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Full text of "Nataly von Eschstruth. Illustrierte Romane und Novellen 2. Serie, Band 3 = Frühlingsstürme Band 1"

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NORTHWESTERN 
UNIVERSITY 
LIBRARY 


The Gift of 


FRED x Dora ScCHWITKIS 


Nataly von Elchitruth 


“Tihlirirrir 
Romare ww Dovellen 


Bweite Serie 


Drifirr Band 


Friihlingsfiiirme 


Yeiin 


Derlagsbudhhandlung von Paul Tilt. 


Frithlinasiiirme 


Roman 


bon 


Dataly von ETilirmil, 


Mit Iuftrationen von KR. Cgeradirfer 


Leiptia 


Berlagsbudhandlung von Paul Tiff. 


Das Recht der Uberfesung wird vorbehalten. 


Sriner Boheit 
Dem Heryug Iohann Albremt 


Regent 
des Grokherzogiums Mecklenburg-Sjwerin 


in Dankbarfier Berehrung 


qugerignet, 


+ Du hbüfğf bir Mufen, edler Herr, 
Gott lohw ex Dir! 
Xa Hode-Houblon, 


Gs fobt ber Sturm durch Wald und Feld, 
Bieht braufend Jeine Bahn, 
Perkitndet laut der ganzen Welt 
Pee jungen Lenjes Qal”. 
Hub Baum und Strauch find jah erwarht, 
Bath anger, banger Winkernanht! 


Av brauft ber Sturm auch Durch bas Herz, 
Bis Sun und Giz vergehf, 
Und bis bir Liebe nad) dem Sdymerz 
In voller Bliite Hebi, 
Dann folgt aut Sfurm und Winterleid 
Des Herjyens Jelge Frithlingszeit. 


(5. v. ümmi 
grb, von Parhelbl-Gebhag. 


ELLLLİL 


mn Pe te Gonntagögfoden Tünteten, 

ey Tiefe Stille laş über ben Strafen ber Haupt: 
ğı. jtadt, aber micht bie frieblid)e, erquictende $yeter- 
tagörule, wie jie voll heiliger Rlarheit über Wald und 
alir: ausgebreitet liegt, jondern eine bumpie Regungs- 
lofigfeit, ein Gchweigen, wie dasjenige fchwerjter Gr- 
{ehipjung, wie eine Todmitdigfeit, welde mit Şalboffenen 
Augen in bleiernen Sdhlaf finft. — 

Gliihend heif briitete die WMtittagsjonne auf dem 
Hiujermeer, — jeder Mauerquader fchien imertrügfidye 
Hive auszuitrémen, fein Hauch, — hichftens eine jdwiile 
Dujftwoge von Brand- und Gasgeruch, von all dem 
widerlichen Gemifch ungejunder WAusdiinftungen, weldje 
im İlmfrei8 die Gropitadtlujt jchwangern. 

Die Drojdhfenpjerde ftehen müt tief gencigten Kdpfen 
requigslos im Cchatten, felbit der Futterbeutel hangt 
İdlaff und noch Halbgefiillt an ben Maulern, jie traumen 


ə es 


melandolijd) vor fid) hin, und nur dann Şebt fid) miide 
laujdend ein Ohr am Ropfe, wenn der Kutjdher das 
gewaltige Bierglas mit beiden Handen Şebt und einen 
fangen, gierigen Bug thut. — 

Blafje, mattaugige Geftalten fdleichen von Thiir gu 
Thitr, — an den Kellertreppen liegen und fauern elende 
Kinder, welche felblt gum fpielen gu miide find und 
mit gwinferndem lif: an den Hausriejen emporjtarren, 
Deren grellbeftrahlte Mtauern mit ben verhangten Fenjter- 
rethen bie Augen blenden, bab fie fehmergzen. — 

Und hier ijt noch ein bejjeres Stadtviertel, die elec 
gantere Gegend, wo die Fabriffdhornfteine noch nicht 
aujragen, wo Blake mit beftaubten WAnlagen bie ein 
jormigen Haujerreifen unterbredjen und fleine Vorgdrten 
fid) Hier und da al8 wohlthucnde Abwech3lung zu dem 
idier j&hmelzenden WSphalt vorjchteben. 

— (68 ilt eine gute Gegend, aber doc) nidt dad 
»Seheimratgviertel”, wo prunfende Villen den Stadt- 
parf faumen und hiyiriöle Garten Şinter hohen (Golb- 
gittern eine Şöylfe inmitten ber Proja endlofer Eteinz- 
wiifte zaubern! — 

Und dennod) jtehen auch fie jest leer und verlaffen, 
lediglich ein Erholungsplagden ber Portiers und daheim- 
gebliebenen Dienerjdaft, deren reiche Gebieter fid) an 
Den Strand ber See oder in die Walbdedsjchatten des 
Hodgebirges flüdytetem um in elegantem Bad gu ver- 
gefjen, baf gu Hauje in der Rejideng das Thermometer 
von Lag gu Tag Döher jteigt, fo hoch, dag die Wirt- 


ES or NU EC RTT, SR Sag JES NE ə 


I ə” 7 


Fie ea 


—::75 


fchafterin in ihrem Wochenbericht mit der vergweifelten 
RKlage jchlieht: (65: ijt faum zu ertragen 17 — 

Wer dem Molochrachen Ddiejes Haujermeeres ent- 
tinnen fain, der enteilt, und mand) jeufgender Familien- 
vater bringt jdjwere Əpfer, um Weib und Kind wahrend 
ber Feriengeit in Licht und Luft Hinaus 3u retten. Da 
bleibt faum noch eine Familie şurüd, — jelbjt fiir die 
Şirmiten gibt e8 Ferienfolonien, wo Waldesjdhatten und 
GSeeluft Leib und Gecle erquicfen. Wohl dem, welder 
reijen fann, welchen weder Şilidyt noch Wrmut unter 
Dicje Bleidacher banut! — 

Langjam, ben Kopf nadibenffid) gejentt, fchritt ein 
halbwiichfiger Knabe burd) bic jengendDe Glut der Strafe. 
Grog und jfchlanf aujgejchojfen, ein meniq vorniiber 
geneigt, Iie ein junger Etamm, weldem noch die Kraft 
febhlt, fic) marfiq aufgurecen, die Glieder ecfig und 
etwas unbebolfen in der Bewegung, zeigte er bend) 
in feinem gangen Yugern und Wejen die gute Kinder- 
jtube, in welder er grog geworden. 

Der Angug war einfach, aber tadellos, und gut- 
fibende Handjdhuhe bewiejen, bağ ihr junger Trager e8 
gewohnt war, dugeren Formen Zu geniigen. 

Seine Wugen, qrob und tiefblau, von dunfeln Wim- 
pern bejdhattet und jehr energild) gezeicyneten Brauen 
übermölbi, bfidten ernft, beinahe tummervoll aus dem 
blaffen, grofgejcnittenen Geficht, rweldhes tro jeines 
jugendlicen Ausjehen3 dennoch den Cindruc eines ermit: 
Denfenden, gereijten Ntannes machte. 


eee, | — 


3 lag ein feiner Leidensaug um die Lippen, weldhen 
nur die Erfahrung und der volle Crnjt des Lebens in 
junge Gefid)ter {chneiden fann. 

Mehr denn je trat er in dem farblojen Antlig 
hervor, al der Sefundaner tie aujatmend in ben hoch- 
gewolbten, mit ber möbernen Clegang der Gropjtadt 
ausgejtatteten Hausflur trat, an Ddeffen “Dede: reicher 
Stud feine vergoldeten Mujter geigte, und Ölgemülbe an 
bon Wanden auf şierfidye Blattpflangzenarrangements 
niederblictten. 

Hier war €8 füfll Hier fonnnte man etwas ani: 
atmen, und wenn bic Luft auch noch immer eritiden) auf 
Die Lungen fiel und Durch die verjchlofjenen Cutreethiiren 
ein haplicjer Gerud) von KRampher und Maphthalin drang, 
€$ war doch nicht Die nervenmordende Glut, welche die 
Etraben und füblid) gelegenen Bimmer unertraglicd 
mad)te! 

Der junge Mann feufzte tief auf, nahm 5a8 fleine 
Gebetbuch aus der rechten in die linfe Hand, und fubr 
mit Dem cinfad)en, weifen Xajcdhentuch, in belfen Gde 
jedoch ein elegantes Monogramm unter fiebengackiger 
Krone von fleibigen Handen ergihlte, über bic jeucht- 
perlenbe Stirn. — (68 lag etwas Gemefjenes, beinahe 
Fedantijches in jeinem Wefen, etwas Umftandlic&es, was 
ibn: alter erfcheinen liep, alS er war. Mtiide, mit bei- 
nahe jcjleppenden Gdiritten jtieq er bie teppichbelegten 
Stujen empor — eine Treppe — noch) eine — und 
abermal3 eine. — Mechanijch jchweifte fein Blick über 


— 2 i= 


Die Thiirfdhilder, an meldyen er vorbeifchritt. — Meeift 


gute Namen — ein Oberjt a. D. — ein Baumeijter 
— ein Ganitütörat — ein Hauptmann — qifüdfidye 
Menjden, — fie find alle fortgereift! — Hinaus in 


bie jchine, — jommerlice, — herrlice Gotteswelt voll 
Hargduft und Bogeljang, voll Wellenraujden und See- 
wind — ad), baf auch er bie Arme ausbreiten und 
mit vollen Lungen einmal durdatmen finnte! — Go 
wie frither in jenen befferen Zeiten, wo auch bei ifnen 
alljahrlic) die Roffer gepactt wurden, wo er auf bte 
Berge fteigen und im Diinenjand müflen fonnte! O 
felige Crinnerung! Was gübe er dDarum, fönnte fie nod) 
einmal wiederfommen, noc) einmal Wahrheit werden! 

Mit wehmiitigem Lacheln bleibt er ftehen und rubht 
einen Wugenbli€ aus. Şa, auch fiir ifn ware e3 eine 
Wohlthat! Wher wie gerne wiirde er bend) baran? 
verzihten, finnte er nur fir jein jo heipgeliebtes, herziges 
Miitterdhen folch’ eine Erholung fchaffen! — öyür ifn 
ware €8 nur eine Erquicdung. Aber für fie ware e3 
neuer Lebensodem, fiir fie üt e8 eine Notwendig- 
feit! — 

Mit beinahe bitterem Wusdrucl muftert er Das elegante 
Treppenhaus. Warum miijjen fie in ber teuren Wohnung 
wohnen? Warum ihr Geld fiir Dinge ausgeben, von 
weldjen fie fo gar nichts haben? Ware e$ nicht befjer, 
anjtatt all bdicjer Wuferlichfeiten Lieber nübfidere und 
notwendigere Dinge gu bedenten? Wie eridiredt ber 
fid) jelber fchitttelt der junge Wenjd) den Kopf. Welch 


— dü. 


feğerild)e Gedanfen fommen ihm fo plbglich! Hat er 
ganz und gar die Grundfage vergefjen, in weldjen er 
ergogen ift? — Noblesse oblige! — Diejes Wort ift 
ihm fozufagen in öyleifd) und Blut itbergegangen, er 
Hat an feiner jchier heiligen Rompeteng nie gu rübren 
gewagt, er hat e8 anerfannt und refpeftiert, wie man 
fid) bie gehn Gebote ohne gu müngeln und zu handeln 
gum Gejeb macht. — 

Noblesse oblige! — Geit er den Klang  diefes 
Wortes fennen lernte, hat er e3 als Pylicht erad)ten 
miijjen, al eine ernjte, Heilige Prlicht, alg Vermacdhtnis 
jeines Vater3 und der Vorvater, welche diefem arijtofra- 
tijden Begriff wohl noc) andere Opfer bradjten, al wie 
eine Badereije! 

Und gfetdifam, al8 miiffe er jede Spur folder 
frevelnden Gedanfen fortwifden, ftrid) er nod) einmal 
haftig mit ber Hand über bie Stirn und trat mit 
energildyem CSdhritt vor die eichengefdnibte Entreethitr 
be8 Ddritten Stokes, an welder ani meifğem Porgellan- 
fehild ber Name ber Bewohner gi fefen jtand: ,,General- 
leutnant reiherr von Torisdorff.” 

Die blauen Augen leudhteten unwillfiirlich auf, als 
ihr Blice biele Worte traf, und gleichfam als ginge eine 
wunderbare, geheimnisvolle Kraft, welde Marf und Bein 
ftahlt, von ihnen aus, riditete und redte fid) bic hagere 
Gejtalt des Knaben, ftolz und felbifbemubt hob fid) das 
Haupt in den Naden, und um die İdyimalen Lippen 
fpielte ein Lacheln, weldje3 auc) ohne Worte gu fagen 


fdien: Şa, Noblesse oblige! — Der Mame Toris- 
Dorff bari nicht auf dem Thiirjchild eincr Mietsfajerne 
ftehen, er gehirt in bicfe Umgebung und joll in derjelben 
verbleiben! Die Sommerhige bleibt nicht ewig, der Winter 
entjchadigt uns für unfere jebigen Leiden, aber ber gute 
Klang unjeres Mamens müb beide überbanerın 17 

Der Glockenton fchrillte auf dem Vorplak, — ein paar 
Minuten vergingen, dann raffelte bie Sicherheitsfette und 
ein fauberes Stubenmadehen in weiger Sdjiirze und Şam. 
burger Haubchen öffmete. 

Mama zu Şanie?” — flang e8 ihr haftig entgegen. 
Das Madchen frirte mit beforgtem Blick. 914), wie gut, 
DagB Sie fommen, junger Herr! — Crcelleng befinden 
fid) Heute wieder İdifedit, — der Herr Doftor üt im 
Calon, und flüfterte mir şu, bab er nachher Herrn Gojef 
gern ein paar Minuten fprechen möd)te17 — 

Cin jahes Erjchrecken ging über die Zitge des Sefun- 
Dancrs, fein Gejicht fa) noch bleicher aus wie fonft, er 
prefte die Lippen wie unter phyfijdem Edimerə. 

yrina — hat — hat Mama wieder einen $fnfafl 
gehabt 2” 

,£5 war nicdt fclimm! Durdaus nidt fchlimmer 
alg jonft! Das alte Wfthma! Cycelleng find auch aujfge- 
ftanden und befinden fid) im Salon!” — 

(tt fei Lob und Dank!” — Şofef fchritt haftiq an 
ber Gungfer voriiber und wollte fid) nad) ber Salonthiir 
wenden, al8 diefelbe gedjfnet ward und ein alter Herr 
ihm entgegen trat. — 


——2:::8—— 


yeh, ba fonmt unjer frommer Şirdigünger imft güz 
rül, Ereellenz!” — rief er mit fiebenSwiirdiger Gefte in 
Das Rimmer zuriic, ,,gerade zur rechten Zeit! Darf mir 
wohl erlauben, bie verftaudjte Hand nod) einmal gu unter- 
fuchen, ob fie pböllig wieder intaft it. — Auf Wiederjehen, 
Excellenz, in gwei Minuten joll ihr jiimgfter Verehrer 
XNöre Hand fiiffen, İp lange beanfpruche ich ihn nod)! — 

Lachend İdifof der Sprecher die Thiir, ftellte ber nach 
gartem Lavendel Duftenden Cylinder auf die fleine Marz 
morfonjole und İtredte Şofef bie Hand entgegen. 

,Xreif id) ben Gunter hie? — 

Bu Haufe weilt er feften, 

Bei mir erfdjeint er nie!” 
recitierte er fcherzend, und mit einem heimlicen Wink nad) 
einer Geitenthiir, İd)o5 er ben jungen Menjchen jdhnell Durch 
Diefelbe in ein ffeine8, einfenitriqe$ Schlafzimmerden, an 
Defjen Wanden hohe Biicherregale von dem Wiffensdurft 
feineS Bewohners Kunde gaben. 

Die Wusftattung ber Stube war elegant und gejdymac: 
poll und bewies, dap eine liebevoll forgendDe Hand dem 
Sohn das warme Neftchen bereitete. 

Der junge Corisdorf{f {hob dem Wrst mit leicht bebender 
Hand einen groben, geldinibten Sejjel, welcher vor dem 
Schreibpult jtand und als Erbjtiicl de3 verjtorbenen Vaters 
auf den Gohn itberfommen war, zu, und bat Blab zu 
nefmen, ber Hofrat aber webrte eiliq ab, İegte beide 
Şünbe auf die Schultern Fofefs und jagte furş und ein- 
bringlid): ,Sfre Mutter ift franf, mein junger Freund, 


as “WG. — 


frünfer al8 wie mir lieb ijt. Nod) ift’s Beit, bas Ubel 
im Keim gu eritiden, aber e3 müb jofort etwas gejd)chen, 
— etwas (nergild)e6 —” 

)ld) die Şibel id) dachte e3 mir!” — jtdhnte jein 
Gegeniiber mit blafjen Lippen auf. 

,Die Hike? — Gm Gegenteil — die Hike ijt nod) 
nicht Das Edifimmite für Gyceflenş, ber Winter ijt mir 
bei weitem bedenflicjer! Sd) witrde €8 ja jehr angenelm 
finden, wenn id) Fhre Frau Mutter auch iebt in İd)önc, 
reine Waldlujt fchicien fönnte, das ift jelbftverjtandlich, 
fie wiirde ihr herrlicje Dienfte thun, — aber die Haupt- 
fache, — fie miifte nidjt nur jebt — fie mübte auch im 
Winter in ein mürmere8 Klima! Uberhaupt müğte diefe 
İp garte, leidendDe Frau gang anders gepjlegt werden! 
Nicht bret Treppen hod) wohnen, das üt bet ihrer 
jehwadhen Lange Gijt! Ferner ein gejdiister grofer Bal- 
fon, — am bejten eine andere Gegend — etwas freter nad) 
Dem Park gu, — bamit fie die Anlagen jchneller erretdyen 
fann! Wenn fie fid) erft in den ftaubigen, heigen Stragen 
mübe laufen mib, hat fie feine Grfolung von ihren Pro- 
menaden! Şire Frau Mutter denft fo gleidhgiiltig über 
fid), — jeden Vorjdhlag, meldyen id) ihr mache, weift fie 
in ihrer engelhaften Wnjpruchslofigfeit guriid, ja fie Bat 
fogar die WAbficht, weder im Sommer nod) im Winter 
gu reifen! Das ift undentbar! Dag ift ihr Verderben! 
Sie mu etwas fiir fid) thun, wenn fie gejunden will! 
Und darum wende id) mid) an Sie, Lieber Sofef, und bitte 
Sie inİtanbigİt, mir einmal ehrlid) Red’ und WAntwort 


Nov. Ef Hftryth, I. Mom. ir. Nov., Friiblingsftitrme L 


— YÜ 


gu ftehen! Sch darf Excelleng unmiglich fagen, wie ernft 
(8 mit ihrer Gejundheit fteht, — Bhnen fan und müb 
id) e& jedoch, denn id) bedarf Fhres Veijtandes, um die 
Kranfe şır den notwendigen Sdhritten gu verantaffen.” 

Nach Atem ringend, mit niedergejdhlagenen Augen ftand 
Der Sohn der verwitweten Generalin vor dem WArzt, — 
Rote und Blafje wechjelten auf jeinem WAntlib, tiefe Schatten 
fenften fid) um die Augen. lS er nicht antwortete, 
neigte fid) ber Hojrat naher zu ihm Hin, fegte den Arm 
um den Nacken des jungen Marnnes und fagte leife: ,,Wer- 
gcihen Gie mir, Şofef, wenn id) indisfret erid)eine, ber 
ganze Schnitt hres Hauje3 macht mir nidit den Cindrud, 
al3 ob Ercellen; aus finangiellen Kiickfidhten ihre Pylege 
vernachlajfigt, — oder — pardon — mein fieber, junger 
ren — ijt died doch ber FallP” — 

Sefef weehjelte abermals voll töbfidifter Verlegenheit 
bie Farbe. ,,Xch — bie teuern Cifenbahnjahrten)” ftotterte 
er mit şudenben Lippen. 

ener? — $ wo jind belin unjere Bahnen teucr! 
(63 giebt ja gottfob Damencoupés dritter Kaffe.” — 

pyoritter Şfaffe1” — wie ein Ediret des Entfebens 
flang e8, ,barin fahrt Mama nicht! Mie! HO, Sie ahnen 
nicht, wie ungeheuer ftreng meine Mutter in diejer Bez 
giehung denft —!” 

Cin feines Lacheln fpiefte um die bartlojen Lippen 568 
alten Herrn: od) mein lieber Şofef, bod) ahne id) es 
und gerade Darum wandte id) mid) an Gie. Bch jtehe 
Eyxceelleng gu fern, um meinen Cinflup geniigend geltend 


machen gu finnen, aber Sie als Cohn haben das Recht, 
gegen thiridjte Borurteile angufimpfen! Und diefes Recht 
wird jebt şur: Bflicht! Cs gilt Leben und Gejundheit 
Sörer Mutter. Gefchieht nidjt fo bald als möqfid) etwas 
Cingreifendes, ijt ihre Lunge nicht mehr şu retten. Wollen 
Gic Ghre Mutter, bas Liebjte was Sie auf der Erde bez 
fiben, einem Hirngefpin|t opjern? Wollen Gic e3 dulden, 
bab bie garte Frau zu Grunde geht, lediglich darum, 
weil fie nicht öritter Rafje fahren, nicht in einem be- 
jheidenen Gtübdyen wohnen und in einem Hotel gweiten 
Ranges ejjen will? — Lacherlidh! Sd) bin ein praftifd) 
benfenber Mann und fage: e8 ift bejjer, nicht ftandes- 
qemüf, leben, al8 ftandesgemap jterben! — Weg mit der 
faljchen Citelfeit, biefem wertlofen Plunder, welcher im 
neunzehnten Gahrhundert feinen Kredit mehr hat! — 
Huldigen Ste etwa felber den Anjicjten Ghrer Frau 
Mama, fo machen Ste fid) fret Davon, wenn Sie nicht 
Die fchwere, entjesliche Berantwortung auf fid) Laden 
wollen, an dem Sterben und BVerderben ber franfen Frau 
mitgearbeitet zu haben! Jn Bhren Handen fiegt e3, jie 
Dem Leben gu erhalten, — geigen Gic, baf, Sie ein treuer, 
opfermutiger Sohn find, — lajfen Sie Shre Liebe gröfer 
fein, wie den in biefler Bezichung jo faljden Wabhljprucdh: 
Noblesse oblige‘ — weldjen id) leider nur git oft von 
Excelleng zur Antwort erhielt! — Reden Sie gür: Ber- 
nunjt, fdnitren Sie ein cinfad)e$ Sünbeldyen und fahren 
Sie rubig dvritter Kaffe gu einem billigen Landaufent- 
halt — ich fchicke Shnen Udreffen. Brauchen ja bic 
2* 


ə Iı 


,Ercellenə” nicht in die Kurlifte gu fchreiben! Go, nun 
nehmen Gie mir meine ehrliden Worte nicht iibel, — 
id) mufte fie gu Ghnen jprechen, wenn ich fein gerwijfen- 


{ojer Menjd) fein wollte! — °ljo rid) and Werf! 
Sie haben Geijt und Cinflug genug, um jegensreic) wirfen 
gu finnen, aljo thun Gie e3! — Gott befohlen!” — 


Linden Ddritcte bie Hand 568 jungen Manne3, gqrijf 
hajtig nad) bem Hut und war — eilig wie immer — im 
nüd)iten Wugenblice inter ber Thiir verjdwunden. Şofet 
aber prefte bie bebenden Hande gegen das Antlig und 
fiihlte, wie heife, brennende Thrainen unaus{precdhlicer 
Oual aus feinen Augen jtiirzten. Geine Mutter, feine 
jo innig, itber alle6 geliebte Mutter franf, — fo franf, 
Daf fie nur foftfpiclige Neijen retten fonnen, — 0, dies 
war ein Gedanfe, welder ifn zu vernidjten drofte! 

Celtit die billigite Reije — jelbjt eine Fahrt dritter Klaffe 
wiirde für Die jo bejdjeidDenen Verhaltnijje der Offigiers- 
witwe unerjdhwinglich fein! Und mürbe fie aud) mafhrlid) 
alle Borurteile überminben, wiirde jie fid) au? fein Bitten 
und Slehen wirflich in VGerhaltniffe İdyiden , meld)e 
ihrer ganzen Matur als etwas Unertraglicdjes guider 
find, e3 wiirde Dennod) an dem Koftenpuntt fdjeitern. — 
Ach, ber Hofrat ahnt e8 nicht, wie fehr fie fid) einjdjranten 
müifem, wie ihre fleine Mente jo villig von all den Wufer- 
lichfeiten, reldje cin İtanbesgemübes Leben forbert, aufe 
gegehrt wird!” — 

Wie Toll er da Hilfe jdhajfen? Was foll er fm, 
um das heifgeliebte, teure Leben der Mutter gu retten? 


9704) nie fat er den Fluch der Wrmut fo furdtbar, fo 
namenlo3 bitter empjunden wie in diejem WAugenblic Hilj- 
lojer Vergweiflung. 

Was foll er thun, — er, bem €8 ber Argt şur Pylicht 
gemacht hat, gu heljen? — 

Gr fann noch fein Geld verdienen, — er fann nidts 
— gar nidts! — Wahrlich nits? — 

Sein Blick fallt auf das fleine Gebetbud), meld)es 
noch vor ifm ani dem Lifch liegt, — und er hort plöf- 
lich bie Orgel jpiclen — er Dört die Stimme feincd ehe- 
maligen rivatlehrers, be6 jungen Defans, welder in 
ber Scheideftunde die Hande auf jein Haupt fegte und 
müt jeiner lieben, ernjten Gtimme jprad: ,,BWergip nicht, 
Soİef, bağ id) bid) beten lehrte! — (65 fomimt wohl 
noc) einmal die Zeit, ba du nichts auf der Welt gum 
Croft Daft im Leid, denn dein Weber!” Konnte er 
wahrlich nichts für jeine Mutter ithun? © ja, das belte, 
was ein Sohn in Liebe thun fan, — beten. — 

Uber feinem Bett hing das Bild ber Weutter Gottes, 
fie, weldje auch einen Gohn geliebt, — vis in ben Tod. 

Bu ihr Hob er die thranenfeudjten Yugen und betete. 

pwDuf mir! — rette fiel” — 

posojey! — wo bleibft bn?” — 

Der junge Vorisdorff erhob fid), İtrid) über die Augen 
und atmete ttef auf. 

Gö war thm ploglich jo leicht und guverfichtlich ums 
Herz, und Die Stimme ber Mutter diyin ihm wie ein 
Ruf der Crldjurg. Man nannte ifn fehon jeit Jahren 


zə a. x 


einen Edinürmer, und fein Vater hatte oft etwas müfb- 
billigend bie Stirn gefrauft: ,,Der Defan erzieht einen 
Rlerifer aus meinem Gohn! Unfinn, ein Torisdorif 
taugt nicht fiir bie Rutte, — Soldat foll er werden!” 

Seine Frau aber hatte mit weicher Stimme geant- 
wortet: Saf, ihn gewahren! Gottesturdht und Frimmigz 
feit fb aud) fiir einen Soldaten quite Mitgift! Und der 
Defan Hat einen fo vortrefflidhen Cinflug auf Şofefl 
Das allguviel jeiner findliden GSchwarmeret wird bie 
tohe Hand de3 Lebens jcon bald genug abjtreifen, und 
was bleibt, ijt ber gute Kern, welder Sturm und Wetter 
iiberdauert ! 

So war der Knabe unter zwei madjtigen Cinjliiffen 
aufgewachjen, — unter Demjenigen des Vaters und bemz 
jenigen jeines rivatlehrers. Der alte Generalleutnant 
war bie Verfdrperung foldatijden Chrbegriffs und arifjto- 
fratijder Rorreftheit. Ceine WAnfidjten mürşeften nod) 
tief in der Vergangenheit, wo der Edelmann Trager 
pon Şöealen war, wo fid) Ritterlichfeit und Nobleffe nicht 
nur in der Gefinnung zeigten, jondern fid) auch in Muger- 
lichfeiten bethatigen mugten, wo Das, was am fin de 
siöcle gum unndtigen Uufwand geworden, nod) als Taft 
beqriff, ja direft alS WBflicht feine Wnjpriidje an den 
Adel ftellte. — 

ou jener Acit glangten bie Wappenjchilder noc golden, 
und im Echo® ber eigenen Sdjolle barg fid) nod) ein 
Segen, welder dem fchinen Worte ,,Noblesse oblige” 
Den nbtigen Machdruc verleihen fonnte. Damals fonnte 


m Bee 


ber Adel feinen Verpflicjtungen moc) gerecht werden, 
und er that e3 mit hichftem Opfermut Dis zur heroijdjen 
Selbftverleugnung, indem er all fein Hab und Gut, bis 
auf bie Edimıditilde und Bopfe ber Frauen und Zöditer 
erab, auf dem Wltar bes BVaterlandes opferte, al die 
heiligen Flammen der Begeijterung wahrend der Be- 
freiungStriege emporlohten. — 

Die Vaterlandsliebe und ber Fdealismus gingen Hand 
in Hand. Xroş 568 einfdhneidenden Wandel3 in den 
meijten Berhaltnifjen hielt die Pietat der Kinder dennod) 
an den Anjichten und Gepjlogenheiten der Vater Teft, 
fie waren ihnen zu öyletld) und Blut geworden, fie 
lieBen fid) nicht verleugnen, wie man nicht willfiirlich die 
Gefichtszitge andern fann, welde in ihrer WUhnlichfeit 
das Antlig der Cltern fpiegeln. 

Auch Excellen, Torisdorff war in der Atmojphare 
eines Grundbefikes aujgewadjen, auf welcdhem noc) der 
Geijt vergangener Zeiten durch die fo İdilidit und ein, 
fad) gewordenen Gale und Zimmer wehte. Die Titel 
waren geblieben, die Mittel aber von Bahr gu Sabhr bez 
Denflider gujammengejdmolzen, jo baf nur der duferjte 
FleiB und bie praftifdyfte Ofonomie bes S3ater3, den 
ehedem jo reichen Söefib der Familie erhalten fonnte. 

Die Lebensweije, die Erziehung der Kinder war 
jehlicht und anjpruch3lo3, dennod) wurde das einjadjte 
Mahl von dem Diener in groper Livree ferviert, und 
man febte fid) gu Pellfartoffeln und Hering mit derfjelben 
wiirdevollen Feierlicdfeit nieder, wie efemals die Grop- 


any 1 


und Urvdter in Ddiefem Gaal ihre opulente Speifenfolge 
eingenommen Hatten. Die alte Kutjde hatte füngit einem 
mobdernen, eleganten Landauer Blab machen miiffen, und 
wer fie in ihrer gangen, fadenjdheinigen Diirjtiqfeit hatte 
ftehen jehen, wiirde e8 nicht an Spott und Wi haben 
fehlen laffen, — wenn aber vier gut gejchirrte Pferde 
Davor gingen, und Ruther und Diener in Gala barani 
jagen, — wenn bie hohen, imponierend ftolgen Gejtalten 
ber Gutsherrjdajt voll etwas altfrantijher Grandezza 
einjtiegen — dann war das Ganşe ein jo harmoni{des 
Bild, bağ e3 nie İcinen guten Ginörud auf den Bez 
İd)aner verfehlte. Noblesse oblige! Die Tichter heira- 
teten nicht unter ihrem Stand, fondern wurden — falls 
fid) fein geeiqneter Freier fand, — GStift8- oder Hof- 
Damen, je nad)bem e3 Neigung und Begabung beftimmten 
und Die jiingeren Sohne hatten lediglich bie Wahl zwijdhen 
Studium und Militardienjt, wahrend der altejte bas Gut 
iibernahm und e3 im Ginne der CEltern möeiterbemiri- 
fhattete. — 

Staatsdienft oder Wiilitir! — Şeber andere Beruf 
war fiir einen Torisdorff ausgejdhloffen, und wenn ein 
noch fo eminente$ Talent die glingendjte Kimjterlaufbahn 
garantierte, oder belonbere Pajjion oder Befahigung fiir 
Den RKaufmannsitand İprad), — fold) ein Gebanfe allein 
ware BVerrat an den Traditionen der Familie gewejen. 

Solef3 Vater war der örittqeborene Sohn. Da zu 
Dem Studium die Miittel nicht ausreidjten, ward er fiir 
bie militarijde Laujbahn bejtimmt. Cie fagte ihm zu, 


ə 


— er war ein geiftvoller, ftrebfamer Offigier, welder 
fid) trog feiner fnappen Şulage al8 allgemein beliebter 
Şamerab in den beften Regimentern hielt und gute und 
jchnelle Carriere madite. 

Da ihm feine ftrenge Gefinnung eine Geldheirat als 
verddjtlid), — ja geradezu ehrlos erjdheimen Tieğ , und 
Dicjenigen Damen, fiir weldje fein Herz in Ltebe ent- 
brannte, nicht in ber Lage waren, einen mittellofen 
Leutnant Heiraten gu förmen,, fo entjagte er Der Che, 
bis ihm feine Ginfünite geftatten witrden, ganz nad) 
Neigung zu wabhlen. (Gr war bereits Ober{tleutnant, 
al fid) fein Gchictfal entjchied, und er das Gdeal all 
jeiner Tradume in ber reigenden Grafin Ines .-i 
berförpert fand. — 

Die junge Dame war friih verwaift und in einem 
finiglichen Stijt ergogen worden, — alsdann, jehr jung 
nod), der Kronpringeffin alS Hofdame guerteilt, mit 
weldjer fie anjanglic) langere Beit auf Retjen und der 
$iranflid)fett der hohen Frau wegen in tiefer Şurildge- 
gogenheit auf einem fübfid) gelegenen Schlop lebte. 

Wnlaplich einer Denfmalsenthiillung lernte Jnes den 
ereiherrn von Torisdorjf fennen, ani welchen die jchlante, 
fo dupgerft anmutige Blondine fogleich cinen derart tiefen 
Cindruc machte, dak er voll gliihender Lecidenjdaft um 
fie warb, und fie nod) vor Schlug der erften Gaijon al3 
Braut in die Arme jdjlop. 

Obwobhl der Altersunterjdhied gwijden dem Paar ein 
jehr groper war, garantierte die gegenfeitige fehr innige 


Buncigung dod) ein groped Glüd, weldjes fid) aud 
wahrend der gangen Che bethiatigte. Dennoch war dies 
jelbe eine jener unverantwortlidjen, bet welchen nur an 
bie Gegenwart, aber nicht an die Bufunft gedacht wird. — 

Beide Chegatten bejagen fein Vermigen, beide waren 
in mander Begiehung verwdhnt und bird) Namen und 
Stellung gu einem gefelligen Leben gezrwungen, bei 
weldjem feine Erjparnifje gu madjen waren. 

Das hohe Gehalt bes Freiferrn geftattete ja ein in 
jeder Beziehung behaglides Leben, und Şnes, viel leidend 
und von einer fylphenhaften Bartheit, weldje den beforgten 
und verliebten Gatten beranlabte, fie auf Handen gu 
tragen, umgab fid) gern mit einem Romfort, welcher 
ihrem eigenartigen Wejen erjt Die rechte Folie gu geben 
İden — 

Der eingige Sohn, welder dem Chepaar geboren 
wurde, rud)s, perbütidyeft und verwdhnt wie ein ffetner 
Fring, umgeben von giartlichfter Liebe und all den Hulse 
Digungen berer, welche im Dienjtlichen Begiehungen şu 
Dem Vater und gelellidyafilidyen gu der Mutter ftanden, 
alg ,,€ohn des Regiments” gleic) einem Baumcden im 
Sonnenjdhecin auf. — 

Gliicliche Kinderjahre! Seliges Geniefen alles Schi- 
nen und Begehrenswerten, ofne Gorge, ohne Kummer, 
bejtrahlt von dem Nimbus des Hiher und hier jtet- 
genden Vaters, — bis pliglich die Nacht Bereinbrad), 
welche all die blendende Helle in troftlofer, graniamer 
Ode und Duntelheit untergehen lief! — 


sə. SS: 2 


Gin Eturş von hidhfter Hohe in beflagenSwertefte 
Lieje! 

Gin Schlaganfall mad)te dem Leben de3 Vaters ein 
jahe3, imermartete$ Cnde. 

Die junge Witwe und ihr Sdhnchen blieben ofne 
nennenswertes Vermigen, lediglich auf die jparliche Şen: 
fion angewiejen, guriic. 

Weld) ein grauenvoller Umjdwung! Unertraglic 
fr cine Grau, welche jo fehr de3 Sonnenjfdeins und 
DeS Ölüda bedurfte, um ihre garte Blumenjfeele gu 
erhalten! 

Was follte fie beginnen? Sid) fosreiben von allem, 
was ihr lieb und unentbehrlid) war, und fid) in einem 
bejchcidenen Winkel verjtecken, um fümmerlid) ihr Leben 
gu frijten? — Mein, lieber jterben! Der Name Toris- 
Dorff durfte nid)it im WArmenviertel untergehen, — No- 
blesse oblige! — 

Cine wohlhabende Verwandte nahm fid) ber jungen 
oralı an, — bei Hoje intercifierte man fid) voll warmer 
Teilnahme für die ehedem fo gliclide, gefeterte Begleiterin 
ber KronpringepB. Von allen Seiten erwies man ihr 
greundlidfeiten und jo wurde Die Cinfame voll Doppelter 
Aufmerfjamfett im den ihr gewohnten Kreijen feftgez 
halten. 

Und Jnes jagte fid) abermals: ,,Noblesse oblige!” 
— DiejeS LieblingSwort 568 verftorbenen Gatten, weldjes 
Derjelbe ihr und feinem Sohn fo oft al’ Richtjdjnur firs 
Leben gegeben, und fie rid)tete mit Hilfe ber Tante ihr 


— “b — 


Leben ein, dak fein Schatten auf den blanfen Schild ber 
Torisdorff fallen fonnte. 

Cine Wohnung im guten Stadtviertel, in efegantem 
Haus, — ein Heim, in welchem man aus dem ebemaligen 
luguridjen Quartier ein vornehm behaglidjes Neftchen ein- 
ricjten fonnte. 

Die Menjdhen fehen ja nur, was vor Augen ift! Dem- 
entjprechend mug der Bujdhnitt, das Wufere jein, — wie 
fie und Şolef fid) hinter den Couliffen einidirünfen, 
Das wird nie jemand erfahren und ahnen. — ,,Noblesse 
oblige!” — 

AM die vielen, vorteilhaften Begiehungen, welde Cr- 
cellenz gcitleben3 fultiviert hat, bürfen nidit abgebroden 
werden, — um de3 Sohnes willen nicht. Şofet muf 
RKonnexionen haben, wenn er dereinft als mittellofer Offi- 
ater in die Armee eintritt, — ohne thatfrajtige Hilfe von 
oben fann nichts aus ifm werden, denn er ift leider 
Gottes allgujehr das Kind feiner franflichen Mutter. 
ones gab ihn auch darum nicht in das Korps, ihre ganze 
Seele Hangt an dem Liebling, dem eingigen Ölüd, mefl- 
hes ihr noc) geblieben! 

Wird er iiberhaupt Soldat werden finnen? — 

Diejer Gebanfe peinigt und quilt die beforgte Mutter 
Tag und Nacht. — Was foll fonft aus ihm werden? 
Bum Studium reid)it die Witwenpenfion nicht — und ein 
anderer Beruf? — Cr ift ein Torisdorff! er fann und 
Darf nichts ergreifen, was nid)t İtanbesgemüf ijt! — 
Noblesse oblige! 


— 30 — 


Priefter! — Şa, Priejter, — das wire noch die eir 
aigite Miglicjfeit, — bic fatholijche Kirche forgt fiir die 
Cöhne ihrer glaubenStreuen Cdelleute, und Şofef wiirde 
gewig 3u Rang und Chren jteigen — — aber feine Şuz 
gen — fein Her, — fein Glitch ift geopfert! 

Die jugendlide Ereellengz, welche felber jo gern gelcbt 
und jo heif gelicbt hatte, jdjlaigt bei folcjen Gedanfen die 
Hinde voll Sntieten vor das garte WAntlig. 

Shr eingiges Kind! — Shr Liebling! — Nein, tan 
fendDimal nein! Gr foll auch qfüdfid) werden! Wber wie? 
Ach, bağ fie e3 mit ihrem Hergblut erfaujen finnte, bas 
Glick! — Wer aber handelt 68 ihr ein? 

Voll bitterer Qual ringt fie oft die feinen, ringge- 
jhiniicten Hinde, welche wie blaffe Rojenblatter in ihrem 
Shop ruhen; fie ift viel gu matt, viel gu frajtlos, um voll 
fiihnen Muts den Kampf mit dem Cchickjal wagen zu 
fonnen, — für ihr Kind! — 


ee in x TNA Al Şux a 


TSN Nİ Üdisliə Ho) 


LL 


/ Ojef jolgte bem Ruf der Mutter. 
Moc) einmal hatte er forglam glittend iiber 

WY das wellige Haar geftriden und voll peinfidyer 
Genanigfeit den Staub von dem dunfeln Gonmitagörod 
gebiirftet. Cr war e3 jo gewihnt, den Calon der Mutter 
pon Rindheit auf al8 ein gewijje3 Ctwas angufehen, wel- 
ches Refpeft und WAchtung erbeifdit, welches feine Cere- 
monie borldireibt und ftets mit dem Gefiihl: (Sine 
Auszeichnung babırd) gu erjahren” betreten wird. 

Aud Heute lag der Wusdruck wiirdevoller Feierlichfeit 
auf den jdmadhtigen Zitgen des Sefundaners, als er bie 
Portiére teilte und in das fiifduftende, dDammerig ftille 
Bauberreich jeiner angebeteten Mutter eintrat. 

Excelleng Torisdorff lag auf dem Divan, welcher mit 
gejhmacdvoller Genialitat unter die breiten Facdherblatter 
trefflich gepflangter Balmen gejdoben war. Der Salon 
gcigte noc) unverdndert die gebiegene Eleqang, mit welcher 
ber verftorbene General die geliebte Frau umgeben hatte. 


as: 


Goldgefticte Decken, von eincr Orientreije heimgebradt, 
Drapierten mit jtarren Seidenjalten die Wande, forglich 
16068 Hleckhen Tapete verhiillend, welches die prachtigen 
Gemilde, — Grbitüde aus der WAhnengallerie der Hagen- 
Dorfs, — jowie bie Meifner Figuren und Bronzevajen 
auf ben Goldfonjolen, noc) freigelafjen Hatten. 

Kryftalljuntelnde Armleudhter, mit bem groben Liifter 
harmonierend, genial gemalte Cefjel und Tifchchen, weiche 
Atlaspolfter und jdhwellende, fpibeniiberriefelte Sifen füfften 
Den Raum, welcher trog feiner prüditiqen Wusftattung 
berinod) den Charafter auferordentlidher Gemiitlichfeit trug. 

Die vielen, fojtbaren Hodhgcitsgejchenfe der Fiirjtlich- 
feiten und Hofgefelljdhatt, welche die jo fehr beliebte Hof- 
Dame ebemal8 bejonders reich bedacht, reprajentierten einen 
Şümitmeri, welder der ganzen Torisdorjfjden Wohnung 
Das Geprage gripter Wohlhabenheit verlieh und die 
glangende Mtaste war, hinter welcher fid) Frau Sorge 
mit bem Thranentiichlein verftecte. — 

Der ganzen Umgebung angemefjen war die Gridyetminiş 
ber Befigerin, welde trop aller Cinfachheit ihre Perjin- 
lichfeit mit einem Reiz zu umgeben mübte, wie e3 nur 
wirtlid) vornehmen Frauen eigen ift, meldyen 3 gür 
gweiten Natur geworden, durch guten Gefdimad 3u wirfen. 

Die Sommerhige madhte fid) felbft Hier in dem fo 
tief verhingten und gefcitgten Galon bemerfbar, darum 
trug Grcelleng ein Morgenfleid von weigem Batijt, — 
Durdans jehlidht in Form und Wusjfdhmiichung,. eine Arbeit 
ihrer eigenen, fleifigen Hande, welche mit Hilfe der ein- 


Nov. EfHftruth, IL. Mom. u. Nov., Şrübfingöftürme I Ə 


7:7 


gigen Dienerin bie Nahmafdhine handhabten, zur Ver- 
gweiflung Sofefs, welcher biefe Arbeit in Hohem Grade 
fchadlich für bie zarte Frau Bielt. 

Uber was half e3! Die teueren Echneiderrednungen 
muften gejpart werden, iiberall ba, wo feine fremden 
Slide hindrangen, an Hausfleidern, Wajche und Flicereien, 
— ja&limm genig, bab die Gefelljdhajtstoiletten fo tabel: 
108 gearbeitet jein muften, — bic fonnte nur eine 
GSchneiderin liefern. — Noblesse oblige! — 

Aber felbft das Cinjachfte jah an ber hochgewad)jenen 

fehlanfen Geftalt ber Generalin jo dic und fleidjam aus, 
bağ man İd)on frither in ber Gefellfchaft die jderzende 
Bemerfung gemacht hatte: Gelbit in Gadleimmanb 
bleibt Ques Torisdorjf vom CSdheitel bis zur Goble 
Excelleng! — 
. Auch jest Dfieb ihr Sohn einen Moment in über, 
rafhtem Wnjchauen vor der noch jugendlidjen Mama 
ftehen, ehe er voll gartlicher Devotion ihre Hande füfte, 
bi8 bie jdlanfen Wrme ihn innig an die Brujt ber Piutter 
gogen und Sues durch Riifje und Liebfojungen die Er- 
faubni8 gab, wiederum von ihrem Liebling gehergt gu 
werden. 

Selbjt jest, mit überpollem Herzen, wahrten beide 
ein gewifjes Geremonicll, welches nie Durch ein Ungejtiim 
Die Form und gute Sitte berlebte , und Dennod) nicht 
al% ftirendD emphunben ward, weil e3 3u Dem Natiirlichen, 
Selbjtverjtindlichen gehirte, welches dem gangen Wejen 
Der Torisdorjf den Stempel aujdriictte. 


Excelleng war eine verhaltnismapig noch junge Frau, 
wohl noch jiinger ausfehend al fie war, weil ihre 
maddhenhajt fchlanfe, weide und biegfame Figur, mit 
Den etwas milben VBeweguigen, den Bejdauer in jeder 
Berechnung irre fithrie. Wuch ihr jehr jd)males, feinge- 
jhnittenes Geficht mit ben grofen, feudjtglangenden Blau- 
augen, welche meijt etwas verjchletert und traumbefangen 
in die Welt blicten, — das reiche, ajchblonde Haar, 
welces fein Cilberfadden berrüt, und jfchlieplid) ber 
matte, fo itberaus şarte Leint, farblo3 und gleid)mapig 
wie bei einer Wachsfigur, trugen başı bei, über das 
Alter gu tünidyen, und die jiingften Herren trugen noch 
müt Begeijterung die Gd)feppe der anmutigen Frau, wenn 
jie ihr in ben Salons begegueten. _ 

Sofef Hatte fid) einen fleinen Ceffef neben ben Diwan 
gejhoben. Cr hielt die fdifanten Hinde der Weutter 
frampibaft mit ben feinen unijejlofjen und bfidte ihr mit 
beinahe angitvoll jorjdjendem Blicf in das Antlig. 

,ina jagte mir, bir Habeft wieder einen leichten Wn- 
jall gehabt, Miitterchen! Wber ich finde gu meiner 
grofen şreube und Beruhiqung, dak du wohler aus- 
fiehft wie je! Du hajt ja jeit langer Bett nicht İp 
rofige Wangen gehabt wie heute, und deine Augen bliken 
wie Die Sterne zur Wintersgeit!” — 

Die feine Rote auf dem Antlig der Frau vertiefte 
fid), beinahe verlegen wandte fie ben fid, 2, mit dem 
Anfall Dat e3 DdDieSmal abjolut nichts auf fid), Dar- 
ling!” — webrte fie Haftig ab, ,,e8 war nur ein wenig 

3* 


Hergtlopfen, verurjadjt burd) eine momentane Wuf- 
regung.” — 

,(ğine Wufregung ? 17 — 

(ycellenş 1d)ob mit nerbös bebenden Handen bie 
İdymalen Goldreijen an dem Arm Hhoher empor. ,9Cid)ts 
von Bedeutung — ein fleiner $İrger. — Gch wollte bir 
eigentlich) gar nichts davon fagen, denn fchieBen famit 
Du bid) Doch noch nicht mit ihm, und da it’s beffer, du 
reg{t bid) nicht erjt über fold) eine unverjchamte Frechheit 
auf! — Aber — vielleicht ift e3 bod) beffer, bu: weift 
Bejeheid — denn fein Sohn — id) weif nicht, wie du 
mit ihm ftehjt — und — und — ad), Sojey — e5 
ijt İdyredfid) 17 — 

Mit jaher Bewegung öriüdte die Eprecherin das 
Tafdentuch gegen die Augen und jdhluchgte frampfhajt 
ani. Der junge Lorisdorff war aufgejprungen, cine 
Drohende alte jenfte fic) gwijden feine Branen und 
Die fnochigen Rnabenhande ballten fid). 

Sine Frechheit — eine Veleidigung? — Mutter — e3 
ift Deine Pflicht — du muft mir bicfen Buben nermen 17 — 
{tie er bebend Durch bie Bahne hervor. Gridiroden blidte 
Snes auf und nahm Haftig die bebende Rechte in die ihre. — 

ptipverftehe mic) nidit, mein Herzensfind! Nein, 
feine Beleidiquig in deinem Gün — im Gegenteil — 
er Denft mir eine enorme Chre anzguthun — aber — 
baf er e$ iiberhaupt gewagt — das —” 

Und wieder erfticte ihre Stimme in [autem Auf- 


fchluchgen. 


5 


,,YieDe Herzensmama, — ich verftehe bid) nicht! — 
Grbarme bid) meiner und fab mich alles wijjen! — 

Da riditete fid) die Generalin an? und deutete mit 
Der Hand erregt nach einem fleinen Marmortijc) in dem 
Erfer. — ,,Sieh und lies e3 jelbjt, Darling, — id) fann 
jo etwas nicht anöİpred)yen 17 — 

Şofef trat haftig nad) dem CErfer Hin und jchlug die 
Portiére şürüd, 

Ah! — Cin Laut hichfter Wberrafdung und Ent 
giickenS rang fich von jeinen Lippen. 

Gün wundervolles Blumenarrangement, fo föftlid) und 
eigenartig in verjchwenderijder Fille, wie er noch feins 
gejehen, bot fid) ihm bar. 

,/ Mama — das fit ja feenhajt!” jtammelte er. 

Excelleng Ddriicte das Antlib tiefer im die ijfen. 
pied nur erft!” ftteB fie fu: hervor. 

pXejen? — was? — wor —” 

Der Brief liegt — ad) jo — da — auf dem Teppich.” 

Xoflef Dengte fid) und nahm dag elegant couvertierte 
Echreiben, weldes jo berüditlid) gu Boden gejdjleudert 
war, itberrajcht empor. 

yo barf eS lejen, Mama?” — 

Cine jahe, gujtimmende Bewegung ber weifen Frauenz 
hand. 

Mechanijch febte fid) der junge Torisdor}f auf einen 
ber nachft ftehenden Sefjel nieder, flappte das fteife Papier 
augeinander und überilog Haftig den Gubalt des fangen 
Schreibens. 


Und wahrend er 1a8, ftieq e3 rot und immer Töter 
in feinem blajfen Geficht anuj, und feine Hand bebte wie 
im Gieber und fein WAtem ftocfte. Cin Şetratsantrag 1 — 
ein Heiratsantrag an feine Wutter! — und von mem? 

poames Frantlin Sterley, — Rommergzienrat.” 

Şer erhobene Arm fank jchlaff hernicder, — weit offen, 
in3 Leere gerichtet, ftarrten Sofejs Augen — vornitber- 
geneigt, wie verjteinert jah er tm Gejjel. 

wames ranflin Sterley! Der reicje, fdwerreide 
Bantier, deffen Sohn Klaus fein Mit}dhiiler in ber Nlafje 
war! Der vielbeneidete Klaus, welder den Gpibnamen 
,mabob” erhalten, welder fo oft mit efegantem Vierer- 
gug den Schulweg guriiclegte, welder ihm nod) gejtern, 
bet Schluk der Schule, gejagt hatte: ,Solef — ich fahre 
morgen mit dem Crprefzug nad) Tirol, — will diejes 
Jahr unjere Villa am Vegernjee bewohnen und ein biğ- 
chen auf Gemjen jagen! Cag’, Sofef — fönnteft du 
nicht mein Gaft fein? — id) bari mir einladen, wen id) 
will, — und dich mödite id) am fiebiten mitnehmen!” — 

O, wie gern — wie leidenjcajtlich gern wire er dem 
Ruf gejolgt! Nad) Tegernfee — in das Haus Ddiejes 
Krojus, in die Herrliche, föftfid)e Gotteswelt hinein! 

Aber er hatte traurig den Kopf gefchiittelt und bic 
Hand de8 Freundes gedriidt. Sd) dante dir von gangem 
Herzen, Klaus, und id) freue mid) fehr, dag bir an mich 
benfit und mir die Freude bereiten willft, — aber e8 geht 
nidjt, — wahrlid) nicht. Bch müb bet Mama bleiben. 
Gie ift fo leidend, fie barf nicht aflein fein, — fie fann 


sə Bü 


Diefen Sommer wohl gar nicht reifen und ich mü ihr 
jelbjtverftindlid) Gefelfidyaft leijten! Sch dante dir, Klaus! 
— Und nun? Mun Hielt der Vater diefes Beneidens- 
werten um die Hand feiner Mutter an? War jo etwas 
iiberhaupt auszudenfen ? 

Er war im erjten Augenblice fo jajjungslos, fo İtarr 
vor Staunen, Daf} er wie geijteZabwejend vor fic) hin- 
blidte und jeine Gedanfen erit fammeln mufte. 

Und dann fam ihm ploplic) das Verjtindnis für die 
Empirung feiner Ytutter. 

Şameğ Franflin Sterley! — Kommerzienrat — Banfier 
— ein reicher Mann, welcher nicht3 weiter hat, als feine 
MiLlionen — unadelig — Kaufmann — Gott im Himmel! 
wie wagt er e3, um eine Der vornehmiten Frauen ber 
Refideng, gu werben? Um eine CxcellenZ von Toris- 
borif1 — 

Sa, folch’ eine Vermejjenheit ijt Beleidiquug — ift 
mehr wie das. — 

Sölef guct gujammen. Wahrlich, ift e3 eine Schmah- 
ung? Wie nun, wenn e$ Hilfe und Errettung aus tteffter 
Not ware, — wenn der licbe Herrgott im Himmel diefen 
Brief als Antwort auf fein heifes, inbriin|tiges Gebet 
gelanbt hatte? — Cr örüdt beide Şünbe gegen den Kopf 
und ringt nach WAtem. — Nein, tanjendmal nein! Wie 
fann e$ ber qetrene Gott wollen, bağ ein Weib untreu 
werde! — Hat jeine Mutter nicht ihrem verjtorbenen 
Gatten die Treue bis in ben Tod gelobt, und nun foll 
fie ihn vergeffen? — 


— dü — 


Da trifft fein Blick wieder den Brief. (68 fei ferne 
pon mir, Grcelleng, das Andenfen Bhres teuern, ver- 
ewigten Herrn Gemahls aus Bhrem Herzen reifen gu 
wollen! Sm Gegenteil, 68 foll mir eine heilige, liebe 
Pilicht gegen den unvergeflicdjen Entfchlajenen fein, fein 
Andenfen Heilig und in den Herzen von Mutter und Sohn 
lebendig gu erhalten! Sch verlange nicht jene brautliche 
Liebe von Shnen, CExcellenz, welche Sie Dem Toten gez 
gollt, ich bitte Sie nur um Shre opfermutige Freundjdjajt, 
meinem verwaiften Hauje eine neue Herrin gu fein, mir 
gu geftatten, Shnen meine tiefe, innige BVerehrung und 
MNeigung beweijen gu ditrfen, indem id) Bhnen alled zu 
Siifen leqe, was ic) mein eigen nenne. Geftatten Sie 
mir aud), Shren Sohn, den Freund bes meinen, mit Liebe 
und Sorge umgeben gu bürfen, und feien Cie verfichert, 
Erxcellenz, bab ich mein ganges Lebensgliicé Darin judhen 
will, Sie ani Handen gu tragen und alüdlid) gu 
machen. — — 

Wie ein Etöhnern entrang €8 fid) der Bruft des Qez 
fenden. — Ölüdlüd) will er fie machen, gliicflich und ge- 
fund! — Gr will feinen Maub an ben Rechten des Toten 
begehen, — er will nicht um eine şörtlüd) Qicbenbe, — jon- 
Dern nur um eine neue Herrin fiir fein verwaiftes Haus 
werben, er fagt und befennt e8 ehrlich, und doch perlebt 
bicle Offenheit ict, er üt ja felber Witwer, welder viel- 
leicht eine treue, unwandelbare Liebe gu der verflarten 
Gattin im Herzen tragt. Cr fucht eine Reprajentantin 
für jein fiirftlicles Heim, — wer pağt beffer dazu, wie 


| — 


eine Excellen; Torisdorjf? Und wo bietet fid) je wieder 
eine Mtiglichfeit, jo viel, fo alles was not ijt, für Gee 
jundheit und Leben der hHeifgeliebten Mutter thun gu 
fonnen ? 

Sollte e8 dod) die Antwort des lieben Herrgotts ani 
fein Gebet fein? 

Wie ein Beben fliegt e8 durch die Glieder de3 Denfers, 
er prehbt bie ei8falten Hande in einander und jinft nod) 
tiefer in fid) gujammen. 

prau Snes hat bas Tafchentuch vor den Augen finfen 
lajjen; ihr fid: Hajtet grob und verwundert auf dem 
Sohn, in regungölolem Beobachten und Forjden. Zum 
erftenmal im Leben verjteht fie ihn nicht. — Gr hat den 
Brief gelejen und gerfndult ihn nicht voll Gmpörung 
und Born, ihn ebenjo berüditlid) von fich zu jchleudern 
wie jie? 

Er hat den Heirat8antrag, welcher tm Grunde gez 
nommen nicjt ein folder, fondern ein fiihl berechneter, 
geld)üftfidyer Vorjdjlag ijt, gelejen, und er braujt nicht 
auf in Cntriiftung? Cr fiihlt nicht die Beleidiqung, 
weldje fiir Das Weib in demjelben liegt? — Kein heifes, 
fimmelanitürmenbe$ LiebeSwerben, fondern nur das Aus- 
İdireiben einer vorteilhajten Stellung alS ,Herrin bes 
Haujes!” — Şofef ift noch fein Mann, aber er ijt bod) 
İon alt genig, um gu empfinden, wie jold) ein WUntrag 
ber Gitelfeit ber Coa Wunden fchlagt! — 

Jnes ijt eine weltgewandte, — aber feine geiftreide 
grau, welde in Menjchenherzen lieft. — Was fie an 


dem Heiratsantrag verlebt, ift fiir das mefe Herz des 
Sohnes Baljam, e8 verjihnt İeine Cijerjudjt, welche für 
Den Vater jowobhl wie fiir fid) felbft Partei gegen jeden 
qliihenden Liebhaber ergreifen wiirde, Dem ernjten, ent- 
fagung3vollen Mann jedoch, weldjer nur bietet, ohne gu 
fordern, welcher nicht alg Rauber der Liebe, jondern alB 
Mehrer derjelben fommt, unvwillfiirlic) feme Cympathie 
entgegen bringt. — 

Smmer ungeduldiger beben die Lippen ihrer Crcelleng. 
Sojef hat den Brief gelejen, — er las auch feine Unter- 
jhrijt — Games Franflin Sterley! — Und er bridt 
nicht in ein fdhallendes (Gelüd)ter aus, meldyes Dem 9lnz 
iraq Dde8 Herrn Banfiers die Kritif jpridjt, meldes ihn 
Dagu ftempelt, was bieler Brief ijt? Cine Farce! eine 
jrehe Celbjtiiberhebung — eine... . — — Mein, 
Sofef lacht nicht, — er feufgt tiet auf und ftarrt regungs- 
{08 vor fid) nieber. 

/,Şplef117 — wie ein şitternber Wufjdhret ringt e8 
fid) von den Lippen der Generalin. 

Da guct ihr Sohn zujammen und erhebt fid) haftig. 
Er ftreidjt die Haare aus der Stirn und blidt die Mutter 
verwirrt an. 

pmamacdhen — ja — id) — id) habe gelejen.” — 

yund das it alles, was du Darauf gu ermwidern 
hat?” — 

Sofef jebt fid) fchweigend an die Cette der Mutter 
und Halt ihre bebenden Hande gwijden den feinen. 

kod bin id) fo überrafd)t, Hergen8mutter, dap id) 


S... 


wedcr Worte nod) Gedanfen finde! Sd) afnte €8 ja 
gar nicht, bağ du den Rommergienrat Sterley iiberhaupt 
fennjt!” — 

pktein Gott, Darling, id) habe e3 nie fitr ber Mtiihe 
wert gehalten, bir von Diejem Mann gu jprechen, oder 
Dod) — jagte id) bir nicht, baf er auf dem lebten Wohl: 
thatigteitsbagar fiir fabelhajte Gummen Südyer bei mir 
faujte? — Sc machte — dané feiner Freigebigfeit, die 
beften Gefchajte von allen Damen. CErgiihlte id) e3 bir 
nicht? — nein? nun, banı Ddeuchte eS mir wohl nicht 
intereifant genug für bid) 17 

ur das eine Mal fafft du ihn?” — 

po nein! Bei dem lebten Diner auf ber: ameri- 
fanijden Botjchaft fithrte er mid) gu Tijd. — Er ft, 
İp viel ich weif}, Wmerifaner. — Bch war etwas indigniert 
liber Ddiefen Tijdnachbar, fte e3 aber al wobhlerzogene 
oran den unjdhuldigen James Franflin nicht merfen, — 
was fonnte er dafiir! Bm Gegenteil, ich erinnerte mich 
568 Bagars und war fo liebensrwiirdig zu ihm, wie gu 
Den anderen Gajten auch. Dicje Dankesquittung hat er 
wohl mipverftanden — — —” 

,Madhte er dir feinen Bejuc)? — — 

(enib, da8 hatte er jchon jriifer gethan, als ich ifn 
einigemal im Salon der Grafin Sri getroffen Date, 
— fie ijt ja auch geborene Wmerifanerin und er bejorgt 
wohl ihre Gefbgeld)üfte, Daher die Befannt\dhaft.”“ — 

yUnd er geigte bir nie, was er für bid) fiihlt?” 

Gycellenş “Zori3borif lad)te etwas nervis auf. Sd) 


— 4h — 


bitte dich, Şolef, wo nichts ift, fann man auch nidts 
geigen! — Güne vafante Stelle al Reprajentantin İpiegelt 
fid) nicht in den Augen!! Sinmerfin war er fehr auj- 
merfjam, foneit dies bei jeiner Eteifheit und Langweilig- 
feit miglid) ijt, — id) glaube fogar, er Bat fid) ein 
paarmal 3u artigen Phrajen hinreifen lajjen, — nun 
— und jeine Slumen —.” 

,p.3fumen? —” 

Die Generalin errötete und fenfte momentan die langen 
Wimpern über die Augen. 

/Sr İdyfte in ber legten Beit dfters {chine Striufe 
und Sardiniéren.” — — 

ch! Şi) fah fie aber niemal3!” — 

rau Gunes neigte bas Haupt nod) tiefer. ,,Wergib 
mir, Sojef, id) fhamte mid), bağ id) von einem Herm 
Sterley Blumen annafm, — aber fie famen mir jo gee 
legen! Das erjte Mal war gerade der Geburtstag ber 
PringeB Helene, — id) wollte ihr fo gern-eine Wufmerk 
famteit erweijen, gleichjam al3 Dant für alle Beweije 
ifrer Gnade, welche fie mir in der İebten Beit gegeben, 
— q İdidte id) die wundervolle Sardinidre jogleid) an 
fic weiter, und frente mid) bet der Aubdienz über bie 
Huld, mit weldjer bie Hohe Frau meinen Morgengrup 
aujgenommen! — Nun — und das niadhite Mal traf 
Die Dardiniére gerade am Morgen von Cva Diirings 
Hodheit ein! Sd) empfand e3 fo jehr peinlid), dag id) 
ihr nidjt bie mindejte LiebenSwiirdigfeit erweijen fonnte, 
wo id) fo viel Gitte in ihrem Clternhaus genojjen! 


— 2) ə 


Mein fimples Sdhlitffelfirbdhen, welches ich ihr geftictt, 
war dod) iiberhaupt nicht ber Rede wert! — Da fam 
Das fcbhier fürftlidye Blumenarrangement Sterley8 — und 
obwobhl id) mir das erfte Mal jo bittere Vorwiirfe ge- 
macht hatte, Huldigungen von diejem Yann angunehmen, 
war id) gerade an Diejem Tage gu fchwach, jo energie- 
(08, — bie Gelegenheit war jo verlockend — x fielh mid) 
nidjt 10 grob an, Sojej, ich empfinde das Unpafjende 
meiner Handlungsweife ja İeibit am meijten. — Aber 
€8 üt jo namenlos jcjwer, inmer gu wollen und dod) 
nicht şır finnen! Bu wijfen, welche Pylichten Namen 
und Stellung uns auferlegen und doch nicht die Mrittel 
gu befiben, folchen Wnforderungen geniigen gu finnen! 
© Şofef — ich habe e$ mir nidit jo jchwer gedacht, 
arm 3u fein! Wabhrlich feine Bettlerin empfindet die 
Mittellojigteit jo Herb wie ich, die €8 me gelernt und 
geübt hat, gu entjagen, die mit WAnfidjten und Begrijfen 
aufgewadhjen ijt, welde cin Vermbgen bedingen!” — 

Excellens Torisdorjj britdte abermalS das Tajchen- 
tuch vor das Antlig und neigte das Haupt jdwer gegen 
Die Schulter de3 Sohnes. 

Soflef ftreichelte licbevoll das feibermeid)e Blondhaar, 
yoeld)e8 in duftigen Wellen unter jeinen Fingern glangte, 
und atmete beflommen ani. 

Sterley ijt reich), — fehr reid), — in feinem Hanje 
fennt man fein Cntjagen!” murmelte er Durch die Bahne. 

Stes guctte (etdit gujammen und rid)tete fid) jah auf. 
Gün beinahe entjegter Blic traf den Sprecher. 


a | ə 


wosojet — millit bu damit fagen — — — o nein, 
ba8 ijt ja unmiglid)! Wie follte fid) dein Fletfd und 
Blut fo verleugnen! —” 

Cin jajt bitteres Lacheln jpielte um die Lippen des 
jungen Menjden: Sd) fenne Cterley nicht. Weldhen 
Ginörud madite jeine Perfinlichfett au? dich?” — 

Excellen; Torisdorjf ridjtete fid) unruhig auf: ,,Sojef, 
— ich glaube bet Gott, du ermdqft die Miglichfeit, feinen 
Heirat8antrag anzunehmen?/” — 

ən wenn ich e3 thate, Şerşensmamad)en ?7 — Das 
flang miübe und refigniert, aber aud) jehr beftimmt. 
SS Ware zum mindeften ein ftraflider Leichtjinn, wenn 
wir ung fold) einen ernjten Ediritt nicht überlegen wollten. 
Bitte antworte mir dod) — welch einen Gindruc madjte 
ber Bankier? — Ceti efrfid) und wahr, Mutter!” 
Die Generalin hatte fid) hajtiq erhoben und fdhritt er- 
regt im Ealon an? und nieder. Cie prehbte die bebenden 
Lippen gujammen und {clang die Hande ineinander, und 
Dann fate fie jah die Rechte ifires Sohnes und 30g ifn 
neben fid) vor ba5 Portrit des verjtorbenen Gatten und 
fragte herb: ,,QWaagjt du e3 auch vor ihm, deinem Vater 
— dem Mann, welder nid)t$ hoher hielt, als jeine Chre 
und jeinen Namen — wagjt du e3 auch vor ihm, deiner 
Mutter guzumuten — eine — eine Frau Sterley zu 
werden 2” — 

Sojet war tief erbleidht, ein fchmerslidher Blic tteffter 
Seelenqual traf die geliebten Biige bes Verflirten, wie 
ein Bittern viejelte e8 burd) jeine jcymadjtige Geljtalt, 


— A — 


wie ein Schwadhegefiihl, meldyem man nicht [anger miberz 
ftehen fann. Und al er fid) mit erlöfenbem ölufidirei 
an bie Brujt der Mutter werjen wollte, jah er pliglich 
in thr Untlib, meld)es fid) febt gum erftenmal von hellerem 
Licht befdyienen, ihm zuwandte. 

Gr jchraf zujammen. Wie elend — wie unfagbar 
leidend jah fie aus! — Welche Schatten um die Augen, 
weldhe feinen Vinten de Schmerzes um Mund und Nafe! 

,,tranf1 — frünfer al fie abut!” Die Stimme des 
Urgtes flang plö$lid) an jein Ohr: (65 mug bald etwas 
gejdehert, wenn fie erhalten bleiben fofk und Shre Pflicht 
als Golin ift e8, bafür zu forgen 17 — 

Er legte den Arm um die Mutter und blicte aber- 
mals zu dem Bild des 33ater3 auf. Şa, Ptama, and) 
vor ihm, ben id) ad)te, ehre, liebe, wie feinen anderen 
Mann auf Gottes Welt, auch vor meinem Vater wieder- 
hole id) meine Worte, und ich habe in bielem Wugenblic 
fogar 5a8 wunderjame Cmpfinden, alZ jtiindDe id) an 


feinerjtatt vor bir, — al3 waren meine Gedanfen in 
diefer Stunde bie feinen! (Sr hat bid) geliebt, wie id 
bid) liebe, — — — er meinte e8 ebenjo tren und jelbjt- 


105 mit bir, wie id) e3 auc) thue, — und finnte er 
€8 nod), İp wiirde er dein teures Leben woh! auch fchiiben 
und fdirmen und bereit fein, ihm jedes Opjer zu bringen! 
Sieh, Mutter, alfes was uns fommt — das fommt 
von Gott, und wir haben nicht das Recht, aus Hod)- 
mut und Gitelfeit feine Wege gu durd)freuzen! — Sterley 
wirbt nid)t um dich als Geliebte, jondDern um die Herrin 


—— 


feine3 Haujes, — er will das Andenfen deines Gatten nidit 
tilgen, fondern ¢% rejpeftieren, und in Gören: halten. 
Was anderes alfo macht dir jeine Werbung unjympathijd, 
wenn e3 nicht Der Stolz, der falihergige Stolg ijt, meldyer 
einen Herrn Sterley nicht fiir gleichberedhtiqt mit uns 
halt? — Sft er ein braver und reditfidyer Mann, ehren- 
fejt und vornehm in jeinen Gejinnungen, wie man e3 
ihm alljeits nachriihmt, —- nun — jo fit eS Deine Pflicht 
— id) wiederhole e3 — feinen Antrag refflid) gu erz 
wagen!” — 

/,Şofer1 — Kind! wobher nimmijt du folche Worte 
und Gedanfen, was hat bid) jo villig verandert — weld 
ein unbegreiflicher Weehjel deiner Wnfichten?!” — 

Der nge Xorisborff legte ben Wrm um feine Mutter 
und jiihrte jie nach bem nadhjten Zeffef, auf welchen fie wie 
gebrocjen uniederjanf, — er jelber fniete an ihrer Seite 
meder und blicte ihr ernft in die Wugen. ,,Du bliebjt 
mir nod) bic Antwort jchuldig, Mama, — weldhen Cine 
Druck müd)te SterleyS Perfinlidjfeit?” — 

Sues ftarrte geradeaus. ,,Cinen guten, fympathifden”; 
antwortete fie beinahe rauh, — ,,er trüqt jeinen Reid- 
tum nidjt progenhaft şur Schau. — Aber ich bin feine 
Menjchenfennerin — id) meib nicht, was fid) inter ber 
glatten Stirn eines foldhen Zahlenmenjden verftect, — 
id) fann nicht beurteilen, ob er nur Gentleman İdicint 
oder auch wirflich ijt!” 

,3u bijt eine jenjible Natur, Mutter, du mürbeit 
e8 injtinftiv fiihlen, wenn der Rommerszienrat” — — 


L 


urme 


Nv, Ef ftruth, ST. Rom. u. Nov., Frithling sft 


Bü x. 


Creelleng fchauderte leicht gufammen — ,,cine unfeine, 
brutale oder herglofe Natur ware. Gein Briel jpricht 
für ign, — ebrlich, ohne Phrafen, treu gemeint. Wenn 
icin Sohn Klaus Whnlichfeit mit ihm hat, fo ift er ein 
in jeder Begiehung chevaleresfer Wann.” 

,Xoden bid) denn bie Yüiffipnen fo gewaltig, Şofef?” 
Sues fiihlte, wie bie Hand 5e$ Sohnes in ber ihren 
aucite, — er antwortete nicht jogleid), Dann aber fubr 
er mit unbdcrindert ruhiger Etimme fort: ,,da, fie diinfen 
mür ein gar herrlidjes Gefchent, welches der liebe Gott 
uns in ihnen bictet 17 

Ber meifb , ob du jemals einen Dollar davon şu 
eigen befommft! — Wie mand)’ jdine Sllufion hat 
bei foldjen Epefulationen jon betrogenl” 

db ich etwas davon habe, ijt ja gleidgiiltiq; bu 
wiirdeft auf jeden Fall den Reidjtum genieBen, und daz 
ijt Die Hauptiache.” 

Sie genicRt eine Madame Sterley das Leben? C3 
bürfte wohl faum nad) dem Gefdmad einer CExcelleng 
Şoriöborif fein!” — 

,Get nicht fo bitter, Mamaden! Saf uns dod) rubig 
Die ür und Wider bejpredjen — und beharrjt du bei 
Deiner Weigerung — je nun — Du bijt ja deine eigene 
Herrin! Wie eine Frau Sterley das Leben geniebt? 
on vollen SZiigen. Bor allen Dingen ftehen ihr alle 
Mittel zu Gebote, fid) Leben und Gejundbheit gu erhalten! 
Sieh mal, Mamacdhen, du bift leidend.” — 

/Unfinn! — mir feblt micdt bas mindefte! Ctwas 


s, Di 


bletdyfiditiq und nervenjdwach! — weld) eine Fran de3 
neungehnten Sahrhunderts wire das nid)t ?7 — 

,aler Doftor beurteilt dein Leiden ernjter.” — 

/Sinbildung! er ijt iibertrieben bejorgt! id) felber 
müb e8 wohl bejjer wijfen, wie id) mid) fiihle, wie er! 

Sofef feujgte tici auf und ftrid) etwas nervis mit 
Der Hand über bic Stirn. Dann fubhr er rufhig fort: 
olum, fo wiirde man die fchinen Reijen gum Vergniigen 
maden! Dent, Mamacdjen, wenn wir jet aus Ddiejer 
Hike Heraus fiunten; eine eigene Villa am Tegernice 
oder an ber Nordfee begiehen finnten, wenn dort alles 
jo reich — fo itppig — 3auberhaft (dön ware, — wenn 
Du fo ohne Not und Sorge jedeu umid) befriebiqer 
fonntejt — nur die Baubergerte heben und vor bir İefen 
tonnteft, was dein Herg begehrt!” — 

woa, €8 it fehr Detb”, murmelte Sues mechanijd, 
pnd frifdye Lujt atını — 

yöter in der Refideng ein jolch fiiritlidhes Palais 
bewohnen wie das Sterleyjche, mug im Winter ja auch 
jin jein, — aber eine Reije nad) Rairo — oder Mizza 
— ware wobl noch jdjiner! Du Flagteft über die Ralte 
und ben vielen Wind im Winter noch mehr, wie jest 
ilber die Hike.” — 

a, eine Reijfe nad) dem Güben ware wohl das 
Sdeal all meiner Wiinjehe, — das Hiejige Klima mordet 
mich.” — 

/Ridht wahr, das empfinde|t du felbjt, Şerşensmitter, 


und Dann bebenfe, wie gut 68 fid) ausnehmen wiirde, 
4* 


wenn du deine Vifiten nicht mehr gu Fup bei Wind und 
Wetter machen miifteft, fondern mit den vier Vollblut- 
rappen vorfahren finnteft.” 

Excellen; Torisdorff madite eine jahe, leidenjcdhaftliche 
Bewegung. ,,Glanbjt du, bağ man mich afs Frau Sterley 
iiberhaupt noc) in der Gefellfdhajt empfangen witrde? — 
GSiehft bu, Gofef, — diefer Gedanfe — von den Menjchen, 
welde jest meinesgleidjen find, über bie Echulter ange- 
fehen, wontdglich verleugnet gu werden, — mich felber 
aus ber Gejelljdhaft derer, bei welchen all meine Şnter- 
effen, all meine Lebensjajern — mein ganzeS Sein und 
Denfen wurzelt, auszufchlieBen — Diefen Gedanfen erz 
trage id) nicht, Sojef! (old) eine Demiitigung wiirde mid) 
töten 17 — 

Auch in die Stirn und Schlafen des jungen Toris- 
Dorff ftieq bei fold) einer Annahme das Blut und feine 
Augen flammten auf wie in dDrohendem Zorn, dann bib 
er bie Zahne gufammen und lich das Haupt tief şur 
Brujt finfen, in diejem Wugenblicl durfte die Mutter am 
wentgften jehen, weldje Qualen heldenhafter Celbjtver- 
leugning feni junges Antlig fptegelte. 

Momentan Herrjchte tiefe Stille. Dann fuhr Jojef 
tubig fort: ,,Wie fommijt du auf folch jeltjame Şöce? 
Du, die fo beliebt — jo befannt Hier ift.“ — — 

Ques fchiittelte erregt ben Kopf und prebte ihre Hand 
auf feine Lippen: ,,llinjonft — bir auf, Sofef — id) 
Heirate ifn nicht, — id) barf e8 nidjt, — um unjeres 
Namens ywillen, — Noblesse oblige!” — 


a) ə 


Und wieder ein Augenblic atemlofen Schweigens. Jojef 
hatte die Hande gujammengeframpft, fein Blick irrte wie 
in flehender, vergweifelnder WAngjt gu bem Bild bes Vaters. 
Was jollte er nod) fagen — was nod) erfinnen, um den 
moralijden Zwang auf fie auszuiiben, welchen der rst 
ihm şur Heiligen Cohnespifidit gemacht, ihr teures Leben 
gu retten! — Şoflef war noc) zu jung, gu erregt, zu ver- 
aweifelt in biefer Stunde, um mit dem Berjtand des 
Mannes die Cituation gu ermeffen und thr geredht gu 
werden. Mit der Zahigtcit übertriebenen Pylichtgefiihls, 
gepaart mit ber vergweijeluden UAngft und Gorge um das 
Leben des teuerften Wejens, weldes er nocd) auf der 
gangen, weiten Welt bela, erfafte er den eingigen Rettungs- 
anfer, welchen ifm Gott felber, alS WAutwort auf fein 
Gebet, zugeworjen. Und wie fein fid über de3 Vaters 
Bild irrte, fiel ein greller Gonnenjtrahl iiber die Uniform 
DeSfelben und mit ihm İeud)tete e8 wie ein neuer, filf- 
reld)er Gebanfe in Jofef3 gequalter Seele auj. ,,Mtut- 
ter!“ — 

peas willft du?” 

, Mutter, Haft du mich fieb ?7 — 

Wie weich, wie flehend dies fang! Bnes riditete fid) 
jah auf und jodlang laut aufjdluchzend die WArme um 
Den Sohn. 

,lber UMles, — Şofef, — begweifelft du das?” 

Saft Du mich auch lieber — wie — wie deinen Stolz 2” 

Wie meinft bu das?” 

,Şaft bir mid) fo lieh — wie unjeren Namen?” — 


/Sofef! — um deinet- und de3 Namens willen ent 
fage id) ja felbit Millionen!” — 

/Und warjt du imjtande ein nod) griferes Opfer 
gu bringen?” — 

Befrembdet blicte fie in feine flehenden Augen. 

Beld) eines 2” — 

yp dein Diefe Miflionen an! — um meinet- und meine$ 
Namens  millen 177 — 

"mb 1“ 

Da preğte er das farblofe Antlig auf ihre RKnie. 

7s bin ein Eqoijt, Mutter, id) weif eS und fchame 
mich nicht, e$ bir eingugeftehen, Denn ich forbere nicht 
allein fiir meine Berjon, jondern auch fiir das Wappen- 
{ehild, metd)es id) fire. (8 gilt die Bufunft, Mutter! — 
Sd) bin nicht ftarf genug, um Soldat gu werden, id) 
fiihle e8, meine Rrajte reidyen nun und nimmer başı 
aus! Ctudteren fajjen fannft du mich nicht, alfo müb 
ich entweder Gugend und Gli opfern und Klerifer wer- 
Den, ich, ein Torisdorff, deren eS nicht mehr viele gibt, 
oder id) müb: den Namen ganz ablegen und ein Hand- 
werf erlernen, — denn al8 Freiherr — du verjtehft mid) — 
Mutter, auc) ich fage: Noblesse oblige! und in meinem 
Mund hat bas Wort einen noch ernjteren Klang als in 
Dem deinen! — Du opferjt ein wenig, den Klang des 
Mamens fitr: ben Rejt deines Lebens, aber du erfanflt 
Dentjelben burd) dein perfinlicdjes Opjer den alten Glam, 
— ich jedoc) wiirde alles hingeben miijjen, ohne auch 
nur bas mindejte dafiir eingutaujden! Weift du nun, 


um was ich bitte, Mutter? — James Frantlin Sterley 
wiirde jeinem Stiefjohn niemals die Mittel zum Studium 
verweigern, er wiirde e3 mir ermiglichen, İpüter aus 
eigener Kraft und eigenem Fleif ein Biel şin erreicjen, 
Deffen fic) fein Torisdorff gu jchdmen braudht, ein Biel 
und Streben, welche meinen Vater nod) im Grabe ehren 
wird! — Dein Opjer, Plutter, wiirde bid) in betnem 
Sohn feqnen! — Man fagt, die Liebe einer Mutter über- 
windet alles, fie verjebt Berge, fie gibt, fie bufbet, — 
fie wagt alles für ihr Rind! — Şit das wahr, Mutter? — 
Ə, banın beweis e3 mir!” — 

Sues fefnte das bleiche Antlig şurü, ihre weitoffenen 
Augen blicten wie bet einer Traumenden, welcher burd) 
felige Gedanfen eine Offenbarung wird, ein Lacheln, füf 
und gebheimnisvoll fdymebte um ihre Lippen. Und dann 
prebte fie Das Haupt ihres Sohnes an die Brujt und 
flititerte: ,Wergib mir, Şofef, bab ich auch nur einen 
Augenblic dich und dein Glitcl vergefjen fonnte!/ 


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ber Refideng gemacht, al8 ber UAmerifaner Mifter 
Same Sterley ein neues Bankhaus — die Hie 
liale feiner şirmen in Chicago, London und Paris — 
in ber beutidyen Grofjtadt grimböete, und fid) fir feinen 
Privatbedarf eine palaftartige Villa erbaute, von deren 
fürİtfidyer Wusftattung man fid) jeiner Zeit Wunderdinge 
berichtete. 

Schon das Wufere des Gebaudes feffelte jeden Blic, 
Denn e3 war İp gejdmacvoll, fo reid) und eigenartig, 
ohne dabei überlaben gu fein, bafb €8 möhl nicht mit 
Unrecht von den Drofdhfenfutjdern al Sehenswiirdigfeit 
Den Leuten gezeigt wurde. Die Sfulpturen waren Meijter= 
werfe erfter und nahmbafter Şünitfer, und die wunder- 
vollen Malereien gwifden den Saulenjeldern der Vorhalle 
rithrten pon den Pinjeln der bebenteniten Meifter Her, 
welde ihr Bejtes gegeben, um den verwihnten und fein- 
gebilbeten Gejdmad des ,Kinigs von $llinsis”, wie 
man Sterley teils fderzend, teil3 neidijd) jpottend, nannte, 
gu geniigen. 


dəx, HS) coe 


De3 Haufes glangende Shale barg einen noch glin- 
zenderen Kern, und Doc) fonnte auch der fcharffte Kritifer 
nichts Progenhajtes, Ubertriebenes baran tadeln. Der 
Amerifaner zeichnete fid) burd) Taft und mafifaltenbe 
Wiirde aus, und diejer İympatfild)e Grundzug feines Chaz 
rafters offnete ihm jelbjt in ber guten Gejelljdhaft manche 
Thiir, welde der Geldarijtofratie fiir gewdhnlich ver- 
jelofjen blieb. 

Sames Franflin Sterley verftand e8, fid) Freunde 
au madjen. Wich er hatte fid) einen Wahljpruch fiir jein 
Thun und Handeln erforen, ein Gegenjtice gu dem welt- 
befanuten ,,Noblesse oblige’ — mit Der eingigen Wari- 
ante, Dag ibn nicht ber Adel, jondern die Mtittel, über 
welche er verfiigte, verpflichteten. 

Er war fein Harpagon, welder nur die Reichtiimer 
gierig aufhaujte, um fid) felber an dem WAnblicé folder 
Ediüşe gu weiden, nein, er eraditete fein Vermigen als 
ein Lehen bes Schickjal8, ihm guerteilt, um bejtmigliden 
Gebraucd) davon zu mad)en Gr gab gern und viel, — 
er fnauferte nid)t, hichjten3 gegen fid) jelber war er İtrerig, 
für feine Perjon jeden unndtigen Romfort vermeidend, 
verniinjtig, anjprucslos, nur auf den Gebieten ber Kunit 
Depenjicrend, wenn er fid) burd) biele einen wahren (ez 
nub: {atten fonnte. Dabei rajtlos thatig, von eijernem 
Əletb und unermidlidjem Crwerbsfinn. Das Genie des 
Kaufmanns war ihm angeboren. Gr: jpefulierte nicht in 
Dem ceigentlidjen Ginn Ddiejes Wortes, aber er liep fich 
oft ein wenig waghalfig auf Unternehmungen ein, welden 


fein jcharfer fid einen Erfolg garantierte, — er operierte 
mit nambajten Eummen, aber niemalS in einer Weife, 
welde aud) nur den Schein eines GlicfSritters oder 
Spefulanten auf ifm war]. Geine Bank war jolide, und 
als folde im Şn- und Ausland geachtet und rejpeftiert. 
Abjeits von den Prunfgemachern und der langen 
oli de3 Empfangsjalons fag das Urbeitszimmer des 
Hausherrn, ein hohes, weites Gemach, welches jeine faum 
Drapiert zu nennenden Fenjter nach dem Bark gu Hffnete. 
Hier Hinein fdaute jelten, faft niemals ein fremder Blick, 
€8 war das Heiligtum jtiller Buriicgezogenheit, das Reich 
lieber Erinnerungen, in welchem einşiq Vater und Sohn 
traute Stunden ungeftirten Beijammenfeins genojjen. 
Wunderlich genug hatte diejes Zimmer 568 Millionars 
fremden Augen erjdeinen miiffen. C8 wies in dicjer Beit 
prtilvolliten Stils” nichts auj, was irgendwie einbheitlich 
pber charafteriftijd) hatte genannt werden fonnen. Bet- 
nahe glid) e8 einer Rramftube, in welcher alle fonder 
Wahl und Anfehen hingejtellt und gujammengeriirfelt 
wird, was in ben anderen Ealons und Raumen über- 
fliijfig geworden ijt. Cin altmodijches Cylinderpult jtand 
iiber Ce am Fenfter, und zeigte e3 aut den eriten fid, 
Dag Games Frantlin Sterley e3 vielfach, wohl taglich, 
benubte. Daneben, an das Fenjter geriict, ergahlte ein 
entgiickend gearbeitetes Nahtijdydhen von fleipigen Frauen- 
handen, weldje ehemals an ifm gejchafft. Noch ftectten 
Halbgejpulte Swirnwidel und Seidenrillden in ben funft- 
voll eingelegten $yüd)erm, und der filberne Fingerhut jtand 


a: a 


jo blanf auf feinem blanen Gammetpolfter, alg habe ihn 
eben erft ein rofiges Handden vom Finger geftreift. — 
Alte, unanjehnlidhe Lederftithle Hier und bort, und 
Dagwijden wieder bic zierlidjen, Dod)eleganten Brofatmobel 
eine Damenboudpirs, ein altmobild)yes Klavier, von ver= 
blabter Geibenbede iiberhangen, Silhouetten und jdymudlofe 
Reidhnungen füngİt vergangener Zeiten an den Wanden, 
und in ihrer Mitte, mit verjdwenderifdher Bracht gold- 
ftrobend eingerahmt, das febensgrofe Olgemalde einer 
jungen Frau, fünitlerifd) gemalt, İp lebengvoll, dag man 
umvillfitrlich das Gefithl hat, fie wirft ben gelbflodigen 
Belz, weldhen jie von den Schultern guriichalt, vollends 
ab, und eilt dem Bejchauer mit frijhem Laden und 
ftrablend Şetterm fid entgegen. WMtehr denn je empfand 
Diejen Bauber tiujchender Lebendigfeit wohl der Mann, 
welder auc) heute wieder einjam und gedanfenverjunfen 
vor bem Gemilde jab, — James Franklin Sterley. 
Das Licht fallt grell burd) die geöffneten Fenjter und 
beleuchtet feine jclanfe, jehr grobe, etwas fnodjige Ge- 
ftalt in Dem Hellen Sommeranjzug, welche vorniiber geneigt, 
wie niedergebengt bon ber Lajt fchwerer Gedanfen in bas 
lachelnde WUntlig jeines verftorbenen Weibes ftarrt. — 
Der Amerifaner fieht noc) nicht alt aus, trog des 
ergrauten Haares und des fleijdhlos Hhageren Gefidts, 
welcheS mit energijden, fonjt 10 jdarf und Teblaft 
blicenden Grauaugen in die Welt faut. Die Lippen 
beden blag und bartlos die Bahne, nur an den Wangen 
geigen fic) İd)male Gtreifen eines fehr furg gebaltenen 


x | oe 


charafteriftifden Son Bull”. Der Banfier hat die 
İd)malen Hande, an deren rechter al3 eingiger Schmud 
ein fchmaler Trauring glingt, im Sco gujammengelegt, 
und wahrend er mechanifd) den goldenen Reif am Finger 
Dreht, İdymeifen feine Gedanfen weit şürüd, bis gu dem 
Tag, wo ihm jene blithende, anmutige Maddengejtalt 
gu bem Wltar folgte, wo fie ihm ben Ring an den Finger 
İtedte. Damals! — $), wie glüdfid), wie unbefdireiblid) 
qlüdfid) waren jie! Noch war ber Goldregen nicht au) 
Den jungen Sanfbeamten Herniedergeftrimt wie jebt, aber 
er war aud) Damals jdjon ein reicher Mann, reich burd) 
Grbidyafi und Lotteriegewinn, ein vielumworbener junger 
Mann, welder getroft bet den verwohnteften Crbinnen 
hatte anflopjen finnen, — aber fein Herz war gröber 
wie fein Verjtand und Zo0g ihn an den Palajten vovriiber, 
gu ber jtillen, engen Vorjtadtitrafe, wo die arme Doftors- 
witwe mit ihrem goldlodigen Tichterlein wohnte, wo 
beide von friih bis fpat in raftfofem öyleib die Hande 
riihrten, all jene jhimmernden Goldmujter in die Schleppen 
ber Milliondrinnen gu ftiden, 

Saines Sterley hatte die reigende Virginie gum erjten- 
mal gefehen, als fie mit heifgerdteten Wangen und glüd- 
İtraffenben 9fugen ihren erjten Sparpfennig auf die Bank 
gebradjt hatte. Da faditen ihn die blauen Kinderaugen 
burd) das Hohe Cijengitter an wie ein Etüd Himmel, 
welder ftumm verfiderte: er wohut die Seligfeit. — 
Hier finbeft Du eS wieder, Das verlorene Paradies!” — 

Und der junge Mann empjand eine heipe Sehnfucht 


a. a 


nach biclem Paradiefesgliicf wahrer Liebe. — Unerflar- 
fiche Gewalten gogen ifn nach dicjem blauen Himmel, — 
et juchte und er fand ifn. Und bas gleifende Gold verlor 
feinen Schein neben dem blauen Glang dicjer Madchen- 
augen. 

Das Unglaublide gefdah, — James Franflin Sterley 
Heiratete bic arme Etiderin aus der Vorftadtgaffe! Sie 
brad)te ihm fein Geld und Gut ins Haus und madite 
ihn doch reicher wie einen Konig! 

Sea getren bis in ben Tod!” ffangen und fangen 
Die Gtimmen de3 Rirchenchors, wie feliger Gubel von 
Engelgungen, als er thr ben Ring an den Finger ftecte! — 

Sa, fie ijt ifm treu gewejen, bis in den Tod, — fie 
hat ihren Cid ber Treue gehalten — — und er? — Cin 
İd)nerer, ticfer Atemgug Hebt die Bruft des Banfiers, — 
er fieht gu ifr auj, jcine Lippen regen fid), Qetic, faum 
börbar, flüftert er. — 

ws liebe bid), Virginie! id) licbe bid) auch bis in 
Den Tod! — Nichts joll zwifden unjere Herzen treten, 
auch nicht bas Bild jener Wudern, um deren Hand ich 
joeben geworben, auf deren Antwort ic) hier warte, ruhig 
und tüff bis in mein erjtorbenes Herz Hinein. Das Tegte 
id) mit bir zu Grabe. — Warum id) bir jene andere, 
vornehme Frau zur 3tadifolgerin geben will ? — Verzeih 
mir, Virginie, id) Din ein CEpefulant geworden, — id) 
treibe nicht mehr allein Handel mit dem Mammon, — 
İd) treibe jogar Wucher mit Menjfdenherzen. — Meine 
gweite Che ijt ein Gejhajt, — eine Anleihe, weldje Binjen 


tragen foll, — fiir unjer Sind, fiir Kaus! — Deinen 
Sohn, beffen öyürforge du mir itbertrugft. Wn ihn — an 
fein Kapital — an jein Vermigen dente id) bet bicler 
Che. — Sch habe mich bet dem Bau der neueften Bahnen 
gu ftarf engagiert, e3 gilt Cinflug in mafgebenden Kreijen 
gu gewinnen, um das Biel, weldjes grweifclhaft geworden, 
Dennoch gu erreidjen. CExcelleng Torisdorif ift die Perjin- 
lichfeit, meldye id) gebranud)e. Gic, die friihere Hofdame, 
fteht in beften und  intimiten Begiehungen zu dem Konigs- 
haus, — fie ijt befreundet mit all den maggebenden 
Perfinlidhfeiten, Durch welche ich jo viel fir mein Unter- 
nehmen erreidjen möd)tel — Gie ijt eine Frau, welde 
mein Haus ahnungslos  förbern wird, nicht gu flug und 
nicht gu bejchranft, eine natiirlicje Diplomatin, taftvoll, 
fidyer und vertraut mit ben Clementen, auf deren Kraft 
id) şüblen mug. — Sift du noch eiferlitditiq, Virginie? — 
Mein! gewif wicht! Meine Che ijt ein miditiqer, not- 
wendiger Sdhachzug, burd) weldhen meine Partie und 
mein Gewinn gefidert wird. Sd) vergeffe bid) nicht, um 
ber Frembden ywillen, und id) habe fein fafidyes Spicl ge- 
trieben! Sch Habe nicht aus Liebe um eine Geliebte 
geworben, fondern habe Cxcelleng Torisdorff gebeten, bic 
Herrin meines Haujes zu werden, — als Lohn foll fie 
haben was mein ift, — und das ijt mein Geld und 
Gut, meine Liebe nicht, denn die ift und bleibt ja dein 
in Cwigfeit, meine Virginie!” — 

Das Bild lacdhelt auf ihn nieder, — fein Schatten 
Hujdht dariiber hin, jugendlich, in fiegesberwupter Gdyöne 


——— — 


triumphiert bie Tote üDer die Lebende. Und die Ubr 
ticft und tidt, und Der Banfier traumt weiter, von dem 
gliicliden Cinft und dem gleidhgiiltiq freudlofen Best, 
weldeS nur nod) ein Siüterefle für: ifn hat, — fein Gee 
fchaft, welches nur noch einen Reig auf ihn ausitbt, das 
geijtreiche, fede Gfüdsipiel mit feinen wedhjelnden Ziigen! 
Matt feben faun ihu wohl fener, aber fdaden und 
niigen, einbringen und verlieren İaffen, dDarum hanbdelt 
e8 fid), und Mifter Sterley ift viel gu fehr Kaufmann 
und 9fmerifaner, um nicht viel eingufepen, wo fid) viel 
gewinnen apt. Gcine Gedanfen umfreijen wie im İeifen 
Gejprad die peritorbene Gattin, und der Banfier glaubt 
ehrlid), gang ebrlid) gu ir gu fein, eines aber vergift 
ber unverdindert Gebliebene bennod) gu beichten, die ihm 
faft unberwufte Wandlung feines Charafters, welche aus 
einem ehedem gegen alle Yuferlidjfeiten gleichgitltigen, 
felbftberwuften Wmerifaner, cinen ehrgeigigen, eitefn Rom- 
mergzienrat gemacht hat, — einen Mann, weldjen benfidyer 
Kaftengeift und europdijde LTiteljucht in wenig Sabhren 
unheilbar angefrinfelt haben. Dames Frantlin Sterley 
Tügt nicht, wenn er dem Bilduis jeines erften Weibes ber, 
fidyeri, Dag er nur aus Gejchaftsinterefjen und ohne Liebe 
um bie Witwe des Generals, die ehemalige Hojdame, 
wirbt, aber er verjcjweigt, ba aud) bie Gitelfeit eine 
ftarfe Triebfeder gewefen, welche ihm den WAntrag an ihre 
Excellen, in die Feder diftiert hat. — Und bic Citelfeit 
ijt e3 auch, weldje ihn endlic) von feinen Gedanfen Lo3- 
reift, beforgt nad) ber Uhr gu fehen. — 


aSftiirme I 


N.v. EfHftruth, IW. Rom. w. Nov., Şrübfün 


In friiher Morgenftunde Hat er feinen Bricf an Ynes 
von Lorisdorff abgejandt, jebt finft bie Sonne bereits 
Hinter die Dunfeln Wipfel des Parkes, und nod) immer 
ift feine Antwort eingetroffen. İlberlegt 68 die arme 
Witwe jo lange, ob fie bie Gemaflin des mehrfaden 
Millionars werden follP Wiegt das fleine Wartchen, 
Das AdelSpradifat, jdrocrer wie feine Cüde voll Gold? — 

O, bicfer beutidie Hodhmut! Dicje eingewurzelten Vor- 
urteile! Dtefer gabe, ftarre und doch fo imponiercnde 
Adel3ftolz! — 

Der junge Torisdorff lehute e3 ab, Klaus nach Tegern- 
jee gu begleiten, war e8 bielleidit ber Schatten, weldjen 
grofe Greiqnille vorauswarjen? Cine fiebernde Ungeduld 
bemadtigte fid) allmahlich de jonft fo fiihlen, İtet3 gelaffe- 
nen Mannes. Das Pflanglein Citelfeit fchlagt feine Wurgeln 
tiefer und tiefer, e3 tragt Dornen, welche Wunden reifen. — 

Noch nie guvor ijt dem Amerifaner der Gedanfe 
gcfommen, Dag der Titel Rommerzienrat allen noch nicht 
geniige, ifm eine Stellung in der deutfden Refideng gu 
{Gaffen, jebt in ben Stunden be Harren3, 568 Hangen 
und Bangens, deudt e8 ihm ein unbegreijlider Mangel, 
bafb Dem Namen Sterley das Wappenjdhild jehlt. — Cr 
empfindet Das Bogern ber Generalin wie ein Bettler, 
welder mit gegogenem Hut ftehen bleibt, bis fie in ihrer 
BVorje eit Wlmojen gefucht. — 

Sie wiirde fich mehr beeilen, wenn der Freier jeine 
Hand und feine Reidhtiimer auf einem Wappenjdhild an 
bieten. finnte. 


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Na, e8 feflt ihm! — 68 üt das eingige ber Gfüda- 
qitter, Yoeld)e6 Gortuna ihm nod nidit in den Shop 
georjen. 

Sit e3 unerreichbar? — GewifR nicht. Das fin de 
siecle ift mehr denn je das Zeitalter, in meldyem Ritter- 
{porn neu ausgejat wird. Die jungen Pflanzen ftehen 
infolgedefjen nicht hoch) im Preije bei den Kennern, — 
aber fie wachfen doc) in Dem Garten, zu welchem anderes 
Wegefraut fetnen Zutritt hat. — 

Mit unruhigen Schritten geht der Banfier im Zimmer 
auf und nieder, er menbet fich İdifteblid) zur Thiir und 
tritt im Nebengimmer an das Fenjter, welches den Blick 
ani die Strage gewahrt. Wird die ehemalige Hofdame 
feine Gemabhlin, fo bleibt wohl der Blab über dem Portal, 
wo ein grohe8, jteingehaueneS Wappen fo trefflid) jeinen 
Pag fande, nicht lange mehr leer. 

Und James Franflin Sterley, welder ben WAntrag an 
bie Excelleng mit fo füblem Blut niedergefchrieben, jteht 
plöbfid) mit fiebernden Bulfen und wartet auf die Wnt- 
wort, fo ungeduldig und beforgt, als hinge von der Huld 
und Gnade der armen Offigierswitwe feine Dajeins- 
berechtigung ab. — 

Und dann şüdt er leicht zujammen und firetiit fang: 
fam über bie Stirn, wie ein Mann, welder aus wirren 
Traiumen erwadt. 

Wohin füfren ihn feine Gedanten!! 

Will er fid) denn Hier in Deutjdhland naturalifieren 


lajjen? (Gr, der eingefleijchte Wmerifaner, welder faum 
5* 


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cinen vidtiqen und flaren Begriff von dem Adel hat, 
er, ber freie, jelbjtbewufte Selfmademan, welcher jeit 
jeher zu (tol) war, um anderen etwas 3u danfen? — 
Yürber Gott nur ich! — Was ich werd’ und bin, bin id) 
aus eigener Rraft Durd) bes AMmadhtigen Gnade! — Eo 
hat er noc) vor wenig Monaten mit dem frohen Sieges- 
berwuptfein ber Unabhangigfeit triumphicrt, als er wider- 
willig ber Titel eines Kommergienrates angenommen, mit 
Dem fejten Vorjag, niemalS Gebrauch von diejer Danfes- 
quittung gu machen, weldje man ihm aus Crfcuntlichfeit 
fiir ein von ihm erbaute3, botierte und der Stadt ge- 
İdyenftes Blindenajyl ausgeftellt hatte! 

Und mm? — Cr hat unter jeinen Heiratsantrag — 
nicht ohne ein Gefiihl von Genugthuung — den Titel 
Kommerzienrat gejcrieben, er hat Dem Kammerdiencr be- 
fohlen, den fünglt verliehenen Orden an dem Frack zu 
befeftiqen — den Orden, weldhen er mit tronijdem Ladeln 
in feinen Ediretbtild) gejdloffen und jchier vergeffen hatte. 
— Und febt fteht er in fieberhafter Spannung und wablt 
fdon einen Blab für das Wappen üDber der Hausthiir 
aus. Wie ift jolch cine Wandlung möqlid) gewefen, wie 
ijt fie qefommen? — 

Der Sanfier feufgt tief auf, weil er cin Sflave feiner 
eigenen Werfe geiworden ift. Cr, ber freie Mann, em- 
pfindet eine Lajt auf feinem Maden, welde ihn tyrannifd 
beugt, welche ihn der Notwendigkeit gefiige madjt und 
jede3 Mitel, weldes gum Biele fitri, als recht und gut 
erad)ten lapt. 


Der Reichtum, welchen er mit eigenen Handen gız 
jammengetragen, wadft an gu einem Riefen, welder nun 
Den eigenen Herrm am Gangelband leitet, wohin e3 ihm 
juft beliebt. 

Der Bantier fteht gu tief in dem breiten Goldjtrom, 
welder ifm Haltlos mit fid) fortreibt. 

Cr hat fid) bei neuen Unternehmungen allzufehr enga- 
giert, er ift viel gu jehr Gejchajtsmann, um grofe Verz 
lufte gleichgitltig gu ertragen, er bemiiht fid), ifnen borşu: 
beugen. (Gr ift ein Epicler geworden, welcher feinen 
Edyadışıış jcheut, um zu gewinnen. Und feine gyweite Che, 
fein Titel — fein Orden — jeine hodjfliegenden Gedanten 
— fie alle find Schachgiige, um auf dDiplomatifdem Weg gu 
erreicjen, was auf Der geraden Strafe nicht mehr eingelolt 
werden fant. — 

Der Breck Heiligt die Mitte. 

Sames Franflin Sterley guckt gleichmiitig die Wehfel, 
fein geradliniges Geficht wird jteinern wie zuvor, - - ber 
jejuitijhe Grundjak lullt die Sfrupel ein, welche ihm plöt: 
lich fommen wollten. Gr wirft fid) in einen Ceffel, ent- 
giindDet eine Cigarette und greift nad) ber Borjengettung. 
Die Beit vergeht, violette Schatten fallen bird) das 
Senter und ein matter Lujtzug welt Durch die gebjfnete 
Balfouthiir, den febten Gri? der jdjeidenden Conne 
Hereingutragen. 

Cin İcile8, refpeftvolles Rfopjen. 

Der Banfier Hebt jah bas Haupt. 

»Well ! 


əə IR: 


Gün Diener im fchwargen Frac und meifer Wefte fteht 
auf ber Schwelle. 

/Sin Brief von Shrer Excelleng Freijrau von Toris- 
Dorf.” Noch einmal ein: ,,Well!“ — e8 flingt etwa3 
Hheijer, aber ber Amerifaner bleibt requngslos im Ceffel 
liegen, nur icine grauen, birdibringeniben Yugen richten 
fi) nad) der Thiir, in meldier auf einen Wink des 
Kammerdieners ein Safat erjcheint. 

Er tragt ein fifbernes Tablett, aut weldhem ein Brief 
liegt. 

Bill nimmt e3 ihm ab und itberreicht e3 feinem (ez 
bieter. — 

Abermals ein furzes: ,,Well — thank jou!“ — 

Die Uberbringer find entlajjen. 

Sterley wartet, bis fid) die Thiir Hinter ihnen ge- 
jhlofjen, Dann nimmt er bas Edirciben und ftarrt einen 
Augeublic darauf mieder, ohne e3 şit Hffnen. 

Das Papier ijt leicht und fdjlicht, aber e3 tragt eine 
fiebenperlige Goldfrone an? dem Umjdhlag. 

Wunderlich, jchon von ihm geht das gewiffe feterlid) 
vornehme Etwas aus, wodurch dem inerifaner vom erften 
Yürgenblid an die deutfde Baronin fo gewaltig imponicrte. 

Er war doc) jo ruhiq geworden, mun jdjlagt ihm 
Das Herz wieder Heftiq in der Brut. 

Mit leicht bebenden Fingern, wie mit einem gewalt- 
famen Entjdhlug, reiğt er Das Couvert anuj. Mur wenige 
Beilen; — voll atemlofer Hajt überilieqt er fie, und Dann 
fteigt eine feine Rote in Wangen und Stirn, — feine 


a, ae 


Augen bligen auf wie bei einem Wettreiter, weldher unter 
wehenden Fahnen das Biel gewonnen! Cr fpringt ani, 
— wirft füdyefnb den Şopf guriice und atmet tief — 
tiey — auf. 

Sein Sid ftreijt ben Spiegel und muftert mit einem 
Ausdruct jtolger Citelfeit fein Bild. — 

/ Bas Dift du für ein Mann!” — liegt darin; ,,anch 
ohne Adelsfrone bift bu ihr begelhrenswert — ihr — 
einer Excelleng, deren erflujive Gefinnung ftadtbefannt üt. 
Selfmademan bijt bu, auch biefe8 Mal!” Und dann 
İdyrettet er gerade aufgerichtet, efaftifdyer noch wie fonit, 
gu der eleftrijden Schelle. 

vəd) winjde auszufahren, Bill! — Buvor werde id) 
müd) anfletden, — full dress. — Stehen die Blumen bereit 2” 

, 63 ift alles bereit, Herr Kommerzienrat.” 

Bum erjtenmal nennt der Rammerdiener — trot be8 
Verbotes — jeinen Herrn mit dem Titel, und er befommt 
feine Riige, — WMijter Sterley iiberhirte e3 wohl. — 

Mach faum einer Wiertelftunde faujte der elegante 
Viererzgug davon. Ju Mifter Sterley3 Handen fliegen dic 
{ehinjten Rojen, welche je einer Braut zu yüben gelegt 
wurden. Der ehd) wahrt nicht allgulang, — der 
Amerifaner liebt und wabhrt die etwas fteife Form cbenjo 
jehr, wie Shre Exceellenz. — 

(5 ijt eine eigenartige Verlobung, ohne Bllufionen, 
ohne LiebeS}chwiire, — ohne Bartlidjfeiten. Cie gleicht 
mehr einem fonventionellen Wbjdhlup, einem Patt, welder 
in böflid) formeflem RKonverjationston abgejchloffen wird. — 


ae) x 


Mifter Sterley bittet auch erft um die Erlaubnis, 
jeiner Berlobten naher befannt werden gu bitrfen, und 
jehlagt vor, died durch einen gemeinfamen Wufenthalt in 
Ojtende gu ermiglicen. 

Er werde alles Néitige anordDnen und fiir Crcelleng 
und Jofef Quartier in einer der behaglicen Billen bez 
forgen, bieyceil er felber im Hotel abfteigen werde. Mit 
gütiger Crlaubnis werde er auch Klaus wahrend ber 
lebten viergehn Tage der Ferien nad) dort beordern. — 

Excellen; Torisdorff reicht ifm danfend die fchmale 
Hand und der 9fmerifaner driict fie jo ehrerbietig an 
Die Lippen, wie ein BVafall feiner Kinigin huldigt. — 
Sofef Hingegen İdifiebt er voll Hherglider Warme an die 
Brut und Halt den Blick des jungen Mannes, welder 
wie im brennender Frage bis in jein tiefjtes Herz gu 
Dringen jcheint, jeft und fadyefnb aus. 

An dem Strand der See — im tagliden Verfehr und 
Sehen, follen fid) bie Herzen finden, und gewinnt Creellenz 
die Ubergeugung, bağ ihre Verbindung mit Mijter Sterley 
en Glüd fiir fie alle werden fan, fo foll nach der 
Niicffehr die Verlobung verdffentlidt und baldmiglidft 
Die Hochzeit gefetert werden. 

Cin mübe$ Lachelu şidt um die Lippen ber Generalin, 
e8 fieht beinahe aus, al wolle fie voll herber Refiqnation 
jeufgen: ,,.Wo3u noc) diefe Kombdie, dieje Galgenfrijt? — 
Warum wir uns Heiraten wollen — und bab wir e3 
thun werden, ywiffen wir ja beide! Şit fitr foldye 3000: 
tive cin Kennenlernen notwendig ? — 


ee 


Qend) empfand fie die Feinfiihligkcit diejes Manned, 
welder feiner Werbung ber $hiğerfid)feit nad) wenigitens 
Den gefdhaftliden Wnftrich nelymen wollte, jehr angenefhm 
und jehr banfbar. 

Cin taglicher Verfehr in dem fremben, leidjtlebigen 
Seebad fchlug wohl die befte Britce von der Vergangen- 
Heit şür Zufunjt und lief ben Wechfel ihrer gegenjeitigen 
Besichungen nicht allgu fchrojf empfinden. 

So war der erfte Cindrud, melden Mifter Sterley 
Hinterlich, ein giinjtigerer und fympathifderer, als Frau 
von Torisdorjf weder fich nod) ihrem Sohn eingeftand, 
und Sofef forld)te vergeblic) in ben unbewegliden Ziigen 
Der Mutter nach einem WAngeichen, weldjes für bie Perjin- 
lichfeit 568 Banfiers vorteilhaft gedeutet werden fonnte. 

Excelleng Torisdorjf jchien fid) ohne Thranen, aber 
aud) ohne Laichelu in ihr Echicjal gu finden, und ihr 
Sohn prebte jdhwer atmend das Antlig auf die gefalteten 
Hinde und dadjte: ,,die Beit wird ihr helfen, — fie wird 
Die iippigen Bliiten de3 Reichtums leichter und Lieber 
pifüden lernen, al8 fie ahnt, und dag fiinjtige Leben, in 
all jeinem jorglojen Behagen wird ifr eine unentbehrlicde 
Gewohnheit werden, welche doch nod) alle Opfer, meldie 
ihm jeht qebrad)t werden, aufwiegt. Die Hauptjache üt 
ja İd)on jest für mich erreicht! Die geliebte Kranfe wird 
ün Der frild)en Seelujt gefraftigt und gefunden, und diejes 
Bewuptyein ftillt die Gewifjensbijje, gegen meine beffere 
Uberzeugung, gegen all meine Unfichten und Grundfiige 
gehandelt şı: haben!” 


Sa —, Sofef von Torisdorjf hatte unter dem Druck 
Der Not und der Verhaltnifje gehandelt, wie er e3 unter 
normaten Umftanden nie gethan haben wiirde. Er hatte 
fid) ohne Schuld gum Sgpüften gemacht, er hatte der 
Mutter eine ffeine KRomidie vorgejpielt, weldje ihm mit 
jedDem Gedanten fern lag! Cr hatte fid) eines unerlaubten 
MittelS bedient, fie in die unjympathijde Che mit dem 
Bankier Hinein gu gwingen! — 

Nun Heiratete fie den reichen Mann lediglid) ans 
Plichtgefiihl, aus Liebe und Sorge um ihr Kind! — 
Un de3 Sohnes Leben giinjtig zu geftalten, opferte fie 
fid) felbit, um fiir ihn gu gewinnen, gab fie fid) felber 
Hin, fich und alles, was ihrem Herzen teuer war! — 
Und war dies thatjachlich eine Notwendigfeit ? O, nimmer- 
mehr! Şofef fiuhlte Kraft und Cnergie in fid), jeinen Weg 
auc) ohne Die Goldquellen jenes Wmerifaners zu machen! 
Er ware ohne Bögeri Offizier geworden und jeine Ge- 
fundheit hatte fid) entweder in Arbeit und Dienft gejtablt, 
pber er hittte das Los fo vieler unbemittelter Standes- 
genojjen geteilt, er ware als Opfer jeines Berujs ehren- 
poll şir: Grunde gegangen. 

Dann hatte er al8 pflidytgetrener Gofn feiner Vater 
ba8 ftille Rammerlein unter Dem Rajen begogen, gugedectt 
mit Sdhwert und Schild, Dem reinen, flectenlojen, welches er 
wahrend feiner furgen Pilgerfahrt müt der Kraft ber eigenen 
Hinde hodjgehalten, — jo lang, bis dieje Kraft erlahmt war, 
bis er Das Lehen feines Kinig3, welches ihm gu jdwerer 
Sait geworden, bredjenden Anges guriie eritattet hatte. — 


a eo 


Und auch diefes fırşe Leben ware fin gewejen, fin 
und jonder Neue. — Das webhmiitige Edidiaf eines 
Mannes, an deffen Wiege nur ein prophetifdher Cegens- 
ümid) erflungen: Noblesse oblige! — Beinahe bendit 
e3 iln, al habe bas Schictjal, welded er fid) jest 
jelber befchworen, weit weniger Reig für ihn. C8 wird 
ifm şeitfebens Bleigewichte an die Fliigel hangen und 
ihre Flugfraft mehr noch lahmen wie die Anftrengungen 
068 Miilitardienftes. Cr wird jtets das Gefiih! der Ver= 
pflicjtung mit fic) Herumtragen, und das Ddemiitigende 
Bewuftjein, bab: er, der Edelmann, die Almojen eines 
oremben augenommen, unt beftehen gu tonnen. — 

Diejer Gedanfe treibt ifm bie Edyamröte in die 
blaffen Wangen und er furcht trokig Die Junge Ctirn, 
Hinter meldyer jolch unnatiirlich gereifte Gedanfen freuzen. 
Er erwagt jede Miglichfeit, bicfe Geld von jeinem Ctiej= 
vater nicht alS Gefchenf, jondern nur alg Darlehn erz 
adjten gu finnen, weldjes er ihm jpdter mit Binjen wieder 
guritcgahlt! — 

Er will nicjts von dem reichen Mann! Cr perfönlid) 
bedary jeines Geldes nicht! Nur der Mutter joll er als 
Helfer und Retter fommen, joll ihr geliebtes, teures 
Leben Hiiten und erhalten, denn der eingige, welder ein 
Redht başı hatte, ihr Cohn, ijt ein jcjwacher, ohnmadtiger 
Knabe, welder nidjts andere3 hat, al8 jein griiblerijdjes 
Gümen und fein Gebet! — 

Und wahrend Jnes das thraneniiberflutete WAntlig 
nadjtS in bie Riffen barg und der eingige Xrojt, an 


welchen fie fid) ffanınerte, ber Gedanfe war, ihrem Kind 
und jeiner Bufunft ein L[ohnendes Öpfer zu bringen, — 
wihrend fie in diejer Heiligen Wufgabe, in diefer eblen 
Selbftverleuguung die Kraft fand, fid) gu iiberwinden, — 
brad)te ifr Cohn ihr noch ein bet weitem griperes Opfer ! 
— Gr rang in dem Kampf itbertricben hoher Sugeudidcale 
gegen ben: Realismus cines bitteren ,, Mug’, er war ein 
Kind voll frithreifer Gedanfen, welchem jedoch die Sr- 
fafrung und das flare Urteil Ded Mannes fehlten, er 
jtand nod) mit beiden öyüben fejt in der Vergangenheit 
und Den Pringipien, welche man ihm in derjelben aner- 
aögen hatte, und nun riittelte er felbft mit eigenen Handen 
baran, nun vib er Das Gewejenc nieder, ohne nod) eine 
Bujlucht bei dem Kommenden gu finden. Diefe Stunden 
bittercn Mingens gingen nidit fpurlos an ifm voviiber, 
fie Hinterlichen ihre Marben, und wenn auch das milde 
Schicfal fid) erbarmte und feine junge Seele von der 
polter erlölte, indem e3 burd) die Reije nach Ojtende 
neue Ginörüde und Zerjtreuung bot, fo verfapjelten fid) 
jene wirren Gdeen Dennoch tief im jeinem Herzen, cincs 
Hrublingsjturmes Harrend, welder fie gu nenem Lcben 
aus ber Viefe emporwithlen wird. — 

Buerft glattete fid) die bewegte Flut. — Der Reig 
Der Neuhcit übte auf fein Şinbesgemüt dic unjehlbare 
Wirking aus, — ein gliicjeliges Wujatmen folgte nad) 
ber [angen Pein! — 

Mit ftrahlenden Augen fah er, wie das feibernbe WAntlig 
Der Mutter fic) unter den Miiffen frifdyer: Meceresbrife 


x a ss 


rofiger und febfafter farbte, wie fie voll ftummen, aber 
bod) merflicjen Behagens all die Segnungen des Reid)- 
tums genof, weldje ihr Mifter Sterley eben jo gartjiihlend 
wie warmberzig unterthan mad)te. — 

Dazu fam, da Sofef den fiinjtigen Gtiefpater von 
Tag gu Tag mehr (düşen lernte. Boll tiejer Dantbarfeit 
empfand er feine Bemiihungen, das Leben der Mutter 
İp angenefm und begliicend wie möglid) şır gejtalten, 
und feine garten Wujmerffamfeiten madhten jeltjamerweije 
auf den Sohn noc) mehr Cindruct alB wie auj diejenige, 
welcher jie galten. — 

Das aber, was feine imfidytbaren Bande am fefteften 
und ypirffamiten wob, war die aufrichtige, heralide 
reundfdaft und das fon jest vollfommene briiderliche 
Cinvernehmen, welche gwijden den beiden Knaben 
herrid)ic. 

So verjchicdenartig wie Şofef und Mlaus auch beanlaqt 
waren, jo harmonijc) geftaltete fid) ihr Berfehr, ja es 
jehier, af3 ob die Charaftereigenjdaften des einen bic 
568 andern ergdngten. Şofef ernjt, griiblerijch, tief religiss 
und beinahe etwas pedantijd, fand fiir feine friihreifen 
und jcwermiitigen UAnfichten ein wohlthuendes Gegen- 
gevid)it in Dem forglos heitern, mit ftrahlenden Augen 
in bie Welt Hineinladenden Klaus! Der junge Sterley 
war das herzgewinnende MAbbild der verftorbenen Mutter. 
Lebensluft und ein ehrliches, braves Kinderherz fpiegelten 
fid) auf dem Hiibjchen, rotwangigen Gefidt, weldjes nie 
allgu ticfe oder philojophijde Gedanken Hinter der Stirn 


Hegen wird. Klaus war oberiladifid) und geiftiq nidit 
jehr begabt, aber er war bermd) nicht ohne Talente, 
und die Gefchiclihfeit ber Mutter prügte fid) bet ifm in 
aujfallend qraşiöler Leichtigfeit aus, mit welder er Stitt 
und Pinjel fihrte. — 

Das Malen war feine Lieblingsbefchajtiqung, und 
ba der Cohn bes Mtilliondrs gar feine Beqabung fiir 
Die faufmdnnifhe Karriere, fowie feinerlet Gnterefje fiir 
Die VBirfe und ihren Dunijtfreis zeigte, wohl aber die 
preiheit hatte, fid) einen Beruf nach etgenem Wunfdh gu 
wabhlen, war e8 fdjon jest gwifden Vater und Sohn 
ausgemadte Sache, bab Klaus nach abjolviertem Wbi- 
turienteneramen die Malerafademie beşicfen jollte. 


İ 


IV, 


er Sturm, der müfte Gefelle war daher gefauft 
und hatte müt feinen jchweren Fittichen Das Meer 
gepeiticdht, baf e3 wild aujbaumte vor Zorn und 
Schmerz und bergeblid) die weifen Gijchtarme hod) em- 
por warf, den Storer feiner Muhe gu paden und herab 
gu reife in moDdernde Tiefen. Bergeblid) war fein 
Bemiihen. 

Der Sturmywind ballte noch einmal die diiftern Wetter- 
wolfen gujammen und mari fie über bie Eee, fein (ez 
lachter fchrillte noc) einmal hell auf, er wandte fid) und 
jagte weiter iiber bas Feftland, aud) dort ein itbermiitiqes 
Spiel gu treiben und feine Krafte an Hocjgewad)jenen 
Gegnern zu meffen. 

Das Meer aber hatte fid) mübe gefimpft, die weidje 
Wolfendecke breitete fid) über ihm aus und verhiillte die 
Sonne, — da ward e8 miide, ftredte fid) weit aus und 
jehliet ein. Gelbjt feine jonjt fo frauje Stirn jchmiegte 
fid) glatt und friedlid) an den gelben Diinenfand, und 
nur Dann und wann ging e3 noch einmal wie ein feuf- 
geudes Aujatmen, İcile wogend iiber bic fpicgelude Flut. 


N.v. Ef hftruth, IL. Nom. u. Nov., Frithlingsftiirme 1. 6 


ə, OE ə 


Cinfam und menfchenleer lag ber Strand. 

Die trübe Negenftimmung Hielt die lebensfrohen Kurz 
gülte in ben Hotels und Salen 568 RKurhaujes guriicf, 
wo Mufi— und Heiteres Getriebe iiber jede Unbill des 
Wetters Hhinwegtaujdte. 

wofef Datte bergeblid) an ber Bimmerthitr feines Freun- 
568 Klaus angeflopjt. 

Der Salon jtand leer und verlaffen, und der junge 
Torisdoff vermutete wohl nicht mit Unredt, baf fein 
fiinftiger Gttefbruder, ber ftet3 Heiter beanlagte und bie 
Gejelligfeit liebende, ben Rongertjaal aujgejucht habe. 

Şofef fhagte die Mtujif, aber nicht in biclem fchil- 
lernden Rahmen üppiger Leichtlebigkeit, welde auf ihn, 
ben İp fchweriiitigen, {treng dDenfenden Moraliften gerade- 
gu abjtofend wirfte, feit er beobadhtet hatte, baf bie 
meiften Diejer Holdduftenden Menfdenblumen giftiges Un- 
fraut waren, elde die Saat de3 Lafters in Diejem 
Paradies ausftreuten. So brüdte er den weidhen Filghut 
fefter in bie Stirn und wandte fid) şur Thiir, ben Strand 
gu erreidjen. 

Cin paar fehr laut lachende und fderzende Damen 
und Herren famen ihm entgegen, Frangojen, welche durch 
ihr ganze8, fehr lautes Wefen jdjon anjeigten, baf fie 
nicht ben beften (Gefeflid) attsfreifen angehirten. 

Namentlid) die Damen fielen burd) ire ertravaganten 
Loiletten und ifr freies Benehmen dem deutjcdhen Auge 
unangenehim ani. 

Sut, alS Şofef an ihnen voriiber jchritt, fal er, dag 


ee 


bie Armfpange einer ber Damen Hernicder glitt und laut- 
{08 auf den weichen Teppich auffdlug. Bhre Befigerin 
bemerfte den Berlujt nicht, und fo eilte er Hoflich Herzu, 
hob das Edymiditüd ani und überreid)te e$ mit ftummer 
Verneigunug der Dame. 

Laute Rufe ber Uberrajchung, 5e8 Danfes, im WAugen- 
blice war Şoflef umvringt und mit lebhajten Fragen über 
Das , wie? und wobher?” des Hundes bejtiirmt. Cr ant- 
wortete Turş und ffl, aber gerade fein fo referviertes 
Wejen mödite die Gefellfchaft, welche gut diniert gu haben 
jchien, reizen. ı 

,oalten fie an, mein junger Freund! Die fdyöne 
oand)ette mug erft Bringerlohn bezahlen!” rief einer ber 
Herren, Şofef3 9frm fajjend: Eh bien, ma jolie avari- 
cieuse — was şaflen fie dem ehrliden Bringer?” 

Die fleine Frangofin neigte das gejdminfte Gejicht 
fofett gu Sojef Hiniiber und bligte ihn mit ben fchwarzen 
Augen Herausjordernd an. ,,Cr ift hiibjch, mein junger 
Glaubiger!” lachte fie, ,,und ba er noch feinen Schnurr- 
bart Hat, jo bari man ihm wohl noc) [ohnen, wie es 
ifm am meijten nad) Gefchmact jein diirfte — mit bai- 
sers!“ — Und fie hob die Hande, Sofefs Kopf ungeniert 
Hherab gu giehen und ibn gu fitfjen. 

Mit flammendem Blick mid) der junge Torisdorif 
guriicé, brennende Rite der Sham und CEntriiftung ftieg 
in fein bleidje3 Gefidif. 

Stolz und verddhtlich warf er das Haupt in den 
Maden. ,,Solche Meiinge fenne ich nicht!” jprach er 

6* 


a) ae 


falt, wandte fid) hirş um und fdiritt Davon. Schallendes 
Geldchter tinte ifm nach und gellte ihm in den Oren. 
Mit zornigem Griff fafte er die Khir und trat in das Freie. 

Die CEmpirung fchniirte ihm die Kehle gujammen. 
Gr atmete auf, al ein Windjtoh bağer fuhr und jeinen 
Mantel fchiittelte, — e3 bendite ihm, dieje reine Gottes- 
{uft blafe den Pefthauch davon, welder ihn mit feinem 
widerliden Parfiim leichtfertiger Dirnen noch immer um- 
{chwebte. Mit grofen Schritten gewann er den einfamen 
Strand, immer weiter tricb e3 ihn, alS Töme er gar 
nicht genug Luft und Raum gwifdhen fid) und die Parifer 
Modedainen legen. Endlich bfteb er ftehen, atmete hoch 
auf und ftarrte auf da8 blaugraue Nicer — ben Diifter 
Drohenden Himmel hinaus. 

Dieje Farben, die Stimmung in der Natur paften 
gu feiner eigenen Gemiitsjtimmung, ihr Anblicé that 
ifm mobil, 

Mechanijch jebte er fid) auf eimen der nabheliegenden 
Steinbloce nieder und ftü$te Die Hande au? ben Shirm, — 
Das Haupt leidjt vorniiber gencigt, fag er einen Yugen- 
büd, Dann 30g er ben Hut von dem Kopf, daw der 
Wind fihlend um die Stirn jtreihen und das Lodige 
Haar zaujen fonnte, ridjtete den finjtern Blic abermals 
auf Die See und perlant in gritDelnbes Ginnen, meld)es 
ebenfo wetterjdwitl und grau feinen Geift umşog, wie 
Die Drohenden Wolfen den Himmel. 

Die Begegnung mit den Frangifinnen hatte einen Brand 
ber Empsrung in ihm entfadjt, weldjer nod) immer in 


Hellen Flammen aufloderte. Sofef befand fid) ür: einem 
Alter, wo ifm das Gwigweibliche jo wie jo İrem und 
unveritdndlich und darwum Hich{t unjympathijch war. Er 
jtand in den Şafren, wo fid) ber RKnabe ftolz vom 
Madchen” reift, wo eS verdchtlich ijt, für das jchine 
Gefchlecht mehr gu empfinden, wie falte Gleichgiiltigfeit, 
wo e3 im Sitnglingsbujen noch groflt und fid) aujlelhut 
gegen die Exijtenz bes Weibes, wo Hichftens die Mutter, 
Die ,engel3qute, heilige’” das Jdeal verfirpert, weldhes 
ber trobige Knabenfinn al Mittelding gwijden Himmel 
und Erde duldet und verefrt. 

Die Liebe zu der Mutter ijt ein Gtüd Religion, die 
Mutter ijt ein fo vollfommencs Wejen, jo Hoch ber all 
Den andern verachtlichen Bacfifchen und Madchen jtehend, 
bab fie eS im Grunde genommen verdiente, ein Mann 
gu fein! — 

Und bicie Ubcrzeugung janttioniert fie in den Augen 
DeS weiberfeindlichen Knaben. 

Die Mutter ijt eben ein ganz bejondere3 Gefchipj für 
fid), — hoch erhaben über jede Rritif, barımı fübt fid) die 
Liebe gu ihr und der Hag gegen ihre Weitjchweftern jo 
wounderlich in den jungen Braujefdpjen vereinigen. 

Sie gu fiiffen ift Himmel3ujt, — aber ein Rupp jener 
anderen — jfremden — [eichtfinnigen Berjon, der weht 
mit feinem glithenden WAtem direft aus der Holle empor. 

Sojef empfindet e$ inftinftiv, baf, der frivole Su: jener 
Lebedame einen Wijthauc) über Das reine, ideale Bild 
Wwirjt, welche trog allen Hafjes gegen das Cwigweibliche, 


ə RE əə 


bend) ic: cine Perle in feinem tiefften Junern ruft, 
Der jeligen Zeit harrend, wo ein Blick der Liebe — cin 
Sid aus fenidyen EngelZaugen in fein Herz hinab taudht, 
Dieje KonigSperle gu heben. 

Sebt rollen dejto dunflere Fluten über fie hinweg 
und wiegen in ihrem SchogR den Weltjchmerg, welchen 
jene fleine Gcene im Hotel geboren hat. — 

Die perfebte Citelfeit, alg Baby behandelt gu cin, 
İprid)t auch ein gewichtiges Wort dabei mit, und ver- 
jcharft das Urteil iiber bie verderbte Welt, welche dem 
jittenjtvengen, Deutjden Cefundaner in biefem WAugenblic 
geradegu verleidet ijt! 

3:68 Dajcins ganger Jammer” fabt ifn an und 
jpiegelt fid) in ben finfteren Biigen, wobei jein bleidjes 
Profil fid) jcharf gegen den diijteren Himmel abbebt. 

Die gropen Wugen richten fid) wie in brennender, 
porwurysvoller Frage nad) dem Horizont, — ob e3 den 
immer nod) nicht rettenb an ifm aujbligen wird, einci 
Schwefelregen über dies entaricte Codom gu fenden, inib 
Die Lippen brellen fid) jo Herb gujammen, als müğten fic 
gerwaltiam bie grofe, febniüditiqe Frage imterörüden: 
,/ Bann fommyjt du, Herr, — den Weigen von der Epreu 
gu fondern und gu fichten 2” — 

Der Wind ftreicht Durch das Riedgras wie ein (cijes 
qliiftern verjdhuender Wilde, und über die bimfle See 
gieht eine Move mit meiğen Echwingen, wie die Taube 
Des Friedens, welche auch auf Noahs bange Frage ein 
Olblatt zur Antwort bradite. 


Die Minuten verjtreichen, — die Flut fehwillt an 
und ftrebt fefnjiichtig Dem Land entgegen — und Jojey 
will fid) erheben und weiter wandern, ehe neue Regeu- 
gülle ihn gewaltfam heimrwirts treiben. 

Und al er fich wendet und nach dem Hut greifen 
will, {hricét er jahlings gujammen. 

Dicht Hinter whim ertönt eine Stimme. 

yoalt! nicht rithren! bitte, Şofef, bleib noch jin} 
Minuten fo figen, Dann bin ich fertiq 17 

Klaus’? Stimme. — 

üs Hochjte itberrajcht fehnellt Şofef Herum und fieht 
nun erft jeitlich, — Halb verjtectt an ber Diine, welche 
Uberwind gewahrt, feinen Freund, die Leinwand vor fid) 
und den eleganten Walfaften feitwirts neben fid), eijrig 
bemiiht, ein Stimmungsbild şır fiyteren, 

,/rlaus, du hier? Du malft bet diefem Wetter?” 
Mit weniger Schritten fteht er neben dem Genannten, 
und ber junge Sterley nimmt haftig den Pinjel gwifchen 
Die Lippen und ftredte Dem Stehenden fachend die Hand 
entgegen. 

/3as verjteht jich! Dit ja eine gropartige Farbung 
heute! Co etwas von tiefvioletten und fanmetqratnıcır 
Linen Habe ich noch nidit in der Luft gefehen! Weld) 
eine Schattierung! Und bicfee oetteridimille Nuhe, bicic 
trojtlofe, — fchier berşieifefte Stimmung in der Natur! 
Liegt bie See nicht ba wie ein git Tode erld)öpfte8, im 
glüdfidyes Weib, mefd)e8 mür: noc) dumpf ridhelt: id) 
fann nicht mehr — ich jterbc!’ — Und fein Lichtblic 


ee 


am Himmel, fein Strahl — fein Stern! — Grau in 
Grau wie erftorbene Hoffnung!” — 

“Şofef blickte Den Spredjer betroffen an: ,,Wie poetifeh 
Du das fagit! Was du alles aus diefem Regenwetter 
heraus liejt, Klaus! Wabhrlich, du bift — du mupt ein 
Ştümitfer jein, welder itberafl mehr fieht und empfindet 
wie andere Menjchen! — Lag müd), bitte, dein Bild 
jehen! — — — 

Sterley welrte fajt jdhelmifch ab. ,,Moch nicht! Die 
Hauptjache mup erjt noch mit ein paar Stricden voll 
endet werden! Mein bbjfes Modell ijt mir eben burd)- 
gebramıt, gerade im fchinfter Moment! Sei fo gut, Sofi, 
und nimm nod) einmal Blak und mad) nod) einmal ge- 
nau das weltjchmersliche Gejicht wie foeben, — du ahnit 
gar nid)t, welchen Cffeft du damit gemadit Haft!” — 

wtih? — mich Haft du gemalt?” 

ea, dich! regelrechter FHunddiebftahl! Vein Geficht 
fam wie gerujen; ic) jah, bab du e$ in finnenden Falter 
aut jenen Steinen niederlegteft, hob 66 auf und ftedte 65 
flug3 in meine Mappe! Da fieh nur her, ungliubiger 
Thomas, und fage mir ein Kompliment über meinen (ez 
İda. Gibt e3 eine grifere Harmonie, al3 gwijden 
Dir und Ddiejem melandholijden Landjchaftsbild? — Da 
famit Du nun fefen, weld) eine Sdylle der fchwermiitige 
Traumer mit dem fturmgerwiihlter Haar und beni ffat- 
ternden Mantel abgab! — Qu gefall{t dir? — Dag du 
gufrieden bift, jehe id) bir an den Wugen anl” — 

,$tlau ... jegt — ja jebt verjtehe id) deinen Vater, 


——— | a 


wenn er dich Miinftler werden (aft. — Sch Habe mid) 
gwar mite viel tm Spiegel angejehen, aber ich habe die 
Uberzeugung, bafi mir bicle Stizze, fo fliidjtig fie auch 
nur Hingeworfen ift, gum Sprecjen ahnlich fieht! — Haft 
Du dich Denn jdon Hfters im Portrat verjucht2” — 
Der junge Maler jtippte den Pinjel von neuem ein, 
müt ein paar genialen Ctricdjen die Mive gu fixiercn, 
welde mit flagendem Schrei um die Steine flatterte. 
"Ci gewif! Das Portratieren ift ja meine Haupt: 
pajfion, und wenn ich mich mal an die Staffage mache, fo ge- 
jchieht e8 ftet8 im der Heimliden Hoffnung, dap mir der 
Bujall noch ein jchines Motiv Hineinliefert! Co wie 
heute! — Qa, Glicel müb der junge Mann haben! Als 
ic) Das Durfle Meer mit dem unhetmlich geritterfchweren 
Himmel malte, da şerbrad) ich mir den Kopf, welch eine 
wigur wohl am padenbiten und eigenartigiten in diefer 
Umgebung wirfen mbchte! Die junge öğifdyerin mit dem 
jorgenvoll ausfpafenden Sif und den wehenden Ricken 
it jdjon gar 3u abgebraudt und regt fam nod) nene 
Gedanfen an, — die ausfahrenden Schiffer — oder gar 
ein Wract int Cande, find bereits Wllerweltscoulifjen ge- 
worden. Da famit du bafer, du liebenswiirdiger Retter 
it der Mot, — ein 3lüttdyen im Tagebuch de3 Zufalls, 
und du warft İogar fo menjchenfreundlicd), dich mir als 
Modell vis-A-vis gu fegen! Mun joll einer jagen, in fold) 
einem Bild fet feine Etimminq 17 — Klaus flappte feelen= 
vergiiigt gegen den Blendrahmen. — ,,Wlenfdhengedarfen, 
wie gleidjt ihr dem Mecre! — Menjchenhofjuung, wie 


sə dıb cə 


afeidyft du dem Wind!” — das üt bic İlberidirift baz 
gu. Oder wenn man deinen fehnfuchtsvoll brennenden 
fid — welcher fo traumerijd) in die Ferne gerichtet ijt, 
İyrild) deuten will, jo heift er: ,O du Entrijjene, mir 
und meinem Herzen!’ — Und wer in dir den Titanen 
und fiinftigen Himmelftiirmer erfennen will, ber alt bic 
wetterjchwangeren, grofen Gedanfen der Zufunjt, welche 
inter ber Dditjtern Stirn in Ddiefer büftern Stunde geboren 
werden! — Du (adt? — unterfteh bid), und werde 
mofant! Sd) habe gerade ben Pinjel voll Kremjer Wei, 
— und bit İtefft mir verlodend nahe!! —” 

Mun Lfachten beide, und Şofef feqte mit einem (9e- 
fil Hherglider Berwunderung und Anerfermung den Arm 
um die Schulter de3 fiinftigen Bruders. 

/ mein, bet Gott, Klaus, — ich giehe voll feierlichften 
Erufjtes den Hut vor bir, und wenn mir etwas an deinen 
Worten unglaublic) vorfam, jo war 63 deine Phantafie, 
welche jold) Hhochflieqende Gedanfen an meine armfelige 
Perjon fniipft. Schon das Bild, — die jchmeichelHafte 
Wiedergabe meines Gefichts — madit mich eitel.” — — — 

nv SHhmeidhelhafte 2” — Kans müff mit leichter Grimaffe 
bağ eine Auge 3ujammen und blingelte fchalfhajt gu dem 
Sprecher auj. ta — 68 ift nur gut, wenn bit bir felber 
gejallft! Sd) finde namlich, id) Habe dich viel gu alt ge- 
acichnet, — aber weift bi, nur mit ein paar Stridjen 
— fo in ber Gile — da fann man fid) auf Fineffen 
nicht einfaffen. Und du Haft cin fo martiertes Geficht, 
— fiehjt jo wie jo viel alter aus, afa wie du bift, aber 


ə, Gİ ee 


ün? ben: Bild Halt man bid) fiir den Edinbertfdyen 
Wanderer, welder jon die halbe Welt nad) ben Glüd 
abgejucht hat!” 

Der Sprecher warf den Pinjel und die Palette ün 
Dent offerten Malfajten şürüd und legte pliglich die Hand 
auf Die Echulter des Freunde3: ,,Sojef! ich glaube und 
hoffe, das Glick wohnt Hier recht in unferer Mahe — 
und wenn wir von Hier abreijen, haben wir e8 beide 
getiren 1” 

yltlanı — wie jo ich bid) berftef en ?7 — 

Da warj fid) ber junge Sterley (eiben)d)aftlid) an bic 
Bruft de3 Freundes: ,Sofef — merfft bit €6 denn nicht 
— awifden deiner Mama . . und meinem Vater? — 
O Fofi, wenn id) deine reişenb giitige, liebevolle Mutter 
auch Die meine nennen finnte, wenn du mein Bruder 
wiirdeft — ad) wie lange habe id) mir jon ein jolches 
Glüd gemitnfcht!/ 

Wie ein Heifer Strom flutete e3 nad) Şofef3 Herzen. 
Welch eine ehrlide, ungetiinjtelte, innige Freunde flang 
aug biefen Worten, ftrahlte aus ben: treuhergzigen 
Augen de3 Cprechers! Wie imetgemübiq war Klaus! 
Wie fern lag thm jeder Gedanfe an die Thatfadhe, bat 
mun şet: Frembde den Reichtum feines Vaters mit ge- 
nieBen, ja jein Crbteil möqfidyermeile babıtrd) fhmalern 
jollten! Sede Regung de3 Cqoismus fditen beni Charafter 
068 jungen WAmerifaners fern 3u licqen. Cr mödite ebenjo 
gern geben wie fein Bater, das hatte Bofef fon une 
gablige Male auf dem Gymnafium beobachten fonnen, 


wo man ben gutmiitigen und freigebigen Sohn 568 
Millionars oft in fchamlofer Weife ausbeutete. 

Nein, Rlaus erwog mit feinem Gedanfen die Nach- 
teile, weldhe ihm eventuell aus ber gweiten Che bes Vaters 
erwadjjen fonnten, er breitete voll warmberzigen Cnt- 
giiclenS die 9frme nad) dem neuen WAuverwandten aus und 
jubelte in dem Gebanfen an das Glüd, weldjes ifnen 
allen Daraus erftand. 

Und fold) eine Hochherzigfeit verfehlte ihre Wirfung 
nicht auf Şofef und trieb ifm das Blut bejdamend in 
die Wangen, wenn er daran dachte, welch felbftfiichtige 
und enghergige Motive eingig ihn und jeine Mutter be- 
wogen Hatten, den Antrag be Bantfiers gu befiirworten 
und angunehimen. 

Ou Ddiejem Augenblic empfand er foldhen Gedanten 
qeradezu ywie eine Edilib, und feine vornehme, brave 
Gefinnung revoltierte gegen diejelbe voll Teibenid)aftfid)er 
Empfindjamfeit. 

Er wollte nicht jchlechter fein wie Klaus, bei Gott 
nicht! Cr wollte ihm beweijen, baf auch er voll inniger 
Liebe und Treue in die Hand einjdlagt, welche fid) ihm jo 
vertrauensvoll darbietet. Wie ein Schwur ging e3 durch’ 
feine Seele, Dem Gtiefbruber diefe Stunde nicht gu vergefjen, 
und er neigte fid) und blidte in bic glüdfefiq leudjtenden 
Augen des Freundes, welder ihm abermals leije gufliifterte : 
ie will id) bid) und Miitterlein fo lieb haben!” 

Diefe Augen und Worte vergakR Şofef nicht wieder. 


si, Bt ə 


Sn ber Refidengz erregte e3 ein ungeheures und bez 
rechtigtes Wuffehen, al die beginnende Herbjtfaijon bie 
Gefellihaft nocd) mit einer perİpüteten Myrtenbliite itber- 
rajdjte, mit ber Verlobung Bhrer Gyceellenş der Freifrau 
von Torisdorj;f mit dem amerifanijdhen Banfier James 
örantlin Sterley. 

Sofef hatte voll banger Gorge diefem Tag entgegen 
gefehen und fein Herz flopjte zum şeripringen: bet dem 
Gedanfen, bab fid) die ehemals gehegten Befiirdhtungen 
Der Mutter bewahrheiten und die Mitglieder der Hoj- 
qefellidyaft e8 der fahnenfliichtigen Frau alljogleich mar- 
fieren wiirden, Daf fie nicht gewillt jeien, eine Miz Sterley 
in ihrem Rreije gu dulden. 

Dieje Demiitigung hatte Şofef ber empfindfamen Mutter 
gern erjpart, und darum erfiillte e3 ifn mit einem wahren 
Gefiihl der Herzerleichterung, als Pringejfin Helene jdon 
im Lauf 568 nachften Vormittags perjintich borhifr, der 
ehemaligen fo beltebten Hojfdame ihrer Mutter die Glüd- 
wiinjde der föniqlidyen Familie miindlid) ausgujprechen. 
Die Pringejfin İdyten wohl mit ben Verhaltnifjen gu rechnen 
und fic) von Herzen gu freuen, Dag der unbemittelten 
Witwe noch ein jo forgenjreies, qlangende3 Loos bejchieden 
fei, um jo mehr, da fie nur das Bejte und Rihmlidfte 
von Miifter Sterley gehirt hatte. 

Dem Beijpiel der Hohen Frau folgte die gejamte Ge- 
jellfchaft, und mührenb fid) auf der Strape die Equi- 
pagen Ddrangten, hirte ba8 Brautpaar droben im Salon 
Shrer Excelleng jo viel jdhine liebenswiirdige Worte und 


ae 


fo viel ehrlid) gemeinte Gfüdmünidye, baf Şofef wie erz 
fart neben Klaus in dem Crfer jtand, die Hand des 
neuen Bruders örüdte, und fliifterte: ,,Wie lieb alle Leute 
meine Mutter haben, heute beweijen fie es!“ — 

Gin glangendes Diner, welches nur bic intimiten Freunde 
de3 Brautpaares vereinigte, unterbrad) in erlijender Weife 
bie Gratulationscour, und die Sterne junfelten lang{t an 
Dem Machthimmel, af Şofef gum erften Mal wieder mit 
ber Mutter allein war. 

Er İdiloğ fie innig in bic Arme und fein Blic brannte 
erwartungsvoll auf ihrem Antlig. Geltfam, die Generalin 
fa) meber triumphierend noch fehr felbitbemibt und şü 
frieden aus, die milbe, etwas miide Requngslofigfeit, weldje 
ihr jeit Dem Aufenthalt in Oftende eigen geworden, fag 
auch jebt auf Dem jchinen Gefidt. 

,Mamachen — freujt bu bid) nicht, bab fie alle ge- 
fommen find, bağ man bid) fo gewaltig gefeiert hat? 
GSiehjt bu wohl, bağ jedermann deine Wahl billigt und 
bir feinen Vorwurf daraus mad)t?” 

Sues ftrich mit der fdifanfen Hand liebfofend itber 
ba8 Haupt de3 Sprecher3 und driidte ifn fejter nod) an 
bie Bruft. Şa, ich freue mich deffen, Sofi, — um Ddeinet- 
willen!“ 

/ Richt auc) um beinetmilfen, Mamachen?” 

pein, — ba ift e3 mir gleidgiiltiq!’” — 

,/Undenfbar — und ehe du bid) perlobieft — — —” 

7&8 ijt alles fo anders geworden, Darling, — und 
id) Habe mid) wohl in der furgen Beit fehr verdndert. 


Sh bin ausgejihut mit meinem Editdiaf, aud) ohue den 
Heivatsconjen3 der Menge. Fames Frautlin ijt ein Mann, 
welche feine Gejinnung adelt, id) habe ifn dün und 
achten gelernt, — und Klaus” — — 

,ğam, und Klaus?“ 

pwirft Du eiferjiidjtig auf ihn fein?” 

pSewif nicht, Mamacden! — O gewifk nicht! Sag, 
baf du ihn Lieb Haft!” 

antes lachelte wie im Traum: Şa, ich Habe ihn lieb, 
Denn er verdient €8, gelicbt gu werden! er wird netblo8 
mit Dir Das Erbe de3 Vaters teilen, Darum teile auch mit 
ifm Das eingige Mleinod, welchce3 du befişt, mein braver 
Sohn, die Liebe deiner 3öutter 17 — 

Sole, füğte feibenidyaftlid) bie Hande der Sprecherin. 

/ Sott Helfe mir başı, id) will brüberiid) mit ihm teilen, 
und 68 dir zeitlebens danten, dap ich’ fann!” 

An bie Thiire flopfte e8. 

Lina frat mit ftraffentem Gefidit ein und trug einen 
wundervollen BSlumenforb. 

/Sin Gutenadchtgruf von Mifter Sterley!” fmiyte fie, 
,,ber Brief liegt unter den Rojen.” — 

Sunes öfinete ihn ladhelad und itberflog bie wenigen 
Reilen, und dann hob ein tiejer Atemgug ihre Bruft. — 
,,3ofef — $ofef — lies.” 

Uberrajdt nahm ber Genannte das duftende Blatt 
und iiberflog feinen furgen Jnhalt. 

»Lbheucrfte Snes! Der heutige Tag, meldyer mid) 
durch Deine übergrofbe Huld und Güte fo unausjpred- 


früblingeftürme I. 


, 


95. 


SİL Nom. ir. N 


, 


N.v. Cfhftruth 


lich reich gemacht hat, bar? nicht enden, one dah ich 
Dir in einem fichtbaren Beidjen meine innige, tiefe 
Dantbarfeit beweife! Conft ijt e3 das Söorred)t des 
Brautigams, die Geliebte gu jdmiicen, Ou aber Haft 
Dir fo eindringlid) Perlen und Brillanten verbeten, baf, 
mir Dein Wunjd Befehl fein muf. So geftatte mir ein 
andere Brautgefdhent: ,Lidtenhagen’, der alte Sefiş der 
Torisdorff, ift mir zum Rauf angeboten, und erlaube 
ich) mir, Dir bas Gut hiermit al Morgengabe zu Fiipen 
gu legen, Damit Du ein behaglides Ruheplabdhen in der 
Nahe ber Mefideng gur Verfiigung Haft. Wenn Qu es 
wiinjchejt, laffe id) ben Befig auf den Namen Deines 
lieben Eohnes in das Grundbuch eintragen.” — 
projef, was fagit Du dazu?” — 

Die fteinerne Ruhe war aus den Ziigen ber Generalin 
gewichen, mit Leudjtenden Augen, atemlos, hei ergliihend 
vor Aufrequng Tegte fie Die Hande auf die Echultern 568 
Eohnes: ,Lichtenhagen dein Cigentum, Şofer — Hérjt 
Du 68 Denn, Sofi? . . . Dein Cigentum!” 

Der junge Torisdorff ftand requngslos, jchwer atmend, 
bic Augen gefentt, die Lippen gefdhlofjen. — 

wsofeyl! = 

Da blictte er auf und lehnte ben Kopf an bic Schulter 
ber Nutter. Cr jah ihre Freude, ihr Gnişüdem, er fonnte 
it bicfe Stunde nicht triiben. 

/ Mutter, bar? id) denn fold) ein ungeheures Gejdent 
annehmen? — Wie fofl id) je fold) eine Schuld abtragen 
an Mijter Sterley?” — 


~ 


— a — 


Cin herber, beinahe Harter Musdrud lag pfötfid) ani 
Dem Autlig der Generalin. ,,Mijter Sterley wird dein 
Vater fein, und id) hojfe, Du wirft noch reichere Gejdhente 
von ihm erhalten wie dicjes Gut. Sd) verlange nicht, 
Daf er fein Vermigen gwijden dir und Klaus teilt, —- 
Dagu jicht ifm das eigene Kind nüfer wie Du, aber id) 
werde uie feiner Freigebigtcit wehren, wenn er nach Krajten 
für dic) jorgen will, Das üt nidit nur fein Recht, fon- 
Dern feine Pylicht, — und um ihm dies şur: PBylidht şu 
machen — — — 

yBerşid)teft du für: dich felber ant Berlen und Diaz 
manten, — Mutter?” 

Wie ein Wujfehret flang’s. 

Wieder irrte ein mübe$ Lacheln um die Lippen der 
Generalin, fie fchiittelte langjam den Kopf. 

,Xab gut fein, Kind, e3 it ja fein Opfer für mich! 
oc) bin eine alte Frau —” 

y dtama!” 

"Xa das Glüd genoffen Hat und an fid) felber dachte, 
jo lange e8 noc) Bliiten gu pffüden gab, die öşrüd)te ge- 
foren dir. — Sd) habe noch nie fo viel an bid) gedacht, 
und jo wenig an mich wie jeBt, wo bic Welt wohl gqlaubt, 
ic) jet Darauf bedacht, mich fiir meine alten Tage weird) 
gu betien! Daf id) died thue, leugne ich nicht, und id) 
evfenne alles dDanfbar an, was mir fo viel Winehmlichfeit 
und Behagen fdhafft. Uber all ber Echimmer und Glanz, 
welden mein Leben noch tragt, it Doch nur buntes Herbjt- 
faub an erfterbendDem Ctamm, Daruim breitet er die Brwcige 

röəl 


— 100 — 


Defto jorgfamer itber das junge Reis, weldhes neben thm 
aus jeiner Wurzel fproft. — Warum fiehft bir mid) fo 
wunderbar an, Liebling? Sft e8 etwas Unnatiirlidhes, alt 
öl werden!” 

Şofef jchiittelte ben Kopf, er (achelte pfot lich. 

ə(öeviğ nicht, — und id) hoffe gu Gott, dak wir 
beide noch recht lange miteinander (cben! Bum Herbjt- 
faub ijt e3 aber noch gu frith und id) denfe, guvor fommt 
nod) der Şofamistrieb neuer Lebensfrajt und -freude, 
welder auc) wieder Wohlgejallen an fid) felber finden 
(aft, wenn das Wurzgelreis genugjam mit blinfendem Tau 
und blendendem Sonnengold itberjdhiittet ijt! Borliufig 
ijt e3 in gar gquten Boden verpflanzt, und wenn id) that- 
jichlid) Lichtenhagen von bir und. .... bem Pylege- 
vater zu Lchen erhalte, fo ijt wohl in ausgiebiajter Weife 
für mid) geforgt. Darum fort jest mit all den Schatten, 
welche immer wieder bie Conne verdunfeln wollen, weder 
Lichtenhagen noc) alle Reichtiimer der Welt fonnen mir 
Das Slice erjegen, dich glüdfid) gu jehen! — Bch bin” 
nur, wenn du 68 bit, wahrend mid) Sterleys Ölüds- 
güter gu Boden driicfen wiirden, wenn auch du fie als 
Laft empyandeft!” — 

ranı von Torisdorff Dfidte ihrem Cohn tief in die 
Auger. 

du irrif” — fagte fie leije, id) bin glidlid’” — 
und in Gedanfen fiigte fie Hingu: ,,fo füdlidy, wie eine 
Mutter, weldje ihre Pfticht gethan und für ifr Kind ge- 
jorgt Hat.” — 


— 101 — 


y İt 66 wahr, Mutter?” — 

Sie lachelte und nicte. ,,Glaube e3 mir, — und nun 
gute Nacht, mein Liebling! mein — CErbherr von Lichtenz 
Hagen!” — Und Ses wandte fid) hajtiq um, wintte 
ifm noch einmal gu und verjchwand hinter der Portiere. 
Langjam trat Şofef in das Nebengimmer, fefnie fid) an 
Das pffene Fenfter und blictte in die İtifle, fternflare Nacht 
hinaus. 

Er fonnte noch nicht jchlafen. 

Die Gedanfen fluteten hinter feiner Stirn und raubten 
ifm die Rube. 

Das feltjam berünberte Wejen der Mutter angitigte 
ifn. Hatte fie thatjachlic) mit ber Welt abgeidhlojjen, 
feit fie gewillt war, mit ihrem Namen ein Gewand aus- 
gugiehen, darin all ifr Glick, all die felige Crimmerung 
ber Vergangenheit verwebt war? 

Gewif nicht! Şifre Nerven find überreişt, fie hat fid) 
ür Wahnvoritellungen Hinein gelebt, weldje nur die Zeit 
Heilen und gerftrenen fann. 3604) fteht fie swijdhen beni 
Vergangenen und Kiinjtigen, Hicr noch nicht losgelbft, bort 
noc) nicht heimijcd), — das wird alles fid) andern. — 
Sie achtet und jchawt Mifter Sterley jehr hoch, fie find 
fid) beide in dufrid)itiger Sympathie naher getreten, fie 
wird fid) auch in feinem Haufe gliiclich füffen, — darum 
jorgt fid) Şofef nicht, nein, im Gegenteil, etwas gang 
andere3 fteht pliglich als bleiches Gdiredgefpenit vor ifm. 
Die neuen Verhiltniffe, die perfönfidye Liebenswiirdigfeit 
068 greiten Gatten madjen feşt cinen unleugbaren Cin- 


— 102 — 


Druck auf die Mutter, wenn fie ihr Şintereffe und ihre 
tiefinnere Bejriedigung auch noch jo weit guriictweift. Soflef 
fleft, wie febr fie fid) jest bemitht, ihrem fiinftigen, glangenden 
Hausitande gerecht gu werden, wie jcnell fie fid) in Ofte 
ende all den Gepflogenheiten 566: Winerifaners anpafte. 
Wird fie vielleicht bölliq mit der Vergangenheit bred)en? 
Wird fie am (ne auch die Crinnerung erblajjen Laffer, 
welche die Smmortellen ber Treue um das Bild des erjten 
Gatten flocht? 

Es ijt im aufgejallen, da feine Mutter im febter 
Beit wenig, jajt gar micht von ihrem verjtorbenen Mann 
gejprodjen. Conft gefd)af) e3, bab fie abends in trauter 
Stunde mit dem Cohn fein fiebes, Heiliges WAndenfen 
pflegte, — das ijt lange nicht mehr erjolgt, jelbjt heute, 
an Dicjem jo tief in thr Leben einjcjncidenden Tag, fand 
jie feine Minute, mit Dem Cohn von dem Vater Zu 
jprechen. — Was bebentet das? 

Heife, brennende Mhranen ftetgen in Jofe73 Wugen. 
Wird jie ihn vergeffen? Webhe dann beni Cohn, welcher 
jie gcwaltjam im Diefe nene Che brünqte, er wird einit 
mit Dem geliebten Toten dariiber abgurecynen haben! Die 
Sterne glangen wie freundlich tröftenbe Wugen anf den 
gequalten jungen Mann Hernieder, und Hinter ifm frarrt 
leije eine hitr. 

Die Mutter tritt in das Zimmer — fie ficht ihu 
widjt. Cie tragt üt ber Hand die Stumem, welche Sterley 
ifr al8 brautlidjen Gru gefpendet, tritt vor das Bild 
DeS verjtorbenen Gatten und fchnritct eS mit der Liebes- 


— 103 — 


gabe de3 öyreniben, Und ihre metben Hanbde ftreichen 
über bağ Bild, zartlich, fiebevoll fofend — ihre Lippen 
regen fic) fautlo3 und leucjtende Thrauen perlen iiber 
ifyre Wangen. — 

Sofef regt fid) nicht, fein Hergichlag jcheint zu ftocten, 
mur feine Hande beben feile wie im Freber. 

Das Licht fadert und die weife Gejtalt der Mutter 
föreitet langjam guritcl, — da finft er am Fenjter meder, 
feqt Das WAntlig auf die gefalteter Haude und weint 
bitterlicl, — — — 


Ne EGE 


ey TA AASIMDR 
ANG MN Hens Sia Gas: 


ie Hochzeit 565 Kommergicnrates Sterley war qe: 

feiert worden, aber iiberrajdjenderweije nicht 
mit Dem ungeheueren Pomp, welden man erz 
wartet hatte. (8 fanb eine fehr wiirdige Feier ftatt, gu 
welder nidjt viele Cinladungen ergangen waren, welche 
aber einen Kreis der augerlejen|ten Menjden um das 
Brautpaar verfammelte. 

Von einem Polterabend hatte man volliq Wbjtand 
genommen, und die erwartungsvolle, enttiujdte Gejell- 
jchajt ward durch ein nur allgu eifrig folportiertes Berz 
fprechen auf grofe und glangende Hejte der Caijon 
vertrijtet. 

Man İdirieb die Bejdranfungen der Hochzeitsfeicrlid- 
feiten ber: Generalin gu, und relpeftierte den jchlidjten 
Ernjt, mit welchem fie ihre gweite Vermahlung behandelte. 
Sie war feine Braut, welche voll iiberfhaumenden Gliices 
Diejen Fejttag mit Nofen und Neigen fdjmiicten wollte, 
Der Witwenjdjleier wehte unfidjtbar, als trüber Schatten 


— 106 — 


über das foftbare Cpiboeiqeele, welcher ihren 1ebt merflich 
ergrauenden Gü)citet im Bereta mit weien Mojen gierte, 
und wenn das Hod)zeitspaar auch noch voll jtattlicher 
Ritftigfert gum Wltar jehritt, jo war e3 Doc) feine maien- 
Holde, myrtengriine Liebesfeicr, welche e3 verband, jondern 
ein Herbjtlich jtilles Finden und BVinden, umratid)t von 
welfem Laub. — 

Ereellens Lorisdorjf geni qroğe und aufrichtige 
Sympathier, Darum fonnte felbft die Cnttaujchung ber 
vergniigungsiiichtigen Menge fie wegen jolcer Buriicé 
Haltung nicht in Mtipfredtt bringer. Um fo mehr bez 
Dauerte man bie Nachricht, baf dic NeuvermahHlten eine 
mehrmonatlidje Reije noc) vor Weihnachten nach dem 
Gitden antreten wollter. 

Den Begin der Caijon aber benubte Milter Sterley, 
um jeiner Gemahlin Gelegenheit gu geben, den Glang 
ifres neuen Haujes şir entfalter. 

Die Diners jagten fid), und eine Gejelljchayt, welche 
jriiher in dem Balajt des 9merifaners fremd gewejen, 
verjammelte fid) jest in den Calons, welche feit den 
wenigen Wodjen doch jcjon das Geprage der arijtoz 
fratijden Hausjrau trugen. 

Wan jtaunte, wie e3 bet aller Gediegenheit und tabel: 
{ojen Eleqang doch jo einfacd) und ofne protiqen Wiijtrich 
it Dem Şanle 568 Hiillionars Herging. 

Sues Hatte bie Verwaltung des Hauswejens von der 
Stunde ihrer Verinahtung an ibernonunen und ihr Gatte 
qab ifr volle Freifeit, Dasjelbe gang nad) ifrem Gejchmac 


— 107 — 


einzurichten. Er ftellte ihr eine noch bei weitem hihere 
Summe zur Verfiigung, als wie die Hausdame Hisher 
gür Veftreitung der Menage bezogen hatte, und itberwies 
jeiner Gemahlin auferdem ein Toilettengeld, welches den 
auferordentlichjten Anjpritchen geniigen fonnte. 

Dennoch rid)tete Frau Sterley gar vieles in dem 
lururidjen Hausjtand bedeutend einfacher ein, ohne da 
der Bantfier eine WUnderung bemerfte; fie befdjrantte das 
Kitchenperfonal und jtellte unndtige Wusgaben ein, fie 
fiihrie eine fcharje Rontrofle über alle Ginfünie und fand 
63 zur bödyiten Uberrafdhung und Empéirung bes: Haus- 
hojmeifters und der Dienerjchatt durchaus nicht unter 
ihrer Wiirde, fid) um jede Kleinigfeit zu befiimmern und 
alle Faden der Wirt}dhaft im ihren energijden Handen 
gu vereinigen. 

Die guten Zeiten fiir die Sebieniteten waren aus, 
und man fimbdigte voll Qndignation Der neuen Herrin, 
welche jo ungemohnies Regiment einfiihren wollte. 

Sues bevilliqte jedes Wbjchiedsgejuch mit einer ge- 
wiffen Hajt, welche durchaus micht den Wnjchein hatte, 
alg ob fie Durch baslelbe in Verlegenheit gejest jet, — 
ja, ein Wusdruc von Befriedigung und Genugthuung 
{ptegelte fid) in ihrem WUntlig, als ber Taq ihrer Wbreije 
naber rüdte und das ungefeuere Berjonal auf die wenigen 
Leute gujammen gejcdmolzen yar, welche daz verwaijte 
Haus zu Hitter Hatten. 

Sojef und Klaus waren fiir die Beit der efterlid) on 
Abwejenheit bei ber Tante Şoriöborif einquartiert, gegen 


— 108 — 


eine monatlide Benfion, welche Snes Türftfid, der Sanfier 
Hhingegen recht bejorgt ,,fehr mager” nannte. 

Die alte Geheimratin hingegen fanb e8 geradezu 
traumbaft fchin, bağ fie auger ben grvei ,,lieben, netten 
Sungen” nod foldjen Sac voll Geld in das Haus ge- 
fchleppt befam. — 

bie praftifd), wie bewunderungswert bir doch alles 
eingurichten verjtehjt, Snes 17 jagte Sterley voll ehrlicher 
Verwunderung, die Hand feiner licbenSwiirdigen Frau 
ritterlid) an die Lippen fiihrend. Cie fafen beide vor 
Dem behaglichen Theetijch, auf weldjem der filberne Kejjel 
liber Dem Spiritus fang, wobei die Haugsfrau voll qraşiöfer 
Ruhe und Sicherheit perfönlid) ihres WAmte3 waltete, nidhi 
einen gangen Trof Hhorcjender Lafaien mehr im Zimmer 
Duldend. 

pie efeftrifdye Klingel ijt mir ja şır Hand, branche 
id) Bedienung, jo rufe ich diejelbe aus dem Vorzimmer 
herein. 68 ift fo ungemiitlich, James, wenn wir nicht 
einmal Die Theejtunde gu ungenierter Ausjprache fiir uns 
allein haben! 

Sterley war bejcligt iiber diefe Wnficht feiner Gattin, 
welche ihin bewies, da fie fid) im tete-3-tete mit ifm 
wohl Tüfifie. 

Auch jest Hielt er ihre jdjlaufe Hand noch mit herg- 
fihem Druck in ber feinen. , 

/Weift du auch, Tenerfte, bağ mich deine Ofonomie 
etwas beforgt macht?” 

Sie jah ifn iiberrajeht an. ,,Swrwiefern bas?” 


— 109 — 


36) fiirdte, das Wirtjchaftsgeld reicht nicht aug, 
und deshalb legit du dir derartige Bejdhrantungen auf, 
um das Fehlende zu erjparen!” 

Gie lachelte. ,,O, ihr reichen Manner, wie ihr dod) 
10 bölliq jeden Mafjtab verliert! Wenn man mit einer 
Witwenpenjion fett Jahren ausfommen mufte, fo wird 
cin fparjamc3 Haushalten gur Gewolhnheit. Sd) fan 
(8 nicht jehen, wenn das Geld fiir nichts und wieder 
nichts zum Fenfter Hinausgeworjen wird. Dak alles 
comme il faut und tabelfo$ in deinem Harfe fei, James, 
Nabe id) mir şur Bedingung gemacht, gleicherzeit eradite 
ic) e8 aber auch al8 meine Şifidit, iiber das Deine şit 
waden, daf nicht Şeridyocibinig und Unebrlidjfeit ihre 
Grnte Halten!” 

y/raujend Dank, bu Vortresflichfte aller Frauen! So 
Dedarf e3 aljo wirflich feines Zujchufjes mehr?” — 

yout Gegenteil; Dent it der lebte diejes Monats, 
und id) wollte bid) fo wie fo nachher noch bitten, müt 
mür abguredjnen. Sch Habe jehr fine Wberjdiifje in 
Deine Hand guriicfgulegen, und hoffe, Du wirft mich um 
Diejer Erfparnifje willen recht loben!” — 

Das Gejicht de3 Kommergienrates ftrahlte vor Freude, 
abermal8 30g er Die Mechte Der Sprecherin an die Lippen. 
/BWie reich mic) bicfe fleine Hand macht, erfenne id) 
von Lag gu Tag mehr; — fie jfehtittet jo viele ideale 
Glüdsaiter über mich, bağ der İdinöbe Mammon nicht 
‘auch noch dazu fommen DdDarf, das witrde mich ja er- 
örüdenl Nein, meine liebe Ines, was du in Haus und 


— 110 — 


Hof fparft, das ift betn redlich erworbenes Cigentum, 
itler meld)e$ bir frete Verjiiqung gufteht. Gebrauche es 
fitr Deine Perfon, oder şür Unterftiigung anderer, je nad): 
Dem €$ bir in ben Ginn fommt. Bch habe dir dads 
MNadelgeld und den VBetrag fiir die Wirtfchaftstaffe aus- 
qefebt und af8 fejten (tat in mein Budget aufgenommen, — 
Bujchiiffe fonnen feberşeit aus einer Extrafajje bewilligt 
werden, Mitczahlungen nefme ich hingegen nicht an. Went 
Du jparft, — İp thujt du e3 nur für: bid) 17 — 

Die Augen der Kommerszienratin leuchteten, eine feine 
Rite ftieq in ihre Wangen. Cie imidilob: die Hand 
ifres Gatten mit Hejtigem Druct. 

, Wie gut du bijt, Fames! Wie jehr du mich erjreujt! 
Hab’ innigen Dank bafirl Sd) gejtehe e8 ehrlid) ein, 
Dak bas Sparen mir eine Doppelte Freude bereiten wird 
und nehme dein grofmiitiges Gejchenf bantDar an!” — 

Und dann wandte fie fic) zur Thiitr, durch) welche 
ihre beiden Sohne eintraten, und begrübte dicjelben mit 
auffallend freudiger Crregung. — Als fie Şoöfef im die 
Arme fchlop, leuchteten ihm die Augen der Mutter İp 
jreudig an, wie feit [angem nicht. 

Sa, Şnes jparte gern, — fie that € anjanglich mit 
freudigem Cifer, und der Kommerzicnrat amüfterie fid) 
barilber und war hochbeglitct, ein ,,Ctwas” gefunden 
gu haben, wodurd) er Der anfpruchslofen Frau angenehime 
Aufmerfjamfeiten und ihr in wabhrhajt erfrenender Weise 
feine Neiqung und Berehrung darbringen fonnte. Cr 
necte fie mit ifrer ,Cammlung abgelegter Hundert- 


— 111 — 


marffcheine’” und fteuerte derfelben bei jeder Geleqen- 
Heit bei. 

ySparjt du eigentlich) in den Strumpf?” İadite er 
einmal, alg er ifr eine Rofe auf den Teller legte, deren 
Stiel anftatt mit Staniolpapier mit einer hohen Geld- 
note ümmidelt war, ,,oder famili Du mir bald eine neue 
Cijenbahnattie ab ?” 

Sie lachte, aber fie errdtete. Sd) fauje mir Bonbons 
bafür 17 antwortete fie fcerzend. 

yllle Achtung, fiir fofdye Ausgaben mug ich ja an- 
ftünbiger beijteuern!” — und er [egte in befter Laune 
nod) ein Bweipfenniaftiic neben dieje Geldnote. 

Snes Td)ftf auch btefen Betrag in ihre Geldbirje ein 
und verficjerte, bab e3 ein Wabhrwort jet: ,,Wer ben 
Pfennig nicht ert, jt des Thalers nicht wert.” — 

Sterley war iiberzeugt, baf e8 jeiner Frau bejondere 
jreude bereite, heimlic) Wohlthaten şi: erweijen, armen 
Verwandten oder verjchamten Wrmen, welche nicht gern 
al3 Wlmofencmpfanger von ihm erfannt werden wollten. 

Er fragte Darum bisfreter Weife nie nad) den Gr- 
jparnifjfen, um fo weniger, al8 Ses niemal aus freien 
Etitden barülber berichtete. Dak die Gemabhlin 568. viel= 
fachen Metillionars für fid), oder für ihren Cohn zguritcf- 
(cgen finnte, fam ihm gar nidjt in ben Ginn. Wojzu 
das? Sie meib, bab fowohl fie alS Şofef durch fein 
Tejtament aujs qlangend{te verforgt find, und jo Lange 
wie er febt, Haben fie ifm nur die Hande Hingubhalten, 
um Diejelben gölbaefilli wicder guriicdgugiefen. 


— 112 — 


Dennoch befaud er fic) im einem grofci: Şrrtim, 
Ines trug jeden Grojejen gu ihrem fritheren Banfier, um 
bort, bölliq getrennt von den Mtillionen ihres Gatten, 
eit gehetmes Depot fiir Şofef angulegen. 

Cine wunderlide Veranderung war mit ir vor- 
gegangen. 

Seit jener Stunde, in welder ihr Sohn voll feifen 
Vorwurfs an ihre opfermutige Wtutterliebe appellierte, 
hatte fid) ein Stachel in ihr Herz gefentt, welder ihr Tag 
und Nacht feine Rube lief. 

Sie mufte fiir ihr Kind jorgen, fie hatte e3 Langit 
thun miiffen! 

Gie war nicht immer eine mittellojfe Witwe gewefen, 
al8 ihr Gatte noch febte, da hatte fie im Uberflug, und 
€8 wire nur recht und billig gewefen, hatte jie bamaf 
an die Bufunft und an ihren Sohn gedacht, anjtatt ohue 
Bedenfen gu verbrauchen, was ifr Gemahl ihr jo reichlich 
an Wirt}dhaft3geld guwandte. 

Shre Jugend und Lebensluft fannte bamals das Wort 
Sorge noch nicht, worum hatte fie jorgen jollen? — Und 
Doc) empfand fie bie Worte ifyres Sohnes als einen 
jehweren Borwurf, wie die Heimliche, bittere Wnflage: 
,romnte Damals nicht deine Mutterliebe ein Opfer bringen 
und fiir meine Ctudien fparen?”- 

Snes itberfommt eS plötfid) wie eine grope Schuld 
und Verantwortlichfeit. 

Damals Dbradite fie fein Oper, — jest bringt fie eins, 
— und wie grof dadfelbe ift, meiğ mir: der, welder bic 


Nov. Gid ftrutb, W. Nom. u. Nov., Friiblingeitiirme I 8 


— 114 — 


Göefitfile eines ftolzen Frauenhergzens femt, welder meifi, 
was e ber fo erflufiv dDenfenden, vornefmen Frau fojtet, 
fic) pliglich Frau Sterley zu nennen! 

Da hiek eS fein befferes Bch, fein ureignes Sein und 
Wejen aus dem Herzen reifer. 

Excelleng hatte es gethan, aber ber Todesftreic), welder 
babet ihren Stolz traf, jchnitt tiet in ihr innerftes Wejen, 
und lie® e3 an folder Wunde rettungslos erfranfen. 

Was erft nur eine felbjtqualerifdje Cinbildung ge- 
wefjen, ein eifriges Bemiihen, Verjiumtes nachguholen, 
Das ward bald gu einer fiyen See, gu einer Kranfheit, 
welde Leib und Geele ergriff. 

ones jparte, fie wollte diegmal jparen, fo lange e3 
an der Zeit war! 

Was fie fitr ihren Sohn gethan, jollte nicht vergeb- 
lich fein. 

Cie jelber hatte einen geliebten Namen hingeben miiffen, 
einen Namen, welchen ihr alles Gold und alle Millionen 
eines Mijter Sterley nicht erfegen fonnten. Cin Schwan, 
welder mit ftolgen Fliigeln hoc) oben durch blaue Liifte 
gög, und nun mit gebrodyenen Echwingen in einem Paz 
lajt in verjdjwenderijder Bracht gefangen gehalten wird, 
vergift e$ Doch nicht, dag er einjt jein Haupt im Himmels- 
odem gebadet, und trauert, fo lange er lebt, Dem ver- 
lorenen Gli nach. Şne8 forgte für ihren Gohn — und 
für ihres Sohnes Namen. 

Was fie verlor, follte er Doppelt befiğen, ben alten 
Glang in alter Herrlichfcit. 


— 115 — 


Und diefe geheime WArbeit, diejes ruheloje, unerjattlice 
Anfammeln von Kapital, was ihr im erjter Beit nur eine 
wohlthuende Freude gewefen, befam bald eine Gewalt 
itber fie, welche aus der Gparlamfeit den Geiş gebar. -— 

Der Befig Lichtenhagens genitgte ihr nicht für Jofey. 
Was niibt ein Landjig ohne geniigendes Kapital? Mifter 
Sterley aber ijt febr jung und riiftig, bis fein Tejta- 
ment in Kraft tritt, vergeht bic bejte Lebenszeit ihres 
Sohnes. 

Gic fennt Fofefs jtolgen Sinn, welder fid) fchon gum 
Vorwurt macht, das Geld, welches jein Studium erfordert, 
von dem Stiefvater angunehmen, — er wird al3 Sefiber 
von Lichtenhagen verjuchen, in jeder Weije fetne Schulden 
an den Millionar abgutragen, nie aber noch neue Kapitalien 
pon ifm annehmen oder gar fordern. Wher das, was 
fie für ifm guvitctlegt, Das wird er annehmen und das 
bleibt ihm gewif, wie auch das Leben feine Karten noch) 
mild)en follte. 

Snes hat fo viel von Banfiereriftengen gehirt, welche 
fometenartig auftauchen, Durd) den Goldglang mürd)en- 
haften Reichtums alle Blicke auf fid) gogen und blendeten, 
um pliglich, über Nacht, jpurlos wieder in dem Nichts 
gu verfdhwinden, aus weldjem fie fo ratjelhaft emporge- 
ftiegen find. Und diejfe Griinderzeit mit ihren Şöhen 
und Tiefen lag nod) nicht allgulange Hinter ihnen und 
made fie miptranifd. 

Darum wollte fie das Cijen fchmieden, jo lange e3 
Hei} war, — und fie that es. — 

8" 


— 1146 — 


Der Kommerzienrat fieğ feiner Gattin in all ihrem 
Thun und Handeln böllige Freifeit. 

Sein Haus war aufer{t gerwijjenhajt verwaltet, die 
Sparjamfeit empianb er perjinlich nicht, und wenn die 
Diners und Fefte aud) feinen fold) opulenten Cindruc 
machten wie ehedem, fo war ihnen jebt eine jo vornehme 
Rejerve eigen, weldje bie Gajte, die fid) feit jeiner Ver- 
Heiratung um bic Tafel gruppierten, in jeder Weije jym- 
patfild) beriihrte. 

Was Sterley Deşmedit hatte, war erreidjt. — 

Die Begiehungen fener Gattin waren aud) die feinen 
geworden. Die einflupreiden und hocdhftehenden Perjin- 
lichfeiten, welchen er nüber 3u treten witnjchte, verfehrten 
in jeinem Galon, und bet einer föftlidyen Cigarre und 
bei ben echten Liqueuren, weldje mit aller Wnjpruchslofig- 
feit ferbiert worden waren, hatte er jdjon mand)e$ ge- 
Heime Biel erreicjt, und die mafgebenden Herren fiir 
woeen gewonnen, welche ihre goldenen örüd)ite in bie 
Güde des Millionars fieferten. 

Dadurd) war er fithner und unternehmungsluftiger 
geworden, und was er frither als risftert und unfider 
guritcégewiejen hatte, Das wagte er iebt mit ber Buver- 
jicht eines Mannes, welder auf bölliş fejten Fiipen gu 
{tehen meint. 

So waren etlide Jahre vergangen. 

Snes idiritt in nonnenhaft einfacher Kleidung, welche 
anfang3 al8 taftvolle Befdheidenheit fehr anerfannt, bald 
aber al8 outriert Defpötteft ward, in bem Palajt bes Gatten 


— 117 — 


umber, mit franffaftem Gifer fpahend, wo cin Grojdjen 
abzufnapjen fei, und dabei ward fie fichtbar alt und 
jedDem Heiteren Leben gram. 

Seit die Sohne das WAbiturienteneramen gemacht und 
Die Univerfitdt begiehungsweife die Malerafademie bez 
gogen Hatten, war e8 noch jtiller und einfacher in dem 
Hauje geworden. Denn Jes feujgte über die Horrenden 
Summen, welche die ,Boruffia” fowohl, wie die Studien 
ihres Stiefjohues Klaus verfehlangen, welcher wie ein 
Pring in Miimchen aujtrat und nur guviel Gelegenheit 
fanb, bet jeiner grofen Gutmiitigfeit Whonehmer fiir fein 
Geld gu finden. — 

Er unteritübte arme Rollegen, fdhictte jenen auf eine 
KRiinftlerjahrt nach Stalien, begahlte wieder anderen den 
Lebensunterhalt und diefem wieder teure Studien und 
Modelle — und ba gerade durch die Modelle mand)e 
Woge veraweifelten Clend3 gir im getragen ward, gab 
er mit vollen Handen und dem glitcfeligen Lachen eines 
Menfchen, welcher e3 im tiejjten Herzen empfindet, bab 
geben feliger af3 nefmen ift. 

Dabei lieB er fid) jelber nicht zu furz fommen. Leben 
und leben Laffen! jtand al leuchtende Devife auf feinen 
Banner, welches er burd) die iippige Satjon Miinchens trug. 

Cr genob bas Leben in vollen Biigen, mit ber 
jrifchen, idealen Cmpfanglichfeit einer Kitnftlernatur, welche 
fic) an dem Relch ber Schinheit beraujdt, ohne die Gijt- 
tropjen müt gu fcbliirfen, welche verdDerbendrofend an? feinem 
Grunde ruben. 


— 118 — 


Klaus war eine viel 3u eble und vornefhm beanlagte 
Matur, ein viel gu rein und Hochdenfender Menfch, um 
feine Genüfie im Morajt gu fuchen, und er bewies e3 
feinen Freunden, baf man die volle Freiheit des Kiinjtlers 
ausnuben fann, ohne ber Gemeinheit zum Opfer gu fallen. 

Mach wie vor bejtand feine innige Rameradjchaft mit 
wofef, trog ber Trennung wurden fie einander nicht fremd. 

Briefe voll chrlic) treuer Beichten flogen gu dem 
jungen Torisdorff, welcher in fetner fchwermiitigen, etwas 
pebantildyen Weije mit guten Crmahnungen antwortete 
und jein gitnjtiges Gegengewicht felbft über Berg und 
Thal geltend machte. 

Şfter3 war e8 fon vorgefommen, baf, Sofef daheim 
bet eifrigem Studium fag, al8 pfötilid) bie Thiir aufflog, 
gyvet 9frme fid) jubelnd um ifn fchlaugen und der blonde 
Lockenfopf de3 Stiefbrudcers fid) an feine Wange driicte. 
Dann war's, als fei cin Wirbelwind in das ftille Bimmer 
gefommen. 

Die Biicher waren in den nachften gehn Minuten ver- 
fteft und Şolef, vom Bann der Freude und der fasci- 
nierend licbenswiirdigen Perjiulichfeit de3 jungen Sötafers 
gefangen, füqte fid) bem Leben, weldjes Cterley über ifn 
berbing. Cin Wandern und SEclhweifen durch das wonnige, 
fonnige Nheinland began, hier ward ein reizendes, fanb- 
jhajftlides Motiv im Sfigzenbud) fejtgehalten, und dort 
ftahl der Şünitfer voll fecfen Ubermutes ein rofiges 
Madchengeficht, welches ahnungslos unter bem Reblaub 
Hervorladjelte. 


— 119 — 


Şofef war der cifriqite Semimberer folcher Schipfungen, 
und wenn er auch oft mifbilligendD Den Kopf über Bruder 
Klaus und feine flotten Ungeniertheiten fchitttelte, jo ver- 
föfynte ihn bennod) der Erfolg, meldyen der junge Maler 
in woblgefiillter Mappe Detmbrad)ite. — 

Gelbitperitünölid) bejuchte er auch bie Studententneipen 
und war bet Şolet3 Korpsbriidern bald der beliebtefte 
und ftet3 gern gejehene Gajt, und wenn Torisdor|f3 Cin- 
fu bünbigenb und ziigelud auf ben Braujefopf Sterley 
wirfte, jo übte feinerfeit3 auch Klaus eine gitn{tige Gewalt 
auf den Stiefbruder aus, indem er ben fo ernjt und 
grüblerifd) Beanlagten aus feinen iibertriebenen Studien 
herausrif und ihn der Qugend und dem Leben gufiihrte. 
Er feufgte oft tief auf: ,,Du bift eine imglüdfidye Natur, 
Sofefl Du nimmit alles fo fchwer, du jchleppft traurige 
Ginörüde jahrelang müt dir und qualft bid) mit felbft- 
gefchaffener Bein! Sd) glaube, du müreft imftande, um 
einer vagen Şlfufton willen dein ganged Lebensgliic 3u 
opfern. Du plantafterİt bir Riefen und Dradhen in den 
Weg, gegen welche du erbittert anfampfft ohne fiegen 3u 
fonnen, Denn Deine Gegner exijtieren nidt. — Bift du 
denn wabhrhaftig nicht imftande, eine eingige Dummbeit 
gu machen? — Du bijt überİaupt fein Student, du bift 
ein alter Mann, Ton mit fiinizehn Jahren warft du ein 
Greis gegen mich! — Jn abermals zehn Şafren, wenn 
id) ein junger Chemann werde, bift du ein Methujalem. 
Sit fo etwas in ber Ordnung?! — Was Toll dieje Şopf- 
Hangerei und bicfer Weltfdhmerg? — Du Şaft alles, was 


— 120 — 


bcin Herg begehrt! Geniege dein Glick! Danke dem Tiefben 
Herrgott, und geige ifm, baf, du eS verdienjt! Warum 
verliebjt bu dich midjt? Die jchinen Madel3 rennen dich 
über ben Haujen und du fietft fie micht im Wege an! 
Haft bir fehon einmal ein roliqes Meiinddjen qefüğt? 
Bei Gott, id) glaube wahrhajtig, du Unimenjdh thateft es 
nicht! Was Dbeşmedt jo ein Weiberhag, womit motivierjt 
du if?” 

Und Jofef lachte und guckte die Wchfeln. ,,Lediglich, 
weil mir noc) fein weibliches Wefen fo gut gefiel, um in 
mir ben Wunjch gu erweefen, fie gu fiijjen; — wenn id) 
ein Wadden füffe, jo Heirate id) e3 auch.” — — 

/Srundgiitiger, Dann müb ich Tiirfe werden! —” 

əied)fimm genug, id) hoffe, nie in fofdye Verlegenheit 
568 Reichtums gi: fommen! Wber ich will dir feine Moral 
predigen, Klaus. Deine Kiijfe haben die Madden, fo 
Gott will, nicht ungliiclid) gemadt. Wir find fo ver- 
jdjieden beanlagt! Was bei dir einen Scherz, eine Tandelei 
Dedeutet, wiirde bet mir bitterer Ernjt jein! Du bift ein 
Schmetterling, defjen Natur ifm von Blume gu Blume 
treibt, ich ward wohl aus bem Gtanıme der Ara geboren, 
welche fterbem, wenn fie lieben!” 

5050, du brauchjt ja feine Ediöne aus dem Cerail 
gu entfüfren 17 — 

yet, das perİpred)e id) dir, aber id) glaube dir aud) 
İifymören zu finnen, dak meine erjte Liebe and) meine 
İebte jein wird.” 

yllnd id) fürdite, bağ id) nod) oft, noch recht ojt eine 


— 122 — 


andere lieben rwerbde, ehe meine febte Liebe fommt, welche 
mit ber Heirat fehlieBt!” jeufgte Klaus voll Humor, ia, 
id) verfichere bir, bağ dieje UWbergzenqung e8 mir recht 
jehwer machen wird, mich iiberhaupt gu verloben, denn 
İd) merbe mir immer jelber miftrauen, 05 66 auch İd)on 
an ber Zeit gewejen, mich ernjtlic) gu binden mit Şer 
und Hand!“ 

/kun, dann wollen wir beide innig wiinjden, bab 
auch bir erft Methujalem fein mögeit, ehe Das entjcheidende 
Wort ani deine Lippen tritt! Sd) weif wirklich nicht, Klaus, 
welder von uns beiden ber BVenetdensrwertere ijt!” — 

Nicht nur in Diejem Punfte, fondern auch in dew 
meiften anderen bildeten die beiden jungen Mtanner die 
ausgefprocenften Gegenlde, und doch herrjdjte eine voll- 
fommene Harmonie grwifdjen beiden, ein Sucinanderauf- 
gehen der herglic)ften Liebe und Achtung. Klaus war feit 
jeher efrfid) genug, den Fleif und die Strebjamfeit Sojefs 
anguerfermet, auch impouterte ihm der cigenartige Chaz 
rafter DeS İp friihreijen Ctictbruders, wie eine gewijje 
Schwermut und eine bigarre Lebensanfdjauung niemals 
ihre Wirfung auf junge findliche und Harmloje Gemiiter 
berfel ft. 

Şöfef Hingegen war fehr ftolş auf bas bedeutende Talent 
Sterley8, deffen Hergliche Ojjenheit und Zuneigung ihin 
jon in ber Schule fehr fympathijch gercjen und dejjen 
jelbftlofe Liebe ihm jcjon in Ojtende jein ganzes Herz 
gewonnen hatte. Bet der tiejer Cmpfinding und zahen 
Beharrlicjfeit, mit welder der junge Xürisöorif alles feft- 


— un - 


hielt, was er einmal ergriffen und gu feiner İlberenqunş 
gemacht, wurgelte bic Licbe fitr feinen Stiefbruder fo feft 
in jeinem Herzen, bab wohl fein Sturm deS Lebens üm: 
ftande fein fonnte, fie gu-[djen; und biefe Sturmesprobe 
follte fie nur gu bald bejtehen. 

Hatte James Franflin Sterley die Neiqung feiner Frau, 
anjangs moglich{t einfach und guriicégezogen gu leben, nur 
wahrend etlicher Reijemonate im Güben lachelud geduldet, 
jo feiftete er jeit lebter Beit biefer Marotte GSoridinb, ja, 
er feh(ug Snes aus freien Etüden vor, bereits im Herbft 
in ein warmeres Klima iibergufiedelt, was der Argt fo 
Dringend für ihre Gejundheit fordere. Frau Sterley war 
nicht genug Menjcenfenunerin und wohl aud) gu apatbild), 
um Die nerböle Unruhe ihres Gatten, welche fid) Ton 
jeit füngerer Beit feiner bemüditiqt hatte, gu bemerfen. 

Sie wunderte fic) wohl, baf er langere Gefchajtsreijen 
unternahm und angeftrengter wie jonjt auf dem Bureau 
avbeitete, aber fie fragte nicht nach ber Urjache, denn fie 
atte fiir faujmannijde WAngelegenheiten gu wenig Sinn 
und BVerftandnis. 

Cines Morgens, alö fie in Kairo ihr Schlafzinmer 
perlajjen und* bereits auf ber Terrajje des Hotel Shep- 
feard jag, auf ihren Gatten und auf das öyrübitüd gu 
warten, trat Mifter James ihr entgegen, und fie erjchraf 
bet jeinem MUnblicf. — Wie jah er ans! Leichenblaf, ber- 
fallen und greijenhaft, mit tiefen, Dunflen Itingen um die 
Augen, die glanglos gu ihr Hhernicder blicten. Cr per: 
neigte fic) marionettenhajt und füğte ihr, wie immer, bie 


1 


Hand, aber bic Worte, welche er fpreden wollte, flangen 
Heijer, wie ein unverftdndlidjes Gurgelu. 

/ dames, um Gottes willen, bift du franf? Du fiehjt 
fo erjchrectend bletd) aus!” 

Gr jchiittelte ben Kopf, ein frampfhajtes Lacheln guckte 
uin jeine Lippen. ,,Cine fatale Nachricht, eine WAujrequng, 
aber nichts bon Bedeutung — — — 

016? — Klaus! — Barmberziger Gott, ift etwas 
pajfiert?” {ties Ynes bebend vor Sdjrec hervor, jahlings 
Den Arm 568 Sprecher3 umflanmernd. 

Er öritdte beruhigend ihre Hand und jdjiittelte ben 
Kopf: ,, Gott fei Danf, nein! C8 ijt nur eine getdyüftfid)e 
Nachricht 17 

,Sames, id) glaube e3 nicht! Du willft mid) anf 
etwas CEntjeblicdjes vorbereiten, erbarme dich, und fage 
mit die Wahrheit!” 

Er go0q cin Telegramm aus der Brujttajdhe und 1d)ob 
e3 ihr mit bebenden Handen gu. Ep lies und tiberzenge 
bid), 65 wird bid) am bejten berubigen!” 

Das Papier İdymanfte gwijchen ihren Fingern, mit 
weit aufgeriffenen Tiger: ftarrte fie barat: nieder: ,,Nor- 
thern & Eons, fowie Veillard & Louis Brachjelder joeben 
Stonfurs angefiindigt !” 

Sues atmete tief ani und blidte ifn verjtandnisl[o3 an. 

yün $onfur3? Was gehen dich dieje Wuslander an?” 
Sterley firich mit dem Dduftenden Batijttuch iiber bie 
hohe Ctirn. 

pyder fonun diejer Wuslander foftet mid) die Haljte 


— 125 — 


meines BVermigen3!” antwortete er mit qlifernem Blic, 
yund wenn Ddiefe bedeutenden Birjenfracdje noch weitere 
im Gefolge haben, fo werden meine Verlujte nod) groper! 
Cold) Fallifjement eines qrofen Banthaujes ijt wie eine 
Lawine, e8 reipt mit fid) in das Verderben, was mit 
ifm in Berithrung fommtl” 

prWSeldh trauriges Schicjal!” Snes nam voll warmer 
Teilnahme die Hand ihres Gatten in die ihre: ,,So müh 
e8 einem Landwirt gu Mute fein, weldem ein Hagel: 
jehlag bie fchine, jicjere Crute vernichtet!” 

Gr prebte ihre Hand an feine Lippen, aujs hidyjte 
betroffen fah er in ifr jo rubiges, unverdnderte3 Geficht, 
weldem der Verluft von Millionen nicht ein Wimper- 
auden verurjac)te! 

“ /y9ne8, Dut Hochherziges, tapferes Herz!” {ties er durch 
Die Büfne Hervor. ,,Gott feqne bid) für deine Worte! 
O, febt fefe id) erjt, welch ein Glüd mir in bir ward! 
Der fchwere Verluft hat mich Denno) reid) gemacht bird) 
bid), deren volle Freundjdhajt und warme Sympathie id) 
jebt erjt fennen emel %Wch, Gunes, Gott verhiite das 
Schlimmfte. Bch bin feit Dem heutigen Tage nicht mehr 
Der reid)e Sterley wie ehedem, aber ich bin, jo Gott will, 
aud) nod) fein armer geworden! Die Hauptfache ijt 
jebt, baf ich fo jdjnell wie miglich Heimfehre, um mit 
allen Rraften fiir meine Sntereifen wirfen gu fonnen. 
Kann id) bas Verlorene auch nicht gleich wieder einholen, 
fo will ich doch das Gebliebene erhalten und jo viel als 
miglich gu retten juchen!” 


— 120 — 


wth begleite bid), id) fehre mit bir heim, id) laffe 
Dich nicht in biclem trojtlojen Bujtande allein, James!” 
— Wie rubhig fie jprach, wie freundlich fie ihn anlachelte! 

Dem Kommergienrat traten die Thranen in die WAugen, 
— er wollte fid) abermal3 in bebender Haft über ihre 
Hand neigen, fie inbriinftig zu fifjen, eine Blutwelle jdhof 
in fein fables WAntlig — und jahlings die WArme hebend, 
Die geframpften Hande gegen bie Schlaje gu prejjen, fanf 
er mit einen tiefen Wufjtshnen vorniiber. 

Che Frau Sterley ifn umfafjen und halten fonnte, 
fehlug fein $Ştörper jdwer auf den Marmortijd) auf und 
glitt wie leblos an ihr wieder zu Boden. — — — — 


NTRMASNAANNTAMAN AZAN 


VL 


< in Unglitcé fommt felten allein. 

y Die ungelheuere Aufregung iiber die uner- 
wartete Gdiredensnadirid)t, welche bie Depejde 
gebrad)t, und die gewaltjame WUnjtrengung, jeine Errequng 
gu bemeifterm, hatten wohl in dem $törper de3 alternden 
Mannes eine Krife herbeigefiihrt, welche fid) fchon {eit 
einiger Zeit vorbereitet und nur auf den verderblichen 
AnjtogR gewartet hatte, um gewaltjam hervorzubrechen. 

Cin Sdhlaganjall hatte die rechte Seite de3 Bantiers 
gelahmt und ihn forwobhl der Sprache wie de ffaren Be- 
mubtieins beraubt. 

Die Şİrşte Hielten den Şuftanb fiir fehr bedentlich, 
wenn nicht hoffuungslos, und fo trug abermals ein Tele- 
gramm Edired und Gorge in die Welt, indem e3 Sohn 
und Stieffohn an da8 Kranfenlager de Vaters ref, und 
bie traurige Nachricht Dem Stellvertreter des Chefs im 
heimatliden Bankhaus angeigte. 

Gerade in diefer Beit fchwerer gefchajtlider Wirren 
war die Erfranfung Sterley ein doppelter Gdyidials- 


— 128 —- 


flag, und Sues, welche feinerlei Verftindnis für bic Lage 
ber Dinge und den Gang ber Gefdhijte hatte, fonnte 
auf all die telegraphijden Wnjragen, mit weldjcn fie von 
Den Angeftellten der Bank beftiirmt wurde, feine andere 
Uniwort geben, alS bağ fie dem Stellvertretcr ihres 
Mannes die unbefdhrantte Vollmacht gab, nach beftem 
Wife und Konnen die Gejcdhafte weiter gu fiihrer. 

Cine trojtloje, jdmerzensreidje Zeit begann fiir bic 
pamilie. 

Der Bujtand de Kommergzienrates Hielt unverdndert 
an, — İcine gute Natur fampite gegen das Verderben und 
berlüngerte feine Leiden in qualvolliter Weife. 

Snes pffegte den Gatten voll treuen Opfermuts und 
Die Sohne ftanben ihr babet helfend und ftitenb gür: Seite. 

Der Gedante an das entjchwindende Leben de3 Vaters 
Drangte 16568 andere Gnterefje in ben Hinterqrund, und 
wahrend in Kairo Tag und Nacht die Sorgen an dem 
Schmerzenslager de3 Millionirs wadhten, miürfelte das 
Schicjal daheim üDber fein Hab und Gut, über İcinc 
Reichtiimer, welche der Willfiir jrembder Menfdhen preis- 
gegeben waren. 

/ Welch ein bitteres Gefdyidi17 feufgzte Klang, die blauen 
Augen gum erjtenmal im Leben voll tiefen, fummervollen 
Ernjtes geradeaus gerichtet. — ,,Moch im Sommer fagte 
Papa, dak er fid) im Laufe de3 fonunetben Jahres gür 
fe İeben und alle gefdhajtlichen Begiehungen föfen wolle, 
und nun müb ifn nd) vor Fahresichlup der Wxthieb 
jold) eines Unglics bis in bağ tieylte Maré trejfen!” 


— 129 — 


Die ftarre, unheimliche Stille faftete auf allen. Reine 
Nachrichten mehr von daheim, bis endlich ein Brief an 
ones eintraf, mit der refignierten Mitieilung, bab weit 
ilber bie Halfte des gejamten Privatvermigens bird) 
Die verfdhiedenen Ronfurje erfter Haujer verloren fei, daf 
man aber hoffe, den Reft gu erhalten und burd) ernente 
Arbeit und doppelten Fleip mit der Beit den Verlujt 
wieder gu beden, 

/Willft du denn das Gejchaft beftehen faffen, Mama?” 
fragte Klaus überraidit, und Şofef jchiittelte finfter den 
Ropf. ,Wie wire das malic)? Reiner von uns ver- 
fteht etwas davon, wir find dem guten Willen Frembder 
überlaffen, und das heift itbel bedient fein! — Wenn 
id) raten bari, jo halte ich e8 fiir fehr notwendig, bab 
Klaus das Gejchajt jo jdnell wie möqlid) fchlieBt, oder 
fid) müt ben ausli:cijhen Leilhabern einigt und den RKeft 
jeines Vermigens, welder ja immer noch fehr betradit- 
lich ijt, rettet.“ 

,(öemib , das halte auch id) fiir dad einşiq Ridhtige, 
und fowie unfer armer Vater erİt wieder beffer ift, baf, 
id) reijen fann, will ich jehen, die Angelegenheit daheim 
ğı arrangieren.” 

ld), bağ Vater fo vollig Hilflos liegt, dak er nicht 
denfen, nicht jprechen und uns feinen Hat und feine Be- 
fehle erteifen fann. (65 ift eine Beit fchwerer BVerant- 
wortung Tür ung, ein troftlofer Buftand, wie er vergrwei- 
felter gar nicht gebad)t werden fann!” 


Voll banger Sorge hatte Fojef anfainglich feine Mutter 
N.v. Ef hftruth, SİL Rom. u. Nov., Frithlingsftitrme I. 9 


— 130 — 


Deobad)tet und befiird)jtet, dak der Verlufi der Millionen 
cinten ticfen, vernichtenden Cindruc ani fie machen werde 
— um jo erftaunter war er, al Snes wunderbar gefapt 
und rubig itber biclen Weehfel der Verhaltniffe jprach. 
Wlerdings war für ihre Begriffe auch ber Reft des Kapi- 
talS nod) ein enormes BVermigen, immerhin war bei der 
jebigen Lage ber Dinge die Frage: ,,wieviel bleibt fchliek- 
fid) noch von dent Rejt?” eine fehr gereditfertiqie. 

Der Tod be Bantiers ware fitr die ganze Familie 
eine Grföfiniş aus qualvoller Ungewifheit gewejen, aber 
Tag um Tag verging, und das leichenfarbige Wutlig faq 
unverdudert, leife atmend, mit halboffenen 9fugen in den 
Kiffen. Şa, e3 famen fogar Zeiten, wo eine entjdiedenc 
Befferung eintrat, wo der Blick und die matten Berwe- 
guugen der lütfen Hand verrieten, bab er feine Umgebung 
fannte und verjtand, was gefprocjen ward. Die Wrste 
{hipften nene Hoffnung und wandten alle Mittel an, die 
uct erwadjenden LebenSgeifter feftguhalten. 

(s fdhien gu gelingen, und abermals vergingen Woden 
voll gagen Hoffens und nagender Angft, wahrend fid) ber 
Buftand de3 RKranfen fo merflich befjerte, dak man das 
Shlimmite fiir iberwunden hielt. 

Da juhr abermals ein Slik aus blauem Himmel Herab. 

Cine Drahtuadhricht ber Polizeibehirde meldete Neifter 
Sames Franflin Sterley, dap fein erfter Raffierer nad) 
Dejraudation einer Horrenden Cumme jpurlos  ver- 
fiyminiben fet. 

Wortlos reidjte Ynes ihrem Sticffohn das Unglitds- 


— 131 — 


papier, und Klaus prebte fchwer atmend die Lippen şü: 
jammen und ftarrte ohne WUntwort vor fid) nieder. 

Dann fprang er auf und fchritt voll nervijer Aufe 
requng im Zimmer auf und mieder. 

yod mug heim, Mutter, — id) mug! Sie machen 
un8 jonft gu Bettlern!” ftdhnte ev. 

ones nidte mechanijd. ,,Reije, mein Sohn, ich fefe 
eS jelber ein, €8 ift eine Notwendigfcit! Water foll deine 
Abrwefenheit geniigend erflart befommen; e3 wird mir {don 
ein triftiger Grund einjallen, welchen wir anfiihren finnen !/ 

Der junge Sterley ftiirmte in fein Zimmer, jogleich 
jeinen $toffer gu paden und alles fitr bic WAbreije vorzu- 
bereiten, welche abends um adit Uhr vor fid) gehen follte. 

Ciliges Klopfen fteb ihn von jeiner Arbeit aufjdauen. 

Der Kellner ftand atemlos in ber Thitr. ,,Die gna- 
Dige Frau lafjen dringend bitten, fofort şir fommen. Der 
Buftand Mifter Sterleys hat fid) verjchlimmert.” 

Sater verlangt nach bir, Klaus, — ber WArgt ift bei 
ifm, — an AUbreijen ijt gar nicht gu benifen 17 

Der junge Mann ftrid) momentan über die Stirn und 
{ehnte das Haupt fdyer auf Jofejs Schulter. 

,Unverzagt, Bruder!” fliifterte dDtefer ernjt und ftric 
gartlic) mit ber Hand ither das fodige Haar, ,,der liebe 
Herrgott will e3 jo! — Geine Wege find hoch und oft 
unbegreiflid), aber fie fiihren alle herrlid) hinaus!” 

Man erwartete fchon in diejer Macht das Ende, und 
Doch vergingen noch fiinf Tage, ehe der ungliicliche Dulder 
Die Augen gum ewigen Schlaf jchlop. 

g* 


— 132 — 


Da fenfte der bittere Schmerz abermals ben Edjleier 
Der Vergelfenheit über alles Unheil in ber Heimat. 

Klaus verjdob jeine Wbreife bis nach der Beifebung, 
und lieg dtejelbe aud) nidit befdjleunigen, al neue Mach- 
richten aufregendfter WArt von gu Hauje eintrafen. 

Er fam wohl noch friih genig, um alle Pracht und 
Herrlidjfeit einer Milltoneneriften; in Maud) und Dunft 
gujaminenfdhmelzen gu feğen, 

Sues und Sofef fehrten mit ihm guriick, und wenn 
fie aud) auf das Edifimmite gefafbt waren, jo abhnten fie 
Doc) noch) nicht die ganze Bitterkeit de Leidensbechers, 
weldjen fie bis gür Şefe leeren follten. 

An dem Tage ihrer Anfunft war aud) über das Bank 
haus Games Franflin Sterley der KRonfurs verhangt, ein 
Doppelt furd)tbarer Konfurs, weldjen die Zeitungen voll 
Hherber, nacter Wahrheit einen betriigerijden Konfurs 
namuten. 

purdtbare, entfeblidje Tage brachen fiir die Familie an. 

Wenn auch die perlönlidye Chre des Toten nicht an- 
gegriffen werden fonnte, fondern bie Berweije far und 
Deutlid) vorlagen, baf feine gewijjenlojen, jdjurfijden Be- 
amten Die Herrenloje, auffidjt3loje Beit allgemeiner Wirren 
benugt Hatten, um nicht nur bas Privatvermigen des 
nerifaner3, jondern and) alle Depots, welche auf jeiner 
Bank tagen, gu veruntreuen, fo war e$ Doc) immer ber 
Mame Sterley, welder in ben Schmus gegzogen und von 
ber öffentlidyen Meinung mit Steinen beworfen ward. 

Welch eine dunfle, trojtloje Beit der Vergweiflung! 


— 133 — 


Die €dimad), — bic unverdiente und bennod) fie mit- 
treffende Echande Hatten die ohnehin garte, durch die 
lange Rranfenpflege vollig iiberanftrengte Frau auf da3 
Kranfenlager geworfen, und die erlfe und ernjtefte BVer- 
ordnung 568 WArgtes war die, jede Machridjt itber den 
Şonfur3, jede neue WAufrequng ihr fern gu halten. 

Die Frithlingsitiirme brauften um die Grfer und 
Saulenhallen de3 Sterleyjcjen Palais. Unheimlich ticie 
Rube lagerte über dem ehedem fo glangend belebten Haufe. 

Su dem reich getdfelten Frihftitcészimmer brannte bic 
Lampe und mari matten Schein über all die $toftbarfetten, 
welde an den Wanden, auf Konjolen und Pruntchranten 
blibten. 

(8 war umvirilich in Dem Rimmer; ber qrobe Kamin, 
welder joujt mit rotpraffelnder Glut das Gemach heiste, 
ftand İdiara und falt, und doch waren die ranuhen 
Lengeslitfte noch nicht başıt angethan, bas Feuer im Haufe 
entbefrlic) werden gu Laffer. 

Paptere und Wftenjtiicke lagen auf dem grofen Cichenz 
holgtijeh ausgebreitet und in den bequemen Lederjeffeln 
Davor fafen Klaus und Şofef, bejchaftigt, einen Uberblict 
iiber bic traurige Lage ihrer Angelegenheiten zu geywinnen. 

üfftöbnenə üffte Klaus die weigken, eleqanten Şünbe 
in jein Lockenhaar. 

Qi find ruiniert, Sofef! Micht allein baf Vaters 
ganze$ Vermigen verloren und veruntreut ift, ja e3 bleibt 
nit einmal jo viel, dag die ungliteflidjen Menjdjen, 


— 1384 — 


weldje ber Bank ihr Hab und Gut anvertrauten, ihr Gigen- 
tun 3uviickerhalten finnen, und das, ofef, o Das ijt 
furditbar, das üt jchlimmer wie unjer eigenes Ungliict!” 

Der junge Torisdorff hob das verftirte 9intfib, fein 
Sid: flackerte, um die Augen breiteten fid) Schatten wie 
bei einem Cchwerfranfen. ,,Lidjtenhagen fehlt noc) bei 
Der RKonfursmafje! C3 wird die Babhlen nicht fehr bez 
Deutend, aber doch um ein weniges giinftiger beridyiebenl” 

pridtenhagen?” Klaus madite eine Bewegung, als 
wollé er bie Şönbe ani den Mund des Sprechers driicen: 
ym alles in der Welt! C8 fehlte gerade noch, bağ dir 
und ber Mutter auch diefes Tebte, eingige Criftengmittel 
nod) genommen wiirde! Gott fet Lob und ant ift das 
Gut dein perjintiches Cigentum, auf deinen Namen ein: 
getragen und hat mit ber Rontursmafje abjolut nichts 
gu thun!” 

Und glaubft du, Bruder, id) witrde aud) nur einen 
Pjennig behalten, jo lange e8 noc) Opfer des Bantrotts 
gibt, jo lange Baters Glaubiger nicht jamtlic) befriedigt 
find ? “ 

yDu mirit e3 nicht nur, fonbern du mupt e3, Şofefl 
Was geht bid) bie Bank des Stiefvaters an? Nichts! 
Was Haft du fiir Verpflichtungen? Keine!” 

,dtoralijde !/ 

ydie Habe id), — und darum fomme id) ihnen nach. 
(8 geniigt, wenn ich, Der ben Namen Sterley tragt, als 
GSithne für die Gebranbidyağten zum Bettler werde. $d) 
gebe alles Hin, bis auf den legten Heller, das geniigt !/ 


— 135 — 


,ədir bid), aber nicht für mid) 17 — Şolef erhob fid), 
jein 9fuge flammte. ,,Noblesse oblige! Gch gebe, um 
mein eigenes Gewijjen gu beruhigen, um meiner ChHre 
willen 17 

7Sd; und was gibft du denn?” Klaus verjdhranfte 
jehr nufig und gelaffen die WArme itber die Bruft. ,,Du 
gibİt einen Tropfen auf einen heigen Stein, eine Bagatelle, 
cin Nichts im Verhaltuiz gu den fehlenden Gummen, wn 
weldje e3 fid) handelt! Şa, wenn der Gauner, der Kaj- 
jierer, gefabt ware, wenn feine defraudierten Gelder wieder 
gu erlangen waren, aber das ift fo qut wie ausfichtslos; 
bie Vollmacht, welche Mama gegeben, hat ihn in jeder 
Hinjicht imteritibi. Was follen alfo deine paarmal 
hunderttaujend Mart angefichts jehlender Mtillionen? 
Sie machen feinen ber Gejdhidigten glitcklid), Denn da 
jie unter alle geteilt werden miijjen, befommt feiner etwas 
Nambhajtes 17 

/Sleichviel, id) Habe meine Schuldigfeit gethan und 
das Andenfen de3 VBaters geehrt.” 

/Und das Leben der Mutter geopfert! Glaubjt bir 
Dent, Gofef, Die franfe, fdymad)e Frau fonnte diefen furdyt- 
baren Weehfel zum Schlechten  überitefen, jebt, nachdem 
jie fo ungeheuer verwofhnt it? Der Verlujt von Lichten- 
Hagen ware ihr TodeS8urteil, das fdimöre id) birl” 

YAchzend jank der junge Şorisborif in den Seffel şurüd, 
Er jchlug die Hande vor das Antlig, und feine fchlante 
Geftalt bebte wie unter einem Sdhiittelfroft. Sd) bin 
iibergzeugt, bağ Mama derjelben WAnficht jein wird, wie 


— 136 — 


ich!” İtief, er tonfo5 hervor, ,/id) hoffe fogar, daf fie felber 
Die Anregung geben wird, Lidhtenhagen gu verfaujen!” 

you irrft |” 

yo irre? Woher meibt du bas?” 

yo fenne die WAnfichten der Mutter!” 

Betroffen ftarrte Jofef den Sprecher an. ,,Muferte 
fie bir biefefben 2” 

sal! 

pludentbar, Klaus! Wann İpradit du fie?” 

Sterley gerfnitterte mechanijd bic Papiere unter feiner 
Hand. ,,Mama lich mich Heute morgen an ifr Bett 
fommen und befragte nic) iiber ben Stand der Dinge. 
wHre erfte Frage galt Lichtenhagen.” 

you welchem Cüme?” 

yb €$ bir erhalten bliebe! Gie jchien wie von 
Centuerlajten ber Angft und Corge befreit, alB id) e8 ihr 
verfidjern founte.” 

Şofef nagte jdjweigend an der Lippe, der WAusdrud 
tietfter Eeclenqual in feinem WAntlig verjcharfte fid). 

pluiferdem İbrad) ich den Doktor!” fubr Klaus mit 
jtarrem 33üf fort, und Sofef Hob den  $topi. 

Sas fagte er? — Cr perfidyerte mir, ber Zuftand 
Der Kranfen fet unbedentlich 17 

Ad mehr. Cr hat die Lungen unterjucht, denn 
feit 3rei Michten Huftet Mama wieder fo ftart.” 

pdavon ağırte ich nichts!” 

, Xina Hat e3 dem Doftor, trog Wlutters Berbot, 
Heimlich gemeldet.” 


— 138 — 


y/Und bağ Refultat ber İnterhidimig 2” — ofef hatte 
fid) abermal3 erhoben und ftiigte fic) mit beiden Handen 
jchwer auf die Tijchplatte, heige Rite trat au? jeine erlt 
jo farblojen Wangen! 

yun, e3 ift geformmen, wie ich gleich fürd)tete, und 
wie auch du beforgteft”, feufgte Rlaus tief auf. ,,Der 
qrelle Klimawedjel um dieje Fahreszeit, — aus dem 
warmen Güben Hierher in den nordifchen, rauhen Bor- 
friihling voll Sdhneefturm und Hagelfdhauer — e3 war 
ja gar nid)t anders miglich, als bağ jolch cine Parjorce- 
tour bie arme Miutter franf machen mufte! Bedenfe — 
fie ijt fett Jahren feinen norddeutjchen Winter mehr qez 
yöfmül” 

pyUnd Linden fonftatierte . . . 2” 

,Sin Lungentpibenfatarrh, fiir welchen fojort etwas 
gcthan werden miifje. Mama foll nad) Şairo oder Stalien 
guritct, jo fehnell wie miglich. öyür ihren Gemiitszujtand 
und ihre Merven fet e3 auch Ddringend erjorderlid, dap 
fie aus ber ungliiclichen Verhaltniffen hier herausfonunt!” 
Seib Mama von diejer Forderung 2” 
prosa, Minden fagte eS ihr.” 

/Und fie?” 

,ediim vbllig einverjtanden. Cie will Heute abend 
MNiahere mit bir befprechen.” 

Sofef fHlug die bebenden Hande vor das YAutlig. 
Sie geht gern?” 

wa, fie fagte mir, fie empfinde e$ jelber, bağ fie 
Hier gu Grunde gele” 


Das 


— 


— 139 — 


Cinen Augenbli Herrfchte Sdhweigen. Die Uhr tidte 
wie ein miider Hergfchlag von dem Ramin heriiber. 

Şofef fiihlte, wie jeine Nnie gitterten. 

Wovon foll der foftfpielige Wufenthalt der Mutter 
beftritten rwerden? — Die Renten von Lichtenhagen er- 
miglicen e3, — fie eingiq und allein. Mun gibt 68 
feine Wahl mehr für ihn, nun fteht die furchtbare Not- 
wendigfeit zum gweitenmal im Leben vor ifm, — grau- 
jam, unerbittlich feine Hande bindend, ihn fmebelnd mit 
Dem Worte: Du muft! 

Er bari das Leben der Wlutter nicht opfern, um der 
ftolzen Chre willen! 

Er mib auch dies Mal fein hichftes, ureiqenes Em- 
pfinden Der Sohnespflicht opfern Und gleicjjam, wie 
ein Echo jeines gemarterten Herzens flingt die Stimme 
568 Bruder neben ihm: edon darum muft du Lichten= 
Hagen behalten! La die Leute reden, was fie wollen, — 
Leben und Gejundheit der Mutter gelen: vor! 

Lap die Leute reden! 

Sefer wiihlte wie ein Vergweifeluder dte Hinde in 
Das Haar. Was werden fie reden. CSteinigen werden 
fie ben gewijfenlofen, ehrlofen Mann, welcher voll Hab- 
qier feine Ed)übe ans dem Schiffbruch rettet, welder 
anderen müfüdfidyen Menfchen den lebten Heller nimmt. — 
Sit jolch ein Bewuftfein zu ertragen? — Werflucht joll 
jeder Grojdjen fein, welchen Jofef Tovisdorjf von diejen 
Gutsrenten fiir fid) und jeine Perjon verbraucht. Mag 
die Welt feine Chre brandmarfen, vor fid) felber und 


— 140 — 


feinem Gewiffen will er rein und mafellos baftefen, — 
nicht ber Cgoismus, nicht die Geldgier laffen in die 
Hande iiber Lichtenhagen breiten, jondern die Vergweiflung, 
yeld)e den Sohn nidt zum Mérder der Mutter werden 
faffen will. 

Der Klang einer Schelle fat ihn aus feinen Ge- 
Danfen auffchrecten. 

/ Mama fheint allein gu fein. Bch gehe şir ihr, Kaus. 
Bitte, fieh bieles Verzeichnis noch einmal durch, 68: find 
Die Kunjtfdhage aus Papas Sammlung, ifre WXuftion müb 
auch noch einen bedentenden Ertrag bringen.” 

Solef wandte fid) und fchritt gur Thiir, an das 
Kranfenbett der Mutter gu eilen. 

Sue blicte ihm mit tief umid)atteten Wugen entgegen. 

pdift Du endlich wieder aus ber Stadt şirüd, mein 
Herzensjohn?” — fragte fie mit leijer, flanglojer Stimme, 
,it) Habe voll Sehnjucht auf dich gewartet. ft Ton 
cima8 iiber ben Verkauf diefes Haujes bejtimmt 2” 

Soflef füfte 3artlich die weifen, burdifiditig şarten 
Hinde. Sa, Mamadjen, die WAngelegenheit fonnte qüd: 
licherweife unter ber Hand geregelt werden! Das Grund- 
iti wird von Dem ölünifterhm angefauft, und bas Haus 
gum WMujeum fiir Voslferfunde eingerichtet.” 

San miiffen wir e3 raumen 2” 

"Şor dem erften April feinedsfalls, und folfteft du 
algdann noch gü frant jein, wird leicht eine Verlangerung 
unjeres WUufenthaltes gu berwirfen fein!” 

Sne8 füd)efte matt. 2915 gum April? Sd) glaube 


— 141 — 


nidit, bağ id) biefen Monat noch erleben werde, wenn 
id) hier bleibe. Linden will mich fo fchnell wie miglich 
nad) Rairo surüdididen ” 

Sofef nidte fdhweigend. 

/Und ich felber habe bas Bediirfni3, aus diefen mor- 
Denden Verhaltniffen hier herauszufommen! Sd) werde 
morgen verfudjen aufzuitehen! 

Sd) befchwire bid) —itbereile e3 nicht! Sei borfiditiq 17 

yeyib, Darling, — Linden foll beftimmen. Wber vor- 
her möd)te id) noch einiges mit bir befpredjen.” Gic 
huftete fur3 auf und fubr leijer fort: ,,Rlaus jagt, bafi 
Lihtenhagen dir erhalten bleibt?” 

Sofey fenfte das Haupt tief gür: Brujt, er antwortete 
nicht gleich, Denn Klaus betrat joeben auch das Zimmer 
und nahm gu yüben de3 RKranfenlagers Pla. 

/Son Gericdhtswegen fann mir die Şerrid)aft nicht 
ftreitig gemacht werden”, fliifterte Jojef tonlo8, ,,und wenn 
e3 fein mu $, İp werde ich fie behalten.” 

,enf bir, Mama, er hatte die jehr edle, aber hichft 
ungeredtfertigte und unpraftijde Wbficjt, das Gut gu der 
Ronfursmaffe fchlagen gu faffenl: Gott fet Dank hat er 
aber eingejehen, baf, die Renten für deinen Lebensunterhalt 
unentbehriic) find!” 

Snes blicte mit grohen Augen auf. ,,Du wollteft, 
Solef? Wes opfern...? O, das gleicht betnem edeln, 
gropen Herzen, du braber  Sötenid) 17 

Sn: dent Augen 5e$ jungen Torisdorff leuchtete e8 
momentan wie ein Gunfen der Hoffnung auf. 


— 142 — 


Hy Richt wahr, Miitterden, du gibft mir recht barin 1” 
ftammelte er heif ergliihend. 

Snes ftreidhelte feine Hande, — fie ftarrte einen Wugen- 
bli gerade aus, wie in ticfem Sinnen, dann fragte fie 
leije: , Sage auf dein Chrenwort, Şofef, du miürbeft unfer 
alte3 Familiengut hingeben, wenn — wenn id) nicht mehr 
lebte . . oder Doc) nicht franf wire?” 

Sofef guckte zujammen. ,,Mlutter!!/ 

Sage e3 ehrlich, mein Sohn, du behaltit 66 nur um 
meinetwillen 27 

Ma, Mama!” mari Klaus hejtig ein, am bid) vor 
Mangel und Not gu fchiitben! Das fagte er mir joeben 
felbjt, und, bet Gott, dies ijt feine erfte und heiligite 
Pylicht! Cr nübt Durd) ben Verfauf de3 Gutes niemand, 
aber er jchadet jeiner armen Mutter an Leib und Leben!” 

Und wieder blidte Şnes rubhig, wie ernjt erwiagend, 
por fic) bim, wahrend Şofef fein WAntlib aut ihre Hand 
prefte. Cin feltjamer Wusdrucf lag auf dem WAntlig ber 
Kranfen, Genugthuung und eine beinahe jtarre Cnt- 
{chlo jjenheit. 

prose banfe bir, Şofef, Dak du mir das Opfer Dringit 
fagte fie dann İdinefl und leije, ,,ein Opfer, weldhes id) 
Danfbar annehme; e3 ift İp bitter Bart, hilflos zu leiden. 
Auperdem brauchft du dir fetne Sfrupel gu machen. 
Lichtenhagen üt ein Gejchenf deines Baters, und ebenjfo- 
wenig, wie wir verpflicjtet find, jeden Bifjen, welchen wir 
jeit Gahren hier im Haus gegefjen, jede Gabe, mit wel- 
cher un8 Tapa wahrend der fieben Şahre erfrente, jept 


— 143 — 


auritcfguzahlen, ebenfowenig fann man von uns verlangen, 
bab wir unfere privaten Erjparniffe, refp. bie Gejchente, 
welche wir erbhielten, şürüderitatien Go wie die Ber- 
haltniffe liegen, müiffen wir mit jedem Pfennig rechnen. 
Die Grogmut und der Cdelfinn find fchnell bereit, fid) 
gu Betilern zu machen, aber ein Leben voll bitteriter 
Not und Enthehrungen fehleicht gar langjam dahin, und 
barımı müb man die Generofitüt auc) nicht iibertreiben. 
Mein ficber Klaus, hajt du eigentlich İd)on barilber nach- 
gedacht, wie fid) deine Bufunjt geftalten wird?” 

Sterley jenfte den blonden Lockenfop] einen Wugen- 
bid gür Bruft, Dann aber hob er ihn frifch und wohl- 
gemut im Den Nacken und lachelte: lm: mich jorge dich 
nicht, Mama! Sd) bleibe der Kunjt treu und merbe 
mich fcon durcdhjcdlagen! Bch habe an illujtrierte Wib- 
blatter ja fchon friiher manch fleine Sfizzen geliefert aus 
Sreund{dajt, weil id) die Redafteure fannte, nun werde 
id) fiir Geld jolche Beitrage arbeiten, und augerdem die 
Bilder, welche id) fertig malte, zum Berfauj ausfteflenl 
Mit gutem Mut und Luft und Liebe gur Arbeit fommt 
man 1d)on burd) die Welt! Bch benfe und hojfe, bab 
ba8 Gliic noch nicht das legte Wort mit mir gefprochen 
hat und einen braven Rerl nicht im Stiche fübtl” 

Sofef Şatte fid) erhoben und fegte voll inniger Şerş- 
lichfeit Den Arm um den Sprecher. 

yoalt, Kaus! Nicht die Mechnung ohne den Wirt 
gemacht!” fagte er mit mitdem Lacheln und einem ver- 
geblidyen BVerjuch gu foherzen. ,,Wenn id) euch den Willen 


— 144 — 


thue und Lidjtenhagen behalte, jo ftefle: ich auch meine 
Bedingungen. Dieje Stunde ift jchwer, bitter fchwer fiir 
mid), und dennoch tragt aud) fie ihren Segen in fid), fie 
gibt mir bie Miglichfeit, dem lieben, feligen Vater und 
bir all die Liebe und felbjtloje Güte zu banfen, mit wel- 
cher ihr mein und Mutter3 Leben fo reich gemacht! Das 
erfte Sahr nad) Dem Cramen, welches Vater mich in deiner 
Begleitung auf Reijen verleben fieb , dann die Studien- 
jahre, welche er mir in freigqebiger Weife ermiglidjte, haben 
mich şettleben5 şı feinem Gchuldner gemacht. Nun fann 
ich gottlob jagen: ,Wie bir mir, fo ich bir, und was er 
Gute3 an mir gethan, das fann und will ich nun an 
feinem Golin vergelten!* 

Dein İd)öne8, ideales Talent bar? nicht in dem Kampf 
um das tagliche Brot untergehen, Klaus. Noch ein paar 
Sahre ernften Studiums, ohne Sorge, ohne Not, werden 
Deine Kunft zur Meifterfhaft reifen lajjen, und başı 
werden bie Renten von Lichtenhagen ihre Schuldigfeit 
thin! Was mein üt, das it auch Dein, mein Bruder, 
und wenn Mutter und du fid) in die Revenuen teilen, 
jo fönnt thr ohne alle Entbehrungen, frei und glüdlid, 
leben !/ 

prsojey! mein Şofef17 Klaus umjcdhlang den Stief- 
bruber mit beiden Armen und füğte ihn voll tieffter Gr- 
quiffenheit. ,,Wenn du Ddiejfes Opfer für mid) bringen 
wollteft, mir nur noch ein paar Şafyre fortzuhelfen, dak 
id) Stunden nehmen und die nötigern Reijen machen, baf 
id) al$ freier, ungebundener Riinjtler meine Etudicn voll= 


VM.v. Git ftruth, VL. Mom. uw Nov, Hrithblingsftiirure 1 10 


— 146 — 


enden fann, o Sofef, id) wiirde e8 voll herglidjen Dankes 
annehmen, und e8 bir, jo Gott will, etmit beweifen, baf 
Du deine Gitte an feinen Unwiirdigen verjdwendet Haft!” 
Sofef legte die Hand auf die Lippen des Eprechers. 
pxcinen Dank, Klaus, e5 ift Deincs Vaters Geld, welches 
Du vergehren wirjt, id) veriwalte e3 ja nur fiir dich!” 

ones micte ifm mit leuchtenden BWugen gu und reidhte 
ifm bie Hand entgegen. Da: erwartete id) von bir, 
mein Sohn!” lachelte fic, ,und id) weik, bab dies Geld, 
yoeld)e5 du af dinib. empfindeft, weil du eS nicht als 
Xropfen im Meer untergehen lajfen willft, doch feinen 
retdyen Gegen bringt!” — 

Klaus hob pliglich den Kopf. Ən jprichft nur von 
Mutter und mir, welche fich in die Rente teilen follen, 
Sofef, — und du? — was wird aus dir?” 

Sr ftudiert weiter! — felbitteritünblid) 17 — 

/kein, Mutter, das glaube id) nidt. Mod) bin id) 
mir nidjt pöllig ffar über meine Zufunft, aber ich werde 
Den rechten und eingigen Weg finden, meldyen id) gehen 
mup, um Ruhe, Frieden und Glüd gu finden. Sd) hoffe 
bir bald das Refultat meiner Crwagungen mitteilen zu 
firnen. Und nun, gute Nacht, du hergliebe, bejte Mutter! 
Lina bringt dein Wbendbrot, und e3 ijt Beit für bid), gu 
ruben |” 

Snes fafte feine Hande und blicte ihm tief in 543 
blaffe, fdmerggefurdjte WAntliz.  ,Sofef” — fliifterte fie 
leije, wie in banger Frage. 

Da neigte er fid) und fiipte gartlich ihr Wntlig unter 


— 147 — 


dem ergrauten Haar. Seine Hand umfdhloR in feftem 
Druck die ihre: ,difaf niğig, Mutter!” — lachelte er, 
pchlaf fanft und fig!’ — 

Aber Jnes jchlief nicht. Gie lag mit weit offenen 
Augen in den Kiffen und ftarrte mit brennendem Sif in 
das perldifeterte Licht ber Nachtlampe. Hatte fie recht ge- 
Handelt, indem fie ihrem Golin verjdjwieg, bab, fie Sidyten- 
Hagens Revenuen nicht gebraudjte, um tn Citden ge- 
nejen zu fömen? Şa, jie that recht baran, denn fie 
jorgte für ihr Rind. Das Kapital, weldhes fie in den 
fieben Şafren ihrer Che aus ihren Erjparnijfen und den 
Geburtstags- und Weihnacdhtsgejdenfen, welche Sterley 
ihr in Form Hhoher Summen verehrte, erfpart und guriic- 
gelegt hatte, war ber $totgrold)en, mefdyen fie für bofe 
Beiten bewahrt hatte. 

Mun fam diefe böfe Beit und ballte die fchwargen 
Wolfen imbefdireiblidyen Clends iiber ifnen. War das 
Opfer, welches fie einft gebracht, wahrlich vergeblicd) ge- 
wefen ? 

Hatte fie nid)ts für ihr Kind erveid}t, als den Fluch 
eine3 gebrandDmarften Namens, welcher fid) burd) ben 
Stiefoater rettungslos auch auf einen Torisdorif itbertragt 
und jeinen Schatten auf Schild und Chre mirit? 

Oit dieje furchtbare Zeit voll Kranfung, Edimad) und 
Verarmung alles, was diefe fieben Jahre an Gterley 
Seite, biefe Jahre voller Selbftverleugnung im Dienfte der 
Pflicht, eingetragen? 

10* 


— 148 — 


ait fie darum Frau Sterley — Frau Kommersien- 
rütin geworden, um nun im Verein mit ifrem Kinde unter 
Den Keulenfdlagen, mit weldjen das Sdhickfal anf das 
Haus 568 Gatten einfchlagt, gujammengubrecjen? 

Nein! taufendmal nein! 

Starre, trobige Erbitterung iiberfommt fie. 

Sie will auch nicht umfonft geopfert haben! Cin 
Lohn foll ihr wenigitens werden und bleiben, — ihr Kind 
foll ein reidyer Mann fein. Gein Cdelfinn, feine jugend- 
lide Phantafie wollen ihn zu uniiberlegtem Cdyritt ber- 
leiten, — Gunes aber breitet die Hande über das gefahr- 
bete Familienqut und fpielt noch einmal die Vorfehung 
im Leben ihres Sohnes. Sie verheimlicht ihm ihr Privat- 
vermigen, weldjes in auslindifdher Bank ficher liegt und 
awingt ihn, um der Mutter willen, an fid) felbjt gu 
dDenfen! — Snes atmet tief auf, neigt Das Haupt und 
jchlajt beruhigt ein. 


YIL 


ic Wolfen jagter an dem Moud voritber und 
Warfen gejpenftijche Schatten burd) die unver- 
Hitllter Fenjter. Windftipe riittelter an ben 
Safoifion, und bic foujt felbft nad)t3 belebte Strape faq 
{till und öbe, in Regenfluten gebadet. 

Das Licht anf dem Leuchter war füngİt Herabgebraint, 
und mür: Tab Şofef ür dent umvirtlich falter Zimmer im 
Wioudesdammern, das Haupt i die Hand geftiikt, und 
rang abermals in ben jehweren Ceclenfampfen, an weldjen 
jein junges Leben fo itberretch war. 

Wie eit fteuerlojfes Schiff aust ben bimffen Fluten des 
Meeres Hine und Hergefchlendert wird, wenn der Sturm 
fid) erfebt, und das Hilflos gebrechliche Spielzeug in toller 
Laune von den Hohe in die Tiefen jttirgt, fo war auch 
Sofef jeit Jahren ein treibendes Blatt auf den Wogen 
DeS Schictjal3, welches feine junge Seele durch alle Phajen 
jelbjtqualerijder Vergrweiflung pettid)te. Cr war ein un 
qfüdtid, beanlagter Charafter, das Hatten İd)on feine erften 


— 150 — 


Ergieher den Cltern verfichert, und der General hatte e3 
geglaubt, wihrend Bues verficherte: ,,dede$ Kind, tel: 
hes einjam, ohne WlterSgenofjen gwifdjen Gropen auf- 
wadhft, wird aftffıg und zeigt Hang zur Cinjamfeit und 
Gritbelei.” — Dennoch bewabhrheitete fid) diefe Behauptung 
nicht, denn gerade ber Gdhulverfehr liefy des Rnaben 
Cigenart mehr denn je Hcrvortreten. 

Er urteilte İdirotf und voll iibertricbener Strenge, er 
Hielt harmloje Sungenftreiche fiir BVerbredjen und das 
lindefte Vergehen gegen die mehr wie ftrengen Gejcbe 
ber Hreundjchaft fiir Verrat und Treubruch. 

Se alter er ward und je fchrwieriger fich die Verhalt- 
nijfe im Haus der verwitweten Mutter geftalteten, defto 
{ch wargfeherijcer und itbertricbener wurden feine Urteile 
itber Welt und Menjdjen. Boll gather Beharrlichfeit hielt 
er am Den WAnfichten fejt, welche ber General ihm itber 
Chre und Wdel eingeimpft hatte, WAnfichten, weldhe für 
Das WAuffaffungsvermigen de3 Kindes beredhnet, fehr grell 
und mit dicen Farben aufgetragen, thin beritünolid) 
gemacht wurden. 

So wurzelten fie feft, und fo blieben fie in ihrer 
bişarren Gorm beftehen, wie ein heiliqes Vermadtunis, 
welde3 man in Ehren halten mug. — 

Dadurc) ward ein Brwiefpalt in feinem Bunern gez 
fhaffen, welcjer ftet8 qualender und empfindlicher für 
ifn ward, je öfter das Leben an den Wakhngebilden 
riittelte, welche e3 in Der Theorie allenfallZ noch duldet, 
in ber modernen Praxis aber unbarmbergig iiber den 


— 151 — 


Haufen ftipt. — Das bedeutete für Şofei jedesmal cinen 
Kampf auf Tod und Leben, und auch jest rang er in 
einem Suftand der Verarweiflung gegen die unerbittlidjen 
Verfettungen des Gejchic3, welches abermals die For- 
Derung an ihn ftellte, fein ureigen|tes Yoh zu verlengnen 
und fic) Verhaltniffen angupaffen, welche er nun und 
nimmermehr als richtig anerfermen fonnte. 

Und dennoc) mugte er fid) fiir biefefben entjcheiden. 
Er mufte! — So wie immer band ihm auch diefes Mal 
ein unbarmberziges , Mug” die Hinde. C3 gab feine Wahl. 

Die Keulenfehlage des Gdyidfafs fielen auf ihn nieder 
und germalinten den lebten eft von Stolz und Selbjt- 
bewuftfein! — 

Denft er baran, was er thun mü$ und thun wird, 
jo jehnitrt ihm die Scham die Kehle gujammen, fo j{teigt 
ihm das Blut ins Gefidit und malt ihm das Şainöşeid)en 
ber Echande auf die Stirn. 

Er behilt fein Vermbgen! Er reift den Reichtum 
an fid), wiaihrend hunderte von ungliicflichen Wenjdjen 
Durch den betritgerijehen Barnfrott der Bank feines Vaters 
gu Vettlern gemacht wurden! 

Güc Darben, fie Hungern — und er genieft die Renten 
DiejeS Siindengeldes, er, ber ben Namen eines Cdelmannes 
tragt, er, welder mit Dem Namen die Verpflictung des 
Adel iibernommen, einguftehen für: Chre und Redht. 
Des Feindes rib, de3 Sdhwacdhen Shug! 

Rlingt das nicht wie Gronie? — Wie Spott und 
Hohn für fein Handeln? 


— 152 — 


Şofef wiihlt aufftihnend die Finger in das wirre 
Haar, er michte wild aufjchreien in der Qual feines 
Hergens, er möd)te vergehen in Cfel und WAbjcheu vor 
fid) jelbjt. 

Und gibt e3 Ddennoch feine Hilfe, qar feine Rettung 
für in aus jolcher HergenSnot? Bofef Hebt voll leiden- 
jhajtlicher Erbitterung das Haupt. 

© ja, e8 gibt eine Ciihne für feine Schuld. 

Ss gibt ein Heiliges Wajfer, welches ihn rein wajdt 
von ber: breunenden Gewiffensqual. Benes Wafjer des 
Şinmel8, mefd)es ifn von Welt und Leben fcheidet, fern 
in Der Cinjamfeit durch cin Leben voll Bue und Reue 
Die Simdenlajt abgutragen, unter welcher fie alle feutzen. 
Vort fann er die Secle feines Stiefvaters, welder iro$ 
allem und allem die Schuld an dem gangen Clend tragt, 
{reibeten, fann fiir Mutter und Bruder, welche in fünb- 
Hajter Verblendung nach fremdem Geld greifen und feinen 
Uberflufy geniefen, derveil die Betrogene Unjdjuld ber: 
Hungert, — fithnen und abbitten bird) das Hingeben 
feiner felbjt. Cr will Klerifer werden, Minch oder Geift- 
licher, er will Geld, Muhin, Stelling, Name, fein ganges 
Lebensgliice Hingeben alS Opjer, und er wird Fricdew fir 
jeine gehebte Geele finden. 

Gr hat ftets Guterejje fitr: ben qeiftlidGen Stand ge- 
Habt, wenngleich e8 ihr nic voll fetbenidyattfidyer Scdhwar- 
meret in die Kloftermaucrn gezogen fat, 

Auch jegt ift fein Cutjdhlug nicht die Ausgeburt Heilig 
ernjter Uberzeugung und jeliger Glaubenstraft, fondern 


— 154 — 


lediglich cine Cingebung feiner Verarweiflung, weldhe fid) 
mit blinden Wugen einer rettenden Zuflucht entgegenftiirzt. 

Was bleibt ihm auch jonjt noch iibrig in ber Welt? 

Er wiirde lieber şı Grunde gehen, efe er auch nur 
einen Pfennig pon jenem Gelde nahme, weldjes ifm nad) 
aylıq und Recht nicht mehr gehirt. Studieren fann er 
nicht mehr, — von Lichtenhagen Sefiş erareifen und e3 
bewirt{haften? — Nie! 

Was aljo bleibt einem Freiherrn Torisdorif itbrig? 

Die Kutte, welche all die Wunden bedt, bie die falfche, 
betrilgerild)e, gemeine Welt fchlagt, eine Welt, welche 
jtetS mit Fingern auf ben Sohn de3 Vankrotteurs deuten 
wird, ber jhamlos genug war, reich git bleiben, wahrend 
andere Durch jeine Schuld verarmten. 

© Ddiefer morDdende, furditbare Gedanfe! Wie uneve 
traglich ift er! 

Sofef fonmt fid) vor wie ein Gebrandmarfter, welchem 
Die Schande auf der Stirn fteht! Cr jchamt fid), einem 
Yüenidyen in das WAuge gu fehauen, er flieht das Sonnen- 
fidit wie ein Geachteter, er bricht gujammen unter dem 
fid) der Chrlojigfeit, welder auf ihm İaftet, jo Lange 
Lichtenhagen in ben WAugen der Leute fein Cigentum hHeift, 
jo lange wie noc) ein Şöfenmiq der gropen Sdhuldentaft 
De8 Haufes Sterley unabgetragen bleibt! — 

Die Sham, die Vergweijlung treibt ihn tm bas 
Rlofter! 

Weit weg von Hier, wo niemand ihn fennt, wo feiner 
ant, Dag er SterleyS Sticffohn ijt! Dort will er ver- 


— 155 — 


geffen und vergefjen fein! Was verliert er in ber 
Welt? Nichts! 

Das Gite ftebt er nicht, Denn er fennt e3 nicht. Und 
Das Glüd der Liebe, von welchem er fo viel holde Marden 
gehirt? — Dem glaubt er nicht. 

Gr jand noch fein Weib, welches jein Herz Hiher 
{chlagen liek in fiber Gehnindit, 

Gr hat nur in allen die Satanella gejdhaut, welche 
Die Teufelshirnchen unter Rofen verjtectte. Cr fuchte die 
grauen nicdjt, — und die, weldhe ifn judjten, widerten 
ifn an. 

ber feujde Şofef” hat man ihn fdergend unter den 
Studenten genannt. 

Sdherzend und jpottend. Keufehheit und Frimmigfeit 
find Tugenden, welche fo fremd geworbden find, bab fie 
043 fin de siöcle für Requifiten aus der Rumpelfammer 
halt, man lacht barüber wie über einen altmodifden Hut. 
Mich üfter Fojet lachte man, und in feincr mimojenhaften 
Empfindlichfeit şog er fid) verlewt guritcf. Nein, er verliert 
und verjaumt midt3 in der bunten, fetditfimigen Welt, — 
er fehrt af$ müber, verbitterter und menfchenfeindlicher 
Gaft in dem Mofter ein und legt fein Herz und feine 
Eeefe, fein ganzes Selbft und Se) als Siihnopfer auf 
Den Wltar der Maria nicder. 

Sofef atmet tief auf, erfebt fid) und ftreidjt itber die 
Heipen, fHhlummerlofen Augen. 

Dann greift er nach ben Schwefelhilzern und entgiindet 
ein neues Lidht. 


— 156 —- 


Er will jehreiben an ihn, den vertrauten, fieben Freund 
jeiner Sindheit, an den Defan Duncaczy. Wie lange 
blieb er ihm einen Bricf fehuldig! Bulegt erhielt er Nach- 
vicht von ifm aus Peft. Wie ojt hat er frither ben Kopf 
auf Die Knie 568 treuen Lehrers gedriict und ihm all die 
fleinen Eorgen und WAuagjte feines Kinderherzens gebeidhtet. 
Und der milde, Freundlich qute Mann, welder in Wahr- 
Heit ein Corger jeiner jungen Ceele war, fand jtets das 
rechte Wort und den rechten Trojt fiir die Verzagtheit 
feines Schitlers. Cr wird auch biesmal das Licht jein, 
welches erldjend den Gann der Dunfelheit brid)t, in 
welchem ein Menfchenhers ringt. 

Şofef uimmt voll bebender Hajt die Feder zur Hand 
und İdireibt. 

Regungslos, wie eine Marmorjtatue, fab Sues in dem 
Sejjel vor Dem Kamin und ftarrte mit ausdrucklofen, 
weit offencn Augen in die flammende Ghit. Meben ifr, 
an Dem Ddunflen Porphyrgefims, lehute Gojey und eröffnete 
Der Wlutter mit rubiger, aber fer fejter Stimme den 
Plan fener Şutimit, 

pbriefter willft du werden! Aus weldjem Grande?” 

yo Tüffe jchon feit langerer Beit das VBerlangen, 
mich biclem Beruf zu widmen, feit (ester Beit mehr ben 
je, und fo, wie die Verhiltniffe momentan fliegen, glaube 
ich jogar eine Berechtigung dagu gu haben, mein Leben 
in den Dicnjt Gottes gu fteflen, “ 

,Gine Veredtigung? Die Hat jeder Sötenid), dem es 


— 157 — 


mit feinem Glauben und der Entjagung alles defen, was 
ifm jonjt fieb und beqehrenswert war, Erujt ijt. — Sd) 
bin 3u ftrenggliubig, um je meinen Sohn wegen diejer 
BVerufswabhl 3u tadeln, id) bin aber andererjeits auc) Mutter, 
verantwortlich fiir Das Wohl und Web ihres Kinde3, Darum 
ftcht mir das Recht gu, jeine Plaine gu iiberwachen und 
gu priijen. Du fagit, bab du feit langerer Beit jdhon das 
Verlangen hegteft! — Sd) habe nie an der Wahrheit deiner 
Worte gezweifelt, Sofef, — in biclem ugenblicl thue ich 
e3. Du warft İtet8 gufrieden und qlüdfid) bei beinem 
Studium in Bonn, ja, du haft heimlich, aus Bajfion, noch 
im legten Jahr beridyicbene Bergwerksdijtrifte bereijt, weil 
Dein Kommilitone St. ein befonderes Bugenieur-Genie in 
bir enibedi 3u haben glaubte. Wir fiirdjteten fchon, bab 
bu dic) ganz und gar Ddiefem Beruf guwenden wollteft. 
Vom Klofter verlautete nie ein Wort. Welch eine Ver- 
anlafjung ijt e3 alfo, bab du dich ihm pliblich guwende[t?” 
Die grauen Augen der Fragerin rubhten fejt, mit burd)- 
Dringendem Sid ani dein übermüditigen Antlig des Sohnes, 
und Şofef wich diejem Blice aus. 

yun, id) dachte, Mama, das furcdhtbare Schicfjal, 
weldhes uns heimgefucht hat, ware BVeranlajjung genig, 
Den Sinn auf ernfte Bahnen gu Lenten.“ 

Sas geht bid) bas Sdhicffal der Gterfeyğ an?” — 
Er jchraf gujamnmen bei dem falten lang ihrer Stimme. 

posames Sterley war mein Stiefvater!” 

Son deffen Blut fein Tropfen in deinen Wdern freift! 
— Du büt ein Torisdorffj! Wer ijt im Ausland von 


— 158 — 


meiner Che unterridjtet ? — Wir werden dort wohnen und 
leben, ohne Daf ein Schatten diejer trojtlofen Vergangenheit 
uns bebelligen wird. Den Namen Sterley jiihre ich 
nicht mehr!” 

/ Mama ? 1” 

sues fegte jah verdndert beide Hande wie in bez 
jchwoirendem Flehen auf den erhobenen Arm de Sohnes. 
yd fann e3 nicht mehr! Sd) gehe baran 3u Grunde! 
Seder anİtünbige Menjc) wird mir das nachjiihlen und 
vergeben! Ja, wenn der Banfrott nid)t ben jurchtbaren 
Söetgefd)madi de3 VBetrugs gehabt hatte! Wher diefer Meafel 
— nein, denn fann ich nicht alS eingiges Grbe DdDiejes 
Mannes durch den Reft meines Lebens 1d)feppen 17 

Sojef jah leichenhaft blag aus, — jeine bebenden 
Lippen öffneten fid) gu leidenfchajtlider, rüdfidytsioier 
Antwort, wie fie ihm die Crrequng eingab, — gleichzeitig 
aber eridyütterte ein Huftenanfall die garte Geftalt ber 
Mutter, fo Hejtig, jo unheimlid) im Klang, bab Şolef 
voll jaihen Gdireds die Arme um die Ringende jdhlang. 

Sie war franf, ad) fo franf! Darf man noch mit ifr 
rechten wie fonjt? — Mein, gewifk nidit. 

Krantheit macht fo leicht egpiftifd), bitter und ungered)t, 
und bic Laft ber lebten Zeit war gu grof fiir dieje fchmadjen 
Schultern. 

Sofef brüdi die gebrechliche Geftalt an jeine Bruft. 
Gr antwortet nicht, jondern ftreicht nur liebevoll über das 
filberjtreifige Haar. 

Gie blidi wie in erwartungsvollem Forjden gu ihm 


— 159 — 


auf: ,,sojef! Gollen die fieben Jahre vergeblid) burdilebt 
fin? Gollen fie gar nichts genüğt haben? Collen wir 
wirflich Heute auf demjelben Bunt jtehen wie Damals, — 
alg Du jo ungern der Welt und dem Glick entjagen 
wolltejt 2 

,Die fieben Şafre waren nicht vergeblich, Mutter! 
Sie Haben fiir deine Gejundheit alles ermiglidt, was 
Dajiir erforderlich. war.” 

pour meine Gejundheit!” Jnes lachelte bitter: lm 
Derentwillen hatte id) fein Opjer gebrad)t, Boje!” Sie 
neigte fid) flüfternə naher: Sd) fenne bid) ja jo genau; 
id) meiğ e3 ja, wie €8 in Deinem Herzen ausjieht, als 
blidte id) in einen Spiegel! Sd) meif, weshalb du pliglich 
KRlerifer werden will{t, und ich verwebhre dir diejen Wunjdh 
nicht. Wber eine Bitte jpreche id) bir aus, und wenn du 
mid) lieb Haft, wenn du mein folgjamer, treuer Sohn bift, 
erfüllit bu fie!” 

əeprid), Mutter, fprich 1” 

Sie faft jeine beiden Hande und blict ihm wie be: 
{hwirend in die Augen: a Klofter wird nun und 
nimmermehr dein Glick jein, Denn das, was bid) hinein- 
treibt, ijt nid)t die Liebe gu Gott, jondern Hag und 
Veradhtung fiir die Welt. Darum pritfe du dich felbjt, 
ehe du bid) fiir ewig bindeft! Gelobe e3 mir in die Hand, 
wie einer Sterbenden, deren İebten Willen man erfiillt, 
bid) fitrerft nur in dem fchweren Beruf gu iiben, ehe du 
Dic) ihm dauernd hingibjt! Gdynöre e3 mir, noch drei 
Safre gu warten, efe du ein Gelitbde ablegit, oder die 


— 160 — 


Hohen Briefterweihen empfangit! Go lange lak den Weg 
offen, weldher bid) an das Herz der Mutter und in bic 
Welt şürüdfübril” 

pos) meib nicht, ob dies möüqfid) ijt, Mama!” ftöhnte 
Şofef leije auf, und prebte die Lippen auf die Hande ber 
Sprecherin. 

/ SS üt miglich! Wenn du e8 nicht meibt, fo weif 
id) e8, Gojef — Haft du mich lieb? 

Da finft er an ify nieder auf die Knie und brüdt 
das Antlig im die weichen Falten ihres Trauergewandes. 
yoda, id) Habe bid) lieb, Mutter, fieber wie mich felbft, 
und Darum gelobe ich bir, was Du von mir verlang{t!” 

Klaus war in Hohem Grade betroffen, al Ines ihm 
eine Stunde İpdter die Miittetlung von Sojefs überraidyen: 
Dem (Gntidfub madhte. 

Und du bilfigit diefen itbereilten Gdiritt, Mama?” 
jragte er beinahe vorwurjsvoll. ,,Das fann id) nicht glau- 
ben! Sojefs momentane weltjdjmerslide Etimmung lie 
Diejen Vorjag reijen! Gr handelt übereift und uniiberlegt! 
Wie faun ein Menjeh von einundzwangig Sahren, welder 
bic Welt noch qar nicht fennt, derjelben voll ümerfter Uber- 
gcugung entjagen! Das ijt Unnatur! Das wird fid) 
raden! “ 

prs) hoffe nid)it, Daf er Minch wird, jondern fid) nur 
fitr ben geijtlichen Stand enild)eibet 17 feufgte Sues tief au. 

p»Sleichviel, auch als Geiftlicher fchlicBt er mit dem 
Leben und feinen heiteren Geniiffen ab, wenigften8, wenn 


N.v. Efagftruth, SL Nom. ir Nov., Friihlingsftiirme I 11 


— 162 — 


er cin gewiffenhafter und frommer Şöricfter fein will, 
welder die jtrengen Pjlichten erfiillt, die man von ihm 
verlangt. 

BVerzeih meine Offenheit, Mama! Sd) fpreche als 
Protejtant, welder die Entjagung und Vereinjamung, 
welche euren Geiftlicjen vorgejchrieben ift, nicht begreift 
und nicht billigt. Hat Şofef denn tro$ feiner Jugend 
{don eine unglitcliche Liebe, welche ifn şur: Chelofigfeit 
pradeftiniert? — Mein?! Mun, dann hat er itberhaupt 
Die Liebe noch nicht fennen gelernt, und wenn fie dann 
fonmt, ift e3 gu fpat und fie wird gum Flud für ihn!” 

Snes bewegte guftimmend den Kopf, Thranen rollten 
über ihre Wangen: ,.O Klaus, wie bange id) um meinen 
Sohn! Cr fucht den Frieden und findet bie fchwerjten 
Hergzensfampfe, meldye ein Menfdh durchleiden fann! Jofef 
ift feit KRindesbeinen ein Pfadfinder gewefen, welcher fich 
Sdritt um Gdiritt auf dem Lebenswege vorwarts fimpfen 
mupte, — auch jest fteht ihm das Biel, nach meldyem er 
injtinftiy İtrebt, noch jern, ferner wie je, dent bie Bez 
jriedigqung, weltje er nad) feinen Charafteranlagen von 
Dem Leben und fetnem Wirfungsfreis verlangt, findet er 
im Rlofter und in der Kirche nimmermehr !” 

Rod it nicht da8 febte Wort gejprocen, Mama, 
und id) benfe mir, Die Frithlingsjtiirme braufen noc) ein- 
mal durch die Seele de3 Pfadfinders, um ifn in andere 
Bahnen gu verjdhlagen. Durc Kampf zum Sieg! — 
Gebe Gott, bab Vofef ein rechter Kampe fei!” 


— 163 — 


Eine cinfad)e MietSdrojfdjfe ftand vor dem Palais des 
ehemaligen Nabob, und der magere Gaul jentte jchlafrig 
Den Kopf gu dem föftfidyen Mojfaifpflajter, welches früfyer 
Die Huje des eleganten Viererguges ungeduldig gefdyarrt 
Hatten. 

oran Jne Sterley retfte ab, — und fie nam dicd- 
mal für ewige Beit WAbfdjicdD von all der Pracht und 
Herrlichfeit, welche fie Hier willfommen geheifen, al8 vor 
fieben Gahren ihr Fup die Schwelle zum erjtenmal 
itberjchritten hatte. 

Wie falfch hatte man Crcellenz Torisdorjf damals 
beurteilt, und wie faljch beurteilte man fie heute! 

Ehemal8 war mand) neidijcher Blick der reichen Frau 
gefolgt, welche von all den Millionen ihres Gatten S3efiş 
ergriff, welche al8 Herrin und Gebieterin in den fitritlidyen 
Söefib einzog und gewif voll Stolz, Glüd und Genug- 
thuung ihres Herzen3 Freude gar nicht gu lafjen wufte! 

Hatten die Leute recht? O nein! Reiner ahnte, wie 
jfehwer das Herz der reidjen Grau war, wie ungern, wie 
widerwillig fie diefes Haus betrat, wie fie diejen Sdhritt 
nicht al$ ein Glüd pried, fondern ihn in tiefinnerjtcm 
Herzen ein Opjer nannte! 

Und jebt, al mitleidige oder fchadenfrohe Blicke der 
Witwe des banfrotten Bantiers folgten und jedermann 
itbergenugt war, bab diejelbe als troftloje, berşmeifelte Frau 
fid) von Şöradit und Reichtum trenne, dap diefe Stunde 
bie bitterite und entjagungSreich{te ihres Leben fei, bab 


ber Sturg aus der Hohe blendenden Genujjes in die Tiejen 
11* 


— 164 — 


168 Elends fie rettungslos zerjchmettern mübte, — jest 
tönldyten fid) bie Menfchen ebenjo İef)r, wie fie e3 ehemals 
gethan Hatten. 

Leichten Herzen8, aujatmend wie erföft von einer 
erbrüdenben Lat, beitiey Sne$ die Drofdhfe, diefes be- 
jcheidene, armİclige Fahrzeug, in welchem fie fo lange 
nicht gefelfen, und welches fie frither doch fo ft ftolş und 
glüdfid) bejtiegen, wenn e8 galt, zu Felten gu fahren, wo 
bie Lafaien ben Drojehfenjcjlag ebenjo rejpeftvoll vor 
Shrer Ereelleng der Freifrau von Lorisdorff aujrifjen, wie 
fie {pater gleichgitltiq und gelafjen bie primfenbe Equipage 
ber Frau Kommergzienratin Sterley öffneten, 

Keine Thrane verjdjleicrte ben fid: der Witwe, als 
fie von einem Befig UAbjchicd nahm, weldher fie nie bez 
qfüdt, jondern ftets nur gedemiitigt hatte. 

Am Grabe ihres gweiten Gatten hatte fie ehrlicje und 
jehinerglidje Thranen aujfridjtiger Xrauer geweint, denn 
fie hatte James Frantlin Sterley alS braven und ehren- 
werten Mann geachtet und gejchabt und ihm alles Gute, 
was er an ihr und Şofef gethan, herglid) gedanft. Wud) 
jebt, als fein Mame durch fetne Firma an den ranger 
gefteflt war, madite fie bie Perjon ifres Gatten für das 
Unoglitceé nicht verantwortlich. Cr hatte fich leichtiinniger- 
weije müt Banthaujern eingelajjen, deren Unreellitat ifn 
mütrib und ihn jdwere Oper foftete; bend) wire ber 
unglitcfelige Sanfrott nie über feine eigene Bank hercin- 
gebrochen, ware er gejund und am Lcben geblieben. Sn 
ben Herrenlojen Belig aber war eine Meute gebrodjen, 


— 165 — 


verbrecherifd) in ben Echmuk gu reifen, was Lange Jahre 
hoch in Chren geftanden. 

Nein, James Franflin trug feine Shuld an dem Clend, 
welches Hereingebrochen war, und dennod) atmet nes 
erleichtert ani, al8 fie jedeS Gupere Band, welded fie noch 
mit ifm vor ber Welt verband, abitreifen fonnte. — Go 
ift e3 einem Menjcen zu Mute, welder jahrelang unter 
Dem Brwange der Pilidht eine fchmere Arbeit gethan und 
nun enblid) wieder Das Foch von fid) abjchiitteln fann, 
fret und glüdfid) gu jein. 

Sues empfand eS wie eine Crlijung, afs fie ber Bug 
abermals dem Giiden gufiihrte. Şofef begleitete bie Mutter, 
um jie in Mizza behaglic) unterzubringen, und da Lina, 
Die treue, erfahrene Pflegerin, ihrer Herrin zur Seite 
blieb, fo fonnte Yojef fie getrojten Herzen3 in biclem 
Paradies der Vergeffenheit guriictlaffen. 

Sn ber Heimat waren die traurigen Gefdyüfte bald 
geregelt. Klaus hatte alles, was er belab, hingegeben, 
um das grofe Defizit beden gu Helen, aber gu jeinem 
ehrlidjen und grogen Schmerz blieb dennoch gar mance 
Wunde ungeheilt, und diejes Bewufticin folgte ihm als 
eingiger Schatten in jein neues Leben Şinein. 

Alles Neue übt auf Heiter und qlüdfid) beanfaqte 
üenidyen ftets einen angenefhmen Neiz aus, und jo empjand 
e3 auch Klaus al8 etwas recht Originelles und Şünitler: 
faftes, alg er mit jeinem fleinen Roffer, welcher bie 
notiwendigiten Gifeften enthtelt, fernem Malfaften und dem 
mageren Geldbeutel nad) Miinchen guriicreijte. Wm fym- 


— 166 — 


pathifehften ware e3 ihm fdjon gewejen, er hatte fo gang 
alg Wanderburjdh mit Rangel und Stab gu Fup durch 
Die Welt giehen finnen, dazu war aber das Wetter nod 
gu wenig cinlabenb, und ohne Malftudien im Freien 
machen gu finnen, hatte fold) eine Scholarenfahrt dod 
feinen rechten Bivett. 

Auperdem trieb e3 ihn voll fieberijchen Cijers an feine 
Arbeit girildi. 

Gr hatte wohl feine gang bejonderen und eigenen 
Gedanten babet, wenn er fo İdinell wie nur möqlid) etwas 
Bedeutendes fchaffen und ein renommierter, gut beşal)lter 
Meijter ber Runjt werden wollte. 

“Şofef hatte die erften Nachridten aus Meiinchen recht 
mit Gorge erwartet. 

Gr begriff nicht, Daf Klaus fo harmlos und feelens- 
rubig nad) Mtiinchen gurriidfehrte, wo man thn als 
Milliontr gefannt und refepeftiert hatte, wo man genau 
liber bie entjeblide Banfrottaffare unterrichtet war und 
e3 ben ehemalS fo viel beneideten RKunjtfchiiler ficher 
empfinden lief, bağ das Glick und die Gunjt der Welt 
gar wandelbare Dinge find! 

Um fo überratditer und froher war er, al8 Klaus fer 
avİrieben und wobh{gemut von feinem Crqehen bericdhtete, 
€$ gar nicht genug rithmen fonnte, wie rüdfid)töooll und 
unverdndert treu feine Freunde ihm begeqneten, wie er 
liberall genau fo lieben3wiirdiq und gut aufgenommen 
werbde, wie ehemal3 als Sohn 5e8 reichen Manne3. Nod) 
empfinde er İcine Verarmung in nichts, ja er bediirfe nidt 


— 167 — 


einmal ber ganzen Bulage, welde Şofef ihm fo grofmiitig 
bewillige. Gr lebe jebt fo viel billiger, weil jo gar feine 
Anforderungen mehr an ifn gejtellt wiirden, und das 
Sparen und ,,fic) nad) ber Decke ftreden” Habe dod) auch 
einen grofen Reig! 

Gr habe fid) ehemals nidjt annahernd itber eine Taujend- 
Pfund-Mote jo gefrent, wie febt iiber ein erfparte3 Mark: 
itüd1 Welch ein ftolge3 Hochgefiihl werde es erjt fein, wenn 
er felbjtverdientes Geld anf den Tifch gahlen finne! — 

Sa, Klaus war eine befonders glüdfid) beanlagte 
Natur! Was er anfing, jdlug ihm gu Glick und Freude 
aug. Gelbit iiber die bürteften Schicfalsjclage fete er 
fid) ohne Kampf und Ceelenpein, voll Freudigfeit und 
örilde hinweg, und wo er Hinfam, flogen ihm die Herzen 
au, gleichviel ob er al8 Sohn des Nabob oder als blut- 
armer Runjtfchitler an die Thitren flopfte. 

Klaus jpringt lachend iiber bie Dornen hinweg und 
pfliict die Rofen vom Strauch, — Şofef aber müf, fid) 
mithjeliq feinen Bfad durch die Dornige Wildnis bahnen, 
mug ringen und bluten, müb: fid) bie Hande wund und 
bie Hiipe matt fampjen, und wenn er glaubt am Biel zu 
jein und die Bitten pflitden will, jo entblattern fie gwifdhen 
feinen Fingern und madjen ifn drmer noch denn şır. 

Dennoch neidete er dem Stiefbruder micht ben jon- 
nigen Weg. 

om Gegenteil, er empfand  biefen Wusgleich wie eine 
Genugthuung. Er fiebte Klaus von Herzen und ginnte 
ihm das Glüd, weldes ihm felber verjagt jdien. 


— 168 — 


Das heitere Naturell und die jchaumend frofe Lebens- 
lujt Des Greundes war nod) das lebte, jdjmale Band, 
meld)e8 ifn an bie Welt feffette und ifn unbewuft şı 
Derjelben guriidzog, wenngleid) er voll jcdhwermittiger 
Selbjtfajteiung eigenfinnig in einen Weg einlenfte, welcher 
weit ab von ifr und der rollenden Kugel des Glüdes 
fiihrte. Klaus fannte Das Zauberfadlein, an weldjem er 
das Herz de3 Gruders Hielt, und Demadite e3 in fejter, 
treuer Hand. — 

Wahrenddefjen hatte fid) aud) die neue Lebenswende 
Torisdorffs in ihren erften WAnjangen bewahrheitet. 

Gein Brief hatte den Defan Duncaczy nach langeren 
Strjahrten aujgefunden, und jeine Antwort tray umgehend 
und fehr eingehend und herglich ein. 

(68 beriifrte den treuen Lchrer und Seeljorger 568 
ehematligen Knaben gang befonders jympathijd) und herg- 
erquicend, baf ber Bug frommen Glaubens und religtöfer 
Schwarmeret, welchen er fo forgjam gepflegt und gebiitet, 
nicht in Dem breiten und wiijten Strom 566 Lebens unter- 
Gegangen fei, jondern den jungen Mann voll Heiliger, 
elementarer Gewalt dod) nocd) dem Beruf entgegentreibe, 
anl welchen ihn fein gange3 Sein und Wejen jeit Rindes- 
beinen an hingewiefen. 

Defan Duncaczy erad)tete den Wirfungsfreis eines 
$ilerifer8 af8 den eingigen, welcher der bedrangten und 
bedrohten Menjdhenjeele wahren Frieden und wahre Bez 
friedigung geben fonne. 

Er felbit hatte alle Sittermiffe und Züdem, alle Ente 


— 170 — , 
tiufdjungen und Harten be3 Lebens burdifoftet, ehe er, 
fdon al8 alternder Mann, nod) den rechten Weg gum 
€d)o$ der Heiligen Kirde gefunden. Bhm hatte fie Rube 
und Frieden gegeben. 

Nun lebte er in gejegneter, ihm bejonders zujagender 
Thatigkeit, er mad)te über junge Menjdhenjeelen und 
‘Teitete fie bei Zeiten, ehe ber Sturmwmind des Lebens fie 
‘fajjen und die Whgriinde ber Welt fie verfdlingen fonnten, 
auf den Weg bes Heils. Cr mar dem Ruf eines ihm 
wohlwollenden Bijdhofs gefolgt, und hatte eine Stellung 
alg Lehrer an einem geijtliden Geminar angenommen, in 
weldem junge Manner fiir den Priefterftand ausgebildet 
"purben, 

Bejagtes Seminar Dbefanb fid) in R—burg, ber ein: 
tigen Refidengftadt ber Siebenbiirger gürİten, deren burg: 
jartiges Schlop von Kaijer Şarf VI. erbaut ward. 

Duncacgy befleidete das Wmt eines Prafeften und 
theologijden Şörofellor3 in dem Qujtitut, weldjes neben 
bem Reftor, al$ oberjten Patronatsherrn dem Bijdhof 
unterjtellt mar. 

Von dem Leben und Treiben der WAnjtalt, meld)e ben 
Rang einer Univerjitat einnahm, fdjrieb der ehemalige 
Defan nicht viel, nur in eingelnen groben Biigen İdil: 
berte er, bağ die Bucht und Ordnung eine fehr jtrenge 
und woblgeregelte, aber das Leben ein itberaus harmo- 
nijdes, Herz und Seele erquiciendes fei. Cr ftellte e3 
Sojef anbeim, dap, fall er in Deutjchland verbleiben 
wolle, er nad) abgelegter Matura auf eigene Kojten die 


— 171 — 


Univerfitat weiter beziehen miijfe. all er aber geneigt 
jei, nad) Ojterreich itberzufiedeln, jo made er ihm ben 
Vorfchlag, das Seminar in KR—burg gu begiehen, um 
feine theologijdjen Studien dort gu beginnen. Daf died 
alg eine grofe, unbefchreibliche Freude von ihm, feinem 
alten Lehrer und Freund begrübt werden wiirde, İci felbjt- 
beritünblid), und darum İdiftebe er dieje Beilen in der 
beglüdenben Hoffnung, den teuren Schiiler bald wieder 
alg einen foldjen in die WArme fchlieBen zu fömenl 

Heike Glut freudiger Uberrajdung brannte auf Şofef3 
Stirn, als er ben Brief gelejen. 

Welch eine erjte Gunftbegzeugung de3 Schickfals, ihm 
berart ben Weg gu ebnen. 

RKonnte e5 Beffercs und Verlockenderes für ihn geben, 
al feine Wege mit denen des teuren Freundes aufs neue 
3u vereinen? SKonnte fid) feine Zufunft jemals fidyerer 
und gejegneter geftalten, wie unter diejer Fihrung? Und 
weld) ein gitnjtiger Umftand, dag Duncacgy ihn nach 
Ojterreich rief, nach diejem Land, welches ifm fieb und 
jympathijch war, welches er eine 3weite Hetmat fitr jeden 
Deutjdhen nannte. Dort it er unbefannt und weltentriict, 
bort wird er vergeffen und bald von denen, welche er 
flieht, vergeffen fein. Hier gab e3 fein Uberlegen mehr, 
Seofefs Schickjalswiirjel war gefallen. 


JANN 


Cass Sy 


YAİNI 


SING 


İNA 


dani 


355 


aS 
NGS 


NPAT 


VOL 


wei Sahre waren vergangen. 

Şofef befand fid) in R—burg und fiiblte fid) 
* Seinen Griefen nach gu urtetlen, qlüdlid) und gü 
frieden. WflerdDings ftarrte JneS oft gedanfenverjunfen 
auf bie Beilen, aus weldhen jie viel mehr las, al8 ber 
Schreiber wohl abnte. 

Durch) all die eifrigen, beinahe allzu bringfidyen Ver- 
fiderungen, baf, er Hier die gejuchte Rube und eine ihn 
hoch befriedigendDe Thatigfeit gefunden, flopfte dDennoch ein 
junges Menjchenherz, an meldyem ein heimlider Gram 
nagte, in welchem ein ungeftilltes BVerlangen brannte. 

Alle Cinfamfeit, alles Studieren, alles Beten fonnte 
bie Erinnerung nicht lojchen, und irgend ein geheimnia- 
volles Ctwas in Ddiejer Crinnerung quilte den jungen 
Rlerifer noch ebenfo, wie ehemals den Studenten. 

Was aber war es —? Was! ? 

Sues war franf, frünfer wie je, und bic rapide finfen- 
ben Şörperfrüfte Hatten auch den Geijt ermatten lafjen. 


2.7 


Sie hatte ben Ediaribfid verloren, eine mübe Şnboleriş 
bemüditiqte fic) ber Dahinfiedhenden. Sir Leben lag hinter 
ifr wie ein Traum, fie mifdite bie unangenehmen Jahre 
aus Ddemjelben fort, wie man eine İtörenbe ZBeidnung Töfdit 
und flammerte fic) mit all ihren Gedanfen an eine Beit, 
weldje die Verfirperung alles Glüdes für fie bedeutete. 

Und in dem milden Dammerlidjt ferner Vergangenheit 
ging bie Gegenwart unter. Gelbit bas Schicjal ihres 
Sohnes war nicht mehr die brennende Frage, welde fie 
ehemal3 Tag und Nacht befchiftiqte. Sie hatte fid) üiber- 
geugt, baş, alles Menfdjenwerf nur unvollfommenes Etüd- 
wert ijt, bağ unjer Bemiihen und unjere Plane Dunjt- 
gebilde im Hauch de3 Crwigen find. 

Sie hatte fieben Fahre an dem bermeintfidyen Glick 
ihre3 Rindes gearbeitet, ba fam Gottes Hand und ftiirzte 
iiber Nacht, was fie mühreno diejer langen Beit voll 
fel und Opjermut aufgebaut. 

ypmeine Wege find nicht eure Wege!” fpricht Gott 
Der Herr. 

Mun hat fie Den Lebensweg ihres $tinbes ihm an- 
Heim gejtellt. 

38a8 ifr ein Unglicl diinft, manbelt fid) unter der 
Suhrung de3 Herrn wohl gum Gli. Mag Şofef darum 
ein 3örtefter werden oder nicht, jeine Wtutter wird feine 
YMüne nicht mehr beeinfluffen und nicht mehr gu freugen 
juchen. 

Die Hinde im Shop gejaltet, wie ein bleiches, wejen- 
{oje8 Traumgebild liegt die Kranfe in dem bequemen 


— 1/4 — 


Rollftuhl, weldjen fie faum noch verlift. Bhr Haar 
glünşt wie unter bem Rauhreif, welder ene Blume traf. 

Moc) immer eine ideale Crjcheinung, şart wie ein 
Haud, vornehm und elegant bis in jede Requng ihrer 
wad)sbleidhen Fingerjpiten, traumt fie mit tief umjdhatteten, 
weit offenen Augen in den blauen Gonnenhimmel empor, 
welder fid) itber Montreux und jeinem leuchtenden See 
mölbt. 

Die Alpen ragen voll ftilfer Xayeftüt in bie Sonnen- 
glut empor, bas Thal hat fein fchimmernd weipes Nar- 
giffengewand abgejtreift und fid) in ben Dduftig tiefqriimen 
Mantel de Sufi gehillt, beraujchende Duftwogen İtrömen 
aus dem Garten ber Printanidre empor, in deren reizen- 
ber Stille die Freifrau von Torisdorjf Wohnung ge- 
nommen. 

Hierher hat man die Krante vor dem allzu tropildyen 
Klima Stalien3 gefliicdjtet, und nun fteht ihr Rollftuhl 
an? dem grofen, überidyatteten Balfon, welder ihre jtille, 
einjame Welt bedeutet. 

Niemand fennt fie in ber Villa und auch fie fennt 
feinen. 

Gie meiğ nicht einmal, wer auger thr unter diejem 
Dache wohnt. 

Gie fieht niemand und wird nicht gejehen, weltfern, 
abgefdlojjen von allem Vertehr, welft fie einjam bağın, 
wie eine Bliite, fiir weldje ber Şerbit gefommen. 

Seit vier Tagen ift Şofer gum ehd) eingetrojjen. 
Der Argt hat ihm Mitteilung über den beforgniserregenden 


— 175 — 


Biritanb ber Mutter gemacht und ber junge Mann eilte 
unvergiiglic) gu der teuren Rranfen, ihr den jefnlicdjten 
Wunjdh eines langeren Beijammenjeins 3u erfiillen. 

Die erften Tage fag er voll zartlicher Liebe, die Freude 
de Wiederfehens in vollen Şüqen geniefend, neben dem 
Lager der Mutter, — wie viel qab e3 3u fragen, wie 
viel gu antworten! Und wenn die Lippe İdymieg, jo İprad) 
bod) das Auge all die Uberfitlle der Hergen aus. 

Sofef febte nur fiir die geliebte Kranfe, ihr ffeines 
Reid) and) zu feinem ausfchlieflicjen Wujenthalt machend. 

Voll Cniziicfen weilte Jnes Blick auf dem ftattlich 
idiönen Sohn, bei weldjem die Whnlichfeit mit dem ritter- 
lid) eleqanten Vater immer fprechender 3u Tage trat. 

Hoch und ftol; aufgerichtet, frdftiq entwicelt und in 
jeinen Berwegungen voll ruhiger Sicherheit, gfid) er in 
nichts mehr dem blafjen İdymüditiqen Fingling von ehe- 
Dem, jondern fdhien die Soldatennatur der Torisdorffs 
bennod) geerbt gu haben und fie jelbjt in Goutane und 
Cingulum nidit verleugnen gu finnen. 

Die duntelblaue Reverenda fleidete die İd)fanfe Gejtalt 
vortrefflid), das fchmale, vornehme Wntlig mit dem tief- 
ernjten, Durdhgeifteten Wusdruct İden die ideale Bor- 
fteflung gu berförperm, welche fid) der Lefer von einem 
Gffehardt bildet, und e3 gab in $$ —burg wohl mand)es 
Auge, weldhes voll warmbergzigem Jntereffe der einneh- 
menden Erjcheinung de3 jungen Rlerifers folgte. 

Snes feujgte oft Şeimfid) und jchmerglich ani, bab 
Dieje Herrlidje Geftaft, welde in Uniform oder Trefjen- 


— 176 — 


fleid fidjer eine Hhervorragende Rolle auf dem Parquet 
gefpielt haben wiirde, nun in flofterhafter Stille und 
Cinjamteit, freud- und Lieblos dahinjchwinden folle, aber 
fie blicte voll fchweigendDer Ergebung zum Himmel, und 
war andererjeits auc) Gdyimürmerin genug, die wehmiitig 
ernjte Poefie, welche gerade in bicfer Pricfterer{djeinung 
lag, fdjmerglic) füğ im tiefften Hergen zu empfinden. 

(5 war ein jdwiiler Tag gewejen. 

Die Sommerhige faftete auf dem blendenden Wein- 
berggelinde und ber See flimmerte und fraujelte wie eine 
Scale voll fodyenben Wafers, welcher heife, lahmende 
Diinfte enifteigen. Die Kranfe fiihlte fid) bejonders matt 
und rubebediirftig und og fic) frither noch wie gewihn- 
lid) şur Machtruhe guriich. 

Gie jtretchelte liebevoll die Hand des Sohnes. 

yu Şaft die ganşen Tage fo ftill bet mir auf dem 
Balfon gejejjen, Soft, und bijt bod) gewik weite Spazier- 
günge und nervenftirfende Bewegung gewohnt! Wenn 
id) zum Schlafen gehe, fangt für andere Menjejen erjt 
Die erquicende Beit der WAbendfiihle und Erholung an. 
Willft du nicht auch einen Spaziergang machen, Darling? 
Sieh bir Montreuy mit all İcinem bunten Hotel= und 
Bazarleben an, e3 wird bid) amiijieren und zerjtreuen! 
Tünd) ein Gang nach Hotel Byron ijt 10))nen5, und unjer 
interefjante3 Vijavid, Chillon, jahft du iiberhaupt noch 
nicht in ber Mahe! Geh, du Lieber, braver MKranfen- 
barter, und eririld)e bid) in Gotte3 jdiner Natur!” 

Sofef fiigte die mageren, burdifiditiq blajjen Finger. 


Nv. € id ftruth, IL. Rom. uw. Nov., Friblingsftiirme TJ. 12 


52:25 


,Ginen Spaziergang unternehme id) wohl gern, Mama, 
und da bu mich Hier nicht mehr gebraudjen fannijt, folge 
id) Deinem guten Rat. Im Thal ijt e3 aber wohl noch 
allgzu fcwiil und dumpfig, e3 gieht mid) mehr hinauf in 
Die Berge, wo die Freiheit wohnt!” 

,Ou mit: aber nidjt gu weit gehen, bağ du bid) 
nicht berirrit.” 

,Unbeforgt! Bch bleibe auf dem Weg, fuche mir ein 
fines Plabchen und nehme ein Buch vor. Sd) war 
erjchrectend faul in diefen Tagen und doch macht die 
Dogmatifa fo viele Wnjpriiche an mich. So fchlaje wohl, 
mein Herzensmutterden, trüume fi und rube gefimə 
und üngftiqe bid) nicht um deinen baumlangen Rerl von 
einem Sohn, welcher bet diejer Temperatur mabrlid) feine 
Geliijte für weite Bergtouren verfpiirt!” 

Wenige Minuten fpdter ftand er, ein Biichlein über 
RKirchenredht und Seelenhirtentum in der Hand, auf dem 
Kiesplagk vor der Villa Printaniére und überlegte, wohin 
er fid) am bejten wenden folle. 

Seitlich auf einer unter Nojenbiifchen verjtecten Bank 
fag ein alteres Chepaar, anjcheinend in hejtigem Wort- 
wedhjel, Denn die jcharfe Etimme der Dame fang im 
hichjten Disfant gu ihm feriiber, wiahrend der fleine, 
etiba8 verwadjene Herr mit dem pergamentfarbenen Ge- 
jicht voll verbijjener Wut fetfer vor fic) hin şır raijon- 
wieren İdyen, 

Mit einem inftinftiven Gefiihl hich{ten Unbehagens 
wandte fid) Şofef ab. 


— 179 — 


Vor ihm lag, ticfer unten an der ftattlidjen Garten- 
mauer entlang fiihrend, die Chaujjec, bunt belebt von 
gahllojen Spaziergaingern, Reitern, Wagen und Weinberg: 
avbeitern. ©8 hajtete, Drangte, job fic) im farbigem 
Schwarm borüber, Staubwolfen wirbelten Hinter einer 
RKavalfade ejelreitender Englander auj, und cine Penjion 
junger Madden wand fid) al Schlangentinie, lachend 
und jherzend, jenjeits des CijenbahndDamms am Ufer des 
Genjer Sees entlang. 

Diefer Anblice eines lebensjrofen und itppiqen Landz- 
jehajtsbildes hatte wohl jeden anderen jungen ian anz 
qelodt, fid) in bicle farbig heitere Gefelfidyaft gu begeben, 
und mit bem Strom von Lujt und Gdyerş mitzujchwimmen. 

Den weltjeindliden jungen Klerifer beriihrte Ddiejer 
Anblice jedoch unfympathijch, wie ihm jedwede öşröblid)- 
feit al frevfer İlbermit, jede vergniigte Miene als cine 
Larve für Leichtjinn und Treulofigfeit erjchien. 

Er fonnte folche Gefithle des Frohfinns nit mehr 
teilen, feit bie Vergangenheit jo jdwer und qualvoll auf 
ihm laftete und ihm jede forgloje Stunde vergallte. Gr 
empfand bie Dajeinswonne anderer Vlenjchen wie einen 
Vorwurf gegen fich, ber die Opfer 568 vaterlichen Bant- 
rotts im Clend und in ber Vergrweijlung belajfen, an- 
ftatt ihre Thranen müt feinem Geld gu trocken. 

Diefer Wurm nagte noc) immer an jeinem Herzen 
und entfremdete ifn mehr und mehr einer Welt, welche 
ihm fdiftefb lid) gum Zerrbild franthafter Wahnvorjtelling 


gu werden drohte. Mit diifterem Blick wandte er fid) 
12* 


— 180 — 


von der menfdenbelebten Chaujjee ab und blicdte in das 
Sölütenmeer de3 ftillen Garten3 Binein. Cr fdyien feine 
Anlagen weit an dem fliiftigen Berg empor zu fchieben, 
wild romantijd) Todten die Feljenbildungen grijcen den 
ranfenden Gebüldyen, durch welche fid), fcaumend in 
fiyroff abjtiirzendDem Sani ein Badhlein zu jehlangeln fchien. 

Weld) ein tiefer, wonniger Frieden winft da oben 
unter Den raufdenden Baumfronen des Walde3! Welch 
cinen 3fustfid mi ber FelSvorjprung gewiahren, welder 
fid) , übermud)ert von Brombeerranfen burd) das tiefe 
fammetige Grimm fchiebt! — 

Hodaufatmend wandte fid) Şofef dem einfamen Weg 
gu und ftieg ritftiq bergan. 

Anfanglich jchlangelte fid) ber wobhlgehaltene Gandiweg 
be8 Gartens in müfbiger Steigung empor, Gebiifde von 
Laurostinos, wilden Rojen, LebenSbiumen und Tolle 
firjden, von Pyrus und ftarfdujtendem Gaisblatt, gra- 
gidjen Mandelbliitengweigen und breitblatterigen Feigen 
jaumten ifn, weiche Rajenflicen dehnten fid), von bliihen- 
Den Blumen itberfat, gu den Seiten, und dann ging 
Die Kultur in anmutige Wildnis über, hodjragende3 (ez 
büfld) bildete dichtere Gruppen, FelSgeftein baute fid) 
malerifd) auf und dagwijden platid)yerte und jcaumte 
e3 voll fecfer Wanderlujt gu Thal, — das jchmale Sil- 
berband be Badhleins, welches hoc) von der Alpfirne - 
nieberflattertel 

Weld) eine Luft! — 

Balfamijfch und erquicend webhte fie um bie Stirn, 


— 181 — 


gejdjwangert von dem Duft bitterfid) aromatifder Krauter 
und berber Bergblumen, von dem weiden Hauch de3 
Waldodems, welcher nod) den Sub der Sonne trügtl 

Drunten dent fid) gleich) agurnem Grund, iiber wel- 
chen magild)e Silberlicdhter jchiepen, ber See, und aus ihin 
empor wachjen bie: gewaltigen, impojanten Bergriejen, 
itberhaucht von zartem Dunjtjchleter, gezeichnet mit rojigen, 
violetten und goldjarbenen inten, İdyattiert vom flaum- 
weidhen Taubengrau bis gu dem Ddiifteren Dunfel giih- 
nender Sch{uchten. 

Rein und flar geichnen fich die Şonturen gegen den 
Himmel, welder iiber ben Savoyer Alpen wie eine flecken- 
fofe Rryftallfugel jchwebt, — dritben aber — von Lau- 
janne herauj — fteigt eine blaugraue Wolfenwand, einen 
İdmalen tiefdunflen Schatten an? den Spiegel de3 Sees 
werjend. 

Soflef jteht ftifl. und fchaut voll trunfenen Entgiicfens 
auf bie Pracht vor feinen Blicken, welche fo weit, fo gez 
waltigq, jo qöttfid) fchin ijt, bağ alles Menfdhentum wie 
ein Atom in jolcher Unendlichfeit vergebt! 

Kein Laut fteigt gu ifm empor, welcher baran mahni, 
dak Menfchenwik und Menjchentiicfe diejes Paradies 
entmeibtl Die Welt ijt jchin itberall — wo der Menjcd 
nicht Hinfommt mit jeiner Qual! — 

Und Hier wohnt weltferne, zauberhajte jdhine Gin- 
famfeit! — 

Jofef fteht und jchaut fid) fatt an bicfer lidten Gottes- 
welt, und fein Herz wird grok und weit, es wadjen ifm 


— 182 — 


ölüqef und tragen e3 hoch empor in wonnefame Traume 
von öyrieben und Glüd, Welch eine Wehmut — weld) 
eine Gehnindit burd)ibebt ihn pliglich? — Wie Heimmeh 
iiberfommt e3 ihn, wie Heimweh nad) dem Glick! — 
Wie ift er fo allein! — Wie arm, wie elend in Ddiejer 
reid)en Welt. 

O, dak feine Mutter Hier neben ihm ftiinde! Dap 
er eine gleichgefinnte Geele finde, Worte des jeligiten 
Empfindens, der reinjten Harmonie zu taujdhen! Die 
Schinheit wird erjt dann voll genoffen, wenn die Lippe 
ibr Lob ausjprecjen fann, wenn gwet Menjdhenjeelen in 
einem anbetenden Cntzitcfen verjcmelzen! 

Seine Mutter! 

Wie lange wird er noch in ihre Wugen fcéhauen fömernl 
Wie bald wird er das eingig Liebe, was ihm nod) ge- 
blieben, dahingeben miijjen, und banı — — ijt er gang 
allein! 

Gün tiejer, qualvoller Geufzer ringt fid) von Yofefs 
Lippen, er ftretd)t mit ber Hand angjtvoll über Die Stirn, 
er bari und will dicjem Gedanfen nid)t Naum geben. 
(68 ift genug des Sdhweren, welches jein Herz belaftet. 

Aber die Sehnjucht Tübt fid) nicht gebieten, die ge- 
betmmispolle, webmiitige Gebnidi nad) dem Glüd, 
welde in jedem WMenjchenhergzen, und habe cS fid) noch 
fo menjdjenfeindlic) von ber Natur abgejchlojjen, wobhnt. 

Und jo jebt er fid) auf Dem moofigen Felfen nieder 
und ftiigt Das Haupt in die Hand, ofne bas Lehrbuch 
aufzujchlagen, weldje3 er mitgenommen. 


— 183 — 


Vor ihm liegt das paradiefijd) jchine Land, itber 
weldhes die erjten Gdileter ber Dammerung weben, und 
e3 Bat für die felbjtqualerijdhe ört 568 jungen Mannes 
einen bejonderen Reig, fid) der ttefen Melandholie diejer 
Ginfamfeit hingugeben. Die Gedanfen giehen hinter jeiner 
Stirn wie ein Edymarm aufge|dheuchter, jhwarzer Vogel, 
welche mit ifren Sdhwingen bie Sonne verdunfeln. Şofef 
merft e2 nicht, wie bie Wolfenwand hiher und hodbher 
an dem Himmel emporfteigt, wie fid) bie Flut des Sees 
immer Dunfler farbt, wie ein leichter Windhaud) burd) 
Die Wipfel jtreicht gleich einem Vorboten erlifend fihler 
Nacht. 

Smmer fehnjuchtsvoller und todtrauriger brennt das 
Herz in feiner Brujt, und bie Vereinjamung, das bleiche, 
leisfchluchzende Weib, fteht neben ifm und legt ihm die 
Hand auf das Haupt, jchwer — jchmer, wie Berges- 
lajten empfinbet er fie, niederdriicend — als gringe ifn 
fon jebt unficjtbare Gewalt Şinab im das fiihle Kam- 
merlein, wo eingig ber Hrieden und die Vergejjenbeit 
wohnen. 

Da bebt er unvillfiirlich gujammen und bict ver- 
wirrt auf. 

Werterleuchtend zucen die Blige durch die fernen 
Wolfenmafjen, und gang in dev Nahe tingt e3 plötlid) 
burd) die fchwiile Stille, — eine Stimme — meti) fla- 
gend, unbefdireiblid) traurig und jcpmergdurchbebt. 

Wie eine, goldene Hammerlein jcdhlagen die fiifen 
Tine an fein Herz, fo beutfid) in der laren Bergluft, 


— 164 = 


bah er ein jedes Wort verjteht. Wie ein Echauer voll 
wounigen Webhes überricielt e3 iu, atemlos laujdyend 
febt er Das Haupt. 

/Aus der Heimat, Hinter ben Bligew rot 

Da fommen die Wolfen Her, 

Aber Vater und Mutter find lange tot, 

65 fenut mid) dort feiner mehr! 

Wie bald, wie bald fomnit bic ftille Zeit, 

Da rue id) auch, und iiber mir 

Raujchet die İd)öne Waldeinjameeit 

Und feiner feni mic) mehr Hier!” 


Leife, wie in Xhrdnen eritidt, verflingt bie Stimme, 
und Şofef nidt wehmiitiq vor fid) Şin, tiefatınenb, wie 
befangen von unjidjtbarem Zauber. 

Tieje Stille, nur leis girpende Laute im Gras, mir 
ein feines 3ölattgeflüfter im Wind. 

Şoflef macht eine unrubige Bewegung. 

Warum fingt fie nicht weiter? 

Dieje Stimme — Ddiefe traurigen Klange thun ifm 
jo wobl, fie lafjen vermandte Gaiten in feinem Herzen 
ergittern, — fie jprechen voll weidjer Qunigfeit juft das 
aus, was er empfindet. 

Hord), — abermals erflingt 66 fo web, jo namento3 
betriibt, baf e3 ihm burd) Mark und Bein geht: 

/Serlaffen! verlaffen — verlafjen bin t — 
Wie ber Stein auf der Strafen — — 

Weld) eine Melodie! welch eine fchlidjte Wahrheit, 
weld) ein Empfinden zittert Durch fie Hin! 

Şofef lehut das Haupt şürüd und fdiliebt: die Wugen. 


— 186 — 


Seine Hinde ruhen gefaftet im Scho, und feine Seele 
trinft in ticfen, Durjtigen Şilgen bic wunderjame Zröftimi, 
welche in jolch gemeinjamem Hergeleid liegt. 

nda Fe t mi niedDer — 

Und meti mi recht aus! —” 

Sa, weinen! — weinen! uch ihm ijt e3 plöblid), 
alö perle e8 Heif an jeinen Wimpern, und doch üt 
ihm jeit Sahren nicht fo wohl gewejen, wie in bicfem 
Augenblick. 

(s liegt eine göttlidye, qeheimnisvolle Gewalt in der 
Mufif. Sie webt unjichtbare Faden von einem WMenjchen= 
erg gu dem andern, — fie eint in fiifer Harmonie, 
was fid) ewig fern geftanden, fie fübrt einanber zu, 
was fid) fremd ift, fie itberbrüdt Den Wbgrund, welcher 
gwijchen get: jchmergzgequalten Herzen gahnt und lapt 
fie voll eigen Cmpfindens zujammenjchlagen in ber 
einen groben, Heilig leuchtenden Flamme innigen erz 
jtehen3. — 

2 finge, finge weiter!” mödite Şofef voll leiden- 
{hajtlicher Crrequng rufen! ,,Wen möditen: deine Lieder 
und Klagen tiejer ergreijen wie mic)?” — Aber bic jiige 
Stimme ijt verhallt, es bleibt jtill, nur fernher platjchert 
ber gejdhwabige Bach und durch die Laubfronen jaujelt 
e3 wie ein WAbendjegen. Das Haupt in beide Hande 
geltilbt, verharrt Şofer im requngSlojem, jehnjiichtiqem 
Laujden. Nod) flingt das Göebörte in jeinem Herzen 
nach und erfiillt ihn mit unbefdjreibliden Wonnen der 
Welmut. 


— it — 


Das, was er fid) İpeben nocd) voll unbeswinglider 
Sehnjucht gewiinjdht, eine gleichgejtimmte Seele, welche 
fiihlt und empfindet wie er, Die hat er wie durch Holden 
Bauber gefunden. 

Gin Herz hat fid) ihm erjchloffen, — unbewugt und 
ahnungslo3, aber wahr und gang — bis auf den tiefjten 
Grund. 

Da quoll in geheimer Rlage itber die Lippen, was 
fonft wohl feines Menjchen Ohr von ihnen vernom- 
men, ba jpiegelten die todeswehen Lieder all das Clend, 
welcjes tief beritedt in ber Brujt der Sangerin rubte. 

Cinjam! einjam und perlallenl lieblo3 und freud{os 
wie er! 

© wie wohl e8 thut, gu wiffen, bağ e3 noch mehr 
Eticifinber de3 Glüdes gibt! 

Gemeinjam Leid ift halbes Leid! 

Warum aber — warum ijt auch fie ungliicklich ? 

Die Stimme flang fo meid), jo jung, — 10 von 
warmjtem Gefiihl durdhbebt, — wem gelörte jie an? 

War die Unbefannte Frau oder Piaddjen? 

War fie thin oder haplich? 

O, thirichter Traumer, der er ift! Was fidit ihn 
etm İold)e$ an? — (Gine8 wei er ja beltimmt, das 
cingige, was er wiffen will und gu wifjen braudt — 
nite trügt ein fchweres, troftlojes Gejchicl wie er!” 

Etürfer weht der Wind den dunflen Wolfenmafjen 
voran, tiefer und tiefer finfen bie Schatten. 

Die roten Blige guclen hin und wieder, und bird) 


— 188 — 


Solef3 Seele gieht e3 wie ein traumverlorenes Echo: ,,WAus 
der Heimat — hinter den Bliben rot — da fommen 
bie Wolfen her.” — Aber fein Haupt hebt fid) jreier, 
leihter wie guvor auf den Echultern, die Vereinjamung 
fteht nicht mehr neben ihm, fie it Hand in Hand mit 
Brau Sorge weitergewandelt. 

Nun atmet er auf, wie erldft von jchwerem Bann. 
Er weif 3 jelber nicht, warum ihn die fife Mtadcden- 
ftimme fo getrdjtet Hat; er empfindet e3 nur wie eine 
unbewufte Whnung, dap fie ifn verwandelte, bağ etwas 
in feinem Herzen gelöft ijt, wie vom eisbefangenen Wald- 
fee bie Starrheit bağin jchmilzt, wenn milder Lenzesodem 
ibn umiwebt. 

Seine Gedanfen fretfen nid)t mehr in jhwerem Flug 
um fein eigenes Ungliic, fie heben febt gleid) meiğen 
Tauben die Cilberfchwingen, und umjlattern bas Guaden- 
bild einer heiligen Gücüfia, welches jein Auge nie gefdhaut, 
und welches ifn bennod) auf füben Klang wellen umjcdhwebt! 

Wieviel taujend Lieder flingen tagtaglid) an viel 
taujend Ohren, gehirt und vergeffen, jobald ihr Hauch 
verochte, und dennod), Ddringt şi redjter Stunde bic 
red)te Weife an ein Menfdhenherz, fo wird fie ihm gu 
einem İegenöretd)en Vermacdhtni3, unausldjehlic) und un- 
vergeplich für immerbar. 

Sofef forli)te nicht nad) der geheimnisvollen Sangerin. 

Shre Perfon ftanb ihm fo fern und gfleichgiiltiq, wie 
all bie anderen Frauen und Madchen, welche feine Wege 
freugten, und für weldje er faum einen fid iibrig hatte. 


— 189 — 


Dennod folgten ihm ihre Worte nad) und Tdifidyen 
fid) felbjt in feinen Traum. 

Da fah er fie, bie traurige Unbefannte, einfam wie 
er, auf möofigem Feljen fibend. Cin fchwarze3 Trauer- 
fleid wehte um ihren Fuh, bititere Schleier wallten um 
eit marmorbleiches Angeficht, und als er nüfyer trat 
und in Die weinenden gen der Göngerin blicte, da 
legten fich Die dunflen Schleiergemebe auch itber fein 
tli, und die Welt, welche eben noch in fadyenbem 
Connenjdein vor ifm gelegen, verjanf in Nacht und 
öüiternis. 

Das Gewitter war jenjeits des Sees entlang ge- 
gogen, und ber ndchjte Morgen hatte ebenjo flar und 
ftvahlend hell in die Fenfter der Printaniére gefcaut, 
wie all bie Tage vorher. 

Sofef mugte wahrend de3 örübİitüds pon fetnem 
Spagiergang erşühlen und that e3 voll beinahe jdhwar- 
merijchen Cntzgicfens, ohne jedocd) aud) nur mit einer 
Silbe ber unbefaunten Göngerin gu erwahnen. 

Seine Mutter liek ein wenig enttaujdt das farbloje 
Antlig zur Bruft finfen. 

Su bie einjame Bergwildnis hatte e3 den abjonder- 
lien jungen Maun gegogen! Wabhrlich, das fah nicht 
banad) aus, alg ob bie bunte, febensirofe Welt auch 
nur einen eingigen jeiner Gedanfen noch beldyüftigtel 

Sie war rejignierter wie je, und dDarum fiel ihr die 
jeltjame Unrube, der cigentiimlich belebte Blic des Sohnes 
nicht ani, 


—” 


€8 itberrafchte fie auch faum, als er — halb abge- 
wandt an dem ranfenumfponnenen Witter des Balfons 
lehnend, plötfid) fragte, ,,was fiir Frembde auger ifnen 
in ber Villa Quartier genommen hitten 2” 

psd abne e3 nicht, Darling. Glitcélidjermeife hat 
bie Heibe Şahresşett bic meiften Rurgifte vertrieben, 
und wenn ich mid) recht entfinne, ergzihlte Lina einmal, 
auger den unjeren feien nur nocd) drei Zimmer im 
Parterre bewohnt!” 

,/Und nannte fie feine Namen? -— Sind e3 Deutjche 
oder Muslander 2” 

/lustander wohl feinesfalls, — id) glaube .... ja 
mein jdjledjtes Gedachtnis — — aber, wenn id) nidjt 
irre, İprad) Lina von einem NReichstagsabgeordneten, 
einem Doftor jo und fo! — eğ jei eine jo wenig an- 
genehme Familte, fehr lant und gantijd.” 

yh! — fleine Sinder?” 

/ kein, von denen hatte id) wohl mehr im Garten 
bemerft, im Gegenteil, e8 mug ein dlteres Chepaar 
icin.” 

pridhtig! Sd) hatte das Oöibgetdid, fie im Garten 
git fehen und juft gu einer fleinen, familidren Ecene 
gurecht gu fommen! Beide maditen allerding3 fdjon par 
distance einen hichjt unfympathijden Cindruck!” 

poe Tun, Soft, fo meibt du ja beffer Sefd)eib wie 
id!” ladhelte die Nranfe; ,hoffentlich Haltit du biele Ge- 
jellichaft nicht fiir meine Zerjtreuung notwendig ?” 

, Sott Toll uns bewahren!” Der junge Slerifer 


— 194. = 


legte Lacend den Arm um die Eprecherin: ,,ich denfe, 
Herzen3-Mamaden, unfere gegenjeitige WAnwejenheit ge- 
niigt un3! fit dieje beiden feinölidyen Gatten find unjere 
eingigen Hausgenojjen? Nun, dann wollen wir unjer 
Reich Hier droben Hermetijch abjdhliejen und uns ber 
herrlidjen Hubhe freuen! 

Nach etlichen Minuten hielt Şofef die Zeitung in der 
Hand und jchien zu lefen. Aber feine Slide jchweijten 
gedanfenverforen über das weige Papier hinaus. 

Die frembe Güngerin wohnte nid)t in der Prinz 
taniére? Geltjam, wie fam fie algdann fo allein in bie 
Bergeinjamécit hinauf? War fie vielleidht nur Tourijtin 
oder Malerin, welche gufillig von dem Weg abgeirrt 
war? Wird fie nicht wiedcrfommen, auf jenem jtillen 
wleckhen weltentriicter Waldeinjamfeit ihre RKlagen in 
Liedern auszurveinen 2” 

Wie eine bange Unruhe überfommt €8 den jungen 
Mann. Noch einmal mödite er fie fingen Hiren! Şifre 
Lieder find Baljam fitr fein wundes Herz, fie wirfen 
wie Suggejtion auf ihn, er wird jftill und qfüdlid) bei 
ihrem Gang, jo traurig er auch flingen mag. 

Seltjam, auch hier heilt Gleicdhes das Gleiche. 

Als die Sonne zur Ritfte geht, itberfommt thn ein 
fajt fieberijdjc3 BVerlangen, abermals zur Bergeshihe şun 
{teigen. Wie mit magijden Gewalten treibt e3 ifn empor, 
und  bieömal  qretft er in ber Gile nad) feinem Buch, er 
jchreitet voll fehnender Ungeduld durd) ben Garten, ohne 
recht und linf3 gu blicfen. 


— 192 — 


Er wird heute lange marten miiffen, denn er ift 
friiher şur Stelle wie geftern. 

Aber Dord) ? — taujcht ihn ein Cho? 

Hochatmend bleibt er ftehen und prebt die Hanbde 
gegen die Bruft. 

Cie fingt! Gie ift bal 

Reife bahnt er fid) jeinen Weg zu dem geftrigen 
Ruheplagchen, wirft fid) in die Dduftigen WAlpenfrauter 
uieder und ftiigt Das Haupt in die Hand. 

vm Brunnen vor dem Thore, da fteht ein Lindenbaum, 

Sd) tradumt in jeinem Schatten fo manchen fligen Traum!” 

Wie oft hat Şofef diejes Lied gehirt, — jo noch 
nie. Gr ift nicht mufifverftindig, er weif nicht, ob er 
eine ausgebildete, wobhlgefchulte Stimme hort, er weip 
nur, bab ifm nod) feine andere fo 3u Herzen gedrungen 
ijt wie Ddiefe! 

Und die weiden, feelenvollen Klange imidimetdyefn 
ifn und maden ifm das Herz fo weic und weit, jo 
fefnjuchtsvoll und dennoch gujrieden. 

Ahnt jene Frembde, bab Hier im entlegenften Etüdfein 
Waldesfrieden ein Menfchenherz ihrem CSingen laujdht? 
— bab e8 guct und bebt unter ben Qualen fiifen Wehs 
und herber Wonne, welche ihre Lippen gu ihm tragen? 
Dap er mit ihr füfft und bangt und flagt aus tief 
imnerjtem Grunde herauf, bağ er mit ihr etn3 wird in 
Diejen Liedern ? 

Nein, fie ahnt e8 nidit, fie weif nicht, bağ ihr, die 
nur den Blumen und Voglein im Walde anvertraut, 


— 193 — 


was fonjt geheim in ihrem Sufen fchfummert, dab ihr 
bie gröbte Kunjt gelungen, dag fie mit ihren Liedern 
eiten Erfolg gehabt, wie ifn wohl felten nur die Criten 
unter Den Cangerinnen aufweijen fonnen! 

Und wabhrend Şofef fid) widerftandslo3 dem Bauber 
hingibt, welder ifn mit Sang und Klang umipinnt, 
tint e8 voll jchlidter Junigfeit und Wehmut weiter von 
ben Lippen der Unbefannten, ein Bolfslied nach dem 
andern, fchwermiitiq und entjagungsvoll, — Lieblinge 
De beutidyen Volfes. 

Wer ijt fie? 

Wie ein ungeftiimes BVerlangen überfommt e3 den 
Laufdhenden, aufgujpringen, die Biijdhe gu teilen und in 
das Antlig berer gu fcjauen, welche ihm fremd fit, und 
welde er DdDennoch bis in die geheimjten Regungen ihres 
Herzen fernen fenitel 

Gr erhebt fid), er macht eine leidenfchajtlide Be- 
wegung und fein Blick İtreift wie gujallig fein dunfles 
Priefterfleid. 

Da geht e3 wie ein fithler Schauer durch fein Herz. 
Der erhobene Arm finft nieder, — wie aus einem Traum 
erwadend blict er auf. Warum will er fie jehen und 
fermen, — er, ber Griefter, — warum? Lanagjam wendet 
er fid) und jchreitet mübe, wie ein Sranfer, ben Pfad 
aurüd, bie Soutane ftreift die Bliiten am Weg, und der 
AUbendtau gligert wie Thranen ün ihren Relchen. 


N.v. Cf*ftruth, SİL Rom. u. Nov., Friihlingsftiirme L 13 


TX, 


4/8 614) cine fhrvitle Nacht! 
Lange hatte Sofef in bie milde, trüumerild)e 

Dammerung Hineingeblict, vergeblich hoffend, 
Daf ihr Frieden fid) auch iiber jein ruhelos flopfendes 
Herz fenfen werde. 

Noch nie war er fid) feiner inneren Unrube, des 
Bwiejpalts fener gangen Cmpfindungen jo bewuft gez 
worden wie heute. Was war e3 nur, was ihn fo qua'te, 
er rourde fid) felber nicht far dariiber. 

O, biefes Gritbeln und Ginnen! 63 macht ifn noch 
perrüdtl 

Glüdfefiq die Mtenfchen, welche fid) leidjten Ginnes 
itber Verhaltnijje und Begcvenheiten Hhinwegfegen finnen, 
welche anderen ala uniiberwindlide Hinderniffe ben Weg 
jperren! Beneidenswert die Sorglofigfeit, mweldje feine 
Sfrupel fennt. Göibt e8 ein Mittel Dagegen? 

Sofef fitdit banad), aber ein joldhes, welches wahrhatt 
heilt, findet er nicht, nur die Betdubung, die momentane 
Ablenfung durch fein Studium, und Troft und Selbjt- 
vergeffer im Gebet, 


— 195 — 


Aud) jest giindet er die Lampe an und greift nad) 
ben Biichern. 

Durd) die geöffneten Genfter webht ein feuchtheifer 
Brodem, welder fchwitle Diifte auf feinen bleifcweren 
Schwingen trüqt. 

Süfeften und Nachtjalter umjchwirren das Licht, ebenip 
unrubig bin und herguckend wie die Gedanfen hinter der 
jungen Xöenidyenitirm, welche fid) tief auf die Hand ftübt. 

Die Worte und Beilen verjchwimmen vor Fojefs fid, 
— er lieft fie, ofme gu denfen und ihren Ginn gu erfaffen. 

Vor feinen Ohren flingt eine leije, flagende, traurige 
Stimme, die dringt hinab in fein Herz und müblt e3 in 
feiten verborgen|ten Tiefen auf. Wer ijt die Sangerin — 
jene öyrembe, welche ebenfo ungliiclich it wie er? 

Gehbren fie nicht gujammen? Gdimefşen ihre Seelen 
nicht in einer eingigen, webhen, qualendDen Not ineinander? 
Sn jener HerzenSnot eines eingigen 33erlaffen: und erz 
forenjeing? Welch eine grofe, Heilige Gympathie ver- 
binbet fie! Welch eine laftende Pein örüdt fie beide gu 
Boden! Und er foll nicht voll leidenjchaftlider Sehnjucht 
alle Schranfen niederbrechen, gu ihr hinftirmen und jein 
Antlig in die Falten ihres Trauerfleides örüden: ter 
lağ mich Thranen ber Crldjung weinen! Wor dir jchame 
ig mich ihrer nicht, Denn du verftehft mich! — Sieh 
mid) an, — lak mich dein bleidjes 9fnifiş fennen — 
wer bift bu?” 

Soflef fchiebt aufftihnend bas Buch von fid) — fein 
Snjalt deucht ihm pföşlid) wie ein Spiegel, und er fieht 

13* 


— 196 — 


Darin nicht die friedlich, mild und entfagquigsvoll lacheln- 
Den Bitge des Priefters, defjen Blick die Rlarheit bes 
Şimmel8 zeigt, beffen fieqhaft reine Stirn von feinem 
Gedanfenwilflein mehr verdunfelt wird, nein, er fieht 
ein Berrbild, unftat, qrell wechfelnd im Wusdruc — wirre, 
irre Schattenlinien, wie bas Gebild des Fiebers oder des 
Wahnfinns. Cr jpringt auf, er birdimibt mit hajtigen 
Schritten das Bimmer. 

Da wo du nicht bijt — da wohnt das Gite! — 
Gang fie nicht fo? 

Welch eine bittere Wahrheit! — Wo ift für ihn ein 
ykand fo hoffnungsgriin, ein Land, wo feine Rofen 
bliin 2” 

Da, wo du nicht bift, ba wohnt bas Glick! Welch 
ein Geijterhall in jeinem Herzen! Welch ein diijter 
Raujehen um feinen Fuh! 

Sein Priefterfleid!! 

Glick! — Glick! wie Şeiğeft du für mid)? Wer- 
geffenheit?  Rlofterjrieden oder Geelenhirtentum?! 

Wie ein fchwerer Seujzer jtreicht e3 Durc) das Fenfter, 
wie ein Grollen und Murren antwortet der jerne Donner 
iiber Dem Gee. (68 blibt, — und Gofef ftarrt fefunden- 
fang in das blaiulich grelle Licht und tritt an Das Fenjter. 
,Büft bu fo Leuchtend, jo drauend und göttfüd), zudft bu 
jo unerwartet hernicder, Glick? Blendeft du die Augen? 
Bijt du ein Funten, im Urquell des Lichts geboren und 
blind hineingefdjleudert in das Weltall, gum Cigentum 
Dejfe, Der bid) juft fabt? Sif du ein Spiel des Bue 


— 197 — 


falls? Cin Blik, welcher ohne Bahn und Giel hernieder- 
flammt auf das Haupt defjen, der dich nicht gejucht? 

Glick! Ratfelhajtes Tü — in welcher Geftaft nabhft 
ön mir? 

Abermals gliiht der Himmel und wirjt magifden 
Widerfchein itber den fchweigenden Garten, und grell 
auftaucend aus der Nacht, den Blick 568 ungeftiimen 
oraqera wie mit imftditbarer Gewalt angiehend, taudyt 
ein Bild aus der Finfterni3 fchattender Gebiifche. 

Gliice — fieh{t du aljo aus?! 

Cin Weib ift e3? Wher e3 fchwebt nicht auf der 
rollendDen Kugel, ihn mit erhobenem Fiillhorn lockend, 
aus weldem goldfunfelnder Regen, Rofen und Lorbeern 
winfen, nein, e3 ijt Die Heilig ernjte Statue der Arbeit, 
der Pflicht, ber barmbergigen Gorge, welche das Antlis 
feine3 Gliicke3 trüqt. 

Wie gebannt ftarrt Fofef in den Garten hinab. Cine 
{[hlanfe Maddhengeftalt {teht Hoderhobenen Hauptes und 
faut in die lohende Pracht de3 Himmel3 Hinein. 

Cin weifes, faltiges Gerwand fenditet wie phosphores- 
cierend in bem Licht bes Blikes, — fie halt mit frajftvoll 
encrgijder Hand einen Spaten, halb in die Erde gefentt, 
ben Fuk darauf gejebt, fie fchaut momentan von der 
Arbeit auf. 

Sefundenlang tritt 548 wunderfame Bild hervor, banın 
gahut abermal3 die Finfternis vor Jofefs Blick. 

Requugslos, wie qebanınt fteht ber Klerifer und ftarrte 
hinab. (r Dört, wie die Crde unter ben Spatenftidjen 


— 198 — 


Enirfht, er Hirt geddmpjtes Spreden, eine angftvoll 
flagendDe Stimme, eit fanjftes, liebevolles Berubhigen. 

Minuten vergehen, das  Gerünid) der Arbeit ver- 
ftummt, und die weide Frauenftimme fliiftert: ,Gtüşen 
fie fich Teft auf mid), Frau Palmbec! Bch fiihre fie 
lieber unter das fdjiibendDe Şad), das Wetter jcheint 
Heranfzufommen !/ 

Und wieder flammt e3 itber ben Himmel und wieder 
blidt Şofef feinem Glüd in das WAntlik. Wie ein lebendes 
Bild taudht e3 aus der Nacht. DicSmals ftebt die weif- 
qeffeibete Gejtalt mild und opfermutig üDber ein alte3, 
qetred)fid)es Weibchen geneigt, weldje3 fid) hinfend an 
Den Arm ihrer Schiigerin flammert. 

Sie leitet fie unter ein fchirmend Dac). 

So İdirettet bie Barmbergigfeit, ber lidjte Gottesengel, 
neben dem hilflofen Clend her. 

Mur fefundenlang taucht die Exrjdheimung auj, aber 
Sofef Hat bemiod) ihr Antlig mit brennendem Blic um- 
fabt, wie ein Verfd)madhtender den Kelch jucht, welder 
ihm Dargeboten wird. Das Antlib, weifs und jchattenlo3s 
unter der grellen Beleuchtung, mad)t den Cindruc einer 
Statue, um deren Stirn und Gdifüfen man bimfles 
Haar gelegt. 

Regungslos, wie in tiefem, traumbaftem Frieden 
bliden die Augen in bic jpriihenden Gtrallengarben des 
Himmels empor, ohne Angft, ohne Gorge, voll lachelnder 
Sehnjucht, wie man einem Licht entgegenjdaut, welches dem 
wegmiiden Wanderer aus feinem Vaterhaus entgegenwintt. 


— 199 — 


Tiefes Dunkel, — die Ediritte flingen leis auf dem 
Kies, die Stimmen fliiftern, — und dann rollt ber 
Donner wie die majejtatijde Spradje der Gortheit über 
Die nüd)tiqe Welt. 

Still, — totenitif. — 

Die Lidhtgeftalt des Gfüdes Hat fid) feinem fehnenden 
Auge gezeigt und ijt wicderum berhinfen in gahnender 
Hinfterniz, wie Erda, die Schicljalsfiindigerin, vor dem 
Auge Wotans entfchwand. 

Şofef pret bie Hande gegen die Bruft, er atmet wie 
ein Menjch, der, zu Tode ermattet von Kampf und Sani, 
endlich) am Riel ftebt. 

Sein Gemüt, welches fo leicht empfanglich für alles 
Hohe und Wunderbare ijt, liegt wie in Zauberbanden 
unter Dem Cindrucd des İpeben Gejchauten. War Ddiefe 
jeltjame Siigung ein Bujfall? 

War das Bild, welches er gefehen, eine Antwort auf 
jeine Frage an bas Ölüd? 

Welch eine Antwort? — 

Cine Doppelte. (65 3oq bie jchwarzen Sdjleier von 
dem Bildnis eines Weibe3 und zeigte ihm nicht ein Wejen 
von Bleijd) und Blut, fondern eine allegorijche Figur, 
Die Verfdrperung eines Begriffes. 

Welch eines? 

Er fa) fie fteben mit dem Spaten in der Hand, dem 
Attribut des Fleifes, welder bem Boden feinen Reich- 
tum abgewinnt! 

Und abermals jal er fie, helfend, jdjirmend und das 


— 200 — 


hilflofe Elend ftiikend — die Urgeftalt der ausgleichenden, 
verjOhnenden Nenjchentiebe! 

So biebeft du Fleif und opfernde Liebe, du ferned, 
Langgejuchtes Glüd? 

Sofef bfidt mit weit offenen Augen in den Himmel, 
ein Seufger ringt fid) aus jeiner Bruft. Wie foll er das 
Denten und verftehen? 

Sit er nicht fchon fleigig von früf) bis fpat, — raft. 
(58 im GStudium, unermiidlich in den vorgefdjriebenen 
Gebetsiibungen? Und ift fein Priefterberuf nicht die 
vollfommenfte Miichftenliebe, welche alles dahin gibt und 
opfert, — fid) jelbjt fo gang und gar? 

Miide und troftlos finft fein Haupt gir: Bruft, und 
ber Wind erhebt fid) draufen und brauft durch bic 
Baumtronen, fo wie auch ber Sturm in feinem Snnern 
nicht zur Rube fommt, jondern immer neu die büfteren 
öylttid)e Hebt. 

Und afö er das Mige frhlieft, fieht er das holde, 
engel8milde Angeficht wieder vor fid), wunderjam lebendig, 
alö jchwebe e$ vor ihm. 

Wer war 68? — 

Und dann zuct er empor und prebt bie Hande gegen 
Die Stirn. 

Sie! Sie — die Fremde, — die Siingerin —! Gott 
un Himmel, finnte e3 miglich fein? — 

Mein! Undenfbar! — 

Diefes friedliche Cugelsangeficht mit Dem verfldrten 
Laicheln und der wunderjamen Rube im fid: gleidt in 


— 202 — 


nidht3 ben fdjmergdurchbebten, bitfteren Biigen, mit weldjen 
er im (cift das WAntlig der unbefannten ausgeftattet, und 
Doch wiirde ifm der Gedanfe fein Şöeal gerjtdren, wenn 
Die Lippen, welche fo traurige Lieder fingen, fo mild 
und frieblid) (acheln fömiten, 

wit Denn dic Wehmut etwa Veraweiflung ? 

Xit jeder Edimerş ein wilder, wahnwibiger, welder 
feine entitelfenben Furden in das WAntlig reift? 

© nein, — ifm bend)t 66 fogar, al3 ob die edelfte 
und heiligfte Empfindung de$ Weibes fold) eine verflarte, 
wunderfam ruhige und milde Trauer fei! 

So wie die hichfte Celigfeit lautlos im fid erftrahlt, 
jo İptegelt die ftumme Thriine den Schmerz, und ijt’s 
ber Wehmut jiipes Leid, fo Drift e8 nicht in Şerben 
Ragen iiber die Lippen, jondern flingt als Lied, Har- 
monijd) und jeelenvoll zum Himmel. 

Sofefs WAugen leudjten, das Blut fteigt ihm in bic 
Wangen und eine Crrequng bemüditiqt fid) feiner, welche 
nicht erfchipfend, fondern wobhlthatig auf alle Sinne wirft. 

Und jolche edle, gefiihlsinnige, heilige Wejen gibt e5 
wahrlicd) auf der Welt — auch Dann noch, wenn feine 
Mutter, bie befte, vollfommenfte von allen”, von ihm 
gegaugen. 

Warum Hat er die Frauen nicht frither İd)on mit 
folchen Cngelsjchwingen gefdhaut und erfannt? Warum 
freugten fie nur ale Srrlichter feinen Weg, als tritgerijde, 
tüdildye Flammen, welche iiber dem Gumpf tangen und 
gur Tiefe reigen, wer ihrem Sirenenlocken folgt? 


— 203 — 


Horch, wie ber Donner rollt, wie e3 gifcht und fnattert, 
— Regenfluten jtiirzen herniedDer und jpitlen den erfticten- 
den Staub von Gotte3 fcmachtender Kreatur. 

om Hauje wird e3 lebendig. 

Man hirt Thiiren jchlagen und Stimmen faut werden. 

Die Dienjtboten Hufdhen fcheu, auf leijen Sohlen aus 
Den Manfarden Berat, fid) im Hausflur und auf der 
Treppe niederzufauern. 

Aud) an Yofejs Zöür ffopft ed. 

Lina fragt an, ob ber gnadige Herr aufgeftanden fet, 
— bie Rranfe fet İp beunrubigt. 

ys fomme!” antwortet der $tferifer hajtig, fchliept 
das Henfter vor dem eindringenden Regen, nimmt jein 
Brevier und eilt durch die Thiir nad) dem Zimmer der 
Mutter. 

Weld ein Tag! — 

ərild) und balfamijd) weht e3 von den Bergen herab, 
jtrogend in bliihender Fille Heben fich die Gebiifche, die 
Baumtronen ftauben noch immer demantenen Negentau, 
wenn ein Lufthauch ihr Gegweig beriihrt, und Matten 
und Moos breiten fid) jo fchwellend, fo fmaragdgriin 
und goldbraun leuchtend über die Wlpenhange, bağ der 
Blice fid) nicht fatt felen fann an fold) neugeborener 
Pracht. 

Şofef tit ciner unbegwinglicen Sehnjucht gefolgt und 
fon in taufrifder Morgenfriihe emporgewandert şit 
jenem Blagdhen, weldhes ihm durch den lieben, geheimnis- 


— 204 — 


pollen Zauber einer Maddenftimme gar wunderjam ver- 
traut geworden it. 

Daheim in K—burgs Dormitorium ijt e3 jebt auch 
jon ({angft febenbiq, bas Glödlein Hat geldutet und bic 
ehriviirdigen Grider haben fid) gu Gebet und Weffe 
bereiniqt. 

Auch Şofef will feine WAndacht nicht verjaumen, er 
Halt fie unter ber: majeltitijden Ruppel des ewigen 
Himmel, wo Gottes Wllmacht fid) felDer die İdineez 
getrinten Wlpen gum Hochaltar aujgerid)tet hat. 

Die Seele 568 jungen Mannes ift erfiillt von ber 
Heiligfeit des Odems, welder ihm umrweht; er hat fid) 
noch nie mit fo tiefer Gubrunft in fein Gebet verjentt 
wie heute, er hat e5 anfanglid) nad) vorgejchriebenem 
Wortlaut abgelefen, aber bas Buch entfinft fener Hand, 
icin Blick febt fich empor in unendliche Weiten, feinem 
Herzen wachjen Fliigel, die tragen eS empor in ewiges Licht. 

Er betet — aber nicht jene Worte wie jonft, nicht nad) 
dem toten Buchjtaben, nicht um Dinge wie gewshnlich, 
e8 ijt ein WAusjtrimen İeiner tiefften, innerjter Gedanfen, 
İcine8 ureigeniten Shs — nicht bes Klerifers und an- 
gehenden Briejter3, jondern des Menjden, wie er in 
jeiner gangen Wahrheit und unbemintelten Chrlichfeit, 
als jehnjuchtsvolle, nach Glick und Lebenswonne fdymadh- 
tende Streatur por Dem WAntlig feines Gottes liegt. 

Und jeine Gedanfen: 380, Herr, ijt Glüd und Frie- 
Den, bab id) fie finden mag?” werden zu Cenfzern, 
elde an de3 Cwigen Ohr fallen. ,,3cige mir den 


— 205 — 


Weg, Vater, welchen ich gehen joll, erföfe mid) aus den 
Bweijeln, jtehe mir bet im Kampf!” 

Und wieder, immer wieder dagwijden wie ein WAuf- 
fdrei lajtendDer Şerşennot: ,,Wo Haft du mir das Gfüd 
bereitet, mein Herr und mein Gott!” — 

Wie till — wie weihevoll ringsum. 

Leije Vogelftimmen jubeln im Wald, und Fojef hebt 
mit leudjtendem Blid das Haupt und laujdht ifnen. 

Cine feltene Freudigfeit erfiillt ihn. 

Sonjt haben jeine Gedanfen nach der Morgenandacht 
nod) lange bei dem Cwigen und Götülidyen verweilt, in 
jtillem Griitbeln und Gichverjinfen. Heute flattern fie 
auf wie die Viglein, welche ihrem Schipjer die Chre 
gaben, al3 fie ifr erjtes Lied gu İeinem Lob gefd)mettert, 
Dann aber voll meltfid) emfiger Gorge und liebedfeliger 
Haft die Schwingen regen, 3u eigener Lujt und Frohlichfeit! 

Auch Fojejs Sinnen und Traumen it ein gar welt- 
lide geworden, ifm felber unberwupt. Die Geftalt des 
jungen Maddens, welche er geftern im Licht des Bliges 
gejdaut, umgaufelt ifn wie ein holder Traum, von 
weldem man fid) nicht {o8reifen fan, ben man felbft 
mit waden Augen noch weitertrdumt und ihn ausftattet 
mit all der Poefie und Phantafie, welche im Herzen 
fehlummert. 

Und wahrend er in bic tauperlenden Yöipfel empor- 
lachelt, fieht er cin fchlanfes Viglein von Aft gu ft 
Herniederflattern, da3 fdaut ihn mit flugen Wuglein an, 
webt das Edinübeldyen an der griinmmoofigen Birfe und 


— 206 — 


awitfhert fo hell und locend wie... fa, wo at er denn 
İd)on folch ein Rlingen gehort! — 

Leife fad)t er auf! — 

Siegfried! Gühe8, wonniges Waldesweben! Umgibt 
e8 in bier mit feinem ganzen, geheimnisvollen Zauber, 
wie ¢e3 aud) Meifter Wagner ehemalS zu Herzen gez 
Drungen? 

Wie lang ift’s her, fett er von Bonn aus nad) Kiln 
fubr und feine begeifterte Geele in den goldenen Klang- 
fluten 568 ,,Siegjried” badete! 

Damals jak er in jchwiiler, erhigter Theaterlujt, und 
das Viglein, peld)es den jungen Gétterjohn mit lieb- 
licker Sotidyaft von dem vergaubert fdhlafenden Weibe, 
umgeben von wabernder Lohe zu fernem Berge locte, war 
ein Gebild von Pappe und gemalten Federlein, welchem 
Die Göngerin hinter ben Couliffen die füşe Stimme ver- 
lich, — heute liegt er tiefatmend in ber wirflidjen, jonne- 
durchflimmerten Bergwildnis, und die Saumfronen, meldye 
über ifm raufden, find echt, und das Waldesweben, 
weldes ifn umgirpt und unjubelt, ijt wahr, und das 
Viglein, weldjes ihm foden vorausfchwebt, ift bon Fleifch 
und Blut! 

Rann er €8 nidjt ver{tehen? — 

Hord) — —: ,,Siegfried... Auf Hohem Felfen fie 
jhlajt, ein Feuer umbrennt ihren Saal — — wonnig 
und ef) — web’ id) mein Lied! Nur Sehnende fernen 
ben Ginn!” ruft e8 nicht fo? 

Sim Hat fein Dradenblut die Bunge genegt, und 


— 27 — 


berməd) deudht e3 ihm, er verfteht die Tieblidye Sotfdaaft 
bes Sangerleins. 

promm mit, flteg mit mir hinein in die fonnige Welt! 
Sd weigk, wo das Glüd wohnt — id) zeige e8 birl” 
gwitfchert e3 über ihm, und Şofef riditet fid) lachend ani, 
nidt dem Schelin Heiter gu und tritt unter die Bweige, 
nad) thm gu greijen. 

,Gtegirieb 17 mit e8 filberhell, wie Flitenton, nein, 
nicht Siegfried! ,Şolef” heift e ja, er Hort und ver- 
fteht e3 ganz genau! 

pBobin denn? wohin foll id) dir folgen?” Tadit er, 
wie von gliidlichem Wahn befangen, und er thut e3 dem 
Sohn der Sieglinde nach, fpringt von Baum zu Baum 
und ajdt nach dem befiederten, fleinen Schalf, welcher 
ihn weiter und immer weiter in ben morgenjrifden Berg: 
wald hineingelocdt. Wher nein, alfa weit entfernt e3 fid) 
Dod) wohl nicht von feinem Meftchen, wenn e8 and) eine 
Beitlang im Zic-Bac den Berg empor ging, jest hujdht 
€8 feitwdrts, in weitem Bogen geht’s guriic, und jdlieplic) 
fchautelt e5 fid) wieder auf dem Buchensweig, von meldyem 
e3 ausgeflogen. 

Sofef fteht im fcithendDen Bujchwerf wieder vor dem 
lieben, gewohnten Blakden, auf welchem er foeben noch 
gejeffen, — aber was ift bas? 

Wie gebannt fteht er und jtarrt auf die Felfen, als 
fhaue er inmitten von Sonnenlicht und Blumendujft einen 
Epuf am hellen Tage. 

Şod)ani flopjft fein Herg in der Bruft, er neigt fid) 


— 208 — 


vor und umfdjlicht mit entgitcten, vollen Bliden das 
Bild, mefd)e3 abermals wie eine Vifion, unerwartet und jah- 
ling vor ihm auftaucht. Sein Glüd, fein geheimnisvolles 
Gliicl, welches ifm der flammende Blibftrahl enthiillte! 

Da fteht fie bidit vor ihm, an ben Felsblocden, auf 
weldjen er joeben Raft gehalten, und fie Halt ein Buch 
in ber Hand, befieht e8 von allen Seiten und blüttert 
erftaunt feinen Snhalt durd). 

Sein Gebetbuch, jein Breviarium, welches vorhin, als 
er fid) jo hajtig erhob, unbemerft von fetnem Schof ge- 
glitten! 

Shre dunflen Augen ruhen überrafld)t ani den ver- 
gilbten Blattern, das şart rofige, wunderfdhine Oval ihres 
Gefichts neigt fid) im Lejen, und die Sonnenlidjter ffim- 
mern über das nupbraune Haar, über meldyem ein rötlid)- 
golbener Glang liegt, alS brenne jedes etnzelne ber weidjen 
Stirnlicdchen in grellen Finfchen. Bit das die ,,.wabernde 
Lohe”, in welcher das Voglein diefe Brunhild gefdaut? 

Wabhrlich eine Brunhild! 

Welch eine jchlanfe und bemod) fraftoolle, Hohe Ge- 
ftalt, nicht von manubarer, {treitbarer Wrt wie die fdjlafende 
Wotanstodter, jondern voll weicher Sdhmiegjamfeit und 
feufchen Stolze, das Urbild Şerber, reiner Jung{rau- 
lichfeit, welder nur die lidjten Cngel2jdwingen fehlen, 
um hoch über allem Niedrigen, allem Etaub und Cumpf 
ber Welt gu jchweben. 

Auch heute tragt fie ein weifes Sfeib, fchlicht und an- 
İprud)3103, als eingigen Sdmud ein bliihende3 Bweiglein 


N.v. EfG ftruth, SİL Rom. u. Nov. Friihlingsftiirme I. 14 


— 210 — 


Rhododendron an der Bruft, beffen braunlic) bimffe, 
glangende Blatter fid) ganz bejonders eigenartig von dem 
Hellen Hintergrunde abheben. 

Sir Hut, ein grofes, florentinijdes Strohgeflecht, 
welches, jede Mode igqnorierend, nur eine bide Seiden- 
jehnur umwindet, bird) welche beftebig ein jrifch gepfliicter 
Strauf gejchoben werden fann, Büngt an dem Arm, und 
Sonnenjdhirm und Handfchuhe liegen jfeitwarts anf dem 
wirren Geranf wilder Himbecren, welche ihre breiten 
Blattihlingen liebevoll İden: iber den Felsblok ge- 
worfen haben. 

Sofef fteht und blidt fie an, er wiirde e3 nicht bez 
merft und empfunden haben, wenn Ctunden daritber ver- 
gangen waren, er lachelt wie tm Traum, er folgt in 
Gedanfen ihrem Blic, welder langfam, andadtig und 
in fich verfunfen bie Gebete Lift. 

Und der Wind flitftert über ifm im Laub, und das 
Voglein Bat fic) mit legtem, jubelndem Gru empor in 
Den blauen Himmel gefdwungen. Da fat die Leferin 
das Buch jinfen und hebt das Haupt und fdaut ben 
Bergpfad empor und hinab, alö fuche fie jemand, und 
Dann blidt fie wieder ani das Brevier, fo nadjdentlid 
und fragend, als büdite fie babet: ,, Wem gehirt e3 wohl?” 

Und als fie fid) unentfchloffen ummendet, und zigert, 
ob fie das Gefundene wieder auf den moosbewadhjenen 
pels miederlegen foll, trifft ihr Blick, freudig aufleudjtend, 
Die Gejtalt dc jungen Priejters, welche das niebere Snid)- 
wert. hoc) itberragt. 


— 211 — 


Sie ift nid)t erfdjrocken oder verlegen, fie fdjeint mir 
erfreut, Daf fie ben S3efişer 565 Buches gefunden. 

Mit einer Bewegung, welche fo vornelhm rubig und 
Dod) fo gewinnend liebenSwitrdig ijt, wie bei einer Fiirftin, 
weldje Hojlich lachelnd auch den Grup de3 Fremden erz 
wiedert, tritt fie ihm einen Ediritt entgegen und reicht 
mit weifer Hand das Gebetbud) bar. 

, Sie juchen qeti: da3 Verlorene, Hochrwiirden!” fagt 
fie Freundlich, und ihre dDunflen WAugen fchauen unbefangen 
in Die feinen. 

Sofey Hat fid) ftumm verneigt, als ihr Blicl ihn guerft 
qetroffen, jebt teilt er mit fraftvollem Arm die Bweige 
und tritt zu thr heran in den goldenen Gonnenjdhein. 

Abermals grübt er, waihrend er das Brevier ent- 
gegennimmt. 

poecbindlidften Dank, mein qnübiqes Fraulein, baf 
Cie fid) des verwaiften Buches fo gittig angenommen 17 
antwortet er mit ber fteifen Firmlidfeit, welche feinem 
Wejen in Gegenwart Fremder eigen ijt, und obwobhl die 
Unterhaltung bhiermit beendet und jeder jeines Weges 
weitergehen miifte, beobachtet er gum erjtenmal nicht die 
ftrenge Qorderung feiner eigenen Anficht, fondern fabri 
Haftig fort: Sd) glaubte mic) in ber früben Morgen- 
ftunde fo gang allein in DdDiefer SSergeinlamfeit, bab id) 
Die Blatter forglos zuriiclieh, wahrend id) felber walbd- 
cimpürt8 fcjritt; um jo überraiditer bin id) nun, daf 
Diejelben wahrend meiner WAbwefenheit einen jo freund- 
lichen Schuggeift fanden!” 

14* 


— 212 — 


,ğine fo neugierige Forjderin, fagen Ste fieber 17 ant- 
Wwortet fie mit Heiterem Lacheln. Sd) war fo indistret, 
meinen Fund recht genau angujehen — “ 

nrrch fah fie fefen und freute mich dejjen.” 

Cie errötete ein wenig. ,,So überid)üen Sie wohl 
ineinen fliidjtigen Ginblid, der ernjte Inhalt de3 Buches 
febt eine anbüditige Stimmung und ernjte Gammlung 
poraus, welche mir in diefem WAugenblicf feh{t. Cin Spa- 
giergang in der Morgenfrithe ift fitr mic) eine fo jeltene 
qreude, baf id) fie mit Dem Bubel eines Kindes geniefe. 
(65 drangt mid) Dann, mit frildyem Blic um mid) und 
itber mich gu fchanen; je böler id) fteige, defto froher, 
wie ein Viglein, welches, engem Kafig entronnen, empor 
in goldene, freie Himmelsblaue fdweben fann! Meine 
Gedanfen fönnen fid) in folder Stunde nicht an den 
{ehwarzen Buchftaben binden, fie jdhweifen als Schmetter- 
ling von Blume zu Blume, und wenn jie dem fieben 
Gott fiir all die Schinheit ringsum danfen wollen, fo 
if’3 mit Sang und Klang!” 

Sojef lachelte. ,,So fingen Sie auch am frithen Mor- 
gen? Und fingen dann fröflidyere Weifen wie in der 
ftillen Dammerzeit 2” 

Sie jdaute ihn betroffen an, und die Zarte Rote ihrer 
Wangen verticfte fid) nocd mehr. Dhre Augen örüdten 
Die Frage aus, weldje thr auf den Lippen j{chwebte. 

ojef atmete tief auf und blidte an ihr voriber in 
Die Herne, wo ber See wie gejdmolzenes Gold in jeinen 
Ujern wogte. 


— 213 — 


7səd) börte Sie am 9fbenb Hier fingen”, fubr er fetfe 
fort, ,all meine Sieblingöfieber, weldjen ich voll un- 
bejchretblicer reude gelaujdt habe.” 

ydann find Sie fehr nachjichtig gewejen, Hochwitrden”, 
fcdiittelt fie lachelnd den Kopf, id) finge wie der Vogel 
fingt, ohne jedwede Kunft und Schulung, nur: jo, wie e3 
mir jujt um das Şer ijt!” 

7 So wie e3 Hhnen und anderen um 548 Herz if, 
barum geht e3 auch gu Herzen! Gang recht!” jahrt er 
fort, und Dann fdjaut er jah an und jein Blick trifft 
Den ihren. ,,Ste nennen mic) mit einem Titel, gnadiges 
Hraulein, welder mir noch nicht gufommt. Dar] ich ifnen 
meinen Namen fagen, in der Hoffnung, ifn nod) recht 
pİt von ihnen zu Hiren, — Freiherr von Torisdorjf!” 

Gie reicht ihm unbefangen die Hand: Sd) frene mich, 
Sie als Hausgenofjen begriifen 3u fonnen! Seit ein paar 
Tagen wei} id) Ste bet Şbrer armen, franfen Mutter in 
Der Şörintanicre1” 

Sie überraidyen mid) 1 Sind Sie nicht erjt jeit geftern 
in Der Villa anwejend?” 

yo nein, mir haben fcjon ben föftfidyen Frithling Hier 
genofjen und werden wohl auc) noch geraume Zeit ver- 
weilen!” 

yDavon abhnte id) nichts. Meine Mutter glaubte fid) 
ganz allein in dem Haus, bis auf ein aftes Chepaar, 
weldhes etlicke Bimmer 568 Erdgejcdhojfes bewohnt!” 

,i(Sarnış recht, meine Pylegeeltern, Megierungsrat Schad- 
Dinghaus! Jd) heife Charitas Reckwik und befinde mid) 


— 214 — 


feit Anbeginn unferer Reife bei Onkel und Tante. Wie 
fommen Gie auf die Sdee, bağ ich erft feit geftern in der 
Printaniére wohne?” 

Gr ftrid) fid) mit ber Hand iiber die Etirm. ,,Sd) 
habe Gie geftern abend zum erftenmal im Garten ge- 
feben — —” 

/YIbenb3 ?7 Gie laichelte. ,,€3 war wohl WPitter- 
nacht voriiber!” 

,(Sanış recht! Wher ich jah Sie nie zuvor — und bab 
id) Sie hier broben fingen hirte, — — je nun, e8 gibt 
ja viele Villen in der Nahe, und e5 war immerhin müq: 
lich, baf Sie erjt am vergangenen Tage die Wohnung 
gewechfelt und zur Brintanidre itberfiedelten. Wbrigens, 
nennen Sie 68 nidjt miipige Mengierde, welche mid) fragen 
lapt, was 1d)afften fie nocd) fo fpat mit Dem Spaten an 
Dem 'Gebiijch drunten? Beh geftele Bhnen ehrlich ein, 
baf mich diefe ungewdhnlide Wrbeitsjtunde tiberrajdte!” 

Mun lachte fie laut auf, weich und melodijd. ie 
alte Haushalterin Hat im Laufe de3 Mai den Fug ge- 
brodjen und ift nocd) fehr unfider im Gehen, barım 
fiihrte ich fie in die Laube Hinab, weil e3 in ben Şim: 
mern fo imertrüglid) jchriil war. Die arme Seele fiirdtete 
fid) fo fehr vor dem Gewitter, weil fie nicht fiymefl genug 
bet etwaigen Blisjdlagen fliichten fann, da bat fie mid 
fo flehentlich, bet ihr zu bleiben, bağ ich e8 gern that, 
jchlafen fonnte ic) ja doch nicht. SXüğig wollte ich aber 
auch nicht fo lange fein, und fo errinnerte id) mid) ber 
{einen Wlpblumen, welche id) geftern abend Hier oben 


— 215 — 


mit ben Wurzeln ausgeftodjen hatte, um fie im Garten 
heimijc) gu machen. Das Beet neben der Laube jah jo 
Diirftig aus, ic) wollte bort fiir etwas Schmuct forgen. 
Der drohende Regen fam den neugepflangten Blumen 
jehr gu jtatten, und jo entjchloR ich mich jchnell und 
pjlangte fie noc) vor Beginn bes Gewitters ein. Freilich 
find jie in Dem Dammerlicht nicht jehr regelmapig ver- 
teilt, aber bafür haben fie dejto frajtiger Wurgel ge- 
İd lagen und ftefen nun fo gerade und jrijc wie bic 
Grenadiere. — Wollen Sie fid) meine Schiiwlinge anjehen, 
oder gehen Gic nicht nad) beni Hauje guritch?” 

,os bin an feine Beit gebunden, — und wenn 68 
nicht unbejdheiden ijt, İp bitte id), bağ Sie müd) mitnehmen, 
gleidyviel wohin Sie gehen!” 


- 


A iə AL VAIS RE a 


ZOR. VİR sat aS 


. 
x. 
ie Frage 5:8 jungen Madchen3 hatte wohl be- 
awect, Die Unterhaltung, welche für gwet wild- 
jrembde WMenfcjen fchon ungebithrlich lange ge- 
bri, auf fcjicliche Wrt abgubrechen, um fo betroffener 
blicéte fie auf Sofef, welcher fo ruhig nach ihrem Schirm 
qriff und ihn wie in felbjtverjtandlider Hiflichfeit mo- 
mentan in Der Hand hHielt, abwartend, ob ifn die junge 
Dame bemiğen oder denfelben ihm, afs Trager, iiber- 
laffen wolle. 

Sie şögerte einen WAugenblice und prebte wie in furşem 
Uberlegen die idyön geformten Lippen gujammen. Dann 
traf ihr fid Reverenda und Cingulum und fie atmete 
berubigt auf. 

Shr Blic traf voll und ebrlid) den feinen. 

, Meine Pylegeeltern denfen ganz aufergewdhnlich 
jtreng und haben mir jedweden Verfehr mit Herren aujs 
entfhiedenfte unterjagt; ic) mürbe gewif nid)t gewagt 
haben, mit Shuen gu fprecjen, wenn fie zu dem grofen 
Touriftenfdwarm der Landjtrage gehdrten! Aber ein 


— 218 — 


fatholifder Priefter ift wohl nur en Edin und feine 
Gejahr fiir ein junge3 Madden, und ic) denfe, Onfkel 
und Tante werden nichts Dagegen haben, wenn Sie mich 
auf nicinem Spagiergange begleiten. Oft e3 Shnen redi, 
İp fteigen wir noch bergan, — der Sid it bon broben 
İD wunderjchiu, id) erirene mid) jeden Wbend baran.“ 

Sie fapte das KRleid etwas Hhiher, baf feine weiden 
galten bie Grajer und Rispen nicht frridten, und wandte 
fic) Dem fchmalen Pjad, welder waldeinwarts fiihrte, zu. 

Cine Blutwelle hatte fid) über Şolefs Antlig ergollen, 
alg Gharitas voll reigender Naivetat ihn Tür einen ab- 
jolut ungefahrlicen WMenfden erflarte. Şir: trenherziger 
Glaube an jfeine priefterliche Wiirde rüfrte und begliicéte 
ifm, und banfte er ihr von Herzen bicle Worte, welche 
vie Grundlage für einen harmlos erjreulidjen und freund- 
İd)attfidy)en Verfehr bilden werden. — 

Er füdyefte und verjudjte gu fcherzen. ,,Mein, ein 
Heiratsfanoidat bin id) nicht, in bieler Begiehung fonnen 
whre verehrien Pylegeeltern villig berubhigt fein. Sd) gebe 
Sfnen aud) vollfommen recht, baf man an einem inter- 
nationalen Badeort wie Montreux niemals borfid)tig ge- 
nug mit Dem Wnfniipjen von Befanntfdaften fein fann. 
Wieviele Glüdəritter madjen die Etraben und Hotels 
unficjer, wieviel grveifelhafte Cyijtengen  berfteden fich 
Hinter gutem Namen und ebrbarer Maste! Sd) dente 
e3 mir ja fiir ein junges Madchen recht langweilig, ohne 
jedwede Anregung, nur auf fid) jelbft und feinen empfang- 
lien Sinn fiir Naturfdhinheit angewiefen gu fein, aber 


— 219 — 


id) hoffe, Dak die Heimat Sie boppelt fiir die Einjamfeit 
ber Hrembe entid)übigen wird.” 

Charitas fchitttelte beinahe webhmiitig das Söpiden, 
Bir leben auch in Gifenad) gang fill und zuriicégezogen. 
Onfel müb in feiner Cigenjdaft als Wbgeordneter die 
langfte Zeit in Berlin jein, und wabhrenddeffen bleiben 
wir Damen einficeblerifd) daheim, nur auf den BVerkehr 
mit ein paar alten Freundinnen der Tante angewiejen.” 

wofet blicte bie Sprecherin überraldit an. ,,Sie bez 
juchen gar feine Balle und Gejelljchajten? Sie befiğen 
feine gleichaltrigen Genofjinnen 2” 

/Ridts von alledem. Mein Leben verlaujt fo ein: 
jormig und einjam, bab mir bie bunte, jchine Welt mit 
all ihrer Luft und Freude bisher ein verjchleiertes Bild 
geblieben ijt.” 

Welch eine Unnatur! Haben Shre Angehbrigen denn 
einen bejonderen Grund, Gie jo pölliq von dem Leben 
abgujdlieRen 2” 

Charitas fenişte tief auf, ihr jeudhtqlangendes Sid 
traf momentan ben feinen. ,,Mein, ich wiifte feinen! 
Tante ijt frünffid) und Haft alle Unbequcinlichfeiten, 
weldje ihr durch Gefefligfeit ja unerlaplich bercitet witr- 
Den, aud) benft fie gu viel an fid) und ihr Leiden, und 
Der ganze Tag geht in Pjlege und Wartung auf.” 

Und Sir Herr Onkel?” 

Gin feltjames Bucten ging um die Lippen ber Gefragten. 
oufel ift ein fehr eigenartiger Charatter, fein Klub ge- 
niigt ifm, er bebari und verlangt feine weitere Unregung.” 


— 220 — 


pnd an Sie und Bhre Bugend denft niemand?” 

yd, wohl nicht im bijen!” flang e& feile, fehr leife 
aurüd, Sd) fann ja nicht verlangen, bab fid) die alten 
Leute irgend welche Laft um meinetwillen aufbiirden 
follen! Sch habe ifnen fo viel Miihe und Unbehagen 
in meiner SRindheit bereitet, bin ihnen fo ungerwiinjcht 
unter das Dach gefdjneit, bağ ich ja mir fiir alle Opfer 
Danfen, aber nicht neue beanfpruchen fann.” 

7, Sind Sie İd)on lange im Hauje der Pflegeeltern, 
örünleln Reckwig? “ 

7/So lange id) denfen fann, — meine Gftern habe 
ich nie gefannt.“ Die Sprecherin atmete jchwer auf; 
wie heimlides Schludhgen flang e8 durch ihre Stimme. 

Sofefs Hand umframpjte den gewundenen Griff de3 
Sonnenfdhirms. 

yulnd fanden Sie bet den Pflegeeltern nicht all die 
Liebe, welche Ghnen Vater und Mutter erfegte 2” 

Da brach ein Blick aus ihren fammetjarbigen Rel)- 
agen, welcher dem Frager burd) Maré und Bein ging. 
Eefundenlang fa) Charitas zu ifm auf, dann fanf ihr 
Haupt wie eine taujdwere Bliite gur Bruft. 

,68 it nicht jedermanns Sade, Kinder gu lieben 
und gu bilen: eigene find wohl eine Wonne fiir jedes 
prauenhers, frembde fönnen gar fetd)t eine unbequeme Viirde 
werden. ber barilber fann man niemand einen Vorwurf 
madjen, Die Menjdjen find ja fo beridyieben beanlagt, e5 
liegt im ihrer Natur. Meine Kindheit war wohl eine 
traurige, aber gang İp liebeleer und öbe wie mein jebiges 


— 221 — 


Leben war fie bermod) nicht. Sd ging zur Sdjule! 5, 
mit welder Freude, mit welder Dantbarkeit gegen alle 
Die, weldje bort jo Freundlich) und gut gu mir waren! Dic 
Lehrer und Lehrerinnen Hatten mic) lieb, meine Freun- 
Diunen ftanden mir nah wie Schweftern, — ich fonnte 
jagen und flagen, was mein Herz bewegte, — 0, €8 war 
eine glüdfid)e Zeit! — Dann fiedelten wir nad) meiner 
Konfirmation nad) Cijenach über, id) war dort fremd und 
einjam, fannte feine Menfchenfecle, und je alter id) wurde, 
belto trojtlojer und qualvoller empjand ich dieje Verein- 
famınıg 17 

Şofef blieb ftehen, feine Stimme flang burd) die Bahne: 
/ Mun verftehe id) Sire Lieder!” ftieb er furz hervor. 

Charitas ftrich die goldbraunen Lbckchen aus der Stirn 
und wandte ihm mit findlich offenem Blick das Wntlit zu. 

pxlangen fie fo traurig? Sd) meiğ e3 nidjt. Sd) hatte 
nur die Cehifid)it, meine Gedanfen augzujprechen. Bch 
bin fo viel allein. Mit ben Blumen und den gefiederten 
Güngern de Waldes gu reden, fommt mir fo thoricht 
por, da bleiben nur bie Lieder. Sd) Habe nicht fingen 
gelernt, bie Stunden waren jo teuer, aber ic) Tanidite 
mance Weijen einer Eangerin ab, welche daheim neben 
meinem Zimmer wohnut. — Und ich finge jo gern, naz 
mentlid) Hier, wo id) bie Empfindung habe, meine Stimme 
flingt geradezu in den Himmel Hinein, und der liebe Gott 
Hirt e3 befonders deutlich, wie e8 mir ums Herz tft. — 
Sd) habe e5 ja nicht alle Tage jo gut, einem jolch freund- 
fid) teifnehmenden Blick gu-begeqnen wie dem Shren, — 


— 222 — 


und dak id) Shnen died alles fo chrlich fage? — eigentfid) 
jchickt 03 fid) wohl nicht, Sie find mir ja fremb, aber 
Denno) meifb id), bağ e3 in Bhrer Mirdje eine Ohren- 
betd)te gibt. Da find Sie e3 gewif gewihnt, in der Leute 
Herz gu fcauen, und verargen mir mein Geplauder nicht. 
— © wenn Gie wiiften, welch eine Wohlthat e3 fiir 
mid) ijt, mit Menfchen şir reden, — felbjt auf die Gefahr 
hin —” fie şögerte und blickte forjdend in fein ernjtes, bei- 
nabe fin{tere3 Geficht — , nicht gang verftanden gu werden!” 

Gr jdraf wie aus tiefen Gedanfen empor. ,, Wie 
meinen Gic ba8?” fragte er haftig. 

Shre ganze Geefe fpiegelte fid) auf dem lieben, treuz 
hergigen Rindergefidt. 

,)ğım, ich denfe, ein Mann, welcher jelber die Cin- 
jamfeit und WAbgefchloffenheit von allem Leben gu feines 
Dafeins Biel und Zrwed erforen, fann e8 nicht recht be- 
qreifen, wie ein junges, warmes Herz fid) nad) Welt 
und Leben fehnt. Sd) thue e3! Warum foll id) ein Hebhl 
barqı madjen? Sch jammere nach meinem toten Weiit- 
terchen; hatte id) fie, brauchte ich nichts weiter. Wber id) 
bin ganz allein. Draugken in dem Hajten und Treiben 
wiirde ic) mein LeidD wohl eher vergefjen, ich wiirde viel- 
leicht {uftig und froh jein firnen, jung wie andere Madchen 
auch, id) witrde Freundjdhajt und Liebe finden und gliick- 
lic) jein! — Şit e3 eine Schuld, fid) nad) Dem Ölüd zu 
fehnen? Şit e8 eine Verfiindigung, wenn man den lieben 
Gott banad) anrujt? — Sd) thue e3, — alle Tage, — 
ift e$ nicht recht von mir?” © 


— 223 — 


Charitas jdwieg beinahe erfdjrectt; fie fal den felt- 
famen ungeheuren Cindruct, welchen ihre Worte auf den 
jungen Briefter maditen, 

Sofef3 Lippen bebten, er wollte in feibenid)aftfidyer 
Errequng die Hand ber Sprecherin fajfen und rufen: 
poit e3 eine Echuld, fo haben wir beide uns verfiindigt!” 
— Aber er prebte nur die Lippen gufammen und fehiittelte 
mit jaher, heftiger Bewegung das Haupt. Vor ihnen 
lidjtete fid) ber Wald, — fmaragdgriin funfelnd im Hellen 
Sonnenlicht, befat von Mtilliarden blibenber Tautropfen 
behnte fich bie Wlpmatte am Bergeshang empor, gu ihren 
Siipen aber, İdiroff abjallend, gahnte die waldige Kluft, 
und iiber fie hinweajdweifend haftete der Blice auf dem 
itberİdymenglid) jdinen Bild bes Genfer Sees mit feinem 
jenfeitigen, alpenbegrengten Ufer. 

Das Haupt 568 Dent du midi qrühte mit fdyim:- 
mernder Şinfenirone gu ihnen heriiber, Gföden tinten 
empor und das fröflid) belebte, iippige Bild der villen- 
qejiumten Landftrafe fandte mit wirren Rlaingen und 
gebümpfitem Şurbelidiret feinen Grug hinauj. 

Şofef rig feine Ropfbedecdung vom Haupt und breitete 
in jahem, leidenfchaftlichem Cntgiicen die Wrme aus. 

"Sie fdhin, wie gauberhaft fin it Gottes Welt, 
in welder trob allen Leids bemiod) das Glüd wohnt! — 
Nein, Fraulein Charitas, Sie fimbdigen nicht, wenn Fhre 
fiibe Unjehuld eS von Gott erbittet! Des Gerechten Ge- 
bet vermag viel, wenn e8 ernjtlich ijt! — Glauben Sie 
nur, fo wird e8 aud) erhirt!” 


— 24 — 


Gr fprach haftig, ben Bli von ihr abgewandt, fo 
erregt und mit leudjtenden 9lugen, als rede er mehr gu 
fid) felbjt al gu ifr. Und der wiirgige Morgemvind 
ftrid) über bic Haupter der beiden einfamen Menjchen, 
und ein [cifes Echo trug den Klang des Wortes guriict, 
wie eine prophetijdhe Verheifung de3 Himmels. 

Mit Dattiqen Cchritten naherten fich Charitas und 
Solef Der Printaniére. 

Gie Hatten fid) bet all Dem Plaudern und gfüdfeligem 
Geniefen der morgenfrijdhen Sdhdnheit verjpatet, und das 
junge Madchen flog ihm fechlicklich wie ein fliichtiges Reh 
Den febten Wbhang de3 Garten voraus, alS die “üm 
ubr von Neufille acht (cis verhallende Tine über den 
See Heriibergittern lief. 

Sem Tante aufwacdht und id) bin nicht zur Stelle, 
ijt fie den gangen Saq argerlich au? mich!” fliijterte fie 
nod) mit forgenvollem Blic, reichte ihm Berşlid) die Hand 
entgegen und fiigte [eife Hingu: Sd) dante Shnen fiir 
all Shre guten Worte, welche mid) lange begleiten werden!” 
Dann noch ein Lacheln und Nicfen — und der Wind mebic 
Die weipen Modjfalten um ihre grazidjen Fife, a18 fie, 
ohne das Haupt gu wenden, durd) Gras und Slüten 
hinabeilte. 

Gr folgte nicht, er blieb ftefen und fah ihr nad), und 
ein Viglein fdrwang fid) jubelnd itber jeinem Haupt, das- 
jelbe wohl, weldje3 ihm vorhin ben Weg gegcigt, und 
fang abernals: 


15 


aöftürmeT 


 TİTTİn 


v. Gfd) ftrirtb, I. Mom. u. Now 


N 


— 226 — 


Wonnig und tel) 
Web id) mein Lied — 
Nur Eehnende fernen den Sinn! 


Die Villa lag noch {till und traumbefangen in dem 
faufehig grünen Rrang von Baumen, al Charitas atemlos 
über Die Sdhwelle trat. Das Bimmermadden ftand feit- 
lich am Vorplag und bürİtete Kleider, fie grübte, Freundlich 
fachend, gu Fraulein Nechwit Heritber und nüfte beruhigend: 
, Die Herrjdajten fchlafen noch!” 

Gottlob! Charitas prebte momentan die Hande gegen 
Die Bruft und blicb atemjchipfend ftehen. Gerade heute 
hatte jie e8 doppelt fiymerəfid) empfunden, die Pylege- 
eltern jdjelten und tadeln gu Hiren, Heute, wo ihre ganze 
Geele fo feid)t und froh war, wo ein Gejiihl nieqgefannter 
greude und Neubelebtheit fie burd)ftrömte, wo alle ihre 
Gedanfen nod) bei der Begegnung mit dem öyremben 
weilten. 

Dem Fremden? — O wunbderbar! Gr war ihr nicht 
fremd, obwohl fie zum erjtenmal im Leben in feine Augen 
gefhaut! Cr ftand ihr jo freundlich und teilnehmend, 
jo Vertrauen Heijchend und warmberzig gegentiber wie 
ein Bruder, vor weldjem man feine Scheu und Şürüdə 
Haltung fennt. 

G8 lag eine fold) Harmonijche Ubereinftimmung in 
ifrem Denfen und Empfinden, al8 ob fie fdjon jahre- 
fang in treuer Qreundjdaft die Gedanfen ausgetaufdt 
Hatten! 

Die Wangen des jungen Xüabdyens bliihen jo frifd), 


— 27 — 


wie die wilden Nofen am Ctraucdh, ihre fanften Wugen 
leuchten wie perflürt und die fchlanfen Hande beben, als 
fie gejchajtig die Rafanbiichfe herbeiholt, das Flammeden 
unter dem Gpiritusfeffeldjen entgiindet und die beiden 
Tafjen fiir die Ppleqeeltern auf dem Tablett gzuredhtitellt. 

Sie war e3 von bahcim gewHhut, Maddhenarbeit gu 
verridjten und Onfel und Tante gu bedienen, fie that e3 
ohne Murren und gern, mit Dem Gifer und ber freudigen 
Schaffensluft eines jungen Weibes, welches feine Krafte 
gern nübt und fid) vor fetner Arbeit fdeut. 

Was hatte fie auc) anders als WArbeit! 

Sie allein fiillte die fiirchterlide Eintinigfeit und Ode 
ihres Lebens daheim aus, jie Half hinweg itber die qual: 
vollen Stunden de3 Verlafjens und Verlorenjeins, fie war 
ihe şur Wohlthat, şür Freundin und Trijterin geworden. 
Aud) Hier, wo fie gum erftenmal die Şffeqecitern auf 
einer ölcile begleiten durjte, blieb die Arbeit ihre Bez 
gleiterin bet Tag und Nacht. 

Sie war ja nid)t Hergefommen, um fich gu erholen, 
um eine Hreude gu haben, oder bas Echine gu genicen, 
fie mar lediglid) ba, um den Pyflegeeltern Unfojten zu 
erjparen, Denn bie Tante fonnte ofne die weitqehend{te 
BVedienung nicht gu Cnde fommen, und eine Majjeuje, 
weldhe jtundenlang ihren Şörper fneten und reiben follte, 
hatte allein ein Kapital verjejlungen. 

Da entid)foğ man fid) murrend, das ,,Ding” mit: 
gunehmen, man hatte Dann die gewohnte Bequemlichfeit 


und jparte bas Trinfgeld fiir die Zimmermiadden. 
15* 


— 228 — 


Charitas hatte alles geordnet, fie febte fid) auf einen 
Stuhl nahe der offenen Balfonthiir und blicte in bic 
wonnevolle Welt Hinaus! 

Wie fonnig und dujtig war fie plötfid) 1 Gar nidjt 
mehr fo leer und arm wie zuvor! 

Celtfam, wie bie qrobe, weite Crde mit all ihren viel 
Taujenden von Menjchen doc) uur eine Wiifte ijt, wenn 
all dieje Taujende fremd und falt an uns voriibergehen, 
und wie reich, wie l[cbenSvoll und traut fie ijt, wenn nur 
ein eingiges Herz uns freundlic) und teilnefymend ent- 
gegenidilügi. 

Geftern noch fah fie ben jungen Freiherrn durd) den 
Garten gehen, fie mülhnte, er fehre von Chillon oder 
Montreuy şürüd, 

Sir lid hatte lange und nadjdenflic) au? ifm geruft, 
Dicjem jungen Cffehard im Pricjterfleid, welder fid) fret- 
willig von dem bunten Leben und aller Dafeinsfreude 
abgewandt, Die fie mit jungem, gliiczitterndDem Herzen 
erjcfnte. 

Lina, die Kammerjungfer der franfen Varonin, hatte 
erzahlt, ihr junger Herr wolle Minch werden, das Priejter- 
qeliibde Habe er fdjon abgelegt, nun warte er woh{ nur 
auf det Tod der Mutter, um vollends ins Klofter gu 
qef)en. 

Çeftfam, fo jung und fo entjagungsvoll! 

Charitas it ja nicht vergniigungsfitchtig, fie verlangt 
ja nid)t Spiel und Tanz und beraujdyende Luftbarfeiten, 
nur ein paar frohe, heitere Menjdhen, mit weldhen fie jung 


— 229 — 


fein fann, bei denen fie Zerftreuung und Erholung findet, 
wenn die Lajt des Tages gar zu erbarmungslo3 auf ifr 
gelegen. 

Corisdorff befigt eine Mutter! — er befigt in ihr 
Den Hichjten Shab, das tenerite Kleinod, welche einem 
Menfchen werden fann. Das freundliche Gdidiat hat 
ihm einen vornehmen Namen und anjdjeinend doch and) 
geniigende Wtittel gegeben — warum  perad)tet er bic 
Welt, wirjt dies alles von fid) und begrübt fid) inter 
RKloftermauern ? 

Cin trünmerild)e5, wehmiitiges Lacheln geht über das 
Antlizg der Sinnenden. 

Cine ungtüdfidye Liebe! Nur die allein ijt e3, Fann 
e8 fein! Gr hat entweder die Erwahlte durch ben Tod 
verloren, oder andere unitberwindlicdje Hindernijje jperren 
ihm fir ewige Zeiten den Weg gu ihr! 

Darum auch feine Vorliebe für traurige Lieder, barım 
jeine feltfame Grregung, al% fie von dem Glüd jprach, 
fein ernjte3 Ginnen und jein Hang zur Cinjamfeit, welder 
ifn, Den jungen Wann, jon vor der Zeit gum Greife 
madit. 

Cin ticfes, inniges Mitgefithl iiberfommt Charitas. 
Wie beflagt fie ihn! Wie ijt er doch jo viel, viel un- 
gliiclicher noch wie jie! Cin altes Wort fallt ihr ein: 
Ber örembidlaft und Liebe nie fuchte, ijt taufendmal 
ürmer, alS wer beide verlor!” 

Und dies Wort hat recht. Neben ihm jdhreitet durch 
alle Ginjamfeit und alle Ode bes Lebens dennod) eine 


— 230 — 


lidte Huldgeftalt, die Crinnerung an bie Geliebte. Cr 
nimmt ihr Bild mit fic) in ben Rlofterfrieden und İd)müdt 
e3 voll treuer Liebe mit nimmer welfenden Smmortellen. 
Er hat das fübe Glitcl gartlidjen Cmpfindens fennen ge- 
lernt, er hat der Liebe fiipe Macht empjunden, fein Leben 
war fein vergebliches, e8 war in allem Leid bend) gar 
reid) an Glitch. (ie aber geht ihren dunflen Weg fo 
ganz allein. Kein Stern ift ifr femal8 erjtrablt, fein 
warmer Lengeshauch hat je eine Knojpe in ihrem Herzen 
wachgefiigt, fein liebe’, teures Bild hat fie voll Wonne 
oder Weh als Heiligtum in ihrem Herzen aujftellen diirfen 
— einjam, dunfel, falt ijt e8 um fie her geblieben. 

Şit er wabhrlich ürmer nod) wie fie, er, ber Die Liebe 
fennen lernte — der noc) eine Mutter befigt? 

Nein — und Dod) leidet er wohl noch mehr wie fie. 
Des Weibes ewiger Anteil ift ber Scymerg; fie ijt şür 
Dulderin geboren, fie tragt auf ihren İdyadyen Schultern 
Doppelt fo jdjwere Lajten wie ber Mann, ftill, ohne Stage, 
lachelud. De Mannes Natur aber ftraubt fid) gegen 
Weh und Leid, wie gegen ein bitteres Unrecht. (r, der 
gewohnt ift, trobiq gegen alles angufimpjen, was ifn 
in jeiner Siegeslaufbahnu hemmt, er vergweijelt gegeniiber 
einer feindlicdjen Macht, welche er nidjt mit Fauften packen 
und nicderzwingen fann. Geine Litanenfraft zerjdjellt 
an einem Sirnlein wahren Leids, ein Thranentropfen 
wird atır: imertrüqlidyen Biirde fiir ihn, dieweil das Weib 
mand) {hweres Thrinentriiglein ungebeugt und faum bez 
merft Durds Leben trigt. 


— 231 — 


Der Mann miberfebt fid) dem Edidiaf, die weidje 
Srauenfeele beugt fic) ifm, und das madit eine gleice 
Lajt gar ungleid. 

Charitas verfdjlingt die Şönbe im Scop und lehnt 
das idyöne Haupt laichelnd guriicl. 

Cine ungliidlide Liebe! Diefe Ubergzeugung erfiillt fie 
mit einer groben Beruhigung. 

Das Bild fener Wnderen und das ernfte Nleid des 
Priejters finb die Schranten, welche ihren Verfehr müt 
Herm von Torisdorjf auf das neutrale Gebiet echter und 
Harmlofer Freundfdhaft permeilen werden. 

Sie Draud)t nicht gu fitrdhten, ihrem jungfrdaulidjen 
Stolz und ihrer Wiirde ctwwas gu vergeben, wenn fie die 
feltene reude eines Gedanfenaustanjdhes im dfteren Sehen 
mit ifm genieft. 

Gie fann ifm mit aller Offenheit und ehrlicher Freude 
begegnen, fie fann fich ofne Edheu geben wie fie ijt, ohne 
ben bübliden MNebengedanfen, er finne diefen Verkehr 
mipDdeuten. 

Der fdirille Ton der Klingel lagt das junge Madden 
aus ihren Gedanfen aujjdjrecen. 

Sie eilt şur Xhiir und tritt ein. 

Sir: erfter Sfid in das fcharfe, qramlidje Geficht der 
Tante, meld)e$ ihr mit ben bedrohlic) funfeluden Augen 
unter Der grofen Riifchenhaube entgegenblict, verrat ihr, 
bab bie Frau Ratin jdjlecht gejdjlafen Hat. 

pRirtlich ? Şörit bu mich diesmal Flingeln?” Hihut 
ifr die fdirilfe Stimme entgegen. ,,Heute nadjt Tatteft 


— 232 — 


Du wohl Pech in ben Ölyrem, oder warft du zu Taif, um 
bid) gu erheben? Wher natiirlich, was fiinmert e3 bid) 
Denn, ob ich Hilfe branche! Von Danfbarfeit ijt ja feine 
Rede! Dentft wohl, id) hatte e6 als eitel Wonne em: 
pjunden, bid) einen Sdjreibalg ehemals die halben Miadjte 
Herumgujcleppen, bid) mit Aufopferung meiner eigenen Gez 
fundheit gu marten und zu pflegen — —” 

Herr Schaddinghaus, welder bet den legten Worten 
in Cdilafrodf und Morgenfappe in ber Thiir des Neben- 
gimmers eridyienen war und die legten Worte börte, fonnte 
ein {pittijcdjes Lacheln nicht unterdriien. Frau Selma 
aber fubr in hichjtem Disfant entrüftet fort: ln nun, 
wo man bic ffeinite Gegenleijtung verlangt fiir all die 
Lajt, welche man gehabt, liegt die trage Perjon wie ein 
Murmeltier und riihrt fid) nicht!” 

Gridiroden blicte Charitas in das unjympathijde Ge- 
ficht ber Sprecherin. 

you hajt gejdhellt, liebe ante? Wch, ich bitte taufend- 
mal um WVerzeihung — ich begreife gar nicht, baf id) 
e8 nicht gehirt haben jollte; id) war doch wahrend des 
gangen Gewitters anl,“ , 

a natürfid), wirjt wohl wieder mit dem halben 
Kirper aus dem Fenjter gelegen haben!” 

peas müniditeft Du Denn von mir, liebe Tante? Cs 
thut mir gar 3u [eid — aber nach bem Gewitter habe 
id) wohl wirflicy jehr feft gejdlafen.” 

Die Stimme 5e8 jungen Maddens flang fehr etd). 
Sie fniete neben dem Bett nieder und begann ben 


— 234 — 


Sup, weldjen die Frau Ratin gebicterifd) Şinftredte, zu 
maffieren. 

,Gin Braujepulver follteft du mir anviihren, Dummes 
Ding! Sömteft e3 dod) bald wiffen, bağ Gewitter mid) 
aufregt und id) zur Veruhigung einer Limonade oder 
dergleiden bedarf. Uber natürfid), irgend welche Tiber- 
lequng gibt e5 ja bei bir zerfahrenem Gejdhopf nicht. — 
Au! VBift du rein von Sinnen? Du brüdft mir ja den 
Sup aus dem Gelenf!” 

ya, fie müb fic) doch rachen fitr die fleinen Wahr- 
heiten, welche du ihr İagft”) jdjallte die Heifere Stimme 
568 Mats aus dem Nebengimmer heriiber. — Die langen 
Singerndgel feiner Gattin gruben fic) in ben meiden Arm 
Der Nichte. 

yUnterftehe dich, boshaft zu werden, nid)tömürbiqe8 
Gefchipf!” gijchte fie, ,,ich werje bid) auf der Stelle gum 
Haufe hinaus.” 

Gharitas neigte das tief erbleidjte Wntlig wie cin 
Opferlamm, weldhes fid) geduldig feinen Peinigern über- 
lagt. Sd) gehe, wenn du e8 münidift, Tante’, murmelte 
fie tonl08. 

, Çi gewif! Das finnte dir jdlechten Perjon paffen, 
ung jebt ben Vettel vor die öyüfbe gu werjen!” Hhihnte 
oran Selma, aber fie jah doch ein wenig Detroffen aus. 
py Das ywilirde ja aller Himmeljdjreienden Undanfbarteit 
bie Krone auffepen! Gid) feit Kindesbeinen an bei uns 
birdifiittem und hegen und pflegen lafjen, und dann, 
wenn e8 gilt, genofjene Wobhlthaten zu vergelten, das 


— 235 — 


Biindel gu fehniiren! Was willft du denn werden, he? 
Komodiantin oder Strafendirne? — He?!” 

Herr Sdhaddinghaus ftand mit drohend  erbobener 
Bahnbiirjte bereits auf ber Schwelle. 

sorlaufig bediirfte e3 wohl nod) meiner Erlaubni3, 
Du jaubere Mamfell, ob id) bid) ziehen laffe oder nicht! 
Moch bift bu nicht volljahrig und unterftehjt ber Genalt 
Deines Vormundes, und der bin ich! — Werftanden? 
Haft ja İpüter nod) Beit genug, auf Abenteuer aus- 
gugiehen, fiir jest aber will id) bir noc) deine Wander- 
geliifte austreiben!” 

C@haritas antwortete nicht, fie war jo fehr an bicie 
moralijden Miphandlungen gewihnt, bab jie das Un- 
eriragliche jdjweigend Dduldete; jedes Wort reigte bie 
Pflegeeltern, die Sdhale ihres Borns aufs neue auszu- 
gieBen. Demiitig, auf ber harten Erde fiend, maffierte 
fie bie Tante, GliedD um Glied, ben gangen Korper, eine 
ftundenlange Urbeit, bis ihr vor WAnftrengung die Yrme 
gitterten und feudjte Xropjen auf der tim  perlten, 
Bwijdhendurd) mute fie das Friihftiic gureidjen, denn 
bie Frau Matin tranf den Kafao im Vett, und wenn 
all bielen WAnjpriichen geniigt war — Ddreimal in ber 
Wode wurden noch recht umjtindlide Wajdhungen und 
Abreibungen borgenommen — dann lief fid) die ,,leidende” 
Dame ohne jedwede eigene Hilfelciftung anfleiden, frifteren 
und bet İdymibigem Wetter im bequemen Sikwagen durch 
Den Garten fahren. 

Glied um Glied reihte fid) das miihfelige, qualende 


— 236 — 


Tagewerk zujammen, gu einer Mette, deren ewig qleid)- 
müğiger Druck die junge Sflavin ihrer Pylichten bei- 
nabe zujammenjinten fief. 

Horte die Tante auf gu nörgeln, 3u ironijieren und 
gu jdjelten, fo beqann der Rat, feiner ewigen Ungujrieden- 
Heit Luft gu machen. Cr gebörte zu den unglicliden 
Naturen, welche ewig mifvergniigt find und beim beften 
Willen nie zufriedengeftellt werden fonnen. Gditen am 
Morgen die Sonne in jein Bimmer, fo ddişte und ftdhnte 
er über bie perifud)te Helle, welche ifn blende und ge- 
radegu franf mace, Denn jeine Wugen jeien bereits ent= 
giindet von Dem Geblibe und Gefuntel, e8 fei eine flagliche, 
mangelhafte Welt, auf welcher ein anftiudiger Menfdh 
gar nicht eyiftieren fönne. Und wenn der Himmel bedectt 
war, fo İdyimpİte er erjt redjt, Dann war’s ein regnerijdhes 
Sauwetter oder ein Wind, um die Schwindjucht gu friegen, 
und ein Nebel, bet welcjem fid) der Gejundefte die Gicht 
holen mübte. Die paar Tage mit Connenjdhein jeien 
nad)gerabe jdjon 3u şöbfenl 

Kam mittags Nindfleiich auf den Tifch, fo follte es 
fieber Hammelfleijd fein, und fervierte man anderen 
Tags Hammelbraten, jo hatte er juft auf eine Ralb3- 
feule 2ppetit. 

Recht fonnte e3 ihm nie gemacht werden, und feine 
Gattin behauptete voll falter Angiiglichfcit, der Oppo- 
fitionSteufel fei erit in ihn gefahren jeit er gum 9İ5- 
geordneten gewahlt, — da müften wohl die Anjtecungs- 
bagillen in der Luft herumgeflogen jein! 


— 238 — 


Aud) Heute war dem Herrn Rat a. D. die Fliege 
an der Wand ein rgernis. 

Die Friihftiicksjemmeln waren fo fteinhart, bağ er 
fid) eine Sage ausbat, um fie gu Zerfleinern, und dabei 
hatte er geftern erjt betont, bağ er jie gang bejonders 
etwas weich liebe. 

pUnfinn! Gerade im Gegenteil!” fuhr Frau Selma 
biffig auf. On Haft neufid) gefchimpjt, bab fie /matidiig 
und plitidiig” feten, wie fiğen gebliebener Budding! Da 
follten fie ja mit Gewalt röld) gebacken werden.” 

pBeil du fie gern fusperig iğt und feine Ritckicht 
nefmen willft, legit Du mir Diefe gemeine Liige in ben 
Mund”, fuhr Herr Schaddinghaus wiitend ani. 

Sine Liige? $d) liige nicht!” gellte e3 ihm entgegen. 
,Gfyarita3, bu Haft e3 aud) gebört, du wirjt mir bei- 
jtuumen —“ 

yoy entfinne mid) wirflich nicht, liebe Tante 1” 

,)tatürlid), Du Heuchlerifehe Perjon İtedit ja immer 
mit ihm gufammen unter einer Decfe! Wenn e8 heipt, 
gegen mid) angehn, dann marjdiert ifr immer Wrm in 
Arm! O, glaubt ihr, id) mübte nicht Tüngit, ras id) 
weig? — MNatiirlid), um Die Herren Herumjchwangeln 
thut ja jede3 Grauengimmer und wire .e8  felbit jo 
ein haplicer, graufipfiger Rniciticfel wie mein teurer 
Gatte!” 

yBifseft du dir ein, — bu wareft 1d)ön?” früfte der 
Rat mit wiehcrudem Gelüditer, und Frau Selmas Teint 
farbte fid) nod) um einen Schein gelber. 


— 29 — 


yd ja, id) brauche mid) nidjt vor harten Gemmeln 
gu İdyenen, ich trage noc) feine WBorzellanfabrif im 
Munde!” 

/lber dafiir eine Perriicke wie ber grofe $turfüriti” 

"ağ ijt gleichgiiltig, — wenn nur nod) Haare auf 
Den Bahnen vorhanden find, um die Sörutalitüten des 
Herm Gemahls abzutrumpjen!” 

,Das hat man billig, wenn man das Blaue vom 
Himmel ligt! Gegen jolche Waffen fampfen anjtandige 
Menfchen ebenfo vergeblich, wie aud) bie Götter umjonjt 
gegen Deine Dummbeit gu Felde giehen rwiirden 1” 

/,9q, DU Haft recht, Dumm war ich, wenn aud) mir 
einmal im Leben, ala ich bid) rüben Rerl zum Manne 
genonmenl” 

ya, bi: nahinft mic! — Da gab e8 leider Gottes 
fein Cntrinnen mehr! 

,Golf bas etma hHeiften, ich hatte bid) gefangen?” 
hohnladte Frau Schaddinghaus und rüdte die Brille güz 
recht, um den Gelicbten ihrer Geele mit bpemid)tenbem 
fid zu treffen. 

,Sefangen? — Mehr wie das! — Mit Leimftiebeln! 
Schon damals ward id) durch Vorjpiegelung talidyer That- 
fachen getiujcht, belogen, in3 Garn geloct! Hahaha! — 
Die abelige Tante mit ber qroğen Crbfchaft, hahaha, 
Das war auch fo "te fnatidiige Gemmel, was?” 

/Unverfchamtbeit !/ 

Wahrheit!” 

Charitas hatte laingft die für hinter fid) gugezogen; 


— 240 — 


mit ciner  fetbenidyaftlidyon Bewegung, wie von Şödyftem 
(fel und Abjdeu ergriffen, brebte fie die Hande gegen 
bie Bruft, und ihr milde3 Dulderantlig Hob fid) wie in 
veraiveijelter Frage gum Himmel: ,,Wie lange Toll id) das 
Surdhtbare noc) ertragen, o Herr, mein Gott?!” 


16 


Nov CfgHftruth, SİL Nom. u. Nov., Friihlingsftiirme L 


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ni ar ber Streit gwifden Dem Chepaar Sdhadding- 

İYİ” Haus entbrannt, fo wogte er eine geraume Zeit 
—— hin und Şer, fid) fteigernd bis 3u einer Cr- 

bitterung, welche weder Wak noch Biel fannte. 

Da der Austrag meift unentfchieden blieh — die 
Gegner waren einander in jeder Beziehung gewad)jen — 
İp Dauerte bie Kampjesjtimmung meift nod) langere Zeit 
nad) dem WAbbruch de$ Wortgeplinkels fort, fid) aupernd 
in grengenlojer Gereigtheit, in gegenjcitiq hohnvollem Sqno- 
rieren und machtvollem Zufchlagen der Xhiiren. 

Die leidende TXante verfiigte über einen erftauntich 
hohen Grad von Kraft und Ausdauer, wenn e8 galt, 
Den lieben Gatten bid an? Blut zu jchifanieren, und 
fomte fie ifn babırd) drgern, jcheute fie felbjt die grifte 
Anftrengung nicht; einen widhtigen Scbliiffel, oder die 
Brille, oder gar die Bahne de3 Herrn Gemahls in der 
Tajche, fonnte fie jtundenweite Partien gu Wajjer und 
gu Lande unternehmen, geftahlt burd) das erhebende Bez 
wuftjein, baf ber liebe Theodor daheim in Rajerei ver- 


— 243 — 


fiel. — Wéahrend jolcher Beit, wo der Cheftandsbaro- 
meter bebenffid) auf Sturm und bd3 Wetter geigte, erging 
e3 Charitas anjcheinend am leidlichjten, denn die feind- 
Tidyen Parteien rijfen fid) um fie al8 Wlliierte, und die 
fonjt jo jeltenen quten Worte jdwirrten Honigfiif um 
fie Her. 

Der Herr Rat bemiihte fid), die Gattin gu wilder 
Ciferfucht gu reigen, indem er der Nichte die plumpften 
Sdhmeicheleicn fagte und fie mit Şörtlid)feiten verfolgte, 
welche dem jungen Midchen noch taujendmal widerwdr- 
tiger waren, wie die brutaljte, moralijdhe Miphandlung. 

Sn foldjen Stunden glaubte fie Dem Clend ihres Daz 
fein erliegen gu müffen. 

Sie, deren Seele nad) Frieden und ftillem Gliic 
lechgte, verfdmadhtete in bem Hillengefiihl diejed. ewigen 
Haders, diefer niederen Gefinnung, bicfer Herglojen und 
gemeinen Feindjeligfciten, mit weldhen jeder Tag in un- 
ertraglider Gleichmapigfeit begann und endete. Cin Ge- 
fiihl bes (fefs, bes Wbjcheus vor diefen beiden Menjdjen 
erfiillte fie, voll Vergrweiflung hob fie die Hinde zum Him- 
mel und flehte um Crlijung. 

Ach, wie oft hatte fie, gum Guperjten entfchlofjen, 
ihr Sünbeldyen padeı wollen, um davonzufliehen in die 
weite Welt, aber ihr eble8, brave3 Herz ftriubte fid) 
Dagegen, fie berad)tete Den Undanf von andern und follte 
fid) jelber eines jolchen fdhuldig madjen? 

Wurde ihr nicht tüqfid) vorgehalten, was fie Gutes 
im Hauje ber Pjlegeeltern genojfen? Ach, dag fie jeden 


16* 


— 244 — 


Viffen Brot, jedes Stiickdjen Beug, jede durchwadhte 
Stunde mit Gold hatte abgahlen finnen! ber fie bejaf 
fein Geld, fie war arm, fie war ber Gnade und Ungnade 
Diefer graujamen Cqoifter anheim gegeben. 

Wie ein freundlidjer Lichtblicl in ihre Verlafjenheit 
fam bic Reije nad) ber Schweiz. 

Gonit hatte fie bafeim bleiben und als Ajchenbrodel 
Das Haus Hliten miifjen, jest aber Hielten es die Pylege- 
eltern für ficherer, fie mitzunefmen, Dem Der alte Drachen 
von einer Schiwagerin, welche ehcdem noch bei Rats lebte, 
und die befoudere WAujgabe hatte, das junge Madden gu 
iiberwadjen, war im legtcn Winter gejtorben. 

Da geboten Borficht und Sequemilid)fett, die Nichte 
in Diejem Jahre mitgunehimen und Charitas jubelte gum 
erftenmale vor reude und genop all bie Wunder ber 
Schinheit, welche fid) ihr in dem Herrlichen Schweigerland 
erfcjloffen, anfanglich mit Entgitcéen und Wonne. 

Bald aber lief gerade dieje paradiefijde Gdyönfkcit 
ihrer Ungebung, da8 lujftige, gfüdfeliq fprudelnde Leben 
ringsum, Die jaudgende Sprache eines ungetritbten (ez 
nuffes, welche ifr jeder Luftgug entgegentrug, den fchroffen 
Gegenjak gu ihrem freudlojen Reijen doppelt jtarf ferz 
vortreten, und mehr denn je empfand Charitas ifre nüz 
menlos traurige Vereinjamung inniitten der reidhen, (oden:z 
den, lachenden Welt. 

Da fam ein gweiter Gonnen|trahl und fiel leuc)tend 
in ihr franfe3 Herz. 

Gic fand, ohne ihn gehid)t gu haben, einen Freund. 


— 245 — 


Sene: erfte Segegmnş mit Şofef bon Torisdorff afid) 
ber Schwalbe, welde lieblidjen Leng verfiindet. Sir folgen 
mehr und mehr — in jubelndem Gdwarm, bis der Gom- 
mer gefommen ijt und die Rofen aus der Knospe bredjen. 

Droben auf dem laufchigen Pjad der griinen Berg: 
wildnis erblüfte ungeahnt und ungejchen fiir gwet junge 
Yöenidyenfergen die Blume des Glüde. 

Noch gingen fie blinden Wuges an ihr voriiber, aber 
fie atmeten jdjon jebt wie in füfer Whnung ihren Duft, 
fie Hirten das Leife Klingen und Fliiftern ihrer Blatter 
im Wind, und fie fchloffen die Augen nur defto fefter in 
bebender WArgft, ein jeliges Xraumgebilde vorgeitig 3u 
şerİtörem. 

© hatte feines zu dem anderen gefagt: ,,Mommnr 
wieder!“ — Wenn aber die Bergfirnen unter dem heifen 
Rug der Morgenfonne purpurn ergliihten oder wenn bie 
erften zarten Dujtihleier traumerijcdjen Whendfriedens um 
die Dunflen Tannen webhten, dann erflang auf dem moo- 
fiqen PBfad ein eiliger Schritt, das Lichte Gommertlcid 
welte wie winfender Gruf fchon von fern, und ber 
junge Priefter ftand mit verfldrtem WAngeficht droben 
unter den Blatanen und bot der Nahenden mit feftem 
Druc die Hand. 

Oa, fie waren Freunde geworden. 

Sie faben nebencinander auf den moofigen Felfen 
und verhehlten fid) nichts von allem, was ifr Leben an 
Sreud und Leid gebradit. 

Bwar nannte Şofef mie ber Namen feines Stiefvaters, 


— 246 — 


wie er ilber bie ungliiclicdhfte Beit feines Dajeins fid) 
unverbriichlides Schweigen aujerlegt hatte. 

Aber er erzihlte von feiner Kindheit, von dem fo 
trauten Leben in der Refidenz, ehe feine Mutter einen 
Wechjel in ihren Verhaltnifjen eintreten liek, an weldem 
er leider Gottes bic Schuld trage, eine Schuld und Verz 
antwortung, weldje all fein friedliches Glick gemordet. 

Gfaritas blicte mit einem Ausdruc  ticffter Srgriffen- 
Heit in fein WUntlig. 

proc ehe id) Sie perfönlid) fannte, habe ich über 
das Unbegreiflice nadjgedadht, wie e8 wohl gefommen 
fei, bab Sie fid) dem ernjten, entjagung3vollen Serif 
be8 Priefters gugewandt. Sft e8 indisfret, wenn ich bicfe 
rage aud) jebt nod) ermage, ja, wenn ich fie Shnen 
İogar ehrlid) ausipred)e? Bch habe ja verjucht, fie mir 
gu beautworten, aber nad) allem, was Cie mir foeben 
angedeutet haben, fehe id) bod) ein, baf id) Sie nid)t 
ridjtig beurteilt habe.” 

Er Laichelt. ie werden geglaubt haben, was die 
meiften Menjden alS Grund meiner Sinnesanderung 
annahinen. Wenn ein Bonner Korpsftudent, Der gwar 
nie ein Gemibmenid), aber auch fein Qucfmaujer war, 
jondern im gemagigten Fahrwafjer be breiten Etromes 
mitjhwamm, wenn diejer Beneidenswerte, der über Titel 
und Mittel verfiigt, um dem Leben abgugewinnen, was 
e3 begehrenswert macht, wenn der urpliglic) das bunte 
Band und den Schlager an den Nagel hangt, um Priefter, 
oder gar Mind) 3u werden, jo fennt die grobe Menge 


— 2417: — 


nur eine Frage: ,oü est la femme?! und Ddiefe Frage 
ftellen auch Sie, Fraulein Charitas?” 

Gic errötet ein wenig, weil er Das Rechte getroffen, aber 
fie erwidert freimiitig feinen Blicé und nidt fehr ernfthaft. 

,(Senib, id) bin nicht jehr originell in meinen Gee 
Danfen, jondern zahle jehr gu den platten Philofophen, 
yoeld)e guerjt nad) bem nachjtlieqenden greifen. Cin biğdyen 
Poefie und Romanti€ fpuft ja ftet8 in einem Madchen- 
fopj, und, ehrlic) gejtanden, e3 witrde mich freuen, mich 
iibergeugen 3u fonnen, bab e3 auch Heute, am fin de 
siecle, in Dem faltherzigen, niidjternjten Şafrşefni noch 
eine Toggenburgliebe gibt, welcje alle Berleumdungen 
ber Mtannerherzen Liigen {traft!” 

Wieder hujdht ein Ladheln um feine Lippen, aber ein 
gar weblmiitiges, und mührenb er mit ber Şubipiğe die 
garten Grasrispen hin und her neigt, fdjiittelt er fang: 
fam, gedanfenverjunfen Den Kopf. 

peergeben Sie mir, wenn id) Bhnen einen fchinen 
Wahn zerjtiren müb. WAuch Gllufionen fönnen begliicten, 
Darum ift e3 graujam von mir, fie Ghnen gu nehmen. 
Aber Sie fragen mid). Freiwillig hatte id) Fhnen wohl 
nicht barüber gefprodjen, ba Gie mir aber nun bewiejen, 
bab mein Schidjal Şfnen mafhrlid) nicht gleichgiiltig, nicht 
nur eine Epifode ijt, amiijant zu Hiren und gut genug 
für furşen Beitvertreib, fo follen Sie erfahren, Charitas, 
was auger Shnen nur nod) Gott der Herr allein weif. 
dit: die Liebe Dat mich in das Mlojter getrieben, fondern 
bie Schuld!” 


— 248 — 


Er blict jahlings auf, in ihr Auge. Gic İdiridt nicht 
gitjainmen, fie rweicht nicht entjebt von ifm guriid, fie 
hebt nicht ftaunend, nicht befdymörenb die Hande mit dem 
gitternden Ruf: ,,Weldh ein Berbrechen begingen Ste? !/ 

Shr Antlig wird nur um einen Schatten bleicher, als 
fie tie} aufatmet und Teife fortfahrt, alg er noch immer 
{chweigt: ,Cine Edib? — Dann war e3 doch) wohl nur 
eine folche, weldje fein irdijcer Nicjter und wohl auch ber 
ewige droben nidjt anerfemt?” 

Er fpringt empor, er fchreitet vor ifr auf und nieber, 
als mübte er einen Sturm befampfen, weldher ihn pliglid) 
bis in jeden Nerv und jede afer Hhinein fchiittelt. Und 
Dann bleibt er ftehen, prebt bie Hande gegen die Bruft 
und blict ihr in das WAntlib, fo wunderjam, fo tief erz 
quiffen, wie ein Gerichteter, meldyem plötlid) ein Wort 
Der Gnade das Leben wiederjdentt. 

Sie trauen mir nichts öfes gu, Charitas”, fagt er 
mit eritidter Stimme, ,nicht mir und nicht jenem anderen! 
Sd) Dante Shnen fiir diejen guten Glanben, welder mid) vor 
mir felber wieder wert macht, welder meinem Leben einen 
neuen Subhalt gibt. Wenn man fid) felber fiir einen Paria 
Halt, fo thut e3 wohl, Augen gu finden, welche fein Kains- 
mal, fonbern nur bas Gute an uns jehen. — Nicht nur 
Mord und Totfhlag find eine Sdhuld, Charitas, e8 gibt 
aud) eine moralijde, weldje noc) jdjwerer gu laften ver= 
mag wie jene, Denn fie bebrüdt feine gewifjenloje Ver- 
bredherfeele, fondern im Gegenteil, die empfindjamjte, in 
ihren Heiligiten Gefiihlen gefrantte Chre!” Der Sprecher 


— 20 — 


fanf auf den Felsbloc guriicé und ftitgte ba8 Haupt fchwer 
in bie Hand. ,,Cin Mann, welder mir nabe ftand, beffen 
Namen die Welt in einem Atem mit Dem meinen nennt, 
mein Stiefvater, hat ben WAnlaf gu einem fchweren Ungliic 
gegeben, durch welche3 viele Menjdjen in bas tieffte Clend 
geftiirgt find. Und baf id) dicjes Clend nicht von ihnen 
abwenbden fann, bab id) nicht git madjen fann, was mein 
Stiefvater gejeblt, ijt das qualvolle, erörüdenbe Gdhuld- 
bemubilein, roclcdjes mid) in bie Cinjamfeit des Rlofters 
getrieben. Söeritefen Sie mich, Charitas? RKéinnen Sie 
jebt mit mir füblen und empfinden? Sd) fann nicht leben 
und genteben, wahrend andere burd) bie Sdhuld des 
Mannes, welder vor der Welt mein Vater war, darben 
miiffen. (Gö gibt feine andere Güne, alS von mir şu 
werfen, was id) befibe, alS allem gu entjagen. Jd will 
abbiigfen, was jener feblte, id) will burd) mein Martyrium 
jeine Geele 1:5 und mein Gerwifjen fret beten!” 

(65 lag eine büftere Lcidenjchajtlichfeit, ber Fanatismus 
eines jungen Menjdjen, welcher voll zaher Beharrlichfeit 
an einem Wahn — und fei e3 auch ein Srrwahn — feft- 
halt, in ber Stimme de3 Sprecher8, und fie verfehlte ihre 
Wirkung nicht auf die, welche ihr Laujdte. 

Cin tiefe3, namenlojes Weh bebte burd) Charitas Herz 
— fie, bie Weltfremde, Unerjahrene, an welde noc) nie 
bie qroğen Ratjelfragen erniter Schicjalswirren heran- 
getreten waren, founte fid) fein Bild von den Geelen- 
fampfen eines Wtannes madjen, welchen iibertriebencs 
Pflichtgefiihl und jtolze Chrenhaftigkeit zum Phantaften 


— 251 — 


gemacht; fie harte nur feine flaren, bentfidyen Worte, baf 
er Das Priefterfleid tragen mitfje, wenn er nicht an ver= 
gweifelndem Schuldbewuptfein gu Grunde gehen folle. 

Diefe Worte riffen einen Edifeter von ihren Wugen, 
fie mubte von Anbeginn, dak eine Kluft gwijden ihnen 
lag — jebt fah fie diejelbe in furditbarer Deutlichfeit, 
wie fie fid) aufridjtet gwijden ifm und ifr — fiir alle 
Ewigfeit. 

Und ihr Herz guctte plöbfid) auf wie in Herbem 
Schmerz, und in ihre Augen traten Thranen. 

War es nur Mitgefiihl, Antetlnahme an dem Schick 
fal be5 Breundes? 

Sie wufte e8 nicht, fie gab fid) auch feine Rechenz 
jdjajt bariber, fie empfand e8 nur inftinftiv, bab Ddiefe 
Etunde einen gar bedeutjamen Wendepunft in ihrem 
Leben btfbe, 

Auch jebt Datte Bofef nicht ben Namen de3 Stiefz 
bater3 genannt, und Charitas fam e3 nicht in ben Cim, 
ibn gu erjragen oder gu erforjcen. 

,Gingen Gie mir wieder ein Lied!” bat Fofef am 
anderen Tage, al8 er ihre Hand mit langem Druck um- 
{chlof, und fie fenfte bie Dunfeln Wimpern und mid) feinem 
Blick aus. 

bas wre wie ein brennend Licht am Tage!” berz 
fuchte fie gu fcergen. ,,QWarum mit mir felber plaudern, 
wenn ich fo freundliche und anregende Gejelljdajt habe? 
Meine Lieder find nur ein Notbehely.” 


— 252 — 


noite mid) find fie mehr — fie find UWrgnet, an welder 
meine franfe Gecle gejundet.” 

Sie taujden fid) Traner und Wehmut heilen feine 
Wide. Die trüben Weifen waren Fhunen fympathifch, 
cin Spiegelbild Bhres eigenen Empfindens, barım thaten 
fie Shnen wohl, wie ein milder Troft. Wber fie find e3 
nicht, fie find heimtiicijde Klangperlen, weldje da Herz, 
in welches fie fallen, ebenjo jdjwer und franf machen, wie 
Die Mujchel, welde auch an ihrer Perle ftirbt. — Nein, 
feine jdjwargen Gedanfen mehr, başı ift bie Welt gu fin 
und Heiter und ber Himmel hier droben gu nahe. — Waren 
Güc jdon einmal auf jener Felsfuppe? Mein? — id) bez 
İtieq fie and) nocd) nicht. Und barım frild) an3 Werf! 
Und wenn wir droben find, jodle id) einen Grup zu 
Tintére hiniiher, fo frild), fromm, frohlich und frei, bağ 
fein Gennerdeandel e3 beffer madjen foll!” 

Er lachte mit ihr, und mührenb fie eilig bas Gommer- 
flcid iiber den Fiifen hodjftecte, um bequemer ausjdhreiten 
gu finnen, rubte fein Bic auf ihrer jdjlanten, bliihenden 
Geftalt, und e3 deuchte ihm, fie werde alle Tage jdhiner. 

Charitas fchien dngftlich baran? bedacht, 16565 traurige 
Gefpracdsthema gu vermeiden. 

Bir fennen ja nun einander! Wir wiffen, wie € 
bisher fo bimfel in unjerem Leben war, darum wollen 
wit ben Sonnenjdhein jroh und danfbar geniefen.” 

Und die Rofen pfliicfen, eh’ fie verbliihn!” fiigte er 
fhergend hingu, al& feine Begleiterin fid) bet den lesten 
Worten neigte, ein wildes Rwslein vom Bujd) gu brechen. 


— 25 — 


pmandhe Menfdjen nennen das Blumenpyliicten eine 
Barbarei, und Tante ift jedeSmal empört, wenn ich auf 
unjeren Epaziergangen daheim ,Griinjutter raufe‘ Gie 
{egt feinen Wert ani ein gejdhmiicttes Bimmer. $d) thue 
e$ um İp mehr, bem Das biliterite Gtitbdyen wird Freundlich 
und möhnlid), wenn jold) ein blifender Grüb vom Tijch 
lacht. Man mu die Blumen nur verjtehen! — Sie jagen 
18 mük...” 

,Xamentfid) die Gretdenblume!” 

Sie fagt Dummes Beug, mefldyes man fie gar nicd)t 
fragen jollte.” — 

ySollte? Wljo jman‘ thut e3 bod) 127 Cie wandte 
fid) eifrig şur Geite und müfte fid) mit einer gierlicjen 
Brombeerranfe ab. 

“Mer meib 17 ladjte fie, aber ihre Stimme bebte 
wunderlid); ,wenn nidjt jest, fo Doc) vielleid)t fpüterl 
Man fol nichts verreden, Denn feinem Cchicjal entgeht 
man nidjt. ,,Bliht Blimlein noch fo tief verftectt, bie 
€onne hat e8 doch entdeckt!” verjichert ja der Did)ter, 
und mit Den Blitmdjen meint er die Madden, und die 
Sonne joll die Liebe jein!” 

Sojef antwortete nicht, er ftand plötlid) iti und 
jtarrte au? Das geneigte Ropfdhen, defjen goldene Licichen 
in ber Conne flimmerten. 

Sebt wicht! Wher jpater... bamı fommt die Sonne, 
Die qrobe, ftrahlende LicbeSjonne, die geht iiber biclem 
einjamen, tiefverborgenen Wiaddhenherzen auf, und ein 
Mann, ein Frembder fommt, ber fegt den Arm um 


— 254 — 


fie, ber fliiftert ifr trunfen vor Gfüdfeligfeit ins 
Pr — — 

Şofef jcrickt gujammen, iiber ifm im Gegweig İdymettert 
ein Vigelein aus voller Kehle, jein lieber, Feiner Sanger, 
weldjer ihm jiingjt, gleid) Siegfried den Weg wies. 
Şit er3? 

/Mebt müt” id) ihm nod 
Das Yerrlid)fte Weib! 
Durdhjchritt er die rinit — 
Grmedt” er die Sraut — 
Briinhilde ware fein!” 

Welch ein Gedanfen! — 

Wie ein feuriger Blig guct e3 vor ihm nieder und 
blendet ihm ploplich die Wugen. Hat er e3 fid) denn 
nid)t von Anbeginn fagen miijjen, dag bicles Lieblice, 
anmutige Weib begehrenswert fein mug, jedem Auge, 
weldes Verjtindnis für Schinheit, jedem Herzen, welches 
verfieht in anbdern Herzen gu lejen? Git e3 etwas fo 
Unjaplide3, bab fie qeliebt werden und auch wieder 
lieben wird? Hat er nie guvor baran --. Lagen 
feine Gedanfen im Traum? 

prxsebt müğt id) ihm nod 

Das herrlidfte Weib!” 
jubifiert e$ über ihm, ad), Sehnende verftchen ja den 
Sinn diejes Vogelliedes! 

Shm? Sim meib er das herrlidce Weib? Bift du 
blind, fleiner Günger? Giehjt du nidjt das duntle 
Kleid, Reverenda und Cingulum? Weift du nicht, was 
fie bedenten wollen? Das Herz, weldje3 unter ifnen 


— 255 — 


{hlagt, und fet e3 noch fo jung und fo Beb, ijt tot 
für bid) und fein Holdes Şoden, und fein Strahl jener 
Gnadenjonne, meld)e die Liebe Heipt, fann e3 rettend 
aus bielem Zodesjchlaje medenl 

Hat er fid) dies alles nicht taujendmal zuvor gefagt? 
Əft er nicht fejt entjchlojjen gewejen, der Liebe und ihrem 
Glüd gu entjagen? 

Sa, er war e8, und e8 Ddiinfte ihm fein fchwerer 
Kampf, inmitten ber Welt voll lachender, glutdugiger 
Weiber dennod) ein fittenftrenger und fittenreiner Diener 
be8 Herrn zu bleiben. 

Warum ftarrt er das Bild bicler feiner eigenen 
Ubergeugung pliglic) an wie cin Schreckgejpenft, welded 
ihm mit ei8falten Handen nad) dem Herzen greift? 

pBijjen Sie aud, bağ Sie fid) das Leben recht 
bequem madjen, auj Kojten aller Hiflichfeit und Nadhften- 
fiche?” fad)t Charitas, fid) mit glüfenben Wangen 
von den RKnien aujfridtend; fie hat die dujtigen Wlpen- 
blumen aus dem Moos gepfliict und Halt ifm mm 
Germer und Colchicum Heiter entgegen: ,,Diefen ganc 
Straug lafjen Sie mic) im Sdhweife meines 9fngefid)t5 
pilüden und Gic ftehen ungeriifrt babet, ohne auch nur 
ein eingiges Blatthen beigufteuern 2” 

Er nidt gerjtreut und fieht auf die Blumen nieder. 
,/Und wenn id) Shnen einen anderen Straug pifide, 
befomme ich Dann biclen?” 

/Wenn ber Fhre noch qröğer und hiibfdjer ift, taujdje 
id) ihn opfermutig etn!” 


— 256 — 


7h werde wenig Slice haben; die Blumen bfüfen 
nicht für mid) fdjwarzen Gejellen, aber vielleicht gibt 
€8 bennod) ein Kndsplein, welches fid) nicht vor mir 
verftectt, alfo fucjen wir! QBitterflee und Thranenweiden 
finde id) wohl.” 

ybler İdynerfid) 17 Charitas gwingt fid), Heiter gu 
bleiben. ,,WUuf den Gergen wohnt die Freiheit und die 
oreude, und bidit vor Shren Fiifen lachelt eine blaue 
Gengiane fehnjiicdjtiq gu Shnen ani, id) glaube, fie 
fürd)tet fid) weniger vor Shnen, wie Sie fid) vor ihr, — 
bas Şüden ijt auch gar zu faner,” 

Nun mug er lachen, und labt fid) nieber auf das 
RKnie und folgt Dem Wink ihrer weifen Hand. 

vSehen Sie, ob noch etwas in Greijweite bliht, bağ 
ich gleich drunten bleiben fal” 

2 nein, fo jehr arbeite id) ber Bequemlichfeit nicht 
in bie Hande. Şebt heift e8, fid) anjtrengen. Denn — 
wie gejagt — wenn Shr Strauf nicht fehr vicl hiibjdjer 
ijt wie Der meine, tauidle ich nicht!” 

yd Opferniut — dein Mame it Weib!” 

pit Bornamen Charitas!/ 

yor) hatte eine fo gute Meinung von Bhnen!” 

,,2as war leidjtjinnig; mun haben Gic die Ent- 
tiujehung, denn bei ,,Mein” und ein” Hort jede 
Giite auf!” — Gic eilte leichtfiipig burd) Das wogende 
Gras eine fleine Wnhihe empor, wo die roten Etein: 
nelfen und der wilde Thymian ihr entgegennictten. 

Er aber hob den Arm und pfliicte das Dujtcnde 


Nv CfHftruth, IL Mom wu. Nov., Friihlingsitiirme 1. 17 


— 37” 


Seldngerfefteber, welche feine üppigen Blattfchlingen bis 
empor unter bas Gegweig ber Baume ffodit. 

Und dann jah er ihr nad), wie jie broben ftand. 
Die fdifanfe Geftalt zeichnete fid) gegen den fleckenlojen 
Himmel ab wie ein Marmorbild, weldes Leben qez 
ywounen. 

Der meibe Kleiderrod webhte, fie hob die Hand bez 
jchiibend über die Augen und fpahte weit hinaus ins 
Thal. Und das goldbraune Haar leuchtete wie das Laub 
be8 Cdelweif. 

Sa, Hier blitht’s vor feinen Slider, 

Verfteckt e3 fid) auch vor ihm? — Mein, e3 wintt 
im fogar lacdelnd gu: ,Komm auch!” 

Wh, bağ er emporitürmen finnte. .. 

Sofef jtreicht ploblich mit bebender Hand iiber die 
Stirn. Welche Gedanfen! Wie fallen fie plöbfid) über 
ihn her, gleich Wolfen im Schajspels. 

Was ficht ifn an? Tobt ihm das Fieber in den 
Adern und wirbelt ihm Wahngebilde durch) das Hirn? 
Ach, warum İprad) fie bon bem andern, ber: einjt fommen 
wird! 

Der Schatten diejes Frembdlings ift in all den lichten 
Sonnenglang gejallen und hat den Tag verfinjtert. ari 
e8 gefdhehen? Gebhirt e3 nicht gu dem Martyrium ber 
Entjagung, dag er neidlos und wunjdlos vor Gottes 
Altar fteht, die Hinde der Gebenden in ewigem Bund 
gu vereinen? 

Der Liebenden! — Mtdgen fie fommen von nah 


— 259 — 


und fern! Gr will ber Braut in das ftrahlende Antlit 
jjauen und rubigen Hergzens den Gegen itber fie und 
ben Ring an ihrem Finger fprechen — nur Charitas 
joll e3 nicht fein, welde als Weib eines andern vor ihn 
tritt! 

Wehe ihm! — Charitas fteht ihm fo fern — fo 
ewig fern wie all die andern Weiber auch, — und wie 
er aud) mit blutendem Herzen gu dem lichten Cdelweif 
emporjdaut, — e3 gübnt ein Whgrund grwifchen ihunen, 
über welchen fein Steg und feine Srüde fithrt. 

/Marum fommen Sie nicht? — Cie abhnen nicht 
bie Pracht, welche Bhrer hier harrt! — Bch) werde 
Entree nehhmen, wenn Sie nicht eijriger bet ber Cache 
find, — oder Shnen den jchonen Şobfer, mit welchem 
id) Sie Hier oben am Cude der Welt begriigen wollte, 
vorenthalten 17 

Wie Heiter fie feit den legten Tagen ijt! Wie fie 
{ehergt und gar nicht afnt, welche Ctitrme in ifrer 
nachjten Mahe eit armes Menjdenher; durdjtoben. Wie 
fern liegen ifr die Gedanfen, welche ihn ploblich heim- 
fuchen! Wie blind bleibt fie, wo ihm von Minute gu 
Minute die Wugen jehender werden! 

Gar jhwer wird e8 ihm, auf ihr lujtiges Geplauder 
eingugehen. 

Seine Stimme flingt Heijer und fremd, af er ihr 
antwortet, aber er ümid)fiebt Die paar Bliiten, welche er 
gepilüdi, mit frampifaftem Druck und jteigt bergan. 


Gie fteht im goldenen Gonnenglanz, von Wind und 
17" 


— 260 — 


Halmen umfpielt und fieht ifm entgeacn. Und al fie 
feine İd)öne, vitterlidhe Geftalt fieht, und das geneigte 
Wutlig mit den fo wunderbar Ddiiftern und bennod) edeln, 
Durchgeifteten Biigen, da fihlt jie wieder Das Heife Wel 
im Herzen, welches fie fid) midjt benten fann. Verloren 
fiir bie Welt, — verloren für das Glüdl 

Warum empfinbet fie e3 fo tiet und İdymerəfid)? Bit 
€8 denn ihr eigen Glüd, meld)e$ an diejem bunffen Şöriciter- 
fleid gu Grunde gelt? 

Er it ihr jremd, — er fteht ihr ewig fern, — warum 
flagt fie? 

US fie den , Sffefarb” gelefen, gitterten ihr auch bic 
Thranen an ben Winpern. Das war bic bitterjiipe Weh- 
mut folcher Poefie, welche die ticfften Tiefen des Mlenjchen- 
Herzens rithrt. ŞİVUS aud) jet das gleiche Empfinden? 

© nein, — Sojef von Covisdor|f üt nicht der Minch 
pom Hohen rwiel! ener liebte, — und feiner Liebe 
bittere Mot war fein Ungliic. 

wojef liebt nicht. Cein Herz fcjligt fiihl und leiden: 
fchaftslos in ber Brujt, eingiq blutend an der Wunde, 
weldje man feiner Chre, feiner Gewijfenhajtigteit ge- 
fehlagen! 

Das ift feine Poefie, — wenigitens nicht in Miaddjen- 
augen. 

Warum beflagt fie thn? — Beftimmte er fic) fein 
Gejchice nicht felbft? 

Nein, ihr Şerşefeib gilt nicht ihm. 

Wem fonit? — ihr felbjt? — ihr? 


— 261 — 


Charitas brüdt pliglich bie Hand vor bic Augen, als 
fine jie fid) blind madlen gegen ifre eigenen Gedanten. 

Und dann flammt e3 in ihr ani .wie eine töblidye 
Angft, wie eine fpride, jungfrauliche Scheu, welche vor 
Dem traumbaften Geheimnis ihres eigenen Herzens zittert, 
und fterben witrde vor Scam und Entjegen, wenn gar 
ein anberer İold) wahnwibiges Denfen und Sinnen aud) 
nur ahnen wiirde. 

Die feujden Frauen find gegen den Mann Meifterin 
in ber Selbftbeherrjdung und tugendhaften Berftellung. 
Sie lachelu, wenn fie weinen michten, fie fampfen wie 
Heldinnen gegen fid) felbit und ihre Leidenjdhajt, fie berz 
mügern ein Antlig gu zeigen, ruhig und friedvoll, wahrend 
ihc Herz verblutet unter den Todesjtreichen, welche e$ 
gerfleijchen. 

pots nicht bray bon mir gewejen, Gie gu rujen? 
Vielleicht befommen Sie angejichts diejes $yremmbid)aft3- 
Diente Doch noc) einmal die gute Meinung von mir, 
welche fie vorhin verloren haben ?” 

Sein lid fchweijte an ihr borüber itber das Bild 
unendlicder, landjchattlicher Schinheit, welche fid) vor ifm 
entrollte. 

Sine jdine, grofe Litge!” nidte er Herb. 

,Sine Vige?” 

Gelen Sie, wie fonnig die Welt bor mir liegt! Sie 
fpricht mit taujend bliihenden Kelchen, mit taujend goldenen 
Sonnenjtrahlen — mit all dem iiberjdwenglichen Shimmer, 
welcher fie fchmiictt: Sch bin eine lachende, gliicjelige Erde! 


== 62" i= 


Sd) bin die Heimat de3 Glüds1 Sd) liebe die Menjchen 
und gebe ihuen, was ihr Herz begehrt! Co İpridit fie — 
ijt e3 mar?” 

yom allgemeinen ja; gerade die Ausnahme beweift 
bie Regel, und Sie find — Gott fet e3 geflagt — eine 
Ausnahme.” 

,Und Sie?” — Wie er fie anjah — welch ein 
angjtvolles Forjdjen in feinem Blick. 

Charitas (ad)elte: ,,Bis jest fah mein Leben ja aud) 
aus, al8 ob ich eine Qiete in der grofen Glicslotterie 
gezogen hatte — aber die lebten Tage haben mir 1d)on 
gezeigt, Daf nicht nur das Glüd, jondern auch das Un- 
gliié wandelbar iff, Were id) nicht das undanfbarijte 
Gefchip| in der Welt, wenn ich in diefem Wugenblic 
flagen wollte? Was jehlt mir? Sd) bin fo froh — fo 
frei — fo umgeben von aller Şerrfidifeit Gottes, fo treu 
gefchiigt durch einen guten Breund, baf ich mit feiner 
RKaiferin taujchen micdhte.” 

Voll inniger Riihrung rubte fein Blic auf ihrem 
lieben, füdyefnben Rindergeficht. 

yiUnd wenn dieje furze, jdine Beit verqangen ijt — 
wenn die Sonne wieder untergeht in Nacht und Leid?” 
murinelte er. 

Da jchlang fie die Hande incinanber und _ blicte 
empor 3u dem blauen Himmel und antwortete [eije und 
jehlicht: o werde id) auc) Dann nod nicht vergagen 
und den Glauben an die wabhre göttlidye Sprache biefer 
blüfenben Welt verlicren — fie hat mir jest nid)t ge- 


— 263 — 


{ogen und wird e3 auch fiinftiqhin nicht thin — meine 
Butunjt fteht in Gottes Hand!” 

Da ergriff eine bebende Rechte die ihre; — haftig, 
iibermannt von einem (mpfinben, mefd)e$ fein ganges 
Wejen und Sein gu perflüren jchien, neigte fid) Sofef 
und britdte bie Heipen, guckendDen Lippen auf Ddieje fleine 
Hand. 


XII. 


Ps ie Mondftrahlen fielen durch ba5 gebffnete Fenfter 
fd und übergollen bie Dujtenden Blumen, welche auf 
07 bom Züld) ftanben, mit trdimerildyem Lidht. 

Sofef İdifief nicht. 

Er örüdte Augen und Lippen auf die fiihlen, fammtz 
weiden Bliitenblatter, alg finne er mit ihnen bie fiebe- 
rife Glut föfdyen, welde Leib und CSeele gu vergehren 
Drofte. 

War denn fein Leben wahrlich nichts anderes, al 
wie ein unaufhirlider Kampf, ein ingen mit finjteren 
€ditdiafemüd)ten? Gab e5 fitr ifn nichts anderes, al8 
Hine und hergejcleudert şir werden, al8 ein verzweifeltes 
fteuerlojes Treiben auf hoher Flut? 

Bum Ungliic geboren! 

Die Nornen, welche feinen Lebensfaden fpannen, haben 
ifn mit Thranen genebt! 

Was ihm heute auf der Alp wie eine wonnig- ehe 
Ahnung durch bie Seele fdyanerte, wird ifm in den ftillen 
Stunden der Nacht, wo fein Herz offen vor ihm liegt, 


— 265 — 


wie ein Geheinnis, von welcdem Geijterhande die Siegel 
gelöft, gur furchtbaren Gewifbheit. Cr liebt Gfarita8. 

Die Traumgejtalt, meldyer er auf diejer nüd)ternen, 
falthergigen Welt nie gu begegnen glaubte, ijt Fleijcdh 
und Blut geworden, Hat jeinen Weg gefreugt und ihm 
müt ben jo traurigen Liedern die Sehnjucht und die Liebe 
in das Herz gejungen. Warum fam fie nicht früfer? 
Warum winkt fie ihm mit meiğen Handen an das Ufer, 
wo feines Glics, fener Hoffnung Graber ftehen? Bu 
jpat! Brwijden ifuen brauft ein binfler Strom, ber reibt 
gu Grunde, wer den ötüdioeg uber ifn ergwingen mill, 

Er murmelt bic Worte mit blaffen Lippen und idyüt- 
telt Doc) felber unglaubig das Haupt dazu. Nein, nod) 
it e8 nicht gu İpüt şur Umfehr, wenn er wollte, fo finnte 
er noch guritc. 

Aber er bari nicht wollen. Cr bari nicht an İciner 
Chrenhajtigtcit zum Verrater werden. Coll er fein eigenes 
Yebensaflüd auf den Triimmern all jener Hoffnungen 
aujbauen, weldje durd) İeines GStiejvaters Echuld ver= 
nidjtet wurden? 

Goll er über Das Clend anderer bafin jchreiten zur 
Gfüdfefişfeit? 

Die Cinfiinfte von Lichtenhagen hat er an Mutter 
und Bruder abgetreten. Cr ift arm, weld) ein Los, welch 
eine Heimat fann er ber Geliebten bieten? 

Und witrde ihr Befig in Wahrheit ein Glick fein? 
Er, mit ber ewigen, qualvollen Unruhe de3 Şerşens, 
mit Dem unbefriedigten Sinn, mit Den nagenden Brweifeln 


— 266 — 


und der grüblerildyen Gewifjenspein, fann er tfatfadifid) 
Rube an einem Werberherzen finden, wenn die Unrajt 
ihn abermals zum Wanfelmiitigen gemacht? Welch eine 
Bejdhimung, wenn er wieder den Beruj medifelt, wen 
er das Prieftertleid nad) einer furzen Brobegeit von fid) 
witft, alg habe e3 nur gegolten, fid) mit ihm fiir einen 
Mummenjdang gu pubew? 

Sofef pregt mit bitterem Ladheln die Lippen gujammen 
und [aft das Haupt mübe auf die Bruft finfen. Nein, 
e8 gibt feine Umfehr mehr! Gein verjehltes Leben ift 
abgejch{ojjen. 

Was joll er thin? 

Der Gefahr, welche er erfannt, entfliehen ? 

Şa, er mug e3, — damit das Ma feiner Leiden 
voll werbde. 

Er bari Charitas nicht mehr fehen, — er wird einen 
Vorwand fudjen, balbmöqlid)ft: abgureijen. 

on den fübfen, Dadmmerigen KRlofterhallen wird er 
auc) bielen eingigen Gonnenjtrahl, welder jein Leben 
erhellte, vergejjen. 

Wie jtar— — wie Tüb bte Blumen duften! Welch 
eine Sprache weht auf baljamijden Wogen ihm ent- 
gegen! 

O, er verfieht jte — und fein Herz İdirett wild auf 
unter Der Qual bieles Berjiehens. — 

Da erfennt er erft, müt wie tiefen, unföslidyen Wurzeln 
Die Liebe eS fchon durchgzogen hat. 

Nein — er bar? fie nid)t mehr jehen, Die leuchtenden 


— 267 — 


Augenfterne, welche den Weg gur Heimat gcigen, er bleibt 
ein Frembling — iiberall, — 

Und die Mondjtrahlen weichen traurig gürüd von 
Dem blaffen, friedlojen Miannergejicht, und hujchen hin- 
ein in ein anbderes Stiibchen, durch welches auch ein 
feiner Blumenduft sieht, wie traumerijcer Şand) ber 
Wel mut. 

Cine bfane Gengianenbliite und ein paar Geifblatt- 
giveige neigen fid) matt und welfend über Den Rand de3 
Wafferglajes. 

Die Heipe, erbarmungstoje Méinnerhand hat fie gu 
gewaltjam fejt umjchlofjen, hat mit ben Gluten, welche 
fie ausjtrimte, ifr junges Wark verjengt. Sie fterben 
an ber Leidenfdhaft, welche ihn durchzitterte. 

Manner follen feine Blumen pilüden, — fie morden 
bie Zarten, Lieblicen. 

Mun Hauchen fie fterbend ihre Geele aus, — felbjt 
das Wafer, weldjes in diefer jchwitlen GCommernadht feine 
prijdhe fennt, fann die Welfenden nicht neu erquicfen. 
Gie vergehen wie Hoffnungen und Traume. 

Und neben ifnen, ani weigen Kifjen, liegt ein Maddhen- 
Haupt in tiefem Schlaf. 

Traume weben ihre Schleier über fie hin, aber fie 
wehen nicht wie rofige Wolfen voll Licht und Glam, 
fie jenfen fic) jchwer, İdymer auf das Herz ber Schlaferin. 

Wie ein Seufzer bebt e8 üDber bie Lippen und an ben 
duntlen Wimpern  qlanışt e3 feucht. — Ste traumt von 
einem jungen $Priefter, Der Ruhe und Frieden im MRlofter 


— 268 — 


fucht, bort eine Schuld gu fiihnen hat und die Liebe nicht 
fennen bari, gu jeinem und gu ifrem Heil! — 


ee 


Gr wollte fie nicht wiederjehn, — und als die Stunde 
fam, wo er jonjft feidytfüğiq bergan geeilt war, die foft- 
lichfte Beit feines Lebens gu geniefen, da fafte e3 ihn 
mit itbermüd)tiger Gewalt und gwang ihn hinaus in bic 
wallenden Nebel. — Gr wollte ftarf fein, aber er war 
jehwach, er wollte anfimpfen gegen die Verjucung, aber 
fie war ftürfer als er. 

Und eine Stimme flüfterte in ihm, die flang fo itber- 
gcugend und wabhr, bab fie nicht bes böfen Geijted fein 
founte. 

Warum willft du bir felber unndtigerweije die harm- 
lofe greude fürşen, Diefe eingige Bliite, welche dein arme$ 
Leben getragen, vorzeitig entblattern? Şit es eine Ciinde, 
wenn du mit Charitas plauderjt und dir an ihren treuen 
Worten die Seele erquickft? 

Du fiebit fie? — Dit dieje Liebe cine Schuld? Du 
tirügİt fie geheim im Herzen. Charitas afınt fie nidit. 

Und ob ich dich liebe — was gehts bid) an? 

Du Tebit fie wie Die Sonne am Himmel, welche dich 
mit golbenem Girahl belebt, — du fiebft fie wie das 
fingende Viglein im Gezweig, weldem du mit Ent- 
aifen Laujcheft, ohne rünberiid) die Hande nach ifm 3u 
eben. 

Sit foldje Liebe eine Schuld? 


— 269 — 


Nein, fie ijt eine ermİte, Heilige Gabbatşcit bes Hergens3, 
welche e3 föntert und verflart. 

Die leije, freundlicje Stimme hatte recht. 

Sofef folgte Hr. Wo die Morgennebel wie weifer 
Damp} aus dem Cee emporfticgen, wallten und wogten, 
wie die Wafjermajjen einer Sindflut, weldje das bliihende 
Land gu feinen öüben verjdjlungen, — ftand er und 
bfidte ungeduldig den Byad hinab, welchen jie fommen 
mupte. Mur feine lebte, furşe Windung war zu jehen, 
fie fag einlam und jtill, und der fidite Brodem wehte in 
feinen Silberjtreifen itber fie hin. 

War er zu fr) gefommen? 

Sm Wald ift’s ftill, die BVogelfchlchen jchweigen, bis 
e8 gilt, Die erften Gonnenitrahlen, welche fid) durch den 
Nebel fampften, jubelnd gu grüben — Dojef fchreitet 
tubelo$ auf und nicder. 

Und wenn fie Heute nicht fommt? 

Der Gebanfe Bat etwas Quiilendes, er deucht ifm 
geradezu unertrdaglic). 

So febhr hat er fid) jchon an ihre UAnrvejenheit gewshnt, 
fo unentbehrlic) ift ihm das lichelnde, liebe Madden- 
antfiğ İd)on geworbden? 

Er jchiittelt — als wolle er fid) vor jeinen eigenen 
Gedanfcen entjduldigen, ben Kopf. 

(3 üt bie Umgebung, meldie bet Ediritt und Tritt 
an jie gemahut, wo jeder Baum, jeder şyelSİtein an ihre 
ficbfid)e Erjcheinung erinnert. 

Kehrt er in die altgewohnten Verhaltnifje, in die graue, 


— 270 — 


eintinige gerne guritce, fo wird dieje Sehnfucht und Un- 
tube verjdwinden, ebenfo wie die WAlpenfirnen Hinter ihm 
verfinfen und verjchwinden werden. 

Endlich fört er ihren Schritt und er wendet fid), afs 
miifje er ifr — wie von [ajtendDer Gorge erlijt — ent: 
gegen|tiirmen. 

Aber er beherrjcht fid), langjamen Srhrittes, gewohnten 
Grup winfend, tritt er an den Wbhang. 

Da taucht ihre fchlanfe Gejtalt aus dem Nebel auf, 
umwogt von weigen Dujfticletern, welche brautlich hiillend 
von ihrem $töpidyen niederweben. 

Weifk in Weif. 

Wie die İpuffafte Geftalt der fchonen Kinigin Bertha, 
welcje mit flatternden Gchleiern durd) bas Land zieht, 
weipe Titcher über ben Weg jpannt und den Wanderer 
in Die Srre İpdt. Wie oft Hat er diejem holden Marden 
als Rind gelaujcht, wenn er an der Warterin Seite an 
Dem Şyeniter ftand und nicht begriff, bab ploblich alle 
Wolfen Herniedergefallen waren, die Baume im Garten 
gu verbitllen. 

ySie find wirflich Hier oben?” Lacht fie fon von 
weiten. ,,WWeld) ein ftrajlicher Leichtjinn! Wijjen Sie 
nicht, baf e3 ein übel Ding fiir einen jungen Mann ift, 
bei Nebel auf die Berge gu fteiqen?” 

Er halt ihre Hand in ber feinen. 

,əİt bie tüdildye Sönigin Bertha and) hier gu Lande 
gu Haus?” 

,sxronigin Bertha? Wh richtig, id) entjinne mich, auc 


— 271 — 


von bicfem fdyönen 9öebelipif gehirt gu haben. Aber nein, 
id) glaube, bie hat gu viel in unferer nordifden Heimat 
gu thun, um auch noc) 9fbftedyer nad) dem Genfer Gee 
gu machen. Die WUlpenwelt Bat ihre eigenen Geifter, und 
Da bie Hexen und Bwerge gu fold) ungewohnter Zeit ihre 
Giipplein fochen, fo mupten fie wohl etwas ganz befon- 
bere8 im Schilde fiihren.” 

,Die fletnen Gejellen find böfe, dak Fraulein Reckwit 
jeit einiger Beit feine Lieder mehr fingt, jondern ihre Zeit 
an einen frembden Cqoijten verjdjwendet!” 

Charitas ftreicht über bas Haar, an deffen Lickhen 
die Tauperlchen blinfen, wie in einem Spinnenneb. Gie 
gieht ben breitrandigen Hut etwas tiefer in die Stirn, bab 
Stirn und Augen bejchattet find. 

ys glaube nicht, bab die Heingelmanndhen jo febr 
mufifliebend find, und wer über unterirdifche Gange zum 
Horjelberg fahrt, ijt wohl beraufdhendere Weifen gewshnt, 
al wie ein paar alte BVolfslieder, deren Luft und Leid 
nur dem Menjdhenhergzen verjtindlich find!“ — Gic idiritt 
gemüd)lid) neben ifm her, ben Waldpfad gu dem fdjinen 
Ausjicdhtsfelfen entlang. 

,(ep galt Shre Bejorgni3 ben Heren, aus deren Rez 
vier wir geftern die Blumen ftahlen? Bn diefem Falle 
find Gie aber Mitjdhuldige, und ijt Shr Mebelfpagtergang 
ebenip fetdytfimig wie ber meine!” 

pln uns Madden nehmen fold)e Spufgeifter fein Snter- 
effe. RKennen Sie nidjt bie Gage von den Nebelfraulein, 
weldje in ben Bergen wohnen und die Manner hajjen?” 


a — 


pein, — aber id) mürbe fie unendlid) gern fennen 
fermenl” . 

7 Die Fraulein 2” 

Er lacht. ,,Mein; wer bas Gfüd hat, mit Fhnen be- 
fannt gu fein, Fraulein Charitas, berşid)tet auf die Bez 
geguung mit felbft den İdyöniten aller Huldinnen! Sd) 
meinte Die Gage!” 

"ie galant dod) fofd) ein Hodwiirdiger Herr fein 
fann!” nedt fie und wendet fid) etwas zur Seite, um den 
feuchten Rleiderfaum gu jfehiitteln. ,,Wljo Die Gage! Da 
war einmal ein junger Alpjdager, der wollte bei Nebel gu 
Berg fteigen. Ceine Mutter warnte ihn! ,Weifkt du nicht, 
baf die weifen Fraulein Heute ihre Sdhleier im Winde 
İrodnen ?7 — Aber er verlachte ben Gpuf und İdyerşte: 
yas finnte mir juft gejallen, mir fold) ein Feinslieb 
gu Thal gu Holen. Bhre Şünödyen find fein wie Wadhs 
und die Perlenfronen auf ihrem Haupt viel taufend Thaler 
wert.” Und al er Hinaujfam an bic Klamm, da fah er 
gwifden den elfen cin Bergjraulcin fişen, fo hold und 
bleich wie Edynee, — die webte einen Gdifcier, der lang 
Hinabwallte gu Thal. Any ifrem Haupt leudjtete bic 
Perlenfrone, und bet deren WAnblick erfağte die Habgier 
Des Sdgers Herz. (r fchlich fid) behutjam hingu, — 
fprang Hinter bem Felfen vor und griff das $irörlein 
mit roher Hand. Das Zerflof wie Wajfertropjen in feiner 
Hand, die Nebelfrau aber wandte das Antlix und fa) 
ijn an — mit Augen fo dunfel und unergriindlich tief, 
— jo wel) und todestraurig, baf dem fecken Mauber ein 


MN. v. Efhftruth, IW. Mom. ir Nov , Frithlingsftitrme. 1, 18 


— üza 


Gifesfd)aner durch Yüarf und Bein ging. — Bor jeinen 
Blicfen zerrann die Spufgeltalt, — die Sonne brad) burd) 
Die Wolfen und der Rebeljchleier şerrif in fleine Fepen. — 
Der ager ftieg bfağ und ftifl gu Thal und hatte von 
Stund an das Lachen verlernt. Der Blick der Nebelfrau 
hatte e3 ifm angethan, er vergehrte fid) in Gram und 
Liebe gu ihr. — Wl abermal3 die Nebel um die Berg- 
firnen webten, nabm er feinen Gtuben und ftieg empor. 
Er wollte fein bleides Feinslieh gewinnen. Und richtig, 
jie fag wieder an dem Felfen und webte die filbernen, 
wogenden Nebelfchleier. Voll gliihender Leidenjchaft wollte 
er fie fajjen und alten, fie aber hatte ifn erblidt und 
floh voll Entjesen vor ihm her. Sinnlos vor Sehnjucht 
nad) ihren dunflen Geifteraugen ftiirmt er ifr nad), fie 
Hebt die fdymeeigen Arme und ftiirgt fid) voll Vergweiflung 
in den Abgrund. Der Dager İdirett auf und finkt ihr 
nad) in Tod und Verderben. Die Sonne flammte auf 
und traf die İdimebenbe Geftalt de3 VBergfrauleins, und 
Der Wind, ihr Todfeind, braujte aus der Kluft hervor, 
ihre Şöffe aber war jern, fie fonnte fid) nicht retten vor 
ifnen, und fo şerilob ihr Sörper in taujend fleine Tropfen, 
jie fanfen al8 Nebeltau auf da3 Land. Die anderen 
Nebelfrauen weinten um die gemordete Schwefter, und fie 
Hagten bie Manner, welche alles Unbheil verjdhulden. Webe 
Dem, welder bet wallenden Rebeln gu Berg jteigt, die Hulz 
Dinnen erjdjcinen ifm und ladheln und winfen und İoden 
ifn Hinab in den Wbgrund, an defjen Mand die Blume 
des Todes bliht.” 


— 275 — 


Charitas hatte feife gefprodjen, jest fchwieg fie und 
wies geheimnisvol ladhelnd nach den gritnen Felsbil- 
Dungen, welche fid) itber dDunflem Tannenwald, jenjeits 
Des tiefen Thales, vor dejfen wallenden MNebelmajfen fie 
ftanden, erhoben. 

Die Sonne fampjte gegen bie Dunjtmaffen und gwang 
fie Hernieder, bie Berghaupter taudjten wie Snfeln aus 
hochwogender Flut empor, und um die Steinginfen, auf 
welche das junge Madden deutete, fraujelte e$ wie şartes 
Gemölf in wunderjamen Geftaltungen, juft als ob eine 
Schar bleicher Geifter mit lang wehenden Gewandern an 
ifnen voriiber flöge. 

,Gefyen Sie die Bergiraulein? Wenn man von dem 
Wolf İpridit, lauert er hinter der Hecfe! Nun Şüten Sie 
fid), in bie Dunfeln Wugen gu fdjauen, fonft find Ste 
rettung3lo3 dem Zauber verjallen!” 

Gr lachelte feltjam. ,,Rehmen bele qraujamen Hul- 
Dinnen nicht auch gureilen Menjdengejtalt an, um ein 
famen Wanderern ani den WUlpmatten gu erjdheinen? Mich 
Deucht, eS gibt auch im feller Gonnenjcein bimtfe Wugen, 
weldje ben Minnern Muhe und Frieden rauben!” 

Wie er fie anjah! Cr wollte wohl feinen Worten und 
Blicen nicht den Ausdruct geben, welchen fie ummillfiirlich 
annahmen, e3 gejdah unbewupt. 

Ginen Moment ftarrte thn das junge Madchen fajjungs- 
198 an, Dann hob fie das Şöpidyen ein wenig hiher und 
İtofaer auf ben Macken und jubr ebenjo harmlns wie uz 


vor fort. 
18* 


— 276 — 


pein, das gejdieht nicht, e3 witrde wenigiten3 dem 
Epuf alle Poefie nehmen, und die gebört dagu!” 

ie das Krinlein aus blinfenden Thrainentropfen! 
Glauben Sie wohl, bab e8 jene Feljen bort driiben waren, 
an weldjen die Huldin ihre Gdifeter mebte? Mich bendit, 
fie Tibt aud) jest wieder und lagt e8 meib gu Thale 
webhen 1” 

/ Bohl möqfid), baf der arme Şügerömanıı in die 
jhwarzen Tannen hinabftiirgte, um nie wieder fröblid) 
bergauf gu İteigen 17 

poet arme Sagersmann 2” 

/Sewif, ber armel Oder beflagen Sie ifn etwa nicht?” 

pein!” 

p Bie hartherzig!” 

əEdifimmer als da8! Cagen Gie: wie neidije)!” 

preidifch 2” 

ya, td) beneide ihn, denn fein Edyid”al war ein fehr 
qlüdfidyes und gnadiges.” 

Sharitas fchiittelte ftaunend das Kdpjdhen und fah 
ihn fragend an, er aber blidte an ihr voritber nad) ben 
Dunfeln Tannen und fuhr mit herbem Klang in ber Stimme 
fort: ,Sİt e3 nicht befler, fold) feligen LiebeStod zu fterben, 
al8 Şafre und aber lange Jahre ein ungejtilltes Sehnen 
mit fid) Herum tragen şi mülfen? Gold) ein Şerşelcib 
ijt bitterer und taujendDmal beflagenswerter al8 ber fdnelle 
Sturz in die Tiefe. Webhe einem jeden, den ein Bergfrau- 
fein mit buntfem, traurigen Augen um den Verjtand bradhte, 
und fid) doch nicht erbarmte, foldje Qualen gu enden.” 


— 277 — 


Das junge Madden füffte, wie Heife, jchwindelnde 
Glut in ihre Gdifüfe ftieg. Mipverfteht fie ifm, oder ijt 
er plöblid) ein anderer geworden wie 3uvor? 

Gie wendet fid) um, greijt nach einem jdjlanfen Lardjenz 
üftdyen, welches gragzids tiber ben Weg Haugt und jdhiittelt 
e8, bab Diamantener Tau auf fie niederfallt. 

psy jblage vor, wir fajjen bie böfen Nebelfranen 
jest allejamt am Gonnenjchein jdmelzen und gehen fo 
jehnell wie möqfid) nad) der Printaniére zuriic, um uns 
trocten anguziehen! Gefen Sie doch, wie feucht und jchwer 
mein Kleid an mir Herniederhangt, felbjt die Haare jind 
gum WAuswinden — —” 

,Undine!” Gein Blicf glitt langjam itber fie hin. 
yoaben Sie jo böfe Crjahrungen Hier droben auf der 
Welt gemacht, bağ Sie fo eilig wieder in Den wogenden 
Nebeljee Hinab taucjen wollen?” 

Gie lachte etwas gewaltjam. ,,da, ich bin recht unz 
gujzieden müt meinem Freund! Gr fagt mir Schmeidheleien 
und ift weltfcdmerslicjer alS je geftimmt, gwet Rapital- 
perbred)en, weldje mich die Flucht ergreifen lajjen!” 

Gr blidt fie mit gujammengezogenen Brauen an. 
/Und Gie find fo Heiter! — jo heiter und glicjelig — 
Dap a 

,)am? vollenden Sie! Sd) glaube gar, Sie find 
aud) jebt wieder mifgiinftiqg und verargen mir meine 
jrohe Stimmung ?” 

Wie ein feibenid)aftfidyes Wujflammen geht e3 burd) 
icine Mugen. 


— TG = 


ysa, id) verarge e$ Shnen! Nicht aus Neid, wohl 
aber aus Egoismus! Wiffen Cie nicht, bab Bhre ftrahlen- 
den Augen, Shr Lachen, Shr Frohfinn, aus weldjent der 
volle Glauben an Glick und Zufunft flingt, Sie mir ent: 
İrembet? Qn Qhrer Trauer waren Cie mir nah. Da 
30g Das gemeinjame Leid und Gehnen feine Zauberfreije 
um un, ba gebörten wir einander şın wie get Oper, 
welde die dunfle Woge des Sdhicfjal@ gemeinjam 3u 
Grunde reift! Sd) war nid)t mehr einjam — Sie waren 
nicht mehr verlajjen wie guvor, wir verftanden einander! 
Nun wenden Ste plöblid) das Haupt und İdyanen nad) 
ber Lujtigen, glicverheipenden Welt zuriié. Die Bufunjt 
winkt Sinem und Sie laden ihr entgegen. Sd) aber — 
id) bin einjamer alS je zuvor.” 

Er jchwieg. (r hatte fie nid)t angejehen, fein Blic 
İdyeifte ab und irrte über bic gichenden Nebel, und jeine 
Etimme flang wie ein Echo de vergweijelten KRampjes, 
welder feine Ceele burditotte. 

Sie antwortete uidjt, fie verfdjlang die Hande wie in 
ratlojer Pein und neiqte bas Kopfcjen ticf, ttef gur Bruft. 

Wie bitteres Wel) guctte e3 um feine Lippen. Cie 
{chweigt! Gie hat feine Antwort, feimen Lroft für die 
traurige Wahrheit. 

(r wenbdet fic) und will fid) gewaltjam 3u einem Heitern 
Ton zwingen. Was verlangt er denn von ifr? — Sit 
er bon Sinnen in feiner Herzensqual? Was hat ihr junges, 
bliihende3 Dafein müt feinem verjehlten Leben, mit feincr 
Kloftergutunft gu jdhaffen? Michts! Michts! Sein Herg ijt 


— 279 — 


ungeredt im Schmerz, wie dunfle Edhatten 568 Wahn- 
wibes gieht eS bud) fel Hirn, denft er an die Pdglich- 
feit, Daf fie ein anbere8 Glick tm Leben findet. 

Wie ein WAujftdhnen ringt e3 fid) aus jeiner Brut, er 
ftveicht mit ber Hand über Stirn und igen, er fieht fie an. 

Und als fein did ihr holdes, pliglich fo bleiches 
Antliz trifft, ftockt ihm der Hergfchlag, flteqt lohende Glut 
burd) feine Adern und Lape ihn jchwindeln. 

Thrainen tauen iiber ihre Wangen, heife, unaufhalt- 
jame Shranen! Und ein Ausdrucl des Schmerzes bebt 
um ihre Lippen, — o, taujendmal beredter wie alle Worte, 
weldje fie je 3u jagen vermidhte. 

/Sharitas!” ftammelt er und fabt jahlings ihre bebende 
Hand und fie hebt die dunflen Wimpern und fieht ihn an. 

/2 Wie ungerecht verurteifen Site mich!” jchluchgt fie 
leije; ,,Gott im Himmel wei, was mich diejes Lachen 
fojtet! 

»Sbharitas!” ringt e3 fid) wie ein Schret von feinen 
Lippen, er Hirt faum, was fie fliiftert, er fieht nur in ihre 
Augen und lieft in ihrer Tiefe das webe, füğe Geheimnis 
ihrer CSeele. Wie ein Raujd, ein Taumel namentojer 
Wonne erfafit e3 ihn. Gr finft an ify nieder, er prept 
fein Unitlig auf ihre Hand; er wiederholt nur das eine 
Wort, wie einen Laut unbejchreibliden Cntgiicfens: ,,Chari- 
ta3! Charitas 1” 

Shre bebende Hand ftreicht üDer fein Haupt, ihr Blick 
irrt wie in vergweijelndem Edinfbbemiğifein gum Himmel 
und bie: meihen Mebeljchleier wehen geheimnisvoll um 


— 280 — 


jie Her wie cin Srautidifeter, mefdien der Sturm zerjett 
DEE «as 

,Gfaritas, baft du müd) Lieb 2” 

Da hHebt fie fein Antlig und neigt das Haupt 3u ifm 
uieder. BlicE rut in Blick. 

ra, id) habe bid) lieb, Şofefl Gott fei e3 geflagt!” 

Wie in Heigem, (cidenfchajtlichem Flehen brennen ihr 
jeine Lippen entgegen. 

Da gucét fie gujammen und ringt fid) fret. 

pdMiel” ftdpt jie furg und feft Hervor. .,,Diefer Wujenz 
bli war genug de3 Glüdö und genug der Gdinib 17 

/Sharitas, ad) nur ein Wort!” 

Sie weijt voll bitteren 38655 auf jein priefterliches 
Kleid, ihre {chlanfe Geitalt ringt noch einmal wie in dem 
leidenjchajtlichen Verlangen, fid) in feine Urine 3u ftiirzen, 
Dann jchlagt fie, wie erjdjaudernd vor fid) felbft, Die Hinde 
vor das Antlig und flieht wie eine lichte Mebelgeftalt in 
Das Wogen und Wallen Hinein. 

Der Abgrund gahut şür: Seite. 

Wie leijes, wunderjame3 Locken von Geifterftimmen 
flingt e$ empor. 

Sojef Hebt das Haupt und laujcht. Seine Augen bez 
fommen einen faft iberirdijdjen Glang. 

,)ürft du mich, junger Sager?” — 

Er tritt naher an den Abhang — immer nüher, wie 
von unfidjtbaren Gewalten gegogen. C8 Dbrödelt und 
firtd)t unter jeinem Fup und poltert, von Kante zu Kante 
jpringend, in bie Ziefe 


— 282 — 


/Kufft du gu feligem Liebestod?! — O felig, unfeliges 
Sterben! —” 

Die weipen Bahrtiicher, welche durch die Luft flattern, 
{Glingen fid) um ihn und ziehen und giehen ifn... — 

Da flammt ein goldener Bik durch die Lujt; wie 
ehemalS die Dunkelheit, şerreibt er jest die gejpcnitigen 
Dunjtichleier. Leuchtend in goldener Klarheit taucht das 
lachende Land vor jeinen Sliden auf, wie durch giitige 
Seenhande hingezaubert. 

Die Epme funfelt am Himmel, ber See ftrahlt ihr 
fieqhaftes Bild wieder, und recht3 und links gerjtiebt ber 
weife Brodem, wie graujige Gedanten Binter einer Menjchen- 
jtirn şerrimem, wenn ein Strahl von Hoffnung und Liebe 
fie İdyendit, 

Wie geblendet ftarrt Fofef in die Helle. 

Kann ein eingiger Wugenblice die Crde fo allmadtig 
verwandeln ? 

Herrgott, bid) loben wir! — 

Die Arme wie in jehnender Vergiikung gum Himmel 
erhoben, weicht Jojef von bem Whgrund guriicf, finft nieder 
auf bic Knie und meint Thranen feliger Crldjung. 


Cine wunderjame, tiefe Rube ijt itber ben ehedem fo 
qualvoll Erregten gefommen. Cr fist über jeinen Biichern 
und ftudiert. Su dem Berge jteigt er nidjt mehr empor. 
Wenn die Morgenjoune durch die Scheiben bHlict, oder 
wenn fid) die blaulic)-violetten Schatten ber Dammerung 


— 283 — 


über bie Hinge breiten, tritt er wohl ani ben Balfon und 
blidt empor mit ftillem Örub. 

Sein WAntlig fieht wohl etwas bfetd) und itbernachtigt 
aus, aber eine beinahe freudige Buverjicht und Ergebenheit 
verflairt e8. Dos Glüd ift an ifm voriibergejdritten, jo 
na)e, bab e8 feine bebende Hand fajjen fonnte; e8 hat mit 
gartlidem Gru üDber fein Haupt geftricjen und thm 
freundlich gugenidt: Sd) gab dir alle3, was id) bir geben 
fonnte, — fei dDanfbar bafür17 — — Und er war e8. 

CGharitas jah er nicht. 

Manchmal flangen die fchrillen, ganfenden Stimmen 
dDe8 alten Chepaars durd) das offene Fenjter und empörten 
in. Gein Herz blutete in dem Gedanfen an die geliebte 
Dulderin. Cinmal am Abend war e3 ihm, als fabhe er eine 
weipe Hrauengeftalt an ber Mauer, welche die Villa von ber 
Etrafhe treunt, fefnen, Gr jtand wie gebaunt und umjafte 
fie jo lang und innig müt den Blicken, bis fie entjewand. 

ones febte jtill und einjam an? ihrem verborgenen 
Balfon dahin; ber Argt war fehr gufricden müt ihrem Bee 
finden und fprach icine Uberzeugung aus, bab Şofci3 
Abreije inibefd)abet erjolgen föme, 

Und die Ubreije war notwendig geworden, bas Studium 
Durfte auger den Ferien nicht imterbrod)en werden, wie 
e8 jebt bereits im Diejem Dringenden Falle getd)efen war. 

Gr rüftete zum jchetden. 

Und al er vor dem gepactten Koffer ftanb, überfam 
ifm cine namenfoje, unbeswinglide Sehnjudt, Charitas 
Lebewohl gu jagen. 


— 284 — 


Moch einmal — gum legtenmal — empor in bic 
Waldeseinjameeit! 

Ginmal noch die teuren Stellen griifen, ach, vielleidht 
gum Llestenmal die Geliebte broben fefen! 

Gefjenften Haupte3 jteigt er gwifchen den nidenen 
Bliiten und Halmen empor. 

Wie fil — wie grabesjtill. Raum bağ ein Voglein 
nod) cinmal im Gegweige anfəmitidyert, 

Wie ift ihm jonft ber Weg fo furş gewejen, wie fiel 
ifm das Steigen ehedem jo leicht, — Heute deucht ifm 
ber Pfad ohne Cnde, und er jfteht oft rajtend jtill und 
atmet tief und müffam auf, wie einer, welder jchwere 
Laften tragt. 

Endlich fteft er Droben an dem trauten Plagchen, wo 
er zuerft bie Cinfamfeit gejucht, wo guerjt bie fiipe Stimme 
ber Geliebten den unerflirlichen Bauber auf ihn ausiibte. 
Sofeh fest fid) nieder und ftüğt Das Haupt in bie Hand, 

yd fomm, Charitas! Noch einmal bin id) bir nahe! 
Nod) bift bu mir erreichbar, noch trennen uns nicht Berg 
und Thal und ewige Fernen! Fihlft und empfindejt du 
e8 nicht, bağ bid) mein Herz voll herben Trennungs- 
jehmerges rut? — Du muft 65 abnem, du mut e3 wiijen, 
bu büt eines Geiftres und Ginne$ mit mir!” 

Horch — ift es ein Traum? Cin Holder, bethirender 
Wahn? 

Ganz wie damais flingt e3 şır ihm heriiber, flagend 
in unausjpredlicjem Letd, und doch rubig ergeben, wie 
in tietfter Dewiut. 


, (65 ift beftimmt in Gottes Rat, 
Dak man vom Liebjten, was man hat, 
Mus fcheiden! 
Obwoh! doc) nichts im Lauf der Welt 
Dem Herzen, ach, fo Taner fallt, 
15: fcheiden!” 

Sofef preBt Die Hande gegen die Brujt, feine Augen 
jehliepen fich, jeder Laut, jeder Ton findet einen Wider- 
Hall in jeinem Herzen. 

Und al die liebe Stimme jchweigt, jpringt er empor 
und ftiirmt wie ein Trunfener burd) ben Cann. Cr weif, 
wo er fie gu juchen Hat. 

Bald fteht er an ihrem Ausfichtszleckdjen. 

Still — qrabesitifl und leer. 

Nur auf dem Felfen licgt ein Straufy frijch qey fliiciter 
Blumen. C8 taut noch nid)t, und dennod) zittern grope, 
feuchtendDe Tropjen an ben Kelchen. 

,Glaritas 117 

gern aus den Bergen rujt ein Cho traunbhajte 
Wntwort. 

eb wohl! Leb wohl! —” 

Xeb wohl! Ball” wie Geijterjtimme guriic. 

Da prebt Şofef die Bliiten an die Lippen. Er ftelt 
lange regung3los und faut noch einmal Hinaus in bic 
Herrlicje Welt. — So ninunt ein Todgeweihter Wbhjchied 
pon Dem Leben. — Und dan wendet er fid) und jdreitet 
miide bergab. 

(s wird Nacht. 


RNA TRE 


XIIL 


ofef mar nad) R— burg guriicgefehrt. 

(r hatte geglaubt, burd) ben Weehfel der Um- 

AVY gebung, durch angejtrengte Arbeit und den Ver- 
fehr mit ben Studiengenofjen die Güne zu betduben, und 
ber Sehnfucht gu gebieten, welche ihn voll unwiderfteh- 
lider Gewalt in den Zauberfreis der Geltebten guriicyog. 

Aber diefer Glauben erwies fid) afs trüqerild). Gerade 
bie Huhe und monotone Gleichfirmigfeit des Seminars 
gaben ihm Zeit und Verantaffung genug, feinen Gedanfen 
nachgubhaingen, und Das Feuer, meftd)e$ in feinem Herzen 
entfad)t war, flammte Şöfer und gemaltiger empor wie 
je guvor, feine ganze Ceele mit ben Gluten ungejtillten 
Verlangens verzehrend. Anfanglich fdlidjen fid) noch 
bittere Vorwiirfe und Gelbitanffagen in jein Herz. 

Hatte er recht gethan durd) ben 9fustrud) der Leiden- 
İdafi, welcher jein innerjtc3 Herz mit all dem hojfnungs- 
[ojen Lieben und Sefnen enthiillte, den Frieden eines 
Maddhenherzens zu morden? 

Sn welche Wirren, in welche Seelcntaimpfe hatte er 
Charitas gejtiirzt! Welch einen Abgrund hatte er vor ihr 


— 287 — 


aufgeriffen, inbem er Ddie hiillenden Edifeter von ihren 
Augen nahm und fie in die Tiefen jeiner rubelvjen Seele 
bfiden lief! 

Die Ruhe, welche ihm feflte, hatte er nun auch ihr 
genommen, ben Todeskeim unglüdfefiger Liebe, an welder 
er 3u Grunde ging, pflangte er aud) in ihr Hers! 

Diefe Uberzeugung madite ifn efenber wie alle Qualen 
bitteren Cntjagen3, Ddeffen $tefd) er bis zur Şefe leeren 
mufte. 

ou einer Stunde folcher Gewifjenspein fegte er fid) 
nieber und jchrieb an Charitas. Gr mupte e3, er fonnte 
dem Schwarm dunfler Gedanfen nicht mehr widerjtehen. 

Er bat fie um Vergebung fiir fen Verjchulden, fiir 
Die Qetbenid)aft , welche ihn im ber Wbfchiedsjtunde gum 
Schwadhling gemacht. (r gejtand ihr, bab feine ver- 
Lorene Gelbjtbeherrjchung, welche ihn gum Modrder ihres 
Hergensfriedens qemad)t, ihn gleich einem fdyeren Febhl 
bebrüde. Gein Wort — das Geftindnis jeiner Liebe binbe 
ibn für emige Zeiten an fie. Gr fet Chrenmann genug, 
um fid) gu fagen, dag er nad) Dem, was vorgefallen, 
nun um ihre Hand werben miifje, um das Clend einer 
Hoffuungslofen Liebe von ihr abguwenden. Sein Beruj 
verbicte e3 ifm, 3u Heiraten, und nun Diebe 68 entweder 
Hier oder dort eine gewaltjame Cntfheidung herbeifiihren. 
Er miiffe fid) losreifen von der Kirche oder von ifr. 
Ginfam, ohne Croft und Bujprud, ohne ein eingig ifn 
ermutigende3 Wort, ftefe er in diejem Kampf. Sm diejes 
gu fagen, flehe er fie hiermit an. Cr mülfe ihrer Liebe 


— 288 — 


und Treue gewif fein, wenn cr die Briice, welche eingig 
gur Vergeffenheit und zum Frieden fiihre, hinter fid) ab, 
bredlen jolle. 

(68 war wohl ein feftfam irrer und wirrer Brief, jo 
recht das Spicgelbild ber unflaren, franfhaften Gebanfen, 
welche ihn dDurchtobten, immer nod) jener grofen, erlö- 
jenden Offenbarung harrend, welche fie nad) einem Leben 
voll Kampf und Unbejriedigung endlich auf die rechte Bahn 
leiten jollte. 

Und jujt, als habe Charitas biele feine fdjriftlide 
Riicfehr gu ihr geahnt, ging fie voll banger Gorge dem 
Pojtboten entgegen, Sag fiir Tag von der Ungewifheit 
geing{tigt: ,,Sdjreibt er wohl, und gelangt der Brief aud) 
richtig im meine Hinde?” 

Sie erhielt ihn und fliidhtete mit Dem teuren Kleinod 
Hinauf in bic traute Waldeinjamfeit, wo jedes Bliatter- 
jaujeln, jeder Sonnenftrahl fie an ben Geliebten gemahnte. 

Unb als fie feinen Brief gelejfen, weinte fie bitterlich. 

Er wollte fid) von ber Kirde, von dem Beruf, an 
welchen fid) fein ganzes Ceelenheil müpfte, lo8jagen — 
um ifretwillen! 

Und warum, weil er fie fo über alles, jo namenlos 
licbt? Mein, weil er fein Liebesgeftindnis ihr gegeniiber 
als Verpjflidjtung empfindet! 

Ohne jene İdymerəlid)-fübe Scheideftunde, weldje icine 
Empfindungen ftürfer fein Tef , al bie falte graujame 
Vernunjt, hatte er nie baran gedadjt, das Priefterqemand 
abzulegen. 


N,v. Efgh ftruth, Il. Rom. u. Nov., Friiblingsftiirme L 19 


— 2900 — 


Gr will febt nur das Wort einlijen, meld)es er glaubte 
ihr gegenitber verpfindet gu haben! 
| Gic foll nicht ungliicélich werden. 

Wieder ift e$ fein iibertrieben feines Chrgefiihl, weldes 
Diefen $tonffift heraujbefhwirt. Adel verpflichtet! Gdhreibt 
er nicht: ,Sd) bin Chrenmann genig, um gu wiffen, was 
nun meine Pylicht it? “ 

Ungliiclider Maun, wie jdwer madit er fid) felber 
Das Leben! 

Cin fd)merəlidyes Lacdhelu bebt um ihre Lippen. Nein, 
bei Gott, fie will ihn nicht abermalS aus einer Bahn 
Herausreifen, mefld)e wohl die eingig richtige für ihn iff 
— der Weg, welder einşiq und allein zur Vergeffenheit 
und gum Frieden fiihrt! — Gchreibt er’ nicht jfelbft? 
Dies Geftindui3 wiegt taufendmal fdjwerer al8 jedes 
andere. 

So lange das Schuldbewuptfein ihn menfchenfcheu in 
die Cinjamfeit treibt, wird die Liebe eines Weibes ihm 
die Seelenqual nicht lindern finnen. Gein Glüdf ift nicht 
Die Liebe, fondern bas Berwufijein treu erfiillter Pylicht, 
und er erad)tet e3 al8 beilige Pflicht, fiir die Schuld des 
Stiefvater3 gu biifen. 

Mit dem feinen Taftgefiihl ber wabhren, echten felbft- 
Tofen Liebe empfindet Charitas das, was Şofef trof aller 
Ştümpie und Leiden noch nicht erfannt — fid) jelbjt. 

Und fie Hebt voll tapferer Selbftverleugnung das 
bleiche, von Thranen iibertaute WAntlig und blidi gu dem 
Himmel auf. 


— 291 — 


nod) habe ifn lieh — lieber, al3 er e3 abnte, Lieber 
alZ mein eigen Glitcf, barım vergichte ich! Gr foll und 
mug jeinem Beruf treu bleiben, denn diejer allen fann 
ihm geben, was er İud)t17 Und in ftifler, einjamer Nacht 
ftunde antwortete fie ifm. Voll rubiger, freundjdhajtlicer 
Milde und Şerşlidifeit. Cr fei ifr durch nichts verpflidtet, 
fein Blicé voll Liebe, ihr leis geftammmelter Name jeien 
fein Schwur. Auch die Freundjchajt finne eine leiden- 
İd)aitlidie Sprache fiihren, und fie habe nie — felbjt in 
ber Abjdhiedsjtunde nicht — an feiner Freundfdhaft gee 
aweijelt. Unglitclic) werde fie niemal3 durch Ddiefelbe 
werden, das finne fie ifm verfichern. Dhre flitchtige 
Vegeguung im Leben fei eine jener Gmmortellen, welche 
Graber İdymüden. Das Ölüd habe wohl in ihrer beider 
Brujt verjargt gelegen, ehe fie einander in die Augen 
gefhaut. — Nun tragt e8 eine liebe, unvergingliche Zierde, 
die Blume der Crinnerung. Dieje mache jie reicher, als 
fie je guvor gewejen. Gein Weib finne fie nicht werden. 
Die Verpflidhtung, welche ifn, jeiner WAnficht nach, an fie 
fette, jei eine nur eingebildete, nichtige, die Liebe eines 
Weibes aber, welche einen Priejter gum WApojtaten madit, 
fie ijt eine Schuld, welche alle Glut der Liebe nicht von 
ihrer Geele brennen fann. Wollen Gie mich in die Ge- 
wiffenspein ftiirzen, welcher Sie jelber entrinnen wollen? 
Das wire ible Freundjchajt. Bhre Liebe nahm mir den 
Hrieden nicht, ein Chebiindnis mit Fhnen mürbe ihn mir 
fitr alle Ewigfeit morden. Lafjen Sie uns alfo beide die 


Wege gehen, weldje Gottes Wille uns vorgejdhrieben, und 
19* 


— 292 — 


wir werden gum Biel gelangen. Unjere Gedanfen werden 
fid) immer finden, auc) ohne jedes Gubere Şeid)en be 
Gebenfens. Gdireilen Gie mir, bitte, nid)t mehr. Wir 
reifen in gwei Tagen von hier ab, und famen Shre Zeilen 
in unredjte Hinde, möditen fie namenlojes Leid über mid) 
heraujbefchwobren. Wenn die Rebel durch bas Land weben, 
jollen fie mir ftetö ein Gruk von Bhnen fein, und die 
Erinnerung wird mich beglitcen. Leben Gie wohl und 
bleiben Gie Bhrem Beruje treu; nur die gewiffenhafte, 
opfermutige Bflichterfiillung wird Fhnen Vefriedigung und 
Shrem Leben Ziel und Brwed geben. 

So hatte fie gejdjrieben, und al8 ber fleine, dunfle 
Spalt be Brieffaftens die Beilen verjdlungen hatte, da 
bend)te e8 Charitas, alS habe nur ein eingiges Wort 
in Dem Brief geftanden, ber Todesjchret eines brechenden 
Hergen3! ,Leb wohl für immerdar!“ — — — — — 

An der Weinbergmauer, wo Sofef feine Ediritte Şin: 
gelenft, ftanb er jtill, öffnete ben Brief und las. 

Seine Hand bebte nicht, feine Schmerzenslinie hirdite 
fein WUntlig ; wie eine ftille, felige Verflarung lag e3 darauf. 

Er hatte diefe Antwort crwartet. Die grofe, edle 
reine Geele ber Geliebten fonnte ihm nicht anders ant: 
worten. Wie lieb hatte er fie darum! Welch ein Gefiihl 
bemütiq weihevoller Berounderung erjiillte ifn! Wahrlich, 
einer Unrwiirdigen fdlug fein Şerş nicht entgegen! Gein 
Auge bligte auj, fein Haupt hob fid) ftolger auf dem 
Nacen. Sie liebt ihn! O, bağ er folder Liebe wert jein 


— 293 — 


fönntel Gein Blick fchweifte wie in febnenber Ungeduld 
Dina über das Herrliche Land, als miifte er ungeftiim 
porwartgitiirmen, mit ber Kraft feiner Wrme einen Weg 
gu bredhen, auf weldjem fie Hand in Hand, gfüdieliş vereint 
und jonder Reu und Schuld gujammen wandern finnten. 

Und dann wandte er das Haupt, fein Blick traf den 
ernjten diiftern Bau, das Klojter ber Crinitarier, weldhes 
jeine Mtauern wie voll ftummer Mahnung vor ihm auf- 
baute: ,,.3n uns jandejt du bie Heimat, und uns gebörlt 
du sul” 

Sofef3 Brauen falteten fid) ,,Nockh nicht!” baumten 
fid) bie Gebanfen wild in ifm auf. ,,Weif denn Charitas, 
ba id) noch umfehren fann, wenn id) will? Werde id) 
thatjachlic) zum AUApoftat dadurdh)? Nein! Noch Habe ich 
die Weihen nidjt empfangen, noch bindet mich fein Schur 
an die Rirde. Bhre reine Rinderjeele jah nur, was vor 
Augen war, das Kleid de3 Priefters; fie mühbnt, ein jeder, 
ber e8 trügt, İci İd)on durch jene jcmale Klofterpforte 
gefchritten, burd) welche eS feine tüdfefr gibt.” 

Hord ... Das (lödfein ruft zur Mefje. 

Langjam erhebt fid) Şofei und İdireitet gum Klojter gürüd, 

Der Brief brennt wie Feuer auf feiner Bruft, wie ein 
trobiges Auflehnen gegen fremde Gewalten guct e3 in 
feinem 3luge. 

An der Kirchpforte fteht Duncacgy. 

Sein Blick trifft wie in ernftem Forfden das Heif 
gerötete Untlig 565 jungen Freundes. Şoflef weidt dem 
Blick aus. 


— 294 — 


Der Lriefter retdit ihm die Hand, in feftem, mahnendem 
Druck umfchlieht er die bebende Rechte Torisdorffs mit 
feinen füffen Fingern. Cine Blutwelle fchieBt in Şofefs 
Antlig und fübt e3 noch erregter erjdeinen. Seine Hand 
adi auf, alg empfinde er einen Gdmerz. Hajtig {chreitet 
er an dem böterlid)en Freunde voriiber in das Dammer- 
licht ber Kirche. Wie in wehmutvollem Berftehen ver- 
Diiftert fid) Duncaczys flares Auge, — über ihm, von dem 
Epheu, welcher fid) an dem grauen Gemaduer empor- 
İpinnt, föft fid) ein Blatt und fallt nieder, ber Wind fabt 
€8 und treibt e8 fort, über die Rlojtermauer hinweg, in 
bic Welt hinein. 

Heift das Blatt Şofef? — — 

Mit tief geneigtem Haupt figt Torisdorff und Laufdyt 
Der Mefje. 

Aber er Hirt und verfteht nichts; wie Frithlingsitiirme 
braujt und furrt e3 vor jeinen Ohren, — medhanijdh regt 
er bie Lippen, Hebt bie Hand, den Kopf gu İtüğen .... 
Aber feine Gedanfen find weit ab. 

Cr İdiridt gujammen, als feine Studiengenoffen fid) 
erheben und geben. 

on dem dammrig fihlen Lchrjaal miğte er Vortrag 
Hiren. Gr fag, das Haupt in bie Hand geftiigt, und 
ftarrte ing Leere. Er Dörte — aber nichts wie eine 
Stimme. Gr jah — aber nichts wie den Wechfel von 
Schatten und Licht. 

Der Brief der Geliebten fchien Gluten auszuftrahlen, 
welde ifn gu vergehren dDrohten. Gr: follte ihn an feine 


— 295 — 


Pflicht gemahnen, ifn feinem Beruf erhalten, und dennod 
bewirfte er gerade das Gegenteil bet dem Cmpfanger. 
Nie war ihm ein Weib fo edel, fo tugendreich und bez 
gehrenswert erjdienen, wie die Gdireiberin biefer Zeilen. 

Gic fagte ihm für ewige Beiten Lebewohl, und doch 
{chien Şoflef jedes Wort ein Schrei ber Sehnjucht: Komm! 

yar: gewiffenhafte, opfermutige Pjlicdterjiillung fann 
Sörem Leben Bre und Reiz geben —”, İdirieb fie 
nicht fo? 

Was it Pylichterfiillung? — Wrbeit! 

wedwede Arbeit? — Mein, nur bie, welde Gutes 
İdafft, welce etwas Grofe3, wabhrhaft Befriedigendes 
eryirft. 

Was mirft er Der? (r lernt, betet, İtubiert, Hirt 
Meffen ... ift das der grohe, Heilige Lebensgwec, welcher 
den Cinjak aller Kraft und aller Tiichtigfeit erfordert? 

Wem müt er dadurd)? Cr fann wohl Gutes ftiften, 
viel Gutes, — da8 Amt eines Weltgeiftlichen ift eines ber 
feqenSreichften, mweldhe e8 gibt — und dod)! — und dod)! 
— Moh nie Hat e3 Bofef mit folch vernichtender Gewif- 
Heit empfunden wie jebt, bab thn felbjt das erfolgreic)fte 
Wirfen auf dem Gebiet de3 Seelenhirtentums nicht voll 
befriedigt. Gin imbeşminqlidyer Durft nad) dem frijd) 
quellenden Lebensbronnen erfülfi ifn. Das Blut bes 
fampfesjreudigen, thatendurftigen Gefchledts der Toris- 
borif5 wallt auj. Arbeit! Wrbeit im Sehweife des Wnz 
gefichts, ein Wharbeiten aller Gchuld mit dem Spaten in 
ber Hand! 


— 296 — 


Celtfam, jenes Bild, die Verfirperung feines Glices, 
weldheS er in dem Licht 168 Blibes geldyant, verlagt ifn 
nicht mehr. Cr Hirt den fnirfchenden Ton des Spatens, 
al$ das Cifen in die Erde ftieh. Wie ein Wlarmfignal 
Deucht e$ ihm, wie ein Werfruf aus trager Unthatigfeit. 
wid, id) wache auf! — Mir ijt’s, als blende ein Strahl 
568 Morgenlidjts die Augen! Bd fomme!! — — 
Wohin? — Ach wohin!” — 

Wie ein Traumender jcjreitet Sofef einher. Jn feinem 
Sunern ift’8 wie vor Connenaufgang. Die Schatten 
fümpfen mit dem Licht; noch fieht und erfennt man müdi, 
man abut nur eine qroge, leuchtende, naturgewaltige Kraft, 
welcje fiegen wird. 

An demfelben Tage traf ein Brief von Klaus ein. 
Er İdirieb oft und lang, feine Zeilen atmeten das Ent- 
gucden, die hohe Befriediqung, welche ihm jein Schaffen 
gewahrte. Cr hoffte, dag ein Bild von ihm fid) in der 
nüd)ften Kunftausftellung einen Blak erobern werde. Wm 
E€difub des Schreibens fragte er an, ob Şolef bereits 
birefte Nachrichten iiber Die neue Goldquelle von Lichten- 
Hagen erhalten Habe. Durd) Zujall feien Braunfohlen 
blofgelegt, beim Graben eines neuen Brunnens ani dem 
Vorwerf Krembs jet man in einer mübigen Tiefe auf eine 
RKohlenjdhicht gejtofen. Er, Klaus, habe e5 fiir geboten 
gehalten, burd) einen Sachverftdndigen eine oberflachlicje 
Nachforjhung anjtellen gu laffen, welche ein ungemein 
günftiqe$ Rejultat ergeben habe. 3mar fet er von Gofef 
mit ber Vollmadht betraut, wahrend feines Wufenthaltes 


— 298 — 


in KR—burg die qeld)üftfidyen Angelegenheiten von Siditen- 
Hagen şi ordnen, — in bielem Halle aber wage er e3 
Dod) nicht, in die Rechte de3 Befigers eingugreifen. Wie 
ungeheuer fcjwerwiegend die Entdeckung fei, finne Sofef 
jelber am beften ermeffen, ba er fid) in letter Beit bez 
İpnberö gern mit Sngenieur-Arbeiten in Bergwerten bez 
fchajtigt habe. Der Grund und Boden von Lichtenhagen 
fönne Millionen bergen; um diefelben aber gu heben, İci 
felbjtverjtandlic) vorer{t ein grofes Betriebsfapital nitig. 
Schon die genaue und griindlidje Srioridymg des Lagers 
bedinge recht bedeutende pefunidre Opfer. Cr İci ber Wnz 
fid), bağ man in biclem Falle, wo jo viel auf dem Spiel 
jtehe, wohl berechtigt fet, Kapital aujgunehmen. Auf jeden 
gall bitte er, Dag Şolei ber Angelegenheit perfinlic) nüber 
treten müqe. 

Şeibe Glut brannte auf den Wangen bes Lefers. 
Hodhatmend, wie unter der Cinwirfung einer gewaltigen 
feelifden Crrequng, fchritt er in dem Zimmer auf und 
nieber, und die Gedanfen ftiirmten burd) fein Hirn. 
RKohlengruben! uf jeinem eigenen Grund und Boden 
ein Bergwerf! Gold) eine Miglichfeit allein mirfte wie 
beraufdend ani ibn! 

Der Bergbau hatte ihn feit je auf das lebhaftefte 
interejfiert, er hatte nur jeiner Paffion Vorjdub geleijtet, 
wenn er wahrend feiner Studiengeit in Bonn jede Gelegen- 
Heit wahrgenommen hatte, bic Bergwerksdiftrifte gu bereijen. 

© wie reigte e$ ihn dDamals İTd)on jo imiberfte) fid) 
an, auf diejem Gebiete thatig gu fein! Und num birgt 


— 299 — 


Die Erde von Lichtenhagen bas Material, weldjes folch 
ein Schaffen und Arbeiten bedingt! 

Şofef3 Augen Tenditeten, e3 güdt in feinen Armen, al3 
miiffe er fie fireden und dDehnen, ihre Musfelfrajt gu proben! 

Und dann ftdihnt er auf und lapt fie jHlaff Hernieder- 
finfen! Cr weif, was e3 heift, ein Bergwerf gu er- 
{ehlieBen; er weif, wie viel e8 foftet, jeinen Reicjtum gu 
erforjcjen. 

Woher aber fold) ein Kapital nehmen? 

Leider Gottes mupten jo wie fo fdon Hypothefen 
auf ba8 Gut aufgenommen werden, weil fein Barver- 
migen da war, um 3öalferidyüben, Baufalligfeiten alter 
Stallungen und die grünölidye Renovierung de GutB- 
haujes vornehmen gü finnen. Das Gut war fehr herunter- 
gevirtid)aftet und Durch einen gewifjenlojen Bacdter aus- 
gejogen worden, nun arbeitete man baran, all bie Locher 
wieder guzujtopjen, welche eingeriffen waren, und das 
hatte Hypothefen abjolut unerlaplic) gemacht. 

Und nun nene Schulden auf den Veli Haufen, um 
einer Mtdglidhfeit willen, welche fich vielleicht als ein 
Phantom eryweift? 

Undenfbar! C3 ware fimdhafter Leichtfinn! (65 ware 
ein Hazardfpiel, bet weldem der Cinjak zum Spielball 
168 Bujalls wird! 

So lange feine Mutter lebt, bari Şofeft fich nicht auf 
Derartig gewagte Unternefmungen einlafjen. Er muf Gott 
Danfen, wenn die Halfte 5:8 Gutes fiir die Beit ihres 
Lebens ausreidht, denn bei dem Heutigen Stand ber Land- 


— 300 — 


wirtjdhaft fönnen ein paar Şahre die traurigften erz 
ünberungen fir einen Sanobefiş mit fid) bringen. 

Nein, nein! Nicht noch mehr Edyiniben maden! Cs 
ijt nicht abgufehen, ob fie jemals abgetragen werden 
fonnen — und Geld leihen, ohne die Tefte Ausficht, e5 
guriidzahlen gu finnen, ijt im Sofefs WAugen gletchbe- 
Deutend mit Diebftabl. 

Und Sntereffenten werben? Kapitaliften fiir das Unter- 
nehmen gerwinnen ? 

Torisdor{f beift mit finfterm Blick die Bahne gue 
fammen. — Unmodglich! Mit dem Gohn de3 Bantrotteurs 
Sterley wird fid) feiner affociieren, und eine ablehnende 
Antwort, womdiglich gar in verlegender Form — er erz 
triige fie nicht.. Sie wiirde ihn treffen wie ein Peitjchen- 
hieb, welcher jeine Ehre brandmarft! 

Aljo WAbjchied nehmen von dem fd)önen , lockenden 
Traum — wieder İdyeiben und entjagen! Heute wie 
immer, 

Doch ob er auch entjagte und die Mtdglichfeit einer 
RKapitalsaufnahme entidyieben von fich wies, — vergefjen 
fonnte er nicht. 

Tag und Nacht verfolgte ihn die Vorftellung von den 
Lichtenhagener Kohlenlagern. Der Gedanfe an Charitas 
jelbjt wird durch biefen guriictgedrangt. 

Seine ganze Geele war erfillt pon dem İodenben 
Bild einer Thatigfeit, welche jeden Nerv, jede Mustel 
an ihm İtrafftel 

Lag er nachtS mit offenen Augen auf feinem Lager, 


— 301 — 


fo fah er im Geift, wie fid) das Bergwerk daheim ge- 
ftaltete. (r felber allen Arbeitern boran mit rajftlojem 
öletb, mit feibenidyaftlidyem Cifer! 

Da gab es fein Grmüben, fein Crfchlaffen! Den 
jpigen Bergmannshammer in der Hand, ftand er felber 
und rig Die tiefen Marben in bie Scholle, welche fein 
Gejchlecht geboren. Dann örte er bas $üniridyen des 
Erdreich3, İdyari und fein, fo wie eS bamal8 durd) bic 
Gewitternacht gu ifm emporflang, als er jein ,Glic” in 
ben Flammen de3 Blike3 gejdaut. 

Arbeit! Ya, das wire eine Arbeit! Das ware die 
heilige, grope Pflicht, welche jeine Whnen ifm aufbewahrt, 
Die Ediüğe gu heben, itber welche jeit Dahrhunderten 
Der Pflug dahingeglitten, wahrend und Şütenb, bis einit 
bie ernjte Stunde fommen werde, wo ein İpüter Cnfel- 
john jenes Gchabes bedarj, um feine Chre frei gu 
faujen! 

Arbeit und opjermutiges Erbarmen! We eine Binde 
fallt’3 von Şofef3 Wugen, wie eine grobe, miümberlame 
Erleuchtung fommt e8 über ihn; er meib e3 plötlid), zu 
was ifn der WAdel feiner Gejinnung verpflichtet, was bie 
Schuld fiihnt, was die Wunden, welche der Stiefvater 
gefehlagen Hat, heilen fann. Gr fieht fid) jtehen in raft- 
lojem Schaffen, er fieht fid) im Sdhweipe feines Angefidhts 
an einer LebenSaujgabe arbeiten, jo edel, fo grog, jo 
yar, dap fie eines Wenfehen Dajein reichlich fillt. Cr 
traumt von dem Sieg, von dem Zicl, wo er durch eigene 
Kraft die fchlummernden Millionen gehoben, nicht für fid), 


— 302 — 


nid)t fiir fein Gefdlecht, fondern für jene, welche durch 
Sterleys Schuld an den Bettelftab gebracht find. 

Heilig, Heilig die Stunde, wo er bie Schuld an jene 
Menfchen abgahlen fann, wo fein Sdhweif den Gdyanb: 
ffef abwajfdjt, welcjen ber Banfrott de Banthaujes und 
das Şuritdbefaflten von Lichtenhagen auf den Schild der 
Chre gezeichnet. Wie eine Offenbarung ift e$ über ihn 
gefommen und eine Begeijterung erfiillt ihn, welche ihn 
voll unwwiderftehlicder Gewalt feiner BVeftimmung ent- 
gegentreibt. 

Dennod) trauert der Adler mit gebundenen Schwingen; 
Das Geld, welches eingiq die Pforten bes Glüdes erz 
{ehlieBen fann, ift unerreihbar. Whermal3 vergehen Tage. 

Cine unbefdireiblidye Gleichgitltigfeit gegen alles, was 
ihm jrither al8 Gnbegriff de3 Leben gediinft, erqriff ihn; 
wie ein öyroİt hatte e8 die şarte Bliite phantajtijder Jugend- 
jhwarmeret getroffen. 

Wenn am Morgen der rib bes Wochners im Schlaj- 
fal ertinte: ,,Laudetur Jesus Christus, surgant omnes 
reverendi domini fratres!“ (Gelobt fet Sejus Chriftus, 
yoad)t auf, ehrwiirdige Briider!) — fo burdifdyanerte ihn 
ein Empfinden, als gehe ifn diefe Anrede, dieje Gemein- 
fchaft nidifö mehr an, al fei er eir anderer, ein rember 
geworden, deffen $törper wohl nod) al3 wejenlojes Ctwas 
in Diefen Mauern weilt, deffen Geift aber füngit einen 
anderen Flug genommen — fernhin, wo ihm eine Heimat 
winft! — 

Duncacgy fagte feine Hand und jdjaute mit ernjtem 


— 303 — 


Sid in fein übermüditiqe3, verftdrtes Antlig. ,,Bijt du 
franf, Şoflef?” 

Torisdorff lachelte şerftrent und jdjiittelte den Kopf: 
Sie wiffen e3 ja, was mid) quilt, lieber Freund! Sd) 
gab Shnen mein Herz von Grund aus 3u jdjauen, als 
id) ehemal3 fam.” 

/Und die böflen Geifter des Brweifels, der Rubhelofig- 
feit find nod) nicht gebannt?” 

Sofef bib die Bahne gufammen. ,,Ste werden € 
wohl nie!” 

pxleinmiitiger! WArbeiten Sie! Beten Sie! Die Beit 
bifft Shnen./ 

Arbeiten! O, baf er 68 finnte! Denes tote, falte 
Studium, jene Biicherweisheit, weldje bas Hirn nur bez 
faftet und den brennenden Durft dennoch ungeftillt fübt, 
ijt feine Arbeit für ifn; früfer ahnte er e8, jest weif er 
e8. (Gr İdirieb an Klaus. Cr befchwor ihn, au? Meittel 
und Wege gu finnen, das Unmiglide miglic) gu machen. 

Und wieder verftriden Tage. 

Da flopfte ber Depejdhenbote an die Rlofterpforte. 

Cin Telegramm fitr den Freiherrn von Torisdorjf. 
&8 it waihrend des ,,Silentium”. 

Sofef jak im Schatten der alten Rird)hofmauer und 
ftudierte. 

Er fah mit glanglofem Sid auj, als einer der Prii- 
feften an ihn herantrat und ifm die Depefche mit fra- 
gendem Blic entgegenhielt. Der junge Mann guctte şi 
jammen, eine Blutwelle fchoB ihm in die Schlajen. Geine 


— 304 — 


Singer vermodjten faum das Papicr gu Hffnen. Gr blictte 
Darauf nieder, und alles Blut mid) aus jeinem Antlig. 
Cin Aufftipnen, ein Leifer Wuffdrei de8 Cntjebens — 
,)ğutter 1 Mutter!” 

Der theologijde Projeffor nahm bas Blatt aus Şolefs 
bebender Hand. (r las: 

spre Frau Mutter durch einen Lungenjdjlag joeben 
von ihren Leiden erlift. Crwarte Sie und Herrn Bruder 
hierjelbjt, alle weiteren Beftimmungen gu treffen. Charles 
Verdan, Doktor.” 

Er legte die Hand auj die Echulter be Schluchzenden. 

y)lrmer, junger Freund, — armer Freund!” mür- 
mielte er. 

Und dann İdiritt er anf leijen Cohlen davon, dem 
NReftor die erfchiitterndDe Nachricht mitzuteilen, welche WAuf- 
İdlib über das aujjallig verdnderte Wejen des jungen 
Klerifers gab. Er wufte wohl jcjon feit İciner Riicéfehr, 
wie e3 um bic Mutter jtand, und die Qual jeinc3 Herzen3 
hatte ifr gegolten. 

Soflef aber fanf an ber jteinernen Bank nieder, barg 
das Antlig in ben Handen und weinte bifterlid). 

Wie ein Reulenjcdhlag, jah, unerwartet hatte ihn bic 
entjeblide Nachricht getroffen, er brad) momentan unter 
ify gujammen. 

Der Wind aber rafdelte in den Blattern der Bibel 
und wandte fie leije um, Geite für Seite. Wl Şolef 
fid) aniridytete und fein verjtirter Sid, voll Schmerz 
und Bitterfeit, medyanild) ber bie Buchftaben irrte, hajtete 


Juv. Sid) ftrirtb, SİL Nom. m Now., FrithlingSftitrme I 20 


— 306 — 


er plöbfid) an einer Stelle: ,Hiob! — Aus fedjs Zrüb- 
jalen mill id) bid) erretten, und in der fiebenten foll bid) 
fein İlbel rithren!” — Wie eine tröftenbe Prophegeiung 
leuchtete e8 ifm entgegen. 

Bürüd nad) Montreuy! 

War in der legten Zeit das Bild der Mutter, weldes 
in jeinem Herzen bisher ftet3 den erİten Blak eingenommen, 
burd) das holbde, liebverflarte Wntlig einer Charitas ein 
wenig verdunfelt worden, — jest leuchtete e3 mit all der 
Glorie, mit welder trauernde Liebe ihr gröftes Kleinod 
jjmiict, und nichts drangte fid) Daneben; felbjt bas 9fn: 
Denfen der Geliebten wich in biefen Stunden einer ftillen 
Totenjeier. 

Sofef empfand e$ beinahe als Troft, bab Charitas 
nicht mehr in ber Printaniere weilte. 

(s hatte ihm ein Verbrechen gedeucht, wenn fich and) 
nur der Hauch cinc3 Gefiif18, welches nicht tieffte Traner 
und Wehimut gewefen, in fein Herz gejdlichen hatte. 

Der Tod hatte eine noch viel engere Gdiranfe um 
ihn und die Mutter gegogen, wie das Leben, fe$t gehirte 
er ifr allein, mit all feinem Denfen und Cmpfinden. 
Welch jdhwere, namenlos fdhwere Stunden. 

Wie itberpoll die Welt an Leid und Schmerz, jo lange 
ifm das bleiche Antlig nocd) aus den Bliiten des Garges 
entgegenladjelte, und wie Bde, wie Icer, İcit bieler Garg 
in Die füfle Crde gefjenft war. 

Weld) einen Troft fand Şefef in diejen Stunden in 
Dev Treue feines Stiefbruders! Nie waren fid) die beiden 


— 307 — 


jungen Minner fo nabhe getyeten, alS in dicfer Beit ber 
Vereinfamung, in den jtiflen, grauen Tagen, welde fie 
nad) ber Beijebung noch gujammen in der Printaniére 
verlebten. 

S galt, den Fleinen Haushalt der Mutter, meldie 
fid) mit viel eigenem Hab und Gut die fremden Woh- 
nungen Heimijd) gemadjt, aufgulijen. 

Gie founten fic) nicht alljogleic) başı: entjcdhliefen, 
und bicle bange Zeit bes Verwindens und Harrens ge- 
wahrte Klaus einen tiefen Cinblid in das Herz be8 Bruz 
ber, was die Plane und Şoffmingen betveff$ de3 Lidhten- 
Şaqener Kohlenlager3 betray. Uber feine Liebe şu Charitas 
verlautete fein Wort. Cs hitte Şofef wie eine Cntweihung 
jetner Heiligiten Gefiihle gebünfi, bie Perjon der Geltebten, 
weldje fiir ihn ein Bild ber Gnade war, der Leijeften 
Mipdeutung auszujepen. Ceine Liebe mar filtr ihn bic 
garte Wunderblume aus Wala al Walhas Garten: traf 
fie ein jrember (uf als Kuofpe, fo fant jie in bic Tieje, 
unvicderbringlich) dahin mit all Dem Bauber und Glüd, 
welded fie verheipen. 


20* 


NZ NS SİNƏ 


WN ANT SA NS 


YAING 


XIV. 


R 


gy oc) Hatten fid) die Britder nidt entitificbon 


fonnen, den Nachlap ber Mutter şir ordnen, da 
aber bie Zeit verjtrich und Klaus jeine Studien 
nicht linger unterbrechen fonnte, jo mupte auch Diejer 
traurige Sdhritt gethan und die fleine Hauslichfcit aufgelift 
werden. Die eigenen Mobel — fie bejtanden nur in Bett, 
Liegjejjel, Kranfenwagen und einer Badecinrictung — 
welche Jnes ftet mit fid) auf Reifen gefiihrt hatte, jollten 
ebenjo wie ihre Koffer und fonjtigen Cyfeften nad) Lichten- 
Hagen gejcdjafft werden. 

Lina erhielt Kleider und Wajche, und Söflef öffnete 
focben bie fleine Echmuctjchatulle, um noch ein wert- 
volleres, pafjendes WAndeifen fiir bie treue Diencrin Heraus- 
gujucjen. 

WS er ben atlasgepolfterten Deckel guriicfjehlug, fiel 
fein ölüf auf einen gejchlojjenen Briej, welcher gu oberjt 
auf Den verjehiedenen Ctuis fag. 

yaln meinen Sohn Gofej, — Nach meinem Tode gu 
offen.“ 


— 309 — 


Aufs Dödifte iiberrajdt und betroffen nahm ofej 
Das İebte Vermachtnis der Mutter empor. Gein um: 
florter Blicf weilte voll tiejen Schmerges auf den geliebten 
Schriftgiigen, und jeine Hande bebten, faum vermod)te er 
das Siegel gu lojen. 

Dann fanf er jchwer in den Cefjel vor dem Sdhreib- 
tijc) nieber und (a3: 

Mein eingig geliebter Sohn! 
Wenn meine Lippen für ewig verftummt find und 

Dir feine Worte gartlider Liebe mehr jagen founen, 

jollen dicje Beilen jtatt meiner gu Dir reden und Dir 

den febten Grug und den Segen Deiner Mutter bringen. 

Lange habe ich mit mir getümpit, ob id) Dir jchon bei 

Lebzeiten eine Mtitteifung machen jolle, welche ich ge- 

wijjermapen als Geheimnis vor Dir bewafrte; Dein 

itberrajdhender Gütidifub, Klerifer 3u werden, Heeb mid) 

{chweigen, ben fiir einen Monch oder Geijtlicjen hatte 

meine Mittetlung feinen Wert. Gelangt diefelbe nad) 

meinem Lode in Deine Hande, fo üt nur einer Pylicht 
genilgi, ich verhehle Dir aber nicht, mein Şofef, dag 
mein heigeftes Gebet taglich gu Gott jleht, dak Du 
nad) Ablauf ber drei Probejahre mir und der Welt 
guriicége}dhenft werden mügeft. Gott vergeihe mir Die 

Giinde — aber id) bin tiberzeugt, bağ der Beruf eines 

Priefters Dich fiir die Dauer nicht befriedigen fann. 

Das Mutterauge ficht jar}, und das meine blicte in 

be8 Sohnes Herz. So ijt e3 mir plöflid) wie eine 

feltjame Borahnung, alS ob diejer Brief noch zur 


— 310 — 


rechten Beit in Deinen efiş gelangen wiirde. Saf 
mich beicjten, Sofef. 9115 ich meine gweite Che mit 
Sterley einging, that id) e3 um Deinetwillen. Wéhrend 
meiner erfter Che hatte id) nur an mein Glick, nicht 
aber an das meines Kinde3, nur an die Gegenwart 
ud nicht an die Zufunft gebadit. Bel) Hatte webder 
gejpart noch gejorgt für Dich. Das wollte ich in der 
gweiten Che gut machen. Se) dadhte nicht mehr an 
mid), mein Şoflef, mein Leben war abgeldifoffen, ich 
verfagte mir alles İÜberffülfiqe, um fiir Dich gu jparen. 
Und e3 gelang mir. O, wie jchwer wiegen in beni 
Haufe eines Milliondirs all die Brojamen, weldhe jonjt 
forglo3 in den Wind gejtrenut werden! Sd) fammelte 
jie şır einem goldenen Berg. Mit den Sahren wuchjen 
jie 3u einem betrad)tlidjen Vermigen heran, dejjen Vor- 
Handenjein mid) mit Rube und Zujriedenheit erfiillte, 
wahute id) dod, bab der Vefig Lichtenhagen ohne 
Frivatvermigen nicht gehalten werden finne. Jn diejem 
Brieje eingefdloffen liegt das Verzeichnis der Wert- 
papiere, welche al mein perförlidye5 Cigentum in Bern 
auf Der MationalbanE ficgen. Die Depofitenjdjcine be- 
finden fid) in Dem verjiegelten Packet gu unterjt in 
Diejem Rajten, ebenfo alles Andere, was zur Hebung 
568 Kapitals erforderlich it. 

Solltejt Du, was ich inftandig hoffe, ben Beruf 
als Rlerifer aujgeben und Lidhtenhagen übernefinur, 
İp wird Dir dieje Crbjdhajt Hochwillfommen fein, bleibjt 
Du Hhingegen im Klojter oder wirft Du Weltgeiftlider, 


— 31 — 


fo bab eine fegitime Nadjfommenfdhaft auggefdloffen 
ift, beftimme id), bar mein Hinterlajjenes Vermigen an 
meinen Etieffohu Klaus fülli, mefdyem Du dann wohl 
auch das Gut itberlaffen wirft. Sd) betone noch cin: 
mal, bağ bejagtes Vermoigen mein perfinlides Cigen- 
tum ift, e6 find bie Crjparnifje von meinem Nadel- 
und Wirt}ichajtsgelde, jowie bie Gejdhenfe, elde James 
mir madte. Sd) habe es für Dich) gejammelt, und mein 
Segen ruht darauf. Walte Gott, dag es Segen bringe! 

Sofef lief das Briefblatt jinfen, e3 wogte und wallte 
vor feinen igen, alle Buchjtaben tanştem wire burd): 
eintander. 

Faffungslos, aufs hichfte erregt, jdjlug er die Hande 
vor das Anilig. ,,WMiutter, Mutter, das thatejt du für 
mid) ?” 

Und dant fam e3 itber ifn wie ein Raujdh, wie ein 
Taumel ungeheucrfter Aujregung. Cin Wunder hat fid) 
Degeben! 

Er ijt der Befiver eines bedeutenden Vermbgens ge- 
worden, er hat plipfic) Kapital in Handen, ev vermag 
e8 aus eigener Rrajt, die Kohlenlager von Lichtenhagen 
gu erjdjliepen! 

Dieje Crfeuntniz blendet ihn, fabt ihn bis gum tiefften 
Hergensqrund ergittern, und afs fid) jujt die Thitre öffüet 
und Klaus  über die Schwelle tritt, mirft fid) Solef mit 
gliihenden Wangen an feine Brujt und fehluchst lant 
aul: ,,Wie’, mein Bruder! Lies Klaus, was dieje Stunde 
ung ermiglicht! “ 


— 312 — 


Thrinen glingten an feinen Wimpern, ein wunder- 
fame$ Gemijd) von tieffter Wehmut und Miihrung, İmic 
von Himmelhochjauchzender Dantbarfeit trieb fie in jeine 
Augen. Wie ein Feuerftrom rann e8 durch jeine Glteder. 
(Er breitcte die Arme aus wie einer, welcher burd) Wetter 
und Friihlingsfturm mübfam fid) durchfimpjend, endlich 
DeS Lenzes lad)enbe Gefilde vor fid) fielht, mie einer, 
welcher die Welt anjdaut, als Habe fie ifm ihre ver- 
fehlofienen Pyjorten neu aujgethan, wie einer, welcjer mit 
blinden Wugen irrend und ringend nad) dem rechten Wege 
fuchte und endlich ifn vor fid) fieht, eben und jonnig wie 
eine Verheifung unendlich grofen Gfiüdes1 

Auch Klaus empfand eine unbejdhreiblicje Şerşen3- 
freude bet diejem jahen Wandel der Gejchide, und rm 
in Urm, mit leuchtenden Wugen İdiritten die beiden jungen 
Manner in dem fleinen Zimmer auf und nieder, die 
erften, notwendigiten Cchritte Tür die nad)jte Bufunjt 
beratend. 

och fenne jebt feine Bweijel und feine Tinentidifoffen- 
heit mehr!” atmete Sofef auf. ,,Die Frithlingsftiirme 
meine3 jungen Lebens haben mid) lange und graufam 
genug gejchiittelt, nun ift ifre Diacht şır Ende, and) fie 
weidjen einem Wonnemond der Erldjung! Jd) fehre nicht 
wieder nad) &—burg guriicf, id) jHheide von einem furzen 
Wahn, welder für mich ein tritgerijdher war! Und dann 
eile id) nad) Lidhtenhagen, in rajtlojem öyleiğ die Hande 
gu riihren! Gegnet der WUllindd)tige unjer Werf, erweijen 
fid) die Rohlenlager thatjachlich als Goldgruben, jo jollen 


— 314 — 


bald bie Thranen derer trodner, an welche wir eine fo 
grofbe Schuld abgugahlen haben!” 

ySpfel17 Mit bebenden Arinen umjdhlang Klaus jeinen 
Nacen. ,,Das millft du mahrlid) thun? Du willft dein 
Geld und Gut opjern, um den Mafel von Vaters Ramen 
gu wajden, weldjen Betrug und Sdhlechtigfeit anberer ifm 
aufgebiirdet? 0 Şolef — wie foll id) bir folch einen 
Gbelmut, fold) eine Seelengripe danfen?! Sieh, id) will 
bir nun geftehen, warum id) ür deinen Augen fo ehrver- 
gejjet mar, bie Cinfiinfte von Lichtenhagen fiir meine 
Studien angunehmen, — ich wollte ein beriihmter Mann 
werden, ein Matart, ein Mengel, deren Pinjel jdjlieflich 
gum BZauberftab wird, welder die Sdhakfammern eines 
Eejam Hffnet! Bei Gott, Şoflef, id) bad)te dabei nidit an 
mich jelbft, an Ruhm und Wohlleben; id) Dachte an meinen 
armen Vater, dejjen Chre bie Welt fteinigt, ber gebrand- 
marft im Grabe liegt! Wie trojtlos und peinigend war 
ber Gedanfe fiir mid), bab vielleicht erjt ein halbes 
Menjfchenalter verjtreidjen miipte, ehe id) den bird) die 
Girma gefdadigten Menjchen ihr verlorenes Geld şürüdə 
geben finnte! WUWber ich verzagte trogdem nicht, und mün 
fonmit Du, mein Şofef, und bringit mir Hilfe, wo ich fie 
am wenigften vermutete! Gott lohne e5 dir! Und fann 
id) jemal3 im Leben bir gu Dienften fein, fordere alles 
vou mir, alles, id) gebe e3 und bleibe dennod) dein 
Schuldner!” 

Nie war die Freundjdjajt und gegenfeitige Buneigung 
ber Gtiefbrüber eine Herglicjere gewejen als in Diejen 


— 315 — 


Tagen, wo ein gemeinjames Bdeal beider Seelen erfiillte, 
wo fie Hand in Hand auf einem Wege ein und demjelben 
edlen und hohen Ziele entgegenftrebten. 

Şofef richtete ein Sdjreiben an ben Bijchof und aeigte 
ifm feinen Cutjehlug an, aus der Reifhe ber Klevifer aus- 
treten gu wollen, und nachdem er den inhaltjdweren 
Brief abgejandt, İtieg er gum erjtenmale wieder empor in 
Die ftille Waldeinjaméeit, an all den trauten Plagen fefiger 
Erinnerung eine ernite Hergzensfeter gu halter. Wie wunder- 
bar verwandelt ftand er jeht an DdDerjelben Stelle, wo er 
vor wenigen Xöodlen noch al mitüter, rubelojer, gequilter 
Mann, bar aller Hoffnung, ohne jeden Glauben an fid) 
jel6jt und jeine Zufunft gujammenbracd. Damals ftand 
er nöd) mitten in Dem tofenden Mampje mit ben Frithlings- 
ftiirmen, welche feinen Leben8baum jfehiittelten; Heute hat 
er bie finjteren Viichte beşminigem, er hat fid) felber und 
jein innerjtes Wejen, ben efyebem jo unverjtandlidjen Durjt 
jeiner Geele nad) Frieden und fegenbringendem Wirfen 
verftehen gelerut. 

Es ijt jtil um ihn her und in ihm geworden, dic 
wohlthuende, gejegnete Stille, welche ber Leng atntet, wernt 
fic) ber Bliitenfelcy aus dem Dunfel ber Kuojpe gerungen, 
wenn die Zeit angebrochen, wo die feimende Saat der 
Ernte entgegenreijt. 

Wie fchwer ijt e3 ihm geworden, ben Weg gu finden, 
welden Kaus feit Anbeginn vor Augen gefehen. Bringt 
Denn nicht ein jeder Lebensfriihling feine Stiirme mit fid)? 

Mein! Go vicle ltenidyen wie da wandeln, fo viel 


— 316 — 


verjchiedene Wege, fo viel verjchieden Wetter! Hier Sonnen- 
fein vom frithen Morgen bis gum İpüten Xbend, — dort 
Sturm und Ungemach, Hagel und Frojt, Hibe und Kalte! 
— Und dennod ein Wintcrjchnee fiir alle, — ein Biel 
und Ende. 

Sofef blick& Lachelnd auf die weite, Herrliche, afüdiefiqe 
Gotteswelt hinab. Der heutige Tag Hat ihn neu geboren. 

Sehnjucht und ftilles, gliubiges Gnişüden jchwellt 
jein Herz. 

/Sharitas!” fliifterte er — ,,Charitas!” — und bird) 
das Laub geht ein leijes Göniefi der Antwort, ein duftiger 
Haud), al8 fei fie ihm nahe in all ihrer leuchtenden 
Sdhine und Sungfraulichfeit. Mun liegt fein Wbgrund 
mehr gwifden ifnen. Şofef wird mit ftarfen Handen eine 
Briicke dariiber jchlagen und den Weg gu der Geliebten 
finden! 

Coll er ihr fdyreiben ? UL den feligen Wandel fcines 
SGejchicés? 

Nein. Charitas bat ihn, e3 nicht zu thun. Gmpidnut 
fie Den Brief nicht, gelangt er in falidye Hande, faun er 
ihr ganzes Glick gefahrden. 

Gr will der Beit harren, bis er ihr feine Hoffrungs- 
plane, fondern Thatjacjen berichten fann. Noch find die 
Kohlenlager von Lichtenhagen ein Buch mit fteben Ciegeln, 
— und ehe ihr Geheimnis nicht erforid)t ijt, bari? er nicht 
handeln wie ein Mann, weldcher für jeiner Hande rbeit 
des Hergzens fitben Loh erheifeht. 

9604) ijt fein Mejt auf feinen ficheren Grund gebaut, 


— 317 — 


nod) liegt cin unbeftelltes Feld vor ihm, weldjes alle 
Krajt, alle Gedanfen, alle Beit eines Mannes beanjprudt, 
um urbar gemacht 3u werden. 

Raujcht aber fein Yebensitroni gwijdjen breiten, ficheren 
Ujern ruhig und glatt dahin, üt bas Werf im Gange 
und winft ber fidyere Crjolg, — hat er ein ficheres Funda- 
ment für frembes Glick gebaut — dann darf er aud) an 
Das eigene denfen, und dann foll Charitas diejes Glüdes 
lidjter Gugel fein! 

Wird fie diejes Tages harren? 

Şa, fle thut e3; fie liebt in, fie ijt treu. 

Wie er an fid) felbjt und jeine wantelloje Liebe glaubt, 
jo glaubt er auch an die, welche fiir ihn zum Snbegriff 
menjdjlicher Vollfommenheit geworden. 

Hier, in Der trauten Waldeinjamfeit üt er mit allen 
Gedanfen, mit all der ticjen, innigen Sehnjucht jeines 
Hergens bet ifr. Dann aber Heift e$ mit flarem Auge 
und fejtem Sinn die wirren Faden (öfen, welche fid) vor- 
{aufig noch iiber jeinen Weg fpinnen. 

uf: neue geht e3 in ben Kampf! Wujs nene werden 
Etürme ihn umbraujen; dieSmal aber ijt e3 nid)f mehr 
jener WAujruhr der Natur, welder dem ,,Werde!” voran- 
geht, jondern die Wetterjdauer, welche cin Sommer voll 
Wachjen und Gedeihen mit fic) bringt! 

Und Şofef {chiittelt leuchtenden Auges das lockige Haar 
in Den Nacfen, und Hebt und debut tiejatincnd jeine Wrme, 
— er fiihlt voll jauchsenden Muted ihre Kraft und ver- 
traut thr. 


— 318 — 


— — — Gtwa dierzehn Tage waren verganqen, al8 
Sofef Antwort aus K—burg erhielt. 

Der Brief enthielt mehrere Gdiriftftiide. YS erftes 
fiel ifm ein Edireiben bes Gijdhofs entgegen, welches an 
ben Abt von K—burg qgerid)tet war, und weldes Fofef 
hodflopfenden Hergen3 18. C8 lautete: ,,.Hochwiirdiger 
Herr Abt, Dechaut und Stadtpjarrer! Fojef Breiherr 
von Şoriöborif, THcologe der rc. 2c. Didgefe, ging vor 
turşer Beit anlüfilid) des Begrabniffes feiner Mutter nad) 
Haufe, von wo aus derjclbe ein Sittgefiid) an mich ridhtete, 
in weldem er aus unbefanuiten Griimden mir feinen 9fu3- 
tritt angeigt und um feine Entlajjung bitter. Zum geifte 
liden Stande mödite id) niemanb gwingen, wesiwegen ich 
Ew. Hodwiirden bitte, obengenaunten Vittiteller verftin- 
Digen zu wollen, bab ich fein Bittgefuch als angenommen 
erad)te und ifn aus der Rlerif hiermit entlajje. Ceine 
Reugnijje und Dofumente fann er von dem Mektor, weldjen 
id) Heute ebenfall3 beritünbiqte, herausverlangen, wenn er 
Die vom Seminar erhaltene Meverenda zuriicfendet. Sonft 
bin id), mid) Siren andadtigen Gebcten empjehlend, 
Cuer Hochwiirden wohlwolleuder Oberhirt F Paul Aegi- 
dius m. p.” : 

Sofef ftarrte fhwer atmend auf bie Zeilen mieder, er 
empfand den Rif, welder mit bicfem Briefe gejdehen, 
wie einen firperliden Edimerş. 

Er bedte fiir einen Moment die Hand über die Wugen 
und fiihlte e3 erjt jebt, wie tiel fjon all fein Denfen und 
Fiihlen in dem bamaligen Beruf Wurgel gefdlagen hatte, 


— 319 — 


Dies Loslbfen that weh, und Şofef fiğümte fid) nicht 
eines Gefiihls von Heimweh, weldhes ihn bejdhlich. Aber 
er itberwand ¢8, er [a8 den Brief Duncaczy3, obwobhl 
er fic) im voraus fagen fonnte, bağ berleflDe in Ddiefem 
Yüqenblid feine geeignete Leftiire für ibn war. Şa, der 
treue, büterlid)e Freund madjte ihm das Sdjeidein fchwer, 
und dennod) deuchte e3 dem Lejenden, al8 İpred)e cine 
gewiffe Refignation aus den Beilen, al8 habe Duncacyy 
faum nod) auf die ötüdfefr de jungen Mannes ge- 
rechnet. Gr beflagte Jojefs Austritt aus tiefftem Herzen, 
aber er giirnte ihm nicht. ,,Beffer ein guter Golbat, 
als ein jchlecjter Priefter!” fagte er gum Edilib, wohl 
in ber Annahme, bağ ein Torisdorff zur Fahne zuriic- 
ftreben miiffe. ,,Wer nicht ben Beruf eines Seelenhirten 
gleich heiliger Mijjion empfindet, ber Toll weltlich bleiben, 
Denn ein fcheinheiliger und fittenfofer Pricfter jchadet ber 
Kirdhe und Religion mehr al8 hundert WUtheijten mit ihrer 
ehrlidjen Gottesleugnung!” 

Wieder und wieder las Solef dieje Beilen, und fein 
Auge leuchtete auf, und fein Herg ward jtill — was er 
am ineiften gefiirdjtet, hatte Gottes Gnade ihm erjpart 
— feine Freunde hatte er nidjt verloren. 

Nod) einmal blicte er voll Wehmut auf die Reverenda, 
ehe er fie einpacte. Sie war eine jener dunflen Wolfen 
gemejen, weldje ber Friihlingsfturm vor die Sonne treibt 
— nun mid) fie ihrem Glang. 

Auch dies war ein bittere8 Sdheiden, fein Tropfen 
feines Kelche3 ward dem jungen Mann erfpart. Und 


ə ŞO. sə 


al3 er, berhunfen in İcine Gedanfen, vor dem fieben, 
ernjten Rleide jtand und jeine Hand wie in gartlichem 
Segensqruk immer wieder dariiber Hinjtric), ba tinte 
ploglich vor dem Fenjter ein jeltfames Gerdujd, bas 
İd)arie finiridyen eines Spatens, welder in bie Erde ftöbt. 

Solef gucte empor, die Neverenda janf aus jeinen 
gingern in die Kijte nieder, da8 Papier rajdjelte bar: 
liber bin. 

Torisdorff aber trat an das gebjfnete Fenjter, an ba3- 
felbe, von welchem aus er damal in bie bunfle, bli 
Durch3zuctte Gewitternacht gefchaut. 

Der Gartner grub drunten ein Beet um, Şolef aber 
jah im Geijte wieder Das wunderjam prophetijde Bild 
jeincS Oliickes. 

Mun verjtand er e3! Die Arbeit und die oprerimutige 
VBarmberzigfeit! Cie ftehen vor ifm und winfen ihn in 
Das Leben guriick! Frijche, flare Lujt ftreicht um jcine 
Stirn, und Yojef Hebt jreudig das Haupt und {chau 
Diejem nenen Leben voll mutiger Zuverficht entgegen! 

Die Zufunyt Hat ifm ihre goldenen Xhore weit ani: 
gethan, und das Vergangene liegt Hinter ifm wie ein 
İdyoerer Traum. 

Der Schnellzug fuhr in die grobe Glashalle der Nie: 
fideng ein, und Sojef betrat wicderum Die Stadt, von 
welcher er fiir ewige Zeiten hatte Ubjchied nehmen wollen. 

Wie anders war alles gefommen. 

Hodhaufgerichtct, voll jtrahlender Freudigfeit fchritt 


21 


No CiHftruth, I. Rom. i, Nov. Frihlingsftiirme L 


— 322 — 


er durch bie Etrağem, und die Leute fahen  überrafd)t in 
ba8 İd)öne, energild)e WAntliz, welches fo gar nichts von 
Der Ungufriedenheit, dem Mtipmut und der Nervofitat 
be8 fin de siécle an fid) hatte, jondern mit jo Hellen 
Blicen um fid) jah, als habe er mit bem Gli einen 
ewigen Rontraft gejchloffen! 

Und das hatte er auch! 

Die Bohrungen Hatten in Lidhtenhagen ftattgejunden, 
und bic KRohlenlager erwiejen fid) als derart umjangreich, 
bab ihr Bejiber fid) İdy)on jest al3 fehr reicher an 
betrachten fonnte. 

Der junge Freiherr entwicelte eine fieberhafte Thatige 
feit, um bie Bergwerfsanlagen gu jchaffen und jo bald 
wie miglich in Betrieb zu feben. Cin ungeheures Leben 
und Treiben begann in dem ehedem fo jtillen Lichten- 
Hagen, und e8 Ddeuchte Sofef eine bejondere Annehmlid- 
feit, Daf das alte Gutshaus weit ab von all dem Ge 
triebe Lag, welches fid) hauptjachlic) auf dem Borwerk 
Kremb3 entwicelte. Bon früf bis İpüt war Torisdorff 
auf dem Arbeitsfelde thatig. 

Er beauffictigte die Bauten, welche aufgefiihrt wur- 
Den, er ftand dem Gngenieur şur: Seite, ja er griff oft 
mit Heigen Wangen jelber gu Hade und Sdhaufel, um 
periönlid) Hand an das Werk gu legen. 

Die Gejchafte fihrten ihn oft im die Refidenz, jo wie 
heute, wo er eilig burd) bie Anlagen İdiritt, weldje ber 
Spatherb|t bereits entblüttert hatte. 

Die Luft pfiff wm bitterfalt entgegen, fleine frierenbe 


— 323 — 


Kinder troflten an ihm vorbei, bie Handden in die 
Schitrgze gewicelt, Ohren und Naje rot gejroren. 

Die Wolfen hingen jo grau und fchwer an dem Himmel, 
als wollten fie jeden UAugenblic ein Sdhneegeftiber herab- 
jchiitten, und Şoflef gebad)te der fdymeren Beit, welde 
jebt für Die Armut hereinbrad. 

Er feujgte tief auf, eine jehnende Ungeduld erfafte ihn. 

Ach, baş er fdon jebt Şütte helfen finnen, dag er 
jchon jebt Die Mot berer gu lindern bermödite, weldje ber 
Banfrott der Firma Sterley gu Bettlern gemacht. 

Seit Dem Tode feiner Mutter ward nur die Şülfte 
ber Lidjtenhagener Rente von Klaus verbraucht, der Teil 
ber YVerftorbenen jtand ihm zur Verfiigung, und wie 
fier voraus zu jehen war, geniigte das ererbte Bar- 
vermigen  bolfitünbiq zur Decung des Betriebsfapitals. 

Cin jaher Gedanfe durchguctte den Fretherrn. 

Mit diefer disponiblen Rente lieBen fid) gar viele 
Wohlthaten erweifen und mander dringlichen Not finnte 
Dadurch İd)on gejteuert werden. 

Xöahrfid), da it feine Zeit gu verlieren! 

Schnell entjdlofjen bog Şofef in eine Querjtrage ein, 
wo ehemal3 der eine ber Ronfursverwalter gewohnt hatte. 

Richtig, nod glangte das meife Porzellanjdild mit 
Namen und Titel zur Seite der Hausthitr, und Toris- 
Dorff betrat haftig den hohen, fajernenartigen Bau, deffen 
jchmaler Hof mit den Hintergebauden fdjon auf den eriten 
Blié all das Clend der Grofftadt und ihrer fleinen 
Leute İptegeft. 

21" 


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Rechtsanwalt Hagborn empfing den jungen Guts- 
befiger etwas überraldit, und, wie e3 Jofef fchien, midt 
mit Dem verbindlic)ften Geficht. 

,3ari id) Shre Beit fiir einen Augenblicé in Wnjpruch 
nefmen, Herv Rechtsanwalt 2” 

Der alte Herr wied Döffid) ani einen Seffel. Sd) 
bari Hhnen gratulieren, Herr von Şorisborif 17 fagte er 
mit einem jeltjamen Bug um die Lippen. ,,Die Zeitungen 
melden von neventbedten Rohlengruben in Lichtenhagen, 
welche ungeheure Reichtiimer bergen jollen! Nun, da 
werden die Verlufte, welche Sie durch die Gufjolveng der 
pirma Sterley erlitten haben, jdnell wieder ausgeglichen 
jet! 

Das hoffe id) gu Gott, dag ich alle Verlujte, welche 
Die Glaubiger meine Stiefvaters betroffen haben, mit 
Der Heit dDaraus beden fal” 

Der Rechtsanwalt Hordjte hoch auf. ,,Wie, Herr von 
Tovisdorff, Sie beabjichtigen — — 2?” 

, bie Schuld meines Vater abgutragen, Herr Hag- 
born, und heute bereits einen jhwaden Anjang damit 
gu madlem, ift die Veranlafjung zu meinem Bejuch.” Şofef 
İtreifte bie Şanbidyu)e ab, und begann, mit einer gewiffen 
Hajt jeine Plane far gu legen, und je langer er İprad), 
Defto Heller glangten ihn die Augen de3 alten Herrn unter 
den weifbujdigen Brauen an. Seine ganze Haltung, fein 
ganzes Wejen war ploplich verwandelt, und als er Fofef 
jchlieBlich beide Hande entgegenftredte, ihm mit warmen 
Worten feine Hergzliche Freude und WAnerfennung itber fold 


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edles Vorhaben ausgujprechen, da lag ein folcher Rejpett 
in feiner Haltung, al Habe fid) vor ifm aus dem un- 
fGheinbaren und beinahe mit Nichtachtung begriiften Gaft 
urploblid) ein Mann entpuppt, vor weldjem man den 
Hut bis auf die Erde gieht. 

,Sewif, e3 wird mir ein leichtes fein, fehr verehrter 
Herr von Torisdorff, Shnen die genaue Lifte üfer die 
Gliubiger des Mifter Sterley gu verjdhaffen, welche viel 
— ja gumeift wohl alles durch den Banfrott verloren 
haben. $, e3 war ein namenlofes Clend damals. Sd) 
bin an Ddergleicdjen Gcenen gewihnt; aber ic) werde 3 
nie fernen, faltblittig dreingujdauen, wenn die Witwen 
und Waifen vor mir Thranen der Vergweijlung weinen! 

Şa, da werden Sie mand) imafüdfelige Exijtenz wieder 
ertraglid) gejtalten finnen! Und was die Rente betrifft — 
fo, id) meib jebt fchon gar manche, weldhen eine jahrlide 
Unterftiigung wie ein Gejchenf de3 Himmels fommen 
wiirde! Shon die Geheimratin hier im Hinterhaus! Du 
lieber Gott — fie haben bamals aud) das ganşe Ver- 
migen burd) Sterley verloren! Der alte Herr ftarb in- 
folge ber Aufrequngen an einem Schlaganjall, und die 
beiden Damen, Mutter und Tochter, blieben im duferften 
Clend guritc.” 

/Und die Damen wohnen hier im Hinterhaufe?” 

,/Und wie wohnen fie! Dak Gott erbarm! Cfe- 
mals eine Bel-Ctage und allen Luyus — und nun faum 
ein $$ümmerdyern und troden Brot! Die Mutter verfteht 
feine Handarbeiten und bari aud) ihres Leberleidens 


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wegen nicht viel fiben, da geht fie afs Rochfrau gu ffei- 
neren Leuten. Wie oft gibt’s aber ba Taufe oder Hochzeit! 
38 ift beim beften Willen nid)t5 şır verdienen!” 

əlinə die Tochter 2” 

yd, praulein bon Damafus it eine ganz reizende, 
junge Dame! Cin hergiges, fleines Wefen, welches von 
ihrer friiheren Gefanglehrerin unentgeltlich weiter unter- 
rid)tet wird. Gie joll gur Süfne, ein andere? Wus- 
fommen wiffen fie nicht, Denn fett gwet Sahren juchen 
wir umjonft eine Stelle als Şinberirdnfein fiir fie, — alle 
nehmen WnjtohR an der adligen Geheimratstodter und 
meinen: fo ein verwihntes Damden pabt nicht zu uns! 
— Verwihnt! Du lieber Gott, das hat fie langft ver- 
geffen! Und nun 5a8 feine, liebe Ding auf die Süfnel 
Wn einem guten Theater fommt fie bod) nicht gleich an, 
alfo heift e8, erjt in die Hefe untertauchen, und was 
Das in einer Grofitadt bejagen will, wifjfen Sie, Herr 
von Zorisdorff. Gie wird müöralild) gemordet! Und 
Diefer Gedanfe fript an dem Herzen der alten Dame und 
bringt fie fchier şür: Vergweiflung. Wber der Hunger 
thut meh ...” 

Sofef war aufgefprungen und burdimab voll hichfter 
Errequng bas Bimmer. 

/Unmiglih! C3 darf nicht fein! Da muh Abbhilfe 
qeldyaffern werden, ehe e8 gu {pat ijt! Die entfeblide Ver- 
antwortung — um feinen Bret3 bari e3 gefdehen!” Und 
er prefte die Hand gegen die Stirn und İeine Augen 
irrten wie in Hiljlofem Cuchen durch) das ffeine Arbeits- 


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gimmer. Pliglic) blieb er var Hagborn ftelen und blicte 
ihm jorfhend in die Augen. 

7» Slauben Sie wohl, Herr Rechtsanwalt, bab die Ge: 
Heimratin eine Stelle als Hausdame annehmen wiirde? “ 

pit Kubhand! C8 heipt nur, eine finden!” 

Ste ijt gefunden. Bd) empfinde die Cinfamfeit und 
Unwohntichfeit des alten Lidjtenhagener Şanfe$ jehr un- 
angenehm, id) wollte fcéjon in der Zeitung eine altere 
Xötrtid)afterin fucjen, da die jebige mir nicht gujagt. Es 
wiirde Doppelt angenehm fiir mich fein, eine gebildete Dame 
gur Hithrung 568 Haushaltes zu gewinnen, und finnte 
örüu von Damafus bei mir bleiben, bis id) in der Lage 
bin, ihr ba8 verlorene BVermigen guriicfzuzahlen. 

yerr von Zorisborif1 Diefen Gedanfen gab Fhnen 
ber barmbergige Gott ein!” jubelte der alte Herr, İtürmifd, 
Die Hinde de3 Spredhers faffend. Die ungliiclidje Frau 
wird Bhnen ani den Knien danfen! Aber die Todhter? 
örüllein Rothtraut, was wird aus ihr?” 

yam, fie begleitet die Mutter, fie geht ihr im Haus- 
Halt Hilfreich şur Hand! Die Damen find ja böllig un- 
geniert in Dem Haus! Bch bin Taft ben gangen Tag in 
Krembs draufen, werde mir jebt eine provijorifde fleine 
Wohnung im Infpeftorhaus einridten, um durd) das viele 
Hine und Herreiten nicht gu viel Feit zu verlieren! lat 
ift aljo mehr als genug, und wenn fie 1ed)$ Lichter mit- 
brüd)te 17 . 

Der Rechtsanwalt fah wie verflart aus. ,,Gott im 
Himmel, welch ein Gfüd, weld) ein unerwartetes Gliic! 


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Was wird meine Frau fagen, die liebt die Damen fo fehr; - 
fommen Gie, Laffer Sie uns gleich hiniiber gehen, teuerfter 
Herr von Torisdorff, fold) eine Greude bari man den 
Armen feine Minute vorenthalten.” 

Sofef wich gigernd guritch. Wie ein Bug ber Ver- 
legenheit fdjlich 66 in fein Geficht. ,,Mein Sehid) wiirde 
ben Damen vielleicht peinlich fein, bejter Herr Hagborn, 
und bitte id) Gie um die Giite, die Angelegenheit allein 
mit ber Geheimratin zu ordnen. Freie Wohnung, ein 
Gehalt ... ja wieviel betrüqt das? Sd) bin abfolut un- 
erfahren Darin! Bitte erfundigen Sie fid) und beftimmen 
Gie alles Nahere! Wenn die Damen einwilligen, bitte 
id) um Nachricht in das Monopol- Hotel. TWhermorgen 
reife ich) şurüd und wiirde mich freuen, wenn fic) die 
Damen mir anjdliegen wiirden. Wielleicdht Tüğt e3 fid) 
arangieren, e8 ware mür lieb!” — Nod) ein furzes, 
Hergliches Lebewohl, und Şefef ftiirmte mit hammernden 
BKuljen die Treppe hinab. 


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