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Full text of "Nataly von Eschstruth. Illustrierte Romane und Novellen 2. Serie, Band 11 = Comödie : Roman. Mit 100 Illustrationen von Schwormstädt, Felix 2/2"

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Dataly von Efihlienth 


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Alluſtrierte 
Romane und Dovellen 


Ameile Serie 


Elfler Band 


Comüdie 





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Derlagabuthhandlung von Paul Li 


Comödie 


Roman 
Bon 


Nataly von Eſchſtrukh 


-Pat Ullufivationen von Shwormfädt, | 


II 





Teipiig 


Derlagsbuchhandlung von Paul TR. 








| Z stern Un] 


K 
i DEC, 18 1941 









— 


— 
— — 


So þin ich beruntergefommen — 
‚And writ es doch jelber mit, wie?! es 
ar i anne 


XIV. 


FA | ach welchem Bahnhof befehlen der Herr Baron?” - 
, fragte der Diener mit erwartungsvollem Gc- 
ſicht, den Hut in De vn am Anal n 





a 
— bei Ser Pantier —— vorfahren.” 
Derſelbe rüſtete fih gerade zur Fahrt in die Oper, 
er empfing zubor den Kommerzienrat. Auch Diejer 
war eilig. „Lieber Freund, eine große Ditte, verwahren 
Sie während meiner Neije diefe drei Teilichlüffel von 
meinen Geldjchränfen, mein Schwiegerſohn empfing die 


336 5 


dazıtgehörigen Partner und ift die einzige Perfönlichfeit, 


welche weis, daf ich Ihnen dieſes Trio in Haft gab!” 


„Zeuerjter Baron, ich verreije ſelber morg ir vier 
Wochen!” nn 
Lehnberg lächelte, feine Augen führen < auf: | as, | 


thatjächlih, Sie verreiien? Hörte bereits davon läuten! ne 


Aber gleichviel, id fehre unter zwei Monaten auf feinen 
Fall zurück. ‚Schließen Sie die Schlüſſel ruhig in Ihren 
Sefretär, Sie haben j ja für Uneingeweihte nicht den mindeiten 
Wert! Sg bitte von Herzen darum, habe wahrhaftig 
feine Reit, noch) zu jemand anderem zu fahren, mein 
Zug geht bereits in einer halben Stunde ab!” 
„So reifen Gie jo plößlih hin, lieber Baron?” 
Lehnberg lächelte veridhmigt: „In Wien, jagt er, 
muß man fein, jagt er!” fang er, bereit zum Hut greifend, 
„das Gaftipiel der Eleinen Torelli ift Hier beendet — 
da gebe ich ein Etüd Wegs das Geleite!! en hier die 
<chlüffel.“ 
„Sa, ih verfchließe fie gern, aber während vier Rachen 
find fie alsdann für niemand, mh mir Sie nicht zu 
erreichen!“ | eo 252 
„But! Gut! — Ganz most — Sad nejel 
„Biel Vergnügen!” En o 
Und abermals fprang der Kommergienrat in den 
Wagen; fein feiites Gejicht glänzte, er rieb fid) die Hände 
und warf ſich jehr behaglich zurüd! Zum Sentrafbahuhujl" 
befahl er. 
Dort entließ er den Wagen und die renerihaft febr 


970 


aılig, da die Frau Vicomteſſe in das Theater fahren 
wolle „Sollte die Gnädigjte fragen, wohin und wie 


lange ich reije, jo fagen Sie: In geichäftlichen Angelegen— 
heiten nach Wien, in fünf Tagen bin ich zurid. Den 
Brief an die grau Vicomtejfe ließ ich bereits bejorgen.” — 
Als die Diener ihn verlajfen, engagierte Lehnberg einen 
Dienftmann, nahm eine Drojchfe zweiter Kaffe und fuhr 
zum Nordbahnhof Er. vertauichte den Klapphut mit 
einem weichen Neifefilz, {dlug den Kragen hoch empor 
und ichte jich eine blaue Brille auf — beinahe an NG 
gemacht, — er den Perron. 

Vier Wochen waren vergangen. Cine Neuigkeit allars 
mierte die Nefidenz, wie fie jeit Menfchengedenfen nicht 
annähernd jenjationell die Gemüter erregt hatte. 

Der Vicomte von Saint Lorrain hatte ſowohl fein 
eigenes, wie auch das Vermögen feiner Gemahlin bis auf 
den legten Heller durchgebracht Man ſprach von Spiel- 
verlujten, unglüclichen Spefulationen, und feiner grenzen: 
ofen Verſchwendungsſucht Die Scheidungsflage war 
bon der jungen rau bereits eingereicht. Man fagt, ein 
Zufall habe fie von dem Geſchehenen in Kenntnis geſetzt, 
kurz nachdem in die bereits recht unglüdliche Ehe eine 
Heine Wendung zum Befjern eingetreten jet. Der Vicomte 
jet von der Reiſe zurüdgefommen, um fich mit feiner 
Gemahlin augzuföhnen. Sein Verlangen, mit ihm nad) 
Paris überzujtedeln, habe fie jedoch auch jetzt wieder 


hartnäckig zurücdgewiefen. Ja, man wollte wiſſen, daß 
N.v. Eſchſtruth, IE. Rom, t, Nov., r Comöbie II. Ai 22: = 


— 338 — 


fie bereits cinen Prozeß gegen ihren Mann anſtrenge, 
welcher ſich ſchier unglaubliche Eigentumsrechte auf ihr 
und jogar ihres Vaters Verniögen anmafe. 

Eine hohe Schuld Habe der Vicomte am Zahlungs: 
termin nicht abtragen fünnen, weil der Herr Echmwieger- 

vater verreift und feine Geldfchränfe für ihn verſchloſſen 

gewejen wären, und nun hätten fidh die Gläubiger an 
Frau Aglaë gewandt. Da fei die Bombe zum plagen 
gefommen. Sogar die Diamanten wie der ganze Schmuck 
der Vicomteſſe fei bereit$ von ihm verjegt worden, und 
die Gläubiger legten Bejchlag auf das Palais mit dem 
gejamten foftbaren „snoentar, weil in der Che des 
jungen Paares Gütertrennung nicht ausgemacht jet. 

Man erwarte voll fiebernder Aufregung Die Rüdtehr deg | 
‚alten Lehnberg, der diefem Standal ein Ende bereiten folle. a 
el glaë habe fich jedod) fofort von ihrem nichtSwürdigen = 
Gatten getrennt und bewohne das Haus des Vaters. 


— ſchon dieſe Nachricht in der ganzen Stadt gewirkt 
le ein Funken im Pulverfaß, fo ward fie an Überrafchen- 
dern und Eenfationellem doch noch übertroffen durch das 


folgende Gerücht, welches anfänglich nur als „on dit‘, 
bald aber als effektive Tatſache befannt und mit nie 
gekannter Aufregung bejprochen wurde. 

Der Kommerzienrat Baron von Lehnberg war mit 
einer Balleteuje durchgegangen! Eein ganzes Vermögen 


hatte er flüffig gemacht und mitgenommen und nebenbei 


fo viel Schulden hinterlafjen, daß feine Tochter volllommen 
mittellos und verarmt zurückbleibt. 


— 339 — 


Wie ein Sturmwind Daher fegt und alles empor: | 


wirbelt in die Lüfte, jo ſchüttelte die hochgradige Muf- 
regung das Bublifum fast aller Gefellichaftsjchichten, und 
erſt jeht zeigte es fich fo recht, wie außerordentlich unbeliebt 
Aglaë und Lehnberg überall geweſen Man hörte faum 
ein Wort des Mitleids, im Gegenteil, manch’ ſchaden— 
frohes Lachen wurde laut, und man jagte achjelzudend, 
daß die Bäume doc niemal3 in den Himmel wachen 
jollen! Unter einer Grafentrone wollte eg ja das Hod- 
mütige Fräulein nie thun! Und alë der Herr Vicomte 
glücklich angebiffen hatte, plaßten Bater und Tochter beinahe 
vor Hochmut! Jetzt aber würde Frau Aglaë wohl Gott 
auf den Sinien danten, wenn fie jtatt ihrem jo jehr vornehmen 
Herrn Gemahl den ichlichteften bürgerlichen Ehrenmann 
geheiratet hätte! 

In den Hoffreifen erregte es großen Unoiflen. und 
Entrüftung, daß der Franzofe in fold empörender Weiſe 
feine hiefige Gaftrole abjchlog. — Man hatte ihm nie 
fo redjt getraut und ihn für etwas abenteuerlich gehalten, 
aber die Empfehlung feiner herzoglihen Tante erzwang 
ihm gemiffermaßen die Aufnahme in der. Gefellichaft. 

Wan erzählte ſich als ſehr bezeichnende Tatſache, daß 
der Vicomte ſein ganzes Vermögen längſt durchgebracht 
und in Paris für emen berüchtigten Spieler gegolten 
habe; nad) dem Rebensmwandel de3 Schwiegerfohng 
hätte fidh Der Kommerzienrat jedoch niemals erfundigt, 
ihm ſowohl wie Aglas habe e3 genügt, vor der Ber- 
fobung das fichere Factum zu erforjchen, daß Saint 

DIE, | 


LORTE (re 
HR 


ioman aus einer ſehr omade und alten Familie 
< c tamme. Das war allerdings eime Thatſache, — aber faſt 
an jedem Baum gibt eg eine wurmftichige Frucht, und 


auch der Stammbaum der Saint Lorrain hatte in dem 
legten Sprofien Louis eine ſolche getragen. Er mar ein 


 leichtfinniger Fant, in fchlechter parijer Geſellſchaft völlig 
verdorben und ein GlüdSritter geworden, welcher, auf den 


leider noch immer jo leicht. geblendeten deutſchen Michel 
bauend, in Deutichland nad) einer Millionärin gefucht 
hatte, welche eitel und thöricht genug war, fih und all 
ihr Hab und Gut einem Abenteurer mit Der Grafenfrone 
anzudertrauen! | | 

Der alte Lehnberg war doh nicht fo einfältig und 
beichränft gewejen, wie man ihn genommen hatte. Cr 
durchſchaute endlich den ‚Herrn Schwiegerfohn, fah die 
Kataftrophe tommen und ſich mo aus dem 
Stande 

Aber Aglae? Ras wird aus ihr?! 

Man m gleichgültig die Achſeln Wie maws treibt, 
fo geht's! Mag fie ſehen und es nun erkennen lernen, 
Be: es armen Leuten zu Mute ift, auf welche jie früher 

(l Verachtung berabgefchaut. 

Der Vicomte war ohne weiteres abgercift, al er von 
der F lucht des Schwiegervaters und den abſolut troftlojen 
Verhältnifjen überzeugt gewejen war. Der Scheidungs- 
prozeß nahm feinen Verlauf, und die Qicomtefje von 
Saint Lorrain verfuchte, jo gut es ihr bei der völligen, 
verzweifelten Faſſungsloſ igfeit möglich war, die Angelegen= 


— 341 — 


heiten mit den Gläubigern zu ordnen. Wie man fagte, 
jollte die Herrſchaft Moosdorf, welde der Baron feiner 
Tochter noch als oem hinterlaffen, wangeweiſe 
verkauft werben. 

Aglaë jaß in Dem herel deene ihres 
Vaters, wo fie joeben den munmehrigen Beſitzer des 
Hauje® empfangen hatte. Diefe Angelegenheit war ge: 
regelt, und blieb ihr vorerjt nichts, als Die wenigen 
Schmuditüde, welche fie in einer Heinen Schatulle in 
ihrem Ankleivezimmer für den täglichen Gebrauch bereit- 
ftehen hatte. Auch auf ihre Toiletten hatten die Gläuz 
biger, meilt jelber jehr reiche Leute, verzichtet, und nun 
handelte es fih nur noch darum, ob durch den Verkauf = 
don M o08dorf jo viel einfam, daß ihr nach Abzug der 
Schulden noh ein feines Kapital übrig blieb, Dann 
mußte es fich entjcheiden, ob aus der Millionärin that⸗ 
ſächlich über Nacht eine Beltlerin geworden. Leichen⸗ 


hafte Bläffe bedeckte das Antlig der jungen Frau; ihre 


Augen ichauten aus tiefem Schatten müde und über- 
nächtig, und das jchwarze Wollfleid ließ ihr elendes 
Ausjchen noch jchärfer hervortreten. Uber trotzdem 
(ag fein leidender oder unglücklicher Zug in dem fchönen 
Muntlig, vielmehr eine Energie, welche ihm jonjt fremd 
gewejen, und eine leidenjchaftliche Erbitterung, welche 
vol düfterer Glut aus ihren Augen jprühte — Das 
Unglüd hatte fie getroffen, und fie hatte e3 dem Namen 
nach fennen gelernt, Der eigentliche Begriff des Wortes 


ige: 


Armut aber war ihr noh fremd. Noh war in ihrer 
Umgebung alles. unverändert, nod) ließ fie die Gropmut 
ihrer. Gläubiger im Beſiß des Hauſes, bis Moosdorf 

berfauft war, nod) quälte fie feine Eorge um ihr täg- 
liches Brot. Und darum war ihr Stolz, ihre ſchroffe 
Heftigfeit noch nicht gebrochen, im Gegenteil, das Bewußt⸗ 
fein, durch ihren furchtbaren Sturz aus der Höhe, durch 
ihr entjegliches Echidjal der Gegenjtand der Schaden: 
freude der ganzen Nefidenz geworden zu fein, reizte fie 
auf zu feindjeligfter Oppolition, und weil fie annahm, 
daß nur Neugierde die ehemaligen Freunde zu ihr trieb, 
ſchloß fie fich unverjöhndbar ab von der Mitwelt und 
gab Befehl, feinerlei Sn bet ihr zu melden oder vorz 
Ba | 
- Mit farkafti ichem Lachen. ‚warf fie die Bilitenfarten 
von fich und ballte die kleinen Hände unter den Folter: 
qualen der Scham und Demütigung. Da hob fie den 


bittern Kelch ihres Elendes abermals an die Lippen, 
aber auch jebt nippte fie nur daran, und e8 waren noh 


viele, viele Wermutsiropfen zu jchlürfen, bis er zum 
Boben geleert war, bis fie durch die jchwere Schule des 
Schickſals gegangen, welche ihr bejchieden war. 

Eine Karte von einem ehedem jehr treuen Freund 
des Haujes, Profeſſor Wendhanfen, welcher ihr voll herz- 
licher Aufrichtigfeit jeine Hilfe und jeinen Beiltand ans 
bietet. Aglaẽ fnäult das Papier zwiichen Den Händen 
und beißt die Zähne zujammen. Sie will und braucht 
feine Hilfe, ſie wird jchon fertig werden in der Welt! 


an 343 — 


Es wäre ja ſchlimm, wenn alle Frauen, die plößlic) ver- 
armen, gleich Hungers fterben jollen! Sie will fein 
Mitleid! Sie will allein ihren Weg gehen und ihr Fort- 
fommen niemand zu’danfen haben! — Sie haft die 
Menjchen! Sie mag niemand mehr horan | und ior, a 
fie hat abgejchloffen mit allem. BB 
In Jepen fliegt das Billet zum Kamin hinab, und 
Aglas jtügt zornig das Köpfchen in die Hände und denft 
gar nicht daran, dem Profeſſor überhaupt zu antworten. 
Was foll dieje Freundlichkeit auch anderes bedeuten, alg 
einen beritedten Hohn, al3 eine edle Rache für die Be 
leidigung, welche fie ihm und Hans Burkhardt damals auf 
dem Bazar angethban? Er ließ fich feit jener Zeit nicht 
mehr in ihrem Hauſe jehen, weil er beleidigt war, jet 
aber, wo jie im Elend ift, will er über fie triumphieren 
und will jeine Genuathuung haben in dem Gedantfen, 
da die jtolze Schöne fich nun demütig und hilfeflehend 
an jeine rettende Hand Kammern fol. Und fo wie er 
— jo benfen alle, die ihr folh’ gnädige Anerbieten 
machen, Die fie aufnehmen oder ir Unterjtüßung ange: 
deihen laſſen wollen. 

Ein wilder, leidenichaftlicher Rampi — ihr 
Herz. Sie geht mit erregten Schritten in dem Zimmer 
auf und nieder, ſie überlegt mit fiebernden Pulſen, was 
fie beginnen fol, wenn der Erlös von Dioosdorf ihr 
feine Exifteng fichert. Sie beit feine: Talente - — font. 
weder malen, nod fticken, noch Irätftelleen; das 5 Biden 
Mujit nügt ihr leider nichts ! 


34 


An ihrem Kleiderſaum M tajchelt ‚etwas, Gie blidt 


mechaniſch danach zuriick, Ein Stüd Theaterzettel: le. . 


Hochzeit des Figaro!” Sie war noch vor kurzer Zeit 
in die Oper gefahren und hatte ſpottend einer bekannten 
Dame gejagt: „Welch eine entſetzliche Debutantin! 
Die Berfon benahm fi) ja wie ein Stod umd —— 
vollkommen, daß fie Comödie zu ſpielen hatte, und fo 
gut wie fie, finge ich die Arien der Gräfin auch noch! 
Ich hoffe nicht, daß man uns sr EÖROUENIDEIE 
dauernd engagiert!’ a 
Aal ae zuckte jähling? zufammen, ihr Auge plite auf. 
Singen! — Sagte man nicht, fie befige eine jchöne, 
fräjtige und klangvolle Stimme? Hatte man ihr nicht 
unzählige Elogen und Komplimente über ihren dramatijchen 
Vortrag gejagt? — D, fie glühte ftet8 vor Wonne und 
Begeifterung, wenn ſie in itrahlender Pracht, befrie— 
digt und fröhlichen Herzens im Muſikſaal ihres Vaters 
ſtand und eine höfliche Menge in atemlojem Lauſchen 
an ihren Lippen hing. — Wie fang die Tochter des 
Millionärs die „Bettelarie” jo wunderbar ergreifend, 
daß faum ein Herz ungerährt blieb? Wie fonnte fie, 
der aller Herzen zu Füßen lagen, jo unausfprechlich 
traurige und flagende Lieder von verlorener Liebe und 
verlorenem Glüd, von Fal heit und Verrat fingen! — 
Und fie jang meiſterhaft. Sie hatte ja ſtets im Reben 


jo vorzüglich Comödie gejpielt und immer damit Glüd 
gemacht, warum foll fie, die PBriejterin der Comödie, diee 
jelbe nicht auch zum Beruf, zum Jnpaltihres Qebens maen? 


+49 g 


Die dunflen Augen der jungen Frau glühen auf, 
ihre Wangen brennen plöglich in heißem Purpur. Shre 
alte, ungejtime Lebensfreude überfommt fie. — Sie will 
Sängerin werden! — Jhr Ent- 
ſchluß ift gejat! — Wie viel 
teure Stunden hat fie genom- 
men! © wird nur noch einer 
furzen Ausbildung bedürfen, 
um fie reif für die Bühne zu 
machen. Ihre wundervollen 
Toiletten werden ihr dabei noch 
jehr zu Itatten kommen, fie er: 
-fpart durch fie die große Anz 
ichaffung koſtbarer Koſtüme 
All ihr Leid und ihr Elend iſt 
vergeſſen, Aglas lebt nur noch 
in dein Gedanken an ihre tünjt- 
leriiche Laufbahn. 

Der Himmel hängt ihr 
voller Geigen — fie fieht in 
rolige, lodende ernen, fie 
jieht plöglid das Ideal und F 
den Traum ihrer Jugend ver- wS gr 
wirflicht! Das flotte, über: 7 
mütige Bretterleben hatte fie jtetS gereizt und angezogen! 
Sie verfehrte ja früher mit Vorliebe mit Künftlern, bis 
fie in Paris in allzu nahe Berührung mit einem der: 
jelben fam und ihr Hochmut eine Scheidewand zwifchen 





= uM o 


ihr und „dieſen Leuten da unal” ee Das 
alles aber war vergeljen; fie Dachte nur an die Beit, 
wo fie alle Bühnengrößen noh im Haufe ihres Baters 
empfing, wo fie mit den Herren fofettierte und mit den 
Damen jehr intim war, um deſto beffer in die Myſte— 
rien jener Belt hinter ben Couliſſen eindringen zu 
können! 

Alle dieſe Pente a waren ja jehr liebenswürdig zu ihr 
geweſen, und wenn nun auch der Verkehr aufgehört hatte, 
feit fie Baronejje Lehnberg geworden, je nun, jo war. 
die ja doch nur ganz begreiflich gewejen! Als fie in 
die Hoffreije eintrat, fonnte fie Doh unmöglich nod an 
artige Beziehungen aufrecht erhalten. 

So wie ih Die Sache mit Moosdorf entichieden bat 


wird fie jofort zu einer der Damen fahren und ihren 


Plan mit ihr bejprechen. Man wird ihr gewiß alljeit3 
behilflich jein, und fie wird dann nad) Wien oder Prag, 
München oder Berlin an die Oper gehen und fih all- 
abendlich applaudieren laſſen 

Aglaë jchellte — es fam niemand. — Gie felte 
abermals, gornig und anhaltend. — Geit fie nicht mehr 
die Millionärin war und die Verhältniffe fidh im Haufe 
jo jehr geändert hatten, waren die Dienftboten unerträg- 
lich geworden. Much jebt trat endlich ein Diener mit 
mürriſchem und undevoten Velen ein. 
Dieſer Brief jolte an den Nechtsanmwalt beiorat 
werden! Wie kommt es, daß er nod) hier liegt?” 
herrſchte ſie den Mann an. 


— 347 — 


Er zuckte nachläjjig die Achleln. „Cs wird wohl 
niemand Zeit gehabt haben!“ entgeguete er freh. 

Aglaë ftieg das Blut in die Wangen. „Ift jebt 
etwa mehr Arbeit wie jonjt? — Sit es früher jemals 
vorgekommen, daß ein Befehl ignorieut wurde p” 

Der Burſche 
lächelte ſpöttiſch 
‚sa, früher! 
‚früher befumen 
wir auch unlern 
Sohn bezahlt!” 

Die junge e 
Kran zudte gu = 
jammen. „Nun | 
— und gejchieht 
Das jet etwa 
niht? 

„Nta — mer. 
foll ung denn nach 
dem allgemeinen | = 
Banfrott bezahlen?” — war die rüde Antwort, „wir 
haften aus, weil wir vertröjtet find, daß Die Frau 
Bicomteffe nach dem Gutsverfauf noch etwas ausgezahlt 
befäme, und auch nur darauf hin geben die Kaufleute 
noch Kredit, daß wir die Wirtjchaft führen können“ 

Aglaë war wie ſchwindelnd ſtehen geblieben. Dies 
war das erſte Mal, daß man ihr derartig zu begegnen 





wagte, daß man ihr die Mißachtung zeigte, welcher die 


— 5 > 


Armut zumeift ade: ift. — Se höher fie ftand, = 
deſto jchwerer und fühlbarer der Fall. En 


Zu irer alten, imponirend folgen Beije ren ih 


Gräfin Saint Lorrain empor. „Sie werden noch heute 


Shren Lohn ſämtlich ausgezahlt befommen!“ ſprach fie = 
blißenden Auges. „Und nun augenblidlich den Brief eo: 


hier beiorgt, jonit find Sie auf der Stelle entlaffen. T 
Dieſer Ton verblüffte. War der Bankrott am Ende 
doch nicht fo arg? — Einen fcheu fehielenden Aufblid, 
eine unterthänige Verneigung und James verjchwand. 
Aglaë aber janf auf einen Sejjel nieder und meinte 
heiße Thränen ſchwer verlegten Stolzes. — Cie erwartete 
Sautding, den einzigen Menfchen, mit welchen fie in 
falter Geſchäftsmäßigkeit als Konfursverwalter verfehrte. 
Er jollte die Zeute jofort ablohnen und entlafjen. Aglaë 
wollte allein fertig werden. | | 
Und wieder war e3 der Gedanke an ihre fünftleriiche 
Laufbahn, welcher fie aus ihrer verzweifelten Stimmung 
emporriß! Ein fieberndes Interejje für alles, was die 
Bühne anbetraf, ergriff fie, und fie faßte nach den 
Zeitungen, Die Opernfritifen Der legten Zeit gründlich zu 


Itudieren! Hatte ihr Doch einſt eine berühmte Sängerin A N 
gejagt, ihre beften Lehren habe fie aus den Necenfionen 
ihrer Rivalinnen empfangen, daraus babe fie gelernt, 


was jie thun und laffen müjje, um jene in ihren oo 
Seiten zu überjlügeln. | 

Aglas hatte faſt nie zuvor eine Brltung in die Hand 
genommen. Politik, Dörje, Marktberichte und Annoncen 


— 349 — 


waren ihr unendlich gleichgültig, der Geruch der frifchen 
Druderjhmwärze geradezu widerwärtig. — Jetzt empfand 
fie nichts davon, mit Ungejtüm neeh forje jte Die 
Blätter. 


Plötzlich ſtutzte ii Ein groß gebraten Kane fiel 


Ahr im die Augen. „Doktor Hans Burkhardt, Privat- 


Dozent an der Umiverfität zu X. veröffentlichte in einer 
jechiten Vorlefung der überjtarf bejuchten Verſammlung 
ärztlicher Autoritäten feine neueſte ſenſationelle Forſchung 
auf dem Gebiete krebsartiger Leiden.’ 

Wer? Hans Burkhardt? — Der Kleine Paͤchterſohn, 
der Bauernjunge aus Moosdorf?! — Aglaë ftarrt auf 
Die Zeitung nieder wie im Traum, „er hält Borlefungen ? 
Er ijt der plöglih aufgetauchte Wunderapojtel, welcher 
ein Mittel gefunden haben will, Krebsleiden zu heilen? 
Sa, richtig...” Aglaë entfinnt fih, daß man davon 
geiprochen, daß das neue Heilverfahren einen Sturm der 
Aufregung entjaht hat, Daß es em ganz junger Arzt 
jei, melcher fich mit diefer Forſchung in die Reihe der 
eriten medizinischen Größen emporgejhmwungen habe, — 
aber den Namen? Nein, den hatte fie nie beachtet, denn 
fie hielt fich jchaudernd die Ohren zu, wenn von einer jo 
efelhaften Krankheit die Rede war! Gott fei Dant, fie 
war gejund an Leib und Seele! Gie brauchte fih nicht 
für Leute und Dinge zu interejjieren, ropie fie abjolut 
nicht3 aangingen! 

Sept mit einemmal fiel e8 ihr wie Schuppen von den 
Augen. Diefer neue Stern am Himmel der Wiffenjchaft 


— — : 


war ihr Hans, ihr alter, (ieber Freund Hans. — Und 


fie hatte das ſoeben erft durch einen Zufall erfahren = a 


joeben erft! Wie war's nur möglid) gewejen, Dah er 
nie davon gefchrieben! Gej ichrieben ? Die junge Frau 
zucte plößlich zufammen uud legte die Hand über die 
Augen. Wie fonnte fie das wohl erwarten, nad) der 
Ichändlichen Behandlung, welche fie ihm angedeihen lieh! 
— Gie jab ihn nod Stehen in der Stirche, fernab unter 
der Menge, den flaren Blick auf fie gerichtet — verächt: 
lich, beinahe empört über diefe ftolge, Comödie jpielende 
Braut! Nicht unter den Gäften wollte fie ihn an jenem 
Tage jehen, denn er hätte ja den glänzenden Zug 
ſchimpfiert durch fein ärmlich, ſchmucklos Kleid und ſeinen 
klangloſen Ramen, fie N ihn, weil fie fidh jeiner 
Ichämte! 

Und er follte ihrer noch, gebenfen? Die Zeit, da cr 
wahrlich) tr Freund Hans gewejen, die war lange, lange 
vorüber. — Aus dem Freund aber war ein Feind gez 
worden, der die hochmätige Frau Vicomteſſe haßte um 
ihrer Treulofigkeit willen, der ihr fchon damals s gegenübers 
getreten war mit dem Beltelduntel der Armut, welcher 
fih ihren Millionen nicht beugen wollte. So ftolz und 
feindjelig hatte ihr fein Mann je zuvor gegenübergeitanden 
wie Hans Burkhardt, denn damals war ihre goldgefüllte 
Hand noch frei, und welch ein anderer Mann in der 
Lebensſtellung Hans Burkhaͤrdts hätte fie wohl gurit- 
gewiejen, wenn fie ihm entgegengeboten worden wäre? 

Er aber, er warf ſtolz das Haupt in den Naden 


—— 


und zertrat die goldſchillernde Schlange, welche ihm 
alè Verjucherin aus dem Zaufendgüldenfraut entgegen- 
funfelte! 

Aglaë ift verbittert big zum Hak gegen Gott und 
die Welt. Früher hatte fie noch oft an Hans gedacht, 
mit milden, verjöhnlichen Herzen, welches ihn herbei- 
rief wie eine liebe Traumgeftalt in die grauenvolle Wirk: 
lichkeit! Da wähnte fie ihn noch arm, vergejjen und 
bedauernswert, da hatte es noch einen gewiſſen Reiz für 
fie, aus ihrer Höhe nad) ihm hinab zu ſchauen, wie die 
gefangene Königstochter fich herniederſehnt zu dem Schäfer, 
der allmorgens feine Herde am hohen Schloß vorüber- 
treibt. — Sebt hatten fie aber die Rollen getaufcht, und 
Aglaës eitles Herz zudte auf und revoltierte gegen den 
Gedanken, daß er, der Verachtete, plöglich hoch ftehe im 
Glanz, und daß fie und ihr Lebensjchifflem gejunfen 
feien, jo tief, tief, daß fein Emporfommen wieder möge 
lidh war! 

Wahrlich nicht? Aglaes Augen blitten auf. — Noch 
ift das Lied nicht aus! — Noh gibt e3 eine lockende, 
ſtrahlende Zukunft, reicher an Qorbeer und Gunft, als 
wie die eines armjeligen Doftors, der vor feinen Stu- 
denten und Ärzten ein paar Reden hält und feine ganze 
Kunft nur in dumpfe Sranfenituben tragen fann! — 
Er wird zeitlebens am Boden leben, da, wohin ihn 
Elend, Not und Krankheit feiner Patienten bleifchwer 
ziehen und feithalten! Aglaë aber wird auch künftig 
ein Schmetterling mit goldenen Flügeln fein, wird lachend, 


Se 


fingend und ſorglos über Rofen uao Lorbeer dahin- 
ſchweben, eine Sa dep Oee, der De und 
Lebenstuft! 

Und dennoch ärgert fie fih, als fie ſtets neue Nad- 
richten in der Zeitung findet, welche Hans Burkhardt 
feiern, welche ſein Verdienſt lobpreiſend anerkennen und 
von Anszeichnungen und Beweifen der Liche und Be- 
munpderung erzählen, welche ihm allſeits gezollt werden. 
Sie fchleudert das Blatt von fih, und wandelt, 
‚aufs beftigjte erregt, in dem Gemadh auf und nieder: 
Wie mag er jebt triumphieren und über den Eturz der 
grau Bicomtefje von Saint Lorrain höhnen! — Eie 
fieht im Geifte fein ftolges, mitleidlofe® Geficht, wie 
er falt lächel nd vor fih hinnickt und jagt: „Wie 
man's treibt, jo geht's! Gie hat eine große, große 
Lügencomödie vor der Welt geipielt, und die Millionen, 
in welchen fie geitrahlt, und mit welchen fie einem Aben- 
teurer die Augen biendete, waren von Flittergold! — 

Nun ift die Comödie aus, aber der Schluß war ein 
boſer Sinalleffett, — die ganze Herrlichkeit rutfchte in. 
die Verjenfung! — Sch aber! Ich bin als Selfmademan 
emporgejtiegen auf die Höhe, welche fie nicht mehr be- 
haupten fonnte, — nun jtehe oben und blide auf 
jie herab!” 

Heiße Glut fteigt in Die farbtofen Wangen der jungen 
Tran. Stolz, Eitelfeit, brennende Scham! Ihr Trog 
iſt aber noch ungebrochen, und jener Bettelhochmut, den 
fie früher fo oft verjpottet, der zeichnet num auch ihr 


— 353 — 


fein finſter Mal auf die Stirn Mit gefalteten Brauen 
und einem gereizt aufiprühenden Blid jtarrt fie auf den 
Diener, welcher zwischen den Portieren jteht. 

„Ras wollen Sie? 

„Sräfliche Gnaden, es ni ein Herr drunten, an 
ſich abjolut nicht 
abweiſen läßt Er 
hat mir befohlen, 
feine Karte abzu⸗— 
geben und ihn bei 
Frau Bicomteffe 
zu melden.” 

„Welche Bus 
dringlichfeit! — 
Vielleicht ein Käu— 
fer oder Auktio— 
nator, welcher mich 

perjönlich be- 
heiligen wil! — 
Zeigen Gie Die h 
Karte, wie heißt ta Manea 
er 2 Te 

Unwirſch nimmt fie daS weiße Blatt — Sie 
zuckt zuſammen, ihr Haupt neigt fich jählings vor, ein 
scharfes, höhnifches Lächeln fpielt um ihre Lippen. Doktor 
Hans Burthardt!“ murmelt fie leſend. Und dann ſteht 
fie da, ſchwer atmend, mit zitternden Lippen. 


„Darfich den Herrn eintreten laffen, Gräfliche Gnaden?” 
Rp. Eiftrurb, IN Nom. u Nov., Comöpie IL. 23.2 





a 


Ein flammender Blid trifft den Frager: „Rein!“ 

- ruft fie leidenschaftlich, „taufendmal en! — Beftellen 
Sie, ich jei für niemand zu Iprechen, für niemand!“ 

poeet 


Die Portiere ſchließt ſich; wie ein auflöhnen rin T p 


08 jid aus Aglaẽs Bruſt! 


Auch er kommt, ſie durch ſein Mitleid zu — 


ud er kommt, ſich an ihrem Elend zu weiden! — Was 


foll er, der arme Schluter, der wohl eine große Ent : 
derfung machte, aber feine Millionen erwarb, was jol 


er wohl anderes bei ihr wollen? — Helfen kaun er ihr 
nicht, Troft und Mitleid will fie aber nicht! Und fie 
will dem „berühmten Mann“ nicht die Genugthuung ges 
währen, daß er fich jchulmeifternd vor fie hinftellt und 
ihrer Comödte eine Kritik fchreibt! Gie ijt und bleibt 
Die Vicomleſſe von Saint Lorrain, die Trägerin eines 
der vornehmſten Namen, den ihr feine Macht der Weit, 

weder Armut noch Elend und Verlaf enheit rauben fimen 
und er wird ewig der Cohn eines armen Rächters bleiben, 
wenn er auch zehnmal Brofefior wird! — Eie wird nie 
vergeſſen fönnen, daß er auf dem Beſitztum ihres Vaters 
der Sohn eines Untergebenen war, daß ihr Platz im 


. Schloß, der feine nur im Pachthaus gemejen!“ 


Noch ift ihr Stolz durch dieſen Schickſalsſchlag nicht 
zerjchmettert, und Aglas räumt niemand, ſelbſt Hang 
Burkhardt nicht, Das Recht ein, fie zu bemitleiden und 
fid) über fie zu erheben! 

Ein Serul orian Ingrimms überkommt 


u 


Ile, or ſinnloſe Trotz eines Kindes, welches dem Abe 
grund entgegen läuft und dennoch eigenfinnig nach der. 
Hand fchlägt, welche es rettend erfaſſen will, 

Ein lauter Schritt im Nebenzimmer. 

Uglaë wendet jäh das Haupt und ſtarrt auf die 
Pa welche mit energiſcher Hand zurückgeſchlagen 
wird. Leid yenbläjfe bedeckt ihr Antliß, Jie krampft die 
Hände zujammen und ringt mac Atem, 

Bor ihr ſteht Hans Burkhardt. 


R 


o 





AV 


Was haſt Du im dem Spiel ges | 

3 Wwonnen? 

Was blieb der wunden ruft?! 
Eichendorff 





y te cin Aufſchrei klingt ſein Name 
von ihren Einen: „Dang! 
— Burkhardt!” 

Cein Antlig war düſter, jebt Helfte es fidh plöglich 
auf zu einem ftrahlenden Lächeln. Hajtig trat er näher 
und reichte ihr beinahe ungeltüm Die ‚Hand — 

„Es erſtaunt und überrafcht Cie, mich zu jeben, Frau 
—— ruft er, „Gott fei Lob und Dant! Ep 
habe ich aljo doch. mit meiner Vermutung redt gehabt, 
jo hat man mid). Ihnen: gar nicht gemeldet, weil Cie 
jeden Beſuch abmeilen lajien! Co haben Sie mid) richt 
auch fortgeichiet, wie jeden Fremden, und id that recht 
daran, hier einzudringen, wo meine marinai zur Beit 
notwendig ift! — 

Sie hatte fih gej tabt, falt und stolz mufterte fie ihn 


— 37 — 


vom Scheitel bi zur Sohle und umfchloß mit bebenden 
Händen fejt die Lehne des vor ihr ftehenden Stuhls, ohne 
von feiner dargeborenen Nechten Notiz zu nehmen. 

„Sie irren!” antwortete fie mit jaft feindfeligem Blick, 
„Ste find mir gemeldet worden wie jeder, der hierher 
kommt, mit dem Verlangen, fich perjönlich zu überzeugen, 
daß die Bicomtejje von Saint Lorrain wahrlid) das ftolze 
Genick gebrochen! Da liegt Ihre Karte, Herr Burkhardt! 
Ich war allerdings Durch Ihren Anblid in hohem Grade 
überrafcht, weil ich es nicht für möglich hielt, daß ein 
Herr und Kavalier die Thürjchlöffer einer Dame gewalt- 
fam jprengt, wenn er nicht freiwillig von derjelben 
Eintritt erhält!” | 

„Aglaë!“ — Halb entjet, halb unmillig flang e8. 
Er jab fie einen Augenblid an, alè veritehe er fie nicht, 
dann trat eine tiefe alte zwilchen feine Brauen, und 
gleihjam, als zwinge er fich, feine Nube zu wahren, 
antwortete er fühl: „Da Frau Bicomtejle den Bejuch 
eines langjährigen Freundes und Spielfameraden jo ſchroff 
ablehnen, darf ich wohl notgedrungen darum bitten, 
gejchäftlich mit Ihnen verhandeln zu dürfen. — Herr 
Sautbing, welcher zur Zeit in jeinem Büreau unabfömmlich 
ijt, verwies mich direft an Sie, da meine Pflicht mid) 
ſchon mit dem nächjten Zug wieder von hier abruft. Herr 
Sauthing ſchien wohl einen andern Empfang voraus 
gejeßt zu haben, jonjt hätte er mic, Ihnen gewiß als 
‚unabmwendbares Übel‘ annonciert!“ 


Erjtaunt blickte Die junge Frau auf, ihre Haltung 


u dos 


war noch immer eine wmahbare. „Beichäftlih? Was 
haben Gie Gefchäftliches mit mir zu beiprechen ?” Sie 
betonte das Wort „Sie!“ fo fpötttich herausiordernd, 
dag ihm das Blut ins Antlitz Schoß; der geübte Blid 
Deg Arztes erkannte aber jofort, Daß er e8 mit einer 
nervös überreizten und Durch das Unglüd kopfl os gemachten 
Dame zu thun habe, mit welcher man nicht rechten darf. 
Er legte gelaſſen ſeinen Hut nieder und antwortete ebenſo 
ipottend wie fie: „Das ift eine längere Geichichte, und 
obwohl Gie mir noch feinen Stuhl angeboten, Frau 
Bicomtefje, bitte idh dennoch um die Erlaubnis, mih 

jeßen zu Dürfen. Ich durdiwachte die Nacht an einem 


Sraufenbett und nahn mir auch am Tage feine Zeit zum. ; 


Nuhen, da midh die Depejche meines Baters und mein 


eigenes, aufrichtigftes Mitgefühl unverzüglich Hierher zu 


Ihnen trieb! Hätte ich allerdings geahnt, wie überflüſſig 
dasſelbe hier ift, ich hätte mich weniger abgehept, um 
Ihnen zu Hilfe zu eilen! 

Aglass Antlitz färbte fich höher, fie nahm fehwer 
atmend ihm gegenüber Plag und vermied es, ihn an- 
zuſehen „Hilfe? lachte fie bitter auf, „mir faun nur 


| Silfe durch Gold und Silber werden — und „were 
nn achen Cie das harte Wort — ein Mann, der jelber 
unterſtützt wird, tann unmöglid) ein Sn u 


[on ausjchütien! — 

Er lächelte beinahe amüſiert: ‚eh ich bin 
nad) wie vor cin armer Echluder, der vorerft noch gerade 
genug zu thun hat, um fich jelber über Waffer zu halten, 


— 8359 —- 


aber Cie vergefjen, — Vicomteſſe, daß ich noch einen 
Bater befige E 

Sie blickte ſchuell auf, lehnte a den Kopf 
zueick. und fniff Die Mugen en al habe fie ihn 
nicht recht verjtanden. „hr Barer? . . Wie follte der 
Pächter meines Gutes in der Lüge I mir Hilfe au: 


N Höchitens durch Nat und That — und mit bijer 


Münze lajje ich midh gerade jeßt durchaus nicht unter- 
jtügen. Ich Din meine eigene Herrin, und mein Lebens- 
weg ift mir flar und ficher vorgezeihnet — e3 bedarf 
aljo feinerlei fremder Einmiſchung“ 

„Um jo bejjer! Aglaë jchlug ummillfürlich die — 
nieder vor dem Blick, welder fie traf. „So wird meine 
Miſſion Hier um fo fürzer fein. Es fcheint, daß Herr 
Sauthing Ste von den lebten Ereigniſſen in r Moosvori 
noch nicht unterrichtet hat?” 

„Sreiguijjen in Moosdorf? Heute if bie Ser 
unter den Hammer gefommen, es können nod feine Nach- 
richten von dem Mejultat Hier fein.” 

„Sie unterfchäten unfere Telegraphen. Wollen — 
Vicomteſſe fih überzeugen?” 


Gie griff haftig und jehr erregt a der Depefehe, N 


welche er aug der Brufttafche zog. Ihre Hand bebie 
dermaßen, daß fie das Papier faum öffnen fonnte. Mit 
jtodfendem Herzichlag las fie: „Habe joeben Moosdorf 
fäuflich erworben, obne Hypothek wird es allerdings nicht 
abgehen. Reife augenblicklich zu unferer armen Aglas ab und 
fage ihr, was id) dir jchon brieflich mitteilte. Burkhardt. A 


— 360 — 


| Leichenblaͤſſe überzog das Autlitz der Leſenden; wie 
ſchwindelnd hob ſie die beiden eiskalten Hände an die 
Schläfen und ſchloß momentan die Augen. Dann zuckte 


fie leicht zuſammen un ftarrte Hans mit gläjernem 


Bid an. a 
Ihr ... Ihr Vater... hat Schloß Moosporf gez 
kauft ?“ flüfterte fie. z 
Der junge Arzt nidte gleichgültig. „Mein prafticher 
Vater hat fidh diesmal von feinem gutmütigen Herzen 
übertölpeln laffen, ebenjo wie fein Cohn, der nicht a 
und trant, weil ihn die Freundfchaft und Sorge für Sie 
zum Bahnhof trieb, die Sorge um eine Frau, welche 
jolh ein Opfer weder verlangt noh würdigt. Mein 
guter Bater gehört zu dem alten biedern Menſchenſchlag, 
der in der Not die treueſte Freundſchaft Hält. Er hat 
zwar nicht ſonderlich viel Grund gehabt, fich dem Baron 
von Lehnberg verpflichtet zu fühlen, aber die arme, kleine 
Mal aë, die er ehemals auf dem Arm gehalten, die jam- 
merte ihn in ihrer hilfloſen Lage. ‚Hans‘, ichrieb er 
mir, ‚es ift zwar ein Unfinn, folh ein Gut zu faufen, 
wenn der Eohn ein Bücherfuchjer und Quackſalber ges 
worden ift, aber ich fann nicht fort von hier, ich flebe 
an der Scholle mit all dem fauern Schweiß, den fie mid) 
gefojtet! Und Dann um der armen Aglaë willen! Habe 
gedacht, es fei ihr vielleicht eine rechte Hilfe in der Not, 
wenn ihr die Heimat erhalten bliebe. Darum fahre jelber 
bin zu der Frau Vicomtefje und fage ihr, die alten Burt- 
hardts ließen fie aus treuem Herzen grüßen, und fie ſolle 


— gbl 


nicht jammern und ſich grämen — Moosdorf ſperre alle 
Thüren auf, ſie heim zu holen! Wir ſind ja allerdings 
nur ahe, einfache Bauersleute, aber wir wollen die 
arme, ver laſſene junge Trau aufnehmen. bei uns, als 
wäre fie unjer eigen Kind. Das große Schloß it leer, 
denn mein Mutterchen und ich, wir bl eiben bier in une 
ſerm gewohnten, Kleinen Reit. Die Frau Ricomteffe aber, 
die foll nach wie vor in dem Schloß wohnen, und was 
fie zum Leben braucht, das joll ihr Herzlich gern gegeben 
werden. Lurus fann ich ihr freilich nicht bieten, aber 
ich denke, ein Frauenherz, das jo viel erſchrecklich Schweres 
durchgemacht bat, das hängt nicht mehr an PI under und 
‚slitterfram, Hörſt du, Hans? fahre gleich din uhr, 
bringe der armen, einjamen Frau Trojt und Hilfe, dem 


fie hat ja wohl niemand auf Gottes weiter Welt. Wir 


aber meinen eS gut mit ihr, und wenn's ihr recht ijt — 
dann oil fie gleich am nächften Tage fommen, und der 
liebe Herrgott jegne ihren Eingang bei uns!‘ Hans 
ſchwieg Er hatte leije, mit wunderbarer Junigkeit ges 
prochen. Eein Blid leuchtete immer glücjeliger, je mehr 
er die Wirkung Diejer feiner Worte in ihrem jchönen 
Antliß las. Zuerſt Hatte fie ihn groß, mit weit auf: 

geriffenen Augen, beinahe erjchrodfen angejchaut, dann 
trieb ihr die Scham heiße Glut in die bleichen Wangen, 
und wie gebrochen durch Die Wucht ſolch umverdienter 
und überrajchender Liebe und Güte neigte fie Das Haupt 
in Die Hände und jchluchzte leije auf wie in verzweiflungs- 
vollem Weh. Sie antwortete nicht, und auch Hans ver- 


— 302 — 


barrte ftil, das munderthätige Wirken dieſes Thräneus = 
regens nicht zu jtören, = 
Er war nicht nur ein Arzt des Körpers, jondern 
auch der Seele, und er hatte erkannt, daß Aglas wohl 
die Fräntite Patientin war, welde er je a rettende 
u geleitet. | 
Wie eine Erlöfung fam e3 über fie, es war, als ob 


pieje Thränen die häpliche Schminke unwahren Stolzes 


und falſcher Kälte von ihrem Autlitz fortwuſchen, als ob 
etwas Gijigfaltes in ihrer Brujt zu jchmelzen beginne. 
Cie jprang empor und ſtreckte dem jungen Arzt leiden- 
ichaftlid beide Hände entgegen. „sch dante Ihnen!’ 
stieß fie jchluchzend hervor. „Shnen und Shren Eltern! 
— 3d bin nie im Leben fold) treue Liebe gewohnt gez 
weſen — ich kann's nicht begreifen, daß jemand wahrlich) 

von Herzen gut zu mir ift! — Sagen Sie es Shren 
Eltern... und jagen Sie ihnen, daß ich taufendmal 
danten laffe! Cie haben mir eine große Wohlthat er- 
wiejen durch ihr. Anerbieten, aber. annehmen kann ich 
| dasjelbe nicht!” 

Hans hielt ihre Sünde fejt: „Und warum nidt, 
Frau Vicomteſſe⸗ a Gie eine andere Heimat ge- 
funden 2” | 2 

Gie fchüttelte troftlos das Hanpt. 

„Beligen Sie treuere Freunde, welche für Ihre Crifteng 
jorgen wollen und fönnen?” = 

Freunde?“ Das alte, bittere ‚Sachen gellte durch — 


ihr Schluchzen 


m 


„Alſo auch das idt Moosbarf ift mit dem heutigen 
Tag verfauft, diejes Haus hier müffen Sie räumen, und. > 
e3 bleibt Ihnen nach Abzug aller Kojten und Dedung 
der Schulden nur ein jo fleines Kapital, daß Sie jelbit 
darbend nicht von feinen. Zinſen leben fünnen. Was 
aljo wollen Sie beginnen? Ich bejchwöre Sie zu Ihrem | 


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eigenen Beſten, jagen Sie, 
warum lehnen Eie die Ein: 
ladung meiner Eltern ab?’ 
Sie rang voll Dual die Hände frei und flug fie 
vor ihr brennendes Angeliht. — „D fragen Sie nid! 
— Sch tann niht nah Moosdorf, ih tann nicht von 
Almojen leben — ich werde wahnfinnig in dem Gedanten, 
daß ich von einer Barmherzigkeit leben ioll, die ich nicht 
verdiente! — Warum ſammeln Sie ſolch feurige Kohleu 
auf mein Haupt, Hans?! — Sch bin nie im Leben Ihre 
—— Rn aei, ih nie einen — 


N eg 


von all den hochherzigen Gejin en für Sie oder die Ihren 


empfunden, welche Sie mir jebi fo beſcha mend entgegen⸗ — 


bringen! Laſſen Sie mich ausreden! Es iſt ein bittere 
jüßes Selbitfajteien! Es ift eine graufige Wohlthat, vor 
dem Menjchen zu ftehen und fich jelber zu richten in 
einer Etunde, wo nur von dieſem Einzig en noc) 
Rettung kommen fann! — Gehen Cie! Gehen Eie, 
Hans, ich hab's nicht verdient, daß Sie mich mit ſolch 
unausjprechlich guten und wweuen Augen anjehen! Sch 
bin falih und untren gegen Sie gewejen, jo lange id 
zurücdenfen fann! — Mei Spielzeug waren Sie! Mein 
Heitvertreib, welchen man mißachteud in die Ede wirft, 


wein fich bejjeres bietet! Gejchämt habe ich midh ‚Ihrer = 


und Shrer Eltern, habe Ste verleugnet und gefränft big | 
ins tiefite Herz hinein, habe voll faltherziger Berechnung 
Die Hände nach Ihnen ausgejtredt, Sie herabzuzichen 
vor meine Füße, um Ihnen Herz und Eeele zu bergiften, 
jo wie fie mir von Kindesbeinen an durch den Peſthauch 
modernen Lebens gemordet wurden! — Gejpottet habe 
ich über die Leute im Pächterhaus, habe mein Kleid 
ängitlich zufanmengefaßt, ‚ wenn id) über ihre Schwelle S 
treten mußte, weil ich glaubte, die Atmoſphäre der Amut 
wirke wie Schmuß! — Ich babe den alten Reuten den 
Sohn nehmen wollen, ihm Bravbheit und Nedlichkeit zu 
jtehlen, weil e mir für einen furzen Faſtnachtstraum 
amüjant geweſen wäre, iu an feiner unglüclichen Liebe 
verfommen zu jehen, und zu dieſen — Diejen Leuten jollte 
ich jet gehen, um aufgenommen zu werden wie ein Kind 


->o — 


in der Heimat? Ihnen ſollte ich alles danken, was ich 
nod) auf Erden wäre?! — Niemals, Hans! — beim 
ewigen Himmel, ich fann es nicht!“ 

Er jah ihr traurig, aber voll warmer Herzlichfeit 
in das flammende Angeficht: „Meine Eltern wijfen 
nichts von all dem Unrecht, deffen Cie ſich anklagen, 
und ich, der e8 anhören mußte, ich vergebe Ihnen von 
ganzem Herzen, rau Bicomtejie, und habe nur eine 
Bitte, welche Eie mir als Sühne zu erfüllen verfprechen 
müllen: Betrachten Sie Moosdorf zeitlebens alè Ihre 
Heimat und vergeljen Sie die trüben Bilder, welche Sie 
fich ſelbſt als Schredgejpenit vor meiner Sen Thür 
ſtellen!“ 

Sie antwortete nicht, ſondern ſchüttelte nur voll 
dülterer Schwermut das Haupt. | 

„Run, fo laffen Sie uns wenigftens einmal vernünftig 
über Ihre Zukunft fprechen!” fuhr er in jeinem alten, 
energiichen Ton fort, „und wenn Sie es wirklich als 
Ihre Schuld erachten, ehedem falſch gegen mich geweſen 
zu fein, fo büßen Gie diefelbe jegt dadurch ab, daß Sie 
mir künftighin um fo ehrlicher vertrauen. Wollen Sie o 
das veriprechen, Aglas 2” 
Sie jchlug mit aufleuchtendem Blick in eine Hand 
ein. „Sa, das mil ich“, atmete fie auf, „Sie foflen 
wenigftens den Weg fennen, auf welchen ich mich vor: 
wärts fämpfen will, und welcher ung für alle Ewigfeit 
trennen wird!” 

Ein wehmütiges, aber dennoch —— Lächeln 


Be 


jpielte momentan um feine Sipen. „aljen < Sie id 
hören!” nidte er freundlich. “ 

Sie ließ das Haupt wie müde zur Bruft finfen: ind 
jtarrte nachdenklich auf das bunte 3 Teppichmuſter zu ihren 


— Süßen nieder: „Leider Gottes war men Bater fon 
= ein reicher Mann, als ich geboren wurde”, begann fie 
herbe, „und meine Erziehung ijt das Reſultat feines 


Parvenüpünfels, welcher von fich und jeiner Familie 
alles ſernhielt, was an die niedrige Vergangenheit er— 
innerte. Die Arbeit, welcher er ſeinen Reichtum verz 
dankle, verachtete er, weil ſie der Lebensinhalt t des nied- 
tigen Mannes iſt, und jedwede prattiſche und nützliche 
Beſchäftigung hielt er ſchmachvoll für die Tochter eines 
Millionärs, welche Dienjtboten genug befchligt, ihre 
Wünfche jofort erfüllt zu fehen Meine Mutter war 
franf und ſchwach, fie drang mit ihren Anfichten nicht 
durch und ich ward, was ich jebt leider Gottes bin, ein. 

unwiſſendes, hilfloſes, nutzloſes und überflüſſiges Geſchöpf 

Ich habe weder ein — gemacht, nod fo viel 
gelernt, um es vielleicht jetzt noch nachholen zu fünneit; 
nicht einmal zur Süindergärtnerin würde ich braıtchbar ſein, 


denn ich bin ungeduldig und unduldjam und | würde mich: | 


niemas in Die Rolle einer Untergebenen fügen können 


Daran jcheitert auch die Möglichkeit, Geſellſchafterin a: “ — 
werden. Wer mag ein unliebenswürdiges, verbittertes und 


faunenhaftes Sejchöpf um ſich jehen, welches an it, 
zu befehlen, ohne jelber gehorchen zu fünnen. — Vom 
Haushalt oder wirtjchaftlichen Arbeiten habe ich feine 


ee 


Ahnung und geftehe es Ihnen zu meiner Schande ein, daß 
ich nie im Leben eine Küche betreten habe. Das hielt ich 
felber unter meiner Würde, denn da ich in den Anfichten 
meines Batera erzogen wurde, habe ich ganz 
natürlicherweife auch zu den meinen gemacht! — Ich 


fann aljo nicht, gar nichts, weder nähen, noch — oder en 


fochen, kann nicht malen, nicht unterrichten. Das einzige, 
was meine ungeſchickten Finger als ‚nobele Paſſion be- 
treiben durften, war Mufit. Ich leiſte auch nicht viel im 
Klavieripiel, aber doch genug, um meinen Gejang zu unter- 
jtüßen, denn eine Gabe legte auch mir die Natur in Die 
Wiege — eine Etimme, welche in viel teuren Stunden 
geichult Rue und welde vielleicht für das Theater aus- 
reicht —! 


Für Das Theater 21” o he ich Ba 
und blidte die Sprecherin faſt entfeßt an: „Was ver- 
Stehen Sie darunter, Bicomtejje? — Wollen „e wollen 


Gie etwa zur Bühne gehn?!” | 
| Gie hob refolut das ſchöne Haupt, ihr Bli war 
finfter, und die alte Bitterteit durchflang abermals ihre 


Stimme: „3a, ich will zur Bühne!” wiederholte fie — 
beinahe heftig, „denn mir bleibt feine Wahl! Sie haben 
meinen Entjchluß bereits durch Jhr erſchrockenes Gefiht 
und den Ausdrud Ihrer Stimme gerichtet! Sie fejen 


die leichtiinnige Tochter des leichtſinnigen und gewiſſen⸗ 
loſen Batera bereits untergehen in ben Flammen, welche 
das Schickſal auch heutzutage noch über Die perderbten 
Sodomskinder regnen läßt!” — Eie biß die Zähne zu- 


= 368 — 


fammen und lachte jcharf auf: „Sc fenne die Bühnen: 
Laufbahn, mache mir feine naiven Vorſtellungen und betrete 
refigniert einen Weg, auf welchem man Schmetterling jein 
muß, um manchen Abgrund überjchweben zu können“ 
„Warum werden Sie nicht Konzertjängerin ? 
ae dieſe Carriere ſehr — und unergiebig 


ih Sch. muß Geld verdienen — eine Konzertfängerin = 


aber braucht viele, lange Jahre, che fie fich einen Namen 

macht und bezahlt wird. Die Opernjängerin hat feite 

Sage und hat täglich Gelegenheit, fih dem Publifum 

befannt zu machen und vorwärts zu fonımen! Warum 

sehen Sie mich fo wunderlih an? — Avenel Sie 

etwa an meinen Erfolgen ?” | 
„a, ic) zweifle jtarf daran!” | 
„Und warum ? Hörten Sie mich je fingen y 

RUN 

our alfo! Was befürchten Sie ? Bitte, jeien Sie 
ehrlich und wahr!” 

„sch befürchte, Daß gerade Die Bühnenlaufbahn jehr 
wenig geeignet ijt für eıne Dame, welche nicht Gefell- 
ichafterin werden will, weil fie fi) da dem Willen einer 
Sebieterin fügen muß. Einer einzigen Dame! Die 
TIheatercarriere aber ift ein unaufhörliches Sichfügen, 


Duden, Demütigen, ein Gehorchen, Bitten und Ziehen! 


— Gie haben nicht eine feine, gebildete Dame zur Brot: 
ferrin, deren. MWünfchen Sie fih unterordnen, fondern 
eine Meihe der egoiftifcht ten, faltberechnenditen und rück 
fichtölofeiten Männer, deren Weſen ſich von der Energie 


— Bg — 


des Direftors big zur Roheit des Couliſſenſchiebers 
variiert! — Gie find nicht ſogleich Diva, — Sie find 
lange Jahre Anfängerin. Sie müjjen Nivalinnen neben 
fih dulden, welche die jchöne, vornehme und geiitvolle 
Geuoſſin in Ihnen haſſen werden! Man wird Sie md 
Ihren Stolz kränken bis zur Schmach! Der Weg, welchen 
Sie gehen wollen, Vicomteſſe, ijt nicht jo blütenreich, wie 
es für den Fernftehenden den Anſchein hat, und ich 
fürchte, er rührt Sie, anftatt empor, jo tief hinab, daf 
Gie für Kreiſe, darinnen eine Gräfin Saint Lorrain vers 
fchrsberechtigt ift, ein für allemal verloren find!” 

Aylae3 Kleine Hand, welche in ihrem Schoße lag, 
erzitterte unmerklich. Sie jehüttelte aber energiſch das 
Köpfchen: Ihre Sorge um mich läkt Sie zu Schwarz 
jchen! Sch habe viele Freundinnen und Freunde beim 
Theater, welhe mir gewiß jehr fchnell empor helfen 
werden!” = 

Dieſe Illuſion ift Die erite Slippe, an melder Sie 
ſcheitern werden!” 

„Barten mir's ab. — Jedenfalls will ich lieber 
alles ertragen und dulden, ehe id) von Almojen lebe 
oder eine dienende Stellung annehme! 

„Sie iprechen von „Ertragen und Dulden‘ wie der 
Blinde von der Farbe! — Haben Sie ſchon jemals im 


| Leben: gehungert? Haben Sie gefroren in dem Bewußt- o 
en zu arm zu jein, um den Ofen heizen zu u N 


‚Nein, — wie folte ih 


Gr trat wie m leidenſchaftlicher Ungt IR moo 
N. v. Cj ftruth, IN Rom. u Nov., Comöbie H. 24 


— 370 — 


faßte bejchwörend ihre Hände: „Aglaë! Seien Gie fein 


unvernünftiges Kind, welches blindlings in ſein Berderben 


rennt! Sch weiß c3, wie bitter die Armut, das Notz 
leiden und Entbehren ift — ich, der. willensſtarke, körper⸗ 
lich abgehaͤrtete Mann bin in dem Kampf um das Dajein 
beinahe unterlegen, — wie viel mehr werden Sie, Die 
zarte, fonmenfichtwerwöhnte Blüte in ſolchem Sturm zu 
Grunde gehen!” 
Sie ſah ihm voll in die Mugen — ein warmer, daut- 
erfüllter Blid, welcher dennoch durch Thränen glängte. 
„Sonnentihtverwöhnte!”‘ wiederholte fie leije — „0 
nein, Hans, ich bin nicht jo verwöhnt, wie es wohl der 
Welt gegenüber den Anichein hat! Sch habe in der 


Dunkelheit eines Lebens, dem feine Sonne von Liebe 
à ER 


und Glück gejtrahlt, manch heimlich Leid erduldet, ih 
habe am der eigenen Herzensfälte gefroren bis in die 
Seele hinein! Und dod) fpielte ich die große Comödie 
‚der beneidenswerten glüclichen Frau! — Haben Sie 
meine böjen, frivofen Worte von damals ganz vergeſſen? 
— Ich habe fie wahr gemacht, Hans, und habe eine 
Maske vor das Antlig gelegt, welche alle Welt getäuicht 
hat! — Man muß in der Welt Somödie fpiefen, um 
zum Biel zu gelangen, — das jagte ih ſchon damals 
und wiederhole es auch heute aus vollſter Überzeugung. 
Und ich will mih auch jebt wieder danach richten, will 
„weiter Comödie jpielen, nicht nur auf der großen Schau- 
bühne des täglichen Lebens, jondern auf den Brettern, 
welche die Welt bedeuten! Warum jorgen Gie fi) um 


mall 


midh? Sch bin ja eine jo gute Comödiantiu! Ich habe 
mir den Titel einer Vicomtejje von Saint Lorrain erjpielt, 
warum nicht. auch meim- täglidh Brot? — Und ob ih 
dem Sturm gewachjen bin? — Eine ſchwache Birke ijt 
biegſamer als ein ſtarker Eichbaum, wird leichter 
herabgejplittert in den Staub als fie! — Und mu feien 
Sie bedankt, lieber Haus, für alles, was Sie mir in 
diejer traurigen Stunde Liebes gejagt! — Sagen Sie 
es auch Ihren braven Eltern! Mich aber überlaffen 
Sie getroft meinen. Schickſal — mir find Schmetterlings- 
flügel gewachſen die tragen leichter über die Miſeren 
des Lebens hinweg, als Sie glauben!” 

Hans atınete ſchwer auf. Iſt dies mein Abſched, 
Aglaë? — | 

Sie nickte und lächelte. — Rielleicht auf Wieder- 
fechen, vielleicht auch nicht. — Ich werde Sie nie in die 
Verlegenheit bringen, mich verleugnen zu muſſen“ 

Ein jchmerzliches Lächeln bebte über jein ichönes, 
ernftes Angeficht. „3H jehe ein, daß Sie erft bei der 
Erfahrung m die Schule gehen müſſen, che Sie den 
Weg zurüd in die Heimat finden! — Aglaë — perz 
geilen Ste nicht, daß Sie in mir einen Freund beſitzen, 
und wann und wo es aud fet, rufen Sie mich, falls 
Sie Hilfe brauchen! Verleugnen werde ” Sie a 
Aglaë, — 88 jet Denn... © 

Er ſtockte und biß ſich auf die Lippe, fein Antlig ward 
blutrot, — haftig wollte er ſich von ihr abwenden. Sie 
hielt feine Hand feft. ann fah fie zu ibm anf: : 


BR 


— 372 — 


„Vollenden Sie, Hans! — bei allem, was Ihnen heilig 


ift, — wann würden Eie fidh meiner ichämen ?! Wenn ich es 


feine Erfolge habe und ausgepfiffen werde? Wenu ich in 
Armut und Elend verfomme?!” — 
Er ſchüttelte beinahe heftig das Haupt, fein Muge 
flammte N | 
Wie die verförperte, edle Männlichkeit itand er ihr 
gegenüber. „Nein, Aglaë, nicht dann! Im Gegenteil, 
Ihre Armut, Ihre Not würden mir lieb fein wie ein Feier- 
fleid der Unſchuld, welches Die Märtyrerin ihmüdt! — 
Aber das Gegenteil davon — das gleißende Gewand 
der Üppigfeit, — das, Aglaë, würde ich verleugnen vor 
Gott und der Welt, und ein Weib, welches Triumphe 
und Lorbeeren mit der Ehre bezahlt — das würde für 
mid vergejfen und verloren fein — big in den Tod!“ 
Sie jtand vor ihm, bleich und ernſt, aber Hod- 
erhobenen Hauptes. Stumm reichte fie ihm die Hand. 
Ihre Lippen bebten, es lag etwas feierlich Keujches in 
ihrem Auge, was er zubor nie gefannt. — 
Krampfhaft preßte er ihre ſchlanken Finger in feiner 
Reten, die volle, leidenjchaftliche Angit einer Liebe, 
welche nie erlojchen, urplößlich wieder aufflammt und 
um ihr Zeuerjtes zittert, brah durd) ſeine Worte. 
„Aglaë!“ rief er bejchiwörend , „Nur eines, — eines 
gelobe bei dem Andenken an deine Mutter; bleibe brav 
und gut! Strauchle nicht auf dem Ihlüpfrigen Weg! — 
Hungere und friere, aber laß nicht von Der Tugend!” — 
Eisfalt war ihre Hand. — Feſt blickte fie ihm ing 


Ange, und ihre Stimme klang wie ein Gelöbnis. „Sa 
Hanë, ich will gut und brav bleiben I" — — 
„Bott ſegne dich!" — — und er rip fih los ns 
ftürmte davon. — 
Aglas aber jtrich langjam über die Stirn, e8 mwar 
ihr, al habe fie geträumt. Mechaniſch faltete fie Die 
Hände Wie lange hatte fie feines Menichen Mund 
mehr gejegnet — wie — hatte ſie nicht BR ges 
betei! — 
Ja, es ift hart und ſchwer arm zu fein, aber arm 
zu werden ift noch viel taufendmal ſchwerer — Ein 
Tuh, welder nicht, gewohnt it auf Stein und Dorn zu 
wandeln, leidet Qual bei jedem Schritt und eine Hand, 
welche nicht: arbeiten lernte, trägt gar manche Schwiele 
davon, bis ſie es nur Befehl zuzugreifen ſich zu 
regen. — 
Wie ijt e8 ibon io rasch und ımbequem, em 
einziges Kleines Bimmer bervohnen zu müſſen; welch 
eine fremde Beichäftt, gung, alles, wag man braucht, zu: 
fammen zu fuchen und fort zu legen 1 Aglaë hatte fich 
ftet3 von ihrer Rammerirau bis zur fleinften Kleinigkeit 
bedienen laffen, und nun ftand fie plößlich alein und 
Sollte fih fogar felbjt frifieren! — Völlig ratlos hielt 
fie die prachtvollen Haare in Häuden und Hatte feinen 
Begriff, wie fie diefe ungefügige Lockenfülle in die knappe 


Modefriiur, welche fie gewohnt war, eindrehen und auf 


a A 


ab, big fie endlich die Arme erfchöpft finfen ließ und in 
Thränen der Ungeduld und Verzweiflung ausbrach — 
Aber nur einen Augenblik, dann probierte fie die Arbeit 
aufs neue. ES fiel ihr ein, wie oft fie in wilder, lamiz 
cher Heftigfeit Madame Laurence faul uud langjam ges 
ſcholten hatte, wenn fie nicht | ſchnell genug mit der Friſur 
fertig war; wie fie die Armſte oft zur Verzweiflung 
gebracht, wenn fie den Kopf auf die Romane neigte und 
dennoch jähzornig Ichalt, wenn die Stamnterfrau jammerte; 
„Es ijt unmöglich! Dee maen das Köpfchen 10e 
und gerade halten!” — 

Nun hielt fie den Kopi hoch un — aber es war 
ihr dennoch unmöglich), das Haar zu bändigen. Voll 
Heftigfeit fchüttelte fie es fchlieglich in den Naden zurück. 
„un gut — damı hänge, wie du hängen willſt!“ und 
fie band eg mit einer Schleife zufammen und freute fidh, 
dag fie fünftig Hin fchnefler fertig fein werde. — O 
Himmel, welch eine Lat ift es Doch, für fich jelber forgen 
zu müjlen! Jeder abgerijjene Knopf, jedes Band, jeder 


Nadelftich werden zu ben fahwierigften Hinderniſſen — 


Aglaë ſehnt Madame Qaurence nicht zurüd. Die Ferjon 
hat unendlich viel Wohlthaten von ihr genojjen, und 
dennoch verfeßte auch fie der toten Löwin noch den Ejels- 
tritt beim Scheiden! — Brutal, impertinent marfierend, 
daß aus der Wiillionärin eine Bettlerm geworden, fo verz 
abjchiedete ich Laurence ebenio wie alle anderen Dienit- 
boten, welche es Aglaë zuerft in nacdtejter, ungez 
jhminktejter Klarheit zeigten, daß nur das Gold krumme 


ne 


Rücken erzwingt und. es ein gar llaglich iit, : 
arm und verlaffen zu fen! — | 

Seit ihren böfen Erfahrungen, welche jie in der Gcz 
jelljehait gemacht, hatte Agl aë den Glauben an die Menich- 
heit verloren und das Benehmen ihrer Dienftboten er- 
bitterte fie vollends und tih noh den legten rofigen 
Schleier von ihren Augen, welcher die Welt in lichten 
Farben erſcheinen ließ. — „Des Dajeins ganzer Sammer‘ 
faßte ſie an, ein Gefühl graufamfter Ernüchterung ſtahl 
ñd in ihr Herz, und am ſchwerſten und herbten, was 
fie in all ihrer Armut betraf, empfand fie den Verluft 
ihres Glaubens an die Menjchheit. — Das Benehmen 
ihrer Dienftboten hatte fie immer noch mit der Unger 
bildetheit diefer Leute entjchuldigen wollen, aber die. Er- 
fahrungen, welche fie auch in den Kreijen derer machte, 
welche fie für ihre Freunde gehalten, die nahmen ifr 
auch noch den Reit der freudigen Zuverjicht, mit Be : 
fie ihre neue Laufbahn betreten. — = 

Welch abjonderliches Gefühl, ala Aglaë Bejude abs 


jtatten wollte und fein Diener, fein Kutſcher und feine 


Equipage mehr da waren, welche ihrer Befehle harrten. 
— Der bedanke, eine Droſchke oder gar eine Pferdebahn 
beiteigen zu müſſen, war ihr entjeblich, je 308 vor, ſtolz 
zu Fuß zu gehen. — 

Wenn man in dem weichen Atlaspolfter eines 3 Wagens ; 
liegt, fennt nan feine Entfernung, aber wenn man Die 


langen Straßen Schritt für Schritt meſſen muß P Pom 


merft mau erjt, wie weit dag Hiel ift. — 


Todmüpde erreichte Aglaë Die Bomag a — 
Sängerin, welche früher fo manes Diner im Haufe des 
Kommerzienrats befut und fidh ftets himmliſch dabei 
amüfiert hatte! — Lehnberg hatte ihr einmal als Dant 
für ein 2ied ein Brillantarmband überreicht), welches 
mehr mert war, wie das ganze Vermögen, welches die 
Vicomteſſe jebt noch ihr eigen nannte. — | 

Das Kammerzöfchen mufterte die ihr. mobba 
perarmte Millionärin mit neugierig. dreiiten Blicken und - 
ichten eè als große Huld zu betrachten, wenn fie fih 
überhaupt die Mühe nahm, fie zu melden. — | 

Nach recht langer Zeit erjchien fie wieder und brachte 
die ſchnippiſche Antwort, daß ihre Herrin beim Frühſtück 
jet, und da fie Güte bei fich fähe, könne fie fih nicht 
gut jtören lajjen! Wenn Frau von Saint Lorrain ein 


Anliegen habe, möge fie fich doch long an n ihre amie i 


dige Frau wenden.” — — 
Das Blut ſtieg Aglas in die Wangen und be sr 


jaft die Befinnung; fie neigte furz den Kopf umd ging. — | 


Bei einer andern Künftlerin traf fie es nicht viel beffer. 
Sie begegnete ihr allerdings auf der Straße, aber Fräu—⸗ 


lein Dornee jchten fie guerit gar nicht zu erfennen und 
entjchuldigte | ſich alsdann recht malitiös, fie habe die . 


Frau Vicomteſſe wirklich gar zu lange nicht gefehen, — 
als der Herr Kommerztenrat geadelt worden fet, habe fie 
ihren Beluch gemacht, um zu gratulieren, aber fie habe 
nie wieder etwas bon den Herrichaften gehört! — Die 
junge Frau glaubte in den Boden finfen zu müffen vor 








erg E 


Verlegenheit und begriff e3 felber nicht, wie fie den Mut 
gefunden, dieſer Dame von ihren Zufunftsplänen u. 
jprechen. „Wie? Sie wollen zur Bühne? Singen. Sie | 

denn überhaupt? O — ja! ich entfinne mich jegt — 
eine Kleine, zarte Stimme! Mon Dieu, damit wollen Sie 
eine Opernpartie riskieren Undentbar, Verehrteſte! 
rate Ihnen energisch ab! Warum werden Sie nicht Schau: i 
jpielerin? Gie haben Dabei doch bedeutend mehr chance! 


Sie glauben, ich fünne etwas für Sie thun? D, Teuerite, = nn 
welche Naivität! Ich bin einer Regie md Zntendang 
gegenüber Direkt machtlos! — Bedaure fehr, Ihnen 


bei dieſer Carriere abſolut nicht behilflich ſein zu 
tönnen!” = en 

Und fo ging es weiter. Bet den meijten Damen ward 
fie überhaupt nicht empfangen; die eine hatte Migräne - — 
die andere rief mit lauter Summe im N tebenzimmer: 
„Sagen Sie, ich fei ausgefahren!” — Und wo Aglaë 
angenommen ward und bereits jehr mutlos ihre Bitte 
portrug, fie wünſche Stunden zu nehmen, um üh für 
die Bühne ausbilden zu laffen, da wehrte man mit jolcher 
Haft ab und verficherte, daß jede Stunde „beiett, — 
und beim beiten Willen feine mehr einzujchieben fei”, — 
dag e die junge Frau fehr jchnell empfand: Man hatte 
Angft von dieſer Bettlerin feine Bezahlung für die Stun 
den zu erhalten! — 

Es war Aglaë zu Mute, als müffe e fie laut aufichreien 
vor Dual, Scham und Verzweiflung. Sie mied Die 
Straßen, wo ihr Bekannte begegnen fonuten, fie zitterte 


in dem Öedanfen an neue Demhigungen.. — Der Boden 
braunte ihr unter den Füßen. 

Da fam cın letztes, welches ihren Entihuf, Die Yie- 
fidenz zu verlafjen, zur Neife brachte. — Ein bereits 
älterer Sänger, welchen fie aus früherer Beit auch perz 
jönlich als einen der cyniſchſten und frivoliten Menschen 
famite, jchrieb ihr ein Billet. Er hatte davon gehört, 
daß fie Gejangftunden nehmen und zur Bühne gehen 
wollte. Er bot ihr jeine Hilfe und Unterſtützung an, 
ja er verlangte nicht einmal fein Stundenhonorar in 
flingender Münze ausgezahlt! — Der Inhalt und Ton 
diejes Schreibens trieben Aglaë Thränen der Empörung 
und der Scham in die Mugen. Sie fchleuderte den Brief 
von fih und preßte voll leidenfchaftlichen Schmerzes die 
Hände gegen die Bruft. „O Hans! Hans!” ftöhnte fie 
auf, „ja, du halt recht gehabt — Siränfungen bis zur 
Schmach!“ — und fie trat zum. Licht und vernichtete 
das Billet in der Flamme. Der rote Feuerſchein zuckte 
über ihr bfeiches Antliß, welches den Blick voll ftolger 
Energie jo ftarr geradeaus richtete, als fähe fie im Geifte 
eine hohe Männergejtalt vor fih ftehen wie damals, als 


fie aus ihres Vaters Haufe fcheiden mußte. — „Sa, Hans 


— ich bleibe brav und gut! murmelte fie. Und dann 
ging fie energiich an das Wert, ihre Koffer zu paden. 
— Fort von bier! Hinaus in die fremde Welt, wo 
niemand fie und ihr traurig Schickſal fennt, wo fie fich 
flüchten und verbergen fann vor all den Geißelhieben 
des Spottes und der Emiedrigung, welde fie hier ge- 


= 380 — 


foltert haben. Auf die Hilfe ihrer Freunde burjte lie 
nicht zählen, fie mußte vorwärts aus eigener Krait, vor⸗ 


wärts zum fernen, fernen Biel. — 


An einem Konjerpatorium fann fie wohl am beiten 


hnb unbemerfteiten ihre Studien machen, umd fie wird 


in jener. frenden 
Stadt unbefannt 
fen wie all Die 
taujend Dunklen, 
Ichlichten Frauen: 
geitalten, welche 
arm und verlaſſen 
durch die Straßen 
ſchreiten, fih ihr 
täglich Brot zu ner- 
dienen Der Hod- 
klingende Name, 
welcher ehedem ihr 
höchſtes Ziel und 
ihre jtolgefte Sehn⸗ 
ſucht gewejen, den 
wirft fie von fid wie ein Shine, auffallend buntes 
Gewand, welches bei der Arbeit hindert und der Hand 
und dem Fuß nur im Wege ift. — 
-Aglaë Lorrain” jteht auf dem weißen Papier, welches 
drei Treppen hoch an der Flurthür der Frau Nätin Bar: 
nexius angeheftet ift. — Unter dem Schuß diejer alten 
Dame, welche möblierte Zimmer an Schülerinnen de3 





— ael e 


Konſervatoriums vermietete, lebte die Vicomteffe von 


Saint Lorrain ftil und zurüdgezogen, voll fiebrifchen 
Eifers ftudiercnd von früh bis jpät. Und niemand kannte 
fie, und niemand ahnte es, daß diejcs Kleine, unfcheinbare 
Zünfchen unter Der Ace ehemals ein jo heilfunfelnder 
Stern am | pimmel ber M illionenanbeter geweſen a 


a N 
PALA, 


* 
FURL 






Mich friert? Hag thut's? Im Grab 
iſt's älter noch als hier! — 
Prophet.) 


3 war ein raftlofes Lernen und Studieren! Man 
hatte ihr freilich gejagt, Die Stimme jea nicht 
ehr bedeutend, aber es fünne doch wohl noch 
etwas Brauchbares aus ihr gebildet werden! — Daa war 
ber Strohhal m, an welchen ſich Aglas flammerte. 
Frau Nätin Barnertus hatte fich anfünglich jehr um 
ihre junge Chambregarnijtin bemüht und manchen Verſuch 
gemacht, Agla&s Vertrauen und ihre Zuneigung zu ges 
winnen, Sie lebte mit Den drei andern jungen Da 





— 383 — 


in ſehr herzlichem, mütterlichem Verhältnis und bildete 
mit ihnen gewiſſermaßen eine amilie; an Aglaës bei- 
nahe feindſeliger Verſchloſſenheit und ihrem abweiſenden 
Benehmen ſcheiterte jedoch jede Möglichkeit, fie heranzu— 
gichen und ihr Die Einſamkeit erträglicher zu machen, eme 
Einfamfeit, welche der lebhaften, geſprächigen Frau Nat 
ſchier entſetzlich dünkte 

Aglaë empfand dieſelbe jedoch als eine Wohlthat. Eie 
brauchte Nuhe und Etille, um fich von den entjeßlichen 
Stürmen der legten Vergangenheit au erhol en, und jie 
benötigte die Einjamfeit, um ihr frantes, verbittertes Herz 
von den Wunden zu heilen, welche ihr das Leben und 
Die laute. Welt jo erbarmungslos gejihlagen. 

Ihr. Bimmer war verhältnismäßig behaglich und 
hübj d, wenngleich c auf die Augen einer Der ver: 
wohnteſten Millionärinnen einen umbeichreiblich ärmlichen 
 Eindrud machte, Aber mit dem Gefühl eines troßigen 
Kindes, melches feinen. H Willen durchgeſetzt, voll Genug: 
thuung in einen fauren Apfel beißt, gemöhnte ich die 
Vicomteſſe an all das Ungewohnte, und da fie fidh ihr 
Leben einrichten fonnte, wie fie wollte, jo hatte es auch 
im dieſer Geſtalt einen gewiſſen Neig. 

Allerdings war eg vorerft eine Unmöglichkeit für die 
vollitändig ungeübte und unpraftiihe junge Frau, fió 
nach Der Dede zu ſtrecken und eine richtige Einteilung 
des Geldes zu treffen. Die kleine Summe, über welche 
fie noch zu verfügen hatte, teilte fie in drei gleiche Teile, 
um Drei u von oe Ten leben öl, Sumar, In prei 


Yın! 


u Fand 


ir IaRE tii 


Jahren mußte fie ja auf alle Fälle eine Anftellung an 
einer Oper gefunden haben, dann bezog fie ihr gutes 
Gehalt und ernährte ſich jelber, und während Diejer drei 

Jahre mußte fie wol oder übel alles was fie bejaß, 


Zuſetzen 


Aber es iſt unbefchreib lich schwer, ſich aradeni 
und fid) ein üppige, elegantes Leben, welches man geführt, 
jo lange man Denten fann, abzugewöhnen. Zeder kleine 
Quru, der chemals ſelbſtverſtändlich geweſen, wird nun 
zum freſſeuden Kapital, und Aglaë begriff es gar nicht, 
wie ihr die Thaler durch die Finger rollten, wenn fie 
nur die notwendigjten Einfäufe für ihren Toilettentiſch 
machte. — Bis fie einjah, daß es jetzt nicht mehr anz 
gehe, täglich das Waſchwaſſer dur köſtlich duftende 
Eſſenzen angenehm zu machen, Farfüms, Puder, Crêmes, | 
elegante Nadeln und Haarwaſſer zu gebrauchen, hatten 
dieje kleinen Liebhabereien, die ehedem jelbitverjtändlich. 


gewejen, jchon tief in das Geld eingeriffen. Auch mußte 2 


fie viel Reugeld bezahlen, bis fie auf den Gedanfen fam, 
daß fie ihre Kleider, welche begannen, fidh abzutragen, 
auffrifchen müffe. Früher wurde alles, was nur im 
mindejten durch den Gebrauch unanjehrlih geworden, 
ausrangiert und durch neue Kojtbarfeiten erſetzt und als 
die jpinnmebfeine, jpigenbejegte, meijt ſeidene Leibwäſche 
zu reißen begann, da glaubte die Vicomtejje auch, es 
müſſe jojort neue gefauft werden, und es jei doch un- 
möglich für eine Dame, andere Wäſche als ſolch afer- 
feinjte und elegantefte zu tragen! Zum eritenmal aber 


= 28 


geriet fie in peimlichite Verlegenheit, Denn der Preis ber 


Hemden allein betrug mehr, als fie in einem ganzen Biertel- 
jahr ausgeben durfte. 
So jchwer und fümmerlich hatte fe fih Das Arm: 
fein doc) nicht gedacht, und jo fchwer hatte fie das Be- 
rechnen und Einteilen auch nicht geglaubt. Wie viel 
hatte fie vergeffen in ihre Wochenrechnung aufzunehmen, 
was num ganz entjeßliche, unerwartete Lücken in ihre Kaffe 
rip! — Ein Gefühl der Unruhe und Angſt überkam fie, 
und es foltete fie mand) bittere Thräne, ſtets aufs neue 
auf alte Paſſionen und Gewohnheiten verzichten zu müſſen 
Es war ein zu furchtbar greller Umſchwung und wohl 
ein Glück für Aglaë, daß ihre beinahe kindliche Raivität 
fie bewahrte, ihr ganzes Elend und ihre — Ta m‘. 
voller Schwere zu erfaffen. En 

Wie wunderlich kam ihr der ſo einfache Wittagstifc 
der. Nätin vor. Ansgetochtes Rindfleiſch jollte fie eſſen! 
Mit einem einzigen, oft entſetzlich derben und bäurifchen 
Bericht fürlieb nehmen! Anfänglich hatte fie oft die Zähne 
bei Tisch gehoben und gedanft und war nachher in ein 
Reſtaurant gegangen, um zu effen, was ihr behagte, Bald 
aber jah fie ein, daß es eine Unmöglichkeit fei, derart hohe 
reife noch außer ihrer Penſion für Speiſe und Trank zu 
zahlen. — Sie weinte Thränen hilfloſer Verzweiflung, und 
weil der Hunger weh that, jo lernte fie es, allerdings mit 
größtem Widerftreben, mit t ri und Semi fürlieb zu 
nehmen! 


Boll fieberhaften Eifers übte und jang fie, bis ihr die 
N.p. Eisitrurd, IN. Rom. u. Nov, Gomödie If, 25 


08 


Lehrer Mäktgung anbefahlen, um die Stimme niht zu : = 
überreizen. Ihre gründlichen VBorjtudien famen ihr wejent- 


lich zu Hilfe und brachten fie jchneller vorwärts als die 
meijten ihrer Mitjchülerinnen. — Die Beit 30g dahin, 
und Aglass kleines Vermögen ſchmolz mehr und mehr 
zufammen. Ihre Stimme war zart und wohlflingend, 
und ihr reizendes Gefichtchen, ihre graziöfe Geftalt liegen 
die Lehrer hoffen, daß Ugla& Lorraın vielleicht doh als 
‘eine zweite oder dritte a nod) e Glück machen 
könne. 

Endlich, endlich ijt ie — e Beit des Studiums 
beendet. Die junge rau hat fidh über ihre Kräfte an- 
geitrengt, fie fieht bleid und gealtert aus und ijt be 
deutend magerer geworden. — Gie hat ihr Abgangs⸗ ; 


zeugnis erhalten, und weil dasjelbe nicht fo glänzend 


ausgefallen, wie fie erwartet, fteht fie mit ſtolz zurig- 
geworfenem Haupt und gujammengepreĝten Qippen vor 
ihren Lehrern, um ſich zu verabichieden. Diejelben find 
es gewohnt, daß fie um ihre. fernere Protektion und 
Empfehlung gebeten werden, und auch. jetzt ſtehen friſche, 
liebenswürdige Junge Madchen vor ihnen, welche mit 
dankbar herzlichen Worten Abſchied nehmen und ſehr 
beſcheiden und höflich bitten, daß die Herren Profeſſoren 
doch bei Gelegenheit ihren weitgehenden Einfluß und ihre 


Beziehungen zu Intendanten und Direktoren geltend — 


machen möchten, den unbekannten Anfängerinnen zu einem 
Engagement zu verhelfen. | 
Stumm und falt jteht Aglaë beiſeite — Ei bat 


— 387 — 


fich ftet3 abgejondert und zurückgezogen, ſowohl von den 
Schülern, wie von den Lehrern des Ronjervatortumz, 
und Diejes ftolze, verjchlojjene Weſen hat fie beliebt 


gemacht. Sie fteht auch jest beim Abjchied iſoliert nd 


fein Menjch beachtet fie, en mand) geier Blick 
fie jtreift. 

Die einfachen Aleiber find aufgetragen ‚ und Aglaë 
hat fein Geld, Diefelben zu erjeßen. Die Not hat fie 
gezwungen, eine ihrer ehemaligen eleganten Toiletten ans 
zulegen, und unn ficht: fic gepußt und prunfend unter den 
schlichten Genoſſinnen die fic ſtets für ſehr reich gehalten 
haben. Mle fie gegangen, wendet fich der alte Profeſſor 
Kolſch zu einem Kollegen, „Sch weiß, daß das Hoj- 
theater zu &. eine junge Sängerin gebrauchen fann, fir 
deren Partien die £leine Lorrain wohl ausreichen und 


bejonders gut paffen würde! Hätte He nur em Wort 0. 


gejagt, würde ich fie gern empfohlen haben! K o 


„Die Lorrain? — Rem, fie hat auch mir feine here ER 


artige Bitte vorgetragen, und ich bezweifle überhaupt, , 


daß fie gur Bühne gehen will! — Allem Anjchein nad) — 


ift fie recht vermögend amd bildete fich aus Paſſion zur: 
Sängerin aus, um DEREN hie und da in einem | 
mitzumirfen!? | 
‚Met vermögend ? Hat fie nicht bei ber Nätın 
Barnerius gewohnt? 
„Das wohl, aber ih denfe mir, e8 geſchah dies 
weniger aus Sparjamfeit ala dem Bedürİnis entjpringend, 


fich unter den Schuß dieſer fehr gu renommierten Dame 
2 


a ae 


zu felen! Sch entfinne mich, daß man fid in der erſten 


Zeit erzählte, Das Fraulein ſpeiſe privatim in den erjen | 


Reſtaurants weil ihr die Penſionsküche nicht gemüge. 
Außerdem war fie bis auf das Taſchentuch herab geradezu 
Tabethaft equipiert! Eine Notentaſche aus gepunztem 
Leder mit Silberornamenten und echten Edeljteineinlagen, 
ein Regenschirm mit maſſivem Goldgrijf, Tajchentücher 
von echten Epiben, Pelzwert, wie es kaum eine Fürſtin 


trägt, und ſpeben “= m, Lie jahen ja. ſelbſt dieſe 


Toilette, welde ſich funn eine Tiva leiſten tann!” a 
Solche D Dinge find bei einem hübjchen Mädchen cher 
Zeichen der äußerjten Armut, ‚einer Mittellofi gfeit, welche 
auf jedwede Weiſe Gd verdient!” e Kolſch mit 
ironiſchem Lächeln. 
Der Andere Üchüttelte haſtig das Haupt: „Ren, 


nem, um Vergebung, ‚Herr Kollege! Die Lorrain hat 
einen tadellojen Lebenswandel gerührt! Unjere Stadt mo i 
groß, aber nicht groß genug, um em folches Geheimnis 


bergen. zu können! — Die Kleine iſt wegen ihres hübſchen 
Geſichtchens aufgefallen und ic weiß, daß man ihr 
nachgeitellt: hat, jogar mit den redlichſten Abfichten, aber 
Stolz. und. Tugend haben eme a Mauer um ‚fie 
her gezogen! IR 

„0, jo! freut mich! — Das > beftärft — obige 
auch in der Annahme, daß fie permögend ii! Ja,.da 
werde ich das Engagement bejjer emer andern Schülerin 
uwenden, welche — Mn. DÜSEN 
Ganz redt! Ich bitte bringen in älter: nie der — 


= 389 — 


talentierten Cläre Holz zu gedenken Eie fennen die Schick— 
jale der armen Waije! Sie will bei ihren mohlhaben- 
den Berwandten fein Ajchenbrödel abgeben und zieht 
vor, ihr Brot jelber zu verdienen! Nettes, liebeus— 
würdiges Mädchen, überall befannt und beliebt, die ver: 
fbiperleäle > — 
milation ! 1” | 
„Out, 
aut, — Ders 
de an Sie 
Denfen! 
Habenredt, 
lieber 
Freund, 
man - muß 
ſtets zuerſt 
die Bedürf⸗ 
tigen ver— 
jorgen !” 
Und 
man verjorgte jie, Aglaë aber war vergejjen. Sie 
itand ernft und refigniert in ihrem kleinen Zimmer 
und packte ihre großen Koffer. — Sie wollte nad) einer 
bedeutenden norddeutichen Stadt überfiedeln, wo fie be- 
fonder thätige Theateragenten wußte. Die Sonne blinfte 
durch Wolfen und lugte fo wäflrig in ihr Zimmerchen 
wie ein Muge, Das voll Thränen fteht. — Nacydentlich 
blidte die junge rau empor, und atmete tief auf. Ihrer 





— LE oy 


‘ ooe Anficht nah lag nun Die jchmwerite Beit pinter ibr — 
nn eine ſchwere Beit, in der fie zuerſt das Einſchranten | 
und Entbehren lernte! Noch liegt fie mit all ihrer 
Erinnerung auf ihr wie eine Centnerlaſt, und Aglaë 


weiß es auch, daß fie nicht ſpurlos an ihr vorüber ge- 
gangen — weder am äußern noh am innern Menjchen. 
Sie hat da3 Gefühl, als feien die bunten, jchillernden 
Schmetterlingsflügel, welche fie in heiterem Tang über 
Rojen und Lorbeeren dahin tragen follten, wie fie ehedem 
Hans Burkhardt fo fiegesfroh verficherte, als jeien dieſe 
Iuitigen Schwingen müde und ſchwer geworden, alë jeien 
fie erlahmt unter dem eriten, melden glug nad der . 
Tempelpforte der Enterpe! = 
Ein Kleines Stüd Wegs war erft zurückgelegt, ad 
doch deuchte es der einjamen Frau, als ſei ſie viele, ‚viele 
Jahre älter in diejer furzen Spanne Zeit geworden. Not 
und Armut find zwei Bleigewichte, welche ſich ſowohl an 


den Körper, wie den Geiſt hängen, welche niederzichen 


aus all den rofigen Wolfen der Sllufion und Lebens: 

freudigfeit, hinab in die granen Nebel troitlojer Verzagt⸗ 
beit, die allen Humor erſticken — Und dieſes Stüd 
Lebensweg, arm an Glück und Sol, aber dennoch nit 
arm genug, um auch die Not der Verzweiflung fennen zu 
ehren, ift ein Boden, auf dem das Kräutlein Seichtiinn 
zumeijt jtill und kraftlos wurzelt. Es waͤchſt nicht und 
trägt nicht Blüte und Frucht, dennoch treiben Hun ger und 
Durſt nicht zum äußerjten, aber es- verdorrt und vergeht 
auch nicht, denn dazu fällt immerhin ein zu reichlicher 


— 391 — 


Thränentau darauf nieder. — Auch die Heinen und großen 
Keime des Leichtſinns, we (che Leben und Erziehung in 


Aglaes Herz geientt, ruhten ftill unter den Trümmern des 


Glücks, und nod hatte die junge Frau keine Urſache und 
Veranlafjung gehabt, fie zu geiftiger Blüte groß zu 
ziehen; fie trug itol3 das Haupt im Raden, ſaß nod 


im warmen Simmer bei Speije und Trant, und warf 


die roja Brieflein, welche ihr zuflogen, jelbitgefällig in 
die Flammen : „Du jollft dih meiner nicht Ichämen, 
Hans Burkhardt, ich bleibe brav und gut! _ 2 
Der große, traurige Wechfel ihrer Verhältniffe und Die 
en Lehrzeit, welche der Umſchwung von reich zu arm 
mit ich gebracht, Hatten Aglaë wohl viele ſchwere und 
‚bittere Stunden gefchaffen, der Umſtand aber, daß ſie 
wieder Aglas Lorrain” hieß, daß fie alle gräfliche 
Herrlichkeit und ihre vornehmen Titel en. mußte, 
der fiel als bitterfter Tropfen in den Kelh ihrer Leiden. 
— Der Hochmut hatte viel zu tiefe, unlösliche Wurzeln 
geichlagen, um in einer furzen Spanne Zeit gerodet 
werden zu können, und daß fie nun, wo fie endlich das 
höchite Ziel ihres Lebens, eine Grafentrone, erreicht, 
diefelbe unbenugt ignorieren mußte, Dag war die tiefite 
Wunde, welche das Schickſal ihrer Eitelteit geichlagen. 
— Und jelbit jet, wo fie neben den Koffern fak, welche 
ihre ganzen Habſeligkeiten bargen, wo ſie nicht mehr 
wußte, womit fie in einem halben Jahr ihren Hunger 
ſtillen jollte, ſelbſt jetzt galt ihre Schnfucht nicht dem 
verlorenen Neichtum, ſondern hauptſächlich der Stunde, 


rg 


wo fie e3 der Welt wieder als interejfantes Faktum mit- 
teilen fonnte, daß die junge Sängerin droben auf den 

Brettern eine Vicomteſſe jei, welche ſreiherrlichem paek 
entftamme! 


Im Geiſte las Aglas bereit die geheimnisvollen a 


Zeitungsnotizen, welche über die vornehme Herkunft der 
‚jungen Sängerin aus Pajfiont — ihre Andeutungen 
machen und fie mit dem Nimbus der Fee im Bettler 
leid umgeben! Wenn nur erft an einem großen Theater 
ein feftes, glänzendes Engagement erfolgte, dann fann 
fie ihre befcheidene Maste wieder von fidh werfen und ſich 

unbefchadet wieder als rau Bicomteffe re ipeftieren und 
feiern laffen! D, was hätte fie darum ‚gegeben, wäre es 
ihr beim Abjchied vom Konſervatorium vergönnt geweſen, 
all den eingebildeten, aufgeblaſenen Menſchen mit ver- 
ächtlichem Lächeln fagen zu können: „Nun wißt aud, 
welche Ehre euch widerfahren! Ich bin die Vicomteffe 
von Saint Lorrain!” — Aber e3 hätte ihr in der jegigen 
bilflofen Stellung mehr gejchadet wie genügt, — und 
außerdem war jeßt nod) die traurige Katajtrophe des 
Lehnbergihen Haujes zu weltbefannt, um fich mit diefem 
gräflichen Namen brüjten zu können Agla& beabjichtigt 
auch nicht, ihn als berühmte Sängerin befannt werden 
zu laffen. ®eheimnisvolle Andeutungen find bei weitem 


interefjanter und aufregender als eine befannte Thatfache, 
Man fol fih Die Köpfe über das Grafenfrönden 


welches ihre Mäfche und all ihre anderen Sachen fchmüct, 
zerbrechen, nun, und Dann findet fih wohl ein Pring 


== 393 — 


oder Fürſt, welcher um Herz und Hand dieſer ariſtokrati— 
jhen Sängerin wirbt. — Ein Pring! Aglaes müde Augen 
bligen auf. — 

Wie viele Prinzen führten jchon eine ; Theater —— 
heim! Und wie würde ihr dann der gräfliche Titel zu 
ftatten fommen! — Gie febrte zurüd zur Geſellſchaft! 
Die Stunde ihres höchſten Triumphes wäre gekommen! 
Dann hätte fie erreicht, was fie ſtets erſehnt und trog 
der größten Opfer nicht zuwege gebradt! — — = 

Aglaes Phantaſie arbeitet wie im Fieber. AN die 
Bilder troßigen Hochmuts, welche fie blendeten, als fie 
zum eritenmal den Fuß auf höfijches Parkett jeßte, vers 
wirren ihr auch jebt den Sinn und werden zu trügeri⸗ 
ſchen Serlichtern, welche in Sumpf und Verderben loden. 

Dieſer Wahn ift ihr ee geworden, und er 
— ſein Opfer 

Gibt es nicht viele Wege, die nach Rom führen? 
Der erſte, welchen ſie einſchlug, hat ſie irre geleitet, und 
ihr Schifflein mit den ftolz geblähten Segeln litt in den 
Klippen Havarie; num bindet fie fih glänzende Flügel 
an die Schultern, um als lachende, glüdjelige Genie der 


Kunſt empor zur Sonne zu fleigen! Chemals hielten 


ihre Hände den ſchweren goldgefüllten Beutel als Attribut, _ 
aber er half ihr nicht empor, im Gegenteil, er 30g fie 

tief hinab in ihr DVerderben, — Jebt ſchwingt fie die 
goldene Lyra und die lachende Maske über ihrem Haupt 
und ijt nicht nur mit Worten, jondern auh in der That 
eine Priefterin der Komödie geworden! Comödie — Sit 


-m 


fie nicht die müächtigfte Göttin des neunzehnten Jahr⸗ 
hunderts! Ließ fie jemals ihre Jünger ſterben und ver- 
derben? Bah, die Comddie, welche Baron Lehnberg und 
jeine Tochter vor der Welt aufgeführt, war zu plump 
und ungejchidt gewefen, darum machte fie Fiasfo. Ihr. 
Bater hatte fein Talent zum Schaufpieler, darum verz 
darb er alles, was die Tochter gefchieft infceniert hatte. 
Diesmal wird Aglaë ihre Rolle beffer jpielen, und ihre 
mächtige Wroteftorin, das Weib mit dem doppelten 
Geficht und der ziwiefachen Hunge, wird ifr Sieg und 
Triumph bringen. Und Hans. Burfhardt? — Wunders 
ih, warum muß fie immer wieder zurücdenfen an ihre 
Unterredung mit ihm, nach ~ erſten Diner in ihres 
| Vaters Haus? 

Da ftand er vor ihr, der Millionärin, al3 armer, unz 
bekannter, verachteter Bauernfohn, der Sohn des Pächters 
ihres Landbeſitzes! Und er hob ftolz und zuverfichtlich das 
jchöne Haupt und nahm die Rolle, welche ihm die Prie- 
fterin der Comödie angepriefen und trat fie verächtlich 
unter die Füße. Da ftanden fie einander fchroff gegen 
über, fie, Die leichtlebige Evastochter, welche die Maske 
aufs Schild hebt und Lug, Trug und. Berftelhung Die 
Wege zum Glüc und zur Höhe nennt, und er, der jchlichte, 
ehrliche Mann, deſſen Sinn viel zu gerade ift, um krumme 
Pfade zu gehen, der voll findlichen Glaubens empor zum 
Himmel blidt und ſpricht „Sch tenne nur einen Weg, 
den die Süße Des nen wandeln können. — 
Das ift der Weg der W Wahrheit. Spiele du immerhin 


=- 395 -> 


Comödie, ich will geradeaus und wahr fein, fo wie Gott 
mich geichaffen, fo wie ich bin! Und dann (aß uns 
fehen, wer von uns beiden das Glück erreicht!” 

Die Jahre find vergangen — das Platt hat fich 
gewandt! — Gie, die Millionärin, ift ein verlaffenes, 
betrogenes Weib, eine Bettlerin geworden, die faum nod) 
ein Fledchen auf der Erde weiß, wo fie ihr Haupt nieder- 
legen foll, und er, der Bauernjohn, deffen fie fih damals 
Ichämte, er ift der Herr ihres Schlofjeg, er iſt ein welt: 
berühmter Profeffor, deffen Willen ein Segen für die 
Menfchheit, deſſen Name eine Ehre fürs deutſche Vater: 
land geworden 

Er jteht hoch in Anfehen, Ehre und Gunst der Welt, 
ein reicher Mann, der den Schild der Wahrheit jo rein 


und blanf gehalten wie feine Ehre und feinen Ruf. — 


Und Aglaë? — Sie ſchämt fih ihres Namens, und fie 
muß e3 leiden, daß die Menjchen die Achſeln guden und 
jagen: „Ste gehört nicht mehr in unjere Geſellſchaft — 
die Wege, welche durch Lampenlicht und Couliſſen führen, 
find jchlüpfrig und abſchüſſig, und man weiß genau, wie 
viele auf ihnen zu Sal gefommen!” 

Aglaë hatte das Gefühl, als müſſe fie laut aufitöh- 
nend Die Hände vor das Antlit jchlagen, aber fie beißt 
troßig die Zähne zufammen und hebt das Haupt: „Noch 
iſt nicht aller Tage Abend, Hans Burkhardt, und noch 
gejtehe ich dir den Sieg nicht zu! Eines Tages Wende 
verändert oft viel, und die, welche bei Sonnenſchein ihr 
Schifflein beftiegen, endeten oft bei Nacht in Sturm und 


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Regenflut! Eich! Die ae — hat ſich hinter 
Wolfen berſteckt, Wind und Hagelſchauer geben mir das 
Geleit ing Leben hinaus, laß chen, ob mich die Dunkel— 
heit verichlingt, oder ob mir ein neuer Stern aufgeht, 
welcher noch höher. ſteht und itrahlender erglänzt als der | 
deine! Va m De Burkhardt! | 

Monate fürb vergangen. 

Grau in grau lajten die Nebel auf der nordiichen 


Große md Handelsitadt, Winterfälte Hat alles blühende 


~ Leben zu Tode gefroren, und wo Karneval feine lärmende r 


a Muſik nicht hinträgt, wo der Etrapentrubel fernab verz 


hallt — da iſts als liege die Welt in traumlojem Schlaf 
wie ein armes Beib, u unter a aus; 
jammengebrochen. = | | 
Im Hajen flogen die Schiffe, ernit, düfler mb: At, 
wie unheimliche, geſpenſtiſche Rieſen, welche das Unheil 
mit Schwarzen Fittichen herbeitragen und das Glück auf 
Nimmerwiederſehen bon dannen führen. Der Mind pfeift 
über das Waſſer, in welchem fidh mächtige Eisſchollen 
übereinanderdrängen und aufjtauen, um in wildgetürmten 
Blöden zuſammen zu frieren. Es ſauft und knirſcht und 
pfeift im Tauwerf, und Die Stimmen Der heimfehrenden 
Hafenarbeiter vertlingen in Dr N ac, Wenig Lalernen 
exrhellen den We ooo 

Auf der Brüde ſchreitet langjam eine dunkle Gejtait. 
Eine Dame, feſt eingewikkelt in dunkeln Mantel, das 
Haupt durch ein wollenes Tuch geſchützt Sie lehnt ſich 


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auf daS Brüdengeländer umd ftarri in daS dunkle, fich 
langjam dahinwälzende Waſſer hinab. Die gefalteten 
Hände zittern, ein leiſes rampfhaftes Schluchzen er: 
ſchüttert den vorgeneigten Slörper. — Das trübe Laternen⸗ 
licht ſtreift Das bleiche, vergrämte Angeficht. — un 
Ein Ausdruck dumpfer Verzweiflung liegt anf ihren 
Zügen, groß und brennend ftarren die Augen aus tiefen 
Schatten. Cie iſt allein, kein Menſch hört und ſieht fie. 
Ein Sprung in diefe düftere, Jrauſige Tiefe hinab, und 
fie hat überwunden, — fie ift fret von allen Elend und 
aller Not! — Ein Aufftöhnen der Todesqual! Aglaë 
frampft die Hände zuſammen und läßt den Kopf ſchau— 
dernd vornüber auf das eisgliternde Geländer finfen — 
— e3 ift jo jchwer zu terien! | | 
„Duid friert! — Was thurs? Sm Grab its fälter 


noch als hier!” klingt ihr die Melodie ‚wie ein nerwors 


renes Getöje durch den Sturm — und Die Vicomteſſe 
von Saint: Lorrain taumelt mit leiſem Wimmern zurück 


und. flammert fich an den Zaternenpfahl. Nein, fie faun 
nicht jterben — c8 ijt jo unheimlich, jo jchauerlich drunten 


in der Walfertiefe — und fie möchte jo gen — ad fo 
gern noch leben. sit denn feine Menjchenjeele auf Gottes 
weiter Welt, welche ſich ihrer erbarmen möchte? 
„Haus! Ach, Hans!” ſchluchzt fie auf — und wie 
fie mit irrem Blid in das Schneegeitöber ftarrt, welches 
beginnt die Luft zu füllen, da fteht er wieder vor ihr, 
der Freiwillige auf der Schildmacht — der veradıtete, 
verleuguete Freund, an welche fie ehemals vorübereilte, 


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ala fei Der liebevolle Ruf ihres Namens aus femen 
Munde eine Schande für fie! — Und nun fol fie ihn 
rufen? Sol ihn um Hilfe und Mitleid anflehen — ihn, 
Der e3 weiß, wie jchändfich fie an ihm gehandelt? — 
Aglas preßt die Hände vor das Angeficht. — Sie will 
nicht ſterben und kann ſich doch auch nicht demütigen vor 
ihm, den fie ehemals unter die Füße trat. n 

Warum fagte fie ihm das legte Mal in Eimdifchen = 


Trog, wie falſch und ſchlecht fie gegen ihn gewejen? 
Warum bekannte fie ihre Schuld und rih Damit einen 


Abgrund zwiſchen ihm und ihr auf, — den nichts wieder 
überbrüden fant? 

Närrin, die fie ijt! Behurfte e3 einer Beichte? Hat 
es der Worte gebraucht, um ihm erft ihr Benehmen ffar 
zu machen? Hat er es nicht längjt jchon felber gewußt 
und empfunden, wenn fie ihm Durch die verlehendften 
Worte fränfte und ihn, den einzigen Freund, nicht wieder 
in ihres Baters Haus lud, weil fie ſich ſeines jchlichten 
Namens und geraden Wejens ſchämte? 

Nein, e3 hätte ihrer Beite nicht bedurft, er kannte 
fie und ihr erbärmlic)es Cein und Wefen! Und fie, ge 
rade fie foll in dem niederdrücendften Schuldbewuptjein 
zu ihm kommen, fol ihn zu Hilje rufen und jagen: „Du 
halt abermals reiht gehabt, Hans Burkhardt, iģ bin 
wie ein eigenfinniges Kind in mein Verderben gerannt, 
nun fomm und rette mich vor dem. Untergang!” 

Aglaë beit die Zähne zuſammen und hebt im alten, 
ftarren Trog das Haupt. Nein, fie fann fich nicht des 


ainge — nicht vor — Vorwärts — ein paar 
Wochen fann fie wohl nod) das Leben friften, wenn fie 
die rote Sammetſchleppe und ihr letztes Armband verz 
fauft. — Ihre Koffer find allerdings fon ſehr leer 
geworden, aber wenn fie ein Engagement findet, gibt 
man ihr entjchieden Kredit, neue Koftüme anzujchaffen. 
Ein Engagement! Sie hat Wochen und Monate ver- 
geblich darauf gewartet! Sie hat fein Geld gehabt, fidh 


die Wege zu ebnen, und wenn die Armut tugendhaft bleiben 


will, dann wird fie überall unter Die Süße getreten. 
Langſam ſchleppt fich Agla& weiter. — Welche Gr- 
fahrungen hat fie gemacht, welch eine hama ge Sorte 
von Menfchen hat fie fennen gelernt! Ein Hilfe und 
ſchutzloſes Weib ift ein vogelfrei Wild, — Wolf und Fuchs 
itellen ihm nad), es niederzureißen. 
Eine menjchenbelebte Gaſſe nimmt Die Be auf. 
Hellfihimmernde Fenſter! Muht und müites Sejuchze 
tanzender Matrofen und Dirnen! — Da drinnen iſts 
warm, warm und luftig! Und daheim in Mglaës elender 


Manfarde brennt fein Feuer im Dfen und kein Licht auf 


dem Tifch, e3 ift bitter falt, — jo falt, daß die ver- 
wöhnte Millionärin fogar vor Froft zittert, wenn fie fich 
auf das harte Lager miederitredt. 

Bratenduft ftrömt aus den geöffneten Fenftern Des 
Reftaurants — — und Aglae hungert bereits feit dem 
frühen Mittag. Gie ift ausgegangen, jich für Die legten 
Grofchen Brot zu faufen. — Ad, und wie weh thut der 
Hunger! — Sie pret Die erjtarrten Arme fejt gegen 


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ſich, aber ihre Schritte werden zögernder, und ihr fieber- 
glänzender Glid ſchweift in die Fenſter — Es feint 


ein übles Lokal zu jein, eines jener berüchtigten Tang- — 


lofale, an denen Hafenſtädte beſonders reich find. | 
Ein altes Weib hat in der Thür gejtanden und die 


junge, Schlanfe Frauengeftalt beobachtet. Sie tritt ſchlürfend \ n 
por und jchaut ihr fcharf Ben in das Gelidht. — 


Ein befriedigtes Grinjen. — Bertraulich fapt fie den 
Arm der Fremden und flüftert ihr ein paar Worte ing 
Ofr: „Komm mit Täubchen! Kannſt dich ielber übers 
zengen !” ſchließt fie fichernd und will Aglaë zur Thür 
giehen. 

Mit einem leifen Wuffchrei des Abſcheus ER. Ent- 
ebens reißt fidh Aglaë {08 und flieht wie panie n in 
die falte, troftlofe Nacht hinaus. — 

Shr verftörtes Antl ig wendet fidh zum Himmel, Thränen 
ſtürzen aus ihren Augen: „Ich bin elend, Hans Burkhardt, 
arm und verlafjen, hungernd und jrierend, aber ich weiß. 
dennoch, was ich Dir gelobt habe, — unD to vergeſſe 
es nicht — ich bleibe brav und gut” 

Viele hohe Stiegen führen bis zu der armſeligen 
Dadu: der Vicomteſſe von Saint Lorrain. — Schwer 
atmend, matt zum Umſinken fteigt Aglaë Stufe um 
Stufe empor. Es flimmert ihr vor den Mugen, wie ein 
Schauder des Entſetzens riejelt'3 durch ihre Glieder: 
„Nicht noch frank werden! Herr Gott des Himmels — 
nur das nicht! Ein ſchwerer Schritt Elingt ihr entgegen. 
Der Poitbote fommt die Treppe perot Er greift an 


N, w, Eihftruth, SL Rom u. Nov., Eoimödie Il. ——— 


ae > 


die Mütze und blidt teilnehmend in das Sefihten 

des armen Fräuleins. _ | 
„Ra, Sräuleinchen! Heute habe ich einen Brief back 

und er jieht gerade jo aus, als ob "was Gutes drin ſtünde!“ 
Sie zudt empor und nidt ihm haſtigen Dant, dann 


an i ſtürmt ſie wie neubelebt die ſchmalen Stufen empor. — 
Auf der Thürklinke liegt ein Brief. Cie greift mit 


zitternden Fingern danad. Ein großer roter Stempel 
verichliegt ihn. Aglaë nimmt fih feine Beit, Licht in 
ihrem Stübchen anzuzünden, fie tritt an die Gasflamme 
des Treppenhaufes und reißt den Umfchlag von dem 
Briefbogen. Die Direktion des Stadttheater zu X. fragt 
an, ob Fräulein Lorrain unter nachjtehenden Bedingungen 
die Stellung einer zweiten Sängern annchmen wolle und 
bereit fei, in dreimaligem probeweifen Gaftipiel zuvor 
aufzutreten. Falls dem Fräulein die Mittel zu der Neife 
fehlen jollten, jei Die Direftion bereit, den nötigen Bor- 
ſchuß zu gewähren, 

Ein halb erftidter Aufjchrei mbefchreiblichen Ente 
zückens! Aglaë umframpft den Brief und want in ihr 
Stübchen. Dort bricht fie in Die Knie und hebt die 
gefalteten Hände inbränftig zum Himmel, ihre Lippen 
regen ſich — aber fie bleiben ftumm, und dann finft ihr 
Haupt langjam pornüber auf den Stuhl. — So verharrt 
fie ſtill und regungslos, als ſchlafe fic. Ein ſeeliſcher 
Schlaf der Ergquidung und Läuterung, welcher die große 
Sirije mit fid) bringt und Tod oder Leben birgt. — 
— — — Eine fieberhafte Aufregung riß Aglas gewaltfam 


— 403 — 


empor. Mit dem größten Eifer begab fie ſich an Die 
Vorbereitungen zu der gewichtigen Neife, fang voll uners 
muüdlichen Fleißes die Dpernpartien, in welchen fie debütieren 


jollte und hörte es in übergroßer Aufregung nicht, wie 


ihre Stimme durch Not und Alterationen gelitten. AU 
ihre Muskeln und Nerven waren gefpannt, und ihr Her; - 
klopfte zum Zerſpringen in der Qual des Hangens und 
Baugens zwiſchen Furcht und Hoffnung dem Tag ent— 
gegen, welcher über Eein oder Nichtſein entjchted. 

Und er dämmerke endlich herauf, jo flar und ronid. 
bleudend, dah der u on le ne — 
o a | E 





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FIR 





XVII. 


Wer jeden Blitz beſchwor, 
ihn zu zerſtören, 
Und jeden Strom, daß er 
o þisweg ihn ſpüle — 
Mit allen Düalen, diè 
fein Herz empören, — 
Und mer den Toten ibre 
harten. Pfuhle 
Mißgönnk, wo Liebe nicht 
mehr fann betbören, 
Der lennt mich ganz, und 
Fühlet, mas ich füble! 
-Bfaten, 


Kegungslos hinausitarrend in 
den Schneeiturm lag Aglae in den 
OR | Boliter des Eiſenbahncoupes aus 
— * a alae und zog den Mantel 
Ba ‚jelter und feiter wu fich her, denn 
trob des wohlgeheizten Raumes fchauerte fie wieder: 
holt wie im Echüttelfroft zujammten. Mber fie beachtete 
es nicht, mechanisch hüllte fie fih wärmer ein und 
schlag die Hände in einander‘; eisfalte, ftarre Hände, 
dieweil ihre Wangen wie Feuer ah und die Lippen, 
trocken und Heiß wie bei einer Sieberfranfen, fich in 
tiefen, durſtigen Atemzügen öffneten. Sie war nervös 
und aufgeregt, Das hohnlächelude Geſpenſt Lampenfieber“ 


— 405 — 


tanzte ſchon feit Nächten einen ſchrecklichen Meigen um 
ihr Qager, hielt in Der einen Hand einen Lorbeerfrang 
und in der andern eine Pfeife, deren ſchriller Laut durch 
Mark und Bein geht. — 2 
Zum erſtenmal auf die Bretter! Bum eritenmal 
vor ein Publifum treten, welches mit falten, grauſam 
‚fritiichen Gefihtern über fie zu Gericht fißt und „Tod 
oder Keben” als Urteilsiprucd fällt. — Hat Aglaë früher 
ein derartiges Gefühl zitternder Angſt gefannt? Hat fie 
etwa Bejangenheit oder daS verlegene Gefühl der Un- 
ficherheit je in ihrem Leben empfunden? Und nun bebt 


fie an allen Gliedern und droht ſchon bei dem Gedanfen 
an diejes erjte Auftreten kraftlos in Die Knie zu finfen! 
Was hat fie derart gewandelt und verändert? Iſt nicht 


nur ihr äußerer, jondern auch ihr innerer Menih 
von dem Elend und ber Not ‚jo erbärmlich in den 
Staub getreten? — 

Aglas Hat ihr ftolzes Selbſtbewußtſein verloren; die 
fihere Stüße der Millionen ift unter ihren Füßen fort- 
geriffen, nun jteht fie haltlos und verzagt, nicht mehr 
Die übermütige kecke Gebieterin der goldſklaviſchen Welt, 
ſondern eine Bettlerin, melde ſlehend die Hände um ein 
| Almof jen hebt. 

Ein Blid in den Spiegel fagi ihr, daß fie auch nicht 
mehr die hübjche, elegante Aglaë von ehedem ift, daß 
Entbehrung und Elend ihre entſtellenden Wahrzeichen in 


ihr Antlig gejchrieben. Die Schminke thut viel, aber die 


Magerfeit läßt ſich niht übertünchen, oh De junge - 


2 a 


grau muß wieder und immer wieder an jene arme 
Debütantin denken, welche damals Fiasfo machte, und 
über deren Mängel fie felber am herzlojeiten fpottete! — 
Sie hört noch das leife, immer lauter werdende Lachen 
des Bublifums, als die Unglückliche mit ihrer fcharfen, 
weinerlichen Stimme die Gnadenarie wimmerte; fie hört 
noch, wie durch diefes Lachen die erſten Bif ſchlaute klangen, 
wie endlich ſchrille Pfiffe das Sinken des er 
veranlaßten. — 

Damals hatte fih Aglaë königlich über dies Salet 
meszo amüjiert, denn fie wünfchte e3 fich ſtets, mal einen 
Eleinen Theaterjfandal zu erleben. Jetzt aber, bet der 
Erinnerung flagen ihre Zähne wie im Grauen zus 
fammen, und ihr iſt's als träume fie mit offenen Augen 
einen entfeßlichen Traum; da fteht nicht mehr jene Fremde, 
ſondern ſie ſelber vor den peifenben und zijchenden Henfers- 
fnechten und fühlt, wie ihr die Sinne jchwinden unter 
den Folterqualen folch eines Augenblides! 

Aglaë ſchrickt wild empor und preßt die Hände gegen 
die Schläfen, die hämmern und glühen. 

Nur das nicht! Nur nicht eine ſolche entſetzliche Ber- 
für ihre Herzlofigfeit und ihren Leichtfinn! Ein 

Mißerfolg iſt für ſie gleichbedeutend mit Vernichtung. — 

Thorheit, warum martert und quält fie ſich vor der 
Reit mit folh furchtbaren Bildern, welche fie mutlos 
und verzagt machen, noch ehe fie den erjten Schritt auf 
die Bühne gethan! Kopf hoch! Luftig und guter Dinge! 
Sie ift jebt am Hiel und weiß es, daß die Schweſter der 


= AD 


Comödie die Leichtlebigfeit heißt, welche fed den Einſatz 
auf die höchfte Nummer wagt! — 
Die junge Frau verjucht fich abermals an all den 


bunten, fröhlichen Gaufelbildern zu beraufchen, welche ihr - : 


zeitlebens wie lodende Srrlichtflämmchen vorfchwebten, 
und der lebte Funken ihres alten Leichtfinns, welchen die 
Ace jchon zugeichüttet, flammte noch einmal grell auf, 
da ihm fo viel Flitter, Plunder und Glaſt geboten wird! 

Ihre fieberhafte Phantaſie reißt ſie mit ſich fort und 
eine hohe, beinahe aufgeregte Freudigkeit erfaßt fie, als 
der Hug in die weite Bahnhof Shale, dem Endziel ihrer 
Keife, einfährt. 

Ein junger Mann in livreeartigem Anzug nähert fich 
ihr. „Sch bin Theaterdiener und fuche ein Fräulein 
Lorrain” | 

Angenehm überrafcht blidt Aglaë auf. „Ich biws!” 

ruft fie haſtig „Haben Sie eine Nachricht für mich?“ 

Ich foll das Fräulein nad) dem Hotel Kronprinz 
bringen, wo bereits Logis beſtellt tl 

Ah . - Logis für mih? — Die junge Frau ſtammelt 
ſehr verlegenen Dank und fügte ängjtlich hinzu: „Es ift 
doch nicht etwa das erjte und teuerſte Hotel?” 

„Das iita fchon, Fräulein! aber darum brauchen 
Cie ſich nicht zu mmainigen, e3 wird fchon ‚alles bezahlt 
werden!” — 

Aglas begreift faum dieje Fürforge der Direftion, fie 
bat nie von derartigen Xiebenswürdigfeiten gehört. — 
Sie gibt dem jungen Mann ihren Gepädichein und fieht e 


— 408 — 


ihn unfchlüffig an: „Sit es denn hier bei Dem Theater 
Sitte, daß man jo febr gütig für auswärtige Gäfte forgt?” 

Der Diener lächelt feltjam und fieht fie etwas erz 
jtaunt an. „Für gewöhnlich wohl nicht, Fräulein! Wenn 
aber eine Dame jo recht gut empfohlen wird und feinen 
Anhang Hat, — na, Dann find auch unſere Herren 


Direktoren coulante Leute! Aglaë ſtarrte ihn verſtändnis- 


los an, aber der Sprecher hatte feine Kappe wieder aufs 
geſetzt und eilte, ihr Bahn brechend, voran durch die 
Menge. Sollte einer der Agenten fie plößlich fo 
warm und dringend empfohlen haben, nachdem man fie 
zuvor durch eine nichtswürdige Behandlung „mürbe“ 
machen wollte, daß fie beinahe dem Verhungern preis- 
gegeben war? 

Vielleicht hat fich bei einem ihrer Peiniger das Gewiſſ en 
geregt, und er will ſeine ehemalige Handlungsweiſe nun 
doppelt gut machen!? — Aglaes Kopf ſchmerzt; fie hat 
feine Gedanken zum Grübeln und Sinnen, die wirbeln 
alle jo aufgeregt durcheinander wie die Schneeflocken 
draußen in der — 

Sie beſteigt den Hotelwagen und bald raſſelt derſelbe 
durch die belebten Straßen, welche ihr blendend helles 

eleftrifches Licht wie Blige durch Die gejrorenen Fenſter⸗ 


jcheiben werjen. — Welch ein lang entbehrter, wonniger 


Genuk, ein elegantes; glänzend erleuchtetes Hotel zu 

ſchauen! — 
Man empfängt die junge Frau mit piel Aüoprfömmen: 

heit, und wie traumbefangen, ein feliges Lächeln auf den 


— 409 — 


Lippen, betritt fie ihr fomfortables Rimmer, in welchem 


jogar ein Pianino von der Wand entgegengrüßt. — . 


Warm und heil! Behaglich und elegant! Dies find Ber 
griffe, welche Aglaë beinahe fremd geworben find in der 
entjch lichen. Beit ihres Elends, — | = 

Ein warmes Abendbrot wird ferviert, ein Glas ailen 
Weines rinnt wie euer Durch Die Adern, und Dann 
überjällt die junge Debütantin eineummiderjtehliche, bleierne 
Müpdigkeit, fie legt da8 Haupt nieder in die ungewohnt 
weichen Kiffen und finft in einen Schlaf tiefer Er- 
Ihöpfung. — — — 

Die Direktoren des Theaters empfangen fie ſehr zuvor- 
fommend, ‚wenngleich der eine der Herren fie etwas über: 
rajcht anfieht, als habe er fich Agla& Lorrain anders 
vorgeitellt. Die fejtgejegten Proben werben befproden, 
und als fid die Debütantin verabfchiedet, Ätreicht Direktor 
Lißmann ein. — über den Bart u räuſpert 
fih unſchlüſſig 

„So weiß nicht, Sräufein Lorrain, ob Cie mit dem 
Theaterleben, feinen Sitten und . . . er lächelte fein — 
„wohl anh Unjitten befannt find gu — 

Aglaë neigt zuftimmend das Köpfchen: „Vollitändig, 
Herr Direktor.” — Eie hat den Frager jedoch miß— 
verftanden und bezicht feine Worte lediglich) auf das 
Leben hinter den Couliſſen 

„Sehr wohl! Sch hätte Ihnen andernfalls gern Die 
nötige Anleitung und Natjchläge gegeben. So wijjen 


Sie wohl felber, was eine junge Anfängerin zu thu 


— 410 — 


hat, um ſich Kritik und Erfolg nach Möglichkeit zu ſichern! * 


Ich darf Ihnen nicht verhehlen, daß Sie eine nicht zu 
unterſchätzende Konkurrentin haben, welche mit ihrem 
Anhang in hiefiger Stadt gewiß nach Kräften gegen Sie 
intriguieren wird! — Aber nur Mut! Ich ſpeziell hoffe 
febr, Sie dauernd engagieren zu fünnen, mein liebes 
Fräulein, und werde auch meinerſeits das Möglichite 
thun, um Ihnen die Wege zu ebnen. Allerdings find 
mir ja in gewilfen Beziehungen die Hände gebunden.” 
Er lächelt abermals und zuckt die Achjeln. „Die ‚Elingende‘ 
Agitation muß von Ihnen ausgehen! Wenu Sie aber 
irgendwelche Geldmittel benötigen, jo bitte ich nur, Ihre 
Wünſche zu äußern!” | 
Aglas dankt jehr Herzlich, fie verfteht nicht recht, 
was der Direktor mit flingender Ugitation meint, aber 
jie ift zu befangen, um eine Aufklärung zu erbitten. Zu 
einer Trage jedoch faßt fie noh Mut. — „Die ‚Herren 
haben nich fo außerordentlich liebenswürdig aufgenommen 
und meiner, al3 einer völlig unbefannten und umbedeuten- 
den Anfängerin, fo gütig gedacht, daß e mich intereffieren 
würde zu erfahren, welcher der Agenten mich jo warm 
empfohlen hat. Sch gejtche Ihnen ehrlich ein, daß ich 
durch den plöglichen Umſchwung im Benehmen dieſer 
Herren aufs höchfte erjtaunt und überrajcht war.“ 
Lißmann wendet ſich etwas zur Seite und wechjelt 
einen jchnellen Blid mit feinem Compagnon. Dann 
macht er eine jcherzend geheimnisvolle Gefte. „Nie jollit 
du mich befragen!” — fingt er voll Humor und fügt 


— 


ernſthafter Hinzu: „Später darüber, mein liebes Fränfein! 
Wir find allerdings Durch eine ſehr genichtige und einfluß 
reiche Perſönlichkeit auf Sie aufmerkſam gemacht, dieſelbe 
aber wird Ihren Dank erft entgegen nehmen, wenn Sie 
vollen Grund zu folcher Dankbarkeit haben, und. Ihr 
erſtes Debüt als vollfommener Triumph hinter. Ihnen 
liegt!’ 

— — — Bunderlih! Welch eine einflußreiche 
Ihenterperjönlichfeit hat fih ihrer fo geheimmnispoll anz 
genommen? — MWührend des Heimmwegs zerbricht ſich 
Aglas vergebens deu Kopf, Diejes Nätfel zu löfen. 

Sollte Dennoch einer ihrer alten Bühnenfreunde oder 
freundinnen im ſtillen für ſie wirken? | — 

Ein bitteres Lächeln ſpielt um ihre Qippen. MNein 
Taufſendmal nein! Keine Menſchenſeele kannte ihren Auf- 
enthalt, und von jenen verächtlichen Lenten, welche fie 
damals in jo qualvoller Enttäujchung von Grund des 
Herzens fennen lernte, nimmt wohl feiner jo viel Intereſſe 
an ihrem Schidjal, dasjelbe Sahre hindurch zu verfolgen. — 
Daheim in ihrer Vaterftadt ift fie wohl längit vergeffen, 
da ijt bereits Gras über Perjon und Namen eines Weibes 
gewachlen, we (ches jo unbeliebt und angefeindet geweſen 
wie die Vicomteſſe von Saint Lorrain. | 

Wer aber, wer hat von ihrem Elend gehört? Ber 
hat fich ihrer in höchſter Not erbarmt? — Einer der 
Profeſſoren des Stonjervatoriums? — Dies wäre Die 
einzige Möglichkeit, ſo a fe au Figen 
mag. ~- Welcher von ihnen 2” - 


- 0 


Aglaes Gedanken | fchmeifen zurück und verlieren ſich = 
in taufend Grübeleien; geneigten Haupteg, ohne redt 
oder links zu bliden, fchreitet fie vorwärts. Eine hohe 
Männergeftalt fteht abjeits an der Straße, den Blid feft, 


in langem, forfchendem und unendlich wehmütigem Schauen 


auf ihr bleiches, vergrämtes Antlib heftend | 
Aglaë bemerkt ihn nicht, — fie ſucht nach ihrem Beil 
thäter und ftreift ihn beinahe mit dem Gewande. 


— — — — — — — — —— — — — — — — — — — 


Bum erſtenmal im Theater! Bum erftenmal hinter 
den Couliſſen! — Aglass Herz klopft zum Zerſpringen, 
als ihr Auge ſich an das Dämmerlicht des Bühnen— 
raumes gewöhnt, und fie um fih her blickt, auf die 
jeltfam ftaubige, trügerifche Couliffenpracht, welche iur 
dem Publikum ihr buntes, lachendes Angeſicht, Beifall 
heifchend, zeigt, denen aber, die hinter ihr ftehen, nur 
ein gelangweiltes, miürrijches Grau in Grau weilt, als 
wollte die farbloje Leinwand jagen: „Bor den Lampen 
— da ift alles eitel Glanz und Luftbarfeit, aber hier 
hinter den Coulifjen wohnt nüchterne Wirklichkeit, wird 
Spiel bittrer Ernft! Dort geht die Kunſt nach Lorbeer — 
hier nad) Brot! Und was fich. der Welt als friedlichſte 
Harmonie zeigt, ijt im engen Rahmen der Eofitten oft 


ein Krieg auf Zod und Leben! Die Comödie hat zwei 


Heerlager; — vor dem Vorhang zeigen fih nur die 
Streiter, welche in dem Rampi aier dentjelben Sieger 
geblieben! 


— 413 — 


Die Vorſtellung der Kollegen ging ziemlich ſchnell und 
fühl von ftatten. Die meiſten der Anmwejenden zeigten 
die gleichgültige Miene, welche die Gewohnheit mit ſich 
bringt, und auch die weniger Abgeftumpften befchränften 
fich auf Beobachtung einer ftummen Reſerve, welche das 
rein Gefchäftliche dicjer Begegnung markiert Man ftand 
in Eleinen Gruppen zujammen und plauderte. Die crite 
Sängerin, eine üppige blonde Schönheit mit prätentiöfen 
Mund und einem fehr ungenierten Wefen, wicelte fich, 
auf die unerträgliche Kälte jchimpfend, noch fejler in ihren 
prachtvollen Zöwenpelz und glojlierte mit dein Helden: 
tenor über eine geftern befuchte Geſellſchaft, wo der ders 
wöhnten Dame nichts gut und elegant genug gewejen. 


Dabei blikte ihr Blick unausgejebt zu Aglaë hinüber, 


fie zu mujtern, bis fie fich Dicht zu ihrem Nachbar neigte | 
und ziemlich laut in ihrem Wiener Deutſch lachte: 
„Schauen! Das fol a Schönheit fein?! — Y feh” nir 
wie a Hand vol Haut md Knoche!“ —— ein 
unterdrücktes, allgemeines Gelächter entſtand 

Der Vertreter der Boſewichtrollen trampelte, um ſich 
zu erwärmen, mit den Füßen. Eein glattraliertes 
Mephiftogeficht fneift die Augen in fchnellem Lächeln zu- 
jammen. „sch bin beruhigt, Kinder —“ fagt er voll z 


Sronie — „das Haus wird nicht zulammen ftürzen unter 


dem Beilallejturm der Menge!” 

„Und die Suchini fann ruhig jchlafen! Um dieſer 
Konfurrentin willen braucht fie fich feine grauen Haare 
wachfen zu laffen! Dieje kleine Jammergeftalt ſoll 


ae 


eine Fides fingen? — Lächerlich! Die rutjcht ja aus 
Verſehen in cine Dielenrike, ehe fie das Fu über- 
haupt zu Gelicht bekommt !” 

„Donnerwetter, ja! Berflucht mager! Darf ſich nicht 
mit ihrem Köter 
photographie- 
ren lafien!” 
„darum denn 
nicht, Mär: 
He 
„Beil man 
ſonſt unter Das 
Bıld Schreiben 
könnte: Ein 
Hund, welcher 
einen Knochen 
bewaht!!® 4 
Große, wenn N 
auch gedämpite 
Heiterkeit. 

Die Kün- 
gel Des Ne: 
giſſeurs ertönt 
und zeritreut Die Spötter. 

Aglaë hat mit Dem Direktor geplaudert, aber ihr 
gutes Auge hat ihre Kollegen beobachtet, und fie empfindet 
e3, daß man fie verhöhnt. Das treibt ihr das Blut 
zu Kopf, Daß fie vermeint, erſticken zu müſſen 





24197 a 


Die Duverture zu dem ‚Prophet jeßt ein; Der 
Kapellmeifter bricht jedoch auf Wunfch des Direfinıs ab 
und geht fofort zu dem eriten ne des erſten Aftes | 
über. 5 

Aglas bebt an allen Gtiedern. Es deucht ihr gany 
unmöglich, daß fie nieh jebt hierher — und ſingen _ 
DE 

Die Dame im Löwenpelz ift an fie herangetreten. 
„Sb finge Die Bertha, Fräulein Lorrain! Sie find 
hoffentlich vollkommen ficher in unjern Enſemble⸗Partien 
und Duett3, denn ich habe leider abfolut feine Beit noch 
Privatproben zu übernehmen!” 

Ich Hoffe, fider genug zu fein.” 

„Singen Sie zum ee vor Publikum 2% 

„Leider Gottes!“ 

Die impojante Vertreterin der Bertha lacht und legt 
ihre Hand wuchtig auf die Schulter der Kollegin. „Na, 
da gratuliere ich, Sie armes Wurm!” jagt fie familiär: 
„Da ift bier gerade ein verteufelter Boden für Er itlings- 
erperimente! Welcher Unverjtand von einem Agenten hat 
Sie denn. gerade hierher vor unſer mehr wie fritijches 
Publikum gebracht? — Sie hätten erft mal an kleiner 
‚Bühne: verſuchen müffen! — Was ſoll denn das geben, 
wenn Sie hier das Lampenfieber befommen, von deffen 
Schredniffen Ste Unjchuldslamm gewiß noh gar nichts 
ahnen! Da unten — fehen Sie die erite Reihe im 
Parkett? Da figen unſere Scharfrichter,. Die Herren 
Recenſenten ! An diefen Engelsföpfchen fünnen ie gleih 


~ b > 


erfennen, ob Cie wag von Ihrem Gaftfpiel zu hoffen 
haben! — Wenn der fleine, grauhaarige Brillenbaftil — 
welcher gerade vor una, hier in der Mitte fit, ab und 
zu ein PBrischen nimmt, und hierherauf fchmungzelt, dann 
fiten Sie in der Wolle, wenn er aber den Goldfnopf 
feines Stodes unter das Kinn preßt und mit dem Tafchen= 
tuch in der Hand herumfuchtelt, dann brauchen Eie die 
Koffer gar nicht auszupaden. — Wo find Sie Denn 
eigentlich ausgebildet?” M se 
„Auf dem Konjervatorium zu Æ. !” — ftanmelte Aglaë, 
welcher trog der Kälte der Angftichweiß auf die Stirn 
trat. Der Heldentenor ftand hinter ihr und ſchob eine 


Kalamelle in den Mund. — „Konfervatorium zu &.?” 


fuhr er haftig herum „Teufel, ja, — ift Pech für Siel 


` — Unfere Sritif hier Haft die Schüler vom Kolſch! Hat 


noch feiner hier reijfiert! Na, da will ih Ihnen nur 
den guten Nat geben, verichweigen Eie diefe Thatjache, 
jonft ſind Sie von vornherein aufgeworfen!” 

„Das ijt ja entjeglih!” ftöhnte Aglas leiſe auf. 

Der Direftor trat Haftig heran, und die beiden. 
Unglürfsraben zogen fich zurüd. 

„Hat man Sie etwa durch irgend welche Außerungen 
bejorgt gemacht, Fräulein Lorrain?” fragte er gütig mit 
forſchendem Blid in ihr verſtörtes Gefichtchen. „Ich bitte 
Sie, keinerlei Wert auf die Nußerungen irgend einer 
Berfönlichfeit zu legen, t denn wie ich Ihnen bereits lagte, 
iteht Ihnen eine Nebenbuhlerin gegenüber, und die In— 
trigue kämpft nicht immer mit ehrlichen Waffen I“ 


— 417 — 


Thränen ftanden in den Augen der jungen grau, 


‚so bin jo nervös vor Angit und Aufregung, Herr 


Direktor !” Elagte fie bebend — „es hängt ja meine 
ganze Exiſtenz von dieſem Debüt ab! Neüff ſiere nicht, 
muß ich verhungern | 
-Œs lag etwas Sonderbares in dem Befictsansprud 
Lißmanns, eine beinahe chmerzliche Erregung und ein 
tirleid, welches die Vermutung zuließ, daf- er wußte: 

Dieſe Worte Spricht ein Weib, das m über Mi ilz | 
lionen verſügte!“ Se 

Er jchüttelt lächelnd den Kopf na ee hr Se 
Hand. „Unbejorgt, und um Gottes willen feinen ſchwarzen 
Gedanken Raum gegeben! Es wird alles viel beſſer 
gehen, al3 Ste denken! Nur ruhig Blut und Courage, 
das find die Zaubermittel, welche den beiten Erfolg 
garantieren!’ 

„Scene 2! Darf ich bitten, Fräulein Lorrain!” flang 
die Stimme des Kapellmeilters vom Orcheſter herauf. 

„Nun vorwärts! Gingen Eie alle Sorge in Grund 

und Boden!“ nickte der Direktor — und trat 
zurück. 

Aglaë preßte schwer atmend den Muf gegen die — 
Brult. Neben ihr ftand die blonde Bertha und bligte 
ie mit den blauen Augen beinahe feindjelig heraus: 
fordernd an: „Dant dir, o meine Mutter! Endlich 
bijt du denn hier!” — tlang ihre volle, fchmetternde 
Stimme mie Sronie burch das leere Theater, Atemlojes 


— | | 
eihftruth, ‚SE, Rom. ii. Nov, Komödie U. ——— 


a 


„Du barrteit — — Hat mit umnficherer 
leijer Stimme ein. 

„a nu?“ flüftert der Operitiuer bem Direftor zu, 
„man hört ja gar nichts I" 


Wird Schon fommen! fie markiert die ham. 2 


und Müpigfeit Der Fides 

„Dann ift die arme Frau aber dicht am Umtallen!! 
jpottet der jchöne Mar mit lauerndem Blick Keine Ant⸗ 
wort, der Direktor ift ganz Ohr. | 

„Und Sohann, mein Cohn, er harrt mit heier Eehn- 
fucht !” Elingt e& ein wenig fräftiger von. den bleichen | 
Lippen der Debütantin. Cie fcheint fich etwas freier zu 
fingen. ‚Bon allen Mädchen hier‘ nimmt einen erfreu⸗ 
lichen Aufſchwung, und der Direktor nidt : ermutiz u 
gend zu. In 
— Nach beendigter — nitt er abermals. meen — > 
und lobt ihre gute Schule, ſowie Den pren Ausdruck 


174 


der M üdigfeit in Etimme und Spiel. — Aglaë ſieht ee 
ihn ein wenig betroffen an, aber fie dantt a u 


herzlichen Hänpdedrud. 

Bei der Romanze zwiſchen Bertha amd b Fibes phn 
Dag zarte Drgan der legteren fchier verjchlungen von 
der mächtigen Stimme der Kollegin. | 

„Sie waren ein wenig zu laut, Fräulein Mathiſen!“ 
ſagte der Kapellmeiſter mit einem fragenden Blick auf 
den Direktor, „Die Stimme von Fräulein Lorrain fonnte 
nicht durchdringen! 

Die Diva zudt fpöttiich die Achjeln: „Pardon, Herr 


— 419 — 


Kapellmeiſter““ — entgegnet fie ſcharf „Sch habe noch 
nie mit einer derartigen Fides gefungen! —“ Gie 
legt einen jo abjcheulichen Ausdruck auf derartigen”, 
daß Aglaë er Blut in die Wangen ſchießt. 

Bitte ſortzufahren Küng Lißmanns Stimme e fhar 
dazwiſchen. | | 
| Während der Pauſe dee zweiten Aktes tritt er aber: = 
mals neben Aglaë: „Laſſen Sie fih nicht einſchüchtern, 
Fräulein Lorrain! Die Mathifen outrierte in dieſem 
Aft. Lajjen Eie fidh micht verleiten, fie überſchreien zu 
wollen, Shre Stimme ift zart und weich und noch etwas 
matt von den Neifeanjtrengumgen. Am beiten wird e3 
fcin, Sie faſſen Die Fides durchweg als eine alte, ge- 
beugte Frau auf. Legen Sie das Hauptgewicht auf 
einen jehr künstlerisch gefchulten Gejang und fuchen 
Sie gerade durch Ihre Pianos Effekte zu erzielen! 

Aglaë neigt t das Haupt wie eine Gerichtete. 

Nach der Probe tritt eine fleine, elegante und jehr 
liebenswiürdig ausjehende Dame — ſie, Frau Direktor 
Lißmann — Sie jpricht der jungen Sängerin voll Herz- 
lichen Anteils Mut ein und bittet, dap Fränlein Lorrain 
heute abend den Thee bei ihnen trinfen möge. „Sc war 
ehemals felber eine der beiten Fidesfängerinnen“, lächelt x 
fie, „und ich will gern Ihre Partie noch einmal privatim mit 
Ihnen durchgehen, liebes Fräulein! Dann follen Sie mal 


schen, welch jchöne Effefte wir erzielen ! Nur fein Herztlopfen, i 


das Mugjt-Tremolando muß bei der Aufführung völlig 
überwunden fein! Wird's auch! Ich verfichere Sie!” 
— ARE ; TE 


— 420 — 


Aglaë hatte aber dennoch den beforgten Blick geſehen— 


welchen Sie mit ihrem Gatten wechjelte. 


NE A E A Fr O EEE N EEE A EEE a a 


Die Entſcheidung naht! — Mehr tot wie lebendig 
wankt Aglaë die fleine Treppe zu ber Damengarderobe 
empor. Die Direktorin empfängt jie daſelbſt und drückt 
ihr ermutigend die eisfalten Hände. Gie ift ehr luftig 
und guter Dinge und jucht dem armen jungen Schlacht- 
opfer die Angſt von dem Herzen zu fcherzen. Aber jie 
blidt dennoch betroffen in das bleiche Muntlig, aus welchem 
zwei rotgeweinte, fiebrijch glänzende Augen aus tiefen 
Schatten jchauen. 

„Sie haben gewiß fchlecht geichlafen, Eie £leines 
Pärchen!” laht fie, „ich bitte Sie — ängftigen Sie ſich 
doch nicht, fondern jagen Sie fidh einmal felber mit 
Vernunft, daß Ihre Zukunft an der Courage und Kalt- 
blütigfeit dieſes Abends hängt! Ajo Kopf hoch! Friſch 
und frohlich ans Werf! Zeigen Sie den Leuten, wie 
viel Cie gelernt. haben! Seht werden wir Ihnen ein 
ganz altes, rungzeliges Geſichtchen ſchminken und dann 
flink das Koftüm über!! Sie ar gar nicht, wie fo 
ein bischen Schminke das Feuer ins Blut treibt!” 

Aglad ftand vor dem Epiegel und ſchaute fich an. 
Das Herz frampfte fidh ihr zufammen beim Anblick dieſer 
runzeligen, alten Bettlerin, welche ſie war, ſie, die ehe— 
mals im Glanze fürftlicher Pradıt vor het Zrumteaur 
ihrem ſtolzen, ftrablenden Bilde zugelächelt. 

‚Aber es bleibt feine Beit für folje Gedanken Frau 


Be ER 


Liß mann in ſellener und: Iparmanter Sicbenswürdigfeit 
zieht fie in den Kreis der Iuftigen, jungen Choriftinnen, 
welche unter Übermut und Nedereien zu der Bühne 
herabeilen. 

„Sehen Sie? Diefe Mädchen haben einit alle ebenſo 
zitternd und bebend Die Bretter betreten wie Sie, liebe 
Lorrain, und jet? Segt ſchwimmen fie mit vollen Segeln 
in einem Meer voll Wonne! Mjo guten Mut! — Übers 
Fahr jtehen wir hier und fönnen’s gar nicht begreifen, 
daß fih unjere tleine Diva Lorrain jemals im Leben 
vor dem Auftritt mit Lampenfieber abgegeben! 

Aglaë ijt ganz ergriffen von der mütterlichen Güte 
diefer Frau, welche fich ihrer, der Fremden, fo rührend 
freundlich annimmt, fie zwingt fidh) zu einem Lächeln und 
drückt frampfhaft die Hände der Sprecherin: Adh, bleiben 
Sie in meiner a fleht fie. 

Das Ordejter fegt mit der Duverture ein, die mächtigen 
Klänge durchbraujen das Theater, und die Zähne der 
jungen Debütantın ſchlagen wie im Schüttelfroft zujammen. 
„Sehen Cie fi einmal das Publikum an. Lauter nette, 
luſtige Menſchen! Da unten Der hübjche Qeutnant in 
der Loge — den ſehen Sie nur immer an! Dann u ; 
Ihnen ganz luftig ums Herz? 

Aglaë neigt fich zu dem kleinen Sucklod i im Bon 
Sie ſieht lauter wirre Herrenbilder, lauter Geſichter, die 
einer hundertföpfigen Hydra anzugehören fcheinen. Den 
Leutnant fieht fie nicht, ihr angitvoller Blid irrt zu der 
ersten Barfettreihe hernieder, wo die Necenjenten figen. 


= — 


Richtig — juſt in der Mitte der feine, grauföpfige 
Herr mit dem Goldfnopfftod, von welchem die Mathijen 
fo ſchreckliche Dinge erzählt. — Er jpricht, wie es jcheint, 
febr abfprechend und übellannig mit ein paar andern 
Herren. Ah — fier haben fie in der Zeitung gelejen, 
daß Aglaë eine Schülerin von Kolſch ift! Sie begreift Ä 
nicht, wie diefe Notiz in das Tageblatt gefommen und 
ift beinahe verzweifelt vor Schred, als fie e3 gelejen. — 
Welch ein feharfes, erbarmungsloſes Mephiftogeficht er hat! 
— Aglas ſchauert zufammen und eilt ſchwer atmend zurüd. 
Auf der Bühne tritt der Chor der Kandleute zuſammen, 
und Der Inſpicient weiſt Agla& in die Couliſſen zurück. 
= — — — Der Vorhang rollt empor. | 

Aglaë weiß nicht, wie fie die Kraft gefunden in das 
grelle Licht der Lampen hinaus zu wanfen. Ste weiß 
auch nicht, wie fie den Mut gefunden die Lippen zu 


öffnen und zu fingen, — aber fie thut e3, fajt mechaniſch, 


ihre Lider finfen tief über Die Augen, und ihre zarte, 
Heine Geftalt jtüßt fich fo fchwer auf Berthas Arm, als 
wolle fie zujanmenbrechen. — Das paßt alles ganz qut 
in die Rolle. Auch die Nomanze verläuft leidlich, das 
weiche, rührend leije Flehen wirft im Munde der ges 
ängjtigten Mutter der Situation angemejfen. a 

Der Direktor und feine Gattin niden und winfen ihr 
jehr ermutigend zu. — Aglaë ficht es nicht. 

Sie fteht nur und laujcht zitternd, al3 der Vorhang 
gefallen. Eehr wenig, fait gar fein Applaus. 

„Bud Schon fommen!” tröften Lißmanns 


er e 


Der zweite Akt bringt für Fides nur ein Ariofo. E3 
paßt nicht recht für fie — ihr Spiel ift fteif und unz 
natürlich, und alè fie den riejengroßen Sohn umarmen 
will, klingt ein jcharfes Lachen durchs Publikum. Uglaë 
zuckt empor und jtarrt wie gelähmt in das Bartett. Richtig! 
Er — der Grauföpfige, er fißt mit verjchränften Armen, 
lacht voll wahrhaft teufliicher Sronie und jagt jehr vernehn: 
[ich zu jenem Nachbar: „Schauerlich! reine Karrikatur!“ 





Eiskalt durchriefelt es Die umatücktiche Debütantin, 
fie wanft in die Souliffen und finft wie gebrochen auf 
einen Stuhl nieder. „Berloren! — ja, e3 ift alles verz 
loren!“ 

Lißmanns find in die Garderobe gerufen. Aglaë 
bleibt allein mit ihrer Verzweiflung. 

Und wieder! Wieder fol fie den Mearteriveg auf 
die Bühne beichreiten. Sie fteht und preßt ſchaudernd 
die Hände gegen Die aus ihr Blick flackert wie. trr 
ſinnig umher. 


— 44 — 


„Sie müfjen vor!” raunen ihr die Bürger zu, al 
Aglas wie leblos auf ihrem Etein verharrt. Sie erhebt 
fich wantend. — Die Bettlerinarie! Wie eine entjegliche, 
wahnſinnige Ironie auf fih felber, fteht die ehemalige 
Millionärin vor dem Publifum, um ihr eigenes Elend 
zu fingen! — „Gebt — o gebt!" — Wie ein fchriller 
Aufichrei klingtis von ihren Lippen, fie jchwanft haltlos 
vor, ihre Stimme ſchluchzt und qurgelt unter den Thränen 
der Verzweiflung, welche fie zu erjticken drohen. Das 
Bublitum wird unruhig, — Stimmen werden laut — 
einzelne Aifchlante — und drunten im Parkett der Gran- 
töpfige lehnt fich in feinem Seffel zurück, näult fein Taschen: 
tuh — und laht — laht — mie fie chemals lachte, 
als fie aus ihrer Loge dem Fiasko einer armen Dez 
bütantin zujchaute. Blutrote Nebel wallen bor ihren 
Augen, fie frampft die Hände... ein umartifuliertes 
Auffchreien und Nöcheln: „Mich friert — was thut's — 
das Grab ift fälter doch!” — gellt es von ihren Lippen 
— ihr. its, als ftünde fie wieder auf der. Hafenbrücke 
und jtarre in die gurgelnde, unheimliche Tut hernieder, 
bereit, fih in Tod und Grab hinab zu ftürzen. Ein 


Tumult tojt vor ihren Ohren — Ziſchen, Lachen, Tranz : 


pen, Pfeifen. 

Sie reißt noch einmal gewaltjam — Augen auf, — 
vor ihr das Publikum, eine wüſt kreiſende Menge. Und 
dieje Pfiffe — Hergott des Himmels, man pfeift fie aus! 

Ein —— Weheichrei. Aglaë bricht beſinnungslos 
zuſammen, und der Vorhang ſenkt ſich vor dem Drama 


— 425 — 


eines grenzenlofen Elends. — Das war Nealiftit, das | 


war ganz echt und lebenswahr, das zeigte einen Todes- 


jtoß, wie ihn fein Menfchenauge je naturgetreuer gejaut, n 


und doch pfiff man die Darftellerin aus. — Das Rublifum 
will ja Comdödie auf den Brettern! Eine Bettlerin, 
welche mit fofettem YAugenauffchlag die Logen grüßt, 
während fie weint und ſchluchzt, welche die vollen Urme 
graziös zum erjten Rang hebt, wenn fie von Frieren, 
Hungern und Darben fingt, eine Bettlerin, welche ficher ` 
und wohlberechnet die fchüne Hand ausftredt. Eine Un- 
glückliche aber, welche fich thatlächlich in den Folterqualen 
der Todes angſt verzehrt, welche zujammenbricht unter Der 
Wucht ihres Elends und nicht mit jchöner Melodie, fon- 
dern mit gellendem Angftichrei um Hilf e und Erbarmen 
fleht, die ift eine jo unangenehme, ungefchininfte Wahr⸗ 
heit, daß fie lächerlich wird in dieſer Welt des Scheins | 
und Trugs! 

Die Prieſterin Der Somöbie war fick selber untreu 
geworden, fie verlor Die Maske vom Angelicht und wurde 
ausgeziicht als ein Stüclein jener verpönten Wahrheit, 
deren Zerrbild die Realiſten auf die Bretter ftellen, und 
welche dennoch unverſtanden Fiasko macht, wenn fie fih 
gang n und ror dem un ifum vors Auge wagt! | 








EIS FNEE 
| mra DEN e ng A 


L tiiir a a E A a a a e a — — — — ———— ——— ——— — — 





— — — —————— —— —— —— —— — — — — —— 


XV. 


Du warft gerettet! Mir. gerettet 
Für eine friſche Lebensbahn —! 
An meine Bruft lagſt bu gebettet, 
Und meinend biidteft du mid an! 
Gottfried Kintkel 


FB Nglas die Augen wieder 
aufichlug, lag fie in der Garde- 
robe. Die Gasflammen waren 
herabgejchraubt. Fern her flang 
ein gedämpftes — Summen 
und Muh. ihrer Ceite 
fniete Frau a Lihmann 
und rieb ihr Hand. und Arm, ihr 
Mann fien | ioeben an der Thür Medifamente, von einem 
Iheaterdiener bejorgt, ın Empfang zu nehmen — umd 
vor ihr — bejorgt über fie geneigt — wer war das? 

Die Kranke ftarrt mit weitaufgeritjenen Augen in das 
ſchöne, ernjte Angefiht — dann geht ein leiſes Beben 
durch ihre Glieder, ein tiefer, qualvoller Seufzer hebt 
die Brult: „Hans! murmelt fie, „Sans? 

Er reibt ihr Stirn und Schläfen mit einer belebenden 
Eſſenz „Gott fei Lob und Daut, das Berußtjein kehrt 
zurüd!” atmet er ſchwer auf. | 





ee 


Aglas will fidh empor hen. aber fie finte En | 
in den Arm des Arztes zurüd, ee 
„Ruhe, meine arme, liebe <rennbin! Eirengen Sie 


ſich nicht an — wehrt der junge Profeſſor mit weicher 
Stimme. „Nehmen Sie zuvor em Glas Portwein N 


bier... . Frau Direktor hält es Simen an Die Lippar ` 
— ımd hant noch ein paar Minuten gang jtll liegen, 
bis die Kräfte wienerfehren“  —— 

Aglas wendet mit herzgerreißiendem Blick das Haupt 
zur Seite und verweigert e3, zu trinfen. 

„Aglaë — trinten ut 

Thränen ftürzen aus ihren Augen: „Ach, warum?” 
jagt fie leife, „erhaltet mich nicht gewalif ſam am Leben, 
der Tod ift ja eine Erlbſung!“ | 

Hans fniet neben ihr nieder: „Shorheit!” jagt er 
energijch : „3r Leben. foll jetzt erft beginnen: Wollen 
Sie wegen eines einzigen. kleinen Mißerfolges ſofort Die 
Flinte inë Korn werfen? — Sie waren bereits frant, 
als Sie die Bühne betraten, es war ein Unfinn, dah Eie 
überhaupt fangen! Hier ijt der Wein, trinten Sie!” 

Andſtvoll jtarrt Die Krante den Eprecher an, neigt 
demütig die Lippen zum Glaſe und trinft. „Barum 
brennen denn lauter rote Flammen hier 21” udt fie 
plößfich empor, mit irrem Auge umberichauend. Es 

Der Direktor taufcht einen beforgten Bli mit dem: 
Brofeflor. — „Es ift nur der Lichtjchein, liebe Aglaë, 


— fommen Gie, id) trage Sie hinab in den ZN es 


damit Sie fih zu Bett legen können!” 


AR S 


‚Er — die federleichte, kleine Bürde mit ſeinen kraft— 
vollen Armen und hebt ſie ſanft und behutſam an die 
Bruit empor. — Mit einem leifen Auffchrei der Verzweif⸗ 
lung. iträubt fidh die junge Frau gegen ihn. — ‚ein, 
nein! Nicht zurück! Nicht wieder auf Die Bühne! ‚töbt 
ſie zitternd hervor. „Weißt du nicht, daß die Leute dort 
zifchen und pfeifen? — Der mit dem grauen Kopf — 
der iſt fein Menſch — der it ein Teufel... und er 
lacht — und jtredt feine Krallen nah mir — — mit 
dem weißen Tuch will er mich erdroffeln! — Hans! — 
Hans!!! — Wie ein gellender Hilfefchrei tlingt’s, röchelnd 
ſinkt ihr Kopf zurück 

Er drückt fie ſanft an ſich — a — flüjtert 
er weich — „tennft bu mgr 

Sie fehridt auf und ficht ihn mit fieberheißgen 
Augen an. — Dann murmelt fie: „Bijt Du e3 nicht, 
Hans?" 

ty ic) biws, bsn alter, treuer Freund, Aglaë. 
Wenn ich bei dir bin, fann feine Menfcheni jeele Dir etwas 


zu Leide thun! Nun bift du behütet, und ich bringe dich | 


weit, weit fort bon per in Sicherheit. Willſt du mit 
mir fommen ?” 

Ein Lächeln erklärt ihr Antlit. „Du Birk — Hans 
— num ijt alles gur, _ — haucht fie, lehnt, die Augen 
ichließend, Das Haupt an feine Bruft und Ich! ae die 
Arme um feinen Naden. — 

„Belzdeden über fiel” winft Burthardt hatig ber 
Hinge inig àt. 


—.429 — 


Man hüllt fie forgfam ein. „Der Wagen Steht 
bereit!” flüftert der Direftor. | 

Hans trägt feine Patientin im Bettlergewand Die 
ſchmale Stiege hernieder. Sein Herz krampft fid zu- 
jammen beim Anblid ihres Den, gehenden Gez 
fichtchene. 

„Wohin?“ fragt ae le A De 

„gur Privatklinik des Doktor Mandlau! Er ift mein 
— er wird lie aufnel mon “ 

Bochenlaug u Aglaë — Tob und Leben. 
Ein heftiges typhöfes Fieber liep ihren zarten, ſeit 
Monaten durch Entbehrung entkräfteten Körper in 
ſchwerem Kampfe ringen, und Hätten nicht: Brojefi or 
Buͤrkhardt und Doftor Mandlau alles zur Erhal tung 
ihres Lebens aufgeboten, hätte nicht der berühmte Arzt 
perjönlich manch lange Nacht bei ihr durchwacht, wäre 
wohl der Tod dennoch als Sieger aus biejem Kampf 
hervorgegangen. 

Nun wehten die Frühlingstüfte wieder Her die fnojpende 
Welt, Schneeglödchen, Auritel und Eylla ‚öffneten Die 
Augen dem warmen Somenichein, welcher jo zaubrifch 
lodend feine goldenen Schleier ſpinnt, Himmel und Erde 
damit zu verbinden, wie durch einen Strahlenbogen 
ewigen Friedens. | 

Auch in Aglaes Kranfenftube flutete es warm und 
hell, und die barmherzige Schweſter öffnete das Fenſter 
und ſprach „Riun wird e3 Ihnen bald wieder frei und 


— 0 


wohl um das Herz waun, liebes Fräulein Lorrain! 
Bei folh köſtlichem Frühlingswetter muß alles Winters 
leib bald vergeffen werden, und wenn der Herr Brofefior 


nachher fommt, erlaubt er hof fentlich, daß wir Sie. a oe 


Stundchen in den Garten fahren!” 


„Glauben Sie denn, Schweiter Marie, dağ er a 


heute fommen wird, wo er Doch Die en erhieht, 
-~ Daß mir die erjten Stunden auger a jo gut bez 


22 lonmen mo 


„Sicherlich kommt er, es müßte denn Dekade in feiner 


= a eigenen Klinik ein dringendes Vorkommms ihn abhalten, 


oder er hat wieder den Zug verſäumt, wie das vorlegte 
Mal, als er fich bei der — in der Univerſität 


=  perfpätete! — 


Bug verjäumt 2% Aglaë richtete fich, — 
taunt auf. „Gibt es eine Stadtbahn hier, welche Yurt- 


i Hardt jedesmal benußen muk?” 


= „Stadtbahn ? Die Echwelter jah die. Sprecherin 
groß an: „Kein, Sräulein Lorrain! Der Profeſſor 
kommt doch immer die zwei Stunden lange Strede von 
der Univerfitätsftadt X. zu uns herüber; er wohnt gar _ 
nicht hier, jondern macht jtets die aene: Reije, 
um Gie zu behandeln. Wußten Sie das niht?” 
Mglaë — Hände krampfhaft in einander. 
Ihränen höchſter Beltürzung und Rührung traten in 
ihre Augen, „Nein, das wußte ich nicht!” — murmelte fie. 
ud, 8 hat auch Auffehen genug gemacht! Die Zei⸗ 
tungen hatten viel zu berichten und zu lobpreifen, und 


— 431 — 


wenn man Ihnen jemals hier in der Stadt Unrecht 
that, Fräulein Lorrain, fo find Sie glänzend rehas 
bilitiert I” 

Rehabilitiert? — Was föunte jemals die That- 
fahe hinwegleugnen, daß ich als ich ledte Züngerin aus- 
gepfiffen wurde?“ | 
jeufzte Aglaë tief 
wd ſchmerzlich 
auf. | 

Run, Sietle —— 
fih ſchon noch 
ſelber überzeugen." s 
Schweiter Marie > 4 
ſchlug Die Dede | PR 
fejter um Die übe 
ihrer CSdhugbee W 
fohlenen und fah £ 
ihr mit frischem _ 
Lachen in das ' 

bleiche Antli. 
„Wenn e8 Der 
Ger Profeſſor 
erlaubt, müſſen 
Sie mal. alle 
die Beitungsartifel (ofen! Sie glauben gar nicht, wie 
man Sie zur Heldin des Tages gemacht! — Übrigens, 
Fräulein Lorrain, bitte vergefjen Sie nicht, dem Herrn 
Profeſſor das Briefehen von Frau Direktor Ligmann zu 





> re 


— 432 — 


übermitteln, fie war vor einer Stunde wieder perjönlich 
bier, in ber Hoffnung, Sie jehen zu können.” 2 
„Die guten, guten Menjchen !” nidte Aglaë wie tief 
in Gedanfen, und dann jchaute fie jchmweigend auf Die 
Dielen, darauf die goldenen Sonnenlichter tanzten. 
Die barmherzige Schweſter trat in das Nebenzimmer, 
e8 war ſtill, feierlich ftill ringsumber, nur die Sonntags- 
glocken klangen fernher durch die milde Frühlingsluft. 
Aglaë aber lächelte hinaus. in die fno jpende Pracht, 


und es war, als treibe ihr Herz, welches jo lange ae 


und tot im Winterfchlaf gelegen, zum erftenmal maien⸗ 
friſche Knoſpen Was Hinter ihr lag, war ein irrer, 
wirrer, entjeglicher Traum, nun Ichlug fie zum eritenmal 
die Jugen auf und faute Gottes Erde. — Eie war 
nicht fo arm an Liebe und Glüd, und die Menjchen, 

welche auf ihr wandelten, nicht fo herzlos und grauſam, 
wie fie gemähnt. — Ein Gefühl unbeſchreiblicher Rührung 
und Beichämung überfam fie, wenn fie an Hans Burt- 
hardt dachte. — Was hatte er für fie gethan! Wie edel, 
wie groß vergalt er ihr alles, was fie gegen ihn gefehlt. 
Sie hatte fidh ehemals des Bauernſohns geſchämt, er 
aber hatte die Bettlerin nicht verleugnet. Sie wollte 
jelbft im engen Kreife ihres Haufes den Jugendfreund 
nicht anerfennen, weil er einen jchlichten Namen ohne 
Cang und Klang trug, er aber befannte fih vor aller 
Welt zu der ausgepfiffenen, verhöhnten Comödiantin, 
deren Namen nicht nur fchlicht, jondern gebrandmarft 
war vor Gott ımd der Welt! — Eie, die Millionärin, 


= 433 — 


hatte damals feinen Pfennig geopfert, den armen, datben— 
den Studenten in feinem edeln Streben zu unterjtüßen, 
er aber, der Mann, welcher jelber faum verdiente, er 
legte fich die größten Opfer auf, um ihr Elend zu lindern, 
um ihr Hilfe und Nettung zu. bringen! 

Geike Glut ftieg in die Wangen der jungen — 
fie faltete die Hände im Schoß, imd ihr ganzes Denten 
und Sinnen war ein Gebet zu Gott — zu ſegnen und 
zu vergelten an ihrer Statt! | 

Stimmen wurden im Korridor laut. Die Borjteherin 
öffnete behutiam die Thür und jchaute in das Zimmer. 
„Nein, fie wacht, Herr Profejfor, bitte, treten Sie ein!” 

Aglaë wandte das Haupt a blickte Hang entgegen. 
— Hoh und ftattlih, von goldenem Sonnenlicht um- 
Hoffen, ſtand er vor ihr. Nicht wie man ſich den Pro- 
feſſor, den Gelehrten deuft, — nicht mehr bleich), müde 
und überarbeitet, jondern. bil hend friſch, itramm wie ein 
Srenadier, blondlockig und blauäugig, Das lachende, chr- ; 
liche Kindergeficht von ehemals! 

Er trat haftig auf fie it, legte den Sins Schnee- 
glocken auf ihren Schoß und bot ihr mit ftrahlenden Blid 
die Hand entgegen. „Gott fei Lob und Dant! aud 


heunte wieder im Sefjel! Ich furchtete die erften Tage 


außer Bett würden Sie gewaltig anſtrengen aber ich 
jehe, daß ich eine zu ſchlechte Meinung von Ihrer guten 
Natur Hatte! Nun? wie ſteht es? Fühlen Sie ſich 
heute wohler als bei unſerm {e bten Sehin? 


| a drückte ihm fajt kraͤmpfhaft die Hand: So wohl 
Eſchſtruth U Nom. u Nap., Comövie IL: > 3 25 n 


ed o 


und gefund, daß ich e3 fogar ertrug, alles zu hören, 
was Gie fiir mich gethan Haben, Hans, ohne unter der 
Wucht folcher Barmherzigfeit zu Boden zu finfen! 

Er jah ganz verlegen aus. „Wer hat Ihnen dem 
fole Märchen aufgetiicht! Ich that, was meine e 
und für mich eine Freude war!” 

hre Lippen zitterten. „Wie haben Sie ia meiner 
angenommen! Wie haben Eie mir geholfen! — DO, id...” 

Er unterbrach fie ſchnell und luftig: „Geholfen? — 
— bis jet wüßte ich nicht, in welcher Weife! — Aber 
wenn Sie erft wieder al3 ganz Geneſene aus Ihrer Haft 
entlaffen werden, damn, ja, dann hoffe ich, Ihnen recht 


behilflich fein zu können, damit Shr Lebensſchifflein beſſer == 


und fröhlicher gelenft Derbe als bisher“ 


Sie blidte mit wehmütigem Lächeln auf. „Die Gegen: 


wart ift jo wunderbar ſchön und friedlih, daß es mich 
gront, an die Zukunft zu denken!“ 

Er lachte. — „Wahrlic)? Jum, ich hoffe, Sinen jchon 
jetzt dieſe Zukunft in buntejten Farben malen zu können! 
Sie wiſſen, daß manches Unglüd das größte Glüd in 
fich birgt, und daß der Weg zur Höhe oftmals durch 
den tiefjten Abgrund führt!“ — fein Antlig ward um 
einen Schein ernfier — „she höchſtes Ziel, Ihr Begriff 
von dem ftrahlendjten, einzig Ihrer Natur zufagenden 
Glück war eine gangene ——— — on 
und Ehre!” 

Sie machte eine — taft pig: Geſte mit ber Hand 
— er aber jah an ihr uoritber in den biauen grih unge 


— 435 — 


himmel und fuhr unbeirrt fort: IIch glaube, Ihnen jekt 
perjichern zu können, daß Sie dies alles mit Beſtimmtheit 
erreichen und bei Ihrem nächiten Auftreten den glänzend- 
ften Triumph auf der hiefigen Bühne feiern 

erden! 

Aglaë preßte — 
die Hände gegen die Bruſt. 
ae! 
jemal® wieder die 
Bühne — und 
gar Die fic- 
fige Bühne 
betreten 219 
rang e3 ſich 
zitterndüber. 
ihre Lippen. 
— —— 
pala: = ʻ p 
Lieber gehe M 
ih in deu i 
Tow 

„Das 
wäre wohl 
ſehr zu überlegen!” zuckte er die Adje, „Sie ahnen 
nicht, wie die Verhältniſſe jet liegen.” 

„Sür eime Sängerin ohne Stimme und Cpiel 
liegen viejelben wohl jtet3 gleich trojtlos I’ murmelte 


fie mit verzweifeltem Blid. „Ich weiß es, und habe 
A Men 











— 436 — 


mit dieſem Traum der Vergangenheit und it abge- 
ichlofjen. 

Er vermied e3, fie anzufehen, zog ein Padchen —— | 
ausichnitte aus der Brufttafche und reichte fie ihr din. 
„Seien Sie vorerst und ermefjen Sie felber, mit weld 
großer Eympathie Sie von dem Publitum aufgenommen 
werden, wenn Gie in Ihrer zweiten Gajtrolle auf: 
treten! Gie find die Heldin des Tages geworden — 
Ihre tragifchen Schickſale wurden befannt. Man weiß, 
daß Sie bereit3 als Schwerfranfe die Bühne betraten, 
daß man den Ausbruch cincs Nervenftebers, welches die 
Folge der größten Not und Cntbehrungen war, als 
schlechte theatrafifche Yeiltung ausgepfiffen und verhöhnt 
hat. Auch wurde eg befannt, daß die Demonftration 
des damaligen Unglücsabends das Ergebnis einer ge- 
planten Intrigue war! Hätten Gie ſelbſt wie cin Engel 
im Himmel gelungen, man hätte dennoch gezifcht! Sn 
dem deutichen Publitum ſteckt jedoch, Gott fei Lob und 
Dant, ein gewaltiges Stüd Gerechtigkeitsgefühl, und man 
brennt darauf, Shnen, welche mit einem einzigen Schlag 
zur Märtyrerin geworden, vollſte Genugthuung mider- 
fahren zu lafjen! — Bitte, lejen Sie, a Warum 
ichen Sie mic) jo Starr an?!” 

Sie antwortete nicht, fie neigte medien, bag Röpi- 
hen und blidte auf die Zeitung. Sie las und jah es 
nicht, wie Haus vorgeneigt ihr gegenüber ſaß, wie er 
voll banger Epaunung Den Eimdrud beobachtete, welchen 


dieſe Artikel auf fie hervorrufen würden. Sp ſchaut der 


— 497 — 


Arzt voll atemlofer Erregung in das Muntlig einer teuren 
Patientin, um zu erforfchen, ob fie wirklich von tödluher 
Kranfheit genejen. Uber fein jorgenvolles Antliß hellte 
ji) Schein um Schein auf, feine Bruft Hob fidh wie im 
tiefen Atemzügen der Erlöjiig. Keine Veränderung war 
in den Zügen der 2ejenden zu ſchauen Sie blieben 
bleich, fühl und gleichgültig, jo Jchmeichelhaft auch die 
Beilen waren. Daß die oft in glühendjten Farben qe- 
malten Berichte der Reporter ein eitles, gefalljüchtiges 
und leichtlebiges Frauenherz entzüden mußten, wußte 
Hans genau, und daß Diejelben einen unwiderſtehlichen 
Reiz ausübten, die Bühne abermals zu betreten, um ſich 
von einer neugierigen Menge anjtaunen und von be- 
geijtertem Publikum feiem zu laſſen, um die effeftvolle 
Rolle Der Märtyrerin, interefjanten Frau und alorifizierten 
Vicomteſſe zu jpielen, — Davon war er ebenfalls über- 
zeugt gervejen, als er Die a, Blätter in Die 
Hand der Freundin legte. 

Er hatte ein fühnes Hazardipiel gewagt, — aber er 
mußte es risfieren, wollte er Gewißheit erlangen, ob Gott 
das inbrünftigite Gebet feines Lebens erhört hatte. — 
Und wahrlich, es wollte fo feinen. 

Aglaë legte die Papierftreifen gelaffen wieder zu- 
fammen und reichte fie zurück „sch Dante sonen, Hans, 
dat Sie mir abermals Beweiſe gaben, wie febr Ihr 
Name für jedermann zum Segen wird, dem er in. 
Treundichaft verbunden ift. Sch habe aus diefen Zeilen 


gelejen, daß meine Stimme, durch die Krantkheit beein ES 


— 438 — 


trächtigt, heifer und flanglos, mein Spiel unnatürlic) 
und übertrieben war, aber ich weiß, daß ich in ben 
eriten Aften, gerade durch die Aufregung befeelt, beffer 
gefungen habe als jemals in meinen gejundeiten Tagen! 
Meine Erjcheinung, welche man ‚von Not und Kummer 
beeinflußt‘, ‚überzart‘ und ‚Ihattendaft‘ nennt, wird 
wohl nie wieder beffere Zeiten erleben, denn was der 
Froſt einmal in der Blüte geknickt dat, da3 wird nun 
und nimmermehr wieder maienfriſch! Sonſt aber las 
ich nur, daß es großes Aufjehen erregt, wie der berühmte, 
hochverehrte Profeffor Burkhardt Die arme, ausgepfificne 
Debütantin mit einer unbejchreibl ichen Güte und Barm- 
herzigfeit in feinen Schuß genommen, wie er täglich, trog 
feiner angeftrengten Thätigleit von H herüber an ihr 
Kranfenbett gefahren, — wie er die größten, edelmütigften 
Dpfer gebracht, ihr armfeliges. Leben zu retten. Ein 
Wefen jedoch, welches dem trefflichiten und gefeiertiten 
Manne der Gelehrtenwelt ein derartiges Intereſſe ab- 
nötigt, fann fein gemwöhnliches Menfchenfind, feine fang- 
und. Hangloje Comödiantin fein! Man hat nachgeforfcht 
— und ſchmückt nun das jammervolle Bild der Bettlerin 
mit einer Grafenfrone, des Effeftes wegen! — Die 
tragifchen Schickſale der verarmten Millionärin, der ver- 
lajjenen und betrogenen rau, der beinahe verhungernden 
Sängerin thun das ihre, um Mitleid und Teilnahme zu 
erregen, und daß biejelben in einer jo blütenreichen, 


ſchwungvollen Sprache geſchrieben, iſt einzig der Ruhm = | 
des Autors! — Glauben Sie wahrlid), Dar, a 


jemals ſolch ein Almofen des Publikums für bare Münze 
der Anerkennung nehmen? Nie! Kein Applaus der 
Welt fann jene furchtbaren Pfiffe und Ziſchlaute über- 
tönen, welche mir an jenem entjeßlichen Abend Herz und 
Geele zerien 

Er blickte vor fid) nieder, ein wunderfamer Ausdrud 
lag auf feinem Geſicht. — 

„Sie find noch frant, Aglaë, Sie ſehen alles noch 


ichwer und büfter an! Warten Sie noch ein paar 


Wochen! Mit der wiederfehrenden Gejundheit kommt 
aud die alte Lebensluſt und Mumnterfeit zurücd.” | 
„So Gott will aber eine Lebensluſt, welche mic) 
auf bejjere und friedlichere Pfade geleiten wird!” nidte 
fie mit einer aupergewöhnlichen Feſtigkeit in der Stimme. 
„Miir wäre e8 lieber, Hans, Sie frönten das große 
Wert Shrer Barmherzigkeit jhon jebt und ließen uns 
beiprechen, was ich in Aufunft anfangen fönntel” 

„Dachten Gie bereit3 darüber nach? 

Cie hob errötend den Bhd. „3a, ich that's!” ničte 
fie flehend, „und zwar habe ih memen legten Hoffnungs— 
und Nettungsanfer wieder m Jhr edles Herz geworfen! 

Er war haftig aufgeitanden und an das Fenſter gez 
treten. Er bemühte fich, den Vorhang ein wenig vor- 
zuziehen, den Sonnenftrahlen, welche ihn blendeten, 
zu wehren. eine Hand war ungeſchickt und griff uns 
ficher zu. a = 

„Bitte, jprechen Sie!” — fagte er. 

„Sie find Profejjor, bejigen eine eigene Klin —” 


— 40 — 


flüſterte die Krauke/ „Ste brauchen gewiß Aue) — n 
nen und barmherzige Schweitern.... und da... da.: 
da dachte ih, ob Sie mid vielleicht als Wörtern une | 
ſtellen fönnten. — © 

Ä Niemals!⸗ Laut und heftig Hans ſeine Stimme, 
er wandte jih ihr jo ungeftüm zu, daß fie erihroden 
verftummte Hans — maß mit großen Schritten das 
Zimmer und wiederholt ie und feft: „Nein, u 
niemals!” 

Sie bededte einen o das Ynitit mit den 
Shaker Dann faute fie traurig auf. „DO Haus, id 
weiß, — Sie haben feine gute Meinung von meinem 
Sharatter — Gie glauben, die Aglas von ehemals jei 
auch Heute noch Diefelbe! Haben Sie vergeifen, was 
für mich alles zwiſchen dem Einſt und Icht liegt? Sch 
weiß ja nicht viel Bejcheid in der Stranfenpflege, aber 
id) denke, mit gutem Willen und auperjichtlichemn pua 
erlernt ſich alles!” 

Čr jchüttelte heftig, mit paa Miene den Kopf. 
wicht deshal Ib! — nicht aus DEN Grunde!” | 
= „Aus welch einem jonit? —” ihre Stimme flang 
weich und angitvoll, fie hob Die abgemagerten fleinen 
Hände wie beſchwörend zu ihm empor: „Sie haben ſich 
doch meiner nicht geſchämt, al ich von aller Welt ver- 
laffen und geſchmäht zu Boden jant. Cie haben mich 
nicht verleugnet, um mir Dies armjelige Leben mit den 
ſchwerſten Opfern zu erhalten, warum wollen Sie nun 
Ihre Hände von mir. aurldgiehen, oone gepräit au a ; 


wedai a 


ob ich nicht doch geeignet bin, Ihr großes Wert durd) 
meine ſchwache Kraft zu unterjtügen !” 

Hans blieb vor ihr ftehen und strich iiiver atmend 
die Haare aus der Etiru. „Schwache Kraft! Das ts 
eben! Sie ahnen gar nicht, wie entjeßlich ſchwer der 
Beruf einer Pflegerin juft in meiner Klinik ift, — wie 
jo unendlich viel mer dazu gehört als nur guter Wille 
allein! We. | | 

Ste glauben, ı meine Geſundheu ſei En ausreichen 
für dieſen Beruf a 
| „Sie ift e3 auf feinen Fall. n 

„Eine afute Krankheit: hat mich momentan fo unbe: 
ſchreiblich elend gemacht; hätte ich nicht eine fo vorzüg- 
liche und eiferne Natur, wie Doftor Mandlau mehr wie 
einmal betont, ich hätte das furchtbare Leben des letzten 
Vierteljahres überhaupt nicht ertragen!” 

| „Wohl möglih. — Die Patienten jedoch, welche in. 
meiner Klinik behandelt werden, find fat ausichließlich 


mit den efelerregenditen, oft jehr anftedenden Siranfbeiten 


behaftet, und ich werde nie — nte Darein willigen, Sie 
einer jolchen Gefahr und jolch aufreibender- Pflege aue- 
äuleken. — Heiße Glut ftieg in fein Antlit, er wandte 
fi) abermals turg ab und trat an das Fenfter, 

AIch fürchte mich nicht vor Anftedung, denn mein 
Dajein ift nicht der Eorge wert, e8 zu erhalten! Und 
was die Art der Krankheiten anbetrifft, fo bin ich über- 
zeugt, daß ich mich auch an das Schlimmfte gewöhnen 
werde.” — — 


= — 


„Das werden Sie nie! —“ feine Stimme flang beinahe 
rauh. — „Sch fenne Sie beffer, als. Sie fich jelbit, Aglaë. ix 
Ein jchmerzl iches Beben ging über ihr Antlitz 

„Ufo doch! — Doc die Zwerfel, ny Sie in mein 
Wollen und Können jegen!” | 

Er trommelte erregt mit den Fingern auf f dem Genfters 
brett. Ohne fie anzufehen, machte er eine jähe Bewegung 
mit dem Kopf. n Benn Sie durchaus, die Wahrheit 
wollen, Aglaë, — ja! — 3d entſinne mih in allzır 
erſchreckender Deutlichfeit gar mancher Scene in Moos: 
dorf, wo fie bereits als Kind fih voll Echauder und 
Widermwillen von jedem Stranfenbett abwandten, und wenn 
den Patienten jelbjt nur die leichtefte Migräne oder ein 
Schnupfen heimgejucht hatten! Sch weiß es noch wie 
heute, mit welcher Entrüſtung Sie mich von ſich ſtießen, 
weil ich in dem Zimmer zugegen geweſen war, als die = 
alte Wirtichafterin fanft und friedlich im Arm des Arztes 
entichlafen war! Und ich höre noch ihre Worte, die Sie 
mir. alẹ bereit3 erwachſene Dame fagten: €s gibt 
nichts fo Entjeßliches und Unſympathiſches für mich, als 
von Kranfheit zu hören oder mit Kranten in Berührung 
zu tommen! Sch efle mich vor ihnen und halte mir die 
Ohren zu, wenn ih Schmerzenägeitöhne oder Seufzer 
höre! — Gie haben es nie begreifen fünnen, wie ich 
mich in den Dienit der leidenden Menichheit ftellte.“ 


Aglaë neigte tief und ichmerzlich das Stöpfchen, als 


drüde fie Scham und Neue zu Boden. „Damals, Hans! 
— Ah, damals war ich ja ein fo ganz, ganz anderes 


Wejen wie heute. — Gott im Söninel jet es geflagt! — 
Sehen Sie nicht jelbit, wie ich an Leib und Geele ver— 
ändert bin, wie ich jo manches gelernt habe, was mir 
Damals — und unmöglich erſchien?“ 

Er fah fie zum eritenmal wieder an, voll und ruhig, 
feierlich ernit. „Sa, Mglaë, das fehe ich! Sie haben 


gelernt arm und verlafjen zu fein, aber nicht alle armen 


und unglücklichen Menſchen eignen jich zur Stranfenpflege. ; 


Dag Samaritertum, welches fich in meiner Klinik an 


die Betten der Unglüdlichjten aller Kreuzträger elt 
das Hat Gott felber als Gnadengeſchenk in die Herzen 
gerak das ijt angeboren und betgätigt von Sindesbeinen 

Wer nicht von klein auf die barmherzige Sehnjucht 
in hd trägt, hilfebringend an die Schmerzenslager der 
Mitmenfchen zu treten, wem nicht feit Jugend auf die 
heilige Flamme des Mitgefühls und Erbarmens im Herzen 
glüht, der wird eğ niemals lernen, Diafoniffin im vollen, 
wahren Sinne des Wortes zu fein. Die Liebe und 
Gelbitverleugnung einer heiligen Elifabeth läßt fidh nicht: 
erlernen wie ein Handwerf. Es ijt nicht mit der Wartung 
und Pflege des franfen Körpers allein gethan, e3 bedarf 
bei einer Diafoniffin, foll jie ı in meiner Klinik jegensreich 


wirfen —, nicht nur der Gef chidi ichteit, jondern des 


vollen, inbrünftigen Aufgehens in dem mehr wie jehweren 
Beruf — und Sie mögen Vorzüge und mand) edle 
Charaftereigenfchait haben, Agla&, zur Pilegerin find Sie 
aber nie und nimmer geboren, das ift meine Anſicht, 
welche nicht zu erſchüttern iſt!“ 


_ 44 — 


Cie ſaß regungslos, ftumm und bleich vor ihm. 
Thränen glängten an ihren Wimpern. „Sch hab’s verz 
dient”, murmelte fie — „ja — ich hab's verdient!” 

Er jebte fih abermals ueben fie und nahm voll 
berzlicher Milde ihre Hand zwiſchen die feinen. „Wir 
Menjchen fönnen ja nicht vollfommen fein, liebe Aglaë, 
und wen Gott gejchaffen Hat, fern allem Trübjal der 
Krankenſtube einen Wirfungsfreis in Frieden und Des 
hagen zu finden, der foll ihm banfbar | jür e: Gnade 
fein und fich desjelben freuen!” 

Spre Hände lagen fchlaff im Schoß, fie blickte Tegungs- 
[08 ins Leere. — Moch ift er nicht gefunden!” 
Doc, er ifts! — Wenn Cie wahrlich dem lodenden 
und Iujtigen Bühnenleben, melches Shnen jest mit all 
feinem Zauber und Erfolg winft — der Direktor ijt 
entichloffen, Ste nah Ihrem nächiten Gajtipiel zu en- 
gagieren, — wenn Sie ihm wahrlich den Rüden fehren 
wollen, — jo habe ich Ihnen eine Offerte zu machen! 
Sch weiß eine jchlichte, einfache Hausfrau, die feit einiger 
Zeit fränfelt und fih allein und einſam fühlt, weil der 
Himmel ihr eine Tochter verjagte, Dieje gute, rührend 
liebe und freundliche rau wird Cie mit offenen Armen 
aufnehmen, wenn Sie zu ihr in die Einſamkeit gehen 
wollen, ihr Gejellichaft zu leiten!“ | 

Aglas ſchaute mit leuchtenden Augen auf. „Ber its?” 
fragte fie leife. | 

Er fah ıhr beinahe bittend ins N N Mutter, 
— X — 


— 445 — 


Sie reichte ihm haſtig die Hand entgegen, ihre Lippen 
zitterten vor Erregung, fie lächelte durch Thränen. „Ich 
will's, Hans, will ihr dienen, fie pflegen und. verforgen, 
und fo Gott will, fol fie es nie bereuen!” 

Wie ein Jubellaut Elang’3 über die Lippen des jugend- 
lichen Proſeſſors Er drückte ihre Hand feft und innig, 
erhob fih haftig und atmete tief auf. „Gott fei gelobt, 
nun weiß ich Sie geborgen! Bei meiner Mutter jollen 
Sie fich erholen und die Vergangenheit vergeffen, und 
wenn all die Eindrüde der lekten Fahre verwijdt find, 
und e3 wird Ihnen, der jungen Frau, zu einfam und 
langweilig in dem alten Wioosdorf, dann fann idh bei 
meinen vielfachen Beziehungen boffentlid eine für Sie 
entjprechende Stellung als Nepräfentationsdame oder Ge: 
ſellſchaftsdame in einem vornehmen Hanje finden, welches 
Sie den Ihnen gebührenden Gefellichaftsfreifen wieder 
zuführt. Sie follen fih im Moosdorf durchaus nicht 
gebunden, jondern nur wie ein Kind in der Heimat bez 
trachten. Und da e3 jetzt gut ift, wenn über Die vick- 
bejprochenen Ereigniſſe der lebten Zeit Gras wächſt, und 
Sie jelber volltommener Ruhe bedürfen, jo jehen Gie 
Ihren Aufenthalt bei meinen alten Eltern nur als eine 
Erholung auf dem Lande an!” Aglaë ftarrte regungslos 
vor fih nieder —, e8 war, als ob ein an 
fchmerzliher Zug um ihre Lippen bebte. 

Plötzlich ſah fic jäh auf „Sind nicht jene wahren 
und echten Piafoniffinnen, von welchen Sie jveben 
iprachen, ſehr felten und ſchwer zu finden?” | 


u 


Hang zögerte einen Augenblit mit der Antwort. 
Allerdings Anickte er ernit, „ich habe unter vielen jungen 
und alten Damen, welche dieſen opfermutigen Beruf er⸗ 
wählten, erſt eine einzige gefunden, welche mir die Übers 
zeugung einflößte, daß ‚ihr nur die Engelsichwingen 
fehlten, um ganz und. ‚gar jener Lichtgejtalt zu gleichen, 
welche Gott zum Segen der Trübjeligen und Beladenen 
in die Welt gefandt.” 

Aglass Haupt | janf noch tiefer. „Und bir — 
iſt in Ihrer Kl linik — 2 | — 

„Sa, fie ift — Gott fei es gedankt, meine mutige, 
tapfere Gehilfin, fo zu jagen meine rechte Hand: Sie 
verbindet die Wunden, welche mein Meſſer jchneidet , fie 
trocknet voll nimmermüden Erbarmens die Thränen, 
welche das Unglüd jo reichlich unter meinem Dade perz 
giebt! Ihre weiche Hand, ihr findl lich. frommes Gemüt 
und ihre unbejchreibliche Herzensgüte machen fie zu einer 
Önadengeftalt, welche unfer düſter ernjtes Haus verklärt 
und meihet! — O glauben. Sie mir, Mglae, hätte 
Schweiter Amelie nicht manchmal an meiner Seite ge: 
jtanden, icd) wäre zum kleinmütigen Zweifler an mir fetber 
geworden! Sie aber hat mid; mit milder — und doh 
jo ftarfer Hand über manche Stunde der Anfechtung 
und des Zweifel hinweg geführt. Ihr Auge, welches 
heiligite Wahrheit und Gottvertrauen jpiegelt, ift mein 
Stern gewejen, Der mir voran geleuchtet auf dem ſchweren 
Weg des Erforſchens und Erringens! Und fo weiß ich 
eô wohl am beten, Aglaë, welch ein Segen folh ein 


Weib werden fann, das feit Kinbhen auf nur im Dienſt 
des Leides und des Eleuds geſtanden! De 

Eine wunderbare, beinahe zärtliche Innigkeit bebte 
durch Die Stimme des Eprecherd, und Aglaë ſchaute 
empor in ſein Autlitz — Gein Muge ſtrahlte in Begeiſte⸗ 
rung, feine Lippen lächelten, — der Gedanke an Schweſter 
Amelie verflärte inm. 

Auf der Schwelle itand Doktor Mandlau und mahnte, 
daß der Wagen warte. Noch ein Händedrud, ein jchnelles 
Abjchiedswort, welches Aglaë verficherte, daß er jofort 
nach Moosdorf jchreiben und ihre Ankunft melden werde, 
und Hans Burkhardt eilte zurüd, — dahin, — wo ihn 
die Sehnjucht eines hoffnungslos aufgegebenen K Pan 
als legten, einzigen Netter erharrte. 

—_ — — Etill war es wieder um Mglaë Saint 
Lorrain. Dag Fenſter war geichloffen — die Sonne. 
hatte fich hinter Wolfen verftet. | 

an aber neigte das ug und meinte bitterlich. 





yy 





Ich kebrte bein: nam langen 
Sabren, rs 
Des Lebens Wucht Katt ih cr: 
fobren! 
Moris Hartmann: 





N = glae Hatte Abichted genommen von 

Doktor Mandlau und feinem gajtlichen 
Haufe, in welchem fie jo barmherzig und opferfreudtg 
aufgenommen war. — Heike Glut ftieg im ihre 
Wangen, als fie ihren Dant ausiprah. „Ste haben 
eine Bettlerin beherberat, Herr Doktor, und wußten, 
daß alles, was Sie für mid thaten, ein Almoſen 
war! Leider Gottes bin ich nicht in der Lage, mic) {chen 
jegt für all Ihre unendlich große Güte erfenntlich zu 
zeigen, ich will aber rajtlo arbeiten, um huen und 


— 44 — 


Profeſſor Burkhardt meine Schuld abzutragen! Haben 
Sie jo lange Geduld mit mir und vergeben Sie mir alle 
die Mühe und Lajt, welche ich Ihnen verurfacht!” 
Doktor Mandlau hatte jeden Dant voll ſcherzender 
Heiterfeit abgelehnt. „Die einzige Münze, mit welcher 
Sie mir zahlen fünnten, würden die Lorbeeren fein, welche 
Sie bei einem zweiten Gaftipiel hier ernten würden! — 
Dann hätte ich doch die ftolze Genugtäuung, jagen zu 
fönnen: „Nun ſeht und hört jelber, ihr Leute, ob ih 
nicht recht that, eine Perle zu retten, welche der Sturm 
eurer erjten Oppofition in die Tiefe fchleudern mollte.” 
Die junge Frau hatte wehmiütig Das Köpfchen ge- 
schüttelt. „Ich fanı es nicht, lieber Herr Dottor, — bei 
Gott — ich fann e niht! Mir ijt es zu Mute, als 
muſſe ich mich voll Sham und Schmerz in das fernfte, 
einfamjte, dunkelſte Winkelchen verſtecken, und ich ſollte 
mich im grelliten Licht hinftellen vor die Welt, deren 
neugierige und mitleidige Blide mich töten würden? — 


Solch eine Folterqual verlangt Ihr gntes, mitfühlendes 


Herz gewiß nicht von mir! — 

Mandlau nickte ihr freundlich zu, und Frau Lipmanı 
umarmte ihre liebe, Kleine „Schmerzensteih” voll aufs 
richtiger Trauer, — „Wenn Sie Ihre Anficht vielleicht 
andern, Teuerite, jo fünnen Sie jederzeit zu ung zurück 
fommen! ch verlichere Sie — Ihr nächſtes Debüt wird 
ein Triumphzug werden!“ 

Hans Burkhardt Stand während dieſes legten Anſturms 


auf die Eitelfeit der jungen Frau jchweigend zur Geite, 
Ps v. eiageutt, 31. Nom. u. Nov. Comddie I. 29 e 


— 450 — 


und fein Big welcher auf ihrem Antlig tuhte, Hatte nod 
immer etwas angftvoll Beforgtes, als fürchte er, das 
muhevoll gelotſte Lebensſchiffl ein der Sugenbfreundin 
möchte noh im Hafen Scheitern. Aber nein, die milde 
und doch energifche Feftigfeit Aglaës ließ ſich durch feine 
Lockung mehr erſchüttern, und wie fie jebt ihm gegenüber 
im Coupé fab, ſchaute cr verjtohlen über feinen Zeitungs- 
artifel empor in ihr Antliß. | | 

Die Kranke hatte fidh verhältnismäßig ſchnell erholt. 
Das Dval ihrer Wangen war wieder gerundet, und der 
Teint, a noch von einer fait durchfichtigen Rlar- 
heit und Bläſſe, jah dennoch wieder friich und fammetig 
aus wie ein ieh Rojenblatt. — Am frappierenditen 
in feiner Veränderung mwar der Ausdruck des Geſichtes 
Verwiſcht und vergangen war jegliche Spur des trotzigen 
Hochmuts, welcher es ehedem unjympathiich gemacht, — 
eine beinahe melancholifche Neigung des Mundes gab dem 
Antlitz einen gealterten und refignierten Ausdruf, und 
die großen Schwarzaugen , wie durch Thränen tiefiter 
Schwermut leuchtend, hatten etwa geradezu ——— 
in ihrem Aufblick rührender Demut. 

Es Deuchte Hans, als fei Aglaë nie fo schön geweſen 
wie gerade jetzt, aber das Bild der ‚„Millionärin” lebte 
noch zu jchmerzlich lebendig in feiner Erinnerung, als 
daß er an eime völlige Charafterwandlung der leicht: 
finnigen Weltdame glauben fonnte. — Und doch ſprach 
alles zu Aglaes Gunſten Heimlich hatte er fie während 
der legten Jahre auf Schritt und Tritt beobachten laffen, — 


s= ol — 


er hatte ihre Tugend und Standhaftigfeit geprüft, und 
das Nejultat, welches er erzielt, war ein glänzendes. 
Er wußte, daß er fih feiner Schußbefohlenen nicht 
zu jchämen brauchte, und jein Mitleid drängte ihn, ihrer 
elenden Exiſtenz welche ihr Eigenſinn und ihr Hochinut 
zu Anfang verichuldet, zu enden. Er mwar es gemejen, 
deffen Name und Fürbitte bei Direftor Lißmann ein 
Gajtjpiel für die Verlaſſene erwirkt; er war es geweſen, 
deſſen Hand die often beitritt, welche daraus erwuchjen.— 
Und doc) wußte er, dag diejes Debüt nur Dornen und 
feine Rojen bringen werde, weil Aglaë jeiner Anſicht 
nad) weder Stimme nod) Berähigung hatte, jemals einen 
durchichlagenden Erfolg, fraft ihrer Kunjt und ihres Ge- 
ſanges allein zu erringen. Dennoch mußte fie auch diejen 
legten und kitterjten Tropfen ihres Leidensfelches Leeren, 
jollte fie Duuernd von dem Wahn geheilt werden, Die 
Bühnenlaufbahn als die einzige, ihr Glück bringende zu 
betrachten. Mit den unbeichreiblichiten Empfindungen 
durchlebte Hans die Kataſtrophe — Er jelber litt wohl. 
nicht weniger alô die unglüdliche Freundin, welche vor 
feinen Augen den qualvolliten moralijhen Tod fterbei 
mupte, ohne daß er ihr rettend zu Hilfe eilen fonnte. — 
Blei) und regungslos, zujammengebrochen von der 
Wucht des Elend lag fie vor ihm, und doch war es 
ihm, al3 müjje er m Die Knie finfen mit dem Aufjchrei 
der Erlöjung: „Eci bevantt, allbarmherziger Gott! Die 
Dulderin hat das © Schwere überwunden, nun wird deine 


bittere Aranei wohl ficher Leib und Seele Geneſung N * 
29* 


2 — 12 — 


Welche Tage md Nächte banger Dual und Sorgen! 

Er jieht fie im Zobesfampf ringen, und fein. ‚eigenes 
Herz droht zu brechen in der Angſt und Verzweiflung 
dieſer Etunden. Wohl nie hat eine Menjchenhand Das 
Steuer eines Lebensjchiffleins fo treu und mutig geführt 
wie Hans Burkhardt. Gott jegnet fein Wert und erhört 
jein Gebet. Agla& ift gerettet, aber der Arzt ihrer Eeele 
darf doch noch nicht frei aufatmen, Die Reklame hat fich der 
Perſon feiner Schußbefohlenen bemächtigt und hebt die- 
‚jelbe mit allen Nequifiten, welche eine Iheaterheldin 
intereffant machen und glorifizieren, auf den Schild — 
Da lauert die Schlange noch einmal zwiſchen den 
Dornen und Difteln und ringelt fih empor an der Eitel- 
feit und dem Leichtfinn der jungen Frau! Noch einmal 
tritt die Verſuchung an fie heran, und Hang felber ift 
es, der fie zu ihr trägt, denn ein Verharichen der Wunde 
allein genügt ihm nicht, er will jehen und prüfen, ob fie 
bis zum Grunde ausgeheilt ift. — Aglae fehrt aller verz 
heißenen Herrlichkeit den Riden, verläßt die Welt und 
ihr amuſantes Getriebe, um fich in der Einjamfeit von 
Moosdorf unter die Befehle ihrer einftmaligen Bächterin 
zu beugen. Nicht als Vicomtefje von Saint Lorrain, nicht 
als vornehmer Befuch, der fih pflegen und bedienen laffen 
will, betritt fie Die Schwelle feiner Eltern. Ihr energiſcher 
Wille hat es als erſte Bedingung gefordert, daß fie als 
Untergebene der Hanzfran, als Wirtfchafterin oder Gehilfin 


eine Anftellung im Pachthaus finde. Man hat ihr den | | I 
Willen gethan md ift pro forma auf das Verlangen a 


— 


eingegangen, aber Frau Burkhardt hat ihrem Cohn qe- 
ichrieben: „Wie. werde ich wohl eine Frau Gräfin m 
Küche und Keller fhiden! Sei ganz beruhigt, Hans, fic 
joll fich feinen Figer am Rirtfchaftswaiier nak machen! 
Bejorge mur hübſche Bücher, die fie lejen fann, und Noten 
zum Singen und Spielen, dann will ich fie jhon ange- 
meſſen bejchäftigen!” — | 

Hans neigt in jorgenvollen Gedanken das Haupt. 
Es ijt eine wunderbare, jier unfaßliche Veränderung 
mit der jungen Fran vorgegangen; ihre Demut, ihre 
Anſpruchsloſigkeit ftchen in jo grellem Widerſpruch zu 
ihrem früheren Charakter, daß dem Profejjor wieder und 


immer wieder die quälenden Ziveifel fommen: Wird fol 


ein Umjchlag Beltand haben? — Seht, noch unter der 
Wucht entjeglicher Erinnerung gebeugt und gebrochen, 
noch frant an Leib und Eeele, war ihre Sehnjucht nach 
Einjamfeit und ihr beicheidenes Weſen begreiflih, wenn 
aber das Kraut Vergeſſenheit aus den Trümmern zerjtörter 
Slfufionen wächſt, — wenn die Stille des Landlebens 
zur Langenweile wird, und das Bewußtjein, von Burf- 
hardts unterjtüßt zu werden, fie zurückführt zu alten 
Anfichten und Gewohnheiten ? Hans beißt wie in qual- 
voller Augſt die Zähne zuſammen Das Herz thut ihn 
weh bei jolchen Gedanken. — — — 
Bis zu dem Knotenpunkt der Bahn, woſelbſt Aglaë 
den Zug wechjeln muß, will er fie begleiten. Er hat 
schon öfter verjucht, eine Unterhaltung zu beginnen, aber 
jeltjam — ijt es Thatjache oder fcheint es nur fo — 


=o odbl 


Aglas ift ſonderbar verändert, in unfihtbares Ciwa 
fteht plöhlich zroifchen ihnen. Waz? Hat er fie gekräukt 
durch feine ehrlich ausgeiprochene Anficht, daß fie nicht 
zur Stranfenpflegerin tauge ? War er vielleicht zu herb 
nd ſchroff in feiner Aufrichtigkeit ? — Hat er fie gefränft 
durch die wenig hohe Meinung, weldje er von ihrer 
Nüchitenliebe, Barmherzigkeit und ihrem Opfermut befigt? 
Nein, in ihrem Weſen ſpricht ſich feinerlet Empfindfamfeit 
oder beleidigte Eitelfeit aus, — cine tiefe Traurigfeit 
macht fie ſchweigſam und — e3 ift wohl der bedrückende 
Gedanke, daß fie ihm hinfort als Bedienitete feiner Mutter 
gegenüber ſteht — Ihr mimoſenhafter Stolz empfindet 
e8, daß zwiſchen ihnen eine unfichtbare Scheidewand auf- 
gerichtet ift, daß. er nicht mehr allein ihr Freund. und. 
Schüger, jondern auch ihr Wohl thäter und Brotherr ift. 

Das muß ihre Eeele bedrüden, denn der Wechiel 
zwiſchen dem Einſt und Jeht iſt zu grauſam und ein— 
ſchneidend — Shr klarer Blick ift getrübt und ſieht vorerſt 
in ihrer Stellung im Pachthauſe nicht die milde, freund- 
liche Wahrheit, fondern ein Berrbild, und mit dem Fanatis⸗ 
mus der Eelbftfafteiung markiert fie dem Profeſſor gegen⸗ 
über ihre dienende Stellung in ſeinem Vaterhauſe 

Mag ſich ſolch ein Kampf ruhig austoben, mit der 
Zeit wird fi) das Getrübte wieder klären, und die 
Schlacken Der — werden abſchmelzen von dem 
Gold vernünftiger Wahrheit. © 

Hans refpeftiert die Krife, welche ihr ganzer innerer 
Menſch in dieſer Zeit mehr denn je zu beſtehen hat; 


B 


er fibt ihr ſchweigſ amı an bis ihn die Notwendig- 
feit zwingt, fie abermals anzureden, „Dart ich Ihnen 
den Mantel umgeben, liebe Aglaë? Wir müſſen auf 
der nächſten Station umſteigen!“ 

Gie befolgt fein Wort jo m. daß er nicht Reit 
Findet ihr zu helfen. | 

Ich hoffe, daß es mir noch mög (ich fein wird, Gie 
in dem Perſonenzug in einem Damencoupe gut unterzus 
bringen! Leider ift nicht viel Beit für mich, Da nad) 
acht Minuten Aufenthalt mein Bug abfährt.” — er 

‚Sie blickte betroffen auf, „Sie fehren nicht mit mir 
au einem Beſuch in Moosdorf ein?” 
Er jehüttelte mit wehmütigem Lächeln den Kopf: 
„Sir mich ift die Thüre des Vaterhauſes leider immer 
nuoch verichloffen! Sch erzählte Shnen bereits, mit 
welchem Opfer ich mein Studium crfaufte, und wenn 
mein Bater wohl auch dem verlorenen Sohn jeßt vers 
ziehen bat, jo weiß ih dennoch, daß er mich nur aus 
Qiebe, nicht aber in der Überzeugung bei fich aufnehmen 
würde, daß mein ärztlicher Beruf mir menr Sl lück als 
der eines Landmwirtes gebracht! | 

Aglaë chien nicht zu verftehen: „Er weifelt noch 
immer daran? Celbft jet uod, wo Sie ein meltbe- 
rühmter Mann geworden find? — Ein Profeſſor, welcher 
die höchiten Chren und Auszeichnungen genießt?! 

Er lachte leife, beinahe amüsiert: „Vergeſſen Eie 
nicht, daß mein Bater zu jener Eorte uraltmodijcher 
Menſchen gehört, welche fich mehr eutjegen Darüber, den 


eignen Namen in der Zeitung zu lefen, als es ſich zur 
Auszeichnung. anzurechnen! Mein Bater laa niht nur 
mein Lob, ſondern auch die Anfeindungen, welchen ich 
in der erſten Zeit meiner Forſchungen ausgeſetzt war, und 
er hat jih die Haare gerauft mit den Worten: Will 
der ung” denn meinen ehrlichen Namen rıtinieren, daß 
er Faxen erfindet, Die von den Leuten öffentlich in Der 
Zeitung ſchimpfiert werden? 1” 
Ein ernites, wehes Lächeln huſchte aud um die Lippen 
der jungen Frau: „Das fürchtet er aber nicht mehr, 


ſeitdem mant Sie zum jünaften Brofeffor machte, und die 


ganze Gelehrtenwelt ſtolz und u Ihre hohen Verz 
dienſte anerkannte?“ 

„er raufte ſich zwar nicht mehr die ‚Haare, aber er 
war weit entfernt, foldhen Ruhm als ein Glück zu er: 
achten. Berargen Sie es ihm nicht, Aglaë! Der Bater 
ijt ein Man, welcher zeitlebens nur um ein einzig, Biel 
arbeitete: Geld durch feiner Hände F (eiß für fich und die 
Eeinen zu erwerben. — Er ift durch und durch praftijch 
und nlchtern denfend, er hält jegliche Thätigfeit für un- 
nüße Tagedieberei, wenn fie nicht durch Elingende Münze 
oder qute Ernte belohnt wird. Vorerſt aber war wohl 
mein Streben reich an Anerkennung, aber noch recht arm 
an Zinſen, denn ehe ich Staatlich unterftäßt wurde, mußte 


ich große Ausgaben riskieren, um meine eigne Alinif ein- 


zurichten und zu unterhalten! Seht ift es freilich anders 
geworden, und idh hoffe zu Gott, Daß die Beit nicht mehr 
allzu fern ift, wo mein Bater feine Thür weit aufmachen 


| 
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fol, den ausgemiefenen Cohn voll Glüf und Freude 
heim zu rufen!” — Er lächelte wie verflärt vor fid) Hin, 
dann jchaute er, plöblich ernſter werdend, mit einem pei- 
nahe flehenden Blid in Aglass Auge: Nod eine drin- 
gende Bitte, Aglas! Gott verhüte es, daß ich noch 
früher, als ich dente durch die traurigjte und zwingendſte 


Notwendigkeit in mein Vaterhaus zurücgerufen werde, 


ARRATI A 
i 


N N ich Ipreche im Gedanken an eine Krankheit meiner 
Mutter, welche fih möglicherweije fon jetzt langſam 


© gorbereitet: — Gie fcheint jedoch zu befürchten, durch 


irgend eine briefliche lage meine Beſorguis zu erregen 


und verfchweigt in ihren Briefen hartnädig, wie es um 


fie fteht. Ic beabfichtige nun, Eie, liebe Aglaë, als 


treuen Schußgeift meines Mutterchens nad) Moosdorf zu 
bringen und bitte Sie inftändig, mir genauen Bericht zu 
erjtatten, wie Cie den Gejundheitszuftand der alten Frau 
finden. Sch habe Ihnen hier etliche Fragen notiert, nach 


deren Schema Sie Diejelbe ein wenig ausforichen follen. 


allen die Antivorten bejorgniserregend aus, ſchicke ih 
umgehend meinen Affiitenzarzt, Dee im ouall ai 
Gewißheit erzwingen wid.” = 

Ein anhaltender Pfiff meldete die Etntion, an welcher 
Hang fid verabjchieden mußte. Er erhob ſich Haftig und 
griff nad) dem Gepäd. Damm reichte er Aglaë herzlich 
die Hand. — „Sie antworten mir nicht, liebe Freundin, 
aber Shre Augen glänzen fo beredt, daß ich aus ihnen 
am beiten leje, daß Sie meiner Sorge eine treue Ber- 
bündete fein werden! Ich bin Ihnen unbejchreiblich 


— 459 — 


dankbar! — Hätte ich Sie nicht nach Moosdorf bringen 
fönnen, würde id) meine wadere Muslie als liebe Berz 
traute hingeſchickt Haben, obwohl ich diejelbe gerade jetzt 
jehr jchmerzlich emibehrt haben würde! So ift es bei 
weitem bejjer, und ich bin von Herzen glüclich über dieje 
göjung. So Gott will, a das Leiden der Mutter 
mehr auf Einbildung wie auf Wahrheit, denn ſeit fie 
meine Großmutter hatte dahin fiechen fehen, trägt fie 
jich mit der fixen Idee, einſt an derjelben vererbten Krant- 
heit fterben zu müfjfen. Das ift jchon lange Jahre ber, 
und ich hoffe, daß die Beichreibung ihres zeitweijen Bu- 
jtandes mehr ihrer Phantaſie entipringt, welche noch 
inmer an ber Erinnerung bes ehemals Gejehenen und 
Gehörten frauft! — Wir find am Ziel! Gott befohlen, 
liebe Aglaë! Möchte des Himmels reichfter Segen mit 
Shnen in Moosdorf einziehen, und möchten Sie fich in 
meinem VBaterhaus jo wohl und glüclich fühlen, wie ich 
es aus vollſtem und treuejten Herzen wünjche! Die 
Rriefe haben Sie die Güte zu übermitteln, und viel 
taujend innige Grüße beitellen Sie wohl — — 
All meine Gedanken gehen mit Ihnen, o, Sie glauben 
nicht, wie ich großes Kind am Heimweh feie! — Was 
‚gäbe ich darum, könnte ich Sie begleiten!” — — Er ftrich 
hajtıg mit der Hand über Stirn und Augen, dann hob 
er mit feinem alten, heitern Yächeln den Kopf und öffnete 
die Coupethür. „Halten Sie mir den Daumen, Aglaë, 
daß an dem Äskulapſtab bald goldene Früchte reifen, 
daun erden wir uns froh und glücklich wiederſehen!“ 


m i 


Sie nicte ihm zu ib Hrückte ſumm feine Hand. 
Vorhin Hatte fie einntal gelächelt ; jet. glängten wieder 


Ihränen in ihrem Blid, und es fam ihm vor, ala habe 


ihre ſchlanke Geſtalt nie To todesmatt und Bits. bor 
ihm geſtanden wie jcht I 
Betroffen fah er in ibr perändertes Antl ig: „Die 
Fahrt hat Sie übermäßig. angeftrengt, Aglaë. Wire 
es nicht befier, daß ich Sie bis au unferer Station. be- 
gleitete?” | 
Ste ſch üttelte er feinsten das Köpfen inb — id 
energifch conpor! „Mir ift völlig wohl, Hans! Ich 
danfe Ihnen taufendmal für all Ihre große, große Güte, 
und Habe nur noch ein Gebet: „Daß Gott es mir gewähren 
möge, Ihnen dieje San noc) emal im t Leben a | 
zutragen!“ - | 
Der alte Weg! — Ehemals hatte eme hochherrſchaft⸗ 
liche Equipage bereit geitanden, die Tochter des Millidnärs 
in. jchwellenden Arlaspolitern aufzunehmen. Das elegante 
Viergelpann ſauſte über die Chaufjee, daß Kies und 
Funken ftoben. Und Aglae lehnte gelangweilt das Köpf— 
chen zuric und gähnte in dem Gedanken an die acht 
Wochen Landeinjankeit, welche Der Kommerzienrat fich 
und feiner Familie diftierte, weil e3 jehr vornehm fei, 


-a A a onnaa a rigar pemi, Pan 
2. ündern in Bädern zu nerleben. | 





Alles genau noch fo wie damals! Wald, Feld, weite, 


o : _ Anüumerifche Heide, — Dörſchen und Gehöfte — ganz 


— 2461 2 


unverändert wie früher, nur fie, der all diefes Qand, 
jomweit das Auge reicht, einft gehörte, fie ift von Grund 
auf eine andere geworden, — äußerlich und innerlich. 





Aglaes Herz krampft fich zufammen bei dem Anblid 
der alten Heimat, zu deren Schwelle fie als Bettlerin 
zurüdfehrt. — Bor dieſem Wiederjehen hat fie gezittert 
und gewußt, daß e3 noch einmal einen ſchweren Seelen- 
fampf mit fih bringen, daß es ihr blutige Thränen koſten 


— 462 — 


werde, ihr ſtolzes Herz in tiefſter Demut fo zu er 
niedrigen, daß es Magd fei da, wo es ehemals als 
Herrin geboten! | — 

Gibt es eine herbere Demütigung für ſie, als al 


den Menjchen, welche fie im Eonnenglanz des Glüds ge 


ſchaut, num Im tiejjten Glend entgegen zu treten ? Gibt 
e3 eine größere Schmach für die Schloßherrin, als der 
Niedrigiten eine über die Echwelle des Pachthanjes zu 
treten in dem Bewußtjein, du iſſeſt das Guadenbrot bei 
deinem früheren Untergebenen ? Sie beit in qualvollem 
Weh die Zähne zujammen bei dem Gedanfen, daß jie 
vorübergehen muß an dem Schloß, welches einſt ihr 
eigen war, daß fein Pla mehr für fie ift an einer Stätte, 
wo man jonjt vor jeder ihrer kleinſten Launen zirterte! 
Wie werden fich die Knechte und Mägde zufammen- 
drängen, e3 mit jcehadenfrohem Grinjen zu jehen, wie 
die Frau Gräfin ihren ———— En im Rnechtse 
hauje hält! | 
Thränen jtürzen aus Mae⸗ Augen, Noch eminal 
jchreit ihr Herz wild auf in der Berziveiflung eines tod- 
wunden Stolges. Sie drüdt fidh zurück in die einfache 
fleine Halbchaiſe und hat nur nod) einen Hilfeichrei des 
Irrſinns Zermalme und vernichte mich, Gott! Gib 
mir den Tod und erlöje mich aus diefer Erniedrigung!“ 
Der Wind jauft baper durch den Tannenwald wie 
eine zürmende Stimme — es brauft und raujcht durch 
die Zweige wie gurgelnde Wafferflut. Aglaë jchauert 
frierend zujammen. Die Hafenbrüde taucht im Schnee: 


= Wao 


ſturm vor ihrem geiftigen Auge auf, fie fteht wieder und 
jtarıt in die unheimlichen Wogen und hat nicht den Mut, 
ich zu ihnen hinab zu jtürzen! — Und damals war fie 
viel taujendmal elender und unglüdlicher als jet, wo 
Gottes Barmherzigkeit fie heimgeleiter in die Heimat, in 
ein Haus, wo fie voll mütterlicher Liebe und Barmherzig: 
feit gleich einer Tochter willfommen geheißen wird! 

Trotziges, hochmütiges, undanfbares Herz — fannft 
du Dich noch immer nicht einem Strafgericht fügen, welches 
jo gerecht und wohlverdient die Schuldige getroffen? 
Aglaë ringt mit leifem Aufftöhnen die Hände und preft 
fie vor das geneigte Angeficht. Sie erntet, was fie ge- 
jäet hat. Im fündlichem Hochmut und Leichtfinn hat fie 
nur dag Streben und Verlangen: gefannt, fich empor zu 
Schwingen über ihre Mitmenjchen, eine Höhe zu erreichen, 
von wo ihr Stolz verächtlich auf die andern herabjehen, 
wo fie den Fuh auf den Naden ihrer goldgerefjelten 
Sklaven jegen und in herzlofem Triumph jagen fann: 
„sh bin die Herrin — Jhr duckt euch ohnmächtig 
meiner Knute! — Und fie ſetzte alles auf die einzige 
Nummer diefes großen Xoojes! — Sie gewann auch, — 
alles, was fie verlangte, eine Grafenfrone, welche die 
Augen blendete und Titel und Würden verlich, — Aber 
e3 war ein trügeriicher Zauber, und der Reif, welcher 
ihr ſtolzes Haupt ſchmücken jollte, drückte es mit Centner— 
laſten zu Boden, fo tief in den Staub, daß alle Herr— 
lichfeit der Welt unter ihren Füßen zufammenbrad). 

Sie ift gleich dem ungetreuen Haushalter, den Gott 


— 464 — 


zur Nechentchaft 309, oal er uti: mit feinen punden un 
— ſondern ſie den falſchen Götzen zum Opfer o © 
gebracht — Da war wohl fein Piennig von all ibren o 


Millionen, welchen fie jemals zum Wohlgefallen Gottes 
ausgegeben! — Da war fein Tag in ihrem Leben voll 
Glanz und Pracht, keine Stunde und feine Minute, 
welche die Engel Gottes aufgejchrieben hätten zum Seile 
ihrer Seele! Sie war ein Kind der Welt gewejen, hatte 
nur für die Welt und ihre hoffärtige. Luft gelebt, — 
und darum ſchloß der Himmel feine Pforten vor ihr 
und nahin ihr eu Sehen, deſſen ſie ſich unwert it 
wieſen 


Die Hände ſtill im Echoß gefaltet, das bleiche Mnthig 


tief geneigt, verharrt die junge rau in regungslojem 


Sinnen. — Der Wind raujcht leifer durch das fnojpende 


Gezweig, wie Seraphichwingen, melche ſich ſchützend um 
eine Seele ſchlagen, wenn der Satan und Verſucher ſeine 
Fallſtricke legen will. — Der legte Kampf ift ausge- 
fimpft. Eine milde, demütige Freudigkeit lächelt aus 
den thränenfenchten Augen. „Und vergib uns unſere 
Schuld!” — flet der Bli, welcher wie ein verirrtes 
Kind den Himmel jucht. 

Moosdorf! Da jteigt der Turm über bie: Tannen 
des Parkes empor, da grüßen die roten Biegel dächer der 
Heimkehrenden entgegen! | 

Der Einſpänner greift luſtig aus, denn Die Sonne 
will untergehen, und im Stall lockt die volle Krippe. 
Der Rue, der lange, flachstöpfige Alteſte vom Kube — 


— 465 — 


hirten, deffen Aglaë ich nur noch fehr unklar erinnert, 
fnallt ein ftolzes Peitſchenfortiſſimo, und Moppel, der 
ichwarze Spig, ſtürzt dem Magen mit — Freuden⸗ 
gekläff entgegen 

Hier führt der Weg in hen Efovomieher, deffen Eid- 


jeite das Pachthaus begrenzt, rechts ab, und Aglaë neigt 


ſich erſtaunt vor, weil der junge Roſſelenker in jchlanfem 
Trabe geradeaus zum. Schloß fährt. Sind Burfhardts 
etwa dorthin. übergefiebelt? Unmöglich! Hanfens Vater 
bewirtichaftet das Gut jelber und ift als praftifcher und 
thätiger Landmann unentbehrlich in dem Wirtichaftshof. 

— Befindet fih der Kutſcher etwa noch in dem Wahn, 
dab feine ehemali ige Herrin im Schloß abjteigen muß? 


— Gie will ihn auf den Irrtum aufmerkſam machen a 
und richtet. fih im Wagen empor, ihon taucht die Schloß 


front vor ihr auf, und Die Freitreppe herab eilen ein 
paar Geftalten. Noch einmal greift der Fuchs aus, und 
dann knirſchen die Räder vor der Auffahrt. 

Im Statiöfen fchwarzjeidenen Kleid mit dem faubern 
weißen Spitenhäubchen, ganz wie ehemals, fteht Frau 
Burkhardt zum feierlichen Empfang bereit, neben ihr die 
hohe, ftämmige Figur des Gatten im Sonntagstod, mit 
der weißen Krawatte. Er macht genau Ddenjelben etwas 
unbeholfenen Srabfuß wie vor Zeiten und öffnet bedächtig 
den Wagenjchlag: „Grüß” Sie Gott, liebe Frau Gräfin! 
Der Himmel jegne Ihre Heimfehr in die alte Heimat!” 
— Und er nimmt ihre Hände und drückt fie ſchier krampf— 
hajt — feine fonore Stimme zittert vor innerer Erregung. 

N.o Eihftrutb, SU. Nom. u Nov, Comödie H. BR, "30 | 


=: 


„O Herr Burkhardt, licher, guter Here Burkhardt!” 
a es fid, ſchluchzend vor Nührung, von Aglass 
Lippen, fie läßt ſich von ihm aus dem Wagen helfen u = 
klammert 19 an A m gearbeiteten Hände feft, 
fcien fie ihr. n 
einzige Ctüße im 
` Oeben geblieben. 
0 ,8iebe rau 
Gräfin, — ad) 
Gott, wie bin ich 
jo froh und be 
ruhigt, daß wir 
Cie endlich bei 
uns haben!” fnixt . 
Fran Burkhardt 
ein wenig befan= 
u: Ger 75 gmd er nicht 
BEI VERE redt, ob Gie es 
E ael S T ea a wagen Dart, zuerſt 
die Hand zu bieten 
wie ihr derber Gatte. 
— Da wendet fi ihr daz 

blafje, thränenfeuchte Geficht- 
chen zu. In übermächtiger Erregung ſchlingt Aglas die 
Arme um den Naden der alten Frau und drückt ihr 
Köpfchen laut aufweinend an ihren Hals: „Gott fenne 
Cie für Ihre Barmherzigkeit! Adh, Sie wijfen nicht, 
welche große, große Wohlthat Sie mir erweien!” Frau 






— 461 — 


Grete ift ganz beitürzt im erjten Augenblid, dann mallt 
ihr Herz über vor Mitleid und Zärtlichkeit. Sie ſieht 
nicht mehr die Gräfin, jondern die arme, hilflos Ber- 
laſſene, welche das tiefite Elend ihr als Tochter in die 
Arme führt! — Sie neigt fich voll warmer Zärtlichkeit 
und füßt die abgehärmte Wange: „Sch will Sie lieb, 
ſehr lieb haben, Frau Gräfin, und hoffe zu Gott, daß 
Sie fih von Herzen wohl und glücklich bei ı ung en 
jollen !“ 

Aglaë ſchaut auf, ihre Giane zittert im tiefjten 
Schmerz. „O, nennen Cie mich nicht Frau Gräfin‘!” 
bittet fie leije, „laffen Sie mich ‚Aglae‘ fein, Ihre Aylag, 
die ja gekommen ift, um Ihnen zu dienen und unterihan 
zu fein, und Die alles abgejtreift hat, was an die einft- 
malige, unglückſelige Herrlichkeit erinnert! ‚Aglae‘! Nicht 
mehr und nicht weniger! Ja?!” | 

Sie reicht dem alten Ehepaar die Hände entgegen, 
und Bater Burkhardt atmet tier auf und nickt ihre herz- 
lih zu: „Das foll ein Wort fein!“ ruft er friſch „die 
kleine Aglas lebt mir im Herzen, nicht die Frau Bicom- 
tejjel Wenn e8 denn erlaubt ift, bin ich gern dabei und 
mache eS kurz mit der Titulatur!” 

„Mein liebes, armes Kind!” ſeufzt Frau Grete voll 
tiefer Wehmut, „Gott gebe, dağ Sie nicht3 von der alten 
Zeit bei uns vermiſſen!“ 

Gewiß nicht, Müutterchen! Wir wollen’3 unſerm 

lieben Brlegling | 2 behaglich machen, wie es in unferen 


beſcheidenen Kräften jteht, und das erfordert vor allen 
| — — „30* 


na 


Dingen, daß die Nefonvalescentin unter Dah und Fach 
und zur Ruhe formt! — Mal vorwärts Leute! Ladet 
den Koffer ab und bringt thn hinauf in Die Bimmer der 
Frau Gräfin. Dann legen Gie fich) noch hin, und wenn 
Sie wohl genug find, tommen Eie zum Abendeſſen zu 
uns ins Pachthaus hinüber!” 

em, nein, Männchen! Ich Habe fchon alles bez 
forgt, es wird bier herüber gefchidt! Die Frau 
Srä.. . unjere liebe Aglaë foll ganz ungentert fein 
und fich erft mal von ber ei ee! eilt, iD a Hans 
berorpnet A | 

Aglaë regte fich nicht von der Stelle, „Sie wohnen 
noch im un Und ic) jol im Schloß hier 
bleiben ? 

„Ei gewiß, gewiß! Sn Ihren altgewohnten Zimmern, 
die ganz unverändert Ihrer Harren! Cie brauchen ſich 
nicht etwa zu fürchten, Die Wirtichafterin Habe ich neben 
Sie logiert, und Direkt unter Ihnen wohnt der Inſpektor 
mit feiner Familie. Gie brauchen nur au klopfen, wenn Eie — 
etwas winihen!” 

Wie ein Bittern lief e e3 Durch Die lieber der jungen 
Frau: „sit denn im Bachthaus gar fein, auch nicht das 
fleinjte Plägchen mehr für mich?!“ 

Frau Burkhardt rieb verlegen die Hände: „ber, 
liebe Aglaë, Ste können doh unmöglich in dem Pacht— 


haus — in unjerm armjeligen Logierſtübchen wohnen ?” 


Aglaë fahte erregt die Hände der Eprecherin: Frau 
‚Burkhardt, ich habe während der fälteten Wintermonate 


= 469 


in einer Dachkammer gewohnt, habe gefroren, gehungert 
und geduritet, habe nicht mehr fo viel gehabt, mir ein 
Licht anzünden zu können, und ich fof nicht im Pacht: 
haus wohnen? ch bitte Sie, ich flehe Cie an, nehmen 
Ste mich mit fich unter She Dach!’ 

Gie hatte leije, mit bebender Stimme prosen, ihre 
gramgebeugte Geſtalt ſchien wie eine bittere Sronie für 
die prachtvollen Gemäder, ı welche fie einjt als Millio— 
närin bewohnt. 

arau Grete ſchlang erfchiittert den Arm um fie: 
„Rommen Sie, armeg, geliebtes Rind“, murmelte fie: 
„se näher ich Sie meinem Draen habe, deito lieber iit : 
es mir.” 


- Bater Burtharbt Hatte ſich abgewendet; e8 war wabi — 


etwas jehr Jutereſſantes im Parf zu jchauen, er ſtrich 
mit der Hand über Die Augen und jtarrte geradeaus. Dann 
wandte er fich zum Schloß und gab Segenbefehl, den 
feinen Koffer der Algen Frau in das Pachthaus zu > 
bringen. 

Zangjam jtiegen Die beiden rauen die jchmale Holz- 
jtiege empor, welche zu dem im Giebel belegenen rendenz 
zimmterchen führte. | 

„sn Ordnung tt wohl alles, aber es ift nun gar 
nichts behaglich und für lieben Bejuch hergerichtet”, be- 
kümmerte fich die Matrone, „und wenn Sie einen Blic 
in das Stübchen gethan, und Sie glauben wirflid, dak 
Cie fid) darin wohl fühlen werden, liebe Aglaë, fommen 
Cie vorerjt noh in die Wohnfiube hinunter und trinfen 


— 470 — 


eine jpäte Taffe Kaffee! Derweil fünnen die Mägde das 
Bett bezichen, Die Wafjerfrüge füllen und ctwas cins 
heizen! Sit zwar Eonnenjeite, aber jedes Zimmer, 
welches tange Zeit leer fteht, wird falt und unwohnlih.” 
Wie auch Aglas verfichern mochte, daß fie das alles 
fehe gut jelber bejorgen könne, Frau Burkhardt wies 
jede Öegenrede beinahe entjeßt zurüd und ſchlug die 
Hände über dem Kopf zufammen bei dem Gedanken, 
daß ihre feine Prinzeß, melche fie nur als Töchterlein 


des Millionärs kannte, eine Arbeit verrichten follte, wie n 


ſie der niederſten Magd zufomme! 
Ernſthaft blickte ihr die junge Frau in die Augen. 


„Aber, liebe Frau Burkhardt, vergejjen Eie e8 dem 
ganz, daß ich uur unter der Bedingung, Sie in aller 
Hausarbeit unteritüßen zu dürfen, Ihr barmherziges : 
Anerbieten annahın? — Ic werde febr energiſch vn 


Diejem Vorrecht Gebrauch machen und hoffe, Sie bald | 
überzeugen zu fünnen, daß es mir heiliger Ernſt ift, 


meinen Verpflichtungen in dieſem Haufe aufs gewillene 


haftelte nachzukommen ! 

Frau Burkhardt lächelte und nidte hajtig: Gewiß, 
mein wackeres, Kleines Herz, das follen Sie auch! Nur 
die erjten Wochen haben Sie fih noch vollkommen ala 
unjer Gaſt und als Nefonvalescentin zu betrachten, bis 


die Nojen neu auf den Wangen ‚blühen! So dat ee 


mein Hanfel befohlen, und alles, was der Jung’ jagt, 
das it für Die alte Mutter ein Edangelium!“ | 


— — — — paene — — — — — :  —. —,— — — — — — — 


IT 


Die Qampe brannte auf dem großen, runden Tiſch in 
der Wohnitube. Warm und gemütlich, behaglich und trant 
war's in Diejer Eu Umgebung, wo alles wie in einen 





friedlichen Schlaftiefiter. 
Weltvergeſſeuheit ruhl 
— Die Uhr tidte und ehfug mit. gedämpftem Stocenton 
die Stunden, Hinter der hohen Epheumand am Feniter 
ichliefen im Holzbauer zwei Haubenlerchen und ein. 


— 472 — 


Stieglig, welche im tiefen Winterſchnee halb nerhungert aufs 
gefunden und nun bei der Pächterin freundlich Gaſtrecht 
bis zum Frühjahr genoſſen Zm hohen, altmodiichen 
Lederſeſſel jaß der Hausherr und ruhte aus von des 
Tages Arbeit, feine treue Genoffin neben ihm in der 
einen Ede des großgeblümten Sophas, in der andern, 
jorglich durch ein Kiſſen geſtützt, Aglaë. 

Die beiden alten Leute hielten jeit langer Beit zum 
eritenmal die Hände müßig im Schoß Es gab ſo viel 
zu fragen und zu hören, was die ehrlichen Seelen in 
hohem Grade erregte und beichäftigte, daß jeder andere 
Gedanke zurückgedrängt wurde. Die Leidensgeſchichte 


ihrer armen, kleinen Ugl në, ihres verwöhnten Büppchens 


von chedem, ſchnitt ihnen ins Herz, und Frau Grete 
rollten oftmals voll tiefiten Weh’ die Thränen über die 
Wangen, wenn fie mit entjegten Augen auf Die Lippen 
der Erzählerin ftarrte, als tünne fie jo viel Elend kaum 
faſſen — Als Aglaë aber berichtete, wie Hans ihr Netter 
in der Not gewejen, wie fie mit erglühenden Wangen 
Ichilderte, was er alles für fie gethan, da faltete die alte 
Frau mit jeligem Lächeln die Hände und murmelte: 
„Sa, mein braver Hanjel, gerade zur rechten Zeit ift e 
gekommen! | sn . 

Bater Burkhardt aber wehrte leife brummend ab: 
„Thorheit, Aglaë, ift gar nichts zu lobpreiſen und zu 
danfen! Der Bub’ hat einfach feine Pflicht gethan! Das 
goldgetreue Herz, das hat er von meiner Alten geerbt 
und von mir, jo Gott es in Guaden gibt, den redlichen 


ae a 


Willen, jtets nach Recht und Gewilfen zu Handeln! — — 
Und... ja, den Starrfopf, den bat er auch noch von 
mir! — Hätt's beinahe vergeljen! Nicht wahr, Mutter: 
chen? Der hat dir au ums beiden Mannsleuten jchon 
gar viel zu ſchaffen gemacht!’ ia 

Gie nahın zärtlich jeine Hand: „Sa, ja, Baterchei, 
jag’s nur gleich der Aglaë, welch jchweren Stand fie 
bei dir haben wird!“ jcherzte fie. „Numentlich, wenn 
jie deinen Sohn lobt, daun ftreicht fie beim Brummbär 
den Pelz gegen den © Strich!” | 
Der Alte jehmunzelte und nidte der jungen Frau 
zu: Ich muß nur das Gleichgewicht halten, Grete, 
und habe Angjt, wenn dein Neſtkücken gar nod) von der 
Aglaë bis in den Himmel gehoben wird, Daun werde 
ich) auf der Erde ganz und gar vergeffen, in den Winkel 
gejtellt und höchſtens alle acht Tage einmal abge— 
itaubt!” — — Er ward wieder ernſt beugte den Kopf 
mit dem mächtigen Grauhaar vornüber und fragte, ohne 
Aglas anzufehen: „Wenn mein Hans aber der einzige 
war, welcher fidh Ihrer in der Berlafjenheit angenommen, 
Aglaë, dann hater... der... der Taugenichts von einem 
Franzoſen aljo gar nichts mehr von ſich hören laffen?” 
Sie jchüttelte mit zufammtengebiffenen Zähnen das 
Haupt: „Nein, er ift verjchollen.” | | 

„Sit Ihre Scheidung gerichtlich ausgelprochen ?” 

„Sa wohl! Schon feit zwei Jahren. Damals erhicht 
ich. die Nachricht, daß der Vicomte fih nadh Californien 
gewandt, um als Mineur SD: bod = 


— 474 — 


behauptete mein Rechtsanwalt ſpäter, er lebe unter einen 
Pjeudonym in Monte Carlo und verjpiele Dajelbit den 
Net ſeines ererbien Vermögens.“ 

„Die Nemeſis wird ihn errechen. — Aber ,...- 
Burkhardt ſtockte und ſtrich mit den geſpreizten Fingern 
durch das Haar. Aglaë jah ihn fragend an Da 
vollendete er: „Aber Ihr Herr Bater . . . hat der denn 
gar nie und nimmer wieder feinem einigen Kude ein 
Lebenszeichen gegeben?” 2 

. Thränen jtürgten aus Aglaes Augen. Sie jchlug Die 
Hände vor das Autlitz und neigte ſuumm das Köpfchen 
zur Bruſt 


ti 


„© Itehen Sie ganz allein und unbemittelt in der — 


Welt, und die, welchen Sie naturgemäß zugehören, haben 
fi jedweden Rechts an Gie begeben?” 

Sie nice: „Gang allein und verlajjen“, ilüjterte fie, 
„wemi ich. nicht hier bei Ihnen eine Zuflucht finde, und 
mid) dienitbar und nützlich machen kann, muß ich ber: 
ungern. E 

Der alte Mann erhob ih in? — vor die Wei— 
nende. Er nahm ihre Hand und legte fie feierlich in 
die jeiner Frau: „Hajt dir immer ein Töchterlein ge 
wünjcht, Grete! Hier hat uns Der Simmel noch eines 
beicheert, und wenn's der eigene Vater treulos verlaſſen 
hat, jo meine ich, daß uns ein Recht zuiteht, fein Erbe 
anzutreten! Wenn wir alten, einfachen Leute Ihnen 
recht jind, Aglae, jo jollen auh Sie uns lieb ſein wie 
ein eigen Kind! — Er ſprach kurz und ſchlicht, legte Die 


— 475 — 


Hand wie zum Segen auf das Köpfchen, welches fidh in 
zuternder Erregung an feine Bruft neigte, wandte fih 
und ſchritt wuchtig zur Thür hinaus, — — — — — 
— — — Nglad hatte fidh müde geweint. Ihre 
Hände hielten noch immer diejenigen der lieben alten 
Mutter umfangen. — Die fap neben dem Bett, ſprach 
leije und zärtlich wie zu einem kleinen Kid, rückte die 
Kiffen zurecht und ftreichelte licbEofend die heißen Wangen 
der Erregten. — So war es der armen Werlaffenen nie 
zuvor gejchehen. Ein unbejchreibliches Slücsgefühl über: 
fan fie, Cie war daheim, — fie hatte eine Mutter ge: 
funden. — Nun fonnte fie plafon. Frau Grete neigte 
jiġ und laujchte auf Die immer ruhiger werdenden Atem— 
züge. Daun faltete fie mit verflärten Lächeln Die Hände 
aum Gebet, — Jhr höchſter Erdemvunjd war erfüllt. 
Cie hatte eine Tochter gefunden. — Leije löjchte fie das 
Licht und trat in die Nebenfanmer. — Giu füher Traum 
wngaufelte jchon bie Ruheibe, wie fonnte fie nun jo 
ruhig Ka — 





—2 





N Die Welt wird jehöner mit jedem Tay, 
` Man weh nicht, was nom werden may, 

o Das Flüben will nit enden! — 
Ubland. 


C umderlich! — noch nie hatte 

? die Sonne fo ftrahlend 
hell und warm auf Moos- 
dort herab gejchienen, noch nie hatte der grü hling fo 
— Blütenpracht entfaltet, wie in diefem Fahre. 
Bater | Burkhardt jtand auf der Schwelle des Haufes, 
die Pfeife zwiſchen den Zähnen, die Hände in den Tajchen 
der dunfelgrauen. Lodenjoppe, mit hellem Bli feinem 
Liebling, der Aglaë nachſchanend Schmunzelnd nickte 


er vor En I und Tolok | mit dem —— der pela E 





— 41 — 


ichlanfen Geftalt, welche mitten durch den hellften Sonnen— 
ſchein leichtfüßig über den Hof Schritt. 

Ein ganz einfaches, helles Kattunfleid, bededt von 
großer, weißer Schürze, bildet den Anzug der Vicomteſſe 
von Saint Lorrain. Blütenrein und fauber, ſchmuck und 
friſch troß der übergroßen Bejcheidenheit, fah die junge 
Frau fo anmutig aus, wie die jungerichloffenen Weiß: 
Dornfnofpen, welche im Duftigen Strauß ihre Bruft 
ſchmückten Die Kranfheit war überwunden und hatte 
feine Spuren in dem jungen Angeficht hinterlaffen, welches 
roſiger wie je zuvor mit fanımetweichen Wangen in Die 
Welt lächelte. — Das jchlicht gejcheitelte Haar umrahmte 
Das Gelichtchen und gab ihm einen beinahe Eindlichen Mus- 
drud; hell und zufrieden, unausiprechlih Danfbar und 
freundlich jchauten die dunklen Augen drein, und Die 
viele Bewegung und Arbeit in der freien Luft, Die 
träftige Landkoſt und die friedfame Ruhe für Leib und 
Ceele hatten ihren zarten Körper gefräftigt und ge- 
rundet. 

Große Milchjatten in beiden Armen jchritt Aglaë nach 
dem Gewölbe der Meierei — und Bater Burkhardt wandte 
fich feiner joeben herantretenden rau zu, legte in auj- 
wallender Zärtlichfeit den Arm um fie und wies mit 
einer Kopfbewegung nah Aglaë hinüber. 

„Gang fo wie du, Gretel! Als ich dich vor vierzig 
Fahren zum erjtenmal als Wirtjchafterin in Groß: 
Rauwitſch fah! Wäre das fleine Ding dort nur einen 
halben Kopf höher gewachjen und robujter und derber 


* 
i 
į 


AATE — 


von Statur, dann könnten wir uns fon einbilden, 


Mutterchen, es ſei unfer eigen Fleiſch und Blut!“ 
Die Matrone nickte mit leuchtenden Blid: „Sieh mir, 
wie fie ſchaf ft und zugreift! — Bor cimer Stunde hat 
fie mit eigenen Händen im Gurten gegraben, — wd 
jest ift fie mir fchon wieder im Milchkeller zuvor qc- 


fommen! Gott im Himmel, wenn ich mir das hätte 


träumen laffen! Habe eine vornehme, zimperliche Gräfin 
erwartet, und der liebe Gott hat mir das fleißigſte und 
anjpruchslojeite Gejchöpfchen ins Haus geſchickt, dak Pe 
mir wahrlich eine Stüße und eine Arbeitskraft ijt! — 
Die Sprecherin ſetzte fich erichöpft nieder, ihre leije, 
heiſere Stimme verfagte ſchon wieder den Dienft, wie fo 
oft in der legten Zeit, und Frau Grete legte wie in jähem 

Schmerz die Hände auf Bruft und Hals. 

pa, e3 ijt em wahrhaftes Wunder!“ nickte der 
Pächter nachdenklich, und ganz abſonderlich, wie man 
fich fo Schnell an folch ein liebes Ding gewöhnen fann! 
Möchte fic nimmer wieder hergeben, die Aglaë — und 
wenn ich gar Dächte, daß einer von den Hansmwurjtferls — 
von den Ndlerhöfer Zwillingen ein Auge auf fie geworfen 


hätte — dann... oha! Grete — ich glaube, ich fchlüge 


mit beiden Fäuften drein!! —” Er machte ein bitterböfes 


. . Geſicht und richtete feine marlige Geitalt ſchier drohend auf. -~ 


„Die Adlerhöfer? — Die Bierbrauer .. . die follten 
unſer Prinzeßchen?! —Frau Grete fah gang entjebt 
aus, dann lachte fie leiſe vor fih hin: Anſinn! 
beide ſind ihr lächerlich und zuwider!” 


dd 


- Burkhardt ſchüttelte ſeinen Graukopf mit finſter ge⸗ 
falteter Stirn: „Sie haben Geld, und die Aglaë ift bettel⸗ 
arm! Hat fon mand’ Mädel fich weggeworfen, weil 
es nicht verhungern wollte!” 

„Aber Bateren! Dafür find wir doch noch Da! 
Die Aglaë ift doch bei ung gar wohl verſorgt!“ 

Er rüttelte ingrimmig an ber SM der Holz 
banf. 

„Bir find alte Leute, iiber Nadıt kann alles anders 
werden, und wenn wir die Augen zumachen, wer ſorgt 
dann für fer — Her“ 

„Nun, fo Gott will, der Hans, Baterchen!” 
der Hans! — Haha! — Der Giftmifcher fit 
zwanzig Meilen weit weg und ahnt gar nicht, was für 
ein Brachtweibchen ihm alle Tage bier” .. . er unter: 
brach fih turg und jchroff, Ttülpte den Filzhut auf und 
jagte abgewendet in beinahe barſchem Ton: „Ecg dich 
mal hin, Gretel, fchreib’ an den Jung’, er fole fidh fo- 
gleich mal her verfügen, — ich, der Alte hätte es befohlen! - 
Hat man einen Sohn als Dottor dafigen, und du fchlägft 
dich hier ſchon ein halb Jahr lang mit dem heifern Hals 
und den Bruftichmerzen herum — da jol er mal Jer- 
fonımen und dir Blutegel ſehen, oder was jonjt gut Dafür 
ift. Berjtanden ? 

Ein wunderfames, ſtrahlendes Lächeln verklärte die 
Büge der alten Frau, aber fie zwang fich, ein ſehr gleidh- 
gültiges Geficht zu maden und zudte die Achjeln. „Um 
meinetwillen braucht er noch lange nicht zu tommen. 


— B 


Meine Etil wird fchon bei dem warmen Wetter 
ohne alle Arznei beffer werden.” 

Burkhardt rüdte den Hut energifch von dem (inten | 
Ohr auf das rechte... . „Gut! — dann foll er für | 
mich hierher fommen! Sc huſte! Sch habe a — 

— id leide an Schlafloſigkeit — 

„Aber Väterchen!!” 

„An Schlafloligfeit, fage ih!” — metterte der Alte. 
„Du denfjt wohl, wenn ih ſchnarchte, müßte ich jedes- 
mal fchlafen? Papperlapapp! — Ich bin jehr krank! 
Schreibe das dem Jungen — aber jofort! — Denn. 
ich gehe jede Wette darauf ein, die Lümmel, die one 
fommen am nächiten Sonntag idon wieder hier angejegt! 
— Fran Grete lächelte ſehr verichmißt: „ber Männs 
chen — wag haben denn die mens mit deiner | 
Krankheit zu thun?!” on | 

Er griff haftig nach jeiner Pfeife und legte jie m 
Fenſterbrett „Dummbeit!” murmelte er, „gar nichts 
haben fie damit zu thun. — — Und nachher fahre ich 
in die Stadt, bis dahin muß der Brief fertig fein!” 

Er ftiefelte mit Niefenichritten davon, Frau Grete 
aber faltete die Hände im Schoß und lächelte unter 
Ihränen: „Er ruft den Hana zurüd! — S ift um der 
Aglaë willen! — Ð du mein Herrgott, — er felber ruft 
ihn heim!” | 

Im Milchgewölbe jtand die Vicomteſſe von Saint 
Lorrain und rahmte die Milchſatten ab, neben ihr ſchritt | 


f 
= 
5, 
3 
’ 


M 





— 482 — 


eine Magd, welche Die „Se ippermi (h zu den großen 
Fäffern trug, aus welchen fie je nad) wirtjchaftlichem Ber 
darf entnommen wurde, und feitlich ſaßen zwei junge Dirmen, - 


‚welche die großen Holz] ichüffeln mit den blanfen Stahlreifen 
bligend hell jchenerten. Nebenan wurde gebuttert, und 
luftige Reden und fröhliches Gelächter fchallten hin und ber. 


Lieſe! Haͤſtis ſchon der qnädigen Frau erzählt, wie 


geſtern zum Maifeſt in Romſtetten allmitſammen auf den 


IHN Brukenſteg eingebrochen ſind und bis an die Hälſe inr > 
en Schlamm. geftectt Haben?” : 


Noch hatte es die Liefe nicht berichtet, holte eg aber 
unter hellem ubel ſchleumigſt nad, und Aglaë lachte - 
mit und fragte nach diefem und jenem und perfehrte | 
freundlich und luſtig mit ihren Untergebenen, ohne Dabei 
‚die Hände in den Schoß zu legen oder ſich das mindefte 
‚in ihrer außergewöhnlichen Stellung zu vergeben. — Man 
refpeftierte fie ebenjo fehr, wie man fie liebte und ver— 
ehrte, und bewunderte den demütigen Fleip, mit welchem 
die junge Frau fich jeder, ſelbſt der niedrigſten Arbeit 
unterzog. Da war feiner im PBachthot, der nicht. gern 
und tief den Hut vor der ‚ungen Gnädigen” 309, md 
wo Aglaë arbeitete und frisch mit zugriff, Da ward es 
ſtets zur Ehrenſache, es der Gräfin gleich zu thun, und 
fich nicht von ihr bejihämen zu faffen. — Ahr energiſches 
und doch ſtets gütiges und freundliches Weſen eroberte 
ihr die Herzen im Flug, um jo mehr, al man es nicht 
von der Tochter des Kommerzienrat3 erwartet hatte, 

Aglas fühlte fih unbeſchreiblich wohl und glücklich 


— a > 


in diejer Thätigfeit, welche, ie anfänglich oft fo faner 
geworden, dap fie geglaubt hatte, der ungewohnten Arbeit 
erliegen zu mijjen. Welch eine Überwindung und Ecibft- 
beherrſchung hatte e3 ihr zuerit gefoitet, fih an das frühe 
Aufitchen zu gewöhnen! Welch eine Qual in der heißen 
Küche ftehen zu müffen, welch ein Beobachten und Auf 
merten, ihre Dienſte nühlich und der Hausfrau: erſprieß— 
lich anzubringen! — Wance Brandblaſe und Schwiele 
war das Lehrgeld geweſen, welches die zarten Händchen 
der ehemaligen Milltonärin zahlen mußten, aber ihr 
Itavfer Wille nnd ihr danlbares Der; hatten Die Felſen 
im Weg überwunden, und e3 gab fein bejeli igerendes Ge- 
fühl für Mglaë, als in die entzückten Augen ihres Pllege⸗ 
mütterchens 3 au schauen, als das hmungel Inde Lob Vater 
Yurkhardts zu Hören! 

Welch eine ftolze Freude, alè der geitrenge Hausherr 
die wierhörte Erlaubnis gab, Daß Die junge Frau im 
feinen Morgenfaffee bereiten und ihm die „Heilige“ ls \ 
tafje bringen durjtel 

Nun konnte Frau Grete doch ein Stündchen (kijer 


liegen bleiben, was fie wiunderbarerweile gern zu thun 


ſchien Aglaë bemerkte es mit täglich wachjender Sorge, 
wie ſchwach und hinfällig die alte Frau wirde, wie jede 
Treppenftufe, jede Arbeit fie über die Magen anftrengte. 
— Gie hatte längere Zeit gezaudert, Hans darüber zu 5 


berichten, denn ein umerklärliches Gefühl fep fe m sm 
Gedanken erzittern, Schweſter Amelie werde alsdann nah 


——— kommen, Die Patientin zu beobachten. 
ay o 


an 


Sie wußte e felber warum rfid ihr Herz beim 
Gedanken an die barnıherzige Schweiter zufanmenframpfte 
wie in leidenfchaftlichen Schmerz, warum ihr die Thränen | 


aus den Mugen ſtürzten, als müſſe ſie ſich totveinen. a 


— Endlich tagte fie fich ein Herz und ſchrieb an Hans, 
aber fie erhielt feine Antwort, und als fie zum zweitens 
mal jchrieb, erfolgte ebenfalls feine Nücäußerung. Was 
mochte die Schuld daran tragen? Die Adreſſe war richtig 
angegeben und Aglaë hatte die Briefe perjönlich dem 
Milchſungen mit in die Stadt gegeben, denn auf Danjens 
Wunſch follte weder Vater noch Mutter von ihrer Vez 
nachrichtigung erfahren, damit der Aſſiſtenzarzt oder 


Schweiter Amélie völlig harmlos von Frau Burkhardt 


aufgenommen würden. — Boll Sorge und Unruhe harte 
Aglaë täglich auf ein Febenzzeichen des Profefiors — 


aber die Zeit verging, Der Frühlinz zog immer weiter 


ins Land, und als die eriten Rojen des Sommers die 
Knoſpen brachen, war Die alte Frau ſchon jo heiſer 
und hinfällig, daß Aglaë fich ein: ‚Herz fapte und Vater 
Burkhardt bat, doc) ſeinen Cohn von dem Ichlechten Bez 


finden der Mutter zu unterrichten. Er jchaute fie be 
= troffen an, ward nachdenklich und nidte. „Sa, ja, wäre 
N gut, wen der Junge mal herfäm’! — Aber . . '3 ift N 
jo eine Sache. ... . Hab’ ihm das Haus verboten, bis 
er mal ein arhentkidh € Stück verdient und was feos | 


geworden ift, und das ift beides Doch noch nicht Der gate 
„ber Papachen Burkhardt, — er ift unjer berühms 


tefter Gelehrter und von aller Welt anerfannt und aus 


HARD 


gezeichnet! Rann ein Miann wohl cime hervorragendere 


Stellung einnehmen als er, der Tauſenden von hojfnungs- 


los Kranken zum Retter wird, und deſſen Name mit der 
größten Liche, Verehrung und Dankbarkeit im ganzen 
Denen Baterlaud genannt wird?” 

Der alte Mann mwühlte die Finger in ſein todigeë 
Grauhaar und zog die Nafe fraus. „Das mag ja alles 
gang ſchön fein, liebe Aglaë, aber ſehen Sie mal — ih 
bin ein närrifcher Kauz und habe mein Leben lang nicht 
viel von den Pillendrehern gehalten. Meine inner, Die 
Melt: fönnte auch ohne fie beftehen. Im meinem Hauſe 
iſt halt nie eins krank geweſen, Gott fcs gedankt, und 
ih fann mir’3 nicht recht vorftellen, wenn die Leute jagen, 
fie hätten fi vor Danf und Sl üchjeligfeit dem Doktor 
mögen. zu Füßen werfen, weil er ihnen ein Liebes gejund 
gemacht. Sch kenns eben nicht. — Und dann iſt's und 
bleibt’3 Doch eine brotloje Kunft. _ Hätte Hans ſchon E 
was verdient und erfpart, hätte er mir wohl mal an die 
hundert Thaler heimgefchieft, e3 zu zeigen und fih die 
Hausthür damit aufzuichließen. Aber es ijt nix gefommen, 
und der Jung’ hat fidh über zwölf Fahre herumgeplagt, 
nur damit fie mal pon ihm in der Zeitung ſchreiben, ihu 
(oben oder jchlecht machen, — je nachdem. — Mber gleidh- 
viel! Er foll wieder fommen, und die Grete foll’s ihm 
Schreiben, ich nicht. — Dummer Eigenfinn der! — Hütt 
der Bub’ was Ordentliches auf der kandwirtichaftlichen 
Schule gelernt, wäre er jetzt ein ſelbſtändiger Mann und 
tönnte Frau und Kinder ernähren, dann hätte ih eine n 


aw 


Stultze — rende an ihm in side auen und jchweren 
Reit, für die ich mit jedem Tag zu alt werde! —“ Er 
machte eine heftige Geſte und ftrich über die Stirn, als 
wolle er jolche Gedanken wegwiſchen Aglaë ſchmiegte 
ſich zärtlich au ihn und m ihm beinahe miſch in 
Die Augen. 
„tud wenn der Hans fommt — — ue barn 
Thaler fommt, Papadı en Burkhardt, und er macht Frau 


Grete gefund — ift er Ihnen dam nicht taufendmal 
lieber, als brüchte er Saͤcke voll Soldes heim?” — Ge 


ſtrich — über ihr Haar. „So frant ift Die Grete 
nicht! Unſinn! Iſt ja alles Einbildung! Aber trog- 


dem foll der Hans mit Freuden angenommen werden, o 


denn er Hat ung mehr gebracht als Gold, ein wader n 
klein OR, das ae Alters Enada geno 
worden!” — | | 

Dies war die erite Schmeichelei, welche der Pächter 
in feinem Leben faı gte, und das war ihm jelber fo fpaß- 
haft, daß er lächelnd den Hut nahm und Moppelchen, 
welcher ihn bellend umkreiſte, eines überzog. Er jtrahlte 
über das ganze Geficht und jchritt zur Thür. > 

„Aber ein Dummkopf ift er do!“ — behartte er 
noch auf der Schwee — 


— — — — — —— — — — — — — — — — 


Bei dem Verkauf von Mobsdorf waren etliche Strecken 
parzelliert worden, und em Vorwerk mit Epiritusbren 
nerei, der „Adlerhof“, war von Frau Witwe Crescentia > 
Grauchenwies käuflich erworben worden, um n basjelbe in — 


= 187 — 


eine großartige Bierbrauerei nach bayriſchem Muſſer unz 
zugeſtalten Frau Crescent tia, eine geborene Suddeuſſche, 
war an einen Münchener Brauheren verheiratet geweſen 
und eine Dame, welche mit außergewöhnlicher Energie 
große ee ujt und viel kaufmänniſchen Geiſt 
verband. 

Es war ihr üd, fich burih Eyelnlalionen und 
geſchickte Geichäftsanlagen ein jchr bedeutendes Vermögen 
zu erwerben, welches fie in praktiſchem 
inne mehr und mehr zu vergrößern 
itrebte. Ihre Kenntniſſe und Be- 
zichungen, welche fe alè Münchener 
Bierbrauergattin erworben und anz 
gefnüpft, das Bewußtiin, fchon Der- 
malen die Brauerei Deg Mannes fait 
ausſchließlich mit ihren thatfräftigen 
Händen geleitet zu haben, ermutigtefie, _ 
eine Brauereigroßartigen Stila i meiner 
Gegend anzulegen, wo das bayrifche Bier nod) zu den 
Scltenheiten gehörte, fich gleichwohl aber großer Beliebt- 
heit erfreute. Der Adlerhof erhielt unter ihrer Regierung” 
bald ein ſehr verändertes Ausjehen; die Fröhliche Devije: 
„Hurra der Hopfen und der Malz! Die find des Lebens 
Würz und Salz“ — fchwebte auf den flatternden Raud- 
fahnen des Schornfteins, und die Fäſſer aus den mäch- 
tigen Moterhoffellereten follerten weit Hinaus ms Land, 
fich von Sabr zu Jahr größerer Beliebtheit erfreuend 

Frau Crescentia rieb fich Die derben fleifchigen Hände 





— 488 — 


uud: Blicke voll ſtolzer Genugthuung auf den Prahibau 
„Nölerhof” — welcher afle Hoffnungen, die fie auf ihn 
gefeßt, jo glänzend erfüllte Wo fie hinfam und den 
Leuten die Ehre ihres Bejuches angedeihen ließ, ward 
fie mit größter Artigkeit und Freude empfangen, nur 
nicht bei Bater Burkhardt, welcher einen ticfen, ‚stets 
wachlenden Groll gegen den Adlerhof nährte. Er haßte 
alles Fabrikmäßige der Neuzeit, denn feiner Anſicht nad 
waren die qualmenden Schlöte, die jchuurrenden Räder, 
Majichinen, Kurbeln und Dampfkeſſel die unheimlichen 
Bacillen, welche der Landwirtſchaft den. Krebsjchaden 
einimpften, an melden fie Tanglam, aber jier zu 
Orunbe ging, 

Seit ber Adlerhof feine Thore -o fkrömken Die 
Arbeitsträfte, welche ehedem an Starit und Pflug geichafft, 
in die Kellereien und an die Vottiche der Frau Crescentia, 
und der Notitand der Landwirte, welche das Korn auf 
dem Halm verkommen laſſen mußten, weil fie feine Hünde 
zum Schneiden desjelben fanden, nahm von Jahr zu 
Gabr überhand. Am Fühlbarjten war dies für Burkhardt, 


welcher in ſeinem altmodiſchen Starrſinn die jdhnel 


ichaffende Maichinendilfe haßte und infolge deffen be 


beinahe Doppelte Anzahl von Knechten gebrauchte, wie 
feine Nachbarn. Er lich mit vielen Koften polnische Ar: 


beiter fonımen, mad)te aber böje Erfahrungen mit den- 
jelben. Diele liefen mit dem ausgezahlten Lohn davon 
— vitele blieben und faulenzten in den Tag hinein oder. 
machten alles verfehrt, weil fie ſich entjchuldigen fonnten, 


— 49 — 


die Sprache nicht zu verftehen. Dazu fam, daß Burk— 
hardt den Anfauf von Moosdorf nur mit Hilfe von 
Hypotheken ermöglicht hatte, welche dem alternden Mann, 
der immer fremder und einjamer in der modernen Belt 
ſtand, als jchwere Bürde empfindlich wurden. 

Kein Wunder, wenn ihm Frau Grescentia Graudenz 
wieg in der Seele zumider war, fie ſowohl als ihre 
beiden unleidlichen Fettkerle von Söhnen. 

Ein wunderliches Trio waren die — des Adler- 
hofes — Hätte die Bitib des Bierbrauers als Mänulein 
das Licht der Welt erblidt, io würde fie ficher als Garde— 
flügelmann ihren militärischen Verpflichtungen genügt 
haben. Ein reales, breitjchultriges, robufles und fraft- 
volles Mannmweib ſchrut fie auf ihrer Eiegesbahn daher, 
daß die Dielen zitterten, Eich ihrer Würde voll bewußt, 
in dem jtet3 outrierten Dünkel der halbgebildeten Empor— 
fümmlinge, trug jie das Haupt mit dem grellfarbigen 
Kopfputz fo jtatiös auf dem Nacken und ranfchte in 
jchwerer Seide fo imponterend did unb breit einber, als | 
jet der Adierhof ein ftolzer Fürſtenſitz um welchen ſich 
die Vaſallen des doppelten Boyrifhen zu mirng 
Gulbignia drängen. — 

Ihr großknochiges, ftart gerötetes Seficht war nicht 
hf; lich, aber eg trug den Charakter des abfoluten Deſpo— 
tismus, und die intelligent blickenden Augen unter der 
mächtigen, freien Etirn janten ihrer Umgebung. itets 
in der Form des Imperativs, feinen Widerjpruch duldeud, 
entgegen. 


SuM > 


Wie die beiden Seidel fredenzenden Böcke anf der 
Etikette ihres Flaſchenbieres ſich durch ein paar riefige, 
gewundene Hörner auszeichneten, trug Frau Crescentia, 
wohl zur Ovation für Diejes Wappentier, zwei breite, 
braunglängende Haarzöpfe ſchneckenförmig um die Ohren 
gewunden, was ihr ein ganz abfonderlich altmodifches 
Anjchen neben aller modernen Eleganz verlieh. Gine 
koloſſale goldene Erbjentette Ichlang fidh um den feilten 
Hals und hing über den Bujen bis zur Taille hernieder, 
wojelbjt fie, weithin fichtbar, die Uhr im Gürtelhafen 
trug. Ein auf den erjten Blid unentwirrbarer Klumpen 
von Berlods jchaufelte fidh bei jedem Schritt über dem 
ſtarken Leib, und ſchwere Ringe, und maſſive Arınbänder 
priejen mit güldenem Glanz den Gott Gambrinus, welcher 
ſeine Hände jo äußerſt wohlwollend au den Udlerhoj 
ausbreitete. 

- Wittib Grauchenwies war die Mutter zweier Söhne. 
Als fie anfänglich. allein. nach Adlerhof fam, und die 
Honoratioren der Umgegend fennen lernte, harte jie voll 
äuftlicher Sorge gewettert, daß die Arbeiter: fo fehr lang- 
fam im ‚Herrichten einer proviſoriſchen Wohnung jeten! 
Ihre beiden armen Bübele ſäßen derweil einfam und ver- 
laſſen daheim bei einer Tante, und das fei ihr geradezu gräß- 
(ich, denn fie habe Beit ihres Lebens die Kinderle nimmer 
aus den Augen und unter den Händen weggelaffen! 

Man munderte fi), Dağ die betagte Frau, welche 
doc) ſchon im Anfang der jechziger Sabre ftand, noch jo 
Heine Kinder habe, und die Frau Oberförſterin, welche 


die jungen Knäblein gleich für den Tag nach ihrer Mi- 
funjt mit der Frau Mama in das Forsthaus: zu Tiſch 
geladen, zerbrach fich tagelang den Kopf, ob fie Schaufel- 
pferd, Armbruft und Bleifoldaten ihres lteften vom 


y vL- 





Boden Holen folle, die feinen Grauchenwieſe damit zu 
amüſieren Sie hatte feine Gelegenheit mehr, fich nad) 
dem Alter der Zwillinge zu erfundigen, ließ aber für alle 
Fälle eine mächtige Schüffel Upfelreis bereit ftellen, falls 
die Kleinen nod) nicht alle Epeifen genießen: durften. 
Zaut Bericht eines zuverläfligen Augenzeugen fol 


— 492 — 


„Die brave Frau vor Edred beinahe umgefallen fein, 


alg fih aus der fchweren Adlerhöfer Kaleſche zuerſt Die 


KNIE Mama Grauchenwies, daun aber ihre bofinungsvollen 


Sprößlinge entwidelten. Zwei baumlange Kerle, did und 
breit wie zwei Walzen, twelche zur Mitte geipalten worden, 
wuchteten Die „Bübele, zwei junge Männer in Mitte 
der dreißiger Jahre, aus dem Wagen herab, äugftlich 
achalten und gewartet von Frau Crescentia, welche fidh 


vollfoinmen benahm, als habe fie Babys zu hüten. Rote, = 


dicke, geiftlofe Gefichter mit vorquellenden Knopfaugen, 
welche in permanenter Angſt aufs „Mammele” ftarrten, 
jtruppig blondes, bürjtenartig gejchorenes Haupthaar und 


Hände, welche aus einer Kompofition von fünf Frank 


urter Würftchen zu beftehen ichienen, bildeten Das Signale⸗ 
ment der Hwillinge. | 

Gleichwie zwei wohlerzogene Sungens, einitudiert mud 
‚mechanijch wie Tanzbären an der Strippe ihres Führers 
trollten die beiden Söhne rechts und links an der Seite 
der gejtrengen Mutter. Vor der vor Edred erftarrten 
Fran Oberförfterin ward Halt gemacht. Frau Crescentia 
bewegte mit jcharfem Nud beide Ellbogen, rechts und 
linta einen Etoh gegen die Speckſchwarten der Zwillinge 
führend, und a tempo jchofjen die flachsgelben, diden 
Köpfe der Bübele vornüber, ich artig vor der Dame deg 
Haufe zu verneigen: 


„zo, lieb’3 Oberförfterle ! Hier bring ich Ihnen aljo 
die Ziwillimge! Der hier ifta Dolphele und der 3 Wo. 


fele, einer jo brav und ordentlich wie der andere! 


— 493 


Das jelte Boppelfinn der oan quoll ſtolz über 
den Spitzenkragen, und die Öffentlich belobten Stützen 
des Grauchenwies ſchen Geſchlechts ſtreckten mit freund— 
lichem Grinſen, wie auf Kommando, ‚der — Die 
Hinde zur Begrüßung entgegen. | 

Im Hintergrund der Hausthiir aber wath ein uie 
defmierbares Geräuſch laut. Aglaë und die junge hiltige — 
grau Raftorin ftürzten mit dunfelroten Stöpfen haltlos 
in Die Hinter] tube, um unter fajt jchluchzendem Gelächter 
E Schautelpferd und. Arubruſt in einem Winkel au perz 
bergen. 58 

Anfänglich glaubte man, „Dolphele und Wolfle wm 
feien geiftig zurückgebliebene, bedauernswerte Menſch ei. 


welchen ein verfünmerter Verſtand die Eelbjtändigfet 
des Mannes verjagte. Aber man überzengte fidh, dag 


die Bübele“ nur unter Dem tt ranniſchen Auge der Miama 


jo unmindig und flein waren, Daß fe aber zu ganz \ 


uftigen, hoch aufetmenden jungen Leuten heramvuchjen, o 
wenn fie dei Kappzaum mütterlicher Streuge für furze 
Beit abſtreifen kounten 

Frau Crescentſas b ponnier Einn hatte die That- 
Sache, daß. mit der Zeit aus Kindern Leute werden, 
durchaus nicht t fajien und anerfennen wollen. — In ihren 
Augen blieben die Zwillinge unverändert die KL 
hbrichten Buͤbele“ wie vor dreißig Fahren, als fie die 
Hand der Mutter nod) gängelte und fie, ohne jede Regung 
emes eignen Willens zu geitatten, zu marionettenhaft ger 
horfamen Kindern eo. Biel Lernen und Willen hielt 


— 494 — 


die e polie Frau für unnützen Ballaft. Cie hatte ja 
Vermögen, und fie war da, Geld genug für die Kinder 
zu verdienen; das war ihre Sache! Und die Kleinen 
wußten das und faßten gchorfam den Rod der Mutter, 
fich von ihr durch das Leben jteuern zu laffen. — Gefund 
und gehorjam follten fie fein! Mehr verlangte rau 
Crescentia nicht. — Und die Bibele wuchien heran und 
wurden dick und fett, träge und phlegmatijch, fo did und 
majfig, daß jie wegen Aſthma und Settleber vom Militär- 
dienst freifamen! — Wie fie aber ehemals als Schul—⸗ 
jungen vor dem Born der herrſchſüchtigen Mutter gezittert, 
fo bebten fie noch heutigen Tags vor „Mammeles“ Stirn: 
runzeln, und wie fie vor dreigig Jahren unjelbjtäudig 
und bis img Fleinjte abhängig von ihrer. Ermährerin 
geweſen, jo betamen fie noch jeßt als bald grauföpfige 
Männer das Tafchengeld von ihr ausbezahlt und mußten 
über jeden Heller Nechenfchaft ablegen. Sie trollten ger 
horn und refigniert, wie ſies gewohnt waren, an der 





Seite der Mutter, ertrugen ihr Fürſorge voll Engelsz 


geduld und legten alles Selbitbewußtlein unter ihren. 
Specklagen zu Grabe. Dennoch regte fich auch in ihrer 
Brust hie und da ein dunkles Gefühl, welches nah 
„Freiheit“ und „mehr Licht“ ledte. — Wie umgewandelt 
waren Dolphele und Wolfele, wenn fie den Fittichen der 
Mama entwiichen und Menjchen unter Menfchen fein 
fonnten ! — Dann waren fic unbändig vergnügtes, nad) 
allen Seiten über die Stränge jchlagendes junges Bint, 
welches voll gerührter Dantbarteit von jedem vorge- 





fteedten Orjien Gebrauch madii und Felig lächelnd 
jedes Papier unterzeichnete, weles man zur Unterjchrift 
vorlegte. Wenn nur Mammele nichts merft und erfährt! 
Das war das einzige Angft: und Stoßjeufzerlein, welches 
die Iplendiden Freunde um Diskretion anflehte. Ja, 
Dolphele und Wolfele waren ‚Hinter Mutters Rüden ped: 
rabenfhwarze Sünderjeelen, und Frau Crescentia hätte 
wohl vor Schreck der Schlag gerührt, wenn fie gejehen 
hätte, wie eines der Bübele fogar beredte Blicke des 
Icheuen Entzücens zu Aglas hinüberfandte, wenn fein 
dider Kopf fi auch nod jo (ammfronm und unschuldig 
zur Bruft neigtet! — Sie ſchwor aud darauf, Daß es nur 
der prachtvolle Topftuchen der Pächterin fei, welcher Die 
Bwillinge | jo oft nach Moosdorf zog, denn Aglaë war doch 
cine Reſpeklsperſon für die Jungens, und Die Pflaumen 
waren im Pachtgarten noch nicht reif!! 








KAL 


— IE — Schmerz und Freude legt in einer Edele, 
Ihre EW ift ber Menichen Loes! 
Seume. 






Fol und flar ſtand der Mond am 
Himmel. Wie mit weißen Schleier 
gar lieblich und geheimmispoll ver: 
bangen, ragten Die hohen Linden- 
bäume hell beleuchtet zum Nacht- 
Gimmel empor, und ein Meer 
beranjchender Duftwogen wiegte 
den ganzen Garten in ſüße Betäu— 
bung. Eine Nachtigall ſchlug 
noch leiſe und traumhaft im Gebüjch, als fomme ihr nod) 
einmal das wonnige Erinnern an den Mai mit all feiner 
Liebeslult und femen Licbesjehnen, einem D, in welchen! 
fie dies trauliche Neft erbaute. 2 
Damals miegten fidh die Roſenknoſpen beum ber, 
damals flatterte fie im glückſeliger Flitterwachenzeit mit 
ihrem Liebehen durch ſproſſendes Grün, uud jet regt 
fuh bereits Daa junge Leben im Neft, über welches fic 
mütterlich jorgend die Flügel breitet, und die Roſenknoſpen 
find voll aufgeblüht in fommerlicher Pracht, aber den 


— 497 — 


Lenz mit feinem jungen Liebesglück hat fie doch nicht 
vergeffen, er flingt wie ein zauberijch N durch die, 
ſchwüle Stille der Julinacht — 

Sa, fill its, — monnefam til. — Se Ehre 
des fpäten Baltes verflingen auf dem weichen Sandweg, 
und die Eyringen und Jasminbüſche umſchließen feinen 
Schatten mit ihrem dunfellaufchigen Gezweig. Hoch— 
klopfenden Herzens ſchreitet er Den Pachthaus von Meos- 
dorf entgegen. — Das Mondlicht glänzt auf feinem Dach, 
die Baummipfel neigen fih ihm zu, als wollten fie e3 
mit treuen Armen umichliehen. Die erleuchteten, weit- 
geöffneten Fenſter des Erdgeſchoſſes ſchimmern wie 
glühende Augen durch das Blattwert, hie und da ver: 
dunfelt durch einen eiligen Schatten ‚oder grell aufblißend, 
wenn ein offenes Licht getragen. oder das orin 
gefhürt wird. — | 

Hans Burkhardt pat id teine Beit en jeine 
Ankunft zu melden, er hat in glückſeliger Haft fein Haus 
beſtellt und Gott gedanft, daß fein Schwerkranker m 
zur Zeit Die Abreije unmöglich machte. — 

Er weiß, daß man die Depeichen auf dem Lande 
noi liebt, daß jein Stübchen allezeit für ihn im Bater- 
hauſe bereit ſteht, und daß es faum Schöneres auf der 
Welt zu jehen gibt, als die Glückſeligkeit einer freudigen 
Überraſchung in liebem Angeficht. — Drum will er aud) 
nicht iiber Den Pachthof gehen, wo ihn vielleicht ein 
fremdes Auge zuerft erblict und fein Kommen voretlig 


bertundet Hier ſeinen lieben, gewo nten Weg durch den 
N.v. Erhftrutb, SU Not, u. Nor; Comödie H: 32 


— 498 — 


Garten fchreitet er aud diesmal, wo er, * Gott will, 
Mütterchen zuerjt wieder allein in der Küche antrifft, 
wie das letzte Mal, am Ende gar auch ae an I tirer 
Seite — 


Mütterchen jchrieb ja, daß d ein ganz —— = 


Wunder an ihr begeben, daß die Aglaë von chedem nicht 
wieder zu erfennen fei in ihrem neuen, unbeſchreiblich 


lieben Sein und Meilen! — Das Herz des jungen Proz , 


fejfors erzittert bei dieſem Sedanfen in namenlofer Freude, 
aber die bangen Zweifel heben doc) noch. verſtohl en die 
Köpfe, und er fann es fih nicht vorftellen, daß Diefelbe 
Aglaë, die einft als leichtfinniges, eitles und hoffärtiges 
Weib, jumwelenbligend und hocherhoben mie eine. fleine - 
Königin vor ihm ftand, dieſelbe Aglaë, deren Bild vor 
dem Altar ihn jchaudernd davon getrieben — daß fie i in 
Wahrheit die ſchwere Schule des Lebens durchgemacht, 
daß das Fegefener des Elends alle Schladen von dem 
goldenen Kern ihres Weſens hinweg gefchmolzen! — 
Seine Mutter blidt durch die rofige Brille des Wohl- 
wollens und der Herzensgüte, fie hat die Tochter des 
Kommerzienrates erwartet, wie fie von früher her in ihren | 
Gedanken lebte, und weil anſtatt der. berwöhnten Gräfin 
Lorrain ein bejcheidenes, danfbares und fih ſcheu vor 
der Welt verbergendes Frauchen fam, tann fie folh eine 
Überrafhung nicht faffen. Ah, daß Hans mit feinen 
icharfblickenden, kritiſchen Augen, welche es gelernt haben, 
die geheunften Negungen des Menjchenherzens zu erfchauen, 
doch in ber That ein holdes Wunder an Aglaë erbliden 


— 499 — 


fönnte! — Auf den Knien wollte er den barmberzigen 
Gott bajir danten und die Stunde preijen, in welcher 
gute Engel das Haus Lehnberg von jeiner goldenen Höhe 
herabjtürzten, um dem Himmel reich und der Liebe ein. | 
Menjchenherz zu. retten! — 

Arger und näher trägt fein eiliger Fuß ihn dem 
Haufe. — Fern im Weiher quafen die Fröſche, wie er 
es ſeit Kind auf m den Moosdorfer Sommernächten gez 
wöhnt ift, und wie es für ihm zur friedlicheländlichen 


Stimmung gehört. Und im Hof bellten Moppel und Der . $ 


Kettenhund ein Duett. Gine Harmonifa umd fröhlicher 
Geſang Hallt leiſe von der Meierei herüber, und dicht 
vor ihn, aus der Küche des Pachthauſes ſchallen ihm 
laut und vernehml id) Stimmen entgegen! — 

Ayla? Sits wahrlich Aglaë, welche joeben jehr 
energisch, beinahe zomig fpricht ? Was mag fie derart 
erregen? Ein unwiderſtehliches Gefühl zieht Hans zu dem 
niedern, offenen Feuſter Hin. Er muß willen, was 
Aglaë erzürnt. Sit fie nod immer die herrſchſüchtige, 
eigenwillige Gebieterin, welche man nicht zur Zufrieden— 
heit bediente? — Sit fie jähzornig und heftig im Verkehr 
mit den Leuten, welche fie anweiſen und beauflichtigen fol? 

Hans beift wie in jähen, bangem Schmerz die Zähne 
zujammen und tritt lautlos näher und zwingt fidh | 
die Augen zu öffnen und zu Ichauen. 

mitten der Rithe fteht Aglas Die Qampe, ‚welche 
an einer eiſernen Kette von der Dede hängt, jchaufelt fidh 
facht über ihrem Haupt und beitrahlt das rofige Geſicht— 


— 500 — 


en, welches die unwillig bligenden Augen auf Dore 
und Aune, die beiden Mägde, heftet. Diefe haben ein 
mächtig Waſchfaß vor fih, ftehen mit ſeifenſchaumigen 
Händen und ftarren vor fich nieder, Dore mit eigenſinnig 
eingekniffenen Lippen, Die blonde Anne mit glühenden 
Wangen und verlegen geneigtem Kopf. ne 
In der Ede auf der Herdbanf fibt Bartel, der ehe⸗ 
malige Zuchthäusler, und hält das Geſicht mit beiden 


Händen bededt; vor ia auf der Erde liegt ein ſchmuhiges 


Wäfcheftüd, ein Anjchein nach ein Hemd. — 

„Ber hat foeben dem Bartel das Hemd vor die Fe 
geworfen? Habt ihr nicht gehört, daß ich es ſchon ein- 
mal fragte? — flingt Aglaös Stimme abermals laut 
und Itreng. — 

Dore hebt trogig den Kopf. — „Mit dem Fuß habe 
ich's gejtoßen, denn jolchen Schmup fajfe ich noch lange 
nicht mit den Händen an!“ 

Aglas atmet ſchwer auf. „Schäme dich, Du herz- 
lojes Geſchöpf du. — Weißt Du nicht, daß Der arme 
Bartel nur ein paar Hemden hat und feine Wäſche jo 
jchmußig tragen muß, weil ihr faulen Dirnen nur alle 
vier Wochen fein Zeug zur Wäſche nehmt?” — Tore 
zuckte mit den Achſeln 

„Das ift ja dem Bartel feine Cade, er tann is 
licber ein paar Hemden faufen, ftatt Heller zufanımen 
zu fragen wie ein. Geizhals, und ung Dann ſolche Wäjfche 
zu bringen!” 

„Dak der Bartel fein Geld part und e3 nicht vcr- 





een 


fchleudert, ift brav und ehrenwert, und wenn ihr ihn in 
folh gutem Willen unterftügtet, und ihm auch mal 
außer der Zeit ſein Leinen einftecktet, Dann käme er mit 
bier Hemden aut aus! — Schame dich der Sünde, einen 
armen Menjchen, der für feine alten Tage jorgen muß, 
zum Ber rgeuden zu ringen, und darum, weil Du zu faul 
bilt, die Finger zu rühren! — 

„Bas geht mich denn der Bartel an! Sc efle mic 
vor feinen ſchwarzen Lumpen da und bin froh, wenn ich 
nicht mehr wie nötig damit zu thun befomme!” — | 

Aglaë bob ftola den Kopf. „Und du, nel biſt 
du auch jo ein hochmütiges, hartherziges Geſchöpf?“ 

Sochmütig und hartherzig bin ich nicht — mu . 

Salt den Mund! — Anne! u Trage Bi ob i 
eine ebenſolche bijt?! — 

Der blonde Kopf fant nod tiefer, Bartel aber hob 
mit einem herzgerteißenden Blick tiefjten Schmerzes die 
Augen und ftarrte angſtvoll auf die Gefragte — | 

„Die Dore jagt — die Dore hat gemeint . * 
ſtammelte Anne biutrot — „cs jet nicht unfere — — 
jolh.. folh einem Menſchen feine... .* fie brach — 
und hielt die Schürze vor das Geficht. — a 

„Und weil die Dore einen Meenjchen Fränft und fih 
auf die Prinzeſſin jpielt, mußt du feiges Ding gleich mit 
in ihr Horn blajen? — Gott mög's euch nicht zur Strafe 
anthun, daß ihr in eurem Leben mal nach folh einem 
Hemde jammern und Drum betteln müßt! — Weg dal 
— Fort von dem Wajichfap |" — 


se 


Rerbiüfft ſchanten die Mägde in das sornglühende, 
hocherhobene Angeficht der jungen Frau. Zögernd widen 
fie zurücd, den Befehl vorerſt nicht begreifend.. 

Aglaë ftreifte die Urmel an ihrem fihneeweißen, 
Ichlanfen Arm empor. — Wißt ibr, wer ich bin, ihr 
Dirnen ?” — fragte fie mit einer wahrhait Hoheitsvollen: 
Würde, „ich wurde nicht zur Dienftmagd geboren, aber 
wenn ich jelbjt eine Königin in dieſem Augenblick wäre, 
ich würde nicht zu Stolz fein und mich nicht jchämen des 
Hartels Hemd zu wajen, denn er ift rechtlicher und 
braver alë ihr beiden zujammen! Eure Hemden möcht 
ich nicht anrühren, und wären fie jo weiß wie Schnee, 
denn bejjer ein ſchmutzig Hemd und ein reines Herz — - 
alè umgefehrt! — Aus dem Weg, ihr zmeil — | 

Haltig trat Aglaë zu dem jprachlos ftarrenden Bartel 
heran, neigte fidh und hob fein Hemd empor. Sie legte 
gütig die Hand auf feine Schulter. — „Oräme dich nicht 
um Die hoffärtigen Dinger, Bartel, und ſieh's zu Deiner 
Senugthuung, wie die Frau Gräfin für dich zum Waſch— 
fab tritt!” — Weich und tröjtend tlang ihre Stimme, 
und ihre Lippen lächelten. Sie trat zu dem Holzgeitell 
und tauchte das Hemd mit energiicher Hand in das 
Seifen waſſer, Bartel aber jprang auf, griff mit beben- 
den Fingern nach ihrer Hand und ſchrie beinahe voll 


Entfeßen auf. — „© du mein Herrgott! — Die. mädige 
Srau! — Die gnüdige grau! — erahnen. ftürzten aus 


jenen Augen, er taumelte auf die Bant zuruck und 
jchluchzte wie ein Kind — „das hätten taum Gottes 


— — — 


Engel im Himmel für — thun fönnen! — Ah du 
mein Heiland — die gnädige Frau” — a 
Mit glühenden Wangen ftürzte fich die Inne herzu 

und wollte das Hemd Aglaës Händen. entreißen. 
| „Geben Sies, liebe Gnaͤdige! geben Sie's, Jonjt 


fhäme ich midh totli“ — mò auch Dore fehlich betreten 


heran und griff Danach. „Laljfen Sie doch gut jem, 
Frau Gräfin! — Sehen Su mal Ihre Bünde a die 
tleben jal” — | : 

„Dafür gibt e3 noch Waſſ er. und Eeife eiti a Welt! | 
— Bleibt’3 etwa an den Fingern zur? Das wäre 


eine neue Mode, fich vor der Arbeit zu jcheuen, weil fie 


die Hände befchmust! Geht nur eurer Wege, dies Hemd 
wajche ich!” Anne ſchlug die Hände vor das Geſicht 
und fing an bitterlich zu meinen, Tore aber rumorte ” 
eifrig am euer, dah die Funfen jtoben. | 
„Hole die Kaſe aus der Meierei herüber, Dore! Mi. 
Als habe fie nur auf einen Grund gewartet, fid dem ; 


peinlichen Aublick der waſchenden Herrin. entziehen zu. 


tümen, polterte Die Magd eilfertig durch die Thür, 
Aglae aber wandte fidh der f ſchluchzenden Anne zu. „Belt 
Anne, nun reut es Dich doch von Herzen, daß du Dich haft 
aufreigen laffen, den armen Bartel jo schlecht zu bez 
handeln! Ich weit es ja, daß du ein braves und frommes 
Herz haft, und dağ du jelber arm bift und weißt, wie 
recht e3 vom Bartel ift, daß er ipart! Wenn er mal 
heiraten will, dann iſt's für die Frau doc eine Freude, 
wenn fie ein Stück Geld vorfindet, und ich glaube, der 


rn ee 


Bartel möchte Ahon ganz gern eine unge Frau 
haben!” — N 
Der Genannte Jande mit — Lächeln auf, 
faltete die Hände im Schoß und nidte vor fih Hin, 
dieweil Anne nur noch herzzerreißender ſchluchzte e 
Glaube auch daß der Bartel den beſten Ehemann 
gäbe — fuhr Aglaë diplomatiſch fort, „einer, der jeine 
Frau in Ehren hält, — und das ift die Hauptſache 
Meinst du nicht auch, Unne?” — Die trocknete die Augen, 
lachte verlegen und fchielte zu Dem Knecht Hinüber! „lt 
ift er auch noch nicht und gefund und ftattlich Tieht er 
aus, — bat fid a am beften von allen Moosdorfer 
Leuten geführt. - | 
el, aoa 3 Frau Gräfin, e3 ijt ihr ja bloß wegen 
dem Zuchthaus, das vergeffen mir die Leute mein Lebtag 
nicht!‘ — Seufzte Bartel jchwer auf, mit wehmütig flehen— 
dem Blid auf die junge Magd ſchanend. Dieje hob die 
Schürze an den Mund und jenfte den Kopf. „Ihorheit!” 
Ichüttelte Aglaë voll milden Ernftes den Kopf. „Wenn 
fich einer einen Rauſch antrinft und in der Schenfe mit 
‚pritgelt und einen andern fo unglüclich mit der Flaſche 
trifft, daß er liegen bleibt, jo iſt das allerdings eine ſhwere 
Schuld, deun die Mänıer, welche trinfen, verjündigen 
fih und die, welche raufen und jchlagen, erft recht. — 
Aber wenn es ein übel Ende nimmt, dann ift aud) ein 
großer Teil Unglüd dabei! Hätte der andere Burjche 
dermalen nicht eine jo außergewöhnlich weiche Schaͤdel⸗ 
decke gehabt, würde ihm bie ae nieh viel gejchadet 


— 506 — 


haben. Das ſagten aud die Herren beim Gericht und 
haben darum die Strafe gemildert Wenn aber einer 
ſeine Schuld jo ſchwer bereut wie der Bartel und führt 
jich überall jo gut wie er, dann hat er fie wohl abge: 
büpt! — Wenn die Dore ihren Stellmacher heiratet, 
dann wollen wir mal jehen, wie lange das Glück dauert 
und wie ihwan fie beide ihre Hemden wohl. tragen 
werden, denn der Stellmacher fpielt und verbringt. und 
vertrinkt alles, was er verdient; wer aber hat wohl den 
Bartel feit den vielen, langen Jahren wo er hier ift, 
im Wirtshaus geichen? Sch möchte wohl wiljen, wie 
viel er fich gejpart hat bei feinem ordentlichen Leben?’ 
Es find jujteinent vterhundert Thaler...“ jtotterte 
der Knecht mit g lückſtrahlendem Geſicht und iat schüchtern 
ein Schrittchen näher; das gibt ſchon einen guten Hause 
itand, .... und eine y D : und i ein Emei, meine ich, 
wirft dabei ab. o 
„And em schönes Ichwarzes. Brautkleid und einen 
bunt gemalten Schranf, wie die Aime. ihn draußen auf 
dem Hausgang jo ſchön findet, den gibt's auch noch 
davon! — Bierdundert Thaler! — Ei, ich jags ja, 
Bartel, du bijt der reichfte Burjche in ganz Moosdorf, 
und wenn Das die Dore wüßte, ließ fie am Ende ihren 
Stellmacher laufen und nähme dich?! — Solch einc 
Überraichung! Und was würden die Leute alle guden, 
wenn der Bartel feinen Hausrat fauft! — Meigt du 
dem gar teme von den Dirnen, die immer rdi gut und 
freundlich zu Dir mwar?” — 


=— 5010 


Bartels Hand, welche in das Haupthaar Aue, zitterte. 
„Das ſchon die Aune . die war immer die bejte, und 
ich habe auch geglaubt, fie fönne mir ganz gut fen, und 
weil ich doc) vierhundert Thaler beim Herrn Burkhardt 
liegen habe — —“ 
,So, Aune, faunit das Hemd noch mal mit din 
andern — auffochen, und damit der Bartel ſieht, 
daß dus gern thuſt, gib ihn die Hand zur Bekräfti— 
gung” — Aglaë wandte fih zur Thür: „Wenn du 
aber Hochzeit machſt, Bartel, vergiß ja nicht, mich ein- 
zufaden, — den € Ehrentanz führe ich mit dir!’ — Gie 


nitkte tm mit ganz abjonderlichen Lächeln zu, und che 


nur Der Überglückliche antworten kouute, war ſie bereits. 
entſchwunden | 

Einen Augenblid herrichte tiefes Schweigen. „Buch 
ae, jo eine wie die Gnädige? Bor der möcht man 
niederfnien wie vor einem Bildftöckel mit der Gottes- 
nutter Drauf! —” rang ſichs 8 endlich al Ich! kungen von 
des Burſchen Lippen. | 

Anne Hand abgemendet und Biete noh immer die 
Schürze vor dağ glühende Geſicht, aber ſie ſtreckte ihm | 
nad) rüclwärts die mit beit aelprelsten Fingern 
entgegen. — EN | 
wartel itürzte oi zu und — fie Halb angſtvoll, 
halb zärtlich. — „Anne... wenn du wohl möchtejt. 
ich... ich weiß fchon, wo das jchwarze Kleid. und | 
der Schranf und Die Ruh zu kaufen ind! = u um 
Michaelis rum fünnte Hochzeit fein,” u 


=== RUS s 


„Am Michaelis? Aber Bartel — für den Winter 
müßt's eher ein: Schwein wie eine Kuh jein!“ — Anue 
lächelte ihn ſchämig an und 308 Die ‚Hand nicht zurück. 
Da legte er den Uru um fie. 

„Beides folla fein! —jauchzte er. „Und Dann 

| babe ich alles — was 
der liebe Herrgott einem 
Menschen Gutes geben 
fann, Die Kuh, Das 
Schwein und Did)!” 
Er drückte fie an jeine 
Bruft und fie fünten 
ich, — erft ſehr feier- 
lich und andachtövoll, 
dann aber in lautem 
Jubel und jo unerſätt— 
‚lich wie zwei, Die fidh 
an einem Leckerbiſſen 
jo recht delektieren 
wollen! 

Hans Burkhardt 
(chnte regungslos an dem laubigen Weinſpalier Er 
war von dem Feuſter zurück gewichen und ftand tief im 
Schatten. Der Lindenduft quol auf warmen Luftwogen 
zu ihm nieder, und durch die Bauınziveige blißten Die 
Sterne. 

Ihm wars, als müffe er die Arme zum Himmel 
heben, als müſſe er auf die Knie jinten, um Gott zu 





* 
Yon AU em 





— 509 — 


danfen. Eo viel des Glücks hatte er nicht erwartet, jo 
viel nicht. Das hatte er felbft in den kühnſten, hoffnungs- 
jroheiten Träumen nie zu fchauen gewagt. Unfaplich 
war's. Ein herbes Weh prehte ihm neben aller Glid- 
jeligfeit dag Herz zufammen. Wie groß mußten Leid 
und Elend gewejen fcin, wie graufam hart die Hand des 
Schickſals, wenn fie das ftolgefte, hochutütigite und Liebes 
[cerjte aller Franenherzen jo tief herab neigen konnten in 
den goldenen Staub aufrichtiger Demut und Herzensgüte! 
Wis in die tieflte Seele hatte e Hans erjchüttert, 
das unbegreiflich liebe Bild, welches er ſoeben gejchaut. 
Es drängte ihn, Hervor zu ſtürmen und die kleinen Hände, 
welche in edler Selbfternicdrigung das Hemd des Anechtes 
wujchen, an die Lippen zu ziehen — — voll Ehrfurcht. 


und Bewunderung hervor zu ftürmen, um die Lippen, 


welche zum wadern Anwalt eines liebeverwundeten Herzens 
wurden, zu füffen in unausiprechlicher Seligfeit. — Aber 
er Stand regungslos, er flang nur die Hände zufammen 

und bewegte die Lippen wie im Gebet. Seine Nalae! 
— fo gehörte fie ihm und feinem Herzen, jo war fie, 


wie er es erjehnt und von Gott crfleht — und alles; 


was hinter ihr lag, war nur ein Etüd Comödie, von 
trügerijchem Lampenlicht bejchienen, welches jegt in dem 
Sonnenglanz der Wahrheit zerrann wie Nebel und Dunit. 

Er hatte Aglaë gejchaut in fürftlicher Pracht, umgleißt 
von Gold und Edeliteinen, und der Neichtum war die 
himmelhohe Echeidewand geweſen, welche fie von ihm 
getrennt, welche fie durch falſchen Glanz feinem Herzen 


— -p0 — 


fremd und verächtlich gemacht. Die Armut aber war 
gewaltiger, denn alle Mammonsgögen diefer Welt — 
fie Stürzte die Hindernifje, welche die Jugendfreunde 
trennten, fie jtreifte Die häßliche, goldjtarrende Mafe 
vom Antlik der Geliebten und umwob ihr Haupt mit 
einem Glorienſchein höchſter und unvergänglicher Schönheit. 

Keine Perle und fein Diamant fonnte Aglaes Hand 
Derrlicher ſchmücken als ber Seifenſchaum, in den fie das 
Hemd getaucht, und nie hatte die Vicomteſſ e von Saint 
Lorrain in bes Profefjors Augen höher geftanden, alg 
in dem Nugenblic, wo fie die Grafenfrone jelber vom 
Haupte nahm und fih tieer ſtellte alg Die rora 
Magd 
Unbeichreibliche Gefühle im gogn trat Hans Burk- 
Hardt über die Echwelle feines Baterhaujes. 

Welch ein Subel, welch ein Halten und Treiben m 
Dem ehedem fo ftilen Haus! 


Hans war zwar in jehmerzlichem Erichreden an Non. o 


großen Lederſeſſel geeilt, in welchem ſein Mutterchen matt 
und elend gebettet lag, ihn mit großen, tici umfchatteten 
Augen anftarrte, dann aber mit leiſem, heiſerem Bonn 
ſchrei emporſprang, ihn glückzitternd zu umarmen. 

Mütterchen, — du ſitzeſt hier im Kiſſen ed im 
Großpaterftuhl, heute, bei der jchwülen Juliluft, wo 


wir andern beinahe verfommen vor Hitze? Frierft du 
etwa? Bit du frant?” Sie lachte mit Thränen m 


den Augen, 


— il — 


„Sin wenig erkältet, mein Liebling, das hat nichts 
‚auf jih, num, wo du da bift, bin ich ferugefund! — 
Und fie fehien es wahrlich. zu fem, leichtfüßig, aufgeregt 
und freudeitrahlend eilte fie wie ein junges Mädchen her 
und hin, Mir ihren Liebling no an einen wür— 
digen Empfang 
zubereiten, bis 
“ Hans und Ayla 
fie bet beiden 
. Hünpen gefangen 
T nahmen und fie 
| tanft zurückdrück⸗ 
ten in ihren be- 
quemen Sefjel. 

„sch weiß ja 
We nod von früher 
® der, Tantchen, 
3 wie es der Hang 
liebt” lachte 
Nalae mitglühen 
den Wangen, 
' „unddarımmußt 
du mir heute Schon Vollmacht erteilen, ganz allein für ſein 
Unterfommen zu jorgen! — Ihr Habt euch gewiß fo 
viel zu erzählen, daß die Zeit bis zum Abendbror nicht 
lang wird!” und huſch, war fie davon geflattert wie ein 
Vögelchen, welches durch einen Sonnenſtrahl aus langem 
Traum erwedt wird! 


— 
ei 





Frau Grete fah den Vli, mit welchem Han ifr 
nahjhaute, — fie lächelte wie verflärt und ſchwieg; 
Bater Burkhardt aber nahm ungeduldig des Eohnes 


Hände zwilchen Die jeinen und ſah ihm geipannt in das 


Geficht: „Na, Junge, was ja git Du denn nur zu ihr? 
Wie gefällt fie dir denn? Iſts nicht ein kleines Brachte 
weib? Oha, du follit fie nur erft "mal herum hantieren 
ſehen, vom Keller big zum Boden — immer Trepp auf, 
Trepp’ ab! Immer fleißig auf dem Poften! Da fag 
noch einer, das fei diefelbe Aglaë, die ehemals Hier in 
Moosdorr in Samt und Seide einherjtolzierte und ges 
halten wurde wie eine Brinzefiin. — Na, Hans, jo jprich 
doch! — Pift du denn gar nicht ein bißchen erjtaunt 2” 

„aber Vaterchen, er hat ihr ja faum noch guten Tag 
‚gejagt ! Wie joll er Demi jetzt ſchon ein Urteil über ſie 
haben? 

„So ein Profeſſor muß doc) alles können! —— 
der Alte, „oder haft du Dir Deine Augen blind gelejen, = 
Du Taugenichts 2 ; 


Hans nahm den Sprecher fchier ibermütig beim ont a 
und lachte ihm ms Gelicht: „Nein, Vater, id) jede noh 
erſchreckend flar und genau, und 2 in dieſem Augen — 


blick ſehe ich ae — | 
Hoho!“ — — 
„Sch fehe, daß ich geniin fein werde, auf meinen 
Vater mörderlich — eiferjüchtig zu fein, denn trog der 
grauen Haare icheint es se unter Diejer Weite hier 
ar Hain > 


— 513 — 


n Du infamigter Junge!!“ Bater Burkhardt rik fein 
essen vom Kopf und 309 feinem Sohn eins über, 
und dann ſchloß er ihn lachend an die Bruft und nickte 
in vergnügteſtem Baß Ich ſeh's Schon, du Bücher: 
wurm, bijt halt immer noch der alte Eaframenter gez 
blieben 1 — Damit war der Frieden geichloffen, und wie 
vor langen Jahren ein Klaps mit dem Hausmübchen 


jtet3 der Herold beiter Laune war, jo war er auch heute 


der Negenbogen, welcher eine bunte Brücke zwijchen dem 
Einit und Sept baute, auf welcher alles, was dazmilchen 
lag, lachend en wurde, als habe es nie 
exijtiert, RR 
Mar: auch alles u jo! Der alte Burkhardt war 
bei all jeiner Gutmürigfeit doch ein ftarrer Sinn, und 
3 hätte ihn wohl übel verdroffen, wenn fein Junge recht 
behalten und als Triumphator hier eingezogen wäre, auf 
fein Geld und feine Größe pochend ! „seht fam er, weil 
ihn der Vater verzeihend rief, und war doch nur der 
alte Hans von früher, der ſich nicht unteriteht, dem Vater 
gegenüber als Nechthaber aufzutreten. Das war eine 
Genugtduung, denn es ift gar ſchwer, zugeſtehen zu müſſen, 
daß das Ei klüger geweſen wie die Henne! 
Die g.jährliche Klippe war glücklich ümſchifft, und 
Vater Burkhardt hatte den Wunſch feines Herzens be— 
friedigen fönnen, ohne ſeiner Autorität etwas zu vergeben. 
Das ftummte ihn beinahe ausgelaſſen heiter. 
Frau Grete aber fah Gottes Himmel offen. Ihr 


Blick hing an Vater und Eohn, als fünme fie ſich an 
VE v. Ermfrutd, FU. Rom. u. ee Comöpie U. FE Be} => 


s Ma 


ſolchem Glück gar nicht fatt fechen, und das war ibre 
Belohnung für ihr treues Dulden umd Garran. 

Nun that ihr feine Stunde mehr leid, die en Hang | 
von ihrem Herzen verbanut hatte, denn jede war ein Stein 
gewelen, ein hohes Denkmal der Ehre für den Cohn zu 
bauen! So eigenwillig der Bater jedwedes Berdienit 
des Sohnes noch beftritt, fo begeiftert und ſtolz {Haute 
Grete zu Dem berühmten Liebling. empor, jo zuderfichtlich 
glaubte fie an ihn unb feine gotigejegnete Wi iſſenſchaft, 
vor welcher fie Demltig. die Hände faltete. — Wie viele 
lange gayre hatte fie dieſen Bubunftsteaun un Herzen 
genährt! — Sie hatte ihren Hanjel immer verftanden, fie 
hatte e8 mit dem Suitinft der Mutterliebe geahnt, daß es 
cin göttlich Feuer fei, welches fich bereits in dem Streben 
und Forſchen des Kindes offenbarte, und darum hatte ihr. 
tägliches Gebet diefen barmberzigen Gott zum Hüter und 
Schüber jener Seiftestlamm. n angerufen, welche wachſen 
m ufte, wenn fie ein Hauch des Ewigen mwar! 


Bater Burkhardt mar nicht zum Diplomaten ge 


boren. Wes das Herz voll ift, des geht der Mund 
über, und jo fiel er, wie ftets, mit der Thür ins Haus 
und duldete fein anderes Sefprächsthema als jene geliebte 


— Aglaë, von welcher Hans ſpäteſtens heute abend noch 
überzeugt fein mußte, daß fie und feine andere die einzig 


paljende rau für ihn fei. 

„And ffug ift fie bei all ihrer Herzensgütel — Denke | 
Dir, Meutterchen, der £leine Schlaukopf hat mehr fertig 
gebracht, als wir alle! Zlüftert mir jochen zu, die Anne 


— 55 — 


und der Bartel feien einig! — Gott fei Dant, nun ift 
der brape Burjche. für immer dem ehrlichen Leben ge 


vettet ! p 
„Bie io da, Bater?” 
Weil Der Bartel ſich im Die Anne vergudt hatte! 
Gie hielt ifm aber Das Zuchthaus vor und ließ ſich 
gegen ihn aufhetzen! Da hat mir der Bartel gejagt, er 


wolle auf und davon, denn ein Sträfling mache doc) o N 


nimmer fein Glück, md wenn er auh vierzehn Sapre 


lang brav und rechtichat fen gehauft hätte wie ein frommer sh 


Bruder, das Schandmal bleibe und ziehe ihn wieder in 
den Abgrund! — Hätte Die Aglaë die Anne nicht zum. 
Einſehen gebracht, fo wäre cr ficher aufs neue rabiat 


geworden, denn mit der Liebe ijt ein närriſch Ding, 


wen fie nicht in Den Himmel hebt, den ftößt fie in die 
Hölle. Der Anne, ihr Jawort aber wäjcht das Kains- 
zeichen Fort, und nun erft wird des Bartels | Vergangen— 
heit um der Gegenwart willen. pergefjen ein!” 

„a, 88 ift der Aglas Wert! Sie hat immer Erbarmen 
mit dem Bartel gehabt und oft gejagt: ‚Kein Menſch 
auf Der Welt faun es beffer wiſſen als o wie a es 
thut, geächtet u und mig cehet au m we 
Noch einmal weiten fie burd den Garten gehen! 
Vater Burkhardt mit dem alters} ſchwachen Moppelchen 
behaglich chlendernd voran, =: le ifm folgend, 
Aglaë und Hand. 5 

Wie es glänzt und fchinmert, wie vie Riim Duften 
35 


pie in zärtlichen 


en 


und der Tau auf Halm und Gräfern blinkt! Weiß 
wie Marmor leuchtet Aglaës glücjeliges Antlig im 
Mondenſchein, und wenn ire tente Sand die Gebüſche 
am Wege jtreift — — 





Lebkoſen ſo rieſeln 
ſilberne Tropfen 
auf ſie nieder und 
ſchmücken fie, wie. 
ehemals die Dias 
- manten und 
Perlen. 

Hans bleibt 
tiefatinend ſtehen 
und ſchaut jte an: 
„Warun fagen 
Ste mir fein Wort, 
YUglae, ob Sie 
fich wohl in Ihrer 
Heimat Fühlen ? 1 

„Beil es feine 
Worte gibt, um 
Ihnen für all das 
große, unendliche Glid zu danfen, welches Sie mir im 
Hauſe Shrer Eltern erjchloifen!” — Shre Stimme bebt 
in warmem Empfinden, fie hebt, wie in jchlichter, inniger 
Betenerung, Die Hände vor die Brut. 

„Das wollte ich nicht hören, Aglas, ich wollte nur 


it — 


wijfen, ob Sie wahrhaft zufrieden mit Ihrem  hiefigen 
Loofe find, oder ob jetzt die Zeit gekommen, wo id) etiwas 
thun fann, Sie in die elegante Welt zurücdzuführen ?” 

Faſt erjchrocfen weicht fie zurücd von ihm: „Niemals, 
Hans! Was foll ich vereinjante, verlafjene Frau in der 
fremden Welt! Wenn Ihre lieben Eltern mich nicht von 
fih weifen, jo möchte ich jeden auf den Knien anflehen, 
mir meinen Frieden und mein Glück in dieſem Haufe 
nicht zu ftörcn! — Ihre Mutter bedarf meiner! Jetzt 
mehr denn je! Und ich hoffe es zu Gott, daß fie mich 
lieber zu ihrer Pflege um fich ſieht, als eine Fremde! — 
Barnıherziger Himmel, Hans, der Gedanke ift entielich, 
daß ich jemals wieder von hier feiden folte!” 

„Ss käme wohl darauf an, unter welchen Berhälte 
niffen.” Geine Stimme tlang weich und verichleiert, 
dann wandte er fih haftig zum Weiterjchreiten und fuhr 
in gänzlich veränderten Tone fort: „Da ich feinerlei 
Nachricht von Ihnen über das Befinden meiner Mutter 
erhielt, fo war ich völlig beruhigt und darum nicht wenig 
erichrodken, fie heute fo elend und frant vorzufinden! Sft 
fie erft feit den lebten Tagen fo heiler und hinfällig?“ 

Ganz emfebt jtarrte ihn Aglaë an: „Sie erhielten 
feine Nachricht von mir? Gie haben meine beiden Briefe 
nicht erhalten ?!* | 

Auch er jchraf empor: „Hmei Briefe? Site haben 
an mid) gejchrieben?! — Gott im Himmel, ich erhielt 
feine Reile l 

— ieh feine utmost! a e gr Angit zwang 


— 518 


i ſchließlich, Ihren, Gake zu Bitten, a er “- 
~ Kommen veranlafjen möge!” BR Mn — 
Er krampfte die Hände INN um: feinen Su: 


„Durch wen bejorgten Sie die Schreiben?! —— 
„Sch befolgte Ihre Mahnung, die Mutter Erki 
Verdacht fchöpfen zu laffen, und gab die Briefe nicht in 


die Vofttafche, ſondern dem Milchjurgen, mit ber Wei ijung, 


fie in den Raften zu werfen!” 


„Einen Augenblick, Aglaë! — JH bin fo fort zurüd! | 


Ich muß den Jungen um den Verbleib der Briefe befragen!“ 

Er ftürmte davon. Nach geraumer Weile kehrte er m 
höchiter Beſtürzung zu der jungen rau und dem Pächter 
zurück, die beiden erbrochenen Briefe in der Hand: Natür- 
lid) Hat fie der unglaublich dumme Geſelle in der Voraus- 
ſetzung, daß der Adreſſat fie perſonlich herausholen werde, 
in den Wagenkaſten geworfen, feine Weisheit ahnt nichts 
bon der Exiſtenz eines Boftbrieftaftens! Und vor feds 
Wochen bereits ift die lebte Nachricht hier er 
Barmberziger Gott, welch eine Verzögerung 

„ber Hans! Junge! Eei nicht fo außer dir!! 
Was fehlt denn der Mutter! Ein bißchen heifer, fonft 
thut ihr fein Finger weh!” 

„Bott gebe es, Vater! Ich fürchte aber, wir haben 


bereits eine Echwerfranfe im Haus! — Kommt, folgt 
mir! Sch beſchwöre euch, — ich muh mid en 


wie es ſteht!“ 


Wie gelähmt vor Entjegen fand Aglaë einen Augen⸗ 
blick regungslos, dann ſchlug fie die zitternden Hände 


DR UTET 


mit eiſernem Griff: 


— 


por das Antlitz Die Briefe! — Die Briefe! — Wer 
vermutet eine ſolche Thorheit des Jungen! Bater im 
Himmel — ich trage die Stud 

Der alte Burkhardt aber faßte den Arm feines Sohnes 


= o murmelte 
et, „3 fann nicht 
ten 3 Dari 
nicht Kein! Die 
Grete ift niemals 
frant geweſen 
ich glaub’3 nicht! 
Was jollte ihr 
dein fehlen, Hans! 
Sags mir! Ich 
wila 
Der Profeſſon 
‚blieb ſchwer at- 
mend ſtehen. 
‚Nenn meine He- 
jürchtungen zu— 
treffen, Bater, jo 
its dasſelbe, a 
woran auch. Die | 
Großmutter geitorben ift | 
Der alte Mann taumelte, als habe ihn ein Fauſt— 
ſchlag getroffen. „Hans !” frie er auf: „das darf nicht 
wahr jem! Daran müßte mein Weib ja zu Grunde gehen!” 





— w 


„So Gott will, nicht, Bater!” 
„out unheilbar! — dagegen hilft fein Mittel! 
Der. Alte brach jehwer auf der Bank vor dem Hauſe 
nieder, und Hans trat — von der Schwelle zurüchicpredenp, 
neben ihn. — Er legte den Arın erregt um feinen Hals: 
„Sarg. dich nicht vor der Zeit —! Laß mid erſt jehen 
und unterjuchen ! Die Wiſſenſchaft ift Heutzutage ein wehr- 
haft Weib, welches fibon ojmals dem Tod a ente | 
gegen trat!” | 


Burkhardts Haupt Rn tief zur Bruit: i ~ ; N 


geh und fieh nad; — ich warte hier — bringe mir die 
Antwort.” — eine Worte waren leije, taum verjtänd- 
lich; vornüber fanf jeine marfige Gejtalt, alë habe ein 
Big einen Eichſtamm getrojfen. 








NAH, 


Cie lieget frant zum Sterben 
im obern Kämmerlein! — 





ie Feuſterl üben waren geſchloſſen, 
dunkel umd fühl war es in 
den Zimmern. — Kein Laut 
nah und fern, nur gedäutpftes 
Flüſtern lautlojes Schreuen 
auf weichen Cohen. — — < 

Durch die herzjörnig aus: 
gejchnittenen Auftlöcher der 
Fenſterladen fielen zwei ein- 
zelne Sonnenitrahlen, welche ſich zitternd und tanze end, 


je nah dem Wind, der draußen das dichte Weinlaub z 


rejte, ihre Wege über die weiß ah Dielen, die 
Möbel und Wände fuchten. 

Wie zwei goldene, fih flimmernd OO: Schlangen 
liefen fie dahin, ringelten fidh empor an der Gejtalt des 
greiien Mannes, welcher in dumpfer Negungslofigfeit am 
Tiſch fag, und leuchteten ihm neugierig ins Geſicht, ala 
miüpten fie fich erft überzeugen, ob er wahrlich ihr alter 
Freund Burkhardt fei. — Wunderlich genug hatte er fih 
verändert. Die ehedem fo joldatifch ſtramme Figur war 


ne 


haltlos zuſammen gejunfen, die ftrengen, Elarblidenden 
Augen ftarrten trüb und ausdrucslos ing Leere, und 
wie der Pflug feine fcharfen Linien in die Erde reißt, 
um ihr zu jagen, daß fie abermals um ein Fahr älter 
geworden, jo hatte auch das Schickſal über Nacht feine 
Nunen in das Angeficht des Pächter geſchrieben, Linien, 
welche beredter wie alle Worte ſprachen, wie viel — 
die lebte Zeit gebracht! > 
Bu schnell, zu plößlich war's lernen. Aus allen 5 
Glück heraus in die bange Sorge und Angit um das 
Qiebfte geftoßen, — das war ein zu greller Umſchwung für - 
den jchwerfälligen Geiſt eines Mannes, an welchem das 
Leben eintönig und friedlich. dahingezogen mie ein farblos 


Bil D; — er hatte feine Krankheit in jenem Haufe gekannt, A 


umd nun fam jählings der Tod und klopfte an ſeine Thür 
wie ein furchtbar Gejpenit, deffen üiberraichender Anblick 
alle Glieder lähmt | 
Seine Grete frant — todfranf — danieder —— 
an dem furchtbarſten Leiden, vor welchem Burkhardt 
erſchauderte in der verzweifelten Gewißheit, daß es 
feine Hilfe und Rettung für dasjelbe gab, daß fein herz- 
liebes Weib ebenjo grauenvollen Qualen age mae 
wie chedem ihre arme Mutter. | 
Hilflos aber dabei jtehen und es anjchen müffen, wie 
fein Liebſtes hinftirbt, ohnmächtig die Hände ringen, ohne 
den erbarmungslofen Todesengel paden und zwingen zu 
fönnen, Dag war mehr, als es die trogige Soldatennatur 
des Alten ertragen fonnte, und darum bradh er zufammen 


GS 


unter der entſetzlichen Wucht des Wortes „‚rettungslos‘, 
welches ein Feind war, an dem jegliche Waffe abprallte. 
Da fam es über ihn wie eine dumpfe, mutloje Zerichlagen- 
heit. Seine Grete verlieren bedeutete für ihn alles ver- 
lieren. — Er fonnte den Gedanken gar nicht fajjen, er 
ichlug mit den Fäuſten aufftöhnend gegen die Stirn, bis er 
einfab, daß alles Empören und Auflehnen, alles Gebieten 
und Toben erfolglos fei, daß alles Geld, welches er in 
jaurem Schweiß für jeine Grete verdient, nicht im ftande 
fei, auch nur ein Stündchen Leben dem Tode abzufaufen! 

An drei der bedeutendften Profejjoren und Chirurgen 
hatte Hans telegraphiert, und mm waren fie drin bei 
der Stranfen, ihre Brognoje zu ſtellen Burthardt aber 
hartte auf ihren Ausſpruch, als gelte es ſein eigen Leben, 
über welches fie den Spruch fällen follten. 

Wenn man an die vierzig Jahre Hand in Hand mit- 
einem treuen, geliebten Weib durchs Leben gegangen; 
wenn man Freude und Not, Regen und Sonnenschein 
mit ibr geteilt, und nieto? denn fie auf Gottes Welt 
gehabt, juft, als feien zwei Menjchentinder auf ein einſam 
Eiland im Lebensmeer verjchlagen, dann verwachſen Herz 
und Geele ganz unbewußt, dann merft man's gar nicht, 
wie jehr fie eins geworden, bis ein Wetterichlag fommt 
und ſie erbarmungslos auseinanderreißt. 

Eins geht dahin, das aber, welches zuricfbleibt, muß. 
fich verbiuten an unbeilbarer Wunde! Wie die Minuten 
Ichleichen, wie eine jede zur Folterqual wird, unter welcher 
das Herz aufjchreit in bangem Harren! | 


— 84 — 


Burkhardts Zähne gage: zujammen wie im ‚Schüktel- 
ir oft. Da gleitet es leiſe Herzu und ſchl ingt, laut auf 
Ichluchgend, die bebenden Arme um feinen Naden: Aglaë. 

Er ftarrt mit weit aufgeriffenen Augen in ihr bleiches 
Angefi iht, — feine Lippen beben, — er will fragen, aber 
die Zunge liegt ihm ſchwer wie Blei im Mund. Sie 
versteht ihn. — „Das Leiden ift fchon zu weit vors 
geichritten, es wird faum noch Di ie mg fein!” jtöhnt 
fie außer ſich auf. 

Wie der Tod greift'3 an fein Herz. Er erhebt ſich 
wankend, er will zu ihr. — 

Die Thür öffnet fid abermals. Die Herren treten ein. 

Hans preit die Lippen zufammen wie in leidenjchaft- 
lidhem Schmerz, aber in feinen Augen flammt es jo wunder 
lic), wie man e3 nie zuvor gefchaut. Profeſſor Bahr! en, 
ein ſchon betagter Herr, mit freundlichem, momentan jehr 
beforgt ausſehendem Antlig, reicht dem Vater feines bee 
rühmten jungen Kollegen herzlich Die Hand entgegen: 
„Bir fommen, lieber Herr Burkhardt, um Ihnen, unjerm 
Beriprechen gemäß, das Reſultat der joeben vorgenommenen 
Unterfuchung und Beſprechung mitzuteilen. Gott fei es 
geflagt, müſſen wir die bereits von ihrem Herrn Sohn 
geitellte Diagnofe beftätigen und e3 mit ſchwerem Herzen 
fonitatieren, daß das Leiden bereits fo ernite Dimenfionen 
angenommen, daß nadh menichlichem Ermefjen eine radikale 
Heilung nicht mehr zu erhoffen ift. Die Mittel, welche 
wir bisher in Dielen ſchweren Fällen anmwandten, dürften 
bei ihrer armen Gattin bereits erfolglos bleiben.” — — 


de — 


Er atınete ſchwer auf, der alte Manu aber fchlug Die 
hart gearbeiteten Hände verzweiflungsvoll vor das Antlitz, 
und brach in die eriten bittern, qualvollen Thränen feines 
Lebens aus. 

Hans trat hajtig neben ihn und drückte das greife Haupt 
in unausiprechlicher Erregung an die Brult: „Vater“, 
murmelte er, „verzage noch nicht! Ich verſuche ein Letztes, 
— und Gott der 
Herr wird fid 
meiner erbar- 
men !‘ 

Da jchauten 
Die weinendern 
Augen zu ihm A 
empor wie ein # 
ſtummer Hilfe: 
ihre. — Bro: 
feſſor Bahrlen 
aber fuhr haftig * ku 
fort: „Eine wunderbare Fügung bes Himmels Hat 
ihren Sohn zu dem bedeutendſten Spezialiſten dieſer entjeß- 
lichen Krankheit gemacht, und feine neuejten Forſchungen 
und das von ihm zuerit in Anwendung gebrachte Heil- 
verfahren hat iHn bereits zum anerfannten und bewährten 
Meifter gemacht. Nun hat ihr Herr Sohn fich bereit 
erflärt, eine Operation vorzunehmen, welche vor ihn noch 
fein Mediziner wagte. — Glüct diejelbe, fo feiert die 
Wiſſenſchaft einen ihrer bedeutendjten Eiege, und der unheil- 





— 56 - 


bariten und ſchreckl ichften aller Kranfheiten wird ein Netter 
erftanden fein, welcher die Macht des Todes gebrochen! — 
Allerdings dürfen wir weder Ihnen nod der Kranten 
verhehlen, daß das Hei (verfahren ihres Heren Sohnes 
in diefem Falle auf Tod und Leben geht, daß es bei 
ung lücklichem Ausgang dag Leben ihrer Frau um Monate 
verfürzen fann. — Monate jedoch, melche überreich an 
Qual und Leiden fein würden! ch bitte, verehrteiter 
Herr, diefe ernfte Enticheidung mit ihrem Herrn Cohn 
zu erwägen. Wir werden jelbftoerjtändlich in höchſtem 
Intereſſe der Operation aſſiſtieren und ſtellen uns. von. 
ganzem Herzen zur Verfügung!’ 

Die Herren zogen fidh zurüd, Burkhardt aber Hob 
das Haupt und jtarrte Hans wie geiftesabwejend an: 
„Du, Haus du P 1“ murmelte er kopfſchüttelnd. 
„Gott wird mir helfen, Bater!” 

Der alte Mann rieb fich die Stirn und preßte Die 
Hände gegen die Schläfen: Mußt mir nicht übelnehmen, 
mein Sohn”, ftöhnte er auf, „aber... . ich bin jo fremd in 
der Melt draußen, ich weiß nicht, ob du wirklich jo viel 
gelernt haft, mn folch ein Wagnis zu unternehmen! Aglaé 
— liebe Aglaë!” — Mit Hilfeflchendem Blick wandte er 
jich zu der] jungen grau: „Ste find klüger in folchen Dingen 
ala id, — haben Gie Vertrauen zum Hans? Glauben 
Ste, daß er ein folh ungeheuerlich Großes leiften fann? I” 

Die Gefragte trat langjam näher, ihr Blid traf Hans 
und leuchtete auf in ſtolzer, mutiger Begeifterung. Sie 
reichte ihm die Hand mit feſtem Drud. 


a 


„Darauf kann ich mur eine Antwort geben =“, 
flüjterte fie, „wäre ich die Krante, und man ftellte 
mich vor diefe Entjcheidung, fo würde ich mich jo ver: 
tranend unter die Hände dieſes Meifters beugen, wie ein 
Kind an die treue Hilfe des Vaters glaubt!” 
„Aglaë!“ Hans zog ihre Hand erregt an Die Lippen: 


„Sott jegne Sie für dieſes Wort, — e3 ftärft meinen a 


Glauben an mich jelbjt und joll mir in der Tenien Stunde 
zum Gegen werden!” 

Der Pächter atmete tie] Paf e3 war, als fei eine 
erlöjende Zuperficht über ihn gelommen Krampfhaft 
faßte er die Hünde des „Hand — Hans!! 
wenn du das könnteſt —!” flang jeine Stimme 
wie ein Aufjchrei, „Bott im Simul, a ut = a um | 
dich verdient !” =: 

Der junge Proj ejor ftarrte — aus auf das alle, 
verblichene Bild des barmherzigen Samariters, welches 
witer dem fleinen Kruzifir an der Wand hing. Die 
Hand Gottes teilte die Wolken, und das Auge des Ewigen 
ſchaute hernieder auf den, — ſich des Elends mutig 
erbarmt. 

Sollte all feme Arbeit, all fein iabrelanges Durben 
und Ningen vergeblich gewejen fein? Seine Liebe zur 
Mutter war Die gewaltige Triebjeder gewejen, weiche 
ihn, jo lauge er denten fonnte, angelpornt hatte, ein 
Eluger, gejchidter Arzt zu werden, Damit Die ZTeuerite 
nicht auch hilflos dahin ſterben ſollle wie einſt Die Groß— 
mutter. Was ihm ſtets nur als beängjtigender Wahn 


— 58 — 


vorgeſchwebt, mar pidid zu einer atii Rahi a 
heit geworden, war gekommen, wie der Dieb in der Mad Go 
der jähling3 da jebi, ae bag P eines Mengar — N 
fommen Jah. = Vu 

Nur die — — und, — Natur. I 


| — Mutter hatte es ermöglicht, daß das Leiden jo lange | 


heldenmütig ertragen. und. dadurch verheim icht worden — 


FRRESTIRE s 


oe auter = Mutter, — marım haſt Du es nicht 
gejagt, da du jeit kurzem jdjon die Anzeichen der K rante 


: -heit mit Sicherheit erfaunt und. duh ſo unglücvich md o 


elend fühlteſt!“ ſtöhnte Hanz auf; er fniete an ihrem. | 
< Pett und dritte, das. Al lig Au Sn meiden welfen — 


Ey Hünde. 


Sl: Eele ſtrich tangjam und ädel nb ber jein lockig Blonde 
haar. „Um euch jo lange. wie möglich die Angit ud | 


ee orte zu er) jparen, Kieb! ling!” fluſterte fie. ; A weiß u 
3a, daB es feine Rettung. für mich gibt, dag ih ebenjo 


dem fichern Tod verfallen bin, wie meine arme Par 0 


amd Ó Srojmutterz — t3 liegt, im. uns, das Verderben, 
uud weil es nulos ijt, ; fih Dagegen zu wehren, jo wollte ar 
ich euch jo lange wie möglich. die Herzens qual eriparen, “ N 
mich dahin fterben zu Fehen.” — Frau Grete ii 
einen Augenblick erichöpit, fie idi ihrem Mann die 
= Hand und 309 ihn mit feligem Lächeln zu } ſich nieder: 
— os „Baterhen, meine doch wicht! Sits nicht ſchon zu piel | 
ber Gnade gemwejen, daß der liebe Gott mich jo — 
geſund und froh bei dir und unjam Jungen lic? — 


BEN 


30 war ja ſo oh, mein Saalai fo innig glüd- 
lich —, und ich hab's noch ſehen dürfen, daß mein Hanjel 
jein Biel erreichte, daß ihr. beide wieder verjöhnt feid. 
Das ift ein ſchöner Lebensabend gemejen, und id) fterbe 
in himmliſchem Frieden, wiegen a von oan 7 
noch bei euch bliebe” _ 

Hans ſchaute auf und abos mit it feifher Stimme 
das leiſe Aufftöhnen des Baters. „Du haft eine völlig 
faljche Meinung von der Wiſſenſchaft, Mutterchen, und 
glaubit, diejelbe fei feit fünfzig Jahren auf demfelben 
Fleck jtchen geblieben! Gott jei Lob und Dant, die neuen 
gorj jchungen haben ein helles und hoffuungsfrodes Licht 
in die Finfternis gebracht, darin die Medizin noch vor 
nicht: allzulanger Beit tappte. Miutterchen, hajt du Ru 
Vertrauen zu Deinem Sohn?“ — “ 

Sie jtredte beide Arme nach ihn aus. | Belen 
zu dir, mein lieb Hanjele 2“ — lächelte fie voll unbe- 
ſchreiblicher Zärtlichkeit, „du mein Stolz und mein Gluͤck! 
— fein anderer foll mein Arzt ſein als dbur — 

„Wirdeit du dich auch einer Operation unterziehen, 
mein herzlich Mutterchen, einer jchwierigen, ernjten Opera- 
tion, welche dir entweder volle Genci jung — oder mindez 
jtens doch eine ſchöne und erträgliche Lebenzfrift von zehn 
bis fünfzehn Sahren fichert, oder — im unglücklichen 
Talle, — dein Leiden um Wochen befchleunigt? — Um 
Tod und Leben gehts, mein einzig Miutterchen — Ich 
bin als Arzt verpflichtet, es dir zu jagen — aber id 
jühle die Strajt in mir, das Schwere zu wagen, und 

Rn EIGENEN Bi Nom. 7 Nov., Sombie JL = 34 


— 530 — 


Gott im Himmel wird mir beiſtehen und über Dein teures 
Leben wachen! — Sag's, Herzliebe, — willſt du an 
deinen Hanjel glauben und dich feinen Händen anver- 
trauen, willft du’3, daß ich die Operation vornchme?” 

Die Augen der Kranken leuchteten durch Thränen zu 
ihm auf. Sie winfte ihm, daß er fich neige und ſchloß 
ihn voll feierlichen Ernjtes an die Brust. 

Ich glaube an dich, und ich gebe mich Dir Hin auf 
Tod und Leben! — Und ich glaube nicht nur an Deme 
Liebe und dein treucs Wollen, jondern auh an deine 
Kunſt und dem Wiſſen, und ich weiß es, mein Herzens- 
find, daß ich unter deinen Händen en werde! — 
Deine lieben Hände follen nicht. zittern, wenn fie in Der 
Mutter Fleiſch ſchneiden, denn ich will dabei ſo friedlich 
ſchlaäfen, wie du ehemals an meiner Bruſt ruhteſt, und 
mein Herz wird. ruhig Schlagen, weil ih weiß, Daß Du, 
mein Sohn, e8 bift, der mich einführt zu Leben over 
Tod, — welche mir aus deiner Hand. mwilltommen find, 
eing wie das andere.” — 

Als Hans fi u umwandte, fah er Aglaë in der Thür 
ſtehen Sie trodnete haftig die Thränen von den Wangen. 


und atınete noch einmal jchwer auf, dann zwang fie cin 
heiteres Lächeln um die Lippen, blinzelte Hans zum En 
beritündnis zu und trat an das Bett der Kranfen. Ente 


Schale blühender Vergiß meinnicht und Monatsroſen 
grüßten ihr freundlich aus den Händen der jungen Frau 
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„Grüß Gott, Tantchen!” nickte fie mit friſchem Lächeln, 
„das find ja prachtvolle Nachrichten, welche ich ſoeben 
gehört habe! Die Herren Profeſſoren promenieren im 
Garten, und ich iraf fie juft am Teich, als ich dieſe 
Blaublünlein pflücfte! — Iſt's denn wirklich wahr, daß 
der Hans operieren will? Die Herren jagten, dann fei 
unjere teure Krante fo gut wie gejichert, denn Profeſſor 
Burkhardt risfiere das nur, wenn er des Erfolges ficher 
fei, und bis jebt habe er ja immer wahre Wunder voll- 
bracht, darum jei er auch ein fold) gewaltig origi 
Mann geworden !” _ 

-Aglaë öffnete Jalouſie und aenjter, md goldenes 
Sonmenüicht und Blumenduft quoll in das dammerige 
Gemadh. Wie ein friſcher Lebeushauch ging es von der 
roſig gekleiveten Geltalt der Prlegetochter aus, juit, als 
jet bet ihrem Eintritt die bange Echwüle der Thränen, 
Seufzer und Todesahnungen verflogen. — 

Frau Grete hob wie mit leichtem Aufatmen Das — 
MRecht jo Aglas! Licht und Luft thun mir wohl, ſelbſt 

wenn es ein wenig heiß im Zimmer wird, ich ik Die 
Wärme! — Wolch prachtvolles Wetter! Da wird dein 
Noggen fich ſchnell vom legten Regen erholen, Väterchen 1 

Aglaë ſetzte fich neben das Bett und begann die 

Blumen zu ordnen. „Das verjtcht fih! es gibt, fo 


-Gott will, eine prachtvolle Ernte!“ plauderte fie Harm- 


og, „ganz jo, wie ich's mit Papac en Burthardt gewertet 


habe! Die nächiten Weihnachtsfuchen baden wir dann 2 


PRE i dick und fett wie p tih, nicht wahr, 


u 


Zantchen? und du ſchiltſt dann nicht zu gewaltig, wenn 
ich erit ein paar inë Feuer rutjchen laffe | 

Nächſte Weihnachten!” flüſterte Frau Grete nie 
und wehmütig. 

Aglaë jah ihr mit tre lic geinie Item Erſtaunen ins 
Selicht. „Das Elingt ja jo wehmütig! juft, al ob du 
noch an das Märchen Deiner unberlbaren Krankheit 
glaubteit? Aber ZXantchen! Der Hans ift ja da ud 
wird operieren ! — Seit icd) das weiß, fenne ich feine 


Angit und Eorge mehr, nun ift alles qut! — die Brote 


joren jagen’s doch auch, nud die müſſen's wohl wiſſen! 
Sie finden doch auch, ebenjo wie Hans, daß das Leiden 
noch ganz im Anfangsftadium ijt” — | 

Frau Grete und Burkhardt ſchauten erjtaunt auf. 

Aufangsſtadium?“ — wiederholte die Bächterin mit 
großen Augen, „ih dente, Hans, die Krankheit ift jchon 
jo jehr weit vorgejchritten ?” — 

Der Profeifor fchüttelte lachelnd den Kopf, „Jtem, 
meim Mutterchen! Sch machte die Sache nur ein wenig 
Ichlimmer, weil ich Eleingläubiger Gefell fürchtete, auf 


großen Widerjtann bet dir zu ſtoßen wenn ich dir von 


der Operation jprechen würde, welche unbedingt not⸗ 
wendig it, wenn du ganz geneſen jollit!” | 
„ber e8 geht doch auf Tod und Leben?" — - warf 
Vater Burkhardt mit ftarren Mugen em. — 
Aglaë fiel ihm Jchnell in das Wort. „Wie eine jede 
Operakiön mehr oder minder gefärlich ift! Ein ungez- 
fchickter Arzt fann einen Menichen töten, indem er den k 


= 534 — 


janntoletiea feinen Schnitt vornimmt, wenn der Patient 


Ichlechte Säfte h at, wenn irgend ein tüdijcher Buil = 


jpielt, wer fann denn die Tragweite einer Gefahr be- 
meljen? — Tantchen aber war ihr Leben lang ferngejund, 
und Hana iſt ein weltberühmter Operateur; aljo Hater 
nur der Pflicht gemügt, welche jeder Arzt befolgen muß, Die 
Patientin auf die Schlimmjte Möglichkeit vorzubereiten !’ — 
glas vermied es in das Antlıt des Profeſſors empor 
zu ichen, aber fie ward blutrot, al3 fie jeinen > auf 
ſich gerichtet fühlte. — | 
Wahrlich, Hans, iſt's jo? — Id) ein gar nod nicht 


jo todfranf, wic ich aus allem zu entnehmen glaubte” 


„Si gewiß nicht, Mutterhen! Ic hoffe zu Gott, 
dich in wenig Wochen wieder ganz gejund zu fehonu 
„Bor allen Tingen darfſt du dich nicht ängjtigen, 
Tantchen’” midte Aglae eifrig und beugte fich tief über 


die Blumen, einen pafjenden Plag für ein Monat: sröschen . 
zu juchen. Man Ddenft immer, jo (ch eine Operation it 


etwas Furchtbares, und dabei merkt man gar nichts 
davon, weil man chloroformiert wird! Der Vater meiner 
Freundin erzählte, er habe während dejien die Schöniten 
Dinge geträumt! — Das follit du auch thun, Tantchen! 
Ich b bleibe bei dir und nehme deine Hand in Die meine, 
und der Hans holt, eins, zwei, drei — alles Kranfe mit 
jemem Mefjerchen aus deinem Hals heraus. Und dann 


O wadii du wieder auf, jchläfft ſchön, fchonit dich eine 


Zeitlang recht febr, und dann ijt alles überitanden und 
du bijt wieder gejund! Nicht wahr, Hans? — Und 


dann qibts — ein großes Sreudenfeft, zu d den Papa — 


Burkhardt den Seh ijjet aun Weinfeller herang rüden 


mug!” — | 

Frau Grete lächelte, und es ſchien Hans, als ob fic 
fich bebaglicher denn zuvor in die Kiſſen zurücklegte 

Die dumpfe, todtraurige Stimmung hatte fie zuvor 
entſch ieden beängftigt, und jie atmete freier auf, ala fie 
Aglaë in ihrer alten, heitern Weiſe plaudern hörte, Aglaes 
frohe Yuverficht und der gute Mut, mit welcher ſie der 
Entſcheidung entgegen ſah, wirkten fraglos ſehr wohl— 
thuend auf Die Krante, — 

Die junge Fran ſorgte auch dafür, Dağ feine trüben 
Sedanfen wieder auffanen, „Cieh' mal, Tantchen, wie 
reizend der Blumenkorb ausſieht! Den ftelle ih mitten 
auf den Tiſch, damit die Herren Profejjoren beim Eſſen 
nicht. nur etwas zu ſchmecken, ſoudern auch etwas zu 
schauen haben! — Solla denn bei dem Hühnerbraten 


bleiben, oder hat Bartel ion Bu Beute aus dem Er 


teid) gebracht?" — 


Das war das richtige Thema, Frau Grete zu zer — 


ſtreuen und anzuregen, und die ſtets rührige, eingefleiſchte | 
Hausjran hörte es wohl mit bejonderer Genugthuung, 
daß Molae fie durchaus nicht als entihronte Herrin 
machte und willenlos in ihr Krantenbett bannte, ſondern 
daß fie nach wie vor die Leitung des Haushalts ihr 
über( iep und nur die Befehle austührte, welche ihr erteilt 
wurden, Das war fo taktvoll und feinfühlend, wie nur 
wahre ‚Herzensgüte | ji äußern fann, und Hans ftric) 


586 — 


langfam über die Stirn, als. fünte er das Befen und 3 


Benehmen der Sugendfreundin faum faſſen und begreifen. 
Wie viel es wert. war, eine heitere Gemutsſtimmung a IN 
bei der Kranken zu erzielen und zu erhalten, wußte er = E 
als Arzt am beiten, amd fein Herz erbebte in großer, el 
unausjprechlicher. 2 Tantbarteit gegen. Aglae, welche 
bewundernswerter Beije den rechten Weg fand, die £ Emm 

des gonfia o an das Re der Mutter a 


ogar, 
re: — jekt in Br Süde — > Slechten ben, 


Tantchen!” nidte Jie geichäftig, „und die Hühner bringe 5 


ich zuvor her, damit du fichit, wie das Maisfutter an⸗ 
geſchlagen hat! — Wahre Prachtexemplate, fage ich dir! 
— Jd werde überhaupt viel ab und zu laufen müjjen, 


um Dir Rapport über meine Thätigfeit zu eritatten! 
Dente doch, das erite Wittagseffen, welches ic) für Gaſte > 
foche, da darf ich mich doch nicht blamiern!” — Sie 


hob die Blumenjchale mit beiden Armen empor, ihaute 
noch einmal lachend zurück und trat über die Echmelle. 
Hans Iprang zu. und öffnete Die Thür, und als jie ihm 
dankend vorangeſchruten folgte er iht — | 
‚ie stellte: die Blumen ba] jtig. auf den nädhiten Ti, 
nieder, und reichte ihm mit, jhmergsitternden Lippen beide 
Hände entgegen: „Hans. halten Sie. mih niht ir. 
herzlos und ichlecht, daß ich heiter plaudern und lachen 
tann, wo der Tod auf der Schwelle ſteht! Ich habe 
Ihre Mutter lieb — ad), fo zärtlich lieb, wie meine 
‚eigene - = und juſt darum, weil e3 mir das Herz bricht, 


fie wie ein todgeweihtes Dpferlamm daliegen zu fehen, 
es mit anjchauen zu müſſen, wie ihr unjere Thränen 
und Verzweiflung Schon jetzt die Todesqual bereiten, 
darum will ich ihr ein fröhlich Geficht zeigen, will all 
mein Herzeleid tapfer zurücdrängen, damit ihr meine 
Zuperficht neuen Mut und Hoffnung einflöße! Ihr Bater 


darf aud) nicht jeinen Schmerz zeigen, Hans, — cr mat 


ihr fon jet das Sterben 
fo jchwer, und fo Gott 
will, bleibt fie uns Doch 
noch durch Ihre rettende 
Hand erhalten!” — 

Der Profeſſor prekte 
erregt ihre Hände in den 
jenen. „© Aglaë, wie 
joll ich Ihnen danken! Sie 
wiſſen gar nicht, durch 
welche föltliche Arznei 
Sie mein Werf unter: m 
ſtüßen! — Gott ſegne Sie für jedes frohe Wort, mit 
welchem Sie die Schatten von ihrem Lager vertreiben !’’ — 

Durch Thränen blickte fie zu ihm auf uud erglühte . 
bis unter das wellige Haar. Ich babe Lügen gejagt, 





Hang, und habe den Profeiforen einen Ausipruh in den | 


Mund gelegt, welchen fie, leider Gottes, nicht gethan. 

Sch ſchämte mid) deffen, aber ich hoffte, daß Eie den 

Zweck diefer Notlüge Schnell durchichauen würden!” — 
„Sie waderes, treues Herz! — Ä 


Sie atmete tief auf und neigte den Kopf tief zur 
Bruft. Ich ängftigte mich jo ſehr vor Ihnen, Hans, 
und hätte ich Ihre Mutter nicht jo lieb, würde ich gewiß 
Shr Wort befjer beherzigt haben, aber ich fann nur immer 
wieder Ù das eine zu meiner Entichuldigung jagen: Sc 
ertrug es nicht, Die Siranfe fo qualvoll unter der aaier 
und Verzweiflung leiden zu jehen, welche fie ſchon vor 

der Zeit als eine Tote beklagt!” — 

Mein Wort beſſer beherzigt zu haben? — Ich per: 
ftehe Sie nicht, Aglas! Welch einer ESG bes 
durften Sie Hochherzige, Edler!” — 

Sie blictte ernft zu ihur auf. Ich bin in meinen 
alten Fehler zurückgefallen, Hans, ich babe Komödie 
geipielt und weiß es doch, daß Eie alle Berftellung. 
haſſen und mir fürs ganze Leben die Wahrheit zur edlen 
- Nichtfchnur gaben! Auh Sie waren ſtets wahr und 
aufrichtig im Leben, jelbjt Heute erſchteckend wahr, als Cie 
der Krauken jagten, daß nur eine febr ſchwere Operation 
‚fie vielleicht reiten könne! — Es war wohl Ihre Pflicht 
es zu thun, aber dennoch bat dieje Wahrheit ein armes 
Menjchenherz in bitterm Todes grauen erzittern laffen, und 
ich habe mit Frau Grete gelitten unter diejer entjeglichen 
Wahrheit. — Jits da nicht erlaubt geweſen, fie zu mil: 
dern, ihr ein heiteres Mäntelchen umzubängen, welches 
zwar Zug und Trug, aber doc) gar De und er- 
quickend war?” 

Er blickte ihr tief im Die Augen, — ein Gemiſch von 
Nührung und Bärtlichfeit kämpfle in feinen Ichönen Zügen. 


— 539 — 


„Wäre alle Comödie auf der Welt ſolch edler und barnı- 


herziger Natur, fo fünnte man Gott wohl nur auf den 


Knien bitten, alle rauen Meilterinnen derjelben werden 
zu lajjen! — Gie haben mich überzeugt, liebe Aglaë, 
daß e3 auch eine Comödie auf der Welt gibt, welche 
nicht verterflich, fondern im Gegenteil fehr geboten und am 
Plage ift, und daß wir rauhen Priciter der Wahrheit oft 
Wunden mit dem Flaͤmmenſchwert derjelben ſchlagen, welche . 
das weiche Frauengemüt durch den Zauber einer lächelnden 
Maske heilen mug! — Tragen Sie diejelbe dauernd vor 
dem Antlik, liebe Aglae, wenn Sie mit Mütterchen ver- 
fehren. Je heiterer und vertrauensvoller fie fich der Ope- 
ration unterzieht, deito günftiger für den Verlauf derſelben. 
tur noch ein oder zwei Tage halten Eie aus in Ihrer 
rührenden Pflege! Ich telegraphiere nachher an Schweiter 
Amélie, dağ fie uns zu Hilfe fomme und — — —“ 
„Schweiter Amélie?” — Die junge Frau zuckte zuſam— 
men, ihre Arme janten jchlaff an ihr hernieder. „Warm 
das, Hans? Ach bitte, ich beichwöre Eie — überlafjen 
Sie mir allein die Sorge um mein Pflegemütterchen !” 
Er fchüttelte erregt das Haupt. „Unmöglich, liebe 
Aglaë! Sie koͤnnen auf feinen Fall die Nachtwachen 
aushalten und aud) nod. tagsüber die Kranfe verpflegen | 
Cie ahnen nicht, welch furchtbare Anſprüche an eine 
Siranfenpflegerin geitellt werden! Amélie fann aud D 
der Operation zugegen jein, — fie ift Daran gewöhnt — 
Flehend hob fie die Hände. „Hans! fie bat voll rüh- 
render Innigkeit, „verjuchen Eie eg mit mie! Ihrer Mutter 


— 540 — 


wird der Verkehr mit einer völlig fremden Dame ungewohnt 
und aufregend jein, und mwenn Anne mir tagsüber etwas 
zur Hand geht, mute ich mir die Pflege getroit zu Neem 
Er legte voll tiefer Nührung die Hand auf ihren 
Scheitel. „Sie goldgetrenes, opfermutiges Herz! Ach 
bin überzeugt, daß Sie fih mit Einfag all Ihrer Kräfte 
der ſchweren Aufgabe unterziehen würden, aber der gute 
Wille thut es hier nicht allein! Um eine Echwerfrante 
nad einer Operation zu pflegen, bedarf es der größten 
Übung und Gejchidlichfeit. Oft ift feine Zeit, lange Be- 
fehle zu geben, die Diakoniſſin muß jelber wiljen, was 
fie zu thun hat, und zujpringen. Wenn Ihre Kräfte Sie 
verließen, wenn Sie beim Anblid einer blutigen Wunde 
ohnmächtig würden, könnte das größte Unglüd geichehen. 
Wollen wir uns alsdann unfer Leben lang die entjeglichiten 
Vorwürfe machen? Nicht aus Mangel an Vertrauen 
zu Ihrem guten Willen, Aglaë, jondern aus Vorſicht 
und Fürforge muß ich Schweſter Amelie fommen laſſen“ 
‚Sie war jehr bfeich, aber fie ſenkte gehorjam Das 
Haupt und ſprach leife: Wie Sie wollen und wünſchen, | 
DUB, — ich werde ein Zimmer herrichten A > — 
„Haben Sie Raum genug, Aglaë?” — a | 
Gewiß; die Herren Profefioren logieren i im n Schloß! — 
„Und Schweſter Amelie?“ — 
Bringe ih in meiner Stube unter! — 
„Wollen Sie das Zimmer mit ihr teilen? Das wird 
Ihnen jehr viel Unbeguemlichteiten verurjachen. a | 


Die junge Frau war bereits die paar Stufen, welde 


zur Küche führten, hinabgeeilt. Sie wandte ihr freund: 
lich Lächelndes Geſicht zurück „O nein! das wäre rid- 
ſichtslos von mir gegen die Dame, melche Die wenigen 
Ruheſtunden, welche fie findet, ungeftört bleiben muß! 
Sorgen Sie fich nicht, ich fomme fon unter! Das Haus 
ijt groß genug!” — Gie nickte ihm haftig zu und war 
im nächiten Augenblid verſchwunden Hans jchritt den 
Korridor entlang, um feine Kollegen aufzujuchen und zum 
Frühftückstiich zu führen. Er fab die Thür zu feinem 
Zimmer offen jtehen und trat mit fchnellem Umblick em. 

Ein Glas voll blühender Vergißmeinnicht und Roſen 
ftand auch auf feinem Tijd. Er nahm die Blumen erz 
regt zur Hand und meigte die Lippen darauf nieder. 
Dann jtellte er fic hinter den Vorhang auf das Fenſter— 
brett. Ihm war's, als jei die Zeit noch nicht gefommen, 
da er ſich ihrer rüdhaltlos freuen durfte. Noch breitete 
fich ein düſterer, forgewoller Schatten über Herz und 
Haus, und all jeine Gedanfen, all feine Kraft und 
Energie ftanden in dem Dienjt des Sohnes und Arztes 
und nicht in dem eines Meuſchen, welcher Ar ſich or 
hofft und wünjcht. -— 





PNPN —— ——— ——— CEE E SAO —— FRE SEEN ———— ———— ——— — 0 


E 4 





XXI. 


Herr, ben ich tief im Herzen Re 
fei du mit mir! 


as Große, Unfaßliche war geichehen! 

Alle Zeitungen ſchrieben's alle Zungen. er: 
zählten's, alle Kranfen jauchzten e3 hinaus in 
Die Welt: Proje for Burkhardts Operation ift geglückt! 
Das Mittel ift gefunden, welches der Bee aller 
Krankheiten ein Biel und Ende fegt” 

Was | Sahrhunderte hindurch ein Schreckgeſ ein 
unheimliches und un lösliches Rätſel geweſen, war erforſcht 
und gelöſt; ein blendender Lichtſtrahl war in die Finſternis 
gefallen, und wenn er auch noch nicht des Werkes höchſte 
Vollendung brachte, ſo zeigte er doch der Wiſſenſchaft 
den Weg, welcher zum Erfolg führt. — Burfhardts Hand 
hatte DaS düjtere Thor erjchlojjen, welches ihn bislang 
veriperrt, nun ftand e weit offen und winkte den J Jüngern 
des Hsfulap: „Rommt, lenkt ein in den neuen Pfad, 
welcher euch gemwiejen! — Noch gibt's manchen Stein 
und manches Hindernis aus dem Weg zu räumen, aber 





| Seibel, — 


hen 


ihr wißt jebt, wie ihr die Sache handhaben müht, welche 
Truppen img Feld gerante fein wollen, um ben Ergjeind 
zu beſiege! — — — MMMM 

Durch den Parf von Moosdorf führten — Mäder- 
jpuren des leinen Kranten- Faͤhrſtuhls, in welchen Frau 
Burkhardt jochen in das Schloß ldai war. Die 
großen, fühlen immer bildeten einen geeigneteren Aufent⸗ 
halt für die Patientin, welche nunmehr nur noch der Ruhe 
und jorgjamer Pflege benötigte, um bald alle Nachwehen 
der glüdlich uberſtandenen Operation zur überwinden, 
Hier in dem hohen, jaalartigen Eckſalon bemerfte man 
nicht Die fajt tropische Glut der Epätjonmertage und 
das wirtjchaft liche Leben und Treiben deg Barhthofes ver⸗ 
klang hinter den Anfaren des Parkes wie ein fernes Echo. 

Hans hatte voll unbejchreiblichiter Gefühle die Mutter 
auf dieſer erſten Ausfahrt begleitet, er hatte ME, mit 
perichlungenen Händen neben ihr unter. den mächtigen 
Platanen geſeſſen, um zu Laufchen, wie Aglas mit weicher, 
feelenvoller Stimme die Sonntagspredigt las, zu welcher 
die Dorfglocken ein heilig „Sa” und „Unten“ langen. 
„gobe den Herrn, meine Seele; und vergiß nicht, was 
er dir Gutes gethan !” 

Bater Burkhardt, deifen langes Lockenhaar binnen 
wenig Wochen zu Schnee gebleicht war, hatte jeinen Korb— 
jejjel dicht an die Seite des Stranfenmwagens gerückt, 
taltete feine ſchwieligen Hände um Die abgemagerten 
Finger ſeines Weibes und ftarrte mit feuchten Bücken 
empor in. die regungslos grünen Baumzweige, durch 


welche der Himmel mie ein u Beahlenb- blaues Auge auf 
ſolch unausiprechlich großes. Glüd hernieder lächelte, 
Seine Grete war genejen und gerettet! Geine Grete 
blieb bei ihm, fie war ihm wieder gejchenft durch, Gottes o 
Gnade, welche in dem Wert ſeines Kindes groß und 
mächtig gewejen war bis zum Wunder. . 
Ä Hatte er e$ verdient, er der voll Trog und Eigen: 
willen dem Sohn die Berge in den Weg türmte? Der 
ihn von fid wies ‚ihn ungern. und darben. Tie, weil er 
in unernüdlichem und begeiftertem Fleiß die Hände regte, 
ein Bollwerf zu bauen, an welchem des Todes Senje 
zerjchellen mufte, die Seale, welche das fenerjte anb 
liebſte Leben bedrohte! 
Mit einem Gefühl beinahe andächtiger Ehrfurcht 
blickte der alte Mann auf feinen Sohn, welcher das 
Größte vollbracht, das in eines Menſchen Kraft fteht. 


— Und wäre er Qandmann geworden, und hätte er jelbjt 
' Millionen verdient, er hätte dennoch als Bettler an der 
Iotenbahre der Mutter gejtanden, als ein hilflojer, ohn- 


mächtiger Mann, deffen inbrünftigftes Flehen den bleichen 
Engel nicht zur Umkehr vermocht hätte. — Nun aber 
hatte er, der arme Profeſſor, jeinen Bater reicher gemat, 
wie alle Könige der Welt es je gekonnt! — Und der 
Nite neigte Das Haupt zur Bruft, als drüce ihn ein 
ſchweres Schuldbewußtſein nieder, 1 = 
Die friſche Luft hatte die Nefonvalescentin ermüdet = 
und ihr Mann, welcher feiner andern Hand den Blag 
am Wagen gönnte, hatte die Schlafende behutſam zurüf 


— 545 — 


gefahren in die große Gartenhalle, woſelbſt Aglas ihren 
gewohnten Platz neben ihr einnahm. Hans trat wieder 
zurüc unter Die jchattigen Bäume und ſetzte fich nieder; 
er jtüßte das Haupt in die Dan und träumte mit offenen 
Augen. 

Koch klangen und — die Gloden durch den ſtillen 


Sonntagsmorgen, und vor feinen Ohren tünte noch immer 


Aglass liebe Stimme: Lobe den Herrn, meine Seele!” 

Da zogen die legten Wochen mit all ihrer Aufregung, 
ihrer Todesangſt und Corge noch einmal an jeinem 
geiftigen Auge vorüber. — Er fühlt noch einmal den 
Schreden durch feinen Körper riefefn, als alles unaufjchieb- _ 
bar zur Operation bereit, und nur Schweiter Amelie er: 
wartet wird. — Bmeimal jhon ijt der Wagen zur Station 
gefchieft — das dritte Mal bringt er eine Depejche heim. 
— „Amélie jchwer geſtürzt — Bruch in der Hüfte. 
Befindet fich in Behandlung des Profeifor Normann.” 
— Hang jtarrt entjeßt auf das Unglücksblatt hernieder. 

„Barmherziger Himmel — was mm?!“ 

Eine weiche Hand faßt flehend Die feine. „Das ift 
Gottes Schickung, Hans!” flüftert Aglaë, „ich bitte Sie 
von Herzen, verjuchen Gie es mit meiner Hilfe!” 

Er ftarrt fie ratlos an. „© Aglaë, — Sie ahnen 
ja nicht, was Sie unternehmen wollen! !” ftöhnt er auf. 

Der Ausdrudf ihres Angefichts macht ihn betroffen, 
„3h weiß es, Hans, und ich wiederhole meine Bitte!” 
Profeſſor Bahr! en tritt heran. — Er nickt der jungen 


guma voll ftolzer Freude zu; „Bran fo, kleines Frauchen! 
No Eidftrutý, IM Rom. u. Nov, Comödte IL 35 


ae 


Gewiß wollen wir Ihnen unfere teuere Kranke anver- 
trauen! — Bei der Operation felbjt bedürfen wir ja 
feiner Hi (fe, lieber Burkhardt, wir find vollzählig gemug, 
— mm, und nachher unterjtüßen wir Frau Aglaë nad) 
Kräften, dann wird e8 ihon gan 

Eo wars gejchehen. — Als aber die Mutter bercit 
lag, narfotifiert zu werden, umflammerte fie plößlich 

Anlaes Hand. „Du blabjt do bei mir? EDE ſie 
mit zitternder Stimme. Se 

Gewiß, Tantchen, ich bleibe!“ 

Die Augen der Stranfen blieben jtarr auf fie gerichtet; 
fic wollte es vermeiden, ihren Sohn anzujehen, um ihn | 
nicht durch ihren Blid zu beeinfluffen. | 2 

Hans zögerte erjchroden, und die Herren fahen einz 
ander betroffen an. Aglas bleich aber ruhig 
und entjchloffen aus. 

Das Chloroform. begann zu t wirken, feſt, beinahe 
krampfhaft prefite die Krante dieF Finger der jungen Frau. 
— „Ich tann nicht fort, forgen Ste fidh nicht um mich 
hauchte fie Hans zu. Langjam ſchob fie fidh zur Excite, 


um jo wenig wie möglich Pla am Operationstifch einzu 
nehmen, und in der anjtrengendften und unbequemjten ER 
Stellung mit weit ausgejtredten Arın verhatrte fie 


regungslos. — Man Schritt zur That. a 
Während der Ausführung Derjelben hatte Hanë die 
Anweſenheit der Freundin vergeſſen; ruhig, kaltblütig 
und beſonnen waltete er feines ſchweren Amtes. Der 
Augenblick der Entſcheidung drängte jedes andere Em— 


Se 5AT — 


pfinden in den A. er war a, nur Ra, und 
jeine ganze Seele wurzelte in dem erften, neuen Verſuch, 
welchen er wagte. Später erft, als alleg vorüber, jchaute 
er jählings enpor. Aglas ftand unverändert, leichenhaft 
blaß, mit großen, weit aufgeriffenen Augen, in welchen 
ſich die Folterqualen ihrer Seele jpiegelten. 

Behutjam befreite fie die Hand, mechanisch den er- 
itarrten Arm durch tangia mme Bewegungen wieder gelenkig 
machend, 

Hans atmete schwer auf. „Schnell en Glas Portz 
wein!“ flüſterte er. 


Sie flog lautlos davon, fehrte mit einer J die und 


Släjern zurüd und ftellte fie auf den Nebentiſch 
Hans jchüttelte den Kopf. „Sur Sie oR 
Sie machte eine abwehrende Bewegung. Ihre Wangen — 


begannen fid wieder zu röten. Aufmerkſam beobachtete Mn 


fie die Mienen der Herren, — reichte zu und nahm ab, 
— räumte Überflüfjiges fort und jorgte, in beinahe 
ſchattenhaſter Weiſe hin und her gleitend, für eine wohl⸗ 
thuende und angenehme Ordnung im Zimmer — Hans 
wird es nie vergeſſen, wie fie gejchäftig auf die Erde 
fniete, das Waſſer des geſchmolzenen Eiſes mit einem 
Tud anfsutrodnen, wie fie die. jchweren Eiseimer aus 
dem Wege hob, neue Wäjche bereit legte und gu- 
reichte. | 
Da war fein Schritt unnüß, feine Bewegung zu viel 
oder ftörend; fie las die Wünjche an den Mugen ab und 
erfüllte fie, ohne lange zu fragen. Still, leije, jorgiam, 
35* 


wie ein freundlicher Geiſt waltete fie, von allen bean 
fprucht und von niemand empfunden. ae 
„Wackere, prachtvolle, feine Frau! —”’ mürmelte 
Bahrlen mit wahrhaft begeiftertem Blid der Anerkennung. 
Wie war es nur möglich? — Hans erjchien alles ein 


Traum! — Dies mar Aglaë? — Diefelbe Aglaë vot 


ehedem, welche fich empört die Ohren au wenn von 
einem Schnupfen die Rede war? | ` 

Wo hatte fie dieſes Samaritertum elen? Siow, 
fie übte es initinftio. Und fie, fie hatte er damals 
zurücgewiejen von feiner Klinif, mit beinahe harten 
Worten an ihrer Befähigung zweifelnd! — Ein wunder- 
liches Gefühl zertiß fen. Herz. Eine heiße, iunige Be- 
wunderung und ein bejchämendes Schuldbewußtſein — 
Wie war's aber auch nur denkbar? Wie fann fidh ein 
Frauenherz in ein paar Jahren voll fchwerer Schickſale 
bis zur Unfenntlichfeit verändern? — In Romanen lieft 
man wohl dergleichen, aber im Leben? .. . Und nun 
war's dennoch Wahrheit! Nun fehaute er folh eines 
Raͤtſels Löjung mit eigenen Augen! | 

Der Kern war ja immer gut gewejen, nur die Schale, 
die war das funjtvolle, ummnatürliche Machwert einer ver— 
fehrten und verwerf lichen Erziehung, wie fie ın den großen 
Städten nur allzu modern geworden ift. Da fticht der 
Wurm manche Blüte, und wenige nur tragen trotzdem 
edle Frucht, wenn noh ein Semitterfiurm dieſelbe padt 
und ſchüttelt und das giftige Infekt nod) rechtzeitig aus 
ihrem Kelche herausschleudert! Täglich, ftündlich erquickte 


— 5 — 


ſich fein ba a an dem Anblick — welche die Kranke 
pflegte, beſſer und zuverläſſiger als es jemals eine Fremde 
gekonnt! — Und welche Freude für feine Mutter, als 
fie erfuhr, daß nur ihr liebes Pflegetöchterchen fie warten, 
hegen und bejorgen fole! — „Nun erit glaube ich es, 
mein Hanjel, daß ich nicht zum Tode frank bin, weil 
du feine Diakoniſſin holit, ſondern mit Aglaë und Der 
Anne allein fertig werden willft! Da fann e8 doch wohl 
nicht jo ſchlimm mit mir ſtehen, wie ich mir eimbildete! 
Und welch behagliches Gefühl, feine fremden Gejichter 
um fich jehen zu müffen! Sch hätte mich doch gewaltig 
vor einer barmherzigen Schweiter geniert und mich ficher- 
fich mehr aufgeregt darüber, ala mir gut wäre! So 
aber iſt es gar traulich und altgeivohnt, und wenn ich 
meine Aglaë nur bei mir weiß, danu bin id icon halb 
geſund!“ 

Dieſe offenherzige ÄAußerung der alten Frau ſchnitt 
es vollſtändig ab, eime andere Aushilfe für Schweſter 
Amélie zu — denn dieſelbe hätte leicht die fixe 
Idee bei der Pächterin erzeugen fünnen, daß die Krant- 
heit eine ernjte Wendung genommen, und welch bedent- 
liche Folge eine derartige Gemütserregung mit ich bringen 
fonnte, wußte Hans als Arzt nur zu genau. — (Er war 
aljo gezwungen, Aglaës großes Opfer unbedingt angu- 
nehmen und ihr- die on Laft e einer dauernden Pflege 
aufzubürden. = 

Welch auferorbentfiche Anforderungen an ihren Opfers 
mut und ibre vennin Herzene gute geſtellt merom, das 


— 550 — 


fah er täglich aufs neue, und das Herz brannte ihm in 
heißer, inniger Liebe und Bewunderung für ein Wejen, 
welches in wunderbarfter und köſtlichſter Wandlung Flitter 
und Truggold von fich gejtreift, um ein paar Seraph— 
Ichrningen dafür einzutaufchen.. SE 

Unvergeßlich ift ihm eine Nacht unter den vielen auf- 
Tana. gemena in Angſt und Sorge durchwachten 
Nächten geblieben. | 
Die Krije war überftanden, die Kranke lag in fieber⸗ 
freiem, tiefem Schlaf der Erquidung. Hum erjtenmal 
war auch Aglaë in dem großen, ledernen Sorgenjtuhl, 
nebenan in dem Wohnzimmer, eingejchlafen. Sie regte 
fih nicht, als Hans lautlos über die Echwelle trat. Jhr 
Haupt war feitlich an die Kopflehne gefunfen, die Hände 
umfaßten die beiden Holzknäufe der Eejjelarme. | 

Er ftand ftill vor ihr und fah fie an. Eeit Langer 
Zeit fonnte er ihr Antlig einmal wieder ohne Die rofigen 
und trügeriichen Schleier eines ſtets heitern Qächel 18 
ehen; fie wandte das Köpfchen nicht haſtig zur Seite 
und wich nicht feinem Blide aus wie fonft, wem. fie 
merkte, daß er ihr forichend in das Geficht fchaute. 

Segen das jehwarze Leder des anie bob fidh das 
ihmale Oval der Wangen in marmorner Bläffe ab, und 
um die geichloffenen Augen lagen dunkle Schatten, welche 
durch die langen, geneigten Wimpern nod) vertieft wurden. 
— Die Nachtwachen und Anftrengungen hatten ihre 
Spuren in das junge Angeficht gezeichnet, e3 verratend, 
wie jchwer Die Ichte Heit auf dieſem Haupt gelajtet, und 


— 5 — 


dennoch ſchwebte ein Süßes, glücjeliges Aufatmen um die 
Lippen, dasjelbe, mit welchem fie furz zuvor die Hände 
gefaltet: „Gott fci Lob und Danf — das Fieber ift 
überwunden!” — Keine Ermattung, fein Verdruß und 
feine Übellaunigfeit einer übermüdeten und abgeheßten 
Würterin, nur das a 

jelige, friedliche Be— 

hagen einer treuen 

Tochter, welche die 

Augen in dem Ge- 

danten geichlofjen: 

„Mütterlen wird 
genelen!” 

Der Schlafftreiit 
die Musfe von dan 
Antlib der Menſchen, 
er zeigt wahre Ge— 
fühle, und wo er 
jeine mächtige Hand 
auf die Stirn legt, 
da weicht die Ver: m 

Stellung, da löjen fich fünftlich geframte Mienen auf 
in Schlaffheit und Natürlichfeit — fets im guten oder 
im böfen. 

Und in Aglaës Anklitz ſteht es voll rührender Beidh- 
heit und Milde, Daß fie alles, was fie geleiltet, von 
ganzen Herzen gern gethan! | 

| Hans ift es, alè müſſe er in diefem Autlitz nach der 





— 552 — 


ehemaligen alten Aglaë forjchen. — Kein Bug von da- 
malā — es ift, ala habe eine jchwere, harte, und dennoch 
heilige Vaterhand über dieſes jchöne Geficht geſtrichen, 


um alles darin auszulöjchen, was früher im —— o 


der Welt zum häßlichen. Matel geworden. 

Und weiter jchweift fein Blick über ihre zarte Kinder: N 
geitalt, welche dennoch fo tapfer und energiſch den dor 
nigen Weg zum Biel gefchritten. Nichts Schwaches und 
weichlich Hinfälliges haben dieſe Glieder; ſelbſt jetzt nod), 
nach der anſtrengenden Beit der ſchwerſten Krankenpflege 
zeigen fie Kraft und Friſche Und die kleinen Hände, 
welche ehemals jo blütenweis in trägem Nichtsthun, 
demantgligernd im Schoß gelegen, — Hans jchridt zu- 
fammen und ftarrt beinahe entjeßt auf dieje Hände nieder, 
— Herr des Himmels, wie jehen fie aus! Rauh, ge- 
rötet und verarbeitet, durch das viele Eingreifen in Eis 
und Eiswaſſer aufgeiprungen und angejchwollen. Arme, 
mißhandelte ‚Händchen, i Tomme moria wie bei 
einer Magd! | 

Glühend heiß Tteigt bad Blut in Wengen und Etim 


des Profeſſors empor, ihm ift’s, als wolle ifn fein Herz- = 
ſchlag erftiden. Der Aublick diefer Hände ergreift ihn 


faſt noch mehr, als der der Bettlerin auf der Bühne, - 
denn diesmal mifcht fich in fein Mitleid tiodh die tieffte 
Nührung und Dantbarkeit. | 

Er weiß nicht, wie es gefommen ift, aber er fniet 
bor ihr und preßt die on Ian a Piei 
Hand. 


— 553 — 


Cie zuckt empor: „Wacht fie?” — flingt'3 erichrecdt 
über ihre Lippen, dann ftarrt fie, nou) halb Ihlaftrunten, 
auf den Knienden Cie begreift nicht. — Sie jchridt 
empor, fie wähnt, daß er vor ihr — weint 

„Hans — was ift geichehen?!” 

„Bu viel des Guten und Barmberzigen für uns, 


Aglaë!“ murmelte er erregt, — „diefe Hände! Diele 


armen, einen Hände — und alles für uns!!” 
Sie haut auf ihre Rechte nieder, welche er abermal 8 


an die Lippen zieht. — Ein tiefes Aufatmen — fie 


ſchüttelt abwehtend ihr erglühendes Geſichtchen. 

Aber Haus, welche Thorheit!” lächelt fie. „Schlimm 
genug, Daß ich verwöhntes Gejchöpf ai einmal ein 
bißchen falt Waller und Eig ungejtraft vertrage! Nun 
bringen mich dieſe empfindlichen Singer auch noch um 
menen Schlaf! — Abjcheulich, Hans, ich träumte jo 
ihon e 

Er lacht mit ihr, aber er jchlägt fid gegen die Stirn. 
‚Dich Narr! Ich rüdfichtstofer Gefell! Vergeben Sie 
mir, Aglaë!” — und abermals drückt er ihre Hand. — 
Ich weiß felber nicht, wie's über mich gefonmen ift! 
Aber der Anblid dieſer armen Fingerchen ſchnitt mir 
ins Herz. Bitte gehen Sie in Ihr Zimmer und legen 
Sie fih zu Bett! Mutter fchläft tief und fejt, und ih 
bin ja da, um fie beim Erwachen zu bedienen!” 

„Sie find felber gewiß febr müde! Und ich I 
mich ſchon völlig ausgeruht!“ 

— „Serge| iS Sie nicht, daß ich geftern ay den ganzen 


— 


Tag gejchlafen. habe! — die Zeitungen möchte ich no) o 


fejen, die Artifel meiner Widerſacher interejjieren mih 
lebhaft und werden, angelichts der, Gott fei ob und 
Dant, jo ruhig Schlafenden nebenan, feinen bittern und 


deprimierenden Beigejhmad mehr für mic haben! Sie —9— 
aber, liebe Aglaë, werden noch einen fräftigen Imbiß zu 


jich nehmen, ehe Ste fidh niederlegen! Lachen Sie nur! 
Hätten Sie meinen Wunſch nicht erfüllt, während der 
Nachtwachen verjchiedentliche Speiſe zu fidh zu nehmen, 
ftünden Sie mir jebt nicht jo friich und wohl gegenüber, 
wie Sie e8, Gott fei Danf, m on o — 
Weiſe thun!” 
Aglas nidte plöttic fehr — Se Theorie hat 
entjchieden etwas für fich; es ift wunderbar, wie Das 
Eſſen während jchlaflofer Nächte Die Nerven erhält! Ich 
habe faum ein Unbehagen empfunden, wenn ich Ihr Ge- 
bot befolgte, während ich mich ſchwach und matt fühlte, 


wenn ich bis zum Srühfaffee Hungerte! Befolgen re n 


Diakoniffinnen dieje Maßregel ebenfalls?” — 
„Die Proteſtantinnen allerdings, bei den katholiſchen 
Schweitern, welchen das alten während. der Nachtzeit 
vorgejchrieben ift, fonnte ich leider dieſe wohlthätige und 
ſo ſehr notwendige Verordnung nicht durchjeßen, obwohl 
ich mich ſogar an den Rapft wandte, einen Dispeus zu er⸗ 
wirfen. Ich ward abjchlägig beſchieden und mand) arme 
Schweſter muß Kraft und Nerven frühzeitig dadurch ein- 
bügen. Je nun, gegen Glaubensjakungen darf man 
nicht anfämpfen, und obwohl ich fie herzlich bedaure, 


— 555 — 


bhewundre ich die katholiſchen Schweſtern in ihrer märter a 


haften Treue und Aufopferung doppelt.” 

„Bas darf ich Ihnen zu der Sandwichs eu 

Kaffee oder Wein 2 

Ich bitte um Re ffee, falls Sie n vorrätig 
Haben!” 

„Sr Steht berdi n 

Sie ging zur Rüde und febrte mit ton Sewünfchten: 
zurück, ſtellte Taffe und Kanne bequem bereit, ordnete 
Teller und Schüffel appetitlich auf Der blendendweißen 
Eerviette und entzündete den Spiritusbrenner. „allg 
der Slaffee gar zu extraktmäßig it, Steht das heiße Waller 
gur Hand. — E3 ift jeßt Mitternacht, Hans, um vier 
Uhr tomme id) und löfe Sie ab. — Gute Nacht! Wenn 
Sie irgendwelche Hilfe —— ange Gie, ich bin jo- 
fort zur Stelle.” | 

„sh danke Ihnen für all Ihre k Güte, liebe 
Aglad, möge Gott es Shnen lohnen!” 

Wie leer, wie einjam war e um ihn her, feit je ge- 
gangen, und dennoch wie traulich in dem Kleinen Gemadh, 
darinnen ihr Geiſt gewaltet. Das Waffer ſummte und 
braufte im Keſſel, und Hans ftarrte lächelnd über Die 
Zeitung hinaus ins Leere. Da ſpannen jeine Gedanken 
einen leuchtenden Schleier, den ſenkten die Genien der 
Liebe zärt lich über A Haupt. 

An andern Morgen war er in ben Garten gegangen, 
fi) in der würzigen Luft zu erfrijhen. Er fah. Aglaë 


— 56— * 


nahe dem niederen damga auf einem Gemüſebeet 
ftehen, — Dore trug einen Korb voll Salat und Bohnen 
davon, und Die junge Frau pflücte noch die würzigen 
Kräuter zu einem Strauß; in ihrer Hand dufreten fie 
föftlich, aber nicht poetiſch. Da hob ſie den Kopf und 
ſchaute nad) der Hecke Auch Hans blickte Hin, weil er 
ein lautes: „Onten Morgen, Frau Aglaë!” vernahm. 
Er hemmte unmillfürlih die Schritte und blieb hinter 
den hohen Etangenbohnen zurüd, denn er wußte im eriten 
Augenblick nicht, ob die mächtigen Florentiner Strohhüte 
mit den wehenden blauen Echleiern zwei Damen: oder 
Herrenföpfen angehörten. Aber er überzeugte fich bald. 
Aus dem Chaufjeegraben, welcher fie momentan zur Hälfte 
verjchlungen, tauchten zwei hünenhaft Elobige Männerge- 
falten empor. — Beide ganz gleichmäßig in hellgelben 
Nanking gekleidet, beide roja Srawattenichleifen unter dem 
Doppelfinn, beide dieſelben Karlchen- Misnidhüte mit dem 
wallenden Touriſtenſchleier, welcher im. leichten Luftzug 
die geröteten Stiernacken fächelte — Dide, friichfarbige, 
ganz gleichmäßig arinjende Geſichter mit Najen, als habe 
man einen Sıchlagbaum hochgezogen, und vier riefengroße 
rote Faͤuſte, welche je eine Piane. des Baunes als Stutz⸗ 
punkt umfrallten! 

„Outen Morgen Fran -o flang’ a tempo aus 
dem Munde der diden Kerle, und beide Strohhüte n 
bornüber. 

„Outen Morgen, meine Here nickte Aglaë, — 
ernjthaft oder lächelnd fonnte Hans. nicht jehen, denn ſie 


sepor — 


kehrte ihm den Rücken zu, aber fie büdte J 
und pflücte noch ein paar Stengel PBeterfilie 

„Bir fommen wegen der Frau Burkh ardt“ Klang’ 
doppelſtimmig über den Baun. 

„Ah jo!” — Die Vicomtefje von Saint [orain trat 
einen Schritt näher und mußte wohl oder übel cine der 
Hände ergreifen, welche ihr jtoßvogelartig entgegenſchoſſen: 
„ort freundlich von Ihnen, daß Sie fid) erfundigei, 
Gott jet Dank geht es unjerer teuren Kranken ganz nach 
Wunſch, und farm man ihr nun mit aller Beſtimmtheit 
zu der vorzüglich gelungenen Operation gratulieren. — 
Sind Gie denn ertra wegen diejer Anfrage von Adlerhof 
herüber gefahren: ? — Dann bitte ich doch), daß Eie näher 
treten! 

„Ach nein, — näher treten jollen wir nicht, — Mama 
fürchtet immer noch), es fünne anjteden!” — wehrte Dol- 
phele ängitlich ab, und das fühnere Wolfele machte ein 
verliebte Geficht und fuhr fort: „Die Hauptlache war’3 
ja, daß wir Sie jahen, Frau Aglae! 

„So? — Mecht allerliebit.“ 

„Den Profeſſor werden wir ja noch ſpäter fennen 
lernen, wenn Mama ihn einlädt! Er ift doch ein be- 
rühmter Mann jet, und Mama meint, er fünne einem 
vielleicht nod) "mal nutzlich fein!“ | 

„Sa, ein jehr berühmter Mann!” 

„Und verdient wohl auch ein Heidenged? Mama 
jagt, die Doktoren jchneiden den Patienten lauter Gold- 
ſtücke aus den Rippen!“ inquirierte Wolfele mißtrauiſch 


Ta 


„Profeffor Burkhardt ift bekannt wegen feiner über 
großen Wohltätigfeit, da bleibt nicht viel von dem jaucr | 
erworbenen Geld für ihn übrig.” 

„Sehr. dumm von ihm! — entrüftete fich Bolphele, 
fein Zwillingsbruder aber warf fich in die Bruft, dağ 
der weiße Strohhut nach hinten flog: „Alfo gar feine 
gute Partie! Mama jagt, von der Ehre allein lebt 
man nicht, und die berühmten Leute ruten meiſt darum 
auf ihren Zorbeeren, weil fie die Betten verſetzt ON 

„Aber Herr Grauchenwies!!“ 

„Wie lange bleibt er denn noch hiar 

„Hoffentlich recht, recht lange!” —— 

„Sie haben ihn wohl fehr gern, was?!” 

„Schr gan!“ 

„Die Siebe allein nacht aber nicht fatt, und Cie 
haben doch gar nichts mehr, ſeit hr, M tamt und Nater 
durch die Lappen find?” a | 

‚ein, gar nichts mehr, faum nod) Gebußo!i n 
amüfierte fich die junge Frau mit hochroten Wangen, 
nickte, al ob fie zwei Kinder abfertigen wolle, und wandte 
jich zum Gehen. | 

„rau Aglaë!” o 

Wunſchen Sie noch etmas 2” 

„Sie haben jo fchöne Rojen im Garten!” 

„Die darf ich nicht abſchneiden!“ 

„Beben Sie ung Doch irgend etwas in das Knopfloch! i 

„Sleicyviel was?” 

A tempo dröhnten Die beiden Fetiyranien auj ben 





u 


ſteifgeſtärkten Vorhemden Dolphele und Wolfele be— 


teuerten mit breit gezogenen Mäulern und einem Schlag n 
auf die Männerbruſt „Ganz Wurit was! — Rem 


Cie ung nur em Audenten geben! Mama meint naͤm⸗ 
U g a \ | 2 

Sie ſtießen fig abermals gesefeig — an und 
verſtummten 

Sie meint nämlich? . un, mas meint K denn‘ Be: 

Wolfele faßte Mut: „Sie hätten ein Muge auf den Proz ä 
— geworfen und wollten von andern nichts. 
Wir ſollten uns nur feine Schwachheiten einbilden . 
wir wären ja ganz dumme Buben gegen Cie... 

Aglaë late hell auf: „Um jo mehr fanu ich Ihnen 
doch eine harmloje Freude bereiten! Sehen Sie mal, 
welch eine ſtolze Dekoration ich Ihnen verleihel Friſch 
und eigenhändig ausgezogen, = — im Knopfloch gez 
nau aus, wie eine T — Hier ſchmücken 
Sie fig!" BR | 

Die junge Frau hob fih ibermütig gef die ——— 
und reichte zwei dide, rote Radieschen empor, welche mit 


ti 


triumphierendem Ah!“ Der Srinat iring in mr e 


genommen wurden. — 

„Und Sie meinen — ins Knopfloch““ 

„Semiß !” 

„Wein Hemer Nettig jieht aus wie ein Herz!“ pe 
merkte Wolfele Iyrifch. Dann quetichten fie das Kraut 
durch Die Sinopflöcher, daß die grime Drie in den 
mere Nanfing flok. 


— pöl 


„Sieht fehr apart aus!” — 

„Biloihön —!” 

„Adieu meine Herren — glüdliche Reife!” 

„dien, Frau Aglaë, ſchönſten Dant!” — Die 
Strohhüte ſchwippten, die Radiesſchwänzchen zitterten 
in die warme Luft hinein, und die blauen Schleier 
wallten; dann dudten die Söhne der Frau Crescentia 
in den Graben zurüd und waren entichwunden. — — 
— Hans aber amüfierte ich föniglich, die Bekanntſchaft 
des landberühmten SU Nennen per distance gemacht 
zu haben. — — 


— — — — — — — — — — — — — — — — 


Und auch jetzt lächelte er in dem Gedauken an dieſe 
fleine Scene. — Er Hatte feit der Zeit die beiden Nitter 
ohne Furcht und Tadel öfters in der Nähe des Moos— 
dorfer Partes und Echlojfes herumpirjchen fehen, und 
Agla mit ihren beiden Anbetern genedt; fie hatte voll 
Humor geantwortet und nur jchmerzlich bedauert, daß 
ihr die Wahl zwiſchen den beiden Inſéparables fo fehr 
erichwert werde, einer fei genau fo unmiderftehlich wie 
der andere! Etwas ernithafter aber hatte fie eines Tages 
bemerft: „Segt, da ich den Wert und die Maht des 
Geldes kennen gelernt, bedauere ich um fo jchmerzlicher, 
wenn fih fo viel Kapital unter Händen anjammelt, 
welche nicht angetan Im, ihm ——— Verwalter zu 
ſein“ — 


Er lächelte. „ch alaube, Aglaë, Sie ſehnen = im 
N v Eihftruth, IA Nom. u Nov, Comöpdie II. 30: 


562 ~ 


ſtillen doch nad) ihren | Millionen urii, wenngleich — 
die Zeit ihres Reichtums als eine unglückliche e pers 
forene bezeichnen” 

Sie en jählingS empor, ihr Auge leuchtete heiß 

auf. O Dans, was gäbe ich. darum, hätte ich jebt all 
das Gelb, welches ich ehemals fo ſinnlos vergeudete |” — 

„Bas würden Sie damit beginnen 2“ 

Sie wandte fich) erglühend ab. „Das jage ich nicht!“ 
Der Profeſſor aber dachte im Herzen: „Gott fei Lob 
und Danf, daß jene Beit und jenes Geld unmiederbringlich 
ind, fie waren Die feindlichen Mächte, welche dich von 
meinem Herzen getrennt!” 


Nachdeuklich blies Hans die blauen Dampfwöltchen 
feiner Cigarre in die flare Sonnenluft hinein. Ein leichter 
Windhaud) regte jlüfternd das Piatanenlaub über feinem 
Haupt, und die Stirchgloden verſtummten mit einen 
lebten, weichzitternden Klang. Still und feierlich lag 
die Welt im goldigen Strahlenglanz. — 

Warum zögerte der Profeſſor noch, um die Heiß: 
und Treugeliebte zu werben und fie zu eigen zu nehmen? 
Hatte er nicht ein glänzendes Ziel erteicht, hatte er nicht 
Daheim ein bereits anjehnliches. Vermögen eripart, mit 
welchen: er, dem Bater zur höchiten Überrafchung, Die 
Moosdorier Hypothek abtragen wollte? Nannte man 
jeinen Namen nicht in der ganzen Welt voll Achtung g 
und Dankbarkeit? Seinen einfachen, ſchlichten Namen, 


5 


den wohl ein Lorbeerfrang des WVerdienftes, aber feine 
Krone und fein Wappen jchmüdt! — — 
Das war es — Ihn klingt Aglass Stimme noch 
fo unvergeſſen in den Ohren: Michts, nichts will und 
verlange ich von meinem Mann, als eine tange Ahnen: | 
reihe und einen vornehmen Namen! aoo | 
Das ijt jedoch lange her. — Eie fand den. Gauen, 
welcher ihr das Erſehnte bot, und welcher ſie dennoch 
unglücklich machte, elend und verlaſſen bis zur Verzweif— 
lung. Jene Aglae ift ko eine neue aber ift auf- 
eritanden, und diefe Neugeborene hat abgeichlojfen mit 
der Vergangenheit. Was hat ein armeg, fug- und 
wehrloſes Weib, welches von dem Erbarmen feiner Freunde 
(ebt, noch für Anforderungen zu ftellen? Keine, höchftens 
die — glüclich werden zu wollen. — Glüclich nicht 
durch Geld und Krone, jondern durd) die Liebe. Der 
aber jagt ihm, ob Aglaë ihu liebt? a 
Manchmal glaubt er davon überzeugt zu fein, ein 
Blick : und wieder und wieder kommen Die unglück— 
jeligen Zweifel! — Was jie hier im Haufe gethan — 
ift geſchehen aus Liebe zu ihm — oder aus Dankbarkeit 
gegen ihre Wohlthäter? — ae 
Range genug hat ibu der Gedanke gequält. Aber 
die Ungewißheit, Diejes Hangen und Bangen wird ihm 
unerträglich. Er will und muß fie fragen, er will es 
aus ihrem eigenen Munde hören, ob er wirtlich 
Glücklichſten der Menſchen geboren ift! 


Und wie nun, wenn fie es aus Dankbarkeit wicht 
ee 


— 6 


wagt, feine Hand auszufchlagen, wenn fie ihr Herz zum 
Opfer bringt, um die Schuld abzutragen, BER ſie gegen — 
ihn und die Eltern verpflichtet? — = 
Entſetzlicher Gedante? — 

Hans neigt die Stirn auf die Hand und ftarrt ſchwer 
atmend vor fidh nieder. Gibt es denn fein, gar fein 
Mittel, um ihr Herz heimlich zu erforfchen und lautere 
anche zu erfahren? 

Er hat fo viel in. bei Angefichtern der Menjchen qez 
leſen Freude, Schreck Glückſeligkeit und Entſeßen, warum 
fo er mit blinden Augen vor Aglas ſtehen und es nicht 
in ihrem Blid lejen, was fie empfindet, wenn ee 
von feiner Liebe prich — | — 

sa, er will forſchen, lejen und enträtfeln, — er will 
nicht. an fich, jondern an ihr Glück denken, wenn er 
Antwort heiichend in ihr liebes Antlıg fieht. Aber Gewiß- 
heit will er haben, er erträgt es nicht mehr, täglich mit 
‚der Geliebten zu verfehren, ihre Hand in jreundichait- 
lichem Gruße zu umſchließen, ohne das Redt zu haben, 
fie faffen und halten zu fünnen für alle Ewigkeit. — 


Hans erhob fich haftig. Seime Hohe, kraftvolle Seftalt 


wuchs empor in jtolzer fie, feine blauen Augen 
leuchteten auf. — 

Dort auf der Terraſſe zeigt ibm glass — 
Kleid den Weg zum Glück, möge Gott o auäbig 
helfen, daß er es fürs roen nipel — 


— — — 





XIV. 


Iſt es — ips ein Wahn? — 
2 ‚Rind 


A schein. Eein blondes Haar leuchtete noch immer 

Wa jo goldflar, wie es Aglaë als Kind oft voll 
rien. Entzückens durch ihre kleinen Hände gleiten ließ 
und ſprach: Ich möchte weiter nichts von dir beſitzen, 
Hans, als diefe gelben Locken! — in die bin ich rein 
vernarrt! Dann trüge ich auch ein goldenes Strönchen 
und würde juft fo ausjehen wie die Prinzeſſin in meinem 
Märcenbuh! Dann fäme wohl ein Königsſohn und 
freite mich, und idh würde eine wirkliche und wahrhaftige 
Königin, — dağ mire für mich das na en u 
Welt!’ — / 

Dort auf der. Terraffe, hatte fie es gejagt, > ihr 
weißes Kleid ſchimmerte ebenjo, wie e3 jebt wieder durch) 
die Dleanderbäume leuchtet. — Seltfam — warum deucht 
ihm alles wieder wie früher? — Wird nicht der Kommerzieu⸗ 
rat im goldgeſtickten Schlafrock dort am Fenfter erjcheinen ? 
Wird nicht Fräulein Agathe im höchſten Sopran die 
Gnadenarie im Mufiffalon anſtimmen? Hans jchreitet 





ochklopfenden Herzens ſchritt er — Some o 


= nn > 


unwillkürlich lanſemne, als fürchte er, ein hochnafiger 


Diener werde ihn auch jet unmirfch anfchnarrn: „Ra, 
Junge, was treibft du dich denn ſchon wieder hier herum?” 


Der Profeffor ftreicht über die Stirn, als wolle er fih 
aus Diefem Traum wegen. Aber er wird immer feben- 


diger. Hört er nicht Aglae lachen, fo jcharf und ipöttifch, 3 


wie fie es mceiltens that, wenn irgend eine mißliebige 
Perfönlichkeit ihren Zorn gereizt, oder wenn fie ihren 
Freund Hans mufterte, und jeine fommerliche Pelzmüse, 
jeine verwachfenen Hoſen und ſeine zu — e 
ärmel ihre unbarınherzige Heiterfeit erregten? — 
Welch ein Abgrund zwiſchen ihr und ihm! Die Sohlen: | 
des Millionärs, welche ironijch die Lippen Fräufelt: — 
„Dottor willjt du werden ? — lächerlich! für mich eriftieren 
nur Menjchen, welche jehr reich und fehr vornehm find!” 
Wollte er wahrlich in diefem Augenblid hingehen 
und um die nämliche Aglas werben, daß fie fein. Weib 
werde? — Nein, das will er nicht, denn jene Aglae 
der früheren Beit ift unter weißen, dornigen Roſen zu 
Grabe gelegt, eine andere aber ift Statt ihrer auferftanden, 
Die Steht arm und demütig vor ihm und lächelt mit verz 
Elärtem Blid: „Sa, Hans, ih will brav und gut bleiben!“ 
— Gie reicht ihm die Hand entgegen und fpricht: „Wäre 
ich die Kranke, ich würde mich ohne Befinnen Shren 
Händen anvertrauen!” — — Und diefe Agla& liebt er 
noch weit inniger und leidenfchaftlicher, al3 ehemals das 
Kind des Millionärs, welchem die glühende, vergötternde 
Schwärmerei feiner Kiuabenjahre gehörte. — 


Warum tauchen plößlich all die häßlichen Bilder und 
Erinnerungen vergangener Beit vor ifm auf? — Die 
Welt liegt jo jonnenlicht vor jeinen Blicken, und dennoch) 
fallen düſtere Schatten auf den Weg, welcher ihn zum 
Biel all jener Wünſ ſche und ſeiner Sehnſucht führen 
jol! — Die Millionen des Baters türmen fich vor 
feinem geiltigen Auge anf, — die find es, welche Die 
C chatten werfen und fih als oo zwiſchen ihn 
und feine Liebe ftellen. — 

Narriſcher Phantaft, — mit nen Augen am helfen 
Mittag Gefpenfter zu fchauen! — Fort damit! Dem 
Himmel fei Dank, mit der Vergangenheit ift abgejchloffen, 
das Gold des Kommerzienrats liegt verfunfen und ver: 


loren und wird nie wieder zum Geier werden, in al a 


Fängen feine weiße Taube gefangen liegt! 


Hans hebt voll zuverfichtlicher Entichloffendeit das 


jugendſchöne Haupt mit dem Ddurchgeilteten, in Dielem 
Augenblick Heig erregten Angeficht. — Lautlos jchreitet 
er auf dem weichen Sandweg heran bis dicht an die 
—— auf welcher Aglaë unter den Oleanderbäumen 
fit. — Ihr helles Sommerfleid,, ſchlicht und ohne jeg- 
lichen Rus, nur durch einen frischen, ſtark Duftenden 
Heliotropftrauß an der Bruft geſchmückt, ſchimmert ihm 
entgegen und zeichnet ihre jchlanfe Figur gegen das 
dunkle Blattgrün ab. — Gelbit in Diefem von Der 
Dorfichneiderin gefertigten Kleid fieht fie gut und fhid 
aus, es haftet ihr ein Bug geichmadvoller Eleganz 


an, welcher fih nicht verwiichen läßt, welcher aus 


— 568 — 


chen Fälen, aus jeder Bewegung umd jedem Schritt 
hervorjchaut. | 

„Der Ton macht die Mußt — fagi der Franzoſe — 
und bei Aglaë ift e3 ihre Art und Weife, welche fie 
harakterifiert. Wie fie den Blumenftrauß trägt! Ju 
feinem Modejournal fann es graziöjer gezeigt werden. 
Das war ihr feit jeher eigen, — Heliotrop! Sie liebte | 
ſtets die ſtark duftenden Blumen und fcheint biejer Paſſion 
auch jetzt noch zu huldigen 


Ihr Antlig iſt tief geneigt und ſieht —— erhitzt — — 
aus, ſelbſt die Heinen Ohrchen glühen in dunklem Purpur. 


Arbeitet fie? Nein, fie lieft. — Hans jieht weiße Brief- 
bogen in ihren Händen, ein großer Umjihlag, beinahe 
Dienftformat, mit mächtigem roten Siegel ift von ihrem 
Schoß zur Erde geglitten und liegt feitlich an ihrem leide. 
Seltſam, von wem mag Aglaë ein Schreiben erhalten 
haben? Soviel er weih, brad fie jede Beziehung zur 


Außenwelt ab. — Eollte gar der Vicomte? .. .. 
Glühend heiß wallt es in Hans empor, — jen Herz, 
hämmert jählinga in ber Bruft. — Uber nein — Diejer 


Gedanke jollte ihm wohl zuletzt tounnen, ein Maun, der 
fein Weib betrügt, beſtiehlt und heimlich verl äßt, wird 
nie zu ihr zurüd verlangen, fo lange fie in Armut und 
Elend lebt. — Wer aber hat der einjamen Frau fonjt 
eine Nachricht zu fenden ? 

Wie von einer unerklärlichen Angſt DEN eilt Hans 
die Steinitufen empor. 

Aglaë hört die Fließen nirichen, fie blidt jählings 


empor und fpringt auf, um ihm entgegen zu eilen. Be- 
troffen ſtarrt der Profeſſor fie an. Welch eime unbegreif- 
liche Beränderung in ihrem Antlig! Ihre Wangen flam- 
men, Die Augen jprühen in beinahe fieberhaftem Glanz, und 
ihre Bruſt wogt unter heftigen Atemzügen, als ro bie 
Erregung fie 
zu zeriprengen. 
„Hans! — 
. Hans!” Elingt 
es halb erjtidt 
"von ihren Qip- 
pen, „weld ein 
traumhaftes, 
unfaßliches 
Glüd! Ich bin 
wieder reich, 
Hans, jehr, jehr 
reich OGott 
im Himmel ſei 
Dank, nun iſt een 
wieder alles ie — — ne 
gut!” 
Er jteht wie verjteinert, regungs3los, feines Wortes 
mächtig. a. 

Sie faßt wie trunfen vor Seligfeit feine Hand: „Hans 
— börlt du denn nicht, a habe ja wieder Geld! =a 
Alle Not ift zu Ende! e | | 

Er atmet ſchwer auf umb greift D ber Stim.. Sch 





le 


begreife nicht — ich kanns nicht verftchen ! 174 murmelt u 
er, — und die Worte gleichen einem Aufitöhnen. — 
Sie wendet ſich aufgeregt zurück, greift nach dem 


Brief und drückt ihn mit zitternden Fingern im feine eib- | 


falte Rechte. „Sort auf den Etuhl, Hans! lejen! — 
lejen!” — jtößt fie furz hervor, und während er wie 
ein Mondfüchtiger in den Korbieifel niederfällt, krampft 
fie noch immer die Hände zufammen und preßt fie gegen 
die Brujt, mit dem halb lachenden, halb fchluchzenden 
Aufatmen: „Nun ift alles, ‚alles wieder gut!” 

Wie Echatten weht's vor feinen Augen, und fein 
Herz freit auf in bitterem, unausfprechlichem Weh. 
Narrt ihn. ein entſetzlicher Fieberwahn? Sft dies wahr 
und wirtlich feine Aglaë? Dasjelbe Weib, um welches 
er joeben in ‚treuer, zartlicher Liebe werben wollte? — 
Cie, die trunken vor Glüd und Eeligfeit vor ihm steht, 
weil fie wicder über Gold und Schätze zu gebieten hat? 
— — Ihn fröjtelt, er beißt Die Bühne zujammen und 
ftarrt über den Brief hinweg auf den —— 
an ihrer Bruft. 

„So leſen Cie doch, Hans!” — drängt fie unge 
tüm — „Sagen Cie mir, ob e8 in der That feine Rich 
tigfeit hat, ob ich an dieſes Glück in Wahrheit glauben. 
fann!” Da richtet er fid) energifch empor, fchlägt den 
Briefbogen auseinander und lieſt, lieft, daß Aglass Vater 
jeim Glück in der neuen Welt gemacht, daß er ala ichwer- 
reicher _ Iann auf großem Fuß und in zweiter Ehe 
Icht, daß er feine Ahnung von den Echidjalen feines 


ae 


Kindes hatte, bis ihm ein Zufall den ehemaligen Echwieger- 
john Saint Lorrain als verfommenen, tief gejunfenen 
Abenteurer in den Weg führt. Louis ift bei einer Meſſer— 
affaire in einer Branntweinkneipe tödlich verlegt, auf 
feinem Sterbebett berichtet er dem Sommerzienrat noch 
in frivolfter Weife von Aglass Unglüd. Nun öffnet der 
Bater die goldgefüllten Hände und gießt abermals den 
funfelnden Segen des Neichtums über fein „armes, kleines 
Pechvögelchen“, über das „Bettelfind des Millionärs !” — 
In Brüffeler und Hamburger Banfhäufern liegt das 
Vermögen bereit, welches er Aglas zum Geſchenk übers 
weit; — nun bat alle Not ein Ende, nun ift die junge 
ea reich wie ehedem — fie ift ganz wieder Die alte . 
Aglaë gonaden! | 

— — Hans ließ den Brief fchweigend finfen und 
ftarrte über ihn hinweg auf die Sandjteinplatten der 
Terraffe; ein abgeknicktes Zweiglein Heliotrop ftarb in 
der Sonnenglut, und ein Heiner, grünſchillernder Käfer. 
bemühte ſich umjonit, an ben bürren Blüttchen empor 
zu timmen. 

Nun?” fragte Aglaë gefpannt: „Glauben Cie 
wirklich, daß ich das Geld ganz als mein Eigentum be- 
2 traten tann ?” 

Er schaute auf. So heiß gerötet ihr Autlitz war, 
jo geiſterhaft bleich war das jeine: Gewiß, Aglaë, der 
Brief Ihres Vaters macht Ihnen ein fürftliches Geſchenk, 
mit welchem Sie ganz nah Gutdünfen jchalten und 
walten können“ 


— 572 — 


Wie ein leifer Jubellaut rang es fich über ihre Lippen. 
„O wie herrlich, wie herlih! — Und ich fann von. 
dem Geld auch fo viel ausgeben und verbrauchen, wie 
ich will? Sch fann auch das Kapital angreifen?” — 

Faſt entjebt ftarrte der Profeſſor fie an, er preßte 
wie in jäher Erbitterung bie Lippen zufammen: „Gemi, 
Sie haben niemand darüber Rechenſchaft —— als 
nur fid ſelbſt!“ 

Hochaufatmend breitete fie die Arme aus, alè wolle 
fie die ftrahlende, blühende, prunfende Gotteswelt leiden- 
schaftlich umfangen: „Bater im Himmel, wie danfe ich 
dir, daß du mein Gebet erhört halt. — — Ja, nun 
will ich die verlorenen Jahre nachholen! Nun will ich 
einbringen, was ich verjäumte 7 — 3hr Auge ſtrahlte, 
die ganze Geſtalt fchien neu belebt in hohem, aufgeregtem 
Entziden. Piöglich ſah fie auf Hans. äh betroffen 
trat fie an jeine Seite und hob faſt angitvoll fragend 
den Blid. „Hang .. . um alles, fehlt Ihnen etwas? 
Warum jehen Sie fo bleih und fo... fo finfter aus?!“ 

Er fchüttelte heftig den Kopf und wote fich halb zur 
Seite: „Die Hitze ijt unerträglich !” jtieß er furz hervor. 

„Sa, eg ijt ſchwül, wir werden Gewitter befommen! 
Aber —“, ihre Stimme jubelte wieder auf, „ich fühle 
jest feine Kälte und feine Gige mehr in meiner Glück: 
jeligteit! — D Hans, wenn Gie ahnten, wie brennend 
ich mir den verlorenen Reichtum zurücd gemwünfcht habe, 
Sie würden mein Entzüden begreifen! Und nun, da mir 
diefer ſehnlichſte Wunſch jo traumhaft erfüllt ward, nun 


— 193 — 


haben Eie fem Wort der Teilnahme, feinen einzigen 
Glückwunſch für mich, Hans?” — Wie weich und innig 
ihre Stimme Hang. Er vermochte nicht, die Hand, welche 
fie ergriffen, loszureißen, aber feine Finger ruhten eisfalt 

in ihrer Rechten, und fein Blid traf nicht den ihren, als 
-er furz erwiperte: Gewiß 
gratuliere ih Ihnen, es 
gibt fo viele Arten von 
Glück, daß man nie reft 

weiß, in welcher Geftalt es d 
juft die Träume Der Näch— 
iten umgaufelt. Möchte % 
Ihnen der Neichtum alles | 
erfüllen, was Sie von ihm Mt | 
erhoffen, möchte er ſich 
treuer erweiſen als in ver- Y t 
< gangenen Betea” 
= Mglad war fo erregt, | 
dağ fie faum feine Worte, X 
geichweige deren Sinn er —_ 

faßte € Sie drückte feine Hand 
nur frampfhafter und nicte 

wie verflärt: ‚Sa, er wird, er uf) erfüllen, was ich von 
ihm erbitte, denn wenn das Geld mein freic Eigentum 
it, muß es mir ja gehorchen!” — Gie brad) ab und zog 
- haftig die Uhr: „Ob Ihr Bater wohl aus dem Dorf zurück 
ijt? Er wollte verjuchen, noch den Schluß der Predigt 

zu hören!” | 





— 574 — 


„Mein, die Kirche ift noch nicht aus.” 
„D Hans — Hans, was wird er fagen?” 
„Er wird den N aus Amerika zu würdigen 


verftehen ! a: 

„Zie find verjtimmt, bo — oe Sie irgend 
einen Ärger gehabt, ber noch größer war als jetzt bie 
Freude? | 


Er lachte herbe anf griff nach feinem Hut yni iit 
terte den Strohrand zwijchen den Fingern, „Laljen Sie 
fich durch meinen Peſſimismus nicht Ihr Junges Glüd 
verbittern! Gie wiljen, wenn die Sonne aufgeht, giebt 
fie ıhr Licht grell auf eine Seite, damit Die andere deito 
tiefer im Schatten ſteht — Es allen recht machen, fann 
niemand, am wenigiten Frau Fortuna, die hier ein Herz 
unter die Füße tritt, um dort den Leichtfinn noch eine 
Stufe höher heben zu fönnen! — Leben Sie wohl, 
Aglaë, — — ich bin heute wohl mit dem unrechten Fuß 


aufgejtanden, darum will ich mich noch einmal nieder 


legen, um den Fehler gut machen zu können!“ 

Er hatte mit flackerndem Blick an ihr vorüber in die 
Ranken bes Pfeifenkrauts und der Clematis geftarrt, 
welche an den Säulen empor £letterten und fid über die 
Manerbrüftung wie raujchend grüne Wogen wieder zur 
Erde herab jtürzten. — Aglaë hatte er nicht angejehen, 
er wandte auch jest nıcht das Haupt, jondern ftürmte 
jo wild und verjtört davon, als brenne der Boden unter 
jeinen Füßen. 

Mit großen, weit offenen Augen jchaute fie ihm nad) 


Es war, al3 habe fih plöglich eine falte Hand auf ihr 
glücjeliges Herz gelegt, jenen Schlag zu erſticken — 
Was war es mit Hans? — Hatte ihn der wenig an: 
genehme Ton im Brief ihres Vaters empört? — Di: 
lieber Gott, er fannie ihn ja Doch und durfte nichie 
Beſſeres von ihm erwarten! Cie jelber hatte nur eing 
aus feinen Beilen gelejen, — daß fie wieder reid) war! 
Dak ihr nun die Möglichkeit gegeben wurde, zu danfen 
und zu vergelten all das Gute, was man ihr gethan. — 
Nun war ein unbegreiflicher Eifeshaud) von den Lippen 
des Freundes geweht, der hatte ihre Freude getroffen, 
wie der Froſt Die Blüte, - — Ernjt, nachdentlih ſtützte 
fie das Köpfchen in Die Hand. — Warum war Hans 


jo jonderbar verändert? Das Herz that ihr weh bei Ss | 
dieſem Gedanfen. — Dann richtete fie fih energiſch uf. o0 


Shr Blid Hob fidh zum Himmel, und eine freudige Bu- 
verficht ftrahlte aus ihren Augen. Das Nätfel wird fich 
ja löfen; Hans ſolls erfahren, wie treu und a fie 
es nelni. 

Das Fenſter im Bimmer des Profeſſors naaa offer 


Er jelber jaß davor, hatte Die Arme auf das Fenfters 
brett gelegt und das Autlitz darauf gedrüdt; es ging 
ein Schüttern und Beben durch jeme fraftvolle Beftalt, 
als ob ein verhaltenes Schluchzen ihm die Bruft zer 


iprengen wolle. — Aglaë! — Aglaë! — Wie ein Jammer— 
ſchrei Hang’s durd) feine Geele. — So freut fidh ein 
Mann, wenn er eine Peri zurück zum Himmelreich trug, 
wenn er es fchaute, wie ihr die Engeljchwingen wucjen 


ses a 


und die Lilien in ihrer Hand erblühten, und dann fommt 


ein tückiſcher Sturmwind und ftürgt fein Kleinod zurüd 


in die Tiefe, damit es in den goldglißernden Flammen 


der Hölle abermals untergehe. — Zerfchmettert und zer: — 


ftört war das lichte Wunderbild ber Geliebten, und wenn 


er zurücddachte an die lebte Zeit, dann begriff er eb 


jelber nicht, wie er Narr an eine feelifche Wandlung _ 
Aglaes hatte glauben fünnen! Nicht ihr geläuterter 
Ginn, fondern ihr ftarrer, unverjöhnlicher Stolz hielten. 

fie damals zurüd, wieder an einer Bühne aufzutreten, 
wo man fie auägezischt hatte. Nicht die Demut, fondern 
die zwingende, vernichtende Macht des Elends trieb fie 
in das Haus feiner Eltern, und jenes Bild am Wafd- 
faß? — — pana: (acht bitter auf. Er fieht Aglaë nicht 
mehr ftehen und das. Hemd des Knechtes waſchen — er 
fieht fie nur noch hoch und ſtolz vor den Mägden: „Wißt 
ihr, wer ic) bin? — Die Gemahlin eines Grajen bin 
ich!” — — Nur dieje Worte flingen noh in feinem 
Dhr, — alles andere ift verwijcht. — Und ihre Kranten- 
pflege? — hr aufopferndes Eamaritertum am Bett der 
Mutter ? — Hans reibt fich die glühende Etirn, hinter 
welcher die Gedanten fiebern, — haha! Es hatte wohl 
auch ſeinen Zweck und Grund! Hunger thut weh, und 
Der Glorienſchein einer Heiligen iſt ja ein recht kleidſamer 
Schmuck für das Haupt einer Modedame, die fein Brillant: 
diadem mehr ihr eigen nennt! — Und um diefe Frau 
hatte er werben wollen? Er, der Emporfümmling, der 
Bauernjohn, der weder Ahnen, noh) Schild und Krone 


FREE ee 


belen tann?! — Ein Auffiögnen entringt fich feiner 
Bruft, — vor ihm Elafft ein Abgrund — der trennt 
ihn von Aglaë, und ihm deucht, daß er ri doppelt jo 
breit fei wie früher. | 
Stimmen! Unter ihm im Garten. — Aglaë und 
ſein Vater; fie ommen den Kiesweg elang und jeben 
fich unter die Qinde vor dem Haus, er hört Wort für 
Wort. — Haus beißt die Zähne zuſammen und hat dag 
Empfinden, alg müſſe er fich die Ohren zuhalten, um 
richt dieje weiche, füge — — trügerifche Stimme zu 
hören! | | 
Papachen —— ich habe eine jo große, große 
Bitte an Stel” . 
‚Ra dann (08, mein Liebling! Wenn y 3 machen N 
tann, erfülle ich fie” 
S$ flingt aber ſehr inbiefret, mwas id — möchte!“ 
BGleichviel!“ 
„Sie haben Damals Moosbori gekauft, aber den 
Erwerb des Gutes nur durch eine bedeutende Sopothet ; 
ermöglicht?” | 
Der alte Mann jeufzte ſchwer auf: „Ach, Aglaë, Sie 


allein wifjen e3 ja, wie fie mir gleich einem Gentner 
auf dem Herzen liegt! Die jchweren Ereigniffe der legten 


Wochen haben dieje Sorge in den Hintergrund gedrängt, 

aber jet, wo ic) täglich aufs neue fehe, daß auf eine 

Noggenernte in diefem Jahre nicht zu hoffen ift, Da über- 

fällt mich oft eine lähmende Angit, und ich fehe zu ſpät 

ein, daß ich etwas unternommen habe, was weit über 
No. Eibftrutb, SU. Nom. u Now, Comäbie I. : 37 i 


= 978 — 


meine Kräfte geht. Die Zeiten find anders geworden, 
ic) bin alt und fanu nicht in dem al mit, 
welchen das neunzehnte Jahrhundert angejchlagen.” 

„Die NRoggenernte ausſichtslos! — Du lieber Gott, 
fie war vor etlichen Monaten noch unjere ganze Zuver— 
ficht! Sit der Herr, welchen ich damals in dem Wohn- 
zimmer gejehen habe, einer Ihrer Gläubiger? | 

Burkhardt fehüttelte langjam das weißlockige Haupt, 
jeine jtranıme Figur jant noch tiefer zuſammen. 

„ein, er hatte von meiner jchwierigen Lage gehört 


md wollte mir Kredit anbieten; Gott fei Dant bin ich 
dem Halsabjchneider nicht in die Klauen geraten ! 
~ „Ber find Ihre Gläubiger? Bitte, bitte, lieber Papa 

Burkhardt, erfüllen Sie mir den einzigen Wunſch, und 


Schreiben € Gie mir die Adrefjen anf” — Gie flang den 


= Mem zärtlich um den Mağden des Miten und blickte mit 


ſtraählendem Lächeln in fein erjtauntes Geficht: „Nur Dies 
eine bitte ich, und ich weiß auch, daß Gie mir —— 
dringenden Wunſch nicht verjagen!” 
„Aber, liebe Aglaë — ich begreife gar nie. — mas 
haben Sie denn vor?” 
‚Nur etwas ganz Gutes und Praftifches, was aber, 


das ijt vorerjt mein Geheimnis, deſſen Löfung Sie in 
ganz furzer Zeit erfahren ſollen!“ a | 


Der alte Mann fchüttelte erjtaunt den Kopf: „Wenn 
Sie noch wie ehemals die Tochter eines Millionärs wären, 
kleiner Sonnenschein, dann würde ich mir recht eigene 
Gedanken über Ihr Anfuchen machen, der armen Aglas 


— 89 


aber, wie ſie da vor mir ſitzt, der kann ich ſchon den 
Willen thun! Lieb’ Närrchen, Sie wollen gewiß ein 
paar recht drollige, naive Briefe in die Welt jchicken ? 
Na, ichaden kann's ja nichts, und wer weiß, was alle3 
in Shrem Augen Köpfchen rumort! Kommen Cie mit 
zum Schreibputt, wenn Sie denn einmal fo viel wijfen, 
mögen Sie auch alles erfahren!” | 

Anlass leiſe jubel (nde Stimme klang nod wie ein 
Echo zu {hm empor, dann verhallten Die Schritte anf 
dem fies, und die Hausthür fiel hinter den Eintretenden 
ins Schloß. — Hans aber fak und ftarrte mit zitternden 
Lippen in den blauen Himmel empor. — Er durchſchaute 
Aalaes Plan. Sie wollte die hohe Hypothek mit ihrem 
Gelde abtragen und ihren Wohlthäter durch den zer- 
riſſenen Schuldſchein überraſchen und beglücken War das 
wirklich eine That edler Liebe und Danfbarfeit, oder 
wollte fie einfach eine Schuld abzahlen, um mit Den 
Leuten im Pächterhaus quitt zu fein? Um ihnen ohne 
Sfrupel den Rüden drehen zu konnen in dem Bewußt⸗ 
ſein, daß fie ihnen feinen Dank mehr ſchuldet, dak das 
Band, welches ſie fo unfreiwillig an die amilie genüpft, 
endgültig gelöſt jei? 

Heiße Glut ſtieg in Die Stirn des gequälten Mannes 


Trog und Bitterfeit, gemifcht mit der leidenfchaftlihen 


Angit, die Geliebte freigeben zu müffen, trieb ihn finnlos 
hinab in den Hof. Ein Pferd herzu! Che er vermiğt 
wird, fann er zur nächjten Telegraphenftation reiten, um | 
noch rechtzeitig zum Mittagstiich zurüd zu fein. — Gine 





— 580 — 


Anweiſung an feinen Bankier, welder als Freund bereits 
von dem lang gehegten Plan des Profeſſors weiß, und 
die Echuld des Vaters wird gelöfcht fein, che Aglaë einen 


einzigen Schritt thun fonnte, ihm dieſes Recht aus der 


Hand zu nehmen. Noch reichen die Erfparniffe nicht 
aus, um das volle Kapital auszuzahlen, aber der Banfier 
wird Das Fehlende vorjtreden, und Hans, deffen Opera- 
tion ihn zum we (tberühmten Mann gemacht, wird bald 
mit Zinfen zurüczahlen fönnen. Was bat er ſonſt noch 
auf der Welt zu hoffen und zu winjchen? Für wen. 
foll er jchaffen und arbeitn? Eein Leben ift öde und 
leer geworden, Er fteht allein, ganz allein — Wenn 
aber Aglas fich auch von ihm losreigen will, jene fleinen, 
zwingenden Bande der Dankbarkeit ſoll fie nicht abftreifen 
fönnen, der Gedanfe fol und wird ihr bleiben, daß 
Burfhartbs Barmberzigfeit an ihr geübt, die Me ver⸗ 
gelten fann! Das wird der einzige ſchmale Negenbogen 
fein, welcher fich für alle Ewigfeit von Herz zu Herz 
Ipannt. — Hans fann fie nicht laſſen, nicht völlig auf- 


geben, er liebt fie zu innig, zu wubejchreiblich, er fühlt's — 
in dieſer Stunde wie eine Leidenſchaft, fähig, ihn dem — 


Wahnfinn entgegen zu treiben! — Vorwärts! Borwärs! 
Die Hufe klirren auf der harten, ſonneglühenden Chaufjee, 
der Fuchs greift aus und jagt dahin, als wiſſe er, dag 
fein Reiter die entrollende Gl nee mgr einholen und über- 
flügeln will, 


— — — 
— mee — — — — — — — — — -—— ameme amecae — — — — — 


< Dileh, ernft und verjchlofjen ſitzt Ba nebet Aglae 


oa 


bei Tiſch, er merkt es aus allem, daß fie ihren Brici 

porerit als Geheimnis bewahren will, fie flüſtert ihm 

mit leuchtendem Blid die Bitte, darüber zu ſchweigen, 

ing Ohr. Gie ift fo luſtig und heiter wie nie zuvor, 

nur wenn fie den Fugendfreund anlieht, fliegt es wie ein 
Schatten banger Sorge über ihr Antlib. 

„Hans — find Sie franf? — Ihr Ausſehen ängſtigt 
mich!“ fragt ſie ei — u ihm empor, „was fehlt 
Ihnen?” N | 

Er ſchüttelt finfter das Haupt: „Wie foll mir etwas 
fehlen, was ich nie be jejfen habe!” 

ee verjtehe Sie nicht! 

< üm Jo beiee” 

Aglaë neigte das Köpfchen tiefer. Wunderlich! Ihr 
Glück ſcheint ihm verjtunmt zu haben; er jcheint zu - 
fürchten, daß das Gold jeine alte Wirkung und Macht 
auf fie ausübt. Wie foll fie ihn darüber beruhigen? 
Worte vermögen es nicht; Die That muß es lehren. 
Aljo abwarten und getroft fein, — die Zeit wird fommten, 
wo feine Augen fie wieder aublicken werden wie zuvor. 
— Auf dem Hof knattern Hufſchlaäge — Ein Bote mit 
einem Erpreßbrief an den Heren Brofeffor. — Hans 
öffnet mit erftauntem Geficht das Dienitjchreiben, weldhes 
den Aufdrud Kabinettsordre“ trägt. — Der alte Burt- 
hardt legt Meſſer und Gabel Hin. au?“ jragt er 
geipannt. | — 
Glut und Bläſſe wechſeln auf dem Antlitz des Lefen- 
den. Sein Auge flammt auf in unendlicher Freude. 


„Sch bin zum Xeibarzt des Königs ernannt! jagt er 
tief aufatinend. Se 

„Beige den Brief! — Meine Brille, Anna!” — 
Yangjam buchjtabiert der Bater, — plöglich fit er mit 
einem Rud ferzengerade. „ung“ rujt er jeierlich: 
‚Sie bieten dir auh den Adel an?!” 

„Den Adel?“ ftammelt Aglaë mit glühenden Wangen. 

Sans fieht ihr feft, beinahe feindfelig in Die Augen: 
„Bergeblich, ich — u nicht annehmen.“ 








Freudvoll und leidvoll — 
gedanlenvoll fein, 

Hagen und bangen 

in fchwebender Bein. 





J imen n Augenblid Herrfchte tiefe Etitle, ie 
dann legte der alte Burf- 


zujammen und blidte den 
Cohn mit feinen großen, leuch⸗ 
tend grauen Augen durch— 

Dringend an: „So, du nimmſt 

den Adel niht an! ... Hm, 

hm! ... und warum jchlägjt 
Du ihm aus?“ — — 
hob ſtolz das Haupt in den Racen: e 
zweierlei Gründen, Bater. Erſtens Habe ich meinen 
ſchlichten Namen, welchen ich zeitlebens gottlob in Ehren 
trug, und welchen ich zu Ehren brachte, juft fo wie er 
ijt, zu lieb, um daran ändern zu laffen. — Er bedarf 
feiner Zuthat mehr, um mir die Herzen und Thüren der 
achtungswerten Menjchen zu öffnen; er hat, fo furz er 
auch jein mag, einen guten Klang, den man weit hin 
hören kann, und mehr verlange ich nicht von ihm. Als 


— — 
pang 7 


hardt das Schreiben feierlich 


— 584 — 


Hans Burfhardt bin ich geboren und will als Hans 
Burkhardt jterben. Diejenigen, welche mich darum weniger 
achten, verdienen e3 nicht, daß man fich um den Verluft 
ihrer Gunft grämt. — Nein, Bater, es ift zu ſehr Ai- 
fichtsfache, ſich adeln zu laſſen, und ich gehöre zu den 
Naturen, deren Devije: Suum cuique! heit! — Laßt 
den alten Nittergefchlechtern ihre edeln Abzeichen, den 
Krämern ihr Geld und den berühmten Leuten die Lorbeer: 
frone des Verdienftes, — dann wird jeder feinen Stand 
zu Ehren bringen! — Shr febt, Die Gnade meines Königs 
beruft mi) auc ohne glänzenden Namen in feine nächite 
Nahe, — gebe Gott, daß er fie dem ſchlichten van 
Burkhardt dauernd- erhalten möge” ei i 

„Orav gefprochen, mein Sohn i du ließeſt uns deine 
perſönliche Anſicht hören, aber wie wird diefelbe höchſten 
Orts aufgenommen werden” 

„Gut, Bater. — Dag Anerbieten jollte mich ehren, 
und das hat es auch gethan. — Majeſtät fennt Die 
Schwäche der Menjchen und glaubte einer Form zu ge⸗ 
nügen, indem ſie mir eine Auszeichnung zuteil werden 


laſſen wollte, welche bei vielen Sterblichen, zumal den E 


Strebenden, das Biel ihres Ehrgeizes ift.” | 
„on der Umgebung des Königs wird man n dich aber 
weniger- zuvorkommend behandeln, wenn du als Bürger- 
licher hineingefchoben wirſt“ | 
Ein ſeltſames Lächeln |pielte um die Lippen des jungen 
Profefjors. Er beftete unwillfürtich den Blid auf Aglaë: 
Auch das bezweifle ich, Vater. Ich kenne das ‚Hof leben 


— DND =e 


nicht, aber viele Perſönlichkeiten, welche dort ſelber eine 


Rolle ſpielen, und juſt dieſe haben mir ſtets die meiſten > 


Auszeichnungen zu teil werden laffen. Glauben Gie, 
Aglaë, daß man im omneo Verkehr dieſes Benehmen 
ändern würde?“ -o 
Die junge rau hob das Haupt. Sie fah jehr bleich 
aus, aber in ihren Augen. glängte es weich und wunder: 
jam, jo eigentümlich, daß der feine Bug des Spottes 
jählings® aus dem Antlik des Fragers jchwand. 
„Kein, Hans, Sie haben ganz recht und wahr ge 
prochen!” antwortete fie ruhig und ernit. „Niemand weiß. 
es beffer als ich, weld eine lächerliche Rolle man fpiett, 
wenn man fih in eine Gtellung zu drängen verjucht, 
für we (che man nicht geboren ijt! Sie bedürfen feiner 
künstlichen Mittel, um Ihren Namen und Ihre Perjön- 
lichfeit zu heben, — Gie jtehen fo Hoch, daß alle Blide 
fich heben müfjen, will man den Wann sehen, deſſen 
Namen ein Segen für die Menſchheit geworden.“ 
Dunkle Glut ſtieg in die Wangen des Profeffors, 
faſt betroffen ftarrte er die Sprecherin an: „Und das 
jagen Sie, Aglaë?” rang es fidh jchier unbewußt von 
ſeinen Lippen 
Ein wehmütiges Lächeln ipielte um ihren Mund: 
„Bewiß, Hans, idh fann ja aus Erfahrung fprechen, 
denn ich bin eines jener „Itrebenden” Wejen, welches dein 
heimatlichen Boden hochmütig den Rüden fehrte, um auf 
dem Parfett jämmerlich zu Fall zu fommen. Wohl Ihnen, 
daß Sie Hans Burkhardt bleiben werden, — ich möchte 


u 


Ihnen dieſes ſtolze —— neiden, wenn ich Ihnen 
nicht von Herzen jegliches Glück gönnte!“ 
Sie erhob ſich und ſchritt um die lange Tafel, dem 
altersſchwachen Lorenz, deſſen zitternde Hande den Dienſt 
verſagten, das Fleiſch auf dem Teller zu ſchneiden 
Schweigend ſtarrte Hans vor ſich nieder. Mechaniſch 
bob er die Hand nad) feiner ſchmerzenden Stirn. ES 
glühte und hämmerte darin. Was ifta mit Aglaë? Er 
kann's nicht faſſen — Seine Worte, welche ihren Stolz 
empfindlich treffen jollten, welche er gejprochen, um feinem 
inneren Eturm Luft zu ſchaffen, welche ihr zeigen follten, 
wie fchroff er gegen eine Götendienerin des Hochmuts 
und des Stolzes Front macht, — dieje Worte prallten 
ab wie cine ſcharfe K linge auf weicher Ceide. Er ſtand 


entwaffnet, und ihre ehrliche, weiche Stimme, welche noh 


vor kurzer Beit über den unerwarteten Reichtum gejauchzt, 
die warf ihn durch dieſe wenigen Worte zurüd in den 


Wirbelfturm ungelöſter Rätjel, welcher jeden Kero und 


Faſer feines Körpers fchüttelte! — Er erhob fih jählingg 
und verließ das Zimmer, um den reitenden Boten abs 
äufertigen. 

Bater Burkhardt Hatte nicht viel Außergewöhnliches 
im Leben erfahren. — Ein Tag glich feinem Inhalt nad 
jaft genau dem andern, wenn auch Diefer Regen und 
jener Sonnenichein brachte! Da war wohl nie etwas 
überrajchend oder plößlich gefommen, da hatte nichts das 
ruhige Gleichgewicht des foldatischen Landmannes geftört, 


580 


und min wirbelten plößlich die Wochen daher, wie ein 
buntes Bilderbuch, welches auf jedem Blatt ein neues 
Wunder zeigt. Sein Hans war ein weltberühmter Mann 
geworden, er war in der That ein Gottgefegneter, deſſen 
Gelehrſamkeit und Wi en dem jehlichten, alten Mann 
fchier übernatürlich deuchte. Seine Grete war durch des 
Sohnes Hand dem fichern Tod entriffen. Der König 
berief ihn zu feinem Leibarzt und wollte ii jogar zu 
einem adligen, vornehmen Herrn machen, weit vornehmer 
als alle Leute, welche der Pächter bislang kennen gelernt. 
Das war geradezu unfaßlich, aber jo eritaunlich, wie der 
Brief, welchen er ſoeben erbrochen und geleien, jo o 
itaunlich war noch nichts zuvor geweſen! | 
Daß fein Hans ein fuger und berühmter Man n war, 


das hatte er nun mit Augen geſehen und fich Davon über 


zeugt, daß aber er, den er ftet für einen armen Echludfer 
gehalten, auch ein reicher Mann war, das fam jo über- 
rajchend, Daß e3 für den alten Kopf fajt zu ‚viel war. 
— Rcd! — So rei, ai er die Hypothek auf Moos- 
dorf abzahlen tomte! — Wars zu faffen? — Er hatte 
mit feinem Doktorkram in wenig Jahren mehr verdient, 
als fein Vater in jeinem Schweiß Beit feines Lebens ? 
mn Ja, wenn er eg nicht ſchwarz auf weiß Dofumen- 
‚tiert in Händen hielte, er würde es für einen \hönen, 
wunderbaren Traum halten. 

Sp aber war es leibhaftige Wahrheit, und dieſelbe 
traf den Alten fo unvorbereitet, Daß er unter der Wucht 
ſolches Glückes zuſammenſank wie ein ſchwaches Kind. — 


Er legte ſchweigend den Kopf auf die Schulter des 
Sohnes ‚ große Thränen ramen über Die. runzligen 
Wangen. Und Hans jchloß Die marfige Geltalt fejt und 
zärtlich an die Brut: Sollſt nicht danfen, Bater, du 
allein bijt es, dem id) alles zu daufen habe, was ich bin 
und erwarb!" 
- Burthardt nitte mechanifch vor fi Hin: „S ift nur 
ein gar zu harter Weg gewejen, den ich dir bejchieden 
hatte, und wenn er aud) Das ſeine gethan hat, dih zum 
Rel zu bringen, jo liegt's mir doch) immer ſchwerer auf 
dem Herzen, je mehr ith dran zurückdenfe. — Erit der 
Mutter Kranfheit bin ich ein ichlapper Kerl geworden, 
Jung’, und daß du jegt daherkommſt und mir mein 
liebes Moosdorf freifaufft, Das läßt den Krug überlaufen ! 
— Herrgott im Himmel, ich hab's ja gut gemeiut, Hans, 
als ich dir dein Waterhaus verilo jeo Pit zum 
ganzen Miann machen wollen!“ | 
„Das weiß ich, Bater! Juſt Die rechte Arigi haft 
du getroffen, fie jchmedt ns aber pe a Berg i und 
Seele ſtark!“ 
„Sp wie bei Der Yglaë. — Bon Sinde an, wo jie 


hilflos in der Welt ftand und aus eigener Kraft vorwärts SS 


mußte, da fam fie auf den rechten Weg.” — 
„Wahrlich auf den. rechten p“ — | ; 
Burkhardt hörte nicht den herben Klang in des Soßnee 
Stimme, er antwortete ihm auch nicht mehr, denn Aglaë 
trat haftig aus dem Haus und fchritt den Herren zögernd 
entgegen. Sie ſah ſehr bleich aus, ‚ihre Augen ‚waren 


— 589 — 


leicht gerötet, ala habe fie geweint. „Iſts wahr, Sans, 


daß Sie die Hypothefen abgetragen haben ?” fragte fie 


leife, mit beinahe angjtoollem Blid. — 
. Ihm war plöglich der Hals wie zugeſchnürt Um 
ihrem Auge nicht begegnen zu müſſen, faltete er voll 


großer Umftändlichfeit Die einzelnen Schriftitüce zufammen. — 


„Das veriteht fih! nice er: „Diele Überraj ihug hatte 
ich fange geplant, und heute, wo ich fie rea (ifieren. fonnte, a 
ijt mir ein ähnlich großer Wunſch erfüllt, wie Ihnen 
fegthin am Sonntag. Gratulieren Sie mir nicht Dazu! De 
Nun fah er fie dennoch an, beinahe troßig, wie ein 
Kind, welches einem andern den Wettlauf ftreitig macht. 
—Gewiß gratuliere ich Ihnen, Ihnen ſowohl wie Ihren 
lieben Eltern! Wenn ich auch eine der ſchönſten Hoffe 
nungen dadurd) aufgeben muß und viel bejjer gethan 
hätte, Cie bei Zeiten zu meinem Vertrauten zu machen, 
fo fann ich Ihnen, dem Ahnungslofen doch nicht zürnen, 
daß Sie ein fo gottbegnadeter, reichgejegneter Mann 
find! — Cie bannte gewaltfam den wehmütigen Ernſt 
aus ihrem frijchen Geſichtchen, ſetzte ſich neben den Pflege⸗ 
vater und nahm herzlich deffen Handi in die ihre. „, Sapachen 
Burkhardt, was haben Ste denn zu Ihrem Hanjel gejagt: 2 


icherzte fie, „mun hat er die ‚hundert Thaler‘ doch nod 


heimgebracht und hat Wort gehalten in allem und jeden 
— und ich, Die damals jo zuverjichtlich mit Ihnen wettete, 
was befomme. ih zum Siegespreis ? 1” _ 
Der alte Mann lachte ſchmunzelnd vor fidh hin. „sa, 
Sie Prachtweibchen! Eie haben dem Schlingel ja ftetë 


die Stange gehalten, und wenn Sie's nur nehmen wollten, 
dann wüßte ich jhon ein Löfegeld für mich und meine 
verlorene Wette” — | 
Hans war aufgejtanden und mit den Briefen zum 
Haufe geichritten, wie ein Unfinniger eilte er Durch Die 
Hinterthür in den Garten hinaus, guerfeldein zum 
nahen Wald. — Dort hatte er als Knabe jo oft Ruhe 
und — gefunden, wenn es in jemen aum 
ftirmte, — — — | ee 
Zwei Tage waren ver, jan gen en war aus⸗ 
geritten und ausgefahren, — er vermied e3, Aglaë zu 
begegnen oder mehr al das nötigſte mit ihr zu Iprechen. 
Sie hatte e3 feinen Eltern mitgeteilt, welch märchenhaften 
Soldregen ihres Vaters Hände über fie geitreut md 
Bater Burkhardt, welcher die junge Frau durchaus nicht 
allen reiſen laffen wollte, hatte fogar erklärt, er jelber 
werde zu ‚ihrem Schutz die Fahrt mitmachen, wenn Hans 
feine Zeit mehr dafür erübrigen könne. — Da wurden 
denn eifrige Vorbereitungen getroffen. — Eines Abends. 
war Aglaë zu dem Profeſſor herangetreten, alg er 
Schweigend feine Zeitung las. — „Nur ein Wort, Hans, 
eine ehrliche, offene Antwort! Cie jind jeht Mitbefiger 
von Moospdorf, wollen Cie es bei Ihrem Water befür- 
worten, daß ich das Schloß von ihm zurückkaufen fann p 
— allein das Schloß — feinen Landbejig.” = 
Hans atmete tief auf. „Unmöglich, Aglaë — ich 
habe bereits über das Gebäude verfügen müjfen! mo 
Inwiefern ? |“ 


— 591 - 


„Das will ich Ihnen ehrlich jagen. — Um die Hypo: 
thefen von Moosdor} abzutragen, mußte ich alles, was 
ich erjpart, opfern. Meine dee, in der Stadt eine 
KUlinif zu erbanen, wo ich unbemittelte Kranke billig aufs 
nehmen famn, ift vorerſt noch BRAUSTONEDRN, Ich Habe 
mm die Abjicht, 
das hieſige, fo 
völlig unbenuützte 
Schloß zur Kur— 
anſtalt ein zurich— 
ten. Mein eriter 

Aſſiſtenzarzt 
übernimmt Die 
Leitung, und ic 
fam die paar 
Stunden - Eilens 
bahufahrt dran- 
geben, um die 
notwendig wer— 
denden Vperas 
tionen perſönlich zu überuchmen“ — Gie ſah ihn 
mit ſtrahlenden Blick an und nickte Fchweigend vor fidh 
hin; daun ſchien thr plöglich ein Gedanfe zu fonmen, 
erregt hob fie das Köpfihen. „Kommt auch Schwefter 
Amélie hierher?” fragte fie Haftig. — 

„Nein, von ihr trome ich mich nicht.“ — Gelaffen 
hatte er e8 gefugt, jeßt ſchaute er fie betroffen. an. Welch 
jonderbaren Eindruck machten feine Worte auf fie? Juſt, 





als habe fie ein Schlag getroffen, zudte fie zufammen, | 
Das Blut wich aus ihren Wangen, und die kleine Hand, 


welche fie auf den Tiſch ftüßte, zitterte. Aber, nur einen 


Moment ; 

„Sit die Unterhaltung iola emer Privat init fee | 
fojtipielig ?” — fragte fie leije. | — 

Es kommt darauf an, ob fie arne r reiche 
Patienten beherbergt. Meine Abficht war es, die unz 
bemittelten Kranfen jo billig wie möglich unterzubringen, 
fie nicht. nur zu heilen, jondern auh während ihres 


Aufenihalts zu logieren und zu beföftigen. €s gibt fo 


grenzenlos viel Elend in der Welt, und gerade meine 
firanfen bedürfen fo viel barmberziger Prlege, wie fie 
dieſelbe niemals in den Hütten der Armut finden fönnen. 


Die Ärmften der Notleidenden ganz als meine Gäſte 


aufnehmen, fann ich jegt noch nicht, jo Gott will aber 
jpäter, denn das Freiquartier im Schloß Hilft wohl 
etwas, aber nicht viel. Vergeben Cie mir meine ab- 
Ichlägige Antwort im Intereſſe der Unglüdlichen, liebe 
Aglaë. Ihnen fteht ja nun die weite Welt offen, und 
für ein fo junges, Frohfinniges Wejen wie Sie ift eine 
amüjantere Sommerfriiche gewiß paſſender, als die Cin- 
Samfeit von Moosdorf. Haben Eie jon Pläne gemacht, 
wo Sie fünftighin ihr Domizil aufichlagen wollen? —“ 

Seine Stimme Hang unſicher, er griff le mo 
die rafchelnden Beitungsblätter. — a 

„Pläne wohl, ich möchte Ihnen aber erſt eine dciz 
nitive Entjcheidung mitteilen.“ 


me 


— viel ih weiß, möchte der jegige Befiber Ihres - 
Baterhanfes in der Reſidenz gern dasſelbe verfaufen.” — 

Gie jah nachdenklich vor fih nieder; noch immer 
bfeich und ernſt „Sch glaube nicht, daß diejes palais- 
artige Gebäude meinen Wunſchen entiprechen würde,” — 

Dore erichien und rief die Sprecherin ab, und Hans 
itarrte in tiefen Gedanken vor fih nieder und grübelte 
vergeblich, warum der Name der Schweiter Amélie einen 
jo anfallenden Eindrud auf Mglaë gemadht. — — — 
= — — — — Langjiam jehritt Hans die jonnige 
Chauffee entlang, dem Walde entgegen. In zwei Tagen 
wollte er nach der Nefidenz zurückreiſen, denn der hiefige 
Aufenthalt wurde ihm unerträglich. — Aglas war ihm 
zum. Nütjel geworden. Ein Sturmmwind der Leidenjchaft 
war voll wilder Heftigfeit daher gebrauft und hatte ihn 
jählings aus einer Bahn gejchleudert, vor deren Hiel er 
bereits jtand. Die Widerjprüche in den Worten und 
Thaten der jungen Frau waren ihm unerflärlich; jein 
Glauben an ihre Wandlung war erjchüttert, und er. 
harrte voll fiebrifcher Aufregung der Stunde, wo fie ſich 
von feinem Glternhauje abwenden werde, um zurüd zu 
fehren in die elegante, glänzende Welt, die Jahre nach⸗ 
zuholen, welche fie jo fläglich vertrauerte. — Die Jahre 
nachholen! Hatte fie es nicht jelber gejagt? D fönnte 
er ihre Worte — ihren Jubel über den neuerftandenen 
Reichtum vergeffen! Wie ein Dämon faßte diefe Erinne— 
rung das Bild der Geliebten und zog es in den giftigen 


Dunftkreis zurüd, wo er es ehemals, gold- und juwelen- 
Sn. FORAT SL Rom. u. Fton., Comddiell. GE 88 — 


am 


blißend, als ewig verloren betrauerte. Die fürftliche Billa 
ihres Baters entipricht nicht ihren Zweden! — Weld 


einen Zweck verfolgt fie? — Mag fie der Vergangenheit 


wegen nicht in die Nefidenz zurüdfehren? Will fie m 
einer anderen Großſtadt deſto glänzender und anſpruchs⸗ 
voller auftreten? In den vornehmſten Kreiſen als Bi- 
comteſſe de Saint Lorrain Triumphe feiern? Der Name 
ift uralt und arijtofratifch, gleichviel, ob der legte Träger 
desjelben in den falifornijchen Goldgruben fein entehrtes 
Dajein endete. — Neuer Adel imponiert Aglaë nicht, fie 
hat als Baroneſſe Lehnberg allzu traurige Erfahrungen 
gemacht, darum wird fie nun voll Eifers juchen, 
kraft ihres Vermöt geng eine neue Ehe au 1 ihließen, einen . 
neuen Namen zu erfaufen, welcher alles gut macht, was 
die beiden andern verfchuldeten. — Hans thut das Herz 


jo weh, als wolle c verbluten an unlihtbarer Wunde. 


Cr jieht nicht auf, als ein Wagen herzurollt, er heut 
erit jeinen eiligen Sch ritt, als derſelbe vor ihm hält 
und jeine Snjaf ffen, plump wie Die Mehlſäcke, zur Erde 
wuchten. — 

Dolphele und Wolfele! — Einer fo unſchuldsweiß 
gekleidet wie der andere. Dicjer fo innig zuthunlich, 
wie jener! | 

Die Borjtellung Hält nicht lange auf, und große 
Umſchweife werden auch nicht gemacht; das Brüderpaar 
ſchließt ſich in ſe Ibftverjtändficher Kädhitenliebe Dem einz 
jamen Spaziergänger an, und Bolfele kommt a: auf 
des Pudels Kern zu ſprechen = 


= ho 


Wir möchten Sie e etwas über die Gräfin = 
Aglas fragen, Herr Profeſſor!“ De — 





Hans amüfiert fich, ohne es zu wollen. „Bitte, meine 


Herren, ich ftehe ganz zu Ihrer Verfügung!” — 


— 596- — 


„Eijerfüchtig brauchen Sie ja nicht zu fein — ſahrtt 
Wolfele treuherzig fort und ftampft ſchweißtriefend im 
heißen Sonnenjchein auf ftaubiger Chauſſee, „Die Aglas 
rechnet nämlich nicht auf Cie, weil Sie ſchon eine andere 
Beziehung in der Nefidenz haben, das hat Mama jehr 
flug erjorjcht, als fie von einer barmberzigen Echweiter 
— Prach, die naͤchſtens herkommen foll! Da merkten 

r, daß das Ihre Auserwählte ift. Na, Ste find ja 
is reich) und brauchen nicht auf Geld zu jehen; Mama 
will aber, daß wir uur cine jehr reiche und feme Frau 
nehmen jolen! m — 

„Sp jo! und da haben Cie es auf ajar Lorrain 
abgejehen ?” o 

„Bir beide ſchon langel ana aber erit, lele 
weiß, daß auch Geld im Hintergrund we = 

„Bed? — Woher, um a in t dor X Belt, wijfen 
Sie Das?!” | 

Dolphele lächelte nern. Run, Heller war doch 
die Gräfin beim Mammele und ‚hat ü über den Vertauf der 
Branerci geſproche — 9° 

Hans ſtarrte den Sprecher groß an. Die Gräfin 
will die Brauerei fanjen? X — | 

„Sa, gewiß! Mus mancherlei Gründen! Erſtens 
hat fie gejagt, die Brauerei ärgere den alten Burkhardt 
und nchme ihm die Arbeiter weg. Und zweitens wolle 
jie jelber nicht aus dieſer Gegend und von ihren lieben 
Pflegeeltern fort, und drittens will fie die großen Brauerei- 
gebäude in ein Krankenhaus umwandeln, weil Sie im 


— 597 — 


Moosdorfer Schloß eine Klinik errichten wollten! Da 
follen die armen franfen Leute bei ihr aufgenommen und 
gejund gepflegt werden, weil Gie fih das jo wünjcen, 
und aus lauter Chriitenliebe follen wir ihr die Brauerei 
verfaufen! ‚Ein rechter Unſinn!“ jagt Mammele, — 
Geld kann — angewandt werden!” — 

Dolphele puftete und blieb jtehen, er fab dunfelrot 
aus vor Hige, und fein dreifaches Kinn glängte wie mit 
Speck gefchmiert. Hans aber ftand ihm regungslos gegen: 
über und fchloß momentan die Augen, wie einer, den 
ein jäher Schwindel erfaßt. — Herr des Himmels, follte 
dies wahr fein? — Eollte ein jolh unbejchreibliches 
Glück möglich fein? Hätte er Agla& wahrlich fo bitter 
Unrecht gethan? — — — Da er nicht antwortete, era 
griff Woljele wieder zutrau lich das Wort. en 

„Seit nun Mama weiß, daß Geld da ijt, meint fie 
auch, wir fönnten die Gräfin nehmen.” 

Wir? — Wollen Sie gleich beide die junge — 
heimführen?“ 

Der Gefragte fragte ſich befangen hinter dem Obr: 
„Sa, das iſt's ja!” ſeuſzte er, „wir möchten fie beide 
gern, aber den Dolphele un die Enticheidung ges 
troffen.” 

„Ah, in wien? - — Bitte erklären Sie!” 

„sa, leben Sie, Herr Profelfor, wir wollen fie alle 
beide haben, aber zunten wollten wir uns auch nicht 
gerade darum. Da ſollte die Gräfin entſcheiden Wir 
ginaen, an die Sartenheite in ae fauerten or | 


— 598 — 


anf und baten fie um etwas fürs Knopfloch, Nun 

dachten. wir, fie wirde vielleicht einem eine rote und dem 

andern eine weile Roje fd jenten. Und der die rote Blume 

befam, der folle fie heiraten! — Tas war ſchon früher, 

ehe wir wuften, dap fie Geld Br Aber fie gab uns 

feine Rofen!” ya 
| „Sondern: r” Hans immi nur mähfem ernit bleiben. 

Rurswei floh, schen!” — mannzten die Freier kläglich 

n wie fatal! Und die jahen beide rot aus?!” 
- „Sa, leider! Aber wir fanden einen amg a 

Ich bin begierig!!” 

„Bir feßten uns an den Chauſſ —— und ſchnitten 
die Radieschen auf Wenn eines wurmig war, dann 
gatte der Betreffende verloren!” 

„Bravo! Außerſt ſinnreich! Und wer hatte Die Madar 
um wer das große Loos gezogen?” 

„Sie waren beide murmig!  — — Boliele jeufzte 
fo ſchwer auf und ſprach mit ſolch dumpfem Pathos, 
als citiere er die tragiſchſte Stelle des Hamlet: „Sein 
oder nicht fein?” — ‚Nie waren beide mung“ — 

„Entjeblich! Uud wie fuchten © Sie nun bisjen goror 
Knoten zu löjen?” en 

Ginen Augenblick herrichte, onen, dann blickte 
der Zwilling Wolfele feierlich gen Himmel und murmelte 5 


dumpf: „Nun zählten wir die Maden! — Zn meinem 


Nadieschen frabbelten nur zwei, in Dolpheles aber drei. 
— Aglas jeiber Hatte entschieden, und u wird a 
anhalten !” | 


— 599 — 


„echt ſalomoniſch!“ 

Wie meinten Eici Dur 
„Salomon bedentet „weije 7 — Hans zog mit 
ſtrahlenden Augen den Hut vom Haupt und lieh Die 
frifche Luft des Waldes, in welchen fie foeben eintraten, 
tief atmend um die Stirn wehen, Ihn war's, als ob 
ifn © Diefe Luft hoch zum Hinmel trüge, als ob er wie 
heugeboren die herrliche Sotteswelt eingaum zum eritenmal 
erichaute; ‚ein jauchzender Übermut erfaßte ihn: „Wann 
tollen Sie denn nun anhalten, ‚Herr: ae 
„Sa — deswegen famen wir eigentlich, — ſeußlte 
Dolphele beflommen, „ic weiß nicht, wie ich die ade 


anjtellen fol! Schüchtern bin ich ja nicht gerade, aber 
es ift doch der erite Heiratsantrag, welchen ich mache, 
und da fürchte ich, in meiner Rede ſtecken zu bi ben? 


„Eine Rede? Scharmant! Was wollen Cie denn fo 
ungefähr | jagen ?” 
Der Eheſtands kandidat trocknete ſchon jeht den Raul. 


Schweiß von der Stirn. „Sehen Gie — das weiß ich - 


eben nicht! Die Damen verlangen jo etwas immer poetiſch, 
und dafiir. habe ich gar fein Talent. Sch dachte, wenn 
ich ihr vielleicht fagte, wie viel Tonnen. Hir Mammele 


jähr! ich verfauft, and Daß fie fün itighin — i meine 
Die Mylas — immer jo viel Bier trinten kann, wie fie 
nur mag — — glauben Sie nicht, daß ihr das em: 


leuchten würd De?” on | 
Hans zuckte ernfthaft die Achſeln: „Ich fürchte, dap 
dieſe Liebeserklärung zu proſaiſch it. — Sie müſſen doc) 


— ‚son a | 


bor allen Dingen der Dame ‚Tagen, daß Gie febr bet- 
liebt find!” | 

„Sehr verliebt bin? Ja das ift gar nicht fo 
ſchlimm, ich hatte ja nur die meiften Maden! — Und 
dann .. . ih fann fo etwas wirklich nicht über die 
Tippen bringen und meine doch — das muß fie ſich allein 
denfen! Wenn th fie heivaten will, wep jie boh, daß 
fie mir gefällt!” | 

„Sehr logisch.” 

Wie meinten Ste? 

ogiſch heißt richtig! — Wenn Cie — aber — 
zu einer mündlichen Grtlärung entfchließen können, warum 
í reiben Sie nicht an die Gräfin? In einem Brief 
können Sie doch nicht ſtecken bleiben!“ 

Dolpheleẽ Augen leuchteten auf, und auch der jchwer- 
miütige Wolfele hob lauſchend fein — Deu 

Das ift ein Gedanfe!!“ 

„Was fol ich aber jchreiben? — Vielleicht bag 
Gedicht: „Ein Tannenbaum ſteht enjan” - — das rührt | 
die Damen immer fo jehr!” 

„Rein, es mug Original fein!” 

„ie meinten Sie?” 

„Original ift etwas Selbſtverfaßtes!“ 

Dolpheles Haare jträubten ih: „Bidten? Id 
fol dihten? 


‚„Bewahre, Sie können auch in Proja en post \ | 


Dinge jagen!” 


Einen jähen Se, zufol ge Ichlangen . — Zwillinge z 


— 61 — 


ihre Arme fo ungeſtüm um den Nacken des Profeffors, 
daß Diefer feine ganze Kraft anftrengen mußte, um nicht 
unter jolcher Centnerwucht von Fett und Wohlmwollen 
zujammen zu brechen. 

vLieber, herrlicher Herr Doktor! Ste find Doc ein 
fluger Mann. — Sie haben gewiß Übung in folden 
Sachen, — Schreiben Sie mir den Antrag auf!!!” 
Hans fah dunfelrot aus vor Amüfement. Er fügte 
fidh. — Erſtens wollte er die Duälgeilter (08 fein und 
zweitens Aglaë ein kleines Vergnügen bereiten. Er 309 
jeit Taſchenbuch vor und ſchrieb etliche Zeilen nieder. 
„So, Her Grauchenwies! Kurz — bündig und ſehr 
ideal! — nebenbei auch recht geſchmackvoll, lejen Sie und 
überlegen Sie w, ob Gie davon evroni magr 
wollen?” 

Dolphele und Wolfele an wie Stoßvögel über das 
Blatt her. Ihre feilten Wangen glänzten, eine ſtolze 
Zuperjicht blähte Dolpheles Brult: „Das ift ja grop- 
artiq! — prachtvoll! Lieber Dottor — wir danten Ihnen 
taujendmal! Wenn’ Mammele erlaubt, ſchicke ich Ihnen 
zum Dant ein Fäßchen! Und nun Adieu! Sch will gleich 
in die Stadt fahren und einen jchönen Bogen taufen.” 

„galt! Halt meine Herren! Nod) eine Frage zuvor. 
Sit der Anfauf des Ndlerhofes etwa ſchon abgeſchloſſen 
mit der Gräfin?” 

„OD nein! Gott bewahre! Sie foll erft nod — in 
die Höhe geſchraubt werden! Mammele will nur ver- 
faufen, wenn fie ein Gefchäft Ra en 


= 602 — 


„zo Jo! Cehr aaoi — Jum leben Gie toon, und N 


verlieren Sie den Antrag nicht! u 
Unter lebhaften Verficherungen, den foftbaren Edag 


ficher hüten zu wollen, ſtampften die diden Söhulein der 


Frau Crescentia zu dem Wagen zurüc, welchen fie mit 


energijcher Unterjtühung des Kutſchers ächzend erkletterten, 


und wobei fie die Federn des Rückſitzes auf eine ſchwere 
Probe ihrer Widerjtanosfähigfeit ſtellten — Die derben 
Apfelichimmel zogen an, dak fidh ihre Nüden wie zwei 
Neuen zujammenbogen, und dann feuchte der Landauer 
die Chauffee zurücd, der fleinen Sreisitudt entgegen. 

Hans aber warf fih wie ein jeliger Knabe in das 
Moos und lachte, wie er feit lang vergangener, glüdlicher 
Kinderzeit nicht mehr gelacht hatte. 

Gonne, Himmel und Bänme drehten fich in flimmern⸗ 
dem Kreiſe um ihn her, und ſein Herz ſtieg mit den 
jubelnden Waldvögeln m ich in wonnigen Träumen 
au. wiegen! 

Vic Schleier war es ibni von den. Augen. pialli, 
er war blind geweſen und hatte urplößlich das Augen: 
licht wiedergefunden. | 

Nun konnte er ſich Aglaẽs ra Weſen er: 
flären, wenn von Schweiter Amélie die Nede war! 

- Eiferfucht! Eiferfuht! — Gott im Himmel, fann’3 
denn möglich fein, Daß er das liebſte und treuejte Herz 
jo jehr verfennen, jo namenlos fränfen konnte? 

Er preßte das Antlig auf die verjchränften Arme und 
durchlitt all die jüßen Qualen der Selbitvorwürfe, welche 


— 603 — 


Das Bild der Geliebten aus dem Nebeldunft des Zweifels 
hoch emporheben in den Strahlenglanz fchuldfofer Reine. 
Er jelber war der Echuldige geworden, welcher ſchwach 
und Heingläubig genug gewejen, ſtets von neuem an 
einem Herzen zu zweifeln, welches ihm wahrlich oft genug 
Beweile gegeben, daß e8, zu reinjtem Gold geläutert, 
aus Dem Fegefeuer harter Schickjale hervorgegangen war! 
— Wie follte er jühnen, wie alles wieder gut machen ? 
Die leidenſchaftliche Eehnſuht trieb ihu heim. Nun 
jollten ihm alle Ed jäge der Welt nicht wieder den Weg 
zum Glück verjperren, und bie Comödic, welche in fo 
viel düſtern und ernſten Bildern Aglaës —— 
die ſollte doch noch austlingen in bochzeitlichen Gloden, 
welche Der Liebe und en einen heilt igen Sieg ein: 
läuten! | 








XXVI. 


So bift Du mein! jo wirft du mir gehören, 
— meiner Naͤchte meiner nn Licht! 
Rt. Pruß 


Rur wenig Jahre find berſchwunden 
Seit ih die Etadt nicht wiederſah, 
Nun ich mid freudig heimgefniden, 
‚ie ganz verändert ftand fie ba! 
' Johann Seide, 






ie Sonne ſandte ihre Strahlen bereits 
Ichräg durch das laubige Gezweig, 

als Hans die Chauffee an der mn | 
entlang ſchritt 

Ein föftlicher, farer Herbi — 
Die Hitze hatte nachgelaſſen, von dem nahen Landjee 
herüber ſtrich ein friſcher Luftzug und regte flüſternd 
das Blattwerk. Dunkelblau und wolkenlos dehnte ſich 
der Himmel ins Unendliche, und die Vögel, welche jubi— 
lierend die Luft Durchjchnitten, ſtiegen fo hoch auf, dap 
fie nur wie dunfle Punkte droben kreiſten. 

Leuchtende, üppige Farbenpracht, wohin der Blick 
wandte 


— 605 — 


Solbfunten flimmerten auf den hellmoofigen Buchen: 
ftämmen, feine Strahlennche ſpannen fih durch die 
Lichtungen der Wipfel, juft, als habe Meijterhand den 
PBinjel in die Sonne jelber getaucht, einen märchenhaft 
durchleuchteten Wald zu malen. 

Das Laub begann bereit3 fich zu färben. Blutrot 
hingen die Blattichlingen des milden Weins an den 
Bäumen hernieder, zu deren Kronen fie jhon feit Fahren 
jehmfüchtig empor ftrebten, durchflochten von breiten 
Raftanienfächern, welche fich, ſchweſelgelb geflammt, graz 
3108, mie von jchöner Frauenhand bewegt, im Luftzug 
Ichaufelten. Überhoch war das Unterholz des Partes 
während der Eommerzeit emporgeſchoſſen  Geißblatt 
ranfte ſich als holder Echmaroger von einem Aft zum 
andern, gelblich weiße, ſtark duftende Blütenbüſchel im 
die dunfelgrünen Epheugitter ſchlingend. Faulbaum— 
jtämmchen ſchmiegten ſich graziös an die uralten Eichen, 
und riefige Farren neigten ihre Wedel úber Moos und 
Wurzelwerk, das Laub der Veilchen und Narziffen über: 
jchattend. — Tannen und Weimutsfiefern hingen ihre 
Nadelarıne tief über die Parfmauer, und aus einer aus— 
gemauerten Höhlung derjelben iprudelte das flare Büch- 
lein, welches die Fontainen und Baſſins auchuh Des 
oberen Biergartens ſpeiſt o 

Sm Graben an der Mauer entlang riejchid, iudi esden 
Weg zum Thal. — Kreffe, Huflattic) und Binſen jäumen 
e3 zu beiden Seiten, und wo das Erdreich fidh etwas moraftig 
vertieft, wuchern Sommers über die Vergißmeinnicht. . 


ir = 


Hans fchreitet abermals der Entfcheidung entgegen, 
und wieder find es die Bilder der Vergangenheit, welche 
mit den bunten Schmetterlingen um Die Werte im legten 
Sommenglanz vor ihm her gaufeln. — o 

Diesmal aber find e8 liebe, BON. Srinnerungen, 
welche fein Herz ſchneller feylagen lajfen! — Dort, hinter 
jener Mauerbiegung, unter dem alten Biatanenbaum | 
hatte eiuſt Aglass lociges Stindertöpfeh en ihm Jehnfüchtig 


wartend entgegen geſchant — Da hatte er fih über 


den < Bach zu ihr emporgejehrvungen, hatte ihr die blauen 
Vergißmeinnicht in den Echo gejchüttet, und fie hatte | 
zum Danf jein Haupt in beide Händchen genommen und 
feine Lippen gefüßt, — zum erjtenimal. — 

„Sch habe dich fehr, ſehr lieb, Hans! — und wenn 
du einmal ein an, dvornehmer ann wirft, dann | 
ae ich Dich ! 

Noch klingt — ſüße, ſchmeichelnde Stimme vor ſeinem 
Dir. Er hat fie gehört fein Leben fang, in der Stille 
und. Einſamkeit ſeiner Gtudierjtube, im Lärm und Ge- 
triebe der großen. Welt, in dem wülten Wetterſturm, 
welcher das ſchwache Pilänzlein Boffuung vernichtend in 
den Staub peitjchte. — — | ; 

Gar oft ift es zerfegt und germeh t hernieber geriſſen, 
und doch haben feine Wurzeln fo tiefen Grund im Herzen 
gefaßt, daß es immer wieder neue Sprojjen getrieben, 
daß immer von neuem die wepe Blüte fih erjchlog, 
funkelnden Thränentau im Kelch zu tragen. — 

„Sch Habe dich jehr, jehr lieb!” — Wie ein Echo haben 


— 607 — 


die Worte fortgeflungen, — eh Echo, welches gleich einer 


Stimme aus der Heimat ruft, dem Wanderer den rechten 


Weg zu zeigen! Damals! — Damals. — Da war die 
Welt ſo ſonnig wie heute, da jauchzte jein Herz in den 
offenen Himmel hinein ebenjo wie zu Diejer Stunde. Sch 
habe dich ehr, jehe lieb, Hans!” — Niemand hatte 
außer ihm die Worte bamala gehört, nur Die Blumen, 
Käfer und Schmetterlinge haben jenen erſten Kuß ge— 
jchaut, und nur die vertraute alte Blatane hat das ſüße 
Geheimnis in der Rinde getragen, wie ein ſtolzes Chren- 
zeichen, welches die Liebe verleiht. 

Ein gropes Herz hatte Hans in den Stamm ge: 
ſchnitten, das umrahmt die Buchltaben M. und H. — 
Seit Jahren hat er Diejes Mal nicht mehr geichaut. Er 
hat die Platane geflohen, als fürchte er, fie jteche ihm 
die Augen aus mit diejem zerjplitterten Herzen, als müjje 
er fidh unter ihr ein Leidg anthun, wie jener arme, jutge 


Geſelle im Lied, deffen Schab falſch und treulos war. — = 


Odjft find Schwarze Wetterwolfen über den Baum ge 
zogen, da haben Dorner, Sturm und Blig ihn bedräut, 
oft wollte die brennende Mittagsglut fein Mark und Blut 
ausjaugen, aber der treue Hüter des Herzzeichens ftand 
jo fejt wie Glauben und Gotivertranen im Herzen Hans 
Burkhardts — | 22 | 

Jahre find vergangen. Herz und Namenszug find 
wohl mit der Rinde verwachien zu untenntlicher Narbe, 
das Moos der Vergeffenheit hat fie überwuchert. Aber 
die Zeit ift gekommen, wo Diejes grüne Moos ſich zur 


— 608 — 


bräutlichen Myrthe wandeln wird, wo nicht nur Blumen, _ 
Vögel und Schmetterlinge darum wijfen follen, jondern 
die ganze, weite Welt Zeuge fein wird, von dem heiligen 
Bund, welcher gwei Namenszüge in einem Herzen voll 
Liebe eint! 

Dort ragt die Platane bereits über die niedem Ge- 
büfche empor: noch wenige Echritte . . . nod) die Biegung 
des Weges — und Hans wird fich haftig über die Mauer 
ſchwingen, ganz wie ehemals, um feit langen Jahren 
wieder auf derjelben Stelle zu jtehen, wo Aglas ihn zuerit 
gefüßt! Er jihreitet jchnell, wie von ungeftümer Sehn: 
jucht getrieben, aus; fein Blick ſucht die Stelle der Mauer, 


über welche fich Damals Aglads (ächelndes, jelbjtbewußtes 


Stindergeficht ihm zugemeigt. Da ſchrickt er zujammen 


und bleibt jählings itehen. Sit es ein Traum, ein liebes, . 3 


Holdes Gaufelbild, welches jeine Sime gefangen Hall? 

Dort auf der Mauer fitt Aglaë. — Laub und Ranfen 
umrahmen ihre jchlanfe Figur, weiß gekleidet, zierlich und 
graziös wie vor langer Zeit, da fie das Herz des Knaben 
entzücfte. Auch das rofige, fede Gefichtchen ähnelt noh 
dem Kind Aglaë, nur ift fcin Ausdruf ein gar völlig 
veränderter, namentlich in diefem Augenblid, wo die junge 
Frau vol ernjter Wehmut vor fidh hinſchaut auf den 


Blatanenftamm, wo fie die Arme um ihn jchlingt und 


Das Köpfchen müde gegen die harte Minde neigt — — 
juft, als wollten ihre Lippen das Herzzeichen darinnen 
füfjen. — 

Über ihr winſcherus im Gezweig und ſchwingt ſich 


— 609 — 


hell aufjubelnd in die blane Luft empor. Aglaë hebt 
mechanifch dasHaupt, ihr Blick ſchweift nieder zur Chauffee, 
und emporzudend, heiß erglühend, ſtarrt fie Hans in die 
Augen. — a 

Mit wenigen Schritten steht er vor Ihr. — 

Aglas!“ fagt er weich: „Wem die Gedanfen einen 
Menſchen herbei zaubern fönnten, fo würde ich glauben, 
die meinen hätten Sie foeben gerufen!” Sie hat fich 
jchnell gefaßt, — unter dem Vorwand, ihr erhittes Ge- 
ficht zu fühlen, ftreicht fie mit dem Tafchentuch darüber 
hin, Hans fieht aber, daß fie die Thränen verheimlichen 
wil, welche ihr in den Augen geltanden. „Wahrlich, 
Hans? Haben Sie ut an mich gedacht?“ 

Cein Blick jchweift über die jumpfigen Bachufer. 
Ich dachte Ihrer, und wenn es Sie nicht langweilt, er- 
zähle ich Ihnen auch, aus welchem Grunde! — Ah — 
wahrlich noch ein fchtes, verjpätetes Vergißmeinnicht!“ 
Er beugte fich, es zu pflüden, dann jprang er über den 
Bach und Stand nun dicht neben ihr. „Wie erinnert mich 
Dies alles an langvergangene Zeiten! Wiſſen Sie noch, 
Aglaë, wie ich Ihnen als Knabe einmal einen Strauß | 
Vergißmeinnicht hier emporreichte ?” = 

Sein Blid und der Klang feiner Stimme verwirren 
fie. Sie zupft mit leife bebender Hand den Mauerpfeifer 
aus dem. bröcdelnden Geftein. „Gewig entjinne ich mid. 
Mein Leben ift fo arm an fonnenhellen Stunden, daß 
mir meine Kinderzeit in Moosdorf als ein verloren ne 


dies erſcheint.“ 
N. v. ——— SN. Rom t. Non. Somdttell, LAN. 


— 610 — 


„Sein Paradies ift verloren! Wenn man nur daran 
glaubt, daß man e3 findet, wen man danad) jucht, ift 
e3 ſchoͤn zurücgefchenft! Wie viele Jahre ſind's her, 
daß ich zum leßtenmale hier die Mauer erftieg? Nehmen 
Sie das Vergigmeinnicht, Aglas, ich will fehen, ob es 
noch einmal ganz und gar ſo ſein kann wie ehe— 
mas! — 2 

Sie laht, — — aus Verlegenheit, Das Bergiße 


meinnicht leuchtet ihr entgegen, und ihre Finger erbeben 


Teije, als fie es erfaßt. Gewaltſam befämpft fie ihre 


Erregung und zwingt ſich zur Heiterfeit. „Bravo! Der — 


Hans von ehemals dürfte auf den Profeſſor neidiſch fein! 
Machen Gie es fich nur nicht fo bequem auf der Mauer, 
Sie haben feine Zeit zum Verweilen!“ — 

„Seine Sear” 
Sie blickt intereffiert die Chauffee hinab. „E3 ilt 
überraſchender Beſuch gekommen!“ = | 
„Ah! — in der That? — und Gie ſind im 
entfernteſten Wintelchen des Parta?” — 
„SG war m Haufe entbehrlich.” — Das mingi 
beinahe herb. 
Erjtaunt ſieht er fie an; jein fchntfhaftes Seficht 
wird erft. „Stein Bejuch, der Ihnen gilt?“ — 
„Mär?! Nein — mir wahrlich m — 
unſaßlich! Wer follte es jein? Bitte erbarmen 
Sie ſich meiner Neugierde! — ; 
Sie neigt das Antlih tief zu dem Bergißmeinnicht 


ll ‚nieder. „Schweiter Amelie ift bereits vor einer Piertel- 


— 6ll — 


stunde etwa eingetroffen, um Ihre Mutter zu unters 
jtügen, während wir verreiſen“ — 

„Schweiter Amelie?! Wirklich? o welche große 
Freude! Haben Sie die treue Seele ſchon begrüßt, 
Aglas?“ — Sie jihüttelt 
den Kopf, ein qualvoller 
Zug ileit fih unbe: 
zwingbarumihreQippen. 
„Sh. hatte im Garten 
zu thun — und — — 
— aber jo eiln Sie 
doch! Hier iji Shr 
Bergißmeinnicht! Em- 
pfangen Sie Schweiter 
Amelie, ih folge 
nadh!“ — 

Er rührt ſich nicht. 
„Sie wird gehört haben, 
daß ih im Walde bin 
und meine Abwejenheit 
entjchufdigen. Es ijt 
grade jeßt jo Jchön hier, 
jo ganz wie früher — 
und ich möchte gern noch ein wenig mit Ihnen plaudern.” 

Aufs hoͤchſte erjtaunt fieht fie ihn au. „Sit es Jo 
Wichtiges, was Sie mir mitzuteilen haben? — Sie deu- 
teten jchon an, daß Sie fid) in Sedanfen mit mir bez 
Ichäftigten. In wie fern baa — 





3: 


— 612 — 


Er 309 den Hut von der Stun und [chüttelte Die 
dichten Blondhaare zurüd. eine Mugen blicdten jo une 
gewohnt, — ganz. wie ehemals die lieben Blanaugen des 
Knaben fie treuinnig angeſtrahlt — „a, ih dachte an 
Ste. Sc zerbrach mir den Kopj, warum Sie wohl den 
cinjamen, langweiligen Adlerhof kaufen wollen 2“ — 

Sie ſchrak heiß errbtend empor, „eher wi ifen Sie 
das?" — ftammelte fie. 

Er zudte die Achjeln. — Rollen Sie Biere 
brauen, Aglaë?” — nedte er, „over was beabjichtigen: 
Sie mit diefem Stammjchloß des Bockbiers zu beginnen?” 

Ihre Stimmung iſt jebi au ei um über ernfte 
Dinge zu reden!” — | 

Er faßte jäßl ings ihre Hand. | Se bin jtet3 in der 
Stimmung, von Ihren Plänen zu hören!’ — 

Was hat er nur für eine wunderliche Art heute, mit 
ihr zu reben? — Kaum, daß er ihr in den legten Tagen 
ein freundliches Wort fagte, — md jeßt ... .? — Eie 
ſchaut an ihm vorüber in das blühende Gaibor. 
„Sch wollte Ihnen gern etwas zur Hand gehen, Hans, 
und die Gebäude des Adlerhofs zu einem Krankenhaus \ 
umwandeln, um all die armen Patienten unentgeltlich 
aufzunehmen. Es ließe ſich Doch mit der ärztlichen Be⸗ 
handlung im Schloß hier ſehr gut vereinen — —“ 

„Wie rührend licb und gut von Ihnen, befte Aglaë! 
Haben Eie aber auch bedacht, daß dies eine ganz felbit- 
ftändige Anſtalt werden müßte, und dab ~ vor allen 
Dingen der Leitung bedürfte?‘“ | | 


— 613 — 


„Ich wollte diefe Leitung gern jelber — und 


bei der Pflege behilflich fem! — 

— = Eier! 

Angjtooll, beinahe unter Thränen fah fie ihn an. „Co 
glauben Ste auch jetzt, JabiE it ug nicht, daß ich 
mich dazu eigue?“ — | 

Er zieht ihre Hand an die or und fügt fie unz 
gejtüm. „Nein, Aglaë, beim ewigen Himmel, das nicht! 
Sch begreife es nur nicht, wie eine jo reiche, vornehne 
Dame wie Cie, die fich doch fo jehr über ihr neu ere 
langtes Vermögen freute und all die Jahre nachholen 
wollte —” — 

„Haus!“ — klingt es entſetzt von ihren Lippen — 
„iit es möglich, daß Sie mich migperftehen founten 2? — 

Ich verftand nur Ihre eigenen Worte! — 

Da fehüttelte fie beinahe finfter das Köpfchen. All 
die Jahre nachholen! — Glauben Sie, ich hätte nur die 
Vergnügungen, nur das üppige Leben betrauert, welche 
ich während diefer Jahre entbehren nute? Nein, Hans, 
im Gegenteil, ich habe jene Zeit als verloren beklagt, 
wo ich nur für mih jelber lebte und feinen andern Da- 
ſeinszweck kannte, ala den, Darüber nachzugrübeln, wie. 
man jeine Tage am fofifuteßiten, raffimerteſten und be: 
ranfchenditen verleben könne! — Ich entſann mich gerade 
jet, ehe Sie famen, einer Unterredung, welche wir als 
Kinder hier an der Mauer führten; fie ift mir bejonders 
(ebhajt im Gedächtnis geblieben! — Ich ftritt für die 
Thefe, daß man in der Welt Comödie jpielen muſſe, um 


a ee 


ein hohes und beneidenswertes Biel au erlangen. Cie 
hielten es ehrlich und ſchlicht mit der Wahrheit. — Wir 
beide handelten nach unfern Grundfäben. Sch habe eine 
leichtfi innige, frivole Comödie aufgeführt, und alles, was 
ich damit erreichte, war litter, Lug und Trug; ich ward 
mit der Münze ausgezahlt, welche ich felber ausgab! 
HD alle die, welche ehemals mit mir auf der großen 

Schaubühne der Welt ftanden und ein Scheinleben unter 
der Maste führten, find verdorben und geftorben, ebenfo 
unglücklich und verlajfen wie ich, wenn auch nicht im 
phyfifchen, jondern im moralischen Elend. — Cie aber, 
Hans, der wahr und rechtlich durchs Leben ging, der 
nicht an fich, fondern an feine Nächften dachte, der nicht 
den Götzen der Welt, ſondern dem Vater im Himmel die 
Ehre gab, der hat ein ‚Biel erreicht, welches wohl das 
herrlichite von allen ift! Und in diejem Gedanken, 
Hans, habe ich mich über Gottes Gnade gefreut, welche 
mich aufs neue mit Mitteln ausftattete, welihe meine 
Schwäche bedarf, um fräftig wirken zu fönnen, und nur 
in dieſem Sinne habe ich gejubelt, Daß idh Die verlorenen 
Fahre einholen und einbringen tann! — Sie haben eine 
Brofelytin aus mir gemacht, Hans. — Sie find mir 
porangegangen auf einem Weg, Darauf ich Ihnen jett 
gern folgen möchte — Stoßen Sie mih nicht zurüd, 
entzichen Eie mir nicht Ihre helfende Hand, laffen Eie 
mich unter Ihren Augen meinen neuen Beruf ausüben, 
Hana! — Iſt neben Schweſter Amélie fein Plaş für 
mid, jo laffen Sie mih im Adlerhof einen eigenen Wir- 


arn plo om 


fungsfreis finden! Mein Yiadh fteht im Dienfte Der 
Armut und der Krankheit, Cie jollen das Geld in diefem 
inne verwalten, Hans, und ich will niht mehr in 
meinem Hauje n, als Schweiter und PBflegerin, als 
eine, die helfen, tröiten und mit ihren Pfunden haus- 
halten will, wie e3 Gott von jeinen trenen Statthaltern 
verlangt!” — — Sie hatte in wachjender Erregung gez 
jprochen, ihre Augen leuchteten, und die Wangen färbten 
jich zu tiefem Purpur. Und nun, da fie jchwieg und 
zu Hans emporjah, war es ihr, als habe er gar nicht 
auf ihre Worte gehört, jondern nur mit verklärtem Blick 
zum Himmel gejchaut, wie ein Menih, der betet. — 
Jetzt fah er fie an — und. ſah fie fo wunderfam an, 
daß ihr Herz flopfte und hämmerte, als wolle e3 zer- 
ipringen. „Mglaë“, ſprach er leije, „mir und meiner 
Führung wollen Sie fidh anvertrauen? Wirflih den 
Weg geben, welchen diefe Hand Sie leiten möchte?” Und 
da fie nur, über feine Art zu fragen betroffen, nickte, 
faßte er ihre Hand, legte den Arm um fie und jchaute 
ihr abermals in die Augen. „Dann fei mein Weib, 
Aylad, dann laß ung nicht wie zwei gute Kameraden, 
ſondern wie ein Herz und eine Seele den jchönen, geraden 
Meg der Wahrheit und der Liebe gehen” a 
Reqgungslos, wie gelähmt, Ttarrte fie ihn aus weit- 


offenen Augen an: „Amelie! — Amelie?! rang e ido 


von ihren Kippen. ER 
Da lahte er wieder fein frifches, altes Lachen. „Die 


wird Gott danten, wenn eine junge Herrin ins Haus 


am 


fommt, die ihr eine Laſt und Sorge tragen hilft, welde u 
ihr bald zu jchwer fein würde! — Schwefter Amelie 
feierte im Frühjahr ihren zweinndjechzigiten Geburtstag, 
ihr Haar ift weiß wie Schnee — 

„pang! — — Dag war ein Auffchrei zuteruder 
Überraf dung, dann verſtummte ſie halb lachend, halb 
ſchluchzend vor Seligkeit — Der überglückliche Freier 
verjchloß ihr die Lippen mit heißen, ungejtümen Küſſen 

Die Sonne fant, ihre leßten glutroten Srahlen ver: 
goldeten Gebüjch und Parkmauer uud tauchten das j inge 
Paar in märchenhaften Glanz. 

Wie trunfen vor Wonne ſchaute Hans auf das große, 
weit ausgewachjene Herz in der Platancnrinde: „Weit 
du noh Damals, Aglaë?” | a 

Sie nickt und ſchmiegt ſich feſter an ifu. 

„Damals fagteft du: ‚Wenn du einſt ein berühmter 
Mann und jehr vornehm bift, Heirate ich, dich, Hans!” 

„Und ich halte Wort und Heirate den — 
und gefeiertſten Mann der Wiſſenſchaft!“ u 

Er fieht fie neckend an: „Mber Die —— Agla? 

— Auf die mußt du num verzichten!!! 

Bol unbeichreiblicher Innigkeit ſchlingt ſie bie Heme 
um femen Raden: „DO Hans!” ruft fie begeiltert, „bez 
feligtift jedes Weib, deſſen Gatte ihr eine jolche anir 
zuführt, wie Du e3 mir thuft! AU die Taufende, welche 
du geheilt und errettet, all die Ungezählten, welche deinen 
Namen voll Dant und Verehrung nennen, alle, welche 
dir, dem mutigen Pionier auf der neuen Babn des Biffen, 





— 618 — 


folgen, zum Heil und Eegen der ganzen Menfchheit zi _ | . 
werden, alle die gehören in Deine Ahnenreihe, auf mele 


du ftolzer zurückſchauen kannſt, als mancher Graf auf 
jein uraltes Gefchlecht! — — Ich habe nicht viel gelernt 
in der Welt, Hans, eine Erfahrung aber habe ich zu 
meiner Überzeugung gemacht, die, daß der vornehmite 
Adel derjenige des BVerdienftes ift!” | 

Em unbejchreiblicher Jubel hat das Pächterhaus 
durchhallt, ala Hans feine liebreizende Braut in die Arme 
der Eltern geführt, Wie ein lang gehegter und nun in 
- feiner Erfüllung dennoch faum zu begreifender Wunſch 
ericheint dem alten Paar das itrahlende Glück vor ihren 
Augen. — Bater Burkhardt ift anfangs fo außer fi 
und übermütig luftig gewejen, wie faum an jeinem eignen 
Verlobungstag, und er hatte nur eine einzige Entſchuldi— 
gung dafür: „Laß mich die Freude austoben, Grete, 
fonft erftide ich dran!” — — Cr brauchte einen Anlap, 
um einmal wieder die Xime in die Luft zu werfen und 
urra Schreien zu fönnen, wie damals in der Garde- 
Alerandersflajerne, als die Kanguen im Luftgarten ver- 
fündeten, dab Dem geliebten Prinzen Wilhelm fein Söhn— 
lcin Friß geboren war! — — Epäter, als ihm der eigne 
Vube in den Arm gelegt wurde, da hatte der Ernſt des 
Lebens doch gar zu gebieterijch neben der Wiege geftanden, 


fo daß er wohl eim Gebetlen über feinen Hanfel ge 


prochen, aber nicht hurra gejchrien hatte Es waren 
ichwere, böfe Zeiten damals, und der Alte hat faum noch 


— 619 — 


luftige danach erlebt, Darum will er's heute nachholen, cr 
hat allen Grund dazu! — Ganz außerm Häuschen ift 
er aber gewejen, als der Poſtbote einen Heiratsantrag 


für die Aglaë gebracht hat, Natürlich von einem Bwile — 
ling der Frau Crescentia! Und was ftand darin? Vor 
Lachen hat's die kleine Braut gar nicht leſen fünnen! Ser . n nn 
Hauptgedanfe aber ijt folgender geweſen: „Frau Gräfin! | R 


Es gibt verjchievene Sorten von Malen. Grüne Yale, 
Cpicaale und Ideale! Und diefes leßtere find Sie für 
mich! Geftatten Eie infolge dejjen, daß ih Ihnen Herz 
und Hand anbicte!” 

„un wähle zwijchen ihm und mir, Aglaë!” lachte 
Hans: ‚sc habe meinen Nebenbuhler nicht hinterlijtig 
aus dem Feld gejchlagen, jondern ihm jogar nod) ven 
Meg zu deinem Herzen gebahnt!” -o 

Als Antwort erhielten die Adlershofer eine Einladung 
zur Berlobungzfeier, welcher fie präziſe Folge leifteten. 
Seltjamerweije alle Drei ur itrahlender Freude, Ein 
entjeßlich kritiſchet Fall mwar aufs glücklichſte durd 
Hans gelöjt, denn weil beide Brüder fi in Aglaë ver- 
liebt hatten, wäre cine Statajtrophe unvermeidlich geweſen. 
Dolphele graͤmte ſich über ſein großes Glück, welches 
Wolfele jo tief traurig machte, und ſeitdem der Antrag 
abgeſchickt war, trugen fich beide mit Sterbegedanfen. 
Der eine wollte fidh aus Ruckſicht für den andern das 
Leben nehmen, und Frau Crescentia drohte mit Ohrfeigen 
rechts und links Die Einladung zum Berlobungsfeft 
wirkte im erften Moment zwar febr verblüffend, glich 


H a 


aber dem energiichen Echwerthieb, welcher den gordifchen 
Kuoten herrlich löfte. Die Zwillinge lagen einander in 
den Armen und ſchwuren, fich nie wieder in ein und 
diejelbe verlieben zu wollen, fondern „op ewig ungedeelt” 
ihr Leben alg Junggejellen zu bejchliegen. Nur in Frau 
Grescentia3 Herzen Elimmte ein fleiner Nachefunfen, und 
darum erklärte fie Frau Aglaë, daß ihr der Adlerhof 
jelbit für Millionen nicht verfäuflich. fei, eine Mitteilung, 
welche dent Brofeljor je njamerneije erfreulich. ſchien | 


— — — — — — — — —— — — EEE EEE EEE — 


Şu bet Reſidenz Hat die Verlobung und die bald darauf. : 


ro (gende Verheiratung des Profeſſors Burthardt geradezu 
Senſation erregt. Längſt verblichene und vergeſſene Kapitel 
aus der chronique scandaleuse wurden wie mit Zauber: 
ſchlag wieder lebendig. Die Lebens- und Leidenzgejchichte 
der Gräfin Saint Lorrain war Tagesgeiprädh, und als 
man erfuhr, daß fie neuerdings ein großes Vermögen 
ererbt, jah man ihrem Erjcheinen voll höchiter Spannung 
entgegen. Man war überzeugt, daß das Lehuberg- 
Mi oosdorfjche Palais in jeinem vollen mjpupathiichen 
Prunfe ncu aus den Trümmern emporwachfen werde, 
und betlagte unverhohlen die jo ganz unfapliche Partie 
des allgemein jo außerordentlich beliebten und verehrten 
Arztes. Grenzenlo® war jedoch die Überrajhung, als 
nicht eine jürjtliche Villa à la Gräfin Lorrain, jondern 
ein febr ſchlichtes, aber äußert behagliches und trauliches 
kleines Haus die ſelbſterwählte Heimat der jungen Frau 

wurde. Die klatſchſüchtigen Zungen triumphierten aller- 


ae oe 


dings, als Aglaë das nahegelegene prachtvolle, große 
Gebäude der ehemaligen Nitterjchaft fäuflich erwarb, und 
jpotfeten über das beicheidene Abjteigeguartier, welches 
anfänglich den Leuten ein X für ein U gemacht. Aber 
fie verftummten bald für immer, als das große Haus 
zu einer Privatklinik der Frau Profeſſor Burkhardt ums 
gebaut wurde. Ganz alterierend auf alle Gemüter wirkte 
jedoch Die Nachricht, dağ die junge rau Diejes Kranfen— 
haus aus eigenen Mitteln beſtreiten und zum Aſyl für 
die wunbemtttelten Patienten- ihres Mams einrichten 
wolle, und als man es qar erlebte, daß Die Frau Profeſſor 
perjönlich die Krankenpflege leitete und an der Seite ihrer 

treuen, innig geliebten Schweiter Amelie fih in au 
opjerndfter Weiſe daran beteiligte, — da kaunten Staunen ! 
und Bewunderung feine Grenzen. 

Frau Aglaë Burkhardt war bald eine ebenſo — 
und beliebte Berjönlichfeit wie ihr ſtrahlend glücklicher 
Gatte, und wenn fich die junge Frau auch fo viel wie 
möglich von der Gejelligfeit zurüczog, um ihre Stunden 
einzig dem trauten Glück ihres Haufes zu weihen, jo war 
es Doch unmöglich, ſich von jedwedem Verkeht zurück 
zu ziehen. 

Eines Tages Bellen — Hofequipagen vor der Klinik 
Königin Mutter, Pring Ferdinand und Prinzeſſin Sophie 
Marianne beehrten die Anſtalt mit einem: Beſuch, und 
Aglad und Schweiter Amelie übernahmen die Führung 
der überrafchenden Güfte. Könign Mutter hatte das 
Bild der diamantenftrahlenden Millionenerbin noh gut 


* 622 — 


in Gedanken, und begriff es faum, dieſe (be in 
dieſer rührend beſcheidenen, herzlich milden jungen Frau 


wieder zu finden, welche mit glüchſtrah lenden Augen zu 


ihr aufjchaute, al3 habe es nie eine andere Beit für fie 
gegeben, als diefe des ſegensreichſten, opfermutigſten 
Wirkens — Die hohe Frau erümerte fih im Geſpräch 
oitenfibel, die Gräfin Lorrain ehemals ftet3 bei den Hof: 
fejten geſehen, die Frau Profeſſor Burkhardt indefjen 
noch feinmal daſelbſt begrüßt zu haben! — Sie ſprach 
ichließlich den Wunſch aus, dağ Aglaë ihren Gatten zu 
den Hoffejten begleiten möge. Eine tiefe, ftumme Mer: 
beugung der heiß Errötenden war die Antwort. Nach 
der Verabjchtedung jedoch flüchtete Aglas mit entſetztem 
Geſicht zu Haus, ihm den Befehl der Königin mitzu- 
teilen. „Sch wieder an den Hof gehen, Hans!” rief fie 
Ihaudernd, „dorthin, wo ich nur Kränkung, nur Schmad) 
erlebte! Man hat mich als Gräfin Lorrain über die 
Schulter angejchen, wie wird man mich als nen 
frau behandeln H” 

Hans lächelte ftill vor fih hin: „Das laß meine 


Sorge fein, liebes Herz; wir werden auf jeden Falf dem 


nn Wunſch der Hohen Fran Folge leiften t 
Im weißen Brautkleid, jchlicht und einfach — — 
märchenhaft aumutig umglänzt von dem weißen Atlas 
jtand Aglaë zum Hofball bereit. — Kein Schmuck, fein | 
Edelſtein, feine Perle, nur ein Kranz und fleine 
von Schneeglödchen zierten die mãdchenhaf t ſchlanke Gejtalt. 


a  — 


Schlicht und beicheiden, das Köpfchen bang und ſorgen— 
boll geneigt, erwartete fie den Gatten. Und er fam, 
ſchloß fie mit leuchtenden Bli des Entzüdens in Die 
Arme und füßte ein vorwitig Thränlein von den dunfeln 
Wimpern: „Barum ängjtigit du Dich, Herzlieb ? Bin 
ich nicht bet dir?!” | 

Sa, er war bei ihr. Seine Hand feſt in der ihren, 
fuhr fie hinaus in die Winternacht. — Der Sturm jaufte, 


Schneefloden wirbelten im Laternenjchein,; ganz, ganz 


wie damals, als die Baronejje von Lehnberg— Moosdorf 
zum e erſtenmal zur großen Cour fuhr. 

Wieder jtauen fich die Wagen vor dem Bortal, 
wieder jurrt und jummt das Stinmengewirr des neuz 
gierigen Straßenpublifums. — Bor dem Portal flammen 
die Pechurnen, geben die elektriſchen Laͤmpen taghellen 
Schein. 

Säbel⸗ und Sporenrafjen, Echleppenraufchen, mir 
jalutierendem Griff tritt der Bolten ins Gewehr. — 
Aglaë zuct zuſammen, glühend jteigt ihr das Blut in 
die Wangen. Sirampfhaft umklammert fie die Hand ihres - 
Mannes und jtarrt auf den jungen Freiwilligen, welcher 
vor dem Portal Schilöwacht ſteht — „Da, Hans! — 
Da ſtandeſt du Damals!” murmelte fie. | 

Er nidt ihr zärtlich zu und hebt fie jelber aug dem. 
Wagen. „Heut gefällt mir’3 doch bejjer als damals!” 
Icherzt er, „heute fann ich dir folgen!“ 


Steahlendes Licht flutet Aglas entgegen, warme, buji 


Luft füht ihre Stirn. — Dasjelbe Veſtibül, jogar nod 


— 4 


dDiejelben Pafaien. — Alles wie ehemals, und bennod H S 


ganz, ganz anders, 

Wie felbftbewuft und ficher schritt fie damals die 
Treppe empor, heute flopit ihr Herz zum Zerſpringen 
vor Angft und Scheu, und fie möchte fih am lebten 
hinter der hohen Geſtalt ihres Mannes DAR, um 
nicht gejehen zu werden! | 

Die Erinnerungen an all die bitteren En lbkuhhumgen, — 
Demutigungen und Zurückſetzungen, welche fie in Diefen 


Nänmen erduldete, wirbeln auf fie ein, wie eine Schar 
geipenftijcher Schatten, die legen fih wie Vergeslaft auf 


ihre Bruft und benehmen ihr den Atem. 

Mit niedergeichlagenen Mugen, faum wagend, um fih 
zu blicken, läßt fie fich von Hans in die Gemäldegalerie 
führen, wo die Damen fich) verſammeln Diejelbe Säule 
por ihr, an welcher fie ehedem einfam und ausgeitoßen 
wie eine Bert geltanden! Und Damals war fie doch 
noc die Trägerin eines vornehmen Namens — wie 
wird es heute werden. n Gleichviel, fic will es geduldig 


ertragen, Hans zu Liebe. — EN ichlagen in luſtigem — 


Gewirr an ihr Ohr. 


6, par PBrefeffert — Sie Wor! Goid > 
ficht man Sie auch bei Spiel und Tanz, und endlich 


bringen Sie uns auh Ihre Frau Gemahlin mit! — 
Hans begrüßt die Hofmarſchallin und führt ihr Aglaë. 
zu. — Herzlich) reicht ihr die alte Dame die Hand ent- 
gegen und jagt ihr. freundlichen Willfomm. Und weil 
dies für Aglaë ſehr überrafchend fommt — früher hatte 





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Comöpie IE 


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Cidftrutb, 


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Ereelleng fie dauernd ignore — blidt fie mit danfbar _ 
leuchtenden Augen auf nnd küßt die Dargebotene Rechte. — 


— Wie reizend liebenswürdig plaubert die Hofmarſchallin — 


mit ihr! Die beiden Töchter derſelben und eine Hof- 
dame treten Herzu, —- überall dieſelben herzlichen Worte, 
die aufrichtige Freundlichkeit. „Darf ich Sie cin wenig 
mit den Ihnen fremden Damen befannt machen, gnädigfte 
Frau?“ fragt Fräulein von Wartenburg zuvorkommend, | 
ud Aglaë folgt der Hojdame wie im Traum. — Wo 
ihr Name genannt wird, dasjelbe liebenswürdige Juter- 
eſſe von allen Seiten; wie viel begeifterte Anerfennung | 
für Hans! Wie viel Bewunderung für ihre eigene Thätig- 


fcit in der Klinik. Aglaes Wangen glühen vor grade 


und Erfenntlichfeit, ihr ganzes Wefen trägt den Stempel 2 


befcheidener, dornehmer Liebens würdigkeit Da taucht 3 


eine Hohe Franengeftalt dicht vor ihr auf, ſieht ſie mit 
blauen Augen lächelnd an und reicht ihr freundſchaftlich 
die Hand — Gräfin Viola Uggley. „Wir kennen uns 
noch von früher her, gnädige Frau!“ ſagt ſie mit ihrer 
weichen Stimme, „wie freue ich mich, Sie fo wohl und 
jo glücklich. hier wiederzujehen!” — Die große Cour ift 


vorüber, hochatmend ſteht Aglaë an der Seite ihres | 


Gatten, ihm mit glänzenden Augen zuflüſternd, wie viel 


man ihr um ſeinetwillen vergeben habe! — Das Konzert = 


beginnt, und Durch die Menge fchreitet Graf Uggley. 
Cein Blid ſchweift ſuchend über die Häupter, jetzt trifft 
er Aglass Auge. Wird er fie wieder jo beleidigend über- 
jehen wie früher? Nein, er fchreitet Dirett auf fie zu, 


=... — 


er begrüßt fie in ritterlichiter und rejpeftvolliter eife 
und bittet, ihr ein Weilchen Gejellichaft Leisten zu dürfen. 
veben ihr ſihend, dankt er ihr für die barmherzige Hilfe, 
welche fie einem armen Arbeiter, dem Sohn feines Por- 
tier, zu Teil werden ließ, welcher ohne ihre aufopjernde 
Pflege wohl rettungslos verloren gewejen wäre. — Er 
interejjiert fich auf das Lebhafteite für Aglass helden- 
hartes Unternehmen und blidt ihr plöglich ehrlich in die. 


Augen: „Wie man fih Doch in den Menſchen täufchen 


fann, gnädigfte rau! Früher Haben die Diamanten 
und Perlen die Engelsjchwingen perdecdt, welche Gott 
Shnen verliehen, und ich habe mir infolgedelfen eine 
ganz faljche Meinung von Ihnen gebildet! Nun jagen 
Sie mir einmal aufrihtig, warum haben Sie ung 
allen jo lange Comödie vorgejpielt und e3 nicht jhon 
viel eher gezeigt, wie Topy Ihnen gerade die Wahrheit 
anjteht ? 1” 

Sie wird dunfelrot, aber begegnet treuberzig feinem 
Blid: „Weil ih die Wahrheit erft jehr viel ſpäter er- 
fennen lernte, Herr Graf! — Die Menfchenloje find 
ungleich gemiſcht. Den Glücklichen erblüht das ſeltene 
Kraut: der Wahrheit ſchon an der Wiege und leitet fie 
durch treue Hand auf den rechten Pfad, welcher zu 
Licht und Heil führt. — Den armen Stieftindern aber 
ijt ein jchwererer Weg bejchieden. Sie müſſen juchen 
und irren, big fie finden, müſſen erit in der Comöbdie 
ausgepfif pe werden, bis fie einjehen, daß fie faljch ge- 


gangen. — Meine fo viel bejprochenen Rs werden 
AO, 


— 628 — 


auch Ihnen befannt fein, Herr Graf; id; habe mir” — 
Aglas lächelte hal b wehmüng, halb humorvoll, — - „jedes z 
Federchen der Engelsflügel, welche mir Ihre Licbeng- 
würdigkeit anhejtet, jauer verdient, aber der heutige 
Abend zeigt mir, Daß fie mic) auch zum Lohne hoc) 
empor getragen haben, jo hoch, wie ih es weder vers 
dient, noh jemals geglaubt habe!“ — 
Ugaley neigte ſich haſtig und küßte die Hand der 
Sprecherin: „Möchten diefem Abend noch viele gleiche 
folgen, — wir Ihnen beweiſen können, wie aufrichtig 
gern wir Gie in unferer Mitte heimisch ehen!” 


— — — — — — — — — — — — — — — 


Still und traulich ift es in dem kleinen Wohnzimmer. 
Das Feuer flammt im Kamin, und die Uhr an der 
Wand jchwaht leife von lauter glücjeligen Stunden. 
Aglaë lehnt an der Bruft ihres Mannes, die weißen 
Schneegl öckchen zittern in ihrem Haar, der Atlas umglänzt 
wie ein Feierkleid der Unjchuld ihre fenjche Ge talt. = 

„Hans!“ flüſtert fie, „löje mir das groß:, ` grohe 
Nätjel! Wie ift c& möglich, Daß ich als. gru Nut 
hardt erreichte, was mir alè Baroneffe Lehnberg, als 
Gräfin Lorrain jo kläglich verſagt blieb? Warum bin 
ich den Leuten der Geſellſchaft plößlich als einfache, 
bürgerl iche Frau vornehm genug, um mit mir pers. 
a ganz wie nit ihresgleichen ?” | | | 

Sachelnd füht Hans fie auf die Stirn: „Die Antwort | 


auf dieje Frage haft du dir jelber jhon gegeben, herziges un 


= m 


Beib! Dentſt du deiner Worte nicht mehr? a 34 ‘ 


habe nicht viel in der Welt gelernt, Han, aber eite >. 


— habe ich zu meiner Überzeugung gemacht, 


‚ dab der. vornehmſte Adel ——— des Ders 
—— es 





® 


BRRRRRRERRERRERERERRRERERRRERFET 


[o 


© 


Serie begrüßen zu dürfen. 


(IS 


Mit dem vorliegenden Heft ift auch die „Sweite 
Serie" von Mataly von Eſchſtrufth Slufteierte 
Romane und Novellen zum Abſchluß aelangt. Der 


unterzeichneten Derlagsbuchhandlung hat die große 


und bisher von Tag zu Tag fteigende Abonnenten: 
zahl von neuem gezeigt, welch aroßes Intereſſe all- 
jeitig für diefe wohlferle Ausgabe bei unferem lefen- 
den und bücherfaufenden Publifum vorhanden ift. 


Die nımmehr beginnende „Dritte Serie” eröffnet 
der Roman | 
<q! ** + a ki 
„Gänfeliefel‘, 


es ift dies der Homan, mit dem Nataly von Efc- 
ftrnth ihren Ruf als beltebtefte Schriftitellerin be» 
gründete, Mit größter Spannung ſieht die deutiche 
Seferwelt dtefem Werk entacaen, das durch die wahr: 
haft Fünftlerifchen Slluftrattonen des Berliner Künft- 
lers Hans Koberftein ein herrliches Kunftwerf ge: 
worden it. Auch die anderen Schöpfungen der be- 
liebten Derfafferin, die in der jetzt beginnenden Serie 
zum Abdruck Fommen, find durchweg als Kunftwerfe 
zu bezeichnen, die einen entzücdenden Stimmungs: 
zauber atmen. — Nataly von Eichftruth's Romane haben 
einen hervorragenden bildenden Wert, fie find ein 


vollwertiger Familienfchap. 


Inhalt der neuen Serie: 


Romane: Gänfeliefel. — Der Jrrgeift des Schloffes. — Don Gottes 
Gnaden, — Erlfönigin — Hadıtichatten. — Hazard. 


Novellen: Die Gauflerin. — Eine £aune. — Die Marquife von 


©. Montriviere, — Kairi-Jaffta u.a, 
Wir hoffen alle unfere Abonnenten demnächſt audy 
als Abonnenten von „Sänfeliefel” und der weiteren 
| Ä Mit hochachtung 
Derlagsbuhhandlung von Paul Lift 
Leiptin. 


EECEEELEATATTA 
An unfere Abonnenten! 


SOOLSTITIATAANNT 


SIIIIIIIIIEIIEIIETIHIIH III 


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