welchen alle Nebenjachen 
vor der großen, ۷ Hauptfache 001. Verzeihen 
Cie, wenn ich cine Angel egenheit berühre, weldje uns 


Ë beiden nicht fremd iff, und nächlter Beit doch 001 
uns hatte erörtert werden müjlen. 58 betrifft die rein 


x gejchäftliche Abmachung unjerer Eltern, uns zu verdei- 
raten. Ich feine fie nicht, Herr Graf, aljo können dieſe 
Zeil en Cie auch nicht beleidigen Meine Anfichten über 
eine derart gewaltſame Vereinigung zweier Meunſchen, 
‚welche vielleicht in nichts Harmonteren und feinen Funken 
pou Sympathie, gejchweige von Liebe für einander fühlen, 
Dicje Anfichten möchte ich Ihnen gar nicht crit ausſprechen, 
| denn ic hoffe, Sie teilen Diefelben mit mir. Sicherlich 
würde es 7 unangenehm beruͤhrt haben, eine Frau 
zu heiraten, welche nur anf Befehl der Eitern Ihr ۲ 
gegeben! Wenn ich mich aber jest it meiner Verzweif⸗ 
tung an Cie wende, hochgeehrter Herr Graf, nut 1 
Zuverſicht auf Ihren Edelmut und. altem Vertrauen in 
Ihre Nitterlichfeit, jo. werden. Sie mir gewiß nicht die 
Hilfe perfagen, um meldje ich Sie anflehen möchte | 
„Se liebe, Herr Graf! Liebe mit per ganzen heißen 
Innigkeit einer tiefen Neigung einen Mann, welchem ich 


Treue gelobt Gabe und welchen ich auch Treue halten | 


will, — قاط‎ zum Tode, — Eeiner Werbung fteht viel, 
— alles im Wege, jolange meine Eltern in der unglück— 
jeligen Zuverſicht leben, in Ihnen den reicheren und darum 


willfommeneren Freier begrüßen zu fönnen. Eine Weigerung 


meincerjeits, mit Ihnen auf dem Hofball am 14. 8 
Monats zuſammen zu treffen, würde eine Vernichtung - 


all der. heißen 82 fet, ‚welche mein Berlobter und 


ih in bie Butunit feben, denn der Zorn meines Vaters 
wirde mich zu ftrafen willen. Nun wende ich mich an 
Sie es ‚Herr. Graf, und beſchwöre Cie bei 
lee, as Ihnen heil ig it, erbarmen Cie ſich meiner 
und. n Sie am 14. dieſes Monats nicht auf den 
Ball. Cine Depeſche e fan Sie im lebten Moment ents 


` fehuldigen, erjparen Cie uns beiden das entichlic) Pein 


liche einer per} jönlichen Begegnung. ہا‎ Sch wiirde eà ee 


Ihnen in unbegrengter D antbarteit ‚zeitlebens gedenken! 
— رج‎ weiß, bab ich piel, jebr viel von Ihnen verlange, 
Deut 8 blieb. mir nicht. unbefannt, daß ſich Ihre reiche 
Erbſchaft an meine ſechzehn At nen fnüpft; aber eh 


Slaube | an Ihren Edelmut, an Ihren Nitterfinn ift größer رت‎ 


- wie meine - oft bor Shrem Trachten nach Gold und 


2 Schaͤten ann bin zu Cude mit meiner Beichte, id) lege . 


fe vertrauend in Ihre Hand. — Schreiben Cie mt ٦ 
: feine Antwort, nn Antworten Sie mir Durch Sov Fern⸗ 2 
bleiben, — und ich werde Cie jegnen dafür! | 





Pia, Freiin von Nördlingen: Gunmersbach Hes 


= WS die junge Dame dicje Zeilen in fliegender Halt 


— ee — 


zu Papier gebracht, {as jie ‘bag Geidwiehene nod) ۵۱ 
flüchtig durch und lehnte ſich alsdann mit glühenden 
| Wangen in den Seſſel zurück Eigentlich war es umer: 


dit, was fie, da gejchrieben hatte! 


Rügen, frei iche Yügen von Liebe — Treue — 1 


: nem Verlobten! Ware fie nicht gar zu aufgeregt und 


— außer ſich gemwefen, fie würde hell aufgelacht Haben! 
That fie 12 — Cin großes Unrecht! Gewiß nicht, 


fie fam mur der Lüge des Grafen: „sch liebe dich” سے‎ 


= geſchickt zuvor عمط سل‎ ftarf aufgetragen mitte Das 
Schriftitück fein, denn ein Mann, welcher fic) überhaupt 
zu jo einen 7 Menſchen handel hergab, ber 
war nicht. jo peinlich in feinen. 9011. 

| Da mußte {con ichiver es Geſchütz aufgef ahren werden, 
۱ sollte in ſolch ein Herz die Brejche des Mitleids gejchoffen : 
werden. Pia fiegelte und adrejlierte den Brief, dann 
hüllte fie ſich in Pelzmantel und Kopfluch und eilte, fez 
bernd. vor Ungeduld, in den Schneeſturm hinaus, das 
wichtige Schreiben eigenhändig zu bejorgen. 

Ungefehen tant fie wieder heim und [ete fich in das 
Fenfteredichen, um fic) nun einem Hangen und Bangen 
in jehwebender Pelt hinzugeben. en 

Dann Schritt fie abermals zu dem Schreibtife, um 
einen Brief an Tante Johanna zu verfajjen. Sie a | 
tete thr rückhaltslos ihr Herz aus, 


„Wenn eS irgend angeht, Herzenstantchen, ne nie 
zu dir ein, damit ich fo bald wie mög (ich von hier. wen. u 
(0 ۳ bat fie تا‎ Suh inp. 2 feine Soufine ara: 


جو 921 — 


chen noch nicht, und ¢3 ware Dod) Hohe Zeit, dap mir. 
— — — 0 

* * 
Die Tage pergel ſch nell und der Hofball fam. .. 
gran von Nördlingen that alles, was in ihren Sträften 


jtand, um ber Tochter gut yugureden, und der اهاط‎ — 
leutnant war die. verkörperte Güte und. Liebenswürdige 
keit, ſtets von neuem bewußt, den Glanz des Niedeck je 
x ſchen Majorats it überſchwenglichſter Weile auszumalen. at 


| Und Pia ſchien wirklich and) nach giebiger zu werden, 
wenn fie auch quill und bla, mit 001. age nine 


berging. 
„Die ganze Stadt jpricht bereits von Ori Wulff⸗ 
| Dietrichs Brautſchau!“ ſagte fie aufgeregt. „Man er: 


wartet unſere Verlobung mit Beſtimmtheit, o, Mana, wenn 
ich ihm nun nicht gefalle, wenn er jchon eine andere erwählt 


hätte, — Graf Hartwig ſoll jüngjtgin erzählt Haben, 


fein Bruder wolle fi) an Landesfürjt und Kaifer wenden, 
day die Erbjchaftsflaufel als unhaltbar aufgehoben werde, 
ach, ich würde Sterben vor Schaum und Stolz, wenn er 

۱ io nicht mit mir verlobte.” = 


ey Oberftleutmant drehte grimmig den Edimerbati = 


= in bie Höhe. „Sc wollte e3 ihm nicht raten!” wetterte 
ate „eine Tochter ijt feine Puppe, die man 7٤1 
und ungefauft wieder aus der Hand legen 7 
Cr jah es in jeiner Erregung nicht, bab es um Bias 
Lippen wie ftolze Genugthunng zudte. | | 
a wie ie ſtaud die j paige Varonef | bor r dem 2 











a ہے‎ 


Spiegel und ftarrte mit fiebernden Pulfen auf ihr munder- 
holdes Bild. Sie empfand es felber, fam Graf Wulff, 
fo trat er freiwillig nicht mehr zurüd, eine namenlofe, 
Ihwindelnde Aufregung folterte fie, mechanisch ftieg fie in 
den Wagen und fühlte, daß ihr Herzichlag ا0‎ bei der 
quälenden Stage: „Wird er "ئ]‎ 7× 








ae YY 


“Er lebt vom bloßen Pflichttell ۵ Sebeut RE = 


und gibt bie volle Erbigaft (n! 7 
| ege 
age Bia den Saal betrat, mute fie Durch etliche 
NZ Reihen junger ‚Herren fchreiten, melche erwar— 

۴ tungêboll in der Nähe der vergoldeten Flügel- 
thüren Spalier bildeten, und bei dem entziidenden ۵ 
blick der „unbefannten Göttin” überrafcht zurücktraten. 

Die wohlfrifierten Häupter neigten Hd) grüßend, Die 
Sporen Hangen mit melodijdem ۵ zufammen, 
und dann flüfterte es von Mund zu Mund; „Wer 
war das? — Brillante Erjcheinung — bildhübſch! ۰ 
Wetter, dieſe Auffriſchung that unferer B lütenlefe not! — 

„Baronek Nördlingen- Gummersbach! | — 

Thatſächlich? Die ſchöne Pia?” — 

Sanz friſch aus dem Haag veri idjrieben! Für Wulff 
Dietrich, den Majoratöheren, weldjer jechzehn Ahnen zum - 
Heiraten braucht!” — 

„Sratulierel ۸ hat er eben einen folaffalen Dufel 


nn fommt beffer weg wie fein Onkel Willibald!” 





= 008 —_ 


„uf Kommando? — 

„Bas Hilft’s! 8۲ ja die 6 ٤ don bor 
awangig Jahren für ihn abgemacht!“ — 

„Merkwürdig! Man erzählt fic) dod), Wulff-Diet- 
rid) Habe eine ftille Liebe für die kleine Edda Feigen 
felt!“ — 

„Habe ih aud gehörtl Soll fie glühend lieben und 
‚beabfichtigen, die Majoratserbfolge um بیس‎ ſchießen 
zu laſſen!“ 

„Aha — darum will 7 Nüdiger die Sache etwas 
071 zum Abſchluß bringen!“ 

‚Ra, na, wenn eë ihm nur glicdt! — Der Sohn ift 
ein Starrfopf par excellence! Er wäre imijtande, einen 
Strid) durch die Schönen Pläne zu ۳ 

„Auf alle Fälle wird es intereſſant fein, ihn Heute 
abend zu beobachten!” — 

Wenn er überhaupt kommt! Hahaha, ic) traue es 
ihm zu, daß er das Rendezvous ablehnt!“ 

pyramidal! — Das kann einen Hauptjcherz geben!” 

Niemand der Herren hatte im Eifer der Unterhaltung 
bemerkt, daß der Oberftleutuant von Nördlingen feiner 
Gemahlin und Tochter in furgem Abftand gefolgt war 
und momentan an der Thür ftehen blieb. 

Der alte Herr hatte Wort für Wort vernommen. Das 
Blut ftieq ihm fiedend heiß zu Kopf. 

Er ärgerte fi unbefdreiblid), und empfand beinahe 
ein Gefühl ängitlichen Unbehagens bei Dent 1 
an die niedliche Gräfin Edda — danır aber ladjelte 


س 007و بت 


er ironiſch und hob den Kopf noch Höher auf den 
Schultern. ۱ 0 

Pia nahm den Kampf mit ۱۲ auf! Seine Pia, o, 
eë war ja gar wicht möglich, bab Wulff: Dietrich fo blöd: 
finnig fein konnte, um einer fentimentalen Neigung willen 
ein Majorat wie Nicded aufzugeben! Es wäre nicht allein 
rückſichtslos gegen feinen Vater, fondern aud) im 01 
Grade beleidigend gegen Pia — gegen ihn, Nördlingen! 

Es würde einfach unerhört, geradezu empörend fein! — 

Aber nein. — (3 ift ja lächerlich, mur an eine Ders 
artige Möglichkeit zu 81 

Wire Graf Rüdiger feines Sohnes nicht gewiß ge— 
wejen, würde er doch die ganze Heiratsgejchichte nicht erft 
eingerührt haben! Allerdings ſprach er ja die dringende 
Bitte aus, Pia möchte alles thun, um ihm zu gefallen 
... hm — follte doch etwas an dein 71:٥٥٥ mit Edda 
Rangenfeldt fen? — 

Das leicht erregbare Blut des Freiherrn wallte auf, 
fein Auge blitzt wie in ftolger Drohung, — aber er hat 
feine Zeit mehr, feinen Gedanfen Audienz zu geben, Be: 
fanute treten grüßend an ihn heran und etliche junge 
Herren bitten e fie bent N Tochter ۰ 
itellen. 

Bin fteht gar bald 11111:1113 [iç plaubert grazids und 
anmutig, dennoch fladert e8 wie nervöje Unruhe in ihren 
Augen, und während fie mit lächelnden Lippen ferat, 
ſchweift ihr Blick verjtohlen über die Menge, nah Graf 
und Gräfin Niedeck auszufchauen. 


— 230 


Endlich fieht fie die Briflanten Melanie ۰ 
Am Arm ihres Gatten tritt fie — von ber Gemälde: | 


gallerie aus, in welcher fich die älteren 408 u — 


ſammeln und 8۰7 nehmen, in den ۰ 
Pias Herzichlag ftodt. — Mit 018 Augen, 
in zitternder Erregung jtarıt fie auf das gräfliche Baar, 
— und atmet momentan auf, — Wulff-Dietrich folgt 
ihm nicht. — Hartwig eilt der Mutter entgegen und 
begrüßt fie in feiner chevaleresten Weiſe — 
Melanie tujchelt eifrig Hinter ben Fächer mit ihm 


und Der junge Dragoner macht ein 05 Geficht. ` N 


Dam gut er die Achfein und lacht. _ 

Graf ٤2 ſieht entſchieden verſtimmt aus; er ſcheint 
nach Bia gu fragen, Hartwig dreht wenigſtens den Kopf 
hin und her und fcheint fie gu fuchen. x 

Fräulein bon Nördlingen wendet fic) voll 7 
Lichenswiirdigtcit einem neu vorgeftellten Herrn zu und 
vertieft fid) fo fer in eine Unterhaltung mit ihn, Daf 
fie es gar nicht gu bemevten ſcheint, wie Die Niedecks, mit 
den Befannten plaudernd, rechts und links متیر‎ immer 
näher und näher zu thr ۰ 

Die Stimme einer befannten Dame klingt an ihr ۰ 


„Liebe Barouep - — a Sie Der oe 2 کی رت‎ [7 


8 wendet fich — سنا‎ Haft, ater en EN 


ftellen!” — 


bindlichem تا 0 5لا‎ der 871 zu und füht die dar کی‎ 


gebotene Hand! — 


Endlich lerne ich Sie fennen, niein fewer tee Fräulein x 


— 251 — 


bon Nördlingen!” — begrüßt fie Melanie in ihrer eraltierten | 


Weile: „Bei Beluh und Gegenbeſuch haben wir ue 
natürlich verfehlt, wie das ja meift der Fall if, — mit 


endlich fann ich Ste in der Heimat willfommen heißen! 
— Sieh dod), Rüdiger, welch eine Nofe aus dem fleinen 
Knöſpchen erblüht ijt, feit wir la petite beim 7 
zuletzt ۲ 

Graf Rüdiger fcheint in hohem Grade. überraicht bon: 
Bias 90:818 Sein entzüdter Blick fpricht noch mehr 
Schmeichelhaftes aus wie fein Mund, welcher fich beeifert, 
der jungen Dame die größten Liebenswürdigfeiten zu jagen! 

Durch alle charmanten Bhrafen des gräflichen Paares 
flingt aber dennoc eine gewiffe Verlegenheit hindurch, 
welche Bia nicht entgeht, und während fie Hola und ۰ 
ihön vor ihnen fteht und mit ganz wunderbar ftrahlenden 
Augen lächelt, ftottert Graf Rüdiger ziemlich unvermittelt: 
„Denken Sie dod), welches Mißgeſchick, Baroneß! mein 
armer ältejter Sohn telegraphiert mir jochen, daß er bei 
der Jagd Bech gehabt und geftürzt jet, der Fuß Ut ber: 
taucht und wird ihn möglicherweife wochenlang an bie 
Chaiſelongue fcffelu! Solch ein abjcheuliches Mißgeſchick! 
gerade heute, wo er ſich ſo ſehr — den Ball gefreut 
hatte!’ — 

„Und welcher Schmerz erit, wen: id ihn ſchreibe, 
was er alles verfäumt hat!” fügt die Gräfin mit bedeut- 
famem Bli Hinzu, — Mun ich hoffe, der Brandbrief, 
welchen ich verfajfen werde, wird die Sri beichleunigen I 

„ie bedaure ich das Mißgeſchick Ihres Herrn Sol): 


are‏ 2502 حم 


nes!” jagt Tia höflich, ohne im minbdeften traurig Dabei 
auszufehen, „Ein verftaudjter Fuß darf wirklich nicht 


leicht genommen werden, Grau Gräfin, und bedarf der 


Beit, um ausfuriert zu fein! Hoffentlich wird Shr Herr 
Cohn redjt vernünftig fein und allen Lodungen 67 
gewiß reht dverführerifchen Briefe widerftehen, gnädigſte 
Gräfin, — er verjäumt wahrlich nichts Hier, — und 
nüchjtes Jahr gibt es neue Bälle!’ — 

Ein paar Dragoner Barren der Vorftellung und Gräfin 
lelanie drückt Pias Hand: „Bitte, beſuchen Cie mid) 
recht bald einmal freundſchaftlichſt, liebſte Baroneß! Ich 
möchte fo gern noch recht oft und biel mit Shier 
1 — 
۱ Pia neigt nur fehr höflich) das Köpfchen und füßt 
abermals die Singerjpigen der Gräfin, dann verabfchiedet 
fie fi) von dem Grafen und muß fic) haftig deu Herren — 
zumenden, ‚deren Ramen Der jehr cilige, >٤ 
VBortänzer mit erftaunlicher Zungenfertigfeit herunterrafpelt. 

Pia feiert Een nd my زر‎ 6 7 
ft Hartwig. 

Wie cine junge Kinigin, glithend in Holger Freude, 
ſchwebt fie über das ۰ 

Es if, als ob ein Zoch von ihrem Nadfen genommen 
ci, alê ob fie, von einer driicenden, demütigenden aft 
befreit, Schwingen an den Schultern fühlte, welche fie hod) 
über jede Augſt und Sorge hinwegheben ۱ 

Aber moc) etwas anderes Unbewußles erfüllt ihre 
Secle nut Licht. 


3 
4 
> 
5 





— 234 ے 


Gie hat einen Mann entdedt, deffen ftolze, edle Nitterliche 
(cit größer ift, wie feine Gier nad) Neichtum und Ehre! 

Graf Wulff-Dietrich verzichtet auf ein fürftliches Erbe, ۔‎ 
weil ein unbefauntes Mädchen ihn zum 2 ine 
hoffnungsfofen Liebe 1 

Das ijt für das fin de siecle eine e fold) mardienbal tte 

Seltenheit, daß Pia num und nimmer daran glauben 
würde, wenn nicht jeder Blick auf die Reihen der ۳٤ 
fie davon überzeugte! : 

Welch ein Dpfer bringt er um +1 

Welch eine Genugthuung für fie, daß der Mann, welcher 
fie, Durch die Verhältniffe gezwungen, heimführen wollte, 
doc) zu den beiten feiner Bett gehört! 

Ein Gefühl warmherziger Nührung überfomnt Pia; 
— wie fol fie ihm fol eine Großmut jemals danken! — 

Shun heiraten? Doch nod) heiraten? Nein, — nie. 

Sie fann feinen Mann lieben, den fie lieben foll und 
ult, — ihr ganzes Sch bäumt wild auf gegen folch eine 
Benormundung ihres Herzens. Sie ift eine viel zu felb- 
jtändige Natur, um fich jemals beeinfluffen zu laffen, und 
darum fol auc) die Erfenntlichkeit feinen 2211 
Zwang auf fie ausüben. Es mürde der fchlechtefte 
Dank fein, wollte fie dem Grafen Wulff nun aus Hoch— 
acjiung dennoch die Hand reichen. ۱ 

Sit Wahrheit der edel denfende Mann, welcher 
die Heiligteit der Liebe derart refpeftiert, daß er ihr das 
eigene Blüd, Die glänzende Bufunft, die imponierende 
Größe eines Niededjchen Majorat3 opfert, — fo verlangt 


— 98h — 


cr auch für fic) in erfter Linie diefe treue heilige Liebe, 
als bejtes und wichtigftes HeiratSgut der Frau. 
Auf die reiche Mitgift würde er verzichten, auf die 


Liebe nicht, — und gerade dieſe tam Pia ihm nicht 


geben. — 
s Marım nicht? Cie tamti ihn ja nicht einmal, und 
weiß e8 gar nieht, ob er nicht gerade derjenige Mann 
it, für weldjen ihr Herz voll )) ۴ Zärtlichkeit 
entflammen würde! — -.-.. x 
Pia fennt ihn gwar nicht, aber fie fennt fich felbit. 
Sie weiß, daß ihr Oppofitionsgeijt nie ein andercs 
Gefühl für den aufgenötigten Freier zulafjen würde, als 
den Ingrimm, als den empfindfamen Ärger über die 
Demütigung, قاہ‎ Ware verhandelt zu fein. 
Das würde fie nic überwinden, ebenfowenig wie fic 
jemals an die Liebe eines foldjen Gatten glauben 18111186, — 
Andere Frauen würden fic) fadjend in Die ae 

[Dicer und die ۰ nfrone und das biinfende Geld ale 
reiches 511111185 für ihr geopfertes Herz ı anjehen; fie ies 
` قوط‎ Leben auf ihre Art und Weije genießen und Hd) mit 
der Thatſache tröjten, daß die meiften modernen Chen 
nichts anderes find, als eine Epefulation, als cin Geſchäſt, 
welches ebenfo nüchtern abgefchloffen, mie gelöft wird. — 
Gelbſt mit allen inneren Banden, — nur das Firmen: 


Schild mit Den vereinigten Namen hängt als ein an SE 


Zubehör über der Schwelle. 
Pia denkt nicht modern. 
Sie, die in Paris erzogen it? 


Gerade darum! weil ihr fcharfer Blid allzuviel ۶ 
zöſiſches Elend gejehen, rebelliert ihr deutſches Blut gegen 
die Sünde folchen Meineids. Die Jugend urteilt immer 
ſchroff, — fie Schafft fic) Sdeale und kämpft für Diefeiben 
und je reiner und gefunder ihr Herz und Seele geblieben, 
Defto tiefer und leidenichaftlicher die . س‎ Die 
eigene Überzeugung einzutreten. — -۱ -ىؤزي 1ے‎ 

Nein, fie wollte Gray ۰ Dietrich nun erſt as 
nicht heiraten, aber dantbar wollte fie ihm zeitlebens fein. 

Sie hat ihn arm gemacht, — er macht fie dafür reich, 
— reid) an dem fchönen lieben Rinderglauben, daß es 
noch Männer auf der Welt gibt, ftolz, edel und tugend- 

Haft, wie die litter vont heiligen Graal. — 

. Die hohen Herr] Ichaften verweilen Heute aufergemöhnlih 
lange. Der Cotillon, welder fo felten nod) zu feinem — 
Recht kommt, feiert heute wieder Triumphe. = 

Die Herzogin hat ihre Getrenen durch eine cbenjo 
finnige wie liebenswürdige Überrafchung ausgezeichnet. 

Es werden allerltebfte eine Gejchenfe, welche fämtlid) 
den gefrönten Namenszug der hohen Frau tragen, aus— 
getanzt. Die Bortänzer haben jchon zu verjchiedenen 
Malen heimlich auf die Uhr gegudt. Die Stunde, welche 
zur Abfahrt der Wagen vorgejchrieben, ift larg über- 
jchritien. 

Und es dauert immer nod) eine halbe Stunde, bis 
bie erften Cquipagen durch den Schloßhof zurüdrollen. 

Pia Hat die Eltern während de3 Balles fo gut wie 
gar nicht gefehen; jeßt, als fie harrend an der golds 


— 237 — 


verzierten Treppe bes Veſtibuls ftehen, ftreift ihr 8 
forichend die Züge des Vaters. 

Der Oberjtleutnant fieht mit ftarrer alte widen 
den graubufchigen Brauen wortfarg gerade aus, ſeine 
Gemahlin läßt die Lider ک0‎ und +00 über die | 
Augen finfen. 


„Wagen für Freiherrn von Nördlingen!!” fdjmetterte 


die Stimme des Huilfiers. 

Mit ungewohnter Haft, zum letztenmale nad) rechts 
und links grüßend, eilt der Oberitleutnant die Stufen 
hinab, Pia wechjelt noch ein paar heitere Worte mit 
etlichen Offizieren — Hartwig als erfter darunter —, 
welche neben ihr ſtehen und voll ſchwärmeriſcher Verehrung 
die Sträuße tragen, welche ihre Heinen Hände nicht mehr 
fajjen 0۰ 

Hartwig folgt galant bi3 an den Wagen, feine duftende 
Bürde dort abzugeben, er verabichiedet fich voll auffallender 
Berbindlidjfeit, Der Freiherr Dantt ſehr kühl und und 
der ager rollt davon. | 

„Unverjchämte Frechheit von Diefem Bengel!” ſtößt er, 
faum noch feine Erregung meifternd, zwiſchen den Zähnen 
hervor. „Soll das etwa Hohn ۲ 

„Ben meinft du, Papa?” 

„Yum den charmanten Bruder deines verunglückten 
Freiers !“ — - 

„Meines — — ah — bes Grafen Wulff⸗Dietrich! 
Man fagte mir, er fei erfranft. — Seltfam, gerade heute. 
Kein Menſch {chien an bide Krankheit zu glauben und 


— 


legte ſich ſein Fernbleiben eher ale einen Korb fir mic) 
aug; — und id) wollte jo liebenswürdig zu ihm an. — 

En unverjtändliches Sinurren und Wettern antwortete 
ihr, — Frau von Nördlingen aber drückt plößl ich das 
Spitzenkuch gegen die Augen 

„Eine Blamage ift es für ung 1“ راز‎ fie auf. 
„Warum bringen Niededs erft felber unfer Kind in aller 
Leute Mund, wenn fie ihrer Sache nicht fiber find!” 

Alber, Mamachen, — Graf Wulff kommt ja vielleicht ۔‎ 
das ۶ Mal!” fagt ia leife und neigt das Anl lit 
tief in Die duftenden Blumen. 

Der Oberftleutnant jchnellt bebend vor — empor. 
„Das Kommen fteht dem Herrn frei! Mber unfer Haus 
bleibt ihm verfchloffen! Bildet Hd) der Caffe etwa ein, 
ich biete ihm meine Tochter zum zmeitenmale auf dem 
Präfentierteller an? — Der ſoll id) irren; und die Beine — 
[ol er {ih ablaufen, bis er dich zu Geſicht befommt!— ج‎ 
Wir brauchen feinen Schwiegerfohn mit fechzehn Ahnen, — 


du famnft wohl nod) andere gute Partien machen und 


braucht nicht auf den Herm Grafen zu warten!“ 

Es ijt dunkel im Wagen, der Sprecher kann nicht ۱ 
die Wirkung ſeiner Worte in dem Geſicht ſeiner Tochter 
leſen 


„sd empfinde die Kränkung, welche man mir angethan a 


hat, wohl nod) empfindlicher wie du, vases und Ic) habe © ۱ 
eine dringende Bitte ۳ ۱ = 
„Hu .. fprid) . . . weld) eine?” 


„a mid jebes weitere Gerede abſchneiden und nach — 


Son >= 


dem Haag zurüdfehren, — dann fann doch fein Menſch 
Jagen, daß ich hier {ibe und auf den Grafen Nieded warte!” 

„Ad, meine Pia, faum daß wir dich wieder gehabt 
haben |” Ichluchzte Frau bon Nördlingen abermals. 


peat ic) geheiratet hätte, hätten wir uns ja Doh 


trennen müjjen, HergenSinamaden, und im Sommer follt 
ihr bod) beide nad) dem Haag fommen, das haben wir 
ja längft verabrdet!” 

Einen Augenblif herrſcht tiefe Stille, dann fagt der 
Dberftleutnant rauh: „Sa, das Kind hat recht; fie 
joll Hier nicht im Wartefalon fier und eine glänzende 
Partie faut fie hier auch nicht N Rn im Haag 
Auswahl darin iſt“ 

„But, Bia, ich freue ich, Daf bu jo verjtändig bift, 
in vierzehn Tagen reifeft bu zu Onfel und Tante zurück.” 

Der Wagen hielt und der Dberftleutnant ftieg ſchwer— 
fällig heraus, erft das Haus aufzufchließen, ehe fich die 
leidjtyefleideten Damen in den Schneeſturm Hinauswagten. 

* * ; | 

Tage waren vergangen. 

Gräfin Riedec war zu einer Vilite vorgefahren, da 
aber 6 Herrschaften ausgegangen waren, hatte fic niemand 
jehen und fprechen können 

Pia erfchien wie verwandelt, und obwohl fie fich in 
Gegenwart der Eltern fehr zufanmennahm und ein 7ء‎ 
Geficht machte, founte fie eë doch nicht hindern, daß ihre 
itrahlenden Augen und rofigen Wangen ihre markierte 
elegiiche Stimmung Lügen ۰ 


سب 240 — 


Proven in ihrem einfamen Zimmerchen aber ftand fie 


bhochanfatmend und breitete voll ſchwärmeriſcher Glüd- 


feligteit die Arme aus; wie ein feierlicher Klang gog Die 
volkstumliche Weiſe mit — oe Worten Dur ihr 
Herz: | 
„Mud hätt’ ic) Gold und Ehre, 
Und alle Bracht der Welt, 


Und hätt! doch feine 6, 
Schlimm war's um 7 


Sa, die Liebe! Sie will nicht auf bie Liebe verzichten, 
um alles Gold der Welt ift fie thr nicht fell! Die Liebe a 
in ihrer goldenen, heiligen Freiheit! 

Eine gute Partie foll fle maden, das verlangt der 
Vater von ihr. a 

Bird. fie jemals feinen Wunſch erfüllen fonnen und. 
einen Mann freien, der ir feinen Augen eine gute Bartie it? 

Sie weiß es nicht und fann nicht dafür gut jagen. 
Cie, deren Stolz jo groß und deren Sinn fo {prove ift, 
fie wird nie nad) Itang, Gold und Ehren fragen, wenn 
jener Eine ihren Weg freust, deſſen Auge e3 ihr mit 
unerklärlich zwingendem Blick anthun wird! 
Und diejer Eine wird fommen, das weiß ſie und darum 
wartet fie auf ihn. = 

Die Mittagspoft brachte einen überraschenden Briel | 

Der Oberjtleutnant brachte ihn felber der Tochter 
und rief {dort von weiten ganz aufgeregt: „Pia! Ein 
Brief von Tante Johanna und woher? llm dieſe Beit 


aus Nieded! Ob fie etwa den ganzen Winter dort zu 





99 رو‎ EG ۸۲5, SW. Mom. tt. Nov, Der Majoratsherr 1.2.10 


— 42 — 


a gebracht 2 Muh, mal ک0‎ auf, das ae ie 9 
ےت رت‎ ١ 

۱ Das junge 01 Bifnete mit etwas 0٦ 

Fingerchen. Alles Blut ſtieg ihr in die Wangen und 

die Sorge erfüllte fie, Tante Sobonna möchte ſich über = 

das verhafte Heirats projett rn 8 ue bE 0 — 

aufgeregt gefchrieben. = 


° Aber 8 Dant, nein, bas 28 ×16 Ahr 
۰ یی‎ Zeilen und bat in {ebr herzlichen Worten um 
oe be recht (angen Beſuch auf ۵ x 


„Bir reifen anfangs Mai, oder, falls das Metter 
glinftig iff, Schon früher an bon Rhein, um einen furzen 
Aufenthalt in Upmannshaujen oder Ct. Goar zu nehmen; 
algbann führt uns der Weg nach Scheveningen. Rir 
fünnen dic) allp fer bequem nach dem Haag zurücbringen. 
Sch hoffe, deine Eltern verfagen mir nicht Die unenoliche 
meinen Liebling. nach jo langer Beit einmal wieder 

u feben, — anc) Onfel Willibald und meine wilde 
| Samad Frängchen erwarten Dich voll Ungeduld. Niedeck 
ift auch im Winter را‎ — freilid) recht ۸ 

„D, die Einfamfeit fürchte ich nicht! lachte Pia und 


ſchlang die Arne voll 1 SubelS um den Vater. 


Ich habe mir fo lange ſchon gewünſcht, das ſagenhaſte 
Niedeck von welchem alle Leute ſprechen und welches doch 
niemand fennt, einmal mit Augen zu jchauen! Nicht wahr, 
Papa, bu 23333٦ رقه‎ Dak td) Tante Johanna 77 

Der Freiherr e mit bitterem Lächeln Die Achjeln. 
„Ben bu das Schloß gern | jehen möchtejt mußt bu wohl 


ur 


jest fon bie Gelegenheit beim © Schopfe nehmen, denn ob 
du jemals dort deinen Einzug als Herrin feiern wirft, 

will mir doch mehr wie fraglich erjcheinen. Komm mit 
zu Mama und lies ihr den Brief vor, — ۷ fie ein: 
veritanden it, fannft du anfangs März abreii cn, falls 
Graf Wulff-Dietrih bis dahin nicht das Haus 28 انا‎ 


` ‘Bat, unt Deine Befanntichaft zu 100001 ۰ í 


ber, Papa, glaubft du das wirklich?!” 

poe nun, wenn fein Unj all thatjächlic) das ۲ 
zum Sofball verhinderte und es ihm mit einer Werbung 
ernit ijt, holt er das Verjaumte wohl mit Doppeltem Eifer 
nach, In vier Wochen ijt ein verltauchter Fup austuriert, 
und wenn. nicht, farm er in Dicjer Beit ſchri tlich anfragen 
und Deine reife verhindern, thut er nicht dergleichen, 
io wird unjererjeits- jede jpätere Annäherung ۲۱۱۱۱۵ ۲۰ ۶0 ab: 
gelehnt, — mag er doch ay wo er ſich jonft Die ege N 
Ahnen zufammenfucht,” 

Bia nicht nachdenkl — vor ſich Din: Sout’ jagt fie 
— ich! anfe Geftalt zu voller, imponierender Höhe aufs 
richtend, „vier Wochen magft du ihm Frift geben, läßt 


er in diejer Beit nichts von fich Hören, find wir für immer > 


gejchiedene X Leute, — verjprichit bu mir das, Bapa? 
„Habe es ja ۲ gethan, natürlich verjpreihe ich gat: 
polterte Der Oberftleutnant ingrimmig, „es ijt eine Schande, 
daß wir überhaupt auf den Monſieur warten müſſen, — 
aber ungerecht dürfen wir auch meht fein, falls er wirtlih — 
franf tf, — bedenfe, 8 handelt fic) für ihn 700 mee 


win ein Butterbrot!“ ہت‎ 
E 2 


ےت 


1۳168 ۵ Köpfchen jant seth — Nein, 
e8 handelt Tid) um echt viel fir ihn, id) weiß es ja!“ 
fliifterte fie, und wie eit leiſes Beben des Mitleids ging 
es um ihre Lipper. „Wer weiß, ob der Gol Dtcufel ihm 
während diefer vier Wochen nicht noch zujegen wird!” 
— und langjam, gedantennoll folgte fie dem 0ء‎ 
durch den jdmalen Flur und über bie alte, ere 
pine hinab zu der Mutter, — 

Ihre Augen, welche joeben Hod) fo تس‎ oe 
lachelt, blickten plößlich jehr ernit کے‎ 

Bier Wochen find eine fange Beit und mandjen hor | 


und ehrenhaften Eutſchluß Hat Die Beit {hon über den — | 


Haufen geworfen Wie werden Graf und Grafin 7 
alles aufbieten, den Sohn zu der borfdhrifismapigen Partie ° 
zu überreden, wie werden ihm die Eltern ſowohl wie der. 
Bruder im wohlveist icher Übertreibung Wunderdim ge. über . 
ihre Schönheit berichten! Eine erſte RE رر ۔_‎ a 
Was bedeutet fie ſonſt wohl einem Manne? 21:11:41 
انام‎ ojophiert Wulff Dietrich voll grauiamer Skeptik auch: 
„Ein großer, wilder Schmerz der Jugend ijt Boefie!” — 
Die Gräfin wird ihm fchon jede Sfrupel ausreden — 
und ihm verjidern: „Wie viele Taufende pon Mädchen — 


müſſen ohne Liebe, mit bitterer Entſagung eines Jugend— 


traumes heiraten und fie werden dennoch glückliche Grau 


„nenn erfte ۸۱00 bu gehſt norbei, 
Schneller wie ein Sturm im Mat, 
Bleibit fein jtänd’ger Saft.“ 


Frau Melanie würde eine foldje Anſchauung zu zutrauen 


— 


— hehe seu und ward ihrer سس‎ n i bo 3 = 


eine. gli ihe und beneidenswerte Frau! 
Wahrlich beneidenswert?” Pia beneidete fie nicht. 


— Wulff Dietrich wird aber ficherlich die Anficht der Mutter 
md Die Überzeugung von Water und Bruder für ۵۰ 
1 gebender halten, als den fentimentalen Gefühlser guß eines 


jungen Mädchens, welches in ſeiner Naivetät gar feinen 
Begriff von dem Wert des Geldes und eines oe 
Majorats hat. 

In feiner erften Auf (paihua bed Mitleids hat er ſich 
vielleicht verjagt, auf den Hofball 311 fommen, 111111 aber, 
wo er von allen Seiten aufs heftigfte bearbeitet ‚wird, 
wo ihm ſelber vielleicht die Reue kommt und er einen 
Vorwand jucht, Tud) ihr dennoch zu nähern, ob er auch 
jebt nod), vier Wochen lang, jtandhaft bleiben wird? — 

Es it jo bequem für ihn, zu jagen: 0 wollte ja 
zurücktreten aber der Wille meines Vaters zwingt mich 
zu der Heirat, welche ich jelber, ungefragt, aug taujend 
07 Gründen fliegen mul — x 

Ja, wer weiß es überhaupt, ob nicht Graf ۴۰ 


Dietrich von Anbeginn foldjen diplomatiichen Plan er: 


` fonnen, der anfcheinend auf geradem Wege ihrem Wunſch 
eutgegenkommt, um ihn auf frunmen — a ſicherer 
zu durchkreuzen? 


Pia erbleicht bei dieſem Gedanken, welcher ibe gali = 
Pi sh, ganz überrafchend in dieſem 18 gefonmen. 
Ein Beben geht durch ihre Glieder und die jinen as | 


ftrablenden Augen ſprühen in all der Erregung auf, welche 


= em Weſen num einmal angeboren ift. 


Bis jebt war ihr Graf Niedeck alien tig, ja, je Hat 
"07 feit dem Hofball ein Gefühl warmherzigen, dant 
baren 8 fir ihn empfunden. Sie hat jeine Berf on 
mit einem Glorienjdjein edelfter Nitterlichteit umgeben. 

Wenn er fie aber getäufcht hätte, — wenn fein Nicht 


kommen nur ein kurzes Nachgeben gewefen, wenn er nun ۱ 
auf irgend eine Weife dennoch fein Biel zu erreichen und... 


Pia würde ihn Bafî m. 





fie zu gewinnen trachtete, - 


darum! | Sie bat nod) mie einen ۱ Yer] — ان‎ 


lout ihnen mit einer Kifitenfarte entgegen. 
„Der junge Herr Graf zu 9“ 
Ein leifer, halberjticter Auffchrei von Bias Lippen. 
Welcher Graf?” herricht der Oberft eutnant betroffen. 
„Der Herr Leutnant von den Tragonern Hier!” fnirte 
das Mädchen mit triumphierendem Blick auf ق8‎ ۶ 
Fräulein, welded feine Liebe zu dem fchönen Verehrer 
doch auch gar zu nett verraten hat. 
Der Freiherr runzelt enttäufcht die Brauen und 1 
die Karte in der Hand. Er überlegt einen Augenblick 
„Sagen Sie, es thut unë fehr leid; die Damen machen 
Toilette für das Theater und ich fei nicht zu Haufe — 
Überrafcht zieht fi) das Mädchen queue, das hatte ۱ 
e nicht erwartet. 


„gappeln ۳ 01 Nördlingen voll سب‎ a 


thuung; Pia aber preft aufatmend die Hand gegen bas Herz. 


تو سا رو سیت 


D, entjegliche vier Bode, we Qual werdet i — 


für mid) fem! — 


„Bir fahren Heute سد‎ in das heater!” fährt — 0 ٣ 


Oberjtleutnant fort, „du Dit zu allen Herren jehr ۶ 
würdig, — den Grafen Hartwig. behanbel ۳ du 1 
gleichgültig, 0 — 

‘Ria rift und ſchweigt Das Theater! en اه‎ 
neutraler Boden, wie geichaffen für derartige Begegmingen! 
Nau, Gott fet Dank, ; geltatten e3 Die Mittel der Eltern 
ahh daß fie es oft beſucht — ee 

















— ec 





| am x 


"1 Saadichloß Nauenftein liegt wunderbar 7 
ds im Gebirge. Auf freiragender Felsgruppe ers 

baut, an drei Seiten von mächtigem, 7 81‏ مم 
Hodwald eingeichlojfen, gewähren die Frontfenjter ben‏ 
Blick weit über Die Berge, bis fern hin, wo fic) dag‏ 
dunkle Wipfelmeer tn blaue Schleier Bilt und die‏ 
zarten Linien ber Gebirgsicheitel nebelgrau in den Wolfen‏ 
verfchwimmen. Rauenſtein jelber ift ein alter, pitto-‏ 
resker Bau ohne Stil und Einheitlichfeit; die ٤+‏ 
eines längſt verewigten Herrichers bat ihn aus dem‏ 
Schutt einer Burgrume neu eritehen laffen, und an‏ 
fänglich gang in der Art des winfeligen, ۳‏ 
Felſenneſtes gehalten, alsdann hat der Geſchmack auſpruchs—‏ 
pollerer Zeiten verjchiedentlich daran herumgeändert und‏ 
geflict, hat hie und da einen Turm oder einen fleinen‏ 
Seitenflügel angebaut, und mehr dem 717 wie Dem‏ 
Außeren Rechnung getragen.‏ 

Dennoch fieht Rauenftein mit feinem grauen Mauer- 





—- 0ور — 


wert und den ungleichen Fenſterchen und jpigen 0181 
unvergleichlich malerijch und {fûr aus, zumal wenn der 
regierende Fürft fein Domizil darin 57ھ‎ in den jo 
wildreichen Waldgrinden zu jagen. Be 
Dann flingt und jcjmettert 8 Sifor durch Die 


flare Berglujt, dann ftampfen und wiehern die Roſſe und 


traben die rotrödigen Reiter ſtolz über die ۸ 
Zugbrüde. 
Die Meute tobt an den temen und pon Dem Turm 
flattert das Banner, weit über die Lande Hin 110188. 

Sm Sommer fant e3 سا‎ einen fchöneren und 
toyllijderen Aufenthalt geben, als dtefes alte Jagdſchloß, 
im Winter aber gleicht es der verzauberten Königsburg, 
jo weltvergeljen und einjam liegt es im Todesichlaf unter 
weißem Bahrtuch und Schön ift e8 auch dann, ſchön für 
Menjchen, welche nicht der raufchenden Freuden, der Des 
täubenden Abwechslung des 8 bedürfen, um — 
(id zu fein. 

Wer in fic den Himmel findet — fant die Grde feicht 
verichmähen — und wer an ۵ herrlicher Natur feine 
Freude hat, wer die Mufen und die Wiffenfchaft zu ſich 
zu Gafte bittet, der wird nie, felbft in dem verjchneiteften 

Bergſchloß einfam und gelangweilt fein. 

Graf Wulff-Dietrich liebte feinen alten Nauenftein im 
Winter ebenfo wie im Sommer, und er hatte felten mit 
einem jo nachdenklich erniten, beinahe traurigen Gejicht 
am Fenjter gejtanden wie heute, wo der Schneefturm einen 


undurchdringlichen Vorhang vor Berg und Thal hängte 


— die duntlen Ç Tannen aur Eri bea 086:03 — 
zuſammenbrachen unter Der 70 aa ve 
Winter} chimucks. 

hielt einen Brief in Händen, = der‏ ٥۲ا‏ اگ:-ژاو لا 
Inhalt, welchen er ſchon zum gelejen, jtimmte ihn‏ 
ganz bejonders ernft.. x‏ 
Seine Mutter. ‚berichtete ihm über den Hofball, welchen‏ 

er fo unbegreiflicherweile verfäumt habe, denn der ver: 
jtauchte DMB würde ſich doch per Wagen haben trang: 
portieren laffen, und Í jeine Pflege dürfte im Ellernhauſe | 
wohl eine forgjamere fei, als wie in i Dem alten 1 
neſt (۱۵۱۸۱۱۱۱۵۱۱۳ — 

Und dann hatte die Gräfin in geradezu überjchweng- 
(idem Entzücfen von Pia berichtet, bon ihrer Schönheit, 
Anmut und Klugheit, welche geradezu Senſation erregt 
babe! 


„Endlich einmal ein Madchen mit fechzehn Ahnen _ : 
welches nicht allein um dieſer willen geheiratet zu werden. C 


braucht! Für Pia muß matt fi) begeiftern, und ‘Hartwig — 


iſt bereits der Schatten der ſchönen Schwägerin in-spel > 


Wo bleibjt du, Wulff, um dir dieje Perle zu fidern? — 
Mensch, du “abit nicht, was du dir eventuell entgehen 

läßt. Aber ganz abgejehen von ihrer Perjünlichkeit. — 
Bedenfe, mein Cohn, dag du keine Wahl haft: und Bia 
auf jeden Fall heiraten mußt. Dein Fernbleiben fcheint 
‘Die Nördlingens aber berjtimmt zu haben, denn fle haben 
ſowohl meinen, wie Hartwigs Beſuch nicht angenommen, 
und ‚Die Eltern : marfierten Eau verſchnupfte Stimmung. 


وو وت 


— Das goldlodige Töchterchen ift unverändert bezaubernd 
- = — lieber Wulff, wir würden ſehr glücflich fein, dein 
Glück und das Majorat gefichert zu jeden! — Das Reben 
iſt fo rafend teuer, Hartwig gebraucht jo enorme Summen, 
daß wir wirklich nicht mehr mit den Zinſen auskommen 
können, — Papa mußte bereits zum Kapital greifen und 
dabei lebt der Alte in Niedeck mit Weib und Kind fo 
munter und luftig, daß gar fein Gedanfe an eine e 
Erbjchaft it! Es wäre ja in einer Beziehung ganz gut, 
wenn du überhaupt nicht heiratelt, lieber Wulff, daß du 
ung fpdter einmal von den fürftlichen Einfünften des 

Majorats unterftügen könnteſt, denn von unjerem Ver 
mögen bleibt wohl fein Pfennig, wenn Willibald noch 
auf einen Tod warten läßt! Aber e& ijt der Erbfolge 
wegen! Du und Hartwig feid die lebten Niededs, einer 
von euch muß vorschriftsmäßig heiraten, wenn der enorme 
Beji nad) eurem Tode nicht an die ٤ fallen joll, 
Hartwig wiirde Pia fofort mit Kußhand Heim] ühren, 
aber wovon follen fie leben! — Das Mädel hat ja 
außer den ſechzehn Ahnen radıfal nichts und Hartwigs 
fojtipieliges Negiment, feine vielen noblen Paſſionen — 
es ift undenfbar, daß er ein Mädchen ohne fehr ۷۶ 
tended Vermögen heiratet. Aber du, mein anfpruchslojer, 
rührend folider Einfiedler, du kannt ja ein armes Fraulein 
glücklich machen! Ju Nauenftein treten feine Anforde- 
rungen am euch heran, — ihr lebt fo märchenhaft billig 
dort, — du kaunſt jest, als 7 Mann, heiraten, 
aljo mußt du e3 auch, mein Herzensjunge, auf dir bleibt 


3 ben in. jeder Beziehung Gängen. Sh erwarte, ums 

۱ ashen. Nachricht, wann du hier eintreffen wirft.” | wae 
Wulff Dietrich jeujzte a a und en den Kopf 

forgenvoll in die Hand. nn 

| Weld) ein hartes, سس‎ Mifge hifl 


Das einzige Mädchen, welches er heiraten batt, Dr 
welche vielleicht fein” Herz gewonnen und ihn aü did O 
2. gemacht hätte, ue enge ie en ہے تہ‎ — 


Ser erſchließt! = 
` ۰ ٤ einen. anderen! Diejes Gel ſtändnis genügt 
um ihre Wege für ewige Beiten zu icheiden. I 
Nie und nimmer würde Wu (ff-Dietrid) nad biefem, 

ihrem Briefe um ihre Hand werben. | 

Kein Näuber, fein Mörder würde. aladann ſchlechter 
fein, wie. er, der um ichnöden Goldes willen ein 6 0 
۱ Menſchenherz zertreten würde! 
Cie liebt einen anderen! Und Rul Dietrich Ut 
ehrenhaft genug, die heiligen Nechte diejes anderen ati 
zuerfennen! Hat er Dod | jelber feinen höheren, bejjeren A 
Glauben, als an die Treue und Lauterfeit der Licbel — 
-_ ٤ ihin, wollte er die Braut aus dem Arm eines . 


anderen reiben, wollte er: ihr armes, gebrochenes Herz ji N 


ala Kaufpreis für ein M tajorat Dinwerfer! 


Sie glaubt thm, fie vertraut ihm! Könnte er te ae | 
täuschen und. Lue den moralifchen Mut haben, ihr ' 7 


ton. ہے ہے‎ 
0. Dort in feinem Schreibtii 4 fiegt ihr Brief, in welchem =: 
fie ihm voll rührenden % Vertrauens ihr arme, es ae 


= 25: 


baš Auge zu ۷ and Gefühle | ir fich verlangen, welche 2 
er joeben erft als frivol in ihr gemordet hat? x 
“Und doch, wie viel ift e8, was man hier von. ihm ۰ 


verlangt? Nicht ihn allein macht. fie arm, auch die 
Eltern möchten 11180 darunter leiden, wenn er 


jung fterben. jollte, ohne berechtigte Erben zu Hinterlaffen. 1 
Um ibn fe (ber ift نا‎ micht bange. Er fann das 
Opfer leicht bringen, denn er Hat nie an dem Golde ge _ 


hangen, er ift cin freier Mann, der auf eigenen Füßen ` = 


teht und nie auf das große Erbe as und on 2 
hat; aber die Eltem! — 
Ad, Wulff⸗Dietrich fennt die 20000 in einem 
Elternhauſe beſſer, alê man cë dort mur ahnt! 
. Er weiß, daß man bag Vermigen ی‎ 
7وت‎ und {i auf die große Erbſchaft pertröftet. 
est hat feit jener Ecene, welche fich im der Parfruine 
zo ſchen den Eltern abſpielte, offene Augen bekommen, 
und er verurteilt ben 7 Leichtfinn, we ler ae | 
۱ Überlegung in den Tag ‚hineinlebt, aufg idjrofiite. 

Dennoch fteht es ihm alg Sohn nicht Zul, dem Vater 
Vorftellungen darüber zu machen. 

Aber was in. ‚feinen ‚Kräften land, um nicht an dem 
Ruin der Seinigen mit zu arbeiten, das hat e er r geihan 
und das wird er auch fernerdin thun. = 

Wie aber foll er, wenn Bia ihm ی‎ 
Schweigen auferlegt, feine Weigerung. — fie 
nicht zu heiraten?! 

Ein tiefer Seujger entringt i feiner Bau. Gr bat 


es Tag für tı und Naht rir Nacht ikertegt, UND. و‎ 
fomimt immer wieder zu demſelben Entſchluß: „Er. bad | 
eë auf feinen Fall zugeben, daß er Fräulein von Nörde ہے‎ 
fingen nicht heiraten will, er muß nur Gründe x. ۱ 


um fein Fernbleiben gu motivieren.“ 


wird das ihre thun, die Eltern 081 “ibn einzu :‏ ماما 
nehmen, und eines Tages wird ihre Verlobung mit dem —‏ 


veröffentlicht.‏ “7 لور 
Dann ift feine Komödie ausgeiptelt.‏ 
Mechaniich greift er zu 0 und ee ann ante‏ 
wortet feiner Mutter:‏ 
yS fchreibe bir race Dart fir Heine fo‏ ` 
gtitigen Nachrichten, — wann aber meine Zeilen in deine‏ 


Hände gelangen werden, 6٤ ich nicht, denn mir find nee 


gur Beit durch den enormen Schnee von aller Welt abe 


Schon geftern ift meine Poititafette bein abe 2‏ هو 


verunglückt, ich darf nicht wagen, abermals Boten nad 


der Stadt zu ſchicken, da Weg und Steg im Gebirge Ñ 


unpajfierbar find. Und fommt das Tauwetter, wird 8 


abermals grundlos in den Thalern und fperrt ung von ا‎ 


neuem ab, Sch telegraphierte darum nur tura, daß es 


unmöglich, zu fommen, — und Dicfer Brief bringt dir | 


jpäter die ۰ des. Rätſels Dir weißt es aber 
pom vorigen Winter, daß ich auch eine Zeitlang hier ge— 
fangen ſaß, darum lich mir der Herzog gnadigerweiſe 


den Telegraph einrichten. Meinem Sub geht es beffer, 


aber id) würde immerhin noch fahren müffen, und wie 
jollte ein Wagen jest von unferer Höhe herabfommen! ` 


Es freut mich, daß Fräulein von Nördlingen euch jo gut. 
gefällt; auf ein Majorat wie Nieded wartet wohl jede 
junge Dame gern, aljo lerne ich fie wohl Immer och 
rechtzeitig kennen!” — ۱ 

Der Schreiber warf die Feder hin und fchritt voll 
ruhelojer Halt in dem Zimmer auf und nieder. 

Ein herrlicher Sagdhund erhob Hd) mit fragend Eugen 


Augen von feinem behaglichen Ofenplab und folgte dem 


Herrn leiſe Din und Der wie ein Schatten, 

E3 dunfelt, tiefe Stille ومع‎ über Elo und Wald. 
Hum erjtenmale empfand Wulff-Dietric) 1 ۶۲ Ginjamteit. 
Es fröftelte ihn und ein — اون‎ dem Heimweh, 
überfam ihn. | 

Er jtarrte mit weit onen Augen in das bitte, 
eichengetäf ۱۵۱16 Zimmer hinein. | 
Dort Steht der Echaufelftuhl fo traulich vor dem 


Ramin, — aber fein Menſch figt daranf, und das Feuer ijt 


niedergebrannt und leuchtet nicht mehr. Neben dem mäch- 


tigen Kachelofen ijt eS mur Epicleret, und er hat nie Wert ۱ 


darauf gelegt, daß es erhalten wird, — aber heute vermißt 
er den behaglichen Schein. Ja, wenn jebt luftige Flammen 
darin in die Höhe praffelten, wenn in dem 60 eine 
ſchlanke Zrauengeftalt läge, mit weißen, graz iöfen Händen, 
den eifernen Hafen führend, um die Glut zu jchüren .. 

Note Lichter zucken über das lächelnde Gelen, 
goldene Lürkchen glänzen über Der Ctirn, und ۶ 
Dietrich tritt ۵ Hinter ne und neigt fich, ben ſchimmern— 
den Macken au AM 


— — = 


‚Sie lächelt, lehnt ſich weiter — und blickt 
boll füßer Träumerei zu ihm empor. x 

Er atmet ben Duft ihres Haares, er fühl t bie weichen. 
zärtlich feft umſchlingenden 1, Lord 11111871 eiferfüchtig 
und ſchmiegt Hd) an die Knie der ſchoͤnen Herrin. 


. Wulf Detrich ۲ ji) gufamunen ı und it mit 


der Hand liber Die Augen. a 

Wie ſehnt er ſich nach dem Olid — ا‎ er fol ihm 
entfagen, damit auf alle Fälle einmal fit die Eltern ge 
ſorgt الا‎ ; 


Bia. ا‎ er nicht. heiraten, eine — batî er nit ہے‎ 


heimführen. MWahrlich nicht? 
Wulff Dietrich richtet fich jil ings aufund dehntmit auf 
leuchtenden Augen die Arme. Opfert er jest um frember 


Liebe willen das Gold, und würde zu ſchwach und feige 
fein, e3 Dem eigenen Lebensglück nicht auch Darzubringen? — 
Verflucht fet die Stunde, in welcher er, um des 


Reichtums willen, der Liebe entjagen wollte! 

Findet er die ſüße, blond! lockige gee, deren Bild ihm 
eben jo wonneſam vorgegaufelt, dann wird er fie in fein 
Walk djchloß heimführen, gleichvicl ob fie مت‎ — 
e jen hat oder nicht! 


CIGD ec fe, fo giebt 8 ۵ al سس‎ a 


und. dem Maj orat pon I tede! — 
— p * 
* 


Wochen waren vergangen, und ein fehr zeitiger Früß 


lockte bereits Primeln und Beildhen zwiſchen Dem‏ ما 


ungen Wieſengrün hervor! e hatte Die Welt u maien⸗ nn 


7 7 رر رر 


< 


— 


J 
9 
— 





9۱ ۷ CfGitruth, SM Rom. u. Nov, Der Majoratsberr I 17 


= 288 ہت 


jin und Iodend vor den Blicfen gelegen wie jebt, und 
wenn Wulff-Dietrich an dem fpigbogigen Hochfenfter ftand — 
und hinaus auf das lachende Land blidte, dann ward - 
jein Herz weit und voll ungeftiimen Verlangens, hinaus— 


zumandern in Die schöne Gottesmelt und fic) ihrer Prach ee 


und Wunder zu freuen! 


Schon längft hegte er den een Bunch, einmal 


eine NAheinreife zu machen, eine echte, rechte Wanderfahrt 
duch das Land, ohne Roß und Wagen, nur mit Dem 
Stab in Der Saab alê freier Burſch, welcher bleiben fann, 
wo ihm bie Schönheit zuwinft und welcher fröhlich weiter: 
zieht, wenn es ihm zu Sinne jteht. 

Sein Bruder Hartivig verbrauchte monatlich — 
und dreifach, was er zu einer ſolchen Reife benötigt haben 
würde, und eë ware wohl nur gerecht gewelen, wenn die 
Eltern auch den ältelten Sohn einmal in div Welt gefdhictt 
hätten, wenn der jüngite foft}piclige Bäder bejuchte, oder 
zu den Nennen umberreifte. Graf Rüdiger aber hatte 
nie daran gedacht, unaufgefordert zu geben, und Wulff 
Dietrich, welcher nie die Börje der Eltern in Anſpruch 
genommien, hätte fic) eher die Bunge abgebiffen, alg Den 
Eltern für fein Vergnügen Softer aufzuerlegen. Er wußte 
ja, wie e3 daheim um die Finanzen ftand und gerade 
das Geld, und die unmürdige, umverzeihliche Art, wie 
Graf Rüdiger e3 durch Entmündigung des völlig gefunden 


Vetters hatte an fic) bringen wollen, war die Veranlaffung 
zu dem unbeilbaren Rif, welcher ihn mehr und Be bon oe 


dem Elternhaufe losgelöjt hatte. 


— 259 — 


Mun, ſeitdem er den Gehalt eines 0 be0 
und in Rauenſtein eit jo zurüdgezogenes, beſcheidenes 
Leben führte, war es ihm möglich geweſen, aus eigenen 
Mitteln den Betrag für eine Reiſe zu erſparen, und wenn 
ja die Summe eine beſcheidene blieb, fo übte dennoch das 
Bervuptfein, fie eigenem Fleiß und eigener Kraft zu Ders 


danken, einen ganz bejonderen Reig! 


Der Frühling am Rhein jollte ja jo ganz eigenartig 
Schön fein, und ein Urlaub war gerade in jebiger Zeit, 
wo er fozufagen. ſchon einen Stellvertreter i im Dane hatte, 
bejonders leicht zu nehmen 

Wulff-Dietrich hatte jeinen £leinen Koffer gepadt und 
fuhr, das Herz voll (80828۳ Wanderluft, zu der Bahn 
jtation. ۱ = 
Einen Abſtecher zu bi Eltern wollte er zuvor nicht ; 
mehr machen. 

Sie zürnten ihm ernftlich, daß er all ihren Bitten und 
Befehlen nicht gefolgt war und لاہ‎ in der Nefidenz ers 
ſchien, alê Pia von Nördli lingen wieder abgereift war. — 

Wie ſchwer war ihm das alles geworden, aber eë 
gab feine Wahl für ihn, und er hatte ſich guten 8ل‎ 
in fein unabanderlidjes Schickſal 811121 x 

Als er nun jo allein im Wagen jak und unter den 
rauſchenden Kronen des Waldes dabinfuhr, durchkreuzten 


ganz abjonderliche Gedanken fen Hirn. Cr überlegte, Dag ہے‎ 


eë recht hemmend und bindend für einen jungen Mant 
jei, als Graf Miedeck zu reifen, denn der Begriff „Noblesse 


oblige“ war zu Fleiſch und Blut in ihm er 
۸,22 $ 000 


' Á 4 
۱۷۷۶ SY ۳, 
END ار ری ار‎ 
PEN UN فک‎ 
‘ ? ۱ 


ی ی و 


Er war ein zu vornehm denfender Mann, um jemals 
feinen Namen — und fet ¢3 in noch fo 7 
Weiſe, herunter zu ziehen. Es gehört ſich für einen Grafen 
Nieded, in den erjten Hotels abzufteigen, gräfliche Trink⸗ 
gelder zu geben, zu fahren anftatt zu Fuß zu gehen, kurz 
um, in jeder Beziehung ftandesgemäß aufzutreten. 

An den Träger eines folch diftinguierten Namens ftellt 


man fchon von vorherein ganz andere Anjprüche, als wie — . 


an einen unbefannten Oberförfter oder Forſtaſſeſſor, welhem 
es feiner. verargen wird, wenn er fo anſpruchslos und 
beſcheiden wie möglich feines Weges zieht. _ 

Wulff Dietrich lachte ſchallhaft vor fic) hin, fo über- 
mütig, wie 8 feinem ernjten Weſen ſonſt völlig fremd war! 

Auch diefer neue Gedanke reizte ihn an und madjte 
ihm Freude. So muß es einem Prinzen zu Mute fein, 


en wenn er Krone und Ordensſtern daheim läßt, und inden 
grauen Mantel des Inkognitos fchlüpft, mur mit dem — 


Unterfchted, daß ber Bring dabei lediglich einer fröhlichen 


= Laune folgt, während Wulff-Dietrich, der fünftige Majorats— 


herr und Erbe von Millionen, bejorgt rechnen muß, wie 
er am beiten und praftifchiten mit feinen fpärlichen Mitteln 
haushalten fann. Wie follte er fic) aber nennen? 
Nach feiner Oberförfterei Nauenftein ? — 
Nein, dieſe dürfte allzu befannt fein und ihn verraten. 


Er war „Wulff: Dietrich Hellmuth Karl bon Niedeck 


getauft, anftatt fic) wie fonft der beiden erfteren Tau — 
namen zu bedienen, follten nun die beiden m jeine | 
ء7‎ jein. oS x 


— 61 — 


„Forſtaſſeſſor Karl و‎ wollte er fic) nennen, 


falls er benötigt wäre, überhaupt einen Namen bekannt 


zu geben — 

Er lachte Hell auf bet dieſem Gedanfen, und die Vögel 
jubilierten. und zwiticherten über ihm 17 Gezweig, 
alg freuten fie fich mit ihm, ala wollten fie voll glücjeliger 
Lenzesluft dem jungen 61 des Waldes eine glücliche 
Reiſe wünschen!” ا ہمہ‎ 

* * 

bent C loBportal pi vit Niedeck fcharrten bie Rappen‏ وج 
den feinen. Ries, während eifrige Dienerhände —‏ هو 
bejchäftigt waren, das Handgepäd, welches die gräfliche‏ 
Herrichaft mit fid) zu führen pflegte, in der Equipage‏ 
unterzubringen. Gm einfachen, aber jehr eleganten dunfel-‏ 
blauen Reijefoftiim ftand Pin von Nördlingen an der‏ 
Terraſſe und blicte noch einmal mit jchwärmerifch ents‏ 
züeftem Blick über das reizende landjchaftliche Bild, welches‏ 
Wd) vor ihren Augen entrollte, und ein Gedante, welcher‏ 
ihr in lester Beit jo oft bag Herz ſchwer gemacht. hatte,‏ 
fam ihr aud) jet und umflorte ihren Blid.‏ 

Sebt, feitdem fie Nieder ۷ gelernt und mit Herz 
und Ceele dem Sauber diejes Herrlichiten aller Beſitze 

| verfallen. war, jest erit empfand fle voll und gang, weld) - 
ein unjagbar großes Opfer ihr Wulff Dietrich gebracht — 
hatte. 
` Wie jchwer muß e3 einem Manne alen, jolch ein 
Erbe in Beſitz zu nehmen, täglich bie zauberifche Shine ے‎ 
‘Heit jolcher Heimat zu iehen und dennoch allein und eins 


fam genießen zu müffen, ohne eine Gattin, welche mit thm 
dieſes Glück genießt, ohne ein Kind, weldjem er alle Pra 


und Herrlichfeit einjt hinterlafjen fönnte, und warum? 


Kur darum, weil er zu edel und hochherzig gewejen | _ ۱ 


war, um über ı ein ne Derg i in a ۵00ھ"‎ ۶ — 
zu ہج تحت ا‎ — 
Uh — ub wenn er gar uae ‘bak diefes وم‎ | 
Herz nie الات‎ hätte, daß der „Alndere” nur eine 
| ‘Marionette ohne Fleiſch und Blut war, ‘welche in ber 
kleinen Komödie, welche ihm der empfindſame Stolz und 
Troß eines Mädchenherzens. vorjpielte, nur ihre wirtjame | 
Role vertreten mute! 
Ria empfindet ihren Betrug von Tag zu Tag pein= _ 
as (idjer, — und je mehr fie fi überzeugte, dag Graf ا‎ 
= 2 ur Dietrich jedes Mittel verfchmähte, um fie zu einer — 


Heirat zu zwingen, umjomehr imponierte er ihr und ward ' 


zu emer Edelgeftali, welche lebhafte Phantafie qar zu 
gern mit allen Tugenden jchmüdt. Das junge Mädchen. 


wunderte fic) im Stillen, daß Tante Johanna ihre Abſicht A ۱ 


Graf Wulff nicht zu heiraten, aufs lebhafteſte eaten tile 
Seltjam, warum Das? 

Das ganze Benehmen und Wejen der Tante bewies 
es ihr, daß fie nad) wie vor ihrem Herzen in le 
Liebe nahe {tand. 


Johanna liebte Schloß Ricdec ebenjo ونوا‎ - | 


wie Pia, — was ware da wohl natürlicher gemwejen, als \ 
daß fie ſehnlichſt gewünscht hätte, die Nichte dereinit ala — 
Herrin all Diejer Pracht zu jehen, — einer Bradt, welche 


یت )208 — 


Die eigene Tochter Fränzchen ja dod) nun und nimmer 
erben fonnte. 

Der größte Teil des Barvermögens ging auf Fränzchen 
über und machte fie zu einer {ehr reichen Erbin, das 
Majorat aber mu te an m 1186071 männlichen 
Erben fallen. n 

Warum redete ihr Tante Johanna alfo jo dringend 
ab, den fünftigen Majoratsherrn zu freien? 

Hoffte fie vielleicht auf eine Che zwijchen ihm und 
Fränzchen? Sie find ja Vetter und Couſine zweiten 
Grades, und [o lhe Ehen unter Verwandten find niemals 
günftig, auch it ein folder Gedanfe wohl gänzlich aus: 
geichloffen, wenn man Onfel Willibalds Gefinnung fert. 

Gang betroffen hat Pia einen Ausbruch feines leiden: 
schaftlichen Haſſes, welchen er gegen Rüdiger hegt, belaufcht. 

Das gutmiitige, glüdjtrahlende Geficht des alten Mannes 
hatte {ih zum Erjchreden verändert, als er bon dem „teuf 
liſchen Anſchlag dieſes nichtswürdigen Schuftes“ ſprach! 

Shu, den geiſtig vollkommen Geſunden hatte der liebe 
Better in ein Srrenhaus fperren wollen, um das Majorat 
um etliche Jahre früher an ۱۱ zu reißen! 

Was war das anderes als ein Mord, ein lebendiges 
Begraben? — Und nur um des elenden Geldes willen! 

„Û, das gedenfe ich ihm, und dieſe Stunde foll er 
mir noc) entgelten!” hatte er voll glühenden Rachedurſtes 
hinzugefügt und dabei leuchtete etwas in jeinen Augen, das 
glich einem jtolzen, ficheren Triumph. 

Pia begriff diefen Haß; aber fie veritand es nicht, 


— 264 — 


daß Tante Johanna Lieber eine Fremde hier in dei Schloffe Eee 
halten und walten jeder wollte wie bie m innig — 


Nichte. ۱ : 
Ub ۶ wollte Willibald dadurch bert Neffen bie — ا"‎ 

gemäße Heirat unmöglich machen, damit Graf Riidiger 
den Schmerz erleben müßte, das Majorat bod) nur als 

Aeihweiſes Gut”, in den Händen des Sohnes zu 7۶ 
Das würde Wulff-Dietrich immerhin doch 7 
noch empfinden wie der Water, und er verdiente bod 
feine ahe und Etrafe, er war ein vortrefflicher, braver 
Mann, fiir den Pia eine beinahe ee oe: 
empfindet 

Der Sohn fol und — sie fin Die Eu des 
Vaters büßen, das zu perhindern, wird der Danf fein, 
mit welchen fie ihre Schuld gegen ihn bezahlt! 

Wie viel Pläne und Ideen ſchwirren durch ihr Köpfchen! 
Am beiten deucht ihr der Gedante, {pater nod) einmal 
in die Nefidenz zurüdzufehren — ‚jpäter, wenn jede Heirats- 
` {Dee von den Eltern aufgegeben ift, wenn fie felber die 


Braut oder Gattin eines anderen geworden, — und eine 


Audienz bei der Herzogin nachzuſuchen 

Sie will alsdann der hohen Frau alles beichten, 
will ihr das Herz ausfchütter und die Schuld befennen, 
welche fie gegen Wulff Dietrich verpflichtet. Cine moralifche 
Schuld. Ce war die Einzige, welche er heiraten durfte, 
und fie wies ihn zurüd. Sie hatte fid) einem anderen 


verlobt und der Graf it felbjtlos zurücigetreten, feine nee 


eigenen Suterefjen ihrem Glitd ju opfern. 


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ما 200 — 


Gein Sdelfinn muß belohnt werben 
Der Herzog wird zweifellos bie Macht befiten ; bie 


fatale Heiratstlaujel in Der Erbfolge der Niededs ab: ے‎ 


zuändern, Da fle nicht mehr gut erfüllen tft; ehemals fannte 
man nur das fleine, enge Vaterland zwifchen den (0 
lichen Örenzpfählen, jest ift Deutjchland. wieder zu einem 
einzigen großen Vaterland verjchmolzen, und darum miifjen 
die Niedecks auch berechtigt jein, in dieſer ganzen, 271 
Heimat nach einer Gemahlin au ſuchen, welche ſechzehn 
Ahnen aufweiſen fann. 

Das wird alsdann nicht schwer — und Graf 
10 Dietrich fann fich eine Braut nach feinem Herzen 
wählen 

Ria hat mit dem Eifer und der Bhantajie eines ۵ 
diefen Plan ausgedacht; fie macht Hd nicht flar, Daf 
wohl die Niedecks felber derartige Schritte thun 0 
läge Die hung ihrer Win ſche in dem Bereich der 

töglichfeit. 


Sie lebt ſich in den فا‎ Gebanten ein, und be & 


Ichwichtigt mit Demielben jede Negung des Mitleids, welches 
fic) in ihr Herz. en will 








CNIS کرک‎ 


2000 


Nee 








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Sa 27‏ ا 


5 N 21 18 


۱ Dia zum. 


N 








XIII 


Den Feind zu überliften, en و‎ nicht viel! 

Ih babe mir erfonnen ein 57 Poffenipiel ! | 
Ich haf mir anderen Jamen, 7 mir ein falfch 6:۸8 
Und freugt er meinen Weg alödann, — er fennt mid nit, 


Aus dem rei von Meifter Se 


EER (8 Bia noch ‘immer in Gedanfen verfunfen an 
der ۵ lehnte, hörte fie plöß lich Schnelle, 
jehr frûftig )] 6 6٤ Mer ſich und 
wandte jählings das Haupt. : 

Ein junges Mädchen, ſchwankend zwiſchen sul ein 
und Backfiſchchen fam in grotesfen Sprüngen, welche 





jedweder Grazie entbehrten, über Die anal) heran > 


.. .galoppiert. 


Kurzgefchnittertes, dunkles — 136 Hd, mehr, x 0 


al? daß ¢5 fich lodte, um die mächtige, vierectige Stirn, 
unter welcher eine nicht allzufleine Scale kühn ur die Welt 
hinaus ſtrebte Große, ſehr lebhafte Augen ſchauten fred) 
wie bei einem Kleinen Epa der reigenden )6 01۱11116 ent- 
gegen, md aus dem Mund, welcher in fröhlichem Lachen 


268 


ungehenere Dimenfionen annahm, blinften zwei 71 


ſchneeweißer, ( ee Zähne. Bra : مس‎ 
)ماما‎ — 


Nein, jchön fonnte man + Rontteb Ben nicht nennen, 3 
würde ein ۲ Mißbrauch des Wortes geweſen fein! x 
Ihre ganze Figur war edig, ungraziös, ſtets in fitt | 
(idem Kampf mit den einzelnen Gliedern begriffen, dabei ۔‎ 


jehr ſtämmig und robust, ohne merkliche Spur von ` 
Taille und. ohne jedwede Anzeichen weiblicher umut 


und Sanftheit, 

Der rüpelhaftefte Bengel mürbe in Gräfin و‎ 
fein täufchendes Ebenbild gefunden haben, — und doch 
[aq auf den derben, häßlichen Gefichtszügen, welche une © 
verfennbare- Ahnlichkeit mit Graf Willibald zeigten, cin 
findlich ftrablender, fropfinniger und herzensguter uz 


druf, Dap man dem fleinen Fräulein gern die größten — 2 


Unmanierlichkeiten verzieh, wenn man in die aster 
Yuglein. blicte. x 
Alle Kleidungsſtücke, fo elegant und chic fie aud) die 


erften Konfeftionshäufer lieferten, hingen wie geborgt um 
Komtegchen herum, oder fpannten in fo ungebührlicher ۔‎ 


Die Gräfin Mutter, welche noch immer 8 Toch — 


Weife, daß fie binnen ہے‎ Beit aus allen Nähten 
platten. 


terchen allein und eigenhändig jeden 0067 anfletdete, 
lachte Dazu. 

‚sa, was fol ich mit dem Wildfang beginnen, liebe 
Pia, ziehe ich ihr Kleider an, weldje nach unjeren Be- 


5209. — 


griffen gut fiber, fo ſtöhnt jie, die Engigfeit fei nicht 
zu ertragen, und bei den eriten Turniibungen frachen 
alle Nähte; alfo laffe ich die Stieider fo weit wie Sade 
anfertigen, Damit bie Heine Here Play hat, fid) aus ۔‎ 
zutoben ee . 


us 5 Yustoben رس‎ Fräulein Fränzchen gründe a. 


lichſt Die langen „Söhlumperkleider” gemierten fie 
fichtlich und oft überrafchte fie Pia, wenn ſich die Kleine 
damit amiifierte, in wilden Säßen und Springer die 
Ride zu ſchwingen, wie Kinder, weldje fich aus dem 
Sleiderfchranf der Mutter koſtümiert Haber. Das Lernen 
ſchien die junge Dame auch nicht fehr zu entzüden, „Mit 
Gouvernanten drangen wir [don gar nicht mehr bei ihr 
durch” — ent}duldigte Tante Johanna mit beinahe Ders 
legenem Lacheln, als Pia überraſcht den Hauslehrer an 
blickte —! , a haben wir uns einen energijchen, tüch- 
tigen Pädagogen zu Hilfe geholt, und nun geht es 
etwas beffer mit dem Studieren, manish. der Herr 
Kandidat recht ungern daran denft, Ferien geben zu 


 müffen.” Denno) war Fräulem von Nördlingen über 


raft, wie viel daS arme Fränzchen lernte, 


Sa, fie überrafchte die Kleine jogar einmal, bet latei: تہ‎ 


nischen Bofabeln. 
Aber, Confinden, wozu braucht ein ia ۱ ۱ 
denn Latein zu lernen? [” 

Srängchen johlte auf und warf in einer Ynrandiung 
hoher Luſtbarkeit Die Beine in die Luft, Dak Die Süße 
momentan auf dem Tiſch ruhten. 


— 270 — 


3 „Sa, ‚weißt du, mein Pater wills nun mal jo! Ich 
glaube, er will ſich der Frauenbewegung anſchließen MOD. oc 
mal ein Fräulein Doftor aus mir maden! Na, da Findet a 


er feine Gegenliebe bei mir, denn id) haſſe dieſe Ders 
dammten Echmöfer! Geh — ein bischen zur Seite, 
Pia, daß ich Die Fenfterjpiegel jehen kann!““ — 

Wozu Das?" — 5 

Fränzchen grunzte vor Vergnügen: sc laure hier 
auf Lielmann der den Frühſtückstiſch auf der Terraſſe 
bedt, — wenn er das nächjte Mal fommt, bringt er Die 
Platte mit Fleiſchkl ۵8 — melde ich nicht. mehr aus: 


== š ſtehen — nicht mehr ried) en fann!” 


„Rum. und?’ — 

Wenn er unter dem SFenfter ift, 0011101۳6 ich den 
Blumenpatt runter — — wetter, daß Rielmann vor 
En ſamt feinen Klopfen auf ba: Erde hf? — 

ee — Und dieſes Frangchen war fünfzehn, 

x ja fogar bald jechzehn Sabre alt!! — ۱ 

Auch jet blickte Bia der fo ftürmifch abend Bate 


ae mit berechtigtem Mißtrauen entgegen. Fränzchen warf 
die langen Arme fuchtelnd durch Die Luft, um fie ae 
Augenblick ſpüter in wildem Anprall un Fraulein Don ` 


lingens ſchlanke Geſtalt zu fehlingn. .‏ ان 
x Gleidgeitig küßte “0)7 nit derbem nien‏ 
bie zarten Wangen ab. -‏ 


„Aber, Kind! Du reißeft mich ja um! wehrte fich 


Pia atemlos; „und wie oft habe id) dir fchon elat, ee 
dab i die : greulichen Küſſe nit leiden mag ہے‎ 


— 271 — 


ea, dann ſoll dies der — für جح‎ je!” fachte ` 
Fränzchen und ledte mit der Bunge behaglich über die 
Lippen, wie eine, der es recht gut geichmedt Bat. 
„Barum ſtehſt du hier jo alleine?” 

„Sh: warte auf deine Eltern und dich! — Die 
Wagen ftehen längit bereit.” | 
Weiß ih! — Famos, daß ¢3 wieder fogs geht! und 
Gott fei Danf ohne die Schulbücher! Giehft du, darum 


möchte ich bor Vergnügen gleich Burzelbod ſchießen, wenn | | 


eë man bloß pafjend wäre!” — 

Und Fränzchen ſchwang ſich ſtattdeſſen auf die Bali: 
ftrade und baumelte mit den Füßen. — 

Wie alles an ihr, war aud) die Stine ein ۸۷۲ 
des Vaters, ebenfo rauh und Be. Hingend,, دا‎ unme⸗ 
lodiſch wie die jeine. ہے تچ‎ 

,0 haft du deinen Sut, bi Bildfang? Rit a 
bielleicht barhäuptig 

„Um hebjten thäte ich's! — Das fomifde Ding auf 
dem Ropfe geniert mich ja nur! — Himmel, wenn ic) 
fol eine Staatsfarnette mit Bindebändern auffeßen jollte, 
wie Mama! Oder fol einen Wandteller mit Feder— 


büfchen, wie bu! — Gräßlich, ich glaube die Feuergloden 


ftiirmten, wenn ich fo antreten würdel Aber fomifch, — 
dir fteht das Ungeheuer brillant! reizend! — wie ein — 
Nitterfräulein fiehft du aus, einfach zum Verlieben! 
Komm, gieb mir noch einen Schmag!” — 

Pia lachte und flüchtete gurl. 

„Sch glaube, du biſt über den Fruhſtückswein geraten, 


— 272 — 


Sränzchen! Jedem Primaner würden Deine verliebten oe 
Augen Ehre machen! — bitte, verjdjone mich mit deinen . 


Zartlichkeiten Du weißt, daß = fie abjolut nicht 


leiden mag!” 

Komteßchen war gar — beleidigt Sie verſchränkte 
die großen grobfnochigen Hände auf dem Nüden: „Magft 
du mich nur darum nicht Füllen, weil ich ein Mädchen 
bin?” —: fragte fie mit viel Qntereffe! Findeſt du 
meine Rartlichteit nur darum langweilig? Und würdeſt 
Du fie lieber mögen, wenn ich anjtatt einer 00 
Conjine ein flotter Better wäre?“ 

Pia errötete und zog die dunklen, fein e 
Brauen argerlid) zufammen: „Wie fannft du nur jo 

albern reden! Solche Gedanken pafjen fic) nod) gar 
nicht für ein fo junges Madden!“ ۱ 

Fränzchen jauchzte hell auf vor Pergmügen: ‚ta 
ftopp, man jachte mit den jungen Pferden!” amiifierte 
fie fid) in ihrer. ungenierten Weife. „Sch Habe jchon 
eine ganze Menge Schmöfer intus, in welchen etwas von 
Liebe vorfam! Sogar den Fauft fenne id) — und finde 
ihn fogar noch nicht einmal jo furchtbar toll, wie ich 
mir Dachte! Könnteſt du dich in jo einen 00ف تال‎ 
‚Doktor verlieben?” 

‚eein ! x . 

Sieht bu, id auch nicht ۴4 _ rückte näher 
und legte den Arm ſehr innig um die ichlanfe Eoufine. 
„Sag ‘mal ‚ehrlich = Soldihen, wie muß mal der Mann 
fein, in den du did) verguden könntejt?“ 


18 


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— 274: 


Pia ſtrich lächelnd mit ber aos über ۵۵8 ۶6 : 


Haar der Fragerin, welches unter den gragidjen Gingern | 


fofort wieder rebellifd) empor fchnellte. „Das weiß ich 
jelber noch nicht, Mamfel Neugier!” 

„Bas foll er denn "nal fein?” forjchte 1 
und die Stimme arte ihr über, weil fie jo recht weich 
und zärtlich flüftern wollte. ۔‎ 

Pia lachte noch mehr und führte einen leichten 0 
ſchlag gegen bie indisfreten Lippen. . 

Papſt zum mindeiten. — is 
ka, Brot! — Wlfo hoch hinaus. Dachte e2 mir 


bod. Bift auch ganz berechtigt, was bejonderes gu vers ا‎ — 


langen. Würdeft du aber nicht doch 7 mit einem 
Majoratsherrn fürlieb nehmen 2“ 

Fräulein von Nördlingen wid) jählings — Wie 
fommft du darauf?” fragte fie GOED, boll neu er- 
wachenden Mißtrauens. 

Fränzchen verjchränkte die Arme vor dem Magen 
und lachte in ihrer lujtigen Weile verſchmitzt auf, dann 
rieb fie ſich die Hände: „Sc thu's mal nicht unter dem!” 

„So? Nun, ich wünſche Glück dazu!“ 

Pias roſiges Antlitz ſah plötzlich ſehr kühl und ſtolz 


aus, ihr Blick ruhte ار‎ auf Dem (۵ ا‎ 
Geficht der Heinen Gräfin. Alfo jcheint fih Tante 96: .. 
Hanna Dod) den Grafen Wulff⸗Dietrich zum Schwieger- i 3 


john ausgejucht zu haben. Se nun, ¢3 giebt ja aud 
heutzutage noch Montecchis und Capulettis, deren m. 
fich zum 5046 heiraten. 


ے و ہت 


a Hielt den Blick voll Feder. Unverfrorenheit — a 
Sie mujterte fogar die — Wieder mit den 


Geſichtsausdruck‏ کو 
Weißt du, Pia, wenn id als Männlein auf die &‏ 


Welt gefommen wäre, heiratete ich einzig und allein ee = 


„Schr jchmeichel Haft. ie 


Da 1118101۲ bie ۲ Augen plo ins, — an 


voll beinahe flehender Angit, x 

Würdeſt Du mid) dann nehmen?” 

Pia glaubte aus dieſen Worten viel mehr au hören, 
al vielleicht darin lag, Die zitternde Angft eines Mäder 
حر‎ welches gern hören möchte, bab es troß 


feiner Häßlichkeit gefällt. Boll Mitleid, weicher und herz — 


licher wie oni, legte Bia den Am um den Hals 8 
Backfiſchchens x 

yas veriteht ji!” — te ie. „Solch ein Pradit: 
eremplar wie du hat feinen Korb zu befürchten, und ein 
flotter Hemer 0۷ء‎ würde dir gewiß کک‎ ٗ 
jtehen 7 ۱ 


Sie wollte laden, — و‎ Stimme erftichte unter 


den ungeftümen Küſſen, welche plötzlich auf ihren Lippen 
brannten. Komteßchen ſchien wie von Sinnen über Die 
Eloge, welche ihr ‚gejagt: war. Sie befam einen ihrer 
übermutstollen Anfälle. Wie eine Heine ٤+ {prang 


fie von der Mauer und umbalfte die angebetete Eoufine, 
als folle fie unter dieſen ſtürmiſchen Liebfojuugen erfticen. 


le Sranziska, bift du nicht recht gejcheit ک7‎ wehrte 
fih Fräulein von Nördlingen atemlos, doch ſchon ses 
۱ 18* ۱ 


تمس 2706 — 


fie 4 frei. und bie berben noplitijetn des 9+4 — 


trabten mit denſelben Hechtſähen davon, als wie fie Dor 


hin gefommen waren. Die fleine Gräfin ſauſte ben 
Eltern. entgegen, welche foeben auf ber Freitreppe 20 
ſchienen um die Equipage zu befteigen. Pia ordnete 


ſchnell ihre 06+ Toilette und mit e 


Wangen nad dem Portal zurüd, 

Franzchen hatte dem alten Kuhnert einen beiteren 
flaps auf die hilfreich bargebotene Hand gegeben und 
war ohne Unterjtügung jo frajtvoll in den Wagen qez 
iprungen, daß die Achien frachten, und während die 


wohlgefällig lächelnd folgten, ftülpte fic) Der feds _‏ ما 
zehnjuhrige Unband ein ſchlichtes Sägerhütchen auf Die >‏ = 


wilden Haare, um e8 im nächſten Moment mit foe ۱ 
Reverenz bor Pia zu ziehen. مات‎ ie 
„Mama, meißt du, was die chine Bale vorhin gee 

jagt hat? Wenn ich ein Majoraishere mit einem flotten 
s wäre, rolirbe fie mich heiraten x 

Bunn erftenmale jab Tante Sohanna ‚ärgerlich ang, 
mit verweijendem Blick hob fie den. Kopf und der Graf 
fagte in beinahe ftrengem Ton: 0. Vergiß nicht, 
daß du mir verſprochen haft, alle ۲ N 
unterwegs zu lafjenl” x 
Die Kleine frenugte voll übertriebener Devotion bie 
Arme und Schnitt eine Grimafje, Graf und Gräfin aber 
neigten ſich aus dem offenen Wagen und verabjchiedeten 
ſich ۲ herzlich von dem Hauslehrer und der Diener: 
Ihaft, weldje Die Equipage umtingten, x 


جو 277 — 


x Auch Bia nictte und grüfte, Fränzchen erhob feqnend 


die Hände und ermahnte den 7 Pädagogen ſal⸗ x 


bungsvoll „Bleib hubſch — ich und jromm, — bis 


nad Haus ich wieberfomm!* Der Bude Tufte a 


۱ den Bügeln und die ungeduldigen Fine griffen. . in 


den frrojpenden Wald hinein zu jtürmen. oe 
x Eine fleine Weile flog bie Unterhaltung in on N 


: Worten fer und bin, dann räufperte fic Onfel Willibald 
plößlich und wechjelte einen ſchnellen Blick des Eimer 
nehmens mit jeiner Gemaͤhlin „Siebe Pia“, fagte en 
zögernd, „wir haben jebt 11 gemeimjame Reife bes 


gonnen, und wäre es wohl angebracht, dich mit ناه‎ a oe 


kleinen Abſonderlichkeſten bekannt zu machen, welche wir: 

uns während der langen Wanderjahre angewöhnt haben!‘ 
Die Barone ‚neigte ſich höflich näher, „Seif, 
‚lieber Ontel‘, jagte fie, „ich möchte mich in allen Dingen 
genau nach euren Gewohnheiten richten und bitte Herzlichit, 
mic) mit ber veränderten Lebensweiſe und ےت‎ ۱ 
befannt zu machen !“ x 

Der: Graf nickte ihr mit benahe مود‎ Lächeln 


au; „Bir find in manchen Dingen. ‚abjonderliche Leni 
und zu den ۱ unferer Reif en gebbrt lli: 
erjter Linie, niemals den Namen Re in ein ME 


denbuch zu fehreiden - % 
yo! Du überrajcheft ریا‎ il ee 
Willibald lächelte; „Wir teilten e der 
Fahre unjerer Che ſtets unter falſchen Namen, oder 
befjer gejagt — te 0 ا‎ 


— 978 — 


Pia lachte luſtig auf: „O, das ift ja ein Berrlicher 


N Scherz! ‘Thatet ihr das lediglich des Spaßes halber P. 


Der Graf fchüttelte treuherzig den Kopf. „Kein; es 


mag dir vielleicht noch "7 erſcheinen, wenn : 


wir e3 im bitterften Ernfte thaten.” — 
„Erkläre mir, beiter ۱ 

weißt, was mein leiblicher Vetter Ridiger für‏ ار 
einen teu fliſ fliſchen Plan hegte, um das Majorat und Bers‏ 
mögen an ſich zu bringen’, fuhr Niedeck mit haßerfüllten‏ 
Blicken fort, und wirft es begreifen, daß man gegen‏ 
fold) einen Menſchen, welder in “gewifjentofefter Weiſe‏ 
feine Anverwandten lebendig begraben wollte, miftranifd‏ ` 
wird. — Meine Heirat erregte naturgemäß den 71‏ 
Zorn dieſes meines Feindes — und die Geburt meines‏ 
Kindes 011 ihm auch. nicht gleichgültig fein, denn wenn‏ 
ja Frünzchen auch leider nur eine Tochter war, ſo geht‏ 
doch ein ſehr großer Teil 8 Barvermögens auf fie über.‏ 





Ein Berluft, welder für Rüdiger, jehr empfindlich ift, da 


er wohl auf die bolle Erbſchaft rechnen mußte, um ſeine 
und jetzt auch ſeines Sohnes Hartwigs Schulden ant Dez 
zahlen. Ein Mann aber, weldyem das Leben des Vaters 
nichts wert war, dem ift dasjenige 8 Kindes ebenjo= 
wenig heilig — und fold einem Teufel in Menſchenge⸗ 


ſtalt traue ich alles zu — alles. Nenne es nun Feige 

heit, Mißtrauen — übertriebene Borfiht — 0Der مو‎ cea 
du ſonſt willft, aber verarge es uns nicht, wenn wir ا‎ 
bemüht waren, unfer teuerftes Kleinod vor den ad 
٦ des ود‎ gu ہک اس ات مت‎ 


س 979 — 


ich mit diefem Verdacht Rüdiger unrecht und gehe zu 
weit in meiner fchlechten Meinung über thn, aber wir 
wollten lieber zu vorfichtig wie zu leichtfinnig fein, und da 
unſere Angftlichkeit mit dem Kind fo wie fo fehr groß 
war, umd eë aud) jebt noch ift, fo Hätten wir feine 
ruhige Minute gehabt, wenn wir uns durch Nennung 
Dea Namens den Nachitellungen Rüdigers preisgegeben 
hätten, Daß er ſich mehr wie einmal alle denfbare 
Mühe gegeben hat, unfere Spur aufzufinden, weiß ich 
genau, in Kairo hat er fogar die Geheimpolizei in Be— 
megung geſetzt, was mich veranlafte, fofort abzureifen. 
Du fiehit mich gang Harr vor Stannen an, liebe Pia; 
— ja, wenn id) einen Roman fdjreiben wollte, brauchte 
ich nur den Stoff aus meinem Tagebuch zu holen! — 
Nun, — du weißt jebt, warum und weshalb wir Bers 
[teden ſpielen Ehemals war ق‎ eine Notwendigkeit, jebt 
ijt es mehr eine Angewohnheit, welcher wir kaum noch 
1111 werben fönnen. Wir find ſtets al Deutjch-Amert: 
faner gereijt. Mr. und Mrs. Luror biegen wir ftets und 
wollen uns auch diesmal jo nennen. Wenn es dir recht 
ijt, liebe Nichte, figurierft bu als unjere ältejte Tochter !” 

Hurrah, bravo! ich hab ein Schweiterchen befommen; 
dann verlange ich aber auch, Daß Taufe ۳ 

Tante Sohanna lachte mit ftrahlenden Augen, wie 
jediweder Scherz ihres Abgotts fie bejeligte! 

„Run, Bia, dam rüfte did) für diefe Feier! Biel 
Gevattern werden wir dir aber nicht laden können!“ 

„Einen anderen Vornamen befommt fie 7 


— 


— 280°. — 


NS ll ORE, — ue mir mur einen aus, wenn bir o 
IU A e meine nicht Schön genug ift!” | 


Bia ijt der herrlichfte Name, welcher überhaupt 0‏ دا 


exiftiert ” — rief das 71 begeiftert und ſchlang 
bie Arme abermals enthuſiaſtiſch um die Nachbarin. 
„Der neue Name ſoll ja bloß ein Jux fein, weißt bu, 


ein Wik, damit eben alles anders wird: Alles neu macht — 


der Mar!” 

Nun, dann befinne dich mal auf einen recht — 
Namen!” — Fränzchen fehl ug behende das Bein über, 
ſtützte den Ellenbogen auf das Knie und ſtemmte Die 
furzen, etwas abgefnabberten Fingernägel gegen die 
Zähne; das war ihre Lieblingspoſe, n wenn fie nachdachte 
oder ſehr eifrig zuhörte, — 


Die dunkler Augen flacerten dabei im lebhaften : _ 


Intereffe, Dieweil Die Blide wie ſuchend von einem Antlitz 
der gegenüberjigenden Eltern gum anderen glitter. 

„Streng dich nicht zu furchtbar an, Rleindjen, du 
thuft dir einen Schaden bet biejer ichweren Geiftesarbeit! J 
— nedte Fraulein von Nördlingen. | 

Fürs erjte antwortete thr eine E Grimatte 
Dann fchlug jich Komteßchen plötzlich Hatichend auf das 
Knie und {Drie jo laut: „Heurefal” dag Kutjcher und 
Diener erjchroden auf dem Bock zuſammenſtießen 

„IH habe einen Namen, einen, den id) auch höchft 
poetifd) finde und über alles liebe!“ fuhr Fränzchen mit 
einem Anflug von Schwärmerei fort, welche bei ihrem 

ſonſt jo draſtiſchen Weſen doppelt paßhaft wirtte. „Pia, 


کت 281 — 


= Heb mich einmal an, — wie würde bir I Beiſpiel 
0 ۷ zu Geficht ftehen? on | 
„But; ſehr gut, jchöne Leute kleidet alles jou!” ۱ 
nickte die junge Samt ſehr ernſt 
„Mama, Bapa, — findet irê au ے‎ 
„Natürlich! grofartig! Lilian Luror! — Es ting! 
jo intereffant, wie in einem Roman!” — 


„Das werden die Kelluer jagen!” — اما‎ ate en, 
Fränzchen im Vorgeſchmack aller Triumph, welche ber SS 
vom „ihr“ ausgedachte Name feiern wird. — Rn 
BD, id) werde ihnen imponieren! l — verficherte Ria, 


— immer noch ۲ 
Mama, — Papa, — vergeßt nur nicht, bet jeder 
nur irgend. möglichen Gelegenheit He „Sillan“ zu nermen 


und zu rufen!“ fuhr die junge Gräfin mit glühenden = 


Wangen fort unb ſtieß die Eltern zur Bekräftigung mit 
dem Sub Of. | 
‚au, Grider, jet doch nicht io unmanierlich“, Schalt 


| ber Papa, mehr aus Hd} Flichfeit gegen Die maltraitierte 
Mutter, wie aus Rüdjicht gegen feine eigene große Rebe. 


„Nun — und wie heißt du in unjerer Hemel an 
fomödie, Fräulein Baler” — ۱ 
psd 21 — Frängchen warf gerinafhägenn bet Mund 


auf, baf er noch größer ausſah dc?” Ad weißt ie 


du, Lilian — bei mir. lohnt ſich das Umtaufen nicht; 
wenn man einen Hering auc) mäfjert, er bleibt doch ein ۱ 
Hering; — und wenn man mir auch ben poetiichiten — 
Namen 0 würde, ; ich würde — 20 feine — 


— 282: — 


machen; — alfo laßt mid) man ruhig da3 olle tolle 
Fränzchen bleiben, — damit Die Leute nicht ſtutzig 
werden |” 

yoann müſſen wir bod mindeftens — jagen, 
fonft paßt du ja gar wu in unjere ausländijche Ge⸗ 
ſellſchaft!“ | 

Francis! — na, das ginge allenfalls, — aber wie 
gejagt, Fränzchen ift mir ſchon lieber! ich fühle mid) 
` Darr nicht fo geniert und braude fein anderes Geſicht 
zu machen!” — 

Glaubſt du vielleicht, id) made و‎ bolonberes Gee 
ficht für Lilian” — lachte Pia hell auf. 

Fränzchen hafte {ih zärtlich bei ihr ein. 

„Du? Mein, das Daj du auch nicht nötig!” klang - 
wieder fehr jchwärmerijh von ihren Lippen, und die — 
dunklen Spatenaugen befamen abermals den verliebteften 
Ausdrud. „Wenn man jo [ón ijt, wie du, Pia, — 
ich wollte jagen, Lilian, dann hat man nicht nötig, ſich 
das Geſicht zu verrenken! Ich finde dich nämlich bild- 
ihön, wirklich jdauderhaft fin! — Bilt du eigentlich 
immer fo geweien, oder if e8 erjt fpäter 7۴۶ 
Beit du, wie bei mir, wo die Leute immer fagten: — 


„Sie ijt jebt freilic) mordsgarſtig, aber das verwachſt a U — 


hg Doch wohl noch!” — 

Abermals ein allgemeines Gelächter. 

Brau Sohanna jchien nicht im mindejten wegen der 
Häßlichfeit der Tochter befümmert und ihr Gatte ſaß fo 
ſchmunzelnd und wohlgefällig feiner Einzigjten gegenüber, 


— 283 


als habe er in ihr zum mindefen bie Bemus bon Milo 
zu bewundern. 3 

Pia gog den wilblodigen Kopf her = Guar mit liche» 
bollem Blid an ſich „Sa, e& hat Hd [hon verwachjen, 
Fränzchen!“ nidte Tie, „und ich bin überzeugt, bie Menſchen 
werden Die Hergenagute, fröhliche, natürliche Francis viel 
lieber gewinnen, wie die fteife, langweilige Lilian mit 
dem poetilchen Namen!” 

„Sieb mir einen Schmag!” — 

„Uber, Fringdhen! Du weißt, dak Pia das Küffen 
nicht leiden mag!” — verwies die Gräfin ftreng und 
der Graf lachte. „Danke Gott, liebe Nichte, daß dem ` 
Wildfang fein Schnurrbart Gradient ub 0 hättet einen 
unausftehlichen Berehrer an ihm! ` 


dit eigentlich ٦ ein Programm für fere Reife = 


entioorfen ?” x 
„ein, wir reifen immer ohne Überlegung in den 
Tag hinem! wo eS ſchön ijt, bleiben wir, und wo es 
uns nicht gefällt, da fahren wir jtolz vorüber!” — 
Wollen wir die ganze Nheinreife zu Schiff machen?” — 
„ach nein! Aussteigen 0 ee 7 will auf eb 
Burg Steigen!” 


„Ra ja! ſchrei Dod nicht — wir لات‎ ja qottlob ے‎ 


nicht taubl Wenn es für Mama nicht zu viel wird, 

fönnen wir ja verjchiedene Magenfahrten machen!” — 
„Bon Kaftel bis Bingen fahren wir wohl durch 2” 
„sein, Papa, das geht viel zu (۵۵۱۲ In Rüdes⸗ 

heim wollen wir doch übernachten, da müfjen wir zuvor 


ae 254 — 


ſchon mal ausfteigen und. as die Ufer: safes befehen, 


ſonſt 11 ja der Tag ganz verloren, denn für den Nieder⸗ = 2 
wald 18 ſchon zu fpät, zu der Tour müffen wir von 


frühmorgens bis abends Zeit haben.” 
„Nun, fommt Beit, fommt Nat; vorläufig wollen 
گا‎ erſt mal in den Zug jteigen und uns freuen, wenn 
ir Maing erreicht haben! ` = oy 
Gu Mainz bleiben wir guerft?” 
Da wir Sranfjurt kennen 87 Š 
„Haft du Schon wegen des مود‎ an etn 
Hotel telegraphiert, 10011000077 — ` 
` „les bejorgt, Hansen!” — 
Hänschen iſt aber nicht ameritanifch, Bater, jo ۸ 
Du Die Mutter por bent Kellner nicht nennen! ۳۶ | 
„Sind denn Die Dienftboten injtrniert, liebe Tante, 
Daf Í fie nicht etwa unjer Qutognito verraten; pa 


Die Gräfin (achte: AUnbeſorgt meine treue Rammers 


frau reift: ſchon ۶ fünfzehn. Jahren mit Mrs, Luror, : 


und der brave, alte Friedrich ijt auch an unfere Ab — . 
23ھ‎ gewöhnt. Dich ۲ wir all ا قوف‎ 


alê ,Qilian” ۱ 


— Wenn das alte Trampeltier den Namen nur  nerfen کے‎ 
04 grollte راو‎ deren Meinung von ee — 


Sutelligenz nicht bejouders hoch zu ſein jie. 
„Er wird 17 
Eſſen wir table d’höte oder à la carte?” infor 
muerte fid) Komteßchen weiter. 
„Halt du fdjon Hunger?!! —” 


os‏ 235 ج 


AD habe immer Singer, und en liebe ich 
6, 067 nachzubenten, was id eventuell alles ۷ء‎ 


Jone!” 


„Dazu haben wir un Bug Die ٤6 Beit. A از‎ we 


Kellner und überreiche bir die Karte. — 


„Samos; = te Hühnerfricaffe fange id) immer an, — ses Se 
— das üt aud Servohnheitsfache bei mir; überhaupt 


DET 


lege ich auf Eſſen und Natur das سو‎ 70 Gewicht; 


auf jogenannte Met [۱ oder oe brenne ۱ 


ic) richt 


Granger boq Det Kopf zuriick ns litte Der Dêre 


Woujine mit jel Ham N beinahe eiferfüchtigem 
Blick in die Augen. ane > 
0ر‎ du es مه‎ 2. 5 


Pia lachte. | „Ehrlich ۱ eftanden, find mir bie Menschen 


und Mitreifenden bedeutend al wie Die ei ns 





farte!” | 5 
Wirſt du bie eva m Cour machen [ali ner. 
Fränzchen richtete ſich page ings auf. 


„Natürlich! ich hoffe jarf, mic) and in einen echt — s 
— eee a ۱ lachte Bin 


ſcherzend 
Die kleine Gräfin e وط‎ ihre Gand: weal Eu 


ſollſt auf einen anderen 08 ftieß fie haftig, mit oe 


blikenden Augen hervor. Die Gräfin machte elite er: 
ſchrockene Bewegung und ifr Gatte nahm bas heftige 


Töchterlein bei 7 Schultern und drückte eB in das .. .. 


Wagenpoli ter zuruck „Und pu ſollſt feinen Unſinn 
reden ٢ befahl er ftreng. a 


Fränzchen lachte verlegen ماد من اد‎ Man 
müßte Pia Dod ein wenig 111 und dann jeufzte fie 
tief auf und fagte unbermittelt: Ben mir doch erſt 
pier Jahre weiter waren!!” — _ ee 

Die Sräfin aber unterbra fie {eb batt: „Da itt _ 
bereits bie رت‎ Bitte, rüftet — un Auge 
eigen! چک‎ | ۱ ۱ 





Alle chten Geifter des Frohſinns سوا‎ > 
entfejjelt und fdjwirren wie leuchtende Gold: 





An den Rbein, an den Rhein! zieh nicht an ben Rhein, 
Mein Sohn, ih rate bir gut, 

Da geht Dir bag Leben zu lichli ein, 

Da blüht Dir zu freudig der Mut! 
۱ Sarl Simroa. 






۱ eld) ein Frühlingswetter! 


junten Durch die Luft! : 
- Sang und Klang, frohe Menjchenftimmen und jubelndes 
Gelächter, wohin man hört, — und wohin man et, 
strahlende Augen, glücliche Gefichter, buntes, fröhlich 
flutendes Leben überall! ۱ 

Der Rhein ijt nie fo for, als im Frühling, wo der 
‚Alte wieder jung wird mit der jungen Welt, wo er fein 
Bahrtuc) von Eis und Schnee madjtvoll von fich geworfen, 
um neu geboren zu erjtehen! ۱ 

Dann wälzt er jeine Wogen in fraftitrogender Fille 
dahin wie ein Siingling, welcher fic) mit weit ausgebreiteten 
Armen jauchzend den Frühlingsftürmen entgegenmwirft, voll 
ungeftiimer Wanderluft weltein zu ziehen! 


288 — 


Wie ber € Sonnenglanz auf dem Baifer tiegt We 


es geheiumisvoll aufglüht und goldrot durch Die Weller 
ره‎ als ſei der Nibelungenhort geſchmolzen umd treibe 


in funkelndem Golditrom gleißend dahin. ede Woge 
trägt einen flanmenden BUG im Schoß, jede Brandung 
verftäubt demantenen Tau, und wo der Strom in den 


Uferbuchten ſtiller dahin fließt und Wald und Fels und _ 7 


jtolge Sinuentronen fpiegelt, ba kreuzen die weißen flinfer 
Segel und ziehen wie blendendes Sehwanengefieder über 
tiefgefärbten, blauqriinen Grund! — 

‚Die erften Duftichleier Inojpenden Maigrüns liegen 


über den (00701 Bergen, überall tritt das Telsgeitein aa 


noch grell bejchienen in ſeinen pittoresfen Formen zu Tage 
und Die 717 0001 ſich noch nicht hinter dunklem 
Gezweig, fonder tragen mir 0۳ und wehende 
Ranken als liebliche Bterde! 

Glocken läuten! Hornfignale, balers ۸86 von 
Berg zu Thal! ۱ 

Das Dampfſchiff zieht mit flatternben impel jeine 
Bahn, und die Menfchen, welche ſich auf Deck befinden, 
empfinden e3, wie weit und leicht das wird! Wie recht 
der Dichter hat, wenn er von dem gefährlichen. ‚Sauber 0 
de3 ۵ fingt, welcher die Eeelen gefangen nimmt 
gleich dem Lied der Siren, gleih dem ۵ der gold» 
haarigen Lorelei, ‚welcher nicht nur an ihrem elfen ers 


fondern fo weit durch den Lenzesodem weht, pie‏ روا 


die grünen Rheinwogen durch die Lande ziehen! 


Anfänglich Batte Franzchen Niedeck wie gebannt pon ae 





PB, Ot, Nom. u. Nov., Der Maſoratsberr 9‏ 0.60060 اھ 


— 200 — 


۱ ſüßem Bauber an Bias Seite auf dem Shit gefeffen 


und mit großen, weit offenen Augen die reizenden Bilder 
angeltaunt, a in buntem 8:01٤ an Den ۳ pore 
überzogen. 
Daun — war ihre ureigentliche Ra en 78 , 
zum Dinchbruch gefommen, x 
Sie ſprang auf, lief unruhig hin und her, sk 


ſich kurze Zeit für den Maſchinenbetrieb des Schiffes, — 


ungeniert die Mitreifenden, verftedte dem tief‏ اس 
in Gedanken verjunfenen Friedrich meuchlings feine Kleine‏ 
Handtafche, beftellte fich bei dem Eteward bald Diefe,‏ 
bald jene Erfrischung und zeigte durch ihr ganzes Benehmen,‏ 
daß fie bie längſte Beit am Tage ſtill geſeſſen hatte.‏ 
Die Gräfin verjudte das 6 Töchterlein -‏ 
vergeblich an ihre Seite zu feffeln.‏ 
Fränzchen Ichmollte, daß man an allem Schönen jo‏ 
ſchnell vorbei fahre, und Daß doch der eigentliche Sweet‏ 
einer Aheinreife der jet, mal von „oben herunter” auf den‏ 
Fluß zu feben. ۱‏ 
„Sieh doch nur, das fidele Gewimmel an den Ufern,‏ 
Mama, — und wir fiber hier wie in einer Maujefalle‏ 
lange jahren‏ 2ء und formen 1 uns nicht rühren! Wie‏ 
wir jchon —’‏ 
Aber, Kind! wir find ja faum ۱ tt‏ 
„raum eingejtiegen? — Na, id) dante, eine wahre‏ 
habe ich einjam‏ ۴ء91 Ewigkeit gondeln wir bereits! Sn‏ 
und allein {chon monatelang ftill im Käfig fiber. miifjen —‏ 
und num, bei dem prachtvollen Wetter, wo man fd mal‏ ‚ 


— 291 — 


ESS Nein hen bie Beine 0)1 fonute, 4 mart wieder 


— wie angenagelt!“ 

` „Uber, Fränzchen, es gibt ja hier — gar feine Berge 
und Burgen, welche man anjehen fan!“ 

Gleichviel; wir 1610181 doch mal ausfteigen, mal ein 
bißchen am Ufer entlang fahren oder reiten! Da drüben 
Tift eben eine ganze Gejellichaft auf Eſeln; das muß 
famos jean. Ich möchte für mein Leben gern auch mal 
wieder Eſel reiten, Du weißt Doch Papa, daß es mein 
Hauptvergniigen jeit jeher geweſen ۳ i 

Tante Johanna fah jchon wieder ganz nachgiebig aus, 
und der Öraf ſeufzte nur ein wenig 

Du biſt ein entſeblicher Duälgeift! Ih muß mich 
doch erſt mal informieren, ob wir am Ufer auf bequeme 
Weiſe Rudesheim erreichen ۳ 

sl, fomm nur mit, ich habe 1 den Steuermann 
gefragt! Ganz bequem aft es! Die nächſte Station ut 
Geifenheim, und von da foun man fogar höchit ۶ 
zu Fuß bis Nüdes — Komm nur mit, wirjt e3 
schon. hören!" ۰ 

Und die. Komteffe 309 liven. Vater fraftvoll vom Sit 
auf und ſchleppte ihn in ey berb le Weiſe mit 
ſich ۰ | 
Hör mal, Tantchen, ihr lat روہ‎ gan3 furchtbar von 
Der Eleinen Hexe tyrannifieren! * {achte Pia fopfichüttelnd, 
„jie kann ja mit euch machen was fie will.” 

Die Sräfn nickte mit ihrem engelägeduldigen Selicht 
und fagte wie entjichuldigend: „ai it unſer einziges 

en 19* 


ہے 9 


Kind! Unfer ganzes @(üd! Das Licbſte, was wir haben! 2 = 
Das macht uns ihwad! Aber unjer Verziehen iſt nicht ا .ا‎ 
fo ſchiimm wie c ausfieht Fraͤnzchen fügt Hd au 


unſeren Wunſchen ohne Widerrede mit rührender Geduld, ee 


a obwohl 8 ihr manchmal recht ſaner wird; da iſt es wohl 
۳ edt und billig, wenn auch wir ihr alles gut Liebe ° thun, ۱ 
„Dag in unferen Kraften ۲ He 


Via fühte zärtlich Die Hand der 0 wie 
Jab ihr beide Dod) jo brave, gute, glüdliche Menjchen. 
Sch hätte nie geglaubt, Tante. Sohanna, daß man mit 
einem Nieder in jo harmonijdjer Ehe leben ۳ | 

Ein feines Lächeln hujchte um Die. Lippen der Gräfin: 


۱ Willibald iſt wohl auch eine Aus nahme, von der Pegel: 
‚Hätte er einen Cohn, würde i dir. an deſſen Zeile 
auch das größte Glüd prophegeien. fönnen, — ein Graf BE 
Rüdiger un weniger empfeh (enstwert fein, und eine Sun 


| Eine? — Man leat, der — i ble weit bom ا‎ 


Emm — 


SER‏ ۱ و سو 
Abermals drängte fic) ihr der Gehan i we A .‏ 


5 He nicht mehr verlajjen wollte, 71. I bon Niedeck کے‎ 


Der 0771 gefahren. 


= . Wie fam es, daß Frängchen ماوقا‎ — = he — 
Ae herausplagte: لایر‎ follft auf einen anderen warten!” 


ESie hatte e3 iu der Übereilung gejagt und beiden Eltern 


ſchien Die Sache hoͤchſt peinlich und unangenehin. ۱ Auch | 


ae Franzchens Verlegenheit bewies il it, 1 s و‎ Segen - 
em 220ھ حا‎ pee eee. 


— 298: — 


Sie ſollte ſich nichts merken laſſen/ Daf fie von dem 
x Heiratsprojeft mit ۰ Dietrich ber eits mußte. 
- Darum MOE — und warum jollte fie bariiber 
ichweigen? C3 war doch leider ein fo öffentliches Ge: 
heimnis, daß es feiner Echonung bedurfte! Sollte 28 
Tante 2 auf dipfomatifch e Weife ganz andere Bie 
verjoigen, als wie Pia Hd) träumen fie? | 
Sollte ihr Abreden und ihr abfälliges Urteil ‚über. 


den künftigen Majoratsheren vielleicht mut en. kleines a 
` Manöver fein, um den Widerjpruch der Nichte gu Telet? — pate 
Was dem Zureden ſicherlich mißglückt wäre, gelingt 


vielleicht oem Abreden?? — 
~ Wer fenut Bias Charakter jo gut wie Tante Johanna? 
Wer lieft | jo fein und deutlich in Mädchenderzen wie 
eine راوطا‎ empfindſame Frauenſeele? Und die Gräfin 
war eine getjtoolle, feinfühlige ‚frau, melde fich viel 


° Menjchenfenntnis angeeignet. — Hält fie eine Heirat mit 
Wulff⸗Dietrich etwa aud) fr das größte Oli 
armen Mädchens und will fie mun auf ihre Weije Eins ne 


fluß üben? — 
Wohl moͤglich _ 
Und dod) ift jo vieles, fo کت‎ vieles, ۵ . i 

dagegen jpricht! = 


Willibalds Haß gegen den Better und een ganze. — 


Sail it wahr und echt, ift feine Komödie, — und 


[ 830001187 deren Denfen und Empfinden jo — eins 


mit dem Gatten ift, würde nie bie Hand bieten, um einen 


wichtigen Plan ihres Feindes لاق‎ fördern, 


سے 994 تم 


Was bezweckt alsdann aber 8 jeltfame Benehmen, 


weld) geheime Abjicht berfolgen die Eltern, 2 wie. 


— 
Pias Gedanken ſchweifen beunruhigt hin und ber, 00 


‫َ bie Löſung folchen Nätjels finden zu رس‎ fie Dat jett 
auch feine Beit mehr, nachzugrübeln, denn mit dröhnenden 
Schritten fommt Frängchen angelprungen und meldet 


triumphierend! „Surrah, ¢3 wird ausgefticgen, en ۱ 


macht euch fertig, it Geil enheim landen wir!! — x 

Die Augen ber Umſitzenden muftern voll Geert 
bie derbe, jchlaffige Mädchengeftalt, welche nod) fo gar 
nichts. von Dem Wefen einer jungen Dame an {ih hat, 
und man beobachtet mit fröhlichen wittere}fe, wie ungentert 
und ohne jede Spur von GCitelfeit Fränzchen den Mantel 
über die Echultern wirft und mit genialem Cl ae 
Filzhut auf den Kopf ما‎ 

Und dann gehorcht bie ganze 2۳۵1111616 gehoriam dem 
Befehl der Heinen Tyrannin und verläßt an Citation 
Geifenheim das Schiff. Frangden, welche auf Leck Durch 
aus nicht über Beeinträchtigung der Freiheit ihrer Bes 
wegungen hat Hagen fonnen, benimmt Hd beim Petreten 
des Ufer wie eine, welche tagelang. getnebelt im Stod 
gelegen Dat. 

Sie wirft die langen, ungraziöfen Arme fuchtelnd durch 
die Luft, Ipringt über Etein und Bretter, daß Die Kleider . 


wild um die Beine jchlagen, und jodelt 10 ungeniert 3 ne ۱ 
Fröhlich, daß das Publikum feine Freude über eine Deel 


originelle Erſcheinung nicht unterdrücken “ann. ۱ 


Pia wird ein wenig verlegen, Die verblendeten ات‎ 
aber 7 fich königlich über den ausgelajjenen Liebling 
zu amüſieren Willibald Flitfterte feiner Gattin etwas in 
das Ohr md Shanna unterbricht mithjam ein antes 
Laden. 

Franzchen, id bitte bid, betrage Dih anttändig, 
wie e3 fic) für eine junge Dame jchiet!” jagt Fräulein 
von Nördlingen verweifend, als die Komteſſe Hd) zärtlich 
- nähert und den Arm der Coufine in den ihren legen mill. 
` Benn ich mic) deiner jchämen a, gehe id) feinen Schritt 


— mit Dir! 


` ranger. Het ganz verbutst aug. Benehme ich mich 

albern ? — Sa, du lieber Gott, wo ſoll ich es herwiſſen, 
wie eine junge Dame fic) beninunt! — Uber komm, ic) 
werde Dir jest alles nachmachen, Liebchen, dann wirjt du 
{don mit mir zufrieden fein! 

Und für kurze Beit hatte eë auch wirklich den Anjchein, 
al3 wolle das Backfiſchchen ſich recht manierlich betragen. 
Sie wanderte an Pias Seite am Flupujer entlang, 
bewunderte in gewählten Worten die große Breite des 
ruhigen Waſſerſpiegels, die zerjtreut liegenden, mit Grün 
bewachjenen Inſeln, welche wie Smaragde auf hellem 
Kryitallgrund ons, und die ſchönen Konturen des 
Sohannisberges, dieſes کر‎ mers 3“, wie fie 02 er⸗ 
finderifch ausprüdte! x 
. Man 81۶7 fich Die einzige Eehensritrdigteit von 

۱ ات‎ die Kirche mit dem von Nauchmüller Ders 
fertigten Grabdentmal des Kurfürſten Johann Philipp, 


A 


anzuſehen, ‘bone in einem اض‎ nahe der Landunge 0 x 
zu Mittag zu eſſen und hierauf mittels Eſel oder Mauls 


tier den Weg nach N — am Rheinufer ana s 


zurückzulegen 


| Der Graf ging in das Hotel, um bas Nötige ju 
> beitellen, während die Damen ٤ durch die ae = 


Gaßchen der Heinen Stadt wanderten. 


Franzch ens Betragen. blieb derart gefittet, bos die. ns 


Gräfin ganz überrafchte Blicke mit Bia wechjelte. 0. 
Dieſe lächelte und drüdte in der Freude über die 


| liebenstwürdige Fugſamkeit der Couſine deren Arm liebes — 


voll an fich, was bei Fränzchen einen wahren Rauſch — N 


Entzüdens aur Folge hatte. 
Sie ward duntelrot vor Freunde und umterdrürfte mur 


mühlam einen Luftſprung, welchen ſie ficher gar zu gern — | 
ausgeführt hätte. Cin paar Tourijten begegneten AR x 


| — Maler, in ſehr gehobener Stimmung. 


: Der روز‎ und hübfchef te von ihnen. blickte Pia über- ۳ رن‎ 
x rait in das reigende Antlig, Dann zog er in übermütiger. et 
۱ Ovation den ou und 00٤ ihn der j jungen Dame zu 


©, Signorina bella” — | 
hub « er eit befanntes italienifches Etändchen an zu fingen. 


Ein fprühender Bornesblice aus Franchens Augen — 


“trai ihn, Komteßchen neigte Yd jablings por und. “0: 
forfchend in Pias Antlitz ۱ 
Als fie dasjelbe ۲ stolz, umd oll ele Rube 


erblickte, ftrahlte ihr unjchönes Geficht 111. ¿ea d 


recht, daß du den ۲ Simmel ganz ignorierit, Pia!“ 





90 


lobte fie triumphier end, im Eifer ſogar den fchönen Namen ۰ 


„Lilian“ vergeſſend er glaube, der unverjchdmte Kerl 


teht immer. noch und: globt dir _ Soll — mal 


die Bunge herausſtecken 8۳ 
Fräulein von Nördlingen drückte entjeßt den Arm des 


eipörten Bäschens an HO: Anterſteh Dich nicht” ٤ 


ſie fireng. „Sieh. dich überhaupt nicht nad) Den Herren 


um! Golde Reet heiten bemerft eine nn Dune > — 


gar nicht!“ x 
Fandeſt Du 8 Seheufal ۳00 Bibl?” 


lber, Fringchen, welch ein ٤ ett = 


unmwillig bas Köpfchen ۱ 
„9b du ihn hübſch fandeft 2” 
„Sh habe ihn gar nicht ange) jehen 1” 
„Das it recht. Mama jagt immer, man muß bie 
Herren auf der Straße gar nicht muftern I” — ےم‎ 
Geſchweige ihnen als Be Da Die Bunge 
0“ ۱ 
Komleßchen late: „Sch bin ja ae gar ah ere 
wachjen! DO, Bia, wenn ich jest ichon erwachſen wäre — 
Ein tiefer Seufzer begleitete diefe Worte: „SE geht 
doc) verteufelt langjam damit! ae 
„Als Mädchen rechnet man mit jechzehn Jahren jon - 


vollſtaͤndig zu den لے‎ wenn man ſich danach x — 


0 
poe, als we a jähfingg den Kopf zu Der 

Mutter umwendend, welche bei den letzten Worten an die l 

Seite 5 Töchterchen getreten war, fuhr Fränzchen lachend 


et = 


fort: 71.٤٣ ا‎ ٠ — gut, ا‎ 9 x 
ein Mädchen geworden. bin, Mama! oe a 
` BWildfang du” ae | 
Tante Sohanna blieb por einem altertümlichen Häuschen 
ftehen und betrachtete es amüfiert, Pia auf die wunderlich 
6+ Hausthür aufmerljam machend, dann jab 
fie nach der Uhr und fand ¢3 an der Beit شم سرت‎ 
ba das Eſſen nun wohl bereitet fein werde. - | 
Fränzchen machte ein brummiges Geficht: Sebt schon? 


Dann treffen wir womöglich Bias Berehrernoch einmal!“ 
„Freue dich doc, wenn deine Coufine foviel Bewunde: ے‎ 


‚rung erregt!” 
ور‎ — Hm!“ 

Ein feltiamer Ausdruk lag plötzlich in dem — 
der jungen Gräfin, und Pia verſtand nunmehr ihr fel 
james Wejen. Fränzchen war eiferfüchtig, wie alle i. 
bent Madden auf Die Triumphe per bevorzugten Gee 
x noſſinnen neidiſch find. 

Neid war e3 aber nicht in — ‘Cane, bani 
beherrſchte zu piel Herzensgüte und harmloje Heiter feit 


ihren Gharalter, aber eine "۶ Eiferſucht mate 17 


dennoch geltend, und das deuchte Bia nur begreiflid) und 
jelbitverftändlich. Cs muß icht hart für ein heran 
wachiendes Mädchen fein, jeine eigene Häßlichfeit doppelt 
ſchwer neben einer hübſchen Freundin empfinden zu müſſen! 

Vor 80 blieb fein Maler ftehen, fie voll ۶ 
zücken ناو‎ grüßen, und darum wallte es 98ا‎ in ihr auf = 
und fie dirgevte ſich feiner Frechheit. — 


Arme ene! Wie e چ و‎ Tropfen witb 1007 = 


int den Hreudebedher قاط‎ Lebens. fallen! Bia wird re 


000 nichts: basu thin, une dem jungen Mädchen den 


grellen 112 zwischen ihnen 7 31 maden. ۱ 


Sie fühlt großes, herzliches Mitleid mit einem jungen 


Herzen, 58 fein id) Qualen {cidet, von denen wandern = 


begnadete Menjchen gar feine Ahnung haben. 


„Pa, — wenn der Menfh nun auf bi wartet! رھ"‎ 


` fragt اھ‎ stontelfe. abermals, und ee duntlen کے‎ ۱ 
blicken 0 eh — — ۱ 
۳ von 6 ۵۰ 006 elb ben Kopf, 


Dann wollen wir ihm dieſes ھ۸‎ Ber 7 ہت‎ 


0 beſchadet lan!“ ۱ 
Du pnerliebit dich viet HU ae oH ue رج‎ 

Nun lachte ihre Nachbarin hell auf | 

„Srängchen, bu bift nicht recht ge} eit! a ben ae 


taſtiſchen Menichentindern, welche fich auf Den erjten Brick ae 


in einen jouer Unbekannten verlieben, gehöre ich nicht 
„Du bift zu ſtolz Dajte | 
Nenne e3 fo, wenn Du 7 
N wirft nur einen Grafen. heiraten‘ Se 
Da zudte das blonde ‚Köpfchen in den Naden und 
dr mißtrauifil ily forfchende: Dic, we (her Pia in 7٦ 
Zeit cigqenthiumlid geworden, bf übte ju der Fr agerin hinüber, 
you writ!” fagte fie falt, 00ر‎ werde nie nach Namen, 
| Stellung und Mittehr eines Mannes fragen, an جا‎ 
dem ‚heiraten, welchen. ich. liebe 1⁄2 — 
ر‎ wenn mun feiner kommt, den du icben fone = 


— 301 — 


„Dann bleibe ich وه‎ ۱ x 
Fränzchens Geficht روما‎ nic fait bu teh? on 
19101315, fet wicht jo. finds init | 


„sch bin ja gar nicht kindiſch, Mama! Ich wis meiner x 
füßen Lilian ja ۳ den Vorjehlag machen, bab fie gar ہے‎ 
nicht: heiraten, Fondern 1 bei ıı mit bleiben ioe Wire ie 


das nicht herrlich, Di 2 x 
Ria lachte abermals. „Wer weiß, Fisher. SS. 
wire vielleicht das beite und friedlichſte Glück, welches ih 
mir wünjchen könnte! Aber du würdeſt auf die Dauer Dod) 
woh! nicht mit der شرت‎ Schulmeiſterin zufrieden fein!” 
„Doch! Doch! — o dann würdeſt Du mir eben feine. 


Schulmeifterin mehr fein! — jubelte Die Komtejje und. 
vergaß in ihrer Freude dic کے‎ welche fie bl. o 
dieſem Spaziergang gewahrt, — fie hep Was Arın ھا‎ 7 Ç EN 
und jtürmte nach Der 601010010118 ‘To der ra n mit — 


Friedrich im Geſprach ſtand 
Beide fchrten ihr den Nüden zu. 
Fränzchen aber faufte heran, machte. einen وس ا‎ 
Stütz auf je einer Schulter der beiden und ihwang vie 
ſekundenlang zwiſchen ihnen, wie an einem Tuͤrnreck 
Der Erbherr von Niederl fnicfte unter der uner warteten 
Wucht zuſammen wie ent Taſchenmeſſer und Friedrich jant 
ae -altersjdjwach und erfchroden in die Sinie, — Tante: 


ee Iohanna fornte aber vor Lachen faum meter gehen, j 
2 prebie زود و‎ gegen die Lippert und founte gar a 


a nicht wieder zu ten kommen : ee 
Wie unbejchreiblich tomi ich das nei - ات‎ 


=, 02 = 


ey me Frauenzimmer — — mit den fchlumprigen Rleiderz 


p — ich ertrage es nicht mehr!” und fie.‏ — — اق 


< wifdjte Die +7 aus den Augen. Dann fab fie 


Pias betroffenes Geſicht und ward etwas verlegen „Sie 
aft eine furchtbare Range, liebjtes Herz! — wundere dich 
nicht allzu jehr über ihre Tollheiten, welche bir 8 


böhmiſch vorfommen! Wir find ja feit Jahren daran 


gewöhnt, und Willibald will’s mal jo, — er iit ja jonders 
bar m feinen Anfichten, aber des Menjchen n Wille ift jein 
Himmelreich! - — Nur um eins bitte id) Dich, mein Lieb: 
ling, nimm den ‘Unfinn, we (hen Hrangden zeitweife redet, 
nicht allzu genau! Sie yt fo begeiftert, endlich in bir 
eine Gefährtin und Freundin gefunden zu haben, Daf 
ihre Liebe nun in himmelhohen Flammen brennt! Wir 
haben fie ja ftets einjam und ohne viel Verfehr erzogen, 
da empfindet fie den l mut ie num oer Poppelten 
n Den. — 
agit — fonnigen, noch unbelaubten Michigan, welcher an 
Hd dicht am Rheinufer, gleichſam اہ‎ terrafjenartiger 
Garten des Gaſthauſes Hingog, hatte man ausgezeichnet 
diniert, und ‘ye goldiger der ſchoͤne echte Rheinwein in 
den gelben Släfern funfelte, dejto animierter ward die 
Stimmung der Heinen Gefellihaft. Fränzdiens feliger 
Übermut fannte faum noch Grenzen, und nur ber ernite, 
erjtaunte Bid aus Pias Beil henangen dämpfte 7 
nod) die. hochſte Luſtbarkeit und. ae none Heine 
Rüpelei in der Kunoſpe ee 


نت 308 سے 


Der Graf hatte zum و‎ jeines Töchtercheng 


wirklich ein Maultier und ein paar Ejel auftreiben laffen,um 


den Weg bis Rüdesheim im Sattel zurüclegen zu — 
Gerade heute jet beſonders ftarfe Nachfrage nad) Eſel 
geweſen!“ hatte der Wirt ſchmunzeln id bemerft, „mehr wie 
drei €tüd, zwei Eſel und ein Maultier, forte er leider 
nicht bei ichaffen. Man einigte nun Hd fehr leicht dahin, 
daß die Gräfin mit Sungfer, Diener und Handgepäd im 


Wagen nachfahren ſolle, während. Willibald das Maultier — 2 


und bie jungen Mädchen die Ciel bef jteigen würden. = 
Unter großem „Jubel rüftete Hd) die fleine سز‎ 

.. Em Herr hatte ſoeben ichon — per Ejel — Ddentelben 

Weg و رن‎ und وھ‎ drängte voll Ungeduld, 

daß ber Nitt beqinne. Die weiten Negencaps wurden 


` genial zum Neitfleid arrangiert, die Ejeltreiber hoben die 


Damen vergnüglich in den Sattel, der Graf ſchwang ſich 
auf ſein geduldiges ار‎ 87 und mit Erlaubnis > 
hannas febte fic) Die Feine Geſellſchaft m ‘Bewegung, 
Dieweil Die Equipage ipäter folgen und fie einholen 
ſollte Anfänglich), jo lange nod) die rechte Seite der 
Straße mit Häufern und Villen gejäumt war, ging Die 
Suche ausgezeichnet. ۱ 

Die föltlihe warme Frith ling 00 it wehte balſamiſch 
um die erhigten Wangen; fröhlich lachende Menſchen Bes 
gegneten ihnen und nickten heiteren Gruß und ſeitwärts 
ſtrömten fmaragdgrüne Rheinwogen, Schiffe und Schif flein 


tragend, blauen Himmel und buntbelebte Ufer fpiegelnd. 


Die Fahrſtraße machte nun eine kleine Biegung und 


— ہے — 


_ fag — der majeftätiichen Breite des Stromes frei i und x 
e vor den Blicken کچ ہت‎ 
Fernhin jab man zwei männliche امن‎ Fei, ee 


— neben ihnen einen Gfel. 


Das Grau schinmelchen, auf welchem Bin Blak ےد‎ ES = 
HOHEN, مک‎ 1 paarmal verdächtig mit den langen 5ت‎ 
Ohren. und. hob Jati ings den Kopf, und vpahrend der 
Traber ‚harmlos ntit feinen. Stolfegen und Frängchen plant پت‎ 
امت‎ febte ih Pias Reittier plop! ich in رس‎ Bee. a 
0 und ی‎ wie ai davon. Alles 2 "320 


1 md frie, 


Der reiben site سط عامس‎ — Fin, E — x 
x geübte Reiterin, rip. den Durch ginger fo gut fie vermochte, 3 
zuruch — umfonjt, der Eſel legte 191 سس‎ mit — oe 


Dalle vor und jagte Halt! 03 ۰ 
Weit zuruck blieben die anderen. x ا ارت‎ 
„Bir müſſen doch folgen = poren Sie lere Tiere | 


NUN o 1 0 fo erregt, dap ihre Stimme : x 
BR überfehnappte, — 0 mit, ‚aller Bucht auf ifr Grauen. و‎ 


` um animierte Den Papa, em Gleiches zul thun 


Aber ſo ftörrifch wie Ras Eſel ih im | Durchgehen 


zeigte, ebenſo hartnacki en Die anderen a uhu 


eine schnellere. Gangart. — Heese‏ کے 
leg Stopen, Schlagen, 8 Barren Dalî id, im long ۱‏ ` 


ae =< tones Trott ging eš fürbaß, jo dap 7288. von Neds — — 
ingen bereits AIR f einem en e bers = 


_ oe . ےج ےت‎ 
„Um Gotteswitlen, e3 wim igre ein w Unghie pail even! oe 


— beforgte fid) der Graf, und Fränzchen ward firfhrot : — چ‎ 
vor Angſt und Aufregung und drohte: „sch fpringe ab 


und laufe zu Fuß hinter Lilian her!” 

Der Ejeltreiber kehrte reſigniert zurück 

„Bitte, ängftigen Hd die Herrichaften nicht!” bat er 
atemlos, ¿Der Hans läuft. nicht weit! Er Hat da vorm 
bei dem Herrn jeine Grete gewittert, und da muß er — 
1011601 es 

„Seine Grete? Wer it Seine Grete?” — ۱ 

„Der andere Gel, mit dem er in dem Stall ſteht, 
guädiges Fräulein, Die beiden gehen ſonſt immer Alu 
jammen. So ein Ejel Hat aber aud) jeine Trene ۸۵ 
 Anhänglichfeit, und id glaube, der Hang ſchwämme 


chnurgerad durch den Rhein, wenn drüben feine Grete 


Na — jest hat er fie ja gleich erreicht! Das‏ — اما 


` gnadige Fräulein hält fich großartig im Eattel, und 2 
wenn das Pärchen vereinigt ijt, werden bie anderen 
def haften der Dame zu Liebe wohl auf uns warten —_ 
„Da vorn geht ein einzelner Herr neben dem a 


Nur ein Herr?” x = 
„Zawohl, gnadiges Fräulein, er hat das Tier qe 
mietet, um fein Handgepäd von ihm tragen zu lafjen.” 

„Ein junger Herr? Etwa einer mit langen, blonden 
Haaren, welcher wie ein Maler ausjah?” fragte Frängchen. 
„Nein, meine Dame — fo jab er nicht aus, wenn 


ich mich recht erinnere; er war ein felt großer, briinetter 


Herr in ی‎ Duta mit einem recht ernften, ftolzen 
Seficht! Sicherlich hatte er Frau und Kinder ano, 


Yt, IO: IH. Nom. u. Nov., Der Majoratfberr | EN R 





Denn für gewöhnlich 0701 fic) Dic unverehelichten 
Herren ganz anders hier am Rhein — dant ichlagen 


fie mit Füßen und Händen um ſich, fo recht über die 


Etränge, wie man zu jagen 7 

۱ „om, — mid das that jener da vorn nicht?“ 
` „O bewahre! dem jah man den foliden Chemamı 
ſchon auf zehn Schritt weit: an; da braucht fich Die 


— — 


Herrſchaft gar nicht zu belorgen! 2 Wenn das gnädige — 


Fräulein bei ihm anfommt, dann wird ihm: Fribe — 
was der andere Gfeltreiber iſt — don Die Cade von 
wegen Hans und Grete klar machen, und wenn er dann 
Beit hat, wird er ſchon Sebrt machen und Die ® Dame zu 
uns 1۲1168111061114 — oe 
Franzchen atmete erleichtert auf. ee 
ray Willibald schien. die Cache nicht fag. zu 
nehmen. Gr {chien fich fogar über Die ng: Cituation, 
in welche „Lilian Luror’ geraten war, zu amüfieren, 
und Die treue Liche des Eſelpaares فوخ‎ er 7٤ 
nod) au 22000 wie er an تر‎ {ud ee und 


‘Hans habit, — 
Da alles Brügeln, Räſonnieren, € chmeicheln und Bue - 


‚reden nichts half, ah fich Fränzchen Ihhegih aude 
in Die Starrtöpfigfeit ihres abgetricbenen Neittieres, ud — 
befchränfte Tih darauf, die Heine Scene, welche fic) weit 


bor ihnen auf der Chauſſee abjpielte, jo gut cë ging mit 
ihren. 11 Kae u 0 


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