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NORTHWESTERN
UNIVERSITY
LIBRARY
The Gift of
FRED x Dora ScCHWITKIS
Nataly von Elchitruth
“Tihlirirrir
Romare ww Dovellen
Bweite Serie
Drifirr Band
Friihlingsfiiirme
Yeiin
Derlagsbudhhandlung von Paul Tilt.
Frithlinasiiirme
Roman
bon
Dataly von ETilirmil,
Mit Iuftrationen von KR. Cgeradirfer
Leiptia
Berlagsbudhandlung von Paul Tiff.
Das Recht der Uberfesung wird vorbehalten.
Sriner Boheit
Dem Heryug Iohann Albremt
Regent
des Grokherzogiums Mecklenburg-Sjwerin
in Dankbarfier Berehrung
qugerignet,
+ Du hbüfğf bir Mufen, edler Herr,
Gott lohw ex Dir!
Xa Hode-Houblon,
Gs fobt ber Sturm durch Wald und Feld,
Bieht braufend Jeine Bahn,
Perkitndet laut der ganzen Welt
Pee jungen Lenjes Qal”.
Hub Baum und Strauch find jah erwarht,
Bath anger, banger Winkernanht!
Av brauft ber Sturm auch Durch bas Herz,
Bis Sun und Giz vergehf,
Und bis bir Liebe nad) dem Sdymerz
In voller Bliite Hebi,
Dann folgt aut Sfurm und Winterleid
Des Herjyens Jelge Frithlingszeit.
(5. v. ümmi
grb, von Parhelbl-Gebhag.
ELLLLİL
mn Pe te Gonntagögfoden Tünteten,
ey Tiefe Stille laş über ben Strafen ber Haupt:
ğı. jtadt, aber micht bie frieblid)e, erquictende $yeter-
tagörule, wie jie voll heiliger Rlarheit über Wald und
alir: ausgebreitet liegt, jondern eine bumpie Regungs-
lofigfeit, ein Gchweigen, wie dasjenige fchwerjter Gr-
{ehipjung, wie eine Todmitdigfeit, welde mit Şalboffenen
Augen in bleiernen Sdhlaf finft. —
Gliihend heif briitete die WMtittagsjonne auf dem
Hiujermeer, — jeder Mauerquader fchien imertrügfidye
Hive auszuitrémen, fein Hauch, — hichftens eine jdwiile
Dujftwoge von Brand- und Gasgeruch, von all dem
widerlichen Gemifch ungejunder WAusdiinftungen, weldje
im İlmfrei8 die Gropitadtlujt jchwangern.
Die Drojdhfenpjerde ftehen müt tief gencigten Kdpfen
requigslos im Cchatten, felbit der Futterbeutel hangt
İdlaff und noch Halbgefiillt an ben Maulern, jie traumen
ə es
melandolijd) vor fid) hin, und nur dann Şebt fid) miide
laujdend ein Ohr am Ropfe, wenn der Kutjdher das
gewaltige Bierglas mit beiden Handen Şebt und einen
fangen, gierigen Bug thut. —
Blafje, mattaugige Geftalten fdleichen von Thiir gu
Thitr, — an den Kellertreppen liegen und fauern elende
Kinder, welche felblt gum fpielen gu miide find und
mit gwinferndem lif: an den Hausriejen emporjtarren,
Deren grellbeftrahlte Mtauern mit ben verhangten Fenjter-
rethen bie Augen blenden, bab fie fehmergzen. —
Und hier ijt noch ein bejjeres Stadtviertel, die elec
gantere Gegend, wo die Fabriffdhornfteine noch nicht
aujragen, wo Blake mit beftaubten WAnlagen bie ein
jormigen Haujerreifen unterbredjen und fleine Vorgdrten
fid) Hier und da al8 wohlthucnde Abwech3lung zu dem
idier j&hmelzenden WSphalt vorjchteben.
— (68 ilt eine gute Gegend, aber doc) nidt dad
»Seheimratgviertel”, wo prunfende Villen den Stadt-
parf faumen und hiyiriöle Garten Şinter hohen (Golb-
gittern eine Şöylfe inmitten ber Proja endlofer Eteinz-
wiifte zaubern! —
Und dennod) jtehen auch fie jest leer und verlaffen,
lediglich ein Erholungsplagden ber Portiers und daheim-
gebliebenen Dienerjdaft, deren reiche Gebieter fid) an
Den Strand ber See oder in die Walbdedsjchatten des
Hodgebirges flüdytetem um in elegantem Bad gu ver-
gefjen, baf gu Hauje in der Rejideng das Thermometer
von Lag gu Tag Döher jteigt, fo hoch, dag die Wirt-
ES or NU EC RTT, SR Sag JES NE ə
I ə” 7
Fie ea
—::75
fchafterin in ihrem Wochenbericht mit der vergweifelten
RKlage jchlieht: (65: ijt faum zu ertragen 17 —
Wer dem Molochrachen Ddiejes Haujermeeres ent-
tinnen fain, der enteilt, und mand) jeufgender Familien-
vater bringt jdjwere Əpfer, um Weib und Kind wahrend
ber Feriengeit in Licht und Luft Hinaus 3u retten. Da
bleibt faum noch eine Familie şurüd, — jelbjt fiir die
Şirmiten gibt e8 Ferienfolonien, wo Waldesjdhatten und
GSeeluft Leib und Gecle erquicfen. Wohl dem, welder
reijen fann, welchen weder Şilidyt noch Wrmut unter
Dicje Bleidacher banut! —
Langjam, ben Kopf nadibenffid) gejentt, fchritt ein
halbwiichfiger Knabe burd) bic jengendDe Glut der Strafe.
Grog und jfchlanf aujgejchojfen, ein meniq vorniiber
geneigt, Iie ein junger Etamm, weldem noch die Kraft
febhlt, fic) marfiq aufgurecen, die Glieder ecfig und
etwas unbebolfen in der Bewegung, zeigte er bend)
in feinem gangen Yugern und Wejen die gute Kinder-
jtube, in welder er grog geworden.
Der Angug war einfach, aber tadellos, und gut-
fibende Handjdhuhe bewiejen, bağ ihr junger Trager e8
gewohnt war, dugeren Formen Zu geniigen.
Seine Wugen, qrob und tiefblau, von dunfeln Wim-
pern bejdhattet und jehr energild) gezeicyneten Brauen
übermölbi, bfidten ernft, beinahe tummervoll aus dem
blaffen, grofgejcnittenen Geficht, rweldhes tro jeines
jugendlicen Ausjehen3 dennoch den Cindruc eines ermit:
Denfenden, gereijten Ntannes machte.
eee, | —
3 lag ein feiner Leidensaug um die Lippen, weldhen
nur die Erfahrung und der volle Crnjt des Lebens in
junge Gefid)ter {chneiden fann.
Mehr denn je trat er in dem farblojen Antlig
hervor, al der Sefundaner tie aujatmend in ben hoch-
gewolbten, mit ber möbernen Clegang der Gropjtadt
ausgejtatteten Hausflur trat, an Ddeffen “Dede: reicher
Stud feine vergoldeten Mujter geigte, und Ölgemülbe an
bon Wanden auf şierfidye Blattpflangzenarrangements
niederblictten.
Hier war €8 füfll Hier fonnnte man etwas ani:
atmen, und wenn bic Luft auch noch immer eritiden) auf
Die Lungen fiel und Durch die verjchlofjenen Cutreethiiren
ein haplicjer Gerud) von KRampher und Maphthalin drang,
€$ war doch nicht Die nervenmordende Glut, welche die
Etraben und füblid) gelegenen Bimmer unertraglicd
mad)te!
Der junge Mann feufzte tief auf, nahm 5a8 fleine
Gebetbuch aus der rechten in die linfe Hand, und fubr
mit Dem cinfad)en, weifen Xajcdhentuch, in belfen Gde
jedoch ein elegantes Monogramm unter fiebengackiger
Krone von fleibigen Handen ergihlte, über bic jeucht-
perlenbe Stirn. — (68 lag etwas Gemefjenes, beinahe
Fedantijches in jeinem Wefen, etwas Umftandlic&es, was
ibn: alter erfcheinen liep, alS er war. Mtiide, mit bei-
nahe jcjleppenden Gdiritten jtieq er bie teppichbelegten
Stujen empor — eine Treppe — noch) eine — und
abermal3 eine. — Mechanijch jchweifte fein Blick über
— 2 i=
Die Thiirfdhilder, an meldyen er vorbeifchritt. — Meeift
gute Namen — ein Oberjt a. D. — ein Baumeijter
— ein Ganitütörat — ein Hauptmann — qifüdfidye
Menjden, — fie find alle fortgereift! — Hinaus in
bie jchine, — jommerlice, — herrlice Gotteswelt voll
Hargduft und Bogeljang, voll Wellenraujden und See-
wind — ad), baf auch er bie Arme ausbreiten und
mit vollen Lungen einmal durdatmen finnte! — Go
wie frither in jenen befferen Zeiten, wo auch bei ifnen
alljahrlic) die Roffer gepactt wurden, wo er auf bte
Berge fteigen und im Diinenjand müflen fonnte! O
felige Crinnerung! Was gübe er dDarum, fönnte fie nod)
einmal wiederfommen, noc) einmal Wahrheit werden!
Mit wehmiitigem Lacheln bleibt er ftehen und rubht
einen Wugenbli€ aus. Şa, auch fiir ifn ware e3 eine
Wohlthat! Wher wie gerne wiirde er bend) baran?
verzihten, finnte er nur fir jein jo heipgeliebtes, herziges
Miitterdhen folch’ eine Erholung fchaffen! — öyür ifn
ware €8 nur eine Erquicdung. Aber für fie ware e3
neuer Lebensodem, fiir fie üt e8 eine Notwendig-
feit! —
Mit beinahe bitterem Wusdrucl muftert er Das elegante
Treppenhaus. Warum miijjen fie in ber teuren Wohnung
wohnen? Warum ihr Geld fiir Dinge ausgeben, von
weldjen fie fo gar nichts haben? Ware e$ nicht befjer,
anjtatt all bdicjer Wuferlichfeiten Lieber nübfidere und
notwendigere Dinge gu bedenten? Wie eridiredt ber
fid) jelber fchitttelt der junge Wenjd) den Kopf. Welch
— dü.
feğerild)e Gedanfen fommen ihm fo plbglich! Hat er
ganz und gar die Grundfage vergefjen, in weldjen er
ergogen ift? — Noblesse oblige! — Diejes Wort ift
ihm fozufagen in öyleifd) und Blut itbergegangen, er
Hat an feiner jchier heiligen Rompeteng nie gu rübren
gewagt, er hat e8 anerfannt und refpeftiert, wie man
fid) bie gehn Gebote ohne gu müngeln und zu handeln
gum Gejeb macht. —
Noblesse oblige! — Geit er den Klang diefes
Wortes fennen lernte, hat er e3 als Pylicht erad)ten
miijjen, al eine ernjte, Heilige Prlicht, alg Vermacdhtnis
jeines Vater3 und der Vorvater, welche diefem arijtofra-
tijden Begriff wohl noc) andere Opfer bradjten, al wie
eine Badereije!
Und gfetdifam, al8 miiffe er jede Spur folder
frevelnden Gedanfen fortwifden, ftrid) er nod) einmal
haftig mit ber Hand über bie Stirn und trat mit
energildyem CSdhritt vor die eichengefdnibte Entreethitr
be8 Ddritten Stokes, an welder ani meifğem Porgellan-
fehild ber Name ber Bewohner gi fefen jtand: ,,General-
leutnant reiherr von Torisdorff.”
Die blauen Augen leudhteten unwillfiirlich auf, als
ihr Blice biele Worte traf, und gleichfam als ginge eine
wunderbare, geheimnisvolle Kraft, welde Marf und Bein
ftahlt, von ihnen aus, riditete und redte fid) bic hagere
Gejtalt des Knaben, ftolz und felbifbemubt hob fid) das
Haupt in den Naden, und um die İdyimalen Lippen
fpielte ein Lacheln, weldje3 auc) ohne Worte gu fagen
fdien: Şa, Noblesse oblige! — Der Mame Toris-
Dorff bari nicht auf dem Thiirjchild eincr Mietsfajerne
ftehen, er gehirt in bicfe Umgebung und joll in derjelben
verbleiben! Die Sommerhige bleibt nicht ewig, der Winter
entjchadigt uns für unfere jebigen Leiden, aber ber gute
Klang unjeres Mamens müb beide überbanerın 17
Der Glockenton fchrillte auf dem Vorplak, — ein paar
Minuten vergingen, dann raffelte bie Sicherheitsfette und
ein fauberes Stubenmadehen in weiger Sdjiirze und Şam.
burger Haubchen öffmete.
Mama zu Şanie?” — flang e8 ihr haftig entgegen.
Das Madchen frirte mit beforgtem Blick. 914), wie gut,
DagB Sie fommen, junger Herr! — Crcelleng befinden
fid) Heute wieder İdifedit, — der Herr Doftor üt im
Calon, und flüfterte mir şu, bab er nachher Herrn Gojef
gern ein paar Minuten fprechen möd)te17 —
Cin jahes Erjchrecken ging über die Zitge des Sefun-
Dancrs, fein Gejicht fa) noch bleicher aus wie fonft, er
prefte die Lippen wie unter phyfijdem Edimerə.
yrina — hat — hat Mama wieder einen $fnfafl
gehabt 2”
,£5 war nicdt fclimm! Durdaus nidt fchlimmer
alg jonft! Das alte Wfthma! Cycelleng find auch aujfge-
ftanden und befinden fid) im Salon!” —
(tt fei Lob und Dank!” — Şofef fchritt haftiq an
ber Gungfer voriiber und wollte fid) nad) ber Salonthiir
wenden, al8 diefelbe gedjfnet ward und ein alter Herr
ihm entgegen trat. —
——2:::8——
yeh, ba fonmt unjer frommer Şirdigünger imft güz
rül, Ereellenz!” — rief er mit fiebenSwiirdiger Gefte in
Das Rimmer zuriic, ,,gerade zur rechten Zeit! Darf mir
wohl erlauben, bie verftaudjte Hand nod) einmal gu unter-
fuchen, ob fie pböllig wieder intaft it. — Auf Wiederjehen,
Excellenz, in gwei Minuten joll ihr jiimgfter Verehrer
XNöre Hand fiiffen, İp lange beanfpruche ich ihn nod)! —
Lachend İdifof der Sprecher die Thiir, ftellte ber nach
gartem Lavendel Duftenden Cylinder auf die fleine Marz
morfonjole und İtredte Şofef bie Hand entgegen.
,Xreif id) ben Gunter hie? —
Bu Haufe weilt er feften,
Bei mir erfdjeint er nie!”
recitierte er fcherzend, und mit einem heimlicen Wink nad)
einer Geitenthiir, İd)o5 er ben jungen Menjchen jdhnell Durch
Diefelbe in ein ffeine8, einfenitriqe$ Schlafzimmerden, an
Defjen Wanden hohe Biicherregale von dem Wiffensdurft
feineS Bewohners Kunde gaben.
Die Wusftattung ber Stube war elegant und gejdymac:
poll und bewies, dap eine liebevoll forgendDe Hand dem
Sohn das warme Neftchen bereitete.
Der junge Corisdorf{f {hob dem Wrst mit leicht bebender
Hand einen groben, geldinibten Sejjel, welcher vor dem
Schreibpult jtand und als Erbjtiicl de3 verjtorbenen Vaters
auf den Gohn itberfommen war, zu, und bat Blab zu
nefmen, ber Hofrat aber webrte eiliq ab, İegte beide
Şünbe auf die Schultern Fofefs und jagte furş und ein-
bringlid): ,Sfre Mutter ift franf, mein junger Freund,
as “WG. —
frünfer al8 wie mir lieb ijt. Nod) ift’s Beit, bas Ubel
im Keim gu eritiden, aber e3 müb jofort etwas gejd)chen,
— etwas (nergild)e6 —”
)ld) die Şibel id) dachte e3 mir!” — jtdhnte jein
Gegeniiber mit blafjen Lippen auf.
,Die Hike? — Gm Gegenteil — die Hike ijt nod)
nicht Das Edifimmite für Gyceflenş, ber Winter ijt mir
bei weitem bedenflicjer! Sd) witrde €8 ja jehr angenelm
finden, wenn id) Fhre Frau Mutter auch iebt in İd)önc,
reine Waldlujt fchicien fönnte, das ift jelbftverjtandlich,
fie wiirde ihr herrlicje Dienfte thun, — aber die Haupt-
fache, — fie miifte nidjt nur jebt — fie mübte auch im
Winter in ein mürmere8 Klima! Uberhaupt müğte diefe
İp garte, leidendDe Frau gang anders gepjlegt werden!
Nicht bret Treppen hod) wohnen, das üt bet ihrer
jehwadhen Lange Gijt! Ferner ein gejdiister grofer Bal-
fon, — am bejten eine andere Gegend — etwas freter nad)
Dem Park gu, — bamit fie die Anlagen jchneller erretdyen
fann! Wenn fie fid) erft in den ftaubigen, heigen Stragen
mübe laufen mib, hat fie feine Grfolung von ihren Pro-
menaden! Şire Frau Mutter denft fo gleidhgiiltig über
fid), — jeden Vorjdhlag, meldyen id) ihr mache, weift fie
in ihrer engelhaften Wnjpruchslofigfeit guriid, ja fie Bat
fogar die WAbficht, weder im Sommer nod) im Winter
gu reifen! Das ift undentbar! Dag ift ihr Verderben!
Sie mu etwas fiir fid) thun, wenn fie gejunden will!
Und darum wende id) mid) an Sie, Lieber Sofef, und bitte
Sie inİtanbigİt, mir einmal ehrlid) Red’ und WAntwort
Nov. Ef Hftryth, I. Mom. ir. Nov., Friiblingsftitrme L
— YÜ
gu ftehen! Sch darf Excelleng unmiglich fagen, wie ernft
(8 mit ihrer Gejundheit fteht, — Bhnen fan und müb
id) e& jedoch, denn id) bedarf Fhres Veijtandes, um die
Kranfe şır den notwendigen Sdhritten gu verantaffen.”
Nach Atem ringend, mit niedergejdhlagenen Augen ftand
Der Sohn der verwitweten Generalin vor dem WArzt, —
Rote und Blafje wechjelten auf jeinem WAntlib, tiefe Schatten
fenften fid) um die Augen. lS er nicht antwortete,
neigte fid) ber Hojrat naher zu ihm Hin, fegte den Arm
um den Nacken des jungen Marnnes und fagte leife: ,,Wer-
gcihen Gie mir, Şofef, wenn id) indisfret erid)eine, ber
ganze Schnitt hres Hauje3 macht mir nidit den Cindrud,
al3 ob Ercellen; aus finangiellen Kiickfidhten ihre Pylege
vernachlajfigt, — oder — pardon — mein fieber, junger
ren — ijt died doch ber FallP” —
Sefef weehjelte abermals voll töbfidifter Verlegenheit
bie Farbe. ,,Xch — bie teuern Cifenbahnjahrten)” ftotterte
er mit şudenben Lippen.
ener? — $ wo jind belin unjere Bahnen teucr!
(63 giebt ja gottfob Damencoupés dritter Kaffe.” —
pyoritter Şfaffe1” — wie ein Ediret des Entfebens
flang e8, ,barin fahrt Mama nicht! Mie! HO, Sie ahnen
nicht, wie ungeheuer ftreng meine Mutter in diejer Bez
giehung denft —!”
Cin feines Lacheln fpiefte um die bartlojen Lippen 568
alten Herrn: od) mein lieber Şofef, bod) ahne id) es
und gerade Darum wandte id) mid) an Gie. Bch jtehe
Eyxceelleng gu fern, um meinen Cinflup geniigend geltend
machen gu finnen, aber Sie als Cohn haben das Recht,
gegen thiridjte Borurteile angufimpfen! Und diefes Recht
wird jebt şur: Bflicht! Cs gilt Leben und Gejundheit
Sörer Mutter. Gefchieht nidjt fo bald als möqfid) etwas
Cingreifendes, ijt ihre Lunge nicht mehr şu retten. Wollen
Gic Ghre Mutter, bas Liebjte was Sie auf der Erde bez
fiben, einem Hirngefpin|t opjern? Wollen Gic e3 dulden,
bab bie garte Frau zu Grunde geht, lediglich darum,
weil fie nicht öritter Rafje fahren, nicht in einem be-
jheidenen Gtübdyen wohnen und in einem Hotel gweiten
Ranges ejjen will? — Lacherlidh! Sd) bin ein praftifd)
benfenber Mann und fage: e8 ift bejjer, nicht ftandes-
qemüf, leben, al8 ftandesgemap jterben! — Weg mit der
faljchen Citelfeit, biefem wertlofen Plunder, welcher im
neunzehnten Gahrhundert feinen Kredit mehr hat! —
Huldigen Ste etwa felber den Anjicjten Ghrer Frau
Mama, fo machen Ste fid) fret Davon, wenn Sie nicht
Die fchwere, entjesliche Berantwortung auf fid) Laden
wollen, an dem Sterben und BVerderben ber franfen Frau
mitgearbeitet zu haben! Jn Bhren Handen fiegt e3, jie
Dem Leben gu erhalten, — geigen Gic, baf, Sie ein treuer,
opfermutiger Sohn find, — lajfen Sie Shre Liebe gröfer
fein, wie den in biefler Bezichung jo faljden Wabhljprucdh:
Noblesse oblige‘ — weldjen id) leider nur git oft von
Excelleng zur Antwort erhielt! — Reden Sie gür: Ber-
nunjt, fdnitren Sie ein cinfad)e$ Sünbeldyen und fahren
Sie rubig dvritter Kaffe gu einem billigen Landaufent-
halt — ich fchicke Shnen Udreffen. Brauchen ja bic
2*
ə Iı
,Ercellenə” nicht in die Kurlifte gu fchreiben! Go, nun
nehmen Gie mir meine ehrliden Worte nicht iibel, —
id) mufte fie gu Ghnen jprechen, wenn ich fein gerwijfen-
{ojer Menjd) fein wollte! — °ljo rid) and Werf!
Sie haben Geijt und Cinflug genug, um jegensreic) wirfen
gu finnen, aljo thun Gie e3! — Gott befohlen!” —
Linden Ddritcte bie Hand 568 jungen Manne3, gqrijf
hajtig nad) bem Hut und war — eilig wie immer — im
nüd)iten Wugenblice inter ber Thiir verjdwunden. Şofet
aber prefte bie bebenden Hande gegen das Antlig und
fiihlte, wie heife, brennende Thrainen unaus{precdhlicer
Oual aus feinen Augen jtiirzten. Geine Mutter, feine
jo innig, itber alle6 geliebte Mutter franf, — fo franf,
Daf fie nur foftfpiclige Neijen retten fonnen, — 0, dies
war ein Gedanfe, welder ifn zu vernidjten drofte!
Celtit die billigite Reije — jelbjt eine Fahrt dritter Klaffe
wiirde für Die jo bejdjeidDenen Verhaltnijje der Offigiers-
witwe unerjdhwinglich fein! Und mürbe fie aud) mafhrlid)
alle Borurteile überminben, wiirde jie fid) au? fein Bitten
und Slehen wirflich in VGerhaltniffe İdyiden , meld)e
ihrer ganzen Matur als etwas Unertraglicdjes guider
find, e3 wiirde Dennod) an dem Koftenpuntt fdjeitern. —
Ach, ber Hofrat ahnt e8 nicht, wie fehr fie fid) einjdjranten
müifem, wie ihre fleine Mente jo villig von all den Wufer-
lichfeiten, reldje cin İtanbesgemübes Leben forbert, aufe
gegehrt wird!” —
Wie Toll er da Hilfe jdhajfen? Was foll er fm,
um das heifgeliebte, teure Leben der Mutter gu retten?
9704) nie fat er den Fluch der Wrmut fo furdtbar, fo
namenlo3 bitter empjunden wie in diejem WAugenblic Hilj-
lojer Vergweiflung.
Was foll er thun, — er, bem €8 ber Argt şur Pylicht
gemacht hat, gu heljen? —
Gr fann noch fein Geld verdienen, — er fann nidts
— gar nidts! — Wahrlich nits? —
Sein Blick fallt auf das fleine Gebetbud), meld)es
noch vor ifm ani dem Lifch liegt, — und er hort plöf-
lich bie Orgel jpiclen — er Dört die Stimme feincd ehe-
maligen rivatlehrers, be6 jungen Defans, welder in
ber Scheideftunde die Hande auf jein Haupt fegte und
müt jeiner lieben, ernjten Gtimme jprad: ,,BWergip nicht,
Soİef, bağ id) bid) beten lehrte! — (65 fomimt wohl
noc) einmal die Zeit, ba du nichts auf der Welt gum
Croft Daft im Leid, denn dein Weber!” Konnte er
wahrlich nichts für jeine Mutter ithun? © ja, das belte,
was ein Sohn in Liebe thun fan, — beten. —
Uber feinem Bett hing das Bild ber Weutter Gottes,
fie, weldje auch einen Gohn geliebt, — vis in ben Tod.
Bu ihr Hob er die thranenfeudjten Yugen und betete.
pwDuf mir! — rette fiel” —
posojey! — wo bleibft bn?” —
Der junge Vorisdorff erhob fid), İtrid) über die Augen
und atmete ttef auf.
Gö war thm ploglich jo leicht und guverfichtlich ums
Herz, und Die Stimme ber Mutter diyin ihm wie ein
Ruf der Crldjurg. Man nannte ifn fehon jeit Jahren
zə a. x
einen Edinürmer, und fein Vater hatte oft etwas müfb-
billigend bie Stirn gefrauft: ,,Der Defan erzieht einen
Rlerifer aus meinem Gohn! Unfinn, ein Torisdorif
taugt nicht fiir bie Rutte, — Soldat foll er werden!”
Seine Frau aber hatte mit weicher Stimme geant-
wortet: Saf, ihn gewahren! Gottesturdht und Frimmigz
feit fb aud) fiir einen Soldaten quite Mitgift! Und der
Defan Hat einen fo vortrefflidhen Cinflug auf Şofefl
Das allguviel jeiner findliden GSchwarmeret wird bie
tohe Hand de3 Lebens jcon bald genug abjtreifen, und
was bleibt, ijt ber gute Kern, welder Sturm und Wetter
iiberdauert !
So war der Knabe unter zwei madjtigen Cinjliiffen
aufgewachjen, — unter Demjenigen des Vaters und bemz
jenigen jeines rivatlehrers. Der alte Generalleutnant
war bie Verfdrperung foldatijden Chrbegriffs und arifjto-
fratijder Rorreftheit. Ceine WAnfidjten mürşeften nod)
tief in der Vergangenheit, wo der Edelmann Trager
pon Şöealen war, wo fid) Ritterlichfeit und Nobleffe nicht
nur in der Gefinnung zeigten, jondern fid) auch in Muger-
lichfeiten bethatigen mugten, wo Das, was am fin de
siöcle gum unndtigen Uufwand geworden, nod) als Taft
beqriff, ja direft alS WBflicht feine Wnjpriidje an den
Adel ftellte. —
ou jener Acit glangten bie Wappenjchilder noc golden,
und im Echo® ber eigenen Sdjolle barg fid) nod) ein
Segen, welder dem fchinen Worte ,,Noblesse oblige”
Den nbtigen Machdruc verleihen fonnte. Damals fonnte
m Bee
ber Adel feinen Verpflicjtungen moc) gerecht werden,
und er that e3 mit hichftem Opfermut Dis zur heroijdjen
Selbftverleugnung, indem er all fein Hab und Gut, bis
auf bie Edimıditilde und Bopfe ber Frauen und Zöditer
erab, auf dem Wltar bes BVaterlandes opferte, al die
heiligen Flammen der Begeijterung wahrend der Be-
freiungStriege emporlohten. —
Die Vaterlandsliebe und ber Fdealismus gingen Hand
in Hand. Xroş 568 einfdhneidenden Wandel3 in den
meijten Berhaltnifjen hielt die Pietat der Kinder dennod)
an den Anjichten und Gepjlogenheiten der Vater Teft,
fie waren ihnen zu öyletld) und Blut geworden, fie
lieBen fid) nicht verleugnen, wie man nicht willfiirlich die
Gefichtszitge andern fann, welde in ihrer WUhnlichfeit
das Antlig der Cltern fpiegeln.
Auch Excellen, Torisdorff war in der Atmojphare
eines Grundbefikes aujgewadjen, auf welcdhem noc) der
Geijt vergangener Zeiten durch die fo İdilidit und ein,
fad) gewordenen Gale und Zimmer wehte. Die Titel
waren geblieben, die Mittel aber von Bahr gu Sabhr bez
Denflider gujammengejdmolzen, jo baf nur der duferjte
FleiB und bie praftifdyfte Ofonomie bes S3ater3, den
ehedem jo reichen Söefib der Familie erhalten fonnte.
Die Lebensweije, die Erziehung der Kinder war
jehlicht und anjpruch3lo3, dennod) wurde das einjadjte
Mahl von dem Diener in groper Livree ferviert, und
man febte fid) gu Pellfartoffeln und Hering mit derfjelben
wiirdevollen Feierlicdfeit nieder, wie efemals die Grop-
any 1
und Urvdter in Ddiefem Gaal ihre opulente Speifenfolge
eingenommen Hatten. Die alte Kutjde hatte füngit einem
mobdernen, eleganten Landauer Blab machen miiffen, und
wer fie in ihrer gangen, fadenjdheinigen Diirjtiqfeit hatte
ftehen jehen, wiirde e8 nicht an Spott und Wi haben
fehlen laffen, — wenn aber vier gut gejchirrte Pferde
Davor gingen, und Ruther und Diener in Gala barani
jagen, — wenn bie hohen, imponierend ftolgen Gejtalten
ber Gutsherrjdajt voll etwas altfrantijher Grandezza
einjtiegen — dann war das Ganşe ein jo harmoni{des
Bild, bağ e3 nie İcinen guten Ginörud auf den Bez
İd)aner verfehlte. Noblesse oblige! Die Tichter heira-
teten nicht unter ihrem Stand, fondern wurden — falls
fid) fein geeiqneter Freier fand, — GStift8- oder Hof-
Damen, je nad)bem e3 Neigung und Begabung beftimmten
und Die jiingeren Sohne hatten lediglich bie Wahl zwijdhen
Studium und Militardienjt, wahrend der altejte bas Gut
iibernahm und e3 im Ginne der CEltern möeiterbemiri-
fhattete. —
Staatsdienft oder Wiilitir! — Şeber andere Beruf
war fiir einen Torisdorff ausgejdhloffen, und wenn ein
noch fo eminente$ Talent die glingendjte Kimjterlaufbahn
garantierte, oder belonbere Pajjion oder Befahigung fiir
Den RKaufmannsitand İprad), — fold) ein Gebanfe allein
ware BVerrat an den Traditionen der Familie gewejen.
Solef3 Vater war der örittqeborene Sohn. Da zu
Dem Studium die Miittel nicht ausreidjten, ward er fiir
bie militarijde Laujbahn bejtimmt. Cie fagte ihm zu,
ə
— er war ein geiftvoller, ftrebfamer Offigier, welder
fid) trog feiner fnappen Şulage al8 allgemein beliebter
Şamerab in den beften Regimentern hielt und gute und
jchnelle Carriere madite.
Da ihm feine ftrenge Gefinnung eine Geldheirat als
verddjtlid), — ja geradezu ehrlos erjdheimen Tieğ , und
Dicjenigen Damen, fiir weldje fein Herz in Ltebe ent-
brannte, nicht in ber Lage waren, einen mittellofen
Leutnant Heiraten gu förmen,, fo entjagte er Der Che,
bis ihm feine Ginfünite geftatten witrden, ganz nad)
Neigung zu wabhlen. (Gr war bereits Ober{tleutnant,
al fid) fein Gchictfal entjchied, und er das Gdeal all
jeiner Tradume in ber reigenden Grafin Ines .-i
berförpert fand. —
Die junge Dame war friih verwaift und in einem
finiglichen Stijt ergogen worden, — alsdann, jehr jung
nod), der Kronpringeffin alS Hofdame guerteilt, mit
weldjer fie anjanglic) langere Beit auf Retjen und der
$iranflid)fett der hohen Frau wegen in tiefer Şurildge-
gogenheit auf einem fübfid) gelegenen Schlop lebte.
Wnlaplich einer Denfmalsenthiillung lernte Jnes den
ereiherrn von Torisdorjf fennen, ani welchen die jchlante,
fo dupgerft anmutige Blondine fogleich cinen derart tiefen
Cindruc machte, dak er voll gliihender Lecidenjdaft um
fie warb, und fie nod) vor Schlug der erften Gaijon al3
Braut in die Arme jdjlop.
Obwobhl der Altersunterjdhied gwijden dem Paar ein
jehr groper war, garantierte die gegenfeitige fehr innige
Buncigung dod) ein groped Glüd, weldjes fid) aud
wahrend der gangen Che bethiatigte. Dennoch war dies
jelbe eine jener unverantwortlidjen, bet welchen nur an
bie Gegenwart, aber nicht an die Bufunft gedacht wird. —
Beide Chegatten bejagen fein Vermigen, beide waren
in mander Begiehung verwdhnt und bird) Namen und
Stellung gu einem gefelligen Leben gezrwungen, bei
weldjem feine Erjparnifje gu madjen waren.
Das hohe Gehalt bes Freiferrn geftattete ja ein in
jeder Beziehung behaglides Leben, und Şnes, viel leidend
und von einer fylphenhaften Bartheit, weldje den beforgten
und verliebten Gatten beranlabte, fie auf Handen gu
tragen, umgab fid) gern mit einem Romfort, welcher
ihrem eigenartigen Wejen erjt Die rechte Folie gu geben
İden —
Der eingige Sohn, welder dem Chepaar geboren
wurde, rud)s, perbütidyeft und verwdhnt wie ein ffetner
Fring, umgeben von giartlichfter Liebe und all den Hulse
Digungen berer, welche im Dienjtlichen Begiehungen şu
Dem Vater und gelellidyafilidyen gu der Mutter ftanden,
alg ,,€ohn des Regiments” gleic) einem Baumcden im
Sonnenjdhecin auf. —
Gliicliche Kinderjahre! Seliges Geniefen alles Schi-
nen und Begehrenswerten, ofne Gorge, ohne Kummer,
bejtrahlt von dem Nimbus des Hiher und hier jtet-
genden Vaters, — bis pliglich die Nacht Bereinbrad),
welche all die blendende Helle in troftlofer, graniamer
Ode und Duntelheit untergehen lief! —
sə. SS: 2
Gin Eturş von hidhfter Hohe in beflagenSwertefte
Lieje!
Gin Schlaganfall mad)te dem Leben de3 Vaters ein
jahe3, imermartete$ Cnde.
Die junge Witwe und ihr Sdhnchen blieben ofne
nennenswertes Vermigen, lediglich auf die jparliche Şen:
fion angewiejen, guriic.
Weld) ein grauenvoller Umjdwung! Unertraglic
fr cine Grau, welche jo fehr de3 Sonnenjfdeins und
DeS Ölüda bedurfte, um ihre garte Blumenjfeele gu
erhalten!
Was follte fie beginnen? Sid) fosreiben von allem,
was ihr lieb und unentbehrlid) war, und fid) in einem
bejchcidenen Winkel verjtecken, um fümmerlid) ihr Leben
gu frijten? — Mein, lieber jterben! Der Name Toris-
Dorff durfte nid)it im WArmenviertel untergehen, — No-
blesse oblige! —
Cine wohlhabende Verwandte nahm fid) ber jungen
oralı an, — bei Hoje intercifierte man fid) voll warmer
Teilnahme für die ehedem fo gliclide, gefeterte Begleiterin
ber KronpringepB. Von allen Seiten erwies man ihr
greundlidfeiten und jo wurde Die Cinfame voll Doppelter
Aufmerfjamfett im den ihr gewohnten Kreijen feftgez
halten.
Und Jnes jagte fid) abermals: ,,Noblesse oblige!”
— DiejeS LieblingSwort 568 verftorbenen Gatten, weldjes
Derjelbe ihr und feinem Sohn fo oft al’ Richtjdjnur firs
Leben gegeben, und fie rid)tete mit Hilfe ber Tante ihr
— “b —
Leben ein, dak fein Schatten auf den blanfen Schild ber
Torisdorff fallen fonnte.
Cine Wohnung im guten Stadtviertel, in efegantem
Haus, — ein Heim, in welchem man aus dem ebemaligen
luguridjen Quartier ein vornehm behaglidjes Neftchen ein-
ricjten fonnte.
Die Menjdhen fehen ja nur, was vor Augen ift! Dem-
entjprechend mug der Bujdhnitt, das Wufere jein, — wie
fie und Şolef fid) hinter den Couliffen einidirünfen,
Das wird nie jemand erfahren und ahnen. — ,,Noblesse
oblige!” —
AM die vielen, vorteilhaften Begiehungen, welde Cr-
cellenz gcitleben3 fultiviert hat, bürfen nidit abgebroden
werden, — um de3 Sohnes willen nicht. Şofet muf
RKonnexionen haben, wenn er dereinft als mittellofer Offi-
ater in die Armee eintritt, — ohne thatfrajtige Hilfe von
oben fann nichts aus ifm werden, denn er ift leider
Gottes allgujehr das Kind feiner franflichen Mutter.
ones gab ihn auch darum nicht in das Korps, ihre ganze
Seele Hangt an dem Liebling, dem eingigen Ölüd, mefl-
hes ihr noc) geblieben!
Wird er iiberhaupt Soldat werden finnen? —
Diejer Gebanfe peinigt und quilt die beforgte Mutter
Tag und Nacht. — Was foll fonft aus ihm werden?
Bum Studium reid)it die Witwenpenfion nicht — und ein
anderer Beruf? — Cr ift ein Torisdorff! er fann und
Darf nichts ergreifen, was nid)t İtanbesgemüf ijt! —
Noblesse oblige!
— 30 —
Priefter! — Şa, Priejter, — das wire noch die eir
aigite Miglicjfeit, — bic fatholijche Kirche forgt fiir die
Cöhne ihrer glaubenStreuen Cdelleute, und Şofef wiirde
gewig 3u Rang und Chren jteigen — — aber feine Şuz
gen — fein Her, — fein Glitch ift geopfert!
Die jugendlide Ereellengz, welche felber jo gern gelcbt
und jo heif gelicbt hatte, jdjlaigt bei folcjen Gedanfen die
Hinde voll Sntieten vor das garte WAntlig.
Shr eingiges Kind! — Shr Liebling! — Nein, tan
fendDimal nein! Gr foll auch qfüdfid) werden! Wber wie?
Ach, bağ fie e3 mit ihrem Hergblut erfaujen finnte, bas
Glick! — Wer aber handelt 68 ihr ein?
Voll bitterer Qual ringt fie oft die feinen, ringge-
jhiniicten Hinde, welche wie blaffe Rojenblatter in ihrem
Shop ruhen; fie ift viel gu matt, viel gu frajtlos, um voll
fiihnen Muts den Kampf mit dem Cchickjal wagen zu
fonnen, — für ihr Kind! —
ee in x TNA Al Şux a
TSN Nİ Üdisliə Ho)
LL
/ Ojef jolgte bem Ruf der Mutter.
Moc) einmal hatte er forglam glittend iiber
WY das wellige Haar geftriden und voll peinfidyer
Genanigfeit den Staub von dem dunfeln Gonmitagörod
gebiirftet. Cr war e3 jo gewihnt, den Calon der Mutter
pon Rindheit auf al8 ein gewijje3 Ctwas angufehen, wel-
ches Refpeft und WAchtung erbeifdit, welches feine Cere-
monie borldireibt und ftets mit dem Gefiihl: (Sine
Auszeichnung babırd) gu erjahren” betreten wird.
Aud Heute lag der Wusdruck wiirdevoller Feierlichfeit
auf den jdmadhtigen Zitgen des Sefundaners, als er bie
Portiére teilte und in das fiifduftende, dDammerig ftille
Bauberreich jeiner angebeteten Mutter eintrat.
Excelleng Torisdorff lag auf dem Divan, welcher mit
gejhmacdvoller Genialitat unter die breiten Facdherblatter
trefflich gepflangter Balmen gejdoben war. Der Salon
gcigte noc) unverdndert die gebiegene Eleqang, mit welcher
ber verftorbene General die geliebte Frau umgeben hatte.
as:
Goldgefticte Decken, von eincr Orientreije heimgebradt,
Drapierten mit jtarren Seidenjalten die Wande, forglich
16068 Hleckhen Tapete verhiillend, welches die prachtigen
Gemilde, — Grbitüde aus der WAhnengallerie der Hagen-
Dorfs, — jowie bie Meifner Figuren und Bronzevajen
auf ben Goldfonjolen, noc) freigelafjen Hatten.
Kryftalljuntelnde Armleudhter, mit bem groben Liifter
harmonierend, genial gemalte Cefjel und Tifchchen, weiche
Atlaspolfter und jdhwellende, fpibeniiberriefelte Sifen füfften
Den Raum, welcher trog feiner prüditiqen Wusftattung
berinod) den Charafter auferordentlidher Gemiitlichfeit trug.
Die vielen, fojtbaren Hodhgcitsgejchenfe der Fiirjtlich-
feiten und Hofgefelljdhatt, welche die jo fehr beliebte Hof-
Dame ebemal8 bejonders reich bedacht, reprajentierten einen
Şümitmeri, welder der ganzen Torisdorjfjden Wohnung
Das Geprage gripter Wohlhabenheit verlieh und die
glangende Mtaste war, hinter welcher fid) Frau Sorge
mit bem Thranentiichlein verftecte. —
Der ganzen Umgebung angemefjen war die Gridyetminiş
ber Befigerin, welde trop aller Cinfachheit ihre Perjin-
lichfeit mit einem Reiz zu umgeben mübte, wie e3 nur
wirtlid) vornehmen Frauen eigen ift, meldyen 3 gür
gweiten Natur geworden, durch guten Gefdimad 3u wirfen.
Die Sommerhige madhte fid) felbft Hier in dem fo
tief verhingten und gefcitgten Galon bemerfbar, darum
trug Grcelleng ein Morgenfleid von weigem Batijt, —
Durdans jehlidht in Form und Wusjfdhmiichung,. eine Arbeit
ihrer eigenen, fleifigen Hande, welche mit Hilfe der ein-
Nov. EfHftruth, IL. Mom. u. Nov., Şrübfingöftürme I Ə
7:7
gigen Dienerin bie Nahmafdhine handhabten, zur Ver-
gweiflung Sofefs, welcher biefe Arbeit in Hohem Grade
fchadlich für bie zarte Frau Bielt.
Uber was half e3! Die teueren Echneiderrednungen
muften gejpart werden, iiberall ba, wo feine fremden
Slide hindrangen, an Hausfleidern, Wajche und Flicereien,
— ja&limm genig, bab die Gefelljdhajtstoiletten fo tabel:
108 gearbeitet jein muften, — bic fonnte nur eine
GSchneiderin liefern. — Noblesse oblige! —
Aber felbft das Cinjachfte jah an ber hochgewad)jenen
fehlanfen Geftalt ber Generalin jo dic und fleidjam aus,
bağ man İd)on frither in ber Gefellfchaft die jderzende
Bemerfung gemacht hatte: Gelbit in Gadleimmanb
bleibt Ques Torisdorjf vom CSdheitel bis zur Goble
Excelleng! —
. Auch jest Dfieb ihr Sohn einen Moment in über,
rafhtem Wnjchauen vor der noch jugendlidjen Mama
ftehen, ehe er voll gartlicher Devotion ihre Hande füfte,
bi8 bie jdlanfen Wrme ihn innig an die Brujt ber Piutter
gogen und Sues durch Riifje und Liebfojungen die Er-
faubni8 gab, wiederum von ihrem Liebling gehergt gu
werden.
Selbjt jest, mit überpollem Herzen, wahrten beide
ein gewifjes Geremonicll, welches nie Durch ein Ungejtiim
Die Form und gute Sitte berlebte , und Dennod) nicht
al% ftirendD emphunben ward, weil e3 3u Dem Natiirlichen,
Selbjtverjtindlichen gehirte, welches dem gangen Wejen
Der Torisdorjf den Stempel aujdriictte.
Excelleng war eine verhaltnismapig noch junge Frau,
wohl noch jiinger ausfehend al fie war, weil ihre
maddhenhajt fchlanfe, weide und biegfame Figur, mit
Den etwas milben VBeweguigen, den Bejdauer in jeder
Berechnung irre fithrie. Wuch ihr jehr jd)males, feinge-
jhnittenes Geficht mit ben grofen, feudjtglangenden Blau-
augen, welche meijt etwas verjchletert und traumbefangen
in die Welt blicten, — das reiche, ajchblonde Haar,
welces fein Cilberfadden berrüt, und jfchlieplid) ber
matte, fo itberaus şarte Leint, farblo3 und gleid)mapig
wie bei einer Wachsfigur, trugen başı bei, über das
Alter gu tünidyen, und die jiingften Herren trugen noch
müt Begeijterung die Gd)feppe der anmutigen Frau, wenn
jie ihr in ben Salons begegueten. _
Sofef Hatte fid) einen fleinen Ceffef neben ben Diwan
gejhoben. Cr hielt die fdifanten Hinde der Weutter
frampibaft mit ben feinen unijejlofjen und bfidte ihr mit
beinahe angitvoll jorjdjendem Blicf in das Antlig.
,ina jagte mir, bir Habeft wieder einen leichten Wn-
jall gehabt, Miitterchen! Wber ich finde gu meiner
grofen şreube und Beruhiqung, dak du wohler aus-
fiehft wie je! Du hajt ja jeit langer Bett nicht İp
rofige Wangen gehabt wie heute, und deine Augen bliken
wie Die Sterne zur Wintersgeit!” —
Die feine Rote auf dem Antlig der Frau vertiefte
fid), beinahe verlegen wandte fie ben fid, 2, mit dem
Anfall Dat e3 DdDieSmal abjolut nichts auf fid), Dar-
ling!” — webrte fie Haftig ab, ,,e8 war nur ein wenig
3*
Hergtlopfen, verurjadjt burd) eine momentane Wuf-
regung.” —
,(ğine Wufregung ? 17 —
(ycellenş 1d)ob mit nerbös bebenden Handen bie
İdymalen Goldreijen an dem Arm Hhoher empor. ,9Cid)ts
von Bedeutung — ein fleiner $İrger. — Gch wollte bir
eigentlich) gar nichts davon fagen, denn fchieBen famit
Du bid) Doch noch nicht mit ihm, und da it’s beffer, du
reg{t bid) nicht erjt über fold) eine unverjchamte Frechheit
auf! — Aber — vielleicht ift e3 bod) beffer, bu: weift
Bejeheid — denn fein Sohn — id) weif nicht, wie du
mit ihm ftehjt — und — und — ad), Sojey — e5
ijt İdyredfid) 17 —
Mit jaher Bewegung öriüdte die Eprecherin das
Tafdentuch gegen die Augen und jdhluchgte frampfhajt
ani. Der junge Lorisdorff war aufgejprungen, cine
Drohende alte jenfte fic) gwijden feine Branen und
Die fnochigen Rnabenhande ballten fid).
Sine Frechheit — eine Veleidigung? — Mutter — e3
ift Deine Pflicht — du muft mir bicfen Buben nermen 17 —
{tie er bebend Durch bie Bahne hervor. Gridiroden blidte
Snes auf und nahm Haftig die bebende Rechte in die ihre. —
ptipverftehe mic) nidit, mein Herzensfind! Nein,
feine Beleidiquig in deinem Gün — im Gegenteil —
er Denft mir eine enorme Chre anzguthun — aber —
baf er e$ iiberhaupt gewagt — das —”
Und wieder erfticte ihre Stimme in [autem Auf-
fchluchgen.
5
,,YieDe Herzensmama, — ich verftehe bid) nicht! —
Grbarme bid) meiner und fab mich alles wijjen! —
Da riditete fid) die Generalin an? und deutete mit
Der Hand erregt nach einem fleinen Marmortijc) in dem
Erfer. — ,,Sieh und lies e3 jelbjt, Darling, — id) fann
jo etwas nicht anöİpred)yen 17 —
Şofef trat haftig nad) dem CErfer Hin und jchlug die
Portiére şürüd,
Ah! — Cin Laut hichfter Wberrafdung und Ent
giickenS rang fich von jeinen Lippen.
Gün wundervolles Blumenarrangement, fo föftlid) und
eigenartig in verjchwenderijder Fille, wie er noch feins
gejehen, bot fid) ihm bar.
,/ Mama — das fit ja feenhajt!” jtammelte er.
Excelleng Ddriicte das Antlib tiefer im die ijfen.
pied nur erft!” ftteB fie fu: hervor.
pXejen? — was? — wor —”
Der Brief liegt — ad) jo — da — auf dem Teppich.”
Xoflef Dengte fid) und nahm dag elegant couvertierte
Echreiben, weldes jo berüditlid) gu Boden gejdjleudert
war, itberrajcht empor.
yo barf eS lejen, Mama?” —
Cine jahe, gujtimmende Bewegung ber weifen Frauenz
hand.
Mechanijch febte fid) der junge Torisdor}f auf einen
ber nachft ftehenden Sefjel nieder, flappte das fteife Papier
augeinander und überilog Haftig den Gubalt des fangen
Schreibens.
Und wahrend er 1a8, ftieq e3 rot und immer Töter
in feinem blajfen Geficht anuj, und feine Hand bebte wie
im Gieber und fein WAtem ftocfte. Cin Şetratsantrag 1 —
ein Heiratsantrag an feine Wutter! — und von mem?
poames Frantlin Sterley, — Rommergzienrat.”
Şer erhobene Arm fank jchlaff hernicder, — weit offen,
in3 Leere gerichtet, ftarrten Sofejs Augen — vornitber-
geneigt, wie verjteinert jah er tm Gejjel.
wames ranflin Sterley! Der reicje, fdwerreide
Bantier, deffen Sohn Klaus fein Mit}dhiiler in ber Nlafje
war! Der vielbeneidete Klaus, welder den Gpibnamen
,mabob” erhalten, welder fo oft mit efegantem Vierer-
gug den Schulweg guriiclegte, welder ihm nod) gejtern,
bet Schluk der Schule, gejagt hatte: ,Solef — ich fahre
morgen mit dem Crprefzug nad) Tirol, — will diejes
Jahr unjere Villa am Vegernjee bewohnen und ein biğ-
chen auf Gemjen jagen! Cag’, Sofef — fönnteft du
nicht mein Gaft fein? — id) bari mir einladen, wen id)
will, — und dich mödite id) am fiebiten mitnehmen!” —
O, wie gern — wie leidenjcajtlich gern wire er dem
Ruf gejolgt! Nad) Tegernfee — in das Haus Ddiejes
Krojus, in die Herrliche, föftfid)e Gotteswelt hinein!
Aber er hatte traurig den Kopf gefchiittelt und bic
Hand de8 Freundes gedriidt. Sd) dante dir von gangem
Herzen, Klaus, und id) freue mid) fehr, dag bir an mich
benfit und mir die Freude bereiten willft, — aber e8 geht
nidjt, — wahrlid) nicht. Bch müb bet Mama bleiben.
Gie ift fo leidend, fie barf nicht aflein fein, — fie fann
sə Bü
Diefen Sommer wohl gar nicht reifen und ich mü ihr
jelbjtverftindlid) Gefelfidyaft leijten! Sch dante dir, Klaus!
— Und nun? Mun Hielt der Vater diefes Beneidens-
werten um die Hand feiner Mutter an? War jo etwas
iiberhaupt auszudenfen ?
Er war im erjten Augenblice fo jajjungslos, fo İtarr
vor Staunen, Daf} er wie geijteZabwejend vor fic) hin-
blidte und jeine Gedanfen erit fammeln mufte.
Und dann fam ihm ploplic) das Verjtindnis für die
Empirung feiner Ytutter.
Şameğ Franflin Sterley! — Kommerzienrat — Banfier
— ein reicher Mann, welcher nicht3 weiter hat, als feine
MiLlionen — unadelig — Kaufmann — Gott im Himmel!
wie wagt er e3, um eine Der vornehmiten Frauen ber
Refideng, gu werben? Um eine CxcellenZ von Toris-
borif1 —
Sa, folch’ eine Vermejjenheit ijt Beleidiquug — ift
mehr wie das. —
Sölef guct gujammen. Wahrlich, ift e3 eine Schmah-
ung? Wie nun, wenn e$ Hilfe und Errettung aus tteffter
Not ware, — wenn der licbe Herrgott im Himmel diefen
Brief als Antwort auf fein heifes, inbriin|tiges Gebet
gelanbt hatte? — Cr örüdt beide Şünbe gegen den Kopf
und ringt nach WAtem. — Nein, tanjendmal nein! Wie
fann e$ ber qetrene Gott wollen, bağ ein Weib untreu
werde! — Hat jeine Mutter nicht ihrem verjtorbenen
Gatten die Treue bis in ben Tod gelobt, und nun foll
fie ihn vergeffen? —
— dü —
Da trifft fein Blick wieder den Brief. (68 fei ferne
pon mir, Grcelleng, das Andenfen Bhres teuern, ver-
ewigten Herrn Gemahls aus Bhrem Herzen reifen gu
wollen! Sm Gegenteil, 68 foll mir eine heilige, liebe
Pilicht gegen den unvergeflicdjen Entfchlajenen fein, fein
Andenfen Heilig und in den Herzen von Mutter und Sohn
lebendig gu erhalten! Sch verlange nicht jene brautliche
Liebe von Shnen, CExcellenz, welche Sie Dem Toten gez
gollt, ich bitte Sie nur um Shre opfermutige Freundjdjajt,
meinem verwaiften Hauje eine neue Herrin gu fein, mir
gu geftatten, Shnen meine tiefe, innige BVerehrung und
MNeigung beweijen gu ditrfen, indem id) Bhnen alled zu
Siifen leqe, was ic) mein eigen nenne. Geftatten Sie
mir aud), Shren Sohn, den Freund bes meinen, mit Liebe
und Sorge umgeben gu bürfen, und feien Cie verfichert,
Erxcellenz, bab ich mein ganges Lebensgliicé Darin judhen
will, Sie ani Handen gu tragen und alüdlid) gu
machen. — —
Wie ein Etöhnern entrang €8 fid) der Bruft des Qez
fenden. — Ölüdlüd) will er fie machen, gliicflich und ge-
fund! — Gr will feinen Maub an ben Rechten des Toten
begehen, — er will nicht um eine şörtlüd) Qicbenbe, — jon-
Dern nur um eine neue Herrin fiir fein verwaiftes Haus
werben, er fagt und befennt e8 ehrlich, und doch perlebt
bicle Offenheit ict, er üt ja felber Witwer, welder viel-
leicht eine treue, unwandelbare Liebe gu der verflarten
Gattin im Herzen tragt. Cr fucht eine Reprajentantin
für jein fiirftlicles Heim, — wer pağt beffer dazu, wie
| —
eine Excellen; Torisdorjf? Und wo bietet fid) je wieder
eine Mtiglichfeit, jo viel, fo alles was not ijt, für Gee
jundheit und Leben der hHeifgeliebten Mutter thun gu
fonnen ?
Sollte e8 dod) die Antwort des lieben Herrgotts ani
fein Gebet fein?
Wie ein Beben fliegt e8 durch die Glieder de3 Denfers,
er prehbt bie ei8falten Hande in einander und jinft nod)
tiefer in fid) gujammen.
prau Snes hat bas Tafchentuch vor den Augen finfen
lajjen; ihr fid: Hajtet grob und verwundert auf dem
Sohn, in regungölolem Beobachten und Forjden. Zum
erftenmal im Leben verjteht fie ihn nicht. — Gr hat den
Brief gelejen und gerfndult ihn nicht voll Gmpörung
und Born, ihn ebenjo berüditlid) von fich zu jchleudern
wie jie?
Er hat den Heirat8antrag, welcher tm Grunde gez
nommen nicjt ein folder, fondern ein fiihl berechneter,
geld)üftfidyer Vorjdjlag ijt, gelejen, und er braujt nicht
auf in Cntriiftung? Cr fiihlt nicht die Beleidiqung,
weldje fiir Das Weib in demjelben liegt? — Kein heifes,
fimmelanitürmenbe$ LiebeSwerben, fondern nur das Aus-
İdireiben einer vorteilhajten Stellung alS ,Herrin bes
Haujes!” — Şofef ift noch fein Mann, aber er ijt bod)
İon alt genig, um gu empfinden, wie jold) ein WUntrag
ber Gitelfeit ber Coa Wunden fchlagt! —
Jnes ijt eine weltgewandte, — aber feine geiftreide
grau, welde in Menjchenherzen lieft. — Was fie an
dem Heiratsantrag verlebt, ift fiir das mefe Herz des
Sohnes Baljam, e8 verjihnt İeine Cijerjudjt, welche für
Den Vater jowobhl wie fiir fid) felbft Partei gegen jeden
qliihenden Liebhaber ergreifen wiirde, Dem ernjten, ent-
fagung3vollen Mann jedoch, weldjer nur bietet, ohne gu
fordern, welcher nicht alg Rauber der Liebe, jondern alB
Mehrer derjelben fommt, unvwillfiirlic) feme Cympathie
entgegen bringt. —
Smmer ungeduldiger beben die Lippen ihrer Crcelleng.
Sojef hat den Brief gelejen, — er las auch feine Unter-
jhrijt — Games Franflin Sterley! — Und er bridt
nicht in ein fdhallendes (Gelüd)ter aus, meldyes Dem 9lnz
iraq Dde8 Herrn Banfiers die Kritif jpridjt, meldes ihn
Dagu ftempelt, was bieler Brief ijt? Cine Farce! eine
jrehe Celbjtiiberhebung — eine... . — — Mein,
Sofef lacht nicht, — er feufgt tiet auf und ftarrt regungs-
{08 vor fid) nieber.
/,Şplef117 — wie ein şitternber Wufjdhret ringt e8
fid) von den Lippen der Generalin.
Da guct ihr Sohn zujammen und erhebt fid) haftig.
Er ftreidjt die Haare aus der Stirn und blidt die Mutter
verwirrt an.
pmamacdhen — ja — id) — id) habe gelejen.” —
yund das it alles, was du Darauf gu ermwidern
hat?” —
Sofef jebt fid) fchweigend an die Cette der Mutter
und Halt ihre bebenden Hande gwijden den feinen.
kod bin id) fo überrafd)t, Hergen8mutter, dap id)
S...
wedcr Worte nod) Gedanfen finde! Sd) afnte €8 ja
gar nicht, bağ du den Rommergienrat Sterley iiberhaupt
fennjt!” —
pktein Gott, Darling, id) habe e3 nie fitr ber Mtiihe
wert gehalten, bir von Diejem Mann gu jprechen, oder
Dod) — jagte id) bir nicht, baf er auf dem lebten Wohl:
thatigteitsbagar fiir fabelhajte Gummen Südyer bei mir
faujte? — Sc machte — dané feiner Freigebigfeit, die
beften Gefchajte von allen Damen. CErgiihlte id) e3 bir
nicht? — nein? nun, banı Ddeuchte eS mir wohl nicht
intereifant genug für bid) 17
ur das eine Mal fafft du ihn?” —
po nein! Bei dem lebten Diner auf ber: ameri-
fanijden Botjchaft fithrte er mid) gu Tijd. — Er ft,
İp viel ich weif}, Wmerifaner. — Bch war etwas indigniert
liber Ddiefen Tijdnachbar, fte e3 aber al wobhlerzogene
oran den unjdhuldigen James Franflin nicht merfen, —
was fonnte er dafiir! Bm Gegenteil, ich erinnerte mich
568 Bagars und war fo liebensrwiirdig zu ihm, wie gu
Den anderen Gajten auch. Dicje Dankesquittung hat er
wohl mipverftanden — — —”
,Madhte er dir feinen Bejuc)? — —
(enib, da8 hatte er jchon jriifer gethan, als ich ifn
einigemal im Salon der Grafin Sri getroffen Date,
— fie ijt ja auch geborene Wmerifanerin und er bejorgt
wohl ihre Gefbgeld)üfte, Daher die Befannt\dhaft.”“ —
yUnd er geigte bir nie, was er für bid) fiihlt?”
Gycellenş “Zori3borif lad)te etwas nervis auf. Sd)
— 4h —
bitte dich, Şolef, wo nichts ift, fann man auch nidts
geigen! — Güne vafante Stelle al Reprajentantin İpiegelt
fid) nicht in den Augen!! Sinmerfin war er fehr auj-
merfjam, foneit dies bei jeiner Eteifheit und Langweilig-
feit miglid) ijt, — id) glaube fogar, er Bat fid) ein
paarmal 3u artigen Phrajen hinreifen lajjen, — nun
— und jeine Slumen —.”
,p.3fumen? —”
Die Generalin errötete und fenfte momentan die langen
Wimpern über die Augen.
/Sr İdyfte in ber legten Beit dfters {chine Striufe
und Sardiniéren.” — —
ch! Şi) fah fie aber niemal3!” —
rau Gunes neigte bas Haupt nod) tiefer. ,,Wergib
mir, Sojef, id) fhamte mid), bağ id) von einem Herm
Sterley Blumen annafm, — aber fie famen mir jo gee
legen! Das erjte Mal war gerade der Geburtstag ber
PringeB Helene, — id) wollte ihr fo gern-eine Wufmerk
famteit erweijen, gleichjam al3 Dant für alle Beweije
ifrer Gnade, welche fie mir in der İebten Beit gegeben,
— q İdidte id) die wundervolle Sardinidre jogleid) an
fic weiter, und frente mid) bet der Aubdienz über bie
Huld, mit weldjer bie Hohe Frau meinen Morgengrup
aujgenommen! — Nun — und das niadhite Mal traf
Die Dardiniére gerade am Morgen von Cva Diirings
Hodheit ein! Sd) empfand e3 fo jehr peinlid), dag id)
ihr nidjt bie mindejte LiebenSwiirdigfeit erweijen fonnte,
wo id) fo viel Gitte in ihrem Clternhaus genojjen!
— 2) ə
Mein fimples Sdhlitffelfirbdhen, welches ich ihr geftictt,
war dod) iiberhaupt nicht ber Rede wert! — Da fam
Das fcbhier fürftlidye Blumenarrangement Sterley8 — und
obwobhl id) mir das erfte Mal jo bittere Vorwiirfe ge-
macht hatte, Huldigungen von diejem Yann angunehmen,
war id) gerade an Diejem Tage gu fchwach, jo energie-
(08, — bie Gelegenheit war jo verlockend — x fielh mid)
nidjt 10 grob an, Sojej, ich empfinde das Unpafjende
meiner Handlungsweife ja İeibit am meijten. — Aber
€8 üt jo namenlos jcjwer, inmer gu wollen und dod)
nicht şır finnen! Bu wijfen, welche Pylichten Namen
und Stellung uns auferlegen und doch nicht die Mrittel
gu befiben, folchen Wnforderungen geniigen gu finnen!
© Şofef — ich habe e$ mir nidit jo jchwer gedacht,
arm 3u fein! Wabhrlich feine Bettlerin empfindet die
Mittellojigteit jo Herb wie ich, die €8 me gelernt und
geübt hat, gu entjagen, die mit WAnfidjten und Begrijfen
aufgewadhjen ijt, welde cin Vermbgen bedingen!” —
Excellens Torisdorjj britdte abermalS das Tajchen-
tuch vor das Antlig und neigte das Haupt jdwer gegen
Die Schulter de3 Sohnes.
Soflef ftreichelte licbevoll das feibermeid)e Blondhaar,
yoeld)e8 in duftigen Wellen unter jeinen Fingern glangte,
und atmete beflommen ani.
Sterley ijt reich), — fehr reid), — in feinem Hanje
fennt man fein Cntjagen!” murmelte er Durch die Bahne.
Stes guctte (etdit gujammen und rid)tete fid) jah auf.
Gün beinahe entjegter Blic traf den Sprecher.
a | ə
wosojet — millit bu damit fagen — — — o nein,
ba8 ijt ja unmiglid)! Wie follte fid) dein Fletfd und
Blut fo verleugnen! —”
Cin jajt bitteres Lacheln jpielte um die Lippen des
jungen Menjden: Sd) fenne Cterley nicht. Weldhen
Ginörud madite jeine Perfinlichfett au? dich?” —
Excellen; Torisdorjf ridjtete fid) unruhig auf: ,,Sojef,
— ich glaube bet Gott, du ermdqft die Miglichfeit, feinen
Heirat8antrag anzunehmen?/” —
ən wenn ich e3 thate, Şerşensmamad)en ?7 — Das
flang miübe und refigniert, aber aud) jehr beftimmt.
SS Ware zum mindeften ein ftraflider Leichtjinn, wenn
wir ung fold) einen ernjten Ediritt nicht überlegen wollten.
Bitte antworte mir dod) — welch einen Gindruc madjte
ber Bankier? — Ceti efrfid) und wahr, Mutter!”
Die Generalin hatte fid) hajtiq erhoben und fdhritt er-
regt im Ealon an? und nieder. Cie prehbte die bebenden
Lippen gujammen und {clang die Hande ineinander, und
Dann fate fie jah die Rechte ifires Sohnes und 30g ifn
neben fid) vor ba5 Portrit des verjtorbenen Gatten und
fragte herb: ,,QWaagjt du e3 auch vor ihm, deinem Vater
— dem Mann, welder nid)t$ hoher hielt, als jeine Chre
und jeinen Namen — wagjt du e3 auch vor ihm, deiner
Mutter guzumuten — eine — eine Frau Sterley zu
werden 2” —
Sojet war tief erbleidht, ein fchmerslidher Blic tteffter
Seelenqual traf die geliebten Biige bes Verflirten, wie
ein Bittern viejelte e8 burd) jeine jcymadjtige Geljtalt,
— A —
wie ein Schwadhegefiihl, meldyem man nicht [anger miberz
ftehen fann. Und al er fid) mit erlöfenbem ölufidirei
an bie Brujt der Mutter werjen wollte, jah er pliglich
in thr Untlib, meld)es fid) febt gum erftenmal von hellerem
Licht befdyienen, ihm zuwandte.
Gr jchraf zujammen. Wie elend — wie unfagbar
leidend jah fie aus! — Welche Schatten um die Augen,
weldhe feinen Vinten de Schmerzes um Mund und Nafe!
,,tranf1 — frünfer al fie abut!” Die Stimme des
Urgtes flang plö$lid) an jein Ohr: (65 mug bald etwas
gejdehert, wenn fie erhalten bleiben fofk und Shre Pflicht
als Golin ift e8, bafür zu forgen 17 —
Er legte den Arm um die Mutter und blicte aber-
mals zu dem Bild des 33ater3 auf. Şa, Ptama, and)
vor ihm, ben id) ad)te, ehre, liebe, wie feinen anderen
Mann auf Gottes Welt, auch vor meinem Vater wieder-
hole id) meine Worte, und ich habe in bielem Wugenblic
fogar 5a8 wunderjame Cmpfinden, alZ jtiindDe id) an
feinerjtatt vor bir, — al3 waren meine Gedanfen in
diefer Stunde bie feinen! (Sr hat bid) geliebt, wie id
bid) liebe, — — — er meinte e8 ebenjo tren und jelbjt-
105 mit bir, wie id) e3 auc) thue, — und finnte er
€8 nod), İp wiirde er dein teures Leben woh! auch fchiiben
und fdirmen und bereit fein, ihm jedes Opjer zu bringen!
Sieh, Mutter, alfes was uns fommt — das fommt
von Gott, und wir haben nicht das Recht, aus Hod)-
mut und Gitelfeit feine Wege gu durd)freuzen! — Sterley
wirbt nid)t um dich als Geliebte, jondDern um die Herrin
——
feine3 Haujes, — er will das Andenfen deines Gatten nidit
tilgen, fondern ¢% rejpeftieren, und in Gören: halten.
Was anderes alfo macht dir jeine Werbung unjympathijd,
wenn e3 nicht Der Stolz, der falihergige Stolg ijt, meldyer
einen Herrn Sterley nicht fiir gleichberedhtiqt mit uns
halt? — Sft er ein braver und reditfidyer Mann, ehren-
fejt und vornehm in jeinen Gejinnungen, wie man e3
ihm alljeits nachriihmt, —- nun — jo fit eS Deine Pflicht
— id) wiederhole e3 — feinen Antrag refflid) gu erz
wagen!” —
/,Şofer1 — Kind! wobher nimmijt du folche Worte
und Gedanfen, was hat bid) jo villig verandert — weld
ein unbegreiflicher Weehjel deiner Wnfichten?!” —
Der nge Xorisborff legte ben Wrm um feine Mutter
und jiihrte jie nach bem nadhjten Zeffef, auf welchen fie wie
gebrocjen uniederjanf, — er jelber fniete an ihrer Seite
meder und blicte ihr ernft in die Wugen. ,,Du bliebjt
mir nod) bic Antwort jchuldig, Mama, — weldhen Cine
Druck müd)te SterleyS Perfinlidjfeit?” —
Sues ftarrte geradeaus. ,,Cinen guten, fympathifden”;
antwortete fie beinahe rauh, — ,,er trüqt jeinen Reid-
tum nidjt progenhaft şur Schau. — Aber ich bin feine
Menjchenfennerin — id) meib nicht, was fid) inter ber
glatten Stirn eines foldhen Zahlenmenjden verftect, —
id) fann nicht beurteilen, ob er nur Gentleman İdicint
oder auch wirflich ijt!”
,3u bijt eine jenjible Natur, Mutter, du mürbeit
e8 injtinftiv fiihlen, wenn der Rommerszienrat” — —
L
urme
Nv, Ef ftruth, ST. Rom. u. Nov., Frithling sft
Bü x.
Creelleng fchauderte leicht gufammen — ,,cine unfeine,
brutale oder herglofe Natur ware. Gein Briel jpricht
für ign, — ebrlich, ohne Phrafen, treu gemeint. Wenn
icin Sohn Klaus Whnlichfeit mit ihm hat, fo ift er ein
in jeder Begiehung chevaleresfer Wann.”
,Xoden bid) denn bie Yüiffipnen fo gewaltig, Şofef?”
Sues fiihlte, wie bie Hand 5e$ Sohnes in ber ihren
aucite, — er antwortete nicht jogleid), Dann aber fubr
er mit unbdcrindert ruhiger Etimme fort: ,,da, fie diinfen
mür ein gar herrlidjes Gefchent, welches der liebe Gott
uns in ihnen bictet 17
Ber meifb , ob du jemals einen Dollar davon şu
eigen befommft! — Wie mand)’ jdine Sllufion hat
bei foldjen Epefulationen jon betrogenl”
db ich etwas davon habe, ijt ja gleidgiiltiq; bu
wiirdeft auf jeden Fall den Reidjtum genieBen, und daz
ijt Die Hauptiache.”
Sie genicRt eine Madame Sterley das Leben? C3
bürfte wohl faum nad) dem Gefdmad einer CExcelleng
Şoriöborif fein!” —
,Get nicht fo bitter, Mamaden! Saf uns dod) rubig
Die ür und Wider bejpredjen — und beharrjt du bei
Deiner Weigerung — je nun — Du bijt ja deine eigene
Herrin! Wie eine Frau Sterley das Leben geniebt?
on vollen SZiigen. Bor allen Dingen ftehen ihr alle
Mittel zu Gebote, fid) Leben und Gejundbheit gu erhalten!
Sieh mal, Mamacdhen, du bift leidend.” —
/Unfinn! — mir feblt micdt bas mindefte! Ctwas
s, Di
bletdyfiditiq und nervenjdwach! — weld) eine Fran de3
neungehnten Sahrhunderts wire das nid)t ?7 —
,aler Doftor beurteilt dein Leiden ernjter.” —
/Sinbildung! er ijt iibertrieben bejorgt! id) felber
müb e8 wohl bejjer wijfen, wie id) mid) fiihle, wie er!
Sofef feujgte tici auf und ftrid) etwas nervis mit
Der Hand über bic Stirn. Dann fubhr er rufhig fort:
olum, fo wiirde man die fchinen Reijen gum Vergniigen
maden! Dent, Mamacdjen, wenn wir jet aus Ddiejer
Hike Heraus fiunten; eine eigene Villa am Tegernice
oder an ber Nordfee begiehen finnten, wenn dort alles
jo reich — fo itppig — 3auberhaft (dön ware, — wenn
Du fo ohne Not und Sorge jedeu umid) befriebiqer
fonntejt — nur die Baubergerte heben und vor bir İefen
tonnteft, was dein Herg begehrt!” —
woa, €8 it fehr Detb”, murmelte Sues mechanijd,
pnd frifdye Lujt atını —
yöter in der Refideng ein jolch fiiritlidhes Palais
bewohnen wie das Sterleyjche, mug im Winter ja auch
jin jein, — aber eine Reije nad) Rairo — oder Mizza
— ware wobl noch jdjiner! Du Flagteft über die Ralte
und ben vielen Wind im Winter noch mehr, wie jest
ilber die Hike.” —
a, eine Reijfe nad) dem Güben ware wohl das
Sdeal all meiner Wiinjehe, — das Hiejige Klima mordet
mich.” —
/Ridht wahr, das empfinde|t du felbjt, Şerşensmitter,
und Dann bebenfe, wie gut 68 fid) ausnehmen wiirde,
4*
wenn du deine Vifiten nicht mehr gu Fup bei Wind und
Wetter machen miifteft, fondern mit den vier Vollblut-
rappen vorfahren finnteft.”
Excellen; Torisdorff madite eine jahe, leidenjcdhaftliche
Bewegung. ,,Glanbjt du, bağ man mich afs Frau Sterley
iiberhaupt noc) in der Gefellfdhajt empfangen witrde? —
GSiehft bu, Gofef, — diefer Gedanfe — von den Menjchen,
welde jest meinesgleidjen find, über bie Echulter ange-
fehen, wontdglich verleugnet gu werden, — mich felber
aus ber Gejelljdhaft derer, bei welchen all meine Şnter-
effen, all meine Lebensjajern — mein ganzeS Sein und
Denfen wurzelt, auszufchlieBen — Diefen Gedanfen erz
trage id) nicht, Sojef! (old) eine Demiitigung wiirde mid)
töten 17 —
Auch in die Stirn und Schlafen des jungen Toris-
Dorff ftieq bei fold) einer Annahme das Blut und feine
Augen flammten auf wie in dDrohendem Zorn, dann bib
er bie Zahne gufammen und lich das Haupt tief şur
Brujt finfen, in diejem Wugenblicl durfte die Mutter am
wentgften jehen, weldje Qualen heldenhafter Celbjtver-
leugning feni junges Antlig fptegelte.
Momentan Herrjchte tiefe Stille. Dann fuhr Jojef
tubig fort: ,,Wie fommijt du auf folch jeltjame Şöce?
Du, die fo beliebt — jo befannt Hier ift.“ — —
Ques fchiittelte erregt ben Kopf und prebte ihre Hand
auf feine Lippen: ,,llinjonft — bir auf, Sofef — id)
Heirate ifn nicht, — id) barf e8 nidjt, — um unjeres
Namens ywillen, — Noblesse oblige!” —
a) ə
Und wieder ein Augenblic atemlofen Schweigens. Jojef
hatte die Hande gujammengeframpft, fein Blick irrte wie
in flehender, vergweifelnder WAngjt gu bem Bild bes Vaters.
Was jollte er nod) fagen — was nod) erfinnen, um den
moralijden Zwang auf fie auszuiiben, welchen der rst
ihm şur Heiligen Cohnespifidit gemacht, ihr teures Leben
gu retten! — Şoflef war noc) zu jung, gu erregt, zu ver-
aweifelt in biefer Stunde, um mit dem Berjtand des
Mannes die Cituation gu ermeffen und thr geredht gu
werden. Mit der Zahigtcit übertriebenen Pylichtgefiihls,
gepaart mit ber vergweijeluden UAngft und Gorge um das
Leben des teuerften Wejens, weldes er nocd) auf der
gangen, weiten Welt bela, erfafte er den eingigen Rettungs-
anfer, welchen ifm Gott felber, alS WAutwort auf fein
Gebet, zugeworjen. Und wie fein fid über de3 Vaters
Bild irrte, fiel ein greller Gonnenjtrahl iiber die Uniform
DeSfelben und mit ihm İeud)tete e8 wie ein neuer, filf-
reld)er Gebanfe in Jofef3 gequalter Seele auj. ,,Mtut-
ter!“ —
peas willft du?”
, Mutter, Haft du mich fieb ?7 —
Wie weich, wie flehend dies fang! Bnes riditete fid)
jah auf und jodlang laut aufjdluchzend die WArme um
Den Sohn.
,lber UMles, — Şofef, — begweifelft du das?”
Saft Du mich auch lieber — wie — wie deinen Stolz 2”
Wie meinft bu das?”
,Şaft bir mid) fo lieh — wie unjeren Namen?” —
/Sofef! — um deinet- und de3 Namens willen ent
fage id) ja felbit Millionen!” —
/Und warjt du imjtande ein nod) griferes Opfer
gu bringen?” —
Befrembdet blicte fie in feine flehenden Augen.
Beld) eines 2” —
yp dein Diefe Miflionen an! — um meinet- und meine$
Namens millen 177 —
"mb 1“
Da preğte er das farblofe Antlig auf ihre RKnie.
7s bin ein Eqoijt, Mutter, id) weif eS und fchame
mich nicht, e$ bir eingugeftehen, Denn ich forbere nicht
allein fiir meine Berjon, jondern auch fiir das Wappen-
{ehild, metd)es id) fire. (8 gilt die Bufunft, Mutter! —
Sd) bin nicht ftarf genug, um Soldat gu werden, id)
fiihle e8, meine Rrajte reidyen nun und nimmer başı
aus! Ctudteren fajjen fannft du mich nicht, alfo müb
ich entweder Gugend und Gli opfern und Klerifer wer-
Den, ich, ein Torisdorff, deren eS nicht mehr viele gibt,
oder id) müb: den Namen ganz ablegen und ein Hand-
werf erlernen, — denn al8 Freiherr — du verjtehft mid) —
Mutter, auc) ich fage: Noblesse oblige! und in meinem
Mund hat bas Wort einen noch ernjteren Klang als in
Dem deinen! — Du opferjt ein wenig, den Klang des
Mamens fitr: ben Rejt deines Lebens, aber du erfanflt
Dentjelben burd) dein perfinlicdjes Opjer den alten Glam,
— ich jedoc) wiirde alles hingeben miijjen, ohne auch
nur bas mindejte dafiir eingutaujden! Weift du nun,
um was ich bitte, Mutter? — James Frantlin Sterley
wiirde jeinem Stiefjohn niemals die Mittel zum Studium
verweigern, er wiirde e3 mir ermiglichen, İpüter aus
eigener Kraft und eigenem Fleif ein Biel şin erreicjen,
Deffen fic) fein Torisdorff gu jchdmen braudht, ein Biel
und Streben, welche meinen Vater nod) im Grabe ehren
wird! — Dein Opjer, Plutter, wiirde bid) in betnem
Sohn feqnen! — Man fagt, die Liebe einer Mutter über-
windet alles, fie verjebt Berge, fie gibt, fie bufbet, —
fie wagt alles für ihr Rind! — Şit das wahr, Mutter? —
Ə, banın beweis e3 mir!” —
Sues fefnte das bleiche Antlig şurü, ihre weitoffenen
Augen blicten wie bet einer Traumenden, welcher burd)
felige Gedanfen eine Offenbarung wird, ein Lacheln, füf
und gebheimnisvoll fdymebte um ihre Lippen. Und dann
prebte fie Das Haupt ihres Sohnes an die Brujt und
flititerte: ,Wergib mir, Şofef, bab ich auch nur einen
Augenblic dich und dein Glitcl vergefjen fonnte!/
xə
la QB
EE,
ber Refideng gemacht, al8 ber UAmerifaner Mifter
Same Sterley ein neues Bankhaus — die Hie
liale feiner şirmen in Chicago, London und Paris —
in ber beutidyen Grofjtadt grimböete, und fid) fir feinen
Privatbedarf eine palaftartige Villa erbaute, von deren
fürİtfidyer Wusftattung man fid) jeiner Zeit Wunderdinge
berichtete.
Schon das Wufere des Gebaudes feffelte jeden Blic,
Denn e3 war İp gejdmacvoll, fo reid) und eigenartig,
ohne dabei überlaben gu fein, bafb €8 möhl nicht mit
Unrecht von den Drofdhfenfutjdern al Sehenswiirdigfeit
Den Leuten gezeigt wurde. Die Sfulpturen waren Meijter=
werfe erfter und nahmbafter Şünitfer, und die wunder-
vollen Malereien gwifden den Saulenjeldern der Vorhalle
rithrten pon den Pinjeln der bebenteniten Meifter Her,
welde ihr Bejtes gegeben, um den verwihnten und fein-
gebilbeten Gejdmad des ,Kinigs von $llinsis”, wie
man Sterley teils fderzend, teil3 neidijd) jpottend, nannte,
gu geniigen.
dəx, HS) coe
De3 Haufes glangende Shale barg einen noch glin-
zenderen Kern, und Doc) fonnte auch der fcharffte Kritifer
nichts Progenhajtes, Ubertriebenes baran tadeln. Der
Amerifaner zeichnete fid) burd) Taft und mafifaltenbe
Wiirde aus, und diejer İympatfild)e Grundzug feines Chaz
rafters offnete ihm jelbjt in ber guten Gejelljdhaft manche
Thiir, welde der Geldarijtofratie fiir gewdhnlich ver-
jelofjen blieb.
Sames Franflin Sterley verftand e8, fid) Freunde
au madjen. Wich er hatte fid) einen Wahljpruch fiir jein
Thun und Handeln erforen, ein Gegenjtice gu dem welt-
befanuten ,,Noblesse oblige’ — mit Der eingigen Wari-
ante, Dag ibn nicht ber Adel, jondern die Mtittel, über
welche er verfiigte, verpflichteten.
Er war fein Harpagon, welder nur die Reichtiimer
gierig aufhaujte, um fid) felber an dem WAnblicé folder
Ediüşe gu weiden, nein, er eraditete fein Vermigen als
ein Lehen bes Schickjal8, ihm guerteilt, um bejtmigliden
Gebraucd) davon zu mad)en Gr gab gern und viel, —
er fnauferte nid)t, hichjten3 gegen fid) jelber war er İtrerig,
für feine Perjon jeden unndtigen Romfort vermeidend,
verniinjtig, anjprucslos, nur auf den Gebieten ber Kunit
Depenjicrend, wenn er fid) burd) biele einen wahren (ez
nub: {atten fonnte. Dabei rajtlos thatig, von eijernem
Əletb und unermidlidjem Crwerbsfinn. Das Genie des
Kaufmanns war ihm angeboren. Gr: jpefulierte nicht in
Dem ceigentlidjen Ginn Ddiejes Wortes, aber er liep fich
oft ein wenig waghalfig auf Unternehmungen ein, welden
fein jcharfer fid einen Erfolg garantierte, — er operierte
mit nambajten Eummen, aber niemalS in einer Weife,
welde aud) nur den Schein eines GlicfSritters oder
Spefulanten auf ifm war]. Geine Bank war jolide, und
als folde im Şn- und Ausland geachtet und rejpeftiert.
Abjeits von den Prunfgemachern und der langen
oli de3 Empfangsjalons fag das Urbeitszimmer des
Hausherrn, ein hohes, weites Gemach, welches jeine faum
Drapiert zu nennenden Fenjter nach dem Bark gu Hffnete.
Hier Hinein fdaute jelten, faft niemals ein fremder Blick,
€8 war das Heiligtum jtiller Buriicgezogenheit, das Reich
lieber Erinnerungen, in welchem einşiq Vater und Sohn
traute Stunden ungeftirten Beijammenfeins genojjen.
Wunderlich genug hatte diejes Zimmer 568 Millionars
fremden Augen erjdeinen miiffen. C8 wies in dicjer Beit
prtilvolliten Stils” nichts auj, was irgendwie einbheitlich
pber charafteriftijd) hatte genannt werden fonnen. Bet-
nahe glid) e8 einer Rramftube, in welcher alle fonder
Wahl und Anfehen hingejtellt und gujammengeriirfelt
wird, was in ben anderen Ealons und Raumen über-
fliijfig geworden ijt. Cin altmodijches Cylinderpult jtand
iiber Ce am Fenfter, und zeigte e3 aut den eriten fid,
Dag Games Frantlin Sterley e3 vielfach, wohl taglich,
benubte. Daneben, an das Fenjter geriict, ergahlte ein
entgiickend gearbeitetes Nahtijdydhen von fleipigen Frauen-
handen, weldje ehemals an ifm gejchafft. Noch ftectten
Halbgejpulte Swirnwidel und Seidenrillden in ben funft-
voll eingelegten $yüd)erm, und der filberne Fingerhut jtand
a: a
jo blanf auf feinem blanen Gammetpolfter, alg habe ihn
eben erft ein rofiges Handden vom Finger geftreift. —
Alte, unanjehnlidhe Lederftithle Hier und bort, und
Dagwijden wieder bic zierlidjen, Dod)eleganten Brofatmobel
eine Damenboudpirs, ein altmobild)yes Klavier, von ver=
blabter Geibenbede iiberhangen, Silhouetten und jdymudlofe
Reidhnungen füngİt vergangener Zeiten an den Wanden,
und in ihrer Mitte, mit verjdwenderifdher Bracht gold-
ftrobend eingerahmt, das febensgrofe Olgemalde einer
jungen Frau, fünitlerifd) gemalt, İp lebengvoll, dag man
umvillfitrlich das Gefithl hat, fie wirft ben gelbflodigen
Belz, weldhen jie von den Schultern guriichalt, vollends
ab, und eilt dem Bejchauer mit frijhem Laden und
ftrablend Şetterm fid entgegen. WMtehr denn je empfand
Diejen Bauber tiujchender Lebendigfeit wohl der Mann,
welder auc) heute wieder einjam und gedanfenverjunfen
vor bem Gemilde jab, — James Franklin Sterley.
Das Licht fallt grell burd) die geöffneten Fenjter und
beleuchtet feine jclanfe, jehr grobe, etwas fnodjige Ge-
ftalt in Dem Hellen Sommeranjzug, welche vorniiber geneigt,
wie niedergebengt bon ber Lajt fchwerer Gedanfen in bas
lachelnde WUntlig jeines verftorbenen Weibes ftarrt. —
Der Amerifaner fieht noc) nicht alt aus, trog des
ergrauten Haares und des fleijdhlos Hhageren Gefidts,
welcheS mit energijden, fonjt 10 jdarf und Teblaft
blicenden Grauaugen in die Welt faut. Die Lippen
beden blag und bartlos die Bahne, nur an den Wangen
geigen fic) İd)male Gtreifen eines fehr furg gebaltenen
x | oe
charafteriftifden Son Bull”. Der Banfier hat die
İd)malen Hande, an deren rechter al3 eingiger Schmud
ein fchmaler Trauring glingt, im Sco gujammengelegt,
und wahrend er mechanifd) den goldenen Reif am Finger
Dreht, İdymeifen feine Gedanfen weit şürüd, bis gu dem
Tag, wo ihm jene blithende, anmutige Maddengejtalt
gu bem Wltar folgte, wo fie ihm ben Ring an den Finger
İtedte. Damals! — $), wie glüdfid), wie unbefdireiblid)
qlüdfid) waren jie! Noch war ber Goldregen nicht au)
Den jungen Sanfbeamten Herniedergeftrimt wie jebt, aber
er war aud) Damals jdjon ein reicher Mann, reich burd)
Grbidyafi und Lotteriegewinn, ein vielumworbener junger
Mann, welder getroft bet den verwohnteften Crbinnen
hatte anflopjen finnen, — aber fein Herz war gröber
wie fein Verjtand und Zo0g ihn an den Palajten vovriiber,
gu ber jtillen, engen Vorjtadtitrafe, wo die arme Doftors-
witwe mit ihrem goldlodigen Tichterlein wohnte, wo
beide von friih bis fpat in raftfofem öyleib die Hande
riihrten, all jene jhimmernden Goldmujter in die Schleppen
ber Milliondrinnen gu ftiden,
Saines Sterley hatte die reigende Virginie gum erjten-
mal gefehen, als fie mit heifgerdteten Wangen und glüd-
İtraffenben 9fugen ihren erjten Sparpfennig auf die Bank
gebradjt hatte. Da faditen ihn die blauen Kinderaugen
burd) das Hohe Cijengitter an wie ein Etüd Himmel,
welder ftumm verfiderte: er wohut die Seligfeit. —
Hier finbeft Du eS wieder, Das verlorene Paradies!” —
Und der junge Mann empjand eine heipe Sehnfucht
a. a
nach biclem Paradiefesgliicf wahrer Liebe. — Unerflar-
fiche Gewalten gogen ifn nach dicjem blauen Himmel, —
et juchte und er fand ifn. Und bas gleifende Gold verlor
feinen Schein neben dem blauen Glang dicjer Madchen-
augen.
Das Unglaublide gefdah, — James Franflin Sterley
Heiratete bic arme Etiderin aus der Vorftadtgaffe! Sie
brad)te ihm fein Geld und Gut ins Haus und madite
ihn doch reicher wie einen Konig!
Sea getren bis in ben Tod!” ffangen und fangen
Die Gtimmen de3 Rirchenchors, wie feliger Gubel von
Engelgungen, als er thr ben Ring an den Finger ftecte! —
Sa, fie ijt ifm treu gewejen, bis in den Tod, — fie
hat ihren Cid ber Treue gehalten — — und er? — Cin
İd)nerer, ticfer Atemgug Hebt die Bruft des Banfiers, —
er fieht gu ifr auj, jcine Lippen regen fid), Qetic, faum
börbar, flüftert er. —
ws liebe bid), Virginie! id) licbe bid) auch bis in
Den Tod! — Nichts joll zwifden unjere Herzen treten,
auch nicht bas Bild jener Wudern, um deren Hand ich
joeben geworben, auf deren Antwort ic) hier warte, ruhig
und tüff bis in mein erjtorbenes Herz Hinein. Das Tegte
id) mit bir zu Grabe. — Warum id) bir jene andere,
vornehme Frau zur 3tadifolgerin geben will ? — Verzeih
mir, Virginie, id) Din ein CEpefulant geworden, — id)
treibe nicht mehr allein Handel mit dem Mammon, —
İd) treibe jogar Wucher mit Menjfdenherzen. — Meine
gweite Che ijt ein Gejhajt, — eine Anleihe, weldje Binjen
tragen foll, — fiir unjer Sind, fiir Kaus! — Deinen
Sohn, beffen öyürforge du mir itbertrugft. Wn ihn — an
fein Kapital — an jein Vermigen dente id) bet bicler
Che. — Sch habe mich bet dem Bau der neueften Bahnen
gu ftarf engagiert, e3 gilt Cinflug in mafgebenden Kreijen
gu gewinnen, um das Biel, weldjes grweifclhaft geworden,
Dennoch gu erreidjen. CExcelleng Torisdorif ift die Perjin-
lichfeit, meldye id) gebranud)e. Gic, die friihere Hofdame,
fteht in beften und intimiten Begiehungen zu dem Konigs-
haus, — fie ijt befreundet mit all den maggebenden
Perfinlidhfeiten, Durch welche ich jo viel fir mein Unter-
nehmen erreidjen möd)tel — Gie ijt eine Frau, welde
mein Haus ahnungslos förbern wird, nicht gu flug und
nicht gu bejchranft, eine natiirlicje Diplomatin, taftvoll,
fidyer und vertraut mit ben Clementen, auf deren Kraft
id) şüblen mug. — Sift du noch eiferlitditiq, Virginie? —
Mein! gewif wicht! Meine Che ijt ein miditiqer, not-
wendiger Sdhachzug, burd) weldhen meine Partie und
mein Gewinn gefidert wird. Sd) vergeffe bid) nicht, um
ber Frembden ywillen, und id) habe fein fafidyes Spicl ge-
trieben! Sch Habe nicht aus Liebe um eine Geliebte
geworben, fondern habe Cxcelleng Torisdorff gebeten, bic
Herrin meines Haujes zu werden, — als Lohn foll fie
haben was mein ift, — und das ijt mein Geld und
Gut, meine Liebe nicht, denn die ift und bleibt ja dein
in Cwigfeit, meine Virginie!” —
Das Bild lacdhelt auf ihn nieder, — fein Schatten
Hujdht dariiber hin, jugendlich, in fiegesberwupter Gdyöne
——— —
triumphiert bie Tote üDer die Lebende. Und die Ubr
ticft und tidt, und Der Banfier traumt weiter, von dem
gliicliden Cinft und dem gleidhgiiltiq freudlofen Best,
weldeS nur nod) ein Siüterefle für: ifn hat, — fein Gee
fchaft, welches nur noch einen Reig auf ihn ausitbt, das
geijtreiche, fede Gfüdsipiel mit feinen wedhjelnden Ziigen!
Matt feben faun ihu wohl fener, aber fdaden und
niigen, einbringen und verlieren İaffen, dDarum hanbdelt
e8 fid), und Mifter Sterley ift viel gu fehr Kaufmann
und 9fmerifaner, um nicht viel eingufepen, wo fid) viel
gewinnen apt. Gcine Gedanfen umfreijen wie im İeifen
Gejprad die peritorbene Gattin, und der Banfier glaubt
ehrlid), gang ebrlid) gu ir gu fein, eines aber vergift
ber unverdindert Gebliebene bennod) gu beichten, die ihm
faft unberwufte Wandlung feines Charafters, welche aus
einem ehedem gegen alle Yuferlidjfeiten gleichgitltigen,
felbftberwuften Wmerifaner, cinen ehrgeigigen, eitefn Rom-
mergzienrat gemacht hat, — einen Mann, weldjen benfidyer
Kaftengeift und europdijde LTiteljucht in wenig Sabhren
unheilbar angefrinfelt haben. Dames Frantlin Sterley
Tügt nicht, wenn er dem Bilduis jeines erften Weibes ber,
fidyeri, Dag er nur aus Gejchaftsinterefjen und ohne Liebe
um bie Witwe des Generals, die ehemalige Hojdame,
wirbt, aber er verjcjweigt, ba aud) bie Gitelfeit eine
ftarfe Triebfeder gewefen, welche ihm den WAntrag an ihre
Excellen, in die Feder diftiert hat. — Und bic Citelfeit
ijt e3 auch, weldje ihn endlic) von feinen Gedanfen Lo3-
reift, beforgt nad) ber Uhr gu fehen. —
aSftiirme I
N.v. EfHftruth, IW. Rom. w. Nov., Şrübfün
In friiher Morgenftunde Hat er feinen Bricf an Ynes
von Lorisdorff abgejandt, jebt finft bie Sonne bereits
Hinter die Dunfeln Wipfel des Parkes, und nod) immer
ift feine Antwort eingetroffen. İlberlegt 68 die arme
Witwe jo lange, ob fie bie Gemaflin des mehrfaden
Millionars werden follP Wiegt das fleine Wartchen,
Das AdelSpradifat, jdrocrer wie feine Cüde voll Gold? —
O, bicfer beutidie Hodhmut! Dicje eingewurzelten Vor-
urteile! Dtefer gabe, ftarre und doch fo imponiercnde
Adel3ftolz! —
Der junge Torisdorff lehute e3 ab, Klaus nach Tegern-
jee gu begleiten, war e8 bielleidit ber Schatten, weldjen
grofe Greiqnille vorauswarjen? Cine fiebernde Ungeduld
bemadtigte fid) allmahlich de jonft fo fiihlen, İtet3 gelaffe-
nen Mannes. Das Pflanglein Citelfeit fchlagt feine Wurgeln
tiefer und tiefer, e3 tragt Dornen, welche Wunden reifen. —
Noch nie guvor ijt dem Amerifaner der Gedanfe
gcfommen, Dag der Titel Rommerzienrat allen noch nicht
geniige, ifm eine Stellung in der deutfden Refideng gu
{Gaffen, jebt in ben Stunden be Harren3, 568 Hangen
und Bangens, deudt e8 ihm ein unbegreijlider Mangel,
bafb Dem Namen Sterley das Wappenjdhild jehlt. — Cr
empfindet Das Bogern ber Generalin wie ein Bettler,
welder mit gegogenem Hut ftehen bleibt, bis fie in ihrer
BVorje eit Wlmojen gefucht. —
Sie wiirde fich mehr beeilen, wenn der Freier jeine
Hand und feine Reidhtiimer auf einem Wappenjdhild an
bieten. finnte.
UR ə
Na, e8 feflt ihm! — 68 üt das eingige ber Gfüda-
qitter, Yoeld)e6 Gortuna ihm nod nidit in den Shop
georjen.
Sit e3 unerreichbar? — GewifR nicht. Das fin de
siecle ift mehr denn je das Zeitalter, in meldyem Ritter-
{porn neu ausgejat wird. Die jungen Pflanzen ftehen
infolgedefjen nicht hoch) im Preije bei den Kennern, —
aber fie wachfen doc) in Dem Garten, zu welchem anderes
Wegefraut fetnen Zutritt hat. —
Mit unruhigen Schritten geht der Banfier im Zimmer
auf und nieder, er menbet fich İdifteblid) zur Thiir und
tritt im Nebengimmer an das Fenjter, welches den Blick
ani die Strage gewahrt. Wird die ehemalige Hofdame
feine Gemabhlin, fo bleibt wohl der Blab über dem Portal,
wo ein grohe8, jteingehaueneS Wappen fo trefflid) jeinen
Pag fande, nicht lange mehr leer.
Und James Franflin Sterley, welder ben WAntrag an
bie Excelleng mit fo füblem Blut niedergefchrieben, jteht
plöbfid) mit fiebernden Bulfen und wartet auf die Wnt-
wort, fo ungeduldig und beforgt, als hinge von der Huld
und Gnade der armen Offigierswitwe feine Dajeins-
berechtigung ab. —
Und dann şüdt er leicht zujammen und firetiit fang:
fam über bie Stirn, wie ein Mann, welder aus wirren
Traiumen erwadt.
Wohin füfren ihn feine Gedanten!!
Will er fid) denn Hier in Deutjdhland naturalifieren
lajjen? (Gr, der eingefleijchte Wmerifaner, welder faum
5*
a səh
cinen vidtiqen und flaren Begriff von dem Adel hat,
er, ber freie, jelbjtbewufte Selfmademan, welcher jeit
jeher zu (tol) war, um anderen etwas 3u danfen? —
Yürber Gott nur ich! — Was ich werd’ und bin, bin id)
aus eigener Rraft Durd) bes AMmadhtigen Gnade! — Eo
hat er noc) vor wenig Monaten mit dem frohen Sieges-
berwuptfein ber Unabhangigfeit triumphicrt, als er wider-
willig ber Titel eines Kommergienrates angenommen, mit
Dem fejten Vorjag, niemalS Gebrauch von diejer Danfes-
quittung gu machen, weldje man ihm aus Crfcuntlichfeit
fiir ein von ihm erbaute3, botierte und der Stadt ge-
İdyenftes Blindenajyl ausgeftellt hatte!
Und mm? — Cr hat unter jeinen Heiratsantrag —
nicht ohne ein Gefiihl von Genugthuung — den Titel
Kommerzienrat gejcrieben, er hat Dem Kammerdiencr be-
fohlen, den fünglt verliehenen Orden an dem Frack zu
befeftiqen — den Orden, weldhen er mit tronijdem Ladeln
in feinen Ediretbtild) gejdloffen und jchier vergeffen hatte.
— Und febt fteht er in fieberhafter Spannung und wablt
fdon einen Blab für das Wappen üDber der Hausthiir
aus. Wie ift jolch cine Wandlung möqlid) gewefen, wie
ijt fie qefommen? —
Der Sanfier feufgt tief auf, weil er cin Sflave feiner
eigenen Werfe geiworden ift. Cr, ber freie Mann, em-
pfindet eine Lajt auf feinem Maden, welde ihn tyrannifd
beugt, welche ihn der Notwendigkeit gefiige madjt und
jede3 Mitel, weldes gum Biele fitri, als recht und gut
erad)ten lapt.
Der Reichtum, welchen er mit eigenen Handen gız
jammengetragen, wadft an gu einem Riefen, welder nun
Den eigenen Herrm am Gangelband leitet, wohin e3 ihm
juft beliebt.
Der Bantier fteht gu tief in dem breiten Goldjtrom,
welder ifm Haltlos mit fid) fortreibt.
Cr hat fid) bei neuen Unternehmungen allzufehr enga-
giert, er ift viel gu jehr Gejchajtsmann, um grofe Verz
lufte gleichgitltig gu ertragen, er bemiiht fid), ifnen borşu:
beugen. (Gr ift ein Epicler geworden, welcher feinen
Edyadışıış jcheut, um zu gewinnen. Und feine gyweite Che,
fein Titel — fein Orden — jeine hodjfliegenden Gedanten
— fie alle find Schachgiige, um auf dDiplomatifdem Weg gu
erreicjen, was auf Der geraden Strafe nicht mehr eingelolt
werden fant. —
Der Breck Heiligt die Mitte.
Sames Franflin Sterley guckt gleichmiitig die Wehfel,
fein geradliniges Geficht wird jteinern wie zuvor, - - ber
jejuitijhe Grundjak lullt die Sfrupel ein, welche ihm plöt:
lich fommen wollten. Gr wirft fid) in einen Ceffel, ent-
giindDet eine Cigarette und greift nad) ber Borjengettung.
Die Beit vergeht, violette Schatten fallen bird) das
Senter und ein matter Lujtzug welt Durch die gebjfnete
Balfouthiir, den febten Gri? der jdjeidenden Conne
Hereingutragen.
Cin İcile8, refpeftvolles Rfopjen.
Der Banfier Hebt jah bas Haupt.
»Well !
əə IR:
Gün Diener im fchwargen Frac und meifer Wefte fteht
auf ber Schwelle.
/Sin Brief von Shrer Excelleng Freijrau von Toris-
Dorf.” Noch einmal ein: ,,Well!“ — e8 flingt etwa3
Hheijer, aber ber Amerifaner bleibt requngslos im Ceffel
liegen, nur icine grauen, birdibringeniben Yugen richten
fi) nad) der Thiir, in meldier auf einen Wink des
Kammerdieners ein Safat erjcheint.
Er tragt ein fifbernes Tablett, aut weldhem ein Brief
liegt.
Bill nimmt e3 ihm ab und itberreicht e3 feinem (ez
bieter. —
Abermals ein furzes: ,,Well — thank jou!“ —
Die Uberbringer find entlajjen.
Sterley wartet, bis fid) die Thiir Hinter ihnen ge-
jhlofjen, Dann nimmt er bas Edirciben und ftarrt einen
Augeublic darauf mieder, ohne e3 şit Hffnen.
Das Papier ijt leicht und fdjlicht, aber e3 tragt eine
fiebenperlige Goldfrone an? dem Umjdhlag.
Wunderlich, jchon von ihm geht das gewiffe feterlid)
vornehme Etwas aus, wodurch dem inerifaner vom erften
Yürgenblid an die deutfde Baronin fo gewaltig imponicrte.
Er war doc) jo ruhiq geworden, mun jdjlagt ihm
Das Herz wieder Heftiq in der Brut.
Mit leicht bebenden Fingern, wie mit einem gewalt-
famen Entjdhlug, reiğt er Das Couvert anuj. Mur wenige
Beilen; — voll atemlofer Hajt überilieqt er fie, und Dann
fteigt eine feine Rote in Wangen und Stirn, — feine
a, ae
Augen bligen auf wie bei einem Wettreiter, weldher unter
wehenden Fahnen das Biel gewonnen! Cr fpringt ani,
— wirft füdyefnb den Şopf guriice und atmet tief —
tiey — auf.
Sein Sid ftreijt ben Spiegel und muftert mit einem
Ausdruct jtolger Citelfeit fein Bild. —
/ Bas Dift du für ein Mann!” — liegt darin; ,,anch
ohne Adelsfrone bift bu ihr begelhrenswert — ihr —
einer Excelleng, deren erflujive Gefinnung ftadtbefannt üt.
Selfmademan bijt bu, auch biefe8 Mal!” Und dann
İdyrettet er gerade aufgerichtet, efaftifdyer noch wie fonit,
gu der eleftrijden Schelle.
vəd) winjde auszufahren, Bill! — Buvor werde id)
müd) anfletden, — full dress. — Stehen die Blumen bereit 2”
, 63 ift alles bereit, Herr Kommerzienrat.”
Bum erjtenmal nennt der Rammerdiener — trot be8
Verbotes — jeinen Herrn mit dem Titel, und er befommt
feine Riige, — WMijter Sterley iiberhirte e3 wohl. —
Mach faum einer Wiertelftunde faujte der elegante
Viererzgug davon. Ju Mifter Sterley3 Handen fliegen dic
{ehinjten Rojen, welche je einer Braut zu yüben gelegt
wurden. Der ehd) wahrt nicht allgulang, — der
Amerifaner liebt und wabhrt die etwas fteife Form cbenjo
jehr, wie Shre Exceellenz. —
(5 ijt eine eigenartige Verlobung, ohne Bllufionen,
ohne LiebeS}chwiire, — ohne Bartlidjfeiten. Cie gleicht
mehr einem fonventionellen Wbjdhlup, einem Patt, welder
in böflid) formeflem RKonverjationston abgejchloffen wird. —
ae) x
Mifter Sterley bittet auch erft um die Erlaubnis,
jeiner Berlobten naher befannt werden gu bitrfen, und
jehlagt vor, died durch einen gemeinfamen Wufenthalt in
Ojtende gu ermiglicen.
Er werde alles Néitige anordDnen und fiir Crcelleng
und Jofef Quartier in einer der behaglicen Billen bez
forgen, bieyceil er felber im Hotel abfteigen werde. Mit
gütiger Crlaubnis werde er auch Klaus wahrend ber
lebten viergehn Tage der Ferien nad) dort beordern. —
Excellen; Torisdorff reicht ifm danfend die fchmale
Hand und der 9fmerifaner driict fie jo ehrerbietig an
Die Lippen, wie ein BVafall feiner Kinigin huldigt. —
Sofef Hingegen İdifiebt er voll Hherglider Warme an die
Brut und Halt den Blick des jungen Mannes, welder
wie im brennender Frage bis in jein tiefjtes Herz gu
Dringen jcheint, jeft und fadyefnb aus.
An dem Strand der See — im tagliden Verfehr und
Sehen, follen fid) bie Herzen finden, und gewinnt Creellenz
die Ubergeugung, bağ ihre Verbindung mit Mijter Sterley
en Glüd fiir fie alle werden fan, fo foll nach der
Niicffehr die Verlobung verdffentlidt und baldmiglidft
Die Hochzeit gefetert werden.
Cin mübe$ Lachelu şidt um die Lippen ber Generalin,
e8 fieht beinahe aus, al wolle fie voll herber Refiqnation
jeufgen: ,,.Wo3u noc) diefe Kombdie, dieje Galgenfrijt? —
Warum wir uns Heiraten wollen — und bab wir e3
thun werden, ywiffen wir ja beide! Şit fitr foldye 3000:
tive cin Kennenlernen notwendig ? —
ee
Qend) empfand fie die Feinfiihligkcit diejes Manned,
welder feiner Werbung ber $hiğerfid)feit nad) wenigitens
Den gefdhaftliden Wnftrich nelymen wollte, jehr angenefhm
und jehr banfbar.
Cin taglicher Verfehr in dem fremben, leidjtlebigen
Seebad fchlug wohl die befte Britce von der Vergangen-
Heit şür Zufunjt und lief ben Wechfel ihrer gegenjeitigen
Besichungen nicht allgu fchrojf empfinden.
So war der erfte Cindrud, melden Mifter Sterley
Hinterlich, ein giinjtigerer und fympathifderer, als Frau
von Torisdorjf weder fich nod) ihrem Sohn eingeftand,
und Sofef forld)te vergeblic) in ben unbewegliden Ziigen
Der Mutter nach einem WAngeichen, weldjes für bie Perjin-
lichfeit 568 Banfiers vorteilhaft gedeutet werden fonnte.
Excelleng Torisdorjf jchien fid) ohne Thranen, aber
aud) ohne Laichelu in ihr Echicjal gu finden, und ihr
Sohn prebte jdhwer atmend das Antlig auf die gefalteten
Hinde und dadjte: ,,die Beit wird ihr helfen, — fie wird
Die iippigen Bliiten de3 Reichtums leichter und Lieber
pifüden lernen, al8 fie ahnt, und dag fiinjtige Leben, in
all jeinem jorglojen Behagen wird ifr eine unentbehrlicde
Gewohnheit werden, welche doch nod) alle Opfer, meldie
ihm jeht qebrad)t werden, aufwiegt. Die Hauptjache üt
ja İd)on jest für mich erreicht! Die geliebte Kranfe wird
ün Der frild)en Seelujt gefraftigt und gefunden, und diejes
Bewuptyein ftillt die Gewifjensbijje, gegen meine beffere
Uberzeugung, gegen all meine Unfichten und Grundfiige
gehandelt şı: haben!”
Sa —, Sofef von Torisdorjf hatte unter dem Druck
Der Not und der Verhaltnifje gehandelt, wie er e3 unter
normaten Umftanden nie gethan haben wiirde. Er hatte
fid) ohne Schuld gum Sgpüften gemacht, er hatte der
Mutter eine ffeine KRomidie vorgejpielt, weldje ihm mit
jedDem Gedanten fern lag! Cr hatte fid) eines unerlaubten
MittelS bedient, fie in die unjympathijde Che mit dem
Bankier Hinein gu gwingen! —
Nun Heiratete fie den reichen Mann lediglid) ans
Plichtgefiihl, aus Liebe und Sorge um ihr Kind! —
Un de3 Sohnes Leben giinjtig zu geftalten, opferte fie
fid) felbit, um fiir ihn gu gewinnen, gab fie fid) felber
Hin, fich und alles, was ihrem Herzen teuer war! —
Und war dies thatjachlich eine Notwendigfeit ? O, nimmer-
mehr! Şofef fiuhlte Kraft und Cnergie in fid), jeinen Weg
auc) ohne Die Goldquellen jenes Wmerifaners zu machen!
Er ware ohne Bögeri Offizier geworden und jeine Ge-
fundheit hatte fid) entweder in Arbeit und Dienft gejtablt,
pber er hittte das Los fo vieler unbemittelter Standes-
genojjen geteilt, er ware als Opfer jeines Berujs ehren-
poll şir: Grunde gegangen.
Dann hatte er al8 pflidytgetrener Gofn feiner Vater
ba8 ftille Rammerlein unter Dem Rajen begogen, gugedectt
mit Sdhwert und Schild, Dem reinen, flectenlojen, welches er
wahrend feiner furgen Pilgerfahrt müt der Kraft ber eigenen
Hinde hodjgehalten, — jo lang, bis dieje Kraft erlahmt war,
bis er Das Lehen feines Kinig3, welches ihm gu jdwerer
Sait geworden, bredjenden Anges guriie eritattet hatte. —
a eo
Und auch diefes fırşe Leben ware fin gewejen, fin
und jonder Neue. — Das webhmiitige Edidiaf eines
Mannes, an deffen Wiege nur ein prophetifdher Cegens-
ümid) erflungen: Noblesse oblige! — Beinahe bendit
e3 iln, al habe bas Schictjal, welded er fid) jest
jelber befchworen, weit weniger Reig für ihn. C8 wird
ifm şeitfebens Bleigewichte an die Fliigel hangen und
ihre Flugfraft mehr noch lahmen wie die Anftrengungen
068 Miilitardienftes. Cr wird jtets das Gefiih! der Ver=
pflicjtung mit fic) Herumtragen, und das Ddemiitigende
Bewuftjein, bab: er, der Edelmann, die Almojen eines
oremben augenommen, unt beftehen gu tonnen. —
Diejer Gedanfe treibt ifm bie Edyamröte in die
blaffen Wangen und er furcht trokig Die Junge Ctirn,
Hinter meldyer jolch unnatiirlich gereifte Gedanfen freuzen.
Er erwagt jede Miglichfeit, bicfe Geld von jeinem Ctiej=
vater nicht alS Gefchenf, jondern nur alg Darlehn erz
adjten gu finnen, weldjes er ihm jpdter mit Binjen wieder
guritcgahlt! —
Er will nicjts von dem reichen Mann! Cr perfönlid)
bedary jeines Geldes nicht! Nur der Mutter joll er als
Helfer und Retter fommen, joll ihr geliebtes, teures
Leben Hiiten und erhalten, denn der eingige, welder ein
Redht başı hatte, ihr Cohn, ijt ein jcjwacher, ohnmadtiger
Knabe, welder nidjts andere3 hat, al8 jein griiblerijdjes
Gümen und fein Gebet! —
Und wahrend Jnes das thraneniiberflutete WAntlig
nadjtS in bie Riffen barg und der eingige Xrojt, an
welchen fie fid) ffanınerte, ber Gedanfe war, ihrem Kind
und jeiner Bufunft ein L[ohnendes Öpfer zu bringen, —
wihrend fie in diejer Heiligen Wufgabe, in diefer eblen
Selbftverleuguung die Kraft fand, fid) gu iiberwinden, —
brad)te ifr Cohn ihr noch ein bet weitem griperes Opfer !
— Gr rang in dem Kampf itbertricben hoher Sugeudidcale
gegen ben: Realismus cines bitteren ,, Mug’, er war ein
Kind voll frithreifer Gedanfen, welchem jedoch die Sr-
fafrung und das flare Urteil Ded Mannes fehlten, er
jtand nod) mit beiden öyüben fejt in der Vergangenheit
und Den Pringipien, welche man ihm in derjelben aner-
aögen hatte, und nun riittelte er felbft mit eigenen Handen
baran, nun vib er Das Gewejenc nieder, ohne nod) eine
Bujlucht bei dem Kommenden gu finden. Diefe Stunden
bittercn Mingens gingen nidit fpurlos an ifm voviiber,
fie Hinterlichen ihre Marben, und wenn auch das milde
Schicfal fid) erbarmte und feine junge Seele von der
polter erlölte, indem e3 burd) die Reije nach Ojtende
neue Ginörüde und Zerjtreuung bot, fo verfapjelten fid)
jene wirren Gdeen Dennoch tief im jeinem Herzen, cincs
Hrublingsjturmes Harrend, welder fie gu nenem Lcben
aus ber Viefe emporwithlen wird. —
Buerft glattete fid) die bewegte Flut. — Der Reig
Der Neuhcit übte auf fein Şinbesgemüt dic unjehlbare
Wirking aus, — ein gliicjeliges Wujatmen folgte nad)
ber [angen Pein! —
Mit ftrahlenden Augen fah er, wie das feibernbe WAntlig
Der Mutter fic) unter den Miiffen frifdyer: Meceresbrife
x a ss
rofiger und febfafter farbte, wie fie voll ftummen, aber
bod) merflicjen Behagens all die Segnungen des Reid)-
tums genof, weldje ihr Mifter Sterley eben jo gartjiihlend
wie warmberzig unterthan mad)te. —
Dazu fam, da Sofef den fiinjtigen Gtiefpater von
Tag gu Tag mehr (düşen lernte. Boll tiejer Dantbarfeit
empfand er feine Bemiihungen, das Leben der Mutter
İp angenefm und begliicend wie möglid) şır gejtalten,
und feine garten Wujmerffamfeiten madhten jeltjamerweije
auf den Sohn noc) mehr Cindruct alB wie auj diejenige,
welcher jie galten. —
Das aber, was feine imfidytbaren Bande am fefteften
und ypirffamiten wob, war die aufrichtige, heralide
reundfdaft und das fon jest vollfommene briiderliche
Cinvernehmen, welche gwijden den beiden Knaben
herrid)ic.
So verjchicdenartig wie Şofef und Mlaus auch beanlaqt
waren, jo harmonijc) geftaltete fid) ihr Berfehr, ja es
jehier, af3 ob die Charaftereigenjdaften des einen bic
568 andern ergdngten. Şofef ernjt, griiblerijch, tief religiss
und beinahe etwas pedantijd, fand fiir feine friihreifen
und jcwermiitigen UAnfichten ein wohlthuendes Gegen-
gevid)it in Dem forglos heitern, mit ftrahlenden Augen
in bie Welt Hineinladenden Klaus! Der junge Sterley
war das herzgewinnende MAbbild der verftorbenen Mutter.
Lebensluft und ein ehrliches, braves Kinderherz fpiegelten
fid) auf dem Hiibjchen, rotwangigen Gefidt, weldjes nie
allgu ticfe oder philojophijde Gedanken Hinter der Stirn
Hegen wird. Klaus war oberiladifid) und geiftiq nidit
jehr begabt, aber er war bermd) nicht ohne Talente,
und die Gefchiclihfeit ber Mutter prügte fid) bet ifm in
aujfallend qraşiöler Leichtigfeit aus, mit welder er Stitt
und Pinjel fihrte. —
Das Malen war feine Lieblingsbefchajtiqung, und
ba der Cohn bes Mtilliondrs gar feine Beqabung fiir
Die faufmdnnifhe Karriere, fowie feinerlet Gnterefje fiir
Die VBirfe und ihren Dunijtfreis zeigte, wohl aber die
preiheit hatte, fid) einen Beruf nach etgenem Wunfdh gu
wabhlen, war e8 fdjon jest gwifden Vater und Sohn
ausgemadte Sache, bab Klaus nach abjolviertem Wbi-
turienteneramen die Malerafademie beşicfen jollte.
İ
IV,
er Sturm, der müfte Gefelle war daher gefauft
und hatte müt feinen jchweren Fittichen Das Meer
gepeiticdht, baf e3 wild aujbaumte vor Zorn und
Schmerz und bergeblid) die weifen Gijchtarme hod) em-
por warf, den Storer feiner Muhe gu paden und herab
gu reife in moDdernde Tiefen. Bergeblid) war fein
Bemiihen.
Der Sturmywind ballte noch einmal die diiftern Wetter-
wolfen gujammen und mari fie über bie Eee, fein (ez
lachter fchrillte noc) einmal hell auf, er wandte fid) und
jagte weiter iiber bas Feftland, aud) dort ein itbermiitiqes
Spiel gu treiben und feine Krafte an Hocjgewad)jenen
Gegnern zu meffen.
Das Meer aber hatte fid) mübe gefimpft, die weidje
Wolfendecke breitete fid) über ihm aus und verhiillte die
Sonne, — da ward e8 miide, ftredte fid) weit aus und
jehliet ein. Gelbjt feine jonjt fo frauje Stirn jchmiegte
fid) glatt und friedlid) an den gelben Diinenfand, und
nur Dann und wann ging e3 noch einmal wie ein feuf-
geudes Aujatmen, İcile wogend iiber bic fpicgelude Flut.
N.v. Ef hftruth, IL. Nom. u. Nov., Frithlingsftiirme 1. 6
ə, OE ə
Cinfam und menfchenleer lag ber Strand.
Die trübe Negenftimmung Hielt die lebensfrohen Kurz
gülte in ben Hotels und Salen 568 RKurhaujes guriicf,
wo Mufi— und Heiteres Getriebe iiber jede Unbill des
Wetters Hhinwegtaujdte.
wofef Datte bergeblid) an ber Bimmerthitr feines Freun-
568 Klaus angeflopjt.
Der Salon jtand leer und verlaffen, und der junge
Torisdoff vermutete wohl nicht mit Unredt, baf fein
fiinftiger Gttefbruder, ber ftet3 Heiter beanlagte und bie
Gejelligfeit liebende, ben Rongertjaal aujgejucht habe.
Şofef fhagte die Mtujif, aber nicht in biclem fchil-
lernden Rahmen üppiger Leichtlebigkeit, welde auf ihn,
ben İp fchweriiitigen, {treng dDenfenden Moraliften gerade-
gu abjtofend wirfte, feit er beobadhtet hatte, baf bie
meiften Diejer Holdduftenden Menfdenblumen giftiges Un-
fraut waren, elde die Saat de3 Lafters in Diejem
Paradies ausftreuten. So brüdte er den weidhen Filghut
fefter in bie Stirn und wandte fid) şur Thiir, ben Strand
gu erreidjen.
Cin paar fehr laut lachende und fderzende Damen
und Herren famen ihm entgegen, Frangojen, welche durch
ihr ganze8, fehr lautes Wefen jdjon anjeigten, baf fie
nicht ben beften (Gefeflid) attsfreifen angehirten.
Namentlid) die Damen fielen burd) ire ertravaganten
Loiletten und ifr freies Benehmen dem deutjcdhen Auge
unangenehim ani.
Sut, alS Şofef an ihnen voriiber jchritt, fal er, dag
ee
bie Armfpange einer ber Damen Hernicder glitt und laut-
{08 auf den weichen Teppich auffdlug. Bhre Befigerin
bemerfte den Berlujt nicht, und fo eilte er Hoflich Herzu,
hob das Edymiditüd ani und überreid)te e$ mit ftummer
Verneigunug der Dame.
Laute Rufe ber Uberrajchung, 5e8 Danfes, im WAugen-
blice war Şoflef umvringt und mit lebhajten Fragen über
Das , wie? und wobher?” des Hundes bejtiirmt. Cr ant-
wortete Turş und ffl, aber gerade fein fo referviertes
Wejen mödite die Gefellfchaft, welche gut diniert gu haben
jchien, reizen. ı
,oalten fie an, mein junger Freund! Die fdyöne
oand)ette mug erft Bringerlohn bezahlen!” rief einer ber
Herren, Şofef3 9frm fajjend: Eh bien, ma jolie avari-
cieuse — was şaflen fie dem ehrliden Bringer?”
Die fleine Frangofin neigte das gejdminfte Gejicht
fofett gu Sojef Hiniiber und bligte ihn mit ben fchwarzen
Augen Herausjordernd an. ,,Cr ift hiibjch, mein junger
Glaubiger!” lachte fie, ,,und ba er noch feinen Schnurr-
bart Hat, jo bari man ihm wohl noc) [ohnen, wie es
ifm am meijten nad) Gefchmact jein diirfte — mit bai-
sers!“ — Und fie hob die Hande, Sofefs Kopf ungeniert
Hherab gu giehen und ibn gu fitfjen.
Mit flammendem Blick mid) der junge Torisdorif
guriicé, brennende Rite der Sham und CEntriiftung ftieg
in fein bleidje3 Gefidif.
Stolz und verddhtlich warf er das Haupt in den
Maden. ,,Solche Meiinge fenne ich nicht!” jprach er
6*
a) ae
falt, wandte fid) hirş um und fdiritt Davon. Schallendes
Geldchter tinte ifm nach und gellte ihm in den Oren.
Mit zornigem Griff fafte er die Khir und trat in das Freie.
Die CEmpirung fchniirte ihm die Kehle gujammen.
Gr atmete auf, al ein Windjtoh bağer fuhr und jeinen
Mantel fchiittelte, — e3 bendite ihm, dieje reine Gottes-
{uft blafe den Pefthauch davon, welder ihn mit feinem
widerliden Parfiim leichtfertiger Dirnen noch immer um-
{chwebte. Mit grofen Schritten gewann er den einfamen
Strand, immer weiter tricb e3 ihn, alS Töme er gar
nicht genug Luft und Raum gwifdhen fid) und die Parifer
Modedainen legen. Endlich bfteb er ftehen, atmete hoch
auf und ftarrte auf da8 blaugraue Nicer — ben Diifter
Drohenden Himmel hinaus.
Dieje Farben, die Stimmung in der Natur paften
gu feiner eigenen Gemiitsjtimmung, ihr Anblicé that
ifm mobil,
Mechanijch jebte er fid) auf eimen der nabheliegenden
Steinbloce nieder und ftü$te Die Hande au? ben Shirm, —
Das Haupt leidjt vorniiber gencigt, fag er einen Yugen-
büd, Dann 30g er ben Hut von dem Kopf, daw der
Wind fihlend um die Stirn jtreihen und das Lodige
Haar zaujen fonnte, ridjtete den finjtern Blic abermals
auf Die See und perlant in gritDelnbes Ginnen, meld)es
ebenfo wetterjdwitl und grau feinen Geift umşog, wie
Die Drohenden Wolfen den Himmel.
Die Begegnung mit den Frangifinnen hatte einen Brand
ber Empsrung in ihm entfadjt, weldjer nod) immer in
Hellen Flammen aufloderte. Sofef befand fid) ür: einem
Alter, wo ifm das Gwigweibliche jo wie jo İrem und
unveritdndlich und darwum Hich{t unjympathijch war. Er
jtand in den Şafren, wo fid) ber RKnabe ftolz vom
Madchen” reift, wo eS verdchtlich ijt, für das jchine
Gefchlecht mehr gu empfinden, wie falte Gleichgiiltigfeit,
wo e3 im Sitnglingsbujen noch groflt und fid) aujlelhut
gegen die Exijtenz bes Weibes, wo Hichftens die Mutter,
Die ,engel3qute, heilige’” das Jdeal verfirpert, weldhes
ber trobige Knabenfinn al Mittelding gwijden Himmel
und Erde duldet und verefrt.
Die Liebe zu der Mutter ijt ein Gtüd Religion, die
Mutter ijt ein fo vollfommencs Wejen, jo Hoch ber all
Den andern verachtlichen Bacfifchen und Madchen jtehend,
bab fie eS im Grunde genommen verdiente, ein Mann
gu fein! —
Und bicie Ubcrzeugung janttioniert fie in den Augen
DeS weiberfeindlichen Knaben.
Die Mutter ijt eben ein ganz bejondere3 Gefchipj für
fid), — hoch erhaben über jede Rritif, barımı fübt fid) die
Liebe gu ihr und der Hag gegen ihre Weitjchweftern jo
wounderlich in den jungen Braujefdpjen vereinigen.
Sie gu fiiffen ift Himmel3ujt, — aber ein Rupp jener
anderen — jfremden — [eichtfinnigen Berjon, der weht
mit feinem glithenden WAtem direft aus der Holle empor.
Sojef empfindet e$ inftinftiv, baf, der frivole Su: jener
Lebedame einen Wijthauc) über Das reine, ideale Bild
Wwirjt, welche trog allen Hafjes gegen das Cwigweibliche,
ə RE əə
bend) ic: cine Perle in feinem tiefften Junern ruft,
Der jeligen Zeit harrend, wo ein Blick der Liebe — cin
Sid aus fenidyen EngelZaugen in fein Herz hinab taudht,
Dieje KonigSperle gu heben.
Sebt rollen dejto dunflere Fluten über fie hinweg
und wiegen in ihrem SchogR den Weltjchmerg, welchen
jene fleine Gcene im Hotel geboren hat. —
Die perfebte Citelfeit, alg Baby behandelt gu cin,
İprid)t auch ein gewichtiges Wort dabei mit, und ver-
jcharft das Urteil iiber bie verderbte Welt, welche dem
jittenjtvengen, Deutjden Cefundaner in biefem WAugenblic
geradegu verleidet ijt!
3:68 Dajcins ganger Jammer” fabt ifn an und
jpiegelt fid) in ben finfteren Biigen, wobei jein bleidjes
Profil fid) jcharf gegen den diijteren Himmel abbebt.
Die gropen Wugen richten fid) wie in brennender,
porwurysvoller Frage nad) dem Horizont, — ob e3 den
immer nod) nicht rettenb an ifm aujbligen wird, einci
Schwefelregen über dies entaricte Codom gu fenden, inib
Die Lippen brellen fid) jo Herb gujammen, als müğten fic
gerwaltiam bie grofe, febniüditiqe Frage imterörüden:
,/ Bann fommyjt du, Herr, — den Weigen von der Epreu
gu fondern und gu fichten 2” —
Der Wind ftreicht Durch das Riedgras wie ein (cijes
qliiftern verjdhuender Wilde, und über die bimfle See
gieht eine Move mit meiğen Echwingen, wie die Taube
Des Friedens, welche auch auf Noahs bange Frage ein
Olblatt zur Antwort bradite.
Die Minuten verjtreichen, — die Flut fehwillt an
und ftrebt fefnjiichtig Dem Land entgegen — und Jojey
will fid) erheben und weiter wandern, ehe neue Regeu-
gülle ihn gewaltfam heimrwirts treiben.
Und al er fich wendet und nach dem Hut greifen
will, {hricét er jahlings gujammen.
Dicht Hinter whim ertönt eine Stimme.
yoalt! nicht rithren! bitte, Şofef, bleib noch jin}
Minuten fo figen, Dann bin ich fertiq 17
Klaus’? Stimme. —
üs Hochjte itberrajcht fehnellt Şofef Herum und fieht
nun erft jeitlich, — Halb verjtectt an ber Diine, welche
Uberwind gewahrt, feinen Freund, die Leinwand vor fid)
und den eleganten Walfaften feitwirts neben fid), eijrig
bemiiht, ein Stimmungsbild şır fiyteren,
,/rlaus, du hier? Du malft bet diefem Wetter?”
Mit weniger Schritten fteht er neben dem Genannten,
und ber junge Sterley nimmt haftig den Pinjel gwifchen
Die Lippen und ftredte Dem Stehenden fachend die Hand
entgegen.
/3as verjteht jich! Dit ja eine gropartige Farbung
heute! Co etwas von tiefvioletten und fanmetqratnıcır
Linen Habe ich noch nidit in der Luft gefehen! Weld)
eine Schattierung! Und bicfee oetteridimille Nuhe, bicic
trojtlofe, — fchier berşieifefte Stimmung in der Natur!
Liegt bie See nicht ba wie ein git Tode erld)öpfte8, im
glüdfidyes Weib, mefd)e8 mür: noc) dumpf ridhelt: id)
fann nicht mehr — ich jterbc!’ — Und fein Lichtblic
ee
am Himmel, fein Strahl — fein Stern! — Grau in
Grau wie erftorbene Hoffnung!” —
“Şofef blickte Den Spredjer betroffen an: ,,Wie poetifeh
Du das fagit! Was du alles aus diefem Regenwetter
heraus liejt, Klaus! Wabhrlich, du bift — du mupt ein
Ştümitfer jein, welder itberafl mehr fieht und empfindet
wie andere Menjchen! — Lag müd), bitte, dein Bild
jehen! — — —
Sterley welrte fajt jdhelmifch ab. ,,Moch nicht! Die
Hauptjache mup erjt noch mit ein paar Stricden voll
endet werden! Mein bbjfes Modell ijt mir eben burd)-
gebramıt, gerade im fchinfter Moment! Sei fo gut, Sofi,
und nimm nod) einmal Blak und mad) nod) einmal ge-
nau das weltjchmersliche Gejicht wie foeben, — du ahnit
gar nid)t, welchen Cffeft du damit gemadit Haft!” —
wtih? — mich Haft du gemalt?”
ea, dich! regelrechter FHunddiebftahl! Vein Geficht
fam wie gerujen; ic) jah, bab du e$ in finnenden Falter
aut jenen Steinen niederlegteft, hob 66 auf und ftedte 65
flug3 in meine Mappe! Da fieh nur her, ungliubiger
Thomas, und fage mir ein Kompliment über meinen (ez
İda. Gibt e3 eine grifere Harmonie, al3 gwijden
Dir und Ddiejem melandholijden Landjchaftsbild? — Da
famit Du nun fefen, weld) eine Sdylle der fchwermiitige
Traumer mit dem fturmgerwiihlter Haar und beni ffat-
ternden Mantel abgab! — Qu gefall{t dir? — Dag du
gufrieden bift, jehe id) bir an den Wugen anl” —
,$tlau ... jegt — ja jebt verjtehe id) deinen Vater,
——— | a
wenn er dich Miinftler werden (aft. — Sch Habe mid)
gwar mite viel tm Spiegel angejehen, aber ich habe die
Uberzeugung, bafi mir bicle Stizze, fo fliidjtig fie auch
nur Hingeworfen ift, gum Sprecjen ahnlich fieht! — Haft
Du dich Denn jdon Hfters im Portrat verjucht2” —
Der junge Maler jtippte den Pinjel von neuem ein,
müt ein paar genialen Ctricdjen die Mive gu fixiercn,
welde mit flagendem Schrei um die Steine flatterte.
"Ci gewif! Das Portratieren ift ja meine Haupt:
pajfion, und wenn ich mich mal an die Staffage mache, fo ge-
jchieht e8 ftet8 im der Heimliden Hoffnung, dap mir der
Bujall noch ein jchines Motiv Hineinliefert! Co wie
heute! — Qa, Glicel müb der junge Mann haben! Als
ic) Das Durfle Meer mit dem unhetmlich geritterfchweren
Himmel malte, da şerbrad) ich mir den Kopf, welch eine
wigur wohl am padenbiten und eigenartigiten in diefer
Umgebung wirfen mbchte! Die junge öğifdyerin mit dem
jorgenvoll ausfpafenden Sif und den wehenden Ricken
it jdjon gar 3u abgebraudt und regt fam nod) nene
Gedanfen an, — die ausfahrenden Schiffer — oder gar
ein Wract int Cande, find bereits Wllerweltscoulifjen ge-
worden. Da famit du bafer, du liebenswiirdiger Retter
it der Mot, — ein 3lüttdyen im Tagebuch de3 Zufalls,
und du warft İogar fo menjchenfreundlicd), dich mir als
Modell vis-A-vis gu fegen! Mun joll einer jagen, in fold)
einem Bild fet feine Etimminq 17 — Klaus flappte feelen=
vergiiigt gegen den Blendrahmen. — ,,Wlenfdhengedarfen,
wie gleidjt ihr dem Mecre! — Menjchenhofjuung, wie
sə dıb cə
afeidyft du dem Wind!” — das üt bic İlberidirift baz
gu. Oder wenn man deinen fehnfuchtsvoll brennenden
fid — welcher fo traumerijd) in die Ferne gerichtet ijt,
İyrild) deuten will, jo heift er: ,O du Entrijjene, mir
und meinem Herzen!’ — Und wer in dir den Titanen
und fiinftigen Himmelftiirmer erfennen will, ber alt bic
wetterjchwangeren, grofen Gedanfen der Zufunjt, welche
inter ber Dditjtern Stirn in Ddiefer büftern Stunde geboren
werden! — Du (adt? — unterfteh bid), und werde
mofant! Sd) habe gerade ben Pinjel voll Kremjer Wei,
— und bit İtefft mir verlodend nahe!! —”
Mun Lfachten beide, und Şofef feqte mit einem (9e-
fil Hherglider Berwunderung und Anerfermung den Arm
um die Schulter de3 fiinftigen Bruders.
/ mein, bet Gott, Klaus, — ich giehe voll feierlichften
Erufjtes den Hut vor bir, und wenn mir etwas an deinen
Worten unglaublic) vorfam, jo war 63 deine Phantafie,
welche jold) Hhochflieqende Gedanfen an meine armfelige
Perjon fniipft. Schon das Bild, — die jchmeichelHafte
Wiedergabe meines Gefichts — madit mich eitel.” — — —
nv SHhmeidhelhafte 2” — Kans müff mit leichter Grimaffe
bağ eine Auge 3ujammen und blingelte fchalfhajt gu dem
Sprecher auj. ta — 68 ift nur gut, wenn bit bir felber
gejallft! Sd) finde namlich, id) Habe dich viel gu alt ge-
acichnet, — aber weift bi, nur mit ein paar Stridjen
— fo in ber Gile — da fann man fid) auf Fineffen
nicht einfaffen. Und du Haft cin fo martiertes Geficht,
— fiehjt jo wie jo viel alter aus, afa wie du bift, aber
ə, Gİ ee
ün? ben: Bild Halt man bid) fiir den Edinbertfdyen
Wanderer, welder jon die halbe Welt nad) ben Glüd
abgejucht hat!”
Der Sprecher warf den Pinjel und die Palette ün
Dent offerten Malfajten şürüd und legte pliglich die Hand
auf Die Echulter des Freunde3: ,,Sojef! ich glaube und
hoffe, das Glick wohnt Hier recht in unferer Mahe —
und wenn wir von Hier abreijen, haben wir e8 beide
getiren 1”
yltlanı — wie jo ich bid) berftef en ?7 —
Da warj fid) ber junge Sterley (eiben)d)aftlid) an bic
Bruft de3 Freundes: ,Sofef — merfft bit €6 denn nicht
— awifden deiner Mama . . und meinem Vater? —
O Fofi, wenn id) deine reişenb giitige, liebevolle Mutter
auch Die meine nennen finnte, wenn du mein Bruder
wiirdeft — ad) wie lange habe id) mir jon ein jolches
Glüd gemitnfcht!/
Wie ein Heifer Strom flutete e3 nad) Şofef3 Herzen.
Welch eine ehrlide, ungetiinjtelte, innige Freunde flang
aug biefen Worten, ftrahlte aus ben: treuhergzigen
Augen de3 Cprechers! Wie imetgemübiq war Klaus!
Wie fern lag thm jeder Gedanfe an die Thatfadhe, bat
mun şet: Frembde den Reichtum feines Vaters mit ge-
nieBen, ja jein Crbteil möqfidyermeile babıtrd) fhmalern
jollten! Sede Regung de3 Cqoismus fditen beni Charafter
068 jungen WAmerifaners fern 3u licqen. Cr mödite ebenjo
gern geben wie fein Bater, das hatte Bofef fon une
gablige Male auf dem Gymnafium beobachten fonnen,
wo man ben gutmiitigen und freigebigen Sohn 568
Millionars oft in fchamlofer Weife ausbeutete.
Nein, Rlaus erwog mit feinem Gedanfen die Nach-
teile, weldhe ihm eventuell aus ber gweiten Che bes Vaters
erwadjjen fonnten, er breitete voll warmberzigen Cnt-
giiclenS die 9frme nad) dem neuen WAuverwandten aus und
jubelte in dem Gebanfen an das Glüd, weldjes ifnen
allen Daraus erftand.
Und fold) eine Hochherzigfeit verfehlte ihre Wirfung
nicht auf Şofef und trieb ifm das Blut bejdamend in
die Wangen, wenn er daran dachte, welch felbftfiichtige
und enghergige Motive eingig ihn und jeine Mutter be-
wogen Hatten, den Antrag be Bantfiers gu befiirworten
und angunehimen.
Ou Ddiejem Augenblic empfand er foldhen Gedanten
qeradezu ywie eine Edilib, und feine vornehme, brave
Gefinnung revoltierte gegen diejelbe voll Teibenid)aftfid)er
Empfindjamfeit.
Er wollte nicht jchlechter fein wie Klaus, bei Gott
nicht! Cr wollte ihm beweijen, baf auch er voll inniger
Liebe und Treue in die Hand einjdlagt, welche fid) ihm jo
vertrauensvoll darbietet. Wie ein Schwur ging e3 durch’
feine Seele, Dem Gtiefbruber diefe Stunde nicht gu vergefjen,
und er neigte fid) und blidte in bic glüdfefiq leudjtenden
Augen des Freundes, welder ihm abermals leije gufliifterte :
ie will id) bid) und Miitterlein fo lieb haben!”
Diefe Augen und Worte vergakR Şofef nicht wieder.
si, Bt ə
Sn ber Refidengz erregte e3 ein ungeheures und bez
rechtigtes Wuffehen, al die beginnende Herbjtfaijon bie
Gefellihaft nocd) mit einer perİpüteten Myrtenbliite itber-
rajdjte, mit ber Verlobung Bhrer Gyceellenş der Freifrau
von Torisdorj;f mit dem amerifanijdhen Banfier James
örantlin Sterley.
Sofef hatte voll banger Gorge diefem Tag entgegen
gefehen und fein Herz flopjte zum şeripringen: bet dem
Gedanfen, bab fid) die ehemals gehegten Befiirdhtungen
Der Mutter bewahrheiten und die Mitglieder der Hoj-
qefellidyaft e8 der fahnenfliichtigen Frau alljogleich mar-
fieren wiirden, Daf fie nicht gewillt jeien, eine Miz Sterley
in ihrem Rreije gu dulden.
Dieje Demiitigung hatte Şofef ber empfindfamen Mutter
gern erjpart, und darum erfiillte e3 ifn mit einem wahren
Gefiihl der Herzerleichterung, als Pringejfin Helene jdon
im Lauf 568 nachften Vormittags perjintich borhifr, der
ehemaligen fo beltebten Hojfdame ihrer Mutter die Glüd-
wiinjde der föniqlidyen Familie miindlid) ausgujprechen.
Die Pringejfin İdyten wohl mit ben Verhaltnifjen gu rechnen
und fic) von Herzen gu freuen, Dag der unbemittelten
Witwe noch ein jo forgenjreies, qlangende3 Loos bejchieden
fei, um jo mehr, da fie nur das Bejte und Rihmlidfte
von Miifter Sterley gehirt hatte.
Dem Beijpiel der Hohen Frau folgte die gejamte Ge-
jellfchaft, und mührenb fid) auf der Strape die Equi-
pagen Ddrangten, hirte ba8 Brautpaar droben im Salon
Shrer Excelleng jo viel jdhine liebenswiirdige Worte und
ae
fo viel ehrlid) gemeinte Gfüdmünidye, baf Şofef wie erz
fart neben Klaus in dem Crfer jtand, die Hand des
neuen Bruders örüdte, und fliifterte: ,,Wie lieb alle Leute
meine Mutter haben, heute beweijen fie es!“ —
Gin glangendes Diner, welches nur bic intimiten Freunde
de3 Brautpaares vereinigte, unterbrad) in erlijender Weife
bie Gratulationscour, und die Sterne junfelten lang{t an
Dem Machthimmel, af Şofef gum erften Mal wieder mit
ber Mutter allein war.
Er İdiloğ fie innig in bic Arme und fein Blic brannte
erwartungsvoll auf ihrem Antlig. Geltfam, die Generalin
fa) meber triumphierend noch fehr felbitbemibt und şü
frieden aus, die milbe, etwas miide Requngslofigfeit, weldje
ihr jeit Dem Aufenthalt in Oftende eigen geworden, fag
auch jebt auf Dem jchinen Gefidt.
,Mamachen — freujt bu bid) nicht, bab fie alle ge-
fommen find, bağ man bid) fo gewaltig gefeiert hat?
GSiehjt bu wohl, bağ jedermann deine Wahl billigt und
bir feinen Vorwurf daraus mad)t?”
Sues ftrich mit der fdifanfen Hand liebfofend itber
ba8 Haupt de3 Sprecher3 und driidte ifn fejter nod) an
bie Bruft. Şa, ich freue mich deffen, Sofi, — um Ddeinet-
willen!“
/ Richt auc) um beinetmilfen, Mamachen?”
pein, — ba ift e3 mir gleidgiiltiq!’” —
,/Undenfbar — und ehe du bid) perlobieft — — —”
7&8 ijt alles fo anders geworden, Darling, — und
id) Habe mid) wohl in der furgen Beit fehr verdndert.
Sh bin ausgejihut mit meinem Editdiaf, aud) ohue den
Heivatsconjen3 der Menge. Fames Frautlin ijt ein Mann,
welche feine Gejinnung adelt, id) habe ifn dün und
achten gelernt, — und Klaus” — —
,ğam, und Klaus?“
pwirft Du eiferjiidjtig auf ihn fein?”
pSewif nicht, Mamacden! — O gewifk nicht! Sag,
baf du ihn Lieb Haft!”
antes lachelte wie im Traum: Şa, ich Habe ihn lieb,
Denn er verdient €8, gelicbt gu werden! er wird netblo8
mit Dir Das Erbe de3 Vaters teilen, Darum teile auch mit
ifm Das eingige Mleinod, welchce3 du befişt, mein braver
Sohn, die Liebe deiner 3öutter 17 —
Sole, füğte feibenidyaftlid) bie Hande der Sprecherin.
/ Sott Helfe mir başı, id) will brüberiid) mit ihm teilen,
und 68 dir zeitlebens danten, dap ich’ fann!”
An bie Thiire flopfte e8.
Lina frat mit ftraffentem Gefidit ein und trug einen
wundervollen BSlumenforb.
/Sin Gutenadchtgruf von Mifter Sterley!” fmiyte fie,
,,ber Brief liegt unter den Rojen.” —
Sunes öfinete ihn ladhelad und itberflog bie wenigen
Reilen, und dann hob ein tiejer Atemgug ihre Bruft. —
,,3ofef — $ofef — lies.”
Uberrajdt nahm ber Genannte das duftende Blatt
und iiberflog feinen furgen Jnhalt.
»Lbheucrfte Snes! Der heutige Tag, meldyer mid)
durch Deine übergrofbe Huld und Güte fo unausjpred-
früblingeftürme I.
,
95.
SİL Nom. ir. N
,
N.v. Cfhftruth
lich reich gemacht hat, bar? nicht enden, one dah ich
Dir in einem fichtbaren Beidjen meine innige, tiefe
Dantbarfeit beweife! Conft ijt e3 das Söorred)t des
Brautigams, die Geliebte gu jdmiicen, Ou aber Haft
Dir fo eindringlid) Perlen und Brillanten verbeten, baf,
mir Dein Wunjd Befehl fein muf. So geftatte mir ein
andere Brautgefdhent: ,Lidtenhagen’, der alte Sefiş der
Torisdorff, ift mir zum Rauf angeboten, und erlaube
ich) mir, Dir bas Gut hiermit al Morgengabe zu Fiipen
gu legen, Damit Du ein behaglides Ruheplabdhen in der
Nahe ber Mefideng gur Verfiigung Haft. Wenn Qu es
wiinjchejt, laffe id) ben Befig auf den Namen Deines
lieben Eohnes in das Grundbuch eintragen.” —
projef, was fagit Du dazu?” —
Die fteinerne Ruhe war aus den Ziigen ber Generalin
gewichen, mit Leudjtenden Augen, atemlos, hei ergliihend
vor Aufrequng Tegte fie Die Hande auf die Echultern 568
Eohnes: ,Lichtenhagen dein Cigentum, Şofer — Hérjt
Du 68 Denn, Sofi? . . . Dein Cigentum!”
Der junge Torisdorff ftand requngslos, jchwer atmend,
bic Augen gefentt, die Lippen gefdhlofjen. —
wsofeyl! =
Da blictte er auf und lehnte ben Kopf an bic Schulter
ber Nutter. Cr jah ihre Freude, ihr Gnişüdem, er fonnte
it bicfe Stunde nicht triiben.
/ Mutter, bar? id) denn fold) ein ungeheures Gejdent
annehmen? — Wie fofl id) je fold) eine Schuld abtragen
an Mijter Sterley?” —
~
— a —
Cin herber, beinahe Harter Musdrud lag pfötfid) ani
Dem Autlig der Generalin. ,,Mijter Sterley wird dein
Vater fein, und id) hojfe, Du wirft noch reichere Gejdhente
von ihm erhalten wie dicjes Gut. Sd) verlange nicht,
Daf er fein Vermigen gwijden dir und Klaus teilt, —-
Dagu jicht ifm das eigene Kind nüfer wie Du, aber id)
werde uie feiner Freigebigtcit wehren, wenn er nach Krajten
für dic) jorgen will, Das üt nidit nur fein Recht, fon-
Dern feine Pylicht, — und um ihm dies şur: PBylidht şu
machen — — —
yBerşid)teft du für: dich felber ant Berlen und Diaz
manten, — Mutter?”
Wie ein Wujfehret flang’s.
Wieder irrte ein mübe$ Lacheln um die Lippen der
Generalin, fie fchiittelte langjam den Kopf.
,Xab gut fein, Kind, e3 it ja fein Opfer für mich!
oc) bin eine alte Frau —”
y dtama!”
"Xa das Glüd genoffen Hat und an fid) felber dachte,
jo lange e8 noc) Bliiten gu pffüden gab, die öşrüd)te ge-
foren dir. — Sd) habe noch nie fo viel an bid) gedacht,
und jo wenig an mich wie jeBt, wo bic Welt wohl gqlaubt,
ic) jet Darauf bedacht, mich fiir meine alten Tage weird)
gu betien! Daf id) died thue, leugne ich nicht, und id)
evfenne alles dDanfbar an, was mir fo viel Winehmlichfeit
und Behagen fdhafft. Uber all ber Echimmer und Glanz,
welden mein Leben noch tragt, it Doch nur buntes Herbjt-
faub an erfterbendDem Ctamm, Daruim breitet er die Brwcige
röəl
— 100 —
Defto jorgfamer itber das junge Reis, weldhes neben thm
aus jeiner Wurzel fproft. — Warum fiehft bir mid) fo
wunderbar an, Liebling? Sft e8 etwas Unnatiirlidhes, alt
öl werden!”
Şofef jchiittelte ben Kopf, er (achelte pfot lich.
ə(öeviğ nicht, — und id) hoffe gu Gott, dak wir
beide noch recht lange miteinander (cben! Bum Herbjt-
faub ijt e3 aber noch gu frith und id) denfe, guvor fommt
nod) der Şofamistrieb neuer Lebensfrajt und -freude,
welder auc) wieder Wohlgejallen an fid) felber finden
(aft, wenn das Wurzgelreis genugjam mit blinfendem Tau
und blendendem Sonnengold itberjdhiittet ijt! Borliufig
ijt e3 in gar gquten Boden verpflanzt, und wenn id) that-
jichlid) Lichtenhagen von bir und. .... bem Pylege-
vater zu Lchen erhalte, fo ijt wohl in ausgiebiajter Weife
für mid) geforgt. Darum fort jest mit all den Schatten,
welche immer wieder bie Conne verdunfeln wollen, weder
Lichtenhagen noc) alle Reichtiimer der Welt fonnen mir
Das Slice erjegen, dich glüdfid) gu jehen! — Bch bin”
nur, wenn du 68 bit, wahrend mid) Sterleys Ölüds-
güter gu Boden driicfen wiirden, wenn auch du fie als
Laft empyandeft!” —
ranı von Torisdorff Dfidte ihrem Cohn tief in die
Auger.
du irrif” — fagte fie leije, id) bin glidlid’” —
und in Gedanfen fiigte fie Hingu: ,,fo füdlidy, wie eine
Mutter, weldje ihre Pfticht gethan und für ifr Kind ge-
jorgt Hat.” —
— 101 —
y İt 66 wahr, Mutter?” —
Sie lachelte und nicte. ,,Glaube e3 mir, — und nun
gute Nacht, mein Liebling! mein — CErbherr von Lichtenz
Hagen!” — Und Ses wandte fid) hajtiq um, wintte
ifm noch einmal gu und verjchwand hinter der Portiere.
Langjam trat Şofef in das Nebengimmer, fefnie fid) an
Das pffene Fenfter und blictte in die İtifle, fternflare Nacht
hinaus.
Er fonnte noch nicht jchlafen.
Die Gedanfen fluteten hinter feiner Stirn und raubten
ifm die Rube.
Das feltjam berünberte Wejen der Mutter angitigte
ifn. Hatte fie thatjachlic) mit ber Welt abgeidhlojjen,
feit fie gewillt war, mit ihrem Namen ein Gewand aus-
gugiehen, darin all ifr Glick, all die felige Crimmerung
ber Vergangenheit verwebt war?
Gewif nicht! Şifre Nerven find überreişt, fie hat fid)
ür Wahnvoritellungen Hinein gelebt, weldje nur die Zeit
Heilen und gerftrenen fann. 3604) fteht fie swijdhen beni
Vergangenen und Kiinjtigen, Hicr noch nicht losgelbft, bort
noc) nicht heimijcd), — das wird alles fid) andern. —
Sie achtet und jchawt Mifter Sterley jehr hoch, fie find
fid) beide in dufrid)itiger Sympathie naher getreten, fie
wird fid) auch in feinem Haufe gliiclich füffen, — darum
jorgt fid) Şofef nicht, nein, im Gegenteil, etwas gang
andere3 fteht pliglich als bleiches Gdiredgefpenit vor ifm.
Die neuen Verhiltniffe, die perfönfidye Liebenswiirdigfeit
068 greiten Gatten madjen feşt cinen unleugbaren Cin-
— 102 —
Druck auf die Mutter, wenn fie ihr Şintereffe und ihre
tiefinnere Bejriedigung auch noch jo weit guriictweift. Soflef
fleft, wie febr fie fid) jest bemitht, ihrem fiinftigen, glangenden
Hausitande gerecht gu werden, wie jcnell fie fid) in Ofte
ende all den Gepflogenheiten 566: Winerifaners anpafte.
Wird fie vielleicht bölliq mit der Vergangenheit bred)en?
Wird fie am (ne auch die Crinnerung erblajjen Laffer,
welche die Smmortellen ber Treue um das Bild des erjten
Gatten flocht?
Es ijt im aufgejallen, da feine Mutter im febter
Beit wenig, jajt gar micht von ihrem verjtorbenen Mann
gejprodjen. Conft gefd)af) e3, bab fie abends in trauter
Stunde mit dem Cohn fein fiebes, Heiliges WAndenfen
pflegte, — das ijt lange nicht mehr erjolgt, jelbjt heute,
an Dicjem jo tief in thr Leben einjcjncidenden Tag, fand
jie feine Minute, mit Dem Cohn von dem Vater Zu
jprechen. — Was bebentet das?
Heife, brennende Mhranen ftetgen in Jofe73 Wugen.
Wird jie ihn vergeffen? Webhe dann beni Cohn, welcher
jie gcwaltjam im Diefe nene Che brünqte, er wird einit
mit Dem geliebten Toten dariiber abgurecynen haben! Die
Sterne glangen wie freundlich tröftenbe Wugen anf den
gequalten jungen Mann Hernieder, und Hinter ifm frarrt
leije eine hitr.
Die Mutter tritt in das Zimmer — fie ficht ihu
widjt. Cie tragt üt ber Hand die Stumem, welche Sterley
ifr al8 brautlidjen Gru gefpendet, tritt vor das Bild
DeS verjtorbenen Gatten und fchnritct eS mit der Liebes-
— 103 —
gabe de3 öyreniben, Und ihre metben Hanbde ftreichen
über bağ Bild, zartlich, fiebevoll fofend — ihre Lippen
regen fic) fautlo3 und leucjtende Thrauen perlen iiber
ifyre Wangen. —
Sofef regt fid) nicht, fein Hergichlag jcheint zu ftocten,
mur feine Hande beben feile wie im Freber.
Das Licht fadert und die weife Gejtalt der Mutter
föreitet langjam guritcl, — da finft er am Fenjter meder,
feqt Das WAntlig auf die gefalteter Haude und weint
bitterlicl, — — —
Ne EGE
ey TA AASIMDR
ANG MN Hens Sia Gas:
ie Hochzeit 565 Kommergicnrates Sterley war qe:
feiert worden, aber iiberrajdjenderweije nicht
mit Dem ungeheueren Pomp, welden man erz
wartet hatte. (8 fanb eine fehr wiirdige Feier ftatt, gu
welder nidjt viele Cinladungen ergangen waren, welche
aber einen Kreis der augerlejen|ten Menjden um das
Brautpaar verfammelte.
Von einem Polterabend hatte man volliq Wbjtand
genommen, und die erwartungsvolle, enttiujdte Gejell-
jchajt ward durch ein nur allgu eifrig folportiertes Berz
fprechen auf grofe und glangende Hejte der Caijon
vertrijtet.
Man İdirieb die Bejdranfungen der Hochzeitsfeicrlid-
feiten ber: Generalin gu, und relpeftierte den jchlidjten
Ernjt, mit welchem fie ihre gweite Vermahlung behandelte.
Sie war feine Braut, welche voll iiberfhaumenden Gliices
Diejen Fejttag mit Nofen und Neigen fdjmiicten wollte,
Der Witwenjdjleier wehte unfidjtbar, als trüber Schatten
— 106 —
über das foftbare Cpiboeiqeele, welcher ihren 1ebt merflich
ergrauenden Gü)citet im Bereta mit weien Mojen gierte,
und wenn das Hod)zeitspaar auch noch voll jtattlicher
Ritftigfert gum Wltar jehritt, jo war e3 Doc) feine maien-
Holde, myrtengriine Liebesfeicr, welche e3 verband, jondern
ein Herbjtlich jtilles Finden und BVinden, umratid)t von
welfem Laub. —
Ereellens Lorisdorjf geni qroğe und aufrichtige
Sympathier, Darum fonnte felbft die Cnttaujchung ber
vergniigungsiiichtigen Menge fie wegen jolcer Buriicé
Haltung nicht in Mtipfredtt bringer. Um fo mehr bez
Dauerte man bie Nachricht, baf dic NeuvermahHlten eine
mehrmonatlidje Reije noc) vor Weihnachten nach dem
Gitden antreten wollter.
Den Begin der Caijon aber benubte Milter Sterley,
um jeiner Gemahlin Gelegenheit gu geben, den Glang
ifres neuen Haujes şir entfalter.
Die Diners jagten fid), und eine Gejelljchayt, welche
jriiher in dem Balajt des 9merifaners fremd gewejen,
verjammelte fid) jest in den Calons, welche feit den
wenigen Wodjen doch jcjon das Geprage der arijtoz
fratijden Hausjrau trugen.
Wan jtaunte, wie e3 bet aller Gediegenheit und tabel:
{ojen Eleqang doch jo einfacd) und ofne protiqen Wiijtrich
it Dem Şanle 568 Hiillionars Herging.
Sues Hatte bie Verwaltung des Hauswejens von der
Stunde ihrer Verinahtung an ibernonunen und ihr Gatte
qab ifr volle Freifeit, Dasjelbe gang nad) ifrem Gejchmac
— 107 —
einzurichten. Er ftellte ihr eine noch bei weitem hihere
Summe zur Verfiigung, als wie die Hausdame Hisher
gür Veftreitung der Menage bezogen hatte, und itberwies
jeiner Gemahlin auferdem ein Toilettengeld, welches den
auferordentlichjten Anjpritchen geniigen fonnte.
Dennoch rid)tete Frau Sterley gar vieles in dem
lururidjen Hausjtand bedeutend einfacher ein, ohne da
der Bantfier eine WUnderung bemerfte; fie befdjrantte das
Kitchenperfonal und jtellte unndtige Wusgaben ein, fie
fiihrie eine fcharje Rontrofle über alle Ginfünie und fand
63 zur bödyiten Uberrafdhung und Empéirung bes: Haus-
hojmeifters und der Dienerjchatt durchaus nicht unter
ihrer Wiirde, fid) um jede Kleinigfeit zu befiimmern und
alle Faden der Wirt}dhaft im ihren energijden Handen
gu vereinigen.
Die guten Zeiten fiir die Sebieniteten waren aus,
und man fimbdigte voll Qndignation Der neuen Herrin,
welche jo ungemohnies Regiment einfiihren wollte.
Sues bevilliqte jedes Wbjchiedsgejuch mit einer ge-
wiffen Hajt, welche durchaus micht den Wnjchein hatte,
alg ob fie Durch baslelbe in Verlegenheit gejest jet, —
ja, ein Wusdruc von Befriedigung und Genugthuung
{ptegelte fid) in ihrem WUntlig, als ber Taq ihrer Wbreije
naber rüdte und das ungefeuere Berjonal auf die wenigen
Leute gujammen gejcdmolzen yar, welche daz verwaijte
Haus zu Hitter Hatten.
Sojef und Klaus waren fiir die Beit der efterlid) on
Abwejenheit bei ber Tante Şoriöborif einquartiert, gegen
— 108 —
eine monatlide Benfion, welche Snes Türftfid, der Sanfier
Hhingegen recht bejorgt ,,fehr mager” nannte.
Die alte Geheimratin hingegen fanb e8 geradezu
traumbaft fchin, bağ fie auger ben grvei ,,lieben, netten
Sungen” nod foldjen Sac voll Geld in das Haus ge-
fchleppt befam. —
bie praftifd), wie bewunderungswert bir doch alles
eingurichten verjtehjt, Snes 17 jagte Sterley voll ehrlicher
Verwunderung, die Hand feiner licbenSwiirdigen Frau
ritterlid) an die Lippen fiihrend. Cie fafen beide vor
Dem behaglichen Theetijch, auf weldjem der filberne Kejjel
liber Dem Spiritus fang, wobei die Haugsfrau voll qraşiöfer
Ruhe und Sicherheit perfönlid) ihres WAmte3 waltete, nidhi
einen gangen Trof Hhorcjender Lafaien mehr im Zimmer
Duldend.
pie efeftrifdye Klingel ijt mir ja şır Hand, branche
id) Bedienung, jo rufe ich diejelbe aus dem Vorzimmer
herein. 68 ift fo ungemiitlich, James, wenn wir nicht
einmal Die Theejtunde gu ungenierter Ausjprache fiir uns
allein haben!
Sterley war bejcligt iiber diefe Wnficht feiner Gattin,
welche ihin bewies, da fie fid) im tete-3-tete mit ifm
wohl Tüfifie.
Auch jest Hielt er ihre jdjlaufe Hand noch mit herg-
fihem Druck in ber feinen. ,
/Weift du auch, Tenerfte, bağ mich deine Ofonomie
etwas beforgt macht?”
Sie jah ifn iiberrajeht an. ,,Swrwiefern bas?”
— 109 —
36) fiirdte, das Wirtjchaftsgeld reicht nicht aug,
und deshalb legit du dir derartige Bejdhrantungen auf,
um das Fehlende zu erjparen!”
Gie lachelte. ,,O, ihr reichen Manner, wie ihr dod)
10 bölliq jeden Mafjtab verliert! Wenn man mit einer
Witwenpenjion fett Jahren ausfommen mufte, fo wird
cin fparjamc3 Haushalten gur Gewolhnheit. Sd) fan
(8 nicht jehen, wenn das Geld fiir nichts und wieder
nichts zum Fenfter Hinausgeworjen wird. Dak alles
comme il faut und tabelfo$ in deinem Harfe fei, James,
Nabe id) mir şur Bedingung gemacht, gleicherzeit eradite
ic) e8 aber auch al8 meine Şifidit, iiber das Deine şit
waden, daf nicht Şeridyocibinig und Unebrlidjfeit ihre
Grnte Halten!”
y/raujend Dank, bu Vortresflichfte aller Frauen! So
Dedarf e3 aljo wirflich feines Zujchufjes mehr?” —
yout Gegenteil; Dent it der lebte diejes Monats,
und id) wollte bid) fo wie fo nachher noch bitten, müt
mür abguredjnen. Sch Habe jehr fine Wberjdiifje in
Deine Hand guriicfgulegen, und hoffe, Du wirft mich um
Diejer Erfparnifje willen recht loben!” —
Das Gejicht de3 Kommergienrates ftrahlte vor Freude,
abermal8 30g er Die Mechte Der Sprecherin an die Lippen.
/BWie reich mic) bicfe fleine Hand macht, erfenne id)
von Lag gu Tag mehr; — fie jfehtittet jo viele ideale
Glüdsaiter über mich, bağ der İdinöbe Mammon nicht
‘auch noch dazu fommen DdDarf, das witrde mich ja er-
örüdenl Nein, meine liebe Ines, was du in Haus und
— 110 —
Hof fparft, das ift betn redlich erworbenes Cigentum,
itler meld)e$ bir frete Verjiiqung gufteht. Gebrauche es
fitr Deine Perfon, oder şür Unterftiigung anderer, je nad):
Dem €$ bir in ben Ginn fommt. Bch habe dir dads
MNadelgeld und den VBetrag fiir die Wirtfchaftstaffe aus-
qefebt und af8 fejten (tat in mein Budget aufgenommen, —
Bujchiiffe fonnen feberşeit aus einer Extrafajje bewilligt
werden, Mitczahlungen nefme ich hingegen nicht an. Went
Du jparft, — İp thujt du e3 nur für: bid) 17 —
Die Augen der Kommerszienratin leuchteten, eine feine
Rite ftieq in ihre Wangen. Cie imidilob: die Hand
ifres Gatten mit Hejtigem Druct.
, Wie gut du bijt, Fames! Wie jehr du mich erjreujt!
Hab’ innigen Dank bafirl Sd) gejtehe e8 ehrlid) ein,
Dak bas Sparen mir eine Doppelte Freude bereiten wird
und nehme dein grofmiitiges Gejchenf bantDar an!” —
Und dann wandte fie fic) zur Thiitr, durch) welche
ihre beiden Sohne eintraten, und begrübte dicjelben mit
auffallend freudiger Crregung. — Als fie Şoöfef im die
Arme fchlop, leuchteten ihm die Augen der Mutter İp
jreudig an, wie feit [angem nicht.
Sa, Şnes jparte gern, — fie that € anjanglich mit
freudigem Cifer, und der Kommerzicnrat amüfterie fid)
barilber und war hochbeglitct, ein ,,Ctwas” gefunden
gu haben, wodurd) er Der anfpruchslofen Frau angenehime
Aufmerfjamfeiten und ihr in wabhrhajt erfrenender Weise
feine Neiqung und Berehrung darbringen fonnte. Cr
necte fie mit ifrer ,Cammlung abgelegter Hundert-
— 111 —
marffcheine’” und fteuerte derfelben bei jeder Geleqen-
Heit bei.
ySparjt du eigentlich) in den Strumpf?” İadite er
einmal, alg er ifr eine Rofe auf den Teller legte, deren
Stiel anftatt mit Staniolpapier mit einer hohen Geld-
note ümmidelt war, ,,oder famili Du mir bald eine neue
Cijenbahnattie ab ?”
Sie lachte, aber fie errdtete. Sd) fauje mir Bonbons
bafür 17 antwortete fie fcerzend.
yllle Achtung, fiir fofdye Ausgaben mug ich ja an-
ftünbiger beijteuern!” — und er [egte in befter Laune
nod) ein Bweipfenniaftiic neben dieje Geldnote.
Snes Td)ftf auch btefen Betrag in ihre Geldbirje ein
und verficjerte, bab e3 ein Wabhrwort jet: ,,Wer ben
Pfennig nicht ert, jt des Thalers nicht wert.” —
Sterley war iiberzeugt, baf e8 jeiner Frau bejondere
jreude bereite, heimlic) Wohlthaten şi: erweijen, armen
Verwandten oder verjchamten Wrmen, welche nicht gern
al3 Wlmofencmpfanger von ihm erfannt werden wollten.
Er fragte Darum bisfreter Weife nie nad) den Gr-
jparnifjfen, um fo weniger, al8 Ses niemal aus freien
Etitden barülber berichtete. Dak die Gemabhlin 568. viel=
fachen Metillionars für fid), oder für ihren Cohn zguritcf-
(cgen finnte, fam ihm gar nidjt in ben Ginn. Wojzu
das? Sie meib, bab fowohl fie alS Şofef durch fein
Tejtament aujs qlangend{te verforgt find, und jo Lange
wie er febt, Haben fie ifm nur die Hande Hingubhalten,
um Diejelben gölbaefilli wicder guriicdgugiefen.
— 112 —
Dennoch befaud er fic) im einem grofci: Şrrtim,
Ines trug jeden Grojejen gu ihrem fritheren Banfier, um
bort, bölliq getrennt von den Mtillionen ihres Gatten,
eit gehetmes Depot fiir Şofef angulegen.
Cine wunderlide Veranderung war mit ir vor-
gegangen.
Seit jener Stunde, in welder ihr Sohn voll feifen
Vorwurfs an ihre opfermutige Wtutterliebe appellierte,
hatte fid) ein Stachel in ihr Herz gefentt, welder ihr Tag
und Nacht feine Rube lief.
Sie mufte fiir ihr Kind jorgen, fie hatte e3 Langit
thun miiffen!
Gie war nicht immer eine mittellojfe Witwe gewefen,
al8 ihr Gatte noch febte, da hatte fie im Uberflug, und
€8 wire nur recht und billig gewefen, hatte jie bamaf
an die Bufunft und an ihren Sohn gedacht, anjtatt ohue
Bedenfen gu verbrauchen, was ifr Gemahl ihr jo reichlich
an Wirt}dhaft3geld guwandte.
Shre Jugend und Lebensluft fannte bamals das Wort
Sorge noch nicht, worum hatte fie jorgen jollen? — Und
Doc) empfand fie bie Worte ifyres Sohnes als einen
jehweren Borwurf, wie die Heimliche, bittere Wnflage:
,romnte Damals nicht deine Mutterliebe ein Opfer bringen
und fiir meine Ctudien fparen?”-
Snes itberfommt eS plötfid) wie eine grope Schuld
und Verantwortlichfeit.
Damals Dbradite fie fein Oper, — jest bringt fie eins,
— und wie grof dadfelbe ift, meiğ mir: der, welder bic
Nov. Gid ftrutb, W. Nom. u. Nov., Friiblingeitiirme I 8
— 114 —
Göefitfile eines ftolzen Frauenhergzens femt, welder meifi,
was e ber fo erflufiv dDenfenden, vornefmen Frau fojtet,
fic) pliglich Frau Sterley zu nennen!
Da hiek eS fein befferes Bch, fein ureignes Sein und
Wejen aus dem Herzen reifer.
Excelleng hatte es gethan, aber ber Todesftreic), welder
babet ihren Stolz traf, jchnitt tiet in ihr innerftes Wejen,
und lie® e3 an folder Wunde rettungslos erfranfen.
Was erft nur eine felbjtqualerifdje Cinbildung ge-
wefjen, ein eifriges Bemiihen, Verjiumtes nachguholen,
Das ward bald gu einer fiyen See, gu einer Kranfheit,
welde Leib und Geele ergriff.
ones jparte, fie wollte diegmal jparen, fo lange e3
an der Zeit war!
Was fie fitr ihren Sohn gethan, jollte nicht vergeb-
lich fein.
Cie jelber hatte einen geliebten Namen hingeben miiffen,
einen Namen, welchen ihr alles Gold und alle Millionen
eines Mijter Sterley nicht erfegen fonnten. Cin Schwan,
welder mit ftolgen Fliigeln hoc) oben durch blaue Liifte
gög, und nun mit gebrodyenen Echwingen in einem Paz
lajt in verjdjwenderijder Bracht gefangen gehalten wird,
vergift e$ Doch nicht, dag er einjt jein Haupt im Himmels-
odem gebadet, und trauert, fo lange er lebt, Dem ver-
lorenen Gli nach. Şne8 forgte für ihren Gohn — und
für ihres Sohnes Namen.
Was fie verlor, follte er Doppelt befiğen, ben alten
Glang in alter Herrlichfcit.
— 115 —
Und diefe geheime WArbeit, diejes ruheloje, unerjattlice
Anfammeln von Kapital, was ihr im erjter Beit nur eine
wohlthuende Freude gewefen, befam bald eine Gewalt
itber fie, welche aus der Gparlamfeit den Geiş gebar. -—
Der Befig Lichtenhagens genitgte ihr nicht für Jofey.
Was niibt ein Landjig ohne geniigendes Kapital? Mifter
Sterley aber ijt febr jung und riiftig, bis fein Tejta-
ment in Kraft tritt, vergeht bic bejte Lebenszeit ihres
Sohnes.
Gic fennt Fofefs jtolgen Sinn, welder fid) fchon gum
Vorwurt macht, das Geld, welches jein Studium erfordert,
von dem Stiefvater angunehmen, — er wird al3 Sefiber
von Lichtenhagen verjuchen, in jeder Weije fetne Schulden
an den Millionar abgutragen, nie aber noch neue Kapitalien
pon ifm annehmen oder gar fordern. Wher das, was
fie für ifm guvitctlegt, Das wird er annehmen und das
bleibt ihm gewif, wie auch das Leben feine Karten noch)
mild)en follte.
Snes hat fo viel von Banfiereriftengen gehirt, welche
fometenartig auftauchen, Durd) den Goldglang mürd)en-
haften Reichtums alle Blicke auf fid) gogen und blendeten,
um pliglich, über Nacht, jpurlos wieder in dem Nichts
gu verfdhwinden, aus weldjem fie fo ratjelhaft emporge-
ftiegen find. Und diejfe Griinderzeit mit ihren Şöhen
und Tiefen lag nod) nicht allgulange Hinter ihnen und
made fie miptranifd.
Darum wollte fie das Cijen fchmieden, jo lange e3
Hei} war, — und fie that es. —
8"
— 1146 —
Der Kommerzienrat fieğ feiner Gattin in all ihrem
Thun und Handeln böllige Freifeit.
Sein Haus war aufer{t gerwijjenhajt verwaltet, die
Sparjamfeit empianb er perjinlich nicht, und wenn die
Diners und Fefte aud) feinen fold) opulenten Cindruc
machten wie ehedem, fo war ihnen jebt eine jo vornehme
Rejerve eigen, weldje bie Gajte, die fid) feit jeiner Ver-
Heiratung um bic Tafel gruppierten, in jeder Weije jym-
patfild) beriihrte.
Was Sterley Deşmedit hatte, war erreidjt. —
Die Begiehungen fener Gattin waren aud) die feinen
geworden. Die einflupreiden und hocdhftehenden Perjin-
lichfeiten, welchen er nüber 3u treten witnjchte, verfehrten
in jeinem Galon, und bet einer föftlidyen Cigarre und
bei ben echten Liqueuren, weldje mit aller Wnjpruchslofig-
feit ferbiert worden waren, hatte er jdjon mand)e$ ge-
Heime Biel erreicjt, und die mafgebenden Herren fiir
woeen gewonnen, welche ihre goldenen örüd)ite in bie
Güde des Millionars fieferten.
Dadurd) war er fithner und unternehmungsluftiger
geworden, und was er frither als risftert und unfider
guritcégewiejen hatte, Das wagte er iebt mit ber Buver-
jicht eines Mannes, welder auf bölliş fejten Fiipen gu
{tehen meint.
So waren etlide Jahre vergangen.
Snes idiritt in nonnenhaft einfacher Kleidung, welche
anfang3 al8 taftvolle Befdheidenheit fehr anerfannt, bald
aber al8 outriert Defpötteft ward, in bem Palajt bes Gatten
— 117 —
umber, mit franffaftem Gifer fpahend, wo cin Grojdjen
abzufnapjen fei, und dabei ward fie fichtbar alt und
jedDem Heiteren Leben gram.
Seit die Sohne das WAbiturienteneramen gemacht und
Die Univerfitdt begiehungsweife die Malerafademie bez
gogen Hatten, war e8 noch jtiller und einfacher in dem
Hauje geworden. Denn Jes feujgte über die Horrenden
Summen, welche die ,Boruffia” fowohl, wie die Studien
ihres Stiefjohues Klaus verfehlangen, welcher wie ein
Pring in Miimchen aujtrat und nur guviel Gelegenheit
fanb, bet jeiner grofen Gutmiitigfeit Whonehmer fiir fein
Geld gu finden. —
Er unteritübte arme Rollegen, fdhictte jenen auf eine
KRiinftlerjahrt nach Stalien, begahlte wieder anderen den
Lebensunterhalt und diefem wieder teure Studien und
Modelle — und ba gerade durch die Modelle mand)e
Woge veraweifelten Clend3 gir im getragen ward, gab
er mit vollen Handen und dem glitcfeligen Lachen eines
Menfchen, welcher e3 im tiejjten Herzen empfindet, bab
geben feliger af3 nefmen ift.
Dabei lieB er fid) jelber nicht zu furz fommen. Leben
und leben Laffen! jtand al leuchtende Devife auf feinen
Banner, welches er burd) die iippige Satjon Miinchens trug.
Cr genob bas Leben in vollen Biigen, mit ber
jrifchen, idealen Cmpfanglichfeit einer Kitnftlernatur, welche
fic) an dem Relch ber Schinheit beraujdt, ohne die Gijt-
tropjen müt gu fcbliirfen, welche verdDerbendrofend an? feinem
Grunde ruben.
— 118 —
Klaus war eine viel 3u eble und vornefhm beanlagte
Matur, ein viel gu rein und Hochdenfender Menfch, um
feine Genüfie im Morajt gu fuchen, und er bewies e3
feinen Freunden, baf man die volle Freiheit des Kiinjtlers
ausnuben fann, ohne ber Gemeinheit zum Opfer gu fallen.
Mach wie vor bejtand feine innige Rameradjchaft mit
wofef, trog ber Trennung wurden fie einander nicht fremd.
Briefe voll chrlic) treuer Beichten flogen gu dem
jungen Torisdorff, welcher in fetner fchwermiitigen, etwas
pebantildyen Weije mit guten Crmahnungen antwortete
und jein gitnjtiges Gegengewicht felbft über Berg und
Thal geltend machte.
Şfter3 war e8 fon vorgefommen, baf, Sofef daheim
bet eifrigem Studium fag, al8 pfötilid) bie Thiir aufflog,
gyvet 9frme fid) jubelnd um ifn fchlaugen und der blonde
Lockenfopf de3 Stiefbrudcers fid) an feine Wange driicte.
Dann war's, als fei cin Wirbelwind in das ftille Bimmer
gefommen.
Die Biicher waren in den nachften gehn Minuten ver-
fteft und Şolef, vom Bann der Freude und der fasci-
nierend licbenswiirdigen Perjiulichfeit de3 jungen Sötafers
gefangen, füqte fid) bem Leben, weldjes Cterley über ifn
berbing. Cin Wandern und SEclhweifen durch das wonnige,
fonnige Nheinland began, hier ward ein reizendes, fanb-
jhajftlides Motiv im Sfigzenbud) fejtgehalten, und dort
ftahl der Şünitfer voll fecfen Ubermutes ein rofiges
Madchengeficht, welches ahnungslos unter bem Reblaub
Hervorladjelte.
— 119 —
Şofef war der cifriqite Semimberer folcher Schipfungen,
und wenn er auch oft mifbilligendD Den Kopf über Bruder
Klaus und feine flotten Ungeniertheiten fchitttelte, jo ver-
föfynte ihn bennod) der Erfolg, meldyen der junge Maler
in woblgefiillter Mappe Detmbrad)ite. —
Gelbitperitünölid) bejuchte er auch bie Studententneipen
und war bet Şolet3 Korpsbriidern bald der beliebtefte
und ftet3 gern gejehene Gajt, und wenn Torisdor|f3 Cin-
fu bünbigenb und ziigelud auf ben Braujefopf Sterley
wirfte, jo übte feinerfeit3 auch Klaus eine gitn{tige Gewalt
auf den Stiefbruder aus, indem er ben fo ernjt und
grüblerifd) Beanlagten aus feinen iibertriebenen Studien
herausrif und ihn der Qugend und dem Leben gufiihrte.
Er feufgte oft tief auf: ,,Du bift eine imglüdfidye Natur,
Sofefl Du nimmit alles fo fchwer, du jchleppft traurige
Ginörüde jahrelang müt dir und qualft bid) mit felbft-
gefchaffener Bein! Sd) glaube, du müreft imftande, um
einer vagen Şlfufton willen dein ganged Lebensgliic 3u
opfern. Du plantafterİt bir Riefen und Dradhen in den
Weg, gegen welche du erbittert anfampfft ohne fiegen 3u
fonnen, Denn Deine Gegner exijtieren nidt. — Bift du
denn wabhrhaftig nicht imftande, eine eingige Dummbeit
gu machen? — Du bijt überİaupt fein Student, du bift
ein alter Mann, Ton mit fiinizehn Jahren warft du ein
Greis gegen mich! — Jn abermals zehn Şafren, wenn
id) ein junger Chemann werde, bift du ein Methujalem.
Sit fo etwas in ber Ordnung?! — Was Toll dieje Şopf-
Hangerei und bicfer Weltfdhmerg? — Du Şaft alles, was
— 120 —
bcin Herg begehrt! Geniege dein Glick! Danke dem Tiefben
Herrgott, und geige ifm, baf, du eS verdienjt! Warum
verliebjt bu dich midjt? Die jchinen Madel3 rennen dich
über ben Haujen und du fietft fie micht im Wege an!
Haft bir fehon einmal ein roliqes Meiinddjen qefüğt?
Bei Gott, id) glaube wahrhajtig, du Unimenjdh thateft es
nicht! Was Dbeşmedt jo ein Weiberhag, womit motivierjt
du if?”
Und Jofef lachte und guckte die Wchfeln. ,,Lediglich,
weil mir noc) fein weibliches Wefen fo gut gefiel, um in
mir ben Wunjch gu erweefen, fie gu fiijjen; — wenn id)
ein Wadden füffe, jo Heirate id) e3 auch.” — —
/Srundgiitiger, Dann müb ich Tiirfe werden! —”
əied)fimm genug, id) hoffe, nie in fofdye Verlegenheit
568 Reichtums gi: fommen! Wber ich will dir feine Moral
predigen, Klaus. Deine Kiijfe haben die Madden, fo
Gott will, nicht ungliiclid) gemadt. Wir find fo ver-
jdjieden beanlagt! Was bei dir einen Scherz, eine Tandelei
Dedeutet, wiirde bet mir bitterer Ernjt jein! Du bift ein
Schmetterling, defjen Natur ifm von Blume gu Blume
treibt, ich ward wohl aus bem Gtanıme der Ara geboren,
welche fterbem, wenn fie lieben!”
5050, du brauchjt ja feine Ediöne aus dem Cerail
gu entfüfren 17 —
yet, das perİpred)e id) dir, aber id) glaube dir aud)
İifymören zu finnen, dak meine erjte Liebe and) meine
İebte jein wird.”
yllnd id) fürdite, bağ id) nod) oft, noch recht ojt eine
— 122 —
andere lieben rwerbde, ehe meine febte Liebe fommt, welche
mit ber Heirat fehlieBt!” jeufgte Klaus voll Humor, ia,
id) verfichere bir, bağ dieje UWbergzenqung e8 mir recht
jehwer machen wird, mich iiberhaupt gu verloben, denn
İd) merbe mir immer jelber miftrauen, 05 66 auch İd)on
an ber Zeit gewejen, mich ernjtlic) gu binden mit Şer
und Hand!“
/kun, dann wollen wir beide innig wiinjden, bab
auch bir erft Methujalem fein mögeit, ehe Das entjcheidende
Wort ani deine Lippen tritt! Sd) weif wirklich nicht, Klaus,
welder von uns beiden ber BVenetdensrwertere ijt!” —
Nicht nur in Diejem Punfte, fondern auch in dew
meiften anderen bildeten die beiden jungen Mtanner die
ausgefprocenften Gegenlde, und doch herrjdjte eine voll-
fommene Harmonie grwifdjen beiden, ein Sucinanderauf-
gehen der herglic)ften Liebe und Achtung. Klaus war feit
jeher efrfid) genug, den Fleif und die Strebjamfeit Sojefs
anguerfermet, auch impouterte ihm der cigenartige Chaz
rafter DeS İp friihreijen Ctictbruders, wie eine gewijje
Schwermut und eine bigarre Lebensanfdjauung niemals
ihre Wirfung auf junge findliche und Harmloje Gemiiter
berfel ft.
Şöfef Hingegen war fehr ftolş auf bas bedeutende Talent
Sterley8, deffen Hergliche Ojjenheit und Zuneigung ihin
jon in ber Schule fehr fympathijch gercjen und dejjen
jelbftlofe Liebe ihm jcjon in Ojtende jein ganzes Herz
gewonnen hatte. Bet der tiejer Cmpfinding und zahen
Beharrlicjfeit, mit welder der junge Xürisöorif alles feft-
— un -
hielt, was er einmal ergriffen und gu feiner İlberenqunş
gemacht, wurgelte bic Licbe fitr feinen Stiefbruder fo feft
in jeinem Herzen, bab wohl fein Sturm deS Lebens üm:
ftande fein fonnte, fie gu-[djen; und biefe Sturmesprobe
follte fie nur gu bald bejtehen.
Hatte James Franflin Sterley die Neiqung feiner Frau,
anjangs moglich{t einfach und guriicégezogen gu leben, nur
wahrend etlicher Reijemonate im Güben lachelud geduldet,
jo feiftete er jeit lebter Beit biefer Marotte GSoridinb, ja,
er feh(ug Snes aus freien Etüden vor, bereits im Herbft
in ein warmeres Klima iibergufiedelt, was der Argt fo
Dringend für ihre Gejundheit fordere. Frau Sterley war
nicht genug Menjcenfenunerin und wohl aud) gu apatbild),
um Die nerböle Unruhe ihres Gatten, welche fid) Ton
jeit füngerer Beit feiner bemüditiqt hatte, gu bemerfen.
Sie wunderte fic) wohl, baf er langere Gefchajtsreijen
unternahm und angeftrengter wie jonjt auf dem Bureau
avbeitete, aber fie fragte nicht nach ber Urjache, denn fie
atte fiir faujmannijde WAngelegenheiten gu wenig Sinn
und BVerftandnis.
Cines Morgens, alö fie in Kairo ihr Schlafzinmer
perlajjen und* bereits auf ber Terrajje des Hotel Shep-
feard jag, auf ihren Gatten und auf das öyrübitüd gu
warten, trat Mifter James ihr entgegen, und fie erjchraf
bet jeinem MUnblicf. — Wie jah er ans! Leichenblaf, ber-
fallen und greijenhaft, mit tiefen, Dunflen Itingen um die
Augen, die glanglos gu ihr Hhernicder blicten. Cr per:
neigte fic) marionettenhajt und füğte ihr, wie immer, bie
1
Hand, aber bic Worte, welche er fpreden wollte, flangen
Heijer, wie ein unverftdndlidjes Gurgelu.
/ dames, um Gottes willen, bift du franf? Du fiehjt
fo erjchrectend bletd) aus!”
Gr jchiittelte ben Kopf, ein frampfhajtes Lacheln guckte
uin jeine Lippen. ,,Cine fatale Nachricht, eine WAujrequng,
aber nichts bon Bedeutung — — —
016? — Klaus! — Barmberziger Gott, ift etwas
pajfiert?” {ties Ynes bebend vor Sdjrec hervor, jahlings
Den Arm 568 Sprecher3 umflanmernd.
Er öritdte beruhigend ihre Hand und jdjiittelte ben
Kopf: ,, Gott fei Danf, nein! C8 ijt nur eine getdyüftfid)e
Nachricht 17
,Sames, id) glaube e3 nicht! Du willft mid) anf
etwas CEntjeblicdjes vorbereiten, erbarme dich, und fage
mit die Wahrheit!”
Er go0q cin Telegramm aus der Brujttajdhe und 1d)ob
e3 ihr mit bebenden Handen gu. Ep lies und tiberzenge
bid), 65 wird bid) am bejten berubigen!”
Das Papier İdymanfte gwijchen ihren Fingern, mit
weit aufgeriffenen Tiger: ftarrte fie barat: nieder: ,,Nor-
thern & Eons, fowie Veillard & Louis Brachjelder joeben
Stonfurs angefiindigt !”
Sues atmete tief ani und blidte ifn verjtandnisl[o3 an.
yün $onfur3? Was gehen dich dieje Wuslander an?”
Sterley firich mit dem Dduftenden Batijttuch iiber bie
hohe Ctirn.
pyder fonun diejer Wuslander foftet mid) die Haljte
— 125 —
meines BVermigen3!” antwortete er mit qlifernem Blic,
yund wenn Ddiefe bedeutenden Birjenfracdje noch weitere
im Gefolge haben, fo werden meine Verlujte nod) groper!
Cold) Fallifjement eines qrofen Banthaujes ijt wie eine
Lawine, e8 reipt mit fid) in das Verderben, was mit
ifm in Berithrung fommtl”
prWSeldh trauriges Schicjal!” Snes nam voll warmer
Teilnahme die Hand ihres Gatten in die ihre: ,,So müh
e8 einem Landwirt gu Mute fein, weldem ein Hagel:
jehlag bie fchine, jicjere Crute vernichtet!”
Gr prebte ihre Hand an feine Lippen, aujs hidyjte
betroffen fah er in ifr jo rubiges, unverdnderte3 Geficht,
weldem der Verluft von Millionen nicht ein Wimper-
auden verurjac)te!
“ /y9ne8, Dut Hochherziges, tapferes Herz!” {ties er durch
Die Büfne Hervor. ,,Gott feqne bid) für deine Worte!
O, febt fefe id) erjt, welch ein Glüd mir in bir ward!
Der fchwere Verluft hat mich Denno) reid) gemacht bird)
bid), deren volle Freundjdhajt und warme Sympathie id)
jebt erjt fennen emel %Wch, Gunes, Gott verhiite das
Schlimmfte. Bch bin feit Dem heutigen Tage nicht mehr
Der reid)e Sterley wie ehedem, aber ich bin, jo Gott will,
aud) nod) fein armer geworden! Die Hauptfache ijt
jebt, baf ich fo jdjnell wie miglich Heimfehre, um mit
allen Rraften fiir meine Sntereifen wirfen gu fonnen.
Kann id) bas Verlorene auch nicht gleich wieder einholen,
fo will ich doch das Gebliebene erhalten und jo viel als
miglich gu retten juchen!”
— 120 —
wth begleite bid), id) fehre mit bir heim, id) laffe
Dich nicht in biclem trojtlojen Bujtande allein, James!”
— Wie rubhig fie jprach, wie freundlich fie ihn anlachelte!
Dem Kommergienrat traten die Thranen in die WAugen,
— er wollte fid) abermal3 in bebender Haft über ihre
Hand neigen, fie inbriinftig zu fifjen, eine Blutwelle jdhof
in fein fables WAntlig — und jahlings die WArme hebend,
Die geframpften Hande gegen bie Schlaje gu prejjen, fanf
er mit einen tiefen Wufjtshnen vorniiber.
Che Frau Sterley ifn umfafjen und halten fonnte,
fehlug fein $Ştörper jdwer auf den Marmortijd) auf und
glitt wie leblos an ihr wieder zu Boden. — — — —
NTRMASNAANNTAMAN AZAN
VL
< in Unglitcé fommt felten allein.
y Die ungelheuere Aufregung iiber die uner-
wartete Gdiredensnadirid)t, welche bie Depejde
gebrad)t, und die gewaltjame WUnjtrengung, jeine Errequng
gu bemeifterm, hatten wohl in dem $törper de3 alternden
Mannes eine Krife herbeigefiihrt, welche fid) fchon {eit
einiger Zeit vorbereitet und nur auf den verderblichen
AnjtogR gewartet hatte, um gewaltjam hervorzubrechen.
Cin Sdhlaganjall hatte die rechte Seite de3 Bantiers
gelahmt und ihn forwobhl der Sprache wie de ffaren Be-
mubtieins beraubt.
Die Şİrşte Hielten den Şuftanb fiir fehr bedentlich,
wenn nicht hoffuungslos, und fo trug abermals ein Tele-
gramm Edired und Gorge in die Welt, indem e3 Sohn
und Stieffohn an da8 Kranfenlager de Vaters ref, und
bie traurige Nachricht Dem Stellvertreter des Chefs im
heimatliden Bankhaus angeigte.
Gerade in diefer Beit fchwerer gefchajtlider Wirren
war die Erfranfung Sterley ein doppelter Gdyidials-
— 128 —-
flag, und Sues, welche feinerlei Verftindnis für bic Lage
ber Dinge und den Gang ber Gefdhijte hatte, fonnte
auf all die telegraphijden Wnjragen, mit weldjcn fie von
Den Angeftellten der Bank beftiirmt wurde, feine andere
Uniwort geben, alS bağ fie dem Stellvertretcr ihres
Mannes die unbefdhrantte Vollmacht gab, nach beftem
Wife und Konnen die Gejcdhafte weiter gu fiihrer.
Cine trojtloje, jdmerzensreidje Zeit begann fiir bic
pamilie.
Der Bujtand de Kommergzienrates Hielt unverdndert
an, — İcine gute Natur fampite gegen das Verderben und
berlüngerte feine Leiden in qualvolliter Weife.
Snes pffegte den Gatten voll treuen Opfermuts und
Die Sohne ftanben ihr babet helfend und ftitenb gür: Seite.
Der Gedante an das entjchwindende Leben de3 Vaters
Drangte 16568 andere Gnterefje in ben Hinterqrund, und
wahrend in Kairo Tag und Nacht die Sorgen an dem
Schmerzenslager de3 Millionirs wadhten, miürfelte das
Schicjal daheim üDber fein Hab und Gut, über İcinc
Reichtiimer, welche der Willfiir jrembder Menfdhen preis-
gegeben waren.
/ Welch ein bitteres Gefdyidi17 feufgzte Klang, die blauen
Augen gum erjtenmal im Leben voll tiefen, fummervollen
Ernjtes geradeaus gerichtet. — ,,Moch im Sommer fagte
Papa, dak er fid) im Laufe de3 fonunetben Jahres gür
fe İeben und alle gefdhajtlichen Begiehungen föfen wolle,
und nun müb ifn nd) vor Fahresichlup der Wxthieb
jold) eines Unglics bis in bağ tieylte Maré trejfen!”
— 129 —
Die ftarre, unheimliche Stille faftete auf allen. Reine
Nachrichten mehr von daheim, bis endlich ein Brief an
ones eintraf, mit der refignierten Mitieilung, bab weit
ilber bie Halfte des gejamten Privatvermigens bird)
Die verfdhiedenen Ronfurje erfter Haujer verloren fei, daf
man aber hoffe, den Reft gu erhalten und burd) ernente
Arbeit und doppelten Fleip mit der Beit den Verlujt
wieder gu beden,
/Willft du denn das Gejchaft beftehen faffen, Mama?”
fragte Klaus überraidit, und Şofef jchiittelte finfter den
Ropf. ,Wie wire das malic)? Reiner von uns ver-
fteht etwas davon, wir find dem guten Willen Frembder
überlaffen, und das heift itbel bedient fein! — Wenn
id) raten bari, jo halte ich e8 fiir fehr notwendig, bab
Klaus das Gejchajt jo jdnell wie möqlid) fchlieBt, oder
fid) müt ben ausli:cijhen Leilhabern einigt und den RKeft
jeines Vermigens, welder ja immer noch fehr betradit-
lich ijt, rettet.“
,(öemib , das halte auch id) fiir dad einşiq Ridhtige,
und fowie unfer armer Vater erİt wieder beffer ift, baf,
id) reijen fann, will ich jehen, die Angelegenheit daheim
ğı arrangieren.”
ld), bağ Vater fo vollig Hilflos liegt, dak er nicht
denfen, nicht jprechen und uns feinen Hat und feine Be-
fehle erteifen fann. (65 ift eine Beit fchwerer BVerant-
wortung Tür ung, ein troftlofer Buftand, wie er vergrwei-
felter gar nicht gebad)t werden fann!”
Voll banger Sorge hatte Fojef anfainglich feine Mutter
N.v. Ef hftruth, SİL Rom. u. Nov., Frithlingsftitrme I. 9
— 130 —
Deobad)tet und befiird)jtet, dak der Verlufi der Millionen
cinten ticfen, vernichtenden Cindruc ani fie machen werde
— um jo erftaunter war er, al Snes wunderbar gefapt
und rubig itber biclen Weehfel der Verhaltniffe jprach.
Wlerdings war für ihre Begriffe auch ber Reft des Kapi-
talS nod) ein enormes BVermigen, immerhin war bei der
jebigen Lage ber Dinge die Frage: ,,wieviel bleibt fchliek-
fid) noch von dent Rejt?” eine fehr gereditfertiqie.
Der Tod be Bantiers ware fitr die ganze Familie
eine Grföfiniş aus qualvoller Ungewifheit gewejen, aber
Tag um Tag verging, und das leichenfarbige Wutlig faq
unverdudert, leife atmend, mit halboffenen 9fugen in den
Kiffen. Şa, e3 famen fogar Zeiten, wo eine entjdiedenc
Befferung eintrat, wo der Blick und die matten Berwe-
guugen der lütfen Hand verrieten, bab er feine Umgebung
fannte und verjtand, was gefprocjen ward. Die Wrste
{hipften nene Hoffnung und wandten alle Mittel an, die
uct erwadjenden LebenSgeifter feftguhalten.
(s fdhien gu gelingen, und abermals vergingen Woden
voll gagen Hoffens und nagender Angft, wahrend fid) ber
Buftand de3 RKranfen fo merflich befjerte, dak man das
Shlimmite fiir iberwunden hielt.
Da juhr abermals ein Slik aus blauem Himmel Herab.
Cine Drahtuadhricht ber Polizeibehirde meldete Neifter
Sames Franflin Sterley, dap fein erfter Raffierer nad)
Dejraudation einer Horrenden Cumme jpurlos ver-
fiyminiben fet.
Wortlos reidjte Ynes ihrem Sticffohn das Unglitds-
— 131 —
papier, und Klaus prebte fchwer atmend die Lippen şü:
jammen und ftarrte ohne WUntwort vor fid) nieder.
Dann fprang er auf und fchritt voll nervijer Aufe
requng im Zimmer auf und mieder.
yod mug heim, Mutter, — id) mug! Sie machen
un8 jonft gu Bettlern!” ftdhnte ev.
ones nidte mechanijd. ,,Reije, mein Sohn, ich fefe
eS jelber ein, €8 ift eine Notwendigfcit! Water foll deine
Abrwefenheit geniigend erflart befommen; e3 wird mir {don
ein triftiger Grund einjallen, welchen wir anfiihren finnen !/
Der junge Sterley ftiirmte in fein Zimmer, jogleich
jeinen $toffer gu paden und alles fitr bic WAbreije vorzu-
bereiten, welche abends um adit Uhr vor fid) gehen follte.
Ciliges Klopfen fteb ihn von jeiner Arbeit aufjdauen.
Der Kellner ftand atemlos in ber Thitr. ,,Die gna-
Dige Frau lafjen dringend bitten, fofort şir fommen. Der
Buftand Mifter Sterleys hat fid) verjchlimmert.”
Sater verlangt nach bir, Klaus, — ber WArgt ift bei
ifm, — an AUbreijen ijt gar nicht gu benifen 17
Der junge Mann ftrid) momentan über die Stirn und
{ehnte das Haupt fdyer auf Jofejs Schulter.
,Unverzagt, Bruder!” fliifterte dDtefer ernjt und ftric
gartlic) mit ber Hand ither das fodige Haar, ,,der liebe
Herrgott will e3 jo! — Geine Wege find hoch und oft
unbegreiflid), aber fie fiihren alle herrlid) hinaus!”
Man erwartete fchon in diejer Macht das Ende, und
Doch vergingen noch fiinf Tage, ehe der ungliicliche Dulder
Die Augen gum ewigen Schlaf jchlop.
g*
— 132 —
Da fenfte der bittere Schmerz abermals ben Edjleier
Der Vergelfenheit über alles Unheil in ber Heimat.
Klaus verjdob jeine Wbreife bis nach der Beifebung,
und lieg dtejelbe aud) nidit befdjleunigen, al neue Mach-
richten aufregendfter WArt von gu Hauje eintrafen.
Er fam wohl noch friih genig, um alle Pracht und
Herrlidjfeit einer Milltoneneriften; in Maud) und Dunft
gujaminenfdhmelzen gu feğen,
Sues und Sofef fehrten mit ihm guriick, und wenn
fie aud) auf das Edifimmite gefafbt waren, jo abhnten fie
Doc) noch) nicht die ganze Bitterkeit de Leidensbechers,
weldjen fie bis gür Şefe leeren follten.
An dem Tage ihrer Anfunft war aud) über das Bank
haus Games Franflin Sterley der KRonfurs verhangt, ein
Doppelt furd)tbarer Konfurs, weldjen die Zeitungen voll
Hherber, nacter Wahrheit einen betriigerijden Konfurs
namuten.
purdtbare, entfeblidje Tage brachen fiir die Familie an.
Wenn auch die perlönlidye Chre des Toten nicht an-
gegriffen werden fonnte, fondern bie Berweije far und
Deutlid) vorlagen, baf feine gewijjenlojen, jdjurfijden Be-
amten Die Herrenloje, auffidjt3loje Beit allgemeiner Wirren
benugt Hatten, um nicht nur bas Privatvermigen des
nerifaner3, jondern and) alle Depots, welche auf jeiner
Bank tagen, gu veruntreuen, fo war e$ Doc) immer ber
Mame Sterley, welder in ben Schmus gegzogen und von
ber öffentlidyen Meinung mit Steinen beworfen ward.
Welch eine dunfle, trojtloje Beit der Vergweiflung!
— 133 —
Die €dimad), — bic unverdiente und bennod) fie mit-
treffende Echande Hatten die ohnehin garte, durch die
lange Rranfenpflege vollig iiberanftrengte Frau auf da3
Kranfenlager geworfen, und die erlfe und ernjtefte BVer-
ordnung 568 WArgtes war die, jede Machridjt itber den
Şonfur3, jede neue WAufrequng ihr fern gu halten.
Die Frithlingsitiirme brauften um die Grfer und
Saulenhallen de3 Sterleyjcjen Palais. Unheimlich ticie
Rube lagerte über dem ehedem fo glangend belebten Haufe.
Su dem reich getdfelten Frihftitcészimmer brannte bic
Lampe und mari matten Schein über all die $toftbarfetten,
welde an den Wanden, auf Konjolen und Pruntchranten
blibten.
(8 war umvirilich in Dem Rimmer; ber qrobe Kamin,
welder joujt mit rotpraffelnder Glut das Gemach heiste,
ftand İdiara und falt, und doch waren die ranuhen
Lengeslitfte noch nicht başıt angethan, bas Feuer im Haufe
entbefrlic) werden gu Laffer.
Paptere und Wftenjtiicke lagen auf dem grofen Cichenz
holgtijeh ausgebreitet und in den bequemen Lederjeffeln
Davor fafen Klaus und Şofef, bejchaftigt, einen Uberblict
iiber bic traurige Lage ihrer Angelegenheiten zu geywinnen.
üfftöbnenə üffte Klaus die weigken, eleqanten Şünbe
in jein Lockenhaar.
Qi find ruiniert, Sofef! Micht allein baf Vaters
ganze$ Vermigen verloren und veruntreut ift, ja e3 bleibt
nit einmal jo viel, dag die ungliteflidjen Menjdjen,
— 1384 —
weldje ber Bank ihr Hab und Gut anvertrauten, ihr Gigen-
tun 3uviickerhalten finnen, und das, ofef, o Das ijt
furditbar, das üt jchlimmer wie unjer eigenes Ungliict!”
Der junge Torisdorff hob das verftirte 9intfib, fein
Sid: flackerte, um die Augen breiteten fid) Schatten wie
bei einem Cchwerfranfen. ,,Lidjtenhagen fehlt noc) bei
Der RKonfursmafje! C3 wird die Babhlen nicht fehr bez
Deutend, aber doch um ein weniges giinftiger beridyiebenl”
pridtenhagen?” Klaus madite eine Bewegung, als
wollé er bie Şönbe ani den Mund des Sprechers driicen:
ym alles in der Welt! C8 fehlte gerade noch, bağ dir
und ber Mutter auch diefes Tebte, eingige Criftengmittel
nod) genommen wiirde! Gott fet Lob und ant ift das
Gut dein perjintiches Cigentum, auf deinen Namen ein:
getragen und hat mit ber Rontursmafje abjolut nichts
gu thun!”
Und glaubft du, Bruder, id) witrde aud) nur einen
Pjennig behalten, jo lange e8 noc) Opfer des Bantrotts
gibt, jo lange Baters Glaubiger nicht jamtlic) befriedigt
find ? “
yDu mirit e3 nicht nur, fonbern du mupt e3, Şofefl
Was geht bid) bie Bank des Stiefvaters an? Nichts!
Was Haft du fiir Verpflichtungen? Keine!”
,dtoralijde !/
ydie Habe id), — und darum fomme id) ihnen nach.
(8 geniigt, wenn ich, Der ben Namen Sterley tragt, als
GSithne für die Gebranbidyağten zum Bettler werde. $d)
gebe alles Hin, bis auf den legten Heller, das geniigt !/
— 135 —
,ədir bid), aber nicht für mid) 17 — Şolef erhob fid),
jein 9fuge flammte. ,,Noblesse oblige! Gch gebe, um
mein eigenes Gewijjen gu beruhigen, um meiner ChHre
willen 17
7Sd; und was gibft du denn?” Klaus verjdhranfte
jehr nufig und gelaffen die WArme itber die Bruft. ,,Du
gibİt einen Tropfen auf einen heigen Stein, eine Bagatelle,
cin Nichts im Verhaltuiz gu den fehlenden Gummen, wn
weldje e3 fid) handelt! Şa, wenn der Gauner, der Kaj-
jierer, gefabt ware, wenn feine defraudierten Gelder wieder
gu erlangen waren, aber das ift fo qut wie ausfichtslos;
bie Vollmacht, welche Mama gegeben, hat ihn in jeder
Hinjicht imteritibi. Was follen alfo deine paarmal
hunderttaujend Mart angefichts jehlender Mtillionen?
Sie machen feinen ber Gejdhidigten glitcklid), Denn da
jie unter alle geteilt werden miijjen, befommt feiner etwas
Nambhajtes 17
/Sleichviel, id) Habe meine Schuldigfeit gethan und
das Andenfen de3 VBaters geehrt.”
/Und das Leben der Mutter geopfert! Glaubjt bir
Dent, Gofef, Die franfe, fdymad)e Frau fonnte diefen furdyt-
baren Weehfel zum Schlechten überitefen, jebt, nachdem
jie fo ungeheuer verwofhnt it? Der Verlujt von Lichten-
Hagen ware ihr TodeS8urteil, das fdimöre id) birl”
YAchzend jank der junge Şorisborif in den Seffel şurüd,
Er jchlug die Hande vor das Antlig, und feine fchlante
Geftalt bebte wie unter einem Sdhiittelfroft. Sd) bin
iibergzeugt, bağ Mama derjelben WAnficht jein wird, wie
— 136 —
ich!” İtief, er tonfo5 hervor, ,/id) hoffe fogar, daf fie felber
Die Anregung geben wird, Lidhtenhagen gu verfaujen!”
you irrft |”
yo irre? Woher meibt du bas?”
yo fenne die WAnfichten der Mutter!”
Betroffen ftarrte Jofef den Sprecher an. ,,Muferte
fie bir biefefben 2”
sal!
pludentbar, Klaus! Wann İpradit du fie?”
Sterley gerfnitterte mechanijd bic Papiere unter feiner
Hand. ,,Mama lich mich Heute morgen an ifr Bett
fommen und befragte nic) iiber ben Stand der Dinge.
wHre erfte Frage galt Lichtenhagen.”
you welchem Cüme?”
yb €$ bir erhalten bliebe! Gie jchien wie von
Centuerlajten ber Angft und Corge befreit, alB id) e8 ihr
verfidjern founte.”
Şofef nagte jdjweigend an der Lippe, der WAusdrud
tietfter Eeclenqual in feinem WAntlig verjcharfte fid).
pluiferdem İbrad) ich den Doktor!” fubr Klaus mit
jtarrem 33üf fort, und Sofef Hob den $topi.
Sas fagte er? — Cr perfidyerte mir, ber Zuftand
Der Kranfen fet unbedentlich 17
Ad mehr. Cr hat die Lungen unterjucht, denn
feit 3rei Michten Huftet Mama wieder fo ftart.”
pdavon ağırte ich nichts!”
, Xina Hat e3 dem Doftor, trog Wlutters Berbot,
Heimlich gemeldet.”
— 138 —
y/Und bağ Refultat ber İnterhidimig 2” — ofef hatte
fid) abermal3 erhoben und ftiigte fic) mit beiden Handen
jchwer auf die Tijchplatte, heige Rite trat au? jeine erlt
jo farblojen Wangen!
yun, e3 ift geformmen, wie ich gleich fürd)tete, und
wie auch du beforgteft”, feufgte Rlaus tief auf. ,,Der
qrelle Klimawedjel um dieje Fahreszeit, — aus dem
warmen Güben Hierher in den nordifchen, rauhen Bor-
friihling voll Sdhneefturm und Hagelfdhauer — e3 war
ja gar nid)t anders miglich, als bağ jolch cine Parjorce-
tour bie arme Miutter franf machen mufte! Bedenfe —
fie ijt fett Jahren feinen norddeutjchen Winter mehr qez
yöfmül”
pyUnd Linden fonftatierte . . . 2”
,Sin Lungentpibenfatarrh, fiir welchen fojort etwas
gcthan werden miifje. Mama foll nad) Şairo oder Stalien
guritct, jo fehnell wie miglich. öyür ihren Gemiitszujtand
und ihre Merven fet e3 auch Ddringend erjorderlid, dap
fie aus ber ungliiclichen Verhaltniffen hier herausfonunt!”
Seib Mama von diejer Forderung 2”
prosa, Minden fagte eS ihr.”
/Und fie?”
,ediim vbllig einverjtanden. Cie will Heute abend
MNiahere mit bir befprechen.”
Sofef fHlug die bebenden Hande vor das YAutlig.
Sie geht gern?”
wa, fie fagte mir, fie empfinde e$ jelber, bağ fie
Hier gu Grunde gele”
Das
—
— 139 —
Cinen Augenbli Herrfchte Sdhweigen. Die Uhr tidte
wie ein miider Hergfchlag von dem Ramin heriiber.
Şofef fiihlte, wie jeine Nnie gitterten.
Wovon foll der foftfpielige Wufenthalt der Mutter
beftritten rwerden? — Die Renten von Lichtenhagen er-
miglicen e3, — fie eingiq und allein. Mun gibt 68
feine Wahl mehr für ihn, nun fteht die furchtbare Not-
wendigfeit zum gweitenmal im Leben vor ifm, — grau-
jam, unerbittlich feine Hande bindend, ihn fmebelnd mit
Dem Worte: Du muft!
Er bari das Leben der Wlutter nicht opfern, um der
ftolzen Chre willen!
Er mib auch dies Mal fein hichftes, ureiqenes Em-
pfinden Der Sohnespflicht opfern Und gleicjjam, wie
ein Echo jeines gemarterten Herzens flingt die Stimme
568 Bruder neben ihm: edon darum muft du Lichten=
Hagen behalten! La die Leute reden, was fie wollen, —
Leben und Gejundheit der Mutter gelen: vor!
Lap die Leute reden!
Sefer wiihlte wie ein Vergweifeluder dte Hinde in
Das Haar. Was werden fie reden. CSteinigen werden
fie ben gewijfenlofen, ehrlofen Mann, welcher voll Hab-
qier feine Ed)übe ans dem Schiffbruch rettet, welder
anderen müfüdfidyen Menfchen den lebten Heller nimmt. —
Sit jolch ein Bewuftfein zu ertragen? — Werflucht joll
jeder Grojdjen fein, welchen Jofef Tovisdorjf von diejen
Gutsrenten fiir fid) und jeine Perjon verbraucht. Mag
die Welt feine Chre brandmarfen, vor fid) felber und
— 140 —
feinem Gewiffen will er rein und mafellos baftefen, —
nicht ber Cgoismus, nicht die Geldgier laffen in die
Hande iiber Lichtenhagen breiten, jondern die Vergweiflung,
yeld)e den Sohn nidt zum Mérder der Mutter werden
faffen will.
Der Klang einer Schelle fat ihn aus feinen Ge-
Danfen auffchrecten.
/ Mama fheint allein gu fein. Bch gehe şir ihr, Kaus.
Bitte, fieh bieles Verzeichnis noch einmal durch, 68: find
Die Kunjtfdhage aus Papas Sammlung, ifre WXuftion müb
auch noch einen bedentenden Ertrag bringen.”
Solef wandte fid) und fchritt gur Thiir, an das
Kranfenbett der Mutter gu eilen.
Sue blicte ihm mit tief umid)atteten Wugen entgegen.
pdift Du endlich wieder aus ber Stadt şirüd, mein
Herzensjohn?” — fragte fie mit leijer, flanglojer Stimme,
,it) Habe voll Sehnjucht auf dich gewartet. ft Ton
cima8 iiber ben Verkauf diefes Haujes bejtimmt 2”
Soflef füfte 3artlich die weifen, burdifiditig şarten
Hinde. Sa, Mamadjen, die WAngelegenheit fonnte qüd:
licherweife unter ber Hand geregelt werden! Das Grund-
iti wird von Dem ölünifterhm angefauft, und bas Haus
gum WMujeum fiir Voslferfunde eingerichtet.”
San miiffen wir e3 raumen 2”
"Şor dem erften April feinedsfalls, und folfteft du
algdann noch gü frant jein, wird leicht eine Verlangerung
unjeres WUufenthaltes gu berwirfen fein!”
Sne8 füd)efte matt. 2915 gum April? Sd) glaube
— 141 —
nidit, bağ id) biefen Monat noch erleben werde, wenn
id) hier bleibe. Linden will mich fo fchnell wie miglich
nad) Rairo surüdididen ”
Sofef nidte fdhweigend.
/Und ich felber habe bas Bediirfni3, aus diefen mor-
Denden Verhaltniffen hier herauszufommen! Sd) werde
morgen verfudjen aufzuitehen!
Sd) befchwire bid) —itbereile e3 nicht! Sei borfiditiq 17
yeyib, Darling, — Linden foll beftimmen. Wber vor-
her möd)te id) noch einiges mit bir befpredjen.” Gic
huftete fur3 auf und fubr leijer fort: ,,Rlaus jagt, bafi
Lihtenhagen dir erhalten bleibt?”
Sofey fenfte das Haupt tief gür: Brujt, er antwortete
nicht gleich, Denn Klaus betrat joeben auch das Zimmer
und nahm gu yüben de3 RKranfenlagers Pla.
/Son Gericdhtswegen fann mir die Şerrid)aft nicht
ftreitig gemacht werden”, fliifterte Jojef tonlo8, ,,und wenn
e3 fein mu $, İp werde ich fie behalten.”
,enf bir, Mama, er hatte die jehr edle, aber hichft
ungeredtfertigte und unpraftijde Wbficjt, das Gut gu der
Ronfursmaffe fchlagen gu faffenl: Gott fet Dank hat er
aber eingejehen, baf, die Renten für deinen Lebensunterhalt
unentbehriic) find!”
Snes blicte mit grohen Augen auf. ,,Du wollteft,
Solef? Wes opfern...? O, das gleicht betnem edeln,
gropen Herzen, du braber Sötenid) 17
Sn: dent Augen 5e$ jungen Torisdorff leuchtete e8
momentan wie ein Gunfen der Hoffnung auf.
— 142 —
Hy Richt wahr, Miitterden, du gibft mir recht barin 1”
ftammelte er heif ergliihend.
Snes ftreidhelte feine Hande, — fie ftarrte einen Wugen-
bli gerade aus, wie in ticfem Sinnen, dann fragte fie
leije: , Sage auf dein Chrenwort, Şofef, du miürbeft unfer
alte3 Familiengut hingeben, wenn — wenn id) nicht mehr
lebte . . oder Doc) nicht franf wire?”
Sofef guckte zujammen. ,,Mlutter!!/
Sage e3 ehrlich, mein Sohn, du behaltit 66 nur um
meinetwillen 27
Ma, Mama!” mari Klaus hejtig ein, am bid) vor
Mangel und Not gu fchiitben! Das fagte er mir joeben
felbjt, und, bet Gott, dies ijt feine erfte und heiligite
Pylicht! Cr nübt Durd) ben Verfauf de3 Gutes niemand,
aber er jchadet jeiner armen Mutter an Leib und Leben!”
Und wieder blidte Şnes rubhig, wie ernjt erwiagend,
por fic) bim, wahrend Şofef fein WAntlib aut ihre Hand
prefte. Cin feltjamer Wusdrucf lag auf dem WAntlig ber
Kranfen, Genugthuung und eine beinahe jtarre Cnt-
{chlo jjenheit.
prose banfe bir, Şofef, Dak du mir das Opfer Dringit
fagte fie dann İdinefl und leije, ,,ein Opfer, weldhes id)
Danfbar annehme; e3 ift İp bitter Bart, hilflos zu leiden.
Auperdem brauchft du dir fetne Sfrupel gu machen.
Lichtenhagen üt ein Gejchenf deines Baters, und ebenjfo-
wenig, wie wir verpflicjtet find, jeden Bifjen, welchen wir
jeit Gahren hier im Haus gegefjen, jede Gabe, mit wel-
cher un8 Tapa wahrend der fieben Şahre erfrente, jept
— 143 —
auritcfguzahlen, ebenfowenig fann man von uns verlangen,
bab wir unfere privaten Erjparniffe, refp. bie Gejchente,
welche wir erbhielten, şürüderitatien Go wie die Ber-
haltniffe liegen, müiffen wir mit jedem Pfennig rechnen.
Die Grogmut und der Cdelfinn find fchnell bereit, fid)
gu Betilern zu machen, aber ein Leben voll bitteriter
Not und Enthehrungen fehleicht gar langjam dahin, und
barımı müb man die Generofitüt auc) nicht iibertreiben.
Mein ficber Klaus, hajt du eigentlich İd)on barilber nach-
gedacht, wie fid) deine Bufunjt geftalten wird?”
Sterley jenfte den blonden Lockenfop] einen Wugen-
bid gür Bruft, Dann aber hob er ihn frifch und wohl-
gemut im Den Nacken und lachelte: lm: mich jorge dich
nicht, Mama! Sd) bleibe der Kunjt treu und merbe
mich fcon durcdhjcdlagen! Bch habe an illujtrierte Wib-
blatter ja fchon friiher manch fleine Sfizzen geliefert aus
Sreund{dajt, weil id) die Redafteure fannte, nun werde
id) fiir Geld jolche Beitrage arbeiten, und augerdem die
Bilder, welche id) fertig malte, zum Berfauj ausfteflenl
Mit gutem Mut und Luft und Liebe gur Arbeit fommt
man 1d)on burd) die Welt! Bch benfe und hojfe, bab
ba8 Gliic noch nicht das legte Wort mit mir gefprochen
hat und einen braven Rerl nicht im Stiche fübtl”
Sofef Şatte fid) erhoben und fegte voll inniger Şerş-
lichfeit Den Arm um den Sprecher.
yoalt, Kaus! Nicht die Mechnung ohne den Wirt
gemacht!” fagte er mit mitdem Lacheln und einem ver-
geblidyen BVerjuch gu foherzen. ,,Wenn id) euch den Willen
— 144 —
thue und Lidjtenhagen behalte, jo ftefle: ich auch meine
Bedingungen. Dieje Stunde ift jchwer, bitter fchwer fiir
mid), und dennoch tragt aud) fie ihren Segen in fid), fie
gibt mir bie Miglichfeit, dem lieben, feligen Vater und
bir all die Liebe und felbjtloje Güte zu banfen, mit wel-
cher ihr mein und Mutter3 Leben fo reich gemacht! Das
erfte Sahr nad) Dem Cramen, welches Vater mich in deiner
Begleitung auf Reijen verleben fieb , dann die Studien-
jahre, welche er mir in freigqebiger Weife ermiglidjte, haben
mich şettleben5 şı feinem Gchuldner gemacht. Nun fann
ich gottlob jagen: ,Wie bir mir, fo ich bir, und was er
Gute3 an mir gethan, das fann und will ich nun an
feinem Golin vergelten!*
Dein İd)öne8, ideales Talent bar? nicht in dem Kampf
um das tagliche Brot untergehen, Klaus. Noch ein paar
Sahre ernften Studiums, ohne Sorge, ohne Not, werden
Deine Kunft zur Meifterfhaft reifen lajjen, und başı
werden bie Renten von Lichtenhagen ihre Schuldigfeit
thin! Was mein üt, das it auch Dein, mein Bruder,
und wenn Mutter und du fid) in die Revenuen teilen,
jo fönnt thr ohne alle Entbehrungen, frei und glüdlid,
leben !/
prsojey! mein Şofef17 Klaus umjcdhlang den Stief-
bruber mit beiden Armen und füğte ihn voll tieffter Gr-
quiffenheit. ,,Wenn du Ddiejfes Opfer für mid) bringen
wollteft, mir nur noch ein paar Şafyre fortzuhelfen, dak
id) Stunden nehmen und die nötigern Reijen machen, baf
id) al$ freier, ungebundener Riinjtler meine Etudicn voll=
VM.v. Git ftruth, VL. Mom. uw Nov, Hrithblingsftiirure 1 10
— 146 —
enden fann, o Sofef, id) wiirde e8 voll herglidjen Dankes
annehmen, und e8 bir, jo Gott will, etmit beweifen, baf
Du deine Gitte an feinen Unwiirdigen verjdwendet Haft!”
Sofef legte die Hand auf die Lippen des Eprechers.
pxcinen Dank, Klaus, e5 ift Deincs Vaters Geld, welches
Du vergehren wirjt, id) veriwalte e3 ja nur fiir dich!”
ones micte ifm mit leuchtenden BWugen gu und reidhte
ifm bie Hand entgegen. Da: erwartete id) von bir,
mein Sohn!” lachelte fic, ,und id) weik, bab dies Geld,
yoeld)e5 du af dinib. empfindeft, weil du eS nicht als
Xropfen im Meer untergehen lajfen willft, doch feinen
retdyen Gegen bringt!” —
Klaus hob pliglich den Kopf. Ən jprichft nur von
Mutter und mir, welche fich in die Rente teilen follen,
Sofef, — und du? — was wird aus dir?”
Sr ftudiert weiter! — felbitteritünblid) 17 —
/kein, Mutter, das glaube id) nidt. Mod) bin id)
mir nidjt pöllig ffar über meine Zufunft, aber ich werde
Den rechten und eingigen Weg finden, meldyen id) gehen
mup, um Ruhe, Frieden und Glüd gu finden. Sd) hoffe
bir bald das Refultat meiner Crwagungen mitteilen zu
firnen. Und nun, gute Nacht, du hergliebe, bejte Mutter!
Lina bringt dein Wbendbrot, und e3 ijt Beit für bid), gu
ruben |”
Snes fafte feine Hande und blicte ihm tief in 543
blaffe, fdmerggefurdjte WAntliz. ,Sofef” — fliifterte fie
leije, wie in banger Frage.
Da neigte er fid) und fiipte gartlich ihr Wntlig unter
— 147 —
dem ergrauten Haar. Seine Hand umfdhloR in feftem
Druck die ihre: ,difaf niğig, Mutter!” — lachelte er,
pchlaf fanft und fig!’ —
Aber Jnes jchlief nicht. Gie lag mit weit offenen
Augen in den Kiffen und ftarrte mit brennendem Sif in
das perldifeterte Licht ber Nachtlampe. Hatte fie recht ge-
Handelt, indem fie ihrem Golin verjdjwieg, bab, fie Sidyten-
Hagens Revenuen nicht gebraudjte, um tn Citden ge-
nejen zu fömen? Şa, jie that recht baran, denn fie
jorgte für ihr Rind. Das Kapital, weldhes fie in den
fieben Şafren ihrer Che aus ihren Erjparnijfen und den
Geburtstags- und Weihnacdhtsgejdenfen, welche Sterley
ihr in Form Hhoher Summen verehrte, erfpart und guriic-
gelegt hatte, war ber $totgrold)en, mefdyen fie für bofe
Beiten bewahrt hatte.
Mun fam diefe böfe Beit und ballte die fchwargen
Wolfen imbefdireiblidyen Clends iiber ifnen. War das
Opfer, welches fie einft gebracht, wahrlich vergeblicd) ge-
wefen ?
Hatte fie nid)ts für ihr Kind erveid}t, als den Fluch
eine3 gebrandDmarften Namens, welcher fid) burd) ben
Stiefoater rettungslos auch auf einen Torisdorif itbertragt
und jeinen Schatten auf Schild und Chre mirit?
Oit dieje furchtbare Zeit voll Kranfung, Edimad) und
Verarmung alles, was diefe fieben Jahre an Gterley
Seite, biefe Jahre voller Selbftverleugnung im Dienfte der
Pflicht, eingetragen?
10*
— 148 —
ait fie darum Frau Sterley — Frau Kommersien-
rütin geworden, um nun im Verein mit ifrem Kinde unter
Den Keulenfdlagen, mit weldjen das Sdhickfal anf das
Haus 568 Gatten einfchlagt, gujammengubrecjen?
Nein! taufendmal nein!
Starre, trobige Erbitterung iiberfommt fie.
Sie will auch nicht umfonft geopfert haben! Cin
Lohn foll ihr wenigitens werden und bleiben, — ihr Kind
foll ein reidyer Mann fein. Gein Cdelfinn, feine jugend-
lide Phantafie wollen ihn zu uniiberlegtem Cdyritt ber-
leiten, — Gunes aber breitet die Hande über das gefahr-
bete Familienqut und fpielt noch einmal die Vorfehung
im Leben ihres Sohnes. Sie verheimlicht ihm ihr Privat-
vermigen, weldjes in auslindifdher Bank ficher liegt und
awingt ihn, um der Mutter willen, an fid) felbjt gu
dDenfen! — Snes atmet tief auf, neigt Das Haupt und
jchlajt beruhigt ein.
YIL
ic Wolfen jagter an dem Moud voritber und
Warfen gejpenftijche Schatten burd) die unver-
Hitllter Fenjter. Windftipe riittelter an ben
Safoifion, und bic foujt felbft nad)t3 belebte Strape faq
{till und öbe, in Regenfluten gebadet.
Das Licht anf dem Leuchter war füngİt Herabgebraint,
und mür: Tab Şofef ür dent umvirtlich falter Zimmer im
Wioudesdammern, das Haupt i die Hand geftiikt, und
rang abermals in ben jehweren Ceclenfampfen, an weldjen
jein junges Leben fo itberretch war.
Wie eit fteuerlojfes Schiff aust ben bimffen Fluten des
Meeres Hine und Hergefchlendert wird, wenn der Sturm
fid) erfebt, und das Hilflos gebrechliche Spielzeug in toller
Laune von den Hohe in die Tiefen jttirgt, fo war auch
Sofef jeit Jahren ein treibendes Blatt auf den Wogen
DeS Schictjal3, welches feine junge Seele durch alle Phajen
jelbjtqualerijder Vergrweiflung pettid)te. Cr war ein un
qfüdtid, beanlagter Charafter, das Hatten İd)on feine erften
— 150 —
Ergieher den Cltern verfichert, und der General hatte e3
geglaubt, wihrend Bues verficherte: ,,dede$ Kind, tel:
hes einjam, ohne WlterSgenofjen gwifdjen Gropen auf-
wadhft, wird aftffıg und zeigt Hang zur Cinjamfeit und
Gritbelei.” — Dennoch bewabhrheitete fid) diefe Behauptung
nicht, denn gerade ber Gdhulverfehr liefy des Rnaben
Cigenart mehr denn je Hcrvortreten.
Er urteilte İdirotf und voll iibertricbener Strenge, er
Hielt harmloje Sungenftreiche fiir BVerbredjen und das
lindefte Vergehen gegen die mehr wie ftrengen Gejcbe
ber Hreundjchaft fiir Verrat und Treubruch.
Se alter er ward und je fchrwieriger fich die Verhalt-
nijfe im Haus der verwitweten Mutter geftalteten, defto
{ch wargfeherijcer und itbertricbener wurden feine Urteile
itber Welt und Menjdjen. Boll gather Beharrlichfeit hielt
er am Den WAnfichten fejt, welche ber General ihm itber
Chre und Wdel eingeimpft hatte, WAnfichten, weldhe für
Das WAuffaffungsvermigen de3 Kindes beredhnet, fehr grell
und mit dicen Farben aufgetragen, thin beritünolid)
gemacht wurden.
So wurzelten fie feft, und fo blieben fie in ihrer
bişarren Gorm beftehen, wie ein heiliqes Vermadtunis,
welde3 man in Ehren halten mug. —
Dadurc) ward ein Brwiefpalt in feinem Bunern gez
fhaffen, welcjer ftet8 qualender und empfindlicher für
ifn ward, je öfter das Leben an den Wakhngebilden
riittelte, welche e3 in Der Theorie allenfallZ noch duldet,
in ber modernen Praxis aber unbarmbergig iiber den
— 151 —
Haufen ftipt. — Das bedeutete für Şofei jedesmal cinen
Kampf auf Tod und Leben, und auch jest rang er in
einem Suftand der Verarweiflung gegen die unerbittlidjen
Verfettungen des Gejchic3, welches abermals die For-
Derung an ihn ftellte, fein ureigen|tes Yoh zu verlengnen
und fic) Verhaltniffen angupaffen, welche er nun und
nimmermehr als richtig anerfermen fonnte.
Und dennoc) mugte er fid) fiir biefefben entjcheiden.
Er mufte! — So wie immer band ihm auch diefes Mal
ein unbarmberziges , Mug” die Hinde. C3 gab feine Wahl.
Die Keulenfehlage des Gdyidfafs fielen auf ihn nieder
und germalinten den lebten eft von Stolz und Selbjt-
bewuftfein! —
Denft er baran, was er thun mü$ und thun wird,
jo jehnitrt ihm die Scham die Kehle gujammen, fo j{teigt
ihm das Blut ins Gefidit und malt ihm das Şainöşeid)en
ber Echande auf die Stirn.
Er behilt fein Vermbgen! Er reift den Reichtum
an fid), wiaihrend hunderte von ungliicflichen Wenjdjen
Durch den betritgerijehen Barnfrott der Bank feines Vaters
gu Vettlern gemacht wurden!
Güc Darben, fie Hungern — und er genieft die Renten
DiejeS Siindengeldes, er, ber ben Namen eines Cdelmannes
tragt, er, welder mit Dem Namen die Verpflictung des
Adel iibernommen, einguftehen für: Chre und Redht.
Des Feindes rib, de3 Sdhwacdhen Shug!
Rlingt das nicht wie Gronie? — Wie Spott und
Hohn für fein Handeln?
— 152 —
Şofef wiihlt aufftihnend die Finger in das wirre
Haar, er michte wild aufjchreien in der Qual feines
Hergens, er möd)te vergehen in Cfel und WAbjcheu vor
fid) jelbjt.
Und gibt e3 Ddennoch feine Hilfe, qar feine Rettung
für in aus jolcher HergenSnot? Bofef Hebt voll leiden-
jhajtlicher Erbitterung das Haupt.
© ja, e8 gibt eine Ciihne für feine Schuld.
Ss gibt ein Heiliges Wajfer, welches ihn rein wajdt
von ber: breunenden Gewiffensqual. Benes Wafjer des
Şinmel8, mefd)es ifn von Welt und Leben fcheidet, fern
in Der Cinjamfeit durch cin Leben voll Bue und Reue
Die Simdenlajt abgutragen, unter welcher fie alle feutzen.
Vort fann er die Secle feines Stiefvaters, welder iro$
allem und allem die Schuld an dem gangen Clend tragt,
{reibeten, fann fiir Mutter und Bruder, welche in fünb-
Hajter Verblendung nach fremdem Geld greifen und feinen
Uberflufy geniefen, derveil die Betrogene Unjdjuld ber:
Hungert, — fithnen und abbitten bird) das Hingeben
feiner felbjt. Cr will Klerifer werden, Minch oder Geift-
licher, er will Geld, Muhin, Stelling, Name, fein ganges
Lebensgliice Hingeben alS Opjer, und er wird Fricdew fir
jeine gehebte Geele finden.
Gr hat ftets Guterejje fitr: ben qeiftlidGen Stand ge-
Habt, wenngleich e8 ihr nic voll fetbenidyattfidyer Scdhwar-
meret in die Kloftermaucrn gezogen fat,
Auch jegt ift fein Cutjdhlug nicht die Ausgeburt Heilig
ernjter Uberzeugung und jeliger Glaubenstraft, fondern
— 154 —
lediglich cine Cingebung feiner Verarweiflung, weldhe fid)
mit blinden Wugen einer rettenden Zuflucht entgegenftiirzt.
Was bleibt ihm auch jonjt noch iibrig in ber Welt?
Er wiirde lieber şı Grunde gehen, efe er auch nur
einen Pfennig pon jenem Gelde nahme, weldjes ifm nad)
aylıq und Recht nicht mehr gehirt. Studieren fann er
nicht mehr, — von Lichtenhagen Sefiş erareifen und e3
bewirt{haften? — Nie!
Was aljo bleibt einem Freiherrn Torisdorif itbrig?
Die Kutte, welche all die Wunden bedt, bie die falfche,
betrilgerild)e, gemeine Welt fchlagt, eine Welt, welche
jtetS mit Fingern auf ben Sohn de3 Vankrotteurs deuten
wird, ber jhamlos genug war, reich git bleiben, wahrend
andere Durch jeine Schuld verarmten.
© Ddiefer morDdende, furditbare Gedanfe! Wie uneve
traglich ift er!
Sofef fonmt fid) vor wie ein Gebrandmarfter, welchem
Die Schande auf der Stirn fteht! Cr jchamt fid), einem
Yüenidyen in das WAuge gu fehauen, er flieht das Sonnen-
fidit wie ein Geachteter, er bricht gujammen unter dem
fid) der Chrlojigfeit, welder auf ihm İaftet, jo Lange
Lichtenhagen in ben WAugen der Leute fein Cigentum hHeift,
jo lange wie noc) ein Şöfenmiq der gropen Sdhuldentaft
De8 Haufes Sterley unabgetragen bleibt! —
Die Sham, die Vergweijlung treibt ihn tm bas
Rlofter!
Weit weg von Hier, wo niemand ihn fennt, wo feiner
ant, Dag er SterleyS Sticffohn ijt! Dort will er ver-
— 155 —
geffen und vergefjen fein! Was verliert er in ber
Welt? Nichts!
Das Gite ftebt er nicht, Denn er fennt e3 nicht. Und
Das Glüd der Liebe, von welchem er fo viel holde Marden
gehirt? — Dem glaubt er nicht.
Gr jand noch fein Weib, welches jein Herz Hiher
{chlagen liek in fiber Gehnindit,
Gr hat nur in allen die Satanella gejdhaut, welche
Die Teufelshirnchen unter Rofen verjtectte. Cr fuchte die
grauen nicdjt, — und die, weldhe ifn judjten, widerten
ifn an.
ber feujde Şofef” hat man ihn fdergend unter den
Studenten genannt.
Sdherzend und jpottend. Keufehheit und Frimmigfeit
find Tugenden, welche fo fremd geworbden find, bab fie
043 fin de siöcle für Requifiten aus der Rumpelfammer
halt, man lacht barüber wie über einen altmodifden Hut.
Mich üfter Fojet lachte man, und in feincr mimojenhaften
Empfindlichfeit şog er fid) verlewt guritcf. Nein, er verliert
und verjaumt midt3 in der bunten, fetditfimigen Welt, —
er fehrt af$ müber, verbitterter und menfchenfeindlicher
Gaft in dem Mofter ein und legt fein Herz und feine
Eeefe, fein ganzes Selbft und Se) als Siihnopfer auf
Den Wltar der Maria nicder.
Sofef atmet tief auf, erfebt fid) und ftreidjt itber die
Heipen, fHhlummerlofen Augen.
Dann greift er nach ben Schwefelhilzern und entgiindet
ein neues Lidht.
— 156 —-
Er will jehreiben an ihn, den vertrauten, fieben Freund
jeiner Sindheit, an den Defan Duncaczy. Wie lange
blieb er ihm einen Bricf fehuldig! Bulegt erhielt er Nach-
vicht von ifm aus Peft. Wie ojt hat er frither ben Kopf
auf Die Knie 568 treuen Lehrers gedriict und ihm all die
fleinen Eorgen und WAuagjte feines Kinderherzens gebeidhtet.
Und der milde, Freundlich qute Mann, welder in Wahr-
Heit ein Corger jeiner jungen Ceele war, fand jtets das
rechte Wort und den rechten Trojt fiir die Verzagtheit
feines Schitlers. Cr wird auch biesmal das Licht jein,
welches erldjend den Gann der Dunfelheit brid)t, in
welchem ein Menfchenhers ringt.
Şofef uimmt voll bebender Hajt die Feder zur Hand
und İdireibt.
Regungslos, wie eine Marmorjtatue, fab Sues in dem
Sejjel vor Dem Kamin und ftarrte mit ausdrucklofen,
weit offencn Augen in die flammende Ghit. Meben ifr,
an Dem Ddunflen Porphyrgefims, lehute Gojey und eröffnete
Der Wlutter mit rubiger, aber fer fejter Stimme den
Plan fener Şutimit,
pbriefter willft du werden! Aus weldjem Grande?”
yo Tüffe jchon feit langerer Beit das VBerlangen,
mich biclem Beruf zu widmen, feit (ester Beit mehr ben
je, und fo, wie die Verhiltniffe momentan fliegen, glaube
ich jogar eine Berechtigung dagu gu haben, mein Leben
in den Dicnjt Gottes gu fteflen, “
,Gine Veredtigung? Die Hat jeder Sötenid), dem es
— 157 —
mit feinem Glauben und der Entjagung alles defen, was
ifm jonjt fieb und beqehrenswert war, Erujt ijt. — Sd)
bin 3u ftrenggliubig, um je meinen Sohn wegen diejer
BVerufswabhl 3u tadeln, id) bin aber andererjeits auc) Mutter,
verantwortlich fiir Das Wohl und Web ihres Kinde3, Darum
ftcht mir das Recht gu, jeine Plaine gu iiberwachen und
gu priijen. Du fagit, bab du feit langerer Beit jdhon das
Verlangen hegteft! — Sd) habe nie an der Wahrheit deiner
Worte gezweifelt, Sofef, — in biclem ugenblicl thue ich
e3. Du warft İtet8 gufrieden und qlüdfid) bei beinem
Studium in Bonn, ja, du haft heimlich, aus Bajfion, noch
im legten Jahr beridyicbene Bergwerksdijtrifte bereijt, weil
Dein Kommilitone St. ein befonderes Bugenieur-Genie in
bir enibedi 3u haben glaubte. Wir fiirdjteten fchon, bab
bu dic) ganz und gar Ddiefem Beruf guwenden wollteft.
Vom Klofter verlautete nie ein Wort. Welch eine Ver-
anlafjung ijt e3 alfo, bab du dich ihm pliblich guwende[t?”
Die grauen Augen der Fragerin rubhten fejt, mit burd)-
Dringendem Sid ani dein übermüditigen Antlig des Sohnes,
und Şofef wich diejem Blice aus.
yun, id) dachte, Mama, das furcdhtbare Schicfjal,
weldhes uns heimgefucht hat, ware BVeranlajjung genig,
Den Sinn auf ernfte Bahnen gu Lenten.“
Sas geht bid) bas Sdhicffal der Gterfeyğ an?” —
Er jchraf gujamnmen bei dem falten lang ihrer Stimme.
posames Sterley war mein Stiefvater!”
Son deffen Blut fein Tropfen in deinen Wdern freift!
— Du büt ein Torisdorffj! Wer ijt im Ausland von
— 158 —
meiner Che unterridjtet ? — Wir werden dort wohnen und
leben, ohne Daf ein Schatten diejer trojtlofen Vergangenheit
uns bebelligen wird. Den Namen Sterley jiihre ich
nicht mehr!”
/ Mama ? 1”
sues fegte jah verdndert beide Hande wie in bez
jchwoirendem Flehen auf den erhobenen Arm de Sohnes.
yd fann e3 nicht mehr! Sd) gehe baran 3u Grunde!
Seder anİtünbige Menjc) wird mir das nachjiihlen und
vergeben! Ja, wenn der Banfrott nid)t ben jurchtbaren
Söetgefd)madi de3 VBetrugs gehabt hatte! Wher diefer Meafel
— nein, denn fann ich nicht alS eingiges Grbe DdDiejes
Mannes durch den Reft meines Lebens 1d)feppen 17
Sojef jah leichenhaft blag aus, — jeine bebenden
Lippen öffneten fid) gu leidenfchajtlider, rüdfidytsioier
Antwort, wie fie ihm die Crrequng eingab, — gleichzeitig
aber eridyütterte ein Huftenanfall die garte Geftalt ber
Mutter, fo Hejtig, jo unheimlid) im Klang, bab Şolef
voll jaihen Gdireds die Arme um die Ringende jdhlang.
Sie war franf, ad) fo franf! Darf man noch mit ifr
rechten wie fonjt? — Mein, gewifk nidit.
Krantheit macht fo leicht egpiftifd), bitter und ungered)t,
und bic Laft ber lebten Zeit war gu grof fiir dieje fchmadjen
Schultern.
Sofef brüdi die gebrechliche Geftalt an jeine Bruft.
Gr antwortet nicht, jondern ftreicht nur liebevoll über das
filberjtreifige Haar.
Gie blidi wie in erwartungsvollem Forjden gu ihm
— 159 —
auf: ,,sojef! Gollen die fieben Jahre vergeblid) burdilebt
fin? Gollen fie gar nichts genüğt haben? Collen wir
wirflich Heute auf demjelben Bunt jtehen wie Damals, —
alg Du jo ungern der Welt und dem Glick entjagen
wolltejt 2
,Die fieben Şafre waren nicht vergeblich, Mutter!
Sie Haben fiir deine Gejundheit alles ermiglidt, was
Dajiir erforderlich. war.”
pour meine Gejundheit!” Jnes lachelte bitter: lm
Derentwillen hatte id) fein Opjer gebrad)t, Boje!” Sie
neigte fid) flüfternə naher: Sd) fenne bid) ja jo genau;
id) meiğ e3 ja, wie €8 in Deinem Herzen ausjieht, als
blidte id) in einen Spiegel! Sd) meif, weshalb du pliglich
KRlerifer werden will{t, und ich verwebhre dir diejen Wunjdh
nicht. Wber eine Bitte jpreche id) bir aus, und wenn du
mid) lieb Haft, wenn du mein folgjamer, treuer Sohn bift,
erfüllit bu fie!”
əeprid), Mutter, fprich 1”
Sie faft jeine beiden Hande und blict ihm wie be:
{hwirend in die Augen: a Klofter wird nun und
nimmermehr dein Glick jein, Denn das, was bid) hinein-
treibt, ijt nid)t die Liebe gu Gott, jondern Hag und
Veradhtung fiir die Welt. Darum pritfe du dich felbjt,
ehe du bid) fiir ewig bindeft! Gelobe e3 mir in die Hand,
wie einer Sterbenden, deren İebten Willen man erfiillt,
bid) fitrerft nur in dem fchweren Beruf gu iiben, ehe du
Dic) ihm dauernd hingibjt! Gdynöre e3 mir, noch drei
Safre gu warten, efe du ein Gelitbde ablegit, oder die
— 160 —
Hohen Briefterweihen empfangit! Go lange lak den Weg
offen, weldher bid) an das Herz der Mutter und in bic
Welt şürüdfübril”
pos) meib nicht, ob dies möüqfid) ijt, Mama!” ftöhnte
Şofef leije auf, und prebte die Lippen auf die Hande ber
Sprecherin.
/ SS üt miglich! Wenn du e8 nicht meibt, fo weif
id) e8, Gojef — Haft du mich lieb?
Da finft er an ify nieder auf die Knie und brüdt
das Antlig im die weichen Falten ihres Trauergewandes.
yoda, id) Habe bid) lieb, Mutter, fieber wie mich felbft,
und Darum gelobe ich bir, was Du von mir verlang{t!”
Klaus war in Hohem Grade betroffen, al Ines ihm
eine Stunde İpdter die Miittetlung von Sojefs überraidyen:
Dem (Gntidfub madhte.
Und du bilfigit diefen itbereilten Gdiritt, Mama?”
jragte er beinahe vorwurjsvoll. ,,Das fann id) nicht glau-
ben! Sojefs momentane weltjdjmerslide Etimmung lie
Diejen Vorjag reijen! Gr handelt übereift und uniiberlegt!
Wie faun ein Menjeh von einundzwangig Sahren, welder
bic Welt noch qar nicht fennt, derjelben voll ümerfter Uber-
gcugung entjagen! Das ijt Unnatur! Das wird fid)
raden! “
prs) hoffe nid)it, Daf er Minch wird, jondern fid) nur
fitr ben geijtlichen Stand enild)eibet 17 feufgte Sues tief au.
p»Sleichviel, auch als Geiftlicher fchlicBt er mit dem
Leben und feinen heiteren Geniiffen ab, wenigften8, wenn
N.v. Efagftruth, SL Nom. ir Nov., Friihlingsftiirme I 11
— 162 —
er cin gewiffenhafter und frommer Şöricfter fein will,
welder die jtrengen Pjlichten erfiillt, die man von ihm
verlangt.
BVerzeih meine Offenheit, Mama! Sd) fpreche als
Protejtant, welder die Entjagung und Vereinjamung,
welche euren Geiftlicjen vorgejchrieben ift, nicht begreift
und nicht billigt. Hat Şofef denn tro$ feiner Jugend
{don eine unglitcliche Liebe, welche ifn şur: Chelofigfeit
pradeftiniert? — Mein?! Mun, dann hat er itberhaupt
Die Liebe noch nicht fennen gelernt, und wenn fie dann
fonmt, ift e3 gu fpat und fie wird gum Flud für ihn!”
Snes bewegte guftimmend den Kopf, Thranen rollten
über ihre Wangen: ,.O Klaus, wie bange id) um meinen
Sohn! Cr fucht den Frieden und findet bie fchwerjten
Hergzensfampfe, meldye ein Menfdh durchleiden fann! Jofef
ift feit KRindesbeinen ein Pfadfinder gewefen, welcher fich
Sdritt um Gdiritt auf dem Lebenswege vorwarts fimpfen
mupte, — auch jest fteht ihm das Biel, nach meldyem er
injtinftiy İtrebt, noch jern, ferner wie je, dent bie Bez
jriedigqung, weltje er nad) feinen Charafteranlagen von
Dem Leben und fetnem Wirfungsfreis verlangt, findet er
im Rlofter und in der Kirche nimmermehr !”
Rod it nicht da8 febte Wort gejprocen, Mama,
und id) benfe mir, Die Frithlingsjtiirme braufen noc) ein-
mal durch die Seele de3 Pfadfinders, um ifn in andere
Bahnen gu verjdhlagen. Durc Kampf zum Sieg! —
Gebe Gott, bab Vofef ein rechter Kampe fei!”
— 163 —
Eine cinfad)e MietSdrojfdjfe ftand vor dem Palais des
ehemaligen Nabob, und der magere Gaul jentte jchlafrig
Den Kopf gu dem föftfidyen Mojfaifpflajter, welches früfyer
Die Huje des eleganten Viererguges ungeduldig gefdyarrt
Hatten.
oran Jne Sterley retfte ab, — und fie nam dicd-
mal für ewige Beit WAbfdjicdD von all der Pracht und
Herrlichfeit, welche fie Hier willfommen geheifen, al8 vor
fieben Gahren ihr Fup die Schwelle zum erjtenmal
itberjchritten hatte.
Wie falfch hatte man Crcellenz Torisdorjf damals
beurteilt, und wie faljch beurteilte man fie heute!
Ehemal8 war mand) neidijcher Blick der reichen Frau
gefolgt, welche von all den Millionen ihres Gatten S3efiş
ergriff, welche al8 Herrin und Gebieterin in den fitritlidyen
Söefib einzog und gewif voll Stolz, Glüd und Genug-
thuung ihres Herzen3 Freude gar nicht gu lafjen wufte!
Hatten die Leute recht? O nein! Reiner ahnte, wie
jfehwer das Herz der reidjen Grau war, wie ungern, wie
widerwillig fie diefes Haus betrat, wie fie diejen Sdhritt
nicht al$ ein Glüd pried, fondern ihn in tiefinnerjtcm
Herzen ein Opjer nannte!
Und jebt, al mitleidige oder fchadenfrohe Blicke der
Witwe des banfrotten Bantiers folgten und jedermann
itbergenugt war, bab diejelbe als troftloje, berşmeifelte Frau
fid) von Şöradit und Reichtum trenne, dap diefe Stunde
bie bitterite und entjagungSreich{te ihres Leben fei, bab
ber Sturg aus der Hohe blendenden Genujjes in die Tiejen
11*
— 164 —
168 Elends fie rettungslos zerjchmettern mübte, — jest
tönldyten fid) bie Menfchen ebenjo İef)r, wie fie e3 ehemals
gethan Hatten.
Leichten Herzen8, aujatmend wie erföft von einer
erbrüdenben Lat, beitiey Sne$ die Drofdhfe, diefes be-
jcheidene, armİclige Fahrzeug, in welchem fie fo lange
nicht gefelfen, und welches fie frither doch fo ft ftolş und
glüdfid) bejtiegen, wenn e8 galt, zu Felten gu fahren, wo
bie Lafaien ben Drojehfenjcjlag ebenjo rejpeftvoll vor
Shrer Ereelleng der Freifrau von Lorisdorff aujrifjen, wie
fie {pater gleichgitltiq und gelafjen bie primfenbe Equipage
ber Frau Kommergzienratin Sterley öffneten,
Keine Thrane verjdjleicrte ben fid: der Witwe, als
fie von einem Befig UAbjchicd nahm, weldher fie nie bez
qfüdt, jondern ftets nur gedemiitigt hatte.
Am Grabe ihres gweiten Gatten hatte fie ehrlicje und
jehinerglidje Thranen aujfridjtiger Xrauer geweint, denn
fie hatte James Frantlin Sterley alS braven und ehren-
werten Mann geachtet und gejchabt und ihm alles Gute,
was er an ihr und Şofef gethan, herglid) gedanft. Wud)
jebt, als fein Mame durch fetne Firma an den ranger
gefteflt war, madite fie bie Perjon ifres Gatten für das
Unoglitceé nicht verantwortlich. Cr hatte fich leichtiinniger-
weije müt Banthaujern eingelajjen, deren Unreellitat ifn
mütrib und ihn jdwere Oper foftete; bend) wire ber
unglitcfelige Sanfrott nie über feine eigene Bank hercin-
gebrochen, ware er gejund und am Lcben geblieben. Sn
ben Herrenlojen Belig aber war eine Meute gebrodjen,
— 165 —
verbrecherifd) in ben Echmuk gu reifen, was Lange Jahre
hoch in Chren geftanden.
Nein, James Franflin trug feine Shuld an dem Clend,
welches Hereingebrochen war, und dennod) atmet nes
erleichtert ani, al8 fie jedeS Gupere Band, welded fie noch
mit ifm vor ber Welt verband, abitreifen fonnte. — Go
ift e3 einem Menjcen zu Mute, welder jahrelang unter
Dem Brwange der Pilidht eine fchmere Arbeit gethan und
nun enblid) wieder Das Foch von fid) abjchiitteln fann,
fret und glüdfid) gu jein.
Sues empfand eS wie eine Crlijung, afs fie ber Bug
abermals dem Giiden gufiihrte. Şofef begleitete bie Mutter,
um jie in Mizza behaglic) unterzubringen, und da Lina,
Die treue, erfahrene Pflegerin, ihrer Herrin zur Seite
blieb, fo fonnte Yojef fie getrojten Herzen3 in biclem
Paradies der Vergeffenheit guriictlaffen.
Sn ber Heimat waren die traurigen Gefdyüfte bald
geregelt. Klaus hatte alles, was er belab, hingegeben,
um das grofe Defizit beden gu Helen, aber gu jeinem
ehrlidjen und grogen Schmerz blieb dennoch gar mance
Wunde ungeheilt, und diejes Bewufticin folgte ihm als
eingiger Schatten in jein neues Leben Şinein.
Alles Neue übt auf Heiter und qlüdfid) beanfaqte
üenidyen ftets einen angenefhmen Neiz aus, und jo empjand
e3 auch Klaus al8 etwas recht Originelles und Şünitler:
faftes, alg er mit jeinem fleinen Roffer, welcher bie
notiwendigiten Gifeften enthtelt, fernem Malfaften und dem
mageren Geldbeutel nad) Miinchen guriicreijte. Wm fym-
— 166 —
pathifehften ware e3 ihm fdjon gewejen, er hatte fo gang
alg Wanderburjdh mit Rangel und Stab gu Fup durch
Die Welt giehen finnen, dazu war aber das Wetter nod
gu wenig cinlabenb, und ohne Malftudien im Freien
machen gu finnen, hatte fold) eine Scholarenfahrt dod
feinen rechten Bivett.
Auperdem trieb e3 ihn voll fieberijchen Cijers an feine
Arbeit girildi.
Gr hatte wohl feine gang bejonderen und eigenen
Gedanten babet, wenn er fo İdinell wie nur möqlid) etwas
Bedeutendes fchaffen und ein renommierter, gut beşal)lter
Meijter ber Runjt werden wollte.
“Şofef hatte die erften Nachridten aus Meiinchen recht
mit Gorge erwartet.
Gr begriff nicht, Daf Klaus fo harmlos und feelens-
rubig nad) Mtiinchen gurriidfehrte, wo man thn als
Milliontr gefannt und refepeftiert hatte, wo man genau
liber bie entjeblide Banfrottaffare unterrichtet war und
e3 ben ehemalS fo viel beneideten RKunjtfchiiler ficher
empfinden lief, bağ das Glick und die Gunjt der Welt
gar wandelbare Dinge find!
Um fo überratditer und froher war er, al8 Klaus fer
avİrieben und wobh{gemut von feinem Crqehen bericdhtete,
€$ gar nicht genug rithmen fonnte, wie rüdfid)töooll und
unverdndert treu feine Freunde ihm begeqneten, wie er
liberall genau fo lieben3wiirdiq und gut aufgenommen
werbde, wie ehemal3 als Sohn 5e8 reichen Manne3. Nod)
empfinde er İcine Verarmung in nichts, ja er bediirfe nidt
— 167 —
einmal ber ganzen Bulage, welde Şofef ihm fo grofmiitig
bewillige. Gr lebe jebt fo viel billiger, weil jo gar feine
Anforderungen mehr an ifn gejtellt wiirden, und das
Sparen und ,,fic) nad) ber Decke ftreden” Habe dod) auch
einen grofen Reig!
Gr habe fid) ehemals nidjt annahernd itber eine Taujend-
Pfund-Mote jo gefrent, wie febt iiber ein erfparte3 Mark:
itüd1 Welch ein ftolge3 Hochgefiihl werde es erjt fein, wenn
er felbjtverdientes Geld anf den Tifch gahlen finne! —
Sa, Klaus war eine befonders glüdfid) beanlagte
Natur! Was er anfing, jdlug ihm gu Glick und Freude
aug. Gelbit iiber die bürteften Schicfalsjclage fete er
fid) ohne Kampf und Ceelenpein, voll Freudigfeit und
örilde hinweg, und wo er Hinfam, flogen ihm die Herzen
au, gleichviel ob er al8 Sohn des Nabob oder als blut-
armer Runjtfchitler an die Thitren flopfte.
Klaus jpringt lachend iiber bie Dornen hinweg und
pfliict die Rofen vom Strauch, — Şofef aber müf, fid)
mithjeliq feinen Bfad durch die Dornige Wildnis bahnen,
mug ringen und bluten, müb: fid) bie Hande wund und
bie Hiipe matt fampjen, und wenn er glaubt am Biel zu
jein und die Bitten pflitden will, jo entblattern fie gwifdhen
feinen Fingern und madjen ifn drmer noch denn şır.
Dennoch neidete er dem Stiefbruder micht ben jon-
nigen Weg.
om Gegenteil, er empfand biefen Wusgleich wie eine
Genugthuung. Er fiebte Klaus von Herzen und ginnte
ihm das Glüd, weldes ihm felber verjagt jdien.
— 168 —
Das heitere Naturell und die jchaumend frofe Lebens-
lujt Des Greundes war nod) das lebte, jdjmale Band,
meld)e8 ifn an bie Welt feffette und ifn unbewuft şı
Derjelben guriidzog, wenngleid) er voll jcdhwermittiger
Selbjtfajteiung eigenfinnig in einen Weg einlenfte, welcher
weit ab von ifr und der rollenden Kugel des Glüdes
fiihrte. Klaus fannte Das Zauberfadlein, an weldjem er
das Herz de3 Gruders Hielt, und Demadite e3 in fejter,
treuer Hand. —
Wahrenddefjen hatte fid) aud) die neue Lebenswende
Torisdorffs in ihren erften WAnjangen bewahrheitet.
Gein Brief hatte den Defan Duncaczy nach langeren
Strjahrten aujgefunden, und jeine Antwort tray umgehend
und fehr eingehend und herglich ein.
(68 beriifrte den treuen Lchrer und Seeljorger 568
ehematligen Knaben gang befonders jympathijd) und herg-
erquicend, baf ber Bug frommen Glaubens und religtöfer
Schwarmeret, welchen er fo forgjam gepflegt und gebiitet,
nicht in Dem breiten und wiijten Strom 566 Lebens unter-
Gegangen fei, jondern den jungen Mann voll Heiliger,
elementarer Gewalt dod) nocd) dem Beruf entgegentreibe,
anl welchen ihn fein gange3 Sein und Wejen jeit Rindes-
beinen an hingewiefen.
Defan Duncaczy erad)tete den Wirfungsfreis eines
$ilerifer8 af8 den eingigen, welcher der bedrangten und
bedrohten Menjdhenjeele wahren Frieden und wahre Bez
friedigung geben fonne.
Er felbit hatte alle Sittermiffe und Züdem, alle Ente
— 170 — ,
tiufdjungen und Harten be3 Lebens burdifoftet, ehe er,
fdon al8 alternder Mann, nod) den rechten Weg gum
€d)o$ der Heiligen Kirde gefunden. Bhm hatte fie Rube
und Frieden gegeben.
Nun lebte er in gejegneter, ihm bejonders zujagender
Thatigkeit, er mad)te über junge Menjdhenjeelen und
‘Teitete fie bei Zeiten, ehe ber Sturmwmind des Lebens fie
‘fajjen und die Whgriinde ber Welt fie verfdlingen fonnten,
auf den Weg bes Heils. Cr mar dem Ruf eines ihm
wohlwollenden Bijdhofs gefolgt, und hatte eine Stellung
alg Lehrer an einem geijtliden Geminar angenommen, in
weldem junge Manner fiir den Priefterftand ausgebildet
"purben,
Bejagtes Seminar Dbefanb fid) in R—burg, ber ein:
tigen Refidengftadt ber Siebenbiirger gürİten, deren burg:
jartiges Schlop von Kaijer Şarf VI. erbaut ward.
Duncacgy befleidete das Wmt eines Prafeften und
theologijden Şörofellor3 in dem Qujtitut, weldjes neben
bem Reftor, al$ oberjten Patronatsherrn dem Bijdhof
unterjtellt mar.
Von dem Leben und Treiben der WAnjtalt, meld)e ben
Rang einer Univerjitat einnahm, fdjrieb der ehemalige
Defan nicht viel, nur in eingelnen groben Biigen İdil:
berte er, bağ die Bucht und Ordnung eine fehr jtrenge
und woblgeregelte, aber das Leben ein itberaus harmo-
nijdes, Herz und Seele erquiciendes fei. Cr ftellte e3
Sojef anbeim, dap, fall er in Deutjchland verbleiben
wolle, er nad) abgelegter Matura auf eigene Kojten die
— 171 —
Univerfitat weiter beziehen miijfe. all er aber geneigt
jei, nad) Ojterreich itberzufiedeln, jo made er ihm ben
Vorfchlag, das Seminar in KR—burg gu begiehen, um
feine theologijdjen Studien dort gu beginnen. Daf died
alg eine grofe, unbefchreibliche Freude von ihm, feinem
alten Lehrer und Freund begrübt werden wiirde, İci felbjt-
beritünblid), und darum İdiftebe er dieje Beilen in der
beglüdenben Hoffnung, den teuren Schiiler bald wieder
alg einen foldjen in die WArme fchlieBen zu fömenl
Heike Glut freudiger Uberrajdung brannte auf Şofef3
Stirn, als er ben Brief gelejen.
Welch eine erjte Gunftbegzeugung de3 Schickfals, ihm
berart ben Weg gu ebnen.
RKonnte e5 Beffercs und Verlockenderes für ihn geben,
al feine Wege mit denen des teuren Freundes aufs neue
3u vereinen? SKonnte fid) feine Zufunft jemals fidyerer
und gejegneter geftalten, wie unter diejer Fihrung? Und
weld) ein gitnjtiger Umftand, dag Duncacgy ihn nach
Ojterreich rief, nach diejem Land, welches ifm fieb und
jympathijch war, welches er eine 3weite Hetmat fitr jeden
Deutjdhen nannte. Dort it er unbefannt und weltentriict,
bort wird er vergeffen und bald von denen, welche er
flieht, vergeffen fein. Hier gab e3 fein Uberlegen mehr,
Seofefs Schickjalswiirjel war gefallen.
JANN
Cass Sy
YAİNI
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355
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VOL
wei Sahre waren vergangen.
Şofef befand fid) in R—burg und fiiblte fid)
* Seinen Griefen nach gu urtetlen, qlüdlid) und gü
frieden. WflerdDings ftarrte JneS oft gedanfenverjunfen
auf bie Beilen, aus weldhen jie viel mehr las, al8 ber
Schreiber wohl abnte.
Durch) all die eifrigen, beinahe allzu bringfidyen Ver-
fiderungen, baf, er Hier die gejuchte Rube und eine ihn
hoch befriedigendDe Thatigfeit gefunden, flopfte dDennoch ein
junges Menjchenherz, an meldyem ein heimlider Gram
nagte, in welchem ein ungeftilltes BVerlangen brannte.
Alle Cinfamfeit, alles Studieren, alles Beten fonnte
bie Erinnerung nicht lojchen, und irgend ein geheimnia-
volles Ctwas in Ddiejer Crinnerung quilte den jungen
Rlerifer noch ebenfo, wie ehemals den Studenten.
Was aber war es —? Was! ?
Sues war franf, frünfer wie je, und bic rapide finfen-
ben Şörperfrüfte Hatten auch den Geijt ermatten lafjen.
2.7
Sie hatte ben Ediaribfid verloren, eine mübe Şnboleriş
bemüditiqte fic) ber Dahinfiedhenden. Sir Leben lag hinter
ifr wie ein Traum, fie mifdite bie unangenehmen Jahre
aus Ddemjelben fort, wie man eine İtörenbe ZBeidnung Töfdit
und flammerte fic) mit all ihren Gedanfen an eine Beit,
weldje die Verfirperung alles Glüdes für fie bedeutete.
Und in dem milden Dammerlidjt ferner Vergangenheit
ging bie Gegenwart unter. Gelbit bas Schicjal ihres
Sohnes war nicht mehr die brennende Frage, welde fie
ehemal3 Tag und Nacht befchiftiqte. Sie hatte fid) üiber-
geugt, baş, alles Menfdjenwerf nur unvollfommenes Etüd-
wert ijt, bağ unjer Bemiihen und unjere Plane Dunjt-
gebilde im Hauch de3 Crwigen find.
Sie hatte fieben Fahre an dem bermeintfidyen Glick
ihre3 Rindes gearbeitet, ba fam Gottes Hand und ftiirzte
iiber Nacht, was fie mühreno diejer langen Beit voll
fel und Opjermut aufgebaut.
ypmeine Wege find nicht eure Wege!” fpricht Gott
Der Herr.
Mun hat fie Den Lebensweg ihres $tinbes ihm an-
Heim gejtellt.
38a8 ifr ein Unglicl diinft, manbelt fid) unter der
Suhrung de3 Herrn wohl gum Gli. Mag Şofef darum
ein 3örtefter werden oder nicht, jeine Wtutter wird feine
YMüne nicht mehr beeinfluffen und nicht mehr gu freugen
juchen.
Die Hinde im Shop gejaltet, wie ein bleiches, wejen-
{oje8 Traumgebild liegt die Kranfe in dem bequemen
— 1/4 —
Rollftuhl, weldjen fie faum noch verlift. Bhr Haar
glünşt wie unter bem Rauhreif, welder ene Blume traf.
Moc) immer eine ideale Crjcheinung, şart wie ein
Haud, vornehm und elegant bis in jede Requng ihrer
wad)sbleidhen Fingerjpiten, traumt fie mit tief umjdhatteten,
weit offenen Augen in den blauen Gonnenhimmel empor,
welder fid) itber Montreux und jeinem leuchtenden See
mölbt.
Die Alpen ragen voll ftilfer Xayeftüt in bie Sonnen-
glut empor, bas Thal hat fein fchimmernd weipes Nar-
giffengewand abgejtreift und fid) in ben Dduftig tiefqriimen
Mantel de Sufi gehillt, beraujchende Duftwogen İtrömen
aus dem Garten ber Printanidre empor, in deren reizen-
ber Stille die Freifrau von Torisdorjf Wohnung ge-
nommen.
Hierher hat man die Krante vor dem allzu tropildyen
Klima Stalien3 gefliicdjtet, und nun fteht ihr Rollftuhl
an? dem grofen, überidyatteten Balfon, welder ihre jtille,
einjame Welt bedeutet.
Niemand fennt fie in ber Villa und auch fie fennt
feinen.
Gie meiğ nicht einmal, wer auger thr unter diejem
Dache wohnt.
Gie fieht niemand und wird nicht gejehen, weltfern,
abgefdlojjen von allem Vertehr, welft fie einjam bağın,
wie eine Bliite, fiir weldje ber Şerbit gefommen.
Seit vier Tagen ift Şofer gum ehd) eingetrojjen.
Der Argt hat ihm Mitteilung über den beforgniserregenden
— 175 —
Biritanb ber Mutter gemacht und ber junge Mann eilte
unvergiiglic) gu der teuren Rranfen, ihr den jefnlicdjten
Wunjdh eines langeren Beijammenjeins 3u erfiillen.
Die erften Tage fag er voll zartlicher Liebe, die Freude
de Wiederfehens in vollen Şüqen geniefend, neben dem
Lager der Mutter, — wie viel qab e3 3u fragen, wie
viel gu antworten! Und wenn die Lippe İdymieg, jo İprad)
bod) das Auge all die Uberfitlle der Hergen aus.
Sofef febte nur fiir die geliebte Kranfe, ihr ffeines
Reid) and) zu feinem ausfchlieflicjen Wujenthalt machend.
Voll Cniziicfen weilte Jnes Blick auf dem ftattlich
idiönen Sohn, bei weldjem die Whnlichfeit mit dem ritter-
lid) eleqanten Vater immer fprechender 3u Tage trat.
Hoch und ftol; aufgerichtet, frdftiq entwicelt und in
jeinen Berwegungen voll ruhiger Sicherheit, gfid) er in
nichts mehr dem blafjen İdymüditiqen Fingling von ehe-
Dem, jondern fdhien die Soldatennatur der Torisdorffs
bennod) geerbt gu haben und fie jelbjt in Goutane und
Cingulum nidit verleugnen gu finnen.
Die duntelblaue Reverenda fleidete die İd)fanfe Gejtalt
vortrefflid), das fchmale, vornehme Wntlig mit dem tief-
ernjten, Durdhgeifteten Wusdruct İden die ideale Bor-
fteflung gu berförperm, welche fid) der Lefer von einem
Gffehardt bildet, und e3 gab in $$ —burg wohl mand)es
Auge, weldhes voll warmbergzigem Jntereffe der einneh-
menden Erjcheinung de3 jungen Rlerifers folgte.
Snes feujgte oft Şeimfid) und jchmerglich ani, bab
Dieje Herrlidje Geftaft, welde in Uniform oder Trefjen-
— 176 —
fleid fidjer eine Hhervorragende Rolle auf dem Parquet
gefpielt haben wiirde, nun in flofterhafter Stille und
Cinjamteit, freud- und Lieblos dahinjchwinden folle, aber
fie blicte voll fchweigendDer Ergebung zum Himmel, und
war andererjeits auc) Gdyimürmerin genug, die wehmiitig
ernjte Poefie, welche gerade in bicfer Pricfterer{djeinung
lag, fdjmerglic) füğ im tiefften Hergen zu empfinden.
(5 war ein jdwiiler Tag gewejen.
Die Sommerhige faftete auf dem blendenden Wein-
berggelinde und ber See flimmerte und fraujelte wie eine
Scale voll fodyenben Wafers, welcher heife, lahmende
Diinfte enifteigen. Die Kranfe fiihlte fid) bejonders matt
und rubebediirftig und og fic) frither noch wie gewihn-
lid) şur Machtruhe guriich.
Gie jtretchelte liebevoll die Hand des Sohnes.
yu Şaft die ganşen Tage fo ftill bet mir auf dem
Balfon gejejjen, Soft, und bijt bod) gewik weite Spazier-
günge und nervenftirfende Bewegung gewohnt! Wenn
id) zum Schlafen gehe, fangt für andere Menjejen erjt
Die erquicende Beit der WAbendfiihle und Erholung an.
Willft du nicht auch einen Spaziergang machen, Darling?
Sieh bir Montreuy mit all İcinem bunten Hotel= und
Bazarleben an, e3 wird bid) amiijieren und zerjtreuen!
Tünd) ein Gang nach Hotel Byron ijt 10))nen5, und unjer
interefjante3 Vijavid, Chillon, jahft du iiberhaupt noch
nicht in ber Mahe! Geh, du Lieber, braver MKranfen-
barter, und eririld)e bid) in Gotte3 jdiner Natur!”
Sofef fiigte die mageren, burdifiditiq blajjen Finger.
Nv. € id ftruth, IL. Rom. uw. Nov., Friblingsftiirme TJ. 12
52:25
,Ginen Spaziergang unternehme id) wohl gern, Mama,
und da bu mich Hier nicht mehr gebraudjen fannijt, folge
id) Deinem guten Rat. Im Thal ijt e3 aber wohl noch
allgzu fcwiil und dumpfig, e3 gieht mid) mehr hinauf in
Die Berge, wo die Freiheit wohnt!”
,Ou mit: aber nidjt gu weit gehen, bağ du bid)
nicht berirrit.”
,Unbeforgt! Bch bleibe auf dem Weg, fuche mir ein
fines Plabchen und nehme ein Buch vor. Sd) war
erjchrectend faul in diefen Tagen und doch macht die
Dogmatifa fo viele Wnjpriiche an mich. So fchlaje wohl,
mein Herzensmutterden, trüume fi und rube gefimə
und üngftiqe bid) nicht um deinen baumlangen Rerl von
einem Sohn, welcher bet diejer Temperatur mabrlid) feine
Geliijte für weite Bergtouren verfpiirt!”
Wenige Minuten fpdter ftand er, ein Biichlein über
RKirchenredht und Seelenhirtentum in der Hand, auf dem
Kiesplagk vor der Villa Printaniére und überlegte, wohin
er fid) am bejten wenden folle.
Seitlich auf einer unter Nojenbiifchen verjtecten Bank
fag ein alteres Chepaar, anjcheinend in hejtigem Wort-
wedhjel, Denn die jcharfe Etimme der Dame fang im
hichjten Disfant gu ihm feriiber, wiahrend der fleine,
etiba8 verwadjene Herr mit dem pergamentfarbenen Ge-
jicht voll verbijjener Wut fetfer vor fic) hin şır raijon-
wieren İdyen,
Mit einem inftinftiven Gefiihl hich{ten Unbehagens
wandte fid) Şofef ab.
— 179 —
Vor ihm lag, ticfer unten an der ftattlidjen Garten-
mauer entlang fiihrend, die Chaujjec, bunt belebt von
gahllojen Spaziergaingern, Reitern, Wagen und Weinberg:
avbeitern. ©8 hajtete, Drangte, job fic) im farbigem
Schwarm borüber, Staubwolfen wirbelten Hinter einer
RKavalfade ejelreitender Englander auj, und cine Penjion
junger Madden wand fid) al Schlangentinie, lachend
und jherzend, jenjeits des CijenbahndDamms am Ufer des
Genjer Sees entlang.
Diefer Anblice eines lebensjrofen und itppiqen Landz-
jehajtsbildes hatte wohl jeden anderen jungen ian anz
qelodt, fid) in bicle farbig heitere Gefelfidyaft gu begeben,
und mit bem Strom von Lujt und Gdyerş mitzujchwimmen.
Den weltjeindliden jungen Klerifer beriihrte Ddiejer
Anblice jedoch unfympathijch, wie ihm jedwede öşröblid)-
feit al frevfer İlbermit, jede vergniigte Miene als cine
Larve für Leichtjinn und Treulofigfeit erjchien.
Er fonnte folche Gefithle des Frohfinns nit mehr
teilen, feit bie Vergangenheit jo jdwer und qualvoll auf
ihm laftete und ihm jede forgloje Stunde vergallte. Gr
empfand bie Dajeinswonne anderer Vlenjchen wie einen
Vorwurf gegen fich, ber die Opfer 568 vaterlichen Bant-
rotts im Clend und in ber Vergrweijlung belajfen, an-
ftatt ihre Thranen müt feinem Geld gu trocken.
Diefer Wurm nagte noc) immer an jeinem Herzen
und entfremdete ifn mehr und mehr einer Welt, welche
ihm fdiftefb lid) gum Zerrbild franthafter Wahnvorjtelling
gu werden drohte. Mit diifterem Blick wandte er fid)
12*
— 180 —
von der menfdenbelebten Chaujjee ab und blicdte in das
Sölütenmeer de3 ftillen Garten3 Binein. Cr fdyien feine
Anlagen weit an dem fliiftigen Berg empor zu fchieben,
wild romantijd) Todten die Feljenbildungen grijcen den
ranfenden Gebüldyen, durch welche fid), fcaumend in
fiyroff abjtiirzendDem Sani ein Badhlein zu jehlangeln fchien.
Weld) ein tiefer, wonniger Frieden winft da oben
unter Den raufdenden Baumfronen des Walde3! Welch
cinen 3fustfid mi ber FelSvorjprung gewiahren, welder
fid) , übermud)ert von Brombeerranfen burd) das tiefe
fammetige Grimm fchiebt! —
Hodaufatmend wandte fid) Şofef dem einfamen Weg
gu und ftieg ritftiq bergan.
Anfanglich jchlangelte fid) ber wobhlgehaltene Gandiweg
be8 Gartens in müfbiger Steigung empor, Gebiifde von
Laurostinos, wilden Rojen, LebenSbiumen und Tolle
firjden, von Pyrus und ftarfdujtendem Gaisblatt, gra-
gidjen Mandelbliitengweigen und breitblatterigen Feigen
jaumten ifn, weiche Rajenflicen dehnten fid), von bliihen-
Den Blumen itberfat, gu den Seiten, und dann ging
Die Kultur in anmutige Wildnis über, hodjragende3 (ez
büfld) bildete dichtere Gruppen, FelSgeftein baute fid)
malerifd) auf und dagwijden platid)yerte und jcaumte
e3 voll fecfer Wanderlujt gu Thal, — das jchmale Sil-
berband be Badhleins, welches hoc) von der Alpfirne -
nieberflattertel
Weld) eine Luft! —
Balfamijfch und erquicend webhte fie um bie Stirn,
— 181 —
gejdjwangert von dem Duft bitterfid) aromatifder Krauter
und berber Bergblumen, von dem weiden Hauch de3
Waldodems, welcher nod) den Sub der Sonne trügtl
Drunten dent fid) gleich) agurnem Grund, iiber wel-
chen magild)e Silberlicdhter jchiepen, ber See, und aus ihin
empor wachjen bie: gewaltigen, impojanten Bergriejen,
itberhaucht von zartem Dunjtjchleter, gezeichnet mit rojigen,
violetten und goldjarbenen inten, İdyattiert vom flaum-
weidhen Taubengrau bis gu dem Ddiifteren Dunfel giih-
nender Sch{uchten.
Rein und flar geichnen fich die Şonturen gegen den
Himmel, welder iiber ben Savoyer Alpen wie eine flecken-
fofe Rryftallfugel jchwebt, — dritben aber — von Lau-
janne herauj — fteigt eine blaugraue Wolfenwand, einen
İdmalen tiefdunflen Schatten an? den Spiegel de3 Sees
werjend.
Soflef jteht ftifl. und fchaut voll trunfenen Entgiicfens
auf bie Pracht vor feinen Blicken, welche fo weit, fo gez
waltigq, jo qöttfid) fchin ijt, bağ alles Menfdhentum wie
ein Atom in jolcher Unendlichfeit vergebt!
Kein Laut fteigt gu ifm empor, welcher baran mahni,
dak Menfchenwik und Menjchentiicfe diejes Paradies
entmeibtl Die Welt ijt jchin itberall — wo der Menjcd
nicht Hinfommt mit jeiner Qual! —
Und Hier wohnt weltferne, zauberhajte jdhine Gin-
famfeit! —
Jofef fteht und jchaut fid) fatt an bicfer lidten Gottes-
welt, und fein Herz wird grok und weit, es wadjen ifm
— 182 —
ölüqef und tragen e3 hoch empor in wonnefame Traume
von öyrieben und Glüd, Welch eine Wehmut — weld)
eine Gehnindit burd)ibebt ihn pliglich? — Wie Heimmeh
iiberfommt e3 ihn, wie Heimweh nad) dem Glick! —
Wie ift er fo allein! — Wie arm, wie elend in Ddiejer
reid)en Welt.
O, dak feine Mutter Hier neben ihm ftiinde! Dap
er eine gleichgefinnte Geele finde, Worte des jeligiten
Empfindens, der reinjten Harmonie zu taujdhen! Die
Schinheit wird erjt dann voll genoffen, wenn die Lippe
ibr Lob ausjprecjen fann, wenn gwet Menjdhenjeelen in
einem anbetenden Cntzitcfen verjcmelzen!
Seine Mutter!
Wie lange wird er noch in ihre Wugen fcéhauen fömernl
Wie bald wird er das eingig Liebe, was ihm nod) ge-
blieben, dahingeben miijjen, und banı — — ijt er gang
allein!
Gün tiejer, qualvoller Geufzer ringt fid) von Yofefs
Lippen, er ftretd)t mit ber Hand angjtvoll über Die Stirn,
er bari und will dicjem Gedanfen nid)t Naum geben.
(68 ift genug des Sdhweren, welches jein Herz belaftet.
Aber die Sehnjucht Tübt fid) nicht gebieten, die ge-
betmmispolle, webmiitige Gebnidi nad) dem Glüd,
welde in jedem WMenjchenhergzen, und habe cS fid) noch
fo menjdjenfeindlic) von ber Natur abgejchlojjen, wobhnt.
Und jo jebt er fid) auf Dem moofigen Felfen nieder
und ftiigt Das Haupt in die Hand, ofne bas Lehrbuch
aufzujchlagen, weldje3 er mitgenommen.
— 183 —
Vor ihm liegt das paradiefijd) jchine Land, itber
weldhes die erjten Gdileter ber Dammerung weben, und
e3 Bat für die felbjtqualerijdhe ört 568 jungen Mannes
einen bejonderen Reig, fid) der ttefen Melandholie diejer
Ginfamfeit hingugeben. Die Gedanfen giehen hinter jeiner
Stirn wie ein Edymarm aufge|dheuchter, jhwarzer Vogel,
welche mit ifren Sdhwingen bie Sonne verdunfeln. Şofef
merft e2 nicht, wie bie Wolfenwand hiher und hodbher
an dem Himmel emporfteigt, wie fid) bie Flut des Sees
immer Dunfler farbt, wie ein leichter Windhaud) burd)
Die Wipfel jtreicht gleich einem Vorboten erlifend fihler
Nacht.
Smmer fehnjuchtsvoller und todtrauriger brennt das
Herz in feiner Brujt, und bie Vereinjamung, das bleiche,
leisfchluchzende Weib, fteht neben ifm und legt ihm die
Hand auf das Haupt, jchwer — jchmer, wie Berges-
lajten empfinbet er fie, niederdriicend — als gringe ifn
fon jebt unficjtbare Gewalt Şinab im das fiihle Kam-
merlein, wo eingig ber Hrieden und die Vergejjenbeit
wohnen.
Da bebt er unvillfiirlich gujammen und bict ver-
wirrt auf.
Werterleuchtend zucen die Blige durch die fernen
Wolfenmafjen, und gang in dev Nahe tingt e3 plötlid)
burd) die fchwiile Stille, — eine Stimme — meti) fla-
gend, unbefdireiblid) traurig und jcpmergdurchbebt.
Wie eine, goldene Hammerlein jcdhlagen die fiifen
Tine an fein Herz, fo beutfid) in der laren Bergluft,
— 164 =
bah er ein jedes Wort verjteht. Wie ein Echauer voll
wounigen Webhes überricielt e3 iu, atemlos laujdyend
febt er Das Haupt.
/Aus der Heimat, Hinter ben Bligew rot
Da fommen die Wolfen Her,
Aber Vater und Mutter find lange tot,
65 fenut mid) dort feiner mehr!
Wie bald, wie bald fomnit bic ftille Zeit,
Da rue id) auch, und iiber mir
Raujchet die İd)öne Waldeinjameeit
Und feiner feni mic) mehr Hier!”
Leife, wie in Xhrdnen eritidt, verflingt bie Stimme,
und Şofef nidt wehmiitiq vor fid) Şin, tiefatınenb, wie
befangen von unjidjtbarem Zauber.
Tieje Stille, nur leis girpende Laute im Gras, mir
ein feines 3ölattgeflüfter im Wind.
Şoflef macht eine unrubige Bewegung.
Warum fingt fie nicht weiter?
Dieje Stimme — Ddiefe traurigen Klange thun ifm
jo wobl, fie lafjen vermandte Gaiten in feinem Herzen
ergittern, — fie jprechen voll weidjer Qunigfeit juft das
aus, was er empfindet.
Hord), — abermals erflingt 66 fo web, jo namento3
betriibt, baf e3 ihm burd) Mark und Bein geht:
/Serlaffen! verlaffen — verlafjen bin t —
Wie ber Stein auf der Strafen — —
Weld) eine Melodie! welch eine fchlidjte Wahrheit,
weld) ein Empfinden zittert Durch fie Hin!
Şofef lehut das Haupt şürüd und fdiliebt: die Wugen.
— 186 —
Seine Hinde ruhen gefaftet im Scho, und feine Seele
trinft in ticfen, Durjtigen Şilgen bic wunderjame Zröftimi,
welche in jolch gemeinjamem Hergeleid liegt.
nda Fe t mi niedDer —
Und meti mi recht aus! —”
Sa, weinen! — weinen! uch ihm ijt e3 plöblid),
alö perle e8 Heif an jeinen Wimpern, und doch üt
ihm jeit Sahren nicht fo wohl gewejen, wie in bicfem
Augenblick.
(s liegt eine göttlidye, qeheimnisvolle Gewalt in der
Mufif. Sie webt unjichtbare Faden von einem WMenjchen=
erg gu dem andern, — fie eint in fiifer Harmonie,
was fid) ewig fern geftanden, fie fübrt einanber zu,
was fid) fremd ift, fie itberbrüdt Den Wbgrund, welcher
gwijchen get: jchmergzgequalten Herzen gahnt und lapt
fie voll eigen Cmpfindens zujammenjchlagen in ber
einen groben, Heilig leuchtenden Flamme innigen erz
jtehen3. —
2 finge, finge weiter!” mödite Şofef voll leiden-
{hajtlicher Crrequng rufen! ,,Wen möditen: deine Lieder
und Klagen tiejer ergreijen wie mic)?” — Aber bic jiige
Stimme ijt verhallt, es bleibt jtill, nur fernher platjchert
ber gejdhwabige Bach und durch die Laubfronen jaujelt
e3 wie ein WAbendjegen. Das Haupt in beide Hande
geltilbt, verharrt Şofer im requngSlojem, jehnjiichtiqem
Laujden. Nod) flingt das Göebörte in jeinem Herzen
nach und erfiillt ihn mit unbefdjreibliden Wonnen der
Welmut.
— it —
Das, was er fid) İpeben nocd) voll unbeswinglider
Sehnjucht gewiinjdht, eine gleichgejtimmte Seele, welche
fiihlt und empfindet wie er, Die hat er wie durch Holden
Bauber gefunden.
Gin Herz hat fid) ihm erjchloffen, — unbewugt und
ahnungslo3, aber wahr und gang — bis auf den tiefjten
Grund.
Da quoll in geheimer Rlage itber die Lippen, was
fonft wohl feines Menjchen Ohr von ihnen vernom-
men, ba jpiegelten die todeswehen Lieder all das Clend,
welcjes tief beritedt in ber Brujt der Sangerin rubte.
Cinjam! einjam und perlallenl lieblo3 und freud{os
wie er!
© wie wohl e8 thut, gu wiffen, bağ e3 noch mehr
Eticifinber de3 Glüdes gibt!
Gemeinjam Leid ift halbes Leid!
Warum aber — warum ijt auch fie ungliicklich ?
Die Stimme flang fo meid), jo jung, — 10 von
warmjtem Gefiihl durdhbebt, — wem gelörte jie an?
War die Unbefannte Frau oder Piaddjen?
War fie thin oder haplich?
O, thirichter Traumer, der er ift! Was fidit ihn
etm İold)e$ an? — (Gine8 wei er ja beltimmt, das
cingige, was er wiffen will und gu wifjen braudt —
nite trügt ein fchweres, troftlojes Gejchicl wie er!”
Etürfer weht der Wind den dunflen Wolfenmafjen
voran, tiefer und tiefer finfen bie Schatten.
Die roten Blige guclen hin und wieder, und bird)
— 188 —
Solef3 Seele gieht e3 wie ein traumverlorenes Echo: ,,WAus
der Heimat — hinter den Bliben rot — da fommen
bie Wolfen her.” — Aber fein Haupt hebt fid) jreier,
leihter wie guvor auf den Echultern, die Vereinjamung
fteht nicht mehr neben ihm, fie it Hand in Hand mit
Brau Sorge weitergewandelt.
Nun atmet er auf, wie erldft von jchwerem Bann.
Er weif 3 jelber nicht, warum ihn die fife Mtadcden-
ftimme fo getrdjtet Hat; er empfindet e3 nur wie eine
unbewufte Whnung, dap fie ifn verwandelte, bağ etwas
in feinem Herzen gelöft ijt, wie vom eisbefangenen Wald-
fee bie Starrheit bağin jchmilzt, wenn milder Lenzesodem
ibn umiwebt.
Seine Gedanfen fretfen nid)t mehr in jhwerem Flug
um fein eigenes Ungliic, fie heben febt gleid) meiğen
Tauben die Cilberfchwingen, und umjlattern bas Guaden-
bild einer heiligen Gücüfia, welches jein Auge nie gefdhaut,
und welches ifn bennod) auf füben Klang wellen umjcdhwebt!
Wieviel taujend Lieder flingen tagtaglid) an viel
taujend Ohren, gehirt und vergeffen, jobald ihr Hauch
verochte, und dennod), Ddringt şi redjter Stunde bic
red)te Weife an ein Menfdhenherz, fo wird fie ihm gu
einem İegenöretd)en Vermacdhtni3, unausldjehlic) und un-
vergeplich für immerbar.
Sofef forli)te nicht nad) der geheimnisvollen Sangerin.
Shre Perfon ftanb ihm fo fern und gfleichgiiltiq, wie
all bie anderen Frauen und Madchen, welche feine Wege
freugten, und für weldje er faum einen fid iibrig hatte.
— 189 —
Dennod folgten ihm ihre Worte nad) und Tdifidyen
fid) felbjt in feinen Traum.
Da fah er fie, bie traurige Unbefannte, einfam wie
er, auf möofigem Feljen fibend. Cin fchwarze3 Trauer-
fleid wehte um ihren Fuh, bititere Schleier wallten um
eit marmorbleiches Angeficht, und als er nüfyer trat
und in Die weinenden gen der Göngerin blicte, da
legten fich Die dunflen Schleiergemebe auch itber fein
tli, und die Welt, welche eben noch in fadyenbem
Connenjdein vor ifm gelegen, verjanf in Nacht und
öüiternis.
Das Gewitter war jenjeits des Sees entlang ge-
gogen, und ber ndchjte Morgen hatte ebenjo flar und
ftvahlend hell in die Fenfter der Printaniére gefcaut,
wie all bie Tage vorher.
Sofef mugte wahrend de3 örübİitüds pon fetnem
Spagiergang erşühlen und that e3 voll beinahe jdhwar-
merijchen Cntzgicfens, ohne jedocd) aud) nur mit einer
Silbe ber unbefaunten Göngerin gu erwahnen.
Seine Mutter liek ein wenig enttaujdt das farbloje
Antlig zur Bruft finfen.
Su bie einjame Bergwildnis hatte e3 den abjonder-
lien jungen Maun gegogen! Wabhrlich, das fah nicht
banad) aus, alg ob bie bunte, febensirofe Welt auch
nur einen eingigen jeiner Gedanfen noch beldyüftigtel
Sie war rejignierter wie je, und dDarum fiel ihr die
jeltjame Unrube, der cigentiimlich belebte Blic des Sohnes
nicht ani,
—”
€8 itberrafchte fie auch faum, als er — halb abge-
wandt an dem ranfenumfponnenen Witter des Balfons
lehnend, plötfid) fragte, ,,was fiir Frembde auger ifnen
in ber Villa Quartier genommen hitten 2”
psd abne e3 nicht, Darling. Glitcélidjermeife hat
bie Heibe Şahresşett bic meiften Rurgifte vertrieben,
und wenn ich mid) recht entfinne, ergzihlte Lina einmal,
auger den unjeren feien nur nocd) drei Zimmer im
Parterre bewohnt!”
,/Und nannte fie feine Namen? -— Sind e3 Deutjche
oder Muslander 2”
/lustander wohl feinesfalls, — id) glaube .... ja
mein jdjledjtes Gedachtnis — — aber, wenn id) nidjt
irre, İprad) Lina von einem NReichstagsabgeordneten,
einem Doftor jo und fo! — eğ jei eine jo wenig an-
genehme Familte, fehr lant und gantijd.”
yh! — fleine Sinder?”
/ kein, von denen hatte id) wohl mehr im Garten
bemerft, im Gegenteil, e8 mug ein dlteres Chepaar
icin.”
pridhtig! Sd) hatte das Oöibgetdid, fie im Garten
git fehen und juft gu einer fleinen, familidren Ecene
gurecht gu fommen! Beide maditen allerding3 fdjon par
distance einen hichjt unfympathijden Cindruck!”
poe Tun, Soft, fo meibt du ja beffer Sefd)eib wie
id!” ladhelte die Nranfe; ,hoffentlich Haltit du biele Ge-
jellichaft nicht fiir meine Zerjtreuung notwendig ?”
, Sott Toll uns bewahren!” Der junge Slerifer
— 194. =
legte Lacend den Arm um die Eprecherin: ,,ich denfe,
Herzen3-Mamaden, unfere gegenjeitige WAnwejenheit ge-
niigt un3! fit dieje beiden feinölidyen Gatten find unjere
eingigen Hausgenojjen? Nun, dann wollen wir unjer
Reich Hier droben Hermetijch abjdhliejen und uns ber
herrlidjen Hubhe freuen!
Nach etlichen Minuten hielt Şofef die Zeitung in der
Hand und jchien zu lefen. Aber feine Slide jchweijten
gedanfenverforen über das weige Papier hinaus.
Die frembe Güngerin wohnte nid)t in der Prinz
taniére? Geltjam, wie fam fie algdann fo allein in bie
Bergeinjamécit hinauf? War fie vielleidht nur Tourijtin
oder Malerin, welche gufillig von dem Weg abgeirrt
war? Wird fie nicht wiedcrfommen, auf jenem jtillen
wleckhen weltentriicter Waldeinjamfeit ihre RKlagen in
Liedern auszurveinen 2”
Wie eine bange Unruhe überfommt €8 den jungen
Mann. Noch einmal mödite er fie fingen Hiren! Şifre
Lieder find Baljam fitr fein wundes Herz, fie wirfen
wie Suggejtion auf ihn, er wird jftill und qfüdlid) bei
ihrem Gang, jo traurig er auch flingen mag.
Seltjam, auch hier heilt Gleicdhes das Gleiche.
Als die Sonne zur Ritfte geht, itberfommt thn ein
fajt fieberijdjc3 BVerlangen, abermals zur Bergeshihe şun
{teigen. Wie mit magijden Gewalten treibt e3 ifn empor,
und bieömal qretft er in ber Gile nad) feinem Buch, er
jchreitet voll fehnender Ungeduld durd) ben Garten, ohne
recht und linf3 gu blicfen.
— 192 —
Er wird heute lange marten miiffen, denn er ift
friiher şur Stelle wie geftern.
Aber Dord) ? — taujcht ihn ein Cho?
Hochatmend bleibt er ftehen und prebt die Hanbde
gegen die Bruft.
Cie fingt! Gie ift bal
Reife bahnt er fid) jeinen Weg zu dem geftrigen
Ruheplagchen, wirft fid) in die Dduftigen WAlpenfrauter
uieder und ftiigt Das Haupt in die Hand.
vm Brunnen vor dem Thore, da fteht ein Lindenbaum,
Sd) tradumt in jeinem Schatten fo manchen fligen Traum!”
Wie oft hat Şofef diejes Lied gehirt, — jo noch
nie. Gr ift nicht mufifverftindig, er weif nicht, ob er
eine ausgebildete, wobhlgefchulte Stimme hort, er weip
nur, bab ifm nod) feine andere fo 3u Herzen gedrungen
ijt wie Ddiefe!
Und die weiden, feelenvollen Klange imidimetdyefn
ifn und maden ifm das Herz fo weic und weit, jo
fefnjuchtsvoll und dennoch gujrieden.
Ahnt jene Frembde, bab Hier im entlegenften Etüdfein
Waldesfrieden ein Menfchenherz ihrem CSingen laujdht?
— bab e8 guct und bebt unter ben Qualen fiifen Wehs
und herber Wonne, welche ihre Lippen gu ihm tragen?
Dap er mit ihr füfft und bangt und flagt aus tief
imnerjtem Grunde herauf, bağ er mit ihr etn3 wird in
Diejen Liedern ?
Nein, fie ahnt e8 nidit, fie weif nicht, bağ ihr, die
nur den Blumen und Voglein im Walde anvertraut,
— 193 —
was fonjt geheim in ihrem Sufen fchfummert, dab ihr
bie gröbte Kunjt gelungen, dag fie mit ihren Liedern
eiten Erfolg gehabt, wie ifn wohl felten nur die Criten
unter Den Cangerinnen aufweijen fonnen!
Und wabhrend Şofef fid) widerftandslo3 dem Bauber
hingibt, welder ifn mit Sang und Klang umipinnt,
tint e8 voll jchlidter Junigfeit und Wehmut weiter von
ben Lippen der Unbefannten, ein Bolfslied nach dem
andern, fchwermiitiq und entjagungsvoll, — Lieblinge
De beutidyen Volfes.
Wer ijt fie?
Wie ein ungeftiimes BVerlangen überfommt e3 den
Laufdhenden, aufgujpringen, die Biijdhe gu teilen und in
das Antlig berer gu fcjauen, welche ihm fremd fit, und
welde er DdDennoch bis in die geheimjten Regungen ihres
Herzen fernen fenitel
Gr erhebt fid), er macht eine leidenfchajtlide Be-
wegung und fein Blick İtreift wie gujallig fein dunfles
Priefterfleid.
Da geht e3 wie ein fithler Schauer durch fein Herz.
Der erhobene Arm finft nieder, — wie aus einem Traum
erwadend blict er auf. Warum will er fie jehen und
fermen, — er, ber Griefter, — warum? Lanagjam wendet
er fid) und jchreitet mübe, wie ein Sranfer, ben Pfad
aurüd, bie Soutane ftreift die Bliiten am Weg, und der
AUbendtau gligert wie Thranen ün ihren Relchen.
N.v. Cf*ftruth, SİL Rom. u. Nov., Friihlingsftiirme L 13
TX,
4/8 614) cine fhrvitle Nacht!
Lange hatte Sofef in bie milde, trüumerild)e
Dammerung Hineingeblict, vergeblich hoffend,
Daf ihr Frieden fid) auch iiber jein ruhelos flopfendes
Herz fenfen werde.
Noch nie war er fid) feiner inneren Unrube, des
Bwiejpalts fener gangen Cmpfindungen jo bewuft gez
worden wie heute. Was war e3 nur, was ihn fo qua'te,
er rourde fid) felber nicht far dariiber.
O, biefes Gritbeln und Ginnen! 63 macht ifn noch
perrüdtl
Glüdfefiq die Mtenfchen, welche fid) leidjten Ginnes
itber Verhaltnijje und Begcvenheiten Hhinwegfegen finnen,
welche anderen ala uniiberwindlide Hinderniffe ben Weg
jperren! Beneidenswert die Sorglofigfeit, mweldje feine
Sfrupel fennt. Göibt e8 ein Mittel Dagegen?
Sofef fitdit banad), aber ein joldhes, welches wahrhatt
heilt, findet er nicht, nur die Betdubung, die momentane
Ablenfung durch fein Studium, und Troft und Selbjt-
vergeffer im Gebet,
— 195 —
Aud) jest giindet er die Lampe an und greift nad)
ben Biichern.
Durd) die geöffneten Genfter webht ein feuchtheifer
Brodem, welder fchwitle Diifte auf feinen bleifcweren
Schwingen trüqt.
Süfeften und Nachtjalter umjchwirren das Licht, ebenip
unrubig bin und herguckend wie die Gedanfen hinter der
jungen Xöenidyenitirm, welche fid) tief auf die Hand ftübt.
Die Worte und Beilen verjchwimmen vor Fojefs fid,
— er lieft fie, ofme gu denfen und ihren Ginn gu erfaffen.
Vor feinen Ohren flingt eine leije, flagende, traurige
Stimme, die dringt hinab in fein Herz und müblt e3 in
feiten verborgen|ten Tiefen auf. Wer ijt die Sangerin —
jene öyrembe, welche ebenfo ungliiclich it wie er?
Gehbren fie nicht gujammen? Gdimefşen ihre Seelen
nicht in einer eingigen, webhen, qualendDen Not ineinander?
Sn jener HerzenSnot eines eingigen 33erlaffen: und erz
forenjeing? Welch eine grofe, Heilige Gympathie ver-
binbet fie! Welch eine laftende Pein örüdt fie beide gu
Boden! Und er foll nicht voll leidenjchaftlider Sehnjucht
alle Schranfen niederbrechen, gu ihr hinftirmen und jein
Antlig in die Falten ihres Trauerfleides örüden: ter
lağ mich Thranen ber Crldjung weinen! Wor dir jchame
ig mich ihrer nicht, Denn du verftehft mich! — Sieh
mid) an, — lak mich dein bleidjes 9fnifiş fennen —
wer bift bu?”
Soflef fchiebt aufftihnend bas Buch von fid) — fein
Snjalt deucht ihm pföşlid) wie ein Spiegel, und er fieht
13*
— 196 —
Darin nicht die friedlich, mild und entfagquigsvoll lacheln-
Den Bitge des Priefters, defjen Blick die Rlarheit bes
Şimmel8 zeigt, beffen fieqhaft reine Stirn von feinem
Gedanfenwilflein mehr verdunfelt wird, nein, er fieht
ein Berrbild, unftat, qrell wechfelnd im Wusdruc — wirre,
irre Schattenlinien, wie bas Gebild des Fiebers oder des
Wahnfinns. Cr jpringt auf, er birdimibt mit hajtigen
Schritten das Bimmer.
Da wo du nicht bijt — da wohnt das Gite! —
Gang fie nicht fo?
Welch eine bittere Wahrheit! — Wo ift für ihn ein
ykand fo hoffnungsgriin, ein Land, wo feine Rofen
bliin 2”
Da, wo du nicht bift, ba wohnt bas Glick! Welch
ein Geijterhall in jeinem Herzen! Welch ein diijter
Raujehen um feinen Fuh!
Sein Priefterfleid!!
Glick! — Glick! wie Şeiğeft du für mid)? Wer-
geffenheit? Rlofterjrieden oder Geelenhirtentum?!
Wie ein fchwerer Seujzer jtreicht e3 Durc) das Fenfter,
wie ein Grollen und Murren antwortet der jerne Donner
iiber Dem Gee. (68 blibt, — und Gofef ftarrt fefunden-
fang in das blaiulich grelle Licht und tritt an Das Fenjter.
,Büft bu fo Leuchtend, jo drauend und göttfüd), zudft bu
jo unerwartet hernicder, Glick? Blendeft du die Augen?
Bijt du ein Funten, im Urquell des Lichts geboren und
blind hineingefdjleudert in das Weltall, gum Cigentum
Dejfe, Der bid) juft fabt? Sif du ein Spiel des Bue
— 197 —
falls? Cin Blik, welcher ohne Bahn und Giel hernieder-
flammt auf das Haupt defjen, der dich nicht gejucht?
Glick! Ratfelhajtes Tü — in welcher Geftaft nabhft
ön mir?
Abermals gliiht der Himmel und wirjt magifden
Widerfchein itber den fchweigenden Garten, und grell
auftaucend aus der Nacht, den Blick 568 ungeftiimen
oraqera wie mit imftditbarer Gewalt angiehend, taudyt
ein Bild aus der Finfterni3 fchattender Gebiifche.
Gliice — fieh{t du aljo aus?!
Cin Weib ift e3? Wher e3 fchwebt nicht auf der
rollendDen Kugel, ihn mit erhobenem Fiillhorn lockend,
aus weldem goldfunfelnder Regen, Rofen und Lorbeern
winfen, nein, e3 ijt Die Heilig ernjte Statue der Arbeit,
der Pflicht, ber barmbergigen Gorge, welche das Antlis
feine3 Gliicke3 trüqt.
Wie gebannt ftarrt Fofef in den Garten hinab. Cine
{[hlanfe Maddhengeftalt {teht Hoderhobenen Hauptes und
faut in die lohende Pracht de3 Himmel3 Hinein.
Cin weifes, faltiges Gerwand fenditet wie phosphores-
cierend in bem Licht bes Blikes, — fie halt mit frajftvoll
encrgijder Hand einen Spaten, halb in die Erde gefentt,
ben Fuk darauf gejebt, fie fchaut momentan von der
Arbeit auf.
Sefundenlang tritt 548 wunderfame Bild hervor, banın
gahut abermal3 die Finfternis vor Jofefs Blick.
Requugslos, wie qebanınt fteht ber Klerifer und ftarrte
hinab. (r Dört, wie die Crde unter ben Spatenftidjen
— 198 —
Enirfht, er Hirt geddmpjtes Spreden, eine angftvoll
flagendDe Stimme, eit fanjftes, liebevolles Berubhigen.
Minuten vergehen, das Gerünid) der Arbeit ver-
ftummt, und die weide Frauenftimme fliiftert: ,Gtüşen
fie fich Teft auf mid), Frau Palmbec! Bch fiihre fie
lieber unter das fdjiibendDe Şad), das Wetter jcheint
Heranfzufommen !/
Und wieder flammt e3 itber ben Himmel und wieder
blidt Şofef feinem Glüd in das WAntlik. Wie ein lebendes
Bild taudht e3 aus der Nacht. DicSmals ftebt die weif-
qeffeibete Gejtalt mild und opfermutig üDber ein alte3,
qetred)fid)es Weibchen geneigt, weldje3 fid) hinfend an
Den Arm ihrer Schiigerin flammert.
Sie leitet fie unter ein fchirmend Dac).
So İdirettet bie Barmbergigfeit, ber lidjte Gottesengel,
neben dem hilflofen Clend her.
Mur fefundenlang taucht die Exrjdheimung auj, aber
Sofef Hat bemiod) ihr Antlig mit brennendem Blic um-
fabt, wie ein Verfd)madhtender den Kelch jucht, welder
ihm Dargeboten wird. Das Antlib, weifs und jchattenlo3s
unter der grellen Beleuchtung, mad)t den Cindruc einer
Statue, um deren Stirn und Gdifüfen man bimfles
Haar gelegt.
Regungslos, wie in tiefem, traumbaftem Frieden
bliden die Augen in bic jpriihenden Gtrallengarben des
Himmels empor, ohne Angft, ohne Gorge, voll lachelnder
Sehnjucht, wie man einem Licht entgegenjdaut, welches dem
wegmiiden Wanderer aus feinem Vaterhaus entgegenwintt.
— 199 —
Tiefes Dunkel, — die Ediritte flingen leis auf dem
Kies, die Stimmen fliiftern, — und dann rollt ber
Donner wie die majejtatijde Spradje der Gortheit über
Die nüd)tiqe Welt.
Still, — totenitif. —
Die Lidhtgeftalt des Gfüdes Hat fid) feinem fehnenden
Auge gezeigt und ijt wicderum berhinfen in gahnender
Hinfterniz, wie Erda, die Schicljalsfiindigerin, vor dem
Auge Wotans entfchwand.
Şofef pret bie Hande gegen die Bruft, er atmet wie
ein Menjch, der, zu Tode ermattet von Kampf und Sani,
endlich) am Riel ftebt.
Sein Gemüt, welches fo leicht empfanglich für alles
Hohe und Wunderbare ijt, liegt wie in Zauberbanden
unter Dem Cindrucd des İpeben Gejchauten. War Ddiefe
jeltjame Siigung ein Bujfall?
War das Bild, welches er gefehen, eine Antwort auf
jeine Frage an bas Ölüd?
Welch eine Antwort? —
Cine Doppelte. (65 3oq bie jchwarzen Sdjleier von
dem Bildnis eines Weibe3 und zeigte ihm nicht ein Wejen
von Bleijd) und Blut, fondern eine allegorijche Figur,
Die Verfdrperung eines Begriffes.
Welch eines?
Er fa) fie fteben mit dem Spaten in der Hand, dem
Attribut des Fleifes, welder bem Boden feinen Reich-
tum abgewinnt!
Und abermals jal er fie, helfend, jdjirmend und das
— 200 —
hilflofe Elend ftiikend — die Urgeftalt der ausgleichenden,
verjOhnenden Nenjchentiebe!
So biebeft du Fleif und opfernde Liebe, du ferned,
Langgejuchtes Glüd?
Sofef bfidt mit weit offenen Augen in den Himmel,
ein Seufger ringt fid) aus jeiner Bruft. Wie foll er das
Denten und verftehen?
Sit er nicht fchon fleigig von früf) bis fpat, — raft.
(58 im GStudium, unermiidlich in den vorgefdjriebenen
Gebetsiibungen? Und ift fein Priefterberuf nicht die
vollfommenfte Miichftenliebe, welche alles dahin gibt und
opfert, — fid) jelbjt fo gang und gar?
Miide und troftlos finft fein Haupt gir: Bruft, und
ber Wind erhebt fid) draufen und brauft durch bic
Baumtronen, fo wie auch ber Sturm in feinem Snnern
nicht zur Rube fommt, jondern immer neu die büfteren
öylttid)e Hebt.
Und afö er das Mige frhlieft, fieht er das holde,
engel8milde Angeficht wieder vor fid), wunderjam lebendig,
alö jchwebe e$ vor ihm.
Wer war 68? —
Und dann zuct er empor und prebt bie Hande gegen
Die Stirn.
Sie! Sie — die Fremde, — die Siingerin —! Gott
un Himmel, finnte e3 miglich fein? —
Mein! Undenfbar! —
Diefes friedliche Cugelsangeficht mit Dem verfldrten
Laicheln und der wunderjamen Rube im fid: gleidt in
— 202 —
nidht3 ben fdjmergdurchbebten, bitfteren Biigen, mit weldjen
er im (cift das WAntlig der unbefannten ausgeftattet, und
Doch wiirde ifm der Gedanfe fein Şöeal gerjtdren, wenn
Die Lippen, welche fo traurige Lieder fingen, fo mild
und frieblid) (acheln fömiten,
wit Denn dic Wehmut etwa Veraweiflung ?
Xit jeder Edimerş ein wilder, wahnwibiger, welder
feine entitelfenben Furden in das WAntlig reift?
© nein, — ifm bend)t 66 fogar, al3 ob die edelfte
und heiligfte Empfindung de$ Weibes fold) eine verflarte,
wunderfam ruhige und milde Trauer fei!
So wie die hichfte Celigfeit lautlos im fid erftrahlt,
jo İptegelt die ftumme Thriine den Schmerz, und ijt’s
ber Wehmut jiipes Leid, fo Drift e8 nicht in Şerben
Ragen iiber die Lippen, jondern flingt als Lied, Har-
monijd) und jeelenvoll zum Himmel.
Sofefs WAugen leudjten, das Blut fteigt ihm in bic
Wangen und eine Crrequng bemüditiqt fid) feiner, welche
nicht erfchipfend, fondern wobhlthatig auf alle Sinne wirft.
Und jolche edle, gefiihlsinnige, heilige Wejen gibt e5
wahrlicd) auf der Welt — auch Dann noch, wenn feine
Mutter, bie befte, vollfommenfte von allen”, von ihm
gegaugen.
Warum Hat er die Frauen nicht frither İd)on mit
folchen Cngelsjchwingen gefdhaut und erfannt? Warum
freugten fie nur ale Srrlichter feinen Weg, als tritgerijde,
tüdildye Flammen, welche iiber dem Gumpf tangen und
gur Tiefe reigen, wer ihrem Sirenenlocken folgt?
— 203 —
Horch, wie ber Donner rollt, wie e3 gifcht und fnattert,
— Regenfluten jtiirzen herniedDer und jpitlen den erfticten-
den Staub von Gotte3 fcmachtender Kreatur.
om Hauje wird e3 lebendig.
Man hirt Thiiren jchlagen und Stimmen faut werden.
Die Dienjtboten Hufdhen fcheu, auf leijen Sohlen aus
Den Manfarden Berat, fid) im Hausflur und auf der
Treppe niederzufauern.
Aud) an Yofejs Zöür ffopft ed.
Lina fragt an, ob ber gnadige Herr aufgeftanden fet,
— bie Rranfe fet İp beunrubigt.
ys fomme!” antwortet der $tferifer hajtig, fchliept
das Henfter vor dem eindringenden Regen, nimmt jein
Brevier und eilt durch die Thiir nad) dem Zimmer der
Mutter.
Weld ein Tag! —
ərild) und balfamijd) weht e3 von den Bergen herab,
jtrogend in bliihender Fille Heben fich die Gebiifche, die
Baumtronen ftauben noch immer demantenen Negentau,
wenn ein Lufthauch ihr Gegweig beriihrt, und Matten
und Moos breiten fid) jo fchwellend, fo fmaragdgriin
und goldbraun leuchtend über die Wlpenhange, bağ der
Blice fid) nicht fatt felen fann an fold) neugeborener
Pracht.
Şofef tit ciner unbegwinglicen Sehnjucht gefolgt und
fon in taufrifder Morgenfriihe emporgewandert şit
jenem Blagdhen, weldhes ihm durch den lieben, geheimnis-
— 204 —
pollen Zauber einer Maddenftimme gar wunderjam ver-
traut geworden it.
Daheim in K—burgs Dormitorium ijt e3 jebt auch
jon ({angft febenbiq, bas Glödlein Hat geldutet und bic
ehriviirdigen Grider haben fid) gu Gebet und Weffe
bereiniqt.
Auch Şofef will feine WAndacht nicht verjaumen, er
Halt fie unter ber: majeltitijden Ruppel des ewigen
Himmel, wo Gottes Wllmacht fid) felDer die İdineez
getrinten Wlpen gum Hochaltar aujgerid)tet hat.
Die Seele 568 jungen Mannes ift erfiillt von ber
Heiligfeit des Odems, welder ihm umrweht; er hat fid)
noch nie mit fo tiefer Gubrunft in fein Gebet verjentt
wie heute, er hat e5 anfanglid) nad) vorgejchriebenem
Wortlaut abgelefen, aber bas Buch entfinft fener Hand,
icin Blick febt fich empor in unendliche Weiten, feinem
Herzen wachjen Fliigel, die tragen eS empor in ewiges Licht.
Er betet — aber nicht jene Worte wie jonft, nicht nad)
dem toten Buchjtaben, nicht um Dinge wie gewshnlich,
e8 ijt ein WAusjtrimen İeiner tiefften, innerjter Gedanfen,
İcine8 ureigeniten Shs — nicht bes Klerifers und an-
gehenden Briejter3, jondern des Menjden, wie er in
jeiner gangen Wahrheit und unbemintelten Chrlichfeit,
als jehnjuchtsvolle, nach Glick und Lebenswonne fdymadh-
tende Streatur por Dem WAntlig feines Gottes liegt.
Und jeine Gedanfen: 380, Herr, ijt Glüd und Frie-
Den, bab id) fie finden mag?” werden zu Cenfzern,
elde an de3 Cwigen Ohr fallen. ,,3cige mir den
— 205 —
Weg, Vater, welchen ich gehen joll, erföfe mid) aus den
Bweijeln, jtehe mir bet im Kampf!”
Und wieder, immer wieder dagwijden wie ein WAuf-
fdrei lajtendDer Şerşennot: ,,Wo Haft du mir das Gfüd
bereitet, mein Herr und mein Gott!” —
Wie till — wie weihevoll ringsum.
Leije Vogelftimmen jubeln im Wald, und Fojef hebt
mit leudjtendem Blid das Haupt und laujdht ifnen.
Cine feltene Freudigfeit erfiillt ihn.
Sonjt haben jeine Gedanfen nach der Morgenandacht
nod) lange bei dem Cwigen und Götülidyen verweilt, in
jtillem Griitbeln und Gichverjinfen. Heute flattern fie
auf wie die Viglein, welche ihrem Schipjer die Chre
gaben, al3 fie ifr erjtes Lied gu İeinem Lob gefd)mettert,
Dann aber voll meltfid) emfiger Gorge und liebedfeliger
Haft die Schwingen regen, 3u eigener Lujt und Frohlichfeit!
Auch Fojejs Sinnen und Traumen it ein gar welt-
lide geworden, ifm felber unberwupt. Die Geftalt des
jungen Maddens, welche er geftern im Licht des Bliges
gejdaut, umgaufelt ifn wie ein holder Traum, von
weldem man fid) nicht {o8reifen fan, ben man felbft
mit waden Augen noch weitertrdumt und ihn ausftattet
mit all der Poefie und Phantafie, welche im Herzen
fehlummert.
Und wahrend er in bic tauperlenden Yöipfel empor-
lachelt, fieht er cin fchlanfes Viglein von Aft gu ft
Herniederflattern, da3 fdaut ihn mit flugen Wuglein an,
webt das Edinübeldyen an der griinmmoofigen Birfe und
— 206 —
awitfhert fo hell und locend wie... fa, wo at er denn
İd)on folch ein Rlingen gehort! —
Leife fad)t er auf! —
Siegfried! Gühe8, wonniges Waldesweben! Umgibt
e8 in bier mit feinem ganzen, geheimnisvollen Zauber,
wie ¢e3 aud) Meifter Wagner ehemalS zu Herzen gez
Drungen?
Wie lang ift’s her, fett er von Bonn aus nad) Kiln
fubr und feine begeifterte Geele in den goldenen Klang-
fluten 568 ,,Siegjried” badete!
Damals jak er in jchwiiler, erhigter Theaterlujt, und
das Viglein, peld)es den jungen Gétterjohn mit lieb-
licker Sotidyaft von dem vergaubert fdhlafenden Weibe,
umgeben von wabernder Lohe zu fernem Berge locte, war
ein Gebild von Pappe und gemalten Federlein, welchem
Die Göngerin hinter ben Couliffen die füşe Stimme ver-
lich, — heute liegt er tiefatmend in ber wirflidjen, jonne-
durchflimmerten Bergwildnis, und die Saumfronen, meldye
über ifm raufden, find echt, und das Waldesweben,
weldes ifn umgirpt und unjubelt, ijt wahr, und das
Viglein, weldjes ihm foden vorausfchwebt, ift bon Fleifch
und Blut!
Rann er €8 nidjt ver{tehen? —
Hord) — —: ,,Siegfried... Auf Hohem Felfen fie
jhlajt, ein Feuer umbrennt ihren Saal — — wonnig
und ef) — web’ id) mein Lied! Nur Sehnende fernen
ben Ginn!” ruft e8 nicht fo?
Sim Hat fein Dradenblut die Bunge genegt, und
— 27 —
berməd) deudht e3 ihm, er verfteht die Tieblidye Sotfdaaft
bes Sangerleins.
promm mit, flteg mit mir hinein in die fonnige Welt!
Sd weigk, wo das Glüd wohnt — id) zeige e8 birl”
gwitfchert e3 über ihm, und Şofef riditet fid) lachend ani,
nidt dem Schelin Heiter gu und tritt unter die Bweige,
nad) thm gu greijen.
,Gtegirieb 17 mit e8 filberhell, wie Flitenton, nein,
nicht Siegfried! ,Şolef” heift e ja, er Hort und ver-
fteht e3 ganz genau!
pBobin denn? wohin foll id) dir folgen?” Tadit er,
wie von gliidlichem Wahn befangen, und er thut e3 dem
Sohn der Sieglinde nach, fpringt von Baum zu Baum
und ajdt nach dem befiederten, fleinen Schalf, welcher
ihn weiter und immer weiter in ben morgenjrifden Berg:
wald hineingelocdt. Wher nein, alfa weit entfernt e3 fid)
Dod) wohl nicht von feinem Meftchen, wenn e8 and) eine
Beitlang im Zic-Bac den Berg empor ging, jest hujdht
€8 feitwdrts, in weitem Bogen geht’s guriic, und jdlieplic)
fchautelt e5 fid) wieder auf dem Buchensweig, von meldyem
e3 ausgeflogen.
Sofef fteht im fcithendDen Bujchwerf wieder vor dem
lieben, gewohnten Blakden, auf welchem er foeben noch
gejeffen, — aber was ift bas?
Wie gebannt fteht er und jtarrt auf die Felfen, als
fhaue er inmitten von Sonnenlicht und Blumendujft einen
Epuf am hellen Tage.
Şod)ani flopjft fein Herg in der Bruft, er neigt fid)
— 208 —
vor und umfdjlicht mit entgitcten, vollen Bliden das
Bild, mefd)e3 abermals wie eine Vifion, unerwartet und jah-
ling vor ihm auftaucht. Sein Glüd, fein geheimnisvolles
Gliicl, welches ifm der flammende Blibftrahl enthiillte!
Da fteht fie bidit vor ihm, an ben Felsblocden, auf
weldjen er joeben Raft gehalten, und fie Halt ein Buch
in ber Hand, befieht e8 von allen Seiten und blüttert
erftaunt feinen Snhalt durd).
Sein Gebetbuch, jein Breviarium, welches vorhin, als
er fid) jo hajtig erhob, unbemerft von fetnem Schof ge-
glitten!
Shre dunflen Augen ruhen überrafld)t ani den ver-
gilbten Blattern, das şart rofige, wunderfdhine Oval ihres
Gefichts neigt fid) im Lejen, und die Sonnenlidjter ffim-
mern über das nupbraune Haar, über meldyem ein rötlid)-
golbener Glang liegt, alS brenne jedes etnzelne ber weidjen
Stirnlicdchen in grellen Finfchen. Bit das die ,,.wabernde
Lohe”, in welcher das Voglein diefe Brunhild gefdaut?
Wabhrlich eine Brunhild!
Welch eine jchlanfe und bemod) fraftoolle, Hohe Ge-
ftalt, nicht von manubarer, {treitbarer Wrt wie die fdjlafende
Wotanstodter, jondern voll weicher Sdhmiegjamfeit und
feufchen Stolze, das Urbild Şerber, reiner Jung{rau-
lichfeit, welder nur die lidjten Cngel2jdwingen fehlen,
um hoch über allem Niedrigen, allem Etaub und Cumpf
ber Welt gu jchweben.
Auch heute tragt fie ein weifes Sfeib, fchlicht und an-
İprud)3103, als eingigen Sdmud ein bliihende3 Bweiglein
N.v. EfG ftruth, SİL Rom. u. Nov. Friihlingsftiirme I. 14
— 210 —
Rhododendron an der Bruft, beffen braunlic) bimffe,
glangende Blatter fid) ganz bejonders eigenartig von dem
Hellen Hintergrunde abheben.
Sir Hut, ein grofes, florentinijdes Strohgeflecht,
welches, jede Mode igqnorierend, nur eine bide Seiden-
jehnur umwindet, bird) welche beftebig ein jrifch gepfliicter
Strauf gejchoben werden fann, Büngt an dem Arm, und
Sonnenjdhirm und Handfchuhe liegen jfeitwarts anf dem
wirren Geranf wilder Himbecren, welche ihre breiten
Blattihlingen liebevoll İden: iber den Felsblok ge-
worfen haben.
Sofef fteht und blidt fie an, er wiirde e3 nicht bez
merft und empfunden haben, wenn Ctunden daritber ver-
gangen waren, er lachelt wie tm Traum, er folgt in
Gedanfen ihrem Blic, welder langfam, andadtig und
in fich verfunfen bie Gebete Lift.
Und der Wind flitftert über ifm im Laub, und das
Voglein Bat fic) mit legtem, jubelndem Gru empor in
Den blauen Himmel gefdwungen. Da fat die Leferin
das Buch jinfen und hebt das Haupt und fdaut ben
Bergpfad empor und hinab, alö fuche fie jemand, und
Dann blidt fie wieder ani das Brevier, fo nadjdentlid
und fragend, als büdite fie babet: ,, Wem gehirt e3 wohl?”
Und als fie fid) unentfchloffen ummendet, und zigert,
ob fie das Gefundene wieder auf den moosbewadhjenen
pels miederlegen foll, trifft ihr Blick, freudig aufleudjtend,
Die Gejtalt dc jungen Priejters, welche das niebere Snid)-
wert. hoc) itberragt.
— 211 —
Sie ift nid)t erfdjrocken oder verlegen, fie fdjeint mir
erfreut, Daf fie ben S3efişer 565 Buches gefunden.
Mit einer Bewegung, welche fo vornelhm rubig und
Dod) fo gewinnend liebenSwitrdig ijt, wie bei einer Fiirftin,
weldje Hojlich lachelnd auch den Grup de3 Fremden erz
wiedert, tritt fie ihm einen Ediritt entgegen und reicht
mit weifer Hand das Gebetbud) bar.
, Sie juchen qeti: da3 Verlorene, Hochrwiirden!” fagt
fie Freundlich, und ihre dDunflen WAugen fchauen unbefangen
in Die feinen.
Sofey Hat fid) ftumm verneigt, als ihr Blicl ihn guerft
qetroffen, jebt teilt er mit fraftvollem Arm die Bweige
und tritt zu thr heran in den goldenen Gonnenjdhein.
Abermals grübt er, waihrend er das Brevier ent-
gegennimmt.
poecbindlidften Dank, mein qnübiqes Fraulein, baf
Cie fid) des verwaiften Buches fo gittig angenommen 17
antwortet er mit ber fteifen Firmlidfeit, welche feinem
Wejen in Gegenwart Fremder eigen ijt, und obwobhl die
Unterhaltung bhiermit beendet und jeder jeines Weges
weitergehen miifte, beobachtet er gum erjtenmal nicht die
ftrenge Qorderung feiner eigenen Anficht, fondern fabri
Haftig fort: Sd) glaubte mic) in ber früben Morgen-
ftunde fo gang allein in DdDiefer SSergeinlamfeit, bab id)
Die Blatter forglos zuriiclieh, wahrend id) felber walbd-
cimpürt8 fcjritt; um jo überraiditer bin id) nun, daf
Diejelben wahrend meiner WAbwefenheit einen jo freund-
lichen Schuggeift fanden!”
14*
— 212 —
,ğine fo neugierige Forjderin, fagen Ste fieber 17 ant-
Wwortet fie mit Heiterem Lacheln. Sd) war fo indistret,
meinen Fund recht genau angujehen — “
nrrch fah fie fefen und freute mich dejjen.”
Cie errötete ein wenig. ,,So überid)üen Sie wohl
ineinen fliidjtigen Ginblid, der ernjte Inhalt de3 Buches
febt eine anbüditige Stimmung und ernjte Gammlung
poraus, welche mir in diefem WAugenblicf feh{t. Cin Spa-
giergang in der Morgenfrithe ift fitr mic) eine fo jeltene
qreude, baf id) fie mit Dem Bubel eines Kindes geniefe.
(65 drangt mid) Dann, mit frildyem Blic um mid) und
itber mich gu fchanen; je böler id) fteige, defto froher,
wie ein Viglein, welches, engem Kafig entronnen, empor
in goldene, freie Himmelsblaue fdweben fann! Meine
Gedanfen fönnen fid) in folder Stunde nicht an den
{ehwarzen Buchftaben binden, fie jdhweifen als Schmetter-
ling von Blume zu Blume, und wenn jie dem fieben
Gott fiir all die Schinheit ringsum danfen wollen, fo
if’3 mit Sang und Klang!”
Sojef lachelte. ,,So fingen Sie auch am frithen Mor-
gen? Und fingen dann fröflidyere Weifen wie in der
ftillen Dammerzeit 2”
Sie jdaute ihn betroffen an, und die Zarte Rote ihrer
Wangen verticfte fid) nocd mehr. Dhre Augen örüdten
Die Frage aus, weldje thr auf den Lippen j{chwebte.
ojef atmete tief auf und blidte an ihr voriber in
Die Herne, wo ber See wie gejdmolzenes Gold in jeinen
Ujern wogte.
— 213 —
7səd) börte Sie am 9fbenb Hier fingen”, fubr er fetfe
fort, ,all meine Sieblingöfieber, weldjen ich voll un-
bejchretblicer reude gelaujdt habe.”
ydann find Sie fehr nachjichtig gewejen, Hochwitrden”,
fcdiittelt fie lachelnd den Kopf, id) finge wie der Vogel
fingt, ohne jedwede Kunft und Schulung, nur: jo, wie e3
mir jujt um das Şer ijt!”
7 So wie e3 Hhnen und anderen um 548 Herz if,
barum geht e3 auch gu Herzen! Gang recht!” jahrt er
fort, und Dann fdjaut er jah an und jein Blick trifft
Den ihren. ,,Ste nennen mic) mit einem Titel, gnadiges
Hraulein, welder mir noch nicht gufommt. Dar] ich ifnen
meinen Namen fagen, in der Hoffnung, ifn nod) recht
pİt von ihnen zu Hiren, — Freiherr von Torisdorjf!”
Gie reicht ihm unbefangen die Hand: Sd) frene mich,
Sie als Hausgenofjen begriifen 3u fonnen! Seit ein paar
Tagen wei} id) Ste bet Şbrer armen, franfen Mutter in
Der Şörintanicre1”
Sie überraidyen mid) 1 Sind Sie nicht erjt jeit geftern
in Der Villa anwejend?”
yo nein, mir haben fcjon ben föftfidyen Frithling Hier
genofjen und werden wohl auc) noch geraume Zeit ver-
weilen!”
yDavon abhnte id) nichts. Meine Mutter glaubte fid)
ganz allein in dem Haus, bis auf ein aftes Chepaar,
weldhes etlicke Bimmer 568 Erdgejcdhojfes bewohnt!”
,i(Sarnış recht, meine Pylegeeltern, Megierungsrat Schad-
Dinghaus! Jd) heife Charitas Reckwik und befinde mid)
— 214 —
feit Anbeginn unferer Reife bei Onkel und Tante. Wie
fommen Gie auf die Sdee, bağ ich erft feit geftern in der
Printaniére wohne?”
Gr ftrid) fid) mit ber Hand iiber die Etirm. ,,Sd)
habe Gie geftern abend zum erftenmal im Garten ge-
feben — —”
/YIbenb3 ?7 Gie laichelte. ,,€3 war wohl WPitter-
nacht voriiber!”
,(Sanış recht! Wher ich jah Sie nie zuvor — und bab
id) Sie hier broben fingen hirte, — — je nun, e8 gibt
ja viele Villen in der Nahe, und e5 war immerhin müq:
lich, baf Sie erjt am vergangenen Tage die Wohnung
gewechfelt und zur Brintanidre itberfiedelten. Wbrigens,
nennen Sie 68 nidjt miipige Mengierde, welche mid) fragen
lapt, was 1d)afften fie nocd) fo fpat mit Dem Spaten an
Dem 'Gebiijch drunten? Beh geftele Bhnen ehrlich ein,
baf mich diefe ungewdhnlide Wrbeitsjtunde tiberrajdte!”
Mun lachte fie laut auf, weich und melodijd. ie
alte Haushalterin Hat im Laufe de3 Mai den Fug ge-
brodjen und ift nocd) fehr unfider im Gehen, barım
fiihrte ich fie in die Laube Hinab, weil e3 in ben Şim:
mern fo imertrüglid) jchriil war. Die arme Seele fiirdtete
fid) fo fehr vor dem Gewitter, weil fie nicht fiymefl genug
bet etwaigen Blisjdlagen fliichten fann, da bat fie mid
fo flehentlich, bet ihr zu bleiben, bağ ich e8 gern that,
jchlafen fonnte ic) ja doch nicht. SXüğig wollte ich aber
auch nicht fo lange fein, und fo errinnerte id) mid) ber
{einen Wlpblumen, welche id) geftern abend Hier oben
— 215 —
mit ben Wurzeln ausgeftodjen hatte, um fie im Garten
heimijc) gu machen. Das Beet neben der Laube jah jo
Diirftig aus, ic) wollte bort fiir etwas Schmuct forgen.
Der drohende Regen fam den neugepflangten Blumen
jehr gu jtatten, und jo entjchloR ich mich jchnell und
pjlangte fie noc) vor Beginn bes Gewitters ein. Freilich
find jie in Dem Dammerlicht nicht jehr regelmapig ver-
teilt, aber bafür haben fie dejto frajtiger Wurgel ge-
İd lagen und ftefen nun fo gerade und jrijc wie bic
Grenadiere. — Wollen Sie fid) meine Schiiwlinge anjehen,
oder gehen Gic nicht nad) beni Hauje guritch?”
,os bin an feine Beit gebunden, — und wenn 68
nicht unbejdheiden ijt, İp bitte id), bağ Sie müd) mitnehmen,
gleidyviel wohin Sie gehen!”
-
A iə AL VAIS RE a
ZOR. VİR sat aS
.
x.
ie Frage 5:8 jungen Madchen3 hatte wohl be-
awect, Die Unterhaltung, welche für gwet wild-
jrembde WMenfcjen fchon ungebithrlich lange ge-
bri, auf fcjicliche Wrt abgubrechen, um fo betroffener
blicéte fie auf Sofef, welcher fo ruhig nach ihrem Schirm
qriff und ihn wie in felbjtverjtandlider Hiflichfeit mo-
mentan in Der Hand hHielt, abwartend, ob ifn die junge
Dame bemiğen oder denfelben ihm, afs Trager, iiber-
laffen wolle.
Sie şögerte einen WAugenblice und prebte wie in furşem
Uberlegen die idyön geformten Lippen gujammen. Dann
traf ihr fid Reverenda und Cingulum und fie atmete
berubigt auf.
Shr Blic traf voll und ebrlid) den feinen.
, Meine Pylegeeltern denfen ganz aufergewdhnlich
jtreng und haben mir jedweden Verfehr mit Herren aujs
entfhiedenfte unterjagt; ic) mürbe gewif nid)t gewagt
haben, mit Shuen gu fprecjen, wenn fie zu dem grofen
Touriftenfdwarm der Landjtrage gehdrten! Aber ein
— 218 —
fatholifder Priefter ift wohl nur en Edin und feine
Gejahr fiir ein junge3 Madden, und ic) denfe, Onfkel
und Tante werden nichts Dagegen haben, wenn Sie mich
auf nicinem Spagiergange begleiten. Oft e3 Shnen redi,
İp fteigen wir noch bergan, — der Sid it bon broben
İD wunderjchiu, id) erirene mid) jeden Wbend baran.“
Sie fapte das KRleid etwas Hhiher, baf feine weiden
galten bie Grajer und Rispen nicht frridten, und wandte
fic) Dem fchmalen Pjad, welder waldeinwarts fiihrte, zu.
Cine Blutwelle hatte fid) über Şolefs Antlig ergollen,
alg Gharitas voll reigender Naivetat ihn Tür einen ab-
jolut ungefahrlicen WMenfden erflarte. Şir: trenherziger
Glaube an jfeine priefterliche Wiirde rüfrte und begliicéte
ifm, und banfte er ihr von Herzen bicle Worte, welche
vie Grundlage für einen harmlos erjreulidjen und freund-
İd)attfidy)en Verfehr bilden werden. —
Er füdyefte und verjudjte gu fcherzen. ,,Mein, ein
Heiratsfanoidat bin id) nicht, in bieler Begiehung fonnen
whre verehrien Pylegeeltern villig berubhigt fein. Sd) gebe
Sfnen aud) vollfommen recht, baf man an einem inter-
nationalen Badeort wie Montreux niemals borfid)tig ge-
nug mit Dem Wnfniipjen von Befanntfdaften fein fann.
Wieviele Glüdəritter madjen die Etraben und Hotels
unficjer, wieviel grveifelhafte Cyijtengen berfteden fich
Hinter gutem Namen und ebrbarer Maste! Sd) dente
e3 mir ja fiir ein junges Madchen recht langweilig, ohne
jedwede Anregung, nur auf fid) jelbft und feinen empfang-
lien Sinn fiir Naturfdhinheit angewiefen gu fein, aber
— 219 —
id) hoffe, Dak die Heimat Sie boppelt fiir die Einjamfeit
ber Hrembe entid)übigen wird.”
Charitas fchitttelte beinahe webhmiitig das Söpiden,
Bir leben auch in Gifenad) gang fill und zuriicégezogen.
Onfel müb in feiner Cigenjdaft als Wbgeordneter die
langfte Zeit in Berlin jein, und wabhrenddeffen bleiben
wir Damen einficeblerifd) daheim, nur auf den BVerkehr
mit ein paar alten Freundinnen der Tante angewiejen.”
wofet blicte bie Sprecherin überraldit an. ,,Sie bez
juchen gar feine Balle und Gejelljchajten? Sie befiğen
feine gleichaltrigen Genofjinnen 2”
/Ridts von alledem. Mein Leben verlaujt fo ein:
jormig und einjam, bab mir bie bunte, jchine Welt mit
all ihrer Luft und Freude bisher ein verjchleiertes Bild
geblieben ijt.”
Welch eine Unnatur! Haben Shre Angehbrigen denn
einen bejonderen Grund, Gie jo pölliq von dem Leben
abgujdlieRen 2”
Charitas fenişte tief auf, ihr jeudhtqlangendes Sid
traf momentan ben feinen. ,,Mein, ich wiifte feinen!
Tante ijt frünffid) und Haft alle Unbequcinlichfeiten,
weldje ihr durch Gefefligfeit ja unerlaplich bercitet witr-
Den, aud) benft fie gu viel an fid) und ihr Leiden, und
Der ganze Tag geht in Pjlege und Wartung auf.”
Und Sir Herr Onkel?”
Gin feltjames Bucten ging um die Lippen ber Gefragten.
oufel ift ein fehr eigenartiger Charatter, fein Klub ge-
niigt ifm, er bebari und verlangt feine weitere Unregung.”
— 220 —
pnd an Sie und Bhre Bugend denft niemand?”
yd, wohl nicht im bijen!” flang e& feile, fehr leife
aurüd, Sd) fann ja nicht verlangen, bab fid) die alten
Leute irgend welche Laft um meinetwillen aufbiirden
follen! Sch habe ifnen fo viel Miihe und Unbehagen
in meiner SRindheit bereitet, bin ihnen fo ungerwiinjcht
unter das Dach gefdjneit, bağ ich ja mir fiir alle Opfer
Danfen, aber nicht neue beanfpruchen fann.”
7, Sind Sie İd)on lange im Hauje der Pflegeeltern,
örünleln Reckwig? “
7/So lange id) denfen fann, — meine Gftern habe
ich nie gefannt.“ Die Sprecherin atmete jchwer auf;
wie heimlides Schludhgen flang e8 durch ihre Stimme.
Sofefs Hand umframpjte den gewundenen Griff de3
Sonnenfdhirms.
yulnd fanden Sie bet den Pflegeeltern nicht all die
Liebe, welche Ghnen Vater und Mutter erfegte 2”
Da brach ein Blick aus ihren fammetjarbigen Rel)-
agen, welcher dem Frager burd) Maré und Bein ging.
Eefundenlang fa) Charitas zu ifm auf, dann fanf ihr
Haupt wie eine taujdwere Bliite gur Bruft.
,68 it nicht jedermanns Sade, Kinder gu lieben
und gu bilen: eigene find wohl eine Wonne fiir jedes
prauenhers, frembde fönnen gar fetd)t eine unbequeme Viirde
werden. ber barilber fann man niemand einen Vorwurf
madjen, Die Menjdjen find ja fo beridyieben beanlagt, e5
liegt im ihrer Natur. Meine Kindheit war wohl eine
traurige, aber gang İp liebeleer und öbe wie mein jebiges
— 221 —
Leben war fie bermod) nicht. Sd ging zur Sdjule! 5,
mit welder Freude, mit welder Dantbarkeit gegen alle
Die, weldje bort jo Freundlich) und gut gu mir waren! Dic
Lehrer und Lehrerinnen Hatten mic) lieb, meine Freun-
Diunen ftanden mir nah wie Schweftern, — ich fonnte
jagen und flagen, was mein Herz bewegte, — 0, €8 war
eine glüdfid)e Zeit! — Dann fiedelten wir nad) meiner
Konfirmation nad) Cijenach über, id) war dort fremd und
einjam, fannte feine Menfchenfecle, und je alter id) wurde,
belto trojtlojer und qualvoller empjand ich dieje Verein-
famınıg 17
Şofef blieb ftehen, feine Stimme flang burd) die Bahne:
/ Mun verftehe id) Sire Lieder!” ftieb er furz hervor.
Charitas ftrich die goldbraunen Lbckchen aus der Stirn
und wandte ihm mit findlich offenem Blick das Wntlit zu.
pxlangen fie fo traurig? Sd) meiğ e3 nidjt. Sd) hatte
nur die Cehifid)it, meine Gedanfen augzujprechen. Bch
bin fo viel allein. Mit ben Blumen und den gefiederten
Güngern de Waldes gu reden, fommt mir fo thoricht
por, da bleiben nur bie Lieder. Sd) Habe nicht fingen
gelernt, bie Stunden waren jo teuer, aber ic) Tanidite
mance Weijen einer Eangerin ab, welche daheim neben
meinem Zimmer wohnut. — Und ich finge jo gern, naz
mentlid) Hier, wo id) bie Empfindung habe, meine Stimme
flingt geradezu in den Himmel Hinein, und der liebe Gott
Hirt e3 befonders deutlich, wie e8 mir ums Herz tft. —
Sd) habe e5 ja nicht alle Tage jo gut, einem jolch freund-
fid) teifnehmenden Blick gu-begeqnen wie dem Shren, —
— 222 —
und dak id) Shnen died alles fo chrlich fage? — eigentfid)
jchickt 03 fid) wohl nicht, Sie find mir ja fremb, aber
Denno) meifb id), bağ e3 in Bhrer Mirdje eine Ohren-
betd)te gibt. Da find Sie e3 gewif gewihnt, in der Leute
Herz gu fcauen, und verargen mir mein Geplauder nicht.
— © wenn Gie wiiften, welch eine Wohlthat e3 fiir
mid) ijt, mit Menfchen şir reden, — felbjt auf die Gefahr
hin —” fie şögerte und blickte forjdend in fein ernjtes, bei-
nabe fin{tere3 Geficht — , nicht gang verftanden gu werden!”
Gr jdraf wie aus tiefen Gedanfen empor. ,, Wie
meinen Gic ba8?” fragte er haftig.
Shre ganze Geefe fpiegelte fid) auf dem lieben, treuz
hergigen Rindergefidt.
,)ğım, ich denfe, ein Mann, welcher jelber die Cin-
jamfeit und WAbgefchloffenheit von allem Leben gu feines
Dafeins Biel und Zrwed erforen, fann e8 nicht recht be-
qreifen, wie ein junges, warmes Herz fid) nad) Welt
und Leben fehnt. Sd) thue e3! Warum foll id) ein Hebhl
barqı madjen? Sch jammere nach meinem toten Weiit-
terchen; hatte id) fie, brauchte ich nichts weiter. Wber id)
bin ganz allein. Draugken in dem Hajten und Treiben
wiirde ic) mein LeidD wohl eher vergefjen, ich wiirde viel-
leicht {uftig und froh jein firnen, jung wie andere Madchen
auch, id) witrde Freundjdhajt und Liebe finden und gliick-
lic) jein! — Şit e3 eine Schuld, fid) nad) Dem Ölüd zu
fehnen? Şit e8 eine Verfiindigung, wenn man den lieben
Gott banad) anrujt? — Sd) thue e3, — alle Tage, —
ift e$ nicht recht von mir?” ©
— 223 —
Charitas jdwieg beinahe erfdjrectt; fie fal den felt-
famen ungeheuren Cindruct, welchen ihre Worte auf den
jungen Briefter maditen,
Sofef3 Lippen bebten, er wollte in feibenid)aftfidyer
Errequng die Hand ber Sprecherin fajfen und rufen:
poit e3 eine Echuld, fo haben wir beide uns verfiindigt!”
— Aber er prebte nur die Lippen gufammen und fehiittelte
mit jaher, heftiger Bewegung das Haupt. Vor ihnen
lidjtete fid) ber Wald, — fmaragdgriin funfelnd im Hellen
Sonnenlicht, befat von Mtilliarden blibenber Tautropfen
behnte fich bie Wlpmatte am Bergeshang empor, gu ihren
Siipen aber, İdiroff abjallend, gahnte die waldige Kluft,
und iiber fie hinweajdweifend haftete der Blice auf dem
itberİdymenglid) jdinen Bild bes Genfer Sees mit feinem
jenfeitigen, alpenbegrengten Ufer.
Das Haupt 568 Dent du midi qrühte mit fdyim:-
mernder Şinfenirone gu ihnen heriiber, Gföden tinten
empor und das fröflid) belebte, iippige Bild der villen-
qejiumten Landftrafe fandte mit wirren Rlaingen und
gebümpfitem Şurbelidiret feinen Grug hinauj.
Şofef rig feine Ropfbedecdung vom Haupt und breitete
in jahem, leidenfchaftlichem Cntgiicen die Wrme aus.
"Sie fdhin, wie gauberhaft fin it Gottes Welt,
in welder trob allen Leids bemiod) das Glüd wohnt! —
Nein, Fraulein Charitas, Sie fimbdigen nicht, wenn Fhre
fiibe Unjehuld eS von Gott erbittet! Des Gerechten Ge-
bet vermag viel, wenn e8 ernjtlich ijt! — Glauben Sie
nur, fo wird e8 aud) erhirt!”
— 24 —
Gr fprach haftig, ben Bli von ihr abgewandt, fo
erregt und mit leudjtenden 9lugen, als rede er mehr gu
fid) felbjt al gu ifr. Und der wiirgige Morgemvind
ftrid) über bic Haupter der beiden einfamen Menjchen,
und ein [cifes Echo trug den Klang des Wortes guriict,
wie eine prophetijdhe Verheifung de3 Himmels.
Mit Dattiqen Cchritten naherten fich Charitas und
Solef Der Printaniére.
Gie Hatten fid) bet all Dem Plaudern und gfüdfeligem
Geniefen der morgenfrijdhen Sdhdnheit verjpatet, und das
junge Madchen flog ihm fechlicklich wie ein fliichtiges Reh
Den febten Wbhang de3 Garten voraus, alS die “üm
ubr von Neufille acht (cis verhallende Tine über den
See Heriibergittern lief.
Sem Tante aufwacdht und id) bin nicht zur Stelle,
ijt fie den gangen Saq argerlich au? mich!” fliijterte fie
nod) mit forgenvollem Blic, reichte ihm Berşlid) die Hand
entgegen und fiigte [eife Hingu: Sd) dante Shnen fiir
all Shre guten Worte, welche mid) lange begleiten werden!”
Dann noch ein Lacheln und Nicfen — und der Wind mebic
Die weipen Modjfalten um ihre grazidjen Fife, a18 fie,
ohne das Haupt gu wenden, durd) Gras und Slüten
hinabeilte.
Gr folgte nicht, er blieb ftefen und fah ihr nad), und
ein Viglein fdrwang fid) jubelnd itber jeinem Haupt, das-
jelbe wohl, weldje3 ihm vorhin ben Weg gegcigt, und
fang abernals:
15
aöftürmeT
TİTTİn
v. Gfd) ftrirtb, I. Mom. u. Now
N
— 226 —
Wonnig und tel)
Web id) mein Lied —
Nur Eehnende fernen den Sinn!
Die Villa lag noch {till und traumbefangen in dem
faufehig grünen Rrang von Baumen, al Charitas atemlos
über Die Sdhwelle trat. Das Bimmermadden ftand feit-
lich am Vorplag und bürİtete Kleider, fie grübte, Freundlich
fachend, gu Fraulein Nechwit Heritber und nüfte beruhigend:
, Die Herrjdajten fchlafen noch!”
Gottlob! Charitas prebte momentan die Hande gegen
Die Bruft und blicb atemjchipfend ftehen. Gerade heute
hatte jie e8 doppelt fiymerəfid) empfunden, die Pylege-
eltern jdjelten und tadeln gu Hiren, Heute, wo ihre ganze
Geele fo feid)t und froh war, wo ein Gejiihl nieqgefannter
greude und Neubelebtheit fie burd)ftrömte, wo alle ihre
Gedanfen nod) bei der Begegnung mit dem öyremben
weilten.
Dem Fremden? — O wunbderbar! Gr war ihr nicht
fremd, obwohl fie zum erjtenmal im Leben in feine Augen
gefhaut! Cr ftand ihr jo freundlich und teilnehmend,
jo Vertrauen Heijchend und warmberzig gegentiber wie
ein Bruder, vor weldjem man feine Scheu und Şürüdə
Haltung fennt.
G8 lag eine fold) Harmonijche Ubereinftimmung in
ifrem Denfen und Empfinden, al8 ob fie fdjon jahre-
fang in treuer Qreundjdaft die Gedanfen ausgetaufdt
Hatten!
Die Wangen des jungen Xüabdyens bliihen jo frifd),
— 27 —
wie die wilden Nofen am Ctraucdh, ihre fanften Wugen
leuchten wie perflürt und die fchlanfen Hande beben, als
fie gejchajtig die Rafanbiichfe herbeiholt, das Flammeden
unter dem Gpiritusfeffeldjen entgiindet und die beiden
Tafjen fiir die Ppleqeeltern auf dem Tablett gzuredhtitellt.
Sie war e3 von bahcim gewHhut, Maddhenarbeit gu
verridjten und Onfel und Tante gu bedienen, fie that e3
ohne Murren und gern, mit Dem Gifer und ber freudigen
Schaffensluft eines jungen Weibes, welches feine Krafte
gern nübt und fid) vor fetner Arbeit fdeut.
Was hatte fie auc) anders als WArbeit!
Sie allein fiillte die fiirchterlide Eintinigfeit und Ode
ihres Lebens daheim aus, jie Half hinweg itber die qual:
vollen Stunden de3 Verlafjens und Verlorenjeins, fie war
ihe şur Wohlthat, şür Freundin und Trijterin geworden.
Aud) Hier, wo fie gum erftenmal die Şffeqecitern auf
einer ölcile begleiten durjte, blieb die Arbeit ihre Bez
gleiterin bet Tag und Nacht.
Sie war ja nid)t Hergefommen, um fich gu erholen,
um eine Hreude gu haben, oder bas Echine gu genicen,
fie mar lediglid) ba, um den Pyflegeeltern Unfojten zu
erjparen, Denn bie Tante fonnte ofne die weitqehend{te
BVedienung nicht gu Cnde fommen, und eine Majjeuje,
weldhe jtundenlang ihren Şörper fneten und reiben follte,
hatte allein ein Kapital verjejlungen.
Da entid)foğ man fid) murrend, das ,,Ding” mit:
gunehmen, man hatte Dann die gewohnte Bequemlichfeit
und jparte bas Trinfgeld fiir die Zimmermiadden.
15*
— 228 —
Charitas hatte alles geordnet, fie febte fid) auf einen
Stuhl nahe der offenen Balfonthiir und blicte in bic
wonnevolle Welt Hinaus!
Wie fonnig und dujtig war fie plötfid) 1 Gar nidjt
mehr fo leer und arm wie zuvor!
Celtfam, wie bie qrobe, weite Crde mit all ihren viel
Taujenden von Menjchen doc) uur eine Wiifte ijt, wenn
all dieje Taujende fremd und falt an uns voriibergehen,
und wie reich, wie l[cbenSvoll und traut fie ijt, wenn nur
ein eingiges Herz uns freundlic) und teilnefymend ent-
gegenidilügi.
Geftern noch fah fie ben jungen Freiherrn durd) den
Garten gehen, fie mülhnte, er fehre von Chillon oder
Montreuy şürüd,
Sir lid hatte lange und nadjdenflic) au? ifm geruft,
Dicjem jungen Cffehard im Pricjterfleid, welder fid) fret-
willig von dem bunten Leben und aller Dafeinsfreude
abgewandt, Die fie mit jungem, gliiczitterndDem Herzen
erjcfnte.
Lina, die Kammerjungfer der franfen Varonin, hatte
erzahlt, ihr junger Herr wolle Minch werden, das Priejter-
qeliibde Habe er fdjon abgelegt, nun warte er woh{ nur
auf det Tod der Mutter, um vollends ins Klofter gu
qef)en.
Çeftfam, fo jung und fo entjagungsvoll!
Charitas it ja nicht vergniigungsfitchtig, fie verlangt
ja nid)t Spiel und Tanz und beraujdyende Luftbarfeiten,
nur ein paar frohe, heitere Menjdhen, mit weldhen fie jung
— 229 —
fein fann, bei denen fie Zerftreuung und Erholung findet,
wenn die Lajt des Tages gar zu erbarmungslo3 auf ifr
gelegen.
Corisdorff befigt eine Mutter! — er befigt in ihr
Den Hichjten Shab, das tenerite Kleinod, welche einem
Menfchen werden fann. Das freundliche Gdidiat hat
ihm einen vornehmen Namen und anjdjeinend doch and)
geniigende Wtittel gegeben — warum perad)tet er bic
Welt, wirjt dies alles von fid) und begrübt fid) inter
RKloftermauern ?
Cin trünmerild)e5, wehmiitiges Lacheln geht über das
Antlizg der Sinnenden.
Cine ungtüdfidye Liebe! Nur die allein ijt e3, Fann
e8 fein! Gr hat entweder die Erwahlte durch ben Tod
verloren, oder andere unitberwindlicdje Hindernijje jperren
ihm fir ewige Zeiten den Weg gu ihr!
Darum auch feine Vorliebe für traurige Lieder, barım
jeine feltfame Grregung, al% fie von dem Glüd jprach,
fein ernjte3 Ginnen und jein Hang zur Cinjamfeit, welder
ifn, Den jungen Wann, jon vor der Zeit gum Greife
madit.
Cin ticfes, inniges Mitgefithl iiberfommt Charitas.
Wie beflagt fie ihn! Wie ijt er doch jo viel, viel un-
gliiclicher noch wie jie! Cin altes Wort fallt ihr ein:
Ber örembidlaft und Liebe nie fuchte, ijt taufendmal
ürmer, alS wer beide verlor!”
Und dies Wort hat recht. Neben ihm jdhreitet durch
alle Ginjamfeit und alle Ode bes Lebens dennod) eine
— 230 —
lidte Huldgeftalt, die Crinnerung an bie Geliebte. Cr
nimmt ihr Bild mit fic) in ben Rlofterfrieden und İd)müdt
e3 voll treuer Liebe mit nimmer welfenden Smmortellen.
Er hat das fübe Glitcl gartlidjen Cmpfindens fennen ge-
lernt, er hat der Liebe fiipe Macht empjunden, fein Leben
war fein vergebliches, e8 war in allem Leid bend) gar
reid) an Glitch. (ie aber geht ihren dunflen Weg fo
ganz allein. Kein Stern ift ifr femal8 erjtrablt, fein
warmer Lengeshauch hat je eine Knojpe in ihrem Herzen
wachgefiigt, fein liebe’, teures Bild hat fie voll Wonne
oder Weh als Heiligtum in ihrem Herzen aujftellen diirfen
— einjam, dunfel, falt ijt e8 um fie her geblieben.
Şit er wabhrlich ürmer nod) wie fie, er, ber Die Liebe
fennen lernte — der noc) eine Mutter befigt?
Nein — und Dod) leidet er wohl noch mehr wie fie.
Des Weibes ewiger Anteil ift ber Scymerg; fie ijt şür
Dulderin geboren, fie tragt auf ihren İdyadyen Schultern
Doppelt fo jdjwere Lajten wie ber Mann, ftill, ohne Stage,
lachelud. De Mannes Natur aber ftraubt fid) gegen
Weh und Leid, wie gegen ein bitteres Unrecht. (r, der
gewohnt ift, trobiq gegen alles angufimpjen, was ifn
in jeiner Siegeslaufbahnu hemmt, er vergweijelt gegeniiber
einer feindlicdjen Macht, welche er nidjt mit Fauften packen
und nicderzwingen fann. Geine Litanenfraft zerjdjellt
an einem Sirnlein wahren Leids, ein Thranentropfen
wird atır: imertrüqlidyen Biirde fiir ihn, dieweil das Weib
mand) {hweres Thrinentriiglein ungebeugt und faum bez
merft Durds Leben trigt.
— 231 —
Der Mann miberfebt fid) dem Edidiaf, die weidje
Srauenfeele beugt fic) ifm, und das madit eine gleice
Lajt gar ungleid.
Charitas verfdjlingt die Şönbe im Scop und lehnt
das idyöne Haupt laichelnd guriicl.
Cine ungliidlide Liebe! Diefe Ubergzeugung erfiillt fie
mit einer groben Beruhigung.
Das Bild fener Wnderen und das ernfte Nleid des
Priejters finb die Schranten, welche ihren Verfehr müt
Herm von Torisdorjf auf das neutrale Gebiet echter und
Harmlofer Freundfdhaft permeilen werden.
Sie Draud)t nicht gu fitrdhten, ihrem jungfrdaulidjen
Stolz und ihrer Wiirde ctwwas gu vergeben, wenn fie die
feltene reude eines Gedanfenaustanjdhes im dfteren Sehen
mit ifm genieft.
Gie fann ifm mit aller Offenheit und ehrlicher Freude
begegnen, fie fann fich ofne Edheu geben wie fie ijt, ohne
ben bübliden MNebengedanfen, er finne diefen Verkehr
mipDdeuten.
Der fdirille Ton der Klingel lagt das junge Madden
aus ihren Gedanfen aujjdjrecen.
Sie eilt şur Xhiir und tritt ein.
Sir: erfter Sfid in das fcharfe, qramlidje Geficht der
Tante, meld)e$ ihr mit ben bedrohlic) funfeluden Augen
unter Der grofen Riifchenhaube entgegenblict, verrat ihr,
bab bie Frau Ratin jdjlecht gejdjlafen Hat.
pRirtlich ? Şörit bu mich diesmal Flingeln?” Hihut
ifr die fdirilfe Stimme entgegen. ,,Heute nadjt Tatteft
— 232 —
Du wohl Pech in ben Ölyrem, oder warft du zu Taif, um
bid) gu erheben? Wher natiirlich, was fiinmert e3 bid)
Denn, ob ich Hilfe branche! Von Danfbarfeit ijt ja feine
Rede! Dentft wohl, id) hatte e6 als eitel Wonne em:
pjunden, bid) einen Sdjreibalg ehemals die halben Miadjte
Herumgujcleppen, bid) mit Aufopferung meiner eigenen Gez
fundheit gu marten und zu pflegen — —”
Herr Schaddinghaus, welder bet den legten Worten
in Cdilafrodf und Morgenfappe in ber Thiir des Neben-
gimmers eridyienen war und die legten Worte börte, fonnte
ein {pittijcdjes Lacheln nicht unterdriien. Frau Selma
aber fubr in hichjtem Disfant entrüftet fort: ln nun,
wo man bic ffeinite Gegenleijtung verlangt fiir all die
Lajt, welche man gehabt, liegt die trage Perjon wie ein
Murmeltier und riihrt fid) nicht!”
Gridiroden blicte Charitas in das unjympathijde Ge-
ficht ber Sprecherin.
you hajt gejdhellt, liebe ante? Wch, ich bitte taufend-
mal um WVerzeihung — ich begreife gar nicht, baf id)
e8 nicht gehirt haben jollte; id) war doch wahrend des
gangen Gewitters anl,“ ,
a natürfid), wirjt wohl wieder mit dem halben
Kirper aus dem Fenjter gelegen haben!”
peas müniditeft Du Denn von mir, liebe Tante? Cs
thut mir gar 3u [eid — aber nach bem Gewitter habe
id) wohl wirflicy jehr feft gejdlafen.”
Die Stimme 5e8 jungen Maddens flang fehr etd).
Sie fniete neben dem Bett nieder und begann ben
— 234 —
Sup, weldjen die Frau Ratin gebicterifd) Şinftredte, zu
maffieren.
,Gin Braujepulver follteft du mir anviihren, Dummes
Ding! Sömteft e3 dod) bald wiffen, bağ Gewitter mid)
aufregt und id) zur Veruhigung einer Limonade oder
dergleiden bedarf. Uber natürfid), irgend welche Tiber-
lequng gibt e5 ja bei bir zerfahrenem Gejdhopf nicht. —
Au! VBift du rein von Sinnen? Du brüdft mir ja den
Sup aus dem Gelenf!”
ya, fie müb fic) doch rachen fitr die fleinen Wahr-
heiten, welche du ihr İagft”) jdjallte die Heifere Stimme
568 Mats aus dem Nebengimmer heriiber. — Die langen
Singerndgel feiner Gattin gruben fic) in ben meiden Arm
Der Nichte.
yUnterftehe dich, boshaft zu werden, nid)tömürbiqe8
Gefchipf!” gijchte fie, ,,ich werje bid) auf der Stelle gum
Haufe hinaus.”
Gharitas neigte das tief erbleidjte Wntlig wie cin
Opferlamm, weldhes fid) geduldig feinen Peinigern über-
lagt. Sd) gehe, wenn du e8 münidift, Tante’, murmelte
fie tonl08.
, Çi gewif! Das finnte dir jdlechten Perjon paffen,
ung jebt ben Vettel vor die öyüfbe gu werjen!” Hhihnte
oran Selma, aber fie jah doch ein wenig Detroffen aus.
py Das ywilirde ja aller Himmeljdjreienden Undanfbarteit
bie Krone auffepen! Gid) feit Kindesbeinen an bei uns
birdifiittem und hegen und pflegen lafjen, und dann,
wenn e8 gilt, genofjene Wobhlthaten zu vergelten, das
— 235 —
Biindel gu fehniiren! Was willft du denn werden, he?
Komodiantin oder Strafendirne? — He?!”
Herr Sdhaddinghaus ftand mit drohend erbobener
Bahnbiirjte bereits auf ber Schwelle.
sorlaufig bediirfte e3 wohl nod) meiner Erlaubni3,
Du jaubere Mamfell, ob id) bid) ziehen laffe oder nicht!
Moch bift bu nicht volljahrig und unterftehjt ber Genalt
Deines Vormundes, und der bin ich! — Werftanden?
Haft ja İpüter nod) Beit genug, auf Abenteuer aus-
gugiehen, fiir jest aber will id) bir noc) deine Wander-
geliifte austreiben!”
C@haritas antwortete nicht, fie war jo fehr an bicie
moralijden Miphandlungen gewihnt, bab jie das Un-
eriragliche jdjweigend Dduldete; jedes Wort reigte bie
Pflegeeltern, die Sdhale ihres Borns aufs neue auszu-
gieBen. Demiitig, auf ber harten Erde fiend, maffierte
fie bie Tante, GliedD um Glied, ben gangen Korper, eine
ftundenlange Urbeit, bis ihr vor WAnftrengung die Yrme
gitterten und feudjte Xropjen auf der tim perlten,
Bwijdhendurd) mute fie das Friihftiic gureidjen, denn
bie Frau Matin tranf den Kafao im Vett, und wenn
all bielen WAnjpriichen geniigt war — Ddreimal in ber
Wode wurden noch recht umjtindlide Wajdhungen und
Abreibungen borgenommen — dann lief fid) die ,,leidende”
Dame ohne jedwede eigene Hilfelciftung anfleiden, frifteren
und bet İdymibigem Wetter im bequemen Sikwagen durch
Den Garten fahren.
Glied um Glied reihte fid) das miihfelige, qualende
— 236 —
Tagewerk zujammen, gu einer Mette, deren ewig qleid)-
müğiger Druck die junge Sflavin ihrer Pylichten bei-
nabe zujammenjinten fief.
Horte die Tante auf gu nörgeln, 3u ironijieren und
gu jdjelten, fo beqann der Rat, feiner ewigen Ungujrieden-
Heit Luft gu machen. Cr gebörte zu den unglicliden
Naturen, welche ewig mifvergniigt find und beim beften
Willen nie zufriedengeftellt werden fonnen. Gditen am
Morgen die Sonne in jein Bimmer, fo ddişte und ftdhnte
er über bie perifud)te Helle, welche ifn blende und ge-
radegu franf mace, Denn jeine Wugen jeien bereits ent=
giindet von Dem Geblibe und Gefuntel, e8 fei eine flagliche,
mangelhafte Welt, auf welcher ein anftiudiger Menfdh
gar nicht eyiftieren fönne. Und wenn der Himmel bedectt
war, fo İdyimpİte er erjt redjt, Dann war’s ein regnerijdhes
Sauwetter oder ein Wind, um die Schwindjucht gu friegen,
und ein Nebel, bet welcjem fid) der Gejundefte die Gicht
holen mübte. Die paar Tage mit Connenjdhein jeien
nad)gerabe jdjon 3u şöbfenl
Kam mittags Nindfleiich auf den Tifch, fo follte es
fieber Hammelfleijd fein, und fervierte man anderen
Tags Hammelbraten, jo hatte er juft auf eine Ralb3-
feule 2ppetit.
Recht fonnte e3 ihm nie gemacht werden, und feine
Gattin behauptete voll falter Angiiglichfcit, der Oppo-
fitionSteufel fei erit in ihn gefahren jeit er gum 9İ5-
geordneten gewahlt, — da müften wohl die Anjtecungs-
bagillen in der Luft herumgeflogen jein!
— 238 —
Aud) Heute war dem Herrn Rat a. D. die Fliege
an der Wand ein rgernis.
Die Friihftiicksjemmeln waren fo fteinhart, bağ er
fid) eine Sage ausbat, um fie gu Zerfleinern, und dabei
hatte er geftern erjt betont, bağ er jie gang bejonders
etwas weich liebe.
pUnfinn! Gerade im Gegenteil!” fuhr Frau Selma
biffig auf. On Haft neufid) gefchimpjt, bab fie /matidiig
und plitidiig” feten, wie fiğen gebliebener Budding! Da
follten fie ja mit Gewalt röld) gebacken werden.”
pBeil du fie gern fusperig iğt und feine Ritckicht
nefmen willft, legit Du mir Diefe gemeine Liige in ben
Mund”, fuhr Herr Schaddinghaus wiitend ani.
Sine Liige? $d) liige nicht!” gellte e3 ihm entgegen.
,Gfyarita3, bu Haft e3 aud) gebört, du wirjt mir bei-
jtuumen —“
yoy entfinne mid) wirflich nicht, liebe Tante 1”
,)tatürlid), Du Heuchlerifehe Perjon İtedit ja immer
mit ihm gufammen unter einer Decfe! Wenn e8 heipt,
gegen mid) angehn, dann marjdiert ifr immer Wrm in
Arm! O, glaubt ihr, id) mübte nicht Tüngit, ras id)
weig? — MNatiirlid), um Die Herren Herumjchwangeln
thut ja jede3 Grauengimmer und wire .e8 felbit jo
ein haplicer, graufipfiger Rniciticfel wie mein teurer
Gatte!”
yBifseft du dir ein, — bu wareft 1d)ön?” früfte der
Rat mit wiehcrudem Gelüditer, und Frau Selmas Teint
farbte fid) nod) um einen Schein gelber.
— 29 —
yd ja, id) brauche mid) nidjt vor harten Gemmeln
gu İdyenen, ich trage noc) feine WBorzellanfabrif im
Munde!”
/lber dafiir eine Perriicke wie ber grofe $turfüriti”
"ağ ijt gleichgiiltig, — wenn nur nod) Haare auf
Den Bahnen vorhanden find, um die Sörutalitüten des
Herm Gemahls abzutrumpjen!”
,Das hat man billig, wenn man das Blaue vom
Himmel ligt! Gegen jolche Waffen fampfen anjtandige
Menfchen ebenfo vergeblich, wie aud) bie Götter umjonjt
gegen Deine Dummbeit gu Felde giehen rwiirden 1”
/,9q, DU Haft recht, Dumm war ich, wenn aud) mir
einmal im Leben, ala ich bid) rüben Rerl zum Manne
genonmenl”
ya, bi: nahinft mic! — Da gab e8 leider Gottes
fein Cntrinnen mehr!
,Golf bas etma hHeiften, ich hatte bid) gefangen?”
hohnladte Frau Schaddinghaus und rüdte die Brille güz
recht, um den Gelicbten ihrer Geele mit bpemid)tenbem
fid zu treffen.
,Sefangen? — Mehr wie das! — Mit Leimftiebeln!
Schon damals ward id) durch Vorjpiegelung talidyer That-
fachen getiujcht, belogen, in3 Garn geloct! Hahaha! —
Die abelige Tante mit ber qroğen Crbfchaft, hahaha,
Das war auch fo "te fnatidiige Gemmel, was?”
/Unverfchamtbeit !/
Wahrheit!”
Charitas hatte laingft die für hinter fid) gugezogen;
— 240 —
mit ciner fetbenidyaftlidyon Bewegung, wie von Şödyftem
(fel und Abjdeu ergriffen, brebte fie die Hande gegen
bie Bruft, und ihr milde3 Dulderantlig Hob fid) wie in
veraiveijelter Frage gum Himmel: ,,Wie lange Toll id) das
Surdhtbare noc) ertragen, o Herr, mein Gott?!”
16
Nov CfgHftruth, SİL Nom. u. Nov., Friihlingsftiirme L
Re TA də
İN YSİSİ,
(or;
els
Si zü
bəni
0555
Sh
AL
ni ar ber Streit gwifden Dem Chepaar Sdhadding-
İYİ” Haus entbrannt, fo wogte er eine geraume Zeit
—— hin und Şer, fid) fteigernd bis 3u einer Cr-
bitterung, welche weder Wak noch Biel fannte.
Da der Austrag meift unentfchieden blieh — die
Gegner waren einander in jeder Beziehung gewad)jen —
İp Dauerte bie Kampjesjtimmung meift nod) langere Zeit
nad) dem WAbbruch de$ Wortgeplinkels fort, fid) aupernd
in grengenlojer Gereigtheit, in gegenjcitiq hohnvollem Sqno-
rieren und machtvollem Zufchlagen der Xhiiren.
Die leidende TXante verfiigte über einen erftauntich
hohen Grad von Kraft und Ausdauer, wenn e8 galt,
Den lieben Gatten bid an? Blut zu jchifanieren, und
fomte fie ifn babırd) drgern, jcheute fie felbjt die grifte
Anftrengung nicht; einen widhtigen Scbliiffel, oder die
Brille, oder gar die Bahne de3 Herrn Gemahls in der
Tajche, fonnte fie jtundenweite Partien gu Wajjer und
gu Lande unternehmen, geftahlt burd) das erhebende Bez
wuftjein, baf ber liebe Theodor daheim in Rajerei ver-
— 243 —
fiel. — Wéahrend jolcher Beit, wo der Cheftandsbaro-
meter bebenffid) auf Sturm und bd3 Wetter geigte, erging
e3 Charitas anjcheinend am leidlichjten, denn die feind-
Tidyen Parteien rijfen fid) um fie al8 Wlliierte, und die
fonjt jo jeltenen quten Worte jdwirrten Honigfiif um
fie Her.
Der Herr Rat bemiihte fid), die Gattin gu wilder
Ciferfucht gu reigen, indem er der Nichte die plumpften
Sdhmeicheleicn fagte und fie mit Şörtlid)feiten verfolgte,
welche dem jungen Midchen noch taujendmal widerwdr-
tiger waren, wie die brutaljte, moralijdhe Miphandlung.
Sn foldjen Stunden glaubte fie Dem Clend ihres Daz
fein erliegen gu müffen.
Sie, deren Seele nad) Frieden und ftillem Gliic
lechgte, verfdmadhtete in bem Hillengefiihl diejed. ewigen
Haders, diefer niederen Gefinnung, bicfer Herglojen und
gemeinen Feindjeligfciten, mit weldhen jeder Tag in un-
ertraglider Gleichmapigfeit begann und endete. Cin Ge-
fiihl bes (fefs, bes Wbjcheus vor diefen beiden Menjdjen
erfiillte fie, voll Vergrweiflung hob fie die Hinde zum Him-
mel und flehte um Crlijung.
Ach, wie oft hatte fie, gum Guperjten entfchlofjen,
ihr Sünbeldyen padeı wollen, um davonzufliehen in die
weite Welt, aber ihr eble8, brave3 Herz ftriubte fid)
Dagegen, fie berad)tete Den Undanf von andern und follte
fid) jelber eines jolchen fdhuldig madjen?
Wurde ihr nicht tüqfid) vorgehalten, was fie Gutes
im Hauje ber Pjlegeeltern genojfen? Ach, dag fie jeden
16*
— 244 —
Viffen Brot, jedes Stiickdjen Beug, jede durchwadhte
Stunde mit Gold hatte abgahlen finnen! ber fie bejaf
fein Geld, fie war arm, fie war ber Gnade und Ungnade
Diefer graujamen Cqoifter anheim gegeben.
Wie ein freundlidjer Lichtblicl in ihre Verlafjenheit
fam bic Reije nad) ber Schweiz.
Gonit hatte fie bafeim bleiben und als Ajchenbrodel
Das Haus Hliten miifjen, jest aber Hielten es die Pylege-
eltern für ficherer, fie mitzunefmen, Dem Der alte Drachen
von einer Schiwagerin, welche ehcdem noch bei Rats lebte,
und die befoudere WAujgabe hatte, das junge Madden gu
iiberwadjen, war im legtcn Winter gejtorben.
Da geboten Borficht und Sequemilid)fett, die Nichte
in Diejem Jahre mitgunehimen und Charitas jubelte gum
erftenmale vor reude und genop all bie Wunder ber
Schinheit, welche fid) ihr in dem Herrlichen Schweigerland
erfcjloffen, anfanglich mit Entgitcéen und Wonne.
Bald aber lief gerade dieje paradiefijde Gdyönfkcit
ihrer Ungebung, da8 lujftige, gfüdfeliq fprudelnde Leben
ringsum, Die jaudgende Sprache eines ungetritbten (ez
nuffes, welche ifr jeder Luftgug entgegentrug, den fchroffen
Gegenjak gu ihrem freudlojen Reijen doppelt jtarf ferz
vortreten, und mehr denn je empfand Charitas ifre nüz
menlos traurige Vereinjamung inniitten der reidhen, (oden:z
den, lachenden Welt.
Da fam ein gweiter Gonnen|trahl und fiel leuc)tend
in ihr franfe3 Herz.
Gic fand, ohne ihn gehid)t gu haben, einen Freund.
— 245 —
Sene: erfte Segegmnş mit Şofef bon Torisdorff afid)
ber Schwalbe, welde lieblidjen Leng verfiindet. Sir folgen
mehr und mehr — in jubelndem Gdwarm, bis der Gom-
mer gefommen ijt und die Rofen aus der Knospe bredjen.
Droben auf dem laufchigen Pjad der griinen Berg:
wildnis erblüfte ungeahnt und ungejchen fiir gwet junge
Yöenidyenfergen die Blume des Glüde.
Noch gingen fie blinden Wuges an ihr voriiber, aber
fie atmeten jdjon jebt wie in füfer Whnung ihren Duft,
fie Hirten das Leife Klingen und Fliiftern ihrer Blatter
im Wind, und fie fchloffen die Augen nur defto fefter in
bebender WArgft, ein jeliges Xraumgebilde vorgeitig 3u
şerİtörem.
© hatte feines zu dem anderen gefagt: ,,Mommnr
wieder!“ — Wenn aber die Bergfirnen unter dem heifen
Rug der Morgenfonne purpurn ergliihten oder wenn bie
erften zarten Dujtihleier traumerijcdjen Whendfriedens um
die Dunflen Tannen webhten, dann erflang auf dem moo-
fiqen PBfad ein eiliger Schritt, das Lichte Gommertlcid
welte wie winfender Gruf fchon von fern, und ber
junge Priefter ftand mit verfldrtem WAngeficht droben
unter den Blatanen und bot der Nahenden mit feftem
Druc die Hand.
Oa, fie waren Freunde geworden.
Sie faben nebencinander auf den moofigen Felfen
und verhehlten fid) nichts von allem, was ifr Leben an
Sreud und Leid gebradit.
Bwar nannte Şofef mie ber Namen feines Stiefvaters,
— 246 —
wie er ilber bie ungliiclicdhfte Beit feines Dajeins fid)
unverbriichlides Schweigen aujerlegt hatte.
Aber er erzihlte von feiner Kindheit, von dem fo
trauten Leben in der Refidenz, ehe feine Mutter einen
Wechjel in ihren Verhaltnifjen eintreten liek, an weldem
er leider Gottes bic Schuld trage, eine Schuld und Verz
antwortung, weldje all fein friedliches Glick gemordet.
Gfaritas blicte mit einem Ausdruc ticffter Srgriffen-
Heit in fein WUntlig.
proc ehe id) Sie perfönlid) fannte, habe ich über
das Unbegreiflice nadjgedadht, wie e8 wohl gefommen
fei, bab Sie fid) dem ernjten, entjagung3vollen Serif
be8 Priefters gugewandt. Sft e8 indisfret, wenn ich bicfe
rage aud) jebt nod) ermage, ja, wenn ich fie Shnen
İogar ehrlid) ausipred)e? Bch habe ja verjucht, fie mir
gu beautworten, aber nad) allem, was Cie mir foeben
angedeutet haben, fehe id) bod) ein, baf id) Sie nid)t
ridjtig beurteilt habe.”
Er Laichelt. ie werden geglaubt haben, was die
meiften Menjden alS Grund meiner Sinnesanderung
annahinen. Wenn ein Bonner Korpsftudent, Der gwar
nie ein Gemibmenid), aber auch fein Qucfmaujer war,
jondern im gemagigten Fahrwafjer be breiten Etromes
mitjhwamm, wenn diejer Beneidenswerte, der über Titel
und Mittel verfiigt, um dem Leben abgugewinnen, was
e3 begehrenswert macht, wenn der urpliglic) das bunte
Band und den Schlager an den Nagel hangt, um Priefter,
oder gar Mind) 3u werden, jo fennt die grobe Menge
— 2417: —
nur eine Frage: ,oü est la femme?! und Ddiefe Frage
ftellen auch Sie, Fraulein Charitas?”
Gic errötet ein wenig, weil er Das Rechte getroffen, aber
fie erwidert freimiitig feinen Blicé und nidt fehr ernfthaft.
,(Senib, id) bin nicht jehr originell in meinen Gee
Danfen, jondern zahle jehr gu den platten Philofophen,
yoeld)e guerjt nad) bem nachjtlieqenden greifen. Cin biğdyen
Poefie und Romanti€ fpuft ja ftet8 in einem Madchen-
fopj, und, ehrlic) gejtanden, e3 witrde mich freuen, mich
iibergeugen 3u fonnen, bab e3 auch Heute, am fin de
siecle, in Dem faltherzigen, niidjternjten Şafrşefni noch
eine Toggenburgliebe gibt, welcje alle Berleumdungen
ber Mtannerherzen Liigen {traft!”
Wieder hujdht ein Ladheln um feine Lippen, aber ein
gar weblmiitiges, und mührenb er mit ber Şubipiğe die
garten Grasrispen hin und her neigt, fdjiittelt er fang:
fam, gedanfenverjunfen Den Kopf.
peergeben Sie mir, wenn id) Bhnen einen fchinen
Wahn zerjtiren müb. WAuch Gllufionen fönnen begliicten,
Darum ift e3 graujam von mir, fie Ghnen gu nehmen.
Aber Sie fragen mid). Freiwillig hatte id) Fhnen wohl
nicht barüber gefprodjen, ba Gie mir aber nun bewiejen,
bab mein Schidjal Şfnen mafhrlid) nicht gleichgiiltig, nicht
nur eine Epifode ijt, amiijant zu Hiren und gut genug
für furşen Beitvertreib, fo follen Sie erfahren, Charitas,
was auger Shnen nur nod) Gott der Herr allein weif.
dit: die Liebe Dat mich in das Mlojter getrieben, fondern
bie Schuld!”
— 248 —
Er blict jahlings auf, in ihr Auge. Gic İdiridt nicht
gitjainmen, fie rweicht nicht entjebt von ifm guriid, fie
hebt nicht ftaunend, nicht befdymörenb die Hande mit dem
gitternden Ruf: ,,Weldh ein Berbrechen begingen Ste? !/
Shr Antlig wird nur um einen Schatten bleicher, als
fie tie} aufatmet und Teife fortfahrt, alg er noch immer
{chweigt: ,Cine Edib? — Dann war e3 doch) wohl nur
eine folche, weldje fein irdijcer Nicjter und wohl auch ber
ewige droben nidjt anerfemt?”
Er fpringt empor, er fchreitet vor ifr auf und nieber,
als mübte er einen Sturm befampfen, weldher ihn pliglid)
bis in jeden Nerv und jede afer Hhinein fchiittelt. Und
Dann bleibt er ftehen, prebt bie Hande gegen die Bruft
und blict ihr in das WAntlib, fo wunderjam, fo tief erz
quiffen, wie ein Gerichteter, meldyem plötlid) ein Wort
Der Gnade das Leben wiederjdentt.
Sie trauen mir nichts öfes gu, Charitas”, fagt er
mit eritidter Stimme, ,nicht mir und nicht jenem anderen!
Sd) Dante Shnen fiir diejen guten Glanben, welder mid) vor
mir felber wieder wert macht, welder meinem Leben einen
neuen Subhalt gibt. Wenn man fid) felber fiir einen Paria
Halt, fo thut e3 wohl, Augen gu finden, welche fein Kains-
mal, fonbern nur bas Gute an uns jehen. — Nicht nur
Mord und Totfhlag find eine Sdhuld, Charitas, e8 gibt
aud) eine moralijde, weldje noc) jdjwerer gu laften ver=
mag wie jene, Denn fie bebrüdt feine gewifjenloje Ver-
bredherfeele, fondern im Gegenteil, die empfindjamjte, in
ihren Heiligiten Gefiihlen gefrantte Chre!” Der Sprecher
— 20 —
fanf auf den Felsbloc guriicé und ftitgte ba8 Haupt fchwer
in bie Hand. ,,Cin Mann, welder mir nabe ftand, beffen
Namen die Welt in einem Atem mit Dem meinen nennt,
mein Stiefvater, hat ben WAnlaf gu einem fchweren Ungliic
gegeben, durch welche3 viele Menjdjen in bas tieffte Clend
geftiirgt find. Und baf id) dicjes Clend nicht von ihnen
abwenbden fann, bab id) nicht git madjen fann, was mein
Stiefvater gejeblt, ijt das qualvolle, erörüdenbe Gdhuld-
bemubilein, roclcdjes mid) in bie Cinjamfeit des Rlofters
getrieben. Söeritefen Sie mich, Charitas? RKéinnen Sie
jebt mit mir füblen und empfinden? Sd) fann nicht leben
und genteben, wahrend andere burd) bie Sdhuld des
Mannes, welder vor der Welt mein Vater war, darben
miiffen. (Gö gibt feine andere Güne, alS von mir şu
werfen, was id) befibe, alS allem gu entjagen. Jd will
abbiigfen, was jener feblte, id) will burd) mein Martyrium
jeine Geele 1:5 und mein Gerwifjen fret beten!”
(65 lag eine büftere Lcidenjchajtlichfeit, ber Fanatismus
eines jungen Menjdjen, welcher voll zaher Beharrlichfeit
an einem Wahn — und fei e3 auch ein Srrwahn — feft-
halt, in ber Stimme de3 Sprecher8, und fie verfehlte ihre
Wirkung nicht auf die, welche ihr Laujdte.
Cin tiefe3, namenlojes Weh bebte burd) Charitas Herz
— fie, bie Weltfremde, Unerjahrene, an welde noc) nie
bie qroğen Ratjelfragen erniter Schicjalswirren heran-
getreten waren, founte fid) fein Bild von den Geelen-
fampfen eines Wtannes madjen, welchen iibertriebencs
Pflichtgefiihl und jtolze Chrenhaftigkeit zum Phantaften
— 251 —
gemacht; fie harte nur feine flaren, bentfidyen Worte, baf
er Das Priefterfleid tragen mitfje, wenn er nicht an ver=
gweifelndem Schuldbewuptfein gu Grunde gehen folle.
Diefe Worte riffen einen Edifeter von ihren Wugen,
fie mubte von Anbeginn, dak eine Kluft gwijden ihnen
lag — jebt fah fie diejelbe in furditbarer Deutlichfeit,
wie fie fid) aufridjtet gwijden ifm und ifr — fiir alle
Ewigfeit.
Und ihr Herz guctte plöbfid) auf wie in Herbem
Schmerz, und in ihre Augen traten Thranen.
War es nur Mitgefiihl, Antetlnahme an dem Schick
fal be5 Breundes?
Sie wufte e8 nicht, fie gab fid) auch feine Rechenz
jdjajt bariber, fie empfand e8 nur inftinftiv, bab Ddiefe
Etunde einen gar bedeutjamen Wendepunft in ihrem
Leben btfbe,
Auch jebt Datte Bofef nicht ben Namen de3 Stiefz
bater3 genannt, und Charitas fam e3 nicht in ben Cim,
ibn gu erjragen oder gu erforjcen.
,Gingen Gie mir wieder ein Lied!” bat Fofef am
anderen Tage, al8 er ihre Hand mit langem Druck um-
{chlof, und fie fenfte bie Dunfeln Wimpern und mid) feinem
Blick aus.
bas wre wie ein brennend Licht am Tage!” berz
fuchte fie gu fcergen. ,,QWarum mit mir felber plaudern,
wenn ich fo freundliche und anregende Gejelljdajt habe?
Meine Lieder find nur ein Notbehely.”
— 252 —
noite mid) find fie mehr — fie find UWrgnet, an welder
meine franfe Gecle gejundet.”
Sie taujden fid) Traner und Wehmut heilen feine
Wide. Die trüben Weifen waren Fhunen fympathifch,
cin Spiegelbild Bhres eigenen Empfindens, barım thaten
fie Shnen wohl, wie ein milder Troft. Wber fie find e3
nicht, fie find heimtiicijde Klangperlen, weldje da Herz,
in welches fie fallen, ebenjo jdjwer und franf machen, wie
Die Mujchel, welde auch an ihrer Perle ftirbt. — Nein,
feine jdjwargen Gedanfen mehr, başı ift bie Welt gu fin
und Heiter und ber Himmel hier droben gu nahe. — Waren
Güc jdon einmal auf jener Felsfuppe? Mein? — id) bez
İtieq fie and) nocd) nicht. Und barım frild) an3 Werf!
Und wenn wir droben find, jodle id) einen Grup zu
Tintére hiniiher, fo frild), fromm, frohlich und frei, bağ
fein Gennerdeandel e3 beffer madjen foll!”
Er lachte mit ihr, und mührenb fie eilig bas Gommer-
flcid iiber den Fiifen hodjftecte, um bequemer ausjdhreiten
gu finnen, rubte fein Bic auf ihrer jdjlanten, bliihenden
Geftalt, und e3 deuchte ihm, fie werde alle Tage jdhiner.
Charitas fchien dngftlich baran? bedacht, 16565 traurige
Gefpracdsthema gu vermeiden.
Bir fennen ja nun einander! Wir wiffen, wie €
bisher fo bimfel in unjerem Leben war, darum wollen
wit ben Sonnenjdhein jroh und danfbar geniefen.”
Und die Rofen pfliicfen, eh’ fie verbliihn!” fiigte er
fhergend hingu, al& feine Begleiterin fid) bet den lesten
Worten neigte, ein wildes Rwslein vom Bujd) gu brechen.
— 25 —
pmandhe Menfdjen nennen das Blumenpyliicten eine
Barbarei, und Tante ift jedeSmal empört, wenn ich auf
unjeren Epaziergangen daheim ,Griinjutter raufe‘ Gie
{egt feinen Wert ani ein gejdhmiicttes Bimmer. $d) thue
e$ um İp mehr, bem Das biliterite Gtitbdyen wird Freundlich
und möhnlid), wenn jold) ein blifender Grüb vom Tijch
lacht. Man mu die Blumen nur verjtehen! — Sie jagen
18 mük...”
,Xamentfid) die Gretdenblume!”
Sie fagt Dummes Beug, mefldyes man fie gar nicd)t
fragen jollte.” —
ySollte? Wljo jman‘ thut e3 bod) 127 Cie wandte
fid) eifrig şur Geite und müfte fid) mit einer gierlicjen
Brombeerranfe ab.
“Mer meib 17 ladjte fie, aber ihre Stimme bebte
wunderlid); ,wenn nidjt jest, fo Doc) vielleid)t fpüterl
Man fol nichts verreden, Denn feinem Cchicjal entgeht
man nidjt. ,,Bliht Blimlein noch fo tief verftectt, bie
€onne hat e8 doch entdeckt!” verjichert ja der Did)ter,
und mit Den Blitmdjen meint er die Madden, und die
Sonne joll die Liebe jein!”
Sojef antwortete nicht, er ftand plötlid) iti und
jtarrte au? Das geneigte Ropfdhen, defjen goldene Licichen
in ber Conne flimmerten.
Sebt wicht! Wher jpater... bamı fommt die Sonne,
Die qrobe, ftrahlende LicbeSjonne, die geht iiber biclem
einjamen, tiefverborgenen Wiaddhenherzen auf, und ein
Mann, ein Frembder fommt, ber fegt den Arm um
— 254 —
fie, ber fliiftert ifr trunfen vor Gfüdfeligfeit ins
Pr — —
Şofef jcrickt gujammen, iiber ifm im Gegweig İdymettert
ein Vigelein aus voller Kehle, jein lieber, Feiner Sanger,
weldjer ihm jiingjt, gleid) Siegfried den Weg wies.
Şit er3?
/Mebt müt” id) ihm nod
Das Yerrlid)fte Weib!
Durdhjchritt er die rinit —
Grmedt” er die Sraut —
Briinhilde ware fein!”
Welch ein Gedanfen! —
Wie ein feuriger Blig guct e3 vor ihm nieder und
blendet ihm ploplich die Wugen. Hat er e3 fid) denn
nid)t von Anbeginn fagen miijjen, dag bicles Lieblice,
anmutige Weib begehrenswert fein mug, jedem Auge,
weldes Verjtindnis für Schinheit, jedem Herzen, welches
verfieht in anbdern Herzen gu lejen? Git e3 etwas fo
Unjaplide3, bab fie qeliebt werden und auch wieder
lieben wird? Hat er nie guvor baran --. Lagen
feine Gedanfen im Traum?
prxsebt müğt id) ihm nod
Das herrlidfte Weib!”
jubifiert e$ über ihm, ad), Sehnende verftchen ja den
Sinn diejes Vogelliedes!
Shm? Sim meib er das herrlidce Weib? Bift du
blind, fleiner Günger? Giehjt du nidjt das duntle
Kleid, Reverenda und Cingulum? Weift du nicht, was
fie bedenten wollen? Das Herz, weldje3 unter ifnen
— 255 —
{hlagt, und fet e3 noch fo jung und fo Beb, ijt tot
für bid) und fein Holdes Şoden, und fein Strahl jener
Gnadenjonne, meld)e die Liebe Heipt, fann e3 rettend
aus bielem Zodesjchlaje medenl
Hat er fid) dies alles nicht taujendmal zuvor gefagt?
Əft er nicht fejt entjchlojjen gewejen, der Liebe und ihrem
Glüd gu entjagen?
Sa, er war e8, und e8 Ddiinfte ihm fein fchwerer
Kampf, inmitten ber Welt voll lachender, glutdugiger
Weiber dennod) ein fittenftrenger und fittenreiner Diener
be8 Herrn zu bleiben.
Warum ftarrt er das Bild bicler feiner eigenen
Ubergeugung pliglic) an wie cin Schreckgejpenft, welded
ihm mit ei8falten Handen nad) dem Herzen greift?
pBijjen Sie aud, bağ Sie fid) das Leben recht
bequem madjen, auj Kojten aller Hiflichfeit und Nadhften-
fiche?” fad)t Charitas, fid) mit glüfenben Wangen
von den RKnien aujfridtend; fie hat die dujtigen Wlpen-
blumen aus dem Moos gepfliict und Halt ifm mm
Germer und Colchicum Heiter entgegen: ,,Diefen ganc
Straug lafjen Sie mic) im Sdhweife meines 9fngefid)t5
pilüden und Gic ftehen ungeriifrt babet, ohne auch nur
ein eingiges Blatthen beigufteuern 2”
Er nidt gerjtreut und fieht auf die Blumen nieder.
,/Und wenn id) Shnen einen anderen Straug pifide,
befomme ich Dann biclen?”
/Wenn ber Fhre noch qröğer und hiibfdjer ift, taujdje
id) ihn opfermutig etn!”
— 256 —
7h werde wenig Slice haben; die Blumen bfüfen
nicht für mid) fdjwarzen Gejellen, aber vielleicht gibt
€8 bennod) ein Kndsplein, welches fid) nicht vor mir
verftectt, alfo fucjen wir! QBitterflee und Thranenweiden
finde id) wohl.”
ybler İdynerfid) 17 Charitas gwingt fid), Heiter gu
bleiben. ,,WUuf den Gergen wohnt die Freiheit und die
oreude, und bidit vor Shren Fiifen lachelt eine blaue
Gengiane fehnjiicdjtiq gu Shnen ani, id) glaube, fie
fürd)tet fid) weniger vor Shnen, wie Sie fid) vor ihr, —
bas Şüden ijt auch gar zu faner,”
Nun mug er lachen, und labt fid) nieber auf das
RKnie und folgt Dem Wink ihrer weifen Hand.
vSehen Sie, ob noch etwas in Greijweite bliht, bağ
ich gleich drunten bleiben fal”
2 nein, fo jehr arbeite id) ber Bequemlichfeit nicht
in bie Hande. Şebt heift e8, fid) anjtrengen. Denn —
wie gejagt — wenn Shr Strauf nicht fehr vicl hiibjdjer
ijt wie Der meine, tauidle ich nicht!”
yd Opferniut — dein Mame it Weib!”
pit Bornamen Charitas!/
yor) hatte eine fo gute Meinung von Bhnen!”
,,2as war leidjtjinnig; mun haben Gic die Ent-
tiujehung, denn bei ,,Mein” und ein” Hort jede
Giite auf!” — Gic eilte leichtfiipig burd) Das wogende
Gras eine fleine Wnhihe empor, wo die roten Etein:
nelfen und der wilde Thymian ihr entgegennictten.
Er aber hob den Arm und pfliicte das Dujtcnde
Nv CfHftruth, IL Mom wu. Nov., Friihlingsitiirme 1. 17
— 37”
Seldngerfefteber, welche feine üppigen Blattfchlingen bis
empor unter bas Gegweig ber Baume ffodit.
Und dann jah er ihr nad), wie jie broben ftand.
Die fdifanfe Geftalt zeichnete fid) gegen den fleckenlojen
Himmel ab wie ein Marmorbild, weldes Leben qez
ywounen.
Der meibe Kleiderrod webhte, fie hob die Hand bez
jchiibend über die Augen und fpahte weit hinaus ins
Thal. Und das goldbraune Haar leuchtete wie das Laub
be8 Cdelweif.
Sa, Hier blitht’s vor feinen Slider,
Verfteckt e3 fid) auch vor ihm? — Mein, e3 wintt
im fogar lacdelnd gu: ,Komm auch!”
Wh, bağ er emporitürmen finnte. ..
Sofef jtreicht ploblich mit bebender Hand iiber die
Stirn. Welche Gedanfen! Wie fallen fie plöbfid) über
ihn her, gleich Wolfen im Schajspels.
Was ficht ifn an? Tobt ihm das Fieber in den
Adern und wirbelt ihm Wahngebilde durch) das Hirn?
Ach, warum İprad) fie bon bem andern, ber: einjt fommen
wird!
Der Schatten diejes Frembdlings ift in all den lichten
Sonnenglang gejallen und hat den Tag verfinjtert. ari
e8 gefdhehen? Gebhirt e3 nicht gu dem Martyrium ber
Entjagung, dag er neidlos und wunjdlos vor Gottes
Altar fteht, die Hinde der Gebenden in ewigem Bund
gu vereinen?
Der Liebenden! — Mtdgen fie fommen von nah
— 259 —
und fern! Gr will ber Braut in das ftrahlende Antlit
jjauen und rubigen Hergzens den Gegen itber fie und
ben Ring an ihrem Finger fprechen — nur Charitas
joll e3 nicht fein, welde als Weib eines andern vor ihn
tritt!
Wehe ihm! — Charitas fteht ihm fo fern — fo
ewig fern wie all die andern Weiber auch, — und wie
er aud) mit blutendem Herzen gu dem lichten Cdelweif
emporjdaut, — e3 gübnt ein Whgrund grwifchen ihunen,
über welchen fein Steg und feine Srüde fithrt.
/Marum fommen Sie nicht? — Cie abhnen nicht
bie Pracht, welche Bhrer hier harrt! — Bch) werde
Entree nehhmen, wenn Sie nicht eijriger bet ber Cache
find, — oder Shnen den jchonen Şobfer, mit welchem
id) Sie Hier oben am Cude der Welt begriigen wollte,
vorenthalten 17
Wie Heiter fie feit den legten Tagen ijt! Wie fie
{ehergt und gar nicht afnt, welche Ctitrme in ifrer
nachjten Mahe eit armes Menjdenher; durdjtoben. Wie
fern liegen ifr die Gedanfen, welche ihn ploblich heim-
fuchen! Wie blind bleibt fie, wo ihm von Minute gu
Minute die Wugen jehender werden!
Gar jhwer wird e8 ihm, auf ihr lujtiges Geplauder
eingugehen.
Seine Stimme flingt Heijer und fremd, af er ihr
antwortet, aber er ümid)fiebt Die paar Bliiten, welche er
gepilüdi, mit frampifaftem Druck und jteigt bergan.
Gie fteht im goldenen Gonnenglanz, von Wind und
17"
— 260 —
Halmen umfpielt und fieht ifm entgeacn. Und al fie
feine İd)öne, vitterlidhe Geftalt fieht, und das geneigte
Wutlig mit den fo wunderbar Ddiiftern und bennod) edeln,
Durchgeifteten Biigen, da fihlt jie wieder Das Heife Wel
im Herzen, welches fie fid) midjt benten fann. Verloren
fiir bie Welt, — verloren für das Glüdl
Warum empfinbet fie e3 fo tiet und İdymerəfid)? Bit
€8 denn ihr eigen Glüd, meld)e$ an diejem bunffen Şöriciter-
fleid gu Grunde gelt?
Er it ihr jremd, — er fteht ihr ewig fern, — warum
flagt fie?
US fie den , Sffefarb” gelefen, gitterten ihr auch bic
Thranen an ben Winpern. Das war bic bitterjiipe Weh-
mut folcher Poefie, welche die ticfften Tiefen des Mlenjchen-
Herzens rithrt. ŞİVUS aud) jet das gleiche Empfinden?
© nein, — Sojef von Covisdor|f üt nicht der Minch
pom Hohen rwiel! ener liebte, — und feiner Liebe
bittere Mot war fein Ungliic.
wojef liebt nicht. Cein Herz fcjligt fiihl und leiden:
fchaftslos in ber Brujt, eingiq blutend an der Wunde,
weldje man feiner Chre, feiner Gewijfenhajtigteit ge-
fehlagen!
Das ift feine Poefie, — wenigitens nicht in Miaddjen-
augen.
Warum beflagt fie thn? — Beftimmte er fic) fein
Gejchice nicht felbft?
Nein, ihr Şerşefeib gilt nicht ihm.
Wem fonit? — ihr felbjt? — ihr?
— 261 —
Charitas brüdt pliglich bie Hand vor bic Augen, als
fine jie fid) blind madlen gegen ifre eigenen Gedanten.
Und dann flammt e3 in ihr ani .wie eine töblidye
Angft, wie eine fpride, jungfrauliche Scheu, welche vor
Dem traumbaften Geheimnis ihres eigenen Herzens zittert,
und fterben witrde vor Scam und Entjegen, wenn gar
ein anberer İold) wahnwibiges Denfen und Sinnen aud)
nur ahnen wiirde.
Die feujden Frauen find gegen den Mann Meifterin
in ber Selbftbeherrjdung und tugendhaften Berftellung.
Sie lachelu, wenn fie weinen michten, fie fampfen wie
Heldinnen gegen fid) felbit und ihre Leidenjdhajt, fie berz
mügern ein Antlig gu zeigen, ruhig und friedvoll, wahrend
ihc Herz verblutet unter den Todesjtreichen, welche e$
gerfleijchen.
pots nicht bray bon mir gewejen, Gie gu rujen?
Vielleicht befommen Sie angejichts diejes $yremmbid)aft3-
Diente Doch noc) einmal die gute Meinung von mir,
welche fie vorhin verloren haben ?”
Sein lid fchweijte an ihr borüber itber das Bild
unendlicder, landjchattlicher Schinheit, welche fid) vor ifm
entrollte.
Sine jdine, grofe Litge!” nidte er Herb.
,Sine Vige?”
Gelen Sie, wie fonnig die Welt bor mir liegt! Sie
fpricht mit taujend bliihenden Kelchen, mit taujend goldenen
Sonnenjtrahlen — mit all dem iiberjdwenglichen Shimmer,
welcher fie fchmiictt: Sch bin eine lachende, gliicjelige Erde!
== 62" i=
Sd) bin die Heimat de3 Glüds1 Sd) liebe die Menjchen
und gebe ihuen, was ihr Herz begehrt! Co İpridit fie —
ijt e3 mar?”
yom allgemeinen ja; gerade die Ausnahme beweift
bie Regel, und Sie find — Gott fet e3 geflagt — eine
Ausnahme.”
,Und Sie?” — Wie er fie anjah — welch ein
angjtvolles Forjdjen in feinem Blick.
Charitas (ad)elte: ,,Bis jest fah mein Leben ja aud)
aus, al8 ob ich eine Qiete in der grofen Glicslotterie
gezogen hatte — aber die lebten Tage haben mir 1d)on
gezeigt, Daf nicht nur das Glüd, jondern auch das Un-
gliié wandelbar iff, Were id) nicht das undanfbarijte
Gefchip| in der Welt, wenn ich in diefem Wugenblic
flagen wollte? Was jehlt mir? Sd) bin fo froh — fo
frei — fo umgeben von aller Şerrfidifeit Gottes, fo treu
gefchiigt durch einen guten Breund, baf ich mit feiner
RKaiferin taujchen micdhte.”
Voll inniger Riihrung rubte fein Blic auf ihrem
lieben, füdyefnben Rindergeficht.
yiUnd wenn dieje furze, jdine Beit verqangen ijt —
wenn die Sonne wieder untergeht in Nacht und Leid?”
murinelte er.
Da jchlang fie die Hande incinanber und _ blicte
empor 3u dem blauen Himmel und antwortete [eije und
jehlicht: o werde id) auc) Dann nod nicht vergagen
und den Glauben an die wabhre göttlidye Sprache biefer
blüfenben Welt verlicren — fie hat mir jest nid)t ge-
— 263 —
{ogen und wird e3 auch fiinftiqhin nicht thin — meine
Butunjt fteht in Gottes Hand!”
Da ergriff eine bebende Rechte die ihre; — haftig,
iibermannt von einem (mpfinben, mefd)e$ fein ganges
Wejen und Sein gu perflüren jchien, neigte fid) Sofef
und britdte bie Heipen, guckendDen Lippen auf Ddieje fleine
Hand.
XII.
Ps ie Mondftrahlen fielen durch ba5 gebffnete Fenfter
fd und übergollen bie Dujtenden Blumen, welche auf
07 bom Züld) ftanben, mit trdimerildyem Lidht.
Sofef İdifief nicht.
Er örüdte Augen und Lippen auf die fiihlen, fammtz
weiden Bliitenblatter, alg finne er mit ihnen bie fiebe-
rife Glut föfdyen, welde Leib und CSeele gu vergehren
Drofte.
War denn fein Leben wahrlich nichts anderes, al
wie ein unaufhirlider Kampf, ein ingen mit finjteren
€ditdiafemüd)ten? Gab e5 fitr ifn nichts anderes, al8
Hine und hergejcleudert şir werden, al8 ein verzweifeltes
fteuerlojes Treiben auf hoher Flut?
Bum Ungliic geboren!
Die Nornen, welche feinen Lebensfaden fpannen, haben
ifn mit Thranen genebt!
Was ihm heute auf der Alp wie eine wonnig- ehe
Ahnung durch bie Seele fdyanerte, wird ifm in den ftillen
Stunden der Nacht, wo fein Herz offen vor ihm liegt,
— 265 —
wie ein Geheinnis, von welcdem Geijterhande die Siegel
gelöft, gur furchtbaren Gewifbheit. Cr liebt Gfarita8.
Die Traumgejtalt, meldyer er auf diejer nüd)ternen,
falthergigen Welt nie gu begegnen glaubte, ijt Fleijcdh
und Blut geworden, Hat jeinen Weg gefreugt und ihm
müt ben jo traurigen Liedern die Sehnjucht und die Liebe
in das Herz gejungen. Warum fam fie nicht früfer?
Warum winkt fie ihm mit meiğen Handen an das Ufer,
wo feines Glics, fener Hoffnung Graber ftehen? Bu
jpat! Brwijden ifuen brauft ein binfler Strom, ber reibt
gu Grunde, wer den ötüdioeg uber ifn ergwingen mill,
Er murmelt bic Worte mit blaffen Lippen und idyüt-
telt Doc) felber unglaubig das Haupt dazu. Nein, nod)
it e8 nicht gu İpüt şur Umfehr, wenn er wollte, fo finnte
er noch guritc.
Aber er bari nicht wollen. Cr bari nicht an İciner
Chrenhajtigtcit zum Verrater werden. Coll er fein eigenes
Yebensaflüd auf den Triimmern all jener Hoffnungen
aujbauen, weldje durd) İeines GStiejvaters Echuld ver=
nidjtet wurden?
Goll er über Das Clend anderer bafin jchreiten zur
Gfüdfefişfeit?
Die Cinfiinfte von Lichtenhagen hat er an Mutter
und Bruder abgetreten. Cr ift arm, weld) ein Los, welch
eine Heimat fann er ber Geliebten bieten?
Und witrde ihr Befig in Wahrheit ein Glick fein?
Er, mit ber ewigen, qualvollen Unruhe de3 Şerşens,
mit Dem unbefriedigten Sinn, mit Den nagenden Brweifeln
— 266 —
und der grüblerildyen Gewifjenspein, fann er tfatfadifid)
Rube an einem Werberherzen finden, wenn die Unrajt
ihn abermals zum Wanfelmiitigen gemacht? Welch eine
Bejdhimung, wenn er wieder den Beruj medifelt, wen
er das Prieftertleid nad) einer furzen Brobegeit von fid)
witft, alg habe e3 nur gegolten, fid) mit ihm fiir einen
Mummenjdang gu pubew?
Sofef pregt mit bitterem Ladheln die Lippen gujammen
und [aft das Haupt mübe auf die Bruft finfen. Nein,
e8 gibt feine Umfehr mehr! Gein verjehltes Leben ift
abgejch{ojjen.
Was joll er thin?
Der Gefahr, welche er erfannt, entfliehen ?
Şa, er mug e3, — damit das Ma feiner Leiden
voll werbde.
Er bari Charitas nicht mehr fehen, — er wird einen
Vorwand fudjen, balbmöqlid)ft: abgureijen.
on den fübfen, Dadmmerigen KRlofterhallen wird er
auc) bielen eingigen Gonnenjtrahl, welder jein Leben
erhellte, vergejjen.
Wie jtar— — wie Tüb bte Blumen duften! Welch
eine Sprache weht auf baljamijden Wogen ihm ent-
gegen!
O, er verfieht jte — und fein Herz İdirett wild auf
unter Der Qual bieles Berjiehens. —
Da erfennt er erft, müt wie tiefen, unföslidyen Wurzeln
Die Liebe eS fchon durchgzogen hat.
Nein — er bar? fie nid)t mehr jehen, Die leuchtenden
— 267 —
Augenfterne, welche den Weg gur Heimat gcigen, er bleibt
ein Frembling — iiberall, —
Und die Mondjtrahlen weichen traurig gürüd von
Dem blaffen, friedlojen Miannergejicht, und hujchen hin-
ein in ein anbderes Stiibchen, durch welches auch ein
feiner Blumenduft sieht, wie traumerijcer Şand) ber
Wel mut.
Cine bfane Gengianenbliite und ein paar Geifblatt-
giveige neigen fid) matt und welfend über Den Rand de3
Wafferglajes.
Die Heipe, erbarmungstoje Méinnerhand hat fie gu
gewaltjam fejt umjchlofjen, hat mit ben Gluten, welche
fie ausjtrimte, ifr junges Wark verjengt. Sie fterben
an ber Leidenfdhaft, welche ihn durchzitterte.
Manner follen feine Blumen pilüden, — fie morden
bie Zarten, Lieblicen.
Mun Hauchen fie fterbend ihre Geele aus, — felbjt
das Wafer, weldjes in diefer jchwitlen GCommernadht feine
prijdhe fennt, fann die Welfenden nicht neu erquicfen.
Gie vergehen wie Hoffnungen und Traume.
Und neben ifnen, ani weigen Kifjen, liegt ein Maddhen-
Haupt in tiefem Schlaf.
Traume weben ihre Schleier über fie hin, aber fie
wehen nicht wie rofige Wolfen voll Licht und Glam,
fie jenfen fic) jchwer, İdymer auf das Herz ber Schlaferin.
Wie ein Seufzer bebt e8 üDber bie Lippen und an ben
duntlen Wimpern qlanışt e3 feucht. — Ste traumt von
einem jungen $Priefter, Der Ruhe und Frieden im MRlofter
— 268 —
fucht, bort eine Schuld gu fiihnen hat und die Liebe nicht
fennen bari, gu jeinem und gu ifrem Heil! —
ee
Gr wollte fie nicht wiederjehn, — und als die Stunde
fam, wo er jonjft feidytfüğiq bergan geeilt war, die foft-
lichfte Beit feines Lebens gu geniefen, da fafte e3 ihn
mit itbermüd)tiger Gewalt und gwang ihn hinaus in bic
wallenden Nebel. — Gr wollte ftarf fein, aber er war
jehwach, er wollte anfimpfen gegen die Verjucung, aber
fie war ftürfer als er.
Und eine Stimme flüfterte in ihm, die flang fo itber-
gcugend und wabhr, bab fie nicht bes böfen Geijted fein
founte.
Warum willft du bir felber unndtigerweije die harm-
lofe greude fürşen, Diefe eingige Bliite, welche dein arme$
Leben getragen, vorzeitig entblattern? Şit es eine Ciinde,
wenn du mit Charitas plauderjt und dir an ihren treuen
Worten die Seele erquickft?
Du fiebit fie? — Dit dieje Liebe cine Schuld? Du
tirügİt fie geheim im Herzen. Charitas afınt fie nidit.
Und ob ich dich liebe — was gehts bid) an?
Du Tebit fie wie Die Sonne am Himmel, welche dich
mit golbenem Girahl belebt, — du fiebft fie wie das
fingende Viglein im Gezweig, weldem du mit Ent-
aifen Laujcheft, ohne rünberiid) die Hande nach ifm 3u
eben.
Sit foldje Liebe eine Schuld?
— 269 —
Nein, fie ijt eine ermİte, Heilige Gabbatşcit bes Hergens3,
welche e3 föntert und verflart.
Die leije, freundlicje Stimme hatte recht.
Sofef folgte Hr. Wo die Morgennebel wie weifer
Damp} aus dem Cee emporfticgen, wallten und wogten,
wie die Wafjermajjen einer Sindflut, weldje das bliihende
Land gu feinen öüben verjdjlungen, — ftand er und
bfidte ungeduldig den Byad hinab, welchen jie fommen
mupte. Mur feine lebte, furşe Windung war zu jehen,
fie fag einlam und jtill, und der fidite Brodem wehte in
feinen Silberjtreifen itber fie hin.
War er zu fr) gefommen?
Sm Wald ift’s ftill, die BVogelfchlchen jchweigen, bis
e8 gilt, Die erften Gonnenitrahlen, welche fid) durch den
Nebel fampften, jubelnd gu grüben — Dojef fchreitet
tubelo$ auf und nicder.
Und wenn fie Heute nicht fommt?
Der Gebanfe Bat etwas Quiilendes, er deucht ifm
geradezu unertrdaglic).
So febhr hat er fid) jchon an ihre UAnrvejenheit gewshnt,
fo unentbehrlic) ift ihm das lichelnde, liebe Madden-
antfiğ İd)on geworbden?
Er jchiittelt — als wolle er fid) vor jeinen eigenen
Gedanfcen entjduldigen, ben Kopf.
(3 üt bie Umgebung, meldie bet Ediritt und Tritt
an jie gemahut, wo jeder Baum, jeder şyelSİtein an ihre
ficbfid)e Erjcheinung erinnert.
Kehrt er in die altgewohnten Verhaltnifje, in die graue,
— 270 —
eintinige gerne guritce, fo wird dieje Sehnfucht und Un-
tube verjdwinden, ebenfo wie die WAlpenfirnen Hinter ihm
verfinfen und verjchwinden werden.
Endlich fört er ihren Schritt und er wendet fid), afs
miifje er ifr — wie von [ajtendDer Gorge erlijt — ent:
gegen|tiirmen.
Aber er beherrjcht fid), langjamen Srhrittes, gewohnten
Grup winfend, tritt er an den Wbhang.
Da taucht ihre fchlanfe Gejtalt aus dem Nebel auf,
umwogt von weigen Dujfticletern, welche brautlich hiillend
von ihrem $töpidyen niederweben.
Weifk in Weif.
Wie die İpuffafte Geftalt der fchonen Kinigin Bertha,
welcje mit flatternden Gchleiern durd) bas Land zieht,
weipe Titcher über ben Weg jpannt und den Wanderer
in Die Srre İpdt. Wie oft Hat er diejem holden Marden
als Rind gelaujcht, wenn er an der Warterin Seite an
Dem Şyeniter ftand und nicht begriff, bab ploblich alle
Wolfen Herniedergefallen waren, die Baume im Garten
gu verbitllen.
ySie find wirflich Hier oben?” Lacht fie fon von
weiten. ,,WWeld) ein ftrajlicher Leichtjinn! Wijjen Sie
nicht, baf e3 ein übel Ding fiir einen jungen Mann ift,
bei Nebel auf die Berge gu fteiqen?”
Er halt ihre Hand in ber feinen.
,əİt bie tüdildye Sönigin Bertha and) hier gu Lande
gu Haus?”
,sxronigin Bertha? Wh richtig, id) entjinne mich, auc
— 271 —
von bicfem fdyönen 9öebelipif gehirt gu haben. Aber nein,
id) glaube, bie hat gu viel in unferer nordifden Heimat
gu thun, um auch noc) 9fbftedyer nad) dem Genfer Gee
gu machen. Die WUlpenwelt Bat ihre eigenen Geifter, und
Da bie Hexen und Bwerge gu fold) ungewohnter Zeit ihre
Giipplein fochen, fo mupten fie wohl etwas ganz befon-
bere8 im Schilde fiihren.”
,Die fletnen Gejellen find böfe, dak Fraulein Reckwit
jeit einiger Beit feine Lieder mehr fingt, jondern ihre Zeit
an einen frembden Cqoijten verjdjwendet!”
Charitas ftreicht über bas Haar, an deffen Lickhen
die Tauperlchen blinfen, wie in einem Spinnenneb. Gie
gieht ben breitrandigen Hut etwas tiefer in die Stirn, bab
Stirn und Augen bejchattet find.
ys glaube nicht, bab die Heingelmanndhen jo febr
mufifliebend find, und wer über unterirdifche Gange zum
Horjelberg fahrt, ijt wohl beraufdhendere Weifen gewshnt,
al wie ein paar alte BVolfslieder, deren Luft und Leid
nur dem Menjdhenhergzen verjtindlich find!“ — Gic idiritt
gemüd)lid) neben ifm her, ben Waldpfad gu dem fdjinen
Ausjicdhtsfelfen entlang.
,(ep galt Shre Bejorgni3 ben Heren, aus deren Rez
vier wir geftern die Blumen ftahlen? Bn diefem Falle
find Gie aber Mitjdhuldige, und ijt Shr Mebelfpagtergang
ebenip fetdytfimig wie ber meine!”
pln uns Madden nehmen fold)e Spufgeifter fein Snter-
effe. RKennen Sie nidjt bie Gage von den Nebelfraulein,
weldje in ben Bergen wohnen und die Manner hajjen?”
a —
pein, — aber id) mürbe fie unendlid) gern fennen
fermenl” .
7 Die Fraulein 2”
Er lacht. ,,Mein; wer bas Gfüd hat, mit Fhnen be-
fannt gu fein, Fraulein Charitas, berşid)tet auf die Bez
geguung mit felbft den İdyöniten aller Huldinnen! Sd)
meinte Die Gage!”
"ie galant dod) fofd) ein Hodwiirdiger Herr fein
fann!” nedt fie und wendet fid) etwas zur Seite, um den
feuchten Rleiderfaum gu jfehiitteln. ,,Wljo Die Gage! Da
war einmal ein junger Alpjdager, der wollte bei Nebel gu
Berg fteigen. Ceine Mutter warnte ihn! ,Weifkt du nicht,
baf die weifen Fraulein Heute ihre Sdhleier im Winde
İrodnen ?7 — Aber er verlachte ben Gpuf und İdyerşte:
yas finnte mir juft gejallen, mir fold) ein Feinslieb
gu Thal gu Holen. Bhre Şünödyen find fein wie Wadhs
und die Perlenfronen auf ihrem Haupt viel taufend Thaler
wert.” Und al er Hinaujfam an bic Klamm, da fah er
gwifden den elfen cin Bergjraulcin fişen, fo hold und
bleich wie Edynee, — die webte einen Gdifcier, der lang
Hinabwallte gu Thal. Any ifrem Haupt leudjtete bic
Perlenfrone, und bet deren WAnblick erfağte die Habgier
Des Sdgers Herz. (r fchlich fid) behutjam hingu, —
fprang Hinter bem Felfen vor und griff das $irörlein
mit roher Hand. Das Zerflof wie Wajfertropjen in feiner
Hand, die Nebelfrau aber wandte das Antlix und fa)
ijn an — mit Augen fo dunfel und unergriindlich tief,
— jo wel) und todestraurig, baf dem fecken Mauber ein
MN. v. Efhftruth, IW. Mom. ir Nov , Frithlingsftitrme. 1, 18
— üza
Gifesfd)aner durch Yüarf und Bein ging. — Bor jeinen
Blicfen zerrann die Spufgeltalt, — die Sonne brad) burd)
Die Wolfen und der Rebeljchleier şerrif in fleine Fepen. —
Der ager ftieg bfağ und ftifl gu Thal und hatte von
Stund an das Lachen verlernt. Der Blick der Nebelfrau
hatte e3 ifm angethan, er vergehrte fid) in Gram und
Liebe gu ihr. — Wl abermal3 die Nebel um die Berg-
firnen webten, nabm er feinen Gtuben und ftieg empor.
Er wollte fein bleides Feinslieh gewinnen. Und richtig,
jie fag wieder an dem Felfen und webte die filbernen,
wogenden Nebelfchleier. Voll gliihender Leidenjchaft wollte
er fie fajjen und alten, fie aber hatte ifn erblidt und
floh voll Entjesen vor ihm her. Sinnlos vor Sehnjucht
nad) ihren dunflen Geifteraugen ftiirmt er ifr nad), fie
Hebt die fdymeeigen Arme und ftiirgt fid) voll Vergweiflung
in den Abgrund. Der Dager İdirett auf und finkt ihr
nad) in Tod und Verderben. Die Sonne flammte auf
und traf die İdimebenbe Geftalt de3 VBergfrauleins, und
Der Wind, ihr Todfeind, braujte aus der Kluft hervor,
ihre Şöffe aber war jern, fie fonnte fid) nicht retten vor
ifnen, und fo şerilob ihr Sörper in taujend fleine Tropfen,
jie fanfen al8 Nebeltau auf da3 Land. Die anderen
Nebelfrauen weinten um die gemordete Schwefter, und fie
Hagten bie Manner, welche alles Unbheil verjdhulden. Webe
Dem, welder bet wallenden Rebeln gu Berg jteigt, die Hulz
Dinnen erjdjcinen ifm und ladheln und winfen und İoden
ifn Hinab in den Wbgrund, an defjen Mand die Blume
des Todes bliht.”
— 275 —
Charitas hatte feife gefprodjen, jest fchwieg fie und
wies geheimnisvol ladhelnd nach den gritnen Felsbil-
Dungen, welche fid) itber dDunflem Tannenwald, jenjeits
Des tiefen Thales, vor dejfen wallenden MNebelmajfen fie
ftanden, erhoben.
Die Sonne fampjte gegen bie Dunjtmaffen und gwang
fie Hernieder, bie Berghaupter taudjten wie Snfeln aus
hochwogender Flut empor, und um die Steinginfen, auf
welche das junge Madden deutete, fraujelte e$ wie şartes
Gemölf in wunderjamen Geftaltungen, juft als ob eine
Schar bleicher Geifter mit lang wehenden Gewandern an
ifnen voriiber flöge.
,Gefyen Sie die Bergiraulein? Wenn man von dem
Wolf İpridit, lauert er hinter der Hecfe! Nun Şüten Sie
fid), in bie Dunfeln Wugen gu fdjauen, fonft find Ste
rettung3lo3 dem Zauber verjallen!”
Gr lachelte feltjam. ,,Rehmen bele qraujamen Hul-
Dinnen nicht auch gureilen Menjdengejtalt an, um ein
famen Wanderern ani den WUlpmatten gu erjdheinen? Mich
Deucht, eS gibt auch im feller Gonnenjcein bimtfe Wugen,
weldje ben Minnern Muhe und Frieden rauben!”
Wie er fie anjah! Cr wollte wohl feinen Worten und
Blicen nicht den Ausdruct geben, welchen fie ummillfiirlich
annahmen, e3 gejdah unbewupt.
Ginen Moment ftarrte thn das junge Madchen fajjungs-
198 an, Dann hob fie das Şöpidyen ein wenig hiher und
İtofaer auf ben Macken und jubr ebenjo harmlns wie uz
vor fort.
18*
— 276 —
pein, das gejdieht nicht, e3 witrde wenigiten3 dem
Epuf alle Poefie nehmen, und die gebört dagu!”
ie das Krinlein aus blinfenden Thrainentropfen!
Glauben Sie wohl, bab e8 jene Feljen bort driiben waren,
an weldjen die Huldin ihre Gdifeter mebte? Mich bendit,
fie Tibt aud) jest wieder und lagt e8 meib gu Thale
webhen 1”
/ Bohl möqfid), baf der arme Şügerömanıı in die
jhwarzen Tannen hinabftiirgte, um nie wieder fröblid)
bergauf gu İteigen 17
poet arme Sagersmann 2”
/Sewif, ber armel Oder beflagen Sie ifn etwa nicht?”
pein!”
p Bie hartherzig!”
əEdifimmer als da8! Cagen Gie: wie neidije)!”
preidifch 2”
ya, td) beneide ihn, denn fein Edyid”al war ein fehr
qlüdfidyes und gnadiges.”
Sharitas fchiittelte ftaunend das Kdpjdhen und fah
ihn fragend an, er aber blidte an ihr voritber nad) ben
Dunfeln Tannen und fuhr mit herbem Klang in ber Stimme
fort: ,Sİt e3 nicht befler, fold) feligen LiebeStod zu fterben,
al8 Şafre und aber lange Jahre ein ungejtilltes Sehnen
mit fid) Herum tragen şi mülfen? Gold) ein Şerşelcib
ijt bitterer und taujendDmal beflagenswerter al8 ber fdnelle
Sturz in die Tiefe. Webhe einem jeden, den ein Bergfrau-
fein mit buntfem, traurigen Augen um den Verjtand bradhte,
und fid) doch nicht erbarmte, foldje Qualen gu enden.”
— 277 —
Das junge Madden füffte, wie Heife, jchwindelnde
Glut in ihre Gdifüfe ftieg. Mipverfteht fie ifm, oder ijt
er plöblid) ein anderer geworden wie 3uvor?
Gie wendet fid) um, greijt nach einem jdjlanfen Lardjenz
üftdyen, welches gragzids tiber ben Weg Haugt und jdhiittelt
e8, bab Diamantener Tau auf fie niederfallt.
psy jblage vor, wir fajjen bie böfen Nebelfranen
jest allejamt am Gonnenjchein jdmelzen und gehen fo
jehnell wie möqfid) nad) der Printaniére zuriic, um uns
trocten anguziehen! Gefen Sie doch, wie feucht und jchwer
mein Kleid an mir Herniederhangt, felbjt die Haare jind
gum WAuswinden — —”
,Undine!” Gein Blicf glitt langjam itber fie hin.
yoaben Sie jo böfe Crjahrungen Hier droben auf der
Welt gemacht, bağ Sie fo eilig wieder in Den wogenden
Nebeljee Hinab taucjen wollen?”
Gie lachte etwas gewaltjam. ,,da, ich bin recht unz
gujzieden müt meinem Freund! Gr fagt mir Schmeidheleien
und ift weltfcdmerslicjer alS je geftimmt, gwet Rapital-
perbred)en, weldje mich die Flucht ergreifen lajjen!”
Gr blidt fie mit gujammengezogenen Brauen an.
/Und Gie find fo Heiter! — jo heiter und glicjelig —
Dap a
,)am? vollenden Sie! Sd) glaube gar, Sie find
aud) jebt wieder mifgiinftiqg und verargen mir meine
jrohe Stimmung ?”
Wie ein feibenid)aftfidyes Wujflammen geht e3 burd)
icine Mugen.
— TG =
ysa, id) verarge e$ Shnen! Nicht aus Neid, wohl
aber aus Egoismus! Wiffen Cie nicht, bab Bhre ftrahlen-
den Augen, Shr Lachen, Shr Frohfinn, aus weldjent der
volle Glauben an Glick und Zufunft flingt, Sie mir ent:
İrembet? Qn Qhrer Trauer waren Cie mir nah. Da
30g Das gemeinjame Leid und Gehnen feine Zauberfreije
um un, ba gebörten wir einander şın wie get Oper,
welde die dunfle Woge des Sdhicfjal@ gemeinjam 3u
Grunde reift! Sd) war nid)t mehr einjam — Sie waren
nicht mehr verlajjen wie guvor, wir verftanden einander!
Nun wenden Ste plöblid) das Haupt und İdyanen nad)
ber Lujtigen, glicverheipenden Welt zuriié. Die Bufunjt
winkt Sinem und Sie laden ihr entgegen. Sd) aber —
id) bin einjamer alS je zuvor.”
Er jchwieg. (r hatte fie nid)t angejehen, fein Blic
İdyeifte ab und irrte über bic gichenden Nebel, und jeine
Etimme flang wie ein Echo de vergweijelten KRampjes,
welder feine Ceele burditotte.
Sie antwortete uidjt, fie verfdjlang die Hande wie in
ratlojer Pein und neiqte bas Kopfcjen ticf, ttef gur Bruft.
Wie bitteres Wel) guctte e3 um feine Lippen. Cie
{chweigt! Gie hat feine Antwort, feimen Lroft für die
traurige Wahrheit.
(r wenbdet fic) und will fid) gewaltjam 3u einem Heitern
Ton zwingen. Was verlangt er denn von ifr? — Sit
er bon Sinnen in feiner Herzensqual? Was hat ihr junges,
bliihende3 Dafein müt feinem verjehlten Leben, mit feincr
Kloftergutunft gu jdhaffen? Michts! Michts! Sein Herg ijt
— 279 —
ungeredt im Schmerz, wie dunfle Edhatten 568 Wahn-
wibes gieht eS bud) fel Hirn, denft er an die Pdglich-
feit, Daf fie ein anbere8 Glick tm Leben findet.
Wie ein WAujftdhnen ringt e3 fid) aus jeiner Brut, er
ftveicht mit ber Hand über Stirn und igen, er fieht fie an.
Und als fein did ihr holdes, pliglich fo bleiches
Antliz trifft, ftockt ihm der Hergfchlag, flteqt lohende Glut
burd) feine Adern und Lape ihn jchwindeln.
Thrainen tauen iiber ihre Wangen, heife, unaufhalt-
jame Shranen! Und ein Ausdrucl des Schmerzes bebt
um ihre Lippen, — o, taujendmal beredter wie alle Worte,
weldje fie je 3u jagen vermidhte.
/Sharitas!” ftammelt er und fabt jahlings ihre bebende
Hand und fie hebt die dunflen Wimpern und fieht ihn an.
/2 Wie ungerecht verurteifen Site mich!” jchluchgt fie
leije; ,,Gott im Himmel wei, was mich diejes Lachen
fojtet!
»Sbharitas!” ringt e3 fid) wie ein Schret von feinen
Lippen, er Hirt faum, was fie fliiftert, er fieht nur in ihre
Augen und lieft in ihrer Tiefe das webe, füğe Geheimnis
ihrer CSeele. Wie ein Raujd, ein Taumel namentojer
Wonne erfafit e3 ihn. Gr finft an ify nieder, er prept
fein Unitlig auf ihre Hand; er wiederholt nur das eine
Wort, wie einen Laut unbejchreibliden Cntgiicfens: ,,Chari-
ta3! Charitas 1”
Shre bebende Hand ftreicht üDer fein Haupt, ihr Blick
irrt wie in vergweijelndem Edinfbbemiğifein gum Himmel
und bie: meihen Mebeljchleier wehen geheimnisvoll um
— 280 —
jie Her wie cin Srautidifeter, mefdien der Sturm zerjett
DEE «as
,Gfaritas, baft du müd) Lieb 2”
Da hHebt fie fein Antlig und neigt das Haupt 3u ifm
uieder. BlicE rut in Blick.
ra, id) habe bid) lieb, Şofefl Gott fei e3 geflagt!”
Wie in Heigem, (cidenfchajtlichem Flehen brennen ihr
jeine Lippen entgegen.
Da gucét fie gujammen und ringt fid) fret.
pdMiel” ftdpt jie furg und feft Hervor. .,,Diefer Wujenz
bli war genug de3 Glüdö und genug der Gdinib 17
/Sharitas, ad) nur ein Wort!”
Sie weijt voll bitteren 38655 auf jein priefterliches
Kleid, ihre {chlanfe Geitalt ringt noch einmal wie in dem
leidenjchajtlichen Verlangen, fid) in feine Urine 3u ftiirzen,
Dann jchlagt fie, wie erjdjaudernd vor fid) felbft, Die Hinde
vor das Antlig und flieht wie eine lichte Mebelgeftalt in
Das Wogen und Wallen Hinein.
Der Abgrund gahut şür: Seite.
Wie leijes, wunderjame3 Locken von Geifterftimmen
flingt e$ empor.
Sojef Hebt das Haupt und laujcht. Seine Augen bez
fommen einen faft iberirdijdjen Glang.
,)ürft du mich, junger Sager?” —
Er tritt naher an den Abhang — immer nüher, wie
von unfidjtbaren Gewalten gegogen. C8 Dbrödelt und
firtd)t unter jeinem Fup und poltert, von Kante zu Kante
jpringend, in bie Ziefe
— 282 —
/Kufft du gu feligem Liebestod?! — O felig, unfeliges
Sterben! —”
Die weipen Bahrtiicher, welche durch die Luft flattern,
{Glingen fid) um ihn und ziehen und giehen ifn... —
Da flammt ein goldener Bik durch die Lujt; wie
ehemalS die Dunkelheit, şerreibt er jest die gejpcnitigen
Dunjtichleier. Leuchtend in goldener Klarheit taucht das
lachende Land vor jeinen Sliden auf, wie durch giitige
Seenhande hingezaubert.
Die Epme funfelt am Himmel, ber See ftrahlt ihr
fieqhaftes Bild wieder, und recht3 und links gerjtiebt ber
weife Brodem, wie graujige Gedanten Binter einer Menjchen-
jtirn şerrimem, wenn ein Strahl von Hoffnung und Liebe
fie İdyendit,
Wie geblendet ftarrt Fofef in die Helle.
Kann ein eingiger Wugenblice die Crde fo allmadtig
verwandeln ?
Herrgott, bid) loben wir! —
Die Arme wie in jehnender Vergiikung gum Himmel
erhoben, weicht Jojef von bem Whgrund guriicf, finft nieder
auf bic Knie und meint Thranen feliger Crldjung.
Cine wunderjame, tiefe Rube ijt itber ben ehedem fo
qualvoll Erregten gefommen. Cr fist über jeinen Biichern
und ftudiert. Su dem Berge jteigt er nidjt mehr empor.
Wenn die Morgenjoune durch die Scheiben bHlict, oder
wenn fid) die blaulic)-violetten Schatten ber Dammerung
— 283 —
über bie Hinge breiten, tritt er wohl ani ben Balfon und
blidt empor mit ftillem Örub.
Sein WAntlig fieht wohl etwas bfetd) und itbernachtigt
aus, aber eine beinahe freudige Buverjicht und Ergebenheit
verflairt e8. Dos Glüd ift an ifm voriibergejdritten, jo
na)e, bab e8 feine bebende Hand fajjen fonnte; e8 hat mit
gartlidem Gru üDber fein Haupt geftricjen und thm
freundlich gugenidt: Sd) gab dir alle3, was id) bir geben
fonnte, — fei dDanfbar bafür17 — — Und er war e8.
CGharitas jah er nicht.
Manchmal flangen die fchrillen, ganfenden Stimmen
dDe8 alten Chepaars durd) das offene Fenjter und empörten
in. Gein Herz blutete in dem Gedanfen an die geliebte
Dulderin. Cinmal am Abend war e3 ihm, als fabhe er eine
weipe Hrauengeftalt an ber Mauer, welche die Villa von ber
Etrafhe treunt, fefnen, Gr jtand wie gebaunt und umjafte
fie jo lang und innig müt den Blicken, bis fie entjewand.
ones febte jtill und einjam an? ihrem verborgenen
Balfon dahin; ber Argt war fehr gufricden müt ihrem Bee
finden und fprach icine Uberzeugung aus, bab Şofci3
Abreije inibefd)abet erjolgen föme,
Und die Ubreije war notwendig geworden, bas Studium
Durfte auger den Ferien nicht imterbrod)en werden, wie
e8 jebt bereits im Diejem Dringenden Falle getd)efen war.
Gr rüftete zum jchetden.
Und al er vor dem gepactten Koffer ftanb, überfam
ifm cine namenfoje, unbeswinglide Sehnjudt, Charitas
Lebewohl gu jagen.
— 284 —
Moch einmal — gum legtenmal — empor in bic
Waldeseinjameeit!
Ginmal noch die teuren Stellen griifen, ach, vielleidht
gum Llestenmal die Geliebte broben fefen!
Gefjenften Haupte3 jteigt er gwifchen den nidenen
Bliiten und Halmen empor.
Wie fil — wie grabesjtill. Raum bağ ein Voglein
nod) cinmal im Gegweige anfəmitidyert,
Wie ift ihm jonft ber Weg fo furş gewejen, wie fiel
ifm das Steigen ehedem jo leicht, — Heute deucht ifm
ber Pfad ohne Cnde, und er jfteht oft rajtend jtill und
atmet tief und müffam auf, wie einer, welder jchwere
Laften tragt.
Endlich fteft er Droben an dem trauten Plagchen, wo
er zuerft bie Cinfamfeit gejucht, wo guerjt bie fiipe Stimme
ber Geliebten den unerflirlichen Bauber auf ihn ausiibte.
Sofeh fest fid) nieder und ftüğt Das Haupt in bie Hand,
yd fomm, Charitas! Noch einmal bin id) bir nahe!
Nod) bift bu mir erreichbar, noch trennen uns nicht Berg
und Thal und ewige Fernen! Fihlft und empfindejt du
e8 nicht, bağ bid) mein Herz voll herben Trennungs-
jehmerges rut? — Du muft 65 abnem, du mut e3 wiijen,
bu büt eines Geiftres und Ginne$ mit mir!”
Horch — ift es ein Traum? Cin Holder, bethirender
Wahn?
Ganz wie damais flingt e3 şır ihm heriiber, flagend
in unausjpredlicjem Letd, und doch rubig ergeben, wie
in tietfter Dewiut.
, (65 ift beftimmt in Gottes Rat,
Dak man vom Liebjten, was man hat,
Mus fcheiden!
Obwoh! doc) nichts im Lauf der Welt
Dem Herzen, ach, fo Taner fallt,
15: fcheiden!”
Sofef preBt Die Hande gegen die Brujt, feine Augen
jehliepen fich, jeder Laut, jeder Ton findet einen Wider-
Hall in jeinem Herzen.
Und al die liebe Stimme jchweigt, jpringt er empor
und ftiirmt wie ein Trunfener burd) ben Cann. Cr weif,
wo er fie gu juchen Hat.
Bald fteht er an ihrem Ausfichtszleckdjen.
Still — qrabesitifl und leer.
Nur auf dem Felfen licgt ein Straufy frijch qey fliiciter
Blumen. C8 taut noch nid)t, und dennod) zittern grope,
feuchtendDe Tropjen an ben Kelchen.
,Glaritas 117
gern aus den Bergen rujt ein Cho traunbhajte
Wntwort.
eb wohl! Leb wohl! —”
Xeb wohl! Ball” wie Geijterjtimme guriic.
Da prebt Şofef die Bliiten an die Lippen. Er ftelt
lange regung3los und faut noch einmal Hinaus in bic
Herrlicje Welt. — So ninunt ein Todgeweihter Wbhjchied
pon Dem Leben. — Und dan wendet er fid) und jdreitet
miide bergab.
(s wird Nacht.
RNA TRE
XIIL
ofef mar nad) R— burg guriicgefehrt.
(r hatte geglaubt, burd) ben Weehfel der Um-
AVY gebung, durch angejtrengte Arbeit und den Ver-
fehr mit ben Studiengenofjen die Güne zu betduben, und
ber Sehnfucht gu gebieten, welche ihn voll unwiderfteh-
lider Gewalt in den Zauberfreis der Geltebten guriicyog.
Aber diefer Glauben erwies fid) afs trüqerild). Gerade
bie Huhe und monotone Gleichfirmigfeit des Seminars
gaben ihm Zeit und Verantaffung genug, feinen Gedanfen
nachgubhaingen, und Das Feuer, meftd)e$ in feinem Herzen
entfad)t war, flammte Şöfer und gemaltiger empor wie
je guvor, feine ganze Ceele mit ben Gluten ungejtillten
Verlangens verzehrend. Anfanglich fdlidjen fid) noch
bittere Vorwiirfe und Gelbitanffagen in jein Herz.
Hatte er recht gethan durd) ben 9fustrud) der Leiden-
İdafi, welcher jein innerjtc3 Herz mit all dem hojfnungs-
[ojen Lieben und Sefnen enthiillte, den Frieden eines
Maddhenherzens zu morden?
Sn welche Wirren, in welche Seelcntaimpfe hatte er
Charitas gejtiirzt! Welch einen Abgrund hatte er vor ihr
— 287 —
aufgeriffen, inbem er Ddie hiillenden Edifeter von ihren
Augen nahm und fie in die Tiefen jeiner rubelvjen Seele
bfiden lief!
Die Ruhe, welche ihm feflte, hatte er nun auch ihr
genommen, ben Todeskeim unglüdfefiger Liebe, an welder
er 3u Grunde ging, pflangte er aud) in ihr Hers!
Diefe Uberzeugung madite ifn efenber wie alle Qualen
bitteren Cntjagen3, Ddeffen $tefd) er bis zur Şefe leeren
mufte.
ou einer Stunde folcher Gewifjenspein fegte er fid)
nieber und jchrieb an Charitas. Gr mupte e3, er fonnte
dem Schwarm dunfler Gedanfen nicht mehr widerjtehen.
Er bat fie um Vergebung fiir fen Verjchulden, fiir
Die Qetbenid)aft , welche ihn im ber Wbfchiedsjtunde gum
Schwadhling gemacht. (r gejtand ihr, bab feine ver-
Lorene Gelbjtbeherrjchung, welche ihn gum Modrder ihres
Hergensfriedens qemad)t, ihn gleich einem fdyeren Febhl
bebrüde. Gein Wort — das Geftindnis jeiner Liebe binbe
ibn für emige Zeiten an fie. Gr fet Chrenmann genug,
um fid) gu fagen, dag er nad) Dem, was vorgefallen,
nun um ihre Hand werben miifje, um das Clend einer
Hoffuungslofen Liebe von ihr abguwenden. Sein Beruj
verbicte e3 ifm, 3u Heiraten, und nun Diebe 68 entweder
Hier oder dort eine gewaltjame Cntfheidung herbeifiihren.
Er miiffe fid) losreifen von der Kirche oder von ifr.
Ginfam, ohne Croft und Bujprud, ohne ein eingig ifn
ermutigende3 Wort, ftefe er in diejem Kampf. Sm diejes
gu fagen, flehe er fie hiermit an. Cr mülfe ihrer Liebe
— 288 —
und Treue gewif fein, wenn cr die Briice, welche eingig
gur Vergeffenheit und zum Frieden fiihre, hinter fid) ab,
bredlen jolle.
(68 war wohl ein feftfam irrer und wirrer Brief, jo
recht das Spicgelbild ber unflaren, franfhaften Gebanfen,
welche ihn dDurchtobten, immer nod) jener grofen, erlö-
jenden Offenbarung harrend, welche fie nad) einem Leben
voll Kampf und Unbejriedigung endlich auf die rechte Bahn
leiten jollte.
Und jujt, als habe Charitas biele feine fdjriftlide
Riicfehr gu ihr geahnt, ging fie voll banger Gorge dem
Pojtboten entgegen, Sag fiir Tag von der Ungewifheit
geing{tigt: ,,Sdjreibt er wohl, und gelangt der Brief aud)
richtig im meine Hinde?”
Sie erhielt ihn und fliidhtete mit Dem teuren Kleinod
Hinauf in bic traute Waldeinjamfeit, wo jedes Bliatter-
jaujeln, jeder Sonnenftrahl fie an ben Geliebten gemahnte.
Unb als fie feinen Brief gelejfen, weinte fie bitterlich.
Er wollte fid) von ber Kirde, von dem Beruf, an
welchen fid) fein ganzes Ceelenheil müpfte, lo8jagen —
um ifretwillen!
Und warum, weil er fie fo über alles, jo namenlos
licbt? Mein, weil er fein Liebesgeftindnis ihr gegeniiber
als Verpjflidjtung empfindet!
Ohne jene İdymerəlid)-fübe Scheideftunde, weldje icine
Empfindungen ftürfer fein Tef , al bie falte graujame
Vernunjt, hatte er nie baran gedadjt, das Priefterqemand
abzulegen.
N,v. Efgh ftruth, Il. Rom. u. Nov., Friiblingsftiirme L 19
— 2900 —
Gr will febt nur das Wort einlijen, meld)es er glaubte
ihr gegenitber verpfindet gu haben!
| Gic foll nicht ungliicélich werden.
Wieder ift e$ fein iibertrieben feines Chrgefiihl, weldes
Diefen $tonffift heraujbefhwirt. Adel verpflichtet! Gdhreibt
er nicht: ,Sd) bin Chrenmann genig, um gu wiffen, was
nun meine Pylicht it? “
Ungliiclider Maun, wie jdwer madit er fid) felber
Das Leben!
Cin fd)merəlidyes Lacdhelu bebt um ihre Lippen. Nein,
bei Gott, fie will ihn nicht abermalS aus einer Bahn
Herausreifen, mefld)e wohl die eingig richtige für ihn iff
— der Weg, welder einşiq und allein zur Vergeffenheit
und gum Frieden fiihrt! — Gchreibt er’ nicht jfelbft?
Dies Geftindui3 wiegt taufendmal fdjwerer al8 jedes
andere.
So lange das Schuldbewuptfein ihn menfchenfcheu in
die Cinjamfeit treibt, wird die Liebe eines Weibes ihm
die Seelenqual nicht lindern finnen. Gein Glüdf ift nicht
Die Liebe, fondern bas Berwufijein treu erfiillter Pylicht,
und er erad)tet e3 al8 beilige Pflicht, fiir die Schuld des
Stiefvater3 gu biifen.
Mit dem feinen Taftgefiihl ber wabhren, echten felbft-
Tofen Liebe empfindet Charitas das, was Şofef trof aller
Ştümpie und Leiden noch nicht erfannt — fid) jelbjt.
Und fie Hebt voll tapferer Selbftverleugnung das
bleiche, von Thranen iibertaute WAntlig und blidi gu dem
Himmel auf.
— 291 —
nod) habe ifn lieh — lieber, al3 er e3 abnte, Lieber
alZ mein eigen Glitcf, barım vergichte ich! Gr foll und
mug jeinem Beruf treu bleiben, denn diejer allen fann
ihm geben, was er İud)t17 Und in ftifler, einjamer Nacht
ftunde antwortete fie ifm. Voll rubiger, freundjdhajtlicer
Milde und Şerşlidifeit. Cr fei ifr durch nichts verpflidtet,
fein Blicé voll Liebe, ihr leis geftammmelter Name jeien
fein Schwur. Auch die Freundjchajt finne eine leiden-
İd)aitlidie Sprache fiihren, und fie habe nie — felbjt in
ber Abjdhiedsjtunde nicht — an feiner Freundfdhaft gee
aweijelt. Unglitclic) werde fie niemal3 durch Ddiefelbe
werden, das finne fie ifm verfichern. Dhre flitchtige
Vegeguung im Leben fei eine jener Gmmortellen, welche
Graber İdymüden. Das Ölüd habe wohl in ihrer beider
Brujt verjargt gelegen, ehe fie einander in die Augen
gefhaut. — Nun tragt e8 eine liebe, unvergingliche Zierde,
die Blume der Crinnerung. Dieje mache jie reicher, als
fie je guvor gewejen. Gein Weib finne fie nicht werden.
Die Verpflidhtung, welche ifn, jeiner WAnficht nach, an fie
fette, jei eine nur eingebildete, nichtige, die Liebe eines
Weibes aber, welche einen Priejter gum WApojtaten madit,
fie ijt eine Schuld, welche alle Glut der Liebe nicht von
ihrer Geele brennen fann. Wollen Gie mich in die Ge-
wiffenspein ftiirzen, welcher Sie jelber entrinnen wollen?
Das wire ible Freundjchajt. Bhre Liebe nahm mir den
Hrieden nicht, ein Chebiindnis mit Fhnen mürbe ihn mir
fitr alle Ewigfeit morden. Lafjen Sie uns alfo beide die
Wege gehen, weldje Gottes Wille uns vorgejdhrieben, und
19*
— 292 —
wir werden gum Biel gelangen. Unjere Gedanfen werden
fid) immer finden, auc) ohne jedes Gubere Şeid)en be
Gebenfens. Gdireilen Gie mir, bitte, nid)t mehr. Wir
reifen in gwei Tagen von hier ab, und famen Shre Zeilen
in unredjte Hinde, möditen fie namenlojes Leid über mid)
heraujbefchwobren. Wenn die Rebel durch bas Land weben,
jollen fie mir ftetö ein Gruk von Bhnen fein, und die
Erinnerung wird mich beglitcen. Leben Gie wohl und
bleiben Gie Bhrem Beruje treu; nur die gewiffenhafte,
opfermutige Bflichterfiillung wird Fhnen Vefriedigung und
Shrem Leben Ziel und Brwed geben.
So hatte fie gejdjrieben, und al8 ber fleine, dunfle
Spalt be Brieffaftens die Beilen verjdlungen hatte, da
bend)te e8 Charitas, alS habe nur ein eingiges Wort
in Dem Brief geftanden, ber Todesjchret eines brechenden
Hergen3! ,Leb wohl für immerdar!“ — — — — —
An der Weinbergmauer, wo Sofef feine Ediritte Şin:
gelenft, ftanb er jtill, öffnete ben Brief und las.
Seine Hand bebte nicht, feine Schmerzenslinie hirdite
fein WUntlig ; wie eine ftille, felige Verflarung lag e3 darauf.
Er hatte diefe Antwort crwartet. Die grofe, edle
reine Geele ber Geliebten fonnte ihm nicht anders ant:
worten. Wie lieb hatte er fie darum! Welch ein Gefiihl
bemütiq weihevoller Berounderung erjiillte ifn! Wahrlich,
einer Unrwiirdigen fdlug fein Şerş nicht entgegen! Gein
Auge bligte auj, fein Haupt hob fid) ftolger auf dem
Nacen. Sie liebt ihn! O, bağ er folder Liebe wert jein
— 293 —
fönntel Gein Blick fchweifte wie in febnenber Ungeduld
Dina über das Herrliche Land, als miifte er ungeftiim
porwartgitiirmen, mit ber Kraft feiner Wrme einen Weg
gu bredhen, auf weldjem fie Hand in Hand, gfüdieliş vereint
und jonder Reu und Schuld gujammen wandern finnten.
Und dann wandte er das Haupt, fein Blick traf den
ernjten diiftern Bau, das Klojter ber Crinitarier, weldhes
jeine Mtauern wie voll ftummer Mahnung vor ihm auf-
baute: ,,.3n uns jandejt du bie Heimat, und uns gebörlt
du sul”
Sofef3 Brauen falteten fid) ,,Nockh nicht!” baumten
fid) bie Gebanfen wild in ifm auf. ,,Weif denn Charitas,
ba id) noch umfehren fann, wenn id) will? Werde id)
thatjachlic) zum AUApoftat dadurdh)? Nein! Noch Habe ich
die Weihen nidjt empfangen, noch bindet mich fein Schur
an die Rirde. Bhre reine Rinderjeele jah nur, was vor
Augen war, das Kleid de3 Priefters; fie mühbnt, ein jeder,
ber e8 trügt, İci İd)on durch jene jcmale Klofterpforte
gefchritten, burd) welche eS feine tüdfefr gibt.”
Hord ... Das (lödfein ruft zur Mefje.
Langjam erhebt fid) Şofei und İdireitet gum Klojter gürüd,
Der Brief brennt wie Feuer auf feiner Bruft, wie ein
trobiges Auflehnen gegen fremde Gewalten guct e3 in
feinem 3luge.
An der Kirchpforte fteht Duncacgy.
Sein Blick trifft wie in ernftem Forfden das Heif
gerötete Untlig 565 jungen Freundes. Şoflef weidt dem
Blick aus.
— 294 —
Der Lriefter retdit ihm die Hand, in feftem, mahnendem
Druck umfchlieht er die bebende Rechte Torisdorffs mit
feinen füffen Fingern. Cine Blutwelle fchieBt in Şofefs
Antlig und fübt e3 noch erregter erjdeinen. Seine Hand
adi auf, alg empfinde er einen Gdmerz. Hajtig {chreitet
er an dem böterlid)en Freunde voriiber in das Dammer-
licht ber Kirche. Wie in wehmutvollem Berftehen ver-
Diiftert fid) Duncaczys flares Auge, — über ihm, von dem
Epheu, welcher fid) an dem grauen Gemaduer empor-
İpinnt, föft fid) ein Blatt und fallt nieder, ber Wind fabt
€8 und treibt e8 fort, über die Rlojtermauer hinweg, in
bic Welt hinein.
Heift das Blatt Şofef? — —
Mit tief geneigtem Haupt figt Torisdorff und Laufdyt
Der Mefje.
Aber er Hirt und verfteht nichts; wie Frithlingsitiirme
braujt und furrt e3 vor jeinen Ohren, — medhanijdh regt
er bie Lippen, Hebt bie Hand, den Kopf gu İtüğen ....
Aber feine Gedanfen find weit ab.
Cr İdiridt gujammen, als feine Studiengenoffen fid)
erheben und geben.
on dem dammrig fihlen Lchrjaal miğte er Vortrag
Hiren. Gr fag, das Haupt in bie Hand geftiigt, und
ftarrte ing Leere. Er Dörte — aber nichts wie eine
Stimme. Gr jah — aber nichts wie den Wechfel von
Schatten und Licht.
Der Brief der Geliebten fchien Gluten auszuftrahlen,
welde ifn gu vergehren dDrohten. Gr: follte ihn an feine
— 295 —
Pflicht gemahnen, ifn feinem Beruf erhalten, und dennod
bewirfte er gerade das Gegenteil bet dem Cmpfanger.
Nie war ihm ein Weib fo edel, fo tugendreich und bez
gehrenswert erjdienen, wie die Gdireiberin biefer Zeilen.
Gic fagte ihm für ewige Beiten Lebewohl, und doch
{chien Şoflef jedes Wort ein Schrei ber Sehnjucht: Komm!
yar: gewiffenhafte, opfermutige Pjlicdterjiillung fann
Sörem Leben Bre und Reiz geben —”, İdirieb fie
nicht fo?
Was it Pylichterfiillung? — Wrbeit!
wedwede Arbeit? — Mein, nur bie, welde Gutes
İdafft, welce etwas Grofe3, wabhrhaft Befriedigendes
eryirft.
Was mirft er Der? (r lernt, betet, İtubiert, Hirt
Meffen ... ift das der grohe, Heilige Lebensgwec, welcher
den Cinjak aller Kraft und aller Tiichtigfeit erfordert?
Wem müt er dadurd)? Cr fann wohl Gutes ftiften,
viel Gutes, — da8 Amt eines Weltgeiftlichen ift eines ber
feqenSreichften, mweldhe e8 gibt — und dod)! — und dod)!
— Moh nie Hat e3 Bofef mit folch vernichtender Gewif-
Heit empfunden wie jebt, bab thn felbjt das erfolgreic)fte
Wirfen auf dem Gebiet de3 Seelenhirtentums nicht voll
befriedigt. Gin imbeşminqlidyer Durft nad) dem frijd)
quellenden Lebensbronnen erfülfi ifn. Das Blut bes
fampfesjreudigen, thatendurftigen Gefchledts der Toris-
borif5 wallt auj. Arbeit! Wrbeit im Sehweife des Wnz
gefichts, ein Wharbeiten aller Gchuld mit dem Spaten in
ber Hand!
— 296 —
Celtfam, jenes Bild, die Verfirperung feines Glices,
weldheS er in dem Licht 168 Blibes geldyant, verlagt ifn
nicht mehr. Cr Hirt den fnirfchenden Ton des Spatens,
al$ das Cifen in die Erde ftieh. Wie ein Wlarmfignal
Deucht e$ ihm, wie ein Werfruf aus trager Unthatigfeit.
wid, id) wache auf! — Mir ijt’s, als blende ein Strahl
568 Morgenlidjts die Augen! Bd fomme!! — —
Wohin? — Ach wohin!” —
Wie ein Traumender jcjreitet Sofef einher. Jn feinem
Sunern ift’8 wie vor Connenaufgang. Die Schatten
fümpfen mit dem Licht; noch fieht und erfennt man müdi,
man abut nur eine qroge, leuchtende, naturgewaltige Kraft,
welcje fiegen wird.
An demfelben Tage traf ein Brief von Klaus ein.
Er İdirieb oft und lang, feine Zeilen atmeten das Ent-
gucden, die hohe Befriediqung, welche ihm jein Schaffen
gewahrte. Cr hoffte, dag ein Bild von ihm fid) in der
nüd)ften Kunftausftellung einen Blak erobern werde. Wm
E€difub des Schreibens fragte er an, ob Şolef bereits
birefte Nachrichten iiber Die neue Goldquelle von Lichten-
Hagen erhalten Habe. Durd) Zujall feien Braunfohlen
blofgelegt, beim Graben eines neuen Brunnens ani dem
Vorwerf Krembs jet man in einer mübigen Tiefe auf eine
RKohlenjdhicht gejtofen. Er, Klaus, habe e5 fiir geboten
gehalten, burd) einen Sachverftdndigen eine oberflachlicje
Nachforjhung anjtellen gu laffen, welche ein ungemein
günftiqe$ Rejultat ergeben habe. 3mar fet er von Gofef
mit ber Vollmadht betraut, wahrend feines Wufenthaltes
— 298 —
in KR—burg die qeld)üftfidyen Angelegenheiten von Siditen-
Hagen şi ordnen, — in bielem Halle aber wage er e3
Dod) nicht, in die Rechte de3 Befigers eingugreifen. Wie
ungeheuer fcjwerwiegend die Entdeckung fei, finne Sofef
jelber am beften ermeffen, ba er fid) in letter Beit bez
İpnberö gern mit Sngenieur-Arbeiten in Bergwerten bez
fchajtigt habe. Der Grund und Boden von Lichtenhagen
fönne Millionen bergen; um diefelben aber gu heben, İci
felbjtverjtandlic) vorer{t ein grofes Betriebsfapital nitig.
Schon die genaue und griindlidje Srioridymg des Lagers
bedinge recht bedeutende pefunidre Opfer. Cr İci ber Wnz
fid), bağ man in biclem Falle, wo jo viel auf dem Spiel
jtehe, wohl berechtigt fet, Kapital aujgunehmen. Auf jeden
gall bitte er, Dag Şolei ber Angelegenheit perfinlic) nüber
treten müqe.
Şeibe Glut brannte auf den Wangen bes Lefers.
Hodhatmend, wie unter der Cinwirfung einer gewaltigen
feelifden Crrequng, fchritt er in dem Zimmer auf und
nieber, und die Gedanfen ftiirmten burd) fein Hirn.
RKohlengruben! uf jeinem eigenen Grund und Boden
ein Bergwerf! Gold) eine Miglichfeit allein mirfte wie
beraufdend ani ibn!
Der Bergbau hatte ihn feit je auf das lebhaftefte
interejfiert, er hatte nur jeiner Paffion Vorjdub geleijtet,
wenn er wahrend feiner Studiengeit in Bonn jede Gelegen-
Heit wahrgenommen hatte, bic Bergwerksdiftrifte gu bereijen.
© wie reigte e$ ihn dDamals İTd)on jo imiberfte) fid)
an, auf diejem Gebiete thatig gu fein! Und num birgt
— 299 —
Die Erde von Lichtenhagen bas Material, weldjes folch
ein Schaffen und Arbeiten bedingt!
Şofef3 Augen Tenditeten, e3 güdt in feinen Armen, al3
miiffe er fie fireden und dDehnen, ihre Musfelfrajt gu proben!
Und dann ftdihnt er auf und lapt fie jHlaff Hernieder-
finfen! Cr weif, was e3 heift, ein Bergwerf gu er-
{ehlieBen; er weif, wie viel e8 foftet, jeinen Reicjtum gu
erforjcjen.
Woher aber fold) ein Kapital nehmen?
Leider Gottes mupten jo wie fo fdon Hypothefen
auf ba8 Gut aufgenommen werden, weil fein Barver-
migen da war, um 3öalferidyüben, Baufalligfeiten alter
Stallungen und die grünölidye Renovierung de GutB-
haujes vornehmen gü finnen. Das Gut war fehr herunter-
gevirtid)aftet und Durch einen gewifjenlojen Bacdter aus-
gejogen worden, nun arbeitete man baran, all bie Locher
wieder guzujtopjen, welche eingeriffen waren, und das
hatte Hypothefen abjolut unerlaplic) gemacht.
Und nun nene Schulden auf den Veli Haufen, um
einer Mtdglidhfeit willen, welche fich vielleicht als ein
Phantom eryweift?
Undenfbar! C3 ware fimdhafter Leichtfinn! (65 ware
ein Hazardfpiel, bet weldem der Cinjak zum Spielball
168 Bujalls wird!
So lange feine Mutter lebt, bari Şofeft fich nicht auf
Derartig gewagte Unternefmungen einlafjen. Er muf Gott
Danfen, wenn die Halfte 5:8 Gutes fiir die Beit ihres
Lebens ausreidht, denn bei dem Heutigen Stand ber Land-
— 300 —
wirtjdhaft fönnen ein paar Şahre die traurigften erz
ünberungen fir einen Sanobefiş mit fid) bringen.
Nein, nein! Nicht noch mehr Edyiniben maden! Cs
ijt nicht abgufehen, ob fie jemals abgetragen werden
fonnen — und Geld leihen, ohne die Tefte Ausficht, e5
guriidzahlen gu finnen, ijt im Sofefs WAugen gletchbe-
Deutend mit Diebftabl.
Und Sntereffenten werben? Kapitaliften fiir das Unter-
nehmen gerwinnen ?
Torisdor{f beift mit finfterm Blick die Bahne gue
fammen. — Unmodglich! Mit dem Gohn de3 Bantrotteurs
Sterley wird fid) feiner affociieren, und eine ablehnende
Antwort, womdiglich gar in verlegender Form — er erz
triige fie nicht.. Sie wiirde ihn treffen wie ein Peitjchen-
hieb, welcher jeine Ehre brandmarft!
Aljo WAbjchied nehmen von dem fd)önen , lockenden
Traum — wieder İdyeiben und entjagen! Heute wie
immer,
Doch ob er auch entjagte und die Mtdglichfeit einer
RKapitalsaufnahme entidyieben von fich wies, — vergefjen
fonnte er nicht.
Tag und Nacht verfolgte ihn die Vorftellung von den
Lichtenhagener Kohlenlagern. Der Gedanfe an Charitas
jelbjt wird durch biefen guriictgedrangt.
Seine ganze Geele war erfillt pon dem İodenben
Bild einer Thatigfeit, welche jeden Nerv, jede Mustel
an ihm İtrafftel
Lag er nachtS mit offenen Augen auf feinem Lager,
— 301 —
fo fah er im Geift, wie fid) das Bergwerk daheim ge-
ftaltete. (r felber allen Arbeitern boran mit rajftlojem
öletb, mit feibenidyaftlidyem Cifer!
Da gab es fein Grmüben, fein Crfchlaffen! Den
jpigen Bergmannshammer in der Hand, ftand er felber
und rig Die tiefen Marben in bie Scholle, welche fein
Gejchlecht geboren. Dann örte er bas $üniridyen des
Erdreich3, İdyari und fein, fo wie eS bamal8 durd) bic
Gewitternacht gu ifm emporflang, als er jein ,Glic” in
ben Flammen de3 Blike3 gejdaut.
Arbeit! Ya, das wire eine Arbeit! Das ware die
heilige, grope Pflicht, welche jeine Whnen ifm aufbewahrt,
Die Ediüğe gu heben, itber welche jeit Dahrhunderten
Der Pflug dahingeglitten, wahrend und Şütenb, bis einit
bie ernjte Stunde fommen werde, wo ein İpüter Cnfel-
john jenes Gchabes bedarj, um feine Chre frei gu
faujen!
Arbeit und opjermutiges Erbarmen! We eine Binde
fallt’3 von Şofef3 Wugen, wie eine grobe, miümberlame
Erleuchtung fommt e8 über ihn; er meib e3 plötlid), zu
was ifn der WAdel feiner Gejinnung verpflichtet, was bie
Schuld fiihnt, was die Wunden, welche der Stiefvater
gefehlagen Hat, heilen fann. Gr fieht fid) jtehen in raft-
lojem Schaffen, er fieht fid) im Sdhweipe feines Angefidhts
an einer LebenSaujgabe arbeiten, jo edel, fo grog, jo
yar, dap fie eines Wenfehen Dajein reichlich fillt. Cr
traumt von dem Sieg, von dem Zicl, wo er durch eigene
Kraft die fchlummernden Millionen gehoben, nicht für fid),
— 302 —
nid)t fiir fein Gefdlecht, fondern für jene, welche durch
Sterleys Schuld an den Bettelftab gebracht find.
Heilig, Heilig die Stunde, wo er bie Schuld an jene
Menfchen abgahlen fann, wo fein Sdhweif den Gdyanb:
ffef abwajfdjt, welcjen ber Banfrott de Banthaujes und
das Şuritdbefaflten von Lichtenhagen auf den Schild der
Chre gezeichnet. Wie eine Offenbarung ift e$ über ihn
gefommen und eine Begeijterung erfiillt ihn, welche ihn
voll unwwiderftehlicder Gewalt feiner BVeftimmung ent-
gegentreibt.
Dennod) trauert der Adler mit gebundenen Schwingen;
Das Geld, welches eingiq die Pforten bes Glüdes erz
{ehlieBen fann, ift unerreihbar. Whermal3 vergehen Tage.
Cine unbefdireiblidye Gleichgitltigfeit gegen alles, was
ihm jrither al8 Gnbegriff de3 Leben gediinft, erqriff ihn;
wie ein öyroİt hatte e8 die şarte Bliite phantajtijder Jugend-
jhwarmeret getroffen.
Wenn am Morgen der rib bes Wochners im Schlaj-
fal ertinte: ,,Laudetur Jesus Christus, surgant omnes
reverendi domini fratres!“ (Gelobt fet Sejus Chriftus,
yoad)t auf, ehrwiirdige Briider!) — fo burdifdyanerte ihn
ein Empfinden, als gehe ifn diefe Anrede, dieje Gemein-
fchaft nidifö mehr an, al fei er eir anderer, ein rember
geworden, deffen $törper wohl nod) al3 wejenlojes Ctwas
in Diefen Mauern weilt, deffen Geift aber füngit einen
anderen Flug genommen — fernhin, wo ihm eine Heimat
winft! —
Duncacgy fagte feine Hand und jdjaute mit ernjtem
— 303 —
Sid in fein übermüditiqe3, verftdrtes Antlig. ,,Bijt du
franf, Şoflef?”
Torisdorff lachelte şerftrent und jdjiittelte den Kopf:
Sie wiffen e3 ja, was mid) quilt, lieber Freund! Sd)
gab Shnen mein Herz von Grund aus 3u jdjauen, als
id) ehemal3 fam.”
/Und die böflen Geifter des Brweifels, der Rubhelofig-
feit find nod) nicht gebannt?”
Sofef bib die Bahne gufammen. ,,Ste werden €
wohl nie!”
pxleinmiitiger! WArbeiten Sie! Beten Sie! Die Beit
bifft Shnen./
Arbeiten! O, baf er 68 finnte! Denes tote, falte
Studium, jene Biicherweisheit, weldje bas Hirn nur bez
faftet und den brennenden Durft dennoch ungeftillt fübt,
ijt feine Arbeit für ifn; früfer ahnte er e8, jest weif er
e8. (Gr İdirieb an Klaus. Cr befchwor ihn, au? Meittel
und Wege gu finnen, das Unmiglide miglic) gu machen.
Und wieder verftriden Tage.
Da flopfte ber Depejdhenbote an die Rlofterpforte.
Cin Telegramm fitr den Freiherrn von Torisdorjf.
&8 it waihrend des ,,Silentium”.
Sofef jak im Schatten der alten Rird)hofmauer und
ftudierte.
Er fah mit glanglofem Sid auj, als einer der Prii-
feften an ihn herantrat und ifm die Depefche mit fra-
gendem Blic entgegenhielt. Der junge Mann guctte şi
jammen, eine Blutwelle fchoB ihm in die Schlajen. Geine
— 304 —
Singer vermodjten faum das Papicr gu Hffnen. Gr blictte
Darauf nieder, und alles Blut mid) aus jeinem Antlig.
Cin Aufftipnen, ein Leifer Wuffdrei de8 Cntjebens —
,)ğutter 1 Mutter!”
Der theologijde Projeffor nahm bas Blatt aus Şolefs
bebender Hand. (r las:
spre Frau Mutter durch einen Lungenjdjlag joeben
von ihren Leiden erlift. Crwarte Sie und Herrn Bruder
hierjelbjt, alle weiteren Beftimmungen gu treffen. Charles
Verdan, Doktor.”
Er legte die Hand auj die Echulter be Schluchzenden.
y)lrmer, junger Freund, — armer Freund!” mür-
mielte er.
Und dann İdiritt er anf leijen Cohlen davon, dem
NReftor die erfchiitterndDe Nachricht mitzuteilen, welche WAuf-
İdlib über das aujjallig verdnderte Wejen des jungen
Klerifers gab. Er wufte wohl jcjon feit İciner Riicéfehr,
wie e3 um bic Mutter jtand, und die Qual jeinc3 Herzen3
hatte ifr gegolten.
Soflef aber fanf an ber jteinernen Bank nieder, barg
das Antlig in ben Handen und weinte bifterlid).
Wie ein Reulenjcdhlag, jah, unerwartet hatte ihn bic
entjeblide Nachricht getroffen, er brad) momentan unter
ify gujammen.
Der Wind aber rafdelte in den Blattern der Bibel
und wandte fie leije um, Geite für Seite. Wl Şolef
fid) aniridytete und fein verjtirter Sid, voll Schmerz
und Bitterfeit, medyanild) ber bie Buchftaben irrte, hajtete
Juv. Sid) ftrirtb, SİL Nom. m Now., FrithlingSftitrme I 20
— 306 —
er plöbfid) an einer Stelle: ,Hiob! — Aus fedjs Zrüb-
jalen mill id) bid) erretten, und in der fiebenten foll bid)
fein İlbel rithren!” — Wie eine tröftenbe Prophegeiung
leuchtete e8 ifm entgegen.
Bürüd nad) Montreuy!
War in der legten Zeit das Bild der Mutter, weldes
in jeinem Herzen bisher ftet3 den erİten Blak eingenommen,
burd) das holbde, liebverflarte Wntlig einer Charitas ein
wenig verdunfelt worden, — jest leuchtete e3 mit all der
Glorie, mit welder trauernde Liebe ihr gröftes Kleinod
jjmiict, und nichts drangte fid) Daneben; felbjt bas 9fn:
Denfen der Geliebten wich in biefen Stunden einer ftillen
Totenjeier.
Sofef empfand e$ beinahe als Troft, bab Charitas
nicht mehr in ber Printaniere weilte.
(s hatte ihm ein Verbrechen gedeucht, wenn fich and)
nur der Hauch cinc3 Gefiif18, welches nicht tieffte Traner
und Wehimut gewefen, in fein Herz gejdlichen hatte.
Der Tod hatte eine noch viel engere Gdiranfe um
ihn und die Mutter gegogen, wie das Leben, fe$t gehirte
er ifr allein, mit all feinem Denfen und Cmpfinden.
Welch jdhwere, namenlos fdhwere Stunden.
Wie itberpoll die Welt an Leid und Schmerz, jo lange
ifm das bleiche Antlig nocd) aus den Bliiten des Garges
entgegenladjelte, und wie Bde, wie Icer, İcit bieler Garg
in Die füfle Crde gefjenft war.
Weld) einen Troft fand Şefef in diejen Stunden in
Dev Treue feines Stiefbruders! Nie waren fid) die beiden
— 307 —
jungen Minner fo nabhe getyeten, alS in dicfer Beit ber
Vereinfamung, in den jtiflen, grauen Tagen, welde fie
nad) ber Beijebung noch gujammen in der Printaniére
verlebten.
S galt, den Fleinen Haushalt der Mutter, meldie
fid) mit viel eigenem Hab und Gut die fremden Woh-
nungen Heimijd) gemadjt, aufgulijen.
Gie founten fic) nicht alljogleic) başı: entjcdhliefen,
und bicle bange Zeit bes Verwindens und Harrens ge-
wahrte Klaus einen tiefen Cinblid in das Herz be8 Bruz
ber, was die Plane und Şoffmingen betveff$ de3 Lidhten-
Şaqener Kohlenlager3 betray. Uber feine Liebe şu Charitas
verlautete fein Wort. Cs hitte Şofef wie eine Cntweihung
jetner Heiligiten Gefiihle gebünfi, bie Perjon der Geltebten,
weldje fiir ihn ein Bild ber Gnade war, der Leijeften
Mipdeutung auszujepen. Ceine Liebe mar filtr ihn bic
garte Wunderblume aus Wala al Walhas Garten: traf
fie ein jrember (uf als Kuofpe, fo fant jie in bic Tieje,
unvicderbringlich) dahin mit all Dem Bauber und Glüd,
welded fie verheipen.
20*
NZ NS SİNƏ
WN ANT SA NS
YAING
XIV.
R
gy oc) Hatten fid) die Britder nidt entitificbon
fonnen, den Nachlap ber Mutter şir ordnen, da
aber bie Zeit verjtrich und Klaus jeine Studien
nicht linger unterbrechen fonnte, jo mupte auch Diejer
traurige Sdhritt gethan und die fleine Hauslichfcit aufgelift
werden. Die eigenen Mobel — fie bejtanden nur in Bett,
Liegjejjel, Kranfenwagen und einer Badecinrictung —
welche Jnes ftet mit fid) auf Reifen gefiihrt hatte, jollten
ebenjo wie ihre Koffer und fonjtigen Cyfeften nad) Lichten-
Hagen gejcdjafft werden.
Lina erhielt Kleider und Wajche, und Söflef öffnete
focben bie fleine Echmuctjchatulle, um noch ein wert-
volleres, pafjendes WAndeifen fiir bie treue Diencrin Heraus-
gujucjen.
WS er ben atlasgepolfterten Deckel guriicfjehlug, fiel
fein ölüf auf einen gejchlojjenen Briej, welcher gu oberjt
auf Den verjehiedenen Ctuis fag.
yaln meinen Sohn Gofej, — Nach meinem Tode gu
offen.“
— 309 —
Aufs Dödifte iiberrajdt und betroffen nahm ofej
Das İebte Vermachtnis der Mutter empor. Gein um:
florter Blicf weilte voll tiejen Schmerges auf den geliebten
Schriftgiigen, und jeine Hande bebten, faum vermod)te er
das Siegel gu lojen.
Dann fanf er jchwer in den Cefjel vor dem Sdhreib-
tijc) nieber und (a3:
Mein eingig geliebter Sohn!
Wenn meine Lippen für ewig verftummt find und
Dir feine Worte gartlider Liebe mehr jagen founen,
jollen dicje Beilen jtatt meiner gu Dir reden und Dir
den febten Grug und den Segen Deiner Mutter bringen.
Lange habe ich mit mir getümpit, ob id) Dir jchon bei
Lebzeiten eine Mtitteifung machen jolle, welche ich ge-
wijjermapen als Geheimnis vor Dir bewafrte; Dein
itberrajdhender Gütidifub, Klerifer 3u werden, Heeb mid)
{chweigen, ben fiir einen Monch oder Geijtlicjen hatte
meine Mittetlung feinen Wert. Gelangt diefelbe nad)
meinem Lode in Deine Hande, fo üt nur einer Pylicht
genilgi, ich verhehle Dir aber nicht, mein Şofef, dag
mein heigeftes Gebet taglich gu Gott jleht, dak Du
nad) Ablauf ber drei Probejahre mir und der Welt
guriicége}dhenft werden mügeft. Gott vergeihe mir Die
Giinde — aber id) bin tiberzeugt, bağ der Beruf eines
Priefters Dich fiir die Dauer nicht befriedigen fann.
Das Mutterauge ficht jar}, und das meine blicte in
be8 Sohnes Herz. So ijt e3 mir plöflid) wie eine
feltjame Borahnung, alS ob diejer Brief noch zur
— 310 —
rechten Beit in Deinen efiş gelangen wiirde. Saf
mich beicjten, Sofef. 9115 ich meine gweite Che mit
Sterley einging, that id) e3 um Deinetwillen. Wéhrend
meiner erfter Che hatte id) nur an mein Glick, nicht
aber an das meines Kinde3, nur an die Gegenwart
ud nicht an die Zufunft gebadit. Bel) Hatte webder
gejpart noch gejorgt für Dich. Das wollte ich in der
gweiten Che gut machen. Se) dadhte nicht mehr an
mid), mein Şoflef, mein Leben war abgeldifoffen, ich
verfagte mir alles İÜberffülfiqe, um fiir Dich gu jparen.
Und e3 gelang mir. O, wie jchwer wiegen in beni
Haufe eines Milliondirs all die Brojamen, weldhe jonjt
forglo3 in den Wind gejtrenut werden! Sd) fammelte
jie şır einem goldenen Berg. Mit den Sahren wuchjen
jie 3u einem betrad)tlidjen Vermigen heran, dejjen Vor-
Handenjein mid) mit Rube und Zujriedenheit erfiillte,
wahute id) dod, bab der Vefig Lichtenhagen ohne
Frivatvermigen nicht gehalten werden finne. Jn diejem
Brieje eingefdloffen liegt das Verzeichnis der Wert-
papiere, welche al mein perförlidye5 Cigentum in Bern
auf Der MationalbanE ficgen. Die Depofitenjdjcine be-
finden fid) in Dem verjiegelten Packet gu unterjt in
Diejem Rajten, ebenfo alles Andere, was zur Hebung
568 Kapitals erforderlich it.
Solltejt Du, was ich inftandig hoffe, ben Beruf
als Rlerifer aujgeben und Lidhtenhagen übernefinur,
İp wird Dir dieje Crbjdhajt Hochwillfommen fein, bleibjt
Du Hhingegen im Klojter oder wirft Du Weltgeiftlider,
— 31 —
fo bab eine fegitime Nadjfommenfdhaft auggefdloffen
ift, beftimme id), bar mein Hinterlajjenes Vermigen an
meinen Etieffohu Klaus fülli, mefdyem Du dann wohl
auch das Gut itberlaffen wirft. Sd) betone noch cin:
mal, bağ bejagtes Vermoigen mein perfinlides Cigen-
tum ift, e6 find bie Crjparnifje von meinem Nadel-
und Wirt}ichajtsgelde, jowie bie Gejdhenfe, elde James
mir madte. Sd) habe es für Dich) gejammelt, und mein
Segen ruht darauf. Walte Gott, dag es Segen bringe!
Sofef lief das Briefblatt jinfen, e3 wogte und wallte
vor feinen igen, alle Buchjtaben tanştem wire burd):
eintander.
Faffungslos, aufs hichfte erregt, jdjlug er die Hande
vor das Anilig. ,,WMiutter, Mutter, das thatejt du für
mid) ?”
Und dant fam e3 itber ifn wie ein Raujdh, wie ein
Taumel ungeheucrfter Aujregung. Cin Wunder hat fid)
Degeben!
Er ijt der Befiver eines bedeutenden Vermbgens ge-
worden, er hat plipfic) Kapital in Handen, ev vermag
e8 aus eigener Rrajt, die Kohlenlager von Lichtenhagen
gu erjdjliepen!
Dieje Crfeuntniz blendet ihn, fabt ihn bis gum tiefften
Hergensqrund ergittern, und afs fid) jujt die Thitre öffüet
und Klaus über die Schwelle tritt, mirft fid) Solef mit
gliihenden Wangen an feine Brujt und fehluchst lant
aul: ,,Wie’, mein Bruder! Lies Klaus, was dieje Stunde
ung ermiglicht! “
— 312 —
Thrinen glingten an feinen Wimpern, ein wunder-
fame$ Gemijd) von tieffter Wehmut und Miihrung, İmic
von Himmelhochjauchzender Dantbarfeit trieb fie in jeine
Augen. Wie ein Feuerftrom rann e8 durch jeine Glteder.
(Er breitcte die Arme aus wie einer, welcher burd) Wetter
und Friihlingsfturm mübfam fid) durchfimpjend, endlich
DeS Lenzes lad)enbe Gefilde vor fid) fielht, mie einer,
welcher die Welt anjdaut, als Habe fie ifm ihre ver-
fehlofienen Pyjorten neu aujgethan, wie einer, welcjer mit
blinden Wugen irrend und ringend nad) dem rechten Wege
fuchte und endlich ifn vor fid) fieht, eben und jonnig wie
eine Verheifung unendlich grofen Gfiüdes1
Auch Klaus empfand eine unbejdhreiblicje Şerşen3-
freude bet diejem jahen Wandel der Gejchide, und rm
in Urm, mit leuchtenden Wugen İdiritten die beiden jungen
Manner in dem fleinen Zimmer auf und nieder, die
erften, notwendigiten Cchritte Tür die nad)jte Bufunjt
beratend.
och fenne jebt feine Bweijel und feine Tinentidifoffen-
heit mehr!” atmete Sofef auf. ,,Die Frithlingsftiirme
meine3 jungen Lebens haben mid) lange und graufam
genug gejchiittelt, nun ift ifre Diacht şır Ende, and) fie
weidjen einem Wonnemond der Erldjung! Jd) fehre nicht
wieder nad) &—burg guriicf, id) jHheide von einem furzen
Wahn, welder für mich ein tritgerijdher war! Und dann
eile id) nad) Lidhtenhagen, in rajtlojem öyleiğ die Hande
gu riihren! Gegnet der WUllindd)tige unjer Werf, erweijen
fid) die Rohlenlager thatjachlich als Goldgruben, jo jollen
— 314 —
bald bie Thranen derer trodner, an welche wir eine fo
grofbe Schuld abgugahlen haben!”
ySpfel17 Mit bebenden Arinen umjdhlang Klaus jeinen
Nacen. ,,Das millft du mahrlid) thun? Du willft dein
Geld und Gut opjern, um den Mafel von Vaters Ramen
gu wajden, weldjen Betrug und Sdhlechtigfeit anberer ifm
aufgebiirdet? 0 Şolef — wie foll id) bir folch einen
Gbelmut, fold) eine Seelengripe danfen?! Sieh, id) will
bir nun geftehen, warum id) ür deinen Augen fo ehrver-
gejjet mar, bie Cinfiinfte von Lichtenhagen fiir meine
Studien angunehmen, — ich wollte ein beriihmter Mann
werden, ein Matart, ein Mengel, deren Pinjel jdjlieflich
gum BZauberftab wird, welder die Sdhakfammern eines
Eejam Hffnet! Bei Gott, Şoflef, id) bad)te dabei nidit an
mich jelbft, an Ruhm und Wohlleben; id) Dachte an meinen
armen Vater, dejjen Chre bie Welt fteinigt, ber gebrand-
marft im Grabe liegt! Wie trojtlos und peinigend war
ber Gedanfe fiir mid), bab vielleicht erjt ein halbes
Menjfchenalter verjtreidjen miipte, ehe id) den bird) die
Girma gefdadigten Menjchen ihr verlorenes Geld şürüdə
geben finnte! WUWber ich verzagte trogdem nicht, und mün
fonmit Du, mein Şofef, und bringit mir Hilfe, wo ich fie
am wenigften vermutete! Gott lohne e5 dir! Und fann
id) jemal3 im Leben bir gu Dienften fein, fordere alles
vou mir, alles, id) gebe e3 und bleibe dennod) dein
Schuldner!”
Nie war die Freundjdjajt und gegenfeitige Buneigung
ber Gtiefbrüber eine Herglicjere gewejen als in Diejen
— 315 —
Tagen, wo ein gemeinjames Bdeal beider Seelen erfiillte,
wo fie Hand in Hand auf einem Wege ein und demjelben
edlen und hohen Ziele entgegenftrebten.
Şofef richtete ein Sdjreiben an ben Bijchof und aeigte
ifm feinen Cutjehlug an, aus der Reifhe ber Klevifer aus-
treten gu wollen, und nachdem er den inhaltjdweren
Brief abgejandt, İtieg er gum erjtenmale wieder empor in
Die ftille Waldeinjaméeit, an all den trauten Plagen fefiger
Erinnerung eine ernite Hergzensfeter gu halter. Wie wunder-
bar verwandelt ftand er jeht an DdDerjelben Stelle, wo er
vor wenigen Xöodlen noch al mitüter, rubelojer, gequilter
Mann, bar aller Hoffnung, ohne jeden Glauben an fid)
jel6jt und jeine Zufunft gujammenbracd. Damals ftand
er nöd) mitten in Dem tofenden Mampje mit ben Frithlings-
ftiirmen, welche feinen Leben8baum jfehiittelten; Heute hat
er bie finjteren Viichte beşminigem, er hat fid) felber und
jein innerjtes Wejen, ben efyebem jo unverjtandlidjen Durjt
jeiner Geele nad) Frieden und fegenbringendem Wirfen
verftehen gelerut.
Es ijt jtil um ihn her und in ihm geworden, dic
wohlthuende, gejegnete Stille, welche ber Leng atntet, wernt
fic) ber Bliitenfelcy aus dem Dunfel ber Kuojpe gerungen,
wenn die Zeit angebrochen, wo die feimende Saat der
Ernte entgegenreijt.
Wie fchwer ijt e3 ihm geworden, ben Weg gu finden,
welden Kaus feit Anbeginn vor Augen gefehen. Bringt
Denn nicht ein jeder Lebensfriihling feine Stiirme mit fid)?
Mein! Go vicle ltenidyen wie da wandeln, fo viel
— 316 —
verjchiedene Wege, fo viel verjchieden Wetter! Hier Sonnen-
fein vom frithen Morgen bis gum İpüten Xbend, — dort
Sturm und Ungemach, Hagel und Frojt, Hibe und Kalte!
— Und dennod ein Wintcrjchnee fiir alle, — ein Biel
und Ende.
Sofef blick& Lachelnd auf die weite, Herrliche, afüdiefiqe
Gotteswelt hinab. Der heutige Tag Hat ihn neu geboren.
Sehnjucht und ftilles, gliubiges Gnişüden jchwellt
jein Herz.
/Sharitas!” fliifterte er — ,,Charitas!” — und bird)
das Laub geht ein leijes Göniefi der Antwort, ein duftiger
Haud), al8 fei fie ihm nahe in all ihrer leuchtenden
Sdhine und Sungfraulichfeit. Mun liegt fein Wbgrund
mehr gwifden ifnen. Şofef wird mit ftarfen Handen eine
Briicke dariiber jchlagen und den Weg gu der Geliebten
finden!
Coll er ihr fdyreiben ? UL den feligen Wandel fcines
SGejchicés?
Nein. Charitas bat ihn, e3 nicht zu thun. Gmpidnut
fie Den Brief nicht, gelangt er in falidye Hande, faun er
ihr ganzes Glick gefahrden.
Gr will der Beit harren, bis er ihr feine Hoffrungs-
plane, fondern Thatjacjen berichten fann. Noch find die
Kohlenlager von Lichtenhagen ein Buch mit fteben Ciegeln,
— und ehe ihr Geheimnis nicht erforid)t ijt, bari? er nicht
handeln wie ein Mann, weldcher für jeiner Hande rbeit
des Hergzens fitben Loh erheifeht.
9604) ijt fein Mejt auf feinen ficheren Grund gebaut,
— 317 —
nod) liegt cin unbeftelltes Feld vor ihm, weldjes alle
Krajt, alle Gedanfen, alle Beit eines Mannes beanjprudt,
um urbar gemacht 3u werden.
Raujcht aber fein Yebensitroni gwijdjen breiten, ficheren
Ujern ruhig und glatt dahin, üt bas Werf im Gange
und winft ber fidyere Crjolg, — hat er ein ficheres Funda-
ment für frembes Glick gebaut — dann darf er aud) an
Das eigene denfen, und dann foll Charitas diejes Glüdes
lidjter Gugel fein!
Wird fie diejes Tages harren?
Şa, fle thut e3; fie liebt in, fie ijt treu.
Wie er an fid) felbjt und jeine wantelloje Liebe glaubt,
jo glaubt er auch an die, welche fiir ihn zum Snbegriff
menjdjlicher Vollfommenheit geworden.
Hier, in Der trauten Waldeinjamfeit üt er mit allen
Gedanfen, mit all der ticjen, innigen Sehnjucht jeines
Hergens bet ifr. Dann aber Heift e$ mit flarem Auge
und fejtem Sinn die wirren Faden (öfen, welche fid) vor-
{aufig noch iiber jeinen Weg fpinnen.
uf: neue geht e3 in ben Kampf! Wujs nene werden
Etürme ihn umbraujen; dieSmal aber ijt e3 nid)f mehr
jener WAujruhr der Natur, welder dem ,,Werde!” voran-
geht, jondern die Wetterjdauer, welche cin Sommer voll
Wachjen und Gedeihen mit fic) bringt!
Und Şofef {chiittelt leuchtenden Auges das lockige Haar
in Den Nacfen, und Hebt und debut tiejatincnd jeine Wrme,
— er fiihlt voll jauchsenden Muted ihre Kraft und ver-
traut thr.
— 318 —
— — — Gtwa dierzehn Tage waren verganqen, al8
Sofef Antwort aus K—burg erhielt.
Der Brief enthielt mehrere Gdiriftftiide. YS erftes
fiel ifm ein Edireiben bes Gijdhofs entgegen, welches an
ben Abt von K—burg qgerid)tet war, und weldes Fofef
hodflopfenden Hergen3 18. C8 lautete: ,,.Hochwiirdiger
Herr Abt, Dechaut und Stadtpjarrer! Fojef Breiherr
von Şoriöborif, THcologe der rc. 2c. Didgefe, ging vor
turşer Beit anlüfilid) des Begrabniffes feiner Mutter nad)
Haufe, von wo aus derjclbe ein Sittgefiid) an mich ridhtete,
in weldem er aus unbefanuiten Griimden mir feinen 9fu3-
tritt angeigt und um feine Entlajjung bitter. Zum geifte
liden Stande mödite id) niemanb gwingen, wesiwegen ich
Ew. Hodwiirden bitte, obengenaunten Vittiteller verftin-
Digen zu wollen, bab ich fein Bittgefuch als angenommen
erad)te und ifn aus der Rlerif hiermit entlajje. Ceine
Reugnijje und Dofumente fann er von dem Mektor, weldjen
id) Heute ebenfall3 beritünbiqte, herausverlangen, wenn er
Die vom Seminar erhaltene Meverenda zuriicfendet. Sonft
bin id), mid) Siren andadtigen Gebcten empjehlend,
Cuer Hochwiirden wohlwolleuder Oberhirt F Paul Aegi-
dius m. p.” :
Sofef ftarrte fhwer atmend auf bie Zeilen mieder, er
empfand den Rif, welder mit bicfem Briefe gejdehen,
wie einen firperliden Edimerş.
Er bedte fiir einen Moment die Hand über die Wugen
und fiihlte e3 erjt jebt, wie tiel fjon all fein Denfen und
Fiihlen in dem bamaligen Beruf Wurgel gefdlagen hatte,
— 319 —
Dies Loslbfen that weh, und Şofef fiğümte fid) nicht
eines Gefiihls von Heimweh, weldhes ihn bejdhlich. Aber
er itberwand ¢8, er [a8 den Brief Duncaczy3, obwobhl
er fic) im voraus fagen fonnte, bağ berleflDe in Ddiefem
Yüqenblid feine geeignete Leftiire für ibn war. Şa, der
treue, büterlid)e Freund madjte ihm das Sdjeidein fchwer,
und dennod) deuchte e3 dem Lejenden, al8 İpred)e cine
gewiffe Refignation aus den Beilen, al8 habe Duncacyy
faum nod) auf die ötüdfefr de jungen Mannes ge-
rechnet. Gr beflagte Jojefs Austritt aus tiefftem Herzen,
aber er giirnte ihm nicht. ,,Beffer ein guter Golbat,
als ein jchlecjter Priefter!” fagte er gum Edilib, wohl
in ber Annahme, bağ ein Torisdorff zur Fahne zuriic-
ftreben miiffe. ,,Wer nicht ben Beruf eines Seelenhirten
gleich heiliger Mijjion empfindet, ber Toll weltlich bleiben,
Denn ein fcheinheiliger und fittenfofer Pricfter jchadet ber
Kirdhe und Religion mehr al8 hundert WUtheijten mit ihrer
ehrlidjen Gottesleugnung!”
Wieder und wieder las Solef dieje Beilen, und fein
Auge leuchtete auf, und fein Herg ward jtill — was er
am ineiften gefiirdjtet, hatte Gottes Gnade ihm erjpart
— feine Freunde hatte er nidjt verloren.
Nod) einmal blicte er voll Wehmut auf die Reverenda,
ehe er fie einpacte. Sie war eine jener dunflen Wolfen
gemejen, weldje ber Friihlingsfturm vor die Sonne treibt
— nun mid) fie ihrem Glang.
Auch dies war ein bittere8 Sdheiden, fein Tropfen
feines Kelche3 ward dem jungen Mann erfpart. Und
ə ŞO. sə
al3 er, berhunfen in İcine Gedanfen, vor dem fieben,
ernjten Rleide jtand und jeine Hand wie in gartlichem
Segensqruk immer wieder dariiber Hinjtric), ba tinte
ploglich vor dem Fenjter ein jeltfames Gerdujd, bas
İd)arie finiridyen eines Spatens, welder in bie Erde ftöbt.
Solef gucte empor, die Neverenda janf aus jeinen
gingern in die Kijte nieder, da8 Papier rajdjelte bar:
liber bin.
Torisdorff aber trat an das gebjfnete Fenjter, an ba3-
felbe, von welchem aus er damal in bie bunfle, bli
Durch3zuctte Gewitternacht gefchaut.
Der Gartner grub drunten ein Beet um, Şolef aber
jah im Geijte wieder Das wunderjam prophetijde Bild
jeincS Oliickes.
Mun verjtand er e3! Die Arbeit und die oprerimutige
VBarmberzigfeit! Cie ftehen vor ifm und winfen ihn in
Das Leben guriick! Frijche, flare Lujt ftreicht um jcine
Stirn, und Yojef Hebt jreudig das Haupt und {chau
Diejem nenen Leben voll mutiger Zuverficht entgegen!
Die Zufunyt Hat ifm ihre goldenen Xhore weit ani:
gethan, und das Vergangene liegt Hinter ifm wie ein
İdyoerer Traum.
Der Schnellzug fuhr in die grobe Glashalle der Nie:
fideng ein, und Sojef betrat wicderum Die Stadt, von
welcher er fiir ewige Zeiten hatte Ubjchied nehmen wollen.
Wie anders war alles gefommen.
Hodhaufgerichtct, voll jtrahlender Freudigfeit fchritt
21
No CiHftruth, I. Rom. i, Nov. Frihlingsftiirme L
— 322 —
er durch bie Etrağem, und die Leute fahen überrafd)t in
ba8 İd)öne, energild)e WAntliz, welches fo gar nichts von
Der Ungufriedenheit, dem Mtipmut und der Nervofitat
be8 fin de siécle an fid) hatte, jondern mit jo Hellen
Blicen um fid) jah, als habe er mit bem Gli einen
ewigen Rontraft gejchloffen!
Und das hatte er auch!
Die Bohrungen Hatten in Lidhtenhagen ftattgejunden,
und bic KRohlenlager erwiejen fid) als derart umjangreich,
bab ihr Bejiber fid) İdy)on jest al3 fehr reicher an
betrachten fonnte.
Der junge Freiherr entwicelte eine fieberhafte Thatige
feit, um bie Bergwerfsanlagen gu jchaffen und jo bald
wie miglich in Betrieb zu feben. Cin ungeheures Leben
und Treiben begann in dem ehedem fo jtillen Lichten-
Hagen, und e8 Ddeuchte Sofef eine bejondere Annehmlid-
feit, Daf das alte Gutshaus weit ab von all dem Ge
triebe Lag, welches fid) hauptjachlic) auf dem Borwerk
Kremb3 entwicelte. Bon früf bis İpüt war Torisdorff
auf dem Arbeitsfelde thatig.
Er beauffictigte die Bauten, welche aufgefiihrt wur-
Den, er ftand dem Gngenieur şur: Seite, ja er griff oft
mit Heigen Wangen jelber gu Hade und Sdhaufel, um
periönlid) Hand an das Werk gu legen.
Die Gejchafte fihrten ihn oft im die Refidenz, jo wie
heute, wo er eilig burd) bie Anlagen İdiritt, weldje ber
Spatherb|t bereits entblüttert hatte.
Die Luft pfiff wm bitterfalt entgegen, fleine frierenbe
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Kinder troflten an ihm vorbei, bie Handden in die
Schitrgze gewicelt, Ohren und Naje rot gejroren.
Die Wolfen hingen jo grau und fchwer an dem Himmel,
als wollten fie jeden UAugenblic ein Sdhneegeftiber herab-
jchiitten, und Şoflef gebad)te der fdymeren Beit, welde
jebt für Die Armut hereinbrad.
Er feujgte tief auf, eine jehnende Ungeduld erfafte ihn.
Ach, baş er fdon jebt Şütte helfen finnen, dag er
jchon jebt Die Mot berer gu lindern bermödite, weldje ber
Banfrott der Firma Sterley gu Bettlern gemacht.
Seit Dem Tode feiner Mutter ward nur die Şülfte
ber Lidjtenhagener Rente von Klaus verbraucht, der Teil
ber YVerftorbenen jtand ihm zur Verfiigung, und wie
fier voraus zu jehen war, geniigte das ererbte Bar-
vermigen bolfitünbiq zur Decung des Betriebsfapitals.
Cin jaher Gedanfe durchguctte den Fretherrn.
Mit diefer disponiblen Rente lieBen fid) gar viele
Wohlthaten erweifen und mander dringlichen Not finnte
Dadurch İd)on gejteuert werden.
Xöahrfid), da it feine Zeit gu verlieren!
Schnell entjdlofjen bog Şofef in eine Querjtrage ein,
wo ehemal3 der eine ber Ronfursverwalter gewohnt hatte.
Richtig, nod glangte das meife Porzellanjdild mit
Namen und Titel zur Seite der Hausthitr, und Toris-
Dorff betrat haftig den hohen, fajernenartigen Bau, deffen
jchmaler Hof mit den Hintergebauden fdjon auf den eriten
Blié all das Clend der Grofftadt und ihrer fleinen
Leute İptegeft.
21"
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Rechtsanwalt Hagborn empfing den jungen Guts-
befiger etwas überraldit, und, wie e3 Jofef fchien, midt
mit Dem verbindlic)ften Geficht.
,3ari id) Shre Beit fiir einen Augenblicé in Wnjpruch
nefmen, Herv Rechtsanwalt 2”
Der alte Herr wied Döffid) ani einen Seffel. Sd)
bari Hhnen gratulieren, Herr von Şorisborif 17 fagte er
mit einem jeltjamen Bug um die Lippen. ,,Die Zeitungen
melden von neventbedten Rohlengruben in Lichtenhagen,
welche ungeheure Reichtiimer bergen jollen! Nun, da
werden die Verlufte, welche Sie durch die Gufjolveng der
pirma Sterley erlitten haben, jdnell wieder ausgeglichen
jet!
Das hoffe id) gu Gott, dag ich alle Verlujte, welche
Die Glaubiger meine Stiefvaters betroffen haben, mit
Der Heit dDaraus beden fal”
Der Rechtsanwalt Hordjte hoch auf. ,,Wie, Herr von
Tovisdorff, Sie beabjichtigen — — 2?”
, bie Schuld meines Vater abgutragen, Herr Hag-
born, und heute bereits einen jhwaden Anjang damit
gu madlem, ift die Veranlafjung zu meinem Bejuch.” Şofef
İtreifte bie Şanbidyu)e ab, und begann, mit einer gewiffen
Hajt jeine Plane far gu legen, und je langer er İprad),
Defto Heller glangten ihn die Augen de3 alten Herrn unter
den weifbujdigen Brauen an. Seine ganze Haltung, fein
ganzes Wejen war ploplich verwandelt, und als er Fofef
jchlieBlich beide Hande entgegenftredte, ihm mit warmen
Worten feine Hergzliche Freude und WAnerfennung itber fold
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edles Vorhaben ausgujprechen, da lag ein folcher Rejpett
in feiner Haltung, al Habe fid) vor ifm aus dem un-
fGheinbaren und beinahe mit Nichtachtung begriiften Gaft
urploblid) ein Mann entpuppt, vor weldjem man den
Hut bis auf die Erde gieht.
,Sewif, e3 wird mir ein leichtes fein, fehr verehrter
Herr von Torisdorff, Shnen die genaue Lifte üfer die
Gliubiger des Mifter Sterley gu verjdhaffen, welche viel
— ja gumeift wohl alles durch den Banfrott verloren
haben. $, e3 war ein namenlofes Clend damals. Sd)
bin an Ddergleicdjen Gcenen gewihnt; aber ic) werde 3
nie fernen, faltblittig dreingujdauen, wenn die Witwen
und Waifen vor mir Thranen der Vergweijlung weinen!
Şa, da werden Sie mand) imafüdfelige Exijtenz wieder
ertraglid) gejtalten finnen! Und was die Rente betrifft —
fo, id) meib jebt fchon gar manche, weldhen eine jahrlide
Unterftiigung wie ein Gejchenf de3 Himmels fommen
wiirde! Shon die Geheimratin hier im Hinterhaus! Du
lieber Gott — fie haben bamals aud) das ganşe Ver-
migen burd) Sterley verloren! Der alte Herr ftarb in-
folge ber Aufrequngen an einem Schlaganjall, und die
beiden Damen, Mutter und Tochter, blieben im duferften
Clend guritc.”
/Und die Damen wohnen hier im Hinterhaufe?”
,/Und wie wohnen fie! Dak Gott erbarm! Cfe-
mals eine Bel-Ctage und allen Luyus — und nun faum
ein $$ümmerdyern und troden Brot! Die Mutter verfteht
feine Handarbeiten und bari aud) ihres Leberleidens
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wegen nicht viel fiben, da geht fie afs Rochfrau gu ffei-
neren Leuten. Wie oft gibt’s aber ba Taufe oder Hochzeit!
38 ift beim beften Willen nid)t5 şır verdienen!”
əlinə die Tochter 2”
yd, praulein bon Damafus it eine ganz reizende,
junge Dame! Cin hergiges, fleines Wefen, welches von
ihrer friiheren Gefanglehrerin unentgeltlich weiter unter-
rid)tet wird. Gie joll gur Süfne, ein andere? Wus-
fommen wiffen fie nicht, Denn fett gwet Sahren juchen
wir umjonft eine Stelle als Şinberirdnfein fiir fie, — alle
nehmen WnjtohR an der adligen Geheimratstodter und
meinen: fo ein verwihntes Damden pabt nicht zu uns!
— Verwihnt! Du lieber Gott, das hat fie langft ver-
geffen! Und nun 5a8 feine, liebe Ding auf die Süfnel
Wn einem guten Theater fommt fie bod) nicht gleich an,
alfo heift e8, erjt in die Hefe untertauchen, und was
Das in einer Grofitadt bejagen will, wifjfen Sie, Herr
von Zorisdorff. Gie wird müöralild) gemordet! Und
Diefer Gedanfe fript an dem Herzen der alten Dame und
bringt fie fchier şür: Vergweiflung. Wber der Hunger
thut meh ...”
Sofef war aufgefprungen und burdimab voll hichfter
Errequng bas Bimmer.
/Unmiglih! C3 darf nicht fein! Da muh Abbhilfe
qeldyaffern werden, ehe e8 gu {pat ijt! Die entfeblide Ver-
antwortung — um feinen Bret3 bari e3 gefdehen!” Und
er prefte die Hand gegen die Stirn und İeine Augen
irrten wie in Hiljlofem Cuchen durch) das ffeine Arbeits-
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gimmer. Pliglic) blieb er var Hagborn ftelen und blicte
ihm jorfhend in die Augen.
7» Slauben Sie wohl, Herr Rechtsanwalt, bab die Ge:
Heimratin eine Stelle als Hausdame annehmen wiirde? “
pit Kubhand! C8 heipt nur, eine finden!”
Ste ijt gefunden. Bd) empfinde die Cinfamfeit und
Unwohntichfeit des alten Lidjtenhagener Şanfe$ jehr un-
angenehm, id) wollte fcéjon in der Zeitung eine altere
Xötrtid)afterin fucjen, da die jebige mir nicht gujagt. Es
wiirde Doppelt angenehm fiir mich fein, eine gebildete Dame
gur Hithrung 568 Haushaltes zu gewinnen, und finnte
örüu von Damafus bei mir bleiben, bis id) in der Lage
bin, ihr ba8 verlorene BVermigen guriicfzuzahlen.
yerr von Zorisborif1 Diefen Gedanfen gab Fhnen
ber barmbergige Gott ein!” jubelte der alte Herr, İtürmifd,
Die Hinde de3 Spredhers faffend. Die ungliiclidje Frau
wird Bhnen ani den Knien danfen! Aber die Todhter?
örüllein Rothtraut, was wird aus ihr?”
yam, fie begleitet die Mutter, fie geht ihr im Haus-
Halt Hilfreich şur Hand! Die Damen find ja böllig un-
geniert in Dem Haus! Bch bin Taft ben gangen Tag in
Krembs draufen, werde mir jebt eine provijorifde fleine
Wohnung im Infpeftorhaus einridten, um durd) das viele
Hine und Herreiten nicht gu viel Feit zu verlieren! lat
ift aljo mehr als genug, und wenn fie 1ed)$ Lichter mit-
brüd)te 17 .
Der Rechtsanwalt fah wie verflart aus. ,,Gott im
Himmel, welch ein Gfüd, weld) ein unerwartetes Gliic!
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Was wird meine Frau fagen, die liebt die Damen fo fehr; -
fommen Gie, Laffer Sie uns gleich hiniiber gehen, teuerfter
Herr von Torisdorff, fold) eine Greude bari man den
Armen feine Minute vorenthalten.”
Sofef wich gigernd guritch. Wie ein Bug ber Ver-
legenheit fdjlich 66 in fein Geficht. ,,Mein Sehid) wiirde
ben Damen vielleicht peinlich fein, bejter Herr Hagborn,
und bitte id) Gie um die Giite, die Angelegenheit allein
mit ber Geheimratin zu ordnen. Freie Wohnung, ein
Gehalt ... ja wieviel betrüqt das? Sd) bin abfolut un-
erfahren Darin! Bitte erfundigen Sie fid) und beftimmen
Gie alles Nahere! Wenn die Damen einwilligen, bitte
id) um Nachricht in das Monopol- Hotel. TWhermorgen
reife ich) şurüd und wiirde mich freuen, wenn fic) die
Damen mir anjdliegen wiirden. Wielleicdht Tüğt e3 fid)
arangieren, e8 ware mür lieb!” — Nod) ein furzes,
Hergliches Lebewohl, und Şefef ftiirmte mit hammernden
BKuljen die Treppe hinab.
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