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The Gift of
FRED & Dora ScHWITKIs
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Dataly von Efihlienth
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Alluſtrierte
Romane und Dovellen
Ameile Serie
Elfler Band
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Derlagabuthhandlung von Paul Li
Comödie
Roman
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Nataly von Eſchſtrukh
-Pat Ullufivationen von Shwormfädt, |
II
Teipiig
Derlagsbuchhandlung von Paul TR.
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i DEC, 18 1941
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So þin ich beruntergefommen —
‚And writ es doch jelber mit, wie?! es
ar i anne
XIV.
FA | ach welchem Bahnhof befehlen der Herr Baron?” -
, fragte der Diener mit erwartungsvollem Gc-
ſicht, den Hut in De vn am Anal n
a
— bei Ser Pantier —— vorfahren.”
Derſelbe rüſtete fih gerade zur Fahrt in die Oper,
er empfing zubor den Kommerzienrat. Auch Diejer
war eilig. „Lieber Freund, eine große Ditte, verwahren
Sie während meiner Neije diefe drei Teilichlüffel von
meinen Geldjchränfen, mein Schwiegerſohn empfing die
336 5
dazıtgehörigen Partner und ift die einzige Perfönlichfeit,
welche weis, daf ich Ihnen dieſes Trio in Haft gab!”
„Zeuerjter Baron, ich verreije ſelber morg ir vier
Wochen!” nn
Lehnberg lächelte, feine Augen führen < auf: | as, |
thatjächlih, Sie verreiien? Hörte bereits davon läuten! ne
Aber gleichviel, id fehre unter zwei Monaten auf feinen
Fall zurück. ‚Schließen Sie die Schlüſſel ruhig in Ihren
Sefretär, Sie haben j ja für Uneingeweihte nicht den mindeiten
Wert! Sg bitte von Herzen darum, habe wahrhaftig
feine Reit, noch) zu jemand anderem zu fahren, mein
Zug geht bereits in einer halben Stunde ab!”
„So reifen Gie jo plößlih hin, lieber Baron?”
Lehnberg lächelte veridhmigt: „In Wien, jagt er,
muß man fein, jagt er!” fang er, bereit zum Hut greifend,
„das Gaftipiel der Eleinen Torelli ift Hier beendet —
da gebe ich ein Etüd Wegs das Geleite!! en hier die
<chlüffel.“
„Sa, ih verfchließe fie gern, aber während vier Rachen
find fie alsdann für niemand, mh mir Sie nicht zu
erreichen!“ | eo 252
„But! Gut! — Ganz most — Sad nejel
„Biel Vergnügen!” En o
Und abermals fprang der Kommergienrat in den
Wagen; fein feiites Gejicht glänzte, er rieb fid) die Hände
und warf ſich jehr behaglich zurüd! Zum Sentrafbahuhujl"
befahl er.
Dort entließ er den Wagen und die renerihaft febr
970
aılig, da die Frau Vicomteſſe in das Theater fahren
wolle „Sollte die Gnädigjte fragen, wohin und wie
lange ich reije, jo fagen Sie: In geichäftlichen Angelegen—
heiten nach Wien, in fünf Tagen bin ich zurid. Den
Brief an die grau Vicomtejfe ließ ich bereits bejorgen.” —
Als die Diener ihn verlajfen, engagierte Lehnberg einen
Dienftmann, nahm eine Drojchfe zweiter Kaffe und fuhr
zum Nordbahnhof Er. vertauichte den Klapphut mit
einem weichen Neifefilz, {dlug den Kragen hoch empor
und ichte jich eine blaue Brille auf — beinahe an NG
gemacht, — er den Perron.
Vier Wochen waren vergangen. Cine Neuigkeit allars
mierte die Nefidenz, wie fie jeit Menfchengedenfen nicht
annähernd jenjationell die Gemüter erregt hatte.
Der Vicomte von Saint Lorrain hatte ſowohl fein
eigenes, wie auch das Vermögen feiner Gemahlin bis auf
den legten Heller durchgebracht Man ſprach von Spiel-
verlujten, unglüclichen Spefulationen, und feiner grenzen:
ofen Verſchwendungsſucht Die Scheidungsflage war
bon der jungen rau bereits eingereicht. Man fagt, ein
Zufall habe fie von dem Geſchehenen in Kenntnis geſetzt,
kurz nachdem in die bereits recht unglüdliche Ehe eine
Heine Wendung zum Befjern eingetreten jet. Der Vicomte
jet von der Reiſe zurüdgefommen, um fich mit feiner
Gemahlin augzuföhnen. Sein Verlangen, mit ihm nad)
Paris überzujtedeln, habe fie jedoch auch jetzt wieder
hartnäckig zurücdgewiefen. Ja, man wollte wiſſen, daß
N.v. Eſchſtruth, IE. Rom, t, Nov., r Comöbie II. Ai 22: =
— 338 —
fie bereits cinen Prozeß gegen ihren Mann anſtrenge,
welcher ſich ſchier unglaubliche Eigentumsrechte auf ihr
und jogar ihres Vaters Verniögen anmafe.
Eine hohe Schuld Habe der Vicomte am Zahlungs:
termin nicht abtragen fünnen, weil der Herr Echmwieger-
vater verreift und feine Geldfchränfe für ihn verſchloſſen
gewejen wären, und nun hätten fidh die Gläubiger an
Frau Aglaë gewandt. Da fei die Bombe zum plagen
gefommen. Sogar die Diamanten wie der ganze Schmuck
der Vicomteſſe fei bereit$ von ihm verjegt worden, und
die Gläubiger legten Bejchlag auf das Palais mit dem
gejamten foftbaren „snoentar, weil in der Che des
jungen Paares Gütertrennung nicht ausgemacht jet.
Man erwarte voll fiebernder Aufregung Die Rüdtehr deg |
‚alten Lehnberg, der diefem Standal ein Ende bereiten folle. a
el glaë habe fich jedod) fofort von ihrem nichtSwürdigen =
Gatten getrennt und bewohne das Haus des Vaters.
— ſchon dieſe Nachricht in der ganzen Stadt gewirkt
le ein Funken im Pulverfaß, fo ward fie an Überrafchen-
dern und Eenfationellem doch noch übertroffen durch das
folgende Gerücht, welches anfänglich nur als „on dit‘,
bald aber als effektive Tatſache befannt und mit nie
gekannter Aufregung bejprochen wurde.
Der Kommerzienrat Baron von Lehnberg war mit
einer Balleteuje durchgegangen! Eein ganzes Vermögen
hatte er flüffig gemacht und mitgenommen und nebenbei
fo viel Schulden hinterlafjen, daß feine Tochter volllommen
mittellos und verarmt zurückbleibt.
— 339 —
Wie ein Sturmwind Daher fegt und alles empor: |
wirbelt in die Lüfte, jo ſchüttelte die hochgradige Muf-
regung das Bublifum fast aller Gefellichaftsjchichten, und
erſt jeht zeigte es fich fo recht, wie außerordentlich unbeliebt
Aglaë und Lehnberg überall geweſen Man hörte faum
ein Wort des Mitleids, im Gegenteil, manch’ ſchaden—
frohes Lachen wurde laut, und man jagte achjelzudend,
daß die Bäume doc niemal3 in den Himmel wachen
jollen! Unter einer Grafentrone wollte eg ja das Hod-
mütige Fräulein nie thun! Und alë der Herr Vicomte
glücklich angebiffen hatte, plaßten Bater und Tochter beinahe
vor Hochmut! Jetzt aber würde Frau Aglaë wohl Gott
auf den Sinien danten, wenn fie jtatt ihrem jo jehr vornehmen
Herrn Gemahl den ichlichteften bürgerlichen Ehrenmann
geheiratet hätte!
In den Hoffreifen erregte es großen Unoiflen. und
Entrüftung, daß der Franzofe in fold empörender Weiſe
feine hiefige Gaftrole abjchlog. — Man hatte ihm nie
fo redjt getraut und ihn für etwas abenteuerlich gehalten,
aber die Empfehlung feiner herzoglihen Tante erzwang
ihm gemiffermaßen die Aufnahme in der. Gefellichaft.
Wan erzählte ſich als ſehr bezeichnende Tatſache, daß
der Vicomte ſein ganzes Vermögen längſt durchgebracht
und in Paris für emen berüchtigten Spieler gegolten
habe; nad) dem Rebensmwandel de3 Schwiegerfohng
hätte fidh Der Kommerzienrat jedoch niemals erfundigt,
ihm ſowohl wie Aglas habe e3 genügt, vor der Ber-
fobung das fichere Factum zu erforjchen, daß Saint
DIE, |
LORTE (re
HR
ioman aus einer ſehr omade und alten Familie
< c tamme. Das war allerdings eime Thatſache, — aber faſt
an jedem Baum gibt eg eine wurmftichige Frucht, und
auch der Stammbaum der Saint Lorrain hatte in dem
legten Sprofien Louis eine ſolche getragen. Er mar ein
leichtfinniger Fant, in fchlechter parijer Geſellſchaft völlig
verdorben und ein GlüdSritter geworden, welcher, auf den
leider noch immer jo leicht. geblendeten deutſchen Michel
bauend, in Deutichland nad) einer Millionärin gefucht
hatte, welche eitel und thöricht genug war, fih und all
ihr Hab und Gut einem Abenteurer mit Der Grafenfrone
anzudertrauen! | |
Der alte Lehnberg war doh nicht fo einfältig und
beichränft gewejen, wie man ihn genommen hatte. Cr
durchſchaute endlich den ‚Herrn Schwiegerfohn, fah die
Kataftrophe tommen und ſich mo aus dem
Stande
Aber Aglae? Ras wird aus ihr?!
Man m gleichgültig die Achſeln Wie maws treibt,
fo geht's! Mag fie ſehen und es nun erkennen lernen,
Be: es armen Leuten zu Mute ift, auf welche jie früher
(l Verachtung berabgefchaut.
Der Vicomte war ohne weiteres abgercift, al er von
der F lucht des Schwiegervaters und den abſolut troftlojen
Verhältnifjen überzeugt gewejen war. Der Scheidungs-
prozeß nahm feinen Verlauf, und die Qicomtefje von
Saint Lorrain verfuchte, jo gut es ihr bei der völligen,
verzweifelten Faſſungsloſ igfeit möglich war, die Angelegen=
— 341 —
heiten mit den Gläubigern zu ordnen. Wie man fagte,
jollte die Herrſchaft Moosdorf, welde der Baron feiner
Tochter noch als oem hinterlaffen, wangeweiſe
verkauft werben.
Aglaë jaß in Dem herel deene ihres
Vaters, wo fie joeben den munmehrigen Beſitzer des
Hauje® empfangen hatte. Diefe Angelegenheit war ge:
regelt, und blieb ihr vorerjt nichts, als Die wenigen
Schmuditüde, welche fie in einer Heinen Schatulle in
ihrem Ankleivezimmer für den täglichen Gebrauch bereit-
ftehen hatte. Auch auf ihre Toiletten hatten die Gläuz
biger, meilt jelber jehr reiche Leute, verzichtet, und nun
handelte es fih nur noch darum, ob durch den Verkauf =
don M o08dorf jo viel einfam, daß ihr nach Abzug der
Schulden noh ein feines Kapital übrig blieb, Dann
mußte es fich entjcheiden, ob aus der Millionärin that⸗
ſächlich über Nacht eine Beltlerin geworden. Leichen⸗
hafte Bläffe bedeckte das Antlig der jungen Frau; ihre
Augen ichauten aus tiefem Schatten müde und über-
nächtig, und das jchwarze Wollfleid ließ ihr elendes
Ausjchen noch jchärfer hervortreten. Uber trotzdem
(ag fein leidender oder unglücklicher Zug in dem fchönen
Muntlig, vielmehr eine Energie, welche ihm jonjt fremd
gewejen, und eine leidenjchaftliche Erbitterung, welche
vol düfterer Glut aus ihren Augen jprühte — Das
Unglüd hatte fie getroffen, und fie hatte e3 dem Namen
nach fennen gelernt, Der eigentliche Begriff des Wortes
ige:
Armut aber war ihr noh fremd. Noh war in ihrer
Umgebung alles. unverändert, nod) ließ fie die Gropmut
ihrer. Gläubiger im Beſiß des Hauſes, bis Moosdorf
berfauft war, nod) quälte fie feine Eorge um ihr täg-
liches Brot. Und darum war ihr Stolz, ihre ſchroffe
Heftigfeit noch nicht gebrochen, im Gegenteil, das Bewußt⸗
fein, durch ihren furchtbaren Sturz aus der Höhe, durch
ihr entjegliches Echidjal der Gegenjtand der Schaden:
freude der ganzen Nefidenz geworden zu fein, reizte fie
auf zu feindjeligfter Oppolition, und weil fie annahm,
daß nur Neugierde die ehemaligen Freunde zu ihr trieb,
ſchloß fie fich unverjöhndbar ab von der Mitwelt und
gab Befehl, feinerlei Sn bet ihr zu melden oder vorz
Ba |
- Mit farkafti ichem Lachen. ‚warf fie die Bilitenfarten
von fich und ballte die kleinen Hände unter den Folter:
qualen der Scham und Demütigung. Da hob fie den
bittern Kelch ihres Elendes abermals an die Lippen,
aber auch jebt nippte fie nur daran, und e8 waren noh
viele, viele Wermutsiropfen zu jchlürfen, bis er zum
Boben geleert war, bis fie durch die jchwere Schule des
Schickſals gegangen, welche ihr bejchieden war.
Eine Karte von einem ehedem jehr treuen Freund
des Haujes, Profeſſor Wendhanfen, welcher ihr voll herz-
licher Aufrichtigfeit jeine Hilfe und jeinen Beiltand ans
bietet. Aglaẽ fnäult das Papier zwiichen Den Händen
und beißt die Zähne zujammen. Sie will und braucht
feine Hilfe, ſie wird jchon fertig werden in der Welt!
an 343 —
Es wäre ja ſchlimm, wenn alle Frauen, die plößlic) ver-
armen, gleich Hungers fterben jollen! Sie will fein
Mitleid! Sie will allein ihren Weg gehen und ihr Fort-
fommen niemand zu’danfen haben! — Sie haft die
Menjchen! Sie mag niemand mehr horan | und ior, a
fie hat abgejchloffen mit allem. BB
In Jepen fliegt das Billet zum Kamin hinab, und
Aglas jtügt zornig das Köpfchen in die Hände und denft
gar nicht daran, dem Profeſſor überhaupt zu antworten.
Was foll dieje Freundlichkeit auch anderes bedeuten, alg
einen beritedten Hohn, al3 eine edle Rache für die Be
leidigung, welche fie ihm und Hans Burkhardt damals auf
dem Bazar angethban? Er ließ fich feit jener Zeit nicht
mehr in ihrem Hauſe jehen, weil er beleidigt war, jet
aber, wo jie im Elend ift, will er über fie triumphieren
und will jeine Genuathuung haben in dem Gedantfen,
da die jtolze Schöne fich nun demütig und hilfeflehend
an jeine rettende Hand Kammern fol. Und fo wie er
— jo benfen alle, die ihr folh’ gnädige Anerbieten
machen, Die fie aufnehmen oder ir Unterjtüßung ange:
deihen laſſen wollen.
Ein wilder, leidenichaftlicher Rampi — ihr
Herz. Sie geht mit erregten Schritten in dem Zimmer
auf und nieder, ſie überlegt mit fiebernden Pulſen, was
fie beginnen fol, wenn der Erlös von Dioosdorf ihr
feine Exifteng fichert. Sie beit feine: Talente - — font.
weder malen, nod fticken, noch Irätftelleen; das 5 Biden
Mujit nügt ihr leider nichts !
34
An ihrem Kleiderſaum M tajchelt ‚etwas, Gie blidt
mechaniſch danach zuriick, Ein Stüd Theaterzettel: le. .
Hochzeit des Figaro!” Sie war noch vor kurzer Zeit
in die Oper gefahren und hatte ſpottend einer bekannten
Dame gejagt: „Welch eine entſetzliche Debutantin!
Die Berfon benahm fi) ja wie ein Stod umd ——
vollkommen, daß fie Comödie zu ſpielen hatte, und fo
gut wie fie, finge ich die Arien der Gräfin auch noch!
Ich hoffe nicht, daß man uns sr EÖROUENIDEIE
dauernd engagiert!’ a
Aal ae zuckte jähling? zufammen, ihr Auge plite auf.
Singen! — Sagte man nicht, fie befige eine jchöne,
fräjtige und klangvolle Stimme? Hatte man ihr nicht
unzählige Elogen und Komplimente über ihren dramatijchen
Vortrag gejagt? — D, fie glühte ftet8 vor Wonne und
Begeifterung, wenn ſie in itrahlender Pracht, befrie—
digt und fröhlichen Herzens im Muſikſaal ihres Vaters
ſtand und eine höfliche Menge in atemlojem Lauſchen
an ihren Lippen hing. — Wie fang die Tochter des
Millionärs die „Bettelarie” jo wunderbar ergreifend,
daß faum ein Herz ungerährt blieb? Wie fonnte fie,
der aller Herzen zu Füßen lagen, jo unausfprechlich
traurige und flagende Lieder von verlorener Liebe und
verlorenem Glüd, von Fal heit und Verrat fingen! —
Und fie jang meiſterhaft. Sie hatte ja ſtets im Reben
jo vorzüglich Comödie gejpielt und immer damit Glüd
gemacht, warum foll fie, die PBriejterin der Comödie, diee
jelbe nicht auch zum Beruf, zum Jnpaltihres Qebens maen?
+49 g
Die dunflen Augen der jungen Frau glühen auf,
ihre Wangen brennen plöglich in heißem Purpur. Shre
alte, ungejtime Lebensfreude überfommt fie. — Sie will
Sängerin werden! — Jhr Ent-
ſchluß ift gejat! — Wie viel
teure Stunden hat fie genom-
men! © wird nur noch einer
furzen Ausbildung bedürfen,
um fie reif für die Bühne zu
machen. Ihre wundervollen
Toiletten werden ihr dabei noch
jehr zu Itatten kommen, fie er:
-fpart durch fie die große Anz
ichaffung koſtbarer Koſtüme
All ihr Leid und ihr Elend iſt
vergeſſen, Aglas lebt nur noch
in dein Gedanken an ihre tünjt-
leriiche Laufbahn.
Der Himmel hängt ihr
voller Geigen — fie fieht in
rolige, lodende ernen, fie
jieht plöglid das Ideal und F
den Traum ihrer Jugend ver- wS gr
wirflicht! Das flotte, über: 7
mütige Bretterleben hatte fie jtetS gereizt und angezogen!
Sie verfehrte ja früher mit Vorliebe mit Künftlern, bis
fie in Paris in allzu nahe Berührung mit einem der:
jelben fam und ihr Hochmut eine Scheidewand zwifchen
= uM o
ihr und „dieſen Leuten da unal” ee Das
alles aber war vergeljen; fie Dachte nur an die Beit,
wo fie alle Bühnengrößen noh im Haufe ihres Baters
empfing, wo fie mit den Herren fofettierte und mit den
Damen jehr intim war, um deſto beffer in die Myſte—
rien jener Belt hinter ben Couliſſen eindringen zu
können!
Alle dieſe Pente a waren ja jehr liebenswürdig zu ihr
geweſen, und wenn nun auch der Verkehr aufgehört hatte,
feit fie Baronejje Lehnberg geworden, je nun, jo war.
die ja doch nur ganz begreiflich gewejen! Als fie in
die Hoffreije eintrat, fonnte fie Doh unmöglich nod an
artige Beziehungen aufrecht erhalten.
So wie ih Die Sache mit Moosdorf entichieden bat
wird fie jofort zu einer der Damen fahren und ihren
Plan mit ihr bejprechen. Man wird ihr gewiß alljeit3
behilflich jein, und fie wird dann nad) Wien oder Prag,
München oder Berlin an die Oper gehen und fih all-
abendlich applaudieren laſſen
Aglaë jchellte — es fam niemand. — Gie felte
abermals, gornig und anhaltend. — Geit fie nicht mehr
die Millionärin war und die Verhältniffe fidh im Haufe
jo jehr geändert hatten, waren die Dienftboten unerträg-
lich geworden. Much jebt trat endlich ein Diener mit
mürriſchem und undevoten Velen ein.
Dieſer Brief jolte an den Nechtsanmwalt beiorat
werden! Wie kommt es, daß er nod) hier liegt?”
herrſchte ſie den Mann an.
— 347 —
Er zuckte nachläjjig die Achleln. „Cs wird wohl
niemand Zeit gehabt haben!“ entgeguete er freh.
Aglaë ftieg das Blut in die Wangen. „Ift jebt
etwa mehr Arbeit wie jonjt? — Sit es früher jemals
vorgekommen, daß ein Befehl ignorieut wurde p”
Der Burſche
lächelte ſpöttiſch
‚sa, früher!
‚früher befumen
wir auch unlern
Sohn bezahlt!”
Die junge e
Kran zudte gu =
jammen. „Nun |
— und gejchieht
Das jet etwa
niht?
„Nta — mer.
foll ung denn nach
dem allgemeinen | =
Banfrott bezahlen?” — war die rüde Antwort, „wir
haften aus, weil wir vertröjtet find, daß Die Frau
Bicomteffe nach dem Gutsverfauf noch etwas ausgezahlt
befäme, und auch nur darauf hin geben die Kaufleute
noch Kredit, daß wir die Wirtjchaft führen können“
Aglaë war wie ſchwindelnd ſtehen geblieben. Dies
war das erſte Mal, daß man ihr derartig zu begegnen
wagte, daß man ihr die Mißachtung zeigte, welcher die
— 5 >
Armut zumeift ade: ift. — Se höher fie ftand, =
deſto jchwerer und fühlbarer der Fall. En
Zu irer alten, imponirend folgen Beije ren ih
Gräfin Saint Lorrain empor. „Sie werden noch heute
Shren Lohn ſämtlich ausgezahlt befommen!“ ſprach fie =
blißenden Auges. „Und nun augenblidlich den Brief eo:
hier beiorgt, jonit find Sie auf der Stelle entlaffen. T
Dieſer Ton verblüffte. War der Bankrott am Ende
doch nicht fo arg? — Einen fcheu fehielenden Aufblid,
eine unterthänige Verneigung und James verjchwand.
Aglaë aber janf auf einen Sejjel nieder und meinte
heiße Thränen ſchwer verlegten Stolzes. — Cie erwartete
Sautding, den einzigen Menfchen, mit welchen fie in
falter Geſchäftsmäßigkeit als Konfursverwalter verfehrte.
Er jollte die Zeute jofort ablohnen und entlafjen. Aglaë
wollte allein fertig werden. | |
Und wieder war e3 der Gedanke an ihre fünftleriiche
Laufbahn, welcher fie aus ihrer verzweifelten Stimmung
emporriß! Ein fieberndes Interejje für alles, was die
Bühne anbetraf, ergriff fie, und fie faßte nach den
Zeitungen, Die Opernfritifen Der legten Zeit gründlich zu
Itudieren! Hatte ihr Doch einſt eine berühmte Sängerin A N
gejagt, ihre beften Lehren habe fie aus den Necenfionen
ihrer Rivalinnen empfangen, daraus babe fie gelernt,
was jie thun und laffen müjje, um jene in ihren oo
Seiten zu überjlügeln. |
Aglas hatte faſt nie zuvor eine Brltung in die Hand
genommen. Politik, Dörje, Marktberichte und Annoncen
— 349 —
waren ihr unendlich gleichgültig, der Geruch der frifchen
Druderjhmwärze geradezu widerwärtig. — Jetzt empfand
fie nichts davon, mit Ungejtüm neeh forje jte Die
Blätter.
Plötzlich ſtutzte ii Ein groß gebraten Kane fiel
Ahr im die Augen. „Doktor Hans Burkhardt, Privat-
Dozent an der Umiverfität zu X. veröffentlichte in einer
jechiten Vorlefung der überjtarf bejuchten Verſammlung
ärztlicher Autoritäten feine neueſte ſenſationelle Forſchung
auf dem Gebiete krebsartiger Leiden.’
Wer? Hans Burkhardt? — Der Kleine Paͤchterſohn,
der Bauernjunge aus Moosdorf?! — Aglaë ftarrt auf
Die Zeitung nieder wie im Traum, „er hält Borlefungen ?
Er ijt der plöglih aufgetauchte Wunderapojtel, welcher
ein Mittel gefunden haben will, Krebsleiden zu heilen?
Sa, richtig...” Aglaë entfinnt fih, daß man davon
geiprochen, daß das neue Heilverfahren einen Sturm der
Aufregung entjaht hat, Daß es em ganz junger Arzt
jei, melcher fich mit diefer Forſchung in die Reihe der
eriten medizinischen Größen emporgejhmwungen habe, —
aber den Namen? Nein, den hatte fie nie beachtet, denn
fie hielt fich jchaudernd die Ohren zu, wenn von einer jo
efelhaften Krankheit die Rede war! Gott fei Dant, fie
war gejund an Leib und Seele! Gie brauchte fih nicht
für Leute und Dinge zu interejjieren, ropie fie abjolut
nicht3 aangingen!
Sept mit einemmal fiel e8 ihr wie Schuppen von den
Augen. Diefer neue Stern am Himmel der Wiffenjchaft
— — :
war ihr Hans, ihr alter, (ieber Freund Hans. — Und
fie hatte das ſoeben erft durch einen Zufall erfahren = a
joeben erft! Wie war's nur möglid) gewejen, Dah er
nie davon gefchrieben! Gej ichrieben ? Die junge Frau
zucte plößlich zufammen uud legte die Hand über die
Augen. Wie fonnte fie das wohl erwarten, nad) der
Ichändlichen Behandlung, welche fie ihm angedeihen lieh!
— Gie jab ihn nod Stehen in der Stirche, fernab unter
der Menge, den flaren Blick auf fie gerichtet — verächt:
lich, beinahe empört über diefe ftolge, Comödie jpielende
Braut! Nicht unter den Gäften wollte fie ihn an jenem
Tage jehen, denn er hätte ja den glänzenden Zug
ſchimpfiert durch fein ärmlich, ſchmucklos Kleid und ſeinen
klangloſen Ramen, fie N ihn, weil fie fidh jeiner
Ichämte!
Und er follte ihrer noch, gebenfen? Die Zeit, da cr
wahrlich) tr Freund Hans gewejen, die war lange, lange
vorüber. — Aus dem Freund aber war ein Feind gez
worden, der die hochmätige Frau Vicomteſſe haßte um
ihrer Treulofigkeit willen, der ihr fchon damals s gegenübers
getreten war mit dem Beltelduntel der Armut, welcher
fih ihren Millionen nicht beugen wollte. So ftolz und
feindjelig hatte ihr fein Mann je zuvor gegenübergeitanden
wie Hans Burkhardt, denn damals war ihre goldgefüllte
Hand noch frei, und welch ein anderer Mann in der
Lebensſtellung Hans Burkhaͤrdts hätte fie wohl gurit-
gewiejen, wenn fie ihm entgegengeboten worden wäre?
Er aber, er warf ſtolz das Haupt in den Naden
——
und zertrat die goldſchillernde Schlange, welche ihm
alè Verjucherin aus dem Zaufendgüldenfraut entgegen-
funfelte!
Aglaë ift verbittert big zum Hak gegen Gott und
die Welt. Früher hatte fie noch oft an Hans gedacht,
mit milden, verjöhnlichen Herzen, welches ihn herbei-
rief wie eine liebe Traumgeftalt in die grauenvolle Wirk:
lichkeit! Da wähnte fie ihn noch arm, vergejjen und
bedauernswert, da hatte es noch einen gewiſſen Reiz für
fie, aus ihrer Höhe nad) ihm hinab zu ſchauen, wie die
gefangene Königstochter fich herniederſehnt zu dem Schäfer,
der allmorgens feine Herde am hohen Schloß vorüber-
treibt. — Sebt hatten fie aber die Rollen getaufcht, und
Aglaës eitles Herz zudte auf und revoltierte gegen den
Gedanken, daß er, der Verachtete, plöglich hoch ftehe im
Glanz, und daß fie und ihr Lebensjchifflem gejunfen
feien, jo tief, tief, daß fein Emporfommen wieder möge
lidh war!
Wahrlich nicht? Aglaes Augen blitten auf. — Noch
ift das Lied nicht aus! — Noh gibt e3 eine lockende,
ſtrahlende Zukunft, reicher an Qorbeer und Gunft, als
wie die eines armjeligen Doftors, der vor feinen Stu-
denten und Ärzten ein paar Reden hält und feine ganze
Kunft nur in dumpfe Sranfenituben tragen fann! —
Er wird zeitlebens am Boden leben, da, wohin ihn
Elend, Not und Krankheit feiner Patienten bleifchwer
ziehen und feithalten! Aglaë aber wird auch künftig
ein Schmetterling mit goldenen Flügeln fein, wird lachend,
Se
fingend und ſorglos über Rofen uao Lorbeer dahin-
ſchweben, eine Sa dep Oee, der De und
Lebenstuft!
Und dennoch ärgert fie fih, als fie ſtets neue Nad-
richten in der Zeitung findet, welche Hans Burkhardt
feiern, welche ſein Verdienſt lobpreiſend anerkennen und
von Anszeichnungen und Beweifen der Liche und Be-
munpderung erzählen, welche ihm allſeits gezollt werden.
Sie fchleudert das Blatt von fih, und wandelt,
‚aufs beftigjte erregt, in dem Gemadh auf und nieder:
Wie mag er jebt triumphieren und über den Eturz der
grau Bicomtefje von Saint Lorrain höhnen! — Eie
fieht im Geifte fein ftolges, mitleidlofe® Geficht, wie
er falt lächel nd vor fih hinnickt und jagt: „Wie
man's treibt, jo geht's! Gie hat eine große, große
Lügencomödie vor der Welt geipielt, und die Millionen,
in welchen fie geitrahlt, und mit welchen fie einem Aben-
teurer die Augen biendete, waren von Flittergold! —
Nun ift die Comödie aus, aber der Schluß war ein
boſer Sinalleffett, — die ganze Herrlichkeit rutfchte in.
die Verjenfung! — Sch aber! Ich bin als Selfmademan
emporgejtiegen auf die Höhe, welche fie nicht mehr be-
haupten fonnte, — nun jtehe oben und blide auf
jie herab!”
Heiße Glut fteigt in Die farbtofen Wangen der jungen
Tran. Stolz, Eitelfeit, brennende Scham! Ihr Trog
iſt aber noch ungebrochen, und jener Bettelhochmut, den
fie früher fo oft verjpottet, der zeichnet num auch ihr
— 353 —
fein finſter Mal auf die Stirn Mit gefalteten Brauen
und einem gereizt aufiprühenden Blid jtarrt fie auf den
Diener, welcher zwischen den Portieren jteht.
„Ras wollen Sie?
„Sräfliche Gnaden, es ni ein Herr drunten, an
ſich abjolut nicht
abweiſen läßt Er
hat mir befohlen,
feine Karte abzu⸗—
geben und ihn bei
Frau Bicomteffe
zu melden.”
„Welche Bus
dringlichfeit! —
Vielleicht ein Käu—
fer oder Auktio—
nator, welcher mich
perjönlich be-
heiligen wil! —
Zeigen Gie Die h
Karte, wie heißt ta Manea
er 2 Te
Unwirſch nimmt fie daS weiße Blatt — Sie
zuckt zuſammen, ihr Haupt neigt fich jählings vor, ein
scharfes, höhnifches Lächeln fpielt um ihre Lippen. Doktor
Hans Burthardt!“ murmelt fie leſend. Und dann ſteht
fie da, ſchwer atmend, mit zitternden Lippen.
„Darfich den Herrn eintreten laffen, Gräfliche Gnaden?”
Rp. Eiftrurb, IN Nom. u Nov., Comöpie IL. 23.2
a
Ein flammender Blid trifft den Frager: „Rein!“
- ruft fie leidenschaftlich, „taufendmal en! — Beftellen
Sie, ich jei für niemand zu Iprechen, für niemand!“
poeet
Die Portiere ſchließt ſich; wie ein auflöhnen rin T p
08 jid aus Aglaẽs Bruſt!
Auch er kommt, ſie durch ſein Mitleid zu —
ud er kommt, ſich an ihrem Elend zu weiden! — Was
foll er, der arme Schluter, der wohl eine große Ent :
derfung machte, aber feine Millionen erwarb, was jol
er wohl anderes bei ihr wollen? — Helfen kaun er ihr
nicht, Troft und Mitleid will fie aber nicht! Und fie
will dem „berühmten Mann“ nicht die Genugthuung ges
währen, daß er fich jchulmeifternd vor fie hinftellt und
ihrer Comödte eine Kritik fchreibt! Gie ijt und bleibt
Die Vicomleſſe von Saint Lorrain, die Trägerin eines
der vornehmſten Namen, den ihr feine Macht der Weit,
weder Armut noch Elend und Verlaf enheit rauben fimen
und er wird ewig der Cohn eines armen Rächters bleiben,
wenn er auch zehnmal Brofefior wird! — Eie wird nie
vergeſſen fönnen, daß er auf dem Beſitztum ihres Vaters
der Sohn eines Untergebenen war, daß ihr Platz im
. Schloß, der feine nur im Pachthaus gemejen!“
Noch ift ihr Stolz durch dieſen Schickſalsſchlag nicht
zerjchmettert, und Aglas räumt niemand, ſelbſt Hang
Burkhardt nicht, Das Recht ein, fie zu bemitleiden und
fid) über fie zu erheben!
Ein Serul orian Ingrimms überkommt
u
Ile, or ſinnloſe Trotz eines Kindes, welches dem Abe
grund entgegen läuft und dennoch eigenfinnig nach der.
Hand fchlägt, welche es rettend erfaſſen will,
Ein lauter Schritt im Nebenzimmer.
Uglaë wendet jäh das Haupt und ſtarrt auf die
Pa welche mit energiſcher Hand zurückgeſchlagen
wird. Leid yenbläjfe bedeckt ihr Antliß, Jie krampft die
Hände zujammen und ringt mac Atem,
Bor ihr ſteht Hans Burkhardt.
R
o
AV
Was haſt Du im dem Spiel ges |
3 Wwonnen?
Was blieb der wunden ruft?!
Eichendorff
y te cin Aufſchrei klingt ſein Name
von ihren Einen: „Dang!
— Burkhardt!”
Cein Antlig war düſter, jebt Helfte es fidh plöglich
auf zu einem ftrahlenden Lächeln. Hajtig trat er näher
und reichte ihr beinahe ungeltüm Die ‚Hand —
„Es erſtaunt und überrafcht Cie, mich zu jeben, Frau
—— ruft er, „Gott fei Lob und Dant! Ep
habe ich aljo doch. mit meiner Vermutung redt gehabt,
jo hat man mid). Ihnen: gar nicht gemeldet, weil Cie
jeden Beſuch abmeilen lajien! Co haben Sie mid) richt
auch fortgeichiet, wie jeden Fremden, und id that recht
daran, hier einzudringen, wo meine marinai zur Beit
notwendig ift! —
Sie hatte fih gej tabt, falt und stolz mufterte fie ihn
— 37 —
vom Scheitel bi zur Sohle und umfchloß mit bebenden
Händen fejt die Lehne des vor ihr ftehenden Stuhls, ohne
von feiner dargeborenen Nechten Notiz zu nehmen.
„Sie irren!” antwortete fie mit jaft feindfeligem Blick,
„Ste find mir gemeldet worden wie jeder, der hierher
kommt, mit dem Verlangen, fich perjönlich zu überzeugen,
daß die Bicomtejje von Saint Lorrain wahrlid) das ftolze
Genick gebrochen! Da liegt Ihre Karte, Herr Burkhardt!
Ich war allerdings Durch Ihren Anblid in hohem Grade
überrafcht, weil ich es nicht für möglich hielt, daß ein
Herr und Kavalier die Thürjchlöffer einer Dame gewalt-
fam jprengt, wenn er nicht freiwillig von derjelben
Eintritt erhält!” |
„Aglaë!“ — Halb entjet, halb unmillig flang e8.
Er jab fie einen Augenblid an, alè veritehe er fie nicht,
dann trat eine tiefe alte zwilchen feine Brauen, und
gleihjam, als zwinge er fich, feine Nube zu wahren,
antwortete er fühl: „Da Frau Bicomtejle den Bejuch
eines langjährigen Freundes und Spielfameraden jo ſchroff
ablehnen, darf ich wohl notgedrungen darum bitten,
gejchäftlich mit Ihnen verhandeln zu dürfen. — Herr
Sautbing, welcher zur Zeit in jeinem Büreau unabfömmlich
ijt, verwies mich direft an Sie, da meine Pflicht mid)
ſchon mit dem nächjten Zug wieder von hier abruft. Herr
Sauthing ſchien wohl einen andern Empfang voraus
gejeßt zu haben, jonjt hätte er mic, Ihnen gewiß als
‚unabmwendbares Übel‘ annonciert!“
Erjtaunt blickte Die junge Frau auf, ihre Haltung
u dos
war noch immer eine wmahbare. „Beichäftlih? Was
haben Gie Gefchäftliches mit mir zu beiprechen ?” Sie
betonte das Wort „Sie!“ fo fpötttich herausiordernd,
dag ihm das Blut ins Antlitz Schoß; der geübte Blid
Deg Arztes erkannte aber jofort, Daß er e8 mit einer
nervös überreizten und Durch das Unglüd kopfl os gemachten
Dame zu thun habe, mit welcher man nicht rechten darf.
Er legte gelaſſen ſeinen Hut nieder und antwortete ebenſo
ipottend wie fie: „Das ift eine längere Geichichte, und
obwohl Gie mir noch feinen Stuhl angeboten, Frau
Bicomtefje, bitte idh dennoch um die Erlaubnis, mih
jeßen zu Dürfen. Ich durdiwachte die Nacht an einem
Sraufenbett und nahn mir auch am Tage feine Zeit zum. ;
Nuhen, da midh die Depejche meines Baters und mein
eigenes, aufrichtigftes Mitgefühl unverzüglich Hierher zu
Ihnen trieb! Hätte ich allerdings geahnt, wie überflüſſig
dasſelbe hier ift, ich hätte mich weniger abgehept, um
Ihnen zu Hilfe zu eilen!
Aglass Antlitz färbte fich höher, fie nahm fehwer
atmend ihm gegenüber Plag und vermied es, ihn an-
zuſehen „Hilfe? lachte fie bitter auf, „mir faun nur
| Silfe durch Gold und Silber werden — und „were
nn achen Cie das harte Wort — ein Mann, der jelber
unterſtützt wird, tann unmöglid) ein Sn u
[on ausjchütien! —
Er lächelte beinahe amüſiert: ‚eh ich bin
nad) wie vor cin armer Echluder, der vorerft noch gerade
genug zu thun hat, um fich jelber über Waffer zu halten,
— 8359 —-
aber Cie vergefjen, — Vicomteſſe, daß ich noch einen
Bater befige E
Sie blickte ſchuell auf, lehnte a den Kopf
zueick. und fniff Die Mugen en al habe fie ihn
nicht recht verjtanden. „hr Barer? . . Wie follte der
Pächter meines Gutes in der Lüge I mir Hilfe au:
N Höchitens durch Nat und That — und mit bijer
Münze lajje ich midh gerade jeßt durchaus nicht unter-
jtügen. Ich Din meine eigene Herrin, und mein Lebens-
weg ift mir flar und ficher vorgezeihnet — e3 bedarf
aljo feinerlei fremder Einmiſchung“
„Um jo bejjer! Aglaë jchlug ummillfürlich die —
nieder vor dem Blick, welder fie traf. „So wird meine
Miſſion Hier um fo fürzer fein. Es fcheint, daß Herr
Sauthing Ste von den lebten Ereigniſſen in r Moosvori
noch nicht unterrichtet hat?”
„Sreiguijjen in Moosdorf? Heute if bie Ser
unter den Hammer gefommen, es können nod feine Nach-
richten von dem Mejultat Hier fein.”
„Sie unterfchäten unfere Telegraphen. Wollen —
Vicomteſſe fih überzeugen?”
Gie griff haftig und jehr erregt a der Depefehe, N
welche er aug der Brufttafche zog. Ihre Hand bebie
dermaßen, daß fie das Papier faum öffnen fonnte. Mit
jtodfendem Herzichlag las fie: „Habe joeben Moosdorf
fäuflich erworben, obne Hypothek wird es allerdings nicht
abgehen. Reife augenblicklich zu unferer armen Aglas ab und
fage ihr, was id) dir jchon brieflich mitteilte. Burkhardt. A
— 360 —
| Leichenblaͤſſe überzog das Autlitz der Leſenden; wie
ſchwindelnd hob ſie die beiden eiskalten Hände an die
Schläfen und ſchloß momentan die Augen. Dann zuckte
fie leicht zuſammen un ftarrte Hans mit gläjernem
Bid an. a
Ihr ... Ihr Vater... hat Schloß Moosporf gez
kauft ?“ flüfterte fie. z
Der junge Arzt nidte gleichgültig. „Mein prafticher
Vater hat fidh diesmal von feinem gutmütigen Herzen
übertölpeln laffen, ebenjo wie fein Cohn, der nicht a
und trant, weil ihn die Freundfchaft und Sorge für Sie
zum Bahnhof trieb, die Sorge um eine Frau, welche
jolh ein Opfer weder verlangt noh würdigt. Mein
guter Bater gehört zu dem alten biedern Menſchenſchlag,
der in der Not die treueſte Freundſchaft Hält. Er hat
zwar nicht ſonderlich viel Grund gehabt, fich dem Baron
von Lehnberg verpflichtet zu fühlen, aber die arme, kleine
Mal aë, die er ehemals auf dem Arm gehalten, die jam-
merte ihn in ihrer hilfloſen Lage. ‚Hans‘, ichrieb er
mir, ‚es ift zwar ein Unfinn, folh ein Gut zu faufen,
wenn der Eohn ein Bücherfuchjer und Quackſalber ges
worden ift, aber ich fann nicht fort von hier, ich flebe
an der Scholle mit all dem fauern Schweiß, den fie mid)
gefojtet! Und Dann um der armen Aglaë willen! Habe
gedacht, es fei ihr vielleicht eine rechte Hilfe in der Not,
wenn ihr die Heimat erhalten bliebe. Darum fahre jelber
bin zu der Frau Vicomtefje und fage ihr, die alten Burt-
hardts ließen fie aus treuem Herzen grüßen, und fie ſolle
— gbl
nicht jammern und ſich grämen — Moosdorf ſperre alle
Thüren auf, ſie heim zu holen! Wir ſind ja allerdings
nur ahe, einfache Bauersleute, aber wir wollen die
arme, ver laſſene junge Trau aufnehmen. bei uns, als
wäre fie unjer eigen Kind. Das große Schloß it leer,
denn mein Mutterchen und ich, wir bl eiben bier in une
ſerm gewohnten, Kleinen Reit. Die Frau Ricomteffe aber,
die foll nach wie vor in dem Schloß wohnen, und was
fie zum Leben braucht, das joll ihr Herzlich gern gegeben
werden. Lurus fann ich ihr freilich nicht bieten, aber
ich denke, ein Frauenherz, das jo viel erſchrecklich Schweres
durchgemacht bat, das hängt nicht mehr an PI under und
‚slitterfram, Hörſt du, Hans? fahre gleich din uhr,
bringe der armen, einjamen Frau Trojt und Hilfe, dem
fie hat ja wohl niemand auf Gottes weiter Welt. Wir
aber meinen eS gut mit ihr, und wenn's ihr recht ijt —
dann oil fie gleich am nächften Tage fommen, und der
liebe Herrgott jegne ihren Eingang bei uns!‘ Hans
ſchwieg Er hatte leije, mit wunderbarer Junigkeit ges
prochen. Eein Blid leuchtete immer glücjeliger, je mehr
er die Wirkung Diejer feiner Worte in ihrem jchönen
Antliß las. Zuerſt Hatte fie ihn groß, mit weit auf:
geriffenen Augen, beinahe erjchrodfen angejchaut, dann
trieb ihr die Scham heiße Glut in die bleichen Wangen,
und wie gebrochen durch Die Wucht ſolch umverdienter
und überrajchender Liebe und Güte neigte fie Das Haupt
in Die Hände und jchluchzte leije auf wie in verzweiflungs-
vollem Weh. Sie antwortete nicht, und auch Hans ver-
— 302 —
barrte ftil, das munderthätige Wirken dieſes Thräneus =
regens nicht zu jtören, =
Er war nicht nur ein Arzt des Körpers, jondern
auch der Seele, und er hatte erkannt, daß Aglas wohl
die Fräntite Patientin war, welde er je a rettende
u geleitet. |
Wie eine Erlöfung fam e3 über fie, es war, als ob
pieje Thränen die häpliche Schminke unwahren Stolzes
und falſcher Kälte von ihrem Autlitz fortwuſchen, als ob
etwas Gijigfaltes in ihrer Brujt zu jchmelzen beginne.
Cie jprang empor und ſtreckte dem jungen Arzt leiden-
ichaftlid beide Hände entgegen. „sch dante Ihnen!’
stieß fie jchluchzend hervor. „Shnen und Shren Eltern!
— 3d bin nie im Leben fold) treue Liebe gewohnt gez
weſen — ich kann's nicht begreifen, daß jemand wahrlich)
von Herzen gut zu mir ift! — Sagen Sie es Shren
Eltern... und jagen Sie ihnen, daß ich taufendmal
danten laffe! Cie haben mir eine große Wohlthat er-
wiejen durch ihr. Anerbieten, aber. annehmen kann ich
| dasjelbe nicht!”
Hans hielt ihre Sünde fejt: „Und warum nidt,
Frau Vicomteſſe⸗ a Gie eine andere Heimat ge-
funden 2” | 2
Gie fchüttelte troftlos das Hanpt.
„Beligen Sie treuere Freunde, welche für Ihre Crifteng
jorgen wollen und fönnen?” =
Freunde?“ Das alte, bittere ‚Sachen gellte durch —
ihr Schluchzen
m
„Alſo auch das idt Moosbarf ift mit dem heutigen
Tag verfauft, diejes Haus hier müffen Sie räumen, und. >
e3 bleibt Ihnen nach Abzug aller Kojten und Dedung
der Schulden nur ein jo fleines Kapital, daß Sie jelbit
darbend nicht von feinen. Zinſen leben fünnen. Was
aljo wollen Sie beginnen? Ich bejchwöre Sie zu Ihrem |
fi,
——
—
——
— 7
——
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TON y
vB
u
n
y$
195: '
=:
eigenen Beſten, jagen Sie,
warum lehnen Eie die Ein:
ladung meiner Eltern ab?’
Sie rang voll Dual die Hände frei und flug fie
vor ihr brennendes Angeliht. — „D fragen Sie nid!
— Sch tann niht nah Moosdorf, ih tann nicht von
Almojen leben — ich werde wahnfinnig in dem Gedanten,
daß ich von einer Barmherzigkeit leben ioll, die ich nicht
verdiente! — Warum ſammeln Sie ſolch feurige Kohleu
auf mein Haupt, Hans?! — Sch bin nie im Leben Ihre
—— Rn aei, ih nie einen —
N eg
von all den hochherzigen Gejin en für Sie oder die Ihren
empfunden, welche Sie mir jebi fo beſcha mend entgegen⸗ —
bringen! Laſſen Sie mich ausreden! Es iſt ein bittere
jüßes Selbitfajteien! Es ift eine graufige Wohlthat, vor
dem Menjchen zu ftehen und fich jelber zu richten in
einer Etunde, wo nur von dieſem Einzig en noc)
Rettung kommen fann! — Gehen Cie! Gehen Eie,
Hans, ich hab's nicht verdient, daß Sie mich mit ſolch
unausjprechlich guten und wweuen Augen anjehen! Sch
bin falih und untren gegen Sie gewejen, jo lange id
zurücdenfen fann! — Mei Spielzeug waren Sie! Mein
Heitvertreib, welchen man mißachteud in die Ede wirft,
wein fich bejjeres bietet! Gejchämt habe ich midh ‚Ihrer =
und Shrer Eltern, habe Ste verleugnet und gefränft big |
ins tiefite Herz hinein, habe voll faltherziger Berechnung
Die Hände nach Ihnen ausgejtredt, Sie herabzuzichen
vor meine Füße, um Ihnen Herz und Eeele zu bergiften,
jo wie fie mir von Kindesbeinen an durch den Peſthauch
modernen Lebens gemordet wurden! — Gejpottet habe
ich über die Leute im Pächterhaus, habe mein Kleid
ängitlich zufanmengefaßt, ‚ wenn id) über ihre Schwelle S
treten mußte, weil ich glaubte, die Atmoſphäre der Amut
wirke wie Schmuß! — Ich babe den alten Reuten den
Sohn nehmen wollen, ihm Bravbheit und Nedlichkeit zu
jtehlen, weil e mir für einen furzen Faſtnachtstraum
amüjant geweſen wäre, iu an feiner unglüclichen Liebe
verfommen zu jehen, und zu dieſen — Diejen Leuten jollte
ich jet gehen, um aufgenommen zu werden wie ein Kind
->o —
in der Heimat? Ihnen ſollte ich alles danken, was ich
nod) auf Erden wäre?! — Niemals, Hans! — beim
ewigen Himmel, ich fann es nicht!“
Er jah ihr traurig, aber voll warmer Herzlichfeit
in das flammende Angeficht: „Meine Eltern wijfen
nichts von all dem Unrecht, deffen Cie ſich anklagen,
und ich, der e8 anhören mußte, ich vergebe Ihnen von
ganzem Herzen, rau Bicomtejie, und habe nur eine
Bitte, welche Eie mir als Sühne zu erfüllen verfprechen
müllen: Betrachten Sie Moosdorf zeitlebens alè Ihre
Heimat und vergeljen Sie die trüben Bilder, welche Sie
fich ſelbſt als Schredgejpenit vor meiner Sen Thür
ſtellen!“
Sie antwortete nicht, ſondern ſchüttelte nur voll
dülterer Schwermut das Haupt. |
„Run, fo laffen Sie uns wenigftens einmal vernünftig
über Ihre Zukunft fprechen!” fuhr er in jeinem alten,
energiichen Ton fort, „und wenn Sie es wirklich als
Ihre Schuld erachten, ehedem falſch gegen mich geweſen
zu fein, fo büßen Gie diefelbe jegt dadurch ab, daß Sie
mir künftighin um fo ehrlicher vertrauen. Wollen Sie o
das veriprechen, Aglas 2”
Sie jchlug mit aufleuchtendem Blick in eine Hand
ein. „Sa, das mil ich“, atmete fie auf, „Sie foflen
wenigftens den Weg fennen, auf welchen ich mich vor:
wärts fämpfen will, und welcher ung für alle Ewigfeit
trennen wird!”
Ein wehmütiges, aber dennoch —— Lächeln
Be
jpielte momentan um feine Sipen. „aljen < Sie id
hören!” nidte er freundlich. “
Sie ließ das Haupt wie müde zur Bruft finfen: ind
jtarrte nachdenklich auf das bunte 3 Teppichmuſter zu ihren
— Süßen nieder: „Leider Gottes war men Bater fon
= ein reicher Mann, als ich geboren wurde”, begann fie
herbe, „und meine Erziehung ijt das Reſultat feines
Parvenüpünfels, welcher von fich und jeiner Familie
alles ſernhielt, was an die niedrige Vergangenheit er—
innerte. Die Arbeit, welcher er ſeinen Reichtum verz
dankle, verachtete er, weil ſie der Lebensinhalt t des nied-
tigen Mannes iſt, und jedwede prattiſche und nützliche
Beſchäftigung hielt er ſchmachvoll für die Tochter eines
Millionärs, welche Dienjtboten genug befchligt, ihre
Wünfche jofort erfüllt zu fehen Meine Mutter war
franf und ſchwach, fie drang mit ihren Anfichten nicht
durch und ich ward, was ich jebt leider Gottes bin, ein.
unwiſſendes, hilfloſes, nutzloſes und überflüſſiges Geſchöpf
Ich habe weder ein — gemacht, nod fo viel
gelernt, um es vielleicht jetzt noch nachholen zu fünneit;
nicht einmal zur Süindergärtnerin würde ich braıtchbar ſein,
denn ich bin ungeduldig und unduldjam und | würde mich: |
niemas in Die Rolle einer Untergebenen fügen können
Daran jcheitert auch die Möglichkeit, Geſellſchafterin a: “ —
werden. Wer mag ein unliebenswürdiges, verbittertes und
faunenhaftes Sejchöpf um ſich jehen, welches an it,
zu befehlen, ohne jelber gehorchen zu fünnen. — Vom
Haushalt oder wirtjchaftlichen Arbeiten habe ich feine
ee
Ahnung und geftehe es Ihnen zu meiner Schande ein, daß
ich nie im Leben eine Küche betreten habe. Das hielt ich
felber unter meiner Würde, denn da ich in den Anfichten
meines Batera erzogen wurde, habe ich ganz
natürlicherweife auch zu den meinen gemacht! — Ich
fann aljo nicht, gar nichts, weder nähen, noch — oder en
fochen, kann nicht malen, nicht unterrichten. Das einzige,
was meine ungeſchickten Finger als ‚nobele Paſſion be-
treiben durften, war Mufit. Ich leiſte auch nicht viel im
Klavieripiel, aber doch genug, um meinen Gejang zu unter-
jtüßen, denn eine Gabe legte auch mir die Natur in Die
Wiege — eine Etimme, welche in viel teuren Stunden
geichult Rue und welde vielleicht für das Theater aus-
reicht —!
Für Das Theater 21” o he ich Ba
und blidte die Sprecherin faſt entfeßt an: „Was ver-
Stehen Sie darunter, Bicomtejje? — Wollen „e wollen
Gie etwa zur Bühne gehn?!” |
| Gie hob refolut das ſchöne Haupt, ihr Bli war
finfter, und die alte Bitterteit durchflang abermals ihre
Stimme: „3a, ich will zur Bühne!” wiederholte fie —
beinahe heftig, „denn mir bleibt feine Wahl! Sie haben
meinen Entjchluß bereits durch Jhr erſchrockenes Gefiht
und den Ausdrud Ihrer Stimme gerichtet! Sie fejen
die leichtiinnige Tochter des leichtſinnigen und gewiſſen⸗
loſen Batera bereits untergehen in ben Flammen, welche
das Schickſal auch heutzutage noch über Die perderbten
Sodomskinder regnen läßt!” — Eie biß die Zähne zu-
= 368 —
fammen und lachte jcharf auf: „Sc fenne die Bühnen:
Laufbahn, mache mir feine naiven Vorſtellungen und betrete
refigniert einen Weg, auf welchem man Schmetterling jein
muß, um manchen Abgrund überjchweben zu können“
„Warum werden Sie nicht Konzertjängerin ?
ae dieſe Carriere ſehr — und unergiebig
ih Sch. muß Geld verdienen — eine Konzertfängerin =
aber braucht viele, lange Jahre, che fie fich einen Namen
macht und bezahlt wird. Die Opernjängerin hat feite
Sage und hat täglich Gelegenheit, fih dem Publifum
befannt zu machen und vorwärts zu fonımen! Warum
sehen Sie mich fo wunderlih an? — Avenel Sie
etwa an meinen Erfolgen ?” |
„a, ic) zweifle jtarf daran!” |
„Und warum ? Hörten Sie mich je fingen y
RUN
our alfo! Was befürchten Sie ? Bitte, jeien Sie
ehrlich und wahr!”
„sch befürchte, Daß gerade Die Bühnenlaufbahn jehr
wenig geeignet ijt für eıne Dame, welche nicht Gefell-
ichafterin werden will, weil fie fi) da dem Willen einer
Sebieterin fügen muß. Einer einzigen Dame! Die
TIheatercarriere aber ift ein unaufhörliches Sichfügen,
Duden, Demütigen, ein Gehorchen, Bitten und Ziehen!
— Gie haben nicht eine feine, gebildete Dame zur Brot:
ferrin, deren. MWünfchen Sie fih unterordnen, fondern
eine Meihe der egoiftifcht ten, faltberechnenditen und rück
fichtölofeiten Männer, deren Weſen ſich von der Energie
— Bg —
des Direftors big zur Roheit des Couliſſenſchiebers
variiert! — Gie find nicht ſogleich Diva, — Sie find
lange Jahre Anfängerin. Sie müjjen Nivalinnen neben
fih dulden, welche die jchöne, vornehme und geiitvolle
Geuoſſin in Ihnen haſſen werden! Man wird Sie md
Ihren Stolz kränken bis zur Schmach! Der Weg, welchen
Sie gehen wollen, Vicomteſſe, ijt nicht jo blütenreich, wie
es für den Fernftehenden den Anſchein hat, und ich
fürchte, er rührt Sie, anftatt empor, jo tief hinab, daf
Gie für Kreiſe, darinnen eine Gräfin Saint Lorrain vers
fchrsberechtigt ift, ein für allemal verloren find!”
Aylae3 Kleine Hand, welche in ihrem Schoße lag,
erzitterte unmerklich. Sie jehüttelte aber energiſch das
Köpfchen: Ihre Sorge um mich läkt Sie zu Schwarz
jchen! Sch habe viele Freundinnen und Freunde beim
Theater, welhe mir gewiß jehr fchnell empor helfen
werden!” =
Dieſe Illuſion ift Die erite Slippe, an melder Sie
ſcheitern werden!”
„Barten mir's ab. — Jedenfalls will ich lieber
alles ertragen und dulden, ehe id) von Almojen lebe
oder eine dienende Stellung annehme!
„Sie iprechen von „Ertragen und Dulden‘ wie der
Blinde von der Farbe! — Haben Sie ſchon jemals im
| Leben: gehungert? Haben Sie gefroren in dem Bewußt- o
en zu arm zu jein, um den Ofen heizen zu u N
‚Nein, — wie folte ih
Gr trat wie m leidenſchaftlicher Ungt IR moo
N. v. Cj ftruth, IN Rom. u Nov., Comöbie H. 24
— 370 —
faßte bejchwörend ihre Hände: „Aglaë! Seien Gie fein
unvernünftiges Kind, welches blindlings in ſein Berderben
rennt! Sch weiß c3, wie bitter die Armut, das Notz
leiden und Entbehren ift — ich, der. willensſtarke, körper⸗
lich abgehaͤrtete Mann bin in dem Kampf um das Dajein
beinahe unterlegen, — wie viel mehr werden Sie, Die
zarte, fonmenfichtwerwöhnte Blüte in ſolchem Sturm zu
Grunde gehen!”
Sie ſah ihm voll in die Mugen — ein warmer, daut-
erfüllter Blid, welcher dennoch durch Thränen glängte.
„Sonnentihtverwöhnte!”‘ wiederholte fie leije — „0
nein, Hans, ich bin nicht jo verwöhnt, wie es wohl der
Welt gegenüber den Anichein hat! Sch habe in der
Dunkelheit eines Lebens, dem feine Sonne von Liebe
à ER
und Glück gejtrahlt, manch heimlich Leid erduldet, ih
habe am der eigenen Herzensfälte gefroren bis in die
Seele hinein! Und dod) fpielte ich die große Comödie
‚der beneidenswerten glüclichen Frau! — Haben Sie
meine böjen, frivofen Worte von damals ganz vergeſſen?
— Ich habe fie wahr gemacht, Hans, und habe eine
Maske vor das Antlig gelegt, welche alle Welt getäuicht
hat! — Man muß in der Welt Somödie fpiefen, um
zum Biel zu gelangen, — das jagte ih ſchon damals
und wiederhole es auch heute aus vollſter Überzeugung.
Und ich will mih auch jebt wieder danach richten, will
„weiter Comödie jpielen, nicht nur auf der großen Schau-
bühne des täglichen Lebens, jondern auf den Brettern,
welche die Welt bedeuten! Warum jorgen Gie fi) um
mall
midh? Sch bin ja eine jo gute Comödiantiu! Ich habe
mir den Titel einer Vicomtejje von Saint Lorrain erjpielt,
warum nicht. auch meim- täglidh Brot? — Und ob ih
dem Sturm gewachjen bin? — Eine ſchwache Birke ijt
biegſamer als ein ſtarker Eichbaum, wird leichter
herabgejplittert in den Staub als fie! — Und mu feien
Sie bedankt, lieber Haus, für alles, was Sie mir in
diejer traurigen Stunde Liebes gejagt! — Sagen Sie
es auch Ihren braven Eltern! Mich aber überlaffen
Sie getroft meinen. Schickſal — mir find Schmetterlings-
flügel gewachſen die tragen leichter über die Miſeren
des Lebens hinweg, als Sie glauben!”
Hans atınete ſchwer auf. Iſt dies mein Abſched,
Aglaë? — |
Sie nickte und lächelte. — Rielleicht auf Wieder-
fechen, vielleicht auch nicht. — Ich werde Sie nie in die
Verlegenheit bringen, mich verleugnen zu muſſen“
Ein jchmerzliches Lächeln bebte über jein ichönes,
ernftes Angeficht. „3H jehe ein, daß Sie erft bei der
Erfahrung m die Schule gehen müſſen, che Sie den
Weg zurüd in die Heimat finden! — Aglaë — perz
geilen Ste nicht, daß Sie in mir einen Freund beſitzen,
und wann und wo es aud fet, rufen Sie mich, falls
Sie Hilfe brauchen! Verleugnen werde ” Sie a
Aglaë, — 88 jet Denn... ©
Er ſtockte und biß ſich auf die Lippe, fein Antlig ward
blutrot, — haftig wollte er ſich von ihr abwenden. Sie
hielt feine Hand feft. ann fah fie zu ibm anf: :
BR
— 372 —
„Vollenden Sie, Hans! — bei allem, was Ihnen heilig
ift, — wann würden Eie fidh meiner ichämen ?! Wenn ich es
feine Erfolge habe und ausgepfiffen werde? Wenu ich in
Armut und Elend verfomme?!” —
Er ſchüttelte beinahe heftig das Haupt, fein Muge
flammte N |
Wie die verförperte, edle Männlichkeit itand er ihr
gegenüber. „Nein, Aglaë, nicht dann! Im Gegenteil,
Ihre Armut, Ihre Not würden mir lieb fein wie ein Feier-
fleid der Unſchuld, welches Die Märtyrerin ihmüdt! —
Aber das Gegenteil davon — das gleißende Gewand
der Üppigfeit, — das, Aglaë, würde ich verleugnen vor
Gott und der Welt, und ein Weib, welches Triumphe
und Lorbeeren mit der Ehre bezahlt — das würde für
mid vergejfen und verloren fein — big in den Tod!“
Sie jtand vor ihm, bleich und ernſt, aber Hod-
erhobenen Hauptes. Stumm reichte fie ihm die Hand.
Ihre Lippen bebten, es lag etwas feierlich Keujches in
ihrem Auge, was er zubor nie gefannt. —
Krampfhaft preßte er ihre ſchlanken Finger in feiner
Reten, die volle, leidenjchaftliche Angit einer Liebe,
welche nie erlojchen, urplößlich wieder aufflammt und
um ihr Zeuerjtes zittert, brah durd) ſeine Worte.
„Aglaë!“ rief er bejchiwörend , „Nur eines, — eines
gelobe bei dem Andenken an deine Mutter; bleibe brav
und gut! Strauchle nicht auf dem Ihlüpfrigen Weg! —
Hungere und friere, aber laß nicht von Der Tugend!” —
Eisfalt war ihre Hand. — Feſt blickte fie ihm ing
Ange, und ihre Stimme klang wie ein Gelöbnis. „Sa
Hanë, ich will gut und brav bleiben I" — —
„Bott ſegne dich!" — — und er rip fih los ns
ftürmte davon. —
Aglas aber jtrich langjam über die Stirn, e8 mwar
ihr, al habe fie geträumt. Mechaniſch faltete fie Die
Hände Wie lange hatte fie feines Menichen Mund
mehr gejegnet — wie — hatte ſie nicht BR ges
betei! —
Ja, es ift hart und ſchwer arm zu fein, aber arm
zu werden ift noch viel taufendmal ſchwerer — Ein
Tuh, welder nicht, gewohnt it auf Stein und Dorn zu
wandeln, leidet Qual bei jedem Schritt und eine Hand,
welche nicht: arbeiten lernte, trägt gar manche Schwiele
davon, bis ſie es nur Befehl zuzugreifen ſich zu
regen. —
Wie ijt e8 ibon io rasch und ımbequem, em
einziges Kleines Bimmer bervohnen zu müſſen; welch
eine fremde Beichäftt, gung, alles, wag man braucht, zu:
fammen zu fuchen und fort zu legen 1 Aglaë hatte fich
ftet3 von ihrer Rammerirau bis zur fleinften Kleinigkeit
bedienen laffen, und nun ftand fie plößlich alein und
Sollte fih fogar felbjt frifieren! — Völlig ratlos hielt
fie die prachtvollen Haare in Häuden und Hatte feinen
Begriff, wie fie diefe ungefügige Lockenfülle in die knappe
Modefriiur, welche fie gewohnt war, eindrehen und auf
a A
ab, big fie endlich die Arme erfchöpft finfen ließ und in
Thränen der Ungeduld und Verzweiflung ausbrach —
Aber nur einen Augenblik, dann probierte fie die Arbeit
aufs neue. ES fiel ihr ein, wie oft fie in wilder, lamiz
cher Heftigfeit Madame Laurence faul uud langjam ges
ſcholten hatte, wenn fie nicht | ſchnell genug mit der Friſur
fertig war; wie fie die Armſte oft zur Verzweiflung
gebracht, wenn fie den Kopf auf die Romane neigte und
dennoch jähzornig Ichalt, wenn die Stamnterfrau jammerte;
„Es ijt unmöglich! Dee maen das Köpfchen 10e
und gerade halten!” —
Nun hielt fie den Kopi hoch un — aber es war
ihr dennoch unmöglich), das Haar zu bändigen. Voll
Heftigfeit fchüttelte fie es fchlieglich in den Naden zurück.
„un gut — damı hänge, wie du hängen willſt!“ und
fie band eg mit einer Schleife zufammen und freute fidh,
dag fie fünftig Hin fchnefler fertig fein werde. — O
Himmel, welch eine Lat ift es Doch, für fich jelber forgen
zu müjlen! Jeder abgerijjene Knopf, jedes Band, jeder
Nadelftich werden zu ben fahwierigften Hinderniſſen —
Aglaë ſehnt Madame Qaurence nicht zurüd. Die Ferjon
hat unendlich viel Wohlthaten von ihr genojjen, und
dennoch verfeßte auch fie der toten Löwin noch den Ejels-
tritt beim Scheiden! — Brutal, impertinent marfierend,
daß aus der Wiillionärin eine Bettlerm geworden, fo verz
abjchiedete ich Laurence ebenio wie alle anderen Dienit-
boten, welche es Aglaë zuerft in nacdtejter, ungez
jhminktejter Klarheit zeigten, daß nur das Gold krumme
ne
Rücken erzwingt und. es ein gar llaglich iit, :
arm und verlaffen zu fen! — |
Seit ihren böfen Erfahrungen, welche jie in der Gcz
jelljehait gemacht, hatte Agl aë den Glauben an die Menich-
heit verloren und das Benehmen ihrer Dienftboten er-
bitterte fie vollends und tih noh den legten rofigen
Schleier von ihren Augen, welcher die Welt in lichten
Farben erſcheinen ließ. — „Des Dajeins ganzer Sammer‘
faßte ſie an, ein Gefühl graufamfter Ernüchterung ſtahl
ñd in ihr Herz, und am ſchwerſten und herbten, was
fie in all ihrer Armut betraf, empfand fie den Verluft
ihres Glaubens an die Menjchheit. — Das Benehmen
ihrer Dienftboten hatte fie immer noch mit der Unger
bildetheit diefer Leute entjchuldigen wollen, aber die. Er-
fahrungen, welche fie auch in den Kreijen derer machte,
welche fie für ihre Freunde gehalten, die nahmen ifr
auch noch den Reit der freudigen Zuverjicht, mit Be :
fie ihre neue Laufbahn betreten. — =
Welch abjonderliches Gefühl, ala Aglaë Bejude abs
jtatten wollte und fein Diener, fein Kutſcher und feine
Equipage mehr da waren, welche ihrer Befehle harrten.
— Der bedanke, eine Droſchke oder gar eine Pferdebahn
beiteigen zu müſſen, war ihr entjeblich, je 308 vor, ſtolz
zu Fuß zu gehen. —
Wenn man in dem weichen Atlaspolfter eines 3 Wagens ;
liegt, fennt nan feine Entfernung, aber wenn man Die
langen Straßen Schritt für Schritt meſſen muß P Pom
merft mau erjt, wie weit dag Hiel ift. —
Todmüpde erreichte Aglaë Die Bomag a —
Sängerin, welche früher fo manes Diner im Haufe des
Kommerzienrats befut und fidh ftets himmliſch dabei
amüfiert hatte! — Lehnberg hatte ihr einmal als Dant
für ein 2ied ein Brillantarmband überreicht), welches
mehr mert war, wie das ganze Vermögen, welches die
Vicomteſſe jebt noch ihr eigen nannte. — |
Das Kammerzöfchen mufterte die ihr. mobba
perarmte Millionärin mit neugierig. dreiiten Blicken und -
ichten eè als große Huld zu betrachten, wenn fie fih
überhaupt die Mühe nahm, fie zu melden. — |
Nach recht langer Zeit erjchien fie wieder und brachte
die ſchnippiſche Antwort, daß ihre Herrin beim Frühſtück
jet, und da fie Güte bei fich fähe, könne fie fih nicht
gut jtören lajjen! Wenn Frau von Saint Lorrain ein
Anliegen habe, möge fie fich doch long an n ihre amie i
dige Frau wenden.” — —
Das Blut ſtieg Aglas in die Wangen und be sr
jaft die Befinnung; fie neigte furz den Kopf umd ging. — |
Bei einer andern Künftlerin traf fie es nicht viel beffer.
Sie begegnete ihr allerdings auf der Straße, aber Fräu—⸗
lein Dornee jchten fie guerit gar nicht zu erfennen und
entjchuldigte | ſich alsdann recht malitiös, fie habe die .
Frau Vicomteſſe wirklich gar zu lange nicht gefehen, —
als der Herr Kommerztenrat geadelt worden fet, habe fie
ihren Beluch gemacht, um zu gratulieren, aber fie habe
nie wieder etwas bon den Herrichaften gehört! — Die
junge Frau glaubte in den Boden finfen zu müffen vor
erg E
Verlegenheit und begriff e3 felber nicht, wie fie den Mut
gefunden, dieſer Dame von ihren Zufunftsplänen u.
jprechen. „Wie? Sie wollen zur Bühne? Singen. Sie |
denn überhaupt? O — ja! ich entfinne mich jegt —
eine Kleine, zarte Stimme! Mon Dieu, damit wollen Sie
eine Opernpartie riskieren Undentbar, Verehrteſte!
rate Ihnen energisch ab! Warum werden Sie nicht Schau: i
jpielerin? Gie haben Dabei doch bedeutend mehr chance!
Sie glauben, ich fünne etwas für Sie thun? D, Teuerite, = nn
welche Naivität! Ich bin einer Regie md Zntendang
gegenüber Direkt machtlos! — Bedaure fehr, Ihnen
bei dieſer Carriere abſolut nicht behilflich ſein zu
tönnen!” = en
Und fo ging es weiter. Bet den meijten Damen ward
fie überhaupt nicht empfangen; die eine hatte Migräne - —
die andere rief mit lauter Summe im N tebenzimmer:
„Sagen Sie, ich fei ausgefahren!” — Und wo Aglaë
angenommen ward und bereits jehr mutlos ihre Bitte
portrug, fie wünſche Stunden zu nehmen, um üh für
die Bühne ausbilden zu laffen, da wehrte man mit jolcher
Haft ab und verficherte, daß jede Stunde „beiett, —
und beim beiten Willen feine mehr einzujchieben fei”, —
dag e die junge Frau fehr jchnell empfand: Man hatte
Angft von dieſer Bettlerin feine Bezahlung für die Stun
den zu erhalten! —
Es war Aglaë zu Mute, als müffe e fie laut aufichreien
vor Dual, Scham und Verzweiflung. Sie mied Die
Straßen, wo ihr Bekannte begegnen fonuten, fie zitterte
in dem Öedanfen an neue Demhigungen.. — Der Boden
braunte ihr unter den Füßen.
Da fam cın letztes, welches ihren Entihuf, Die Yie-
fidenz zu verlafjen, zur Neife brachte. — Ein bereits
älterer Sänger, welchen fie aus früherer Beit auch perz
jönlich als einen der cyniſchſten und frivoliten Menschen
famite, jchrieb ihr ein Billet. Er hatte davon gehört,
daß fie Gejangftunden nehmen und zur Bühne gehen
wollte. Er bot ihr jeine Hilfe und Unterſtützung an,
ja er verlangte nicht einmal fein Stundenhonorar in
flingender Münze ausgezahlt! — Der Inhalt und Ton
diejes Schreibens trieben Aglaë Thränen der Empörung
und der Scham in die Mugen. Sie fchleuderte den Brief
von fih und preßte voll leidenfchaftlichen Schmerzes die
Hände gegen die Bruft. „O Hans! Hans!” ftöhnte fie
auf, „ja, du halt recht gehabt — Siränfungen bis zur
Schmach!“ — und fie trat zum. Licht und vernichtete
das Billet in der Flamme. Der rote Feuerſchein zuckte
über ihr bfeiches Antliß, welches den Blick voll ftolger
Energie jo ftarr geradeaus richtete, als fähe fie im Geifte
eine hohe Männergejtalt vor fih ftehen wie damals, als
fie aus ihres Vaters Haufe fcheiden mußte. — „Sa, Hans
— ich bleibe brav und gut! murmelte fie. Und dann
ging fie energiich an das Wert, ihre Koffer zu paden.
— Fort von bier! Hinaus in die fremde Welt, wo
niemand fie und ihr traurig Schickſal fennt, wo fie fich
flüchten und verbergen fann vor all den Geißelhieben
des Spottes und der Emiedrigung, welde fie hier ge-
= 380 —
foltert haben. Auf die Hilfe ihrer Freunde burjte lie
nicht zählen, fie mußte vorwärts aus eigener Krait, vor⸗
wärts zum fernen, fernen Biel. —
An einem Konjerpatorium fann fie wohl am beiten
hnb unbemerfteiten ihre Studien machen, umd fie wird
in jener. frenden
Stadt unbefannt
fen wie all Die
taujend Dunklen,
Ichlichten Frauen:
geitalten, welche
arm und verlaſſen
durch die Straßen
ſchreiten, fih ihr
täglich Brot zu ner-
dienen Der Hod-
klingende Name,
welcher ehedem ihr
höchſtes Ziel und
ihre jtolgefte Sehn⸗
ſucht gewejen, den
wirft fie von fid wie ein Shine, auffallend buntes
Gewand, welches bei der Arbeit hindert und der Hand
und dem Fuß nur im Wege ift. —
-Aglaë Lorrain” jteht auf dem weißen Papier, welches
drei Treppen hoch an der Flurthür der Frau Nätin Bar:
nexius angeheftet ift. — Unter dem Schuß diejer alten
Dame, welche möblierte Zimmer an Schülerinnen de3
— ael e
Konſervatoriums vermietete, lebte die Vicomteffe von
Saint Lorrain ftil und zurüdgezogen, voll fiebrifchen
Eifers ftudiercnd von früh bis jpät. Und niemand kannte
fie, und niemand ahnte es, daß diejcs Kleine, unfcheinbare
Zünfchen unter Der Ace ehemals ein jo heilfunfelnder
Stern am | pimmel ber M illionenanbeter geweſen a
a N
PALA,
*
FURL
Mich friert? Hag thut's? Im Grab
iſt's älter noch als hier! —
Prophet.)
3 war ein raftlofes Lernen und Studieren! Man
hatte ihr freilich gejagt, Die Stimme jea nicht
ehr bedeutend, aber es fünne doch wohl noch
etwas Brauchbares aus ihr gebildet werden! — Daa war
ber Strohhal m, an welchen ſich Aglas flammerte.
Frau Nätin Barnertus hatte fich anfünglich jehr um
ihre junge Chambregarnijtin bemüht und manchen Verſuch
gemacht, Agla&s Vertrauen und ihre Zuneigung zu ges
winnen, Sie lebte mit Den drei andern jungen Da
— 383 —
in ſehr herzlichem, mütterlichem Verhältnis und bildete
mit ihnen gewiſſermaßen eine amilie; an Aglaës bei-
nahe feindſeliger Verſchloſſenheit und ihrem abweiſenden
Benehmen ſcheiterte jedoch jede Möglichkeit, fie heranzu—
gichen und ihr Die Einſamkeit erträglicher zu machen, eme
Einfamfeit, welche der lebhaften, geſprächigen Frau Nat
ſchier entſetzlich dünkte
Aglaë empfand dieſelbe jedoch als eine Wohlthat. Eie
brauchte Nuhe und Etille, um fich von den entjeßlichen
Stürmen der legten Vergangenheit au erhol en, und jie
benötigte die Einjamfeit, um ihr frantes, verbittertes Herz
von den Wunden zu heilen, welche ihr das Leben und
Die laute. Welt jo erbarmungslos gejihlagen.
Ihr. Bimmer war verhältnismäßig behaglich und
hübj d, wenngleich c auf die Augen einer Der ver:
wohnteſten Millionärinnen einen umbeichreiblich ärmlichen
Eindrud machte, Aber mit dem Gefühl eines troßigen
Kindes, melches feinen. H Willen durchgeſetzt, voll Genug:
thuung in einen fauren Apfel beißt, gemöhnte ich die
Vicomteſſe an all das Ungewohnte, und da fie fidh ihr
Leben einrichten fonnte, wie fie wollte, jo hatte es auch
im dieſer Geſtalt einen gewiſſen Neig.
Allerdings war eg vorerft eine Unmöglichkeit für die
vollitändig ungeübte und unpraftiihe junge Frau, fió
nach Der Dede zu ſtrecken und eine richtige Einteilung
des Geldes zu treffen. Die kleine Summe, über welche
fie noch zu verfügen hatte, teilte fie in drei gleiche Teile,
um Drei u von oe Ten leben öl, Sumar, In prei
Yın!
u Fand
ir IaRE tii
Jahren mußte fie ja auf alle Fälle eine Anftellung an
einer Oper gefunden haben, dann bezog fie ihr gutes
Gehalt und ernährte ſich jelber, und während Diejer drei
Jahre mußte fie wol oder übel alles was fie bejaß,
Zuſetzen
Aber es iſt unbefchreib lich schwer, ſich aradeni
und fid) ein üppige, elegantes Leben, welches man geführt,
jo lange man Denten fann, abzugewöhnen. Zeder kleine
Quru, der chemals ſelbſtverſtändlich geweſen, wird nun
zum freſſeuden Kapital, und Aglaë begriff es gar nicht,
wie ihr die Thaler durch die Finger rollten, wenn fie
nur die notwendigjten Einfäufe für ihren Toilettentiſch
machte. — Bis fie einjah, daß es jetzt nicht mehr anz
gehe, täglich das Waſchwaſſer dur köſtlich duftende
Eſſenzen angenehm zu machen, Farfüms, Puder, Crêmes, |
elegante Nadeln und Haarwaſſer zu gebrauchen, hatten
dieje kleinen Liebhabereien, die ehedem jelbitverjtändlich.
gewejen, jchon tief in das Geld eingeriffen. Auch mußte 2
fie viel Reugeld bezahlen, bis fie auf den Gedanfen fam,
daß fie ihre Kleider, welche begannen, fidh abzutragen,
auffrifchen müffe. Früher wurde alles, was nur im
mindejten durch den Gebrauch unanjehrlih geworden,
ausrangiert und durch neue Kojtbarfeiten erſetzt und als
die jpinnmebfeine, jpigenbejegte, meijt ſeidene Leibwäſche
zu reißen begann, da glaubte die Vicomtejje auch, es
müſſe jojort neue gefauft werden, und es jei doch un-
möglich für eine Dame, andere Wäſche als ſolch afer-
feinjte und elegantefte zu tragen! Zum eritenmal aber
= 28
geriet fie in peimlichite Verlegenheit, Denn der Preis ber
Hemden allein betrug mehr, als fie in einem ganzen Biertel-
jahr ausgeben durfte.
So jchwer und fümmerlich hatte fe fih Das Arm:
fein doc) nicht gedacht, und jo fchwer hatte fie das Be-
rechnen und Einteilen auch nicht geglaubt. Wie viel
hatte fie vergeffen in ihre Wochenrechnung aufzunehmen,
was num ganz entjeßliche, unerwartete Lücken in ihre Kaffe
rip! — Ein Gefühl der Unruhe und Angſt überkam fie,
und es foltete fie mand) bittere Thräne, ſtets aufs neue
auf alte Paſſionen und Gewohnheiten verzichten zu müſſen
Es war ein zu furchtbar greller Umſchwung und wohl
ein Glück für Aglaë, daß ihre beinahe kindliche Raivität
fie bewahrte, ihr ganzes Elend und ihre — Ta m‘.
voller Schwere zu erfaffen. En
Wie wunderlich kam ihr der ſo einfache Wittagstifc
der. Nätin vor. Ansgetochtes Rindfleiſch jollte fie eſſen!
Mit einem einzigen, oft entſetzlich derben und bäurifchen
Bericht fürlieb nehmen! Anfänglich hatte fie oft die Zähne
bei Tisch gehoben und gedanft und war nachher in ein
Reſtaurant gegangen, um zu effen, was ihr behagte, Bald
aber jah fie ein, daß es eine Unmöglichkeit fei, derart hohe
reife noch außer ihrer Penſion für Speiſe und Trank zu
zahlen. — Sie weinte Thränen hilfloſer Verzweiflung, und
weil der Hunger weh that, jo lernte fie es, allerdings mit
größtem Widerftreben, mit t ri und Semi fürlieb zu
nehmen!
Boll fieberhaften Eifers übte und jang fie, bis ihr die
N.p. Eisitrurd, IN. Rom. u. Nov, Gomödie If, 25
08
Lehrer Mäktgung anbefahlen, um die Stimme niht zu : =
überreizen. Ihre gründlichen VBorjtudien famen ihr wejent-
lich zu Hilfe und brachten fie jchneller vorwärts als die
meijten ihrer Mitjchülerinnen. — Die Beit 30g dahin,
und Aglass kleines Vermögen ſchmolz mehr und mehr
zufammen. Ihre Stimme war zart und wohlflingend,
und ihr reizendes Gefichtchen, ihre graziöfe Geftalt liegen
die Lehrer hoffen, daß Ugla& Lorraın vielleicht doh als
‘eine zweite oder dritte a nod) e Glück machen
könne.
Endlich, endlich ijt ie — e Beit des Studiums
beendet. Die junge rau hat fidh über ihre Kräfte an-
geitrengt, fie fieht bleid und gealtert aus und ijt be
deutend magerer geworden. — Gie hat ihr Abgangs⸗ ;
zeugnis erhalten, und weil dasjelbe nicht fo glänzend
ausgefallen, wie fie erwartet, fteht fie mit ſtolz zurig-
geworfenem Haupt und gujammengepreĝten Qippen vor
ihren Lehrern, um ſich zu verabichieden. Diejelben find
es gewohnt, daß fie um ihre. fernere Protektion und
Empfehlung gebeten werden, und auch. jetzt ſtehen friſche,
liebenswürdige Junge Madchen vor ihnen, welche mit
dankbar herzlichen Worten Abſchied nehmen und ſehr
beſcheiden und höflich bitten, daß die Herren Profeſſoren
doch bei Gelegenheit ihren weitgehenden Einfluß und ihre
Beziehungen zu Intendanten und Direktoren geltend —
machen möchten, den unbekannten Anfängerinnen zu einem
Engagement zu verhelfen. |
Stumm und falt jteht Aglaë beiſeite — Ei bat
— 387 —
fich ftet3 abgejondert und zurückgezogen, ſowohl von den
Schülern, wie von den Lehrern des Ronjervatortumz,
und Diejes ftolze, verjchlojjene Weſen hat fie beliebt
gemacht. Sie fteht auch jest beim Abjchied iſoliert nd
fein Menjch beachtet fie, en mand) geier Blick
fie jtreift.
Die einfachen Aleiber find aufgetragen ‚ und Aglaë
hat fein Geld, Diefelben zu erjeßen. Die Not hat fie
gezwungen, eine ihrer ehemaligen eleganten Toiletten ans
zulegen, und unn ficht: fic gepußt und prunfend unter den
schlichten Genoſſinnen die fic ſtets für ſehr reich gehalten
haben. Mle fie gegangen, wendet fich der alte Profeſſor
Kolſch zu einem Kollegen, „Sch weiß, daß das Hoj-
theater zu &. eine junge Sängerin gebrauchen fann, fir
deren Partien die £leine Lorrain wohl ausreichen und
bejonders gut paffen würde! Hätte He nur em Wort 0.
gejagt, würde ich fie gern empfohlen haben! K o
„Die Lorrain? — Rem, fie hat auch mir feine here ER
artige Bitte vorgetragen, und ich bezweifle überhaupt, ,
daß fie gur Bühne gehen will! — Allem Anjchein nad) —
ift fie recht vermögend amd bildete fich aus Paſſion zur:
Sängerin aus, um DEREN hie und da in einem |
mitzumirfen!? |
‚Met vermögend ? Hat fie nicht bei ber Nätın
Barnerius gewohnt?
„Das wohl, aber ih denfe mir, e8 geſchah dies
weniger aus Sparjamfeit ala dem Bedürİnis entjpringend,
fich unter den Schuß dieſer fehr gu renommierten Dame
2
a ae
zu felen! Sch entfinne mich, daß man fid in der erſten
Zeit erzählte, Das Fraulein ſpeiſe privatim in den erjen |
Reſtaurants weil ihr die Penſionsküche nicht gemüge.
Außerdem war fie bis auf das Taſchentuch herab geradezu
Tabethaft equipiert! Eine Notentaſche aus gepunztem
Leder mit Silberornamenten und echten Edeljteineinlagen,
ein Regenschirm mit maſſivem Goldgrijf, Tajchentücher
von echten Epiben, Pelzwert, wie es kaum eine Fürſtin
trägt, und ſpeben “= m, Lie jahen ja. ſelbſt dieſe
Toilette, welde ſich funn eine Tiva leiſten tann!” a
Solche D Dinge find bei einem hübjchen Mädchen cher
Zeichen der äußerjten Armut, ‚einer Mittellofi gfeit, welche
auf jedwede Weiſe Gd verdient!” e Kolſch mit
ironiſchem Lächeln.
Der Andere Üchüttelte haſtig das Haupt: „Ren,
nem, um Vergebung, ‚Herr Kollege! Die Lorrain hat
einen tadellojen Lebenswandel gerührt! Unjere Stadt mo i
groß, aber nicht groß genug, um em folches Geheimnis
bergen. zu können! — Die Kleine iſt wegen ihres hübſchen
Geſichtchens aufgefallen und ic weiß, daß man ihr
nachgeitellt: hat, jogar mit den redlichſten Abfichten, aber
Stolz. und. Tugend haben eme a Mauer um ‚fie
her gezogen! IR
„0, jo! freut mich! — Das > beftärft — obige
auch in der Annahme, daß fie permögend ii! Ja,.da
werde ich das Engagement bejjer emer andern Schülerin
uwenden, welche — Mn. DÜSEN
Ganz redt! Ich bitte bringen in älter: nie der —
= 389 —
talentierten Cläre Holz zu gedenken Eie fennen die Schick—
jale der armen Waije! Sie will bei ihren mohlhaben-
den Berwandten fein Ajchenbrödel abgeben und zieht
vor, ihr Brot jelber zu verdienen! Nettes, liebeus—
würdiges Mädchen, überall befannt und beliebt, die ver:
fbiperleäle > —
milation ! 1” |
„Out,
aut, — Ders
de an Sie
Denfen!
Habenredt,
lieber
Freund,
man - muß
ſtets zuerſt
die Bedürf⸗
tigen ver—
jorgen !”
Und
man verjorgte jie, Aglaë aber war vergejjen. Sie
itand ernft und refigniert in ihrem kleinen Zimmer
und packte ihre großen Koffer. — Sie wollte nad) einer
bedeutenden norddeutichen Stadt überfiedeln, wo fie be-
fonder thätige Theateragenten wußte. Die Sonne blinfte
durch Wolfen und lugte fo wäflrig in ihr Zimmerchen
wie ein Muge, Das voll Thränen fteht. — Nacydentlich
blidte die junge rau empor, und atmete tief auf. Ihrer
— LE oy
‘ ooe Anficht nah lag nun Die jchmwerite Beit pinter ibr —
nn eine ſchwere Beit, in der fie zuerſt das Einſchranten |
und Entbehren lernte! Noch liegt fie mit all ihrer
Erinnerung auf ihr wie eine Centnerlaſt, und Aglaë
weiß es auch, daß fie nicht ſpurlos an ihr vorüber ge-
gangen — weder am äußern noh am innern Menjchen.
Sie hat da3 Gefühl, als feien die bunten, jchillernden
Schmetterlingsflügel, welche fie in heiterem Tang über
Rojen und Lorbeeren dahin tragen follten, wie fie ehedem
Hans Burkhardt fo fiegesfroh verficherte, als jeien dieſe
Iuitigen Schwingen müde und ſchwer geworden, alë jeien
fie erlahmt unter dem eriten, melden glug nad der .
Tempelpforte der Enterpe! =
Ein Kleines Stüd Wegs war erft zurückgelegt, ad
doch deuchte es der einjamen Frau, als ſei ſie viele, ‚viele
Jahre älter in diejer furzen Spanne Zeit geworden. Not
und Armut find zwei Bleigewichte, welche ſich ſowohl an
den Körper, wie den Geiſt hängen, welche niederzichen
aus all den rofigen Wolfen der Sllufion und Lebens:
freudigfeit, hinab in die granen Nebel troitlojer Verzagt⸗
beit, die allen Humor erſticken — Und dieſes Stüd
Lebensweg, arm an Glück und Sol, aber dennoch nit
arm genug, um auch die Not der Verzweiflung fennen zu
ehren, ift ein Boden, auf dem das Kräutlein Seichtiinn
zumeijt jtill und kraftlos wurzelt. Es waͤchſt nicht und
trägt nicht Blüte und Frucht, dennoch treiben Hun ger und
Durſt nicht zum äußerjten, aber es- verdorrt und vergeht
auch nicht, denn dazu fällt immerhin ein zu reichlicher
— 391 —
Thränentau darauf nieder. — Auch die Heinen und großen
Keime des Leichtſinns, we (che Leben und Erziehung in
Aglaes Herz geientt, ruhten ftill unter den Trümmern des
Glücks, und nod hatte die junge Frau keine Urſache und
Veranlafjung gehabt, fie zu geiftiger Blüte groß zu
ziehen; fie trug itol3 das Haupt im Raden, ſaß nod
im warmen Simmer bei Speije und Trant, und warf
die roja Brieflein, welche ihr zuflogen, jelbitgefällig in
die Flammen : „Du jollft dih meiner nicht Ichämen,
Hans Burkhardt, ich bleibe brav und gut! _ 2
Der große, traurige Wechfel ihrer Verhältniffe und Die
en Lehrzeit, welche der Umſchwung von reich zu arm
mit ich gebracht, Hatten Aglaë wohl viele ſchwere und
‚bittere Stunden gefchaffen, der Umſtand aber, daß ſie
wieder Aglas Lorrain” hieß, daß fie alle gräfliche
Herrlichkeit und ihre vornehmen Titel en. mußte,
der fiel als bitterfter Tropfen in den Kelh ihrer Leiden.
— Der Hochmut hatte viel zu tiefe, unlösliche Wurzeln
geichlagen, um in einer furzen Spanne Zeit gerodet
werden zu können, und daß fie nun, wo fie endlich das
höchite Ziel ihres Lebens, eine Grafentrone, erreicht,
diefelbe unbenugt ignorieren mußte, Dag war die tiefite
Wunde, welche das Schickſal ihrer Eitelteit geichlagen.
— Und jelbit jet, wo fie neben den Koffern fak, welche
ihre ganzen Habſeligkeiten bargen, wo ſie nicht mehr
wußte, womit fie in einem halben Jahr ihren Hunger
ſtillen jollte, ſelbſt jetzt galt ihre Schnfucht nicht dem
verlorenen Neichtum, ſondern hauptſächlich der Stunde,
rg
wo fie e3 der Welt wieder als interejfantes Faktum mit-
teilen fonnte, daß die junge Sängerin droben auf den
Brettern eine Vicomteſſe jei, welche ſreiherrlichem paek
entftamme!
Im Geiſte las Aglas bereit die geheimnisvollen a
Zeitungsnotizen, welche über die vornehme Herkunft der
‚jungen Sängerin aus Pajfiont — ihre Andeutungen
machen und fie mit dem Nimbus der Fee im Bettler
leid umgeben! Wenn nur erft an einem großen Theater
ein feftes, glänzendes Engagement erfolgte, dann fann
fie ihre befcheidene Maste wieder von fidh werfen und ſich
unbefchadet wieder als rau Bicomteffe re ipeftieren und
feiern laffen! D, was hätte fie darum ‚gegeben, wäre es
ihr beim Abjchied vom Konſervatorium vergönnt geweſen,
all den eingebildeten, aufgeblaſenen Menſchen mit ver-
ächtlichem Lächeln fagen zu können: „Nun wißt aud,
welche Ehre euch widerfahren! Ich bin die Vicomteffe
von Saint Lorrain!” — Aber e3 hätte ihr in der jegigen
bilflofen Stellung mehr gejchadet wie genügt, — und
außerdem war jeßt nod) die traurige Katajtrophe des
Lehnbergihen Haujes zu weltbefannt, um fich mit diefem
gräflichen Namen brüjten zu können Agla& beabjichtigt
auch nicht, ihn als berühmte Sängerin befannt werden
zu laffen. ®eheimnisvolle Andeutungen find bei weitem
interefjanter und aufregender als eine befannte Thatfache,
Man fol fih Die Köpfe über das Grafenfrönden
welches ihre Mäfche und all ihre anderen Sachen fchmüct,
zerbrechen, nun, und Dann findet fih wohl ein Pring
== 393 —
oder Fürſt, welcher um Herz und Hand dieſer ariſtokrati—
jhen Sängerin wirbt. — Ein Pring! Aglaes müde Augen
bligen auf. —
Wie viele Prinzen führten jchon eine ; Theater ——
heim! Und wie würde ihr dann der gräfliche Titel zu
ftatten fommen! — Gie febrte zurüd zur Geſellſchaft!
Die Stunde ihres höchſten Triumphes wäre gekommen!
Dann hätte fie erreicht, was fie ſtets erſehnt und trog
der größten Opfer nicht zuwege gebradt! — — =
Aglaes Phantaſie arbeitet wie im Fieber. AN die
Bilder troßigen Hochmuts, welche fie blendeten, als fie
zum eritenmal den Fuß auf höfijches Parkett jeßte, vers
wirren ihr auch jebt den Sinn und werden zu trügeri⸗
ſchen Serlichtern, welche in Sumpf und Verderben loden.
Dieſer Wahn ift ihr ee geworden, und er
— ſein Opfer
Gibt es nicht viele Wege, die nach Rom führen?
Der erſte, welchen ſie einſchlug, hat ſie irre geleitet, und
ihr Schifflein mit den ftolz geblähten Segeln litt in den
Klippen Havarie; num bindet fie fih glänzende Flügel
an die Schultern, um als lachende, glüdjelige Genie der
Kunſt empor zur Sonne zu fleigen! Chemals hielten
ihre Hände den ſchweren goldgefüllten Beutel als Attribut, _
aber er half ihr nicht empor, im Gegenteil, er 30g fie
tief hinab in ihr DVerderben, — Jebt ſchwingt fie die
goldene Lyra und die lachende Maske über ihrem Haupt
und ijt nicht nur mit Worten, jondern auh in der That
eine Priefterin der Komödie geworden! Comödie — Sit
-m
fie nicht die müächtigfte Göttin des neunzehnten Jahr⸗
hunderts! Ließ fie jemals ihre Jünger ſterben und ver-
derben? Bah, die Comddie, welche Baron Lehnberg und
jeine Tochter vor der Welt aufgeführt, war zu plump
und ungejchidt gewefen, darum machte fie Fiasfo. Ihr.
Bater hatte fein Talent zum Schaufpieler, darum verz
darb er alles, was die Tochter gefchieft infceniert hatte.
Diesmal wird Aglaë ihre Rolle beffer jpielen, und ihre
mächtige Wroteftorin, das Weib mit dem doppelten
Geficht und der ziwiefachen Hunge, wird ifr Sieg und
Triumph bringen. Und Hans. Burfhardt? — Wunders
ih, warum muß fie immer wieder zurücdenfen an ihre
Unterredung mit ihm, nach ~ erſten Diner in ihres
| Vaters Haus?
Da ftand er vor ihr, der Millionärin, al3 armer, unz
bekannter, verachteter Bauernfohn, der Sohn des Pächters
ihres Landbeſitzes! Und er hob ftolz und zuverfichtlich das
jchöne Haupt und nahm die Rolle, welche ihm die Prie-
fterin der Comödie angepriefen und trat fie verächtlich
unter die Füße. Da ftanden fie einander fchroff gegen
über, fie, Die leichtlebige Evastochter, welche die Maske
aufs Schild hebt und Lug, Trug und. Berftelhung Die
Wege zum Glüc und zur Höhe nennt, und er, der jchlichte,
ehrliche Mann, deſſen Sinn viel zu gerade ift, um krumme
Pfade zu gehen, der voll findlichen Glaubens empor zum
Himmel blidt und ſpricht „Sch tenne nur einen Weg,
den die Süße Des nen wandeln können. —
Das ift der Weg der W Wahrheit. Spiele du immerhin
=- 395 ->
Comödie, ich will geradeaus und wahr fein, fo wie Gott
mich geichaffen, fo wie ich bin! Und dann (aß uns
fehen, wer von uns beiden das Glück erreicht!”
Die Jahre find vergangen — das Platt hat fich
gewandt! — Gie, die Millionärin, ift ein verlaffenes,
betrogenes Weib, eine Bettlerin geworden, die faum nod)
ein Fledchen auf der Erde weiß, wo fie ihr Haupt nieder-
legen foll, und er, der Bauernjohn, deffen fie fih damals
Ichämte, er ift der Herr ihres Schlofjeg, er iſt ein welt:
berühmter Profeffor, deffen Willen ein Segen für die
Menfchheit, deſſen Name eine Ehre fürs deutſche Vater:
land geworden
Er jteht hoch in Anfehen, Ehre und Gunst der Welt,
ein reicher Mann, der den Schild der Wahrheit jo rein
und blanf gehalten wie feine Ehre und feinen Ruf. —
Und Aglaë? — Sie ſchämt fih ihres Namens, und fie
muß e3 leiden, daß die Menjchen die Achſeln guden und
jagen: „Ste gehört nicht mehr in unjere Geſellſchaft —
die Wege, welche durch Lampenlicht und Couliſſen führen,
find jchlüpfrig und abſchüſſig, und man weiß genau, wie
viele auf ihnen zu Sal gefommen!”
Aglaë hatte das Gefühl, als müſſe fie laut aufitöh-
nend Die Hände vor das Antlit jchlagen, aber fie beißt
troßig die Zähne zufammen und hebt das Haupt: „Noch
iſt nicht aller Tage Abend, Hans Burkhardt, und noch
gejtehe ich dir den Sieg nicht zu! Eines Tages Wende
verändert oft viel, und die, welche bei Sonnenſchein ihr
Schifflein beftiegen, endeten oft bei Nacht in Sturm und
— 396 —
Regenflut! Eich! Die ae — hat ſich hinter
Wolfen berſteckt, Wind und Hagelſchauer geben mir das
Geleit ing Leben hinaus, laß chen, ob mich die Dunkel—
heit verichlingt, oder ob mir ein neuer Stern aufgeht,
welcher noch höher. ſteht und itrahlender erglänzt als der |
deine! Va m De Burkhardt! |
Monate fürb vergangen.
Grau in grau lajten die Nebel auf der nordiichen
Große md Handelsitadt, Winterfälte Hat alles blühende
~ Leben zu Tode gefroren, und wo Karneval feine lärmende r
a Muſik nicht hinträgt, wo der Etrapentrubel fernab verz
hallt — da iſts als liege die Welt in traumlojem Schlaf
wie ein armes Beib, u unter a aus;
jammengebrochen. = | |
Im Hajen flogen die Schiffe, ernit, düfler mb: At,
wie unheimliche, geſpenſtiſche Rieſen, welche das Unheil
mit Schwarzen Fittichen herbeitragen und das Glück auf
Nimmerwiederſehen bon dannen führen. Der Mind pfeift
über das Waſſer, in welchem fidh mächtige Eisſchollen
übereinanderdrängen und aufjtauen, um in wildgetürmten
Blöden zuſammen zu frieren. Es ſauft und knirſcht und
pfeift im Tauwerf, und Die Stimmen Der heimfehrenden
Hafenarbeiter vertlingen in Dr N ac, Wenig Lalernen
exrhellen den We ooo
Auf der Brüde ſchreitet langjam eine dunkle Gejtait.
Eine Dame, feſt eingewikkelt in dunkeln Mantel, das
Haupt durch ein wollenes Tuch geſchützt Sie lehnt ſich
=E
—
=
%
—
=
*
a en
auf daS Brüdengeländer umd ftarri in daS dunkle, fich
langjam dahinwälzende Waſſer hinab. Die gefalteten
Hände zittern, ein leiſes rampfhaftes Schluchzen er:
ſchüttert den vorgeneigten Slörper. — Das trübe Laternen⸗
licht ſtreift Das bleiche, vergrämte Angeficht. — un
Ein Ausdruck dumpfer Verzweiflung liegt anf ihren
Zügen, groß und brennend ftarren die Augen aus tiefen
Schatten. Cie iſt allein, kein Menſch hört und ſieht fie.
Ein Sprung in diefe düftere, Jrauſige Tiefe hinab, und
fie hat überwunden, — fie ift fret von allen Elend und
aller Not! — Ein Aufftöhnen der Todesqual! Aglaë
frampft die Hände zuſammen und läßt den Kopf ſchau—
dernd vornüber auf das eisgliternde Geländer finfen —
— e3 ift jo jchwer zu terien! | |
„Duid friert! — Was thurs? Sm Grab its fälter
noch als hier!” klingt ihr die Melodie ‚wie ein nerwors
renes Getöje durch den Sturm — und Die Vicomteſſe
von Saint: Lorrain taumelt mit leiſem Wimmern zurück
und. flammert fich an den Zaternenpfahl. Nein, fie faun
nicht jterben — c8 ijt jo unheimlich, jo jchauerlich drunten
in der Walfertiefe — und fie möchte jo gen — ad fo
gern noch leben. sit denn feine Menjchenjeele auf Gottes
weiter Welt, welche ſich ihrer erbarmen möchte?
„Haus! Ach, Hans!” ſchluchzt fie auf — und wie
fie mit irrem Blid in das Schneegeitöber ftarrt, welches
beginnt die Luft zu füllen, da fteht er wieder vor ihr,
der Freiwillige auf der Schildmacht — der veradıtete,
verleuguete Freund, an welche fie ehemals vorübereilte,
— 38399 —
ala fei Der liebevolle Ruf ihres Namens aus femen
Munde eine Schande für fie! — Und nun fol fie ihn
rufen? Sol ihn um Hilfe und Mitleid anflehen — ihn,
Der e3 weiß, wie jchändfich fie an ihm gehandelt? —
Aglas preßt die Hände vor das Angeficht. — Sie will
nicht ſterben und kann ſich doch auch nicht demütigen vor
ihm, den fie ehemals unter die Füße trat. n
Warum fagte fie ihm das legte Mal in Eimdifchen =
Trog, wie falſch und ſchlecht fie gegen ihn gewejen?
Warum bekannte fie ihre Schuld und rih Damit einen
Abgrund zwiſchen ihm und ihr auf, — den nichts wieder
überbrüden fant?
Närrin, die fie ijt! Behurfte e3 einer Beichte? Hat
es der Worte gebraucht, um ihm erft ihr Benehmen ffar
zu machen? Hat er es nicht längjt jchon felber gewußt
und empfunden, wenn fie ihm Durch die verlehendften
Worte fränfte und ihn, den einzigen Freund, nicht wieder
in ihres Baters Haus lud, weil fie ſich ſeines jchlichten
Namens und geraden Wejens ſchämte?
Nein, e3 hätte ihrer Beite nicht bedurft, er kannte
fie und ihr erbärmlic)es Cein und Wefen! Und fie, ge
rade fie foll in dem niederdrücendften Schuldbewuptjein
zu ihm kommen, fol ihn zu Hilje rufen und jagen: „Du
halt abermals reiht gehabt, Hans Burkhardt, iģ bin
wie ein eigenfinniges Kind in mein Verderben gerannt,
nun fomm und rette mich vor dem. Untergang!”
Aglaë beit die Zähne zuſammen und hebt im alten,
ftarren Trog das Haupt. Nein, fie fann fich nicht des
ainge — nicht vor — Vorwärts — ein paar
Wochen fann fie wohl nod) das Leben friften, wenn fie
die rote Sammetſchleppe und ihr letztes Armband verz
fauft. — Ihre Koffer find allerdings fon ſehr leer
geworden, aber wenn fie ein Engagement findet, gibt
man ihr entjchieden Kredit, neue Koftüme anzujchaffen.
Ein Engagement! Sie hat Wochen und Monate ver-
geblich darauf gewartet! Sie hat fein Geld gehabt, fidh
die Wege zu ebnen, und wenn die Armut tugendhaft bleiben
will, dann wird fie überall unter Die Süße getreten.
Langſam ſchleppt fich Agla& weiter. — Welche Gr-
fahrungen hat fie gemacht, welch eine hama ge Sorte
von Menfchen hat fie fennen gelernt! Ein Hilfe und
ſchutzloſes Weib ift ein vogelfrei Wild, — Wolf und Fuchs
itellen ihm nad), es niederzureißen.
Eine menjchenbelebte Gaſſe nimmt Die Be auf.
Hellfihimmernde Fenſter! Muht und müites Sejuchze
tanzender Matrofen und Dirnen! — Da drinnen iſts
warm, warm und luftig! Und daheim in Mglaës elender
Manfarde brennt fein Feuer im Dfen und kein Licht auf
dem Tifch, e3 ift bitter falt, — jo falt, daß die ver-
wöhnte Millionärin fogar vor Froft zittert, wenn fie fich
auf das harte Lager miederitredt.
Bratenduft ftrömt aus den geöffneten Fenftern Des
Reftaurants — — und Aglae hungert bereits feit dem
frühen Mittag. Gie ift ausgegangen, jich für Die legten
Grofchen Brot zu faufen. — Ad, und wie weh thut der
Hunger! — Sie pret Die erjtarrten Arme fejt gegen
— 4011 —
ſich, aber ihre Schritte werden zögernder, und ihr fieber-
glänzender Glid ſchweift in die Fenſter — Es feint
ein übles Lokal zu jein, eines jener berüchtigten Tang- —
lofale, an denen Hafenſtädte beſonders reich find. |
Ein altes Weib hat in der Thür gejtanden und die
junge, Schlanfe Frauengeftalt beobachtet. Sie tritt ſchlürfend \ n
por und jchaut ihr fcharf Ben in das Gelidht. —
Ein befriedigtes Grinjen. — Bertraulich fapt fie den
Arm der Fremden und flüftert ihr ein paar Worte ing
Ofr: „Komm mit Täubchen! Kannſt dich ielber übers
zengen !” ſchließt fie fichernd und will Aglaë zur Thür
giehen.
Mit einem leifen Wuffchrei des Abſcheus ER. Ent-
ebens reißt fidh Aglaë {08 und flieht wie panie n in
die falte, troftlofe Nacht hinaus. —
Shr verftörtes Antl ig wendet fidh zum Himmel, Thränen
ſtürzen aus ihren Augen: „Ich bin elend, Hans Burkhardt,
arm und verlafjen, hungernd und jrierend, aber ich weiß.
dennoch, was ich Dir gelobt habe, — unD to vergeſſe
es nicht — ich bleibe brav und gut”
Viele hohe Stiegen führen bis zu der armſeligen
Dadu: der Vicomteſſe von Saint Lorrain. — Schwer
atmend, matt zum Umſinken fteigt Aglaë Stufe um
Stufe empor. Es flimmert ihr vor den Mugen, wie ein
Schauder des Entſetzens riejelt'3 durch ihre Glieder:
„Nicht noch frank werden! Herr Gott des Himmels —
nur das nicht! Ein ſchwerer Schritt Elingt ihr entgegen.
Der Poitbote fommt die Treppe perot Er greift an
N, w, Eihftruth, SL Rom u. Nov., Eoimödie Il. ———
ae >
die Mütze und blidt teilnehmend in das Sefihten
des armen Fräuleins. _ |
„Ra, Sräuleinchen! Heute habe ich einen Brief back
und er jieht gerade jo aus, als ob "was Gutes drin ſtünde!“
Sie zudt empor und nidt ihm haſtigen Dant, dann
an i ſtürmt ſie wie neubelebt die ſchmalen Stufen empor. —
Auf der Thürklinke liegt ein Brief. Cie greift mit
zitternden Fingern danad. Ein großer roter Stempel
verichliegt ihn. Aglaë nimmt fih feine Beit, Licht in
ihrem Stübchen anzuzünden, fie tritt an die Gasflamme
des Treppenhaufes und reißt den Umfchlag von dem
Briefbogen. Die Direktion des Stadttheater zu X. fragt
an, ob Fräulein Lorrain unter nachjtehenden Bedingungen
die Stellung einer zweiten Sängern annchmen wolle und
bereit fei, in dreimaligem probeweifen Gaftipiel zuvor
aufzutreten. Falls dem Fräulein die Mittel zu der Neife
fehlen jollten, jei Die Direftion bereit, den nötigen Bor-
ſchuß zu gewähren,
Ein halb erftidter Aufjchrei mbefchreiblichen Ente
zückens! Aglaë umframpft den Brief und want in ihr
Stübchen. Dort bricht fie in Die Knie und hebt die
gefalteten Hände inbränftig zum Himmel, ihre Lippen
regen ſich — aber fie bleiben ftumm, und dann finft ihr
Haupt langjam pornüber auf den Stuhl. — So verharrt
fie ſtill und regungslos, als ſchlafe fic. Ein ſeeliſcher
Schlaf der Ergquidung und Läuterung, welcher die große
Sirije mit fid) bringt und Tod oder Leben birgt. —
— — — Eine fieberhafte Aufregung riß Aglas gewaltfam
— 403 —
empor. Mit dem größten Eifer begab fie ſich an Die
Vorbereitungen zu der gewichtigen Neife, fang voll uners
muüdlichen Fleißes die Dpernpartien, in welchen fie debütieren
jollte und hörte es in übergroßer Aufregung nicht, wie
ihre Stimme durch Not und Alterationen gelitten. AU
ihre Muskeln und Nerven waren gefpannt, und ihr Her; -
klopfte zum Zerſpringen in der Qual des Hangens und
Baugens zwiſchen Furcht und Hoffnung dem Tag ent—
gegen, welcher über Eein oder Nichtſein entjchted.
Und er dämmerke endlich herauf, jo flar und ronid.
bleudend, dah der u on le ne —
o a | E
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FIR
XVII.
Wer jeden Blitz beſchwor,
ihn zu zerſtören,
Und jeden Strom, daß er
o þisweg ihn ſpüle —
Mit allen Düalen, diè
fein Herz empören, —
Und mer den Toten ibre
harten. Pfuhle
Mißgönnk, wo Liebe nicht
mehr fann betbören,
Der lennt mich ganz, und
Fühlet, mas ich füble!
-Bfaten,
Kegungslos hinausitarrend in
den Schneeiturm lag Aglae in den
OR | Boliter des Eiſenbahncoupes aus
— * a alae und zog den Mantel
Ba ‚jelter und feiter wu fich her, denn
trob des wohlgeheizten Raumes fchauerte fie wieder:
holt wie im Echüttelfroft zujammten. Mber fie beachtete
es nicht, mechanisch hüllte fie fih wärmer ein und
schlag die Hände in einander‘; eisfalte, ftarre Hände,
dieweil ihre Wangen wie Feuer ah und die Lippen,
trocken und Heiß wie bei einer Sieberfranfen, fich in
tiefen, durſtigen Atemzügen öffneten. Sie war nervös
und aufgeregt, Das hohnlächelude Geſpenſt Lampenfieber“
— 405 —
tanzte ſchon feit Nächten einen ſchrecklichen Meigen um
ihr Qager, hielt in Der einen Hand einen Lorbeerfrang
und in der andern eine Pfeife, deren ſchriller Laut durch
Mark und Bein geht. — 2
Zum erſtenmal auf die Bretter! Bum eritenmal
vor ein Publifum treten, welches mit falten, grauſam
‚fritiichen Gefihtern über fie zu Gericht fißt und „Tod
oder Keben” als Urteilsiprucd fällt. — Hat Aglaë früher
ein derartiges Gefühl zitternder Angſt gefannt? Hat fie
etwa Bejangenheit oder daS verlegene Gefühl der Un-
ficherheit je in ihrem Leben empfunden? Und nun bebt
fie an allen Gliedern und droht ſchon bei dem Gedanfen
an diejes erjte Auftreten kraftlos in Die Knie zu finfen!
Was hat fie derart gewandelt und verändert? Iſt nicht
nur ihr äußerer, jondern auch ihr innerer Menih
von dem Elend und ber Not ‚jo erbärmlich in den
Staub getreten? —
Aglas Hat ihr ftolzes Selbſtbewußtſein verloren; die
fihere Stüße der Millionen ift unter ihren Füßen fort-
geriffen, nun jteht fie haltlos und verzagt, nicht mehr
Die übermütige kecke Gebieterin der goldſklaviſchen Welt,
ſondern eine Bettlerin, melde ſlehend die Hände um ein
| Almof jen hebt.
Ein Blid in den Spiegel fagi ihr, daß fie auch nicht
mehr die hübjche, elegante Aglaë von ehedem ift, daß
Entbehrung und Elend ihre entſtellenden Wahrzeichen in
ihr Antlig gejchrieben. Die Schminke thut viel, aber die
Magerfeit läßt ſich niht übertünchen, oh De junge -
2 a
grau muß wieder und immer wieder an jene arme
Debütantin denken, welche damals Fiasfo machte, und
über deren Mängel fie felber am herzlojeiten fpottete! —
Sie hört noch das leife, immer lauter werdende Lachen
des Bublifums, als die Unglückliche mit ihrer fcharfen,
weinerlichen Stimme die Gnadenarie wimmerte; fie hört
noch, wie durch diefes Lachen die erſten Bif ſchlaute klangen,
wie endlich ſchrille Pfiffe das Sinken des er
veranlaßten. —
Damals hatte fih Aglaë königlich über dies Salet
meszo amüjiert, denn fie wünfchte e3 fich ſtets, mal einen
Eleinen Theaterjfandal zu erleben. Jetzt aber, bet der
Erinnerung flagen ihre Zähne wie im Grauen zus
fammen, und ihr iſt's als träume fie mit offenen Augen
einen entfeßlichen Traum; da fteht nicht mehr jene Fremde,
ſondern ſie ſelber vor den peifenben und zijchenden Henfers-
fnechten und fühlt, wie ihr die Sinne jchwinden unter
den Folterqualen folch eines Augenblides!
Aglaë ſchrickt wild empor und preßt die Hände gegen
die Schläfen, die hämmern und glühen.
Nur das nicht! Nur nicht eine ſolche entſetzliche Ber-
für ihre Herzlofigfeit und ihren Leichtfinn! Ein
Mißerfolg iſt für ſie gleichbedeutend mit Vernichtung. —
Thorheit, warum martert und quält fie ſich vor der
Reit mit folh furchtbaren Bildern, welche fie mutlos
und verzagt machen, noch ehe fie den erjten Schritt auf
die Bühne gethan! Kopf hoch! Luftig und guter Dinge!
Sie ift jebt am Hiel und weiß es, daß die Schweſter der
= AD
Comödie die Leichtlebigfeit heißt, welche fed den Einſatz
auf die höchfte Nummer wagt! —
Die junge Frau verjucht fich abermals an all den
bunten, fröhlichen Gaufelbildern zu beraufchen, welche ihr - :
zeitlebens wie lodende Srrlichtflämmchen vorfchwebten,
und der lebte Funken ihres alten Leichtfinns, welchen die
Ace jchon zugeichüttet, flammte noch einmal grell auf,
da ihm fo viel Flitter, Plunder und Glaſt geboten wird!
Ihre fieberhafte Phantaſie reißt ſie mit ſich fort und
eine hohe, beinahe aufgeregte Freudigkeit erfaßt fie, als
der Hug in die weite Bahnhof Shale, dem Endziel ihrer
Keife, einfährt.
Ein junger Mann in livreeartigem Anzug nähert fich
ihr. „Sch bin Theaterdiener und fuche ein Fräulein
Lorrain” |
Angenehm überrafcht blidt Aglaë auf. „Ich biws!”
ruft fie haſtig „Haben Sie eine Nachricht für mich?“
Ich foll das Fräulein nad) dem Hotel Kronprinz
bringen, wo bereits Logis beſtellt tl
Ah . - Logis für mih? — Die junge Frau ſtammelt
ſehr verlegenen Dank und fügte ängjtlich hinzu: „Es ift
doch nicht etwa das erjte und teuerſte Hotel?”
„Das iita fchon, Fräulein! aber darum brauchen
Cie ſich nicht zu mmainigen, e3 wird fchon ‚alles bezahlt
werden!” —
Aglas begreift faum dieje Fürforge der Direftion, fie
bat nie von derartigen Xiebenswürdigfeiten gehört. —
Sie gibt dem jungen Mann ihren Gepädichein und fieht e
— 408 —
ihn unfchlüffig an: „Sit es denn hier bei Dem Theater
Sitte, daß man jo febr gütig für auswärtige Gäfte forgt?”
Der Diener lächelt feltjam und fieht fie etwas erz
jtaunt an. „Für gewöhnlich wohl nicht, Fräulein! Wenn
aber eine Dame jo recht gut empfohlen wird und feinen
Anhang Hat, — na, Dann find auch unſere Herren
Direktoren coulante Leute! Aglaë ſtarrte ihn verſtändnis-
los an, aber der Sprecher hatte feine Kappe wieder aufs
geſetzt und eilte, ihr Bahn brechend, voran durch die
Menge. Sollte einer der Agenten fie plößlich fo
warm und dringend empfohlen haben, nachdem man fie
zuvor durch eine nichtswürdige Behandlung „mürbe“
machen wollte, daß fie beinahe dem Verhungern preis-
gegeben war?
Vielleicht hat fich bei einem ihrer Peiniger das Gewiſſ en
geregt, und er will ſeine ehemalige Handlungsweiſe nun
doppelt gut machen!? — Aglaes Kopf ſchmerzt; fie hat
feine Gedanken zum Grübeln und Sinnen, die wirbeln
alle jo aufgeregt durcheinander wie die Schneeflocken
draußen in der —
Sie beſteigt den Hotelwagen und bald raſſelt derſelbe
durch die belebten Straßen, welche ihr blendend helles
eleftrifches Licht wie Blige durch Die gejrorenen Fenſter⸗
jcheiben werjen. — Welch ein lang entbehrter, wonniger
Genuk, ein elegantes; glänzend erleuchtetes Hotel zu
ſchauen! —
Man empfängt die junge Frau mit piel Aüoprfömmen:
heit, und wie traumbefangen, ein feliges Lächeln auf den
— 409 —
Lippen, betritt fie ihr fomfortables Rimmer, in welchem
jogar ein Pianino von der Wand entgegengrüßt. — .
Warm und heil! Behaglich und elegant! Dies find Ber
griffe, welche Aglaë beinahe fremd geworben find in der
entjch lichen. Beit ihres Elends, — | =
Ein warmes Abendbrot wird ferviert, ein Glas ailen
Weines rinnt wie euer Durch Die Adern, und Dann
überjällt die junge Debütantin eineummiderjtehliche, bleierne
Müpdigkeit, fie legt da8 Haupt nieder in die ungewohnt
weichen Kiffen und finft in einen Schlaf tiefer Er-
Ihöpfung. — — —
Die Direktoren des Theaters empfangen fie ſehr zuvor-
fommend, ‚wenngleich der eine der Herren fie etwas über:
rajcht anfieht, als habe er fich Agla& Lorrain anders
vorgeitellt. Die fejtgejegten Proben werben befproden,
und als fid die Debütantin verabfchiedet, Ätreicht Direktor
Lißmann ein. — über den Bart u räuſpert
fih unſchlüſſig
„So weiß nicht, Sräufein Lorrain, ob Cie mit dem
Theaterleben, feinen Sitten und . . . er lächelte fein —
„wohl anh Unjitten befannt find gu —
Aglaë neigt zuftimmend das Köpfchen: „Vollitändig,
Herr Direktor.” — Eie hat den Frager jedoch miß—
verftanden und bezicht feine Worte lediglich) auf das
Leben hinter den Couliſſen
„Sehr wohl! Sch hätte Ihnen andernfalls gern Die
nötige Anleitung und Natjchläge gegeben. So wijjen
Sie wohl felber, was eine junge Anfängerin zu thu
— 410 —
hat, um ſich Kritik und Erfolg nach Möglichkeit zu ſichern! *
Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Sie eine nicht zu
unterſchätzende Konkurrentin haben, welche mit ihrem
Anhang in hiefiger Stadt gewiß nach Kräften gegen Sie
intriguieren wird! — Aber nur Mut! Ich ſpeziell hoffe
febr, Sie dauernd engagieren zu fünnen, mein liebes
Fräulein, und werde auch meinerſeits das Möglichite
thun, um Ihnen die Wege zu ebnen. Allerdings find
mir ja in gewilfen Beziehungen die Hände gebunden.”
Er lächelt abermals und zuckt die Achjeln. „Die ‚Elingende‘
Agitation muß von Ihnen ausgehen! Wenu Sie aber
irgendwelche Geldmittel benötigen, jo bitte ich nur, Ihre
Wünſche zu äußern!” |
Aglas dankt jehr Herzlich, fie verfteht nicht recht,
was der Direktor mit flingender Ugitation meint, aber
jie ift zu befangen, um eine Aufklärung zu erbitten. Zu
einer Trage jedoch faßt fie noh Mut. — „Die ‚Herren
haben nich fo außerordentlich liebenswürdig aufgenommen
und meiner, al3 einer völlig unbefannten und umbedeuten-
den Anfängerin, fo gütig gedacht, daß e mich intereffieren
würde zu erfahren, welcher der Agenten mich jo warm
empfohlen hat. Sch gejtche Ihnen ehrlich ein, daß ich
durch den plöglichen Umſchwung im Benehmen dieſer
Herren aufs höchfte erjtaunt und überrajcht war.“
Lißmann wendet ſich etwas zur Seite und wechjelt
einen jchnellen Blid mit feinem Compagnon. Dann
macht er eine jcherzend geheimnisvolle Gefte. „Nie jollit
du mich befragen!” — fingt er voll Humor und fügt
—
ernſthafter Hinzu: „Später darüber, mein liebes Fränfein!
Wir find allerdings Durch eine ſehr genichtige und einfluß
reiche Perſönlichkeit auf Sie aufmerkſam gemacht, dieſelbe
aber wird Ihren Dank erft entgegen nehmen, wenn Sie
vollen Grund zu folcher Dankbarkeit haben, und. Ihr
erſtes Debüt als vollfommener Triumph hinter. Ihnen
liegt!’
— — — Bunderlih! Welch eine einflußreiche
Ihenterperjönlichfeit hat fih ihrer fo geheimmnispoll anz
genommen? — MWührend des Heimmwegs zerbricht ſich
Aglas vergebens deu Kopf, Diejes Nätfel zu löfen.
Sollte Dennoch einer ihrer alten Bühnenfreunde oder
freundinnen im ſtillen für ſie wirken? | —
Ein bitteres Lächeln ſpielt um ihre Qippen. MNein
Taufſendmal nein! Keine Menſchenſeele kannte ihren Auf-
enthalt, und von jenen verächtlichen Lenten, welche fie
damals in jo qualvoller Enttäujchung von Grund des
Herzens fennen lernte, nimmt wohl feiner jo viel Intereſſe
an ihrem Schidjal, dasjelbe Sahre hindurch zu verfolgen. —
Daheim in ihrer Vaterftadt ift fie wohl längit vergeffen,
da ijt bereits Gras über Perjon und Namen eines Weibes
gewachlen, we (ches jo unbeliebt und angefeindet geweſen
wie die Vicomteſſe von Saint Lorrain. |
Wer aber, wer hat von ihrem Elend gehört? Ber
hat fich ihrer in höchſter Not erbarmt? — Einer der
Profeſſoren des Stonjervatoriums? — Dies wäre Die
einzige Möglichkeit, ſo a fe au Figen
mag. ~- Welcher von ihnen 2” -
- 0
Aglaes Gedanken | fchmeifen zurück und verlieren ſich =
in taufend Grübeleien; geneigten Haupteg, ohne redt
oder links zu bliden, fchreitet fie vorwärts. Eine hohe
Männergeftalt fteht abjeits an der Straße, den Blid feft,
in langem, forfchendem und unendlich wehmütigem Schauen
auf ihr bleiches, vergrämtes Antlib heftend |
Aglaë bemerkt ihn nicht, — fie ſucht nach ihrem Beil
thäter und ftreift ihn beinahe mit dem Gewande.
— — — — — — — — —— — — — — — — — — —
Bum erſtenmal im Theater! Bum erftenmal hinter
den Couliſſen! — Aglass Herz klopft zum Zerſpringen,
als ihr Auge ſich an das Dämmerlicht des Bühnen—
raumes gewöhnt, und fie um fih her blickt, auf die
jeltfam ftaubige, trügerifche Couliffenpracht, welche iur
dem Publikum ihr buntes, lachendes Angeſicht, Beifall
heifchend, zeigt, denen aber, die hinter ihr ftehen, nur
ein gelangweiltes, miürrijches Grau in Grau weilt, als
wollte die farbloje Leinwand jagen: „Bor den Lampen
— da ift alles eitel Glanz und Luftbarfeit, aber hier
hinter den Coulifjen wohnt nüchterne Wirklichkeit, wird
Spiel bittrer Ernft! Dort geht die Kunſt nach Lorbeer —
hier nad) Brot! Und was fich. der Welt als friedlichſte
Harmonie zeigt, ijt im engen Rahmen der Eofitten oft
ein Krieg auf Zod und Leben! Die Comödie hat zwei
Heerlager; — vor dem Vorhang zeigen fih nur die
Streiter, welche in dem Rampi aier dentjelben Sieger
geblieben!
— 413 —
Die Vorſtellung der Kollegen ging ziemlich ſchnell und
fühl von ftatten. Die meiſten der Anmwejenden zeigten
die gleichgültige Miene, welche die Gewohnheit mit ſich
bringt, und auch die weniger Abgeftumpften befchränften
fich auf Beobachtung einer ftummen Reſerve, welche das
rein Gefchäftliche dicjer Begegnung markiert Man ftand
in Eleinen Gruppen zujammen und plauderte. Die crite
Sängerin, eine üppige blonde Schönheit mit prätentiöfen
Mund und einem fehr ungenierten Wefen, wicelte fich,
auf die unerträgliche Kälte jchimpfend, noch fejler in ihren
prachtvollen Zöwenpelz und glojlierte mit dein Helden:
tenor über eine geftern befuchte Geſellſchaft, wo der ders
wöhnten Dame nichts gut und elegant genug gewejen.
Dabei blikte ihr Blick unausgejebt zu Aglaë hinüber,
fie zu mujtern, bis fie fich Dicht zu ihrem Nachbar neigte |
und ziemlich laut in ihrem Wiener Deutſch lachte:
„Schauen! Das fol a Schönheit fein?! — Y feh” nir
wie a Hand vol Haut md Knoche!“ —— ein
unterdrücktes, allgemeines Gelächter entſtand
Der Vertreter der Boſewichtrollen trampelte, um ſich
zu erwärmen, mit den Füßen. Eein glattraliertes
Mephiftogeficht fneift die Augen in fchnellem Lächeln zu-
jammen. „sch bin beruhigt, Kinder —“ fagt er voll z
Sronie — „das Haus wird nicht zulammen ftürzen unter
dem Beilallejturm der Menge!”
„Und die Suchini fann ruhig jchlafen! Um dieſer
Konfurrentin willen braucht fie fich feine grauen Haare
wachfen zu laffen! Dieje kleine Jammergeftalt ſoll
ae
eine Fides fingen? — Lächerlich! Die rutjcht ja aus
Verſehen in cine Dielenrike, ehe fie das Fu über-
haupt zu Gelicht bekommt !”
„Donnerwetter, ja! Berflucht mager! Darf ſich nicht
mit ihrem Köter
photographie-
ren lafien!”
„darum denn
nicht, Mär:
He
„Beil man
ſonſt unter Das
Bıld Schreiben
könnte: Ein
Hund, welcher
einen Knochen
bewaht!!® 4
Große, wenn N
auch gedämpite
Heiterkeit.
Die Kün-
gel Des Ne:
giſſeurs ertönt
und zeritreut Die Spötter.
Aglaë hat mit Dem Direktor geplaudert, aber ihr
gutes Auge hat ihre Kollegen beobachtet, und fie empfindet
e3, daß man fie verhöhnt. Das treibt ihr das Blut
zu Kopf, Daß fie vermeint, erſticken zu müſſen
24197 a
Die Duverture zu dem ‚Prophet jeßt ein; Der
Kapellmeifter bricht jedoch auf Wunfch des Direfinıs ab
und geht fofort zu dem eriten ne des erſten Aftes |
über. 5
Aglas bebt an allen Gtiedern. Es deucht ihr gany
unmöglich, daß fie nieh jebt hierher — und ſingen _
DE
Die Dame im Löwenpelz ift an fie herangetreten.
„Sb finge Die Bertha, Fräulein Lorrain! Sie find
hoffentlich vollkommen ficher in unjern Enſemble⸗Partien
und Duett3, denn ich habe leider abfolut feine Beit noch
Privatproben zu übernehmen!”
Ich Hoffe, fider genug zu fein.”
„Singen Sie zum ee vor Publikum 2%
„Leider Gottes!“
Die impojante Vertreterin der Bertha lacht und legt
ihre Hand wuchtig auf die Schulter der Kollegin. „Na,
da gratuliere ich, Sie armes Wurm!” jagt fie familiär:
„Da ift bier gerade ein verteufelter Boden für Er itlings-
erperimente! Welcher Unverjtand von einem Agenten hat
Sie denn. gerade hierher vor unſer mehr wie fritijches
Publikum gebracht? — Sie hätten erft mal an kleiner
‚Bühne: verſuchen müffen! — Was ſoll denn das geben,
wenn Sie hier das Lampenfieber befommen, von deffen
Schredniffen Ste Unjchuldslamm gewiß noh gar nichts
ahnen! Da unten — fehen Sie die erite Reihe im
Parkett? Da figen unſere Scharfrichter,. Die Herren
Recenſenten ! An diefen Engelsföpfchen fünnen ie gleih
~ b >
erfennen, ob Cie wag von Ihrem Gaftfpiel zu hoffen
haben! — Wenn der fleine, grauhaarige Brillenbaftil —
welcher gerade vor una, hier in der Mitte fit, ab und
zu ein PBrischen nimmt, und hierherauf fchmungzelt, dann
fiten Sie in der Wolle, wenn er aber den Goldfnopf
feines Stodes unter das Kinn preßt und mit dem Tafchen=
tuch in der Hand herumfuchtelt, dann brauchen Eie die
Koffer gar nicht auszupaden. — Wo find Sie Denn
eigentlich ausgebildet?” M se
„Auf dem Konjervatorium zu Æ. !” — ftanmelte Aglaë,
welcher trog der Kälte der Angftichweiß auf die Stirn
trat. Der Heldentenor ftand hinter ihr und ſchob eine
Kalamelle in den Mund. — „Konfervatorium zu &.?”
fuhr er haftig herum „Teufel, ja, — ift Pech für Siel
` — Unfere Sritif hier Haft die Schüler vom Kolſch! Hat
noch feiner hier reijfiert! Na, da will ih Ihnen nur
den guten Nat geben, verichweigen Eie diefe Thatjache,
jonft ſind Sie von vornherein aufgeworfen!”
„Das ijt ja entjeglih!” ftöhnte Aglas leiſe auf.
Der Direftor trat Haftig heran, und die beiden.
Unglürfsraben zogen fich zurüd.
„Hat man Sie etwa durch irgend welche Außerungen
bejorgt gemacht, Fräulein Lorrain?” fragte er gütig mit
forſchendem Blid in ihr verſtörtes Gefichtchen. „Ich bitte
Sie, keinerlei Wert auf die Nußerungen irgend einer
Berfönlichfeit zu legen, t denn wie ich Ihnen bereits lagte,
iteht Ihnen eine Nebenbuhlerin gegenüber, und die In—
trigue kämpft nicht immer mit ehrlichen Waffen I“
— 417 —
Thränen ftanden in den Augen der jungen grau,
‚so bin jo nervös vor Angit und Aufregung, Herr
Direktor !” Elagte fie bebend — „es hängt ja meine
ganze Exiſtenz von dieſem Debüt ab! Neüff ſiere nicht,
muß ich verhungern |
-Œs lag etwas Sonderbares in dem Befictsansprud
Lißmanns, eine beinahe chmerzliche Erregung und ein
tirleid, welches die Vermutung zuließ, daf- er wußte:
Dieſe Worte Spricht ein Weib, das m über Mi ilz |
lionen verſügte!“ Se
Er jchüttelt lächelnd den Kopf na ee hr Se
Hand. „Unbejorgt, und um Gottes willen feinen ſchwarzen
Gedanken Raum gegeben! Es wird alles viel beſſer
gehen, al3 Ste denken! Nur ruhig Blut und Courage,
das find die Zaubermittel, welche den beiten Erfolg
garantieren!’
„Scene 2! Darf ich bitten, Fräulein Lorrain!” flang
die Stimme des Kapellmeilters vom Orcheſter herauf.
„Nun vorwärts! Gingen Eie alle Sorge in Grund
und Boden!“ nickte der Direktor — und trat
zurück.
Aglaë preßte schwer atmend den Muf gegen die —
Brult. Neben ihr ftand die blonde Bertha und bligte
ie mit den blauen Augen beinahe feindjelig heraus:
fordernd an: „Dant dir, o meine Mutter! Endlich
bijt du denn hier!” — tlang ihre volle, fchmetternde
Stimme mie Sronie burch das leere Theater, Atemlojes
— | |
eihftruth, ‚SE, Rom. ii. Nov, Komödie U. ———
a
„Du barrteit — — Hat mit umnficherer
leijer Stimme ein.
„a nu?“ flüftert der Operitiuer bem Direftor zu,
„man hört ja gar nichts I"
Wird Schon fommen! fie markiert die ham. 2
und Müpigfeit Der Fides
„Dann ift die arme Frau aber dicht am Umtallen!!
jpottet der jchöne Mar mit lauerndem Blick Keine Ant⸗
wort, der Direktor ift ganz Ohr. |
„Und Sohann, mein Cohn, er harrt mit heier Eehn-
fucht !” Elingt e& ein wenig fräftiger von. den bleichen |
Lippen der Debütantin. Cie fcheint fich etwas freier zu
fingen. ‚Bon allen Mädchen hier‘ nimmt einen erfreu⸗
lichen Aufſchwung, und der Direktor nidt : ermutiz u
gend zu. In
— Nach beendigter — nitt er abermals. meen — >
und lobt ihre gute Schule, ſowie Den pren Ausdruck
174
der M üdigfeit in Etimme und Spiel. — Aglaë ſieht ee
ihn ein wenig betroffen an, aber fie dantt a u
herzlichen Hänpdedrud.
Bei der Romanze zwiſchen Bertha amd b Fibes phn
Dag zarte Drgan der legteren fchier verjchlungen von
der mächtigen Stimme der Kollegin. |
„Sie waren ein wenig zu laut, Fräulein Mathiſen!“
ſagte der Kapellmeiſter mit einem fragenden Blick auf
den Direktor, „Die Stimme von Fräulein Lorrain fonnte
nicht durchdringen!
Die Diva zudt fpöttiich die Achjeln: „Pardon, Herr
— 419 —
Kapellmeiſter““ — entgegnet fie ſcharf „Sch habe noch
nie mit einer derartigen Fides gefungen! —“ Gie
legt einen jo abjcheulichen Ausdruck auf derartigen”,
daß Aglaë er Blut in die Wangen ſchießt.
Bitte ſortzufahren Küng Lißmanns Stimme e fhar
dazwiſchen. | |
| Während der Pauſe dee zweiten Aktes tritt er aber: =
mals neben Aglaë: „Laſſen Sie fih nicht einſchüchtern,
Fräulein Lorrain! Die Mathifen outrierte in dieſem
Aft. Lajjen Eie fidh micht verleiten, fie überſchreien zu
wollen, Shre Stimme ift zart und weich und noch etwas
matt von den Neifeanjtrengumgen. Am beiten wird e3
fcin, Sie faſſen Die Fides durchweg als eine alte, ge-
beugte Frau auf. Legen Sie das Hauptgewicht auf
einen jehr künstlerisch gefchulten Gejang und fuchen
Sie gerade durch Ihre Pianos Effekte zu erzielen!
Aglaë neigt t das Haupt wie eine Gerichtete.
Nach der Probe tritt eine fleine, elegante und jehr
liebenswiürdig ausjehende Dame — ſie, Frau Direktor
Lißmann — Sie jpricht der jungen Sängerin voll Herz-
lichen Anteils Mut ein und bittet, dap Fränlein Lorrain
heute abend den Thee bei ihnen trinfen möge. „Sc war
ehemals felber eine der beiten Fidesfängerinnen“, lächelt x
fie, „und ich will gern Ihre Partie noch einmal privatim mit
Ihnen durchgehen, liebes Fräulein! Dann follen Sie mal
schen, welch jchöne Effefte wir erzielen ! Nur fein Herztlopfen, i
das Mugjt-Tremolando muß bei der Aufführung völlig
überwunden fein! Wird's auch! Ich verfichere Sie!”
— ARE ; TE
— 420 —
Aglaë hatte aber dennoch den beforgten Blick geſehen—
welchen Sie mit ihrem Gatten wechjelte.
NE A E A Fr O EEE N EEE A EEE a a
Die Entſcheidung naht! — Mehr tot wie lebendig
wankt Aglaë die fleine Treppe zu ber Damengarderobe
empor. Die Direktorin empfängt jie daſelbſt und drückt
ihr ermutigend die eisfalten Hände. Gie ift ehr luftig
und guter Dinge und jucht dem armen jungen Schlacht-
opfer die Angſt von dem Herzen zu fcherzen. Aber jie
blidt dennoch betroffen in das bleiche Muntlig, aus welchem
zwei rotgeweinte, fiebrijch glänzende Augen aus tiefen
Schatten jchauen.
„Sie haben gewiß fchlecht geichlafen, Eie £leines
Pärchen!” laht fie, „ich bitte Sie — ängftigen Sie ſich
doch nicht, fondern jagen Sie fidh einmal felber mit
Vernunft, daß Ihre Zukunft an der Courage und Kalt-
blütigfeit dieſes Abends hängt! Ajo Kopf hoch! Friſch
und frohlich ans Werf! Zeigen Sie den Leuten, wie
viel Cie gelernt. haben! Seht werden wir Ihnen ein
ganz altes, rungzeliges Geſichtchen ſchminken und dann
flink das Koftüm über!! Sie ar gar nicht, wie fo
ein bischen Schminke das Feuer ins Blut treibt!”
Aglad ftand vor dem Epiegel und ſchaute fich an.
Das Herz frampfte fidh ihr zufammen beim Anblick dieſer
runzeligen, alten Bettlerin, welche ſie war, ſie, die ehe—
mals im Glanze fürftlicher Pradıt vor het Zrumteaur
ihrem ſtolzen, ftrablenden Bilde zugelächelt.
‚Aber es bleibt feine Beit für folje Gedanken Frau
Be ER
Liß mann in ſellener und: Iparmanter Sicbenswürdigfeit
zieht fie in den Kreis der Iuftigen, jungen Choriftinnen,
welche unter Übermut und Nedereien zu der Bühne
herabeilen.
„Sehen Sie? Diefe Mädchen haben einit alle ebenſo
zitternd und bebend Die Bretter betreten wie Sie, liebe
Lorrain, und jet? Segt ſchwimmen fie mit vollen Segeln
in einem Meer voll Wonne! Mjo guten Mut! — Übers
Fahr jtehen wir hier und fönnen’s gar nicht begreifen,
daß fih unjere tleine Diva Lorrain jemals im Leben
vor dem Auftritt mit Lampenfieber abgegeben!
Aglaë ijt ganz ergriffen von der mütterlichen Güte
diefer Frau, welche fich ihrer, der Fremden, fo rührend
freundlich annimmt, fie zwingt fidh) zu einem Lächeln und
drückt frampfhaft die Hände der Sprecherin: Adh, bleiben
Sie in meiner a fleht fie.
Das Ordejter fegt mit der Duverture ein, die mächtigen
Klänge durchbraujen das Theater, und die Zähne der
jungen Debütantın ſchlagen wie im Schüttelfroft zujammen.
„Sehen Cie fi einmal das Publikum an. Lauter nette,
luſtige Menſchen! Da unten Der hübjche Qeutnant in
der Loge — den ſehen Sie nur immer an! Dann u ;
Ihnen ganz luftig ums Herz?
Aglaë neigt fich zu dem kleinen Sucklod i im Bon
Sie ſieht lauter wirre Herrenbilder, lauter Geſichter, die
einer hundertföpfigen Hydra anzugehören fcheinen. Den
Leutnant fieht fie nicht, ihr angitvoller Blid irrt zu der
ersten Barfettreihe hernieder, wo die Necenjenten figen.
= —
Richtig — juſt in der Mitte der feine, grauföpfige
Herr mit dem Goldfnopfftod, von welchem die Mathijen
fo ſchreckliche Dinge erzählt. — Er jpricht, wie es jcheint,
febr abfprechend und übellannig mit ein paar andern
Herren. Ah — fier haben fie in der Zeitung gelejen,
daß Aglaë eine Schülerin von Kolſch ift! Sie begreift Ä
nicht, wie diefe Notiz in das Tageblatt gefommen und
ift beinahe verzweifelt vor Schred, als fie e3 gelejen. —
Welch ein feharfes, erbarmungsloſes Mephiftogeficht er hat!
— Aglas ſchauert zufammen und eilt ſchwer atmend zurüd.
Auf der Bühne tritt der Chor der Kandleute zuſammen,
und Der Inſpicient weiſt Agla& in die Couliſſen zurück.
= — — — Der Vorhang rollt empor. |
Aglaë weiß nicht, wie fie die Kraft gefunden in das
grelle Licht der Lampen hinaus zu wanfen. Ste weiß
auch nicht, wie fie den Mut gefunden die Lippen zu
öffnen und zu fingen, — aber fie thut e3, fajt mechaniſch,
ihre Lider finfen tief über Die Augen, und ihre zarte,
Heine Geftalt jtüßt fich fo fchwer auf Berthas Arm, als
wolle fie zujanmenbrechen. — Das paßt alles ganz qut
in die Rolle. Auch die Nomanze verläuft leidlich, das
weiche, rührend leije Flehen wirft im Munde der ges
ängjtigten Mutter der Situation angemejfen. a
Der Direktor und feine Gattin niden und winfen ihr
jehr ermutigend zu. — Aglaë ficht es nicht.
Sie fteht nur und laujcht zitternd, al3 der Vorhang
gefallen. Eehr wenig, fait gar fein Applaus.
„Bud Schon fommen!” tröften Lißmanns
er e
Der zweite Akt bringt für Fides nur ein Ariofo. E3
paßt nicht recht für fie — ihr Spiel ift fteif und unz
natürlich, und alè fie den riejengroßen Sohn umarmen
will, klingt ein jcharfes Lachen durchs Publikum. Uglaë
zuckt empor und jtarrt wie gelähmt in das Bartett. Richtig!
Er — der Grauföpfige, er fißt mit verjchränften Armen,
lacht voll wahrhaft teufliicher Sronie und jagt jehr vernehn:
[ich zu jenem Nachbar: „Schauerlich! reine Karrikatur!“
Eiskalt durchriefelt es Die umatücktiche Debütantin,
fie wanft in die Souliffen und finft wie gebrochen auf
einen Stuhl nieder. „Berloren! — ja, e3 ift alles verz
loren!“
Lißmanns find in die Garderobe gerufen. Aglaë
bleibt allein mit ihrer Verzweiflung.
Und wieder! Wieder fol fie den Mearteriveg auf
die Bühne beichreiten. Sie fteht und preßt ſchaudernd
die Hände gegen Die aus ihr Blick flackert wie. trr
ſinnig umher.
— 44 —
„Sie müfjen vor!” raunen ihr die Bürger zu, al
Aglas wie leblos auf ihrem Etein verharrt. Sie erhebt
fich wantend. — Die Bettlerinarie! Wie eine entjegliche,
wahnſinnige Ironie auf fih felber, fteht die ehemalige
Millionärin vor dem Publifum, um ihr eigenes Elend
zu fingen! — „Gebt — o gebt!" — Wie ein fchriller
Aufichrei klingtis von ihren Lippen, fie jchwanft haltlos
vor, ihre Stimme ſchluchzt und qurgelt unter den Thränen
der Verzweiflung, welche fie zu erjticken drohen. Das
Bublitum wird unruhig, — Stimmen werden laut —
einzelne Aifchlante — und drunten im Parkett der Gran-
töpfige lehnt fich in feinem Seffel zurück, näult fein Taschen:
tuh — und laht — laht — mie fie chemals lachte,
als fie aus ihrer Loge dem Fiasko einer armen Dez
bütantin zujchaute. Blutrote Nebel wallen bor ihren
Augen, fie frampft die Hände... ein umartifuliertes
Auffchreien und Nöcheln: „Mich friert — was thut's —
das Grab ift fälter doch!” — gellt es von ihren Lippen
— ihr. its, als ftünde fie wieder auf der. Hafenbrücke
und jtarre in die gurgelnde, unheimliche Tut hernieder,
bereit, fih in Tod und Grab hinab zu ftürzen. Ein
Tumult tojt vor ihren Ohren — Ziſchen, Lachen, Tranz :
pen, Pfeifen.
Sie reißt noch einmal gewaltjam — Augen auf, —
vor ihr das Publikum, eine wüſt kreiſende Menge. Und
dieje Pfiffe — Hergott des Himmels, man pfeift fie aus!
Ein —— Weheichrei. Aglaë bricht beſinnungslos
zuſammen, und der Vorhang ſenkt ſich vor dem Drama
— 425 —
eines grenzenlofen Elends. — Das war Nealiftit, das |
war ganz echt und lebenswahr, das zeigte einen Todes-
jtoß, wie ihn fein Menfchenauge je naturgetreuer gejaut, n
und doch pfiff man die Darftellerin aus. — Das Rublifum
will ja Comdödie auf den Brettern! Eine Bettlerin,
welche mit fofettem YAugenauffchlag die Logen grüßt,
während fie weint und ſchluchzt, welche die vollen Urme
graziös zum erjten Rang hebt, wenn fie von Frieren,
Hungern und Darben fingt, eine Bettlerin, welche ficher `
und wohlberechnet die fchüne Hand ausftredt. Eine Un-
glückliche aber, welche fich thatlächlich in den Folterqualen
der Todes angſt verzehrt, welche zujammenbricht unter Der
Wucht ihres Elends und nicht mit jchöner Melodie, fon-
dern mit gellendem Angftichrei um Hilf e und Erbarmen
fleht, die ift eine jo unangenehme, ungefchininfte Wahr⸗
heit, daß fie lächerlich wird in dieſer Welt des Scheins |
und Trugs!
Die Prieſterin Der Somöbie war fick selber untreu
geworden, fie verlor Die Maske vom Angelicht und wurde
ausgeziicht als ein Stüclein jener verpönten Wahrheit,
deren Zerrbild die Realiſten auf die Bretter ftellen, und
welche dennoch unverſtanden Fiasko macht, wenn fie fih
gang n und ror dem un ifum vors Auge wagt! |
EIS FNEE
| mra DEN e ng A
L tiiir a a E A a a a e a — — — — ———— ——— ——— — —
— — — —————— —— —— —— —— — — — — ——
XV.
Du warft gerettet! Mir. gerettet
Für eine friſche Lebensbahn —!
An meine Bruft lagſt bu gebettet,
Und meinend biidteft du mid an!
Gottfried Kintkel
FB Nglas die Augen wieder
aufichlug, lag fie in der Garde-
robe. Die Gasflammen waren
herabgejchraubt. Fern her flang
ein gedämpftes — Summen
und Muh. ihrer Ceite
fniete Frau a Lihmann
und rieb ihr Hand. und Arm, ihr
Mann fien | ioeben an der Thür Medifamente, von einem
Iheaterdiener bejorgt, ın Empfang zu nehmen — umd
vor ihr — bejorgt über fie geneigt — wer war das?
Die Kranke ftarrt mit weitaufgeritjenen Augen in das
ſchöne, ernjte Angefiht — dann geht ein leiſes Beben
durch ihre Glieder, ein tiefer, qualvoller Seufzer hebt
die Brult: „Hans! murmelt fie, „Sans?
Er reibt ihr Stirn und Schläfen mit einer belebenden
Eſſenz „Gott fei Lob und Daut, das Berußtjein kehrt
zurüd!” atmet er ſchwer auf. |
ee
Aglas will fidh empor hen. aber fie finte En |
in den Arm des Arztes zurüd, ee
„Ruhe, meine arme, liebe <rennbin! Eirengen Sie
ſich nicht an — wehrt der junge Profeſſor mit weicher
Stimme. „Nehmen Sie zuvor em Glas Portwein N
bier... . Frau Direktor hält es Simen an Die Lippar `
— ımd hant noch ein paar Minuten gang jtll liegen,
bis die Kräfte wienerfehren“ ——
Aglas wendet mit herzgerreißiendem Blick das Haupt
zur Seite und verweigert e3, zu trinfen.
„Aglaë — trinten ut
Thränen ftürzen aus ihren Augen: „Ach, warum?”
jagt fie leife, „erhaltet mich nicht gewalif ſam am Leben,
der Tod ift ja eine Erlbſung!“ |
Hans fniet neben ihr nieder: „Shorheit!” jagt er
energijch : „3r Leben. foll jetzt erft beginnen: Wollen
Sie wegen eines einzigen. kleinen Mißerfolges ſofort Die
Flinte inë Korn werfen? — Sie waren bereits frant,
als Sie die Bühne betraten, es war ein Unfinn, dah Eie
überhaupt fangen! Hier ijt der Wein, trinten Sie!”
Andſtvoll jtarrt Die Krante den Eprecher an, neigt
demütig die Lippen zum Glaſe und trinft. „Barum
brennen denn lauter rote Flammen hier 21” udt fie
plößfich empor, mit irrem Auge umberichauend. Es
Der Direktor taufcht einen beforgten Bli mit dem:
Brofeflor. — „Es ift nur der Lichtjchein, liebe Aglaë,
— fommen Gie, id) trage Sie hinab in den ZN es
damit Sie fih zu Bett legen können!”
AR S
‚Er — die federleichte, kleine Bürde mit ſeinen kraft—
vollen Armen und hebt ſie ſanft und behutſam an die
Bruit empor. — Mit einem leifen Auffchrei der Verzweif⸗
lung. iträubt fidh die junge Frau gegen ihn. — ‚ein,
nein! Nicht zurück! Nicht wieder auf Die Bühne! ‚töbt
ſie zitternd hervor. „Weißt du nicht, daß die Leute dort
zifchen und pfeifen? — Der mit dem grauen Kopf —
der iſt fein Menſch — der it ein Teufel... und er
lacht — und jtredt feine Krallen nah mir — — mit
dem weißen Tuch will er mich erdroffeln! — Hans! —
Hans!!! — Wie ein gellender Hilfefchrei tlingt’s, röchelnd
ſinkt ihr Kopf zurück
Er drückt fie ſanft an ſich — a — flüjtert
er weich — „tennft bu mgr
Sie fehridt auf und ficht ihn mit fieberheißgen
Augen an. — Dann murmelt fie: „Bijt Du e3 nicht,
Hans?"
ty ic) biws, bsn alter, treuer Freund, Aglaë.
Wenn ich bei dir bin, fann feine Menfcheni jeele Dir etwas
zu Leide thun! Nun bift du behütet, und ich bringe dich |
weit, weit fort bon per in Sicherheit. Willſt du mit
mir fommen ?”
Ein Lächeln erklärt ihr Antlit. „Du Birk — Hans
— num ijt alles gur, _ — haucht fie, lehnt, die Augen
ichließend, Das Haupt an feine Bruft und Ich! ae die
Arme um feinen Naden. —
„Belzdeden über fiel” winft Burthardt hatig ber
Hinge inig àt.
—.429 —
Man hüllt fie forgfam ein. „Der Wagen Steht
bereit!” flüftert der Direftor. |
Hans trägt feine Patientin im Bettlergewand Die
ſchmale Stiege hernieder. Sein Herz krampft fid zu-
jammen beim Anblid ihres Den, gehenden Gez
fichtchene.
„Wohin?“ fragt ae le A De
„gur Privatklinik des Doktor Mandlau! Er ift mein
— er wird lie aufnel mon “
Bochenlaug u Aglaë — Tob und Leben.
Ein heftiges typhöfes Fieber liep ihren zarten, ſeit
Monaten durch Entbehrung entkräfteten Körper in
ſchwerem Kampfe ringen, und Hätten nicht: Brojefi or
Buͤrkhardt und Doftor Mandlau alles zur Erhal tung
ihres Lebens aufgeboten, hätte nicht der berühmte Arzt
perjönlich manch lange Nacht bei ihr durchwacht, wäre
wohl der Tod dennoch als Sieger aus biejem Kampf
hervorgegangen.
Nun wehten die Frühlingstüfte wieder Her die fnojpende
Welt, Schneeglödchen, Auritel und Eylla ‚öffneten Die
Augen dem warmen Somenichein, welcher jo zaubrifch
lodend feine goldenen Schleier ſpinnt, Himmel und Erde
damit zu verbinden, wie durch einen Strahlenbogen
ewigen Friedens. |
Auch in Aglaes Kranfenftube flutete es warm und
hell, und die barmherzige Schweſter öffnete das Fenſter
und ſprach „Riun wird e3 Ihnen bald wieder frei und
— 0
wohl um das Herz waun, liebes Fräulein Lorrain!
Bei folh köſtlichem Frühlingswetter muß alles Winters
leib bald vergeffen werden, und wenn der Herr Brofefior
nachher fommt, erlaubt er hof fentlich, daß wir Sie. a oe
Stundchen in den Garten fahren!”
„Glauben Sie denn, Schweiter Marie, dağ er a
heute fommen wird, wo er Doch Die en erhieht,
-~ Daß mir die erjten Stunden auger a jo gut bez
22 lonmen mo
„Sicherlich kommt er, es müßte denn Dekade in feiner
= a eigenen Klinik ein dringendes Vorkommms ihn abhalten,
oder er hat wieder den Zug verſäumt, wie das vorlegte
Mal, als er fich bei der — in der Univerſität
= perfpätete! —
Bug verjäumt 2% Aglaë richtete fich, —
taunt auf. „Gibt es eine Stadtbahn hier, welche Yurt-
i Hardt jedesmal benußen muk?”
= „Stadtbahn ? Die Echwelter jah die. Sprecherin
groß an: „Kein, Sräulein Lorrain! Der Profeſſor
kommt doch immer die zwei Stunden lange Strede von
der Univerfitätsftadt X. zu uns herüber; er wohnt gar _
nicht hier, jondern macht jtets die aene: Reije,
um Gie zu behandeln. Wußten Sie das niht?”
Mglaë — Hände krampfhaft in einander.
Ihränen höchſter Beltürzung und Rührung traten in
ihre Augen, „Nein, das wußte ich nicht!” — murmelte fie.
ud, 8 hat auch Auffehen genug gemacht! Die Zei⸗
tungen hatten viel zu berichten und zu lobpreifen, und
— 431 —
wenn man Ihnen jemals hier in der Stadt Unrecht
that, Fräulein Lorrain, fo find Sie glänzend rehas
bilitiert I”
Rehabilitiert? — Was föunte jemals die That-
fahe hinwegleugnen, daß ich als ich ledte Züngerin aus-
gepfiffen wurde?“ |
jeufzte Aglaë tief
wd ſchmerzlich
auf. |
Run, Sietle ——
fih ſchon noch
ſelber überzeugen." s
Schweiter Marie > 4
ſchlug Die Dede | PR
fejter um Die übe
ihrer CSdhugbee W
fohlenen und fah £
ihr mit frischem _
Lachen in das '
bleiche Antli.
„Wenn e8 Der
Ger Profeſſor
erlaubt, müſſen
Sie mal. alle
die Beitungsartifel (ofen! Sie glauben gar nicht, wie
man Sie zur Heldin des Tages gemacht! — Übrigens,
Fräulein Lorrain, bitte vergefjen Sie nicht, dem Herrn
Profeſſor das Briefehen von Frau Direktor Ligmann zu
> re
— 432 —
übermitteln, fie war vor einer Stunde wieder perjönlich
bier, in ber Hoffnung, Sie jehen zu können.” 2
„Die guten, guten Menjchen !” nidte Aglaë wie tief
in Gedanfen, und dann jchaute fie jchmweigend auf Die
Dielen, darauf die goldenen Sonnenlichter tanzten.
Die barmherzige Schweſter trat in das Nebenzimmer,
e8 war ſtill, feierlich ftill ringsumber, nur die Sonntags-
glocken klangen fernher durch die milde Frühlingsluft.
Aglaë aber lächelte hinaus. in die fno jpende Pracht,
und es war, als treibe ihr Herz, welches jo lange ae
und tot im Winterfchlaf gelegen, zum erftenmal maien⸗
friſche Knoſpen Was Hinter ihr lag, war ein irrer,
wirrer, entjeglicher Traum, nun Ichlug fie zum eritenmal
die Jugen auf und faute Gottes Erde. — Eie war
nicht fo arm an Liebe und Glüd, und die Menjchen,
welche auf ihr wandelten, nicht fo herzlos und grauſam,
wie fie gemähnt. — Ein Gefühl unbeſchreiblicher Rührung
und Beichämung überfam fie, wenn fie an Hans Burt-
hardt dachte. — Was hatte er für fie gethan! Wie edel,
wie groß vergalt er ihr alles, was fie gegen ihn gefehlt.
Sie hatte fidh ehemals des Bauernſohns geſchämt, er
aber hatte die Bettlerin nicht verleugnet. Sie wollte
jelbft im engen Kreife ihres Haufes den Jugendfreund
nicht anerfennen, weil er einen jchlichten Namen ohne
Cang und Klang trug, er aber befannte fih vor aller
Welt zu der ausgepfiffenen, verhöhnten Comödiantin,
deren Namen nicht nur fchlicht, jondern gebrandmarft
war vor Gott ımd der Welt! — Eie, die Millionärin,
= 433 —
hatte damals feinen Pfennig geopfert, den armen, datben—
den Studenten in feinem edeln Streben zu unterjtüßen,
er aber, der Mann, welcher jelber faum verdiente, er
legte fich die größten Opfer auf, um ihr Elend zu lindern,
um ihr Hilfe und Nettung zu. bringen!
Geike Glut ftieg in die Wangen der jungen —
fie faltete die Hände im Schoß, imd ihr ganzes Denten
und Sinnen war ein Gebet zu Gott — zu ſegnen und
zu vergelten an ihrer Statt! |
Stimmen wurden im Korridor laut. Die Borjteherin
öffnete behutiam die Thür und jchaute in das Zimmer.
„Nein, fie wacht, Herr Profejfor, bitte, treten Sie ein!”
Aglaë wandte das Haupt a blickte Hang entgegen.
— Hoh und ftattlih, von goldenem Sonnenlicht um-
Hoffen, ſtand er vor ihr. Nicht wie man ſich den Pro-
feſſor, den Gelehrten deuft, — nicht mehr bleich), müde
und überarbeitet, jondern. bil hend friſch, itramm wie ein
Srenadier, blondlockig und blauäugig, Das lachende, chr- ;
liche Kindergeficht von ehemals!
Er trat haftig auf fie it, legte den Sins Schnee-
glocken auf ihren Schoß und bot ihr mit ftrahlenden Blid
die Hand entgegen. „Gott fei Lob und Dant! aud
heunte wieder im Sefjel! Ich furchtete die erften Tage
außer Bett würden Sie gewaltig anſtrengen aber ich
jehe, daß ich eine zu ſchlechte Meinung von Ihrer guten
Natur Hatte! Nun? wie ſteht es? Fühlen Sie ſich
heute wohler als bei unſerm {e bten Sehin?
| a drückte ihm fajt kraͤmpfhaft die Hand: So wohl
Eſchſtruth U Nom. u Nap., Comövie IL: > 3 25 n
ed o
und gefund, daß ich e3 fogar ertrug, alles zu hören,
was Gie fiir mich gethan Haben, Hans, ohne unter der
Wucht folcher Barmherzigfeit zu Boden zu finfen!
Er jah ganz verlegen aus. „Wer hat Ihnen dem
fole Märchen aufgetiicht! Ich that, was meine e
und für mich eine Freude war!”
hre Lippen zitterten. „Wie haben Sie ia meiner
angenommen! Wie haben Eie mir geholfen! — DO, id...”
Er unterbrach fie ſchnell und luftig: „Geholfen? —
— bis jet wüßte ich nicht, in welcher Weife! — Aber
wenn Sie erft wieder al3 ganz Geneſene aus Ihrer Haft
entlaffen werden, damn, ja, dann hoffe ich, Ihnen recht
behilflich fein zu können, damit Shr Lebensſchifflein beſſer ==
und fröhlicher gelenft Derbe als bisher“
Sie blidte mit wehmütigem Lächeln auf. „Die Gegen:
wart ift jo wunderbar ſchön und friedlih, daß es mich
gront, an die Zukunft zu denken!“
Er lachte. — „Wahrlic)? Jum, ich hoffe, Sinen jchon
jetzt dieſe Zukunft in buntejten Farben malen zu können!
Sie wiſſen, daß manches Unglüd das größte Glüd in
fich birgt, und daß der Weg zur Höhe oftmals durch
den tiefjten Abgrund führt!“ — fein Antlig ward um
einen Schein ernfier — „she höchſtes Ziel, Ihr Begriff
von dem ftrahlendjten, einzig Ihrer Natur zufagenden
Glück war eine gangene ——— — on
und Ehre!”
Sie machte eine — taft pig: Geſte mit ber Hand
— er aber jah an ihr uoritber in den biauen grih unge
— 435 —
himmel und fuhr unbeirrt fort: IIch glaube, Ihnen jekt
perjichern zu können, daß Sie dies alles mit Beſtimmtheit
erreichen und bei Ihrem nächiten Auftreten den glänzend-
ften Triumph auf der hiefigen Bühne feiern
erden!
Aglaë preßte —
die Hände gegen die Bruſt.
ae!
jemal® wieder die
Bühne — und
gar Die fic-
fige Bühne
betreten 219
rang e3 ſich
zitterndüber.
ihre Lippen.
— ——
pala: = ʻ p
Lieber gehe M
ih in deu i
Tow
„Das
wäre wohl
ſehr zu überlegen!” zuckte er die Adje, „Sie ahnen
nicht, wie die Verhältniſſe jet liegen.”
„Sür eime Sängerin ohne Stimme und Cpiel
liegen viejelben wohl jtet3 gleich trojtlos I’ murmelte
fie mit verzweifeltem Blid. „Ich weiß es, und habe
A Men
— 436 —
mit dieſem Traum der Vergangenheit und it abge-
ichlofjen.
Er vermied e3, fie anzufehen, zog ein Padchen —— |
ausichnitte aus der Brufttafche und reichte fie ihr din.
„Seien Sie vorerst und ermefjen Sie felber, mit weld
großer Eympathie Sie von dem Publitum aufgenommen
werden, wenn Gie in Ihrer zweiten Gajtrolle auf:
treten! Gie find die Heldin des Tages geworden —
Ihre tragifchen Schickſale wurden befannt. Man weiß,
daß Sie bereit3 als Schwerfranfe die Bühne betraten,
daß man den Ausbruch cincs Nervenftebers, welches die
Folge der größten Not und Cntbehrungen war, als
schlechte theatrafifche Yeiltung ausgepfiffen und verhöhnt
hat. Auch wurde eg befannt, daß die Demonftration
des damaligen Unglücsabends das Ergebnis einer ge-
planten Intrigue war! Hätten Gie ſelbſt wie cin Engel
im Himmel gelungen, man hätte dennoch gezifcht! Sn
dem deutichen Publitum ſteckt jedoch, Gott fei Lob und
Dant, ein gewaltiges Stüd Gerechtigkeitsgefühl, und man
brennt darauf, Shnen, welche mit einem einzigen Schlag
zur Märtyrerin geworden, vollſte Genugthuung mider-
fahren zu lafjen! — Bitte, lejen Sie, a Warum
ichen Sie mic) jo Starr an?!”
Sie antwortete nicht, fie neigte medien, bag Röpi-
hen und blidte auf die Zeitung. Sie las und jah es
nicht, wie Haus vorgeneigt ihr gegenüber ſaß, wie er
voll banger Epaunung Den Eimdrud beobachtete, welchen
dieſe Artikel auf fie hervorrufen würden. Sp ſchaut der
— 497 —
Arzt voll atemlofer Erregung in das Muntlig einer teuren
Patientin, um zu erforfchen, ob fie wirklich von tödluher
Kranfheit genejen. Uber fein jorgenvolles Antliß hellte
ji) Schein um Schein auf, feine Bruft Hob fidh wie im
tiefen Atemzügen der Erlöjiig. Keine Veränderung war
in den Zügen der 2ejenden zu ſchauen Sie blieben
bleich, fühl und gleichgültig, jo Jchmeichelhaft auch die
Beilen waren. Daß die oft in glühendjten Farben qe-
malten Berichte der Reporter ein eitles, gefalljüchtiges
und leichtlebiges Frauenherz entzüden mußten, wußte
Hans genau, und daß Diejelben einen unwiderſtehlichen
Reiz ausübten, die Bühne abermals zu betreten, um ſich
von einer neugierigen Menge anjtaunen und von be-
geijtertem Publikum feiem zu laſſen, um die effeftvolle
Rolle Der Märtyrerin, interefjanten Frau und alorifizierten
Vicomteſſe zu jpielen, — Davon war er ebenfalls über-
zeugt gervejen, als er Die a, Blätter in Die
Hand der Freundin legte.
Er hatte ein fühnes Hazardipiel gewagt, — aber er
mußte es risfieren, wollte er Gewißheit erlangen, ob Gott
das inbrünftigite Gebet feines Lebens erhört hatte. —
Und wahrlich, es wollte fo feinen.
Aglaë legte die Papierftreifen gelaffen wieder zu-
fammen und reichte fie zurück „sch Dante sonen, Hans,
dat Sie mir abermals Beweiſe gaben, wie febr Ihr
Name für jedermann zum Segen wird, dem er in.
Treundichaft verbunden ift. Sch habe aus diefen Zeilen
gelejen, daß meine Stimme, durch die Krantkheit beein ES
— 438 —
trächtigt, heifer und flanglos, mein Spiel unnatürlic)
und übertrieben war, aber ich weiß, daß ich in ben
eriten Aften, gerade durch die Aufregung befeelt, beffer
gefungen habe als jemals in meinen gejundeiten Tagen!
Meine Erjcheinung, welche man ‚von Not und Kummer
beeinflußt‘, ‚überzart‘ und ‚Ihattendaft‘ nennt, wird
wohl nie wieder beffere Zeiten erleben, denn was der
Froſt einmal in der Blüte geknickt dat, da3 wird nun
und nimmermehr wieder maienfriſch! Sonſt aber las
ich nur, daß es großes Aufjehen erregt, wie der berühmte,
hochverehrte Profeffor Burkhardt Die arme, ausgepfificne
Debütantin mit einer unbejchreibl ichen Güte und Barm-
herzigfeit in feinen Schuß genommen, wie er täglich, trog
feiner angeftrengten Thätigleit von H herüber an ihr
Kranfenbett gefahren, — wie er die größten, edelmütigften
Dpfer gebracht, ihr armfeliges. Leben zu retten. Ein
Wefen jedoch, welches dem trefflichiten und gefeiertiten
Manne der Gelehrtenwelt ein derartiges Intereſſe ab-
nötigt, fann fein gemwöhnliches Menfchenfind, feine fang-
und. Hangloje Comödiantin fein! Man hat nachgeforfcht
— und ſchmückt nun das jammervolle Bild der Bettlerin
mit einer Grafenfrone, des Effeftes wegen! — Die
tragifchen Schickſale der verarmten Millionärin, der ver-
lajjenen und betrogenen rau, der beinahe verhungernden
Sängerin thun das ihre, um Mitleid und Teilnahme zu
erregen, und daß biejelben in einer jo blütenreichen,
ſchwungvollen Sprache geſchrieben, iſt einzig der Ruhm = |
des Autors! — Glauben Sie wahrlid), Dar, a
jemals ſolch ein Almofen des Publikums für bare Münze
der Anerkennung nehmen? Nie! Kein Applaus der
Welt fann jene furchtbaren Pfiffe und Ziſchlaute über-
tönen, welche mir an jenem entjeßlichen Abend Herz und
Geele zerien
Er blickte vor fid) nieder, ein wunderfamer Ausdrud
lag auf feinem Geſicht. —
„Sie find noch frant, Aglaë, Sie ſehen alles noch
ichwer und büfter an! Warten Sie noch ein paar
Wochen! Mit der wiederfehrenden Gejundheit kommt
aud die alte Lebensluſt und Mumnterfeit zurücd.” |
„So Gott will aber eine Lebensluſt, welche mic)
auf bejjere und friedlichere Pfade geleiten wird!” nidte
fie mit einer aupergewöhnlichen Feſtigkeit in der Stimme.
„Miir wäre e8 lieber, Hans, Sie frönten das große
Wert Shrer Barmherzigkeit jhon jebt und ließen uns
beiprechen, was ich in Aufunft anfangen fönntel”
„Dachten Gie bereit3 darüber nach?
Cie hob errötend den Bhd. „3a, ich that's!” ničte
fie flehend, „und zwar habe ih memen legten Hoffnungs—
und Nettungsanfer wieder m Jhr edles Herz geworfen!
Er war haftig aufgeitanden und an das Fenſter gez
treten. Er bemühte fich, den Vorhang ein wenig vor-
zuziehen, den Sonnenftrahlen, welche ihn blendeten,
zu wehren. eine Hand war ungeſchickt und griff uns
ficher zu. a =
„Bitte, jprechen Sie!” — fagte er.
„Sie find Profejjor, bejigen eine eigene Klin —”
— 40 —
flüſterte die Krauke/ „Ste brauchen gewiß Aue) — n
nen und barmherzige Schweitern.... und da... da.:
da dachte ih, ob Sie mid vielleicht als Wörtern une |
ſtellen fönnten. — ©
Ä Niemals!⸗ Laut und heftig Hans ſeine Stimme,
er wandte jih ihr jo ungeftüm zu, daß fie erihroden
verftummte Hans — maß mit großen Schritten das
Zimmer und wiederholt ie und feft: „Nein, u
niemals!”
Sie bededte einen o das Ynitit mit den
Shaker Dann faute fie traurig auf. „DO Haus, id
weiß, — Sie haben feine gute Meinung von meinem
Sharatter — Gie glauben, die Aglas von ehemals jei
auch Heute noch Diefelbe! Haben Sie vergeifen, was
für mich alles zwiſchen dem Einſt und Icht liegt? Sch
weiß ja nicht viel Bejcheid in der Stranfenpflege, aber
id) denke, mit gutem Willen und auperjichtlichemn pua
erlernt ſich alles!”
Čr jchüttelte heftig, mit paa Miene den Kopf.
wicht deshal Ib! — nicht aus DEN Grunde!” |
= „Aus welch einem jonit? —” ihre Stimme flang
weich und angitvoll, fie hob Die abgemagerten fleinen
Hände wie beſchwörend zu ihm empor: „Sie haben ſich
doch meiner nicht geſchämt, al ich von aller Welt ver-
laffen und geſchmäht zu Boden jant. Cie haben mich
nicht verleugnet, um mir Dies armjelige Leben mit den
ſchwerſten Opfern zu erhalten, warum wollen Sie nun
Ihre Hände von mir. aurldgiehen, oone gepräit au a ;
wedai a
ob ich nicht doch geeignet bin, Ihr großes Wert durd)
meine ſchwache Kraft zu unterjtügen !”
Hans blieb vor ihr ftehen und strich iiiver atmend
die Haare aus der Etiru. „Schwache Kraft! Das ts
eben! Sie ahnen gar nicht, wie entjeßlich ſchwer der
Beruf einer Pflegerin juft in meiner Klinik ift, — wie
jo unendlich viel mer dazu gehört als nur guter Wille
allein! We. | |
Ste glauben, ı meine Geſundheu ſei En ausreichen
für dieſen Beruf a
| „Sie ift e3 auf feinen Fall. n
„Eine afute Krankheit: hat mich momentan fo unbe:
ſchreiblich elend gemacht; hätte ich nicht eine fo vorzüg-
liche und eiferne Natur, wie Doftor Mandlau mehr wie
einmal betont, ich hätte das furchtbare Leben des letzten
Vierteljahres überhaupt nicht ertragen!”
| „Wohl möglih. — Die Patienten jedoch, welche in.
meiner Klinik behandelt werden, find fat ausichließlich
mit den efelerregenditen, oft jehr anftedenden Siranfbeiten
behaftet, und ich werde nie — nte Darein willigen, Sie
einer jolchen Gefahr und jolch aufreibender- Pflege aue-
äuleken. — Heiße Glut ftieg in fein Antlit, er wandte
fi) abermals turg ab und trat an das Fenfter,
AIch fürchte mich nicht vor Anftedung, denn mein
Dajein ift nicht der Eorge wert, e8 zu erhalten! Und
was die Art der Krankheiten anbetrifft, fo bin ich über-
zeugt, daß ich mich auch an das Schlimmfte gewöhnen
werde.” — —
= —
„Das werden Sie nie! —“ feine Stimme flang beinahe
rauh. — „Sch fenne Sie beffer, als. Sie fich jelbit, Aglaë. ix
Ein jchmerzl iches Beben ging über ihr Antlitz
„Ufo doch! — Doc die Zwerfel, ny Sie in mein
Wollen und Können jegen!” |
Er trommelte erregt mit den Fingern auf f dem Genfters
brett. Ohne fie anzufehen, machte er eine jähe Bewegung
mit dem Kopf. n Benn Sie durchaus, die Wahrheit
wollen, Aglaë, — ja! — 3d entſinne mih in allzır
erſchreckender Deutlichfeit gar mancher Scene in Moos:
dorf, wo fie bereits als Kind fih voll Echauder und
Widermwillen von jedem Stranfenbett abwandten, und wenn
den Patienten jelbjt nur die leichtefte Migräne oder ein
Schnupfen heimgejucht hatten! Sch weiß es noch wie
heute, mit welcher Entrüſtung Sie mich von ſich ſtießen,
weil ich in dem Zimmer zugegen geweſen war, als die =
alte Wirtichafterin fanft und friedlich im Arm des Arztes
entichlafen war! Und ich höre noch ihre Worte, die Sie
mir. alẹ bereit3 erwachſene Dame fagten: €s gibt
nichts fo Entjeßliches und Unſympathiſches für mich, als
von Kranfheit zu hören oder mit Kranten in Berührung
zu tommen! Sch efle mich vor ihnen und halte mir die
Ohren zu, wenn ih Schmerzenägeitöhne oder Seufzer
höre! — Gie haben es nie begreifen fünnen, wie ich
mich in den Dienit der leidenden Menichheit ftellte.“
Aglaë neigte tief und ichmerzlich das Stöpfchen, als
drüde fie Scham und Neue zu Boden. „Damals, Hans!
— Ah, damals war ich ja ein fo ganz, ganz anderes
Wejen wie heute. — Gott im Söninel jet es geflagt! —
Sehen Sie nicht jelbit, wie ich an Leib und Geele ver—
ändert bin, wie ich jo manches gelernt habe, was mir
Damals — und unmöglich erſchien?“
Er fah fie zum eritenmal wieder an, voll und ruhig,
feierlich ernit. „Sa, Mglaë, das fehe ich! Sie haben
gelernt arm und verlafjen zu fein, aber nicht alle armen
und unglücklichen Menſchen eignen jich zur Stranfenpflege. ;
Dag Samaritertum, welches fich in meiner Klinik an
die Betten der Unglüdlichjten aller Kreuzträger elt
das Hat Gott felber als Gnadengeſchenk in die Herzen
gerak das ijt angeboren und betgätigt von Sindesbeinen
Wer nicht von klein auf die barmherzige Sehnjucht
in hd trägt, hilfebringend an die Schmerzenslager der
Mitmenfchen zu treten, wem nicht feit Jugend auf die
heilige Flamme des Mitgefühls und Erbarmens im Herzen
glüht, der wird eğ niemals lernen, Diafoniffin im vollen,
wahren Sinne des Wortes zu fein. Die Liebe und
Gelbitverleugnung einer heiligen Elifabeth läßt fidh nicht:
erlernen wie ein Handwerf. Es ijt nicht mit der Wartung
und Pflege des franfen Körpers allein gethan, e3 bedarf
bei einer Diafoniffin, foll jie ı in meiner Klinik jegensreich
wirfen —, nicht nur der Gef chidi ichteit, jondern des
vollen, inbrünftigen Aufgehens in dem mehr wie jehweren
Beruf — und Sie mögen Vorzüge und mand) edle
Charaftereigenfchait haben, Agla&, zur Pilegerin find Sie
aber nie und nimmer geboren, das ift meine Anſicht,
welche nicht zu erſchüttern iſt!“
_ 44 —
Cie ſaß regungslos, ftumm und bleich vor ihm.
Thränen glängten an ihren Wimpern. „Sch hab’s verz
dient”, murmelte fie — „ja — ich hab's verdient!”
Er jebte fih abermals ueben fie und nahm voll
berzlicher Milde ihre Hand zwiſchen die feinen. „Wir
Menjchen fönnen ja nicht vollfommen fein, liebe Aglaë,
und wen Gott gejchaffen Hat, fern allem Trübjal der
Krankenſtube einen Wirfungsfreis in Frieden und Des
hagen zu finden, der foll ihm banfbar | jür e: Gnade
fein und fich desjelben freuen!”
Spre Hände lagen fchlaff im Schoß, fie blickte Tegungs-
[08 ins Leere. — Moch ift er nicht gefunden!”
Doc, er ifts! — Wenn Cie wahrlich dem lodenden
und Iujtigen Bühnenleben, melches Shnen jest mit all
feinem Zauber und Erfolg winft — der Direktor ijt
entichloffen, Ste nah Ihrem nächiten Gajtipiel zu en-
gagieren, — wenn Sie ihm wahrlich den Rüden fehren
wollen, — jo habe ich Ihnen eine Offerte zu machen!
Sch weiß eine jchlichte, einfache Hausfrau, die feit einiger
Zeit fränfelt und fih allein und einſam fühlt, weil der
Himmel ihr eine Tochter verjagte, Dieje gute, rührend
liebe und freundliche rau wird Cie mit offenen Armen
aufnehmen, wenn Sie zu ihr in die Einſamkeit gehen
wollen, ihr Gejellichaft zu leiten!“ |
Aglas ſchaute mit leuchtenden Augen auf. „Ber its?”
fragte fie leife. |
Er fah ıhr beinahe bittend ins N N Mutter,
— X —
— 445 —
Sie reichte ihm haſtig die Hand entgegen, ihre Lippen
zitterten vor Erregung, fie lächelte durch Thränen. „Ich
will's, Hans, will ihr dienen, fie pflegen und. verforgen,
und fo Gott will, fol fie es nie bereuen!”
Wie ein Jubellaut Elang’3 über die Lippen des jugend-
lichen Proſeſſors Er drückte ihre Hand feft und innig,
erhob fih haftig und atmete tief auf. „Gott fei gelobt,
nun weiß ich Sie geborgen! Bei meiner Mutter jollen
Sie fich erholen und die Vergangenheit vergeffen, und
wenn all die Eindrüde der lekten Fahre verwijdt find,
und e3 wird Ihnen, der jungen Frau, zu einfam und
langweilig in dem alten Wioosdorf, dann fann idh bei
meinen vielfachen Beziehungen boffentlid eine für Sie
entjprechende Stellung als Nepräfentationsdame oder Ge:
ſellſchaftsdame in einem vornehmen Hanje finden, welches
Sie den Ihnen gebührenden Gefellichaftsfreifen wieder
zuführt. Sie follen fih im Moosdorf durchaus nicht
gebunden, jondern nur wie ein Kind in der Heimat bez
trachten. Und da e3 jetzt gut ift, wenn über Die vick-
bejprochenen Ereigniſſe der lebten Zeit Gras wächſt, und
Sie jelber volltommener Ruhe bedürfen, jo jehen Gie
Ihren Aufenthalt bei meinen alten Eltern nur als eine
Erholung auf dem Lande an!” Aglaë ftarrte regungslos
vor fih nieder —, e8 war, als ob ein an
fchmerzliher Zug um ihre Lippen bebte.
Plötzlich ſah fic jäh auf „Sind nicht jene wahren
und echten Piafoniffinnen, von welchen Sie jveben
iprachen, ſehr felten und ſchwer zu finden?” |
u
Hang zögerte einen Augenblit mit der Antwort.
Allerdings Anickte er ernit, „ich habe unter vielen jungen
und alten Damen, welche dieſen opfermutigen Beruf er⸗
wählten, erſt eine einzige gefunden, welche mir die Übers
zeugung einflößte, daß ‚ihr nur die Engelsichwingen
fehlten, um ganz und. ‚gar jener Lichtgejtalt zu gleichen,
welche Gott zum Segen der Trübjeligen und Beladenen
in die Welt gefandt.”
Aglass Haupt | janf noch tiefer. „Und bir —
iſt in Ihrer Kl linik — 2 | —
„Sa, fie ift — Gott fei es gedankt, meine mutige,
tapfere Gehilfin, fo zu jagen meine rechte Hand: Sie
verbindet die Wunden, welche mein Meſſer jchneidet , fie
trocknet voll nimmermüden Erbarmens die Thränen,
welche das Unglüd jo reichlich unter meinem Dade perz
giebt! Ihre weiche Hand, ihr findl lich. frommes Gemüt
und ihre unbejchreibliche Herzensgüte machen fie zu einer
Önadengeftalt, welche unfer düſter ernjtes Haus verklärt
und meihet! — O glauben. Sie mir, Mglae, hätte
Schweiter Amelie nicht manchmal an meiner Seite ge:
jtanden, icd) wäre zum kleinmütigen Zweifler an mir fetber
geworden! Sie aber hat mid; mit milder — und doh
jo ftarfer Hand über manche Stunde der Anfechtung
und des Zweifel hinweg geführt. Ihr Auge, welches
heiligite Wahrheit und Gottvertrauen jpiegelt, ift mein
Stern gewejen, Der mir voran geleuchtet auf dem ſchweren
Weg des Erforſchens und Erringens! Und fo weiß ich
eô wohl am beten, Aglaë, welch ein Segen folh ein
Weib werden fann, das feit Kinbhen auf nur im Dienſt
des Leides und des Eleuds geſtanden! De
Eine wunderbare, beinahe zärtliche Innigkeit bebte
durch Die Stimme des Eprecherd, und Aglaë ſchaute
empor in ſein Autlitz — Gein Muge ſtrahlte in Begeiſte⸗
rung, feine Lippen lächelten, — der Gedanke an Schweſter
Amelie verflärte inm.
Auf der Schwelle itand Doktor Mandlau und mahnte,
daß der Wagen warte. Noch ein Händedrud, ein jchnelles
Abjchiedswort, welches Aglaë verficherte, daß er jofort
nach Moosdorf jchreiben und ihre Ankunft melden werde,
und Hans Burkhardt eilte zurüd, — dahin, — wo ihn
die Sehnjucht eines hoffnungslos aufgegebenen K Pan
als legten, einzigen Netter erharrte.
—_ — — Etill war es wieder um Mglaë Saint
Lorrain. Dag Fenſter war geichloffen — die Sonne.
hatte fich hinter Wolfen verftet. |
an aber neigte das ug und meinte bitterlich.
yy
Ich kebrte bein: nam langen
Sabren, rs
Des Lebens Wucht Katt ih cr:
fobren!
Moris Hartmann:
N = glae Hatte Abichted genommen von
Doktor Mandlau und feinem gajtlichen
Haufe, in welchem fie jo barmherzig und opferfreudtg
aufgenommen war. — Heike Glut ftieg im ihre
Wangen, als fie ihren Dant ausiprah. „Ste haben
eine Bettlerin beherberat, Herr Doktor, und wußten,
daß alles, was Sie für mid thaten, ein Almoſen
war! Leider Gottes bin ich nicht in der Lage, mic) {chen
jegt für all Ihre unendlich große Güte erfenntlich zu
zeigen, ich will aber rajtlo arbeiten, um huen und
— 44 —
Profeſſor Burkhardt meine Schuld abzutragen! Haben
Sie jo lange Geduld mit mir und vergeben Sie mir alle
die Mühe und Lajt, welche ich Ihnen verurfacht!”
Doktor Mandlau hatte jeden Dant voll ſcherzender
Heiterfeit abgelehnt. „Die einzige Münze, mit welcher
Sie mir zahlen fünnten, würden die Lorbeeren fein, welche
Sie bei einem zweiten Gaftipiel hier ernten würden! —
Dann hätte ich doch die ftolze Genugtäuung, jagen zu
fönnen: „Nun ſeht und hört jelber, ihr Leute, ob ih
nicht recht that, eine Perle zu retten, welche der Sturm
eurer erjten Oppofition in die Tiefe fchleudern mollte.”
Die junge Frau hatte wehmiütig Das Köpfchen ge-
schüttelt. „Ich fanı es nicht, lieber Herr Dottor, — bei
Gott — ich fann e niht! Mir ijt es zu Mute, als
muſſe ich mich voll Sham und Schmerz in das fernfte,
einfamjte, dunkelſte Winkelchen verſtecken, und ich ſollte
mich im grelliten Licht hinftellen vor die Welt, deren
neugierige und mitleidige Blide mich töten würden? —
Solch eine Folterqual verlangt Ihr gntes, mitfühlendes
Herz gewiß nicht von mir! —
Mandlau nickte ihr freundlich zu, und Frau Lipmanı
umarmte ihre liebe, Kleine „Schmerzensteih” voll aufs
richtiger Trauer, — „Wenn Sie Ihre Anficht vielleicht
andern, Teuerite, jo fünnen Sie jederzeit zu ung zurück
fommen! ch verlichere Sie — Ihr nächſtes Debüt wird
ein Triumphzug werden!“
Hans Burkhardt Stand während dieſes legten Anſturms
auf die Eitelfeit der jungen Frau jchweigend zur Geite,
Ps v. eiageutt, 31. Nom. u. Nov. Comddie I. 29 e
— 450 —
und fein Big welcher auf ihrem Antlig tuhte, Hatte nod
immer etwas angftvoll Beforgtes, als fürchte er, das
muhevoll gelotſte Lebensſchiffl ein der Sugenbfreundin
möchte noh im Hafen Scheitern. Aber nein, die milde
und doch energifche Feftigfeit Aglaës ließ ſich durch feine
Lockung mehr erſchüttern, und wie fie jebt ihm gegenüber
im Coupé fab, ſchaute cr verjtohlen über feinen Zeitungs-
artifel empor in ihr Antliß. | |
Die Kranke hatte fidh verhältnismäßig ſchnell erholt.
Das Dval ihrer Wangen war wieder gerundet, und der
Teint, a noch von einer fait durchfichtigen Rlar-
heit und Bläſſe, jah dennoch wieder friich und fammetig
aus wie ein ieh Rojenblatt. — Am frappierenditen
in feiner Veränderung mwar der Ausdruck des Geſichtes
Verwiſcht und vergangen war jegliche Spur des trotzigen
Hochmuts, welcher es ehedem unjympathiich gemacht, —
eine beinahe melancholifche Neigung des Mundes gab dem
Antlitz einen gealterten und refignierten Ausdruf, und
die großen Schwarzaugen , wie durch Thränen tiefiter
Schwermut leuchtend, hatten etwa geradezu ———
in ihrem Aufblick rührender Demut.
Es Deuchte Hans, als fei Aglaë nie fo schön geweſen
wie gerade jetzt, aber das Bild der ‚„Millionärin” lebte
noch zu jchmerzlich lebendig in feiner Erinnerung, als
daß er an eime völlige Charafterwandlung der leicht:
finnigen Weltdame glauben fonnte. — Und doch ſprach
alles zu Aglaes Gunſten Heimlich hatte er fie während
der legten Jahre auf Schritt und Tritt beobachten laffen, —
s= ol —
er hatte ihre Tugend und Standhaftigfeit geprüft, und
das Nejultat, welches er erzielt, war ein glänzendes.
Er wußte, daß er fih feiner Schußbefohlenen nicht
zu jchämen brauchte, und jein Mitleid drängte ihn, ihrer
elenden Exiſtenz welche ihr Eigenſinn und ihr Hochinut
zu Anfang verichuldet, zu enden. Er mwar es gemejen,
deffen Name und Fürbitte bei Direftor Lißmann ein
Gajtjpiel für die Verlaſſene erwirkt; er war es geweſen,
deſſen Hand die often beitritt, welche daraus erwuchjen.—
Und doc) wußte er, dag diejes Debüt nur Dornen und
feine Rojen bringen werde, weil Aglaë jeiner Anſicht
nad) weder Stimme nod) Berähigung hatte, jemals einen
durchichlagenden Erfolg, fraft ihrer Kunjt und ihres Ge-
ſanges allein zu erringen. Dennoch mußte fie auch diejen
legten und kitterjten Tropfen ihres Leidensfelches Leeren,
jollte fie Duuernd von dem Wahn geheilt werden, Die
Bühnenlaufbahn als die einzige, ihr Glück bringende zu
betrachten. Mit den unbeichreiblichiten Empfindungen
durchlebte Hans die Kataſtrophe — Er jelber litt wohl.
nicht weniger alô die unglüdliche Freundin, welche vor
feinen Augen den qualvolliten moralijhen Tod fterbei
mupte, ohne daß er ihr rettend zu Hilfe eilen fonnte. —
Blei) und regungslos, zujammengebrochen von der
Wucht des Elend lag fie vor ihm, und doch war es
ihm, al3 müjje er m Die Knie finfen mit dem Aufjchrei
der Erlöjung: „Eci bevantt, allbarmherziger Gott! Die
Dulderin hat das © Schwere überwunden, nun wird deine
bittere Aranei wohl ficher Leib und Seele Geneſung N *
29*
2 — 12 —
Welche Tage md Nächte banger Dual und Sorgen!
Er jieht fie im Zobesfampf ringen, und fein. ‚eigenes
Herz droht zu brechen in der Angſt und Verzweiflung
dieſer Etunden. Wohl nie hat eine Menjchenhand Das
Steuer eines Lebensjchiffleins fo treu und mutig geführt
wie Hans Burkhardt. Gott jegnet fein Wert und erhört
jein Gebet. Agla& ift gerettet, aber der Arzt ihrer Eeele
darf doch noch nicht frei aufatmen, Die Reklame hat fich der
Perſon feiner Schußbefohlenen bemächtigt und hebt die-
‚jelbe mit allen Nequifiten, welche eine Iheaterheldin
intereffant machen und glorifizieren, auf den Schild —
Da lauert die Schlange noch einmal zwiſchen den
Dornen und Difteln und ringelt fih empor an der Eitel-
feit und dem Leichtfinn der jungen Frau! Noch einmal
tritt die Verſuchung an fie heran, und Hang felber ift
es, der fie zu ihr trägt, denn ein Verharichen der Wunde
allein genügt ihm nicht, er will jehen und prüfen, ob fie
bis zum Grunde ausgeheilt ift. — Aglae fehrt aller verz
heißenen Herrlichkeit den Riden, verläßt die Welt und
ihr amuſantes Getriebe, um fich in der Einjamfeit von
Moosdorf unter die Befehle ihrer einftmaligen Bächterin
zu beugen. Nicht als Vicomtefje von Saint Lorrain, nicht
als vornehmer Befuch, der fih pflegen und bedienen laffen
will, betritt fie Die Schwelle feiner Eltern. Ihr energiſcher
Wille hat es als erſte Bedingung gefordert, daß fie als
Untergebene der Hanzfran, als Wirtfchafterin oder Gehilfin
eine Anftellung im Pachthaus finde. Man hat ihr den | | I
Willen gethan md ift pro forma auf das Verlangen a
—
eingegangen, aber Frau Burkhardt hat ihrem Cohn qe-
ichrieben: „Wie. werde ich wohl eine Frau Gräfin m
Küche und Keller fhiden! Sei ganz beruhigt, Hans, fic
joll fich feinen Figer am Rirtfchaftswaiier nak machen!
Bejorge mur hübſche Bücher, die fie lejen fann, und Noten
zum Singen und Spielen, dann will ich fie jhon ange-
meſſen bejchäftigen!” — |
Hans neigt in jorgenvollen Gedanken das Haupt.
Es ijt eine wunderbare, jier unfaßliche Veränderung
mit der jungen Fran vorgegangen; ihre Demut, ihre
Anſpruchsloſigkeit ftchen in jo grellem Widerſpruch zu
ihrem früheren Charakter, daß dem Profejjor wieder und
immer wieder die quälenden Ziveifel fommen: Wird fol
ein Umjchlag Beltand haben? — Seht, noch unter der
Wucht entjeglicher Erinnerung gebeugt und gebrochen,
noch frant an Leib und Eeele, war ihre Sehnjucht nach
Einjamfeit und ihr beicheidenes Weſen begreiflih, wenn
aber das Kraut Vergeſſenheit aus den Trümmern zerjtörter
Slfufionen wächſt, — wenn die Stille des Landlebens
zur Langenweile wird, und das Bewußtjein, von Burf-
hardts unterjtüßt zu werden, fie zurückführt zu alten
Anfichten und Gewohnheiten ? Hans beißt wie in qual-
voller Augſt die Zähne zuſammen Das Herz thut ihn
weh bei jolchen Gedanken. — — —
Bis zu dem Knotenpunkt der Bahn, woſelbſt Aglaë
den Zug wechjeln muß, will er fie begleiten. Er hat
schon öfter verjucht, eine Unterhaltung zu beginnen, aber
jeltjam — ijt es Thatjache oder fcheint es nur fo —
=o odbl
Aglas ift ſonderbar verändert, in unfihtbares Ciwa
fteht plöhlich zroifchen ihnen. Waz? Hat er fie gekräukt
durch feine ehrlich ausgeiprochene Anficht, daß fie nicht
zur Stranfenpflegerin tauge ? War er vielleicht zu herb
nd ſchroff in feiner Aufrichtigkeit ? — Hat er fie gefränft
durch die wenig hohe Meinung, weldje er von ihrer
Nüchitenliebe, Barmherzigkeit und ihrem Opfermut befigt?
Nein, in ihrem Weſen ſpricht ſich feinerlet Empfindfamfeit
oder beleidigte Eitelfeit aus, — cine tiefe Traurigfeit
macht fie ſchweigſam und — e3 ift wohl der bedrückende
Gedanke, daß fie ihm hinfort als Bedienitete feiner Mutter
gegenüber ſteht — Ihr mimoſenhafter Stolz empfindet
e8, daß zwiſchen ihnen eine unfichtbare Scheidewand auf-
gerichtet ift, daß. er nicht mehr allein ihr Freund. und.
Schüger, jondern auch ihr Wohl thäter und Brotherr ift.
Das muß ihre Eeele bedrüden, denn der Wechiel
zwiſchen dem Einſt und Jeht iſt zu grauſam und ein—
ſchneidend — Shr klarer Blick ift getrübt und ſieht vorerſt
in ihrer Stellung im Pachthauſe nicht die milde, freund-
liche Wahrheit, fondern ein Berrbild, und mit dem Fanatis⸗
mus der Eelbftfafteiung markiert fie dem Profeſſor gegen⸗
über ihre dienende Stellung in ſeinem Vaterhauſe
Mag ſich ſolch ein Kampf ruhig austoben, mit der
Zeit wird fi) das Getrübte wieder klären, und die
Schlacken Der — werden abſchmelzen von dem
Gold vernünftiger Wahrheit. ©
Hans refpeftiert die Krife, welche ihr ganzer innerer
Menſch in dieſer Zeit mehr denn je zu beſtehen hat;
B
er fibt ihr ſchweigſ amı an bis ihn die Notwendig-
feit zwingt, fie abermals anzureden, „Dart ich Ihnen
den Mantel umgeben, liebe Aglaë? Wir müſſen auf
der nächſten Station umſteigen!“
Gie befolgt fein Wort jo m. daß er nicht Reit
Findet ihr zu helfen. |
Ich hoffe, daß es mir noch mög (ich fein wird, Gie
in dem Perſonenzug in einem Damencoupe gut unterzus
bringen! Leider ift nicht viel Beit für mich, Da nad)
acht Minuten Aufenthalt mein Bug abfährt.” — er
‚Sie blickte betroffen auf, „Sie fehren nicht mit mir
au einem Beſuch in Moosdorf ein?”
Er jehüttelte mit wehmütigem Lächeln den Kopf:
„Sir mich ift die Thüre des Vaterhauſes leider immer
nuoch verichloffen! Sch erzählte Shnen bereits, mit
welchem Opfer ich mein Studium crfaufte, und wenn
mein Bater wohl auch dem verlorenen Sohn jeßt vers
ziehen bat, jo weiß ih dennoch, daß er mich nur aus
Qiebe, nicht aber in der Überzeugung bei fich aufnehmen
würde, daß mein ärztlicher Beruf mir menr Sl lück als
der eines Landmwirtes gebracht! |
Aglaë chien nicht zu verftehen: „Er weifelt noch
immer daran? Celbft jet uod, wo Sie ein meltbe-
rühmter Mann geworden find? — Ein Profeſſor, welcher
die höchiten Chren und Auszeichnungen genießt?!
Er lachte leife, beinahe amüsiert: „Vergeſſen Eie
nicht, daß mein Bater zu jener Eorte uraltmodijcher
Menſchen gehört, welche fich mehr eutjegen Darüber, den
eignen Namen in der Zeitung zu lefen, als es ſich zur
Auszeichnung. anzurechnen! Mein Bater laa niht nur
mein Lob, ſondern auch die Anfeindungen, welchen ich
in der erſten Zeit meiner Forſchungen ausgeſetzt war, und
er hat jih die Haare gerauft mit den Worten: Will
der ung” denn meinen ehrlichen Namen rıtinieren, daß
er Faxen erfindet, Die von den Leuten öffentlich in Der
Zeitung ſchimpfiert werden? 1”
Ein ernites, wehes Lächeln huſchte aud um die Lippen
der jungen Frau: „Das fürchtet er aber nicht mehr,
ſeitdem mant Sie zum jünaften Brofeffor machte, und die
ganze Gelehrtenwelt ſtolz und u Ihre hohen Verz
dienſte anerkannte?“
„er raufte ſich zwar nicht mehr die ‚Haare, aber er
war weit entfernt, foldhen Ruhm als ein Glück zu er:
achten. Berargen Sie es ihm nicht, Aglaë! Der Bater
ijt ein Man, welcher zeitlebens nur um ein einzig, Biel
arbeitete: Geld durch feiner Hände F (eiß für fich und die
Eeinen zu erwerben. — Er ift durch und durch praftijch
und nlchtern denfend, er hält jegliche Thätigfeit für un-
nüße Tagedieberei, wenn fie nicht durch Elingende Münze
oder qute Ernte belohnt wird. Vorerſt aber war wohl
mein Streben reich an Anerkennung, aber noch recht arm
an Zinſen, denn ehe ich Staatlich unterftäßt wurde, mußte
ich große Ausgaben riskieren, um meine eigne Alinif ein-
zurichten und zu unterhalten! Seht ift es freilich anders
geworden, und idh hoffe zu Gott, Daß die Beit nicht mehr
allzu fern ift, wo mein Bater feine Thür weit aufmachen
|
$
3
i
}
i
fol, den ausgemiefenen Cohn voll Glüf und Freude
heim zu rufen!” — Er lächelte wie verflärt vor fid) Hin,
dann jchaute er, plöblich ernſter werdend, mit einem pei-
nahe flehenden Blid in Aglass Auge: Nod eine drin-
gende Bitte, Aglas! Gott verhüte es, daß ich noch
früher, als ich dente durch die traurigjte und zwingendſte
Notwendigkeit in mein Vaterhaus zurücgerufen werde,
ARRATI A
i
N N ich Ipreche im Gedanken an eine Krankheit meiner
Mutter, welche fih möglicherweije fon jetzt langſam
© gorbereitet: — Gie fcheint jedoch zu befürchten, durch
irgend eine briefliche lage meine Beſorguis zu erregen
und verfchweigt in ihren Briefen hartnädig, wie es um
fie fteht. Ic beabfichtige nun, Eie, liebe Aglaë, als
treuen Schußgeift meines Mutterchens nad) Moosdorf zu
bringen und bitte Sie inftändig, mir genauen Bericht zu
erjtatten, wie Cie den Gejundheitszuftand der alten Frau
finden. Sch habe Ihnen hier etliche Fragen notiert, nach
deren Schema Sie Diejelbe ein wenig ausforichen follen.
allen die Antivorten bejorgniserregend aus, ſchicke ih
umgehend meinen Affiitenzarzt, Dee im ouall ai
Gewißheit erzwingen wid.” =
Ein anhaltender Pfiff meldete die Etntion, an welcher
Hang fid verabjchieden mußte. Er erhob ſich Haftig und
griff nad) dem Gepäd. Damm reichte er Aglaë herzlich
die Hand. — „Sie antworten mir nicht, liebe Freundin,
aber Shre Augen glänzen fo beredt, daß ich aus ihnen
am beiten leje, daß Sie meiner Sorge eine treue Ber-
bündete fein werden! Ich bin Ihnen unbejchreiblich
— 459 —
dankbar! — Hätte ich Sie nicht nach Moosdorf bringen
fönnen, würde id) meine wadere Muslie als liebe Berz
traute hingeſchickt Haben, obwohl ich diejelbe gerade jetzt
jehr jchmerzlich emibehrt haben würde! So ift es bei
weitem bejjer, und ich bin von Herzen glüclich über dieje
göjung. So Gott will, a das Leiden der Mutter
mehr auf Einbildung wie auf Wahrheit, denn ſeit fie
meine Großmutter hatte dahin fiechen fehen, trägt fie
jich mit der fixen Idee, einſt an derjelben vererbten Krant-
heit fterben zu müfjfen. Das ift jchon lange Jahre ber,
und ich hoffe, daß die Beichreibung ihres zeitweijen Bu-
jtandes mehr ihrer Phantaſie entipringt, welche noch
inmer an ber Erinnerung bes ehemals Gejehenen und
Gehörten frauft! — Wir find am Ziel! Gott befohlen,
liebe Aglaë! Möchte des Himmels reichfter Segen mit
Shnen in Moosdorf einziehen, und möchten Sie fich in
meinem VBaterhaus jo wohl und glüclich fühlen, wie ich
es aus vollſtem und treuejten Herzen wünjche! Die
Rriefe haben Sie die Güte zu übermitteln, und viel
taujend innige Grüße beitellen Sie wohl — —
All meine Gedanken gehen mit Ihnen, o, Sie glauben
nicht, wie ich großes Kind am Heimweh feie! — Was
‚gäbe ich darum, könnte ich Sie begleiten!” — — Er ftrich
hajtıg mit der Hand über Stirn und Augen, dann hob
er mit feinem alten, heitern Yächeln den Kopf und öffnete
die Coupethür. „Halten Sie mir den Daumen, Aglaë,
daß an dem Äskulapſtab bald goldene Früchte reifen,
daun erden wir uns froh und glücklich wiederſehen!“
m i
Sie nicte ihm zu ib Hrückte ſumm feine Hand.
Vorhin Hatte fie einntal gelächelt ; jet. glängten wieder
Ihränen in ihrem Blid, und es fam ihm vor, ala habe
ihre ſchlanke Geſtalt nie To todesmatt und Bits. bor
ihm geſtanden wie jcht I
Betroffen fah er in ibr perändertes Antl ig: „Die
Fahrt hat Sie übermäßig. angeftrengt, Aglaë. Wire
es nicht befier, daß ich Sie bis au unferer Station. be-
gleitete?” |
Ste ſch üttelte er feinsten das Köpfen inb — id
energifch conpor! „Mir ift völlig wohl, Hans! Ich
danfe Ihnen taufendmal für all Ihre große, große Güte,
und Habe nur noch ein Gebet: „Daß Gott es mir gewähren
möge, Ihnen dieje San noc) emal im t Leben a |
zutragen!“ - |
Der alte Weg! — Ehemals hatte eme hochherrſchaft⸗
liche Equipage bereit geitanden, die Tochter des Millidnärs
in. jchwellenden Arlaspolitern aufzunehmen. Das elegante
Viergelpann ſauſte über die Chaufjee, daß Kies und
Funken ftoben. Und Aglae lehnte gelangweilt das Köpf—
chen zuric und gähnte in dem Gedanken an die acht
Wochen Landeinjankeit, welche Der Kommerzienrat fich
und feiner Familie diftierte, weil e3 jehr vornehm fei,
-a A a onnaa a rigar pemi, Pan
2. ündern in Bädern zu nerleben. |
Alles genau noch fo wie damals! Wald, Feld, weite,
o : _ Anüumerifche Heide, — Dörſchen und Gehöfte — ganz
— 2461 2
unverändert wie früher, nur fie, der all diefes Qand,
jomweit das Auge reicht, einft gehörte, fie ift von Grund
auf eine andere geworden, — äußerlich und innerlich.
Aglaes Herz krampft fich zufammen bei dem Anblid
der alten Heimat, zu deren Schwelle fie als Bettlerin
zurüdfehrt. — Bor dieſem Wiederjehen hat fie gezittert
und gewußt, daß e3 noch einmal einen ſchweren Seelen-
fampf mit fih bringen, daß es ihr blutige Thränen koſten
— 462 —
werde, ihr ſtolzes Herz in tiefſter Demut fo zu er
niedrigen, daß es Magd fei da, wo es ehemals als
Herrin geboten! | —
Gibt es eine herbere Demütigung für ſie, als al
den Menjchen, welche fie im Eonnenglanz des Glüds ge
ſchaut, num Im tiejjten Glend entgegen zu treten ? Gibt
e3 eine größere Schmach für die Schloßherrin, als der
Niedrigiten eine über die Echwelle des Pachthanjes zu
treten in dem Bewußtjein, du iſſeſt das Guadenbrot bei
deinem früheren Untergebenen ? Sie beit in qualvollem
Weh die Zähne zujammen bei dem Gedanfen, daß jie
vorübergehen muß an dem Schloß, welches einſt ihr
eigen war, daß fein Pla mehr für fie ift an einer Stätte,
wo man jonjt vor jeder ihrer kleinſten Launen zirterte!
Wie werden fich die Knechte und Mägde zufammen-
drängen, e3 mit jcehadenfrohem Grinjen zu jehen, wie
die Frau Gräfin ihren ———— En im Rnechtse
hauje hält! |
Thränen jtürzen aus Mae⸗ Augen, Noch eminal
jchreit ihr Herz wild auf in der Berziveiflung eines tod-
wunden Stolges. Sie drüdt fidh zurück in die einfache
fleine Halbchaiſe und hat nur nod) einen Hilfeichrei des
Irrſinns Zermalme und vernichte mich, Gott! Gib
mir den Tod und erlöje mich aus diefer Erniedrigung!“
Der Wind jauft baper durch den Tannenwald wie
eine zürmende Stimme — es brauft und raujcht durch
die Zweige wie gurgelnde Wafferflut. Aglaë jchauert
frierend zujammen. Die Hafenbrüde taucht im Schnee:
= Wao
ſturm vor ihrem geiftigen Auge auf, fie fteht wieder und
jtarıt in die unheimlichen Wogen und hat nicht den Mut,
ich zu ihnen hinab zu jtürzen! — Und damals war fie
viel taujendmal elender und unglüdlicher als jet, wo
Gottes Barmherzigkeit fie heimgeleiter in die Heimat, in
ein Haus, wo fie voll mütterlicher Liebe und Barmherzig:
feit gleich einer Tochter willfommen geheißen wird!
Trotziges, hochmütiges, undanfbares Herz — fannft
du Dich noch immer nicht einem Strafgericht fügen, welches
jo gerecht und wohlverdient die Schuldige getroffen?
Aglaë ringt mit leifem Aufftöhnen die Hände und preft
fie vor das geneigte Angeficht. Sie erntet, was fie ge-
jäet hat. Im fündlichem Hochmut und Leichtfinn hat fie
nur dag Streben und Verlangen: gefannt, fich empor zu
Schwingen über ihre Mitmenjchen, eine Höhe zu erreichen,
von wo ihr Stolz verächtlich auf die andern herabjehen,
wo fie den Fuh auf den Naden ihrer goldgerefjelten
Sklaven jegen und in herzlofem Triumph jagen fann:
„sh bin die Herrin — Jhr duckt euch ohnmächtig
meiner Knute! — Und fie ſetzte alles auf die einzige
Nummer diefes großen Xoojes! — Sie gewann auch, —
alles, was fie verlangte, eine Grafenfrone, welche die
Augen blendete und Titel und Würden verlich, — Aber
e3 war ein trügeriicher Zauber, und der Reif, welcher
ihr ſtolzes Haupt ſchmücken jollte, drückte es mit Centner—
laſten zu Boden, fo tief in den Staub, daß alle Herr—
lichfeit der Welt unter ihren Füßen zufammenbrad).
Sie ift gleich dem ungetreuen Haushalter, den Gott
— 464 —
zur Nechentchaft 309, oal er uti: mit feinen punden un
— ſondern ſie den falſchen Götzen zum Opfer o ©
gebracht — Da war wohl fein Piennig von all ibren o
Millionen, welchen fie jemals zum Wohlgefallen Gottes
ausgegeben! — Da war fein Tag in ihrem Leben voll
Glanz und Pracht, keine Stunde und feine Minute,
welche die Engel Gottes aufgejchrieben hätten zum Seile
ihrer Seele! Sie war ein Kind der Welt gewejen, hatte
nur für die Welt und ihre hoffärtige. Luft gelebt, —
und darum ſchloß der Himmel feine Pforten vor ihr
und nahin ihr eu Sehen, deſſen ſie ſich unwert it
wieſen
Die Hände ſtill im Echoß gefaltet, das bleiche Mnthig
tief geneigt, verharrt die junge rau in regungslojem
Sinnen. — Der Wind raujcht leifer durch das fnojpende
Gezweig, wie Seraphichwingen, melche ſich ſchützend um
eine Seele ſchlagen, wenn der Satan und Verſucher ſeine
Fallſtricke legen will. — Der legte Kampf ift ausge-
fimpft. Eine milde, demütige Freudigkeit lächelt aus
den thränenfenchten Augen. „Und vergib uns unſere
Schuld!” — flet der Bli, welcher wie ein verirrtes
Kind den Himmel jucht.
Moosdorf! Da jteigt der Turm über bie: Tannen
des Parkes empor, da grüßen die roten Biegel dächer der
Heimkehrenden entgegen! |
Der Einſpänner greift luſtig aus, denn Die Sonne
will untergehen, und im Stall lockt die volle Krippe.
Der Rue, der lange, flachstöpfige Alteſte vom Kube —
— 465 —
hirten, deffen Aglaë ich nur noch fehr unklar erinnert,
fnallt ein ftolzes Peitſchenfortiſſimo, und Moppel, der
ichwarze Spig, ſtürzt dem Magen mit — Freuden⸗
gekläff entgegen
Hier führt der Weg in hen Efovomieher, deffen Eid-
jeite das Pachthaus begrenzt, rechts ab, und Aglaë neigt
ſich erſtaunt vor, weil der junge Roſſelenker in jchlanfem
Trabe geradeaus zum. Schloß fährt. Sind Burfhardts
etwa dorthin. übergefiebelt? Unmöglich! Hanfens Vater
bewirtichaftet das Gut jelber und ift als praftifcher und
thätiger Landmann unentbehrlich in dem Wirtichaftshof.
— Befindet fih der Kutſcher etwa noch in dem Wahn,
dab feine ehemali ige Herrin im Schloß abjteigen muß?
— Gie will ihn auf den Irrtum aufmerkſam machen a
und richtet. fih im Wagen empor, ihon taucht die Schloß
front vor ihr auf, und Die Freitreppe herab eilen ein
paar Geftalten. Noch einmal greift der Fuchs aus, und
dann knirſchen die Räder vor der Auffahrt.
Im Statiöfen fchwarzjeidenen Kleid mit dem faubern
weißen Spitenhäubchen, ganz wie ehemals, fteht Frau
Burkhardt zum feierlichen Empfang bereit, neben ihr die
hohe, ftämmige Figur des Gatten im Sonntagstod, mit
der weißen Krawatte. Er macht genau Ddenjelben etwas
unbeholfenen Srabfuß wie vor Zeiten und öffnet bedächtig
den Wagenjchlag: „Grüß” Sie Gott, liebe Frau Gräfin!
Der Himmel jegne Ihre Heimfehr in die alte Heimat!”
— Und er nimmt ihre Hände und drückt fie ſchier krampf—
hajt — feine fonore Stimme zittert vor innerer Erregung.
N.o Eihftrutb, SU. Nom. u Nov, Comödie H. BR, "30 |
=:
„O Herr Burkhardt, licher, guter Here Burkhardt!”
a es fid, ſchluchzend vor Nührung, von Aglass
Lippen, fie läßt ſich von ihm aus dem Wagen helfen u =
klammert 19 an A m gearbeiteten Hände feft,
fcien fie ihr. n
einzige Ctüße im
` Oeben geblieben.
0 ,8iebe rau
Gräfin, — ad)
Gott, wie bin ich
jo froh und be
ruhigt, daß wir
Cie endlich bei
uns haben!” fnixt .
Fran Burkhardt
ein wenig befan=
u: Ger 75 gmd er nicht
BEI VERE redt, ob Gie es
E ael S T ea a wagen Dart, zuerſt
die Hand zu bieten
wie ihr derber Gatte.
— Da wendet fi ihr daz
blafje, thränenfeuchte Geficht-
chen zu. In übermächtiger Erregung ſchlingt Aglas die
Arme um den Naden der alten Frau und drückt ihr
Köpfchen laut aufweinend an ihren Hals: „Gott fenne
Cie für Ihre Barmherzigkeit! Adh, Sie wijfen nicht,
welche große, große Wohlthat Sie mir erweien!” Frau
— 461 —
Grete ift ganz beitürzt im erjten Augenblid, dann mallt
ihr Herz über vor Mitleid und Zärtlichkeit. Sie ſieht
nicht mehr die Gräfin, jondern die arme, hilflos Ber-
laſſene, welche das tiefite Elend ihr als Tochter in die
Arme führt! — Sie neigt fich voll warmer Zärtlichkeit
und füßt die abgehärmte Wange: „Sch will Sie lieb,
ſehr lieb haben, Frau Gräfin, und hoffe zu Gott, daß
Sie fih von Herzen wohl und glücklich bei ı ung en
jollen !“
Aglaë ſchaut auf, ihre Giane zittert im tiefjten
Schmerz. „O, nennen Cie mich nicht Frau Gräfin‘!”
bittet fie leije, „laffen Sie mich ‚Aglae‘ fein, Ihre Aylag,
die ja gekommen ift, um Ihnen zu dienen und unterihan
zu fein, und Die alles abgejtreift hat, was an die einft-
malige, unglückſelige Herrlichkeit erinnert! ‚Aglae‘! Nicht
mehr und nicht weniger! Ja?!” |
Sie reicht dem alten Ehepaar die Hände entgegen,
und Bater Burkhardt atmet tier auf und nickt ihre herz-
lih zu: „Das foll ein Wort fein!“ ruft er friſch „die
kleine Aglas lebt mir im Herzen, nicht die Frau Bicom-
tejjel Wenn e8 denn erlaubt ift, bin ich gern dabei und
mache eS kurz mit der Titulatur!”
„Mein liebes, armes Kind!” ſeufzt Frau Grete voll
tiefer Wehmut, „Gott gebe, dağ Sie nicht3 von der alten
Zeit bei uns vermiſſen!“
Gewiß nicht, Müutterchen! Wir wollen’3 unſerm
lieben Brlegling | 2 behaglich machen, wie es in unferen
beſcheidenen Kräften jteht, und das erfordert vor allen
| — — „30*
na
Dingen, daß die Nefonvalescentin unter Dah und Fach
und zur Ruhe formt! — Mal vorwärts Leute! Ladet
den Koffer ab und bringt thn hinauf in Die Bimmer der
Frau Gräfin. Dann legen Gie fich) noch hin, und wenn
Sie wohl genug find, tommen Eie zum Abendeſſen zu
uns ins Pachthaus hinüber!”
em, nein, Männchen! Ich Habe fchon alles bez
forgt, es wird bier herüber gefchidt! Die Frau
Srä.. . unjere liebe Aglaë foll ganz ungentert fein
und fich erft mal von ber ei ee! eilt, iD a Hans
berorpnet A |
Aglaë regte fich nicht von der Stelle, „Sie wohnen
noch im un Und ic) jol im Schloß hier
bleiben ?
„Ei gewiß, gewiß! Sn Ihren altgewohnten Zimmern,
die ganz unverändert Ihrer Harren! Cie brauchen ſich
nicht etwa zu fürchten, Die Wirtichafterin Habe ich neben
Sie logiert, und Direkt unter Ihnen wohnt der Inſpektor
mit feiner Familie. Gie brauchen nur au klopfen, wenn Eie —
etwas winihen!”
Wie ein Bittern lief e e3 Durch Die lieber der jungen
Frau: „sit denn im Bachthaus gar fein, auch nicht das
fleinjte Plägchen mehr für mich?!“
Frau Burkhardt rieb verlegen die Hände: „ber,
liebe Aglaë, Ste können doh unmöglich in dem Pacht—
haus — in unjerm armjeligen Logierſtübchen wohnen ?”
Aglaë fahte erregt die Hände der Eprecherin: Frau
‚Burkhardt, ich habe während der fälteten Wintermonate
= 469
in einer Dachkammer gewohnt, habe gefroren, gehungert
und geduritet, habe nicht mehr fo viel gehabt, mir ein
Licht anzünden zu können, und ich fof nicht im Pacht:
haus wohnen? ch bitte Sie, ich flehe Cie an, nehmen
Ste mich mit fich unter She Dach!’
Gie hatte leije, mit bebender Stimme prosen, ihre
gramgebeugte Geſtalt ſchien wie eine bittere Sronie für
die prachtvollen Gemäder, ı welche fie einjt als Millio—
närin bewohnt.
arau Grete ſchlang erfchiittert den Arm um fie:
„Rommen Sie, armeg, geliebtes Rind“, murmelte fie:
„se näher ich Sie meinem Draen habe, deito lieber iit :
es mir.”
- Bater Burtharbt Hatte ſich abgewendet; e8 war wabi —
etwas jehr Jutereſſantes im Parf zu jchauen, er ſtrich
mit der Hand über Die Augen und jtarrte geradeaus. Dann
wandte er fich zum Schloß und gab Segenbefehl, den
feinen Koffer der Algen Frau in das Pachthaus zu >
bringen.
Zangjam jtiegen Die beiden rauen die jchmale Holz-
jtiege empor, welche zu dem im Giebel belegenen rendenz
zimmterchen führte. |
„sn Ordnung tt wohl alles, aber es ift nun gar
nichts behaglich und für lieben Bejuch hergerichtet”, be-
kümmerte fich die Matrone, „und wenn Sie einen Blic
in das Stübchen gethan, und Sie glauben wirflid, dak
Cie fid) darin wohl fühlen werden, liebe Aglaë, fommen
Cie vorerjt noh in die Wohnfiube hinunter und trinfen
— 470 —
eine jpäte Taffe Kaffee! Derweil fünnen die Mägde das
Bett bezichen, Die Wafjerfrüge füllen und ctwas cins
heizen! Sit zwar Eonnenjeite, aber jedes Zimmer,
welches tange Zeit leer fteht, wird falt und unwohnlih.”
Wie auch Aglas verfichern mochte, daß fie das alles
fehe gut jelber bejorgen könne, Frau Burkhardt wies
jede Öegenrede beinahe entjeßt zurüd und ſchlug die
Hände über dem Kopf zufammen bei dem Gedanken,
daß ihre feine Prinzeß, melche fie nur als Töchterlein
des Millionärs kannte, eine Arbeit verrichten follte, wie n
ſie der niederſten Magd zufomme!
Ernſthaft blickte ihr die junge Frau in die Augen.
„Aber, liebe Frau Burkhardt, vergejjen Eie e8 dem
ganz, daß ich uur unter der Bedingung, Sie in aller
Hausarbeit unteritüßen zu dürfen, Ihr barmherziges :
Anerbieten annahın? — Ic werde febr energiſch vn
Diejem Vorrecht Gebrauch machen und hoffe, Sie bald |
überzeugen zu fünnen, daß es mir heiliger Ernſt ift,
meinen Verpflichtungen in dieſem Haufe aufs gewillene
haftelte nachzukommen !
Frau Burkhardt lächelte und nidte hajtig: Gewiß,
mein wackeres, Kleines Herz, das follen Sie auch! Nur
die erjten Wochen haben Sie fih noch vollkommen ala
unjer Gaſt und als Nefonvalescentin zu betrachten, bis
die Nojen neu auf den Wangen ‚blühen! So dat ee
mein Hanfel befohlen, und alles, was der Jung’ jagt,
das it für Die alte Mutter ein Edangelium!“ |
— — — — paene — — — — — : —. —,— — — — — — —
IT
Die Qampe brannte auf dem großen, runden Tiſch in
der Wohnitube. Warm und gemütlich, behaglich und trant
war's in Diejer Eu Umgebung, wo alles wie in einen
friedlichen Schlaftiefiter.
Weltvergeſſeuheit ruhl
— Die Uhr tidte und ehfug mit. gedämpftem Stocenton
die Stunden, Hinter der hohen Epheumand am Feniter
ichliefen im Holzbauer zwei Haubenlerchen und ein.
— 472 —
Stieglig, welche im tiefen Winterſchnee halb nerhungert aufs
gefunden und nun bei der Pächterin freundlich Gaſtrecht
bis zum Frühjahr genoſſen Zm hohen, altmodiichen
Lederſeſſel jaß der Hausherr und ruhte aus von des
Tages Arbeit, feine treue Genoffin neben ihm in der
einen Ede des großgeblümten Sophas, in der andern,
jorglich durch ein Kiſſen geſtützt, Aglaë.
Die beiden alten Leute hielten jeit langer Beit zum
eritenmal die Hände müßig im Schoß Es gab ſo viel
zu fragen und zu hören, was die ehrlichen Seelen in
hohem Grade erregte und beichäftigte, daß jeder andere
Gedanke zurückgedrängt wurde. Die Leidensgeſchichte
ihrer armen, kleinen Ugl në, ihres verwöhnten Büppchens
von chedem, ſchnitt ihnen ins Herz, und Frau Grete
rollten oftmals voll tiefiten Weh’ die Thränen über die
Wangen, wenn fie mit entjegten Augen auf Die Lippen
der Erzählerin ftarrte, als tünne fie jo viel Elend kaum
faſſen — Als Aglaë aber berichtete, wie Hans ihr Netter
in der Not gewejen, wie fie mit erglühenden Wangen
Ichilderte, was er alles für fie gethan, da faltete die alte
Frau mit jeligem Lächeln die Hände und murmelte:
„Sa, mein braver Hanjel, gerade zur rechten Zeit ift e
gekommen! | sn .
Bater Burkhardt aber wehrte leife brummend ab:
„Thorheit, Aglaë, ift gar nichts zu lobpreiſen und zu
danfen! Der Bub’ hat einfach feine Pflicht gethan! Das
goldgetreue Herz, das hat er von meiner Alten geerbt
und von mir, jo Gott es in Guaden gibt, den redlichen
ae a
Willen, jtets nach Recht und Gewilfen zu Handeln! — —
Und... ja, den Starrfopf, den bat er auch noch von
mir! — Hätt's beinahe vergeljen! Nicht wahr, Mutter:
chen? Der hat dir au ums beiden Mannsleuten jchon
gar viel zu ſchaffen gemacht!’ ia
Gie nahın zärtlich jeine Hand: „Sa, ja, Baterchei,
jag’s nur gleich der Aglaë, welch jchweren Stand fie
bei dir haben wird!“ jcherzte fie. „Numentlich, wenn
jie deinen Sohn lobt, daun ftreicht fie beim Brummbär
den Pelz gegen den © Strich!” |
Der Alte jehmunzelte und nidte der jungen Frau
zu: Ich muß nur das Gleichgewicht halten, Grete,
und habe Angjt, wenn dein Neſtkücken gar nod) von der
Aglaë bis in den Himmel gehoben wird, Daun werde
ich) auf der Erde ganz und gar vergeffen, in den Winkel
gejtellt und höchſtens alle acht Tage einmal abge—
itaubt!” — — Er ward wieder ernſt beugte den Kopf
mit dem mächtigen Grauhaar vornüber und fragte, ohne
Aglas anzufehen: „Wenn mein Hans aber der einzige
war, welcher fidh Ihrer in der Berlafjenheit angenommen,
Aglaë, dann hater... der... der Taugenichts von einem
Franzoſen aljo gar nichts mehr von ſich hören laffen?”
Sie jchüttelte mit zufammtengebiffenen Zähnen das
Haupt: „Nein, er ift verjchollen.” | |
„Sit Ihre Scheidung gerichtlich ausgelprochen ?”
„Sa wohl! Schon feit zwei Jahren. Damals erhicht
ich. die Nachricht, daß der Vicomte fih nadh Californien
gewandt, um als Mineur SD: bod =
— 474 —
behauptete mein Rechtsanwalt ſpäter, er lebe unter einen
Pjeudonym in Monte Carlo und verjpiele Dajelbit den
Net ſeines ererbien Vermögens.“
„Die Nemeſis wird ihn errechen. — Aber ,...-
Burkhardt ſtockte und ſtrich mit den geſpreizten Fingern
durch das Haar. Aglaë jah ihn fragend an Da
vollendete er: „Aber Ihr Herr Bater . . . hat der denn
gar nie und nimmer wieder feinem einigen Kude ein
Lebenszeichen gegeben?” 2
. Thränen jtürgten aus Aglaes Augen. Sie jchlug Die
Hände vor das Autlitz und neigte ſuumm das Köpfchen
zur Bruſt
ti
„© Itehen Sie ganz allein und unbemittelt in der —
Welt, und die, welchen Sie naturgemäß zugehören, haben
fi jedweden Rechts an Gie begeben?”
Sie nice: „Gang allein und verlajjen“, ilüjterte fie,
„wemi ich. nicht hier bei Ihnen eine Zuflucht finde, und
mid) dienitbar und nützlich machen kann, muß ich ber:
ungern. E
Der alte Mann erhob ih in? — vor die Wei—
nende. Er nahm ihre Hand und legte fie feierlich in
die jeiner Frau: „Hajt dir immer ein Töchterlein ge
wünjcht, Grete! Hier hat uns Der Simmel noch eines
beicheert, und wenn's der eigene Vater treulos verlaſſen
hat, jo meine ich, daß uns ein Recht zuiteht, fein Erbe
anzutreten! Wenn wir alten, einfachen Leute Ihnen
recht jind, Aglae, jo jollen auh Sie uns lieb ſein wie
ein eigen Kind! — Er ſprach kurz und ſchlicht, legte Die
— 475 —
Hand wie zum Segen auf das Köpfchen, welches fidh in
zuternder Erregung an feine Bruft neigte, wandte fih
und ſchritt wuchtig zur Thür hinaus, — — — — —
— — — Nglad hatte fidh müde geweint. Ihre
Hände hielten noch immer diejenigen der lieben alten
Mutter umfangen. — Die fap neben dem Bett, ſprach
leije und zärtlich wie zu einem kleinen Kid, rückte die
Kiffen zurecht und ftreichelte licbEofend die heißen Wangen
der Erregten. — So war es der armen Werlaffenen nie
zuvor gejchehen. Ein unbejchreibliches Slücsgefühl über:
fan fie, Cie war daheim, — fie hatte eine Mutter ge:
funden. — Nun fonnte fie plafon. Frau Grete neigte
jiġ und laujchte auf Die immer ruhiger werdenden Atem—
züge. Daun faltete fie mit verflärten Lächeln Die Hände
aum Gebet, — Jhr höchſter Erdemvunjd war erfüllt.
Cie hatte eine Tochter gefunden. — Leije löjchte fie das
Licht und trat in die Nebenfanmer. — Giu füher Traum
wngaufelte jchon bie Ruheibe, wie fonnte fie nun jo
ruhig Ka —
—2
N Die Welt wird jehöner mit jedem Tay,
` Man weh nicht, was nom werden may,
o Das Flüben will nit enden! —
Ubland.
C umderlich! — noch nie hatte
? die Sonne fo ftrahlend
hell und warm auf Moos-
dort herab gejchienen, noch nie hatte der grü hling fo
— Blütenpracht entfaltet, wie in diefem Fahre.
Bater | Burkhardt jtand auf der Schwelle des Haufes,
die Pfeife zwiſchen den Zähnen, die Hände in den Tajchen
der dunfelgrauen. Lodenjoppe, mit hellem Bli feinem
Liebling, der Aglaë nachſchanend Schmunzelnd nickte
er vor En I und Tolok | mit dem —— der pela E
— 41 —
ichlanfen Geftalt, welche mitten durch den hellften Sonnen—
ſchein leichtfüßig über den Hof Schritt.
Ein ganz einfaches, helles Kattunfleid, bededt von
großer, weißer Schürze, bildet den Anzug der Vicomteſſe
von Saint Lorrain. Blütenrein und fauber, ſchmuck und
friſch troß der übergroßen Bejcheidenheit, fah die junge
Frau fo anmutig aus, wie die jungerichloffenen Weiß:
Dornfnofpen, welche im Duftigen Strauß ihre Bruft
ſchmückten Die Kranfheit war überwunden und hatte
feine Spuren in dem jungen Angeficht hinterlaffen, welches
roſiger wie je zuvor mit fanımetweichen Wangen in Die
Welt lächelte. — Das jchlicht gejcheitelte Haar umrahmte
Das Gelichtchen und gab ihm einen beinahe Eindlichen Mus-
drud; hell und zufrieden, unausiprechlih Danfbar und
freundlich jchauten die dunklen Augen drein, und Die
viele Bewegung und Arbeit in der freien Luft, Die
träftige Landkoſt und die friedfame Ruhe für Leib und
Ceele hatten ihren zarten Körper gefräftigt und ge-
rundet.
Große Milchjatten in beiden Armen jchritt Aglaë nach
dem Gewölbe der Meierei — und Bater Burkhardt wandte
fich feiner joeben herantretenden rau zu, legte in auj-
wallender Zärtlichfeit den Arm um fie und wies mit
einer Kopfbewegung nah Aglaë hinüber.
„Gang fo wie du, Gretel! Als ich dich vor vierzig
Fahren zum erjtenmal als Wirtjchafterin in Groß:
Rauwitſch fah! Wäre das fleine Ding dort nur einen
halben Kopf höher gewachjen und robujter und derber
*
i
į
AATE —
von Statur, dann könnten wir uns fon einbilden,
Mutterchen, es ſei unfer eigen Fleiſch und Blut!“
Die Matrone nickte mit leuchtenden Blid: „Sieh mir,
wie fie ſchaf ft und zugreift! — Bor cimer Stunde hat
fie mit eigenen Händen im Gurten gegraben, — wd
jest ift fie mir fchon wieder im Milchkeller zuvor qc-
fommen! Gott im Himmel, wenn ich mir das hätte
träumen laffen! Habe eine vornehme, zimperliche Gräfin
erwartet, und der liebe Gott hat mir das fleißigſte und
anjpruchslojeite Gejchöpfchen ins Haus geſchickt, dak Pe
mir wahrlich eine Stüße und eine Arbeitskraft ijt! —
Die Sprecherin ſetzte fich erichöpft nieder, ihre leije,
heiſere Stimme verfagte ſchon wieder den Dienft, wie fo
oft in der legten Zeit, und Frau Grete legte wie in jähem
Schmerz die Hände auf Bruft und Hals.
pa, e3 ijt em wahrhaftes Wunder!“ nickte der
Pächter nachdenklich, und ganz abſonderlich, wie man
fich fo Schnell an folch ein liebes Ding gewöhnen fann!
Möchte fic nimmer wieder hergeben, die Aglaë — und
wenn ich gar Dächte, daß einer von den Hansmwurjtferls —
von den Ndlerhöfer Zwillingen ein Auge auf fie geworfen
hätte — dann... oha! Grete — ich glaube, ich fchlüge
mit beiden Fäuften drein!! —” Er machte ein bitterböfes
. . Geſicht und richtete feine marlige Geitalt ſchier drohend auf. -~
„Die Adlerhöfer? — Die Bierbrauer .. . die follten
unſer Prinzeßchen?! —Frau Grete fah gang entjebt
aus, dann lachte fie leiſe vor fih hin: Anſinn!
beide ſind ihr lächerlich und zuwider!”
dd
- Burkhardt ſchüttelte ſeinen Graukopf mit finſter ge⸗
falteter Stirn: „Sie haben Geld, und die Aglaë ift bettel⸗
arm! Hat fon mand’ Mädel fich weggeworfen, weil
es nicht verhungern wollte!”
„Aber Bateren! Dafür find wir doch noch Da!
Die Aglaë ift doch bei ung gar wohl verſorgt!“
Er rüttelte ingrimmig an ber SM der Holz
banf.
„Bir find alte Leute, iiber Nadıt kann alles anders
werden, und wenn wir die Augen zumachen, wer ſorgt
dann für fer — Her“
„Nun, fo Gott will, der Hans, Baterchen!”
der Hans! — Haha! — Der Giftmifcher fit
zwanzig Meilen weit weg und ahnt gar nicht, was für
ein Brachtweibchen ihm alle Tage bier” .. . er unter:
brach fih turg und jchroff, Ttülpte den Filzhut auf und
jagte abgewendet in beinahe barſchem Ton: „Ecg dich
mal hin, Gretel, fchreib’ an den Jung’, er fole fidh fo-
gleich mal her verfügen, — ich, der Alte hätte es befohlen! -
Hat man einen Sohn als Dottor dafigen, und du fchlägft
dich hier ſchon ein halb Jahr lang mit dem heifern Hals
und den Bruftichmerzen herum — da jol er mal Jer-
fonımen und dir Blutegel ſehen, oder was jonjt gut Dafür
ift. Berjtanden ?
Ein wunderfames, ſtrahlendes Lächeln verklärte die
Büge der alten Frau, aber fie zwang fich, ein ſehr gleidh-
gültiges Geficht zu maden und zudte die Achjeln. „Um
meinetwillen braucht er noch lange nicht zu tommen.
— B
Meine Etil wird fchon bei dem warmen Wetter
ohne alle Arznei beffer werden.”
Burkhardt rüdte den Hut energifch von dem (inten |
Ohr auf das rechte... . „Gut! — dann foll er für |
mich hierher fommen! Sc huſte! Sch habe a —
— id leide an Schlafloſigkeit —
„Aber Väterchen!!”
„An Schlafloligfeit, fage ih!” — metterte der Alte.
„Du denfjt wohl, wenn ih ſchnarchte, müßte ich jedes-
mal fchlafen? Papperlapapp! — Ich bin jehr krank!
Schreibe das dem Jungen — aber jofort! — Denn.
ich gehe jede Wette darauf ein, die Lümmel, die one
fommen am nächiten Sonntag idon wieder hier angejegt!
— Fran Grete lächelte ſehr verichmißt: „ber Männs
chen — wag haben denn die mens mit deiner |
Krankheit zu thun?!” on |
Er griff haftig nach jeiner Pfeife und legte jie m
Fenſterbrett „Dummbeit!” murmelte er, „gar nichts
haben fie damit zu thun. — — Und nachher fahre ich
in die Stadt, bis dahin muß der Brief fertig fein!”
Er ftiefelte mit Niefenichritten davon, Frau Grete
aber faltete die Hände im Schoß und lächelte unter
Ihränen: „Er ruft den Hana zurüd! — S ift um der
Aglaë willen! — Ð du mein Herrgott, — er felber ruft
ihn heim!” |
Im Milchgewölbe jtand die Vicomteſſe von Saint
Lorrain und rahmte die Milchſatten ab, neben ihr ſchritt |
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5,
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— 482 —
eine Magd, welche Die „Se ippermi (h zu den großen
Fäffern trug, aus welchen fie je nad) wirtjchaftlichem Ber
darf entnommen wurde, und feitlich ſaßen zwei junge Dirmen, -
‚welche die großen Holz] ichüffeln mit den blanfen Stahlreifen
bligend hell jchenerten. Nebenan wurde gebuttert, und
luftige Reden und fröhliches Gelächter fchallten hin und ber.
Lieſe! Haͤſtis ſchon der qnädigen Frau erzählt, wie
geſtern zum Maifeſt in Romſtetten allmitſammen auf den
IHN Brukenſteg eingebrochen ſind und bis an die Hälſe inr >
en Schlamm. geftectt Haben?” :
Noch hatte es die Liefe nicht berichtet, holte eg aber
unter hellem ubel ſchleumigſt nad, und Aglaë lachte -
mit und fragte nach diefem und jenem und perfehrte |
freundlich und luſtig mit ihren Untergebenen, ohne Dabei
‚die Hände in den Schoß zu legen oder ſich das mindefte
‚in ihrer außergewöhnlichen Stellung zu vergeben. — Man
refpeftierte fie ebenjo fehr, wie man fie liebte und ver—
ehrte, und bewunderte den demütigen Fleip, mit welchem
die junge Frau fich jeder, ſelbſt der niedrigſten Arbeit
unterzog. Da war feiner im PBachthot, der nicht. gern
und tief den Hut vor der ‚ungen Gnädigen” 309, md
wo Aglaë arbeitete und frisch mit zugriff, Da ward es
ſtets zur Ehrenſache, es der Gräfin gleich zu thun, und
fich nicht von ihr bejihämen zu faffen. — Ahr energiſches
und doch ſtets gütiges und freundliches Weſen eroberte
ihr die Herzen im Flug, um jo mehr, al man es nicht
von der Tochter des Kommerzienrat3 erwartet hatte,
Aglas fühlte fih unbeſchreiblich wohl und glücklich
— a >
in diejer Thätigfeit, welche, ie anfänglich oft fo faner
geworden, dap fie geglaubt hatte, der ungewohnten Arbeit
erliegen zu mijjen. Welch eine Überwindung und Ecibft-
beherrſchung hatte e3 ihr zuerit gefoitet, fih an das frühe
Aufitchen zu gewöhnen! Welch eine Qual in der heißen
Küche ftehen zu müffen, welch ein Beobachten und Auf
merten, ihre Dienſte nühlich und der Hausfrau: erſprieß—
lich anzubringen! — Wance Brandblaſe und Schwiele
war das Lehrgeld geweſen, welches die zarten Händchen
der ehemaligen Milltonärin zahlen mußten, aber ihr
Itavfer Wille nnd ihr danlbares Der; hatten Die Felſen
im Weg überwunden, und e3 gab fein bejeli igerendes Ge-
fühl für Mglaë, als in die entzückten Augen ihres Pllege⸗
mütterchens 3 au schauen, als das hmungel Inde Lob Vater
Yurkhardts zu Hören!
Welch eine ftolze Freude, alè der geitrenge Hausherr
die wierhörte Erlaubnis gab, Daß Die junge Frau im
feinen Morgenfaffee bereiten und ihm die „Heilige“ ls \
tafje bringen durjtel
Nun konnte Frau Grete doch ein Stündchen (kijer
liegen bleiben, was fie wiunderbarerweile gern zu thun
ſchien Aglaë bemerkte es mit täglich wachjender Sorge,
wie ſchwach und hinfällig die alte Frau wirde, wie jede
Treppenftufe, jede Arbeit fie über die Magen anftrengte.
— Gie hatte längere Zeit gezaudert, Hans darüber zu 5
berichten, denn ein umerklärliches Gefühl fep fe m sm
Gedanken erzittern, Schweſter Amelie werde alsdann nah
——— kommen, Die Patientin zu beobachten.
ay o
an
Sie wußte e felber warum rfid ihr Herz beim
Gedanken an die barnıherzige Schweiter zufanmenframpfte
wie in leidenfchaftlichen Schmerz, warum ihr die Thränen |
aus den Mugen ſtürzten, als müſſe ſie ſich totveinen. a
— Endlich tagte fie fich ein Herz und ſchrieb an Hans,
aber fie erhielt feine Antwort, und als fie zum zweitens
mal jchrieb, erfolgte ebenfalls feine Nücäußerung. Was
mochte die Schuld daran tragen? Die Adreſſe war richtig
angegeben und Aglaë hatte die Briefe perjönlich dem
Milchſungen mit in die Stadt gegeben, denn auf Danjens
Wunſch follte weder Vater noch Mutter von ihrer Vez
nachrichtigung erfahren, damit der Aſſiſtenzarzt oder
Schweiter Amélie völlig harmlos von Frau Burkhardt
aufgenommen würden. — Boll Sorge und Unruhe harte
Aglaë täglich auf ein Febenzzeichen des Profefiors —
aber die Zeit verging, Der Frühlinz zog immer weiter
ins Land, und als die eriten Rojen des Sommers die
Knoſpen brachen, war Die alte Frau ſchon jo heiſer
und hinfällig, daß Aglaë fich ein: ‚Herz fapte und Vater
Burkhardt bat, doc) ſeinen Cohn von dem Ichlechten Bez
finden der Mutter zu unterrichten. Er jchaute fie be
= troffen an, ward nachdenklich und nidte. „Sa, ja, wäre
N gut, wen der Junge mal herfäm’! — Aber . . '3 ift N
jo eine Sache. ... . Hab’ ihm das Haus verboten, bis
er mal ein arhentkidh € Stück verdient und was feos |
geworden ift, und das ift beides Doch noch nicht Der gate
„ber Papachen Burkhardt, — er ift unjer berühms
tefter Gelehrter und von aller Welt anerfannt und aus
HARD
gezeichnet! Rann ein Miann wohl cime hervorragendere
Stellung einnehmen als er, der Tauſenden von hojfnungs-
los Kranken zum Retter wird, und deſſen Name mit der
größten Liche, Verehrung und Dankbarkeit im ganzen
Denen Baterlaud genannt wird?”
Der alte Mann mwühlte die Finger in ſein todigeë
Grauhaar und zog die Nafe fraus. „Das mag ja alles
gang ſchön fein, liebe Aglaë, aber ſehen Sie mal — ih
bin ein närrifcher Kauz und habe mein Leben lang nicht
viel von den Pillendrehern gehalten. Meine inner, Die
Melt: fönnte auch ohne fie beftehen. Im meinem Hauſe
iſt halt nie eins krank geweſen, Gott fcs gedankt, und
ih fann mir’3 nicht recht vorftellen, wenn die Leute jagen,
fie hätten fi vor Danf und Sl üchjeligfeit dem Doktor
mögen. zu Füßen werfen, weil er ihnen ein Liebes gejund
gemacht. Sch kenns eben nicht. — Und dann iſt's und
bleibt’3 Doch eine brotloje Kunft. _ Hätte Hans ſchon E
was verdient und erfpart, hätte er mir wohl mal an die
hundert Thaler heimgefchieft, e3 zu zeigen und fih die
Hausthür damit aufzuichließen. Aber es ijt nix gefommen,
und der Jung’ hat fidh über zwölf Fahre herumgeplagt,
nur damit fie mal pon ihm in der Zeitung ſchreiben, ihu
(oben oder jchlecht machen, — je nachdem. — Mber gleidh-
viel! Er foll wieder fommen, und die Grete foll’s ihm
Schreiben, ich nicht. — Dummer Eigenfinn der! — Hütt
der Bub’ was Ordentliches auf der kandwirtichaftlichen
Schule gelernt, wäre er jetzt ein ſelbſtändiger Mann und
tönnte Frau und Kinder ernähren, dann hätte ih eine n
aw
Stultze — rende an ihm in side auen und jchweren
Reit, für die ich mit jedem Tag zu alt werde! —“ Er
machte eine heftige Geſte und ftrich über die Stirn, als
wolle er jolche Gedanken wegwiſchen Aglaë ſchmiegte
ſich zärtlich au ihn und m ihm beinahe miſch in
Die Augen.
„tud wenn der Hans fommt — — ue barn
Thaler fommt, Papadı en Burkhardt, und er macht Frau
Grete gefund — ift er Ihnen dam nicht taufendmal
lieber, als brüchte er Saͤcke voll Soldes heim?” — Ge
ſtrich — über ihr Haar. „So frant ift Die Grete
nicht! Unſinn! Iſt ja alles Einbildung! Aber trog-
dem foll der Hans mit Freuden angenommen werden, o
denn er Hat ung mehr gebracht als Gold, ein wader n
klein OR, das ae Alters Enada geno
worden!” — | |
Dies war die erite Schmeichelei, welche der Pächter
in feinem Leben faı gte, und das war ihm jelber fo fpaß-
haft, daß er lächelnd den Hut nahm und Moppelchen,
welcher ihn bellend umkreiſte, eines überzog. Er jtrahlte
über das ganze Geficht und jchritt zur Thür. >
„Aber ein Dummkopf ift er do!“ — behartte er
noch auf der Schwee —
— — — — — —— — — — — — — — — —
Bei dem Verkauf von Mobsdorf waren etliche Strecken
parzelliert worden, und em Vorwerk mit Epiritusbren
nerei, der „Adlerhof“, war von Frau Witwe Crescentia >
Grauchenwies käuflich erworben worden, um n basjelbe in —
= 187 —
eine großartige Bierbrauerei nach bayriſchem Muſſer unz
zugeſtalten Frau Crescent tia, eine geborene Suddeuſſche,
war an einen Münchener Brauheren verheiratet geweſen
und eine Dame, welche mit außergewöhnlicher Energie
große ee ujt und viel kaufmänniſchen Geiſt
verband.
Es war ihr üd, fich burih Eyelnlalionen und
geſchickte Geichäftsanlagen ein jchr bedeutendes Vermögen
zu erwerben, welches fie in praktiſchem
inne mehr und mehr zu vergrößern
itrebte. Ihre Kenntniſſe und Be-
zichungen, welche fe alè Münchener
Bierbrauergattin erworben und anz
gefnüpft, das Bewußtiin, fchon Der-
malen die Brauerei Deg Mannes fait
ausſchließlich mit ihren thatfräftigen
Händen geleitet zu haben, ermutigtefie, _
eine Brauereigroßartigen Stila i meiner
Gegend anzulegen, wo das bayrifche Bier nod) zu den
Scltenheiten gehörte, fich gleichwohl aber großer Beliebt-
heit erfreute. Der Adlerhof erhielt unter ihrer Regierung”
bald ein ſehr verändertes Ausjehen; die Fröhliche Devije:
„Hurra der Hopfen und der Malz! Die find des Lebens
Würz und Salz“ — fchwebte auf den flatternden Raud-
fahnen des Schornfteins, und die Fäſſer aus den mäch-
tigen Moterhoffellereten follerten weit Hinaus ms Land,
fich von Sabr zu Jahr größerer Beliebtheit erfreuend
Frau Crescentia rieb fich Die derben fleifchigen Hände
— 488 —
uud: Blicke voll ſtolzer Genugthuung auf den Prahibau
„Nölerhof” — welcher afle Hoffnungen, die fie auf ihn
gefeßt, jo glänzend erfüllte Wo fie hinfam und den
Leuten die Ehre ihres Bejuches angedeihen ließ, ward
fie mit größter Artigkeit und Freude empfangen, nur
nicht bei Bater Burkhardt, welcher einen ticfen, ‚stets
wachlenden Groll gegen den Adlerhof nährte. Er haßte
alles Fabrikmäßige der Neuzeit, denn feiner Anſicht nad
waren die qualmenden Schlöte, die jchuurrenden Räder,
Majichinen, Kurbeln und Dampfkeſſel die unheimlichen
Bacillen, welche der Landwirtſchaft den. Krebsjchaden
einimpften, an melden fie Tanglam, aber jier zu
Orunbe ging,
Seit ber Adlerhof feine Thore -o fkrömken Die
Arbeitsträfte, welche ehedem an Starit und Pflug geichafft,
in die Kellereien und an die Vottiche der Frau Crescentia,
und der Notitand der Landwirte, welche das Korn auf
dem Halm verkommen laſſen mußten, weil fie feine Hünde
zum Schneiden desjelben fanden, nahm von Jahr zu
Gabr überhand. Am Fühlbarjten war dies für Burkhardt,
welcher in ſeinem altmodiſchen Starrſinn die jdhnel
ichaffende Maichinendilfe haßte und infolge deffen be
beinahe Doppelte Anzahl von Knechten gebrauchte, wie
feine Nachbarn. Er lich mit vielen Koften polnische Ar:
beiter fonımen, mad)te aber böje Erfahrungen mit den-
jelben. Diele liefen mit dem ausgezahlten Lohn davon
— vitele blieben und faulenzten in den Tag hinein oder.
machten alles verfehrt, weil fie ſich entjchuldigen fonnten,
— 49 —
die Sprache nicht zu verftehen. Dazu fam, daß Burk—
hardt den Anfauf von Moosdorf nur mit Hilfe von
Hypotheken ermöglicht hatte, welche dem alternden Mann,
der immer fremder und einjamer in der modernen Belt
ſtand, als jchwere Bürde empfindlich wurden.
Kein Wunder, wenn ihm Frau Grescentia Graudenz
wieg in der Seele zumider war, fie ſowohl als ihre
beiden unleidlichen Fettkerle von Söhnen.
Ein wunderliches Trio waren die — des Adler-
hofes — Hätte die Bitib des Bierbrauers als Mänulein
das Licht der Welt erblidt, io würde fie ficher als Garde—
flügelmann ihren militärischen Verpflichtungen genügt
haben. Ein reales, breitjchultriges, robufles und fraft-
volles Mannmweib ſchrut fie auf ihrer Eiegesbahn daher,
daß die Dielen zitterten, Eich ihrer Würde voll bewußt,
in dem jtet3 outrierten Dünkel der halbgebildeten Empor—
fümmlinge, trug jie das Haupt mit dem grellfarbigen
Kopfputz fo jtatiös auf dem Nacken und ranfchte in
jchwerer Seide fo imponterend did unb breit einber, als |
jet der Adierhof ein ftolzer Fürſtenſitz um welchen ſich
die Vaſallen des doppelten Boyrifhen zu mirng
Gulbignia drängen. —
Ihr großknochiges, ftart gerötetes Seficht war nicht
hf; lich, aber eg trug den Charakter des abfoluten Deſpo—
tismus, und die intelligent blickenden Augen unter der
mächtigen, freien Etirn janten ihrer Umgebung. itets
in der Form des Imperativs, feinen Widerjpruch duldeud,
entgegen.
SuM >
Wie die beiden Seidel fredenzenden Böcke anf der
Etikette ihres Flaſchenbieres ſich durch ein paar riefige,
gewundene Hörner auszeichneten, trug Frau Crescentia,
wohl zur Ovation für Diejes Wappentier, zwei breite,
braunglängende Haarzöpfe ſchneckenförmig um die Ohren
gewunden, was ihr ein ganz abfonderlich altmodifches
Anjchen neben aller modernen Eleganz verlieh. Gine
koloſſale goldene Erbjentette Ichlang fidh um den feilten
Hals und hing über den Bujen bis zur Taille hernieder,
wojelbjt fie, weithin fichtbar, die Uhr im Gürtelhafen
trug. Ein auf den erjten Blid unentwirrbarer Klumpen
von Berlods jchaufelte fidh bei jedem Schritt über dem
ſtarken Leib, und ſchwere Ringe, und maſſive Arınbänder
priejen mit güldenem Glanz den Gott Gambrinus, welcher
ſeine Hände jo äußerſt wohlwollend au den Udlerhoj
ausbreitete.
- Wittib Grauchenwies war die Mutter zweier Söhne.
Als fie anfänglich. allein. nach Adlerhof fam, und die
Honoratioren der Umgegend fennen lernte, harte jie voll
äuftlicher Sorge gewettert, daß die Arbeiter: fo fehr lang-
fam im ‚Herrichten einer proviſoriſchen Wohnung jeten!
Ihre beiden armen Bübele ſäßen derweil einfam und ver-
laſſen daheim bei einer Tante, und das fei ihr geradezu gräß-
(ich, denn fie habe Beit ihres Lebens die Kinderle nimmer
aus den Augen und unter den Händen weggelaffen!
Man munderte fi), Dağ die betagte Frau, welche
doc) ſchon im Anfang der jechziger Sabre ftand, noch jo
Heine Kinder habe, und die Frau Oberförſterin, welche
die jungen Knäblein gleich für den Tag nach ihrer Mi-
funjt mit der Frau Mama in das Forsthaus: zu Tiſch
geladen, zerbrach fich tagelang den Kopf, ob fie Schaufel-
pferd, Armbruft und Bleifoldaten ihres lteften vom
y vL-
Boden Holen folle, die feinen Grauchenwieſe damit zu
amüſieren Sie hatte feine Gelegenheit mehr, fich nad)
dem Alter der Zwillinge zu erfundigen, ließ aber für alle
Fälle eine mächtige Schüffel Upfelreis bereit ftellen, falls
die Kleinen nod) nicht alle Epeifen genießen: durften.
Zaut Bericht eines zuverläfligen Augenzeugen fol
— 492 —
„Die brave Frau vor Edred beinahe umgefallen fein,
alg fih aus der fchweren Adlerhöfer Kaleſche zuerſt Die
KNIE Mama Grauchenwies, daun aber ihre bofinungsvollen
Sprößlinge entwidelten. Zwei baumlange Kerle, did und
breit wie zwei Walzen, twelche zur Mitte geipalten worden,
wuchteten Die „Bübele, zwei junge Männer in Mitte
der dreißiger Jahre, aus dem Wagen herab, äugftlich
achalten und gewartet von Frau Crescentia, welche fidh
vollfoinmen benahm, als habe fie Babys zu hüten. Rote, =
dicke, geiftlofe Gefichter mit vorquellenden Knopfaugen,
welche in permanenter Angſt aufs „Mammele” ftarrten,
jtruppig blondes, bürjtenartig gejchorenes Haupthaar und
Hände, welche aus einer Kompofition von fünf Frank
urter Würftchen zu beftehen ichienen, bildeten Das Signale⸗
ment der Hwillinge. |
Gleichwie zwei wohlerzogene Sungens, einitudiert mud
‚mechanijch wie Tanzbären an der Strippe ihres Führers
trollten die beiden Söhne rechts und links an der Seite
der gejtrengen Mutter. Vor der vor Edred erftarrten
Fran Oberförfterin ward Halt gemacht. Frau Crescentia
bewegte mit jcharfem Nud beide Ellbogen, rechts und
linta einen Etoh gegen die Speckſchwarten der Zwillinge
führend, und a tempo jchofjen die flachsgelben, diden
Köpfe der Bübele vornüber, ich artig vor der Dame deg
Haufe zu verneigen:
„zo, lieb’3 Oberförfterle ! Hier bring ich Ihnen aljo
die Ziwillimge! Der hier ifta Dolphele und der 3 Wo.
fele, einer jo brav und ordentlich wie der andere!
— 493
Das jelte Boppelfinn der oan quoll ſtolz über
den Spitzenkragen, und die Öffentlich belobten Stützen
des Grauchenwies ſchen Geſchlechts ſtreckten mit freund—
lichem Grinſen, wie auf Kommando, ‚der — Die
Hinde zur Begrüßung entgegen. |
Im Hintergrund der Hausthiir aber wath ein uie
defmierbares Geräuſch laut. Aglaë und die junge hiltige —
grau Raftorin ftürzten mit dunfelroten Stöpfen haltlos
in Die Hinter] tube, um unter fajt jchluchzendem Gelächter
E Schautelpferd und. Arubruſt in einem Winkel au perz
bergen. 58
Anfänglich glaubte man, „Dolphele und Wolfle wm
feien geiftig zurückgebliebene, bedauernswerte Menſch ei.
welchen ein verfünmerter Verſtand die Eelbjtändigfet
des Mannes verjagte. Aber man überzengte fidh, dag
die Bübele“ nur unter Dem tt ranniſchen Auge der Miama
jo unmindig und flein waren, Daß fe aber zu ganz \
uftigen, hoch aufetmenden jungen Leuten heramvuchjen, o
wenn fie dei Kappzaum mütterlicher Streuge für furze
Beit abſtreifen kounten
Frau Crescentſas b ponnier Einn hatte die That-
Sache, daß. mit der Zeit aus Kindern Leute werden,
durchaus nicht t fajien und anerfennen wollen. — In ihren
Augen blieben die Zwillinge unverändert die KL
hbrichten Buͤbele“ wie vor dreißig Fahren, als fie die
Hand der Mutter nod) gängelte und fie, ohne jede Regung
emes eignen Willens zu geitatten, zu marionettenhaft ger
horfamen Kindern eo. Biel Lernen und Willen hielt
— 494 —
die e polie Frau für unnützen Ballaft. Cie hatte ja
Vermögen, und fie war da, Geld genug für die Kinder
zu verdienen; das war ihre Sache! Und die Kleinen
wußten das und faßten gchorfam den Rod der Mutter,
fich von ihr durch das Leben jteuern zu laffen. — Gefund
und gehorjam follten fie fein! Mehr verlangte rau
Crescentia nicht. — Und die Bibele wuchien heran und
wurden dick und fett, träge und phlegmatijch, fo did und
majfig, daß jie wegen Aſthma und Settleber vom Militär-
dienst freifamen! — Wie fie aber ehemals als Schul—⸗
jungen vor dem Born der herrſchſüchtigen Mutter gezittert,
fo bebten fie noch heutigen Tags vor „Mammeles“ Stirn:
runzeln, und wie fie vor dreigig Jahren unjelbjtäudig
und bis img Fleinjte abhängig von ihrer. Ermährerin
geweſen, jo betamen fie noch jeßt als bald grauföpfige
Männer das Tafchengeld von ihr ausbezahlt und mußten
über jeden Heller Nechenfchaft ablegen. Sie trollten ger
horn und refigniert, wie ſies gewohnt waren, an der
Seite der Mutter, ertrugen ihr Fürſorge voll Engelsz
geduld und legten alles Selbitbewußtlein unter ihren.
Specklagen zu Grabe. Dennoch regte fich auch in ihrer
Brust hie und da ein dunkles Gefühl, welches nah
„Freiheit“ und „mehr Licht“ ledte. — Wie umgewandelt
waren Dolphele und Wolfele, wenn fie den Fittichen der
Mama entwiichen und Menjchen unter Menfchen fein
fonnten ! — Dann waren fic unbändig vergnügtes, nad)
allen Seiten über die Stränge jchlagendes junges Bint,
welches voll gerührter Dantbarteit von jedem vorge-
fteedten Orjien Gebrauch madii und Felig lächelnd
jedes Papier unterzeichnete, weles man zur Unterjchrift
vorlegte. Wenn nur Mammele nichts merft und erfährt!
Das war das einzige Angft: und Stoßjeufzerlein, welches
die Iplendiden Freunde um Diskretion anflehte. Ja,
Dolphele und Wolfele waren ‚Hinter Mutters Rüden ped:
rabenfhwarze Sünderjeelen, und Frau Crescentia hätte
wohl vor Schreck der Schlag gerührt, wenn fie gejehen
hätte, wie eines der Bübele fogar beredte Blicke des
Icheuen Entzücens zu Aglas hinüberfandte, wenn fein
dider Kopf fi auch nod jo (ammfronm und unschuldig
zur Bruft neigtet! — Sie ſchwor aud darauf, Daß es nur
der prachtvolle Topftuchen der Pächterin fei, welcher Die
Bwillinge | jo oft nach Moosdorf zog, denn Aglaë war doch
cine Reſpeklsperſon für die Jungens, und Die Pflaumen
waren im Pachtgarten noch nicht reif!!
KAL
— IE — Schmerz und Freude legt in einer Edele,
Ihre EW ift ber Menichen Loes!
Seume.
Fol und flar ſtand der Mond am
Himmel. Wie mit weißen Schleier
gar lieblich und geheimmispoll ver:
bangen, ragten Die hohen Linden-
bäume hell beleuchtet zum Nacht-
Gimmel empor, und ein Meer
beranjchender Duftwogen wiegte
den ganzen Garten in ſüße Betäu—
bung. Eine Nachtigall ſchlug
noch leiſe und traumhaft im Gebüjch, als fomme ihr nod)
einmal das wonnige Erinnern an den Mai mit all feiner
Liebeslult und femen Licbesjehnen, einem D, in welchen!
fie dies trauliche Neft erbaute. 2
Damals miegten fidh die Roſenknoſpen beum ber,
damals flatterte fie im glückſeliger Flitterwachenzeit mit
ihrem Liebehen durch ſproſſendes Grün, uud jet regt
fuh bereits Daa junge Leben im Neft, über welches fic
mütterlich jorgend die Flügel breitet, und die Roſenknoſpen
find voll aufgeblüht in fommerlicher Pracht, aber den
— 497 —
Lenz mit feinem jungen Liebesglück hat fie doch nicht
vergeffen, er flingt wie ein zauberijch N durch die,
ſchwüle Stille der Julinacht —
Sa, fill its, — monnefam til. — Se Ehre
des fpäten Baltes verflingen auf dem weichen Sandweg,
und die Eyringen und Jasminbüſche umſchließen feinen
Schatten mit ihrem dunfellaufchigen Gezweig. Hoch—
klopfenden Herzens ſchreitet er Den Pachthaus von Meos-
dorf entgegen. — Das Mondlicht glänzt auf feinem Dach,
die Baummipfel neigen fih ihm zu, als wollten fie e3
mit treuen Armen umichliehen. Die erleuchteten, weit-
geöffneten Fenſter des Erdgeſchoſſes ſchimmern wie
glühende Augen durch das Blattwert, hie und da ver:
dunfelt durch einen eiligen Schatten ‚oder grell aufblißend,
wenn ein offenes Licht getragen. oder das orin
gefhürt wird. — |
Hans Burkhardt pat id teine Beit en jeine
Ankunft zu melden, er hat in glückſeliger Haft fein Haus
beſtellt und Gott gedanft, daß fein Schwerkranker m
zur Zeit Die Abreije unmöglich machte. —
Er weiß, daß man die Depeichen auf dem Lande
noi liebt, daß jein Stübchen allezeit für ihn im Bater-
hauſe bereit ſteht, und daß es faum Schöneres auf der
Welt zu jehen gibt, als die Glückſeligkeit einer freudigen
Überraſchung in liebem Angeficht. — Drum will er aud)
nicht iiber Den Pachthof gehen, wo ihn vielleicht ein
fremdes Auge zuerft erblict und fein Kommen voretlig
bertundet Hier ſeinen lieben, gewo nten Weg durch den
N.v. Erhftrutb, SU Not, u. Nor; Comödie H: 32
— 498 —
Garten fchreitet er aud diesmal, wo er, * Gott will,
Mütterchen zuerjt wieder allein in der Küche antrifft,
wie das letzte Mal, am Ende gar auch ae an I tirer
Seite —
Mütterchen jchrieb ja, daß d ein ganz —— =
Wunder an ihr begeben, daß die Aglaë von chedem nicht
wieder zu erfennen fei in ihrem neuen, unbeſchreiblich
lieben Sein und Meilen! — Das Herz des jungen Proz ,
fejfors erzittert bei dieſem Sedanfen in namenlofer Freude,
aber die bangen Zweifel heben doc) noch. verſtohl en die
Köpfe, und er fann es fih nicht vorftellen, daß Diefelbe
Aglaë, die einft als leichtfinniges, eitles und hoffärtiges
Weib, jumwelenbligend und hocherhoben mie eine. fleine -
Königin vor ihm ftand, dieſelbe Aglaë, deren Bild vor
dem Altar ihn jchaudernd davon getrieben — daß fie i in
Wahrheit die ſchwere Schule des Lebens durchgemacht,
daß das Fegefener des Elends alle Schladen von dem
goldenen Kern ihres Weſens hinweg gefchmolzen! —
Seine Mutter blidt durch die rofige Brille des Wohl-
wollens und der Herzensgüte, fie hat die Tochter des
Kommerzienrates erwartet, wie fie von früher her in ihren |
Gedanken lebte, und weil anſtatt der. berwöhnten Gräfin
Lorrain ein bejcheidenes, danfbares und fih ſcheu vor
der Welt verbergendes Frauchen fam, tann fie folh eine
Überrafhung nicht faffen. Ah, daß Hans mit feinen
icharfblickenden, kritiſchen Augen, welche es gelernt haben,
die geheunften Negungen des Menjchenherzens zu erfchauen,
doch in ber That ein holdes Wunder an Aglaë erbliden
— 499 —
fönnte! — Auf den Knien wollte er den barmberzigen
Gott bajir danten und die Stunde preijen, in welcher
gute Engel das Haus Lehnberg von jeiner goldenen Höhe
herabjtürzten, um dem Himmel reich und der Liebe ein. |
Menjchenherz zu. retten! —
Arger und näher trägt fein eiliger Fuß ihn dem
Haufe. — Fern im Weiher quafen die Fröſche, wie er
es ſeit Kind auf m den Moosdorfer Sommernächten gez
wöhnt ift, und wie es für ihm zur friedlicheländlichen
Stimmung gehört. Und im Hof bellten Moppel und Der . $
Kettenhund ein Duett. Gine Harmonifa umd fröhlicher
Geſang Hallt leiſe von der Meierei herüber, und dicht
vor ihn, aus der Küche des Pachthauſes ſchallen ihm
laut und vernehml id) Stimmen entgegen! —
Ayla? Sits wahrlich Aglaë, welche joeben jehr
energisch, beinahe zomig fpricht ? Was mag fie derart
erregen? Ein unwiderſtehliches Gefühl zieht Hans zu dem
niedern, offenen Feuſter Hin. Er muß willen, was
Aglaë erzürnt. Sit fie nod immer die herrſchſüchtige,
eigenwillige Gebieterin, welche man nicht zur Zufrieden—
heit bediente? — Sit fie jähzornig und heftig im Verkehr
mit den Leuten, welche fie anweiſen und beauflichtigen fol?
Hans beift wie in jähen, bangem Schmerz die Zähne
zujammen und tritt lautlos näher und zwingt fidh |
die Augen zu öffnen und zu Ichauen.
mitten der Rithe fteht Aglas Die Qampe, ‚welche
an einer eiſernen Kette von der Dede hängt, jchaufelt fidh
facht über ihrem Haupt und beitrahlt das rofige Geſicht—
— 500 —
en, welches die unwillig bligenden Augen auf Dore
und Aune, die beiden Mägde, heftet. Diefe haben ein
mächtig Waſchfaß vor fih, ftehen mit ſeifenſchaumigen
Händen und ftarren vor fich nieder, Dore mit eigenſinnig
eingekniffenen Lippen, Die blonde Anne mit glühenden
Wangen und verlegen geneigtem Kopf. ne
In der Ede auf der Herdbanf fibt Bartel, der ehe⸗
malige Zuchthäusler, und hält das Geſicht mit beiden
Händen bededt; vor ia auf der Erde liegt ein ſchmuhiges
Wäfcheftüd, ein Anjchein nach ein Hemd. —
„Ber hat foeben dem Bartel das Hemd vor die Fe
geworfen? Habt ihr nicht gehört, daß ich es ſchon ein-
mal fragte? — flingt Aglaös Stimme abermals laut
und Itreng. —
Dore hebt trogig den Kopf. — „Mit dem Fuß habe
ich's gejtoßen, denn jolchen Schmup fajfe ich noch lange
nicht mit den Händen an!“
Aglas atmet ſchwer auf. „Schäme dich, Du herz-
lojes Geſchöpf du. — Weißt Du nicht, daß Der arme
Bartel nur ein paar Hemden hat und feine Wäſche jo
jchmußig tragen muß, weil ihr faulen Dirnen nur alle
vier Wochen fein Zeug zur Wäſche nehmt?” — Tore
zuckte mit den Achſeln
„Das ift ja dem Bartel feine Cade, er tann is
licber ein paar Hemden faufen, ftatt Heller zufanımen
zu fragen wie ein. Geizhals, und ung Dann ſolche Wäjfche
zu bringen!”
„Dak der Bartel fein Geld part und e3 nicht vcr-
een
fchleudert, ift brav und ehrenwert, und wenn ihr ihn in
folh gutem Willen unterftügtet, und ihm auch mal
außer der Zeit ſein Leinen einftecktet, Dann käme er mit
bier Hemden aut aus! — Schame dich der Sünde, einen
armen Menjchen, der für feine alten Tage jorgen muß,
zum Ber rgeuden zu ringen, und darum, weil Du zu faul
bilt, die Finger zu rühren! —
„Bas geht mich denn der Bartel an! Sc efle mic
vor feinen ſchwarzen Lumpen da und bin froh, wenn ich
nicht mehr wie nötig damit zu thun befomme!” — |
Aglaë bob ftola den Kopf. „Und du, nel biſt
du auch jo ein hochmütiges, hartherziges Geſchöpf?“
Sochmütig und hartherzig bin ich nicht — mu .
Salt den Mund! — Anne! u Trage Bi ob i
eine ebenſolche bijt?! —
Der blonde Kopf fant nod tiefer, Bartel aber hob
mit einem herzgerteißenden Blick tiefjten Schmerzes die
Augen und ftarrte angſtvoll auf die Gefragte — |
„Die Dore jagt — die Dore hat gemeint . *
ſtammelte Anne biutrot — „cs jet nicht unfere — —
jolh.. folh einem Menſchen feine... .* fie brach —
und hielt die Schürze vor das Geficht. — a
„Und weil die Dore einen Meenjchen Fränft und fih
auf die Prinzeſſin jpielt, mußt du feiges Ding gleich mit
in ihr Horn blajen? — Gott mög's euch nicht zur Strafe
anthun, daß ihr in eurem Leben mal nach folh einem
Hemde jammern und Drum betteln müßt! — Weg dal
— Fort von dem Wajichfap |" —
se
Rerbiüfft ſchanten die Mägde in das sornglühende,
hocherhobene Angeficht der jungen Frau. Zögernd widen
fie zurücd, den Befehl vorerſt nicht begreifend..
Aglaë ftreifte die Urmel an ihrem fihneeweißen,
Ichlanfen Arm empor. — Wißt ibr, wer ich bin, ihr
Dirnen ?” — fragte fie mit einer wahrhait Hoheitsvollen:
Würde, „ich wurde nicht zur Dienftmagd geboren, aber
wenn ich jelbjt eine Königin in dieſem Augenblick wäre,
ich würde nicht zu Stolz fein und mich nicht jchämen des
Hartels Hemd zu wajen, denn er ift rechtlicher und
braver alë ihr beiden zujammen! Eure Hemden möcht
ich nicht anrühren, und wären fie jo weiß wie Schnee,
denn bejjer ein ſchmutzig Hemd und ein reines Herz — -
alè umgefehrt! — Aus dem Weg, ihr zmeil — |
Haltig trat Aglaë zu dem jprachlos ftarrenden Bartel
heran, neigte fidh und hob fein Hemd empor. Sie legte
gütig die Hand auf feine Schulter. — „Oräme dich nicht
um Die hoffärtigen Dinger, Bartel, und ſieh's zu Deiner
Senugthuung, wie die Frau Gräfin für dich zum Waſch—
fab tritt!” — Weich und tröjtend tlang ihre Stimme,
und ihre Lippen lächelten. Sie trat zu dem Holzgeitell
und tauchte das Hemd mit energiicher Hand in das
Seifen waſſer, Bartel aber jprang auf, griff mit beben-
den Fingern nach ihrer Hand und ſchrie beinahe voll
Entfeßen auf. — „© du mein Herrgott! — Die. mädige
Srau! — Die gnüdige grau! — erahnen. ftürzten aus
jenen Augen, er taumelte auf die Bant zuruck und
jchluchzte wie ein Kind — „das hätten taum Gottes
— — —
Engel im Himmel für — thun fönnen! — Ah du
mein Heiland — die gnädige Frau” — a
Mit glühenden Wangen ftürzte fich die Inne herzu
und wollte das Hemd Aglaës Händen. entreißen.
| „Geben Sies, liebe Gnaͤdige! geben Sie's, Jonjt
fhäme ich midh totli“ — mò auch Dore fehlich betreten
heran und griff Danach. „Laljfen Sie doch gut jem,
Frau Gräfin! — Sehen Su mal Ihre Bünde a die
tleben jal” — | :
„Dafür gibt e3 noch Waſſ er. und Eeife eiti a Welt! |
— Bleibt’3 etwa an den Fingern zur? Das wäre
eine neue Mode, fich vor der Arbeit zu jcheuen, weil fie
die Hände befchmust! Geht nur eurer Wege, dies Hemd
wajche ich!” Anne ſchlug die Hände vor das Geſicht
und fing an bitterlich zu meinen, Tore aber rumorte ”
eifrig am euer, dah die Funfen jtoben. |
„Hole die Kaſe aus der Meierei herüber, Dore! Mi.
Als habe fie nur auf einen Grund gewartet, fid dem ;
peinlichen Aublick der waſchenden Herrin. entziehen zu.
tümen, polterte Die Magd eilfertig durch die Thür,
Aglae aber wandte fidh der f ſchluchzenden Anne zu. „Belt
Anne, nun reut es Dich doch von Herzen, daß du Dich haft
aufreigen laffen, den armen Bartel jo schlecht zu bez
handeln! Ich weit es ja, daß du ein braves und frommes
Herz haft, und dağ du jelber arm bift und weißt, wie
recht e3 vom Bartel ift, daß er ipart! Wenn er mal
heiraten will, dann iſt's für die Frau doc eine Freude,
wenn fie ein Stück Geld vorfindet, und ich glaube, der
rn ee
Bartel möchte Ahon ganz gern eine unge Frau
haben!” — N
Der Genannte Jande mit — Lächeln auf,
faltete die Hände im Schoß und nidte vor fih Hin,
dieweil Anne nur noch herzzerreißender ſchluchzte e
Glaube auch daß der Bartel den beſten Ehemann
gäbe — fuhr Aglaë diplomatiſch fort, „einer, der jeine
Frau in Ehren hält, — und das ift die Hauptſache
Meinst du nicht auch, Unne?” — Die trocknete die Augen,
lachte verlegen und fchielte zu Dem Knecht Hinüber! „lt
ift er auch noch nicht und gefund und ftattlich Tieht er
aus, — bat fid a am beften von allen Moosdorfer
Leuten geführt. - |
el, aoa 3 Frau Gräfin, e3 ijt ihr ja bloß wegen
dem Zuchthaus, das vergeffen mir die Leute mein Lebtag
nicht!‘ — Seufzte Bartel jchwer auf, mit wehmütig flehen—
dem Blid auf die junge Magd ſchanend. Dieje hob die
Schürze an den Mund und jenfte den Kopf. „Ihorheit!”
Ichüttelte Aglaë voll milden Ernftes den Kopf. „Wenn
fich einer einen Rauſch antrinft und in der Schenfe mit
‚pritgelt und einen andern fo unglüclich mit der Flaſche
trifft, daß er liegen bleibt, jo iſt das allerdings eine ſhwere
Schuld, deun die Mänıer, welche trinfen, verjündigen
fih und die, welche raufen und jchlagen, erft recht. —
Aber wenn es ein übel Ende nimmt, dann ift aud) ein
großer Teil Unglüd dabei! Hätte der andere Burjche
dermalen nicht eine jo außergewöhnlich weiche Schaͤdel⸗
decke gehabt, würde ihm bie ae nieh viel gejchadet
— 506 —
haben. Das ſagten aud die Herren beim Gericht und
haben darum die Strafe gemildert Wenn aber einer
ſeine Schuld jo ſchwer bereut wie der Bartel und führt
jich überall jo gut wie er, dann hat er fie wohl abge:
büpt! — Wenn die Dore ihren Stellmacher heiratet,
dann wollen wir mal jehen, wie lange das Glück dauert
und wie ihwan fie beide ihre Hemden wohl. tragen
werden, denn der Stellmacher fpielt und verbringt. und
vertrinkt alles, was er verdient; wer aber hat wohl den
Bartel feit den vielen, langen Jahren wo er hier ift,
im Wirtshaus geichen? Sch möchte wohl wiljen, wie
viel er fich gejpart hat bei feinem ordentlichen Leben?’
Es find jujteinent vterhundert Thaler...“ jtotterte
der Knecht mit g lückſtrahlendem Geſicht und iat schüchtern
ein Schrittchen näher; das gibt ſchon einen guten Hause
itand, .... und eine y D : und i ein Emei, meine ich,
wirft dabei ab. o
„And em schönes Ichwarzes. Brautkleid und einen
bunt gemalten Schranf, wie die Aime. ihn draußen auf
dem Hausgang jo ſchön findet, den gibt's auch noch
davon! — Bierdundert Thaler! — Ei, ich jags ja,
Bartel, du bijt der reichfte Burjche in ganz Moosdorf,
und wenn Das die Dore wüßte, ließ fie am Ende ihren
Stellmacher laufen und nähme dich?! — Solch einc
Überraichung! Und was würden die Leute alle guden,
wenn der Bartel feinen Hausrat fauft! — Meigt du
dem gar teme von den Dirnen, die immer rdi gut und
freundlich zu Dir mwar?” —
=— 5010
Bartels Hand, welche in das Haupthaar Aue, zitterte.
„Das ſchon die Aune . die war immer die bejte, und
ich habe auch geglaubt, fie fönne mir ganz gut fen, und
weil ich doc) vierhundert Thaler beim Herrn Burkhardt
liegen habe — —“
,So, Aune, faunit das Hemd noch mal mit din
andern — auffochen, und damit der Bartel ſieht,
daß dus gern thuſt, gib ihn die Hand zur Bekräfti—
gung” — Aglaë wandte fih zur Thür: „Wenn du
aber Hochzeit machſt, Bartel, vergiß ja nicht, mich ein-
zufaden, — den € Ehrentanz führe ich mit dir!’ — Gie
nitkte tm mit ganz abjonderlichen Lächeln zu, und che
nur Der Überglückliche antworten kouute, war ſie bereits.
entſchwunden |
Einen Augenblid herrichte tiefes Schweigen. „Buch
ae, jo eine wie die Gnädige? Bor der möcht man
niederfnien wie vor einem Bildftöckel mit der Gottes-
nutter Drauf! —” rang ſichs 8 endlich al Ich! kungen von
des Burſchen Lippen. |
Anne Hand abgemendet und Biete noh immer die
Schürze vor dağ glühende Geſicht, aber ſie ſtreckte ihm |
nad) rüclwärts die mit beit aelprelsten Fingern
entgegen. — EN |
wartel itürzte oi zu und — fie Halb angſtvoll,
halb zärtlich. — „Anne... wenn du wohl möchtejt.
ich... ich weiß fchon, wo das jchwarze Kleid. und |
der Schranf und Die Ruh zu kaufen ind! = u um
Michaelis rum fünnte Hochzeit fein,” u
=== RUS s
„Am Michaelis? Aber Bartel — für den Winter
müßt's eher ein: Schwein wie eine Kuh jein!“ — Anue
lächelte ihn ſchämig an und 308 Die ‚Hand nicht zurück.
Da legte er den Uru um fie.
„Beides folla fein! —jauchzte er. „Und Dann
| babe ich alles — was
der liebe Herrgott einem
Menschen Gutes geben
fann, Die Kuh, Das
Schwein und Did)!”
Er drückte fie an jeine
Bruft und fie fünten
ich, — erft ſehr feier-
lich und andachtövoll,
dann aber in lautem
Jubel und jo unerſätt—
‚lich wie zwei, Die fidh
an einem Leckerbiſſen
jo recht delektieren
wollen!
Hans Burkhardt
(chnte regungslos an dem laubigen Weinſpalier Er
war von dem Feuſter zurück gewichen und ftand tief im
Schatten. Der Lindenduft quol auf warmen Luftwogen
zu ihm nieder, und durch die Bauınziveige blißten Die
Sterne.
Ihm wars, als müffe er die Arme zum Himmel
heben, als müſſe er auf die Knie jinten, um Gott zu
*
Yon AU em
— 509 —
danfen. Eo viel des Glücks hatte er nicht erwartet, jo
viel nicht. Das hatte er felbft in den kühnſten, hoffnungs-
jroheiten Träumen nie zu fchauen gewagt. Unfaplich
war's. Ein herbes Weh prehte ihm neben aller Glid-
jeligfeit dag Herz zufammen. Wie groß mußten Leid
und Elend gewejen fcin, wie graufam hart die Hand des
Schickſals, wenn fie das ftolgefte, hochutütigite und Liebes
[cerjte aller Franenherzen jo tief herab neigen konnten in
den goldenen Staub aufrichtiger Demut und Herzensgüte!
Wis in die tieflte Seele hatte e Hans erjchüttert,
das unbegreiflich liebe Bild, welches er ſoeben gejchaut.
Es drängte ihn, Hervor zu ſtürmen und die kleinen Hände,
welche in edler Selbfternicdrigung das Hemd des Anechtes
wujchen, an die Lippen zu ziehen — — voll Ehrfurcht.
und Bewunderung hervor zu ftürmen, um die Lippen,
welche zum wadern Anwalt eines liebeverwundeten Herzens
wurden, zu füffen in unausiprechlicher Seligfeit. — Aber
er Stand regungslos, er flang nur die Hände zufammen
und bewegte die Lippen wie im Gebet. Seine Nalae!
— fo gehörte fie ihm und feinem Herzen, jo war fie,
wie er es erjehnt und von Gott crfleht — und alles;
was hinter ihr lag, war nur ein Etüd Comödie, von
trügerijchem Lampenlicht bejchienen, welches jegt in dem
Sonnenglanz der Wahrheit zerrann wie Nebel und Dunit.
Er hatte Aglaë gejchaut in fürftlicher Pracht, umgleißt
von Gold und Edeliteinen, und der Neichtum war die
himmelhohe Echeidewand geweſen, welche fie von ihm
getrennt, welche fie durch falſchen Glanz feinem Herzen
— -p0 —
fremd und verächtlich gemacht. Die Armut aber war
gewaltiger, denn alle Mammonsgögen diefer Welt —
fie Stürzte die Hindernifje, welche die Jugendfreunde
trennten, fie jtreifte Die häßliche, goldjtarrende Mafe
vom Antlik der Geliebten und umwob ihr Haupt mit
einem Glorienſchein höchſter und unvergänglicher Schönheit.
Keine Perle und fein Diamant fonnte Aglaes Hand
Derrlicher ſchmücken als ber Seifenſchaum, in den fie das
Hemd getaucht, und nie hatte die Vicomteſſ e von Saint
Lorrain in bes Profefjors Augen höher geftanden, alg
in dem Nugenblic, wo fie die Grafenfrone jelber vom
Haupte nahm und fih tieer ſtellte alg Die rora
Magd
Unbeichreibliche Gefühle im gogn trat Hans Burk-
Hardt über die Echwelle feines Baterhaujes.
Welch ein Subel, welch ein Halten und Treiben m
Dem ehedem fo ftilen Haus!
Hans war zwar in jehmerzlichem Erichreden an Non. o
großen Lederſeſſel geeilt, in welchem ſein Mutterchen matt
und elend gebettet lag, ihn mit großen, tici umfchatteten
Augen anftarrte, dann aber mit leiſem, heiſerem Bonn
ſchrei emporſprang, ihn glückzitternd zu umarmen.
Mütterchen, — du ſitzeſt hier im Kiſſen ed im
Großpaterftuhl, heute, bei der jchwülen Juliluft, wo
wir andern beinahe verfommen vor Hitze? Frierft du
etwa? Bit du frant?” Sie lachte mit Thränen m
den Augen,
— il —
„Sin wenig erkältet, mein Liebling, das hat nichts
‚auf jih, num, wo du da bift, bin ich ferugefund! —
Und fie fehien es wahrlich. zu fem, leichtfüßig, aufgeregt
und freudeitrahlend eilte fie wie ein junges Mädchen her
und hin, Mir ihren Liebling no an einen wür—
digen Empfang
zubereiten, bis
“ Hans und Ayla
fie bet beiden
. Hünpen gefangen
T nahmen und fie
| tanft zurückdrück⸗
ten in ihren be-
quemen Sefjel.
„sch weiß ja
We nod von früher
® der, Tantchen,
3 wie es der Hang
liebt” lachte
Nalae mitglühen
den Wangen,
' „unddarımmußt
du mir heute Schon Vollmacht erteilen, ganz allein für ſein
Unterfommen zu jorgen! — Ihr Habt euch gewiß fo
viel zu erzählen, daß die Zeit bis zum Abendbror nicht
lang wird!” und huſch, war fie davon geflattert wie ein
Vögelchen, welches durch einen Sonnenſtrahl aus langem
Traum erwedt wird!
—
ei
Frau Grete fah den Vli, mit welchem Han ifr
nahjhaute, — fie lächelte wie verflärt und ſchwieg;
Bater Burkhardt aber nahm ungeduldig des Eohnes
Hände zwilchen Die jeinen und ſah ihm geipannt in das
Geficht: „Na, Junge, was ja git Du denn nur zu ihr?
Wie gefällt fie dir denn? Iſts nicht ein kleines Brachte
weib? Oha, du follit fie nur erft "mal herum hantieren
ſehen, vom Keller big zum Boden — immer Trepp auf,
Trepp’ ab! Immer fleißig auf dem Poften! Da fag
noch einer, das fei diefelbe Aglaë, die ehemals Hier in
Moosdorr in Samt und Seide einherjtolzierte und ges
halten wurde wie eine Brinzefiin. — Na, Hans, jo jprich
doch! — Pift du denn gar nicht ein bißchen erjtaunt 2”
„aber Vaterchen, er hat ihr ja faum noch guten Tag
‚gejagt ! Wie joll er Demi jetzt ſchon ein Urteil über ſie
haben?
„So ein Profeſſor muß doc) alles können! ——
der Alte, „oder haft du Dir Deine Augen blind gelejen, =
Du Taugenichts 2 ;
Hans nahm den Sprecher fchier ibermütig beim ont a
und lachte ihm ms Gelicht: „Nein, Vater, id) jede noh
erſchreckend flar und genau, und 2 in dieſem Augen —
blick ſehe ich ae — |
Hoho!“ — —
„Sch fehe, daß ich geniin fein werde, auf meinen
Vater mörderlich — eiferjüchtig zu fein, denn trog der
grauen Haare icheint es se unter Diejer Weite hier
ar Hain >
— 513 —
n Du infamigter Junge!!“ Bater Burkhardt rik fein
essen vom Kopf und 309 feinem Sohn eins über,
und dann ſchloß er ihn lachend an die Bruft und nickte
in vergnügteſtem Baß Ich ſeh's Schon, du Bücher:
wurm, bijt halt immer noch der alte Eaframenter gez
blieben 1 — Damit war der Frieden geichloffen, und wie
vor langen Jahren ein Klaps mit dem Hausmübchen
jtet3 der Herold beiter Laune war, jo war er auch heute
der Negenbogen, welcher eine bunte Brücke zwijchen dem
Einit und Sept baute, auf welcher alles, was dazmilchen
lag, lachend en wurde, als habe es nie
exijtiert, RR
Mar: auch alles u jo! Der alte Burkhardt war
bei all jeiner Gutmürigfeit doch ein ftarrer Sinn, und
3 hätte ihn wohl übel verdroffen, wenn fein Junge recht
behalten und als Triumphator hier eingezogen wäre, auf
fein Geld und feine Größe pochend ! „seht fam er, weil
ihn der Vater verzeihend rief, und war doch nur der
alte Hans von früher, der ſich nicht unteriteht, dem Vater
gegenüber als Nechthaber aufzutreten. Das war eine
Genugtduung, denn es ift gar ſchwer, zugeſtehen zu müſſen,
daß das Ei klüger geweſen wie die Henne!
Die g.jährliche Klippe war glücklich ümſchifft, und
Vater Burkhardt hatte den Wunſch feines Herzens be—
friedigen fönnen, ohne ſeiner Autorität etwas zu vergeben.
Das ftummte ihn beinahe ausgelaſſen heiter.
Frau Grete aber fah Gottes Himmel offen. Ihr
Blick hing an Vater und Eohn, als fünme fie ſich an
VE v. Ermfrutd, FU. Rom. u. ee Comöpie U. FE Be} =>
s Ma
ſolchem Glück gar nicht fatt fechen, und das war ibre
Belohnung für ihr treues Dulden umd Garran.
Nun that ihr feine Stunde mehr leid, die en Hang |
von ihrem Herzen verbanut hatte, denn jede war ein Stein
gewelen, ein hohes Denkmal der Ehre für den Cohn zu
bauen! So eigenwillig der Bater jedwedes Berdienit
des Sohnes noch beftritt, fo begeiftert und ſtolz {Haute
Grete zu Dem berühmten Liebling. empor, jo zuderfichtlich
glaubte fie an ihn unb feine gotigejegnete Wi iſſenſchaft,
vor welcher fie Demltig. die Hände faltete. — Wie viele
lange gayre hatte fie dieſen Bubunftsteaun un Herzen
genährt! — Sie hatte ihren Hanjel immer verftanden, fie
hatte e8 mit dem Suitinft der Mutterliebe geahnt, daß es
cin göttlich Feuer fei, welches fich bereits in dem Streben
und Forſchen des Kindes offenbarte, und darum hatte ihr.
tägliches Gebet diefen barmberzigen Gott zum Hüter und
Schüber jener Seiftestlamm. n angerufen, welche wachſen
m ufte, wenn fie ein Hauch des Ewigen mwar!
Bater Burkhardt mar nicht zum Diplomaten ge
boren. Wes das Herz voll ift, des geht der Mund
über, und jo fiel er, wie ftets, mit der Thür ins Haus
und duldete fein anderes Sefprächsthema als jene geliebte
— Aglaë, von welcher Hans ſpäteſtens heute abend noch
überzeugt fein mußte, daß fie und feine andere die einzig
paljende rau für ihn fei.
„And ffug ift fie bei all ihrer Herzensgütel — Denke |
Dir, Meutterchen, der £leine Schlaukopf hat mehr fertig
gebracht, als wir alle! Zlüftert mir jochen zu, die Anne
— 55 —
und der Bartel feien einig! — Gott fei Dant, nun ift
der brape Burjche. für immer dem ehrlichen Leben ge
vettet ! p
„Bie io da, Bater?”
Weil Der Bartel ſich im Die Anne vergudt hatte!
Gie hielt ifm aber Das Zuchthaus vor und ließ ſich
gegen ihn aufhetzen! Da hat mir der Bartel gejagt, er
wolle auf und davon, denn ein Sträfling mache doc) o N
nimmer fein Glück, md wenn er auh vierzehn Sapre
lang brav und rechtichat fen gehauft hätte wie ein frommer sh
Bruder, das Schandmal bleibe und ziehe ihn wieder in
den Abgrund! — Hätte Die Aglaë die Anne nicht zum.
Einſehen gebracht, fo wäre cr ficher aufs neue rabiat
geworden, denn mit der Liebe ijt ein närriſch Ding,
wen fie nicht in Den Himmel hebt, den ftößt fie in die
Hölle. Der Anne, ihr Jawort aber wäjcht das Kains-
zeichen Fort, und nun erft wird des Bartels | Vergangen—
heit um der Gegenwart willen. pergefjen ein!”
„a, 88 ift der Aglas Wert! Sie hat immer Erbarmen
mit dem Bartel gehabt und oft gejagt: ‚Kein Menſch
auf Der Welt faun es beffer wiſſen als o wie a es
thut, geächtet u und mig cehet au m we
Noch einmal weiten fie burd den Garten gehen!
Vater Burkhardt mit dem alters} ſchwachen Moppelchen
behaglich chlendernd voran, =: le ifm folgend,
Aglaë und Hand. 5
Wie es glänzt und fchinmert, wie vie Riim Duften
35
pie in zärtlichen
en
und der Tau auf Halm und Gräfern blinkt! Weiß
wie Marmor leuchtet Aglaës glücjeliges Antlig im
Mondenſchein, und wenn ire tente Sand die Gebüſche
am Wege jtreift — —
Lebkoſen ſo rieſeln
ſilberne Tropfen
auf ſie nieder und
ſchmücken fie, wie.
ehemals die Dias
- manten und
Perlen.
Hans bleibt
tiefatinend ſtehen
und ſchaut jte an:
„Warun fagen
Ste mir fein Wort,
YUglae, ob Sie
fich wohl in Ihrer
Heimat Fühlen ? 1
„Beil es feine
Worte gibt, um
Ihnen für all das
große, unendliche Glid zu danfen, welches Sie mir im
Hauſe Shrer Eltern erjchloifen!” — Shre Stimme bebt
in warmem Empfinden, fie hebt, wie in jchlichter, inniger
Betenerung, Die Hände vor die Brut.
„Das wollte ich nicht hören, Aglas, ich wollte nur
it —
wijfen, ob Sie wahrhaft zufrieden mit Ihrem hiefigen
Loofe find, oder ob jetzt die Zeit gekommen, wo id) etiwas
thun fann, Sie in die elegante Welt zurücdzuführen ?”
Faſt erjchrocfen weicht fie zurücd von ihm: „Niemals,
Hans! Was foll ich vereinjante, verlafjene Frau in der
fremden Welt! Wenn Ihre lieben Eltern mich nicht von
fih weifen, jo möchte ich jeden auf den Knien anflehen,
mir meinen Frieden und mein Glück in dieſem Haufe
nicht zu ftörcn! — Ihre Mutter bedarf meiner! Jetzt
mehr denn je! Und ich hoffe es zu Gott, daß fie mich
lieber zu ihrer Pflege um fich ſieht, als eine Fremde! —
Barnıherziger Himmel, Hans, der Gedanke ift entielich,
daß ich jemals wieder von hier feiden folte!”
„Ss käme wohl darauf an, unter welchen Berhälte
niffen.” Geine Stimme tlang weich und verichleiert,
dann wandte er fih haftig zum Weiterjchreiten und fuhr
in gänzlich veränderten Tone fort: „Da ich feinerlei
Nachricht von Ihnen über das Befinden meiner Mutter
erhielt, fo war ich völlig beruhigt und darum nicht wenig
erichrodken, fie heute fo elend und frant vorzufinden! Sft
fie erft feit den lebten Tagen fo heiler und hinfällig?“
Ganz emfebt jtarrte ihn Aglaë an: „Sie erhielten
feine Nachricht von mir? Gie haben meine beiden Briefe
nicht erhalten ?!* |
Auch er jchraf empor: „Hmei Briefe? Site haben
an mid) gejchrieben?! — Gott im Himmel, ich erhielt
feine Reile l
— ieh feine utmost! a e gr Angit zwang
— 518
i ſchließlich, Ihren, Gake zu Bitten, a er “-
~ Kommen veranlafjen möge!” BR Mn —
Er krampfte die Hände INN um: feinen Su:
„Durch wen bejorgten Sie die Schreiben?! ——
„Sch befolgte Ihre Mahnung, die Mutter Erki
Verdacht fchöpfen zu laffen, und gab die Briefe nicht in
die Vofttafche, ſondern dem Milchjurgen, mit ber Wei ijung,
fie in den Raften zu werfen!”
„Einen Augenblick, Aglaë! — JH bin fo fort zurüd! |
Ich muß den Jungen um den Verbleib der Briefe befragen!“
Er ftürmte davon. Nach geraumer Weile kehrte er m
höchiter Beſtürzung zu der jungen rau und dem Pächter
zurück, die beiden erbrochenen Briefe in der Hand: Natür-
lid) Hat fie der unglaublich dumme Geſelle in der Voraus-
ſetzung, daß der Adreſſat fie perſonlich herausholen werde,
in den Wagenkaſten geworfen, feine Weisheit ahnt nichts
bon der Exiſtenz eines Boftbrieftaftens! Und vor feds
Wochen bereits ift die lebte Nachricht hier er
Barmberziger Gott, welch eine Verzögerung
„ber Hans! Junge! Eei nicht fo außer dir!!
Was fehlt denn der Mutter! Ein bißchen heifer, fonft
thut ihr fein Finger weh!”
„Bott gebe es, Vater! Ich fürchte aber, wir haben
bereits eine Echwerfranfe im Haus! — Kommt, folgt
mir! Sch beſchwöre euch, — ich muh mid en
wie es ſteht!“
Wie gelähmt vor Entjegen fand Aglaë einen Augen⸗
blick regungslos, dann ſchlug fie die zitternden Hände
DR UTET
mit eiſernem Griff:
—
por das Antlitz Die Briefe! — Die Briefe! — Wer
vermutet eine ſolche Thorheit des Jungen! Bater im
Himmel — ich trage die Stud
Der alte Burkhardt aber faßte den Arm feines Sohnes
= o murmelte
et, „3 fann nicht
ten 3 Dari
nicht Kein! Die
Grete ift niemals
frant geweſen
ich glaub’3 nicht!
Was jollte ihr
dein fehlen, Hans!
Sags mir! Ich
wila
Der Profeſſon
‚blieb ſchwer at-
mend ſtehen.
‚Nenn meine He-
jürchtungen zu—
treffen, Bater, jo
its dasſelbe, a
woran auch. Die |
Großmutter geitorben ift |
Der alte Mann taumelte, als habe ihn ein Fauſt—
ſchlag getroffen. „Hans !” frie er auf: „das darf nicht
wahr jem! Daran müßte mein Weib ja zu Grunde gehen!”
— w
„So Gott will, nicht, Bater!”
„out unheilbar! — dagegen hilft fein Mittel!
Der. Alte brach jehwer auf der Bank vor dem Hauſe
nieder, und Hans trat — von der Schwelle zurüchicpredenp,
neben ihn. — Er legte den Arın erregt um feinen Hals:
„Sarg. dich nicht vor der Zeit —! Laß mid erſt jehen
und unterjuchen ! Die Wiſſenſchaft ift Heutzutage ein wehr-
haft Weib, welches fibon ojmals dem Tod a ente |
gegen trat!” |
Burkhardts Haupt Rn tief zur Bruit: i ~ ; N
geh und fieh nad; — ich warte hier — bringe mir die
Antwort.” — eine Worte waren leije, taum verjtänd-
lich; vornüber fanf jeine marfige Gejtalt, alë habe ein
Big einen Eichſtamm getrojfen.
NAH,
Cie lieget frant zum Sterben
im obern Kämmerlein! —
ie Feuſterl üben waren geſchloſſen,
dunkel umd fühl war es in
den Zimmern. — Kein Laut
nah und fern, nur gedäutpftes
Flüſtern lautlojes Schreuen
auf weichen Cohen. — — <
Durch die herzjörnig aus:
gejchnittenen Auftlöcher der
Fenſterladen fielen zwei ein-
zelne Sonnenitrahlen, welche ſich zitternd und tanze end,
je nah dem Wind, der draußen das dichte Weinlaub z
rejte, ihre Wege über die weiß ah Dielen, die
Möbel und Wände fuchten.
Wie zwei goldene, fih flimmernd OO: Schlangen
liefen fie dahin, ringelten fidh empor an der Gejtalt des
greiien Mannes, welcher in dumpfer Negungslofigfeit am
Tiſch fag, und leuchteten ihm neugierig ins Geſicht, ala
miüpten fie fich erft überzeugen, ob er wahrlich ihr alter
Freund Burkhardt fei. — Wunderlich genug hatte er fih
verändert. Die ehedem fo joldatifch ſtramme Figur war
ne
haltlos zuſammen gejunfen, die ftrengen, Elarblidenden
Augen ftarrten trüb und ausdrucslos ing Leere, und
wie der Pflug feine fcharfen Linien in die Erde reißt,
um ihr zu jagen, daß fie abermals um ein Fahr älter
geworden, jo hatte auch das Schickſal über Nacht feine
Nunen in das Angeficht des Pächter geſchrieben, Linien,
welche beredter wie alle Worte ſprachen, wie viel —
die lebte Zeit gebracht! >
Bu schnell, zu plößlich war's lernen. Aus allen 5
Glück heraus in die bange Sorge und Angit um das
Qiebfte geftoßen, — das war ein zu greller Umſchwung für -
den jchwerfälligen Geiſt eines Mannes, an welchem das
Leben eintönig und friedlich. dahingezogen mie ein farblos
Bil D; — er hatte feine Krankheit in jenem Haufe gekannt, A
umd nun fam jählings der Tod und klopfte an ſeine Thür
wie ein furchtbar Gejpenit, deffen üiberraichender Anblick
alle Glieder lähmt |
Seine Grete frant — todfranf — danieder ——
an dem furchtbarſten Leiden, vor welchem Burkhardt
erſchauderte in der verzweifelten Gewißheit, daß es
feine Hilfe und Rettung für dasjelbe gab, daß fein herz-
liebes Weib ebenjo grauenvollen Qualen age mae
wie chedem ihre arme Mutter. |
Hilflos aber dabei jtehen und es anjchen müffen, wie
fein Liebſtes hinftirbt, ohnmächtig die Hände ringen, ohne
den erbarmungslofen Todesengel paden und zwingen zu
fönnen, Dag war mehr, als es die trogige Soldatennatur
des Alten ertragen fonnte, und darum bradh er zufammen
GS
unter der entſetzlichen Wucht des Wortes „‚rettungslos‘,
welches ein Feind war, an dem jegliche Waffe abprallte.
Da fam es über ihn wie eine dumpfe, mutloje Zerichlagen-
heit. Seine Grete verlieren bedeutete für ihn alles ver-
lieren. — Er fonnte den Gedanken gar nicht fajjen, er
ichlug mit den Fäuſten aufftöhnend gegen die Stirn, bis er
einfab, daß alles Empören und Auflehnen, alles Gebieten
und Toben erfolglos fei, daß alles Geld, welches er in
jaurem Schweiß für jeine Grete verdient, nicht im ftande
fei, auch nur ein Stündchen Leben dem Tode abzufaufen!
An drei der bedeutendften Profejjoren und Chirurgen
hatte Hans telegraphiert, und mm waren fie drin bei
der Stranfen, ihre Brognoje zu ſtellen Burthardt aber
hartte auf ihren Ausſpruch, als gelte es ſein eigen Leben,
über welches fie den Spruch fällen follten.
Wenn man an die vierzig Jahre Hand in Hand mit-
einem treuen, geliebten Weib durchs Leben gegangen;
wenn man Freude und Not, Regen und Sonnenschein
mit ibr geteilt, und nieto? denn fie auf Gottes Welt
gehabt, juft, als feien zwei Menjchentinder auf ein einſam
Eiland im Lebensmeer verjchlagen, dann verwachſen Herz
und Geele ganz unbewußt, dann merft man's gar nicht,
wie jehr fie eins geworden, bis ein Wetterichlag fommt
und ſie erbarmungslos auseinanderreißt.
Eins geht dahin, das aber, welches zuricfbleibt, muß.
fich verbiuten an unbeilbarer Wunde! Wie die Minuten
Ichleichen, wie eine jede zur Folterqual wird, unter welcher
das Herz aufjchreit in bangem Harren! |
— 84 —
Burkhardts Zähne gage: zujammen wie im ‚Schüktel-
ir oft. Da gleitet es leiſe Herzu und ſchl ingt, laut auf
Ichluchgend, die bebenden Arme um feinen Naden: Aglaë.
Er ftarrt mit weit aufgeriffenen Augen in ihr bleiches
Angefi iht, — feine Lippen beben, — er will fragen, aber
die Zunge liegt ihm ſchwer wie Blei im Mund. Sie
versteht ihn. — „Das Leiden ift fchon zu weit vors
geichritten, es wird faum noch Di ie mg fein!” jtöhnt
fie außer ſich auf.
Wie der Tod greift'3 an fein Herz. Er erhebt ſich
wankend, er will zu ihr. —
Die Thür öffnet fid abermals. Die Herren treten ein.
Hans preit die Lippen zufammen wie in leidenjchaft-
lidhem Schmerz, aber in feinen Augen flammt es jo wunder
lic), wie man e3 nie zuvor gefchaut. Profeſſor Bahr! en,
ein ſchon betagter Herr, mit freundlichem, momentan jehr
beforgt ausſehendem Antlig, reicht dem Vater feines bee
rühmten jungen Kollegen herzlich Die Hand entgegen:
„Bir fommen, lieber Herr Burkhardt, um Ihnen, unjerm
Beriprechen gemäß, das Reſultat der joeben vorgenommenen
Unterfuchung und Beſprechung mitzuteilen. Gott fei es
geflagt, müſſen wir die bereits von ihrem Herrn Sohn
geitellte Diagnofe beftätigen und e3 mit ſchwerem Herzen
fonitatieren, daß das Leiden bereits fo ernite Dimenfionen
angenommen, daß nadh menichlichem Ermefjen eine radikale
Heilung nicht mehr zu erhoffen ift. Die Mittel, welche
wir bisher in Dielen ſchweren Fällen anmwandten, dürften
bei ihrer armen Gattin bereits erfolglos bleiben.” — —
de —
Er atınete ſchwer auf, der alte Manu aber fchlug Die
hart gearbeiteten Hände verzweiflungsvoll vor das Antlitz,
und brach in die eriten bittern, qualvollen Thränen feines
Lebens aus.
Hans trat hajtig neben ihn und drückte das greife Haupt
in unausiprechlicher Erregung an die Brult: „Vater“,
murmelte er, „verzage noch nicht! Ich verſuche ein Letztes,
— und Gott der
Herr wird fid
meiner erbar-
men !‘
Da jchauten
Die weinendern
Augen zu ihm A
empor wie ein #
ſtummer Hilfe:
ihre. — Bro:
feſſor Bahrlen
aber fuhr haftig * ku
fort: „Eine wunderbare Fügung bes Himmels Hat
ihren Sohn zu dem bedeutendſten Spezialiſten dieſer entjeß-
lichen Krankheit gemacht, und feine neuejten Forſchungen
und das von ihm zuerit in Anwendung gebrachte Heil-
verfahren hat iHn bereits zum anerfannten und bewährten
Meifter gemacht. Nun hat ihr Herr Sohn fich bereit
erflärt, eine Operation vorzunehmen, welche vor ihn noch
fein Mediziner wagte. — Glüct diejelbe, fo feiert die
Wiſſenſchaft einen ihrer bedeutendjten Eiege, und der unheil-
— 56 -
bariten und ſchreckl ichften aller Kranfheiten wird ein Netter
erftanden fein, welcher die Macht des Todes gebrochen! —
Allerdings dürfen wir weder Ihnen nod der Kranten
verhehlen, daß das Hei (verfahren ihres Heren Sohnes
in diefem Falle auf Tod und Leben geht, daß es bei
ung lücklichem Ausgang dag Leben ihrer Frau um Monate
verfürzen fann. — Monate jedoch, melche überreich an
Qual und Leiden fein würden! ch bitte, verehrteiter
Herr, diefe ernfte Enticheidung mit ihrem Herrn Cohn
zu erwägen. Wir werden jelbftoerjtändlich in höchſtem
Intereſſe der Operation aſſiſtieren und ſtellen uns. von.
ganzem Herzen zur Verfügung!’
Die Herren zogen fidh zurüd, Burkhardt aber Hob
das Haupt und jtarrte Hans wie geiftesabwejend an:
„Du, Haus du P 1“ murmelte er kopfſchüttelnd.
„Gott wird mir helfen, Bater!”
Der alte Mann rieb fich die Stirn und preßte Die
Hände gegen die Schläfen: Mußt mir nicht übelnehmen,
mein Sohn”, ftöhnte er auf, „aber... . ich bin jo fremd in
der Melt draußen, ich weiß nicht, ob du wirklich jo viel
gelernt haft, mn folch ein Wagnis zu unternehmen! Aglaé
— liebe Aglaë!” — Mit Hilfeflchendem Blick wandte er
jich zu der] jungen grau: „Ste find klüger in folchen Dingen
ala id, — haben Gie Vertrauen zum Hans? Glauben
Ste, daß er ein folh ungeheuerlich Großes leiften fann? I”
Die Gefragte trat langjam näher, ihr Blid traf Hans
und leuchtete auf in ſtolzer, mutiger Begeifterung. Sie
reichte ihm die Hand mit feſtem Drud.
a
„Darauf kann ich mur eine Antwort geben =“,
flüjterte fie, „wäre ich die Krante, und man ftellte
mich vor diefe Entjcheidung, fo würde ich mich jo ver:
tranend unter die Hände dieſes Meifters beugen, wie ein
Kind an die treue Hilfe des Vaters glaubt!”
„Aglaë!“ Hans zog ihre Hand erregt an Die Lippen:
„Sott jegne Sie für dieſes Wort, — e3 ftärft meinen a
Glauben an mich jelbjt und joll mir in der Tenien Stunde
zum Gegen werden!”
Der Pächter atmete tie] Paf e3 war, als fei eine
erlöjende Zuperficht über ihn gelommen Krampfhaft
faßte er die Hünde des „Hand — Hans!!
wenn du das könnteſt —!” flang jeine Stimme
wie ein Aufjchrei, „Bott im Simul, a ut = a um |
dich verdient !” =:
Der junge Proj ejor ftarrte — aus auf das alle,
verblichene Bild des barmherzigen Samariters, welches
witer dem fleinen Kruzifir an der Wand hing. Die
Hand Gottes teilte die Wolken, und das Auge des Ewigen
ſchaute hernieder auf den, — ſich des Elends mutig
erbarmt.
Sollte all feme Arbeit, all fein iabrelanges Durben
und Ningen vergeblich gewejen fein? Seine Liebe zur
Mutter war Die gewaltige Triebjeder gewejen, weiche
ihn, jo lauge er denten fonnte, angelpornt hatte, ein
Eluger, gejchidter Arzt zu werden, Damit Die ZTeuerite
nicht auch hilflos dahin ſterben ſollle wie einſt Die Groß—
mutter. Was ihm ſtets nur als beängjtigender Wahn
— 58 —
vorgeſchwebt, mar pidid zu einer atii Rahi a
heit geworden, war gekommen, wie der Dieb in der Mad Go
der jähling3 da jebi, ae bag P eines Mengar — N
fommen Jah. = Vu
Nur die — — und, — Natur. I
| — Mutter hatte es ermöglicht, daß das Leiden jo lange |
heldenmütig ertragen. und. dadurch verheim icht worden —
FRRESTIRE s
oe auter = Mutter, — marım haſt Du es nicht
gejagt, da du jeit kurzem jdjon die Anzeichen der K rante
: -heit mit Sicherheit erfaunt und. duh ſo unglücvich md o
elend fühlteſt!“ ſtöhnte Hanz auf; er fniete an ihrem. |
< Pett und dritte, das. Al lig Au Sn meiden welfen —
Ey Hünde.
Sl: Eele ſtrich tangjam und ädel nb ber jein lockig Blonde
haar. „Um euch jo lange. wie möglich die Angit ud |
ee orte zu er) jparen, Kieb! ling!” fluſterte fie. ; A weiß u
3a, daB es feine Rettung. für mich gibt, dag ih ebenjo
dem fichern Tod verfallen bin, wie meine arme Par 0
amd Ó Srojmutterz — t3 liegt, im. uns, das Verderben,
uud weil es nulos ijt, ; fih Dagegen zu wehren, jo wollte ar
ich euch jo lange wie möglich. die Herzens qual eriparen, “ N
mich dahin fterben zu Fehen.” — Frau Grete ii
einen Augenblick erichöpit, fie idi ihrem Mann die
= Hand und 309 ihn mit feligem Lächeln zu } ſich nieder:
— os „Baterhen, meine doch wicht! Sits nicht ſchon zu piel |
ber Gnade gemwejen, daß der liebe Gott mich jo —
geſund und froh bei dir und unjam Jungen lic? —
BEN
30 war ja ſo oh, mein Saalai fo innig glüd-
lich —, und ich hab's noch ſehen dürfen, daß mein Hanjel
jein Biel erreichte, daß ihr. beide wieder verjöhnt feid.
Das ift ein ſchöner Lebensabend gemejen, und id) fterbe
in himmliſchem Frieden, wiegen a von oan 7
noch bei euch bliebe” _
Hans ſchaute auf und abos mit it feifher Stimme
das leiſe Aufftöhnen des Baters. „Du haft eine völlig
faljche Meinung von der Wiſſenſchaft, Mutterchen, und
glaubit, diejelbe fei feit fünfzig Jahren auf demfelben
Fleck jtchen geblieben! Gott jei Lob und Dant, die neuen
gorj jchungen haben ein helles und hoffuungsfrodes Licht
in die Finfternis gebracht, darin die Medizin noch vor
nicht: allzulanger Beit tappte. Miutterchen, hajt du Ru
Vertrauen zu Deinem Sohn?“ — “
Sie jtredte beide Arme nach ihn aus. | Belen
zu dir, mein lieb Hanjele 2“ — lächelte fie voll unbe-
ſchreiblicher Zärtlichkeit, „du mein Stolz und mein Gluͤck!
— fein anderer foll mein Arzt ſein als dbur —
„Wirdeit du dich auch einer Operation unterziehen,
mein herzlich Mutterchen, einer jchwierigen, ernjten Opera-
tion, welche dir entweder volle Genci jung — oder mindez
jtens doch eine ſchöne und erträgliche Lebenzfrift von zehn
bis fünfzehn Sahren fichert, oder — im unglücklichen
Talle, — dein Leiden um Wochen befchleunigt? — Um
Tod und Leben gehts, mein einzig Miutterchen — Ich
bin als Arzt verpflichtet, es dir zu jagen — aber id
jühle die Strajt in mir, das Schwere zu wagen, und
Rn EIGENEN Bi Nom. 7 Nov., Sombie JL = 34
— 530 —
Gott im Himmel wird mir beiſtehen und über Dein teures
Leben wachen! — Sag's, Herzliebe, — willſt du an
deinen Hanjel glauben und dich feinen Händen anver-
trauen, willft du’3, daß ich die Operation vornchme?”
Die Augen der Kranken leuchteten durch Thränen zu
ihm auf. Sie winfte ihm, daß er fich neige und ſchloß
ihn voll feierlichen Ernjtes an die Brust.
Ich glaube an dich, und ich gebe mich Dir Hin auf
Tod und Leben! — Und ich glaube nicht nur an Deme
Liebe und dein treucs Wollen, jondern auh an deine
Kunſt und dem Wiſſen, und ich weiß es, mein Herzens-
find, daß ich unter deinen Händen en werde! —
Deine lieben Hände follen nicht. zittern, wenn fie in Der
Mutter Fleiſch ſchneiden, denn ich will dabei ſo friedlich
ſchlaäfen, wie du ehemals an meiner Bruſt ruhteſt, und
mein Herz wird. ruhig Schlagen, weil ih weiß, Daß Du,
mein Sohn, e8 bift, der mich einführt zu Leben over
Tod, — welche mir aus deiner Hand. mwilltommen find,
eing wie das andere.” —
Als Hans fi u umwandte, fah er Aglaë in der Thür
ſtehen Sie trodnete haftig die Thränen von den Wangen.
und atınete noch einmal jchwer auf, dann zwang fie cin
heiteres Lächeln um die Lippen, blinzelte Hans zum En
beritündnis zu und trat an das Bett der Kranfen. Ente
Schale blühender Vergiß meinnicht und Monatsroſen
grüßten ihr freundlich aus den Händen der jungen Frau
ee T —
engere
RATE Rita;
Hai Ag rn,
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2 Ao Fér i *
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— Doa
„Grüß Gott, Tantchen!” nickte fie mit friſchem Lächeln,
„das find ja prachtvolle Nachrichten, welche ich ſoeben
gehört habe! Die Herren Profeſſoren promenieren im
Garten, und ich iraf fie juft am Teich, als ich dieſe
Blaublünlein pflücfte! — Iſt's denn wirklich wahr, daß
der Hans operieren will? Die Herren jagten, dann fei
unjere teure Krante fo gut wie gejichert, denn Profeſſor
Burkhardt risfiere das nur, wenn er des Erfolges ficher
fei, und bis jebt habe er ja immer wahre Wunder voll-
bracht, darum jei er auch ein fold) gewaltig origi
Mann geworden !” _
-Aglaë öffnete Jalouſie und aenjter, md goldenes
Sonmenüicht und Blumenduft quoll in das dammerige
Gemadh. Wie ein friſcher Lebeushauch ging es von der
roſig gekleiveten Geltalt der Prlegetochter aus, juit, als
jet bet ihrem Eintritt die bange Echwüle der Thränen,
Seufzer und Todesahnungen verflogen. —
Frau Grete hob wie mit leichtem Aufatmen Das —
MRecht jo Aglas! Licht und Luft thun mir wohl, ſelbſt
wenn es ein wenig heiß im Zimmer wird, ich ik Die
Wärme! — Wolch prachtvolles Wetter! Da wird dein
Noggen fich ſchnell vom legten Regen erholen, Väterchen 1
Aglaë ſetzte fich neben das Bett und begann die
Blumen zu ordnen. „Das verjtcht fih! es gibt, fo
-Gott will, eine prachtvolle Ernte!“ plauderte fie Harm-
og, „ganz jo, wie ich's mit Papac en Burthardt gewertet
habe! Die nächiten Weihnachtsfuchen baden wir dann 2
PRE i dick und fett wie p tih, nicht wahr,
u
Zantchen? und du ſchiltſt dann nicht zu gewaltig, wenn
ich erit ein paar inë Feuer rutjchen laffe |
Nächſte Weihnachten!” flüſterte Frau Grete nie
und wehmütig.
Aglaë jah ihr mit tre lic geinie Item Erſtaunen ins
Selicht. „Das Elingt ja jo wehmütig! juft, al ob du
noch an das Märchen Deiner unberlbaren Krankheit
glaubteit? Aber ZXantchen! Der Hans ift ja da ud
wird operieren ! — Seit icd) das weiß, fenne ich feine
Angit und Eorge mehr, nun ift alles qut! — die Brote
joren jagen’s doch auch, nud die müſſen's wohl wiſſen!
Sie finden doch auch, ebenjo wie Hans, daß das Leiden
noch ganz im Anfangsftadium ijt” — |
Frau Grete und Burkhardt ſchauten erjtaunt auf.
Aufangsſtadium?“ — wiederholte die Bächterin mit
großen Augen, „ih dente, Hans, die Krankheit ift jchon
jo jehr weit vorgejchritten ?” —
Der Profeifor fchüttelte lachelnd den Kopf, „Jtem,
meim Mutterchen! Sch machte die Sache nur ein wenig
Ichlimmer, weil ich Eleingläubiger Gefell fürchtete, auf
großen Widerjtann bet dir zu ſtoßen wenn ich dir von
der Operation jprechen würde, welche unbedingt not⸗
wendig it, wenn du ganz geneſen jollit!” |
„ber e8 geht doch auf Tod und Leben?" — - warf
Vater Burkhardt mit ftarren Mugen em. —
Aglaë fiel ihm Jchnell in das Wort. „Wie eine jede
Operakiön mehr oder minder gefärlich ift! Ein ungez-
fchickter Arzt fann einen Menichen töten, indem er den k
= 534 —
janntoletiea feinen Schnitt vornimmt, wenn der Patient
Ichlechte Säfte h at, wenn irgend ein tüdijcher Buil =
jpielt, wer fann denn die Tragweite einer Gefahr be-
meljen? — Tantchen aber war ihr Leben lang ferngejund,
und Hana iſt ein weltberühmter Operateur; aljo Hater
nur der Pflicht gemügt, welche jeder Arzt befolgen muß, Die
Patientin auf die Schlimmjte Möglichkeit vorzubereiten !’ —
glas vermied es in das Antlıt des Profeſſors empor
zu ichen, aber fie ward blutrot, al3 fie jeinen > auf
ſich gerichtet fühlte. — |
Wahrlich, Hans, iſt's jo? — Id) ein gar nod nicht
jo todfranf, wic ich aus allem zu entnehmen glaubte”
„Si gewiß nicht, Mutterhen! Ic hoffe zu Gott,
dich in wenig Wochen wieder ganz gejund zu fehonu
„Bor allen Tingen darfſt du dich nicht ängjtigen,
Tantchen’” midte Aglae eifrig und beugte fich tief über
die Blumen, einen pafjenden Plag für ein Monat: sröschen .
zu juchen. Man Ddenft immer, jo (ch eine Operation it
etwas Furchtbares, und dabei merkt man gar nichts
davon, weil man chloroformiert wird! Der Vater meiner
Freundin erzählte, er habe während dejien die Schöniten
Dinge geträumt! — Das follit du auch thun, Tantchen!
Ich b bleibe bei dir und nehme deine Hand in Die meine,
und der Hans holt, eins, zwei, drei — alles Kranfe mit
jemem Mefjerchen aus deinem Hals heraus. Und dann
O wadii du wieder auf, jchläfft ſchön, fchonit dich eine
Zeitlang recht febr, und dann ijt alles überitanden und
du bijt wieder gejund! Nicht wahr, Hans? — Und
dann qibts — ein großes Sreudenfeft, zu d den Papa —
Burkhardt den Seh ijjet aun Weinfeller herang rüden
mug!” — |
Frau Grete lächelte, und es ſchien Hans, als ob fic
fich bebaglicher denn zuvor in die Kiſſen zurücklegte
Die dumpfe, todtraurige Stimmung hatte fie zuvor
entſch ieden beängftigt, und jie atmete freier auf, ala fie
Aglaë in ihrer alten, heitern Weiſe plaudern hörte, Aglaes
frohe Yuverficht und der gute Mut, mit welcher ſie der
Entſcheidung entgegen ſah, wirkten fraglos ſehr wohl—
thuend auf Die Krante, —
Die junge Fran ſorgte auch dafür, Dağ feine trüben
Sedanfen wieder auffanen, „Cieh' mal, Tantchen, wie
reizend der Blumenkorb ausſieht! Den ftelle ih mitten
auf den Tiſch, damit die Herren Profejjoren beim Eſſen
nicht. nur etwas zu ſchmecken, ſoudern auch etwas zu
schauen haben! — Solla denn bei dem Hühnerbraten
bleiben, oder hat Bartel ion Bu Beute aus dem Er
teid) gebracht?" —
Das war das richtige Thema, Frau Grete zu zer —
ſtreuen und anzuregen, und die ſtets rührige, eingefleiſchte |
Hausjran hörte es wohl mit bejonderer Genugthuung,
daß Molae fie durchaus nicht als entihronte Herrin
machte und willenlos in ihr Krantenbett bannte, ſondern
daß fie nach wie vor die Leitung des Haushalts ihr
über( iep und nur die Befehle austührte, welche ihr erteilt
wurden, Das war fo taktvoll und feinfühlend, wie nur
wahre ‚Herzensgüte | ji äußern fann, und Hans ftric)
586 —
langfam über die Stirn, als. fünte er das Befen und 3
Benehmen der Sugendfreundin faum faſſen und begreifen.
Wie viel es wert. war, eine heitere Gemutsſtimmung a IN
bei der Kranken zu erzielen und zu erhalten, wußte er = E
als Arzt am beiten, amd fein Herz erbebte in großer, el
unausjprechlicher. 2 Tantbarteit gegen. Aglae, welche
bewundernswerter Beije den rechten Weg fand, die £ Emm
des gonfia o an das Re der Mutter a
ogar,
re: — jekt in Br Süde — > Slechten ben,
Tantchen!” nidte Jie geichäftig, „und die Hühner bringe 5
ich zuvor her, damit du fichit, wie das Maisfutter an⸗
geſchlagen hat! — Wahre Prachtexemplate, fage ich dir!
— Jd werde überhaupt viel ab und zu laufen müjjen,
um Dir Rapport über meine Thätigfeit zu eritatten!
Dente doch, das erite Wittagseffen, welches ic) für Gaſte >
foche, da darf ich mich doch nicht blamiern!” — Sie
hob die Blumenjchale mit beiden Armen empor, ihaute
noch einmal lachend zurück und trat über die Echmelle.
Hans Iprang zu. und öffnete Die Thür, und als jie ihm
dankend vorangeſchruten folgte er iht — |
‚ie stellte: die Blumen ba] jtig. auf den nädhiten Ti,
nieder, und reichte ihm mit, jhmergsitternden Lippen beide
Hände entgegen: „Hans. halten Sie. mih niht ir.
herzlos und ichlecht, daß ich heiter plaudern und lachen
tann, wo der Tod auf der Schwelle ſteht! Ich habe
Ihre Mutter lieb — ad), fo zärtlich lieb, wie meine
‚eigene - = und juſt darum, weil e3 mir das Herz bricht,
fie wie ein todgeweihtes Dpferlamm daliegen zu fehen,
es mit anjchauen zu müſſen, wie ihr unjere Thränen
und Verzweiflung Schon jetzt die Todesqual bereiten,
darum will ich ihr ein fröhlich Geficht zeigen, will all
mein Herzeleid tapfer zurücdrängen, damit ihr meine
Zuperficht neuen Mut und Hoffnung einflöße! Ihr Bater
darf aud) nicht jeinen Schmerz zeigen, Hans, — cr mat
ihr fon jet das Sterben
fo jchwer, und fo Gott
will, bleibt fie uns Doch
noch durch Ihre rettende
Hand erhalten!” —
Der Profeſſor prekte
erregt ihre Hände in den
jenen. „© Aglaë, wie
joll ich Ihnen danken! Sie
wiſſen gar nicht, durch
welche föltliche Arznei
Sie mein Werf unter: m
ſtüßen! — Gott ſegne Sie für jedes frohe Wort, mit
welchem Sie die Schatten von ihrem Lager vertreiben !’’ —
Durch Thränen blickte fie zu ihm auf uud erglühte .
bis unter das wellige Haar. Ich babe Lügen gejagt,
Hang, und habe den Profeiforen einen Ausipruh in den |
Mund gelegt, welchen fie, leider Gottes, nicht gethan.
Sch ſchämte mid) deffen, aber ich hoffte, daß Eie den
Zweck diefer Notlüge Schnell durchichauen würden!” —
„Sie waderes, treues Herz! — Ä
Sie atmete tief auf und neigte den Kopf tief zur
Bruft. Ich ängftigte mich jo ſehr vor Ihnen, Hans,
und hätte ich Ihre Mutter nicht jo lieb, würde ich gewiß
Shr Wort befjer beherzigt haben, aber ich fann nur immer
wieder Ù das eine zu meiner Entichuldigung jagen: Sc
ertrug es nicht, Die Siranfe fo qualvoll unter der aaier
und Verzweiflung leiden zu jehen, welche fie ſchon vor
der Zeit als eine Tote beklagt!” —
Mein Wort beſſer beherzigt zu haben? — Ich per:
ftehe Sie nicht, Aglas! Welch einer ESG bes
durften Sie Hochherzige, Edler!” —
Sie blictte ernft zu ihur auf. Ich bin in meinen
alten Fehler zurückgefallen, Hans, ich babe Komödie
geipielt und weiß es doch, daß Eie alle Berftellung.
haſſen und mir fürs ganze Leben die Wahrheit zur edlen
- Nichtfchnur gaben! Auh Sie waren ſtets wahr und
aufrichtig im Leben, jelbjt Heute erſchteckend wahr, als Cie
der Krauken jagten, daß nur eine febr ſchwere Operation
‚fie vielleicht reiten könne! — Es war wohl Ihre Pflicht
es zu thun, aber dennoch bat dieje Wahrheit ein armes
Menjchenherz in bitterm Todes grauen erzittern laffen, und
ich habe mit Frau Grete gelitten unter diejer entjeglichen
Wahrheit. — Jits da nicht erlaubt geweſen, fie zu mil:
dern, ihr ein heiteres Mäntelchen umzubängen, welches
zwar Zug und Trug, aber doc) gar De und er-
quickend war?”
Er blickte ihr tief im Die Augen, — ein Gemiſch von
Nührung und Bärtlichfeit kämpfle in feinen Ichönen Zügen.
— 539 —
„Wäre alle Comödie auf der Welt ſolch edler und barnı-
herziger Natur, fo fünnte man Gott wohl nur auf den
Knien bitten, alle rauen Meilterinnen derjelben werden
zu lajjen! — Gie haben mich überzeugt, liebe Aglaë,
daß e3 auch eine Comödie auf der Welt gibt, welche
nicht verterflich, fondern im Gegenteil fehr geboten und am
Plage ift, und daß wir rauhen Priciter der Wahrheit oft
Wunden mit dem Flaͤmmenſchwert derjelben ſchlagen, welche .
das weiche Frauengemüt durch den Zauber einer lächelnden
Maske heilen mug! — Tragen Sie diejelbe dauernd vor
dem Antlik, liebe Aglae, wenn Sie mit Mütterchen ver-
fehren. Je heiterer und vertrauensvoller fie fich der Ope-
ration unterzieht, deito günftiger für den Verlauf derſelben.
tur noch ein oder zwei Tage halten Eie aus in Ihrer
rührenden Pflege! Ich telegraphiere nachher an Schweiter
Amélie, dağ fie uns zu Hilfe fomme und — — —“
„Schweiter Amélie?” — Die junge Frau zuckte zuſam—
men, ihre Arme janten jchlaff an ihr hernieder. „Warm
das, Hans? Ach bitte, ich beichwöre Eie — überlafjen
Sie mir allein die Sorge um mein Pflegemütterchen !”
Er fchüttelte erregt das Haupt. „Unmöglich, liebe
Aglaë! Sie koͤnnen auf feinen Fall die Nachtwachen
aushalten und aud) nod. tagsüber die Kranfe verpflegen |
Cie ahnen nicht, welch furchtbare Anſprüche an eine
Siranfenpflegerin geitellt werden! Amélie fann aud D
der Operation zugegen jein, — fie ift Daran gewöhnt —
Flehend hob fie die Hände. „Hans! fie bat voll rüh-
render Innigkeit, „verjuchen Eie eg mit mie! Ihrer Mutter
— 540 —
wird der Verkehr mit einer völlig fremden Dame ungewohnt
und aufregend jein, und mwenn Anne mir tagsüber etwas
zur Hand geht, mute ich mir die Pflege getroit zu Neem
Er legte voll tiefer Nührung die Hand auf ihren
Scheitel. „Sie goldgetrenes, opfermutiges Herz! Ach
bin überzeugt, daß Sie fih mit Einfag all Ihrer Kräfte
der ſchweren Aufgabe unterziehen würden, aber der gute
Wille thut es hier nicht allein! Um eine Echwerfrante
nad einer Operation zu pflegen, bedarf es der größten
Übung und Gejchidlichfeit. Oft ift feine Zeit, lange Be-
fehle zu geben, die Diakoniſſin muß jelber wiljen, was
fie zu thun hat, und zujpringen. Wenn Ihre Kräfte Sie
verließen, wenn Sie beim Anblid einer blutigen Wunde
ohnmächtig würden, könnte das größte Unglüd geichehen.
Wollen wir uns alsdann unfer Leben lang die entjeglichiten
Vorwürfe machen? Nicht aus Mangel an Vertrauen
zu Ihrem guten Willen, Aglaë, jondern aus Vorſicht
und Fürforge muß ich Schweſter Amelie fommen laſſen“
‚Sie war jehr bfeich, aber fie ſenkte gehorjam Das
Haupt und ſprach leife: Wie Sie wollen und wünſchen, |
DUB, — ich werde ein Zimmer herrichten A > —
„Haben Sie Raum genug, Aglaë?” — a |
Gewiß; die Herren Profefioren logieren i im n Schloß! —
„Und Schweſter Amelie?“ —
Bringe ih in meiner Stube unter! —
„Wollen Sie das Zimmer mit ihr teilen? Das wird
Ihnen jehr viel Unbeguemlichteiten verurjachen. a |
Die junge Frau war bereits die paar Stufen, welde
zur Küche führten, hinabgeeilt. Sie wandte ihr freund:
lich Lächelndes Geſicht zurück „O nein! das wäre rid-
ſichtslos von mir gegen die Dame, melche Die wenigen
Ruheſtunden, welche fie findet, ungeftört bleiben muß!
Sorgen Sie fich nicht, ich fomme fon unter! Das Haus
ijt groß genug!” — Gie nickte ihm haftig zu und war
im nächiten Augenblid verſchwunden Hans jchritt den
Korridor entlang, um feine Kollegen aufzujuchen und zum
Frühftückstiich zu führen. Er fab die Thür zu feinem
Zimmer offen jtehen und trat mit fchnellem Umblick em.
Ein Glas voll blühender Vergißmeinnicht und Roſen
ftand auch auf feinem Tijd. Er nahm die Blumen erz
regt zur Hand und meigte die Lippen darauf nieder.
Dann jtellte er fic hinter den Vorhang auf das Fenſter—
brett. Ihm war's, als jei die Zeit noch nicht gefommen,
da er ſich ihrer rüdhaltlos freuen durfte. Noch breitete
fich ein düſterer, forgewoller Schatten über Herz und
Haus, und all jeine Gedanfen, all feine Kraft und
Energie ftanden in dem Dienjt des Sohnes und Arztes
und nicht in dem eines Meuſchen, welcher Ar ſich or
hofft und wünjcht. -—
PNPN —— ——— ——— CEE E SAO —— FRE SEEN ———— ———— ——— — 0
E 4
XXI.
Herr, ben ich tief im Herzen Re
fei du mit mir!
as Große, Unfaßliche war geichehen!
Alle Zeitungen ſchrieben's alle Zungen. er:
zählten's, alle Kranfen jauchzten e3 hinaus in
Die Welt: Proje for Burkhardts Operation ift geglückt!
Das Mittel ift gefunden, welches der Bee aller
Krankheiten ein Biel und Ende fegt”
Was | Sahrhunderte hindurch ein Schreckgeſ ein
unheimliches und un lösliches Rätſel geweſen, war erforſcht
und gelöſt; ein blendender Lichtſtrahl war in die Finſternis
gefallen, und wenn er auch noch nicht des Werkes höchſte
Vollendung brachte, ſo zeigte er doch der Wiſſenſchaft
den Weg, welcher zum Erfolg führt. — Burfhardts Hand
hatte DaS düjtere Thor erjchlojjen, welches ihn bislang
veriperrt, nun ftand e weit offen und winkte den J Jüngern
des Hsfulap: „Rommt, lenkt ein in den neuen Pfad,
welcher euch gemwiejen! — Noch gibt's manchen Stein
und manches Hindernis aus dem Weg zu räumen, aber
| Seibel, —
hen
ihr wißt jebt, wie ihr die Sache handhaben müht, welche
Truppen img Feld gerante fein wollen, um ben Ergjeind
zu beſiege! — — — MMMM
Durch den Parf von Moosdorf führten — Mäder-
jpuren des leinen Kranten- Faͤhrſtuhls, in welchen Frau
Burkhardt jochen in das Schloß ldai war. Die
großen, fühlen immer bildeten einen geeigneteren Aufent⸗
halt für die Patientin, welche nunmehr nur noch der Ruhe
und jorgjamer Pflege benötigte, um bald alle Nachwehen
der glüdlich uberſtandenen Operation zur überwinden,
Hier in dem hohen, jaalartigen Eckſalon bemerfte man
nicht Die fajt tropische Glut der Epätjonmertage und
das wirtjchaft liche Leben und Treiben deg Barhthofes ver⸗
klang hinter den Anfaren des Parkes wie ein fernes Echo.
Hans hatte voll unbejchreiblichiter Gefühle die Mutter
auf dieſer erſten Ausfahrt begleitet, er hatte ME, mit
perichlungenen Händen neben ihr unter. den mächtigen
Platanen geſeſſen, um zu Laufchen, wie Aglas mit weicher,
feelenvoller Stimme die Sonntagspredigt las, zu welcher
die Dorfglocken ein heilig „Sa” und „Unten“ langen.
„gobe den Herrn, meine Seele; und vergiß nicht, was
er dir Gutes gethan !”
Bater Burkhardt, deifen langes Lockenhaar binnen
wenig Wochen zu Schnee gebleicht war, hatte jeinen Korb—
jejjel dicht an die Seite des Stranfenmwagens gerückt,
taltete feine ſchwieligen Hände um Die abgemagerten
Finger ſeines Weibes und ftarrte mit feuchten Bücken
empor in. die regungslos grünen Baumzweige, durch
welche der Himmel mie ein u Beahlenb- blaues Auge auf
ſolch unausiprechlich großes. Glüd hernieder lächelte,
Seine Grete war genejen und gerettet! Geine Grete
blieb bei ihm, fie war ihm wieder gejchenft durch, Gottes o
Gnade, welche in dem Wert ſeines Kindes groß und
mächtig gewejen war bis zum Wunder. .
Ä Hatte er e$ verdient, er der voll Trog und Eigen:
willen dem Sohn die Berge in den Weg türmte? Der
ihn von fid wies ‚ihn ungern. und darben. Tie, weil er
in unernüdlichem und begeiftertem Fleiß die Hände regte,
ein Bollwerf zu bauen, an welchem des Todes Senje
zerjchellen mufte, die Seale, welche das fenerjte anb
liebſte Leben bedrohte!
Mit einem Gefühl beinahe andächtiger Ehrfurcht
blickte der alte Mann auf feinen Sohn, welcher das
Größte vollbracht, das in eines Menſchen Kraft fteht.
— Und wäre er Qandmann geworden, und hätte er jelbjt
' Millionen verdient, er hätte dennoch als Bettler an der
Iotenbahre der Mutter gejtanden, als ein hilflojer, ohn-
mächtiger Mann, deffen inbrünftigftes Flehen den bleichen
Engel nicht zur Umkehr vermocht hätte. — Nun aber
hatte er, der arme Profeſſor, jeinen Bater reicher gemat,
wie alle Könige der Welt es je gekonnt! — Und der
Nite neigte Das Haupt zur Bruft, als drüce ihn ein
ſchweres Schuldbewußtſein nieder, 1 =
Die friſche Luft hatte die Nefonvalescentin ermüdet =
und ihr Mann, welcher feiner andern Hand den Blag
am Wagen gönnte, hatte die Schlafende behutſam zurüf
— 545 —
gefahren in die große Gartenhalle, woſelbſt Aglas ihren
gewohnten Platz neben ihr einnahm. Hans trat wieder
zurüc unter Die jchattigen Bäume und ſetzte fich nieder;
er jtüßte das Haupt in die Dan und träumte mit offenen
Augen.
Koch klangen und — die Gloden durch den ſtillen
Sonntagsmorgen, und vor feinen Ohren tünte noch immer
Aglass liebe Stimme: Lobe den Herrn, meine Seele!”
Da zogen die legten Wochen mit all ihrer Aufregung,
ihrer Todesangſt und Corge noch einmal an jeinem
geiftigen Auge vorüber. — Er fühlt noch einmal den
Schreden durch feinen Körper riefefn, als alles unaufjchieb- _
bar zur Operation bereit, und nur Schweiter Amelie er:
wartet wird. — Bmeimal jhon ijt der Wagen zur Station
gefchieft — das dritte Mal bringt er eine Depejche heim.
— „Amélie jchwer geſtürzt — Bruch in der Hüfte.
Befindet fich in Behandlung des Profeifor Normann.”
— Hang jtarrt entjeßt auf das Unglücksblatt hernieder.
„Barmherziger Himmel — was mm?!“
Eine weiche Hand faßt flehend Die feine. „Das ift
Gottes Schickung, Hans!” flüftert Aglaë, „ich bitte Sie
von Herzen, verjuchen Gie es mit meiner Hilfe!”
Er ftarrt fie ratlos an. „© Aglaë, — Sie ahnen
ja nicht, was Sie unternehmen wollen! !” ftöhnt er auf.
Der Ausdrudf ihres Angefichts macht ihn betroffen,
„3h weiß es, Hans, und ich wiederhole meine Bitte!”
Profeſſor Bahr! en tritt heran. — Er nickt der jungen
guma voll ftolzer Freude zu; „Bran fo, kleines Frauchen!
No Eidftrutý, IM Rom. u. Nov, Comödte IL 35
ae
Gewiß wollen wir Ihnen unfere teuere Kranke anver-
trauen! — Bei der Operation felbjt bedürfen wir ja
feiner Hi (fe, lieber Burkhardt, wir find vollzählig gemug,
— mm, und nachher unterjtüßen wir Frau Aglaë nad)
Kräften, dann wird e8 ihon gan
Eo wars gejchehen. — Als aber die Mutter bercit
lag, narfotifiert zu werden, umflammerte fie plößlich
Anlaes Hand. „Du blabjt do bei mir? EDE ſie
mit zitternder Stimme. Se
Gewiß, Tantchen, ich bleibe!“
Die Augen der Stranfen blieben jtarr auf fie gerichtet;
fic wollte es vermeiden, ihren Sohn anzujehen, um ihn |
nicht durch ihren Blid zu beeinfluffen. | 2
Hans zögerte erjchroden, und die Herren fahen einz
ander betroffen an. Aglas bleich aber ruhig
und entjchloffen aus.
Das Chloroform. begann zu t wirken, feſt, beinahe
krampfhaft prefite die Krante dieF Finger der jungen Frau.
— „Ich tann nicht fort, forgen Ste fidh nicht um mich
hauchte fie Hans zu. Langjam ſchob fie fidh zur Excite,
um jo wenig wie möglich Pla am Operationstifch einzu
nehmen, und in der anjtrengendften und unbequemjten ER
Stellung mit weit ausgejtredten Arın verhatrte fie
regungslos. — Man Schritt zur That. a
Während der Ausführung Derjelben hatte Hanë die
Anweſenheit der Freundin vergeſſen; ruhig, kaltblütig
und beſonnen waltete er feines ſchweren Amtes. Der
Augenblick der Entſcheidung drängte jedes andere Em—
Se 5AT —
pfinden in den A. er war a, nur Ra, und
jeine ganze Seele wurzelte in dem erften, neuen Verſuch,
welchen er wagte. Später erft, als alleg vorüber, jchaute
er jählings enpor. Aglas ftand unverändert, leichenhaft
blaß, mit großen, weit aufgeriffenen Augen, in welchen
ſich die Folterqualen ihrer Seele jpiegelten.
Behutjam befreite fie die Hand, mechanisch den er-
itarrten Arm durch tangia mme Bewegungen wieder gelenkig
machend,
Hans atmete schwer auf. „Schnell en Glas Portz
wein!“ flüſterte er.
Sie flog lautlos davon, fehrte mit einer J die und
Släjern zurüd und ftellte fie auf den Nebentiſch
Hans jchüttelte den Kopf. „Sur Sie oR
Sie machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Wangen —
begannen fid wieder zu röten. Aufmerkſam beobachtete Mn
fie die Mienen der Herren, — reichte zu und nahm ab,
— räumte Überflüfjiges fort und jorgte, in beinahe
ſchattenhaſter Weiſe hin und her gleitend, für eine wohl⸗
thuende und angenehme Ordnung im Zimmer — Hans
wird es nie vergeſſen, wie fie gejchäftig auf die Erde
fniete, das Waſſer des geſchmolzenen Eiſes mit einem
Tud anfsutrodnen, wie fie die. jchweren Eiseimer aus
dem Wege hob, neue Wäjche bereit legte und gu-
reichte. |
Da war fein Schritt unnüß, feine Bewegung zu viel
oder ftörend; fie las die Wünjche an den Mugen ab und
erfüllte fie, ohne lange zu fragen. Still, leije, jorgiam,
35*
wie ein freundlicher Geiſt waltete fie, von allen bean
fprucht und von niemand empfunden. ae
„Wackere, prachtvolle, feine Frau! —”’ mürmelte
Bahrlen mit wahrhaft begeiftertem Blid der Anerkennung.
Wie war es nur möglich? — Hans erjchien alles ein
Traum! — Dies mar Aglaë? — Diefelbe Aglaë vot
ehedem, welche fich empört die Ohren au wenn von
einem Schnupfen die Rede war? | `
Wo hatte fie dieſes Samaritertum elen? Siow,
fie übte es initinftio. Und fie, fie hatte er damals
zurücgewiejen von feiner Klinif, mit beinahe harten
Worten an ihrer Befähigung zweifelnd! — Ein wunder-
liches Gefühl zertiß fen. Herz. Eine heiße, iunige Be-
wunderung und ein bejchämendes Schuldbewußtſein —
Wie war's aber auch nur denkbar? Wie fann fidh ein
Frauenherz in ein paar Jahren voll fchwerer Schickſale
bis zur Unfenntlichfeit verändern? — In Romanen lieft
man wohl dergleichen, aber im Leben? .. . Und nun
war's dennoch Wahrheit! Nun fehaute er folh eines
Raͤtſels Löjung mit eigenen Augen! |
Der Kern war ja immer gut gewejen, nur die Schale,
die war das funjtvolle, ummnatürliche Machwert einer ver—
fehrten und verwerf lichen Erziehung, wie fie ın den großen
Städten nur allzu modern geworden ift. Da fticht der
Wurm manche Blüte, und wenige nur tragen trotzdem
edle Frucht, wenn noh ein Semitterfiurm dieſelbe padt
und ſchüttelt und das giftige Infekt nod) rechtzeitig aus
ihrem Kelche herausschleudert! Täglich, ftündlich erquickte
— 5 —
ſich fein ba a an dem Anblick — welche die Kranke
pflegte, beſſer und zuverläſſiger als es jemals eine Fremde
gekonnt! — Und welche Freude für feine Mutter, als
fie erfuhr, daß nur ihr liebes Pflegetöchterchen fie warten,
hegen und bejorgen fole! — „Nun erit glaube ich es,
mein Hanjel, daß ich nicht zum Tode frank bin, weil
du feine Diakoniſſin holit, ſondern mit Aglaë und Der
Anne allein fertig werden willft! Da fann e8 doch wohl
nicht jo ſchlimm mit mir ſtehen, wie ich mir eimbildete!
Und welch behagliches Gefühl, feine fremden Gejichter
um fich jehen zu müffen! Sch hätte mich doch gewaltig
vor einer barmherzigen Schweiter geniert und mich ficher-
fich mehr aufgeregt darüber, ala mir gut wäre! So
aber iſt es gar traulich und altgeivohnt, und wenn ich
meine Aglaë nur bei mir weiß, danu bin id icon halb
geſund!“
Dieſe offenherzige ÄAußerung der alten Frau ſchnitt
es vollſtändig ab, eime andere Aushilfe für Schweſter
Amélie zu — denn dieſelbe hätte leicht die fixe
Idee bei der Pächterin erzeugen fünnen, daß die Krant-
heit eine ernjte Wendung genommen, und welch bedent-
liche Folge eine derartige Gemütserregung mit ich bringen
fonnte, wußte Hans als Arzt nur zu genau. — (Er war
aljo gezwungen, Aglaës großes Opfer unbedingt angu-
nehmen und ihr- die on Laft e einer dauernden Pflege
aufzubürden. =
Welch auferorbentfiche Anforderungen an ihren Opfers
mut und ibre vennin Herzene gute geſtellt merom, das
— 550 —
fah er täglich aufs neue, und das Herz brannte ihm in
heißer, inniger Liebe und Bewunderung für ein Wejen,
welches in wunderbarfter und köſtlichſter Wandlung Flitter
und Truggold von fich gejtreift, um ein paar Seraph—
Ichrningen dafür einzutaufchen.. SE
Unvergeßlich ift ihm eine Nacht unter den vielen auf-
Tana. gemena in Angſt und Sorge durchwachten
Nächten geblieben. |
Die Krije war überftanden, die Kranke lag in fieber⸗
freiem, tiefem Schlaf der Erquidung. Hum erjtenmal
war auch Aglaë in dem großen, ledernen Sorgenjtuhl,
nebenan in dem Wohnzimmer, eingejchlafen. Sie regte
fih nicht, als Hans lautlos über die Echwelle trat. Jhr
Haupt war feitlich an die Kopflehne gefunfen, die Hände
umfaßten die beiden Holzknäufe der Eejjelarme. |
Er ftand ftill vor ihr und fah fie an. Eeit Langer
Zeit fonnte er ihr Antlig einmal wieder ohne Die rofigen
und trügeriichen Schleier eines ſtets heitern Qächel 18
ehen; fie wandte das Köpfchen nicht haſtig zur Seite
und wich nicht feinem Blide aus wie fonft, wem. fie
merkte, daß er ihr forichend in das Geficht fchaute.
Segen das jehwarze Leder des anie bob fidh das
ihmale Oval der Wangen in marmorner Bläffe ab, und
um die geichloffenen Augen lagen dunkle Schatten, welche
durch die langen, geneigten Wimpern nod) vertieft wurden.
— Die Nachtwachen und Anftrengungen hatten ihre
Spuren in das junge Angeficht gezeichnet, e3 verratend,
wie jchwer Die Ichte Heit auf dieſem Haupt gelajtet, und
— 5 —
dennoch ſchwebte ein Süßes, glücjeliges Aufatmen um die
Lippen, dasjelbe, mit welchem fie furz zuvor die Hände
gefaltet: „Gott fci Lob und Danf — das Fieber ift
überwunden!” — Keine Ermattung, fein Verdruß und
feine Übellaunigfeit einer übermüdeten und abgeheßten
Würterin, nur das a
jelige, friedliche Be—
hagen einer treuen
Tochter, welche die
Augen in dem Ge-
danten geichlofjen:
„Mütterlen wird
genelen!”
Der Schlafftreiit
die Musfe von dan
Antlib der Menſchen,
er zeigt wahre Ge—
fühle, und wo er
jeine mächtige Hand
auf die Stirn legt,
da weicht die Ver: m
Stellung, da löjen fich fünftlich geframte Mienen auf
in Schlaffheit und Natürlichfeit — fets im guten oder
im böfen.
Und in Aglaës Anklitz ſteht es voll rührender Beidh-
heit und Milde, Daß fie alles, was fie geleiltet, von
ganzen Herzen gern gethan! |
| Hans ift es, alè müſſe er in diefem Autlitz nach der
— 552 —
ehemaligen alten Aglaë forjchen. — Kein Bug von da-
malā — es ift, ala habe eine jchwere, harte, und dennoch
heilige Vaterhand über dieſes jchöne Geficht geſtrichen,
um alles darin auszulöjchen, was früher im —— o
der Welt zum häßlichen. Matel geworden.
Und weiter jchweift fein Blick über ihre zarte Kinder: N
geitalt, welche dennoch fo tapfer und energiſch den dor
nigen Weg zum Biel gefchritten. Nichts Schwaches und
weichlich Hinfälliges haben dieſe Glieder; ſelbſt jetzt nod),
nach der anſtrengenden Beit der ſchwerſten Krankenpflege
zeigen fie Kraft und Friſche Und die kleinen Hände,
welche ehemals jo blütenweis in trägem Nichtsthun,
demantgligernd im Schoß gelegen, — Hans jchridt zu-
fammen und ftarrt beinahe entjeßt auf dieje Hände nieder,
— Herr des Himmels, wie jehen fie aus! Rauh, ge-
rötet und verarbeitet, durch das viele Eingreifen in Eis
und Eiswaſſer aufgeiprungen und angejchwollen. Arme,
mißhandelte ‚Händchen, i Tomme moria wie bei
einer Magd! |
Glühend heiß Tteigt bad Blut in Wengen und Etim
des Profeſſors empor, ihm ift’s, als wolle ifn fein Herz- =
ſchlag erftiden. Der Aublick diefer Hände ergreift ihn
faſt noch mehr, als der der Bettlerin auf der Bühne, -
denn diesmal mifcht fich in fein Mitleid tiodh die tieffte
Nührung und Dantbarkeit. |
Er weiß nicht, wie es gefommen ift, aber er fniet
bor ihr und preßt die on Ian a Piei
Hand.
— 553 —
Cie zuckt empor: „Wacht fie?” — flingt'3 erichrecdt
über ihre Lippen, dann ftarrt fie, nou) halb Ihlaftrunten,
auf den Knienden Cie begreift nicht. — Sie jchridt
empor, fie wähnt, daß er vor ihr — weint
„Hans — was ift geichehen?!”
„Bu viel des Guten und Barmberzigen für uns,
Aglaë!“ murmelte er erregt, — „diefe Hände! Diele
armen, einen Hände — und alles für uns!!”
Sie haut auf ihre Rechte nieder, welche er abermal 8
an die Lippen zieht. — Ein tiefes Aufatmen — fie
ſchüttelt abwehtend ihr erglühendes Geſichtchen.
Aber Haus, welche Thorheit!” lächelt fie. „Schlimm
genug, Daß ich verwöhntes Gejchöpf ai einmal ein
bißchen falt Waller und Eig ungejtraft vertrage! Nun
bringen mich dieſe empfindlichen Singer auch noch um
menen Schlaf! — Abjcheulich, Hans, ich träumte jo
ihon e
Er lacht mit ihr, aber er jchlägt fid gegen die Stirn.
‚Dich Narr! Ich rüdfichtstofer Gefell! Vergeben Sie
mir, Aglaë!” — und abermals drückt er ihre Hand. —
Ich weiß felber nicht, wie's über mich gefonmen ift!
Aber der Anblid dieſer armen Fingerchen ſchnitt mir
ins Herz. Bitte gehen Sie in Ihr Zimmer und legen
Sie fih zu Bett! Mutter fchläft tief und fejt, und ih
bin ja da, um fie beim Erwachen zu bedienen!”
„Sie find felber gewiß febr müde! Und ich I
mich ſchon völlig ausgeruht!“
— „Serge| iS Sie nicht, daß ich geftern ay den ganzen
—
Tag gejchlafen. habe! — die Zeitungen möchte ich no) o
fejen, die Artifel meiner Widerſacher interejjieren mih
lebhaft und werden, angelichts der, Gott fei ob und
Dant, jo ruhig Schlafenden nebenan, feinen bittern und
deprimierenden Beigejhmad mehr für mic haben! Sie —9—
aber, liebe Aglaë, werden noch einen fräftigen Imbiß zu
jich nehmen, ehe Ste fidh niederlegen! Lachen Sie nur!
Hätten Sie meinen Wunſch nicht erfüllt, während der
Nachtwachen verjchiedentliche Speiſe zu fidh zu nehmen,
ftünden Sie mir jebt nicht jo friich und wohl gegenüber,
wie Sie e8, Gott fei Danf, m on o —
Weiſe thun!”
Aglas nidte plöttic fehr — Se Theorie hat
entjchieden etwas für fich; es ift wunderbar, wie Das
Eſſen während jchlaflofer Nächte Die Nerven erhält! Ich
habe faum ein Unbehagen empfunden, wenn ich Ihr Ge-
bot befolgte, während ich mich ſchwach und matt fühlte,
wenn ich bis zum Srühfaffee Hungerte! Befolgen re n
Diakoniffinnen dieje Maßregel ebenfalls?” —
„Die Proteſtantinnen allerdings, bei den katholiſchen
Schweitern, welchen das alten während. der Nachtzeit
vorgejchrieben ift, fonnte ich leider dieſe wohlthätige und
ſo ſehr notwendige Verordnung nicht durchjeßen, obwohl
ich mich ſogar an den Rapft wandte, einen Dispeus zu er⸗
wirfen. Ich ward abjchlägig beſchieden und mand) arme
Schweſter muß Kraft und Nerven frühzeitig dadurch ein-
bügen. Je nun, gegen Glaubensjakungen darf man
nicht anfämpfen, und obwohl ich fie herzlich bedaure,
— 555 —
bhewundre ich die katholiſchen Schweſtern in ihrer märter a
haften Treue und Aufopferung doppelt.”
„Bas darf ich Ihnen zu der Sandwichs eu
Kaffee oder Wein 2
Ich bitte um Re ffee, falls Sie n vorrätig
Haben!”
„Sr Steht berdi n
Sie ging zur Rüde und febrte mit ton Sewünfchten:
zurück, ſtellte Taffe und Kanne bequem bereit, ordnete
Teller und Schüffel appetitlich auf Der blendendweißen
Eerviette und entzündete den Spiritusbrenner. „allg
der Slaffee gar zu extraktmäßig it, Steht das heiße Waller
gur Hand. — E3 ift jeßt Mitternacht, Hans, um vier
Uhr tomme id) und löfe Sie ab. — Gute Nacht! Wenn
Sie irgendwelche Hilfe —— ange Gie, ich bin jo-
fort zur Stelle.” |
„sh danke Ihnen für all Ihre k Güte, liebe
Aglad, möge Gott es Shnen lohnen!”
Wie leer, wie einjam war e um ihn her, feit je ge-
gangen, und dennoch wie traulich in dem Kleinen Gemadh,
darinnen ihr Geiſt gewaltet. Das Waffer ſummte und
braufte im Keſſel, und Hans ftarrte lächelnd über Die
Zeitung hinaus ins Leere. Da ſpannen jeine Gedanken
einen leuchtenden Schleier, den ſenkten die Genien der
Liebe zärt lich über A Haupt.
An andern Morgen war er in ben Garten gegangen,
fi) in der würzigen Luft zu erfrijhen. Er fah. Aglaë
— 56— *
nahe dem niederen damga auf einem Gemüſebeet
ftehen, — Dore trug einen Korb voll Salat und Bohnen
davon, und Die junge Frau pflücte noch die würzigen
Kräuter zu einem Strauß; in ihrer Hand dufreten fie
föftlich, aber nicht poetiſch. Da hob ſie den Kopf und
ſchaute nad) der Hecke Auch Hans blickte Hin, weil er
ein lautes: „Onten Morgen, Frau Aglaë!” vernahm.
Er hemmte unmillfürlih die Schritte und blieb hinter
den hohen Etangenbohnen zurüd, denn er wußte im eriten
Augenblick nicht, ob die mächtigen Florentiner Strohhüte
mit den wehenden blauen Echleiern zwei Damen: oder
Herrenföpfen angehörten. Aber er überzeugte fich bald.
Aus dem Chaufjeegraben, welcher fie momentan zur Hälfte
verjchlungen, tauchten zwei hünenhaft Elobige Männerge-
falten empor. — Beide ganz gleichmäßig in hellgelben
Nanking gekleidet, beide roja Srawattenichleifen unter dem
Doppelfinn, beide dieſelben Karlchen- Misnidhüte mit dem
wallenden Touriſtenſchleier, welcher im. leichten Luftzug
die geröteten Stiernacken fächelte — Dide, friichfarbige,
ganz gleichmäßig arinjende Geſichter mit Najen, als habe
man einen Sıchlagbaum hochgezogen, und vier riefengroße
rote Faͤuſte, welche je eine Piane. des Baunes als Stutz⸗
punkt umfrallten!
„Outen Morgen Fran -o flang’ a tempo aus
dem Munde der diden Kerle, und beide Strohhüte n
bornüber.
„Outen Morgen, meine Here nickte Aglaë, —
ernjthaft oder lächelnd fonnte Hans. nicht jehen, denn ſie
sepor —
kehrte ihm den Rücken zu, aber fie büdte J
und pflücte noch ein paar Stengel PBeterfilie
„Bir fommen wegen der Frau Burkh ardt“ Klang’
doppelſtimmig über den Baun.
„Ah jo!” — Die Vicomtefje von Saint [orain trat
einen Schritt näher und mußte wohl oder übel cine der
Hände ergreifen, welche ihr jtoßvogelartig entgegenſchoſſen:
„ort freundlich von Ihnen, daß Sie fid) erfundigei,
Gott jet Dank geht es unjerer teuren Kranken ganz nach
Wunſch, und farm man ihr nun mit aller Beſtimmtheit
zu der vorzüglich gelungenen Operation gratulieren. —
Sind Gie denn ertra wegen diejer Anfrage von Adlerhof
herüber gefahren: ? — Dann bitte ich doch), daß Eie näher
treten!
„Ach nein, — näher treten jollen wir nicht, — Mama
fürchtet immer noch), es fünne anjteden!” — wehrte Dol-
phele ängitlich ab, und das fühnere Wolfele machte ein
verliebte Geficht und fuhr fort: „Die Hauptlache war’3
ja, daß wir Sie jahen, Frau Aglae!
„So? — Mecht allerliebit.“
„Den Profeſſor werden wir ja noch ſpäter fennen
lernen, wenn Mama ihn einlädt! Er ift doch ein be-
rühmter Mann jet, und Mama meint, er fünne einem
vielleicht nod) "mal nutzlich fein!“ |
„Sa, ein jehr berühmter Mann!”
„Und verdient wohl auch ein Heidenged? Mama
jagt, die Doktoren jchneiden den Patienten lauter Gold-
ſtücke aus den Rippen!“ inquirierte Wolfele mißtrauiſch
Ta
„Profeffor Burkhardt ift bekannt wegen feiner über
großen Wohltätigfeit, da bleibt nicht viel von dem jaucr |
erworbenen Geld für ihn übrig.”
„Sehr. dumm von ihm! — entrüftete fich Bolphele,
fein Zwillingsbruder aber warf fich in die Bruft, dağ
der weiße Strohhut nach hinten flog: „Alfo gar feine
gute Partie! Mama jagt, von der Ehre allein lebt
man nicht, und die berühmten Leute ruten meiſt darum
auf ihren Zorbeeren, weil fie die Betten verſetzt ON
„Aber Herr Grauchenwies!!“
„Wie lange bleibt er denn noch hiar
„Hoffentlich recht, recht lange!” ——
„Sie haben ihn wohl fehr gern, was?!”
„Schr gan!“
„Die Siebe allein nacht aber nicht fatt, und Cie
haben doch gar nichts mehr, ſeit hr, M tamt und Nater
durch die Lappen find?” a |
‚ein, gar nichts mehr, faum nod) Gebußo!i n
amüfierte fich die junge Frau mit hochroten Wangen,
nickte, al ob fie zwei Kinder abfertigen wolle, und wandte
jich zum Gehen. |
„rau Aglaë!” o
Wunſchen Sie noch etmas 2”
„Sie haben jo fchöne Rojen im Garten!”
„Die darf ich nicht abſchneiden!“
„Beben Sie ung Doch irgend etwas in das Knopfloch! i
„Sleicyviel was?”
A tempo dröhnten Die beiden Fetiyranien auj ben
u
ſteifgeſtärkten Vorhemden Dolphele und Wolfele be—
teuerten mit breit gezogenen Mäulern und einem Schlag n
auf die Männerbruſt „Ganz Wurit was! — Rem
Cie ung nur em Audenten geben! Mama meint naͤm⸗
U g a \ | 2
Sie ſtießen fig abermals gesefeig — an und
verſtummten
Sie meint nämlich? . un, mas meint K denn‘ Be:
Wolfele faßte Mut: „Sie hätten ein Muge auf den Proz ä
— geworfen und wollten von andern nichts.
Wir ſollten uns nur feine Schwachheiten einbilden .
wir wären ja ganz dumme Buben gegen Cie...
Aglaë late hell auf: „Um jo mehr fanu ich Ihnen
doch eine harmloje Freude bereiten! Sehen Sie mal,
welch eine ſtolze Dekoration ich Ihnen verleihel Friſch
und eigenhändig ausgezogen, = — im Knopfloch gez
nau aus, wie eine T — Hier ſchmücken
Sie fig!" BR |
Die junge Frau hob fih ibermütig gef die ———
und reichte zwei dide, rote Radieschen empor, welche mit
ti
triumphierendem Ah!“ Der Srinat iring in mr e
genommen wurden. —
„Und Sie meinen — ins Knopfloch““
„Semiß !”
„Wein Hemer Nettig jieht aus wie ein Herz!“ pe
merkte Wolfele Iyrifch. Dann quetichten fie das Kraut
durch Die Sinopflöcher, daß die grime Drie in den
mere Nanfing flok.
— pöl
„Sieht fehr apart aus!” —
„Biloihön —!”
„Adieu meine Herren — glüdliche Reife!”
„dien, Frau Aglaë, ſchönſten Dant!” — Die
Strohhüte ſchwippten, die Radiesſchwänzchen zitterten
in die warme Luft hinein, und die blauen Schleier
wallten; dann dudten die Söhne der Frau Crescentia
in den Graben zurüd und waren entichwunden. — —
— Hans aber amüfierte ich föniglich, die Bekanntſchaft
des landberühmten SU Nennen per distance gemacht
zu haben. — —
— — — — — — — — — — — — — — — —
Und auch jetzt lächelte er in dem Gedauken an dieſe
fleine Scene. — Er Hatte feit der Zeit die beiden Nitter
ohne Furcht und Tadel öfters in der Nähe des Moos—
dorfer Partes und Echlojfes herumpirjchen fehen, und
Agla mit ihren beiden Anbetern genedt; fie hatte voll
Humor geantwortet und nur jchmerzlich bedauert, daß
ihr die Wahl zwiſchen den beiden Inſéparables fo fehr
erichwert werde, einer fei genau fo unmiderftehlich wie
der andere! Etwas ernithafter aber hatte fie eines Tages
bemerft: „Segt, da ich den Wert und die Maht des
Geldes kennen gelernt, bedauere ich um fo jchmerzlicher,
wenn fih fo viel Kapital unter Händen anjammelt,
welche nicht angetan Im, ihm ——— Verwalter zu
ſein“ —
Er lächelte. „ch alaube, Aglaë, Sie ſehnen = im
N v Eihftruth, IA Nom. u Nov, Comöpdie II. 30:
562 ~
ſtillen doch nad) ihren | Millionen urii, wenngleich —
die Zeit ihres Reichtums als eine unglückliche e pers
forene bezeichnen”
Sie en jählingS empor, ihr Auge leuchtete heiß
auf. O Dans, was gäbe ich. darum, hätte ich jebt all
das Gelb, welches ich ehemals fo ſinnlos vergeudete |” —
„Bas würden Sie damit beginnen 2“
Sie wandte fich) erglühend ab. „Das jage ich nicht!“
Der Profeſſor aber dachte im Herzen: „Gott fei Lob
und Danf, daß jene Beit und jenes Geld unmiederbringlich
ind, fie waren Die feindlichen Mächte, welche dich von
meinem Herzen getrennt!”
Nachdeuklich blies Hans die blauen Dampfwöltchen
feiner Cigarre in die flare Sonnenluft hinein. Ein leichter
Windhaud) regte jlüfternd das Piatanenlaub über feinem
Haupt, und die Stirchgloden verſtummten mit einen
lebten, weichzitternden Klang. Still und feierlich lag
die Welt im goldigen Strahlenglanz. —
Warum zögerte der Profeſſor noch, um die Heiß:
und Treugeliebte zu werben und fie zu eigen zu nehmen?
Hatte er nicht ein glänzendes Ziel erteicht, hatte er nicht
Daheim ein bereits anjehnliches. Vermögen eripart, mit
welchen: er, dem Bater zur höchiten Überrafchung, Die
Moosdorier Hypothek abtragen wollte? Nannte man
jeinen Namen nicht in der ganzen Welt voll Achtung g
und Dankbarkeit? Seinen einfachen, ſchlichten Namen,
5
den wohl ein Lorbeerfrang des WVerdienftes, aber feine
Krone und fein Wappen jchmüdt! — —
Das war es — Ihn klingt Aglass Stimme noch
fo unvergeſſen in den Ohren: Michts, nichts will und
verlange ich von meinem Mann, als eine tange Ahnen: |
reihe und einen vornehmen Namen! aoo |
Das ijt jedoch lange her. — Eie fand den. Gauen,
welcher ihr das Erſehnte bot, und welcher ſie dennoch
unglücklich machte, elend und verlaſſen bis zur Verzweif—
lung. Jene Aglae ift ko eine neue aber ift auf-
eritanden, und diefe Neugeborene hat abgeichlojfen mit
der Vergangenheit. Was hat ein armeg, fug- und
wehrloſes Weib, welches von dem Erbarmen feiner Freunde
(ebt, noch für Anforderungen zu ftellen? Keine, höchftens
die — glüclich werden zu wollen. — Glüclich nicht
durch Geld und Krone, jondern durd) die Liebe. Der
aber jagt ihm, ob Aglaë ihu liebt? a
Manchmal glaubt er davon überzeugt zu fein, ein
Blick : und wieder und wieder kommen Die unglück—
jeligen Zweifel! — Was jie hier im Haufe gethan —
ift geſchehen aus Liebe zu ihm — oder aus Dankbarkeit
gegen ihre Wohlthäter? — ae
Range genug hat ibu der Gedanke gequält. Aber
die Ungewißheit, Diejes Hangen und Bangen wird ihm
unerträglich. Er will und muß fie fragen, er will es
aus ihrem eigenen Munde hören, ob er wirtlich
Glücklichſten der Menſchen geboren ift!
Und wie nun, wenn fie es aus Dankbarkeit wicht
ee
— 6
wagt, feine Hand auszufchlagen, wenn fie ihr Herz zum
Opfer bringt, um die Schuld abzutragen, BER ſie gegen —
ihn und die Eltern verpflichtet? — =
Entſetzlicher Gedante? —
Hans neigt die Stirn auf die Hand und ftarrt ſchwer
atmend vor fidh nieder. Gibt es denn fein, gar fein
Mittel, um ihr Herz heimlich zu erforfchen und lautere
anche zu erfahren?
Er hat fo viel in. bei Angefichtern der Menjchen qez
leſen Freude, Schreck Glückſeligkeit und Entſeßen, warum
fo er mit blinden Augen vor Aglas ſtehen und es nicht
in ihrem Blid lejen, was fie empfindet, wenn ee
von feiner Liebe prich — | —
sa, er will forſchen, lejen und enträtfeln, — er will
nicht. an fich, jondern an ihr Glück denken, wenn er
Antwort heiichend in ihr liebes Antlıg fieht. Aber Gewiß-
heit will er haben, er erträgt es nicht mehr, täglich mit
‚der Geliebten zu verfehren, ihre Hand in jreundichait-
lichem Gruße zu umſchließen, ohne das Redt zu haben,
fie faffen und halten zu fünnen für alle Ewigkeit. —
Hans erhob fich haftig. Seime Hohe, kraftvolle Seftalt
wuchs empor in jtolzer fie, feine blauen Augen
leuchteten auf. —
Dort auf der Terraſſe zeigt ibm glass —
Kleid den Weg zum Glück, möge Gott o auäbig
helfen, daß er es fürs roen nipel —
— — —
XIV.
Iſt es — ips ein Wahn? —
2 ‚Rind
A schein. Eein blondes Haar leuchtete noch immer
Wa jo goldflar, wie es Aglaë als Kind oft voll
rien. Entzückens durch ihre kleinen Hände gleiten ließ
und ſprach: Ich möchte weiter nichts von dir beſitzen,
Hans, als diefe gelben Locken! — in die bin ich rein
vernarrt! Dann trüge ich auch ein goldenes Strönchen
und würde juft fo ausjehen wie die Prinzeſſin in meinem
Märcenbuh! Dann fäme wohl ein Königsſohn und
freite mich, und idh würde eine wirkliche und wahrhaftige
Königin, — dağ mire für mich das na en u
Welt!’ — /
Dort auf der. Terraffe, hatte fie es gejagt, > ihr
weißes Kleid ſchimmerte ebenjo, wie e3 jebt wieder durch)
die Dleanderbäume leuchtet. — Seltfam — warum deucht
ihm alles wieder wie früher? — Wird nicht der Kommerzieu⸗
rat im goldgeſtickten Schlafrock dort am Fenfter erjcheinen ?
Wird nicht Fräulein Agathe im höchſten Sopran die
Gnadenarie im Mufiffalon anſtimmen? Hans jchreitet
ochklopfenden Herzens ſchritt er — Some o
= nn >
unwillkürlich lanſemne, als fürchte er, ein hochnafiger
Diener werde ihn auch jet unmirfch anfchnarrn: „Ra,
Junge, was treibft du dich denn ſchon wieder hier herum?”
Der Profeffor ftreicht über die Stirn, als wolle er fih
aus Diefem Traum wegen. Aber er wird immer feben-
diger. Hört er nicht Aglae lachen, fo jcharf und ipöttifch, 3
wie fie es mceiltens that, wenn irgend eine mißliebige
Perfönlichkeit ihren Zorn gereizt, oder wenn fie ihren
Freund Hans mufterte, und jeine fommerliche Pelzmüse,
jeine verwachfenen Hoſen und ſeine zu — e
ärmel ihre unbarınherzige Heiterfeit erregten? —
Welch ein Abgrund zwiſchen ihr und ihm! Die Sohlen: |
des Millionärs, welche ironijch die Lippen Fräufelt: —
„Dottor willjt du werden ? — lächerlich! für mich eriftieren
nur Menjchen, welche jehr reich und fehr vornehm find!”
Wollte er wahrlich in diefem Augenblid hingehen
und um die nämliche Aglas werben, daß fie fein. Weib
werde? — Nein, das will er nicht, denn jene Aglae
der früheren Beit ift unter weißen, dornigen Roſen zu
Grabe gelegt, eine andere aber ift Statt ihrer auferftanden,
Die Steht arm und demütig vor ihm und lächelt mit verz
Elärtem Blid: „Sa, Hans, ih will brav und gut bleiben!“
— Gie reicht ihm die Hand entgegen und fpricht: „Wäre
ich die Kranke, ich würde mich ohne Befinnen Shren
Händen anvertrauen!” — — Und diefe Agla& liebt er
noch weit inniger und leidenfchaftlicher, al3 ehemals das
Kind des Millionärs, welchem die glühende, vergötternde
Schwärmerei feiner Kiuabenjahre gehörte. —
Warum tauchen plößlich all die häßlichen Bilder und
Erinnerungen vergangener Beit vor ifm auf? — Die
Welt liegt jo jonnenlicht vor jeinen Blicken, und dennoch)
fallen düſtere Schatten auf den Weg, welcher ihn zum
Biel all jener Wünſ ſche und ſeiner Sehnſucht führen
jol! — Die Millionen des Baters türmen fich vor
feinem geiltigen Auge anf, — die find es, welche Die
C chatten werfen und fih als oo zwiſchen ihn
und feine Liebe ftellen. —
Narriſcher Phantaft, — mit nen Augen am helfen
Mittag Gefpenfter zu fchauen! — Fort damit! Dem
Himmel fei Dank, mit der Vergangenheit ift abgejchloffen,
das Gold des Kommerzienrats liegt verfunfen und ver:
loren und wird nie wieder zum Geier werden, in al a
Fängen feine weiße Taube gefangen liegt!
Hans hebt voll zuverfichtlicher Entichloffendeit das
jugendſchöne Haupt mit dem Ddurchgeilteten, in Dielem
Augenblick Heig erregten Angeficht. — Lautlos jchreitet
er auf dem weichen Sandweg heran bis dicht an die
—— auf welcher Aglaë unter den Oleanderbäumen
fit. — Ihr helles Sommerfleid,, ſchlicht und ohne jeg-
lichen Rus, nur durch einen frischen, ſtark Duftenden
Heliotropftrauß an der Bruft geſchmückt, ſchimmert ihm
entgegen und zeichnet ihre jchlanfe Figur gegen das
dunkle Blattgrün ab. — Gelbit in Diefem von Der
Dorfichneiderin gefertigten Kleid fieht fie gut und fhid
aus, es haftet ihr ein Bug geichmadvoller Eleganz
an, welcher fih nicht verwiichen läßt, welcher aus
— 568 —
chen Fälen, aus jeder Bewegung umd jedem Schritt
hervorjchaut. |
„Der Ton macht die Mußt — fagi der Franzoſe —
und bei Aglaë ift e3 ihre Art und Weife, welche fie
harakterifiert. Wie fie den Blumenftrauß trägt! Ju
feinem Modejournal fann es graziöjer gezeigt werden.
Das war ihr feit jeher eigen, — Heliotrop! Sie liebte |
ſtets die ſtark duftenden Blumen und fcheint biejer Paſſion
auch jetzt noch zu huldigen
Ihr Antlig iſt tief geneigt und ſieht —— erhitzt — —
aus, ſelbſt die Heinen Ohrchen glühen in dunklem Purpur.
Arbeitet fie? Nein, fie lieft. — Hans jieht weiße Brief-
bogen in ihren Händen, ein großer Umjihlag, beinahe
Dienftformat, mit mächtigem roten Siegel ift von ihrem
Schoß zur Erde geglitten und liegt feitlich an ihrem leide.
Seltſam, von wem mag Aglaë ein Schreiben erhalten
haben? Soviel er weih, brad fie jede Beziehung zur
Außenwelt ab. — Eollte gar der Vicomte? .. ..
Glühend heiß wallt es in Hans empor, — jen Herz,
hämmert jählinga in ber Bruft. — Uber nein — Diejer
Gedanke jollte ihm wohl zuletzt tounnen, ein Maun, der
fein Weib betrügt, beſtiehlt und heimlich verl äßt, wird
nie zu ihr zurüd verlangen, fo lange fie in Armut und
Elend lebt. — Wer aber hat der einjamen Frau fonjt
eine Nachricht zu fenden ?
Wie von einer unerklärlichen Angſt DEN eilt Hans
die Steinitufen empor.
Aglaë hört die Fließen nirichen, fie blidt jählings
empor und fpringt auf, um ihm entgegen zu eilen. Be-
troffen ſtarrt der Profeſſor fie an. Welch eime unbegreif-
liche Beränderung in ihrem Antlig! Ihre Wangen flam-
men, Die Augen jprühen in beinahe fieberhaftem Glanz, und
ihre Bruſt wogt unter heftigen Atemzügen, als ro bie
Erregung fie
zu zeriprengen.
„Hans! —
. Hans!” Elingt
es halb erjtidt
"von ihren Qip-
pen, „weld ein
traumhaftes,
unfaßliches
Glüd! Ich bin
wieder reich,
Hans, jehr, jehr
reich OGott
im Himmel ſei
Dank, nun iſt een
wieder alles ie — — ne
gut!”
Er jteht wie verjteinert, regungs3los, feines Wortes
mächtig. a.
Sie faßt wie trunfen vor Seligfeit feine Hand: „Hans
— börlt du denn nicht, a habe ja wieder Geld! =a
Alle Not ift zu Ende! e | |
Er atmet ſchwer auf umb greift D ber Stim.. Sch
le
begreife nicht — ich kanns nicht verftchen ! 174 murmelt u
er, — und die Worte gleichen einem Aufitöhnen. —
Sie wendet ſich aufgeregt zurück, greift nach dem
Brief und drückt ihn mit zitternden Fingern im feine eib- |
falte Rechte. „Sort auf den Etuhl, Hans! lejen! —
lejen!” — jtößt fie furz hervor, und während er wie
ein Mondfüchtiger in den Korbieifel niederfällt, krampft
fie noch immer die Hände zufammen und preßt fie gegen
die Brujt, mit dem halb lachenden, halb fchluchzenden
Aufatmen: „Nun ift alles, ‚alles wieder gut!”
Wie Echatten weht's vor feinen Augen, und fein
Herz freit auf in bitterem, unausfprechlichem Weh.
Narrt ihn. ein entſetzlicher Fieberwahn? Sft dies wahr
und wirtlich feine Aglaë? Dasjelbe Weib, um welches
er joeben in ‚treuer, zartlicher Liebe werben wollte? —
Cie, die trunken vor Glüd und Eeligfeit vor ihm steht,
weil fie wicder über Gold und Schätze zu gebieten hat?
— — Ihn fröjtelt, er beißt Die Bühne zujammen und
ftarrt über den Brief hinweg auf den ——
an ihrer Bruft.
„So leſen Cie doch, Hans!” — drängt fie unge
tüm — „Sagen Cie mir, ob e8 in der That feine Rich
tigfeit hat, ob ich an dieſes Glück in Wahrheit glauben.
fann!” Da richtet er fid) energifch empor, fchlägt den
Briefbogen auseinander und lieſt, lieft, daß Aglass Vater
jeim Glück in der neuen Welt gemacht, daß er ala ichwer-
reicher _ Iann auf großem Fuß und in zweiter Ehe
Icht, daß er feine Ahnung von den Echidjalen feines
ae
Kindes hatte, bis ihm ein Zufall den ehemaligen Echwieger-
john Saint Lorrain als verfommenen, tief gejunfenen
Abenteurer in den Weg führt. Louis ift bei einer Meſſer—
affaire in einer Branntweinkneipe tödlich verlegt, auf
feinem Sterbebett berichtet er dem Sommerzienrat noch
in frivolfter Weife von Aglass Unglüd. Nun öffnet der
Bater die goldgefüllten Hände und gießt abermals den
funfelnden Segen des Neichtums über fein „armes, kleines
Pechvögelchen“, über das „Bettelfind des Millionärs !” —
In Brüffeler und Hamburger Banfhäufern liegt das
Vermögen bereit, welches er Aglas zum Geſchenk übers
weit; — nun bat alle Not ein Ende, nun ift die junge
ea reich wie ehedem — fie ift ganz wieder Die alte .
Aglaë gonaden! |
— — Hans ließ den Brief fchweigend finfen und
ftarrte über ihn hinweg auf die Sandjteinplatten der
Terraffe; ein abgeknicktes Zweiglein Heliotrop ftarb in
der Sonnenglut, und ein Heiner, grünſchillernder Käfer.
bemühte ſich umjonit, an ben bürren Blüttchen empor
zu timmen.
Nun?” fragte Aglaë gefpannt: „Glauben Cie
wirklich, daß ich das Geld ganz als mein Eigentum be-
2 traten tann ?”
Er schaute auf. So heiß gerötet ihr Autlitz war,
jo geiſterhaft bleich war das jeine: Gewiß, Aglaë, der
Brief Ihres Vaters macht Ihnen ein fürftliches Geſchenk,
mit welchem Sie ganz nah Gutdünfen jchalten und
walten können“
— 572 —
Wie ein leifer Jubellaut rang es fich über ihre Lippen.
„O wie herrlich, wie herlih! — Und ich fann von.
dem Geld auch fo viel ausgeben und verbrauchen, wie
ich will? Sch fann auch das Kapital angreifen?” —
Faſt entjebt ftarrte der Profeſſor fie an, er preßte
wie in jäher Erbitterung bie Lippen zufammen: „Gemi,
Sie haben niemand darüber Rechenſchaft —— als
nur fid ſelbſt!“
Hochaufatmend breitete fie die Arme aus, alè wolle
fie die ftrahlende, blühende, prunfende Gotteswelt leiden-
schaftlich umfangen: „Bater im Himmel, wie danfe ich
dir, daß du mein Gebet erhört halt. — — Ja, nun
will ich die verlorenen Jahre nachholen! Nun will ich
einbringen, was ich verjäumte 7 — 3hr Auge ſtrahlte,
die ganze Geſtalt fchien neu belebt in hohem, aufgeregtem
Entziden. Piöglich ſah fie auf Hans. äh betroffen
trat fie an jeine Seite und hob faſt angitvoll fragend
den Blid. „Hang .. . um alles, fehlt Ihnen etwas?
Warum jehen Sie fo bleih und fo... fo finfter aus?!“
Er fchüttelte heftig den Kopf und wote fich halb zur
Seite: „Die Hitze ijt unerträglich !” jtieß er furz hervor.
„Sa, eg ijt ſchwül, wir werden Gewitter befommen!
Aber —“, ihre Stimme jubelte wieder auf, „ich fühle
jest feine Kälte und feine Gige mehr in meiner Glück:
jeligteit! — D Hans, wenn Gie ahnten, wie brennend
ich mir den verlorenen Reichtum zurücd gemwünfcht habe,
Sie würden mein Entzüden begreifen! Und nun, da mir
diefer ſehnlichſte Wunſch jo traumhaft erfüllt ward, nun
— 193 —
haben Eie fem Wort der Teilnahme, feinen einzigen
Glückwunſch für mich, Hans?” — Wie weich und innig
ihre Stimme Hang. Er vermochte nicht, die Hand, welche
fie ergriffen, loszureißen, aber feine Finger ruhten eisfalt
in ihrer Rechten, und fein Blid traf nicht den ihren, als
-er furz erwiperte: Gewiß
gratuliere ih Ihnen, es
gibt fo viele Arten von
Glück, daß man nie reft
weiß, in welcher Geftalt es d
juft die Träume Der Näch—
iten umgaufelt. Möchte %
Ihnen der Neichtum alles |
erfüllen, was Sie von ihm Mt |
erhoffen, möchte er ſich
treuer erweiſen als in ver- Y t
< gangenen Betea”
= Mglad war fo erregt, |
dağ fie faum feine Worte, X
geichweige deren Sinn er —_
faßte € Sie drückte feine Hand
nur frampfhafter und nicte
wie verflärt: ‚Sa, er wird, er uf) erfüllen, was ich von
ihm erbitte, denn wenn das Geld mein freic Eigentum
it, muß es mir ja gehorchen!” — Gie brad) ab und zog
- haftig die Uhr: „Ob Ihr Bater wohl aus dem Dorf zurück
ijt? Er wollte verjuchen, noch den Schluß der Predigt
zu hören!” |
— 574 —
„Mein, die Kirche ift noch nicht aus.”
„D Hans — Hans, was wird er fagen?”
„Er wird den N aus Amerika zu würdigen
verftehen ! a:
„Zie find verjtimmt, bo — oe Sie irgend
einen Ärger gehabt, ber noch größer war als jetzt bie
Freude? |
Er lachte herbe anf griff nach feinem Hut yni iit
terte den Strohrand zwijchen den Fingern, „Laljen Sie
fich durch meinen Peſſimismus nicht Ihr Junges Glüd
verbittern! Gie wiljen, wenn die Sonne aufgeht, giebt
fie ıhr Licht grell auf eine Seite, damit Die andere deito
tiefer im Schatten ſteht — Es allen recht machen, fann
niemand, am wenigiten Frau Fortuna, die hier ein Herz
unter die Füße tritt, um dort den Leichtfinn noch eine
Stufe höher heben zu fönnen! — Leben Sie wohl,
Aglaë, — — ich bin heute wohl mit dem unrechten Fuß
aufgejtanden, darum will ich mich noch einmal nieder
legen, um den Fehler gut machen zu können!“
Er hatte mit flackerndem Blick an ihr vorüber in die
Ranken bes Pfeifenkrauts und der Clematis geftarrt,
welche an den Säulen empor £letterten und fid über die
Manerbrüftung wie raujchend grüne Wogen wieder zur
Erde herab jtürzten. — Aglaë hatte er nicht angejehen,
er wandte auch jest nıcht das Haupt, jondern ftürmte
jo wild und verjtört davon, als brenne der Boden unter
jeinen Füßen.
Mit großen, weit offenen Augen jchaute fie ihm nad)
Es war, al3 habe fih plöglich eine falte Hand auf ihr
glücjeliges Herz gelegt, jenen Schlag zu erſticken —
Was war es mit Hans? — Hatte ihn der wenig an:
genehme Ton im Brief ihres Vaters empört? — Di:
lieber Gott, er fannie ihn ja Doch und durfte nichie
Beſſeres von ihm erwarten! Cie jelber hatte nur eing
aus feinen Beilen gelejen, — daß fie wieder reid) war!
Dak ihr nun die Möglichkeit gegeben wurde, zu danfen
und zu vergelten all das Gute, was man ihr gethan. —
Nun war ein unbegreiflicher Eifeshaud) von den Lippen
des Freundes geweht, der hatte ihre Freude getroffen,
wie der Froſt Die Blüte, - — Ernjt, nachdentlih ſtützte
fie das Köpfchen in Die Hand. — Warum war Hans
jo jonderbar verändert? Das Herz that ihr weh bei Ss |
dieſem Gedanfen. — Dann richtete fie fih energiſch uf. o0
Shr Blid Hob fidh zum Himmel, und eine freudige Bu-
verficht ftrahlte aus ihren Augen. Das Nätfel wird fich
ja löfen; Hans ſolls erfahren, wie treu und a fie
es nelni.
Das Fenſter im Bimmer des Profeſſors naaa offer
Er jelber jaß davor, hatte Die Arme auf das Fenfters
brett gelegt und das Autlitz darauf gedrüdt; es ging
ein Schüttern und Beben durch jeme fraftvolle Beftalt,
als ob ein verhaltenes Schluchzen ihm die Bruft zer
iprengen wolle. — Aglaë! — Aglaë! — Wie ein Jammer—
ſchrei Hang’s durd) feine Geele. — So freut fidh ein
Mann, wenn er eine Peri zurück zum Himmelreich trug,
wenn er es fchaute, wie ihr die Engeljchwingen wucjen
ses a
und die Lilien in ihrer Hand erblühten, und dann fommt
ein tückiſcher Sturmwind und ftürgt fein Kleinod zurüd
in die Tiefe, damit es in den goldglißernden Flammen
der Hölle abermals untergehe. — Zerfchmettert und zer: —
ftört war das lichte Wunderbild ber Geliebten, und wenn
er zurücddachte an die lebte Zeit, dann begriff er eb
jelber nicht, wie er Narr an eine feelifche Wandlung _
Aglaes hatte glauben fünnen! Nicht ihr geläuterter
Ginn, fondern ihr ftarrer, unverjöhnlicher Stolz hielten.
fie damals zurüd, wieder an einer Bühne aufzutreten,
wo man fie auägezischt hatte. Nicht die Demut, fondern
die zwingende, vernichtende Macht des Elends trieb fie
in das Haus feiner Eltern, und jenes Bild am Wafd-
faß? — — pana: (acht bitter auf. Er fieht Aglaë nicht
mehr ftehen und das. Hemd des Knechtes waſchen — er
fieht fie nur noch hoch und ſtolz vor den Mägden: „Wißt
ihr, wer ic) bin? — Die Gemahlin eines Grajen bin
ich!” — — Nur dieje Worte flingen noh in feinem
Dhr, — alles andere ift verwijcht. — Und ihre Kranten-
pflege? — hr aufopferndes Eamaritertum am Bett der
Mutter ? — Hans reibt fich die glühende Etirn, hinter
welcher die Gedanten fiebern, — haha! Es hatte wohl
auch ſeinen Zweck und Grund! Hunger thut weh, und
Der Glorienſchein einer Heiligen iſt ja ein recht kleidſamer
Schmuck für das Haupt einer Modedame, die fein Brillant:
diadem mehr ihr eigen nennt! — Und um diefe Frau
hatte er werben wollen? Er, der Emporfümmling, der
Bauernjohn, der weder Ahnen, noh) Schild und Krone
FREE ee
belen tann?! — Ein Auffiögnen entringt fich feiner
Bruft, — vor ihm Elafft ein Abgrund — der trennt
ihn von Aglaë, und ihm deucht, daß er ri doppelt jo
breit fei wie früher. |
Stimmen! Unter ihm im Garten. — Aglaë und
ſein Vater; fie ommen den Kiesweg elang und jeben
fich unter die Qinde vor dem Haus, er hört Wort für
Wort. — Haus beißt die Zähne zuſammen und hat dag
Empfinden, alg müſſe er fich die Ohren zuhalten, um
richt dieje weiche, füge — — trügerifche Stimme zu
hören! | |
Papachen —— ich habe eine jo große, große
Bitte an Stel” .
‚Ra dann (08, mein Liebling! Wenn y 3 machen N
tann, erfülle ich fie”
S$ flingt aber ſehr inbiefret, mwas id — möchte!“
BGleichviel!“
„Sie haben Damals Moosbori gekauft, aber den
Erwerb des Gutes nur durch eine bedeutende Sopothet ;
ermöglicht?” |
Der alte Mann jeufzte ſchwer auf: „Ach, Aglaë, Sie
allein wifjen e3 ja, wie fie mir gleich einem Gentner
auf dem Herzen liegt! Die jchweren Ereigniffe der legten
Wochen haben dieje Sorge in den Hintergrund gedrängt,
aber jet, wo ic) täglich aufs neue fehe, daß auf eine
Noggenernte in diefem Jahre nicht zu hoffen ift, Da über-
fällt mich oft eine lähmende Angit, und ich fehe zu ſpät
ein, daß ich etwas unternommen habe, was weit über
No. Eibftrutb, SU. Nom. u Now, Comäbie I. : 37 i
= 978 —
meine Kräfte geht. Die Zeiten find anders geworden,
ic) bin alt und fanu nicht in dem al mit,
welchen das neunzehnte Jahrhundert angejchlagen.”
„Die NRoggenernte ausſichtslos! — Du lieber Gott,
fie war vor etlichen Monaten noch unjere ganze Zuver—
ficht! Sit der Herr, welchen ich damals in dem Wohn-
zimmer gejehen habe, einer Ihrer Gläubiger? |
Burkhardt fehüttelte langjam das weißlockige Haupt,
jeine jtranıme Figur jant noch tiefer zuſammen.
„ein, er hatte von meiner jchwierigen Lage gehört
md wollte mir Kredit anbieten; Gott fei Dant bin ich
dem Halsabjchneider nicht in die Klauen geraten !
~ „Ber find Ihre Gläubiger? Bitte, bitte, lieber Papa
Burkhardt, erfüllen Sie mir den einzigen Wunſch, und
Schreiben € Gie mir die Adrefjen anf” — Gie flang den
= Mem zärtlich um den Mağden des Miten und blickte mit
ſtraählendem Lächeln in fein erjtauntes Geficht: „Nur Dies
eine bitte ich, und ich weiß auch, daß Gie mir ——
dringenden Wunſch nicht verjagen!”
„Aber, liebe Aglaë — ich begreife gar nie. — mas
haben Sie denn vor?”
‚Nur etwas ganz Gutes und Praftifches, was aber,
das ijt vorerjt mein Geheimnis, deſſen Löfung Sie in
ganz furzer Zeit erfahren ſollen!“ a |
Der alte Mann fchüttelte erjtaunt den Kopf: „Wenn
Sie noch wie ehemals die Tochter eines Millionärs wären,
kleiner Sonnenschein, dann würde ich mir recht eigene
Gedanken über Ihr Anfuchen machen, der armen Aglas
— 89
aber, wie ſie da vor mir ſitzt, der kann ich ſchon den
Willen thun! Lieb’ Närrchen, Sie wollen gewiß ein
paar recht drollige, naive Briefe in die Welt jchicken ?
Na, ichaden kann's ja nichts, und wer weiß, was alle3
in Shrem Augen Köpfchen rumort! Kommen Cie mit
zum Schreibputt, wenn Sie denn einmal fo viel wijfen,
mögen Sie auch alles erfahren!” |
Anlass leiſe jubel (nde Stimme klang nod wie ein
Echo zu {hm empor, dann verhallten Die Schritte anf
dem fies, und die Hausthür fiel hinter den Eintretenden
ins Schloß. — Hans aber fak und ftarrte mit zitternden
Lippen in den blauen Himmel empor. — Er durchſchaute
Aalaes Plan. Sie wollte die hohe Hypothek mit ihrem
Gelde abtragen und ihren Wohlthäter durch den zer-
riſſenen Schuldſchein überraſchen und beglücken War das
wirklich eine That edler Liebe und Danfbarfeit, oder
wollte fie einfach eine Schuld abzahlen, um mit Den
Leuten im Pächterhaus quitt zu fein? Um ihnen ohne
Sfrupel den Rüden drehen zu konnen in dem Bewußt⸗
ſein, daß fie ihnen feinen Dank mehr ſchuldet, dak das
Band, welches ſie fo unfreiwillig an die amilie genüpft,
endgültig gelöſt jei?
Heiße Glut ſtieg in Die Stirn des gequälten Mannes
Trog und Bitterfeit, gemifcht mit der leidenfchaftlihen
Angit, die Geliebte freigeben zu müffen, trieb ihn finnlos
hinab in den Hof. Ein Pferd herzu! Che er vermiğt
wird, fann er zur nächjten Telegraphenftation reiten, um |
noch rechtzeitig zum Mittagstiich zurüd zu fein. — Gine
— 580 —
Anweiſung an feinen Bankier, welder als Freund bereits
von dem lang gehegten Plan des Profeſſors weiß, und
die Echuld des Vaters wird gelöfcht fein, che Aglaë einen
einzigen Schritt thun fonnte, ihm dieſes Recht aus der
Hand zu nehmen. Noch reichen die Erfparniffe nicht
aus, um das volle Kapital auszuzahlen, aber der Banfier
wird Das Fehlende vorjtreden, und Hans, deffen Opera-
tion ihn zum we (tberühmten Mann gemacht, wird bald
mit Zinfen zurüczahlen fönnen. Was bat er ſonſt noch
auf der Welt zu hoffen und zu winjchen? Für wen.
foll er jchaffen und arbeitn? Eein Leben ift öde und
leer geworden, Er fteht allein, ganz allein — Wenn
aber Aglas fich auch von ihm losreigen will, jene fleinen,
zwingenden Bande der Dankbarkeit ſoll fie nicht abftreifen
fönnen, der Gedanfe fol und wird ihr bleiben, daß
Burfhartbs Barmberzigfeit an ihr geübt, die Me ver⸗
gelten fann! Das wird der einzige ſchmale Negenbogen
fein, welcher fich für alle Ewigfeit von Herz zu Herz
Ipannt. — Hans fann fie nicht laſſen, nicht völlig auf-
geben, er liebt fie zu innig, zu wubejchreiblich, er fühlt's —
in dieſer Stunde wie eine Leidenſchaft, fähig, ihn dem —
Wahnfinn entgegen zu treiben! — Vorwärts! Borwärs!
Die Hufe klirren auf der harten, ſonneglühenden Chaufjee,
der Fuchs greift aus und jagt dahin, als wiſſe er, dag
fein Reiter die entrollende Gl nee mgr einholen und über-
flügeln will,
— — —
— mee — — — — — — — — — -—— ameme amecae — — — — —
< Dileh, ernft und verjchlofjen ſitzt Ba nebet Aglae
oa
bei Tiſch, er merkt es aus allem, daß fie ihren Brici
porerit als Geheimnis bewahren will, fie flüſtert ihm
mit leuchtendem Blid die Bitte, darüber zu ſchweigen,
ing Ohr. Gie ift fo luſtig und heiter wie nie zuvor,
nur wenn fie den Fugendfreund anlieht, fliegt es wie ein
Schatten banger Sorge über ihr Antlib.
„Hans — find Sie franf? — Ihr Ausſehen ängſtigt
mich!“ fragt ſie ei — u ihm empor, „was fehlt
Ihnen?” N |
Er ſchüttelt finfter das Haupt: „Wie foll mir etwas
fehlen, was ich nie be jejfen habe!”
ee verjtehe Sie nicht!
< üm Jo beiee”
Aglaë neigte das Köpfchen tiefer. Wunderlich! Ihr
Glück ſcheint ihm verjtunmt zu haben; er jcheint zu -
fürchten, daß das Gold jeine alte Wirkung und Macht
auf fie ausübt. Wie foll fie ihn darüber beruhigen?
Worte vermögen es nicht; Die That muß es lehren.
Aljo abwarten und getroft fein, — die Zeit wird fommten,
wo feine Augen fie wieder aublicken werden wie zuvor.
— Auf dem Hof knattern Hufſchlaäge — Ein Bote mit
einem Erpreßbrief an den Heren Brofeffor. — Hans
öffnet mit erftauntem Geficht das Dienitjchreiben, weldhes
den Aufdrud Kabinettsordre“ trägt. — Der alte Burt-
hardt legt Meſſer und Gabel Hin. au?“ jragt er
geipannt. | —
Glut und Bläſſe wechſeln auf dem Antlitz des Lefen-
den. Sein Auge flammt auf in unendlicher Freude.
„Sch bin zum Xeibarzt des Königs ernannt! jagt er
tief aufatinend. Se
„Beige den Brief! — Meine Brille, Anna!” —
Yangjam buchjtabiert der Bater, — plöglich fit er mit
einem Rud ferzengerade. „ung“ rujt er jeierlich:
‚Sie bieten dir auh den Adel an?!”
„Den Adel?“ ftammelt Aglaë mit glühenden Wangen.
Sans fieht ihr feft, beinahe feindfelig in Die Augen:
„Bergeblich, ich — u nicht annehmen.“
Freudvoll und leidvoll —
gedanlenvoll fein,
Hagen und bangen
in fchwebender Bein.
J imen n Augenblid Herrfchte tiefe Etitle, ie
dann legte der alte Burf-
zujammen und blidte den
Cohn mit feinen großen, leuch⸗
tend grauen Augen durch—
Dringend an: „So, du nimmſt
den Adel niht an! ... Hm,
hm! ... und warum jchlägjt
Du ihm aus?“ — —
hob ſtolz das Haupt in den Racen: e
zweierlei Gründen, Bater. Erſtens Habe ich meinen
ſchlichten Namen, welchen ich zeitlebens gottlob in Ehren
trug, und welchen ich zu Ehren brachte, juft fo wie er
ijt, zu lieb, um daran ändern zu laffen. — Er bedarf
feiner Zuthat mehr, um mir die Herzen und Thüren der
achtungswerten Menjchen zu öffnen; er hat, fo furz er
auch jein mag, einen guten Klang, den man weit hin
hören kann, und mehr verlange ich nicht von ihm. Als
— —
pang 7
hardt das Schreiben feierlich
— 584 —
Hans Burfhardt bin ich geboren und will als Hans
Burkhardt jterben. Diejenigen, welche mich darum weniger
achten, verdienen e3 nicht, daß man fich um den Verluft
ihrer Gunft grämt. — Nein, Bater, es ift zu ſehr Ai-
fichtsfache, ſich adeln zu laſſen, und ich gehöre zu den
Naturen, deren Devije: Suum cuique! heit! — Laßt
den alten Nittergefchlechtern ihre edeln Abzeichen, den
Krämern ihr Geld und den berühmten Leuten die Lorbeer:
frone des Verdienftes, — dann wird jeder feinen Stand
zu Ehren bringen! — Shr febt, Die Gnade meines Königs
beruft mi) auc ohne glänzenden Namen in feine nächite
Nahe, — gebe Gott, daß er fie dem ſchlichten van
Burkhardt dauernd- erhalten möge” ei i
„Orav gefprochen, mein Sohn i du ließeſt uns deine
perſönliche Anſicht hören, aber wie wird diefelbe höchſten
Orts aufgenommen werden”
„Gut, Bater. — Dag Anerbieten jollte mich ehren,
und das hat es auch gethan. — Majeſtät fennt Die
Schwäche der Menjchen und glaubte einer Form zu ge⸗
nügen, indem ſie mir eine Auszeichnung zuteil werden
laſſen wollte, welche bei vielen Sterblichen, zumal den E
Strebenden, das Biel ihres Ehrgeizes ift.” |
„on der Umgebung des Königs wird man n dich aber
weniger- zuvorkommend behandeln, wenn du als Bürger-
licher hineingefchoben wirſt“ |
Ein ſeltſames Lächeln |pielte um die Lippen des jungen
Profefjors. Er beftete unwillfürtich den Blid auf Aglaë:
Auch das bezweifle ich, Vater. Ich kenne das ‚Hof leben
— DND =e
nicht, aber viele Perſönlichkeiten, welche dort ſelber eine
Rolle ſpielen, und juſt dieſe haben mir ſtets die meiſten >
Auszeichnungen zu teil werden laffen. Glauben Gie,
Aglaë, daß man im omneo Verkehr dieſes Benehmen
ändern würde?“ -o
Die junge rau hob das Haupt. Sie fah jehr bleich
aus, aber in ihren Augen. glängte es weich und wunder:
jam, jo eigentümlich, daß der feine Bug des Spottes
jählings® aus dem Antlik des Fragers jchwand.
„Kein, Hans, Sie haben ganz recht und wahr ge
prochen!” antwortete fie ruhig und ernit. „Niemand weiß.
es beffer als ich, weld eine lächerliche Rolle man fpiett,
wenn man fih in eine Gtellung zu drängen verjucht,
für we (che man nicht geboren ijt! Sie bedürfen feiner
künstlichen Mittel, um Ihren Namen und Ihre Perjön-
lichfeit zu heben, — Gie jtehen fo Hoch, daß alle Blide
fich heben müfjen, will man den Wann sehen, deſſen
Namen ein Segen für die Menſchheit geworden.“
Dunkle Glut ſtieg in die Wangen des Profeffors,
faſt betroffen ftarrte er die Sprecherin an: „Und das
jagen Sie, Aglaë?” rang es fidh jchier unbewußt von
ſeinen Lippen
Ein wehmütiges Lächeln ipielte um ihren Mund:
„Bewiß, Hans, idh fann ja aus Erfahrung fprechen,
denn ich bin eines jener „Itrebenden” Wejen, welches dein
heimatlichen Boden hochmütig den Rüden fehrte, um auf
dem Parfett jämmerlich zu Fall zu fommen. Wohl Ihnen,
daß Sie Hans Burkhardt bleiben werden, — ich möchte
u
Ihnen dieſes ſtolze —— neiden, wenn ich Ihnen
nicht von Herzen jegliches Glück gönnte!“
Sie erhob ſich und ſchritt um die lange Tafel, dem
altersſchwachen Lorenz, deſſen zitternde Hande den Dienſt
verſagten, das Fleiſch auf dem Teller zu ſchneiden
Schweigend ſtarrte Hans vor ſich nieder. Mechaniſch
bob er die Hand nad) feiner ſchmerzenden Stirn. ES
glühte und hämmerte darin. Was ifta mit Aglaë? Er
kann's nicht faſſen — Seine Worte, welche ihren Stolz
empfindlich treffen jollten, welche er gejprochen, um feinem
inneren Eturm Luft zu ſchaffen, welche ihr zeigen follten,
wie fchroff er gegen eine Götendienerin des Hochmuts
und des Stolzes Front macht, — dieje Worte prallten
ab wie cine ſcharfe K linge auf weicher Ceide. Er ſtand
entwaffnet, und ihre ehrliche, weiche Stimme, welche noh
vor kurzer Beit über den unerwarteten Reichtum gejauchzt,
die warf ihn durch dieſe wenigen Worte zurüd in den
Wirbelfturm ungelöſter Rätjel, welcher jeden Kero und
Faſer feines Körpers fchüttelte! — Er erhob fih jählingg
und verließ das Zimmer, um den reitenden Boten abs
äufertigen.
Bater Burkhardt Hatte nicht viel Außergewöhnliches
im Leben erfahren. — Ein Tag glich feinem Inhalt nad
jaft genau dem andern, wenn auch Diefer Regen und
jener Sonnenichein brachte! Da war wohl nie etwas
überrajchend oder plößlich gefommen, da hatte nichts das
ruhige Gleichgewicht des foldatischen Landmannes geftört,
580
und min wirbelten plößlich die Wochen daher, wie ein
buntes Bilderbuch, welches auf jedem Blatt ein neues
Wunder zeigt. Sein Hans war ein weltberühmter Mann
geworden, er war in der That ein Gottgefegneter, deſſen
Gelehrſamkeit und Wi en dem jehlichten, alten Mann
fchier übernatürlich deuchte. Seine Grete war durch des
Sohnes Hand dem fichern Tod entriffen. Der König
berief ihn zu feinem Leibarzt und wollte ii jogar zu
einem adligen, vornehmen Herrn machen, weit vornehmer
als alle Leute, welche der Pächter bislang kennen gelernt.
Das war geradezu unfaßlich, aber jo eritaunlich, wie der
Brief, welchen er ſoeben erbrochen und geleien, jo o
itaunlich war noch nichts zuvor geweſen! |
Daß fein Hans ein fuger und berühmter Man n war,
das hatte er nun mit Augen geſehen und fich Davon über
zeugt, daß aber er, den er ftet für einen armen Echludfer
gehalten, auch ein reicher Mann war, das fam jo über-
rajchend, Daß e3 für den alten Kopf fajt zu ‚viel war.
— Rcd! — So rei, ai er die Hypothek auf Moos-
dorf abzahlen tomte! — Wars zu faffen? — Er hatte
mit feinem Doktorkram in wenig Jahren mehr verdient,
als fein Vater in jeinem Schweiß Beit feines Lebens ?
mn Ja, wenn er eg nicht ſchwarz auf weiß Dofumen-
‚tiert in Händen hielte, er würde es für einen \hönen,
wunderbaren Traum halten.
Sp aber war es leibhaftige Wahrheit, und dieſelbe
traf den Alten fo unvorbereitet, Daß er unter der Wucht
ſolches Glückes zuſammenſank wie ein ſchwaches Kind. —
Er legte ſchweigend den Kopf auf die Schulter des
Sohnes ‚ große Thränen ramen über Die. runzligen
Wangen. Und Hans jchloß Die marfige Geltalt fejt und
zärtlich an die Brut: Sollſt nicht danfen, Bater, du
allein bijt es, dem id) alles zu daufen habe, was ich bin
und erwarb!"
- Burthardt nitte mechanifch vor fi Hin: „S ift nur
ein gar zu harter Weg gewejen, den ich dir bejchieden
hatte, und wenn er aud) Das ſeine gethan hat, dih zum
Rel zu bringen, jo liegt's mir doch) immer ſchwerer auf
dem Herzen, je mehr ith dran zurückdenfe. — Erit der
Mutter Kranfheit bin ich ein ichlapper Kerl geworden,
Jung’, und daß du jegt daherkommſt und mir mein
liebes Moosdorf freifaufft, Das läßt den Krug überlaufen !
— Herrgott im Himmel, ich hab's ja gut gemeiut, Hans,
als ich dir dein Waterhaus verilo jeo Pit zum
ganzen Miann machen wollen!“ |
„Das weiß ich, Bater! Juſt Die rechte Arigi haft
du getroffen, fie jchmedt ns aber pe a Berg i und
Seele ſtark!“
„Sp wie bei Der Yglaë. — Bon Sinde an, wo jie
hilflos in der Welt ftand und aus eigener Kraft vorwärts SS
mußte, da fam fie auf den rechten Weg.” —
„Wahrlich auf den. rechten p“ — | ;
Burkhardt hörte nicht den herben Klang in des Soßnee
Stimme, er antwortete ihm auch nicht mehr, denn Aglaë
trat haftig aus dem Haus und fchritt den Herren zögernd
entgegen. Sie ſah ſehr bleich aus, ‚ihre Augen ‚waren
— 589 —
leicht gerötet, ala habe fie geweint. „Iſts wahr, Sans,
daß Sie die Hypothefen abgetragen haben ?” fragte fie
leife, mit beinahe angjtoollem Blid. —
. Ihm war plöglich der Hals wie zugeſchnürt Um
ihrem Auge nicht begegnen zu müſſen, faltete er voll
großer Umftändlichfeit Die einzelnen Schriftitüce zufammen. —
„Das veriteht fih! nice er: „Diele Überraj ihug hatte
ich fange geplant, und heute, wo ich fie rea (ifieren. fonnte, a
ijt mir ein ähnlich großer Wunſch erfüllt, wie Ihnen
fegthin am Sonntag. Gratulieren Sie mir nicht Dazu! De
Nun fah er fie dennoch an, beinahe troßig, wie ein
Kind, welches einem andern den Wettlauf ftreitig macht.
—Gewiß gratuliere ich Ihnen, Ihnen ſowohl wie Ihren
lieben Eltern! Wenn ich auch eine der ſchönſten Hoffe
nungen dadurd) aufgeben muß und viel bejjer gethan
hätte, Cie bei Zeiten zu meinem Vertrauten zu machen,
fo fann ich Ihnen, dem Ahnungslofen doch nicht zürnen,
daß Sie ein fo gottbegnadeter, reichgejegneter Mann
find! — Cie bannte gewaltfam den wehmütigen Ernſt
aus ihrem frijchen Geſichtchen, ſetzte ſich neben den Pflege⸗
vater und nahm herzlich deffen Handi in die ihre. „, Sapachen
Burkhardt, was haben Ste denn zu Ihrem Hanjel gejagt: 2
icherzte fie, „mun hat er die ‚hundert Thaler‘ doch nod
heimgebracht und hat Wort gehalten in allem und jeden
— und ich, Die damals jo zuverjichtlich mit Ihnen wettete,
was befomme. ih zum Siegespreis ? 1” _
Der alte Mann lachte ſchmunzelnd vor fidh hin. „sa,
Sie Prachtweibchen! Eie haben dem Schlingel ja ftetë
die Stange gehalten, und wenn Sie's nur nehmen wollten,
dann wüßte ich jhon ein Löfegeld für mich und meine
verlorene Wette” — |
Hans war aufgejtanden und mit den Briefen zum
Haufe geichritten, wie ein Unfinniger eilte er Durch Die
Hinterthür in den Garten hinaus, guerfeldein zum
nahen Wald. — Dort hatte er als Knabe jo oft Ruhe
und — gefunden, wenn es in jemen aum
ftirmte, — — — | ee
Zwei Tage waren ver, jan gen en war aus⸗
geritten und ausgefahren, — er vermied e3, Aglaë zu
begegnen oder mehr al das nötigſte mit ihr zu Iprechen.
Sie hatte e3 feinen Eltern mitgeteilt, welch märchenhaften
Soldregen ihres Vaters Hände über fie geitreut md
Bater Burkhardt, welcher die junge Frau durchaus nicht
allen reiſen laffen wollte, hatte fogar erklärt, er jelber
werde zu ‚ihrem Schutz die Fahrt mitmachen, wenn Hans
feine Zeit mehr dafür erübrigen könne. — Da wurden
denn eifrige Vorbereitungen getroffen. — Eines Abends.
war Aglaë zu dem Profeſſor herangetreten, alg er
Schweigend feine Zeitung las. — „Nur ein Wort, Hans,
eine ehrliche, offene Antwort! Cie jind jeht Mitbefiger
von Moospdorf, wollen Cie es bei Ihrem Water befür-
worten, daß ich das Schloß von ihm zurückkaufen fann p
— allein das Schloß — feinen Landbejig.” =
Hans atmete tief auf. „Unmöglich, Aglaë — ich
habe bereits über das Gebäude verfügen müjfen! mo
Inwiefern ? |“
— 591 -
„Das will ich Ihnen ehrlich jagen. — Um die Hypo:
thefen von Moosdor} abzutragen, mußte ich alles, was
ich erjpart, opfern. Meine dee, in der Stadt eine
KUlinif zu erbanen, wo ich unbemittelte Kranke billig aufs
nehmen famn, ift vorerſt noch BRAUSTONEDRN, Ich Habe
mm die Abjicht,
das hieſige, fo
völlig unbenuützte
Schloß zur Kur—
anſtalt ein zurich—
ten. Mein eriter
Aſſiſtenzarzt
übernimmt Die
Leitung, und ic
fam die paar
Stunden - Eilens
bahufahrt dran-
geben, um die
notwendig wer—
denden Vperas
tionen perſönlich zu überuchmen“ — Gie ſah ihn
mit ſtrahlenden Blick an und nickte Fchweigend vor fidh
hin; daun ſchien thr plöglich ein Gedanfe zu fonmen,
erregt hob fie das Köpfihen. „Kommt auch Schwefter
Amélie hierher?” fragte fie Haftig. —
„Nein, von ihr trome ich mich nicht.“ — Gelaffen
hatte er e8 gefugt, jeßt ſchaute er fie betroffen. an. Welch
jonderbaren Eindruck machten feine Worte auf fie? Juſt,
als habe fie ein Schlag getroffen, zudte fie zufammen, |
Das Blut wich aus ihren Wangen, und die kleine Hand,
welche fie auf den Tiſch ftüßte, zitterte. Aber, nur einen
Moment ;
„Sit die Unterhaltung iola emer Privat init fee |
fojtipielig ?” — fragte fie leije. | —
Es kommt darauf an, ob fie arne r reiche
Patienten beherbergt. Meine Abficht war es, die unz
bemittelten Kranfen jo billig wie möglich unterzubringen,
fie nicht. nur zu heilen, jondern auh während ihres
Aufenihalts zu logieren und zu beföftigen. €s gibt fo
grenzenlos viel Elend in der Welt, und gerade meine
firanfen bedürfen fo viel barmberziger Prlege, wie fie
dieſelbe niemals in den Hütten der Armut finden fönnen.
Die Ärmften der Notleidenden ganz als meine Gäſte
aufnehmen, fann ich jegt noch nicht, jo Gott will aber
jpäter, denn das Freiquartier im Schloß Hilft wohl
etwas, aber nicht viel. Vergeben Cie mir meine ab-
Ichlägige Antwort im Intereſſe der Unglüdlichen, liebe
Aglaë. Ihnen fteht ja nun die weite Welt offen, und
für ein fo junges, Frohfinniges Wejen wie Sie ift eine
amüjantere Sommerfriiche gewiß paſſender, als die Cin-
Samfeit von Moosdorf. Haben Eie jon Pläne gemacht,
wo Sie fünftighin ihr Domizil aufichlagen wollen? —“
Seine Stimme Hang unſicher, er griff le mo
die rafchelnden Beitungsblätter. — a
„Pläne wohl, ich möchte Ihnen aber erſt eine dciz
nitive Entjcheidung mitteilen.“
me
— viel ih weiß, möchte der jegige Befiber Ihres -
Baterhanfes in der Reſidenz gern dasſelbe verfaufen.” —
Gie jah nachdenklich vor fih nieder; noch immer
bfeich und ernſt „Sch glaube nicht, daß diejes palais-
artige Gebäude meinen Wunſchen entiprechen würde,” —
Dore erichien und rief die Sprecherin ab, und Hans
itarrte in tiefen Gedanken vor fih nieder und grübelte
vergeblich, warum der Name der Schweiter Amélie einen
jo anfallenden Eindrud auf Mglaë gemadht. — — —
= — — — — Langjiam jehritt Hans die jonnige
Chauffee entlang, dem Walde entgegen. In zwei Tagen
wollte er nach der Nefidenz zurückreiſen, denn der hiefige
Aufenthalt wurde ihm unerträglich. — Aglas war ihm
zum. Nütjel geworden. Ein Sturmmwind der Leidenjchaft
war voll wilder Heftigfeit daher gebrauft und hatte ihn
jählings aus einer Bahn gejchleudert, vor deren Hiel er
bereits jtand. Die Widerjprüche in den Worten und
Thaten der jungen Frau waren ihm unerflärlich; jein
Glauben an ihre Wandlung war erjchüttert, und er.
harrte voll fiebrifcher Aufregung der Stunde, wo fie ſich
von feinem Glternhauje abwenden werde, um zurüd zu
fehren in die elegante, glänzende Welt, die Jahre nach⸗
zuholen, welche fie jo fläglich vertrauerte. — Die Jahre
nachholen! Hatte fie es nicht jelber gejagt? D fönnte
er ihre Worte — ihren Jubel über den neuerftandenen
Reichtum vergeffen! Wie ein Dämon faßte diefe Erinne—
rung das Bild der Geliebten und zog es in den giftigen
Dunftkreis zurüd, wo er es ehemals, gold- und juwelen-
Sn. FORAT SL Rom. u. Fton., Comddiell. GE 88 —
am
blißend, als ewig verloren betrauerte. Die fürftliche Billa
ihres Baters entipricht nicht ihren Zweden! — Weld
einen Zweck verfolgt fie? — Mag fie der Vergangenheit
wegen nicht in die Nefidenz zurüdfehren? Will fie m
einer anderen Großſtadt deſto glänzender und anſpruchs⸗
voller auftreten? In den vornehmſten Kreiſen als Bi-
comteſſe de Saint Lorrain Triumphe feiern? Der Name
ift uralt und arijtofratifch, gleichviel, ob der legte Träger
desjelben in den falifornijchen Goldgruben fein entehrtes
Dajein endete. — Neuer Adel imponiert Aglaë nicht, fie
hat als Baroneſſe Lehnberg allzu traurige Erfahrungen
gemacht, darum wird fie nun voll Eifers juchen,
kraft ihres Vermöt geng eine neue Ehe au 1 ihließen, einen .
neuen Namen zu erfaufen, welcher alles gut macht, was
die beiden andern verfchuldeten. — Hans thut das Herz
jo weh, als wolle c verbluten an unlihtbarer Wunde.
Cr jieht nicht auf, als ein Wagen herzurollt, er heut
erit jeinen eiligen Sch ritt, als derſelbe vor ihm hält
und jeine Snjaf ffen, plump wie Die Mehlſäcke, zur Erde
wuchten. —
Dolphele und Wolfele! — Einer fo unſchuldsweiß
gekleidet wie der andere. Dicjer fo innig zuthunlich,
wie jener! |
Die Borjtellung Hält nicht lange auf, und große
Umſchweife werden auch nicht gemacht; das Brüderpaar
ſchließt ſich in ſe Ibftverjtändficher Kädhitenliebe Dem einz
jamen Spaziergänger an, und Bolfele kommt a: auf
des Pudels Kern zu ſprechen =
= ho
Wir möchten Sie e etwas über die Gräfin =
Aglas fragen, Herr Profeſſor!“ De —
Hans amüfiert fich, ohne es zu wollen. „Bitte, meine
Herren, ich ftehe ganz zu Ihrer Verfügung!” —
— 596- —
„Eijerfüchtig brauchen Sie ja nicht zu fein — ſahrtt
Wolfele treuherzig fort und ftampft ſchweißtriefend im
heißen Sonnenjchein auf ftaubiger Chauſſee, „Die Aglas
rechnet nämlich nicht auf Cie, weil Sie ſchon eine andere
Beziehung in der Nefidenz haben, das hat Mama jehr
flug erjorjcht, als fie von einer barmberzigen Echweiter
— Prach, die naͤchſtens herkommen foll! Da merkten
r, daß das Ihre Auserwählte ift. Na, Ste find ja
is reich) und brauchen nicht auf Geld zu jehen; Mama
will aber, daß wir uur cine jehr reiche und feme Frau
nehmen jolen! m —
„Sp jo! und da haben Cie es auf ajar Lorrain
abgejehen ?” o
„Bir beide ſchon langel ana aber erit, lele
weiß, daß auch Geld im Hintergrund we =
„Bed? — Woher, um a in t dor X Belt, wijfen
Sie Das?!” |
Dolphele lächelte nern. Run, Heller war doch
die Gräfin beim Mammele und ‚hat ü über den Vertauf der
Branerci geſproche — 9°
Hans ſtarrte den Sprecher groß an. Die Gräfin
will die Brauerei fanjen? X — |
„Sa, gewiß! Mus mancherlei Gründen! Erſtens
hat fie gejagt, die Brauerei ärgere den alten Burkhardt
und nchme ihm die Arbeiter weg. Und zweitens wolle
jie jelber nicht aus dieſer Gegend und von ihren lieben
Pflegeeltern fort, und drittens will fie die großen Brauerei-
gebäude in ein Krankenhaus umwandeln, weil Sie im
— 597 —
Moosdorfer Schloß eine Klinik errichten wollten! Da
follen die armen franfen Leute bei ihr aufgenommen und
gejund gepflegt werden, weil Gie fih das jo wünjcen,
und aus lauter Chriitenliebe follen wir ihr die Brauerei
verfaufen! ‚Ein rechter Unſinn!“ jagt Mammele, —
Geld kann — angewandt werden!” —
Dolphele puftete und blieb jtehen, er fab dunfelrot
aus vor Hige, und fein dreifaches Kinn glängte wie mit
Speck gefchmiert. Hans aber ftand ihm regungslos gegen:
über und fchloß momentan die Augen, wie einer, den
ein jäher Schwindel erfaßt. — Herr des Himmels, follte
dies wahr fein? — Eollte ein jolh unbejchreibliches
Glück möglich fein? Hätte er Agla& wahrlich fo bitter
Unrecht gethan? — — — Da er nicht antwortete, era
griff Woljele wieder zutrau lich das Wort. en
„Seit nun Mama weiß, daß Geld da ijt, meint fie
auch, wir fönnten die Gräfin nehmen.”
Wir? — Wollen Sie gleich beide die junge —
heimführen?“
Der Gefragte fragte ſich befangen hinter dem Obr:
„Sa, das iſt's ja!” ſeuſzte er, „wir möchten fie beide
gern, aber den Dolphele un die Enticheidung ges
troffen.”
„Ah, in wien? - — Bitte erklären Sie!”
„sa, leben Sie, Herr Profelfor, wir wollen fie alle
beide haben, aber zunten wollten wir uns auch nicht
gerade darum. Da ſollte die Gräfin entſcheiden Wir
ginaen, an die Sartenheite in ae fauerten or |
— 598 —
anf und baten fie um etwas fürs Knopfloch, Nun
dachten. wir, fie wirde vielleicht einem eine rote und dem
andern eine weile Roje fd jenten. Und der die rote Blume
befam, der folle fie heiraten! — Tas war ſchon früher,
ehe wir wuften, dap fie Geld Br Aber fie gab uns
feine Rofen!” ya
| „Sondern: r” Hans immi nur mähfem ernit bleiben.
Rurswei floh, schen!” — mannzten die Freier kläglich
n wie fatal! Und die jahen beide rot aus?!”
- „Sa, leider! Aber wir fanden einen amg a
Ich bin begierig!!”
„Bir feßten uns an den Chauſſ —— und ſchnitten
die Radieschen auf Wenn eines wurmig war, dann
gatte der Betreffende verloren!”
„Bravo! Außerſt ſinnreich! Und wer hatte Die Madar
um wer das große Loos gezogen?”
„Sie waren beide murmig! — — Boliele jeufzte
fo ſchwer auf und ſprach mit ſolch dumpfem Pathos,
als citiere er die tragiſchſte Stelle des Hamlet: „Sein
oder nicht fein?” — ‚Nie waren beide mung“ —
„Entjeblich! Uud wie fuchten © Sie nun bisjen goror
Knoten zu löjen?” en
Ginen Augenblick herrichte, onen, dann blickte
der Zwilling Wolfele feierlich gen Himmel und murmelte 5
dumpf: „Nun zählten wir die Maden! — Zn meinem
Nadieschen frabbelten nur zwei, in Dolpheles aber drei.
— Aglas jeiber Hatte entschieden, und u wird a
anhalten !” |
— 599 —
„echt ſalomoniſch!“
Wie meinten Eici Dur
„Salomon bedentet „weije 7 — Hans zog mit
ſtrahlenden Augen den Hut vom Haupt und lieh Die
frifche Luft des Waldes, in welchen fie foeben eintraten,
tief atmend um die Stirn wehen, Ihn war's, als ob
ifn © Diefe Luft hoch zum Hinmel trüge, als ob er wie
heugeboren die herrliche Sotteswelt eingaum zum eritenmal
erichaute; ‚ein jauchzender Übermut erfaßte ihn: „Wann
tollen Sie denn nun anhalten, ‚Herr: ae
„Sa — deswegen famen wir eigentlich, — ſeußlte
Dolphele beflommen, „ic weiß nicht, wie ich die ade
anjtellen fol! Schüchtern bin ich ja nicht gerade, aber
es ift doch der erite Heiratsantrag, welchen ich mache,
und da fürchte ich, in meiner Rede ſtecken zu bi ben?
„Eine Rede? Scharmant! Was wollen Cie denn fo
ungefähr | jagen ?”
Der Eheſtands kandidat trocknete ſchon jeht den Raul.
Schweiß von der Stirn. „Sehen Gie — das weiß ich -
eben nicht! Die Damen verlangen jo etwas immer poetiſch,
und dafiir. habe ich gar fein Talent. Sch dachte, wenn
ich ihr vielleicht fagte, wie viel Tonnen. Hir Mammele
jähr! ich verfauft, and Daß fie fün itighin — i meine
Die Mylas — immer jo viel Bier trinten kann, wie fie
nur mag — — glauben Sie nicht, daß ihr das em:
leuchten würd De?” on |
Hans zuckte ernfthaft die Achſeln: „Ich fürchte, dap
dieſe Liebeserklärung zu proſaiſch it. — Sie müſſen doc)
— ‚son a |
bor allen Dingen der Dame ‚Tagen, daß Gie febr bet-
liebt find!” |
„Sehr verliebt bin? Ja das ift gar nicht fo
ſchlimm, ich hatte ja nur die meiften Maden! — Und
dann .. . ih fann fo etwas wirklich nicht über die
Tippen bringen und meine doch — das muß fie ſich allein
denfen! Wenn th fie heivaten will, wep jie boh, daß
fie mir gefällt!” |
„Sehr logisch.”
Wie meinten Ste?
ogiſch heißt richtig! — Wenn Cie — aber —
zu einer mündlichen Grtlärung entfchließen können, warum
í reiben Sie nicht an die Gräfin? In einem Brief
können Sie doch nicht ſtecken bleiben!“
Dolpheleẽ Augen leuchteten auf, und auch der jchwer-
miütige Wolfele hob lauſchend fein — Deu
Das ift ein Gedanfe!!“
„Was fol ich aber jchreiben? — Vielleicht bag
Gedicht: „Ein Tannenbaum ſteht enjan” - — das rührt |
die Damen immer fo jehr!”
„Rein, es mug Original fein!”
„ie meinten Sie?”
„Original ift etwas Selbſtverfaßtes!“
Dolpheles Haare jträubten ih: „Bidten? Id
fol dihten?
‚„Bewahre, Sie können auch in Proja en post \ |
Dinge jagen!”
Einen jähen Se, zufol ge Ichlangen . — Zwillinge z
— 61 —
ihre Arme fo ungeſtüm um den Nacken des Profeffors,
daß Diefer feine ganze Kraft anftrengen mußte, um nicht
unter jolcher Centnerwucht von Fett und Wohlmwollen
zujammen zu brechen.
vLieber, herrlicher Herr Doktor! Ste find Doc ein
fluger Mann. — Sie haben gewiß Übung in folden
Sachen, — Schreiben Sie mir den Antrag auf!!!”
Hans fah dunfelrot aus vor Amüfement. Er fügte
fidh. — Erſtens wollte er die Duälgeilter (08 fein und
zweitens Aglaë ein kleines Vergnügen bereiten. Er 309
jeit Taſchenbuch vor und ſchrieb etliche Zeilen nieder.
„So, Her Grauchenwies! Kurz — bündig und ſehr
ideal! — nebenbei auch recht geſchmackvoll, lejen Sie und
überlegen Sie w, ob Gie davon evroni magr
wollen?”
Dolphele und Wolfele an wie Stoßvögel über das
Blatt her. Ihre feilten Wangen glänzten, eine ſtolze
Zuperjicht blähte Dolpheles Brult: „Das ift ja grop-
artiq! — prachtvoll! Lieber Dottor — wir danten Ihnen
taujendmal! Wenn’ Mammele erlaubt, ſchicke ich Ihnen
zum Dant ein Fäßchen! Und nun Adieu! Sch will gleich
in die Stadt fahren und einen jchönen Bogen taufen.”
„galt! Halt meine Herren! Nod) eine Frage zuvor.
Sit der Anfauf des Ndlerhofes etwa ſchon abgeſchloſſen
mit der Gräfin?”
„OD nein! Gott bewahre! Sie foll erft nod — in
die Höhe geſchraubt werden! Mammele will nur ver-
faufen, wenn fie ein Gefchäft Ra en
= 602 —
„zo Jo! Cehr aaoi — Jum leben Gie toon, und N
verlieren Sie den Antrag nicht! u
Unter lebhaften Verficherungen, den foftbaren Edag
ficher hüten zu wollen, ſtampften die diden Söhulein der
Frau Crescentia zu dem Wagen zurüc, welchen fie mit
energijcher Unterjtühung des Kutſchers ächzend erkletterten,
und wobei fie die Federn des Rückſitzes auf eine ſchwere
Probe ihrer Widerjtanosfähigfeit ſtellten — Die derben
Apfelichimmel zogen an, dak fidh ihre Nüden wie zwei
Neuen zujammenbogen, und dann feuchte der Landauer
die Chauffee zurücd, der fleinen Sreisitudt entgegen.
Hans aber warf fih wie ein jeliger Knabe in das
Moos und lachte, wie er feit lang vergangener, glüdlicher
Kinderzeit nicht mehr gelacht hatte.
Gonne, Himmel und Bänme drehten fich in flimmern⸗
dem Kreiſe um ihn her, und ſein Herz ſtieg mit den
jubelnden Waldvögeln m ich in wonnigen Träumen
au. wiegen!
Vic Schleier war es ibni von den. Augen. pialli,
er war blind geweſen und hatte urplößlich das Augen:
licht wiedergefunden. |
Nun konnte er ſich Aglaẽs ra Weſen er:
flären, wenn von Schweiter Amélie die Nede war!
- Eiferfucht! Eiferfuht! — Gott im Himmel, fann’3
denn möglich fein, Daß er das liebſte und treuejte Herz
jo jehr verfennen, jo namenlos fränfen konnte?
Er preßte das Antlig auf die verjchränften Arme und
durchlitt all die jüßen Qualen der Selbitvorwürfe, welche
— 603 —
Das Bild der Geliebten aus dem Nebeldunft des Zweifels
hoch emporheben in den Strahlenglanz fchuldfofer Reine.
Er jelber war der Echuldige geworden, welcher ſchwach
und Heingläubig genug gewejen, ſtets von neuem an
einem Herzen zu zweifeln, welches ihm wahrlich oft genug
Beweile gegeben, daß e8, zu reinjtem Gold geläutert,
aus Dem Fegefeuer harter Schickjale hervorgegangen war!
— Wie follte er jühnen, wie alles wieder gut machen ?
Die leidenſchaftliche Eehnſuht trieb ihu heim. Nun
jollten ihm alle Ed jäge der Welt nicht wieder den Weg
zum Glück verjperren, und bie Comödic, welche in fo
viel düſtern und ernſten Bildern Aglaës ——
die ſollte doch noch austlingen in bochzeitlichen Gloden,
welche Der Liebe und en einen heilt igen Sieg ein:
läuten! |
XXVI.
So bift Du mein! jo wirft du mir gehören,
— meiner Naͤchte meiner nn Licht!
Rt. Pruß
Rur wenig Jahre find berſchwunden
Seit ih die Etadt nicht wiederſah,
Nun ich mid freudig heimgefniden,
‚ie ganz verändert ftand fie ba!
' Johann Seide,
ie Sonne ſandte ihre Strahlen bereits
Ichräg durch das laubige Gezweig,
als Hans die Chauffee an der mn |
entlang ſchritt
Ein föftlicher, farer Herbi —
Die Hitze hatte nachgelaſſen, von dem nahen Landjee
herüber ſtrich ein friſcher Luftzug und regte flüſternd
das Blattwerk. Dunkelblau und wolkenlos dehnte ſich
der Himmel ins Unendliche, und die Vögel, welche jubi—
lierend die Luft Durchjchnitten, ſtiegen fo hoch auf, dap
fie nur wie dunfle Punkte droben kreiſten.
Leuchtende, üppige Farbenpracht, wohin der Blick
wandte
— 605 —
Solbfunten flimmerten auf den hellmoofigen Buchen:
ftämmen, feine Strahlennche ſpannen fih durch die
Lichtungen der Wipfel, juft, als habe Meijterhand den
PBinjel in die Sonne jelber getaucht, einen märchenhaft
durchleuchteten Wald zu malen.
Das Laub begann bereit3 fich zu färben. Blutrot
hingen die Blattichlingen des milden Weins an den
Bäumen hernieder, zu deren Kronen fie jhon feit Fahren
jehmfüchtig empor ftrebten, durchflochten von breiten
Raftanienfächern, welche fich, ſchweſelgelb geflammt, graz
3108, mie von jchöner Frauenhand bewegt, im Luftzug
Ichaufelten. Überhoch war das Unterholz des Partes
während der Eommerzeit emporgeſchoſſen Geißblatt
ranfte ſich als holder Echmaroger von einem Aft zum
andern, gelblich weiße, ſtark duftende Blütenbüſchel im
die dunfelgrünen Epheugitter ſchlingend. Faulbaum—
jtämmchen ſchmiegten ſich graziös an die uralten Eichen,
und riefige Farren neigten ihre Wedel úber Moos und
Wurzelwerk, das Laub der Veilchen und Narziffen über:
jchattend. — Tannen und Weimutsfiefern hingen ihre
Nadelarıne tief über die Parfmauer, und aus einer aus—
gemauerten Höhlung derjelben iprudelte das flare Büch-
lein, welches die Fontainen und Baſſins auchuh Des
oberen Biergartens ſpeiſt o
Sm Graben an der Mauer entlang riejchid, iudi esden
Weg zum Thal. — Kreffe, Huflattic) und Binſen jäumen
e3 zu beiden Seiten, und wo das Erdreich fidh etwas moraftig
vertieft, wuchern Sommers über die Vergißmeinnicht. .
ir =
Hans fchreitet abermals der Entfcheidung entgegen,
und wieder find es die Bilder der Vergangenheit, welche
mit den bunten Schmetterlingen um Die Werte im legten
Sommenglanz vor ihm her gaufeln. — o
Diesmal aber find e8 liebe, BON. Srinnerungen,
welche fein Herz ſchneller feylagen lajfen! — Dort, hinter
jener Mauerbiegung, unter dem alten Biatanenbaum |
hatte eiuſt Aglass lociges Stindertöpfeh en ihm Jehnfüchtig
wartend entgegen geſchant — Da hatte er fih über
den < Bach zu ihr emporgejehrvungen, hatte ihr die blauen
Vergißmeinnicht in den Echo gejchüttet, und fie hatte |
zum Danf jein Haupt in beide Händchen genommen und
feine Lippen gefüßt, — zum erjtenimal. —
„Sch habe dich fehr, ſehr lieb, Hans! — und wenn
du einmal ein an, dvornehmer ann wirft, dann |
ae ich Dich !
Noch klingt — ſüße, ſchmeichelnde Stimme vor ſeinem
Dir. Er hat fie gehört fein Leben fang, in der Stille
und. Einſamkeit ſeiner Gtudierjtube, im Lärm und Ge-
triebe der großen. Welt, in dem wülten Wetterſturm,
welcher das ſchwache Pilänzlein Boffuung vernichtend in
den Staub peitjchte. — — | ;
Gar oft ift es zerfegt und germeh t hernieber geriſſen,
und doch haben feine Wurzeln fo tiefen Grund im Herzen
gefaßt, daß es immer wieder neue Sprojjen getrieben,
daß immer von neuem die wepe Blüte fih erjchlog,
funkelnden Thränentau im Kelch zu tragen. —
„Sch Habe dich jehr, jehr lieb!” — Wie ein Echo haben
— 607 —
die Worte fortgeflungen, — eh Echo, welches gleich einer
Stimme aus der Heimat ruft, dem Wanderer den rechten
Weg zu zeigen! Damals! — Damals. — Da war die
Welt ſo ſonnig wie heute, da jauchzte jein Herz in den
offenen Himmel hinein ebenjo wie zu Diejer Stunde. Sch
habe dich ehr, jehe lieb, Hans!” — Niemand hatte
außer ihm die Worte bamala gehört, nur Die Blumen,
Käfer und Schmetterlinge haben jenen erſten Kuß ge—
jchaut, und nur die vertraute alte Blatane hat das ſüße
Geheimnis in der Rinde getragen, wie ein ſtolzes Chren-
zeichen, welches die Liebe verleiht.
Ein gropes Herz hatte Hans in den Stamm ge:
ſchnitten, das umrahmt die Buchltaben M. und H. —
Seit Jahren hat er Diejes Mal nicht mehr geichaut. Er
hat die Platane geflohen, als fürchte er, fie jteche ihm
die Augen aus mit diejem zerjplitterten Herzen, als müjje
er fidh unter ihr ein Leidg anthun, wie jener arme, jutge
Geſelle im Lied, deffen Schab falſch und treulos war. — =
Odjft find Schwarze Wetterwolfen über den Baum ge
zogen, da haben Dorner, Sturm und Blig ihn bedräut,
oft wollte die brennende Mittagsglut fein Mark und Blut
ausjaugen, aber der treue Hüter des Herzzeichens ftand
jo fejt wie Glauben und Gotivertranen im Herzen Hans
Burkhardts — | 22 |
Jahre find vergangen. Herz und Namenszug find
wohl mit der Rinde verwachien zu untenntlicher Narbe,
das Moos der Vergeffenheit hat fie überwuchert. Aber
die Zeit ift gekommen, wo Diejes grüne Moos ſich zur
— 608 —
bräutlichen Myrthe wandeln wird, wo nicht nur Blumen, _
Vögel und Schmetterlinge darum wijfen follen, jondern
die ganze, weite Welt Zeuge fein wird, von dem heiligen
Bund, welcher gwei Namenszüge in einem Herzen voll
Liebe eint!
Dort ragt die Platane bereits über die niedem Ge-
büfche empor: noch wenige Echritte . . . nod) die Biegung
des Weges — und Hans wird fich haftig über die Mauer
ſchwingen, ganz wie ehemals, um feit langen Jahren
wieder auf derjelben Stelle zu jtehen, wo Aglas ihn zuerit
gefüßt! Er jihreitet jchnell, wie von ungeftümer Sehn:
jucht getrieben, aus; fein Blick ſucht die Stelle der Mauer,
über welche fich Damals Aglads (ächelndes, jelbjtbewußtes
Stindergeficht ihm zugemeigt. Da ſchrickt er zujammen
und bleibt jählings itehen. Sit es ein Traum, ein liebes, . 3
Holdes Gaufelbild, welches jeine Sime gefangen Hall?
Dort auf der Mauer fitt Aglaë. — Laub und Ranfen
umrahmen ihre jchlanfe Figur, weiß gekleidet, zierlich und
graziös wie vor langer Zeit, da fie das Herz des Knaben
entzücfte. Auch das rofige, fede Gefichtchen ähnelt noh
dem Kind Aglaë, nur ift fcin Ausdruf ein gar völlig
veränderter, namentlich in diefem Augenblid, wo die junge
Frau vol ernjter Wehmut vor fidh hinſchaut auf den
Blatanenftamm, wo fie die Arme um ihn jchlingt und
Das Köpfchen müde gegen die harte Minde neigt — —
juft, als wollten ihre Lippen das Herzzeichen darinnen
füfjen. —
Über ihr winſcherus im Gezweig und ſchwingt ſich
— 609 —
hell aufjubelnd in die blane Luft empor. Aglaë hebt
mechanifch dasHaupt, ihr Blick ſchweift nieder zur Chauffee,
und emporzudend, heiß erglühend, ſtarrt fie Hans in die
Augen. — a
Mit wenigen Schritten steht er vor Ihr. —
Aglas!“ fagt er weich: „Wem die Gedanfen einen
Menſchen herbei zaubern fönnten, fo würde ich glauben,
die meinen hätten Sie foeben gerufen!” Sie hat fich
jchnell gefaßt, — unter dem Vorwand, ihr erhittes Ge-
ficht zu fühlen, ftreicht fie mit dem Tafchentuch darüber
hin, Hans fieht aber, daß fie die Thränen verheimlichen
wil, welche ihr in den Augen geltanden. „Wahrlich,
Hans? Haben Sie ut an mich gedacht?“
Cein Blick jchweift über die jumpfigen Bachufer.
Ich dachte Ihrer, und wenn es Sie nicht langweilt, er-
zähle ich Ihnen auch, aus welchem Grunde! — Ah —
wahrlich noch ein fchtes, verjpätetes Vergißmeinnicht!“
Er beugte fich, es zu pflüden, dann jprang er über den
Bach und Stand nun dicht neben ihr. „Wie erinnert mich
Dies alles an langvergangene Zeiten! Wiſſen Sie noch,
Aglaë, wie ich Ihnen als Knabe einmal einen Strauß |
Vergißmeinnicht hier emporreichte ?” =
Sein Blid und der Klang feiner Stimme verwirren
fie. Sie zupft mit leife bebender Hand den Mauerpfeifer
aus dem. bröcdelnden Geftein. „Gewig entjinne ich mid.
Mein Leben ift fo arm an fonnenhellen Stunden, daß
mir meine Kinderzeit in Moosdorf als ein verloren ne
dies erſcheint.“
N. v. ——— SN. Rom t. Non. Somdttell, LAN.
— 610 —
„Sein Paradies ift verloren! Wenn man nur daran
glaubt, daß man e3 findet, wen man danad) jucht, ift
e3 ſchoͤn zurücgefchenft! Wie viele Jahre ſind's her,
daß ich zum leßtenmale hier die Mauer erftieg? Nehmen
Sie das Vergigmeinnicht, Aglas, ich will fehen, ob es
noch einmal ganz und gar ſo ſein kann wie ehe—
mas! — 2
Sie laht, — — aus Verlegenheit, Das Bergiße
meinnicht leuchtet ihr entgegen, und ihre Finger erbeben
Teije, als fie es erfaßt. Gewaltſam befämpft fie ihre
Erregung und zwingt ſich zur Heiterfeit. „Bravo! Der —
Hans von ehemals dürfte auf den Profeſſor neidiſch fein!
Machen Gie es fich nur nicht fo bequem auf der Mauer,
Sie haben feine Zeit zum Verweilen!“ —
„Seine Sear”
Sie blickt intereffiert die Chauffee hinab. „E3 ilt
überraſchender Beſuch gekommen!“ = |
„Ah! — in der That? — und Gie ſind im
entfernteſten Wintelchen des Parta?” —
„SG war m Haufe entbehrlich.” — Das mingi
beinahe herb.
Erjtaunt ſieht er fie an; jein fchntfhaftes Seficht
wird erft. „Stein Bejuch, der Ihnen gilt?“ —
„Mär?! Nein — mir wahrlich m —
unſaßlich! Wer follte es jein? Bitte erbarmen
Sie ſich meiner Neugierde! — ;
Sie neigt das Antlih tief zu dem Bergißmeinnicht
ll ‚nieder. „Schweiter Amelie ift bereits vor einer Piertel-
— 6ll —
stunde etwa eingetroffen, um Ihre Mutter zu unters
jtügen, während wir verreiſen“ —
„Schweiter Amelie?! Wirklich? o welche große
Freude! Haben Sie die treue Seele ſchon begrüßt,
Aglas?“ — Sie jihüttelt
den Kopf, ein qualvoller
Zug ileit fih unbe:
zwingbarumihreQippen.
„Sh. hatte im Garten
zu thun — und — —
— aber jo eiln Sie
doch! Hier iji Shr
Bergißmeinnicht! Em-
pfangen Sie Schweiter
Amelie, ih folge
nadh!“ —
Er rührt ſich nicht.
„Sie wird gehört haben,
daß ih im Walde bin
und meine Abwejenheit
entjchufdigen. Es ijt
grade jeßt jo Jchön hier,
jo ganz wie früher —
und ich möchte gern noch ein wenig mit Ihnen plaudern.”
Aufs hoͤchſte erjtaunt fieht fie ihn au. „Sit es Jo
Wichtiges, was Sie mir mitzuteilen haben? — Sie deu-
teten jchon an, daß Sie fid) in Sedanfen mit mir bez
Ichäftigten. In wie fern baa —
3:
— 612 —
Er 309 den Hut von der Stun und [chüttelte Die
dichten Blondhaare zurüd. eine Mugen blicdten jo une
gewohnt, — ganz. wie ehemals die lieben Blanaugen des
Knaben fie treuinnig angeſtrahlt — „a, ih dachte an
Ste. Sc zerbrach mir den Kopj, warum Sie wohl den
cinjamen, langweiligen Adlerhof kaufen wollen 2“ —
Sie ſchrak heiß errbtend empor, „eher wi ifen Sie
das?" — ftammelte fie.
Er zudte die Achjeln. — Rollen Sie Biere
brauen, Aglaë?” — nedte er, „over was beabjichtigen:
Sie mit diefem Stammjchloß des Bockbiers zu beginnen?”
Ihre Stimmung iſt jebi au ei um über ernfte
Dinge zu reden!” — |
Er faßte jäßl ings ihre Hand. | Se bin jtet3 in der
Stimmung, von Ihren Plänen zu hören!’ —
Was hat er nur für eine wunderliche Art heute, mit
ihr zu reben? — Kaum, daß er ihr in den legten Tagen
ein freundliches Wort fagte, — md jeßt ... .? — Eie
ſchaut an ihm vorüber in das blühende Gaibor.
„Sch wollte Ihnen gern etwas zur Hand gehen, Hans,
und die Gebäude des Adlerhofs zu einem Krankenhaus \
umwandeln, um all die armen Patienten unentgeltlich
aufzunehmen. Es ließe ſich Doch mit der ärztlichen Be⸗
handlung im Schloß hier ſehr gut vereinen — —“
„Wie rührend licb und gut von Ihnen, befte Aglaë!
Haben Eie aber auch bedacht, daß dies eine ganz felbit-
ftändige Anſtalt werden müßte, und dab ~ vor allen
Dingen der Leitung bedürfte?‘“ | |
— 613 —
„Ich wollte diefe Leitung gern jelber — und
bei der Pflege behilflich fem! —
— = Eier!
Angjtooll, beinahe unter Thränen fah fie ihn an. „Co
glauben Ste auch jetzt, JabiE it ug nicht, daß ich
mich dazu eigue?“ — |
Er zieht ihre Hand an die or und fügt fie unz
gejtüm. „Nein, Aglaë, beim ewigen Himmel, das nicht!
Sch begreife es nur nicht, wie eine jo reiche, vornehne
Dame wie Cie, die fich doch fo jehr über ihr neu ere
langtes Vermögen freute und all die Jahre nachholen
wollte —” —
„Haus!“ — klingt es entſetzt von ihren Lippen —
„iit es möglich, daß Sie mich migperftehen founten 2? —
Ich verftand nur Ihre eigenen Worte! —
Da fehüttelte fie beinahe finfter das Köpfchen. All
die Jahre nachholen! — Glauben Sie, ich hätte nur die
Vergnügungen, nur das üppige Leben betrauert, welche
ich während diefer Jahre entbehren nute? Nein, Hans,
im Gegenteil, ich habe jene Zeit als verloren beklagt,
wo ich nur für mih jelber lebte und feinen andern Da-
ſeinszweck kannte, ala den, Darüber nachzugrübeln, wie.
man jeine Tage am fofifuteßiten, raffimerteſten und be:
ranfchenditen verleben könne! — Ich entſann mich gerade
jet, ehe Sie famen, einer Unterredung, welche wir als
Kinder hier an der Mauer führten; fie ift mir bejonders
(ebhajt im Gedächtnis geblieben! — Ich ftritt für die
Thefe, daß man in der Welt Comödie jpielen muſſe, um
a ee
ein hohes und beneidenswertes Biel au erlangen. Cie
hielten es ehrlich und ſchlicht mit der Wahrheit. — Wir
beide handelten nach unfern Grundfäben. Sch habe eine
leichtfi innige, frivole Comödie aufgeführt, und alles, was
ich damit erreichte, war litter, Lug und Trug; ich ward
mit der Münze ausgezahlt, welche ich felber ausgab!
HD alle die, welche ehemals mit mir auf der großen
Schaubühne der Welt ftanden und ein Scheinleben unter
der Maste führten, find verdorben und geftorben, ebenfo
unglücklich und verlajfen wie ich, wenn auch nicht im
phyfifchen, jondern im moralischen Elend. — Cie aber,
Hans, der wahr und rechtlich durchs Leben ging, der
nicht an fich, fondern an feine Nächften dachte, der nicht
den Götzen der Welt, ſondern dem Vater im Himmel die
Ehre gab, der hat ein ‚Biel erreicht, welches wohl das
herrlichite von allen ift! Und in diejem Gedanken,
Hans, habe ich mich über Gottes Gnade gefreut, welche
mich aufs neue mit Mitteln ausftattete, welihe meine
Schwäche bedarf, um fräftig wirken zu fönnen, und nur
in dieſem Sinne habe ich gejubelt, Daß idh Die verlorenen
Fahre einholen und einbringen tann! — Sie haben eine
Brofelytin aus mir gemacht, Hans. — Sie find mir
porangegangen auf einem Weg, Darauf ich Ihnen jett
gern folgen möchte — Stoßen Sie mih nicht zurüd,
entzichen Eie mir nicht Ihre helfende Hand, laffen Eie
mich unter Ihren Augen meinen neuen Beruf ausüben,
Hana! — Iſt neben Schweſter Amélie fein Plaş für
mid, jo laffen Sie mih im Adlerhof einen eigenen Wir-
arn plo om
fungsfreis finden! Mein Yiadh fteht im Dienfte Der
Armut und der Krankheit, Cie jollen das Geld in diefem
inne verwalten, Hans, und ich will niht mehr in
meinem Hauje n, als Schweiter und PBflegerin, als
eine, die helfen, tröiten und mit ihren Pfunden haus-
halten will, wie e3 Gott von jeinen trenen Statthaltern
verlangt!” — — Sie hatte in wachjender Erregung gez
jprochen, ihre Augen leuchteten, und die Wangen färbten
jich zu tiefem Purpur. Und nun, da fie jchwieg und
zu Hans emporjah, war es ihr, als habe er gar nicht
auf ihre Worte gehört, jondern nur mit verklärtem Blick
zum Himmel gejchaut, wie ein Menih, der betet. —
Jetzt fah er fie an — und. ſah fie fo wunderfam an,
daß ihr Herz flopfte und hämmerte, als wolle e3 zer-
ipringen. „Mglaë“, ſprach er leije, „mir und meiner
Führung wollen Sie fidh anvertrauen? Wirflih den
Weg geben, welchen diefe Hand Sie leiten möchte?” Und
da fie nur, über feine Art zu fragen betroffen, nickte,
faßte er ihre Hand, legte den Arm um fie und jchaute
ihr abermals in die Augen. „Dann fei mein Weib,
Aylad, dann laß ung nicht wie zwei gute Kameraden,
ſondern wie ein Herz und eine Seele den jchönen, geraden
Meg der Wahrheit und der Liebe gehen” a
Reqgungslos, wie gelähmt, Ttarrte fie ihn aus weit-
offenen Augen an: „Amelie! — Amelie?! rang e ido
von ihren Kippen. ER
Da lahte er wieder fein frifches, altes Lachen. „Die
wird Gott danten, wenn eine junge Herrin ins Haus
am
fommt, die ihr eine Laſt und Sorge tragen hilft, welde u
ihr bald zu jchwer fein würde! — Schwefter Amelie
feierte im Frühjahr ihren zweinndjechzigiten Geburtstag,
ihr Haar ift weiß wie Schnee —
„pang! — — Dag war ein Auffchrei zuteruder
Überraf dung, dann verſtummte ſie halb lachend, halb
ſchluchzend vor Seligkeit — Der überglückliche Freier
verjchloß ihr die Lippen mit heißen, ungejtümen Küſſen
Die Sonne fant, ihre leßten glutroten Srahlen ver:
goldeten Gebüjch und Parkmauer uud tauchten das j inge
Paar in märchenhaften Glanz.
Wie trunfen vor Wonne ſchaute Hans auf das große,
weit ausgewachjene Herz in der Platancnrinde: „Weit
du noh Damals, Aglaë?” | a
Sie nickt und ſchmiegt ſich feſter an ifu.
„Damals fagteft du: ‚Wenn du einſt ein berühmter
Mann und jehr vornehm bift, Heirate ich, dich, Hans!”
„Und ich halte Wort und Heirate den —
und gefeiertſten Mann der Wiſſenſchaft!“ u
Er fieht fie neckend an: „Mber Die —— Agla?
— Auf die mußt du num verzichten!!!
Bol unbeichreiblicher Innigkeit ſchlingt ſie bie Heme
um femen Raden: „DO Hans!” ruft fie begeiltert, „bez
feligtift jedes Weib, deſſen Gatte ihr eine jolche anir
zuführt, wie Du e3 mir thuft! AU die Taufende, welche
du geheilt und errettet, all die Ungezählten, welche deinen
Namen voll Dant und Verehrung nennen, alle, welche
dir, dem mutigen Pionier auf der neuen Babn des Biffen,
— 618 —
folgen, zum Heil und Eegen der ganzen Menfchheit zi _ | .
werden, alle die gehören in Deine Ahnenreihe, auf mele
du ftolzer zurückſchauen kannſt, als mancher Graf auf
jein uraltes Gefchlecht! — — Ich habe nicht viel gelernt
in der Welt, Hans, eine Erfahrung aber habe ich zu
meiner Überzeugung gemacht, die, daß der vornehmite
Adel derjenige des BVerdienftes ift!” |
Em unbejchreiblicher Jubel hat das Pächterhaus
durchhallt, ala Hans feine liebreizende Braut in die Arme
der Eltern geführt, Wie ein lang gehegter und nun in
- feiner Erfüllung dennoch faum zu begreifender Wunſch
ericheint dem alten Paar das itrahlende Glück vor ihren
Augen. — Bater Burkhardt ift anfangs fo außer fi
und übermütig luftig gewejen, wie faum an jeinem eignen
Verlobungstag, und er hatte nur eine einzige Entſchuldi—
gung dafür: „Laß mich die Freude austoben, Grete,
fonft erftide ich dran!” — — Cr brauchte einen Anlap,
um einmal wieder die Xime in die Luft zu werfen und
urra Schreien zu fönnen, wie damals in der Garde-
Alerandersflajerne, als die Kanguen im Luftgarten ver-
fündeten, dab Dem geliebten Prinzen Wilhelm fein Söhn—
lcin Friß geboren war! — — Epäter, als ihm der eigne
Vube in den Arm gelegt wurde, da hatte der Ernſt des
Lebens doch gar zu gebieterijch neben der Wiege geftanden,
fo daß er wohl eim Gebetlen über feinen Hanfel ge
prochen, aber nicht hurra gejchrien hatte Es waren
ichwere, böfe Zeiten damals, und der Alte hat faum noch
— 619 —
luftige danach erlebt, Darum will er's heute nachholen, cr
hat allen Grund dazu! — Ganz außerm Häuschen ift
er aber gewejen, als der Poſtbote einen Heiratsantrag
für die Aglaë gebracht hat, Natürlich von einem Bwile —
ling der Frau Crescentia! Und was ftand darin? Vor
Lachen hat's die kleine Braut gar nicht leſen fünnen! Ser . n nn
Hauptgedanfe aber ijt folgender geweſen: „Frau Gräfin! | R
Es gibt verjchievene Sorten von Malen. Grüne Yale,
Cpicaale und Ideale! Und diefes leßtere find Sie für
mich! Geftatten Eie infolge dejjen, daß ih Ihnen Herz
und Hand anbicte!”
„un wähle zwijchen ihm und mir, Aglaë!” lachte
Hans: ‚sc habe meinen Nebenbuhler nicht hinterlijtig
aus dem Feld gejchlagen, jondern ihm jogar nod) ven
Meg zu deinem Herzen gebahnt!” -o
Als Antwort erhielten die Adlershofer eine Einladung
zur Berlobungzfeier, welcher fie präziſe Folge leifteten.
Seltjamerweije alle Drei ur itrahlender Freude, Ein
entjeßlich kritiſchet Fall mwar aufs glücklichſte durd
Hans gelöjt, denn weil beide Brüder fi in Aglaë ver-
liebt hatten, wäre cine Statajtrophe unvermeidlich geweſen.
Dolphele graͤmte ſich über ſein großes Glück, welches
Wolfele jo tief traurig machte, und ſeitdem der Antrag
abgeſchickt war, trugen fich beide mit Sterbegedanfen.
Der eine wollte fidh aus Ruckſicht für den andern das
Leben nehmen, und Frau Crescentia drohte mit Ohrfeigen
rechts und links Die Einladung zum Berlobungsfeft
wirkte im erften Moment zwar febr verblüffend, glich
H a
aber dem energiichen Echwerthieb, welcher den gordifchen
Kuoten herrlich löfte. Die Zwillinge lagen einander in
den Armen und ſchwuren, fich nie wieder in ein und
diejelbe verlieben zu wollen, fondern „op ewig ungedeelt”
ihr Leben alg Junggejellen zu bejchliegen. Nur in Frau
Grescentia3 Herzen Elimmte ein fleiner Nachefunfen, und
darum erklärte fie Frau Aglaë, daß ihr der Adlerhof
jelbit für Millionen nicht verfäuflich. fei, eine Mitteilung,
welche dent Brofeljor je njamerneije erfreulich. ſchien |
— — — — — — — — —— — — EEE EEE EEE —
Şu bet Reſidenz Hat die Verlobung und die bald darauf. :
ro (gende Verheiratung des Profeſſors Burthardt geradezu
Senſation erregt. Längſt verblichene und vergeſſene Kapitel
aus der chronique scandaleuse wurden wie mit Zauber:
ſchlag wieder lebendig. Die Lebens- und Leidenzgejchichte
der Gräfin Saint Lorrain war Tagesgeiprädh, und als
man erfuhr, daß fie neuerdings ein großes Vermögen
ererbt, jah man ihrem Erjcheinen voll höchiter Spannung
entgegen. Man war überzeugt, daß das Lehuberg-
Mi oosdorfjche Palais in jeinem vollen mjpupathiichen
Prunfe ncu aus den Trümmern emporwachfen werde,
und betlagte unverhohlen die jo ganz unfapliche Partie
des allgemein jo außerordentlich beliebten und verehrten
Arztes. Grenzenlo® war jedoch die Überrajhung, als
nicht eine jürjtliche Villa à la Gräfin Lorrain, jondern
ein febr ſchlichtes, aber äußert behagliches und trauliches
kleines Haus die ſelbſterwählte Heimat der jungen Frau
wurde. Die klatſchſüchtigen Zungen triumphierten aller-
ae oe
dings, als Aglaë das nahegelegene prachtvolle, große
Gebäude der ehemaligen Nitterjchaft fäuflich erwarb, und
jpotfeten über das beicheidene Abjteigeguartier, welches
anfänglich den Leuten ein X für ein U gemacht. Aber
fie verftummten bald für immer, als das große Haus
zu einer Privatklinik der Frau Profeſſor Burkhardt ums
gebaut wurde. Ganz alterierend auf alle Gemüter wirkte
jedoch Die Nachricht, dağ die junge rau Diejes Kranfen—
haus aus eigenen Mitteln beſtreiten und zum Aſyl für
die wunbemtttelten Patienten- ihres Mams einrichten
wolle, und als man es qar erlebte, daß Die Frau Profeſſor
perjönlich die Krankenpflege leitete und an der Seite ihrer
treuen, innig geliebten Schweiter Amelie fih in au
opjerndfter Weiſe daran beteiligte, — da kaunten Staunen !
und Bewunderung feine Grenzen.
Frau Aglaë Burkhardt war bald eine ebenſo —
und beliebte Berjönlichfeit wie ihr ſtrahlend glücklicher
Gatte, und wenn fich die junge Frau auch fo viel wie
möglich von der Gejelligfeit zurüczog, um ihre Stunden
einzig dem trauten Glück ihres Haufes zu weihen, jo war
es Doch unmöglich, ſich von jedwedem Verkeht zurück
zu ziehen.
Eines Tages Bellen — Hofequipagen vor der Klinik
Königin Mutter, Pring Ferdinand und Prinzeſſin Sophie
Marianne beehrten die Anſtalt mit einem: Beſuch, und
Aglad und Schweiter Amelie übernahmen die Führung
der überrafchenden Güfte. Könign Mutter hatte das
Bild der diamantenftrahlenden Millionenerbin noh gut
* 622 —
in Gedanken, und begriff es faum, dieſe (be in
dieſer rührend beſcheidenen, herzlich milden jungen Frau
wieder zu finden, welche mit glüchſtrah lenden Augen zu
ihr aufjchaute, al3 habe es nie eine andere Beit für fie
gegeben, als diefe des ſegensreichſten, opfermutigſten
Wirkens — Die hohe Frau erümerte fih im Geſpräch
oitenfibel, die Gräfin Lorrain ehemals ftet3 bei den Hof:
fejten geſehen, die Frau Profeſſor Burkhardt indefjen
noch feinmal daſelbſt begrüßt zu haben! — Sie ſprach
ichließlich den Wunſch aus, dağ Aglaë ihren Gatten zu
den Hoffejten begleiten möge. Eine tiefe, ftumme Mer:
beugung der heiß Errötenden war die Antwort. Nach
der Verabjchtedung jedoch flüchtete Aglas mit entſetztem
Geſicht zu Haus, ihm den Befehl der Königin mitzu-
teilen. „Sch wieder an den Hof gehen, Hans!” rief fie
Ihaudernd, „dorthin, wo ich nur Kränkung, nur Schmad)
erlebte! Man hat mich als Gräfin Lorrain über die
Schulter angejchen, wie wird man mich als nen
frau behandeln H”
Hans lächelte ftill vor fih hin: „Das laß meine
Sorge fein, liebes Herz; wir werden auf jeden Falf dem
nn Wunſch der Hohen Fran Folge leiften t
Im weißen Brautkleid, jchlicht und einfach — —
märchenhaft aumutig umglänzt von dem weißen Atlas
jtand Aglaë zum Hofball bereit. — Kein Schmuck, fein |
Edelſtein, feine Perle, nur ein Kranz und fleine
von Schneeglödchen zierten die mãdchenhaf t ſchlanke Gejtalt.
a —
Schlicht und beicheiden, das Köpfchen bang und ſorgen—
boll geneigt, erwartete fie den Gatten. Und er fam,
ſchloß fie mit leuchtenden Bli des Entzüdens in Die
Arme und füßte ein vorwitig Thränlein von den dunfeln
Wimpern: „Barum ängjtigit du Dich, Herzlieb ? Bin
ich nicht bet dir?!” |
Sa, er war bei ihr. Seine Hand feſt in der ihren,
fuhr fie hinaus in die Winternacht. — Der Sturm jaufte,
Schneefloden wirbelten im Laternenjchein,; ganz, ganz
wie damals, als die Baronejje von Lehnberg— Moosdorf
zum e erſtenmal zur großen Cour fuhr.
Wieder jtauen fich die Wagen vor dem Bortal,
wieder jurrt und jummt das Stinmengewirr des neuz
gierigen Straßenpublifums. — Bor dem Portal flammen
die Pechurnen, geben die elektriſchen Laͤmpen taghellen
Schein.
Säbel⸗ und Sporenrafjen, Echleppenraufchen, mir
jalutierendem Griff tritt der Bolten ins Gewehr. —
Aglaë zuct zuſammen, glühend jteigt ihr das Blut in
die Wangen. Sirampfhaft umklammert fie die Hand ihres -
Mannes und jtarrt auf den jungen Freiwilligen, welcher
vor dem Portal Schilöwacht ſteht — „Da, Hans! —
Da ſtandeſt du Damals!” murmelte fie. |
Er nidt ihr zärtlich zu und hebt fie jelber aug dem.
Wagen. „Heut gefällt mir’3 doch bejjer als damals!”
Icherzt er, „heute fann ich dir folgen!“
Steahlendes Licht flutet Aglas entgegen, warme, buji
Luft füht ihre Stirn. — Dasjelbe Veſtibül, jogar nod
— 4
dDiejelben Pafaien. — Alles wie ehemals, und bennod H S
ganz, ganz anders,
Wie felbftbewuft und ficher schritt fie damals die
Treppe empor, heute flopit ihr Herz zum Zerſpringen
vor Angft und Scheu, und fie möchte fih am lebten
hinter der hohen Geſtalt ihres Mannes DAR, um
nicht gejehen zu werden! |
Die Erinnerungen an all die bitteren En lbkuhhumgen, —
Demutigungen und Zurückſetzungen, welche fie in Diefen
Nänmen erduldete, wirbeln auf fie ein, wie eine Schar
geipenftijcher Schatten, die legen fih wie Vergeslaft auf
ihre Bruft und benehmen ihr den Atem.
Mit niedergeichlagenen Mugen, faum wagend, um fih
zu blicken, läßt fie fich von Hans in die Gemäldegalerie
führen, wo die Damen fich) verſammeln Diejelbe Säule
por ihr, an welcher fie ehedem einfam und ausgeitoßen
wie eine Bert geltanden! Und Damals war fie doch
noc die Trägerin eines vornehmen Namens — wie
wird es heute werden. n Gleichviel, fic will es geduldig
ertragen, Hans zu Liebe. — EN ichlagen in luſtigem —
Gewirr an ihr Ohr.
6, par PBrefeffert — Sie Wor! Goid >
ficht man Sie auch bei Spiel und Tanz, und endlich
bringen Sie uns auh Ihre Frau Gemahlin mit! —
Hans begrüßt die Hofmarſchallin und führt ihr Aglaë.
zu. — Herzlich) reicht ihr die alte Dame die Hand ent-
gegen und jagt ihr. freundlichen Willfomm. Und weil
dies für Aglaë ſehr überrafchend fommt — früher hatte
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Comöpie IE
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Cidftrutb,
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Ereelleng fie dauernd ignore — blidt fie mit danfbar _
leuchtenden Augen auf nnd küßt die Dargebotene Rechte. —
— Wie reizend liebenswürdig plaubert die Hofmarſchallin —
mit ihr! Die beiden Töchter derſelben und eine Hof-
dame treten Herzu, —- überall dieſelben herzlichen Worte,
die aufrichtige Freundlichkeit. „Darf ich Sie cin wenig
mit den Ihnen fremden Damen befannt machen, gnädigfte
Frau?“ fragt Fräulein von Wartenburg zuvorkommend, |
ud Aglaë folgt der Hojdame wie im Traum. — Wo
ihr Name genannt wird, dasjelbe liebenswürdige Juter-
eſſe von allen Seiten; wie viel begeifterte Anerfennung |
für Hans! Wie viel Bewunderung für ihre eigene Thätig-
fcit in der Klinik. Aglaes Wangen glühen vor grade
und Erfenntlichfeit, ihr ganzes Wefen trägt den Stempel 2
befcheidener, dornehmer Liebens würdigkeit Da taucht 3
eine Hohe Franengeftalt dicht vor ihr auf, ſieht ſie mit
blauen Augen lächelnd an und reicht ihr freundſchaftlich
die Hand — Gräfin Viola Uggley. „Wir kennen uns
noch von früher her, gnädige Frau!“ ſagt ſie mit ihrer
weichen Stimme, „wie freue ich mich, Sie fo wohl und
jo glücklich. hier wiederzujehen!” — Die große Cour ift
vorüber, hochatmend ſteht Aglaë an der Seite ihres |
Gatten, ihm mit glänzenden Augen zuflüſternd, wie viel
man ihr um ſeinetwillen vergeben habe! — Das Konzert =
beginnt, und Durch die Menge fchreitet Graf Uggley.
Cein Blid ſchweift ſuchend über die Häupter, jetzt trifft
er Aglass Auge. Wird er fie wieder jo beleidigend über-
jehen wie früher? Nein, er fchreitet Dirett auf fie zu,
=... —
er begrüßt fie in ritterlichiter und rejpeftvolliter eife
und bittet, ihr ein Weilchen Gejellichaft Leisten zu dürfen.
veben ihr ſihend, dankt er ihr für die barmherzige Hilfe,
welche fie einem armen Arbeiter, dem Sohn feines Por-
tier, zu Teil werden ließ, welcher ohne ihre aufopjernde
Pflege wohl rettungslos verloren gewejen wäre. — Er
interejjiert fich auf das Lebhafteite für Aglass helden-
hartes Unternehmen und blidt ihr plöglich ehrlich in die.
Augen: „Wie man fih Doch in den Menſchen täufchen
fann, gnädigfte rau! Früher Haben die Diamanten
und Perlen die Engelsjchwingen perdecdt, welche Gott
Shnen verliehen, und ich habe mir infolgedelfen eine
ganz faljche Meinung von Ihnen gebildet! Nun jagen
Sie mir einmal aufrihtig, warum haben Sie ung
allen jo lange Comödie vorgejpielt und e3 nicht jhon
viel eher gezeigt, wie Topy Ihnen gerade die Wahrheit
anjteht ? 1”
Sie wird dunfelrot, aber begegnet treuberzig feinem
Blid: „Weil ih die Wahrheit erft jehr viel ſpäter er-
fennen lernte, Herr Graf! — Die Menfchenloje find
ungleich gemiſcht. Den Glücklichen erblüht das ſeltene
Kraut: der Wahrheit ſchon an der Wiege und leitet fie
durch treue Hand auf den rechten Pfad, welcher zu
Licht und Heil führt. — Den armen Stieftindern aber
ijt ein jchwererer Weg bejchieden. Sie müſſen juchen
und irren, big fie finden, müſſen erit in der Comöbdie
ausgepfif pe werden, bis fie einjehen, daß fie faljch ge-
gangen. — Meine fo viel bejprochenen Rs werden
AO,
— 628 —
auch Ihnen befannt fein, Herr Graf; id; habe mir” —
Aglas lächelte hal b wehmüng, halb humorvoll, — - „jedes z
Federchen der Engelsflügel, welche mir Ihre Licbeng-
würdigkeit anhejtet, jauer verdient, aber der heutige
Abend zeigt mir, Daß fie mic) auch zum Lohne hoc)
empor getragen haben, jo hoch, wie ih es weder vers
dient, noh jemals geglaubt habe!“ —
Ugaley neigte ſich haſtig und küßte die Hand der
Sprecherin: „Möchten diefem Abend noch viele gleiche
folgen, — wir Ihnen beweiſen können, wie aufrichtig
gern wir Gie in unferer Mitte heimisch ehen!”
— — — — — — — — — — — — — — —
Still und traulich ift es in dem kleinen Wohnzimmer.
Das Feuer flammt im Kamin, und die Uhr an der
Wand jchwaht leife von lauter glücjeligen Stunden.
Aglaë lehnt an der Bruft ihres Mannes, die weißen
Schneegl öckchen zittern in ihrem Haar, der Atlas umglänzt
wie ein Feierkleid der Unjchuld ihre fenjche Ge talt. =
„Hans!“ flüſtert fie, „löje mir das groß:, ` grohe
Nätjel! Wie ift c& möglich, Daß ich als. gru Nut
hardt erreichte, was mir alè Baroneffe Lehnberg, als
Gräfin Lorrain jo kläglich verſagt blieb? Warum bin
ich den Leuten der Geſellſchaft plößlich als einfache,
bürgerl iche Frau vornehm genug, um mit mir pers.
a ganz wie nit ihresgleichen ?” | | |
Sachelnd füht Hans fie auf die Stirn: „Die Antwort |
auf dieje Frage haft du dir jelber jhon gegeben, herziges un
= m
Beib! Dentſt du deiner Worte nicht mehr? a 34 ‘
habe nicht viel in der Welt gelernt, Han, aber eite >.
— habe ich zu meiner Überzeugung gemacht,
‚ dab der. vornehmſte Adel ——— des Ders
—— es
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BRRRRRRERRERRERERERRRERERRRERFET
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©
Serie begrüßen zu dürfen.
(IS
Mit dem vorliegenden Heft ift auch die „Sweite
Serie" von Mataly von Eſchſtrufth Slufteierte
Romane und Novellen zum Abſchluß aelangt. Der
unterzeichneten Derlagsbuchhandlung hat die große
und bisher von Tag zu Tag fteigende Abonnenten:
zahl von neuem gezeigt, welch aroßes Intereſſe all-
jeitig für diefe wohlferle Ausgabe bei unferem lefen-
den und bücherfaufenden Publifum vorhanden ift.
Die nımmehr beginnende „Dritte Serie” eröffnet
der Roman |
<q! ** + a ki
„Gänfeliefel‘,
es ift dies der Homan, mit dem Nataly von Efc-
ftrnth ihren Ruf als beltebtefte Schriftitellerin be»
gründete, Mit größter Spannung ſieht die deutiche
Seferwelt dtefem Werk entacaen, das durch die wahr:
haft Fünftlerifchen Slluftrattonen des Berliner Künft-
lers Hans Koberftein ein herrliches Kunftwerf ge:
worden it. Auch die anderen Schöpfungen der be-
liebten Derfafferin, die in der jetzt beginnenden Serie
zum Abdruck Fommen, find durchweg als Kunftwerfe
zu bezeichnen, die einen entzücdenden Stimmungs:
zauber atmen. — Nataly von Eichftruth's Romane haben
einen hervorragenden bildenden Wert, fie find ein
vollwertiger Familienfchap.
Inhalt der neuen Serie:
Romane: Gänfeliefel. — Der Jrrgeift des Schloffes. — Don Gottes
Gnaden, — Erlfönigin — Hadıtichatten. — Hazard.
Novellen: Die Gauflerin. — Eine £aune. — Die Marquife von
©. Montriviere, — Kairi-Jaffta u.a,
Wir hoffen alle unfere Abonnenten demnächſt audy
als Abonnenten von „Sänfeliefel” und der weiteren
| Ä Mit hochachtung
Derlagsbuhhandlung von Paul Lift
Leiptin.
EECEEELEATATTA
An unfere Abonnenten!
SOOLSTITIATAANNT
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