Bein cin atta
Polniſch Blut
Roman
von
Patalp von Eſchſtruth
Mit Wuftrationen von Bans W. Schmidt,
II
Teipjig
Prrlagsbuchhandlung von Paul Lift.
Das Recht der Überjegung wird vorbehalten.
jrappiert auf jeine fleine
rau, welche, ihrem ur:
eigenjten Wejen jo voll
fommen guider, plößlich
die Etifette der Tijch:
ordnung über den Haufen warf.
Da fie jeinem erjtaunten Blic auswich und Fürjt
Neufjek, welcher jonjt den Pla zur Linfen der Prinz
zejlin einnahm, mit langem Geficht zur Seite trat, wandte
fid) Seine Königliche Hoheit zu demjelben und jagte
jcherzend: „Ehre wem Ehre gebührt, lieber Reujfect!
Heute ijt nicht Mars, jondern Apollo der Oberjte im
Rat der Götter, und ‚was die Frau will, das will Gott!
heißt e3 in Franfrei)! Eh bien, lafjen wir heute ein-
mal die edle Kunjt Ceremonienmeijterin an diejer Tafel
N.v.Cihfruth, I, Rom. u. Nov, Polniſch Blut. 21
— 322 —
fein!” Und der Pring wies dem Regimentsfommandcur
in liebenswürdigiter Weije den Sejfel zur Rechten Anna
Reginas an und placierte fid) felber vis-A-vis zwiſchen
Brau von Drad und Gräfin Dynar.
Es herrjchte ein fehr ungebundener und fait über:
mütiger Ton, namentlid) am Ende der fojtbar deforierten
Tafel, woſelbſt Frau von Hofftraten, Gräfin Ettisbach
und Tarenberg mit den jüngjten Leutnants ihre ,,fidele
Ede!” etabliert hatten.
„Jongens, man nich fo vill gefippt! Ihr hätt’ be-
reit3 rote Dötze wie die Zinngodel!!” hörte man die
mütterliche Warnung aus holländijcher Kehle durch eine
plößliche Stille ertinen, und dazwiſchen amiifierte fich
Gräfin Tarenberg mit ihrem hellen Organ über „den
verlorenen Sohn“ Weyer, welcher ihr in fediter Weije die
Apfelblüten aus dem Schulterbouquet zupfte, um fich damit
in jeinem Champagnerglas eine ,,Minne-Bowle” zu
brauen. Najende Bdee!! ... Bidy jaß mit glühenden
Wangen dabei und lernte. „IE wil’3 Füllen unter min’
Fittich” nehmen!” Hatte Frau von Hofftraten mit biderbem
Fächerſchlag auf der Kammerherrin Schulter erklärt,
„wenn's an de Krippe rafjelt, fchlagen de Remonten nach
vorn on’ binnen aut, da moß eins mit de Trenje zur
Hand jinn!” Die Frau Mittmeijter erging fic) meijtens
in favalleriftiichen Gleichnifjen.
Es jchien ganz jelbftverjtändlich zu fein, daß die Prä-
fidentin Gärtner an der anderen Seite Procznas Platz
nahm, und auc) vollfommen in der Ordnung, daß der
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Sanger von Gottes Gnaden ihr fein ritterliches Interefje
ſchenkte.
Die Kapelle des Ulanenregiments ſpielte in einem
Nebenſaal und übertönte die einzelnen Unterhaltungen,
dazu rauſchte und kniſterte der Atlasfächer in den Händen
der ſchönen Frau wie das Schilf am Nixenſee, welches den
ahnungsloſen Wanderer vor böſem Zauber warnen will.
Wie träumend hob ſich Leonies Blick.
„Wiſſen Sie auch, Janek Proczna, daß Sie mir
Unglück bringen werden?“ fragte ſie ſehr leiſe.
„Nur dann, Excellenz, wenn Sie es ein Unglück
nennen, daß den roten Roſen, welche ich vor Ihre Füße
ſtreuen werde, neidiſche Dornen gewachſen find!”
Sie ſchüttelte lächelnd den Kopf. „Sind Sie aber—
gläubijch ?“
„Ja, ich blicke in ein ſchimmerndes, rätſelhaft ſchönes
Frauenauge, und ich glaube, es ſei ein tiefer, tiefer See,
aus welchem ſich zwei weiße Arme heben, mich als Opfer
zu fic) herab zu ziehen ...“
Leonie ſchien ſeine Antwort zu überhören, ſie ſenkte
die dunklen Wimpern tief auf die Wange und drehte die
goldene Spange, welche nur noch von feiner Kette zu—
ſammengehalten wurde, mechaniſch an dem Arm.
„Sehen Sie? Das Schloß iſt zerbrochen, — in dem
Augenblick, da Sie mir gegenüber traten, ſprang das
Ringlein entzwei!”
„Und das ſoll Unheil prophezeien?“ Janek neigte
ſich tiefer.
21*
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„Als ich mich verlobte, legte mir mein Bräutigam
diefen Reif um den Arm, verjchloß ihn mit dem Eleinen,
einzig dazu pafjenden Schlüffel und trug denjelben jeit
Stund an auf der Bruft. Ein findlid) Spiel mit tiefem
Ginn. Das Armband erjeßt den Treuring, jo lange e3
am Arm hält, jo lang hält Lieb und Glüf im Haus.”
Die Mufifklänge raujchten auf wie fochende Meeres:
brandung, jüßer Duft wehte von den Blumen der Tiich:
vajen herüber, und die Goldfpigen zitterten um deu
blendend weißen Naden der Sprecherin.
„Geſprengte Feſſeln!“ Janeks Blic flog zu der ge
beugten Geftalt de3 Prajidenten hinüber, und fehrte zu
dem verführerijchen Weib an jeiner Seite zurüd, e8 lag
cin wunderlicher Ausdrud auf jeinen Zügen. „Der arme,
alte König, er nahm eine junge Frau! ...“ fagte er
leiſe, „es liegt ein düjterer, und. Dod) jo namenlos reiz-
voller Zauber in den alten Liedern, welche von verbotener
Minne und zerbrochenen Ringlein reden! Wohl dem
Pagen, welcher die Ketten an ihrem Arme zerbricht und
mit ihr fterben darf!”
Leonie Auge glühte auf, dann ſank ihr {dines Haupt
auf die Bruft.
„Glücklich ein jeder, der fold) qualenvolle Poejie nur
aus Liedern kennt!” hauchte fie. „Warum nennt man den
alten König ‚arm‘, weil er eine junge Frau nahin? Hätte
Heine in das Herz jener Königin bliden können, er würde
fie mehr beflagt haben, wie den eiteln, grauföpfigen
Egoiften, welcher den Frühling an die Brujt drücden will
— 325 —
und nicht bedenkt, wie erbarmungslos jegliche Liebesblüte
an jeinem eijigen Kuſſe jtirbt! .. .”
Es lag viel Ausdruc in den Worten der Präfidentin,
mehr nod) in dem feuchtglängenden Blick, welcher fich zu
Procgna hob; Janek fannte dieje Sprache und hatte ihr
manchmal in franzöfifchen Chebrudjsdramen als einer
vortrefflihen Schaujpielerleiftung applaudiert.
Langjam faßte er den Hohen Champagnerteld) und
bob ihn gegen Ihre Excelleng.
„Ih beflage fein Weib, welches geliebt wird, am
wenigften dieje junge Königin, welche einen Pagen fand,
jung, ftarf und begeijtert genug, um die Sflavenringe
an ihrem Arm zu brechen! C8 klingt fo füß, es Elingt
jo trüb ... Das Liedlein der Zufunft joll leben, Ey:
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celleng!” Es lag eine dämonijche Gewalt in der Stimme
Diefes Mannes, wie mit Zauberfäden umjtridte fie die
Sinne und dazu lachte er... übermütig, beinahe frivol ...
Leonie atmete tief auf, ja fie begriff e8, fie empfand
e8, daß Paris diefen Feueraugen zujauchzen mußte, daß
der Weg diefes Mannes mit roten Rojen gepflaftert
war! Und er, der Göttliche, der Gefeiertite Europas
fag an ihrer Seite, und flüjterte ihr ein Liedlein ing
Ohr, — „das flang fo füß, das flang jo trüb...” wie
ein Wirbelwind fafte e3 all ihre Gedanken.
Cie blicte zu Xenia hinüber, fie fühlte, daß die
fühlen Augenfterne auf fie gerichtet waren, jah, daß fic
das Antlig der Komtejje höher färbte in diefem Augen
bli, da Janek Procgna fein Glas fo oftenfibel auf das
Wohl feiner Nachbarin leerte ... ein Gefühl unendlichen
Triumphes jchmwellte Leonies Bruft. Der Erbherr von
Proczna hatte nur Blide für fie, einzig für fie.
„Sie werden alfo bleiben, längere Zeit hier bleiben?”
fragte fie haftig.
„Sp lange, bis Sie freiwillig die Zauberbande löſen,
in welche Sie mid) geſchlagen“, jcherzte er entgegen.
„Dann möchte e8 Ihnen gehen wie dem Kaijer Hein-
rid) im Ilſenſtein. Apropos ... wenn Sie irgend welche
Wünſche oder Anliegen haben, bei welchen allerhöchiter
Einfluß vonnöten ijt, wenden Cie fi, bitte, fofort an
mich, ich erfämpfe Shnen, was Sie wollen!”
„Sie find eine intime Freundin der Prinzejfin 2”
Um Leonies Mündchen zudte e8 wie Ironie. ,,Diejer
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Begriff ift dehnbar. Auf alle Fälle befige ich einigen
Einfluß auf die naive fleine Scele und bin, Gott fei
Dank, ftet3 rechtzeitig zur Stelle, die jehr notwendige
Borjehung zu fpielen.”
„Aha!“ Gray Dynar lächelte und ftarrte jefiundenz
fang in den perlenden Champagner hernieder. „Der
Sclüfjel zu ihrem Herzen. Sehr begreiflic), wer ver-
möchte einem derartigen Zauber und einer Liebens-
wiirdigfeit wie der Ihren zu widerftehen !”
Sie lachte furz auf. „Wir Frauen üben feinen Neiz
auf einander aus, wenigjtens feinen foldjen, welcher Ein:
fluß gemährt. In diejem Fall faun nur von einer Über:
fegenheit die Rede fein. Zwijchen uns gibt es fein
Demiitiges und harmonifches Anjchiniegen, jondern einfach
ein ‚Sich-fügen!‘, über welchem die moralifche Rnute
ſchwebt.“
„Das Recht des Stärkeren; auch der Geiſt hat ſeine
Stechbahn, in welcher er ſich über andere zum Meiſter
macht, und ſeinen Turnierplatz, auf welchem er die
ſchwachen Gegner unter den Daumen zwingt. Wie gern
mag ein jeder vor Ihnen das Knie beugen, Excellenz.“
Janek lenkte wieder in einen übermütigen Ton ein,
die Wolke, welche unbemerkt über ſeine Stirn gezogen
war, hinterließ nicht den geringſten Schatten.
„Verehrteſter Graf!“ rief Auguſt Ferdinand lachend
über die Tafel. „Ihre Komteſſe Schweſter behauptete,
als Kind ausgeſprochen totes Haar gehabt zu haben, jo
brennend rot, daß man ein Streichholz daran hätte an—
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fteen finnen, ift das nur bösartige Rofetterie oder
Thatjache 2”
SanefZ Blick jchweifte über das Haupt Xenias, er
zuckte unjchlüffig die Wchfeln.
„Deſſen entfinne ich mich beim beiten Willen nicht,
Königliche Hoheit, es ift jchon jo viele Jahre her! ...
Meiner Anficht nach fieht doch rot und rot — und
blond und blond jtet3 egal aus, leider habe ich fo gar
fein Verſtändnis für die germanijden Abjchattierungen !”
„Das beweijen Sie! ... Ercellenz Gartner, wenn Sie
wieder einen Moment Zeit für Ihre alten Freunde haben,
gejtatten Sie mir, Ihrer bei diejem Glaje zu gedenken !”
Die Muſik jeßte fchallend ein, und die lachenden
Stimmen jchwirrten lauter durcheinander ...
E3 war, al8 wehe Schneeluft um Xenia, und doch
war es heiß im Saal, jchwül und blumendurchduftet
zum Erftiden.
Warum muß Janel Procgna fich jujt vor den Triumph:
wagen des einzigen Wejens jpannen, welches Gräfin
Dynar verachtet und verabjcheut, welchem fie es am
wenigjten gönnt, von ihm ausgezeichnet zu werden. Gön—
nen? ... Sit es denn wirklich eine Ehre oder ein Glück,
von dem Konzertjänger Janet Proczna Huldigungen zu
erhalten? Sind denn die jtolzen, Hochmiitigen Damen,
welche e8 unter ihrer Würde halten, mit einem Infan—
terijten zu tanzen, urplöglich taub und blind geworden,
daß fie danad) jagen, von dem Sohn eines polnijchen
Flüchtlings überhaupt gewürdigt zu werden?
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Mein, fie waren eben nicht taub geworden, fie ließen
fic) von ein paar Liedern bezaubern und ftimmten finn=
[03 in die Lobpojaune ein, welche Frau Reklame fo un:
ermüdlich an die Lippen febte!
Proczna fang Schön, — wunderbar ſchön, — aber
um der Lieder willen den Sänger und feine Herkunft
vergejjen?! ... Eine Gräfin Dynar ift’3 nicht imftande.
„Er ift nur ein Trompeter, und Doch bin ich ihm
gut!” flang e3 von der Kapelle herüber. Das rotblonde
Haupt gucte in den Naden. Nimmermehr. „Sch wollt
er wäre ein Ritter, ein Ritter vom goldenen Vließ ...”
— ja dann! ... dann würde fie vielleicht ...
Wie er lacht, wie er der jchönen Schlange an jeiner
Seite die Worte mit flammendem Auge von der Lippe
lieft, wie fie ifm mit taujend Netzen der Rofetteric
umſtrickt! ...
Anna Regina mischt fich in ihre Unterhaltung, felbft
ihr blaſſes Gefichtchen färbt fid) höher, felbjt fie wird
lebhafter denn je...
„Ich Habe jo gar fein Verftänis für die germanijchen
Schattierungen .. .”
Es ſchwirrt in ihren Ohren wie jpöttifches Gelächter,
jchlimmer noch, wie eine fühle, unendlich gleichgültige
Stimme, diejelbe, welche jo leicht hinjagt: „Wird feins
Das andere vermifjen’ . . . Nein, er vermißte jie
nit —
Xenia ſchrak empor, Auguft Ferdinand Hatte fid) mit
der Frage an fie gewandt, ob Janek Proczna ein guter
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und paffionierter Reiter jet, er beabjichtige ihn zur Teil-
nahme an der Parforcejagd aufzufordern.
Die Tafel war aufgehoben, man ftand in fleinen
Gruppen plaudernd in den Nebenjalons.
Während des Soupers hatte Donat viel Beit zu er—
baulichen und bejchaulichen Betrachtungen gehabt.
Er ſaß ziemlich entfernt von Bicy, fonnte jie aber
jujt durch eine Lücke der Tafelaufjäge jehen und beob-
achten.
Die Worte Procznas hatten ihn viel zu jehr frap-
piert, um jojort vergejjen zu werden, er überdachte das
Gehörte jo lange, bis es ihm jchlieglich einleuchtete.
Höchſt drollig, daß er das fleine Badfiichchen nun
pliglich alg Dame betrachten foll! Fit fie denn wirklich
jo niedlih, wie Proczna behauptet? Man jollte doch
annehmen, daß fic) der Löwe de3 Tages und Protegé
der Kaijerin Eugenie auf Weiberjchönheit verfteht! ...
Ein Backfiſchchen! . . . Hm... gewiß die neuefte Marotte
Parijer Gejchmads, eine „haute nouveauté“, von welcher
man fic) im barbarijchen Deutjchland noch gar nichts
träumen läßt.
Scharmant, daß Proczna ein bißchen aus der Schule
geplaudert hat! Fürſt Heller-Hiiningen ift ftolg darauf,
zu den elegantejten und jchneidigiten Offizieren gerechnet
zu werden. Er ijt der Erfte im Regiment gewejen,
welcher englijche Moden, das Exterieur der Rennpferde
betreffend, eingeführt hat — der erfte gejchorene Gaul,
welcher auf dem Turf erjdien, trug das Wappen des
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jungen Fürften auf den Eden jeiner Bahndede — er
war der Erjte, welcher Mitglied des Jockey-Klub ge-
worden ijt und die Uniform der Kaifer Franz Ulanen
auf ausländischen Raceqrounds repräjentiert hat.
Das neuejte Parfiim, ob englijcher oder franzöfijcher
Marke, duftete in Deutjchland jeine „Premiere” im
Taſchentuch Heller-Hüningens, und die modernfte Frijur
gab von feinem Haupt das Signal zur allgemeinen Nach:
ahmung; immer „d’apres la derniere mode!” und doc)
ohne jeglichen gedenhaften Beigejchmad, welcher fo leicht
aus der Eleganz eine Sarrifatur macht.
Und nun hatte man in Paris ein neues Yeldgefchrei
ausgegeben, unter welchem die jeunesse dorée ihre Lange
für das Bacfijdtum brad! Brillant, Heller-Hüningen
war in der That ein Glüdzpilz.
Er neigte den hübjchen Kopf und jchaute durch die
Eilberranten eines Tafelaufſatzes zu der fleinen Dame
hinüber, welche es fertiggebracht hatte, einen Mann wie
Sanef Proczna zu interejjieren!
Das war aljo ein Nöslein mit fapriziöjen Dornen?
Donat memorierte die Worte Janeks und prägte fie fich
ſcharf ins Gedächtnis, dazu jah er fich feine Coufine
Bicky zum erjtenmal im Leben aufmerfjam an.
Neben Xenia jah fie allerdings aus, wie ein Perl-
hühnchen neben einem goldgefrönten Schwan, aber den-
noch war fie in ihrer Art allerliebjt, frisch und rofig
wie der fleine Borsdorjer Apfel auf der Fruchtichale
vor ihr, in welchen man jo recht mit Appetit hinein-
— 332 —
beifen möchte! Und dazu Hat fie fogar noch Rojen-
dornen.
Der junge Offizier nahm fic) vor, dem Gejchmad
Sanef Procgnas mal ein bißchen auf den Zahn zu fühlen
und dem Badfischchen nach dem Souper jein Kompliment
etwas ausdrudsvoller wie gewöhnlich zu machen. Er
hob jein Glas und nidte Bicky zu, zuerit fah fie es
nicht, al3 aber Donat jeine Wünfche von Mund zu Mund
an der Tafel entlang telegraphierte, da jchaute fie hajtig
zu ihm herüber, wurde dunfelrot und ftrahlte über das
ganze Geſichtchen. Nach Tiich Hatte er fid) dann auch
bald zu ihr herangejchlängelt.
Bicky jtand Hinter ihrer Mutter, welche fie frampf-
haft an ihre Seite feffelte, und blickte ihm bereits mit
leuchtenden Augen entgegen.
„Küffe die Hand, Coujinden!” Donat3 Sporen
flangen zujammen, er neigte den wohlfrijierten Kopf mit
den beiden blonden Haarwellen, welche ihm tief in die
Stirn lagen, und lächelte auf die ihm eigene, fo aufer-
ordentlich liebenswürdige Art. „Warum haben Sie jic)
bei Tijch fo folofjal weit von mir weggejegt, ich konnte
Sie ja faum jehen!”
„Aber Sie haben mir doch zugetrunfen!” entgegnete
fie haftig, mit unverfennbarem Jubel, ,,und haben mir zu=
genidt! Ach, und das Hat mich fürchterlich gefreut!’
„Auf Wort?”
„Gewiß! Daraus merkte ich doch, daß Sie mir
nicht mehr böje find!”
— 333 —
„Ih Ihnen böfe? ... Donat 30g die Oberlippe
empor, daß die weißen Zähne durch den Schnurrbart
bligten, da3 that er immer, wenn er fehr erjtaunt war.
„Da weiß id) ja gar nichts von! ... Bitte, jchießen
Sie dod mal [08, Coufinchen, was Sie eigentlich daz
mit meinen ?”
„Sie wifjen’3 nichtmehr ?!”... . Beatriceatmetehoch auf,
„Sott jet Danf!!.. . ich war ja entjeßlich grob zu Ihnen!“
„Zu mir? Sit ja ſcharmant, ganz allerliebit, Bicyden,
fchnell mal gebeichtet, was Sie begangen haben!“
Sie jenfte das Köpfchen. ,,Befinnen Sie fi) nur,
vorhin ... wie Sie mich wieder am Zopf zogen!! Wiſſen
Sie da nicht mehr, wie ich Sie angejchrien habe?’
Donat hatte feine Ahnung. „Na wie denn?”
Des Backfiſchchens Kinn fant noch tiefer auf die
Brujt, heiße Glut flammte auf den Wangen. „Sie thun
nur jo, Donat, und dabei find Sie gewiß aufs tiefite
beleidigt ... aber wirklich“ — ihre dunklen Augen hoben
fich mit flehendem Aufblid — „ich habe e3 nicht jo arg
gemeint, und wenn ich auch wirklich ,frecher Kerl‘ gejagt
habe, fo war es nur in...”
„Frecher Kerl?! ... Frecher Kerl haben Sie mich
genannt?! ... Das ift ja göttlich! Das ijt ja ganz
famos!!” und Fürſt Heller-Hüningen bog fic) vor Lachen.
„Denn das Proczna hört, wird er mich beneiden, als
hätte man mir das Großfomthur um den Hals gehängt!
Frecher Kerl!! ... a la bonne heure, Bidychen, Sie
find ein ganz veizendes Mädel!”
— 334 —
Mit großen Augen blidte fie ihn an, fein außer:
ordentliches Vergnügen an ihrer Unart war ihr abjolut
unverftändlich.
„Sp haben Sie e3 mir nicht übel genommen?’ fragte
fie ganz betreten.
Er jtüßte fic) mit beiden Händen auf die Sefjellehne
und blickte ihr plößlich ganz ernithaft in das Gefichtchen.
„Im Gegenteil, ich preije mich glüdlich!” jagte er mit
einem Pathos, das jtarf nach „auswendig gelernt” Klang.
„Ber fon jo viel wie id) von der Welt gefehen, und
die Blumen in aller Herren Länder gepflüdt hat, der
weiß den entzüdendften aller Neize, den Nojendorn, am
beiten zu jchäßen, und der ‚freche Kerl‘ war ein Roſen—
dorn. Glauben Sie mir, Beatrice, ic) liebe die Waffe
in der Männerhand ebenjo jehr, wie den bligenden
Kampfruf im Auge finer VBackjijche, denn beide jpornen
mich an, den Sieg zu erringen!”
„Aber Donat ... das verftehe ich ja gar nicht!”
„Ich aud) nicht!” dachte Hüningen, aber er ſprach's
nicht aus, fondern machte ein geradezu geijtreiches Ge-
fiht. „Sie werden nod) öfters Dinge aus meinem
Munde hören, über welche man nachdenken muß.”
Bidy legte mit angjtvollem Blic die Händchen zus
fammen. „Ach nein, lieber Donat, um Gottes willen
fprechen Sie nicht fo unverftändlich zu mir, es ift ja gar
zu jchredlich für mich, wenn einer fo flug ijt!”
Der Vorwurf war dem jungen Fiirjten bis jebt
nod) nie gemacht worden. Schalt und Übermut bligten
— 335 —
in feinem Auge, und doch ſchmeichelte dieſe erfte naive
Bewunderung jeiner Citelfeit dergeftalt, daß er fich vor:
fam, wie ein Kägchen, dem man den Pelz fraut.
jäher Gedanfe
durchzudte ihn.
Er warf fich in
die Bruft und
jah das fleine
Fraulein voll
graujamer Herz
ausjorderung
an. „Bicky,
wiſſen Sie viel⸗
leicht, wer das
Mädchen von
Dom Remi
war 2”
Die Kleine
jchnappte förm⸗
lid) nad) Luft
vor Schreden.
„Ich werde Miß
Davenport
heute abend
noch fragen” .
. . ftotterte fie.
„Bidy... wiffen Sie, wag ein Torfo ijt?”
„Nein! ...
ach um Gottes willen, was denn?!“
„Bicky ... wo ſteht die Emilie Galotti?“
Ein
— 336 —
„Meinetwegen vor dem Bremer Rathaufe!” Mit
zornigem Aufblid fdhiittelte fie das Köpfchen und jeßte
den fleinen Fuß energifder wie gewöhnlich auf, „Sie
denfen wohl, Sie miiffen mich noch eraminieren wie
einen Studenten, der fein Eramen madjen will?! Ich bin
fein Schulfind mehr und brauche nicht mehr zu lernen!
und wenn Sie jo gewaltig flug find, daß Sie alles wifjen,
jo haben das andere Leute noch lange nicht nötig!” ...
Ein Gefühl voll unendlicher Genugthuung fchwellte
die Bruft des jungen Offizierd. Endlich mal eine, die
er noch erfolgreich eraminieren fonnte, die fic) nicht vor
ihn Hinftellte wie Gräfin Xenia, die Hände über den ver-
lorenen Sohn zu ringen! Nun waren doch einmal die
Nollen getaucht, und Fürſt Heller-Hüningen erntete
endlich auf einem Felde Lorbeer, wo er bis jegt nur
Diſteln gepflüdt.
Er jah die trogige fleine Dame mit einem jener
tiefen, umwiderjtehlichen Blide an, weldje jchon fo oft
Wunder bei ihr bewirkt hatten.
„Sol id) fünftighin Ihr Freund fein, den Sie ftet3
um Nat fragen, wenn Sie etwas nicht willen follten 2”
fragte er mit einem Geficht, welches deutlich zeigte, wie
brillant er fid) amiifierte.
Sie nickte haftig, aufs höchſte überrafcht.
„Bon, fo werde ich mir jofort ein Ronverfation3-
lerifon zulegen, und dann — dann fann ich Ihnen jelbft
jagen, wie’3 einer Jungfrau zu Mute ijt, wenn Ihr
Herz zur Liebe erwacht!“ — — —
— Im
Janek Proczna lavierte fid) mit zahllofen „pardons”
durch die Schleppen, welche gleich farbigem Ranfengewirr
die Füße umſtrickten.
„Wohin wollen Sie Ihre Feder blajen, Graf?” fragte
Anna Regina lächelnd.
„So viel ich hörte, ift Fran Leutnant Gower eine
vorzügliche Rlavierjpielerin, Königliche Hoheit; ich be—
abfichtige, ihr mein Kompliment zu machen und um Vers
zeihung zu bitten, daß es erft jest gejchieht! Die That-
jade, daß ein Sternenhimmel nicht mit einem Blick in
allen Einzeljchönheiten gewürdigt werden faun, muß meine
Entſchuldigung ſein!“
Die Prinzeſſin nickte ihm freudig, faſt dankbar zu,
Leonie jedoch trat ſchnell näher und lachte leiſe, aber
unendlich ſarkaſtiſch auf. „Die Gower begrüßen, ſie um
Verzeihung bitten? ...“ Sie ſchüttelte den ſchönen Kopf:
„hören Sie mich einen Augenblick an...“
„Aber liebjte Excellenz — fo lajjen Sie ihn doch
gehen, die arme Frau jteht wieder jo gänzlich iſoliert!“
warf Anna Regina in fait bittendem Tone ein.
„Ganz recht, Königliche Hoheit! Man läßt fie fiten
wie die Trumpf-Sieben !”
Leonie überhörte Procgnas Einwurf, fie wandte fich
der Prinzejjin zu und blickte fie groß an, damn neigte
fie fic) ſchnell und flüfterte ihr etwas Hinter dem Fächer
zu. Janek verjtand Wort für Wort: „Ich bitte Hoheit
dringend, meine Pläne nicht zu durchkreuzen, jonjt über-
nehme ich feinerlei Garantie, daß die Komödie ‚Don
N.v. Ejhftruth, IL. Rom. u. Nov, Polntih Blut IL 22
— 338 —
Carlos‘ ohne tragifdes Nachipiel bleibt!” Dann drehte
fie wieder das Köpfchen aufladend zu Proczna und fuhr
fort: „Wie die Trumpf-Sieben, vortrefflich gejagt. Laſſen
Sie fic) aber nun aud) die Spielregeln zu dieſem neueften
‚Schach der Königin‘ mitteilen!” Prajidentin Gärtner
winfte ihm mit dem Fächer einen Schritt abjeits zu
treten, und Qanef verneigte fic), warf noch einen
fchnellen Blicf auf Anna Reginas verändertes Antlig
und folgte.
„Ich habe feine Zeit, Ihnen jegt die ganze Affaire
auseinanderzujeßen, mon ami!” lächelte Leonie wie eine
Unjechuldstaube zu ihm auf, „Dazu müfjen Cie mir ein
Stündchen opfern und fich bei einem Tetesastete in meinem
Boudoir langweilen — wollen Sie fommen ?”
„An die Berechtigung zu einem Zweifel darüber glauben
Sie felber nicht, Excelleng!” flüfterte er mit fajt vorwurfs—
vollem Blid.
„Eh bien, und wenn Gie fommen ... iſt's als
Freund?”
„Freundſchaft ijt ein häßliches, lauwarmes Wort für
einen, in deſſen Adern heißes Polenblut rollt und für
einen ... der in allen Wünfchen unbejcheiden ijt!”
Das Goldlaub auf Leonie Bruft erzitterte. „Haß
und Liebe lodern allerdings in glühenderen Flammen
empor, aber fie brennen gar leicht zu Tod!”
Er lächelte wunderlih. „Sie führen in vorfichtiger
Weiſe Ihren Kahn nur am glatten Ufer entlang, Excellenz,
mich lodt’3 in Sturm und Flut hinaus.’
— 339 —
Shr Blick brannte in feinem Auge „O, daß ich
einen Fährmann fände, der mich mit fic) nähm'!“
„Meine Fahrt ift wild und unficher, wer fid) in
mein Schifflein wagt, muß darauf gefaßt fein, an Klip-
pen zu jcheitern und von feinem eigenen Ruder in die
Tiefe gezogen zu werden. Haben Sie den Mut, e8 mit
mir aufzunehmen ?”
E3 lag eine faft ironijde Herausforderung in der
Stimme des jungen Mannes, aber Leonie fah nur fein
dunkles, leuchtendes Auge und das ftumpfte ihren Echarf-
bli. Jähe Röte flog über ihr Antlig; fie winfte haftig,
wie beraujcht vom Dufte giftiger Blüten.
„Mehmen Sie Ihre Lieder mit an Bord, und Wind
und Wellen gehorden ung! ... Und nun gehen Gie
und machen Sie die Cour, wo Sie wollen, nur nicht bei
gorau Gower!”
„Sagen Sie mir ganz furg den Grund dafür”, bat er.
„Eh bien. Leutnant Gower ift gegen meinen jpeciellen
und der Ulanen allgemeinen Wunjd Adjutant beim Prinz
zen, und infolgedefjen jamt feiner Frau Gemahlin unferer
erklufiven Gejellfchaft aufgenötigt worden —“
„Gower joll ein ausgezeichnet befähigter und tüchtiger
Dffizier fein!”
„Aber befter Proczna — das ift mir doch grengen-
[03 gleichgültig! Mag er im Dienft jein, was er will,
im Salon ift er Iteif und langweilig, und das genügt,
um ihn unmöglid gu maden! Da der Mann nicht
freiwillig geht, muß man ihm den Stuhl vor die Thür
22*
— 340 —
feßen, und wie Sie fehen, befolgt man meinen guten
Rat allgemein und läßt beide Gowers figen wie — die
Trumpf-Sieben !”
Ein leijes, boshaftes Auffichern, Janet aber lachte
ganz unbändig und applaudierte. „Brillant, Excellenz!
Die Kleine Intrigue ijt ja föftlich und ſoll an mir einen
eifrigen Verbündeten finden! Bardon — wen wollen
wir denn beim Prinzen einjchmuggeln ?”
„Meinen Kleinen Freund Flandern, der avancieren
muß! . . . Ich fage Ihnen, Kavalier bis in die
Fingerjpigen, und dabei ein Charatter, welcher einer
derartig einflußreichen Stellung gewachjen ift und doc)
aud) wieder ein Wort mit fich reden läßt.”
„And feine jonftigen Fähigkeiten ?”
Leonie zucte die Achjeln. „Mon Dieu, was weiß
id)... feine Schwadron hat wahnfinnige Manfchetten vor
ihm ... fpringt am beiten von allen ... und Feſte und
Partien arrangiert er und malt in Aquarell ... ent:
züdend! Immer Fader!”
„Selbftverftändlih! ... Alfo Flandern! Natürlich
muß Flandern lanciert werden! Ganz Ihrer Anficht,
Excellenz ... werde mal all meine Malice zuſammen—
ichütteln und einen Schlachtplan ausdenfen! ... Wh, ein
Gedanke! Ich werde Frau Gower fo tüchtig blamieren,
daß fie das Wiederfommen vergift! ch bitte fie bei
der nächjten mufifalijdjen Soiree, mich zu accompags
nieren, und finge dergeftält, daß fie irre werden muß,
daraus läßt fich ein eflatante3 Fiasko injcenieren.”
— 3414 —
„Superb, lieber Graf, cine Götteridee!“ jauchzte
Excellenz, „die Perſon ſoll über
Nacht graue Haare bekommen!“
„Sorgen Sie nur dafür,
daß ſie einge⸗
laden wird,
Sie Allmäch
tige!“
„Ver⸗
laſſen Sie
ſich darauf.“
„Die
Herrſchaften
verabſchie⸗
Den ſich ...
Ufo für
morgen au
revoir, Er:
cellenz, der
erjte Weg
führt mich
zu Ihnen!”
Kenia
jtaud wie zu Anfang des
Abends und nahm Die
Lebewohls entgegen.
Janek verneigte fich gulegt vor ihr. „Ich verdanfe
Ihrer Liebenswürdigfeit einen außerordentlich angenehmen
— 342 —
Abend, Kenia!” fagte er heiter, „ich hätte nie geglaubt,
daß im hohen Norden eine fo warme Winterfonne fcheint.”
Und damit flog fein Bli zu Leonie hinüber, welche juft
durch die Thür fchritt.
„Hüten Sie fic) vor ihr, fie blendet die Augen, welche
allzulang und vertrauenzjelig hineinſchauen!“ Sehr fühl
fang e8, und dennoch ganz anders wie jonit.
„Nehmen Sie wirklich fo viel Anteil an meinem Schid-
fal?’ — — Um jeine Lippen zudte e8 wie Spott.
„Nur injofern, als es die allgemeine Menjchen:
freundlichfeit gebietet. Wenn ein Bettler am Abgrund
fchläft, lafje ich auch iff aufweden und warnen!”
„Sie lafjen es thun, und um mich bemühen Sie fid
perjinlid)? ... Vergeffen Sie nicht, Gräfin Xenia, daß
unter dieſem feitlichen Kleid auch nur polnisch Blut in
den Adern freijt, daß fid) Hinter der neunginfigen Maste
doch nur eines Jnjurgenten und eines Bettler3 Sohn
verſteckt!“
Er hatte es leiſe geſagt, hatte ihr voll und feſt dabei
in das Auge geſehen ... dann warf er keck den ſchönen
Kopf zurüd und wandte fid) zu Drachs, welche foeben
alle drei herzutraten, um ihn voll aufrichtiger Herglichfeit
einzuladen, ihr Haus als das jeine zu betrachten! Janek
acceptierte fehr erfreut und verficherte, daß er in Zukunft
das tägliche Brot bei ihnen fein werde; dann blidte er
gewifjermaßen erwartung3voll auf Xenia.
Sie hatte fic) abgewandt und ſchwieg. So ging er.
Mit haftigen Schritten jprang er die Treppe hinab.
— 343 —
Die meiften Equipagen waren fehon davongefahren, nur
da3 elegante Gejpann Procgnas und der Mietwagen
Gowers warteten nod).
Die Engländerin wollte foeben einfteigen, ihr Mann
bezahlte den Kutjcher.
Mit Ichnellem Schritt ftand Janet an ihrer: Seite.
„Seltatten Sie, gnädigfte Frau, daß ich Ihnen behilflich
bin?” fragte er in ausgejucht liebenswürdigem Ton,
faßte ihre Heine Hand in dem unförmigen Überzich-
handſchuh und hielt den Schlag zurüd. Faſt entjekt
wandte fie den Kopf zu ihm herum. Der Schein der
Laterne fiel auf ihr blafjes Gefichtchen, überjtrömt von
Thranen.
„Ich bitte taufendmal um Vergebung, gnädigfte Frau,
daß ich erjt jebt Gelegenheit nehme, mich Ihnen zu
nähern, und hoffe, daß Sie mir geitatten, das Verjäumte
in einer baldigen Vijite nachzuholen ... au revoir!”
Und er neigte fi), 30g die Hand der jungen Frau
an die Lippen, lüftete furz den Hut vor dem Adjutanten
und trat an feinen Wagen zurüd.
Ein faum hörbares „Tauſend Dank!” hallte ihm
nad, dann jchmetterten die Hufe über das Pflaſter.
Proczna warf fid) in die jchwellenden Atlaspoliter
zurüd, jeine geballte Hand prefte fich gegen die Stirn
und der Blick fchweijte hinaus in das Dunkel... noch
ging feine Morgenjonne auf, aber e8 war, al3 ſchimmere
ſchon jebt ihre Nöte verheigungsvoll durd) die Nacht.
= 344 =
Auch Grafin Xenia ftarrte mit brennenden Augen 3u
dem Nachthimmel empor.
Sie ftand im Grfer, tiefe Stille war's um fie ber,
verraujcht und verflungen alle Lieder und Worte, nur
wie ein Echo hallte es noch träumerisch durch die Seele.
© ihr wunderfüßen Lieder! ...
Wie Tautropjen waren fie auf ihr durftig Herz ges
fallen, augenbliclich ein Baljam, aber für die lange, ſtille
und einjame Nacht nagend Gift, brennende Funfen.
Mechanijd) war Kenia an den geöffneten Flügel ge-
treten, über defjen glänzende Taſten joeben noch feine
Hände geglitten waren, all die ſüßen Bauberweijen her:
vorzuloden! leiſe ftrid) fie darüber Hin, falt wie Cis
fühlten fie ſich an.
Ein Bettler... der Sohn eines Ynfurgenten!
D ja, es gehörte Mut dazu, angeficht® der einge:
fleijchteften Arijtofratie die Stirn zu heben und die Wahr:
heit zu befennen, viel Mut und viel Stolz, und viel
eijenfefter Wille, um jo alles unter die Füße zu treten,
was fonft die Welt als Gigen anbetet! Sie fah Janet
Proczna nod) immer vor Augen, die hohe, ritterliche
Geftalt mit dem edlen Haupt und der marfigen Bruft,
welche e3 verjchmähte, die Ordensfette gu tragen, deren
Sterne ja doc nur Talmi waren gegen das Gold,
welches jeine Lieder in bligenden Funten verjprühten!
Warum mußte gerade diefer Mann fo tief aus dem
Staub emporgehoben, warım mußte gerade er dem Grafen
Dynar auf die Schwelle des Schlofjes gelegt fein! ...
— 31 —
Wie ein Fröfteln ging es durch die Glieder der Traine
merin, fie wandte das
Haupt und jchaute fich in
dem Eaal um, — — ganz
allein!
Warum empfand fie e8
plötzlich? War fie
pee fic) doc) noch nie
mals im Leben eine
m jam und vers
laſſen vorgekommen!
wae kD jal dod)...
Damals in der Mor:
genfrühe, als der Erbe
von Proczna hinaus
in Die weite Welt ging,
trotzig, kühn entſchloſſen,
als ein Mann, vor welchem ſie das Auge niederſchlagen
mußte! Da war es auch fo öde und leer um fie her
— 346 —
gewefen, da Hatte ihr Herz gebebt wie in dieſem
Augenblic!
Die Kerzen fladerten und malten ihre Schatten gegen
die weiße Atlasportiere, leije Schritte flangen Hinter ihr.
Kenia jchraf zufammen wie ein furdtjames Kind.
Die Diener widen bei ihrem Anblid betroffen zurück.
„Bir wollen die Lichter auslöjchen, Gräflicde Gnaden!”
Die Komtefje wintte haftig zuftimmend mit der Hand
und fchritt nad) ihren Gemächern, die Veilchen in ihrem
Haar waren verwelft, aber tiefinnen im Herzen, da war
e8, al3 ob ganz zaghaft und leije ein grünes Blättchen
das Haupt über Cis und Schnee erhöbe, wie ein lieb-
licher Bote des Frühlings. — —
—
XV.
er Kommandeur der Kaifer Franz-Ulanen, Prinz
Neufjef, war in der ganzen Armee als ebenjo
vortrefflicher wie pajfionierter Reiter befannt,
dejien hervorragendes Verdienſt es war, in feinem Re-
giment den jchneidigiten und favallerijtijdften Geift zu
tultivieren. — Seine Schwadronen waren muftergültig
und die Leitungen derjelben renommiert, ein flotter, oft
an das Tollfühne ftreifender Zug befeelte Offiziere und
Mannſchaft, und die verjchiedenen Reiterſtücklein, welche
von Zeit zu Zeit die militérijden Kreiſe alarmierten,
gtengten an das Sagenhafte. Darin gipfelte der Stolz
des Regiments; die Offiziere überboten einander und die
einzelnen Züge wetteiferten, den ftet3 fich fteigernden An-
forderungen ihres Kommandeurs gerecht zu werden, —
weld) eine hohe Genugthuung war es und welch ein
fHftlider Lohn, wenn bei den großen Manövern Die
Kaijer Frang-Ulanen fich hervorthaten vor allen anderen,
wenn fie Unmögliche8 möglich) machten und wenn ein
töniglicher Reitergeneral mit jtolzem Beifallsniden dem
— 348 —
Regiment den neuen Beinamen: „Reuſſeks wilde, ver:
wegene Jagd!” zulegte. Darum lujtig drauflos geritten!
— Borwärt3 durch dic und dünn, über Gräben, Heden
und brennende Hürden, Reuſſek jagt voran... Hurra
die RKaijer Frang-Ulanen! —
Die alte Reitbahn genügte den Anforderungen des
Regiment nicht mehr und wurde durch eine neue, zweck
entjprechende, welche Pring Reuſſek fic) zum Privatver-
gnügen hatte erbauen lafjen, erjept.
Das leerjtehende Gebäude war in eine Art Spring-
garten umgewandelt und jpeziell zu Neitübungen während
des Winters bejtimmt, vornehmlich hier war e8, wo die
Offigiere mit ihren Damen Quadrillen einübten, wo
Jagden geritten und die jämtlichen Parjorceftiiclein ge-
probt wurden, welche jpäterhin auf Turf und Rennbahn
Senjation erregten.
Mittenhin durch das Reithaus lief eine mäßig breite,
von Neijerheden begrenzte Bahn, an deren Anfang ein
beträchtlicher Abjprung aufgejchüttet war.
Die Hindernifje entjprachen volljtändig dem Spring:
garten auf dem Ererzierplag draußen, zuerjt eine Hürde,
Doppelhürde, eine Mauer, und jchließlich der Graben,
Defjen außergewöhnliche Breite jofort fennzeichnete, wefjen
Kommando den Sprung darüber befahl.
Eine ſchmale Tribüne lief längs der rechten Seiten-
wand, für das exflufive Publikum bejtimmt, welches den
Übungen und dem Mufikreiten des Ojfigierforps bei:
wohnte. Die Sonne malte helle Streiflichter durch die
— 349 —
langen, fchmalen Fenfter, zwiſchen welchen noch die Fahnen,
Echilder und welfen Tannengewinde eines legtvergangenen
Kojtümpotpourris, von Lohe überjtäubt, ein furzes Da:
fein frijteten.
Lautes, jehr übermütiges Leben pulfierte bereits in
der Bahn.
Eine Auslefe der edelften Raffepferde tänzelte über
den weichen Boden; ungeduldiges Wiehern und Scharren
ertönte auf dem runden Vorplag, wojelbft die Burjchen
ihre vollmähnigen Schüßlinge bis zur Ankunft der Herren
bewegten, von gewaltigen Nüden umfprungen. Eine ziem—
li) vollzählige Gejelljdajt war, bereits erjchienen, die
Tribünenthür flappte ununterbrochen, Equipagen rollten
auf dem Pflafter. Gräfin Kany, in jchreiend rotem
Sammethut und didem Pelzkragen trat mit Excellenz
Gärtner zu gleicher Zeit ein, jchritt zu der Holzbrüftung
und injpizierte, Huldvollit nach allen Seiten in die Bahn
herunternidend, das Terrain.
Flandern begrüßte Leonie, ließ durch die „Bahn du
jour” zwei Stühle für die Damen herzurüden und nahm
noch „für einen Augenblid” an ihrer Seite Plab.
Die ſchmale Treppe empor flirrten Sporen, Fürjtin
Neufjek, fehr echauffiert und bejtaubt, die lange Schleppe
des Neitkleides über dem Arm, gefolgt von ihrem Mann
und etlichen jüngeren Offizieren, trat ein und ließ fich
mit einem lauten Seufzer der Erjchöpfung auf einen Platz
neben der Hofdame niederfallen.
„Srüß Gott, Kanyden! — "Morgen, Excellenz ...
— 350 —
Gott fei Dank, daß ich das Knie mal wieder ftreden
fann! — Zwei Stunden auf der ‚Satanella' ... Das
ift mehr, al8 normale Muskeln aushalten finnen! —
und dabei einen Ldwenhunger! Aber nad) Haufe gehe
ic) um die Welt nicht — Proczna will fich ja noch produz
zieren!”
„Haben Sie Niechjalz bei ſich, Durchlaucht? Wenn
der Göttliche nun cine Lerdhe jchlägt!!”
„Ben Anblic bin id) aus Ihren Avantageurtagen
fo gründlich gewöhnt, lieber Sensfeld, daß er mich nicht
mehr nervös macht!
„Bravo! — Stellen Sie fid) in die Ede, Kleiner!
Apropos ... eben find Procznas Pferde gelandet, ein
Araber dabei, meine Herren ... das Nonplusultra!”
und Rittmeijter Graf Hechelberg füßte wahrhaft verzüdt
Daumen und Zeigefinger.
Wie ein eleftrijcher Strom ging e3 durch die Ulanen.
„Exit ins Maul fehen! ... Erft drauf figen!! — Bor:
wärt3, Messieurs, zur Kritik!“ jchallte e8 durcheinander.
„Guten Morgen, gnädigfte Frau! ... Habe die Ehre,
mein gnädiges Fräulein! ... Servus, Bidy!!” und wie
da3 wilde Heer flirrte und rajjelte e8 an Frau von Drach
und Beatrice vorüber, die Treppe wieder hinab. Die
Gräfinnen Dynar, Ettisbach und Tarenberg, welche zu
Pferde bereits ein paarmal die Tour außerhalb um die
Springbahn geritten hatten, dirigierten ihre glänzenden
Renner nad) der Tribüne und begrüßten die anwefenden
Damen.
— 31 —
Kenia ritt einen prächtigen Goldfuchs, mit einem
duferft eleganten, weißjei-
denen Zaumzeug, wappen-
gejtidtem Stirnband und
Rojetten in den Dynarjchen
Farben. Wahrhaft finig-
lich ſchwebte ihre jchlanfe
Figur im Sattel, durd) die ſchlichte Einfachheit der Toi-
— 32 —
lette jeltjam gegen ihre beiden Gefährtinnen abitechend,
welche in pelzbejegten ungarifchen Samtjaden und den
vieredigen Mützchen mit fedem Neiherjtuß fehr aller:
liebft, aber auch recht unternehmend ausfahen.
Die beiden Damen, „les inséparables”, zogen fich
feit einiger Zeit meift gleich an, nur durch die Wahl ver:
ichiedener Farben das allzu Echweiterliche mildernd.
Kenia liebte im Sattel weder Buntes noch Auffallen=
des, höchſtens, daß fie, wie heute, ihr jchwarzes Tuch—
fleid mit einem Schneeglodenjtrauß ſchmückte.
Laute Gelächter und eine allgemeine Bewegung in
der Nähe der Bahnthür annoncierten Frau von Hoj-
ftraten.
„Ra Sinner, nu man ene ganze Portion Play,
ichallte e8 in der derben Weife vernehmlich durd) das
Reithaus. Auf majfivem Apfelichimmel, dem nicht un-
beträchtlichen Gewicht der Reiterin angemefjen, jprengte
Frau von Hofitraten in die Bahn, direkt in den Spring:
garten und nahm mit lautem „Hepp, hepp” in jchärfitem
Tempo, jehr ficher, wenn auch ohne jegliche Grazie, die
fämtlichen Hinderniffe.
Shr Mann folgte ihr — ernft, gemefjen, mit außer:
ordentlicher Eleganz, leicht und meijterlich flog fein Rappe
über Hürden, Mauer und Graben — wahrhaft lautlos
gegen den dröhnenden Hufjchlag des Vorgängers, unter
welchem die Echollen bis hoch auf die Tribüne fprühten;
— jelten mochte man ein verjdjtedenartigeres Ehepaar
finden.
— 353 —
Lautes Bravo und jubelnder Zuruf erfannten die
Leiftungen der Frau Nittmeijter an, Fürft Heller-Himingen
recitierte in ausnahinsweije richtigem Wortlaut: „Wo
alles liebt, fann Karl allein nicht haſſen!“ vitt jcharf an
und jolgte dem Beijpiel des jchmeidigen Hollands —
Weyer-Sensjeldt auf englijdem Vollblut hinterdrein.
„Proczna kommt!” — Wie ein Wlarmfignal tönte
e3 von der Zribüne und lief jubelnd von Mund zu
Mund.
Graf Hechelberg winfte haftig die Offiziere zufammen.
„Ohren jteif, meine Herren! Müſſen dem Parijer zeigen,
wie Frang-Ulanen reiten! ... Hahaha! ... Legt ihn
mal fejte rein, Kinder, — Reuſſek hat die Pechhürden
in petto ... muß Maul und Naje aufiperren der Bois
de Boulogne-Reiter und Rejpeft vor der Ulanfa friegen!
... Aljo vorwärts ... Hepp, hepp!!“
Flandern drehte jeinen Echnurrbart noch fteifer in
die Höhe. — Bidy hatte recht, er fah aus wie der Pit:
Bube, namentlic) in diejem Augenblik, wo er jo eigen-
tümlich vor fic) hinlächelte und jtarr auf den jchwarzen
Flecken in der Wandtünche blicte — jein Auge wurde
förmlich ſpitz.
Proczna trat zu Fup ein, um die Herrichaften erit
zu begrüßen und Bring Reujfef pro forma nochmals um
Erlaubnis zu bitten, al3 Civilijt in der Bahn zu reiten.
Mit lautem und ehrlihem Willfommen umdrängten ihn
Die Herren.
„Na, Proczna, wollen Sie’s weiß Gott riskieren?“
N.v. Eihftruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II 23
= Sh
lachte Graf Hedjelberg mit vergniigtem Augenzwinkern,
„bier weht die Luft der Franz-Ulanen! Haben Sie feine
Angit, daß fie für Ihre Gaule zu fchneidig ijt?”
Janek zudte lächelnd die Achjeln, und Xenia, welche
nebjt den andern Damen herzugeritten war, lädyelte
ebenfall3 till vor fic) Hin.
„Es tonımt auf einen Verſuch an, verehrtefter Graf,
meine Pferde haben ſchon in jo viel verjchiedener Tem:
peratur geatmet, daß id) eigentlich annehmen follte, fie
werden fid) auch hier afflimatifieren !”
„Gutes Zutrauen ift fchon was wert! Sagen Sie
mal, Sie Mann der Kehle, haben Sie eigentlich ſchon
mal mit Hindernifjen geritten 2”
„a — jo hier und da ift mir aud) ſchon mal ein
Ninnitein vorgefommen, über den mein Araber glüclich
wegkam.“ — Qanef machte ein Gejicht, welchem man
nicht jo recht anjah, ob er im Ernjt oder Scherz fprad.
„Gar zu did dürfen mir die Baummurzeln allerdings
nicht fommen, und das Tafchentuch darf auch niemand
in der Nähe herausziehen ... geichweige niejen! .. .”
„Haha! ... Hören Sie mal, der Gedanke ift mir
auch fchon gefommen!” Frähte Weyer mit einem Schlag
auf die Schulter des Sängers. „Ihr Araber ift ein
Kapitalgaul — aber ein Temperament hat er, daß man
Angſt befommt, wenn man fic) auf fold ’nem Satan
in die Rennbahn denkt!”
„Slauben Sie, daß der Racer fic) gutwillig von
ung muftern lieg? — Der verträgt ja faum das An—
— 355 —
jehen — wird fchon kitzlich, wenn Flandern mit feinem
Scnurrbart in der Nähe vorübergeht !”
„Sa, er hat leider foloffal viel Muden ... ijt ein
rechter Blender!” nidte Proczna gelajjen, „aber mit der
Beit wird er gahm .. .”
„And Ihre Knochen gejchmeidig!! — Machen Sie
feine Schnafen, Proczna, und riskieren Sie nicht das
Genie auf jolhem Halsbrecher! Mein Gott, der Menjch
fann doch nicht vollfommen jein! Sie fingen wie Apoll,
warum wollen Sie dem Mars aud) nocd) an den Lor—
beeren rupjen! — Juckern Sie jpaßeshalber ein bißchen
mit una bier in der Bahn herum, aber lafjen Sie den
Araber aus dem Springgarten!”
, dante taujendmal für Bhre Fitrjorge, verchrteiter
Nittmeiiter.” Procgnas Blick ftreifte Xenia, welche das
Spigentuch aus der Brujttajde zog und es gegen die
Lippen hob, „Sie wijjen gar nicht, wie jelbjimörderijch
es mir zu Sinn ift, vielleicht lockt mich fold) kühner
Neitertod .. .”
„Reden © feine Matulatur, Befter! Kinner, if hab’
alle Manjchette vor dem Proczua fein Armfündergeficht!
De Kerl hat’3 fauftdie hinter de Ohre!” — —
„Ra zum Rudud, als Kürajjieroffizier wird er ja
reiten fönnen!” lachte Flandern mit taufend Fältchen
um die Augenwinfel, „und meiner Überzeugung nach ge=
wif} jo vortrefflich, daß ifn die paar Jahre ‚außer Übung‘
gewiß nicht lahm gelegt haben! — Beweiſen Ste e8 diejem
Ungläubigen, Berehrtejter, und probieren Sie mal Fhr Heil
23*
— 356 —
an meiner Fuchsitute! Wenn Sie die vom Flecke friegen,
ohne daß fie zuvor wie bejejjen mit allen vier Beinen
zugleich in die Luft geht, will ich Ihnen als Zeichen
meiner Hochachtung eine Ratte mit Trichinen eſſen!“
Hechelberg jtemmte die Arme in die Seiten und bog
jeine forpulente Gejtalt vor Lachen, Proczna aber jchlug
fihtlih) amüjiert in die Dargebotene Hand Flanderns ein
und fagte: „Ein Opfermut ijt des andern wert, befter
Kamerad — fahren Sie an mit Ihrer ſtörriſchen Schönen !”
Slandern gab der „Bahn du jour einen Wink. Heller:
Hüningen aber jchüttelte den hübjchen Kopf und legte
die Hand auf die Schulter des jungen Offiziers: „Machen
Sie fich feinen Kleds, Flandern!” flüfterte er lachend,
„Die Gouttes dor ſchmecken Ihnen ja noch am bitterjten
auf der Zunge!”
Eine Ordonnang führte die Stute in die Bahn; laut
lachend und debattierend umringten fie die Herren —
Hechelberg jah firjchrot aus vor Vergnügen, als er jie
mufterte.
„jo (08, Proczna! — Aufſitzen!“
Graf Dynar trat langjam näher, fein Blic flog
prüfend über den Kohlfuchs, nur einen Augenblid, dann
zucte e3 um jeine Lippen wie ein Gemijd) von Staunen,
Amüſement und Spott.
„Würden Sie unter Umjtänden bereit jein, das Pferd
jelber zu bejteigen, Herr von Flandern ?”
Momentane Stille. — „Natürlich! Neite es ja alle
Tage.”
meilter bin!” Janek
lachte leije auf und
legte die Hand an
den Sattel. „Ich
hätte nicht geglaubt,
daß ein derartig ge-
gurtetes Pferd bei
den Franz-Ulanen
überhaupt möglich jei, und nun jogar bei dem Leutnant von
Flandern, den man als einen der jchneidigjten rühmt, und
— 358 —
der fich dennoch ohne Sfrupel auf dieſes Jammerbild
jegen würde! Faktiſch, verehrtefter Kamerad, wenn Sie
mir die faljchen Nippen derartig zuſammenpreßten, wie
diejem Unglücsvieh, id) würde aud) mit allen vier Beinen
zugleich in die Luft jpringen, wenn ich fo viele hätte
nämlich! — Ein Pjerd mit Sattelzwang reitet felbjt
der Teufel nicht!”
Wicherndes Gelächter erhob ſich, Hechelberg fchlang
den Arm um den Sprecher, um vor Vergnügen wahrhaft
an jeine Brujt zu taumeln. „rap — Göttlicher ...
Menſch ... Darauf müſſen wir Schmollis trinfen, jo
ein Kapitalwig ijt ja überhaupt nocd) gar nicht daz
geweſen!!“
Und Heller-Hüningen lehnte ſich gegen die Wand
und krümmte ſich vor Freude. „Heiliges Donnerweiter
... Flandern und die Trichinenratte! ... Ich ſag's ja!
... Neinfall! Niederträchtiger Reinfall! ... Hat ge
glaubt, der Proczna kommt aus dem Mustopf! ...
Nehmen Sie ein Retourbillet, Flandern! ‚Mit unſrer
Lieb war's wieder nix!“ . .. Haha! Und die Gouttes
Wor haben ein Schweiterchen gefriegt!”
Wie ein Wirbelwind jchallte, Hallte und lärmte e3
im Kreije, Flanderns Geficht war jehr lang und nod)
farblojer denn jonjt geworden, aber er rejolvierte fic)
furg und machte gute Miene gum böjen Spiel.
„Auf diejen Wik reift Flandern nämlich!“ pruftete
Hechelberg, „hat auch ein parmal unverjchäntes Glüd
damit gehabt, und darum ...“
— 359 —
„Ja wohl! Glück gehabt! bei irgend einem Gonnz
tagsfer, der überhaupt faum einen Gaul von einem
Ziegenbock unterjcheiden kounte!“
„Flandern muß Reugeld zahlen! ... Auf nach Va—
lencia! Wir wollen darauf anſtoßen, daß Proczna vers
teufelt ſcharfe Augen hat!“
Prinz Reuſſek war von der Tribüne herabgekommen,
er reichte Janek die Hand und hieß ihn im Kreiſe der
Kameraden willkommen.
Kenia hatte ihren Goldfuchs mehr und mehr zur Seite
gedrängt, einen Augenblid hatte fie das Gefühl gehabt,
als griffe eine falte Hand nad) ihrem Herzen. Sie zudte
zufammen bei dem Gedanfen, daß „der Pole” fich bla-
mieren fünne. Nur das nicht! — Vor wenig Tagen
würde fie über feine Niederlage triumphiert haben, heute
hatte fie das Gefühl, al8 würde mit einer folchen ein
Bild der Vollfommenheit zerjtört, welches fid) langjam,
aber überwältigend vor ihrem geijtigen Auge aufgebaut
hatte. — Gott fei Dank, es blieb unverjehrt. — Xenias
Haupt hob fich ftolger auf den Echultern, wie Genug—
thuung blißte e8 in ihrem Auge. Sie wollte Janek zu=
winfen und ihm ein freundliches Wort jagen — er jal
aber nicht zu ihr Hin, er jchritt mit Reuſſek nach der
Tribüne, um die Damen zu begrüßen. Schon von weiten
fuchte fein Blic die Prajidentin Gärtner, fie wintte ihm
vertraulid) zu und er lächelte feinen Gegengrup.
Der Goldfuchs jchraf zujammen. Seine Herrin hatte
mit jähem Rud die Zügel angerifjen.
— 360 —
„Bir fteigen ab, Gräfin Dynar, wir fehen dem Reiten
von der Tribüne zu!” riefen die „Inseparables” mit Luft:
funfelnden Augen, „Proczna will mit dem Araber maz
nöprieren !”
„Summer los, bringt man eure Haut in Sicherheit,
ihr Hafefüß, ich bin mit von de Partie, wat fojt’
Europa!”
„Aber befte Hofftraten — man will ja auch über die
Vehhürden jpringen!” flüjterte Gräfin Ettisbach mit
angftvoll großen Augen. „Wollen Sie da auch mit?”
„Zonder Umftänd’, ich fang’ nicht jo leichte Feuer.”
„sn Gottes Namen! — Wir werden Sie, Waltiire,
bewundern — au revoir!”
„Alſo, Proczna, Sie wollen uns faktisch alles nach—
machen?” fragte Flandern mit glimmerndem Blick, als
der Adoptivjohn des Grafen Dynar auf dem Araber in
die Bahn ritt — „Ihr ‚Suffuff‘ ijt ja noch rein toll
von dem Eijenbahnfahren, die Canaille wird Sie bezahlt
machen |”
„Mehr wie den Hals brechen fann fie mir ja nicht!
„Proczna! Sehen Sie fic) mal den Graben an, ris—
fieren Sie’3 auf die Breite hin?”
Sane lächelte: „Aber ich bitte Sie, meine Herren,
auf die Breite fommt es dod) gar nicht an, höchitens
auf die Länge!”
„gamos!... brillant! ... Na ja, jehe jchon, Sie
find zu Haufe bei uns! — Eh bien — reiten wir durch!” .
Die beiden Thore des Reithaujes wurden geöffnet,
— 361 —
Die Herren nahmen die Runde durch den Springgarten
um das Gebäude herum.
Das war ein Bild!
Wie die wilde Jagd brauſte es heran, leicht, elegant,
ſchlank wie die Gemjen flogen die Roſſe durch die Bahn,
langgeftredt über Hürden, Mauer und Graben, mit
fnatternden Hufen fic) draußen parierend. Heller-Hiiningen
und Proczna jagten-bei der zweiten Runde zuerjt durd)
das Thor.
Wild aufbäumend, weiße Schaumfloden am Gebif,
die Nüftern weit gebläht, in zitternder Aufregung jchnaufte
der Araber vor dem Abjprung. — Proczna ftach ihn
an, und in hohem Bogen jaujte Juffuff in die Bahn
Hernieder.
bravo!” — Prinz Reuſſek, welcher das erſte Reiten
von der Tribüne beobachtete, neigte da3 .Haupt vor, als
traue er feinen Augen nicht, das Herz lachte ihm beim
Anblid eines jolchen Neiters, jelbjt wenn er nicht die
Ulanfa trug.
„Es iſt ja ein beraufchender Anblick, ftieß Frau
Leonie hochatmend durch die Zähne hervor, ihre Hand
prefte im Eifer den Arm Xenias wie ein Schraubjtod. —
„So muß St. Georg vom Berg herniedergebrauft jein,
die Gräfin Julia zu erretten! — So muß das mild:
weiße Roß des nordijchen Königsſohns wie ein Wetter:
jchauer dahin gejtürmt jein, jo muß Michael Scott, der
Geijterreiter, die Erde vor der Schwelle des Louvres
geitampft haben.”
— 362 —
„Ih bitte Sie um alles, meine Liebe, Sie find ja
ganz Ekſtaſe!“ fidherte Gräfin Kany, die Lorgnette von
den zujammtengefniffenen Augen fallen lafjend, „mas
jagen Cie denn zu Ihrem bewundernswerten Bruder,
ma petite? — — Gewiß ebenjo begeijtert wie die Eleine
Frau hier!”
„Bei mir mangelt die Überrajchung, welche ſtets die
Effekte vergrößert, Gräfin, ich wußte, daß Janef ein
meijterlicher Reiter ijt!’
„Unglaublich! — Proczna läßt die Stange drei Löcher
höher legen!”
„Er hebt unjre beiten Springer aus dem Sattel!”
„Ah, Reufjet! — Voila Reuſſek in der Bahn!“
Achtung! — Procgna ſpringt!!“
„Bravo! — Bravo! ... Cin Ealto mortalel! —
Beim Himmel, der Araber hat Flügel!“
„Reuſſek rettet die Ehre und folgt ihm! Hurra!
Hepp-hepp! . . . brillanter Sprung! Ich jag’s ja, Kinder,
‚Demetrius* läßt jich nicht lumpen! — Na, na, Hüningen?
... Rückwärts, rüchwärts, ftolzer Eid!!! — Wahrhaftig,
er risfiert’3! .. . jeine ‚Marceline‘ jchüttelt den Ropf!!
— Moc) einmal angeltochen ... Ho! Hepp, Hepp! —
Hurra! unjer beauty-patch hat's fertig gebracht! — —
Nun aber en avant, messieurs, losgehen! — ’3 wird
Ehrenſache! — Haha! ich glaube wahrhaftig, die Hof-
ftraten will ihre ‚Nudel‘ auch drüberhin ängftigen! Um
Gottes willen der Fettfleck, wenn die beiden fich über:
ihlagen! — Aha — jie Hat jelber ein Einjehen! —
— 363 —
Gott bewahre — fie jpringt, fie jpringt!! — Hahaha!
— abgefragt! — Iſt ja viel zu hoch, Frau Rittmeijter
. drunter durchkriechen!” Frau von Hofitraten machte
der Tribüne eine Faujt und zog ihrem dicken Apfel
ſchimmel eins über.
„Bahn frei! — Pechhürden aufftellen!! ...“
Die Neiter zogen fic) auf den freien Play vor der
Tribüne zurüd, eine jehr lebhafte und laute Unterhaltung
entwickelte fic).
„Ra, Procgna, bis jegt Haben Sie mit den Franz:
Ulanen Schritt gehalten!” lachte Hechelberg, den Ge:
nannten ſchmunzelnd auf den Rücken flopjend, „ſpüren's
wohl auc) in den Knochen, he?’
„Ein kleines Weilchen Halte ich's am Ende noch
aus — —“
„Schwerendter Siel Wie er fich verftellen fann!
Soviel haben wir nun gemerkt, alter Freund, daß Sie
auch ohne Leim im Sattel figen! Aber damit gibt fich
Reuſſeks wilde, verwegene Jagd nod) lange nicht gu-
jrieden! Gefen Cie mal die Pechhiirden da! Na, wie
ſteht's? — Haben Sie auch dagu Courage?’
„Mut zeiget auch der Mameluck!“
„And Ihr Araber? Was jagt der dazu ?”
„Das ift doch wohl gleichgültig! Bis jeßt habe ich
meine Säule nod) niemalS um ihre Anficht befragt!”
„Na, dann (08! — Sehen Sie fi) die Cache aber
lieber zuerjt mal an — e3 gehört dod) ein ganz ſchnei⸗
diger Geſchmack dazu!”
— 364 —
Qu der Mitte des Springgartens waren anjtatt der
gewöhnlichen Reijerhiirden zwei eijerne Krippen aufgejtellt
worden, welche mit pechgetränftem Werg angefüllt waren.
Die Ordonnangen jtedten fie in Brand, blutigrot auf-
qualmend und Enijternd fdjlugen die Flammen empor.
„Borwärts! Bitte anreiten, meine Herren!” komman—
dierte Neufjek; die Pferde, beim Anblick des Feuers wild
auffchnaubend, ftürmten durch die Bahnthür, um das
Gebäude herum, um durch die entgegengejegte Thür an—
jprengend in hohen, gewaltigen Säßen durch die glühende
Lohe zu faujen.
Ein fchauerlich-jchönes, großartiges Echaufpiel, wohl
einzig in jeiner Art — das Paradeftiiclein der Franz:
Ulanen.
Proczna hatte ruhig beijeite gehalten und mit lautem
Beifallsruf die außerordentliche Leiftung anerkannt.
„Ma, wie fteht’s — Folgen Sie?” rief Reuſſek, nebjt
etlichen der Herren am Ende der Bahn parierend.
„Selbjtverjtändlich, Herr Oberjt, ein Gardefüraffier
liebt e3 nicht, die Wand zu dekorieren!”
Atemloje Stille auf der Tribüne.
Proczna fprengt an... wild aufbäumend jchrict der
Araber vor den Flammen zurück, ferzengerade fteigend
... Proczna forciert ihn — und in gewaltiger Langade,
durch die grelle Beleuchtung wie in Blut getaucht, jaujen
Rog und Reiter durch Qualm und Funken. Haltlos
weiter raft Proczna, zum zweitenmal Die Krippe zu
nehmen.
— 366 —
Bon eiferner Hand gezwungen, fpringt Juſſuff ohne
den mindeften Widerjtand.
„Die Hofitraten! — Sollte man’s für möglich halten!”
Shr Mann hält gelafjen zur Ceite, ftreicht feinen
ſchwarzen Vollbart und jieht ihr lächelnd zu.
Mit viel Phlegma entledigt fich der Apfelſchimmel
feiner Aufgabe, er findet die Bumuthung zwar ftarf,
aber er jpringt. Allerdings viel zu niedrig! — Laut
aufjchnaubend fommt er durch die Flammen, fein Bauch:
fell ift gejengelt, und das Neitkleid feiner Herrin ift durch
das Pech gewifcht und brennt am Saum.
Hechelberg und Hüningen fallen ihr in die Zügel,
fchnell wie der Gedanke befindet fich die Frau Nittmeifter
auf der Erde, um fie her hantieren Offiziere und Or-
donnanzen, um das brennende Seid mit Lohe zuzu—
fchaufeln.
Gelafjen zur Seite jteht der Gemahl. „Man ficht,
die Begeifterung allein thut’8 nicht!” fagte er in feiner
lafonijch-humoriftifchen Weife.
„Ra, Kinner, buddelt mich man nicht gar zu Dice
ein, jonit fann ja die böje Welt behaupten, ich hätte
ichon drei Tage lang in der Erde gelegen!” lacht das
jchneidige Holland in ungetrübter Laune, „legt man
better mei'm verflixten Schaufelgaul een Butterlappen
auf — he ijt gejengelt wie een Gofebraten.”
Das kleine Intermezzo ftörte feineswegs, die Herren
Elopften fic) die Handſchuhe ab und ftiegen wieder auf,
In begeifterter Anerkennung umringten fie Proczna.
— 367 —
„Guten Morgen, Couleur!” rief Heller Hüningen mit
herzhaftem Händedrud, „die Gardefüraffiere ziehen mit
den Franz-Ulanen an einem Etrid, und wenn jemals
unjere Lange abgeprallt ijt, fo war's an dem Küraß
und dem Adler!
„Vive bonne chance, Proczna! Weiß das Donner:
wetter, wie Cie uns auf die Haden getreten haben!
Wir haben Sie zu einem Hazard invitiert und Cie haben
die Partie glänzend gewonnen!”
, dann wäre es wohl an der Beit, den Herren
Revanche zu geben?” lachelte Janet voll liebenswürdigen
Humors.
„Revanche? — Zum Teufel noch eins, inwiefern?”
„Run — indem id) meinen verehrten Kameraden
Gelegenheit gebe, die Lange noch hoch über den Adler
hinaus zu werfen und ebenjall eine Partie zu ge-
winnen!”
„Sie treffen den Punkt, wo wir fterblich find, mijden
Gie die Karten! L’honneur ift Trumpf!”
Außerordentliche Spannung malte fich auf allen Ge-
fichtern, e8 herrjchte tiefe Stille, nur Frau von Hofitraten,
welcher der Loheftaub in die Naſe geftiegen war, niejte
ein paarmal mit der volltönenden Energie eines Wacht:
meiſters.
Proczna hob den Kopf, ſeine dunklen Augen blitzten
ein Gemiſch von Humor und Herausforderung.
„Bis jest bin ich ohne Murren jeglichem Beifpiel
der Herren gefolgt, wie wäre e8 nun, wenn wir mal den
— 368 —
Spieß umdrehen und ich die Tete nehme? Reiten Sie
mir nach?”
Prinz Reuſſek horchte hoch auf. „Das bedarf feiner
Verjicherung, Verehrtejter!” entgegnete er hajtig, und aus
der Neihe der jungen Offiziere ertönte ein übermütiges
„Selbitverjtändlich! En avant! Losjchiegen, Broczna, aber
ein bißchen plöglich !”
Lächelnd ließ Janek die Bügel fallen, nahm fie empor
und ſchlug fie über.
„Ich denfe, wir reiten famtlid) glatten engliiden
Sattel, meine Herren, eh bien, lajjen Sie uns das Pro—
gramm von vorhin einmal ohne Bügel wiederholen !“
Sefundenlang war e8, alö habe der Blit vor dem
Reitertrupp eingejchlagen; mit großen, runden Augen, in
welchen fic) ein maßlojes Staunen malte, jtrecte Hechel:
berg den Kopf vor. „Sagen Sie mal, alter Schwede,
ijt Das Ernſt oder Scherz?” fragte er gedehnt.
„Klaſſiſcher Ernft, junges Deutjchland. Reiten wir 2”
„Das will ich meinen!“ — Prinz Neufjek lachte friſch
auf. „Vorwärts, Franzer! Wir bleiben feine Revanche
ſchuldig!“
„Hurra! hepp, hepp!“ jubelte Heller-Hüningen, die
Bügel haftig emporſchlagend. „Der Knabe Karl fängt
an, mir fürchterlich zu werden! Reitet jeinen Schaber:
nad in Grund und Boden, meine Herren!”
Wohl oder übel — hier hieß e3 mitgegangen, mitge-
bangen, mochte der Dice Hechelberg noch jo gewaltig
feuchen, al3 er fid) nad) den Bügeln bückte.
— 369 —
„Ein verfluchter Kerl! Gibt uns bei Gott nod
Nätjel auf!” lachte er im tiefften Bag, wandte fich zu
feiner Freundin Hofitraten und ſagte mit jchiefem Ge:
fidt: „Ra,
jchneidiges
Holland, wie
wins? —
Bleiben Sie
lieber gu Fuß;
wenn wir beide
uns ein Renz
Degvous im
Graben geben,
Hat fein an:
derer weiter
Pla drin!”
Die Frau
Rittmeiſter
antwortete
mit der Reit⸗
peitjche,
ſchwenkte furz
ab und fteuerte
nach der Tri⸗
büne, um „aus de Vogelperſpektiv de olle Kalfakter
Hechelberg an der Lohe rieche zu ſehen!“
Mit ſeltener Gewandtheit, Sicherheit und Schneid
wurde geritten. — Wohl perlte es vor Aufregung von
N. v. Eſch ſtruth, I. Rom. u. Nov., Polniſch Blut II. 24
— 370 —
mancher Stirn, aber das Renommee der Franz-Ulanen
war nicht auf Geijenblajen erbaut und das Bonmot:
„Reuſſeks wilde, verwegene Jagd” fein leerer Wahn.
Der Adler flog voran und die Lanzen jaujten flott
hinter ihm Her, ihre Fahnlein fiegreich neben iin aufzu—
pflanzen.
Wahrhafte Begeijterung bemächtigte jid) der Herren,
der Janusfopf des Amüjements hatte fic) gedreht und
wies anjtatt de3 übermütig lachenden Geſichts eine ernjte
Miene, mit ehrgeizig bligendem Wuge auf.
Nücdhaltloje Anerkennung behauptete das Feld. Die
Dampjent cn Rofje drängten fich vor der Tribüne zuſammen.
Pring Reuſſek jehüttelte ſeinem Gajt voll warmer Herze
lichfeit die Hand, und die Damen verliehen ihrer Be—
wunderung die beredtejten Worte.
„Famoſe Leijtung, Proczna!“ Hechelberg fuhr mit
dem Tajchentuch über das feijte, rotglühende Geficht.
„Ihr Schimmelchen jpringt wie Gummi und ijt flinf.wie
ein geölter Bliß, das muß ihın der Neid lajfen! Haben's
wohl aus ‘nem Girfus, daß e3 auf alle Wige jo nett
eingeht 2
„Allerdings, Herr Rittmeifter! Juſſuff ijt für den
Cirfus zugeritten und Hat auch jchon in demjelben vers
ichiedene Lorbeeren geerntet |”
„Unglaublich! — Fabelhaft! — Erzählen Sie! Aus
welcher Manege ftammt er? . . .”
Wie eleftrijiert ſchoben fic) die Köpfe zuſammen, rüdte
es auf der Tribüne näher Hhergu.
— 371 —
„Befürchten Sie nichts, meine Damen!“ Janet ladjte
faft übermütig auf. ,,Der brave Renner ift trogdem
durchaus courfähig, denn die Reitpeijche, nach welcher
er zuerjt jeinen jtolzen Naden beugen lernte, trug eine
Kaijerfrone auf dem Knopf.“
„Aha! in Paris! — Wir ahnen bereits! Bliß und
Knall, berichten Sie ung, Proczna !”
Sanef flopjte liebfojend den Hal jeines Pferdes.
„Sp viel ich weiß, meine Herrjchaften, haben auch die
deutſchen Zeitungen ihre Spalten mit Berichten über die
pifante und neuefte Caprice der Barijer - Hofgejellichaft
gefüllt, welche fic) damit amüjierte, einen Cirfus ins
eben zu rufen, dejjen Künjtler jich aus der Arijtofratie
refrutierten. Gelbjtverftdndlich mit vollfommenem Aus—
ſchluß der Deffentlichfeit. Ich Habe nie eine reizendere
Exjdeinung am Trapez gejehen, als die Comteſſe de
Belleboeuf, nie eine gragivjere Leiftung auf dem Draht:
jeil alg die der Marquije von Rouget; die Herzogin von
O. jonglierte mit jilbernen Kugeln und Madame de Taffe
ritt eine Schule, welche ihresgleichen jucht, während der
Herzog von Larochjoucauld der bejte Clown und Herzog
von Morny die entzüdendite ‚Balletteufe: war, welche ich
je bewunderte!“
„Köſtlich! — Grogartig! — Unglaublich genial! Und
die anderen Herren, was leijteten die?”
Procgna zuckte mit feinem Lächeln die Achjeln. “ales,
was man gewohnt ijt, im Cirfus zu jehen. Pring C.
paradierte mit einem Apportierpferd, die beiden Grafen
24*
— 372 —
von Dumont fprangen über vierzehn Pferde und der
Herzog von Valence. . .”
„Was that Procgna? — Das wollen wir wifjen!”
„Janek Brocgna? — Der präfentierte fic) mit feinen
großartigen Evolutionen auf ungejatteltem Pferde, meine
Damen !”
„Hüningen! Halten Sie mid! Ich falle um!” jchrie
Hechelberg mit Stentorjtimme durch den Tumult, welcher
fi erhob, Donat aber war jchier auger fic) vor Ver:
gniigen, ſchlug die Hände gujammen und lachte jo laut
und fo herzlich, wie er eben nur fonnte.
„Anbezahlbar! — Himmlijh! Lappt uns der Duck—
mäufer bei Gott zum zweitenmal rein! Da reiten wir
un zwei Stunden lang die Lunge aus dem Leibe, um
dem Herrn heillo8 zu imponieren, jtedten mit rieſigem
Selbjtbewußtfein ein Schwefelhölzchen in Brand — und
wie der liebe Gott den Schaden bejieht — pufft er uns
“mit einem ganzen Feuerwerk unter der Naſe und teilt am
Schluffe mit, daß er in feinen Mußeitunden Cirfusvor-
ftellungen auf ungejatteltem Pferde gibt! Hahahaha!
Bleiben Sie bededt, Herr Geheimrat!! ch jchlage vor,
meine Herren, wir gehen ganz jtil und ganz flein nach
Haufe! Ungeheure Heiterkeit ijt meines Lebens Regel!”
— — Die Reitbahn hatte wohl nocd) nie eine animiertere
Geſellſchaft gejehen!
„Sit fein Lorbeerfrang zur Stelle!? Proczna muß
deforiert werden!” rief Frau Leonie mit leuchtenden
Augen. — Mon Dieu, wenn id) Ihre Schneeglöcdchen
— 373 —
an der Bruft trüge, Gräfin, id) wüßte fie zu ver-
wenden |”
„er jagt Ihnen denn, Ercellenz, daß ich es nicht
weiß?” — Xenia löfte den fleinen Strauß von der Bruft
und blidte zu Ianef auf, wohl niemals zuvor hatte jo
viel Leben, jo viel Erregung das reizende Antlitz bejeelt.
„pen einzigen Orden, welchen ich zu vergeben Habe,
Janek!” lächelte fie. „Ich möchte Ihr Verdienft an die
große Glode hängen!”
Proczna 30g die Hand, welche ihm die Blumen ent:
gegenbot, chevaleresf an die Lippen.
„Hoffentlich läuten mir dieje ‚großen Schneegloden
ihrer Bejtimmung gemäß fein Lied von Eis, Kälte und
Winterlichfeit”, jagte er jcherzend, die Blüten im Knopf—
Loch bejeftigend, und dabei traf fein Blid Frau Leonie.
„Soviel id) weiß, verfünden fie den Frühling.” —
Xenia jagte eS furz, ein Schatten flog über ihr Antlig.
„Wenn wir Blumen pflüden, mögen fie noch jo bleich
und fühl jein, liegt wohl der bitterjte und längfte Teil
des Winters hinter ung!“
„Sn diejer Bedeutung wird mir Ihre Deforation
ein Kleinod ſein, Xenia, welches mir die liebliche Ver—
heißung birgt, daß auch im hohen Norden das Hoffnungs-
grün endlid) Cis und Schnee überwuchert !’
Er verneigte fich bei diefen Worten gwar vor der
Gräfin Dynar, aber wieder zucdte fein Blick wie ein
Funken zu Leonie hinüber, heiß und verjtändnisinnig.
Xenia wandte fic) ab.
‘
— —
„Sie kommen alſo heute nachmittag, Proczna?“
„Tot oder lebendig, Excellenz.“ Er neigte ſich näher.
„Da harret meiner die Holde, ich fliege in ihren Arm!“
ſang er leiſe, mit kühnem Blick in ihr Auge.
„Und iſt es Ihnen kein Opfer? Ich ſinge ſehr
ſtümperhaft, wollen Sie mit mir Geduld haben? Hand
aufs Herz!“
Er hatte ihr den
kleinen Muff wegge-
nommen, jetzt hob er
ihn und drückte ihn
beteuernd gegen die
Bruſt. „Endloſe Ge—
duld!! . ..“
Die Schneeglöckchen
waren geknickt und rie⸗
ſelten zur Erde hinab,
um unter den Prerde-
hufen zu flerben —
Proczna bemerkte es
gar nicht.
Xenia fah es. — Es braufte und faufte plößlich vor
ihren Ohren, fie ftarrte auf die weißen Floden nieder
und atmete fchwer auf. Es jchien ihr, als wanbdelten
fich die Schneeglöckchen in rofige Apfelblüten, juft in
diejelben, welche fie vor Jahren von Janets Lieblings:
bäumchen jchlug, um fie in blindem Haffe unter die Füße
gu treten. Eifige Luft wehte duch die Tribünenthür;
= $7 =
Gräfin Dynar erhob fic) faftsbriist und befahl ihren
Wagen. Donat jagte ihr ein verbindliches Lebewohl, fie
nickte ihm zerjtreut zu und neigte das ſchöne Haupt nad)
allen Seiten — über Janef Proczna jchweifte ihr Blic
hinweg.
— BIT se
Der gute Onfel war wirklich gar nicht neugierig, aber
fo manches wollte er doch jchredlich gern wifjen, und
darum 30g er jeinen „Goldjungen“ voll nervöjen Cifers
neben fic) auf einen Diwan und dofumentierte fich als
Diplomat.
„Wer liebt wen?!”
Frau Leonie ift gar nicht gut accreditiert bei ihm.
Der elegante, jo gang und gar mit Glacshandfchuhen
und Laditiefeln verwachjene Kammerherr läßt ſich fogar
zu Ausdrüden hinreißen, welche in ihrer fernigen Unum-
wundenheit jeden Unteroffizier entzüdt haben würden.
— Gr erzählt, daß die jchöne Excellenz als Mädchen
in den dürftigſten DVerhältnifjen gelebt und juft im
Begriff geftanden Habe, eine Stelle als Gejellichafterin
anzunehmen, al8 fie in Karlsbad, wohin fie eine Franke
und reiche Freundin begleitet, die Bekanntſchaft Gartners
gemacht habe. — Ganz Karlsbad wifje, wie verzweifelt
fie fic) um den alten Herrn bemüht, und mit wie viel
Raffinement fie ihn umjtridt habe — — und jet? — .
Armer, alter Narr, der fich jelber zum überflüffigften
Schatten im eigenen Haufe gemacht. Janek jcheint jehr
intereffiert: er forjcht auch über das eigentümliche Freund»
ichaftsverhältnis, welches zwijchen der Pringeffin und
Excelleng Gärtner beiteht.
Da ift Onkel Drach im rechten Fahrwaffer. „Das
Weib ift eine Schlange! — eine Seelenfängerin!” alteriert
er fic), „Gott mag wiljen, durch welche Rante fie Anna
Regina jo völlig unter den Daumen gezwungen hat!” —
— 378 —
Sie ift die Allmächtige bei Hofe, und durch diefe un-
glaublich geficherte Etellung zwiebelt fie die ganze Ge-
ſellſchaft! — Glaube mir, Janek, wenn die Gartner nicht
wäre, jähe e8 gewaltig anders hier aus! Die Negiments-
damen find faft durchweg recht liebenswürdige, harmloſe
Wefen, durd) ihre jchneidigen Männer vielleicht etwas
mehr al3 nötig für Sport intereffiert, und durch den ab-
gefchloffenen Verkehr mit flotten, wenig prüden Raz
valleriften in Manieren hineingedrängt, welche ein un:
befangenes Publifum verblüffen müfjen. Eine Frau, die
im Pjerdeftall ebenjo zu Haufe ijt wie im Salon, fann
und wird niemals die Allüren einer Frau Stiftsoberin
annehmen. — Qn der ganzen Stadt ffanbdalifiert man
über das Benchmen der Ulanen und der intimeren Hof-
gejellichaft; der Ton, welder eingeriffen ift, ärgert die
Menschen, weil fie ihn nur in miflautenden Bruchftüden
zu hören befommen. Hütten die Leute aus dem Bürger:
freife und die am meiften räjonnierenden Artilleriften und
Snfanterilten Gelegenheit, unfere Damen wirklich fennen
zu lernen, fie würden ein vollitändig anderes Urteil be-
kommen. Aber wie foll das fommen? — Excellenz
Gärtner hat eine chinefiiche Mauer um das Häuflein
ihrer Getreuen gebaut und jeden Verkehr abgefdhnitten!
Aus Nache, denn wie man jagt, hat es der Rommandeur
de3 Jnfanterieregiments einmal gewagt, fie moralifd
auf den Fuß zu treten, und zur Nevanche brechen
ihm ihre weißen Händchen bas Genid. Jegliche Oppo-
fition der Ulanen gegen die Infanteriften geht von Frau
— 379 —
Leonie anus Durch ihren Einfluß auf die Pringeffin hat
fie auch jämtliche andere Damen volljtändig in der Hand,
und durch die Frau fommandiert fie den Mann. — Id)
verfichere Dir, Janet, das Weib ift ein Satan!”
Herr von Drach fuhr higig mit dem Tajchentuch über
die Stirn, er hatte fich in große Aufregung gejprochen,
und dod) jah man es ihm an, welche Wohlthat ed für
ihn war, einmal die Geele frei zu reden!
Proczna blickte, fajt mechaniſch vor fic) hinnidend,
auf das türfifche Mufter des Teppich® nicder, plößlich
hob er den Kopf.
„Sch bin dir aufrichtig dankbar für diefe Mitteilungen,
lieber Onkel, du ahnſt
gar nicht, von wie
großen Interefje die:
jelben für mid) waren.
Eine Frage noch,
Berehrteiter — exi—
ft.ert — oder hatein:
mal in diefer Etudt
ein männliches Wejen
exiftiert, welches ,Car-
los‘ hie oder ge:
nannt wurde?”
Der Kammerherr
ftarrte einen Augens
blick geradeaus ing
Leere. — „Carlos?
— 380 —
... Carlos .. .? — Nein, einen Carlos fenn ich nicht! —
gibt’3 hier nicht, auch nicht mal im Epignamen! Kenne fie
ja jämtlich im Regiment — ‚Raubritter — der verlorene
Sohn... Paprifa ... — Schneid” — Beauty-patch . . .‘
— nein, einen Carlos gibt’3 nicht — verlaß dich drauf, id)
wüßte e3 ganz genau! — Habe ja jonjt nichts zu thun!“
und Onfel Drach rüdte eifrig näher und legte die Hand auf
Janeks Schulter. „Warum willjt du denn das wiffen, mein
Sungden? Wer hat von einem Carlos gefprodjen? —
Wo.... wie... wann... liebt man ifn? — Ah —
ich fombiniere ... Andeutungen ... Nederei unter den
Damen... ab, das werden wir jehr bald heraus haben!
— Nah dem nächjften Diner bei Tarenberg anhorchen
... die Frau erzählt ihm alles — und er ift ein Riejen-
klatſchmaul ... habe das Langit weg — längjt —“
Proczna war plößlich jehr nachdenklich geworden, eine
Falte grub fich zwijchen feine Augenbrauen. „Aljo ein
fremdes Element ...“ murmelte er, „eh bien... rau
Leonie jelber muß mich auf die Fährte bringen.”
Die Thür wurde ungeftiim aufgejtoßen, mit lautem
Zubel flog Bicy den beiden Herren entgegen.
„Du bit bier, Janet?! — Schon eine Vierteljtunde
lang, und ich erfahre das nicht? D, e8 ijt empörend —
geradezu beleidigend! Der Auguſt fann fid) noch immer
nicht daran gewöhnen, daß die Viſiten jegt auch mir
gemeldet werden! — ch bin doch eine erwachjene Dame,
und der Ejel thut immer nod), al wäre id) ein Rind!”
„Den Mann muß jojort gefündigt werden, Onkel!“
— 331 —
— Proczna hielt Bickys beide Hände und war geradezu
entrüjtet, der Rammerherr aber trat ftarr vor Staunen
neben feine Tochter und fragte mit gedämpfter Stimme:
„Aber Biddy ... nennſt du den hier etwa aud) ‚duf,
wenn ihr allein jeid 2“
Sanef lachte hell auf, Beatrice aber warf das Köpf-
chen trogig zurüd und machte ein jehr decidiertes Geficht.
— „O Gott bewahre, Papa, nicht nur, wenn wir allein
find — ftet3 und jtändig nenne ich ihn ‚du‘, und wenn
ihr euch alle auf den Kopf ftellt! — Janek hat e8 mir
allerdings verboten, und darum habe ich ihn bis jeßt
in Gefelljdhaft gar nicht genannt, aber wenn e3 nicht
anders zu machen ijt, und ich ihn anreden muß, dann
fage ich auch ‚du‘ — erjt recht ‚du‘! Und meinetwegen
felbjt dann, wenn die Xenia daneben fteht! Die hat mir
abjolut nicht3 mehr zu verbieten, ich bin jet gerade jo
gut eine Dame wie fie!”
Ganz begeiftert jchloß Herr von Drach feinen fühnen
Badfich in die Arme. — „Du bijt ein Bligmädel, Bidy!
— Weiß der Kudud, wo du die Courage her haft!”
„a3 haft du denn für blaue Flecken auf dem Kleid 2!”
„Blaue Fleden?” — Das kleine Fräulein jah flüchtig
an fich herab. „Tinte! — Konftantin hat gemanjcht
und dann gewiß feine Hände an mir abgetrodnet, wäh-
rend id) jchrieb, das thut er meiſtens!“
„Sn der Kinderjtube haft du gejchrieben ?”
Mit eifrigem Blinzeln nickte Beatrice dem Frager zu
und hob fic) auf den Zußipigen zu feinem Ohr empor:
— 382 —
„Ich habe dem Stangy zu feinem Redjt verholfen —
aber der Papa darf's noch nicht wiſſen!“
„Bomben und Granaten! — Teuerfter Ontel, betrachte
dir, bitte, einmal die Albums, deine Tochter will mir
ein Geheimnis anvertrauen! — Giehjt du, er hat fich
herumgedreht ... nun ſchnell erzählt!” —
Bicky machte ein jehr wichtiges Geficht und hielt die
Hand an den Mund. „Du weißt doch, dak Stanzy
abjolut Matroje werden und um die Welt reifen will?
— Na fichjt du, das wollen ifin nun die Eltern nicht
erlauben und jagen: ‚er wäre ein Dummer Junge, das
Wafjer hätte feine Balken, und wenn er verunglückte,
würden fie jich zeitlebens Vorwürfe machen.‘ — Kon—
ftantin war außer jich darüber und wußte jich gar feinen
Rat, bis ich ihm Heute zu Hilfe fam. Wir haben näme
lich einen großen Zettel gejchrieben — das heift, ich
fchrieb, denn Stanzy fann ja noch nicht ordentlich mit
Tinte! — aljo einen Zettel, und darauf fteht folgendes:
‚Sch, Konftantin, Freiherr von Drach und Sulsberg, er-
ertläre hiernit, daß, falls das Schiff untergeht, auf
welchem ich fahre, meine Eltern nicht daran jchuld find!‘
— — ft das nicht brillant? Nun find fie doch jede Ver:
antwortung [08 und fönnen den Bengel ruhig fortlafjen !”
Im Hintergrund prujtete eB laut vor Lachen.
Janek aber jagte jehr ernjthajt: ,,Gropartige Idee!
$d bin außerordentlich überrajcht! — Wenn du derartig
mit Hilfeleiftung um dich wirfjt, könnteſt du mir eigent:
lich auch einen Gefallen thun! Willjt du?”
— 383 —
„Dir einen Gefallen?” — Bicky jubelte laut auf:
„Sechſe fiir einen! Für dich gehe ich durchs Feuer,
Sanef, denn dir verdanfe ich ja all mein Glück! Sogar
meine neue Frifur, denn ich weiß wohl, daß du daran
ſchuld bift, daß Mama mich jet gerade fo frifieren läßt
wie fich felber.”
„Alſo bijt du bereit? — Sdarmant! Komm jchnell
hierher und jeße dich an meine Seite, die Sache ift felr
ernjthaft und wichtig und muß fiir ewige Zeiten ein tiefes
Geheimnis zwijchen uns bleiben!”
„Ad ein Geheimnis für ewige Zeiten! Das habe
ich mir ja fdjon fo furchtbar lange gewünſcht!“ und mit
glühenden Wangen und jchwärmerifchem Blick fete fich
das Badfijchchen auflaufchend neben Proczna nieder und
faltete die Hände über den Tintenkleckſen.
„Du weißt, daß ich morgen abend bei Hofe fingen
werde?”
Bicky nicte eifrig.
„rau Leutnant Gower wird mich begleiten und
brillant jpielen — wenn fie aufiteht, flatjdjt du laut in
die Hände — Dir nimmt man das nicht übel — und
gehjt zu ihr hin und jagft ihr, du jeijt ganz entzückt von
ihrem Spiel .. .“
„Aber Janek ... die Gower? — Cycelleng Gärtner
jagte ja zu den Damen...“ -
„Hat Exeellenz dir verboten, mit Frau Gower
zu reden ?“
„Rein!
— 384 —
„Run aljo! Dann thue e8 mir zuliebe, ich bitte
did) darum! Und weiter: du mußt Donat ebenfalls
aufitacheln, zu ihr hinzugehen.”
„Donat? — fällt ihm ja gar nicht ein!“
„Die Bitte einer Dame muß für ihn Befehl fein;
wenn er dir nicht gehorcht, behandelt er did) eben nod
wie ein Kind, und das darfit du dir nicht gefallen lafjen,
du mußt energijd) werden, mußt jagen: Entweder zeigen
Sie mir jekt, daß Sie Courage haben, oder .. .”
Bickys Augen bligten: „Dder —! ...?“
, Oder id) rede in meinem ganzen Leben fein Wort
mehr mit Jhnen! .. .”
yom ganzen eben...” wahrhaft entjegt ftarrten
ihn die großen Augen an, „aber Janef, das wäre ja
gräßlich! — Ich mache mir zwar abjolut nichts aus dem
Donat — ic Haffe den Menjchen und finde ihn in
hohem Grade gleichgültig... aber mein ganzes Leben
lang nicht mehr mit ihm fprechen? ... Nein, das fann
id) nicht... ich würde fterben ... ih... void...
Könnte id) nicht befjer jagen: ‚Entweder Sie gehen hin
oder ich jpreche heute abend nur das Nötigfte mit
Ihnen 2°”
„Macht gar feinen Eindrud. Der Donat muß unter
aller Kritif behandelt werden, wenn er eine Dame ver-
ehren foll! Du fiehjt eg ja bei Xenia! Je fchroffer und
unhöflicher fie zu ihm ijt, defto mehr macht er ihr die
Cour, les extrémes se touchent! Allerdings würde das
ja jehr peinlich für dich fein, wenn er plößlich umfattelte
— 38 —
und dich anbetete . . . du hafjeft ja den Menfchen und
magft ihn abjolut nicht leiden ...“
wo... bitte... ich fann mich außerordentlich be-
herrſchen ... und dir zuliebe brächte ich vielleicht das
Opfer, mid) von ihm verehren zu laffen...” und plig-
lich vollfommen aus der Rolle fallend, mit unverfenn-
barem Jubel in Blid und Stimme, fate fie Janeks
Hand: „Wirklih, Janet... glaubſt du wirklich, daß
er mir dann die Cour machen würde? O, e8 wäre ja
himmliſch! — Das heißt... . ich meine, e3 wäre himmlijd,
wenn er zur Gower ginge! OD, ich will ihn jchauderhaft
behandeln — ich fage .. .” — Bidy richtete fic) ſtramm
empor und machte ein martialifches Geficht — „Mein
Herr! Frau Gower hat großartig gejpielt, gehen Sie
hin und jagen Sie ihr ba8, denn wenn Gie e3 nicht
thun, halte id) Sie für einen Feigling, und das wird
Sie im Mund einer Dame franfen!‘ Und wenn er fich
hierauf noch weigern jollte, erkläre ich ihm rundweg: er
fönne nicht reiten und vertrüg’ feine zwei Glajer Wein!
— Frau von Hofitraten hat gejagt: ‚Etwas Nieder:
trächtigered, al8 das, finne man einem jungen Offigier
gar nicht anthun!‘”
„Am Gottes willen, fet vorfichtig, Bidy ... er thut
fonft vor allen Leuten einen Fußfall! .. .”
Beatrice lächelte geradezu graufam. „Das wäre ihm
recht! — Vor allen Leuten? ... Nun, fo fchlimm will
ich’8 nicht machen und es ihm lieber in einem Neben-
zimmer fagen, der Poefie wegen, weißt du! ... Denn
N. v. Eſchſtruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II. 25
— 386 —
alle Sniefalle, von welden ich bid jebt gelejen
habe...”
Die Kleine verftummte erfchroden, Frau von Drad)
trat rofig und lächelnd wie der junge Morgen durd)
die Portiere und ftredte „dem lieben Neffen“ beide Hände
zum Gruß entgegen.
„xenia läßt fic) entjchuldigen, fie Elagt über leichten
Kopfichmerz ... Gang plöglih ... Ich glaube aber,
daß fie über irgend etwas verftimmt ijt, Denn derartig
erregt und nervös wie heute habe ich fie im ganzen Leben
noch nicht gejehen! — Lafjen wir fie! Golde Stim
mungen müfjen austoben!’
Janek zudte mit höflichem Bedauern die Achjeln, „Ja,
e3 muß austoben!“ wiederholte er mit gedämpfter Stimme,
„and Ruhe und Einjamfeit find für derartige Leiden die
befte Arznei!”
Plöglich wechjelte er jedoch das Thema, indcin er die
fleine Hand der Kammerherrin abermals an die Lippen
30g und fein außergewöhnlich frühes Erjcheinen mit viel
liebenswürdigen und jchmeichelhaften Worten entjchuls
Digte.
„Sie wiffen, meine gnädigfte Tante, wie außerordent-
lich wertvoll mir Ihr Urteil ijt, und wie danfbar id
Ihnen für einen jeden guten Rat bin! — ch werde
morgen abend im Schloß fingen und habe mir jo uns
gefähr mein Programm zurechtgelegt, aber du lieber Gott!
wer fennt den Gejchmad dieſes jtürmifchen und eifigen
Nordens! Darf id) Ihnen die Lieder einmal vorfingen,
— 387 —
verehrtejte Tante? Viclleidht billigen Sie meine Wahl
nicht ganz und jchlagen mir Änderungen vor!”
Frau von Drach war entzüdt und erhob fich mit einer
Lebhaftigfeit, um an den Flügel zu treten und ihre Noten
beifeite zu werfen, daß der Kammerherr Janek jchinungelnd
zunidte: ,,Gott fei Dank, wieder ganz die alte! Gie
giebt ’8 Kopieren auf!!”
Proczna dankte für Beleuchtung. „Ich liebe die
Taften mehr im Dämmerlicht!” lächelte er, „dann fiebt
man die Fehlgriffe nicht fo jehr!”
Eine kurze Beit präludierte er — dann wandte er
plögli den Kopf zurüd: „Wird eB Xenia auch nicht
jtören, wenn wir mufizieren? In welchem Zimmer ift fie?”
Frau Klara jchüttelte eifrig den Kopf: „Gott bewahre!
Das geniert gar nit! Billa Florian ijt maſſiv gebaut
und wenn Ihre Lieder auch bis zu Xenia hinaufdringen,
jo würde e3 Dod) fider nur die bejte Arznei zu Ihrer
Genefung fein!”
Tiefe Stille herrichte im Salon. Das Haupt gegen
die Sefjellehne zurüdgelehnt, laufchte Frau von Drad)
wie von jüßem Zauber befangen, und Bidy, welche auf
niederem WBoljterfifjen zu ihren Füßen jaß, legte das
Köpfchen in den Schoß der Mutter und lächelte wie
verflärt.
So wunderbar ſchön hatte Procgna noch nie gejungen,
jelbft an dem Abend nicht, wo er droben im Gaal der
Gräfin Dynar alle Welt entzüdte; Lied um Lied erflang,
mächtig anjchwellend wie der Sturm draußen, welcher
25*
— 388 —
die Klänge gewiß auf jeine Schwingen nahm und hinaus
in die dunkle Nacht trug, und dann ſank die Stimme
herab zu zauberjüßem Flüjtern, zu Bitten und Flehen —:
„Und im Bad die Niren raufchen, fomm’ herab, hier
iſt's ſo fühl...” Ja, das lodte und hallte, das jang
und Hang: „bis wunderholdes Sehnen did) wunderhold
bethört .. .“ —
Jählings erhob fid) der Singer. „Es ift ein wenig
ihwül hier — ich werde in dem Nebenzimmer das
Fenſter öffnen!’ und ehe nur die Laufcher zur Befinnung
famen teilte Janek die gejchlofjene Portiere und trat über
die Schwelle.
Wie angewurzelt blieb er jtehen. Bor ihm, matt
beleuchtet von der verjchleierten Suppellampe, lag Xenia
in einem Seffel, die Arme auf der Lehne verjchränft,
das Haupt felt darauf gedrüdt; wie ein Beben und
Buden ging e8 durch die jchlanfe Geftalt, in weichen,
weißen Rafdmirfalten floß das Morgenkleid über den
tiefgefärbten Plüjch hernieder, in duftigem Spigenjaum
auf dem Teppich verſchwimmend.
„Kenia!
Sie ſchrak empor und ftarrte ihn an wie eine Vifion,
Thränen glänzten in ihrem Auge und rollten über das
blafje Antlig. Langfam erhob fie fich und richtete fich
hod) empor, aufjprühend traf ihn ihr Blid, dann ſanken
die dunklen Wimpern tief auf die Wangen nieder.
„Sie haben jo meifterlid) gejungen, Janef, daß Sie
mich wirflic) herabgelodt haben, ich wollte den Schluß
"Diefe3 Liedes noch
abwarten, ehe ich
eintrat.”
Ruhig und fühl
wie immer, flang
ihre Stimme, wenn
auch nicht ganz jo
feft wie jonit.
— 390 —
„Es war rückſichtslos von mir, zu fingen, wo ich eine
Patientin im Haufe wußte. — Wie geht es Ihnen, Kenia,
fühlen Cie fich befjer ?”
Das war noch derjelbe Klang der Stimme, welcher
foeben in weicher Innigkeit flehte: „Komm herab —
bier ift’ fo fühl! ...“
Gräfin Dynar hob das Tajchentuch gegen die Augen
und jchwieg einen Moment, dann jchüttelte fie lächelnd
das Haupt. — „Singen Sie weiter, Janef, vielleicht
werde id) an Ihren Liedern ganz gefunden!”
Frau von Drah und Bidy ftanden in der Thür;
Xenia trat ihnen entgegen und wurde mit taujend er—
freuten und erjtaunten Worten begrüßt.
„Ich bitte um ein ftilles Lauſchereckchen!“ fagte fie
mit einem Verſuch zu jcherzen. „Die Nixenſtimmen haben
mur verjprochen, ‚daß e8 fühl... und friedlid) . . . und
weltvergefjen hier unten fei‘ — und nach all dem habe
ich Sehnjucht!” — —
Janek trat an das Fenjter und rif es auf, der Sturm
faujte nod) um jeine Stirn, aber droben am Simmel
teilten fid) bereits die Wolfen — ein großer, leuchtender
Stern ging über Billa Florian auf.
— Ia
XVII.
e! Stopp! — Proczna, bremfen Sie mal!” —
Der Gerujene blieb auf dem fchmalen Trottoir
ftehen und wendete das Haupt.
Quer über den jonnigen Marktplatz Heriiber flirrten
Sporen, Fürjt Heller Hüningen rafte im Sturmfchritt
daher, hob in befannter Ungeniertheit die Hand und
winfte zu gleicher Zeit mit einem umfangreichen Veilchen⸗
jtraug und dem fi) nod) zur Dispofition befindlichen
weißen Handjchuh.
Sein ganzes Geficht lachte; der Paletot mit dem
breiten Belzfragen flatterte, noch unzugefnöpft, um die
ichlanfe Figur, und der Sibel, momentan jchleppend,
_ rajjelte und tanzte wie in ungeheurer Lujtigfeit neben
den Ladjtiefeln feines Herrn einher — e3 lag außer:
ordentlich viel Aftion in der ganzen Erjcheinung des
jungen Offizierd. Proczna grüßte ihm mit wahrhaft
gönnerhaftem Wohlwollen entgegen, und Donat eröffnete
bereits auf zwanzig Schritt Dijtance die Unterhaltung. —
— 392 —
„Heute gehen Sie mir nicht durch die Lappen! ...
und wenn mir auc) Böjes ahnt, wohin Sie wollen, bin
id) doc perfid genug, mich für ein paar Augenblice als
Gedankenſtrich auf Ihre Siegesbahn zu legen! — "Morgen,
Verehrteſter!“ — Donat nahm mit Verve den tiefen Rinne
ftein und ftredte algdann Proczna die Hand entgegen.
Alles bligte, jtrahlte, lachte an ihm.
„Servus, Durchlaucht! — Sie jehen, daß ich bei
Ihrem Anblid beinahe Wurzel jchlage, und ſprechen von
Durd) die Lappen gehen‘ ?”
„Bezieht fid) auf gejtern abend! Alles auf geftern
abend! Laſſen Sie fic) einen neuen Nüden in Ihren
Frack einjegen! Sie haben ihn jo anhaltend meinen
Bliden ausgejegt, daß ich ihn ganz jchäbig geguckt
habe!” —
„Der Vorwurf ift hart! — Ignorieren Sie völlig
das Glas Sekt, welches ich bei Tafel bis zur Nagel:
probe auf ihr jpezielles Wohl trank?“
„Gott verhiit’s! War jehr nett von Ihnen, Proczna,
bin Ihnen auch ehrlich nachgefommen! Aber jolcher
Diftanceverfehr fann mir ein für allemal aus der Sattel-
tajche fallen! Ich brannte darauf, ein männerwürdiges
Zwiegeipräc mit Ihnen zu führen, jo oft ich mich jedod)
heranjchlängelte, weiß der Kudud, wie’s fam... ich
fonnte es zu feinem ‚vergnügten Antritt‘ bringen!”
Faft jchalfhaft zudte es um Janeks Lippen, und dod)
jah er in hohem Grade überrajcht aus.
„Was Sie jagen! Und davon habe ich zerjtreuter
— 393 —
Gefell aud) feine Ahnung gehabt! — Welch ein doppeltes
Olid, daß wir uns dafür heute defto früher am Tage
treffen ... es ift gewiß eine recht eilige oder wichtige
Mitteilung, welche Sie mir zu machen haben!”
Donat 30g die Oberlippe empor und jchwenfte den
— 394 —
Veilchenjtrauß im Kreije. ,,Selbftverftindlid! Beides!”
lachte er. „Wenn ich nicht außergewöhnliche Nerven hätte,
würde mich die Sache ficherlich nicht haben jchlafen laſſen!“
Er trat noch einen Echritt näher, fafte fein Gegenüber bei
einem der Knöpfe, welche den langen Gehmantel über
der Bruft zujammenhielt und rüttelte jo energisch daran,
al3 wolle er ihn zum Andenfen an den ,, Unjterblidjen”
abdrehen. Dazu fah er Proczna mit dem treuherzigiten
Bli€ in die Augen. „Die Angelegenheit ift nämlich
wieder ein Rofendorn, Proczna — Sie wiffen wohl noch,
einer von der Corte, von welcher Sie mir damals vor:
ſchwärmten ...“
„Roſendorn? ... Wh... ganz recht, ich entſinne
mid...”
„Ra, Sie verftehen ſich doch auf dergleichen, Ver:
ehrter” — Donat drehte immer eifrig an dem Knopf,
welcher bereits in allen Zwirnfäden ächzte — „und fünnen
mir mal Ihre Meinung darüber jagen: Wie fanden Cie
denn gejtern abend die Frechheit von mir, zu Frau Gower
zu gehen und ihr die Hand zu küſſen? — Gchneidig,
was? — Haha! habe niemals jpaßhaftere Phyfiognomien
gejehen als wie in dem Moment! Die Gower ift nämlich
eine gang nette Frau, jogar leidlich hübjch, fo daß man
nicht einmal den efligen Nebengedanfen hat: ‚der Handkuß
fchmedt nach fremden Fingern! — Das war aljo an
und für fic) feine Bravour, aber was die Sache figlich
machte, das war das Berbot, welches die Excellenz
Gärtner ausgehen ließ: ‚daß alle Welt die Gower
— 39 —
fojneide!* — Habe bis jegt mit den Wölfen geheult, weil
e3 das bequemjte war, immer dahin nachzutappen, wohin
der Leithammel vorausging, aber gejtern wurde ich eben
mal felbjtändig, koloſſal jelbftändig fogar — ich verblüffte
die Welt und ging meinen eigenen Weg. Na, wie finden
Sie bag?”
Janek applaudierte. „Klatſchet bravo, liebe Freunde,
ich Habe meine Rolle gut geipielt!” recitierte er voll
Pathos.
„Brillant! ... Hat Devrient oder Ehafefpeare mal
‚ gefagt! oder irgend jo ein anderer großer Schaujpieler,
weiß ſchon! ... Ja, Procznachen, ich fam mir felber
wie ein Haupthedjt vor, namentlich wie ich der Gower
Elogen über die jo famos gejpielte ‚Wagner-Arie‘ jagte,
und wie der liebe Gott den Schaden bejieht, war es
eine Ballade von Löwe, die fie accompagniert hatte ...
hahaha! ... infamer Klecks, den ich mir machte! Gott
fei Danf hat’3 niemand gehört, und die Gower nahm
e3 nicht übel ... jcharmante fleine Frau!”
Proczna jchlug die Hände gujammen. „O du ewige
Kümmernis! Wir hatten da8 Programm im legten
Moment geändert. Daß Ihnen aber auc) niemand vorher
den Irrtum aufflärte!”
Donat zwirbelte höchſt vergnüglich feinen blonden,
zierlich gewellten Schnurrbart. „Gefragt hatte ich ja
vorher, aber leider Gottes die Unrechte! Bicky fcheint
genau fo mufifalijd) zu fein wie ich, und jehen Cie,
amico, das hat mir einen diaboliſchen Spaß gemacht,
— 39% —
denn e3 ift ein riefig behagliches Gefühl, einem Menfchen
zu begegnen, der auch ein paar ſchwache Seiten hat!
Sch korrigierte fie natürlich, wie id) nachher zu ihr
zurücfam und machte c8 jehr glaubwürdig, daß mir der
Srrtum zur rechten Zeit noch eingefallen wäre... haha!
— Gie hätten mal die Augen jehen jollen! — Xenia
würde den Schwindel natürlich fojort durchichaut und
mir umgehend eine Abhandlung über flajjijde und mo-
Derne Muſik zugejandt haben, aber Bidys reine Seele
denkt an derartige Tüden nicht, — fie glaubte alles,
faltete wahrhaft anbetend die kleinen Hände und jagte
mit dem miedlichiten und naivjten Gefichtchen von der
Welt: Bald fürchte ich mic) vor Ihnen, Donat, Sie find
wirklich gar zu Eug!‘”
Der junge Fürjt bog fich vor Lachen. „Sit das nicht
ein Kapitaljpaß, Proczna? — Dafür fol fie auch zur
Belohnung diefes Grünfutter befommen, bin eben auf
dem Wege nach) Villa Florian!”
„Aha — den Nojendorn wollten Sie mit Beildyen
ummwinden — —“
„Donnerwetter ja, Rofendorn! Sehr gut, dak Sie
mid) daran erinnern! Proczna” — Heller Hüningen
ftellte fih in Pofitur, drehte wahrhaft herausfordernd
den Schnurrbart und machte ein Geficht, welches bis auf
die jchalfhaften Augen geradezu martialijd ausjah —
„eine Frage an das Schidjal! — Wenn eine junge Dame
zu einem jungen Ravalier jagt: ‚Sie find ein Haſeufuß,
ein geigling, ich werde Sie mein ganzes Leben über
— 397 —
haffen und höchſtens nod) Polfa mit Ihnen tanzen ...
und Ihre Pferde wie die Ziegenböde finden ... und Sie
felber jo haplich wie einen Menjchenfrefjer und ..““
„Halt ein in deinem Grimme!! —“
„it das denn ein Rofendorn, Procgna?! —“
„Sott ſei's geklagt, jogar einer mit Widerhafen!”
„Und derartig ftachlige Energie ift jet in Paris eine
gefeierte Mode geworden? —”
„And wie gefeiert, noch mehr en vogue wie rotes
Haar und Jabots!“
„Danke Shnen, Procznal — Sie jprechen ein großes
Wort gelaffen aus... mögen e3 Ihnen alle lieben Muſen
vergelten! Au revoir!” und ehe Janef nur recht zur
Befinnung fam, hatte ihm der junge Fürft voll Kraft und
Herzlichfeit die Hand gejchüttelt, falutierend an die Mütze
gegriffen und fäbelrafjelnd Kehrt gemacht. Wie ein Echo
Hang fein luftiges Lachen noch einmal zurüd, als er ſich
nad) wenigen Schritten umwandte, mit dem Strauß
übermütigen Gruß zu winfen. —
Warm und dammrig war es in Frau Leonies Boudoir.
Die feidenen Vorhänge waren halb gejchloffen, um
den Sonnenftrahlen zu wehren, welche mitten im Winter
fi) luftig breit madten. Nur ein jchmaler Goldftreif
hatte fic) durch die Spigengewebe der Gardine und
die dicen Duaften und Chenilletroddeln feinen Weg er:
jwungen und tanzte nun in grellen unten über und um
das reizende Haupt der Präfidentin, welche neben dem
Klavier jtand und ein Notenblatt in der Hand hielt.
— 398 —
Proczna Hatte fie gum Gejang begleitet. Er ließ die
Hände langjam von den Tajten finfen, lehnte fich in den
Sefjel zurüd und blickte zu jeiner Schülerin empor.
„Sie fingen ja heute merfwürdig zerjtreut, Excellenz“,
fagte er mit geddmpjter Stimme, ,,foviel ich mich ent-
finne, fteht ein Doppeljchlag auf ‚leije‘ und ‚hörjt‘, und
beidemale haben Sie gejtreift — darf ich einen Augen—
bli bitten?” — Er griff nach den Noten und umjchloß
jefundenlang das Blatt und ihre jchlanfe Hand zugleich;
dazu lachte er wie ein übermütiger Knabe, der fein Neb
über einen Echmetterling wirft. — Leonie atmete kurz
auf, preßte die Hände gegen die Schläfen und wandte
fi) ab, um fich brüsf in einen Fauteuil niederfallen zu
lafjen.
„SH fann heute nicht fingen! — Quälen Cie mid
nicht, Procgna .. mein Gott, ic) weiß ja jelber nicht,
wo mir der Verjtand geblieben ift!’
„Meine Ruh’ ift hin, mein Herz ift ſchwer ...“ er
erhob fic) und trat an ihre Seite. „Die Geifter, welche
Sie riefen, werden Sie nicht mehr los, Excellenz! Ich,
bejtehe auf dem beglüdenden Recht, Ihr Lehrmeifter zu
jein, und werde Sie aus egoiftiichen Gründen mit den
jüßen Liedern quälen, wenn Cie auc) noch fo verzweifelt
zu mir emporbliden! Muſik ift der Schlüffel zum weib-
lichen Herzen, und nur ein Narr hält ihn in der Hand
und macht feinen Gebrauch davon!”
„Sie find ein Phantajt, Proczna! Wer weiß, ob es
der Mühe lohnt, in mein Herz zu fchauen !”
— 399 —
Er neigte fich tiefer zu ihr hinab, es lag etwas Fasci-
nierende3 in feinem Blid.
„Ein jeder Mann ift eitel und um jein Bild im
Herzen einer jdjinen Frau zu jehen, nimmt er e3 mit
Himmel und Hölle auf!“
„Und wenn alle jeine Mühe umfonjt ijt, und fid
das betreffende Herz nicht als Spiegel erweiit?” Leonie
jagte e8 jehr leije, die dunklen Gpigen über ihrer Bruſt
wogten auf und die weiße Hand glitt wie tief erjchöpft
von der Gejjellehne hernieder.
7, Daun weiß ich nicht recht, wer mehr zu beflagen
ift — er oder fie?!”
Excellenz Gärtner zudte empor. ,,Laffen wir Die
Antwort auf dieje Frage offen! — Man fagt bereits in
der ganzen Stadt, daß Sie mir die Cour machen.”
„Sie jehen, Excellenz, daß man mir die geijtreichiten
Einfälle zutraut!”
„Wollen wir einmal ein ernjtes Wort darüber reden?”
„ein! — Um alles nicht!”
pein ?1”
„Was habe ich verbrochen, daß Sie mich zu einer
halben Stunde Langeweile verurteilen wollen? Etwas
Ernithaftes ijt ftet8 ennuyant! — Außerdem ahnen Sie
gar nicht, wie unglaublich fomijch ich mich dabei aus-
nehme — ein Ritter von der traurigen Gejtalt!”
„Eh bien, fo lajjen Sie ung nicht über das Feuer
philojophieren, fondern damit jpielen! — Warum machen
Sie mir die Cour?”
— 400 —
Leonie nahm einen Fächer aus der Marmorfdale,
welche vor ihr auf dem Tiſche jtand, entfaltete ihn und
blingelte nedijch über jeinen goldgewirften Rand zu dem
[hönen Mann an ihrer Seite auf.
„Darum 2” — Yanef lachte leife auf, ließ fich Dicht
an ihrer Seite auf ein orientalifches Kiffen nieder und
30g ihre Hand an feine Lippen. „Weil ich ftets mit dem
beiten fürlieb nehme!” nedte er.
Ein leichter Fächerſchlag war die Antwort.
„Wiſſen Sie auc), daß ein ritterlicher Anbeter nicht
fahnenflüchtig werden darf?‘
„Sch werde jtet3 unter der ,Flagge der Liebe‘ fümpfen,
Grcelleng; habe ich Anlaß zu Zweifeln gegeben ?”
„Sal — Sie waren nahe daran, mich eiferjüchtig
zu machen!”
„Wohl mir!”
„Sie abjcheuliher Menſch verfpraden mir, Frau
Gower gründlich zu blamieren, und ftatt defjen tragen
Sie dazu bei, ihr geradezu einen Triumph zu bereiten!”
„Mein Gott, was fann ich denn dafür, Excellenz,
daß die Frau fo meifterhaft jpielt! — Glauben Sie
mir, eine Ballade von Löwe vom Blatte zu begleiten
und dabei noch zu tran8ponieren — da8 ift eine Leiftung,
die bei Gott ihresgleichen ſucht!“
„Sie brannten ja aud) lichterloh vor Begeifterung,
und der Handfuß zum Schluffe .. .”
„Kunftenthufiagmus! — Nur wenn man viele Hände
fügt, fann man ermefjen, weldje man am liebften —
— 401 —
längiten und ... beißeften füßt!” Brocgna hatte aber:
mals die Rechte der Präfidentin mit vieljagendem Blick
erfaßt — nach jedem der legten Worte zog er fie an
die Lippen.
Leonie lächelte. „Heller: Hüningen und die fleine
Beatrice machten auc) einen recht eigenwilligen Strich
N.v. Eſch ſtruth, IL Rom. u. Nov, Polnif Blut IL 26
— 4022 —
burd) die Rechnung und übten fic) mehr wie nötig im
Samariterdienft! Buerjt hatte id) faktiſch den Verdacht,
Sie hätten die beiden dazu angeftiftet!”
„SH? Wenn Sie mir die hohe Ehre angedeihen
ließen, mich zu beobachten, fo werden Sie bemerkt haben,
daß ich den ganzen Abend fein Wort mit dieſen beiden
gewechjelt habe! Und...” Procgna ſtützte fic) auf die
Armlehne und blidte mit einem Gemiſch von Schalf und
fecter Herausforderung zu der ſchönen Frau empor, „na,
Excellenz — was würden Gie denn thun, wenn id
wirklich der Gower ein paar Verehrer gewonnen hätte?’
Leonie griff jcherzend nad) feinem Ohr. „Sch hätte
mich gerächt, Sie Böjewicht! Hätte Ihnen die ganze
Grifteng untergraben! Zu einer Hydne wäre ic) geworden,
welche Ihren guten Namen und Ihre Pofition bei Hofe
erbarmungslos zerfleijcht hätte!”
„Slauben Sie, reizende Nemefis, denn wirklich, daß
Sie jo allmadhtig find?” — Die Präfidentin zuckte ges
heimnisvoll die Achjeln, wie verzaubert hing ihr Blid an
dem Antlig des Sprecher8, welcher langfam den ſchwarzen
Schnurrbart ftrid) und die ganze Macht feines Auges an
ihr zu erproben jchien.
„Wiſſen Sie nicht, daß fic) die abergläubijchen Seelen
hier ins Ohr fliijtern, ich bejäße jene zauberfräftige Spring:
wurz, welche unbejchränfte Gewalt über Menjchenherzen
verleiht 2”
„Das kann ich aus eigener Erfahrung bejtätigen. Aber
ijt damit gejagt, daß fie dadurch mächtiger find wie ich 2”
- 403 —
Leonie lachte leiſe auf und legte halb zärtlich, halb
bedauerlich die Hand auf ſeinen dunklen Lockenkopf.
„O, Sie allerliebſte fleine Einfalt, Sie!”
„Nicht vor der Zeit mitleidig werden, meine ſüße
Herrin! — So viel mir bekannt iſt, vermag ein jedes
Sonntagskind die Zauberwurzel zu graben, und wer ein
klein wenig Glück und Geiſt beſitzt, erwiſcht juſt die,
welche den Schlüſſel gu Anna Reginas Herz birgt! —
Unterfhägen Sie mid) nicht, Excellenz, im Leben eines
Sängers pajfieren mehr Dinge, als Ihre Schulweisheit
fid) träumen läßt!” —
„Köſtlich! ... Sie find unglaublich amüjant, Proczna!
Ich möchte darauf jdwiren, daß Sie ein Sonntagskind
find, wenn mir aud) jeglicher Beweis dafür fehlt.”
„And wenn ich ihn liefere?”
„Ah?“
Janek neigte fi) noch näher zu ihr hin — ein ſelt—
james Sprühen und Flacern ging durch fein Auge, er
lächelte faft ironijd. „Sie fpielen vielleicht der ganzen
Welt gegenüber eine brillante Komödie, Excellenz, nur
mir gegenüber nicht, ich jchaue Hinter die Coulifjen und
weiß, wie die Rollen verteilt find! Coll id) Ihnen die
Bauberformel jagen, welche dem Lujtfpiel den Titel und
der Springwurz ihre Kraft verleiht? ‚Don Carlos‘,
Excellenz ... Don Carlos ijt die Formel, welche jeg-
liches Geheimnis erjchließt !”
Ein leifer Aufjchrei flang von den Lippen der Prä-
fidentin, fie ſchrak aus ihrer läffigen Haltung auf und
26*
— 404 —
legte unwillkürlich die Hand auf die Lippen Janek Procznas.
Dann janf ihr Arm wieder hernieder, mit großen Augen,
ftarr vor Staunen, wiederholte fie mechanisch: „Don
Carlos ... was wilfen Sie von Don Carlos?”
Der Pflegejohn des Grafen Dynar zucdte gleichmütig
die Achjeln. ,,Bielleicht genau fo viel wie Sie! .. .”
„Unmöglich ... Sie waren ja gar nicht in London —”
Leonie biß fich auf die Lippe und jah ihn durchdringend an.
„Wäre aud) Hichjt überflüffig gewejen!” er lachte
feife auf, auch fein Blick ftreifte vorjichtig prüfend die
Gegnerin. „Es gibt viele Wege, die nach Rom führen,
und man fann jich überall begegnen ... haha! Gie
wollen mir wohl auf den Zahn fühlen? .. .”
„Rom... ich verſtehe . . .“ Frau von Gärtner atmete
tief und beflommen auf, „Sie jcheinen in der That unter:
richtet... mein Gott, welch ein merhvürdiger Zufall...
fennen Sie ihn denn wahrlich?”
„Zweifeln Sie nocd)? — Wenn man freiwillig hier-
her in diejes Sibirien fommt, Excellenz, fo muß das doch
wohl triftige Nebengründe haben!”
„Reden Sie — ich beſchwöre Sie! — eine Beitellung
für die Pringefjfin? — Unmiglich . - fie hat ja jegliche
Beziehungen abgebrochen .. .”
7 Beziehungen ?” — Proczna wiederholte e3 langjam,
mit eigentümlicher Betonung, jein Blick jenkte fich durch:
dringend in das Auge feines ſchönen Gegenübers, „was
verftehen Sie darunter? Kein Wort umfaßt weitere und
verfchiedenere Begriffe als juft dieſes!“
— 405 —
Lebhafte Nöte brannte auf Leonies Wangen. „Wenn
Sie in der That Carlos’ Freund find und fein Vertrauen
genießen, beantworten Cie fic) dieje Frage wohl jelbit!”
antwortete fie Haftig fliijternd, „ich bitte Sie dringend, ich
flehe Sie an, jagen Sie mir, weld) eine Mijjion Sie
herführt, ift der Menjch wirklich rajend genug ...” fie
unterbrach fic) furz. „Wo jahen Sie ihn zulegt ?”
„Ben ?”
„un... Mon Dieu ... Carlo!”
„Welchen Carlo?”
Frau von Gärtner blidte ihn an. „Sch fenne nur
einen !”
Ein feines Lächeln fpielte um Janeks Lippen. „Ganz
mein Fall — auch ich befige nur einen Freund dieſes
Namens, und mit dem hat es eine bejondere Bewandt:
nis; er ift Hier und da etwas menjchenjchen und har
mich dringend erjucht, hier in diefer Stadt und namentz
(ih in der Hofgejellichaft jeinen Namen nie zu nennen,
e3 müfje denn gerade ein einziger Frauenmund ihn fragend
in mein Ohr flüjtern, dem dürfte id) Echo jein!”
„Und wenn meine Lippen dieje Parole ausiprechen 2”
„Sp würde e3 eine Art freimaurerijches Erfennungs-
zeichen für mich fein, daß ich eine Alliirte vor mir habe!”
Procznas Antlig war ruhig, wie aus Stein gemeißelt,
feine Miene oder Gejte verriet irgend welche Erregung,
und feine Hand drehte in nerpöjem, aber unmerflichen:
Spiel die jeidene Seffelquajte. Er erhob fich und blidte
fragend zu der jchönen Frau herab.
— 406 —
Leifes Auffichern erflang, Leonie richtete ihre ge—
fchmeidige Geftalt Halb auf in den Atlaspolitern und
blidte ihn fefundenlang mit jchillernden Augen an.
„Sehr diplomatifd, mon ami! — Gie machen Ihrem
Freunde alle Ehre und würden vortrefflich an jeine Seite
paffen, das Auswärtige Amt braucht vorjichtige, um:
fichtige und fcharffichtige Abgefandtel — Glauben Sie
leichte Arbeit bei mir zu haben? — Wir gleichen zwei
Spielern, welche fic) gern in die Karten fehen möchten,
welche beide zu Gunjten einer dritten Perjon das Hazard
wagen, genau an demjelben Strange ziehen und fid) dod)
mit miftrauijden Augen betrachten! Eh bien — wer
fpielt aus? 1”
Proczna lächelte. „Der Beginnende ift jtet3 im Vor:
teil; felbft Krieg und Würfeljpiel heben mir gegenüber
die Gejebe der Courtoifie nicht auf!”
„Slatt wie ein Aal! Man muß Salz in die Hand
nehmen, wenn man Gie fafjen will! Meiner Anficht
nach ift e8 die erfte Pflicht eines Kavaliers, ftets der
Dame Avancen zu machen !”
„Ich beuge huldigend das Knie vor meiner flugen
und fchönen Herrin, und mache es ihr unendlich bez
quem, mir al Gegenbeweis ihrer Huld ein vertrauliches
Wörtchen ins Ohr zu fläftern!”
Der Sprecher ließ dem Worte die That folgen und
blidte mehr fühn wie anbetend zu der Gemahlin des
Präfidenten empor. Leonie legte die Hand gegen die
Stirn, als blende fie die heiße, verführerijche und dod)
— 407 —
fo rätjelhafte Glut dieſes dunflen Auges, dann fdlug
fie wie ein fchmollendes Kind mit dem Fächer leicht
gegen feine Wange.
„Sie rühmen fic) aller ritterlichen Tugenden und
find dabei der elegantejte Menjch von der Welt! Nicht
um Haaresbreite rüden
Sie aus Ihrer gededten
Pofition, mir den Sieg
wenigſtens pro forma
in die Hand zu fpielen!
Lafjen Sie uns einen
Vertrag jchliegen — ge
recht und billig. — Sagen
Sie mir zu Ihrer Legiti-
mation den vollen Naz
men Carlos und id
will Ihnen offen und
rüdhaltlog jedes kleinſte
Detail erzählen, wel
hes mid, mehr wie
Sie vielleicht ahnen, in
die Angelegenheit verwidelt !”
Er lachte leije auf, erhob fich jah und warf fid
in einen Gefjel. „O Widerjprud, dein Name ift
Weib!” jchüttelte er das Haupt. „Speben nennen Sie
mich diplomatijd) und verlangen in der nächſten Minute,
daß ich den gröbjten Verſtoß gegen die Grundregel
jeglichen Disput3 begehen joll! Wer jagt Ihnen denn,
— 408 —
daß ich nicht bereits ganz genau von allem unterrichtet
bin, was Sie mir als Gegenleiftung anvertrauen
wollen? Wenn man einen Boten hinaus in das
feindliche Lager jchicdt, jo gibt man ihm vor allen
Dingen den genauen Plan des Terrains mit, geiftige
und verförperte Waffen, und namentlich die Adrefjen
guter Freunde, mit welchen er fich eventuell verbinden
fol! Trauen Sie dem Diplomaten Carlo den Leicht:
finn zu, anders zu handeln? Ich jtehe als jein
Abgefandter vor Ihnen!“
Eine fieberhafte Aufregung bemächtigte fich Leonies.
Sie neigte fid) zu Proczna herüber und legte die Hand
auf feinen Arm.
„Genug des Hin und Her! Sch bezweifle nicht
länger, daß Sie in der That von den Beziehungen
Anna Reginas zu dem Legationsrat wiljen. Herunter
mit der Maske! Jd) bin bereit, rüdhaltlos über alles
mit Ihnen zu reden und reiche Ihnen die Hand als
meinem Verbündeten! — D’accord ?”
Er neigte fich tief über ihre Hand und fiifte fie.
„For ever —!”
Ein Aufbligen ging durch fein Auge, er hielt ihre
Hand feft in der feinen, als gälte e8 einen Vogel,
welchen man mit Mühe erhajcht, ficher zu fafjen und
zu feffeln, ehe er mit glattem Gefieder wieder durch die
Finger jchlüpft!
Frau von Gärtner 30g die Heine ſamtweiche Rechte
nicht zurüd, es waren jüße, magijche Bande, welche all
— 409 —
ihre Sinne umftrict Hatten, von jäher Blindheit ges
Ihlagen, flatterte der Falk in die Fänge des Adlers.
poor Freund ijt der Legationsrat, Marchefe de la
Branca ?”
Sane machte eine Bewegung mit dem Kopf, welche
ebenjo gut ,ja” wie „nein“ heißen fonnte, Leonie aber
fuhr haſtig fort: „O’est ga. — Liebt er die Prinzejfin
noch immer?”
„Ber Anna Regina zum Inbegriff jeines Lebens
gemacht hat, wird niemal3 von diejer Liebe laſſen!“
„Seltjamer Phantaft, troßdem die ängitliche Hoheit
ihn jozufagen nur mit ,Cisbaijer3 regaliert hat! Gie
wijfen, daß id) die ganze Angelegenheit in die Hand
genommen hatte 2”
„Selbjtverftändlich! — Branca verwies mich an Sie,
Details erzählt er ungern, er malt nur mit vollem Pinſel
und großen Striden, dem Bild die charatterijtijden
Lichter aufzufegen, überließ er Ihrer gejdicten, energi-
ihen und reizenden fleinen Hand!”
„Schmeidhler! — Hat er Ihnen wenigſtens die Vor-
gejchichte genauer erzählt? Anna Regina behauptet natiir-
lich, daß fie den jchönen Marchefe nur in mädchenhafter
Schwärmerei hie und da einmal bevorzugt, und viel-
leicht öfter wie nötig den Cotillon mit ihm getanzt habe!
Selbitverjtändlich ein gefundenes Frefjen für die Klatſch—
baſen ihrer heimatlichen Rejidengz, welche die Heine Prin-
zejfin ſchon volljtändig mit dem Legationsrat verheiratet
hatten! Wiſſen Sie durch Carlo vielleicht, ob es that-
— 410 —
fächlich nie zu einer heimlichen Ausſprache zwifchen beiden
gefommen ift ?”
Leonies Augen funfelten, und die weichen, ringge-
pangerten Finger, welche fich fejter um Janeks Nechte
ichloffen, glichen ein paar jcharfen Krallen, welche jich
raublujtig nach einem Opfer jtredten.
„Ich bitte Sie um alles in der Welt, Excellenz, ver:
geffen Sie nicht, daß wir das platonifche Deutjchland
alZ Ort der Handlung‘ verzeichnen! Der arme Carlo
ſchmachtete wie der Fichtenbaum nach feiner fernen Palme
‚Blidchen hin und Blick herüber‘ voila tout! Anna Rez
gina geftattete ihm nicht den Drud einer Fingerjpige, und
Branca war Schwärmer genug, fich nur ein Heiligenbild im
Herzen aufzujtellen, welches die Züge Anna Reginas trug!”
Frau von Gärtner zuete halb enttäujcht, halb ſpöttiſch
die Achjeln. „Welch ein weißer Rabe unter all jeinen
fohlrabenjdwargen Kameraden! Für gewöhnlich opfern
die Anbeter auf einem anderen Altar, und offen geftanden,
liebe id) mehr die Flammen, die brennen, al3 die, welche
nur gleich einem ewigen Lämpchen leuchten! Wenn aber
die ganze Courmacherei wirklich nur auf eine Gentimen-
talitätsanwandlung hinaugläuft, warum brauchte dann
Auguft Ferdinand fo eiferfüchtig gu jem?”
„Beil er befannterweije mit feiner erjten Braut trau=
rige Erfahrungen gemacht hatte, und die Welt es liebt,
aus der Mücke einen Elefanten zu madjen. Aber Sie
wollten von den Tagen erzählen, welche Sie zur lady
patroness diejes Iyrijchen Paares gemacht!“
— 411 —
Leonie nidte gedanfenvoll. „Bor einem Jahre war
Branca hier. Anna Regina hatte fic) von vornherein
jehr an mich attachiert, und Hilfe und Rat erbeten, fich
hier in die fremden Verhältnifje einzuleben. Eines Abends
flüftert fie mir leichenblaß vor Aufregung zu, fie miiffe
mid) morgen ganz ungejtört jprechen. Ich fuhr zu aufer-
gewöhnlicher Stunde bei ihr vor, wurde in furzem Lete-
astete zur Intima erhoben und erfuhr, daß Anna Regina
ein Schreiben von dem Marcheje erhalten habe, in wel:
dem er feinen Bejuch für den zweitfolgenden Tag an—
meldete, um Hoheit allerunterthänigit zu erjuchen, ihm
ein Empfehlunggfchreiben an eine betreffende Perjünlich-
feit des Xer Hofes zu bewilligen, wohin er als Lega-
tion8rat verjegt fei. — Die Prinzejjin zitterte vor Auf-
tegung, da fich juft zuvor eine fleine Eiferjuchtsicene
zwijchen ihr und August Ferdinand abgejpielt hatte; fie
beſchwor mich, dem Branca unter meinem Namen jofort
abzutelegraphieren!” Frau von Gärtner unterbrach fich
und lachte jcharf auf. „Die ganze Sache war unglaub-
lid) harmlos, bejter Proczna, und wäre Anna Regina
nicht gar zu — — naiv findlich geweſen, fie hätte jedes
Kompromittierende jofort niedergejchlagen, wenn jie das
Bittgejuch des Marcheje ihrem Manne überreicht hätte!
Aber fie hatte völlig den Kopf verloren — und id...
mon Dieu ... ich war auch fonjterniert und faffung3-
los ... hätte ich mir die Sache damals jo ruhig über:
legt wie heute, jo hätte ich natürlich den ebenerwähnten
Nat gegeben, aber wie gejagt ... id) fam auch auf
— 412 —
einen recht verfehrten und romanhaften Gedanfen, und
ftimmte der Pringeffin in übergroßer Ängſtlichkeit bei,
die ganze Sache geheim zu halten. Ich Hatte Mitleid
mit ihr, id) glaubte, es fei eine unglüdliche Liebe im
Spiel, und anjtatt abzutelegraphieren, lud id) Branca
unter einem Infognito hierher ein, und überrajchte Anna
Regina zwei Tage darauf mit dem lafonijchen Zettelchen:
Carlo ijt hier bei mir, fleht um ein paar Minuten
Gehör, ich bürge für nollite Sicherheit und Disfretion!*
Natürlid) antwortete die Kleine Frau umgehend in einem
Billet, welches jtarf nach einem Rendezvous ausfdhaute,
und fam eine Stunde fpäter, halb tot vor Angſt und
Aufregung hier an.” Ein unausſprechlicher Ausdrud
lag auf Leonies Zügen, ein graujamer Triumph der
Überlegenheit und der Lift!
„And die Unterredung fand in Ihrem Beifein ftatt?”
Die Präfidentin lachte laut auf. „Nein, Broczna,
fo indisfret bin ich nicht! Anna Regina litt allerdings
nicht, daß ich das Zimmer verließ, aber ich trat in die
Fenfternijde und zählte die hellen Scheiben am Markt—
plaß! Andern Tags citierte ich die Prinzeffin noch einmal
zu mir, perjönlich ihr Schreiben für Branca zu bringen,
ich hoffte beiden einen Gefallen zu thun ... aber fattijd,
Proczna — ich hätte ruhig dabei jiten bleiben fünnen,
denn jo etwas Langweiliges und Solides wie die Unter-
haltung diejer beiden Liebenden habe ich jelbjt in Hann—
den und die Küchlein‘ nicht gelejen! Und dabei ijt der
Marcheje ein bildgübjcher, Heiner Schlingel ... erjt alg
— 4143 —
die Hoheit fic) mit feuchtem Bli€ und einem gnädig ge-
währten Handfuß zurüdgezogen hatte, merfte id), was er
für gefährliche Augen hat, da taute er überhaupt erft
auf, al8 ic) ihm die Eentimentalität ein wenig von der
Seele jcherzte!”
„Für die Vergangenheit fann ich Sie nicht verant-
wortlid) machen, Sie Zauberin!” Lächelte Proczna mit
tiefem Blid. „Aber in Zukunft werde id) meinen lieben
Freund Doch ein wenig entfernt von hier halten! Glüd-
liher Branca! Ich bin doch auch jentimental, Excellenz,
warum find Sie allein mir gegenüber jo mitleidlos, die
Schatten nicht hinwegzufcherzen 2”
Leonie neigte das Köpfchen fofett zur Seite: „Weil
e3 diesmal ... Ernit ijt!”
‚Barum laden Sie mich nicht einmal infognito ein?”
Sie bif jich auf die Lippe und wandte fich beleidigt ab.
„Sie haben mir jet etwas weis gemacht: ich bin
jehr eitel, meine Augen find genau jo ſchön wie die des
Legationgrats .. .”
Sie blickte ihn jchnell an. „Genau jo ſchön! — Wie
bejcheiden!”
„And was ihm recht ijt, ift mir billig ... ich beftehe
auf mein Recht!”
„Wie wollen Sie denn das anfangen, mon petit
fanfaron? |”
„Motieren Sie fich nur! Ich beweife es!“
„Und wodurd, wenn man fragen darf —?”
Er neigte fid) noch näher zu ihr hin, fein Auge lachte,
— 44 —
und doch bligten grelle Funken darin. „Indem ich nicht
eher wieder zum Mufizieren zu Ihnen fomme, bis Sie
mid) ebenjo ‚infognito‘ und ebenjo ,rofa‘ einladen wie
den Marcheje!”
„Thatjache? — Muß man jo höflich fein, das zu
glauben?”
„Mein Wort!”
Sie warf den Kopf zurüd und lachte etwas frampf-
haft auf. .
Sm Nebenzimmer flangen Schritte, ein Diener fragte
an, ob Seine Excellenz dem Gejange ein wenig laujchen
dürfe?
„Selbitverjtändlich 1”
„Alſo bitte zu den Noten zurüd, meine Gnädigjte!“
Leonie erhob fid) langjam. „Wir waren von unjerem
Thema abgefommen, Procgna — bi8 wir e8 wieder auf:
nehmen — — id) meine die Angelegenheit Anna Reginas!
— id fann mich doch auf Sie verlajjen?” und fie legte
bedeutjam den Finger auf den Mund, trat dicht neben
ihn und blicte ſchwärmeriſch zu ihm auf: „Es gibt fein
feftere3 Band, zwei Menjchenjeelen aneinanderzufetten als
ein gemeinjames Geheimnis, darum machte ich Sie zu
meinem Vertrauten!”
Janek neigte fich tief über ihre Hand, es war uns
möglih, die Wirfung diejer Worte auf feinem Antlig
zu leſen. — —
XVIII.
uf dem Exerzierplaß der Franz-Ulanen, einem
weit vor der Stadt gelegenen, vortrefflichen
Terrain, entwidelte fic) in der Mittagsjtunde
ein für Die winterliche Jahreszeit außergewöhnliches Leben.
Das Difiziercorps hatte bejchlofjen, die milde Witterung
zu benugen und in einem fleinen Flachrennen auf un-
gejatteltem Pferde dem ehemaligen Gardefürajfier zu
beweijen, daß Reuſſeks „verwegene Jagd” den Gäjten
nicht allein im Springgarten die Honneurs macht.
Die Damen waren gumeift im Wagen erjchienen, dem
gewiß höchſt amüjanten Echaujpiel beizuwohnen, nur
Frau von Hofitraten rettete die Ehre ihrer Mitjchweitern
und trabte auf der „Harfe“, einem unglaublich hod-
beinigen Schwadronsgaul, welchen ihr Graf Hechelberg
auf eigenes Rififo für den noch immer leidenden Apfel
ichimmel geftellt hatte, an der Seite ihres Gatten quer=
feldein über einen Sturzader, dem Rendezvous entgegen.
Janek Proczna ritt an der Seite jeiner Pflegejchweiter,
und Fürjt Heller Hüningen amüfierte fic) damit, feinen
— 46 —
eleganten Goldfuchs dicht an das Gefährt heranzudrängen,
um durch eine gejchicte Kleine Barade den zierlichen Kopf
des Nenners neben Bickys rojige Wange zu Ddirigieren.
„Darling will ja nur einmal an Ihren Veilchen
riechen! neckte der junge Offizier lachend, als Fraulein
von Drach in die äußerjte Ede der Polfter retirierte,
„per Schlingel hat Geſchmack und ijt an Zuder gewöhnt,
darum fühlt er fic) von Ihnen angezogen!’
„Ich habe ja gar feinen bei mir!”
„N’importe! Gie find ja jelber jo ſüß, Bidy ...”
Hechelberg Hemmte das Monocle ein und drehte den
Kopf wie eleftrifiert nach dem Sprecher herum. „Seht
ſchlag mir einer 'nen Türfen tot! — wo hat denn unjer
Fiingfter dicje jengerigen Redensarten aufgegabelt? —
Nein, Beauty-patch, das geht nicht, das füllt auf mich
zurück! Sie ftehen bei meiner Schwadron, bei der ſo—
lidejten im Regiment, Da würden die Leute womöglich
jagen, Sie hätten das Courjchneiden bei mir gelernt! —
Mein gnädigjtes Fraulein, ich halte es für meine Pflicht,
Sie vor Ddiejem jüngiten Leutnant zu warnen... Hat
gar feinen Zwed, fic) von ihm anlügen zu lajjen ...
über furz oder lang muß ich ihn doch ’mal fiifilieren
lafjen!”
„Füſilieren?“ — Bidy ftarrte den Sprecher an wie
ein Gejpenft. „Das dürfen Sie ja gar nicht, nur wenn
einer Dejertiert ift, wie im ‚Haidegrab‘, o und felbjt dann
wäre es abjcheulich .. . ganz empörend von Ihnen, denn
der Donat ift der Nettjte vom ganzen Regiment und
ich verfichere Sie, daß er in feinem Leben nichts Böſes
gethan hat —“
R.v. Eſch ſtrut h, GL Rom. u. Rov, Polnif Blut II. 27
— 418 —
Ales lachte laut auf, der Rittmeifter aber zwang
fein rotleuchtendes Antlig in fehr ernfte Falten. „So?
wirfih? Cs ift ‘mal wieder Hüningens fpecielles
Pech, daß Sie nicht die Konduite zu fchreiben haben,
mein gnädigjtes Fräulein, id) bin überzeugt, Sie bejorgten
ihm binnen heut und morgen einen ganzen Sternhimmel
auf die Achjeln! — Wie wär's aber, wenn ich Ihnen
"mal die Augen über den Monjieur öffnete .. .”
„Machen Sie mich nicht unglüdlich, beiter Graf, ich
fann nicht3 anderes, als Ihnen meinen Gefundanten
ſchicken!“
„Laſſen Sie ihn doch nur reden, Donat! Ich glaube
ihm ja kein Wort!“ rief Bicky eifrig tröſtend dazwiſchen.
Hechelberg aber machte ein martialiſches Geſicht und
nickte ſeinem Leutnant eifrig zu. „Gut, wechſeln wir die
Karten ... Sie ſchießen morgen von elf bis zwölf —
ich von zwölf bis eins — natürlich übers Schnupftuch.“
„Das wollen wir doch erſt 'mal ſehen!“ atmete Fräu—
lein von Drach mit blitzendem Auge tief auf; Xenia
und die Kammerherrin aber erſuchten den Rittmeiſter
höchſt beluſtigt um das betreffende Kapitel der chronique
scandaleuse, welches den Namen Heller-Hüningen als
Überjchrift trug.
Der Graf zwirbelte den jtarfen, hellblonden Schnurr=
bart fühn gwijden den Fingern. „Hören Sie zu, meine
Damen, und brechen Sie den Stab über den frechen
fleinen Zeutnant da! Sie wiffen, daß ich ihn, des guten
Einfluffes wegen, in meine Schwadron nahm, und ihn
— 419 —
mit vieler Nachſicht bis zur Unglaublidfeit verwöhntel
— Was ijt der Dank dafür? Das Küden wächjt der
Henne über den Kopf und tanzt ihr zur Revanche auf
der Naje herum! Ein einziges Beijpiel wird meine Worte
iluftrieren! Vergangenen Sommer, während des Ma:
növers, will eg mein Mißgejchid, daß meine Schwadron
fuftig darauf logreitet und jchlieglid am Fuße eines
waldigen Berges nicht mehr hott noch hüh weiß. Wie
das nun der jchneidige Ton des Dienjtes erfordert, hat
bei Anwejenheit ſeines Rittmeiſters ftets der Leutnant
unrecht, und infolgedeffen blies ich unfer Beauty-patch
mit gtimmigfter Miene an, daß ein Dffizier, falls er
auf unbefanntem Terrain manövriere, jtet3 eine Spezial-
farte zur Hand haben müjje !”
„Bumm!“
„Nicht unterbrechen, Kleiner. — Andern Tags halten
wir auf dem nämlichen Blak. Plötzlich gräbt mein
Herr Leutnant, welcher bereits während des Rittes auf:
fallend wattiert ausjah, ein pfundjchweres Opus aus
der Ulanfa und entfaltet e3 feierlichjt als eine gigantijche
Landfarte. Immer größer — immer endlojer breitet
fi) die Sache aus, bis jchlieglich RoR und Reiter wie
durch eine jpanifche Wand verdedt dahinter verjchwinden,
und dabei hält Seine Durchlaucht daS Papier dicht vor
die Augen und ftarrt und ftarrt darauf nieder, als fünne
er fic) gar nicht jatt jehen! — „Na, zum Teufel, Hü—
ningen, was machen Cie denn da?” — frage id), an
ihn heran reitend, und ohne nur aufzubliden, ganz aufs
27*
— 420 —
gelöft vor Eifer, antwortet mir der hoffnungsvolle Etra-
tege: Ich ftudiere Das Terrain, Herr Rittmeijter ! — —
Bis dahin ijt nun die Angelegenheit fehr hübſch und
loben3wert meine Damen, aber der hinfende Bote fommt
nad. Gang gerührt neige ich mich nun ebenfalls zu
dem Papier hernieder und erblide ... eine Karte von
Europa!! — tableau mes dames! — — Und fold
einen rankünöſen Menjchen, der feinem beften Freund
und Vorgeſetzten derartigen Schabernad jpielt — dem
wollen Cie fünftighin noch verzuderte Redensarten glau-
ben, mein gnädiges Fraulein 2”
Eiliger Hufjchlag annoncierte Prinz Reuffef. Die
Diffiziere ritten ihrem Kommandeur entgegen, und unter
den feitwarts haltenden Burjchen, welche die ungejattelten
Nierde und furzen Peitſchen ihrer Herren bereit hielten,
entjtand eine lebhafte Bewegung.
Janek Procgna hatte reihum die Damen begrüßt,
dann jedoch) jeinen Rappen abermals neben die Equipage
der Präfidentin Gärtner dirigiert, welche ihn, ganz wie
jelbitverftändlich, an ihre Scite fejjelte.
Xenias Blic haftete auf jeinem lachenden Antlig. —
Er ſchien ihn zu fühlen, wandte plößli das Haupt
und fchaute ihr voll in das Auge, jagte noch ein paar
bajtige Worte zu Frau Leonie hernieder und hielt im
nächiten Nugenblid wieder neben Xenia.
„Riefen Sie mic)?” — Er fragte es leife und neigte
fic) vor, um fie forjchend angujehen. Xenia biß die Zähne
aufeinander und hob das Haupt.
— 421 —
„Nein 1
Frau von Drad und Bidy jdjiittelten fic) aus dem
Wagen Heraus mit Gräfin Ettisbach und Tarenberg
die Hand, Janef beugte ſich noch tiefer.
„Man braucht nicht immer mit Worten zu rufen,
Kenia”, fuhr er mit weichen Klang in der Stimme fort,
„Sie haben mir nad) langer Trennung die Rechte eines
Bruder eingeräumt und mir damit auch die Pflichten
eines jolchen übertragen; ich appelliere an Ihre Nach—
ficht, wenn ich viel in diejem jo jehr ungewohnten Amt
verjäume und bitte Sie, mich zu fonmandieren, wenn
Sie meiner bedürfen!’
Kenia blickte jchnell empor. „Müffen Sie mir gegen-
über wirflich an die kleinen Ritterdienjte gemahnt werden,
welche Ihnen andern Damen gegenüber vollkommen jelbjt-
verjtändlich erſcheinen?“
„Gewiß — ic) jtehe jelbjt der frembdejten Dame nicht
fo fern wie Ihnen, Xenia. Sie mejjen mich mit einem
ganz bejonderen Maß, und was andere höflich nennen,
deuten Sie für gudringlich.”
„Janek Proczna hat bis jest alle Schranfen nieder-
gebrochen und feines Menjchen Seele dabei um Erlaub-
nis gejragt!”
„Tempi passati! — Die Stunde, in welder Shr
eigener Wille den ,Grafen Hans Stefan Dynar‘ von
den Toten auferwedte, legte Janek Procgnas tollfühne
Waghalfigtit in Ketten; was ich al3 freier Künitler
befämpfen konnte, muß ich als Reprajentant eines ehr-
— =
würdigen Namens achten und abwarten, bis die Hand,
welche mich jo fühl zurüdgejchoben, mich freimütig näher
winkt!” — Die legten Worte waren im Echerz gejprochen,
und aud) über Xenias reizendes Antli flog ein Lächeln.
„Ich werde Sie beim Wort nehmen, Sanef, und
Shren Opfermut prüfen; wer weiß, wie bald Sie jchon
unter der Bürde jeufzen, welche Ihnen die Anfprüche
einer Schwefter auferlegen werden! — Als erſte Revande
dafür werde ich Ihnen jet den Daumen halten, daß
der gigantijche Blumentrang, welchen Graf Hechelberg
für den Gieger bereit hält, den Hals Ihres edlen Ren-
ner8 ſchmückt!“ — Xenia war plößlich wie ausgewedfelt,
fie jprach fo lebhaft und heiter wie jelten zuvor.
„Um Gottes willen nicht, Xenia, auf dieſe Huld vers
zichte ich!” lachte er voll heiteren Gleichmuts auf, „Sie
würden dadurch den Zauber brechen, welchen Excellenz
bereit8 um jenen Kranz gejponnen hat! Bon zwei ‚ge:
haltenen‘ Daumen hebt einer den andern auf, und da
der Aberglauben verlangt, daß ein ‚herzliches Gedenken‘
damit verfmüpft fei, fo halte ich es wirklich für richtiger,
wenn Frau von Gärtner die Rolle der Fata allein über:
nimmt |!”
„Selbjtverftändlich ; — ich trug Ihnen meine Offerte
fpäter an — ich trete zurüd.”
Das klang wieder jehr furz und unnahbar, wenn
gleich Gräfin Dynar dabei lächelte.
pRefervieren Sie mir Ihre Fürjprache bei dem Schid-
fal, ih habe fie vielleicht bei einem anderen Nennen
— ak =
nötiger, wo mehr auf dem Spiel steht, al3 ein Kranz
von bunten Blumen !”
„Wenn Sie dann von der Excellenz im Stich ges
lafjen werden, thue ich's — vielleicht!”
Janek jah
plötzlich ſehr
ernſt aus —
ſtrich langſam
über den ſchlan⸗
ken Hals ſeines
Roſſes und
ſchwieg. — Er⸗
cellenz Gärt⸗
ners Wagen
verließ ſeinen
Platz und fuhr
in einem kurzen
Bogen neben
die Equipage
der Gräfin
Dynar.
rh muß
hören, was die Gefdhwifter für wichtige Dinge verhan-
deln!” rief Leonie lachend, Xenia die fleine Rechte in dem
langen jdwedijden Handjchuh entgegenitredend, „ihr jeht
ja beide jo böſe aus, habt ihr euch gezanft ?” Das flang
fehr vertraulich, neckiſch und herzlich zugleich.
Proczna lachte falt übermütig auf. — „Gewiß, Ex:
— 424 —
celleng! Ohne Krieg kann fein Frieden gejchloffen werden,
und wer fiegen will, muß vorher ftreiten! Ich habe eine
unendlich ſchwere Arbeit, mir die Sflavenringe zu er-
fämpfen, denn meine Schweiter geizt felbjt mit Ddiefer
niedrigften Klaſſe aller Hausorden ?”
„Hoheit Hat die Parforcejagd für übermorgen an-
geſetzt“, — lächelte Cycellenz, die Lorgnette vor die
Augen hebend, um Pring Neufjet zu beobachten, welcher
foeben an die Wagen heranritt, um zuerjt Gräfin Kany
und Die ftellvertretende Hofdame, Baronejje Zeutler, ein
blaffes, mit jtet3 liebenswürdigen und milden Augen in
die Welt blicendes junges Mädchen, zu begrüßen. „Wir
Damen reiten famtlich mit, felbjt ich, die leider Gottes
noch herzlich unficher im Sattel fitt. — Ich brauche
natürlich an jeder Seite einen ritterlichen Schu und
vortrefflichen Reiter, — Flanderns treuer Minnedienft
ijt jelbjtverjtändlich, aber er genügt noch nicht .. .”
Xenia hatte fid) erhoben, fie ftand hod) aufgerichtet
im Wagen, wie eine trogige Herausforderung bligte ihr
Auge zu der Sprecherin hernieder. ,,Donat wird fic
glücklich ſchätzen, Excellenz, Ihr Kavalier zu fein und
fiherlich diejem Vertrauenspojten alle Ehre machen!”
/ Bie? — Heller Hüningen?! — Reitet der denn
nicht in angeftammtem Vorrecht mit Ihnen?!”
Xenia warf den Kopf zurüd. „Nein! Ich habe mir
diesmal meinen Bruder an die Seite... komman—
diert!” — Ihr Blick traf Procgna, groß, in brennender
Orage.
— 425 —
„ab, Sie ſcherzen! — Unmiglich .. . zwei Geſchwiſter?
Das ijt ja gum Sterben langweilig !“ — Frau von Gärtner
flappte wahrhaft alteriert den Fächer gujammen und
jhüttelte den Kopf. „Dagegen revoltiere ih! Dagegen
ziehe ich zu Felde!”
Procgna zudte lächelnd die Achjeln. „Sch bin über:
zeugt, daß Sie mit den fchärfiten und fieggewobhntejten
Waffen fümpfen würden, Excellenz, und dennod) bezweifle
id) diesmal den Erfolg!”
„Wenn ich allerdings von Ihrer Seite auf feinerlei
Secours zu rechnen habe...” Leonie brad) furz ab
und wandte fid) wie ein jchmollendes Rind zu Xenia:
„Sie find in hohem Grade egoiftiich, Gräfin, Sie gleichen
dem reichen, hartherzigen Mann in der Bibel, welcher
feinem armen Nachbar noc) den legten Troft und Grojchen
nimmt! Warum wollen Sie mir den einzigen Kavalier,
dejjen Schuß ich mich mit wirklicher Freude anvertraue,
nod) vor Thoresschluß wegnehmen?!”
„Damit fich alle andern, welche Dadurd) aus Ihrer Nähe
verdrängt werden, nicht aus Verzweiflung erſchießen!“
„Sie fleine Läjterzunge! Ich jag’B ja, wer den
Schaden hat, braucht für den Spott wicht zu forgen! —
Helfen Sie mir dod) ein wenig, Proczna! — Unjer ge:
meinjamer Anfturm jchlägt vielleicht eine Brejche in die
Erbarmungslofigfeit diejer fchönen Seele!”
Kenia jchien jehr gelafjen, dennoch bligte e8 in ihrem
Auge auf. „Wenn mein Pflegebruder lieber mit Ihnen
reitet, Excellenz, trete ich natürlich zurüd —“
— 426 —
„Ab, prächtig! — Haben Sie gehört, Graf?!“
„a, ich hörte — aber nur eine Beleidigung, wenn
mtr Xenia nicht jchleunigjt die Verficherung gibt, dap
fie ſcherzte!“
„Mon dieu, wie difficil!” Leonie lachte etwas nervös
auf. „Sit fold) eine Wortflauberei unter Geſchwiſtern
überhaupt erlaubt!! — Ihre Ritterlidjfeit ijt ja die reine
Mimofe, bejter Freund, welche fich ſelbſt gegen die jchweiter-
fide Hand entrüftet auflehnt, wenn diejelbe feine Glac6-
handjdube trägt! — Sie dürfen doch nicht verlangen,
Xenia, daß Proczna um feinen Abjchied bittet, Sie müfjen
ihn geben! Wollen Sie?”
Gräfin Dynar richtete das Haupt noch höher empor,
um ihre Lippen zudte e8 wie ftarre Entjchlofjenheit.
„Nein!“ entgegnete fie herb.
„She jcheint beide jchlecht gejchlafen zu haben”, ver=
fuchte Frau von Gärtner zu jcherzen, ein jcharfer, faft
boshafter Zug jchlich fich in ihr Lächeln, „und mit Leuten,
welche jchlecht zu Mittag gegeffen haben oder mit dem
linfen Fuß aufgeftanden find, foll man nicht prozeifieren |
Ihnen aber jchwöre ich Fehde, unerbittliche Gräfin, und
ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen Janek Proczna
abfpenjtig zu machen! Zwar find Sie jehr im Vorteil
gegen mich, haben bereit3 lange Jahre hindurch den
Bruder mit Liebe und Güte und Freundjchaft überjchüttet,
haben ihm in jtolzer Anerkennung die erjten Lorbeeren
geftreut, und e8 gar nicht erwarten können, ihn der Welt
gegenüber als Bruder deflarieren zu können .. .”
— 427 —
Der Ausdruck namenlojen Hohnes in der Stimme
Leonies trieb Xenia das Blut in die Wangen. Ihre
Lippen bebten, fie fah den Schatten auf Janes Stirn
und atmete tief auf. „Sie irren, Excellenz!” unterbrach
fie mit rauher Stimme, „von all diejen liebenswürdigen
Auszeichnungen und herglidem Verkehr ift nie die Rede
zwifchen Janet und mir gemwejen — leider Gottes Durch
meine Schuld! — Indem Sie mir foeben vorhalten,
wie das Verhältnis zwijchen uns hätte fein müfjen,
empfinde ich doppelt, wieviel ich verfäumt und wieviel ich
an meinem Bruder gut zu machen habe, und aus diejem
Grunde werden Sie e3 felber am begreiflichiten finden,
wenn ich nicht auf feine Begleitung verzichte, fondern ihn
im Gegenteil foviel und folange wie möglich an meine
Seite feſſele!“ — Sie reichte Janek voll warmer Auf-
richtigkeit die Hand entgegen.
„Wie Sie alles fo feierlich zu fagen wiffen, Xenia!”
lachte Janek, ihre dargebotene Hand ritterlic) an Die
Lippen ziehend, „Sie wollen Schulden bezahlen, für
welche e3 feinen Gläubiger gibt, und verleihen unjerm
Heinen Scharmüßel die liebenswürdigjte Pointe, welche
man fid) denken fann! Wenn wir unjerer reizenden
Gegnerin nun noch verfichern, daß aller Widerjtand nur
ein Schild für das wenig feuerfeite Herz des Pflegebruders
gewejen, fo find drei Sieger aus dem Streit hervor—
gegangen! Darf ich um den Vorzug bitten, Excellenz,
bei der nächſten Schlittenpartie meine Rofje vor Ihren
Triumphwagen zu fpannen ?”
— 428 —
Leonie drohte ihm voll liebenswürdigfter Heiterkeit
mit dem Fader. „Bei Sonnenfchein und Tauwind zum
Sclittenfahren engagieren, ijt eine billige Galanterie!”
st laſſe Salz treuen!”
Frau von Gärtner beugte fic) voll Harmlojefter
Freundlichkeit wieder zu Xenia hinüber. „Sie fennen
dod) Ihren Bruder, Gräfin! Warum hängen Sie diejem
gefährlichen Mann nicht eine Warnungstafel mit ,BVorjidt!
um den Hal8? Man ſteht auf Glatteis, wenn man ihm
gegenübertritt !”
Xenia nicte zerjtreut, fie hatte in der That das
Gefühl, alS wehe eine kalte Schneeluft von dem lachen=
den Geſicht des — Polen zu ihr herüber.
Prinz Reuſſek parierte fein Pferd neben der Equipage
und ftörte Frau von Drach in ihrer fehr laut und ani-
miert geführten Unterhaltung mit den Inſaſſen des nad):
barlichen Wagens; er reichte Xenia die Hand und grüßte
zu Excellenz Gärtner hinüber; Nittmeifter von Hofftraten
meldete, daß Herr von Flandern, der unbegreiflich Un-
pünktliche, endlich in Sicht jet — was Graf Hechelberg
zu dem überrajchenden Citat: „Wohl, jo fann der Guß
beginnen!” veranlaßte.
Die Herren verabjchiedeten fic), ihre Rennpferde zu
bejteigen, und Leonie winfte Janet Proczna noch einmal
gu fic) heran, um ihm ein paar geheimnisvolle Worte zu=
zuflüftern. „Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, den Grund
für Flanderns Verjpatung, fommen Sie recht bald!”
Proczna fah fie einen Augenblid feit an. „Nur
— 429 —
infognito !“ — Dann grüßte er turg und rif fein Pferd
herum. — — — — — — — — — — — — —
Frau von Hofſtraten hielt am Ende der kleinen Wagen-
reihe und beobachtete mit vorgeſchobener Unterlippe das
höchſt amüſante und lebhafte Bild, welches ſich „auf un-
geſatteltem Pferd“ entwickelte.
„Is man de reine Bauerngaloppade! De Sattel
madt immer den Kohl erit fett, wie de Schnidergefell’n
fehn de Kerls allmitnander aug, wenn fe fo uff’n blanfen
Budel hängen! Na nu los!... De Hechelberg haft
natürlich fein’n Schmachtriemen erjt drei Loc) weiter...
und der Hüningen trabt noch 'ne Partie zu Fuße! —
Man nich jo higig, flener Saletjonfer! He wird fic
nod) auf de Wlanfa treten! — Jetzt hoppt he uff! —
Vorwärts, YJongs! Könn’ de Gaul nod) nicht onder
het juk breng! — Hep, hep!” ...
Die Herren rangierten ihre meijt jehr ungejtümen
Nofje, laut und animiert flogen die Reden und Wig-
worte nod) hin und her, dann trat eine erwartung3volle
Stille ein.
„Kein Fahnenfignal — ... Glode!!” rief Prinz
Neufjet nach dem Wagen herüber.
Die „Harfe ſpitzte die Ohren und blies die Nüjtern
auf — Frau von Hofitraten befümmerte fic) nicht darum,
ihre ganze Aufmerkſamkeit konzentrierte fic) auf die Kom—
mandeufe, welche, in ihrer Equipage ftehend, verabredeter-
maßen das Zeichen zum Starten geben jollte.
„Achtung !” erjcholl es abermals.
— 430 —
Die „Harfe” drängte vorwärts, der Reihe der Nenn:
pferde zu — die Frau NRittmeifter fchaufelte momentan
im Sattel und riff die Stute mechanijch in’ Maul.
Mit ſchrillem, weithin dringendem Ton erflang die
Glode in der Hand der Fiirjtin, und wie losgejchofjen,
in wilden, etwas zügellojem Durcheinander ftiirmten die
Roſſe davon; — die Kutſcher hieben auf die Wagen:
pferde, um dem Nennen in möglichjt kurzer Diftance zu
folgen, und die Harfe? —
Schallendes Gelächter ertinte aus den Equipagen.
Wie eleftrifiert von dem Signal, angereizt durch den
Anblick der Nenner, legte fic) der brave Schwadrons-
gaul in die Zügel und ſchoß mit weit vorgeftrecttem
Hals auf weit ausgreifenden langen Beinen den Reitern
nad).
Frau von Hofitraten verjuchte mit fräftigjten Fäuſten
den Durchgänger zurüdzureigen, jchrie und bremfte ...
— umfonft, völlig jtier vor Eifer jagte die „Harfe“
dahin, immer den Offizieren nach, jchneller und jchneller
wie auf Sturmesflügeln.
Hilfe und ratlos Hing das jchneidige Holland im
Sattel, die Luft pfiff um die Ohren und das unglüd-
jelige Rnochengeriijt der Stute bewies mit jedem harten
Stoß und Ruck, daß der Begriff „engliih Vollblut“ ihr
jelbft im Traum noch nicht vorgefommen war.
Heidi ging die Reije!
Die Situation wurde kritiſch — Frau von Hofftraten
griff zur „Majorstrenje” und nahm das Roß jdier um
4 — 431 —
den Hal’ — in demjelben Angenblic jagte fie miticn
durch das Nennen hindurch.
„Am Gottes willen, meine Gnädigfte, wo wollen Sie
denn hin ?!” — jchrie Hechelberg.
„Weiß ich’3 ? 1” — flang e3 voll Galgenhumor zurüd.
Das Gelächter der Herren verflang im Wind, die
Harfe hatte das englijche Vollblut überflünelt.
A. Da war ein Uns
/ erhörtes gejchehen, etz
was in den Memoiren
de3 Regiments noch
nie Dagerwejenes.
Die Frau Nitt:
meijter hatte
auf einem
Sdwadrons-
gaul die Raiz
fer = Frang-
Ulanen ge
ſchlagen, Die
Frau Nitt
meifter zog
triumphierend
al8 Siegerin
in den Rafer:
nenbof ein auf
der wacfern
„Harte“,
— 432 —
welche einen gigantifden Blumentrang um den mageren
Hal trug und ihr Hammelprofil zum erjtenmal mit
etwas geiftreicher Arroganz in die Luft ftredte.
Bei dem gemeinjamen Diner jedoch, hat Frau von
Hofitraten mit Graf Hechelberg Schmollis getrunten. —
Aljo zu lejen in den Annalen des Regiments.
—
ESEESEES
XIX.
„per Achſe“ nach Hauje befördern zu lafjen.
Donat hatte jchleunigft von dem Blak an Bidys
Seite Beſitz ergriffen.
Frau von Hofitraten bejtieg den Wagen Procgnas,
ihr Mann und Hechelberg folgten. Excellenz Gärtner
hatte nur einen einzigen Pla in ihrem Kabriolett zu
vergeben, fie winfte Janef an ihre Seite.
„Flandern wird anjtatt Ihrer dem Ehepaar Hof:
ftraten die Honneurs machen — ich möchte noch ein
wenig mit Ihnen plaudern.”
Proczna rief jeinem Jockey einen kurzen Befehl zu
und fprang in die Equipage. Xenia jah, wie die Pferde
ausgriffen, wie ein leichter Luftzug die Langwallenden
Federn de3 Amazonenhut3 Ihrer Ercellenz aufwogen ließ,
dann entzog eine furze Biegung der Chaujfee das Gefährt
ihren Bliden.
„Sind Sie denn gar nicht neugierig, Proczna ?”
N.v. Eihftrutb, IM. Rom. u. Nov. Polnifh Blut II 28
— 434 —
„Ich brenne |
„Sol ich graujam fein und die neuefte und inters
effantejte Nachricht al8 Zauberfädchen benugen, um Sie
daran auf den jo jchnöde ignorierten Rlavierftuhl in
meinem Boudoir zu ziehen ?“
„Bas will ein Seidenfädchen gegen das Anfertau
männlicher Halsftarrigfeit ausrichten! Sie fennen ja das
Mittel, das zauberfräftige, welches mich jeden Augenblid
auf den verlafjenen Poſten zurüdruft. Warum geizen Sie
fo gewaltig mit Ihrem Briefpapier ? !”
„Weil ich jehen will, ob Janek Proczna wirklich fo
verwöhnt und eigenjinnig ift, wie die böje Welt be-
hauptet !”
„Solcher Wiffensdrang läßt mid) an Ihrem guten
Herzen zweifeln. Man muß die Felte feiern, wie fie
fallen, und die Menjchen nehmen, wie fie find — fowie
man eine fcharfe Brille aufjegt, verdirbt man fich felber
die Augen und andern den Spaß an der Masferade de3
Lebens.”
Leonie lehnte das jchöne Haupt noch weiter zurüd
und heftete den Bli voll auf das Antlig des Sprechers.
„Es ift eine Eigentümlichfeit Ihrer Scherze, Graf, daß
diejelben meift recht ernithafter Natur find. Aber Sie
haben recht, die Welt ijt eine große Mtasferade, und wer
die Narrenfappe am tiefften über die Ohren zieht, fich
fowohl wie anderen, der fan eines ungeheuren Spaßes
gewiß fein !”
Ein eigentümlicher Ausdrud lag auf dem geiftvollen
— 4385 —
Antlig des jungen Mannes. „Nicht immer, Excellenz,
Keckheit und Üebermut thun es nicht allein; es dringt
aud) unter die jchwache und harmloje Zämmerherde hie
und da ein Wolf, welcher dem Leithammel das trügerijche
Mäntelchen zerfetzt.“
„Und wenn diejes ‚tonangebende‘ Wejen fic) flug und
fchlau zwei wachſame Freunde an die Seite ftellt, deren
Zähne jcharf genug find, es eventuell mit einem Wolfe
aufzunehmen ?
Sanef lächelte fein. „Was nennen Sie einen Freund,
Excellenz? Die Welt ijt jo freigebig mit diejem Titel !
Und die Menjchen find oft fo blind; fie denfen, wenn
der Krieg nicht offiziell erflärt ijt, jo fei tiefiter Friede.”
Leonie lächelte fajt mitleidig. ,,Bejter Proczna! Es
gehört viel Naivetät und blitzwenig Menjchenfenntniz
dazu, Schein für Wahrheit und Talmi für Gold zu
nehmen !”
„Selbjt in die jchärfiten Augen fann einmal Staub
wehen, und Galanterie und Schmeichelei find oft jo ‚fein
gerieben‘, daß fie gefährlicher durch die Luft wirbeln,
wie ein Ufderegen !”
eonie richtete fich empor und jah dem Sprecher lachend
in das Gefiht. ,,Genug der Metapher, Sie mißtrauifcher
Menſch! Denken Sie, ich wüßte nicht, wohin Ihre Pfeil:
fpigen zielen? Armer Flandern! Er hat jo oft das
Unglüd, für falfch gehalten zu werden, man läßt fich jo
leicht von jeinem jpigen Schnurrbart und dem furzen
Fuß terrorilieren, die Leute hängen nun einmal an dem
28*
— 436 —
Ammenmarden des ‚diable boiteux‘ und fragen nicht
lange um den Kommentar zu einem jold) Hinfenden
Drama! — Unbejorgt, mon ami, auf den guten Flan-
dern fann ich ſchwören! Wäre er mir nicht aus Anhäng-
lichkeit oder Überzeugung treu, fo geſchähe e8 aus Egois—
mus, denn er fann mich nod) weniger entbehren, wie ich
ihn. — Er benugt mich al3 Mauerbrecher, das aus dem
Weg zu räumen, was läftig ijt, und ich habe einen ‚Hans
in allen Eden‘ nötig, der mir das Tafchentuch aufhebt,
wenn e3 bingefallen ijt! Das wäre die herbite und
farfajtifchjte Deutung unjerer Freundichaft. — Daf er
mid) jedoch wahrhaftig verehrt und ala Fran —“
„Schöne Frau!”
„Eh bien, jchöne Frau vergöttert, das ift eine Übers
zeugung, welche id) Ihnen nicht einimpfen kann !”
„An dem vollen Bemwußtjein, daß Sie eine mehr wie
fhöne Frau find, franfe ich bereits ſchon jeit längerer
Al ex.s
„Spötter! Bit e3 wohl möglich, Sie fünf Minuten
lang bei der Sache zu halten! Dort tauchen fchon die
erften Haujer auf, und ich habe noch fein Wort gejprochen
von dem, was mir auf der Seele brennt !”
„Ich Halte den Atem an!”
„Kurz heraus, Proczna, Sie müffen mir helfen! —
Die Angelegenheit ijt folgende.” — Leonie hob mit furzer,
entjchlofjener Bewegung das Köpfchen. „Die AUrtilleriften
feiern heut abend ihr Barbarajejt und verknüpfen damit
die Einweihung eines Bildes, welches irgend ein Genie
— 438 —
von der Knalldroſchke verbrochen Hat. — Nun fagt mir
Flandern, daß Auguft Ferdinand in einer Anwandlung
von Menjdenfreundlidfeit und Schwäche feine Anmwejen:
heit in Ausficht geftellt habe, falls er fic), bei feiner
Jebigen Sndispofition, wohl genug fühlen werde. ch
nehme an, diefe Judispofition, von welcher fein Menfch
etwas weiß, ijt bereit cin Netourbillet, aber,.mon dieu,
wer fteht für die Einflüjterungen eines Gower! Der
Menſch brennt natürlich darauf, jeinesgleichen zu mon—
tieren, und triumphiert über die Auszeichnung, welche
den Kanonenleutnants widerfährt. Bis jett hat Auguft
Ferdinand in freundfchaftlicher Weife nur an den Liebes:
mahlen der Ulanen teilgenommen, zum namenlojen Ärger
und Neid der Fußregimenter, und nun mit einem Mal
ein Herz und eine Seele mit der heiligen Barbara! —
Das ijt die erjte Heldenihat des nenen Adjutanten, wel:
cher das Ohr Seiner Königlichen Hoheit mit den Stich»
worten: ‚Kameradjchaft‘ und ‚Waffengleichheit‘ belagert.
— Er joll fid) aber verrechnet haben, der wadere Gower |
— Ich Hafje den Kommandeur des Artillerieregiments
und will es ihm beweijen, daß ein harter Kopf, welcher
zu arrogant ijt, fic) den freundichaftlichen Winfen einer
Frauenhand zu beugen, fich jchlieglih den Schädel an
der Kleinen Fingerfpige derjelben einrennt!” — Ein uns
ausfprechlicher Triumph funtelte aus den Augen Ihrer
Ercellenz, fie neigte fid) nod) dichter zu dem Ohr Procz—
nas und ficherte: „Die jchiefe Stellung der beiden Fuß—
regimenter ijt mein Werk, Procgna — man wagte es,
— 439 —
Front gegen mich zu machen, und dafür rächte ich mich.”
— Leonie ſchwieg einen Augenblid und fah Proczna mit
einem jcharfen Blick in das nachdenklich geſenkte Antlik.
— „Was überlegen Sie, Graf?”
„IH fuche nad) einem Mittel, den Beſuch des Prin-
zen in dem Artilleriefafino zu verhindern. — Sie ver:
langen meine Hilfe, Excellenz, und rühmen dabei den
Einfluß der Frau — ich glaube bei Gott, Sie behalten
recht mit Ihrer Anficht; wenn Sie den mindejten Rat
wijjen, mir füllt beim beiten Willen nichts ein!”
„Sa, ich habe einen Plan, zwar etwas vergweifelter
Natur — aber im Notjall anwendbar. — Aina Regina
ijt etwas erfältet, wie Sie wifjen, und der Pring jehr
leicht bejorgt. Es würde mir eine Stleinigfeit jein, die
Kleine Hoheit zu bejtimmen, ein paar heftige Krankheit:
jymptome zu jimulieren, um Augujt Ferdinand dadurch
von dem Souper zurüdzuhalten !”
Janeks Lippen pregten jich momentan zujammen, jähe
Nöte flammte an den Schläfen empor, dann lächelte er
etwas gewaltjam erjtaunt und jchürtelte ungläubig den
Kopf.
„Slauben Sie, daß die Pringeffin darauf eingeht
ihren Gatten in jold) raffinierter Weije zu dupieren?
Ich fpreche ihr jegliches Talent dazu ab!’
Leonie lächelte fait graujam. „Sch werde e3 ihr jchon
einftudieren — feien Sie ohne Sorge! Mein Einfluß
reicht glüclicherweife nod) dazu aus.”
„Dank der unvorjichtigen Billets der fleinen Frau!’
— 440 —
— Proczna lachte laut auf. „Ich ziehe den Hut vor
Shnen, Ercellenz, und fühle mic) um einen Kopf ges
wadjen durch) die Freundjchaft, mit welcher mich die
geijtreichjte Frau, der ich bis jeßt begegnete, aus—
zeichnet!”
Eine düftere Wolfe lag auf der Stirn der Präfi-
Dentin. „Ein jeder Menjch hat fein Stedenpferd — das
meine war feit jeher der Ehrgeiz. Die Liebe hat mich
ftiefmütterlih behandelt und mid) an die Seite eines
Mannes gejtellt, welcher mir eine Qual und Lajt ift.”
„Heben Sie die ftrahlenden Schwingen und über:
fliegen Sie die Schranfen —!”
Leonie Blick tauchte in den feinen, dann janfen die
dunfeln Wimpern tief über die Augen. „Wenn id) jen-
feits diefer Gefängnismauern ein Herz finde, dejjen heiße
Glut mich an die Liebe und ihr namenloſes, beraufchend
füßes Glück glauben ließe...” — fie brach furz ab
und fah ihn jdelmijd an, „die Allmächtige des Hofes
ſchmückt die Bruft ihrer getreuen Lieblinge mit Band und
Stern; Ihr Knopflod) fieht immer fo öde aus, Sie
Ordenverächter, ich aber will dafür jorgen, daß e3 meine
garben trägt!”
Sanef 30g die Eleine Hand an die Lippen. „Nach
Kreuz und Stern verlangt’s mich nicht, meine reizende
Herrin, id) weiß eine befjere Deforation, nad) welcher
all mein Sinnen und Trachten jtrebt, ein roja Streifen
Papier, auf welchem ich es mit eigenen Augen lejen fann,
daß ich der glüdlichite Dann auf der Welt bin!”
— 441 —
Leonie entwand ihm ihre Hand. „Die Leute ftehen
an den Fenſtern und beobachten uns, wollen Sie die
Klatſchbaſen mit einem interejjanten Stoff verjorgen? —
Laffen Sie uns zu einem Schluffe fommen! Überlegen
Sie fich die Angelegenheit mit dem Barbarajeft nocd
einmal, fommt Ihnen ein rettender Gedanfe, fo laſſen
Sie mir noch vor jechs Uhr Nachricht zufommen; andern=
falls bleibt e3 bei meinem Plan; ich fahre jegt direkt
zu der Kany und bejpreche mich mit ihr.”
„Sie wifjen, Erxcellenz, daß ich Bech mit meinen
pfiffigen Ideen habe, denfen Cie an den Vortrag der
Frau Gower! — Aber trogdem werde ich mir den Kopf
zerbrechen und Ihnen all mein bißchen Raffinement zur
Verfügung jtellen!”
„Der gute Wille ijt fchon eine That! Au revoir,
mon ami — vielleicht faufe ich roja Papier!’ — Der
Wagen hielt vor dem Hotel, dejjen erjte Etage Janek
Proczna bewohnte. — Der Diener jprang von dem Boe
und ftellte fic) mit gezogenem Hut neben dem offenen
Schlag auf; Proczna verabjchiedete fic) mit verbind-
lichjtem Danke und grüßte der jchönen Frau in jeiner
chevaleresfen Weiſe nach, bis die Roſſe in ihr bejchleus
nigtes Tempo verfielen, dann jchritt er, an den devoten
Kellnern vorüber, die Treppe empor und trat in jein
Rauchzimmer. Sein Antlig war verändert. Ein Gemiſch
von Schmerz und Grimm jenfte jcharfe Linien hinein,
fein tiefer Atemzug glich einem Aufjtöhnen.
Er warf fic) in einen Sefjel und jtüßte Das Haupt
— 442 —
ſchwer in die Hand, feine Lippen preften fid) zufammen,
al8 erdulde er phyſiſche Dualen.
„O, Anna Regina, wäre e8 nicht um deinetwillen,
jchnitte mir nicht dein Elend in das Herz und empörte
mich nicht die unmwürdige Behandlung, welche du erdulden
mußt, ich fünnte e8 nicht durchführen, dieſes erbärmliche
Spiel, gegen welches fich jeder Nerv und jede Fafer
meine Herzens fträubt! Weld) eine Waffe aber führt
Männerhand gegen ein Weib! — Lift gegen Lift, Verrat
gegen Berrat! —
„Es ift ein edles und fchönes Werk, für die Unjchul:
digen und Unterdrüdten zu Feld zu ziehen, der Faljch-
heit die Larve herabzureißen und ein gepeinigtes Reis
von giftigen Parajiten zu befreien! Stände mir nur ein
Gegner gegenüber, welchen ich in ehrlichen Kampf mit
den Fäuſten paden könnte! So ijt’3 ein hinterliſtig Cin-
fangen, ein Strieg, dejjen Waffen Leimruten und Fallen
find!”
Procgna legte die Hand über die Augen, e8 fämpfte
und rang in feinem Innern und rüttelte an dem Männer:
ftolz und ritterlihem Ginn, welcher fic) dagegen auf:
bäumt, ein Weib zu demütigen. „Ein Weib! ... Sit
Excellenz Gärtner diejer liebreizenden Benennung würdig ?
Nein, fie tritt mit den verwerflichiten Gefinnungen, welche
je ein Männerfopf gehegt, alles in den Staub, was als
Frauenwürde auf den Schild gehoben! Bit e8 feige,
wenn man die Wefpe nicht mit derben Fäuften greift,
fondern fie fliiglid) an den Flügeln erhaſcht? Man be:
— 443 —
handelt fie ihrer Art gemäß und überliftet fie!” — Janet
beißt die Zähne zufammen: „Sch verabjchene und ver:
achte diejes Weib wie eine Schlange, und muß es den-
nod) dulden,
daß fie fic
an meinem
Hergenempor-
ringelt, um fie
deſto fidjerer
jajfen gu
finnen! = —
Für Dich ges
ſchieht es,
Anna Regina,
für dich und
dein ungliict
liches, gequäl-
te3 Lächeln,
für deine
müden Augen,
die von zahl:
(ofen durch:
weinten Näch⸗
ten jprechen, für dein und deines Gatten Glück, welches
frevlerijche Hände in Stüde brechen wollen, um dem
Ehrgeiz ein jündlich Opfer zu bringen!’
Er fdjiittelte trobig das volle Haar aus der Stirn,
fprang auf und durchmaß ein paarmal mit haftigen
— 444 —
Schritten bas Bimmer, ein Zug eiferner Entjchlofjenheit
lag auf feinem Antlitz. „Kämpft Frau Leonie etwa mit
ehrlichen Waffen‘! — Sie jchnellt ihre giftigen Pfeile
aus ficherem Berjte heraus, fie fennt fein Mitleid für
die tyrannifierte Frau, welche fie zu ihrem Werkzeug
macht, fie muß gewärtig jein, daß auch ihr mit dem
Make gemefjen wird, mit welchem fie felber jo willfiir-
lic) ihren Nächten mißt !/
Die Stirn des jungen Mannes hat fic) geglättet,
freudige Zuverficht ftrahlt fein Auge, und um die Lippen
zudt e3 beinahe wie Humor, welcher philojophiert: „Sich
felber zu betrügen, ohne daß man es merkt, ijt ebenjo
leicht, wie e8 jchwer ijt, andere zu betrügen, ohne daß
fie e8 merken! Heilige Barbara, ftehe mir bei, daß ich
deinem Felt zu Ehre und Sieg verhelte!”
Kurze Zeit darauf verließ Janek Proczna feine Woh—
nung und begab fich direft nach dem Schloß; er hatte
jeinem Samerdiener etliche Befehle Hinterlafjen, ebenfo
zwei Billets, welche jofort beforgt werden jollten. Das
eine trug die Adrejje der Excellenz Gärtner, das andere
war an Herrn von Flandern gerichtet, und bat denjelben,
„Janek Brocgna bei dem Offiziercorp3 zu entjchuldigen,
wenn er plößlicher Hinderniffe wegen heute nicht an dem
gemeinjamen Diner teilnehmen könne.”
Tiefe Stille herrjchte in dem Fühlen Veſtibül des
Schloſſes, welches jene feuchtichwere Luft, die alten Pa:
läften eigen, gleich einem feierlich ernten Atemzug durch-
webte.
— 445 —
Der Portier war mit devotem Gruß zur Seite ge-
treten, und aus der, etliche Stufen höher gelegenen, mit
einem vergitterten Thürfenjter verjehenen Lakaienſtube
waren dienfteifrig zwei Galonnierte herzugeeilt, nach den
Befehlen des gnädigen Herrn zu fragen.
„Iſt Herr Leutnant Gower noch zu ſprechen?“
Die wohlfrifierten Häupter verneigten fic) à tempo.
„der Herr Fliigeladjutant werden noch bei Seiner
Königlihen Hoheit im Arbeitsfabinett bejchäftigt jein
aber in ſpäteſtens einer Viertelftunde nad) Haufe fahren,
der Herr Leutnant dinieren heute nicht mit den Herr—
haften. Wenn Herr Graf vielleicht wenige Augenblide
verweilen wollen ?”
Proczna nidte Haftig zuftimmend. „Ich Habe Zeit
und werde warten; melden Sie mich, fowie der Herr
eutnant zu jprechen ijt, die Angelegenheit eilt.”
„Darf ich erjuchen, mir gütigft zu folgen?”
Wie ein Schatten glitt der Lakai die breite, durch-
brodjene Eijentreppe hinauf.
Ein mächtiger Korridor, edig und weit wie ein Tanz-
jaal und gejchmüct mit weit über lebensgroßen Gemälden
verdienftvoller Bürgermeifter und Meagijtratsperjonen,
dehnte fich in dem erjten Stodwerf aus, zwölf niedere, von
der Zeit gebräunte Thüren, Meifterjtüde altdeutjcher Holg-
fchnigerei, führten in die anliegenden Säle und Empfang3-
räume für offizielle Feſte, während ein etwas jchmälerer
Flur, did mit Teppichen belegt, rechtsab durch die beträcht-
liche Länge des Frontflügels führte. Kreuze und Quer-
— 446 —
gänge zweigten fic) von ifm ab, fleine Wendeltreppen
verbanden die einzelnen Etagen. — Thür neben Thür.
Hie und da waren Bijitenfarten angehejtet. „Melanie,
Gräfin Kany”, {a8 Proczna im VBorüberfchreiten, und
zwei Thüren weiter: „Ida, Baroneffe Beutler.”
Er entjann fi), die junge Hofdame heute kennen
gelernt zu haben, fie erzählte mit einem wahren Märtyrer:
lächeln, daß fie längere Zeit, heftiger Gliederjchmerzen
wegen, das Bimmer habe hüten miiffen, e8 fei ihr jo
ungewohnt, defolletierte Kleider zu tragen und dazu das
viele Stehen in den meijt fehr fühlen Räumen! ..
Arme fleine Ida, aud) auf dem Parkett muß man Lehr:
geld zahlen.
Hinter der nächiten Thür wurde eine weinende Kinder:
ftimme von Gejang mit ausgeprägt englijden Gaumen:
lauten überjchrien. „God save the queen!“ — — Aha,
der Kleine Prinz, welcher mit Patriotismus eingefchläfert
werden joll!
Proczna lachte leije vor fi Hin. Wenn die Eng:
(änderin nichts ausrichtet, löſt fie eine deutſche Kollegin
mit: „Heil Dir im Siegerfrang” ab! — Franzöfinnen
find bei diejen Dienjtleiftungen zur Dispofition gejtellt.
Er hätte den fleinen Stammbalter gern einmal ge
jehen, um zu fchauen, ob er die jchönen, leuchtend großen
Augen der Mutter geerbt. Der Lafai rip eine Thür
auf: „Darf ich gehorjamjt bitten, näher zu treten, das
Zimmer de3 Herrn Adjutanten.”
Der große Kachelofen ftrömte behagliche Wärme aus,
= a =
feiner Cigarrenduft wehte dem Cintretenden entgegen.
Die Vorhänge an dem Sehreibtijchfenfter waren weit
zurüdgefchlagen und ließen helles Licht auf die Manu—
jftipte fallen, welche noch genau fo ausgebreitet lagen,
wie der junge Dffizier fie eilig verlafjen hatte. Bücher,
mit dem unjcheinbaren Einband ſtrategiſch-wiſſenſchaft⸗
liher Werke, Landkarten, Croqui8 und trigonometrijche
Snjtrumente lagen auf dem Tiſch inmitten des Zimmers,
anjcheinend eine aufgefrijchte Rüderinnerung an die General-
ftabsreije, welche Gower nad) Beendigung jeiner kriegs⸗
afademijchen Studien gemacht. Janek ließ fic) in einem
der altmodijchen Damajtjeffel nieder und ftarrte gedanfen-
voll zu dem gepuderten Fräulein empor, welches fich,
vis-A-vis an der Wand, noch immer bemühte, aus dem
dunklen Rahmen heraus zu fofettieren.
Die Oljarbe war teilweife von Geficht und Hinter:
grund abgefprungen, die eine Seite des Rahmens
fah jchwarz und angefohlt aus, als habe das Bild
eine Feuersbrunft durchgemacht. — Wenn der gemalte
Mund erzählen finnte! —
Auf dem Korridor draußen erflangen ein paar fcharfe
Stimmen; zwei Zofen jchienen fic) zu zanfen, dann
wurde eine Thür zugeichlagen. — Tiefe Stille danach,
— Eine Klingel jchrillte und eine ungeduldige Mahnung
fcallte gleich Hinter ihr her: Gräfin Kauy. — Wieder
vergingen Minuten, dann nahte ein eiliger Schritt, die
Thür wurde haftig geöffnet und mit lautem, berzlichem
Willfommen ftredte Leutnant Gower feinem Gajt beide
— 448 —
Hände entgegen. — Kurzes Hin und Wider, Frage und
Antwort, dann zog Proczna den Adjutanten neben ſich
auf das jteiflehnige Sofa nieder und legte die Hand
auf feine Schulter.
„Wollen Sie mir einen Gefallen thin, Verehrteſter ?”
„Berfügen Sie über mich — ich bin ganz der Ihre.“
„Der Prinz intereffiert fich für meine Waffenjamm-
{ung und erjuchte mich, ihm dieſelbe zu zeigen, wenn die
Kijten angefommen und geordnet wären; dies ijt der
Fall. Hoheit ftellte e8 mir frei, die Stunde zu be:
ftimmen, in welcher mir Höchjtjein Beſuch am gelegenjten
fime, und deswegen fomme ich heute. Könnten Sie den
Prinzen bejtimmen, noch heute nachmittag, vielleicht um
jech8 oder fieben Uhr, bei mir vorzufahren ?”
„Eine außergewöhnlich jpäte Stunde, Königliche Hoheit
wird um acht Uhr zum Liebesmahl erwartet” —
„SH weiß es. Sie jollen fid) nicht verjpäten und
vielleicht direft von mir aus zum Kafind fahren. Aber
dies jelbjtverjtändlich unter uns gejagt.”
„Hoheit ſchwankt noch etwas, ob er thatſächlich das
Feſt befuchen fol, Sie wifjen, daß er fich noch immer
unmwohl fühlt —?”
„Lieber, verehrtefter Freund, wenn Cie den Prinzen
beftimmen fünnten, heute meine Waffen zu befichtigen,
wäre ich zu größtem Danf verpflichtet, verlangen Sie
feinen Kommentar zu dicjer Bitte, jondern glauben Sie
e meinem ehrlichen Geliht, daß fie mir dringend am
Herzen liegt!” Gower drückte herzlich Die Dargebotene Hand.
— 4419 —
„Ich gehe fofort und hole Ihnen Beicheid; was in
meinen Kräften fteht, gefdieht, Ihren Wunſch zu er:
füllen, das bedarf wohl feiner Verficherung. Au revoir,
id) ftehe jo jchnell wie möglich wieder zu Ihren Dienjten.”
Die Thür jchloß fich Hinter der jchlanfen Gejtalt des
Adjutanten.
Leije ticte die Kleine Standuhr auf dem Schreibtijch,
und ein einzelner Sonnenjtrahl flimmerte über das filberne
Raudjervice, welches Gower mit ftummer Cinladung
näher gejchoben hatte; Proczna fchritt auf und nieder
in dem Zimmer, fein Schritt verhallte auf dem Teppich,
gedanfenvoll neigte fic) jein Haupt zur Brujt.
Nervdje Aufregung erjaßte ifm. Er mußte Anna
Regina die Demütigung und Qual erjparen, ihren Gatten
um eine’ intriganten Weibes willen zu diipieren, er fonnte
und durfte e3 nicht dulden, daß die beflagenswerte Frau
zu einer Komödie gezwungen wurde.
Er war zum Äußerſten entjchlofjen. Er wußte, was
er in die Wagjchale warf, wenn er ſich jchon jet demas-
fierte und dag mühjelige Werf, welches er durch jahre:
lange Vorbereitungen aufgebaut hatte, mit jtolzen Händen
bi in das Fundament hinein zuſammenriß. Was ver:
pflichtete ihn, für Anna Regina fein eigene Lebensglüd
in Trümmer zu brechen? — — Procgna richtete jich
empor: „Mein Gewifjen und meine Ehrenhaftigfeit! —
Habe ich nicht den Mut, alles eingujegen für die Grund»
fage, welche ich vertrete, jo ziehe id) mein Thun und
Handeln einer Ercellenz Gärtner gegenüber jelber in den
Rv. EfHftruth, I. Rom. u. Nov, Polnifh Blut II. 29
— 450 —
Kot! Dann wäre ich nicht eines Weibes Streiter, deffen
Mittel durd) den Zweck geheiligt werden, fondern ein
erbärmlicher Intrigant, der nur dann wagt, wenn er
nicht8 verlieren fann ... Sanef Proczna aber tritt mit
Leib und Seele für das Biel ein, welchem er entgegen-
itrebt. — Komme e8, wie e& immer wolle, ich jtehe
für dic), Anna Regina! Ich jchlage zu Boden, was
dich überwuchern will, und wenn diejer Schlag felbft
mein eigen Glück zerjplittern jollte.”
Die Thür bewegte ich leije in den Angeln, Leut-
nant Gower trat mit lächelnder Haft über die Schwelle.
Procznas Blid Hing an jeinen Lippen.
„Königliche Hoheit ift um fünf Uhr bei Ihnen, Ver:
ehrtefter — läßt jeinen verbindlichjten Dank ausdrüden
für Ihre liebenswürdige Bereitwilligfeit ...“
Sanef atmete tief auf. „Glauben Sie, daß der Pring
por dem Souper noch einmal hierher ins Schloß fährt?
Es ijt noch jehr früh, um fünf Uhr!“
Der Adjutant zudte die Achjeln, Proczna aber faßte in
dringender Haft feine Hand und jah ihm bittend in das
Auge. „Man weiß nicht, wie lange wir plaudern werden, oft
fliegt die Zeit jchneller alS man denft, erinnern Sie fic
an die Märchen der Königin von Navarra! — Eines aber
verjprechen Sie mir — hinterlajjen Sie eineu Befehl, den
Helm, die Handjchuhe und Orden des Prinzen in meine
Wohnung zu fenden, falls Hoheit nicht im ‚Souperanzug‘
meine Waffen zu befichtigen gedentt, vielleicht wird es nötig,
daß Hochderjelbe direft von mir aus in das Kafino fährt!”
— 451 —
„Die Sphing ift ein offenes Buch gegen Sie, Procgna!
lächelte Gower in jeiner liebenswürdig heiteren Weife.
„Ich fann Ihrem Wunjche gwar feinerlei Deutung geben,
gelobe Ihnen aber bei all der aufrichtigen und herzlichen
Verehrung, welche ich für Sie hege, Ihre Bitte als Befehl
zu erachten.” ,
ALS Janek Proczna die Schloßireppe wieder hernieder-
jchritt, lag ein jreudige3 und zuverfichtliches Lächeln auf
jeinem Antliß; Leutnant Gower begleitete ihn, jehnfüchtig
wie ein Bräutigam eilte er jeiner trauten Häuslichfeit
und feiner fleinen rau entgegen.
€3 war interejjant, ihn jprechen zu hören, er ent:
widelte jchlicht und ehrlich feine Anfichten, nichts lag ihm
ferner, al3 die obligate, höfiſche Wichtigthuerei, welche
die Leute glauben machen will, eine Fürjtlichfeit fet einzig
dazu da, dem Adjutanten die nötige Folie zu geben.
Proczna dachte jich unwillfiirlid) Herrn von Flandern
an jeine Eeite, dachte an die allerliebjten Fächer, welche
er zu malen, und die ercellenten Feſte, welche er zu ar—
rangieren verjtand — Gower war gejchmadlog genug,
mit ihm über ausländijche Militärverhältniffe zu fpredjen,
welche höchſtens für einen recht ehrgeizigen Streber Inter—
effe haben konnten ...
Als fich die Wege der plaudernden Herren trennten,
fchieden beide mit dem Gefühl, einem lieben und lang:
jährigen Freund die Hand gedrüct zu haben.
—
29*
XX.
anef Proczna ftand im Mittelfalon feiner Hotel=
wohnung unter der Gastrone, welche, voll ent:
zündet, ihre Lichtftrahlen in tauſendfachem Reflex
auf den blanfen Metallichilden brach oder fleine, zudende
punfen über die Bejchläge und Edeljteinagraffen der
verjchiedenen Dolce, Piltolen, türfiichen Säbel und
Schwerter warf.
Sein Blick richtete fic) auf die Pendule; es waren
noch ſechs Minuten bis zu der Ankunft des Prinzen,
Deffen militärische Pünktlichkeit ftadt- und landbefannt
war. Proczna fannte feine Nervojität, dennoch durch:
maß er mit untubigen Schritten das Bimmer, Hier und
da ftehen bleibend, um ein bejonders koſtbares oder origi—
nelle3 Stüd jeiner Waffenjammlung von der Tafel zu
nehmen und es nachdenklich angujchauen. Es war, als
memoriere er die Öejchichten, welche fich, voll Hiftorifcher
oder intereffant privater Bedeutung, an jede einzelne
diefer Waffen fnüpften. — Sehr viele waren e3 nicht,
für einen Renner hätte die Belichtigung wohl längere
— 453 —
Zeit in Anſpruch nehmen können, für einen Liebhaber
war das Terrain bald umſchritten, und was dann, wenn
der Prinz ©
noch einmal | PR ’
zum Schlojje
zurüd fuhr,
feiner Ge-
mahlin Die
fleine Hand
zur „Gute
Nacht’ zu
küſſen?
Jähe Röte
ſtieg in Ja—
neks Stirn,
ſeine Rechte
knitterte
krampfhaft
das duftige
Billet, wel⸗
ches ihm ſo⸗
eben von
Frau Leonie
zugeſchickt
war. „Ich glaube kaum, daß die Idee, den Prinzen durch
eine Beſichtigung Ihrer Waffen aufzuhalten, etwas nützen
kann, ſolches Anſinnen iſt einem Manne, welcher anſtatt
eines Herzens eine Uhr in der Bruſt trägt, doch zu naiv,
id) habe herzlich über Sie geladt, mon petit ‚roi de
Sabe‘! Immerhin verjuchen Sie e8; ich werde auf alle
Fälle bei der Kany fein und meinen Plan im Anjchlag
bereit Halten, falls Ihnen der Durchlaucdhtigfte zu früh
aus den Fingern jchlüpft.”
Der CErbherr von Proczna biß jdjweratmend die
Zähne zufammen und fchleuderte das Briefchen in die
Kaminglut; — drunten rollte ein Wagen vor — auf
dem Korridor wurden die Schritte der Dienerjchaft Laut.
Sanef warf das Haupt in den Naden, er war zum
Äußerſten entjchloffen. Mit feſtem Schritt trat er in das
Vorzimmer, Seiner Königlichen Hoheit entgegenzugehen.
August Ferdinand war außergewöhnlich heiter und
gut gelaunt.
„Laſſen Sie mich erft ein Weilchen Ihre Gejellichaft
genießen, Verehrtefter, ehe Sie mir den Anblid Ihrer
Sammlung geftatten! Mir geht es wie dem Einfiedler
auf Marks: Riff, der dic Wandervigel in ihrem Fluge
aufhielt, damit fie ihm erzählen jollten, wie es draußen
in der weiten Welt ausjieht!”
„Wenn Mark3:Riff hier droben auf nordijchem Feſt—
land liegt, Königliche Hoheit, bin ich überzeugt, dag die
Schwalben ihr Neſt unter dem Dache des Cinfiedlers
gebaut haben!”
Der Prinz ließ fich lächelnd in einem Fauteuil nieder.
„Für furze Zeit vielleicht, jowie der Sturm daran rüttelt,
fliegen fie auf und davon! Wer wie Sie die Lieder der
Sehnſucht fingt, Proczna, den gieht’s zur füdlichen Heimat
— 455 —
zurück — ob früher oder pater; es hat noch niemals cin
Lorbeer in unferm Boden Wurzel gejchlagen, den eine
heißere Sonne auz dem Keim gelodt!’
„Ich bin Pole, Königliche Hoheit.”
„Ihrer Nationalität — das heißt dem Geburtsſchein
nach, welcher in polnischer Sprache ausgejtellt ijt. Ihr
äußerer Menjch ift nur eine Enveloppe für die Künftler-
jeele, und dieje hat in Italien und Paris ihre Schwingen
entfaltet, wo Ihnen Apollo den Weihefug auf die Stirn
gehaucht. Ich dächte aber, fold) eine geijtige Wieder-
geburt müſſe alle nationalen Bande des Blutes löſen
und Sie auch als Menjden an dasjenige Stüdchen Erde
fetten, welches Cie für eine ganze Welt und für Ihre
eigene höchite Bejtimmung geboren hat!”
Procgna lächelte fajt wehmütig. „Einer Cage gleich
lebt die Anficht unter den Leuten, polnifch Blut verleugne
fic) nie. — Wie geheimnisvolle Kräfte die Magnetnadel,
ihr felber unbewußt, nad) Norden ziehen, mag fie hinaus:
gejchleudert werden in die fernjten Lande und Meere, jo
bindet eine rätjelhafte Gewalt die Herzen der Polen an
ihr Vaterland, fie umjtriet mit taufend Bauberfäden
den flüchtigen Fuß, fie lodt und zieht zurüd wie der
Pulsichlag, welcher den Sohn an die Bruft des Waters
treibt — Man fagt’s — wer fann’3 beweijen! — Ich
habe erft al erwachjener, deutjch erzogener Mann die
polnische Sprache erlernt und dennoch ift fie mir leicht
und mühelos von den Lippen geflojjen, und hat fic) mir
ins Ohr gejchmeichelt, wie eine Mutterjprache!”
— 456 —
„Weil Sie wuften, daß Sie polnischer Abkunft
find! — Die Phantafie ift eine gewaltige Betriigerin
und leiht uns unendlich viele Mittel, eine Einbildung zu
unterſtützen!“
„Sehr wohl, Königliche Hoheit, aber dennoch mit
einem gewiſſen Eigenſinn. Wie gern hätte ich mir oft
eingebildet, recht glücklich zu ſein, und wie gern hätte
mich meine Phantaſie dabei unterſtützt! Künſtleriſch und
phantaſtiſch geht faſt immer Hand in Hand, nur bei mir
nicht. Im Vollgenuß meiner Erfolge habe ich die Augen
geſchloſſen, und unter dem Lorbeer und zwiſchen der
Roſenglut des Südens von wirbelnden Schneeflocken, Nord-
landsſtürmen und einſam ragenden Tannen geträumt,
mein Herz hing voll nagender Sehnſucht an der ernſten,
nordiſch kühlen Heimat!“
Auguſt Ferdinand hob lächelnd das Haupt. „Und
davon profitieren wir jetzt! Möchte ſich doch die liebens—
würdige Sage von dem polniſchen Blut beſtätigen und
die deutſche Erziehung ſich nicht ganz verleugnen, dann
würden wir den Vorteil daraus ziehen und Janek Proczna
dauernd auf der Grenze zwiſchen Deutſchland und Polen
hier in unſerer Mitte behalten!“
Das Geſpräch ſpielte ſich auf andere Themata über;
der Prinz zog Leutnant Gower mit in die Unterhaltung
und erhob ſich erſt nach geraumer Zeit, die Waffen zu
beſichtigen.
Janeks Blick ſtreifte die Pendule — über eine halbe
Stunde war der Zeiger vorgerückt. Nun galt es für
— ABT =
ihn, Kapital aus den Studien zu jchlagen, weldje er in
Paris gemacht, erzählen, ohne zu ermüden — fejjeln,
ohne ein Seil zu drehen! — Die Märchen der Königin
bon Navarra!! —
Auguft Ferdinand trat an die Tafel und überflog
das ganze Arrangement mit einem prüfenden Blid. „Ich
liebe es, wenn ein edler Kern aud) eine gejchmadvolle
Scale hat, und effe ein Gericht mit doppeltem Appetit,
wenn e3 mit einigem Raffinement ferviert wird! — Diefe
Heine Austellung beweift durch die foftbare Fajjung am
beiten, welch edle Perlen fie birgt!” Er nahm eine Piftole
empor und befichtigte ihre eigenartige Gravierung. ,,Sie
haben feine Zettel oder Schilder angehängt, verehrtefter Graf,
wollen Sie meiner Wißbegierde ein Cicerone fein?!”
„Wenn Königliche Hoheit geitatten, fogar ein recht
ausführlicher, denn das hauptjächlichite Interefje nimmt
zum größten Teil nicht die Waffe ſelbſt, fondern die
Gefdhidjte in Anjpruch, welche fic) daran fnüpft!”
„Scharmant! Beginnen wir fofort bei diejem origi-
nellen ‚Seihüg! — Cine mir völlig fremde Konftruf-
tion...” Der Pring verjuchte den Hahn zu fpannen —
„Haben Sie verjucht, damit zu ſchießen?“
„Berjucht wohl, Hoheit, aber . . . id) muß befennen,
daß ich ein jehr ſchlechter Schübe bin; außer meinen
beiden Stedenpferden ‚Singen und Neiten‘ habe ich
fein Talent und feine Paſſion. Dieje Piftole ijt ein
Geſchenk des Herzogs von Valence, der Austrag einer
Wette Gouttes d'or betreffend . . .”
— 458 —
„Ah, ich hörte bereits; Sie fennen den Herzog pers
jönlih und haben durch bejagte Gouttes dem braven
Hechelberg drei jchlafloje Nächte bereitet —“
„Der Graf behauptet jest noch fteif und feft, meine
Verpadung wäre vielleicht echt, aber die Gouttes jelber
jeien nicht8 anderes wie Firnewein mit merveilleujer
Blume...”
„Firnewein?“ — Auguft Ferdinand blicte lebhaft
auf, „da würde er zu überführen fein! Ich trinke jeit
Jahren die Auslefe des R. . . Klojters, defjen Abt mir
perjönlich befannt ijt, es fteht Ihnen mein Weinkeller
zur Verfügung, laffen Cie e8 auf einen Vergleich au:
fommen |
„Die Streitfrage wäre wohl am ficherjten ent-
ichieden, wenn Königliche Hoheit Die Gnade hätten, dic
Gouttes d’or einer Prüfung zu unterziehen!” Procznas
Auge leuchtete auf, Haftig trat er zu dem Schellenzug.
„Ich würde jtolz und glüclich fein, einen Becher, welcher
auf der Tafel eines der größten Raijer gejtanden,
einem deutjchen Prinzen und Feldherrn präjentieren zu
dürfen!”
Auguft Ferdinand nicte ihm in feiner einfachen und
ichlichten Liebenswürdigfeit zu. „Gewiß, mein lieber
Graf, es wird mich jehr interejlieren, Ihre vielbe-
jprochene Marke fennen zu lernen! Um jo mehr, wenn
id) fie in einem Pofal gereicht befomme, zu welchem
mir mein freundlicher Wirt eine Hiftorische Erinnerung
erzählen kann!“
Proczna verneigte fich dankend, trat unter die Por:
tiere und flüfterte dem Rammerdiencr einen furzen Befehl
zu, dann fehrte er an die Eeite des Prinzen zurüd und
begann in amiüjantejter und anregendfter Weije den
Cicerone zu jpielen.
Eine außerordentlich Tebhafte und heitere Unter-
haltung entjpann fic), die Herren probten die einzelnen
Waffen, ftellten Anficht gegen Anficht und widelten den
Faden des Themas oft freuz und quer durch ein Laby-
rinth alter und neuer, ftrategifcher und civiler Ber-
hältnijje.
Die Gouttes d’or junfelten in den gejchliffenen Slelchen,
bläuliche Nauchwölfchen fräufelten von den Cigaretten
empor, und Janek Procgnas vornehme, ungezwungene
und dabei doch rejpeftvoll gemefjene Art und Weiſe be:
wie3 am beiten, wieviel hohen Beſuch er jchon in feinem
Hauje empfangen.
Auguft Ferdinand war außerordentlich animiert und
pollfommen im Bann jeiner Pajjion; er war leidenjchaft-
licher Jager und renommierter Piltolenfhüß, fein Auge
leuchtete auf bei dem Anblik alter Waffenfchmiedekunft.
Im Erwägen, ob nur jchön oder aud) jet nod)
brauchbar, erfud)te ihn Proczna, einen Verfuch anzuftellen.
Man ließ Munition fommen, lud die Piftole und ftellte
durch zwei Bimmer Hindurd ein Biel auf; das alles
beanjprudjte Zeit, zwijchendurch aber rantten jich die
humorvollen Kommentare, welche der Pflegejohn des
Grafen Dynar zum „Ausfüllen der Paujen” erzählte.
— 460 —
Sein Blick huſchte unbemerkt zu dem goldenen Biffer-
blatt, tief aufatmend hob fich jeine Bruft. Noch eine
Viertelftunde, und alles ijt gewonnen! Auguft Ferdinand,
der peinlich Piinftlide, hat alsdann die Stunde der Ein-
ladung verfjäumt und wird ohne Verzug zum RKafino
fahren! Aber womit ihn noch halten? Die Sammlung
ijt befichtigt, und Augujt Ferdinand blidt, wie fragend,
auf Gower.
„Ihre ganze Wohnung jcheint ja aus Raritäten zu—
fammengejeßt gu fein, Verehrteſter!“ lachte er, auf ein
fleine3, altertümliches Heft blidend, welches Procgna zus
fällig von dem Rlavier geftoßen hatte, und nun mit auf-
fallender Behutjamfeit wieder aufnahm.
„Diejes vergilbte Papier dürfte wenigftens das wert-
vollite Stück fein, welches diefe vier Wände bergen” —
nahin Proczna die Frage mit gewiffer Haft auf. „Eine
Handichrift Chopins.”
„Ah, thatſächlich? Bitte, laffen Sie fehen —” der
Pring ftrectte die Hand nad) den Blättern aus, wandte
aber gleichzeitig den Kopf aufhordend nach dem Fenſter.
„Es regnet? !”
Gower eilte an die Scheibe. „In der That, Kinig-
lide Hoheit, das Tauwetter macht fich in jeder Facon
bemerflich !”
„Recht fatal ... ich hatte den Wagen zurücgefchickt,
um die fleine Strede nad dem Schloß als Promenade
zu betrachten, e8 war £öjtlich milde Luft! ... Apropos,
bejter Gower, es ift wohl Zeit, an den Aufbruch zu
denken“ — Auguft Ferdinands Blick ſchweifte über den
nahen Schreibtiſch, eine Uhr auf demſelben zu entdecken
— 462 —
— „ich habe nämlich meine Anweſenheit bei einem Feit
gugejagt, welches die Artilleriften in ihrem Kafino ver:
anftalten.”
„Ah, die Enthiillung des Barbarabildes! Dazu kann
man gratulieren, denn e3 ijt thatjächlich eine ebenjo amü-
fante, wie originelle und dabei doch künſtleriſch wertvolle
Gabe, welche der ‚jüngjte Leutnant‘ jeinem Regiment
damit. jpendet.”
„Sie fennen das Bild, Graf? Sie haben es ger
jehen ?” 3
„Ganz recht, Königliche Hoheit. Einer der Herren
war jo liebenswürdig, mir den Genuß zu gewähren.”
„Eine Karikatur?!”
„Nicht im groben Einne, obwohl dem Gemälde ein
feiner und graziöjer Humor nicht abzufprechen ift . . .”
„Bitte, bejchreiben Sie —“
„Die heilige Barbara jelber ijt als Echußpatronin
der Artillerie in einer würdigen und geradezu idealen
Weiſe genau in der Art wie die Girtinijche Madonna
aufgefaßt. Anjtatt des Kindes hält fie eine fleine Kanone
in dem einen Arm, während fie mit dem anderen eine
frepierende Granate Ddarbietet. Die fleinen Engel zu
ihren Füßen find ebenfalls genau in der Art des Hajfi-
ſchen Vorbildes gruppiert, allerdings mit der Abwei-
hung, daß diejelben fleine Leutnant® markieren, mit
Epaulettes auf den nadten Schultern, Helm, Sdynurr-
bärtchen und Cigarette, eine unglaublich drajtijche und
humorvolle Zeichnung I”
— 463 —
Der Pring lachte laut auf. ,,Bortrefflid! Muß in
der That einen originellen Eindrud machen — ich werde
mir das Bild auf alle Fälle anjehen! Haben Sie herz:
lihen Dank für diefe interejjante Stunde, mein verehrtejter
Proczna ... Dynar oder Proczna — ich weiß nie recht,
wie man Gie nun eigentlich) nennen joll! ...“ Augujt
Ferdinand reichte ihm die Hand entgegen, und Gower
griff nach dem Degen jeines hohen Gebieters, Janet aber
tif an dem Schellenzug.
„sönigliche Hoheit werden doch Hoffentlich meinen
Rappen die Ehre angedeihen lafjen, den Weg bis zum
Schloſſe zu mefjen, es regnet jehr jtarf, und ich würde
mir ewig Vorwürfe machen, wenn fic) die Indispoſition
meines gnädigften Herrn verjchlimmern würde, außerdem
dürfte eine Promenade zu lange aufhalten.”
„gu lange aufhalten? Um alles in der Welt, Gower,
wieviel Uhr hat das eben gejchlagen ?”
„Dreiviertel Acht, Königliche Hoheit, zu Befehl.“
Proczna gab dem Kammerdiener einen Wink, Auguft
Ferdinand aber lachte laut auf und legte die Hand auf
die Schulter des jungen Singers. „Was zum Teufel
haben Sie mit mir angeftellt, Procgna, daß die Stunden
zu Minuten geworden find! Coll id mic) um Ihrer
foftbaren Waffen willen zum erjtenmal im Leben ver:
ipäten?! Es fieht mir ftarf danach aus, denn in einer
Viertelftunde kann ich unmöglich in der Kaſerne jein —“
„Befehlen Königliche Hoheit, nicht von hier aus direft
zu jahren?”
— 464 =
Der Prinz ſah einen Moment unſchlüſſig vor ſich
nieder. „Ich beabſichtige noch einen Orden anzulegen,
und meine Handſchuhe!“ Er nahm die Genannten aus
Gowers Händen entgegen und ſah prüfend darauf nieder,
der Adjutant jedoch wechſelte einen ſchnellen Blick mit
Proczna.
„Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, ich hatte dieſen
Fall, in anbetracht der reichen und intereſſanten Gamm-
lung, welche unjerer hier harrte, vorgejehen und die be:
treffenden Toilettenftüde für ein halb acht Uhr hierher
beſtellt!“
„Excellent! — Das war ein vortrefflicher Gedanke,
lieber Gower! Wollen Sie die Güte haben, ſich zu über—
zeugen, ob man Ihren Befehl pünktlich ausgeführt hat?
Dann bliebe mir vielleicht doch noch Zeit, beim Schloſſe
vorzufahren, um mich nach dem Befinden meiner Frau
zu erkundigen.“
„Ah voila, Gower! nebſt allem, was ich brauche!
Scharmant ... Danke tauſendmal, Verehrteſter. Und
Ihre Geſchichte, Proczna — läßt ſie ſich noch erzählen,
bis Ihre Liebenswürdigkeit die Pferde vor die Thür
ſtellt? Die Geſchichte jener Handſchrift meine ich?!“
Proczna, welcher das Notenheft noch immer in den
Händen zuſammenrollte, verneigte ſich und offerierte dem
Prinzen die vergilbten, eng beſchriebenen Blätter.
„Es knüpft ſich eine Erinnerung an dieſes unfdjeine
bare Papier, welche meiner Anſicht nach für jedermann
intereſſant ſein muß — es iſt eine nie veröffent:
— 465 —
lidjte Kompofition Chopin’, die einzige, welche einen
heiteren, beinahe übermütigen Charafter trägt. Die Worte
find an eine der erjten Sängerinnen der Großen Oper
in Paris gerichtet, welche die Hauptrolle einer Meyer:
beerjchen Oper zum erjtenmal in der Weltſtadt fang.”
„Ah — ein lujtiges Lied Chopins? Wie famen Sie
zu diejer Rarität ? !”
„Auf jehr originelle Weije, man hatte in den Tuile:
rien eine Austellung hiftorifcher oder künſtleriſcher Wert:
gegenjtände zum Beſten eines Waijenhaujes veranjtaltet.
Wer im Befiß eines antifen oder intereffanten Stückes
war, gab dasjelbe leihweife an das Komitee, und diejes
ftellte daraus die buntejte und verjchiedenartigfte Kollek—
tion gujammen.
Ich durchſchritt am Arm eines Freundes die ver:
jchiedenen Säle, welche in früher Morgenjtunde weniger
zahlreich bejucht waren. Sn einem fleinen Glasfajten
entdeckten wir dieſes Notenheft mit der angehefteten Ber
merfung, daß e3 von dem Befiger, Herrn Giacomo Meyer:
beer, gütigit überjandt fei. Och las voll regften Eifers
die Worte und jummte die Melodie nach den ziemlich
undeutlichen Noten vor mich hin.
„Das wäre fo etwas für Sie, mon ami!‘ rief mein
Freund voll Begeijterung, ‚wenn Sie mit diejem Heft
vor das Publifum treten und ein Couplet von Chopin
derartig jingen würden... Denfen Sie fich diejen
Eifeft " — ‚Ein Couplet von Chopin derartig fingen, daß
fi der Meijter nicht im Grabe herumdreht, derartig
Nov. Eſchſtruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II. 30
— |, ae
fingen, daß doch die Thränen des großen Komponiften
durch all die Scherze flingen, das ift unendlich fchwer
meine Herren!” erflang pliglich eine Stimme hinter ung.
Ein fremder Herr war an uns herangetreten. „Und
wenn fic) jemand fände, welcher diefes Kunſtſtück dennoch)
fertig brächte?‘ erwiderte mein Freund beinahe gereizt.
‚Dann wäre es einzig — Janek Proczna !! — ‚Und
wenn Sanef Proczna vor Ihnen jtände?‘ Der Fremde
jah mich einen Moment mit durchdringendem Blic an.
you der That? Sind Sie Proczna ?
„Ich lächelte. ‚Nichts weiter alg er, und Gie?!...
ein Gedanfe bligte mir plößlich durch den Kopf, ich
wußte, warum mir der alte Mann jo befannt vorge-
fommen war, ‚Sie find der Befiter diejes fojtbaren Hef—
tes!‘ Ein wunderliches Zuden ging über die rungligen
Züge, fajt fahen fie freundlich aus, er reichte mir die
Hand.
„Ich war der Befiter‘, entgegnete er, nahm einen
Bleiftift aus der Tafche und jtrich den Namen Meyer:
beer auf dem Papierzettel des Glastaftens aus, um mit
gitterndDer Hand Janef Proczna darauf zu frigeln. Seit
jenem Tage war ich oft im Haufe des alten Meyerbeer,
und als ich ihm das Couplet vorjang, da drüdte er mir
die Hand und bat mit feuchtem Auge:
„Nur vor warmen, verjtändnispollen Herzen fingen,
Proczna, nicht vor einem Publifum ... Dies Lied ift
der Schmetterling auf dem Kranze weißer Blumen, welche
Chopin im Wappen trägt |
— 467 —
Auguft Ferdinand reichte dem Sprecher beide Hände.
„Ich habe ein warmes Herz, Proczna, und ein aufrich-
tiges Interefje an diefem Lied, betrachten Sie mich nicht
alg Bublifum !”
Drunten rollte die Equipage vor.
Sanef jtellte die Noten auf das Klavier.
„Benn Königliche Hoheit geftatten, werde ich bez
weijen, daß ich nur im Sinne Meyerbeer3 handle.”
Es lag viel Verbindliche und viel aufrichtige Vers
ehrung in Gefte und Stimme des Grafen, er jegte ſich
nieder und jang.
Wie ein lautes Aufjubeln lang es von feinen Lippen,
acht helle Glodenjchläge Hallten von der Pendule da=
zwifchen. ,Gewonnen, Frau BPräfidentin!” Dann
ein haftiger, herglicher Abjchied. „Direkt nad) dem Ra-
30*
— 468 —
fino”, befahl Auguft Ferdinand, „es ijt gu {pat geworden,
um nod) Abjtecher zu machen }/
Die Rader und Hujjdlage verflangen in der flillen,
vom Regen überfluteten Straße, Janel Procgna aber prefte
einen Augenblick die Hände gegen die Schläfen.
„Diejer Nachınittag Hat dich zu meiner Schuldnerin
gemacht, Anna Regina!” atmete er auf, das waren die
längjten Stunden, welche ich jemals nad) Sekunden ge-
mejjen habe !”
Der Kammerdiener trat ein und fragte, wann das
Souper bereit gehalten werden jolle.
Proczna überlegte einen Augenblid. „Bringen Sie
mir Mantel und Hut, ich trinfe den Thee in Billa
Florian.“
———
er Regen ließ allmählich nach. Eine köſtliche,
friſche, etwas herbe Luft wehte um die Stirn
Procznas, welder einſam durch die menſchen—
leeren Anlagen ſchritt. — Sein Blick ſchweifte empor zu
den flüchtig ziehenden Wolken, welche ſich mehr und
mehr zerteilten. Von den Zweigen tropfte es hernieder,
die feuchten Kieſel auf dem Wege leuchteten wie Silber
und zur Seite flüſterten ein paar welke Blätter im
Winde, geheimnisvoll wie die „Saga am Brunnen von
Sökwabek.“
Janek ſchreitet langſam dahin. — Es iſt ruhig in
ihm geworden, die Wogen der Erregung haben ſich ge—
glättet, die heiße Stirn hat ſich abgekühlt, es iſt ihm zu
Mut wie dem Seemann, welcher ſich überzeugt, daß
er den richtigen Kurs genommen — durch Sturm und
Klippen hindurch führt er doch zum heimatlichen Hafen.
Im Parterre der Villa Florian ſind alle Fenſter—
läden geſchloſſen, aus den Salons der Gräfin Dynar
leuchtet roter Lichtſchein durch die kahlen Baumwipfel.
— 470 —
Reife, gedämpft zittert der Glodenton Hurd die
Flurhalle.
„Der Herr Baron ſind im Klub und die beiden
Damen trinken den Thee bei der gnädigſten Gräfin!“
„Meine Schweſter erwartet noc) weitere Gäſte?“
„Durchaus nicht, Ew. Gnaden!“
Proczna wandte ſich mit leider Handbewegung zur
Treppe und ſtieg die weißen Marmorſtufen empor.
Ein Diener ſtand bereits wartend droben im Korridor.
„Die Damen ſind noch in Anſpruch genommen, bar}
ich bitten, hier in diefen Salon einzutreten!“
Janek ließ fich den regenfeudjten Mantel von den
Schultern nehinen, ftrich mit der Bürfte das leichtgewellte
Haar aus der Stirn und trat ein.
„Ah, Icharmant! — Umarme Sie, Berehrtefter!”
fporenflirrend erhob fid) Heller-Hüningen aus einer Sofa-
ede und eilte dem Eintretenden entgegen. „Sei mir
gegrüßt, Gejegneter des Herrn!“ jang er in durchaus
eigener Kompofition und reichte Proczna die Hand mit
herzhaftem Druck.
Aus einem Seffel tauchte, von roten Bandjchleifen
umflattert, eine allerliebfte Toilette, in welcher Fräulein
Bicky ſteckte, die fich in ftiirmijder Begrüßung an Procgnas
Arm hing.
„Wie reigend, daß du fommit, Janek, wir jpielen zus
fammen Domino und ich gewinne in einem fort!”
„Na ja, weil Sie eben ſchon von Kindesbeinen an
auf diefe heimtückiſche Sache eingedrillt find!” — Donat
— 471 —
drängte das Coufinden jehr gejdhidt von Proczna weg
und nahm jelber dejjen Arm. „Ein gräßliches Spiel,
lieber Proczna, in finnverwirrender Weile muß man
ihwarze Punkte zählen und davon eine griechiiche Karte
auf den Tiſch bauen — darin erreicht der Wik den
Siedepunft .. .”
Bickys Antlitz glühte, al& Habe fie die Hölle ange-
blajen. „Weil er’3 nicht verfteht, Janek, und immer
andere Gejchichten dagwijdenfoh{t! Bd ſchlug ihm ja
guerjt ‚Hammer und Glode‘ vor, aber da behauptete er,
bei derartigem Spiel rühre ihn der Schlag vor Auf-
regung, worauf ich jo gutmütig war und ihm das Do:
mino brachte.”
„Schändlichiter Egoismus! Ich muß unter der Dez
vife: ‚Lieber tot al3 unritterlich“ ein fremdes Spiel ris-
fieren, bei welchem ich ohne jede Garantie in himmel-
ichreiender Weije bejchuppt werde! Am ganzen Abend
nod) fein eingiges Mal gewonnen, foll das etwa mit
rechten Dingen zugehen? Hier, den halben Inhalt der
Bonbonniere, welche ich extra zu dem Zwed des Ein-
ſatzes mitgebracht habe, hat meine Gegnerin bereits an
ſich gebracht !”
Donat fniff feinen Freund heimlich in den Arm,
machte ein entrüftetes Geficht und deutete nach dem Tijch,
woſelbſt Bicky ſich mit beiden Armen jchügend über eine
Schale voll Konfeft warf, welche fie laut ihrer Ver:
ficherung auf redlichjte Weije verdient habe! Donat könne
ja foviel er wolle aus der Boite ejjen, aber nein, in
ons BID,
purer Ungegogenheit bejtehe er darauf, von ihrem Gewinnſt
gu jtehlen, und alles Anbeißen der einzelnen Stüde helfe
nichts, folche nehme er crit recht!
Sanef lachte laut auf. „In weld) einen Abgrund
der Verderbnis muß ich ‘mal wieder bliden! Auch ge-
zeichnete Schafe jtiehlt der Wolf, liebe Bicky! Aber nur
Mut, ich werde mich energijch auf deine Eeite jchlagen,
denn diejer Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich be-
denflich zu werden!”
„Nein, Janek, Frieden follft du ftiften! Der Donat
muß einjehen, daß ich vollfommen recht habe und ihn
wahrhaftig nicht betrüge .. .”
„But, ich werde Echiedsrichter fein. — Heller-Hüningen
muß jchliegtich mit volljter Überzeugung zugeben, daß
jein Pech im Spiel einzig auf der anerfannten Thatjache
beruht, daß Leute, dic Glück in der Liebe haben, nod)
niemals das große 208 gewannen.”
„Glück in der Liebe! — Ach ja, daran wird eg
wohl liegen...” Bickys Augen leuchteten auf, voll
reizender Naivetät jchob fie ihr Konfekt Haftig über den
Tijd) vor den Pla ihres Gegners. „Hier, Donat, ich
jchenfe Ihnen alles — alles! — und will gar nicht mehr
aufpajjen — aber dann —” fie jah faft flehend zu ihm
empor — „dann lafjen Sie mir dafür das Glüd in
der Liebe !”
„Zeilt euch drein, Kinder, für eins allein ift das
Glück ein jcheuer Vogel, zu zweien hält man’s felt!”
„Zeilen? —“ das Backfijdden jchüttelte den
— 473 —
Krauskopf, ,,fein Menjch friegt von meinem Glüd etwas
ab, ich verftede es tief, tief im Herzen — jchreibe
höchitens in mein Tagebuh: ‚An — und dann drei
Kreuze —“
„Drei Kreuze ſind gut!!“
„Und darunter mein Lieblingsgedicht — —“
„Blitz und Knall, Couſinchen, ſchießen Sie 'mal los,
ich habe Gedichte raſend gern!“ Donat ſtrich den blonden
Schnurrbart nod) kühner empor und kniete erwartungs-
voll auf einen Seſſel.
„Nein — ich ſage es nicht.“
„Auch mir nicht, Bicky?“
Sie drehte ſich haſtig um, ſah einen Moment heiß
erglühend in Procznas lächelndes Antlitz und ſchmiegte
ſich dann in faſt ungeſtümem Jubel an ſeinen Arm. „Ja,
du ſollſt es wiſſen, Janek, du wirſt mich nicht auslachen,
du haſt mich ja ſelber ſo glücklich gemacht!“
„Jetzt hören aber die Witze auf!“ Donat ſchob ſich
ſehr energiſch zwiſchen die beiden und hatte zum erſten—
mal im Leben eine Falte auf der Stirn. „Weitergeſpielt
wird! — Punkte gezählt ... feine lyriſchen Geſpräche
mehr geführt, ich kann Gedichte in den Tod nicht leiden,
und Proczna thut auch nur ſo, als ob er 'was davon
verſtünde! — Avanti — bringen Sie erſt 'mal die Partie
hier zu Ende — Sie waren dran!“ Er bemächtigte ſich
ihres Armes und führte die junge Dame in etwas dik—
tatoriſcher Weiſe an den Tiſch zurück. An der einen
Seite neben ihrem Seſſel erhob ſich die ſchützende Wand,
— 474 —
an bie andere baute fich der junge Offizier felber als
Schanze vor. — Procgna war falt geitellt.
„Alſo wir fpielen jet!“ Donat legte mit großer
Behaglichkeit einen jehr füßen Gewinn aus und drehte
den Kopf nad) Janet. „Sie können fich ja inzwijchen die
Sluftrationen von der ‚Glocke‘ anjehen, recht3 auf dem
Heinen Tijd) der rote Prachtband — in der Nebenjtube
ift e8 auch gang interefjant — Xenias Arbeitszimmer! . . .
Vertreiben Sie fic) nod) ein Weilden die Beit, Procgna,
die beiden anderen Damen werden gleich wieder erfcheinen,
fie befommen irgend fo ein neues Wams angepaßt! .. .”
„Dante verbindlichjt für Ihre Fürſorge!“ Janet
neigte fic) lachend zu dem jungen Fürjten nieder, „ich
laufe Ihnen ja doch nod) den Rang ab, Herr Kamerad,
— aber darum feine Feindſchaft, Sie wiljen, daß es in
jedem Luftjpiel Rivalen gibt!”
Donat lachte gutmütig auf. „Der Teufel foll Sie
holen, Proczna, wenn Sie einem fold) ungleichen Gegner
wie mir nicht einen riefigen Vorjprung laſſen!“
Am Tiiche herrfchte die größte Eintracht, man gewann
jebt abwechjelnd; mit einiger Willfür wurden die ſchwar—
zen und heiteren Loſe gemijcht.
Der Erbherr von Proczna lächelte ſtill vor fid) Hin.
Die Unterhaltung dieſer beiden großen Kinder zu ver-
folgen, hatte Reig für ihn und er amüfierte fic) föftlich.
Nebenbei befah er die „Glocke“. —
„Barum find Sie denn heute erjt um ein halb acht
Uhr gefommen, Donat ?”
— 45 —
„Snfame Schreiberei hielt mid) auf ... war nod
perfinlid) auf dem Telegraphenamt, um einem Freunde
zu gratulieren!’
„Und in der Poſt haben Sie Schreibereien gehabt?”
„Natürlich. — Depejche aufjegen. Aber ich fage
Ihnen, Bidy, großartig! — Cie ahnen gar nicht, was
für ein talentierter Kerl ich bin! So im Handumdrehen
war die Sadje auf das Papier geworfen: ‚Meinem alten,
fielen Rennontel Lämmchen die herzlichiten Glückwünſche
zum heutigen Tag!‘ — Famos gejagt, was? Und nicht
einmal Konzept dazu gemacht!”
„Und an einen Onfel war's?“ — Bidy faltete die
Hände und bewunderte da3 Genie, welches die Depejchen
nur fo aus dem Ärmel jchüttelt.
„J wo! — Rennontel ijt nur fo ein familiärer Titel
für Sport8mann, und Lämmchen ift ein Spitzname. Der
Kerl war nämlich einer der vernagelften Hirnjchalen,
welche jemal3 auf der Preffe waren — fo fehr Lämm-—
den‘, daß ein paar Schandmäuler behaupteten, er trüge
ein Biftol bei fich), mit welchem er fich fofort erſchießen
würde, wenn ihm einer begegnete, der noch dümmer
wäre, wie er — aber er lebt immer nod. — Sonſt
ein brillanter Menſch — fonnte Häufer auf ihn
bauen!”
„Woher kannten Sie ihn denn?”
„Bon der Preffe, bin zweimal mit ihm zufammen
durchgeraffelt ... Sie miiffen jegen, Bicky! ... nein?
Pontius und Pilatus ... wo nichts ift, hat der Kaijer
— 476 —
das Recht verloren ... fpringen Sie ’mal mit einer
Fünfe an! ...“
O, daß ſie ewig grünen bliebe die ſchöne Zeit der
jungen Liebe! ... Janek neigte ſich tief über die reizende
Zeichnung der beiden jugendlichen Geſtalten, neben wel—
chen die Roſen blühen nnd ein zärtliches Taubenpaar
im Wipfel gurrt; aber jene zwei in Fleiſch und Blut
am Tiſche drüben gefallen ihm noch bei weitem beſſer!
Donat ijt glücklicher Beſitzer eines grandioſen Ge—
winnes geworden, welchen er ſelbſtlos und ritterlich dem
allerliebſten Bäschen zu Füßen legen will. Ein Kampf
der Großmut entbrennt, dann wird geteilt.
Der junge Offizier beißt eine Liqueurbohne an und
betrachtet ſie als Becher. „Proſt, Couſinchen“, ſagt er
galant und kippt den ſüßen Inhalt.
Bicky überzählt gerade ihren Reichtum, ſie blickt mit
runden, ſehr erſtaunten Augen auf. — „Ich habe ja gar
nicht genieſt!“
Proczna kann ſich wunderbar beherrſchen, er blättert
geräuſchvoll weiter.
„Wiſſen Sie nod, Biky, wie Sie mich 'mal als
Avantageur zuerjt gegrüßt haben?”
Das Badfiichchen wird verlegen. „Nein! lügt fie
mit dem harmlofejten Geficht von der Welt.
„Ra, hören Sie ’mal, Coufinchen, das war ja die
fidelite Gejchichte, die Sie je geliefert haben! Donner:
wetter ja, ich jehe mich noch immer daftehen, zum erften-
mal im Leben als Pojten vor dem Haufe des Herrn
—
Kommandeurs, ein unglaublich ſchlackſiger, verlegener
Bengel mit drei Schnurrbarthaaren, der das Poſtenſtehen
für eine geradezu feierliche Angelegenheit hielt, und plöß-
lich tamen Sie mit Ihrer Bonne des Weges und er:
innerten fic), mich bereits alg Better fennen gelernt zu
haben — hahaha!
... Es war gar zu
niedlih, wie Gie
fleines Ding Sich
vor mich hinftellten
und ein Knickschen
nad) dem andern
machten —“
„Und Sie jtanden
wie ein Ladeitod
und fahen mich
wütend an, mit
blutrotem Kopf, und
id) meinte e8 dod
fo gut!”
„Ra jelbjtverftändlich, aber — ich dämlicher Bengel
genierte mich jo rajend, weil Neufjef gerade zum Fenſter
bherausgudte und laut loslachte über das drollige Bild
... Ich hatte Sie ja damals jchon riefig gern, Bidy,
jo flein wie Sie auch noch waren, und hätte am liebſten
mein Gewehr in die Scheide gejtedt und Sie dafür in
den Arm genommen .. .”
Vicky jenkte das Köpfchen wie eine taujdwere Rofe,
— 478 —
e3 ftand ihr gar zu gut, wenn die heißen Blutwellen
bis in die Schläfen emporjtiegen, Donat aber fnipfte voll
wohligjten Behagens die Dominofteine gegeneinander und
fuhr jehr animiert fort: „Ja, wir waren ftet3 gute Rame-
taden, Bicyden, wir haben uns immer ſehr gut ver-
tragen —“
„Bis auf den Zopf!“ dachte Proczna Hinter den
Couliffen.
„And jo einen alten, treuen Freund wie mich haben
Sie auf der ganzen Welt nicht! ...“
„O bitte recht jehr! Janek ift ftets am allerfreund-
lichiten zu mir gewejen, den habe ich and) viel früher
gefannt wie Sie —“ und Bidy wollte fic) lebhaft er-
heben — „nicht wahr, Janef, wir beide haben uns jeit
jeher furchtbar lieb gehabt?”
Heller-Hiiningen ſchwenkte feinen Sefjel mit fühnem
Nud jo dicht vor die junge Dame und ftredte die Füße
jo weit in das Bimmer, daß Bidy vollftändig abge:
jperrt war.
„Hören Sie ’mal Proczna, e3 ift gräßlich, wenn einer
immer dabeifigt, wenn man auf ihn räfonnieren will!
Sie binden mir ja volljtändig die Hände, gegen Sie zu
intrigieren /
„Genieren Sie fic) ja nicht, Verehrtefter, in diefer
Beziehung geht e8 mir wie dem Jungen, der Prügel
befam und nur eine einzige Erwiderung darauf hatte:
‚Was hinter mir paffiert, geht mich nichts an!“
„Brillant ! — Sie find ein unglaublich netter Menjch,
— 479 —
Procgna! — Kommen Sie doch ran, wir fpielen alle
drei gujammen: Meine Tante, deine Tante!”
„Sofort; — erft diejes Buch zu Ende bewundern,
ich fann mich nicht Logreißen !“
„Bon; — die ganze Bonbonniere als Einjag, Bidy
— va banque!”
Von neuem ein wahrer Feuereifer am Tijd), Janet
aber erhob fic) und jchritt lautlo3 über den weichen
Teppich in das Nebenzimmer.
Gedämpftes Licht floß wie Mondſchein aus den flein-
gefchraubten Flammen der Stuppel hernieder. — Wie ein
leichter Dämmerjchleier lag es rings über dem Gemach,
gleichfam als ob ein jchönes Weib finnend die langen
Wimpern niederjchlägt, Cinfehr in fich felbjt zu halten.
— Und die Kryftallpenten, welche hie und da mit mildem
Glange hervorjchimmern, find Thränen, welche heimlich
an diejen Wimpern erzittern.
Wie Blumenfeclen ſchwebt e8 zart duftig durch den
ftilen Raum — etlihe Gardenenblüten neigen die blajjen
Kelche in einer Vaje, welche auf Xenias Schreibtijch fteht.
— Sanef erinnert fih, von Bidy gehört zu haben, daß
Gräfin Dynar feine Blumen in ihrer Umgebung liebt,
fie lächelt über foldje Sentimentalitäten — oder hat es
gethan.
Zwiſchen Blumen und Weiberherzen find feine Zauber:
fäden gejponnen, eine Brüde, über welche der Frühling
fehreitet. — Seele und Blüte find Schweftern, wenn die
Sonne kommt öffnen beide die Augen, und flüftern es
— 480 —
fich heimlich, voll ſüßer Scheu ins Ohr, wie lieb fie den
Leng, den fühnen, lodigen Freier, haben! — Wer ver:
ftünde eines Mädchenherzend Gedanken auch bejjer, denn
die Blüte am Strauch, welche innige Antwort dujtet ? —:
„Ich bin glücklich! Namenloſe Seligteit droht mir die
Bruft zu zerjprengen, wie Feuerjlammen glüht die Liebe
durch mein ganzes Sein und Wefen, freue dich mit mir!
Schmücke mich für den Herrlichjten von allen!” — und
die Rofe leuchtet in heißerer Glut und jubelt aus jedem
Dufthauh der Glüdlichen einen Pjalter beraujchender
Luft! —: „Sch bin geliebt von ihm; wie Glocenliuten
hallt es durch meine Seele, laß mich die Hände falten,
Dante und bete mit mir!” — Und die pricfterliche Lilie
neigt fic) im Wind und blickt wie ein verflärtes Heiligen-
angeficht an der Seite der frommen Maid zum Himmel!
„Allein, verlafjen, unerfannt und ungeliebt von ihm, zu
ftolz, es der Welt zu zeigen, flüchte ich mich zu euch, ihr
bleichen, traurigen Blumen, und bitt’ euch, weint mit
mir!” — Dann zittert es in hellen Tropfen auf den
Wangen und den Blumen. Ja, Thränenperlen, föftlichiter
Tau, fchmerzlich-füße Luft für Weiberherzen und Blüten,
ohne euch welfen fie dahin, jterbend in Gonnenglut, oder
verſchmachtend in Ode und Einjamteit. — Proczna war
an den Schreibtijch herangetreten, hatte die Vaſe empor:
gehoben und das Antlig auf die fühlen Blättlein geneigt,
wie ein Durjtender tranf er den betäubenden Duft. —
Träume wehten daraus empor, liebe, bejeligende Träume.
Nebenan erjcholl, der „geiprengten Bank’ zu Ehren,
— 481 —
ein zweiltimmiger Tujch — Janek febte die Vaſe schnell
nieder und wollte fic) wieder der Thür des Nebenzimmers
zuwenden, jein Blicf jtreifte hajtig den Schreibtijch, jchärfte
fih und blieb dort haften.
Was war das?!... Gelbe Pergamente, die Lebens-
geichichte der Ahnfrau Xenia, welche die jpäte Enfel-
tochter damals in Proczna jo verächtlich von fich gejtoßen
hatte, als empfinde fie einen Abjcheu vor diejer pflicht-
vergejjenen Gräfin, welcher die Liebe zu einem Polen
höher galt al3 Name, Reichtum und Heimat? — Wie
fommt dieſe verpönte Schrift auf den Arbeitstifch jeiner
ftolgen, faltherzigen Schweiter?
„Sie ift nicht ftoß, fie ijt nicht kalt!” duften die
Gardenen.
Sanef tritt näher und blict auf die vergilbten Blatter
hernieder. — Sie liegen aufgejchlagen, al3 jei die Lejerin
joeben erft von der Lektüre abgerufen, ein filberner Blei-
ftift liegt dagwifdhen. Hier ijt eine Stelle angejtrichen,
mit unjicherer, zitternder Linie.
Es flimmert vor den Augen de3 jungen Mannes, er
ftarrt auf die Worte hernieder. „War felbe Liebe über
fie fommen, wie ein tückiſch' Fieber, von defjen Leiden
fein Chirurgie heilen fann. War verwandelt über Nacht,
fand fich feine Qualität ihre’ Charakter mehr von eh!
— Sit ein heillo8 und verderblid) Ding, fo man Leiden:
fchaft heißt” — und weiter unten: „War von polnijchem
Blut, unerforjchet ob ein Edelmann, aber ein manierlicher
Geſell mit langem Echnauzbart und flammigem Auge,
N.v. Eihftruth, IL Rom. u Rov, Polniſch Blut U. 31
— 482 —
voll Gelächter und Legeriteh, wie erjdjaffen für Die
Weiber.” Wenige Zeilen danad: „Hat fein fürnehmer
Glück gefannt denn ihn, hat alle darhinten gelajjen und
fih an ihn gehangen, find heimlich davon.”
Regungslos jtand Proczna und blictte auf den ver:
gilbten, am
Randeargzer:
feßten Perga⸗
mentftreifen
herniebder.
Dann ging e&
wieein Sturm
durch all jeine
Sinne Gr
riß das Heft
empor und
preßte die
Lippen auf die
Bleijtiftjtriche,
atmetetief auf
und trat
haftig, ale
brenne der Boden unter feinen Füßen, in das Neben-
zimmer zurüd.
Wenige Augenblide fpäter traten Frau von Drad)
und Xenia ein, Janet hatte das Gefühl, als erzittere die
heiße, jchlanfe Hand, welche fic) in die feine legte.
„Welch eine ſcharmante Überrafhung! Siehft du,
— 483 —
Xenia, wie recht wir beide thaten, heute abend nicht in
das Theater zu fahren! Und Sie find fchon länger da,
lieber Donat? Mon Dieu, wie langweilig für Sie, jo
lange anticjambrieren zu miiffen!”
„O nein, Mama, e8 war gar nicht langweilig, ich
war ja von Anfang an bei ihm!”
Die Kammerferrin that mit ihrem feinen Epitentuch
fcherzend einen Schlag gegen die Heine Stumpfnaje ihres
Töchterchens, dennoch flang e3 wie Staunen und Strenge
dur) ihre Stimme.
„Wie fam das? Es fol dir doch feinerlei Beſuch
gemeldet werden, bis ich zugegen fein fann?!”
Bidy lachte übermütig auf. „Hat auc) fein Menſch
gethan, Mutterchen!”
„And doch bijt du Heraujgefommen?”
Fräulein von Drach preßte die Bonbonniere gegen
die jchnell atmende Bruft und zeigte jchelmijch die fleinen
Verlzähne. „Natürlih! Ich hatte ja am Fenjter auf:
gepaßt, bis Donat fam! Gud Hier! Alles gewonnen,
wir haben Domino gejpielt!
„Ach, es ijt feine leichte Sache, Mutter zu fein!’ —
„Ich habe eine Bitte an Sie, Janet!”
„Befehlen Sie über mich, Xenia, Sie wijjen, daß ich
ftet3 zu ihren Dienjten jtehe.”
„Kommen Sie!’ — Gräfin Dynar jchritt ihm voran
in ein Nebengemach, an defjen getäfelten Wänden lebens-
große Oibilder Dynarjder Ahnen hingen, welche Xenia
zum Teil in Proczna hatte fopieren lajjen.
81*
— 484 —
Auf einer Schale von dunklem Porphyr lag eine
ziemlich umfangreiche Papierrolle, die Komtejje nahm fie
in die Hand und jchaute auf fie nieder. Sie bemühte
fich, jehr ruhig zu erjcheinen. „Prinz Auguft Ferdinand
interejjiert fic) für unjere Familie, und wünjcht fic) mit
eigenen Augen zu informieren, inwiefern eine Verwandt-
ſchaft der Dynars mit dem regierenden Grafenhaufe zu
©. nachzuweijen ijt. Sch habe demzufolge unjeren Stamm:
baum in Proczna vervielfältigen lajjen, um ihn Seiner
Königlichen Hoheit zu unterbreiten.” — Xenia jchwieg
und blickte zu Janek empor, e8 lag ein eigenartig milder,
bittender Ausdrud in den dunklen Augen.
„Sol ich die Angelegenheit bejorgen?”
Sie jchüttelte langjam das Haupt, ihre weißen Hände
entrollten den Bogen und breiteten ihn auf dem Tiſch
aus. „Sehen Eie hier”, entgegnete fie leiſe, mit dem
rofigen Fingernagel auf das legte, leere Wappenjchild
weijend, neben welchen, auf der anderen Seite ihr eigener
Namen gejchrieben ftand, „joll ich) das Verzeichnis
wahrlich fo... unvollfommen vor fremde Augen nieder:
legen?”
Procznas Lippen zitterten, dennoch jchien fein Antlig
eine Verförperung lächelndften Gleichmuts.
„Der legte Wille Ihres Vaters ermächtigt Sie, den
Namen des jelbjt erwählten Bruders neben den Ihren
zu ftellen; wenn Sie in dem leeren Schild eine Unvoll-
fommenbeit jehen, liegt e8 einzig an einem Federzug
Ihrer Hand, derjelben abzuhelfen.”
— 485 —
Xenia lächelte faſt bitter. „Der Name eines ſolchen
Schildes iſt nie wieder zu löſchen!“
„Glauben Sie, daß es ein Opfer für den Sohn eines
Koſyniers iſt, unwiderruflich ein Graf zu werden?!”
Sie warf faſt trotzig das Haupt zurück. „Janek Proczna
läßt es beinahe glauben!“
„Habe ich mich gewehrt, als Graf Dynar der hieſigen
Geſellſchaft präſentiert zu werden?“
Ihr Haupt ſank wieder tief hernieder. „Nein, Sie
haben es geduldet.“
„Gleichviel, ich bin von jenem Augenblick an auch
vor der Welt Ihr Bruder, Xenia.”
Wie in jäher Lcidenfdhajt prefte fie die Hände
gegen die Bruft. „Sa, vor der Welt mein Bruder, nur
vor der Welt! Wie einen bunten Mantel haben Sie
den neuen Namen und Titel um die Schultern geworfen,
haben mir einen Zipfel davon dargeboten und gejagt:
dies ijt Das Band, welches uns als Gejchwifter verfnüpft!
Hüben und drüben puljiert fremdes Blut in den Adern,
und verjchieden wie Tag und Nacht find die Gedanken
der beiden Häupter, welche eine Krone zu einander
zwingt! Ein Bruder find Sie, der mir die Fingerſpitzen
über einen Abgrund reicht !”
„Nicht ich war e3, der die Kluft zwijchen ung aufgerifjen,
ich ging, da Sie mich gehen biegen, und fam zurüd, da
Sie mid) riefen; jagen Sie mir, welch eine Bruderpflicht ich
verjäumte, ſeitdem Sie mir die Rechte eines Familienmit-
gliedes eingeräumt haben, mein Gewiſſen ift frei und leicht!
— 486 —
Er ftand Hod) aufgerichtet vor ihr, feine Stimme
Hang flar und ruhig.
Sn namenlojer Erregung jchlang Xenia die Hände
ineinander.
„Welche Bruderpflicht Sie verjäumt haben?!” Ihr
Atem flog, fie trat einen Schritt näher und fah mit
jprühendem Auge zu ihm auf. „Die größte und heiligite,
welche Ihnen jemals auferlegt war, die Treue! Gie
durften nicht von mir gehen und mid) verlaffen, denn
ich hatte feinen befjeren Echuß auf der Welt wie Sie!
Sie durften mit Eigenfinn und Berblendung nicht
rechten, durften nicht in ungeftiimem Troß die Bande
volljtändig entzweireigen, welche Mädchenhände in thi-
richter Weife gelodert hatten, Sie waren der Ältere und
Überlegenere von uns, Janef. Und wenn ich wahrlich
Sie von mir geftoßen, ein anderer hatte Sie voll Ver:
trauen und Zuverficht an meine Seite geftellt, und um
dieſes anderen, unſres Water willen hätten Sie treu
bleiben müfjen, Sanef, denn Bhre Liebe zu mir war der
Danf, den er von Ihnen forderte. Hat er in jeinem
Brief an Sie gar nidjts davon gejchrieben ?”
Die legte Frage war leijer gejprochen, heiße Glut
bededte das reizende Antlig, angjtvoll forjchend und
dennoch voll rätjelhafter Scheu tauchte ihr Blick in den
feinen. Einen Augenblid herrjchte Schweigen, dann ſchüt—
telte Janek ernjt das Haupt. „Nein, der Brief behandelte
einzig die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Wber wie
dem auch jei, ich empfinde den Vorwurf, welchen Sie
— 487 —
mir madjen, und bin dennoch in diefem Augenblick nicht
imftande, Ihnen zu beweifen, daß Sie mir unrecht mit
demjelben thun.” Er faßte in jäher Herzlichfeit ihre
beiden Hände und hielt fie feit umjchlofjen. „Was ver-
langen Sie von mir, Xenia?! Nur meinen Namen für
ein leere8 Wappenjchild? Dazu hätte e3 nicht fo vieler
Worte bedurft! Ein Ausgleich zwijchen uns beiden? Wo
jehen Sie noch einen Abgrund? Ich ftehe neben Ihnen
und reiche Ihnen nicht die Fingerſpitzen, jondern mit red-
lidem und ehrlihem Drud beide Hände und ich jehe
Shnen ins Auge, wie damal3 meinem lieben Kleinen
Schweiterchen und frage: Was haben Sie auf dem Herzen,
Kenia? Zeigen Sie mir das Vertrauen, wie vor langen
Jahren, da noch feine Wolfe zwijchen unjeren Seelen
gelagert, jagen Sie mir, womit ich Treue beweijen ſoll!“
Ein Lächeln ftrahlte verflarend über ihr Antlik, fie löfte
ihre Hand aus der feinen, tauchte hajtig die Feder in die
Tinte und fchickte fic) zum Schreiben an: „So darf ich?!”
Er nickte lächelnd; ihre Hand bebte, dennoch fchrieb
fie flar und feft ,,Sanef Stefan” in das Wappenjchild
an ihre Seite.
„Barum Janef und nicht Hans?!”
„Das flingt fo fremd, und... polnifde Namen find
ja genau jo ſchön wie deutjche.” Sie warf die Feder
hin, richtete fich hod) auf und legte die jchlanfen Hände
auf jeine Schultern.
„un find Sie mir verjchrieben mit Leib und Seele,
Janek“, jcherzte fie mit wunderlichem Gemijch von Jubel
— 488 —
und Ernft. „Nun erjt, da ich e8 ſchwarz auf weiß ge-
fehen, glaube ich daran, und nun will ich offen und
ehrlich fein wie zu einem Bruder, und denken, die lange,
häßliche Zeit der Trennung ſei nur ein Traum geweſen!
Wir ſind wieder daheim in Proczna wie damals, als
unſer Vater noch ernſt und ſtill am Schreibtiſch ſaß und
wir beide vor dem Kamin kauerten, heimlich und traut,
und liebe Chriſtmärchen erſannen ... hörſt du, wie der
Wind um die Fenfter fauft, wie das Feuer hell auf:
prafjelt und rote Funken nach ung wirft? Ganz, ganz
wie dazumal, und ich bin wieder ein Kind geworden und
lehne den Kopf an deine Schulter, wie ic) immer that,
wenn ich etwas erbitten wollte, und jage: „Janek, willft
du mir etwas zulieb thun?!”
Janeks Herz und Verjtand rangen einen Furzen,
ſchweren, unmerflichen Kampf, um dem Zauber ihres An:
blid3 zu entweichen, wandte er langjam das Haupt und
füßte die Heine Hand, welche auf jeiner Schulter rubte.
„Ganz wie damals!” lächelte er. „Sprechen Sie nur,
Schweiterchen, alles, was in meinen Kräften fteht, thue
und wage id) für Sie!”
„Janek, machen Sie fic) nicht zum Werkzeug einer
Ercellenz Gärtner, der Pla zu den Füßen diejes Weibes
ijt unwürdig für Sie!” Ihr flehender Blid juchte den
jeinen; e& lag ein Klang von Angjt und Leidenjchaft in
ihrer Stimme.
„Excellenz Gärtner? — Was um alles in der Welt
haben Sie gegen meine gute Freundin ?”
— 489 —
Xenia grub die weißen Zähnchen in die Lippe.
„Ich haſſe fie! — Bch fenne fein Wejen unter Gottes
Sonne, welches mir fo verächtlich ijt wie dieſes Geſchöpf!“
Proczna lachte fait amüfiert. „Sie jehen zu ſchwarz,
Kenia! Oder haben Sie irgend einer Verleumdung Gehör
gejchenft? Sie halten fich oftenfibel fern von der jungen
Frau und haben darum feine Gelegenheit, zu beurteilen,
wie reizend fie ift!” .
„And wenn ich Ihnen jage, Janek, daß mir das
größte Leid im Leben durch Excellenz Gärtner wider:
fahren ijt?”
„Geſetzt der Fall, ich fei thatjächlich in dieje jchöne
Frau verliebt 2”
Xenia erbleichte, mit unnatürlich großen Augen ftarrte
fie ihn an.
„Der Präfident ift ein alter, fehr kränklicher Mann“,
fuhr Proczna leichthin fort, „zwar ift es nicht ſchön und
recht, auf jemandes Tod zu lauern, aber die Liebe klam—
mert fic) an einen Strohhalm !”
„Nur das nicht, Janek, nur das nicht!” — wie ein
Aufjchrei Hang e2.
Er fchiittelte fajt wehmütig das Haupt. „Gott jchenfe
der armen, alten Excellenz ein langes Leben, ich bin der
legte, welcher feine Tage zählt. Sagen Cie fich aber
felber, Xenia, wie würde eg Ihnen zu Mute fein, wenn
mir einjt der Mann Ihrer Wahl verhaßt wäre und id
würde jagen: Um deines Bruders Freundjchaft willen,
entjage deiner Liebe?”
— 499 —
Ihre Hand umſchloß trampfhaft die Stuhllehne.
„Sie haben recht, Janet, ich weiß felber nicht, wie
id) auf den wunderlichen thörichten Gedanten fam”, ein
herzzerreißen⸗
des Lächeln
zuckte um ihre
Lippen, „wir
gehen ja jeder
den eigenen
Weg, und der
iſt breit, ſo
graujam breit,
daß Luft und
Leid fich nicht
berühren! Sie
werden meine
Gedanten
nod) oft zus
rüdholen
müfjen, wenn
fie fid) bei zu
hohem = Flug
berirren, man
muß fic) an alles erft gewöhnen, jelbit an den Gedanfen,
einen — — Bruder zu befigen!” — — — — —
Die Kammerfrau Guftine hatte längjt das weißgeſtickte
Nachtkleid um die Schultern ihrer jchweigjamen, bleichen
— 491 —
Herrin gelegt, umfonft geforjcht und gehorcht nach der
Urjache der eigentümlichen Veränderung, welche ihr jchon
feit Tagen im Weſen Xenias aufgefallen, und jchließlich
beleidigt die Thür Hinter fich gejchloffen. Als fie aber
nad) geraumer Zeit abermal3 auf unhörbaren Sohlen
an das Schlüjjelloh jchlich, da brannten die Lichter noch
auf dem Xoilettentifch, und Gräfin Dynar hatte das
Antlig auf die gefalteten Hände gedrüdt und weinte
bitterlid. — —
Als fich endlich die heißen Augenlider jchloffen, da
fpannen fid) die Gedanken hinüber in den Traum, rote
Flammen jdlugen aus dem Kamin, die faften ein weißes
Briefblatt ... „gebt's zurüd, ihr vernichtet mein Lebens-
glück!” Ichluchzt die Träumerin und greift voll Verzweiflung
in Glut und Funfen hinein ... umjonjt, der Brief ihres
Vaters weht al Ajche und Staub durch die Finger, und
die wirbelnden Rauchwöltchen wandeln fid) in das höhniſch
lachende Geficht der Excellenz Gärtner, verzerren fich,
wachjen empor und gellen ihr in die Ohren: „Wird fich
niemal3 ein ſüßeres Lieben in fein Herz jchleichen ...
und dein ijt die Schuld!”
—
[VVeVeeyey|
XXI.
er holzgejchnigte Hirfchkopf mit dem wundervollen,
weitverzweigten Geweih, welcher über der Thür
de3 Kleinen Jagdſchloſſes „Tannenförde“ feit
langen Jahren jchon die Wache hielt, trug einen Did»
bujchigen Kranz von Fichtengrün um den ſchlanken Hals,
und über ifm, aus dem Schweizergiebel, flatterten zwei
Fahnen gum feftlichen Willfomm. — Sonnenlicht flo
matt und ohne die geringjte Wärme, oft verdunfelt durch)
fchnellziehende Wolfen, um das fleine Waldidyll, und
durch die tiefhängenden Tannengweige ftric) der Wind
{chart und fühl. In der Nacht hatte es gefroren, weißer
Reif lag auf dem Waldboden, und die Blätter wirbelten
flingend über den harten Weg.
Dennoch entwidelte fic) ein ungemein lebhaftes, frifches
Getreibe in und vor dem alten Schlöfchen, welches von
Prinz August Ferdinand zum Rendezvous der Parjorce-
jagd bejtimmt war.
Die Meute tobte an den Riemen, Piqueure und grün
uniformierte Forſtbeamte drängten in fröhlicher Haft
— 493 —
durcheinander oder ftanden in fleinen Trupps eifrig
ihmwadronierend zujammen; der Dberjägermeifter teilte
die legten Befehle aus und ſchwenkte den Hut mit kräfs
tigem „Waidmannsheil” den Kavalieren zu, welche in
der roten, feden Tracht der Parforcejaiger auf mutigen
Roffen den Waldweg heranfprengten.
Die Jagdgeſellſchaft refrutierte fich fajt ausjchlieglich
aus dem Ulanenregiment, deffen Damen fich mit felbit-
verjtändlichem „Schneid“ ebenfalls im Sattel an dem
Sport beteiligten.
Allerliebjt jahen fie aus in den fnappen, fradartigen,
jeuerroten Jaden, dem goldgeitidten Stehfragen und
dunklen Unterfleid; kecke Hütchen oder Jockeymützen ſaßen
auf dem leicht toupierten Haar, welches die Gräfinnen
Ettisbach und Tarenberg, al3 originelle Neminiscenz an
die Fuchshatzen der Urgroßmütter, weiß gepudert hatten.
Equipagen rollten herzu. Frau von Drach nebit
Tochter und Gemahl, eingehüllt in fojtbare Pelze, Prä-
fident Gärtner, welcher jeine reizende Frau im „roten
Feld” bewundern wollte, die Oberjägermeijterin, und
ſchließlich, als erſtes Anzeichen des Hofes, Baronejje
Beutler und Frau Leutnant Gower.
Eine Schar neugieriger Zuſchauer bildete dichtes
Spalier längs der Waldlifiere, welche die Jagd, in ges
wiffer Diftance, beim Überjchreiten der Eijenbahnlinie,
pajfieren follte.
„Bir find fomplett, ritterlidjes Holland!” meldete
Graf Hechelberg dic und behaglid) jeiner Freundin Hof-
— 494 —
ftraten, welche fich juft mit etwas ſehr energiſcher Manier
in die ftarren Hände hauchte. Sie jah höchſt fpaphaft
in dem grellfarbigen Frädchen aus, welches jo prall um
ihre üppige Figur gejpannt war, daß e3 bei der geringiten
Bewegung in allen Nähten ächzte; dazu die blaurote
Färbung der Wangen, welchen die Nafenjpige leuchtendfte
Konkurrenz madjte. Dem Apfelichimmel ging e8 wieder
gut, er ftampfte im Vollbewußtſein feines Wertes den
Waldboden, genau jo wuchtig wie zuvor, als Graf Hechel-
berg bei feinem erften Anblid gottergeben die Hände
gefaltet hatte: „Die Frau Rittmeifter und die Nudel! ...
madt zufammen 1500 Pfund! ... Wo die über den
Boden jchweben, wächſt fein Gras mehr!” — — — —
„Es bleibt alfo unwiderruflich bei Ihrem graufamen
Entihluß, Gräfin, Sie halten Ihren Bruder gefangen 2
Excellenz Gärtner bog fich ein wenig vor im Gattel
und flüfterte e8 Xenia zu, fie’ lächelte Dabei unendlich
liebenswürdig, aber auf dem Wort „gefangen“ lag ein
ſcharfer Nachdrud.
„Anmiderruflich, Excellenz! Warum mißgönnen Sie
mir den Eleinen, bejcheidenen Triumph, einen Vogel, welcher
doch fonft jtet3 und jtändig in ihren Feſſeln jchmachtet,
für einen kurzen Ausflug an diinnem Faden zu halten!
Glauben Sie mir, er wird ihn fo jchnell wie möglich
zerreißen, um zu Ihnen zurüdzufliegen!”
G8 lag eine ernfte, milde Ruhe in dem ganzen Wejen
Kenias; die Gereigtheit und Heftigfeit der legten Tage
waren verjchwunden.
— 495 —
Janek Procgna drängte feinen Renner durch die ver-
fchiedenen Gruppen der Plaudernden und Equipagen, um
reihum gu begrüßen. Gr fah vortrefflic) aus, nie war
feine wundervolle Figur fo auffallend zur Geltung ge-
fommen, al3 in diefer Enappen Jagdfleidung.
Fürftin Reuſſek hielt ihn längere Zeit neben ihrem
ſchnaufenden Rappen auf, Gräfin Ettisbach und Taren-
berg fudjten ein paar Schmeicheleien über ihre „weißen“
Häupter herauszuloden und Frau von Hofftraten gab
ihm „ulanenlife” die Hand, wobei e3 ihr befondere Freude
machte, unmenjchlich bieder zuzudrüden! — ,, Rinnen’s
den Mund halten, Proczna? 1” — fragte fie und quetjchte
feine Finger, daß die Gelenke fnadten. Das war ein
ganz allerliebjter Kleiner Scherz, welcher jelbitverftändlich
von dem Polen durch das Heinejche Citat: ,, Derweilen
des Mundes Kup mich beglüdt, verwunden die Tagen
mich gräßlich!” eine durchaus zarte und poetijche Wendung
erhielt! — Die „Taten irritierten das fdneidige Holland
aud) nicht im mindelten.
Neben der Equipage der Baronefje Beutler hielt
Janet Procgna eine freiwillige und längere Raft, mit
rejpeftoollem und doch jehr herzlichem Gruß hieß er
Frau Leutnant Gower im Dienfte der Diana willfommen,
wenn derjelbe auch nur paffiver Natur fet! Dann wandte
er jeinRoß und ritt an die Seite jeiner Pflegejchweiter zurüd.
Excellenz Gärtner hielt ihn mit vorgejtredter Reit
peitjche auf. „Haben Sie mir denn gar nichts über den
mißglüdten Verjuch zu erzählen, conte mio!?/
— 496 —
„Unendlich viel, aber nicht hier!”
„Wo ſonſt?“
„Im weichen Teppichgemache, wie iſt es ſo traulich
und warm, da harret meiner die Holde, ich fliege in
ihren Arm —!“ ſang er leiſe, nur für die ſchöne Frau
an ſeiner Seite verſtändlich.
„So kommen Sie!“ — ihr Auge glühte auf.
„Sobald Sie mich rufen — roſa Papier, Excellenz,
Sie kennen meine Vorliebe für roſa Papier!“
Mit einer halb ungeduldigen, halb ſchmollenden Ge—
bärde warf ſie den Kopf mit der zierlichen Jockeymütze
in den Nacken, und Proczna ritt weiter, ohne im Laufe
des Tages die mindeſte Notiz wieder von ihr zu nehmen.
„Tyrann!“ klang es ihm nur einmal beim Abreiten
in das Ohr, als die Präſidentin ihren Rappen an ihm
vorüberdrängte, er lächelte und zuckte die Achſeln.
Friſcher, hellaufjubelnder Hörnerklang ſchmetterte durch
den Wald — der Fürſtenruf, welcher Pring Auguſt Ferdi-
nand und die Cquipage jeiner Gemahlin auf dem
Rendegvou-Plagk begrüßte.
Fürft Neuffef, Major Freiherr von Kroppen und
Leutnant Gower bildeten die Suite de3 hohen Herrn,
welchem der Landjägermeijter bis zur erjten Schneife ent=
gegengeritten war, Unna Regina fuhr in Begleitung der
Gräfin Kany, einen föjtlichen, zobelverbrämten Dolman
um die Schultern gejchlagen, und ein zartfarbenes Kapot-
hütchen mit Federaigrette auf dem jchlicht gejcheitelten
Haar. — Wie die grellgepugte Madame Tulipane aus
32
N.y. Eihftruth, IM. Rom. u. Nov., Polniſch Blut II,
— 498 —
dem Märchenbuch faß die Hofdame an ihrer Seite, mit
den enggejchligten Augen zwinfernd Umſchau haltend,
jelbjtbewußt und huldvoll, als gelte der freundliche Zuruf
de3 Publifums ganz allein ihrem türfifch-roten Sammet-
umbang.
Kurzer Moment der Begrüßung — damm ritt der
Oberjägermeifter auf einen Wink Seiner Königlichen
Hoheit zum Lancieren des zweijährigen Reilers, welchem
ein zehn Minuten langer Vorjprung gewährt werden jollte.
Bur verbrochenen Fährte geführt, wurde unter Blajen
der Yagd-an-Fanfare die achtzehn Koppeln ftarfe Meute
angelegt, und vorwärts ging e8 wie die wilde Jagd.
Ein lautes Hurra folgte der abgaloppierenden Ge-
jellichaft, die Damen ftanden in den Wagen und winften
furzen Gruß, dann faujte das BViergefpann der Prin-
zeffin, vom Sattel aus gelenkt, den Waldweg zurüd, um
an beftimmter Stelle, welche die Jagd paffieren jollte,
fich wieder aufzuitellen.
Der Wind ftrich feharf durch die Sichtung und hob
die goldigen Lichen aus der Stirne Xenias, dicht an
ihre Seite gedrängt fprengte Proczna, mit verjtohlenem
Blick die Reiterin überwachend, hie und da mit haftigem
Griff in die Zügel fallend, wenn das Terrain zur Vor-
. fiht mahnte.
Mit vollem Halfe jagten die im vorzüglichen Training
fic befindenden Hunde auf der Fährte des Keilers in
‚den Wald hinein, in voller Pace das. rote Feld
ihnen nad).
— 499 —
Hei, wie das jaufte, ftampfte und fdjmetterte! Mit
bligendem Auge ftiirmte Xenia unter den raujchenden,
tiefhängenden Tannenzweigen dahin, fich neigend, den
ſchlagenden Witen auszubiegen, oder fic) hochatmend im
Sattel hebend, wenn der Wald fich lichtete und die Jagd
über Heide und Feld abbog.
Procgnas Stirn war umwölft, er fah bejorgt aus.
„Nicht zu wild, Xenia!” bat er, mit feftem Griff ihre
Hand umſchließend, „Sie fennen nicht die Gefahr. —
Neiten wir ein mäßigeres Tempo, id) denfe, wir verzichten
auf das Ausheben und finden unfere Befriedigung mehr
in der Eöftlichen, frifchdurchwehten Romantif eines folden
Jagens.“
Sie ſah ihn mit flehendem Blick an. „Nicht langſam,
Janek, mir iſt es gu Mut, als müßte ich mit dem Sturm-
wind um die Wette reiten! Planlos hinein in die Welt,
ohne Gedanken an Gefahr und Hinderniffe — was foll
mir auch gejdehen? — Sie find ja bei mir!” — —
„Wohl mir, wenn ich Sie vor allem Unheil jchügen
könnte!”
Ein wunderjames Aufleuchten ging durch ihr Auge.
„Bor vielem Herzeleid mögen Cie mich jchügen fünnen,
Sanef, vor dem größten nicht!”
„And warum juft vor diejem nicht ?”
Sie bog den Kopf zurück und ftarrte einen Augen:
bli in den hochgewölbten blaugrauen Himmel empor.
„Beil Sie es mir bereiten werden!”
„Haben Sie nicht bemerkt, wie fern id) mich Ihrer
32*
— 500 —
ihönen Feindin gehalten habe?’ Es lag ein weicher
Klang in feiner Stimme.
Sie blidte ihn jah an. „Einzig um meinetwillen ?“
„Nein und ja, wie man es nehmen will.”
„Sch verftehe Sie nicht.”
„Der höchſte Triumph der Freundjdhaft befteht in
dem Glauben an einen Menjchen, felbjt dann, wenn
jein Thun und Handeln unbegreiflich jcheint!”
Ein faſt müdes Lächeln irrte um ihre Lippen. „Das
Hoffen und Harren auf eines Rätſels Löſung ift fo ſchwer!“
„Sie haben als Schweiter ein gewijjes Recht, Dffen-
beit von mir zu verlangen, ebenjo wie e3 in normalen
Familienverhältnifjen nur jelbjtverjtändlich wäre, wenn
ih Ihnen eine Generalbeichte ablegen würde, ehe ‚mein
zärtliches Geheimnis jdon der ganze Wald weiß‘ —
jol ih —“
„Mein, Sie follen nicht beichten! Ich fann meine
Neugier zügeln und will nichts hören!” Ihre Stimme
flang herb und fchroff, und zwijchen den feinen Augen-
bogen ſenkte fic) eine jcharfe alte, mit jähem Ruc riz
fie ihr Pferd, welches Janeks Hand noch immer in
mäßigerem Tempo hielt, auf die Seite. „Vorwärts! wir
find guriicigeblieben wie zwei lahme Nenner! Wollen
wir uns auslachen laffen?” Und wie in ungeftiimem
Troß ließ fie die Gerte auf den ſchlanken Hals ihres
Nofjes niederfallen, um im nächſten Augenblid, hoch aufs
gerichtet im Cattel, zwijchen den fahlen Buchenjtämmen
dahinzujaujen.
= 501 —
Janek hatte fie feharf beobachtet, er warf das fchöne
Haupt mit frijchem, lachenden „Haliho!” in den Naden,
ftach fein Roß an und folgte ihr.
„Atalanta! — Atalanta! Tochter Jaſos, gedenfe
daran, daß eine Maid, welche fic) vor die Pfeile des
Jägers wagt, jelber zum edlen Wild wird!”
„Vergeſſen Sie nicht, dag Diana mächtig genug
ift, die Waffe, welche nad) der weißen Hinde abge-
fchnellt wird, in das Herz des Schügen zurüdjliegen zu
lafjen!”
„Wunderliche Jagd, wo ein Pfeil zur jelben Zeit
zwei Herzen trifft! — Amor bläft Halali!”
Sie antwortete nicht, vor ihmen durch den immer
lidjter werdenden Wald gligerte die Fläche eines Sees.
Die Meute war immer länger auf der Fährte des
Reilers geworden, welder jeine Flucht furze Zeit am
Wildgatter entlang, dann jchräg durch den Habichtsforjt
auf die drei Seen zu genommen hatte.
Das Geläut der Hunde war faum noch zu vernehmen
gewejen, bald fam e8 wieder näher und näher in kurzem
Bogen dem Seeufer zu.
„Recht durch, Xenia! Wir fchneiden ab!”
Ein Rudel Damwild brad) fnatternd aus dem bujchigen
Unterholz, in wilder Flucht über die jchmale Schneije
giehend, der Reiler ftürzte, gefolgt von den Hunden, in
die flare, kräuſelnde Flut, in jcharfem Galopp folgte das
rote Feld.
Wafferfanfare! ... Weithin hallte und zog fie durch
— 502 —
den ftillen Wald; die Meute warf fid) nach, den See
hinter dem Reiler zu durchſchwimmen, die Jagd fprengte
in langem Zug um das Ufer.
„Reiten wir auf diejer Seite, Janet! Der Bogen
ift kürzer und wir treffen direft auf Die Meute!” Kenia
Auge bligte, ohne von feinen heftigen Gegenreden Notiz
zu nehmen, ftiirmte fie in entgegengejegter Richtung an
das flache, jchilfbewachjene Ufer hernieder.
Vorwärts in wilder Haft! Janek mußte folgen. Die
Hufe flirrten auf dem hartgefrorenen, etwas morajtigen
Boden, deffen dünne Eisdede unter den wuchtigen Schlägen
hell aufjplitterte; das Schilf bog fich raujdend zur Seite
oder brach wie Glas, wenn die flüchtigen Roſſe darüber
hinflogen, bie und da jprigte ein heller Wafjerjtrahl
au dem Moor empor. „Mehr feitlid) halten! nad)
dem Wald zul Das Ufer ift jumpfig!” fchrie Janek durch
den Wind.
Xenia bog etwas ab; Gerd und hohe Baummurzeln
machten den Ritt auf dem abjchüffigen Ufer geradezu
lebensgefährlich.
„Stopp; — Bir find auf miferablem Terrain! —
langjam reiten!“
Aber Kenia hörte nicht.
Ein fühner Sprung auf den fnirfchenden, moraftigen
Boden, und Janef drängte fein laut aufjchnaubendes
Roß an ihre Seite.
Mit eijernem Griff fiel er ihr in die Zügel. „Sie
follen langjam reiten, id) will es!“ donnerte er mit
galoppie-
ren iſt
findifcher
Leicht:
finn!”
Mit
großen
Augen
jtarrte fie
ihn an.
„Es ift
wohl
meine
Sache,
den Hals
zu ris⸗
tieren!“
„Nicht
ſolange
— 504 —
id) al8 Kavalier an Ihrer Seite reite! ch bin verant-
wortlih fiir Sie. — Bleiben Cie zurüd — ich nehme
die Tete.”
Das war derjelbe Blick, derjelbe Ton wie damals
unter den zerſchlagenen Witen des Apfelbäumchens; Xenias
Hand zudte auf, als fühle fie wieder den brennenden
Schmerz des Peitjchenichlags, welcher damals auf die
eigenfinnigen ginger herniedergejauft war. — Aber ihr
Herz frampfte fich nicht in wilden Haß zujammen, wie
vor Jahren, e3 zitterte nur leije in dem Gedanfen an
die jtolze, männliche Kraft diefer Hand, welche ihr ſchäu—
mendes Roß fo eifern bemeijtertel
Schweigend jenkte fie das Haupt und blieb gehorjam
zurüd.
Ein unmerfliches Beben ging durch die Züge Procznas,
er ritt etliche Schritte weiter, dann wandte er das Haupt.
„Sind Sie mir böfe, Xenia, daß ich ein fo ftrenger
Bruder bin?”
Sie blidte auf und lächelte. „Sie haben viel Geduld
mit mir |”
„Früher zürnten Sie, wenn meine Sorge für Sie in
einer zu rauhen Schale ſteckte!“ feine Stimme flang wieder
weich, der Wind verwehte fie fait.
„Es ift vieles ander8 geworden jeit damals!”
„Borhin wiefen Sie mic) jehr jchroff zurüd, warum
das? — Berdiene ich es?“
Sie ſchüttelte fajt heftig den Kopf. „Es gibt ein
altes Volkslied, das lautet:
— 50 —
Wer mag a Dirndl recht verftahn,
Dös treibet’8 wie April,
Sn anem Atem lacht’8 und woant’s,
Woaß jelbft net, was e8 will!
Procgna hatte fein unruhiges Pferd durch ein Gewirr
von Schlehdornen zu dirigieren, er antwortete nicht.
Der Keiler hatte plöglich die Richtung geändert und
nahm feinen Weg jchräg durch die Bauernheide; das
rote Feld bog am Ufer ab und folgte in jcharfem Run
dem Flüchtling, ferner und ferner verflang das Geläut
der Hunde.
Die Sonne veritedte fich Hinter Wolfen, ein falter
Wind blies über den See.
„ir werden die Bügel gewaltig ſchießen laffen müffen,
wenn wir zum Ausheben recht kommen wollen!” rief
Sanef, mit kurzem Sprung über einen behauenen Baum:
ftamm auf den Fahrweg jebend, welcher, quer durch
den Wald führend, den See abgrenzte, „dort hinüber, in
fünf Minuten haben wir die Jagd eingeholt!” Er pa=
rierte fein Roß und wartete auf Xenia.
weep!’ — Der Rappe fprang unficher, ftrauchelte
und ftürzte vorn gujammen; mit energiichem Ruck rif
ihn Gräfin Dynar empor, ruhig und gelajjen.
„ur vorwart3! vorwärts!“ drängte fie mit höher
gefärbten Wangen, „nehmen Sie feine Rüdficht auf mich
ungefdidte Reiterin.”
„Halten Sie ein, Xenia! Schritt! ... Stopp!! ...
Merken Sie nicht, daß Ihr Pferd lahmt? — Es bricht
in die Knie, jowie Sie forcieren |!”
In jahem Schred fank ihre Hand mit dem Zügel nieder,
wie angewurzelt, an allen Gliedern zitternd, jtand der Rappe.
„Reiten Sie allein, Janek, holen Sie mich jpäter
Bier ab!’ bat fie mit erbleichenden Lippen, „man hört
die Hunde faum noch anjchlagen, ich bringe Sie ja um
den interejjauteften Moment der Jagd!”
Er war abgejtiegen und unterjuchte mit Kennerblid
den verlegten Fuß; fein Haupt beugte fich tief hernieder.
„Das dürfte Ihre geringite Sorge jein, auf den Bruch
am Hut will ich gern verzichten, wenn ich dadurch den
Brud von Knochen verhüten fann! Ah — voila... hier
figt der Schaden... ‚Mylord‘ hat zu ſcharf in das Eis
getreten und fich gejchnitten, an der Feffel und Krone...
ſcheint infolge des Febltritts zu allem Überflug noch das
Gelenk verftaucht zu haben ... sapristil ...” Janek
richtete fich. empor und zudte lächelnd die Achjeln. „Alſo
mit verhängtem Zügel nad) Hauje! ... Wenn ich nur
die geringfte Idee hätte, wo wir bier find, und nad)
welcher Richtung wir uns wenden miiffen, wir find voll-
ftändig kreuz und quer geritten, und der Wald fieht um
die jebige Zeit an einer Stelle aus, wie an der andern!”
„Glauben Sie nidt, daß die Gejellichaft hierher
zurüdfommt 2”
Proczna jchüttelte den Kopf. „Man jendet höchitens
Kundichafter nach uns aus, und die werden ung ficher-
lic) Hier auf dem Fahrweg entgegenfommen. Meiner
Anficht nach muß die Stadt in jener Richtung liegen,
eh bien, reiten wir langjam fürbaß.”
— 507 —
Er war wieder aufgefeffen. „Verſuchen Sie, Xenia,
reiten Sie an!”
Langſam ging e8 auf dem holprigen Wiejenweg vor:
warts. Totenſtill war es ringsum; der Lärm der Jagd
war längjt verflungen, jtill und filbergligernd fraujelte
der Gee im falten Windhaud, die Tannen am Ufer
ragten hoch und ernjt empor, ein paar Krähen ftrichen
frächzend über die fahlen Buchenwipfel, den Bufjard
annoncierend, welcher Droben in der grauen Schneeluft
freifte.
Ein nie gefanntes Gefühl überfım Xenia.
Allein, ganz allein mit Janek Proczna in der tiefften
Waldeinjamtfeit!
Es war ihr zu Sinnen, al3 müfje fie die Arme öffnen
und Hinausjauchzen in Sturm und Wind, al8 miiffe fie
diefen Frieden in langen, durjtigen Zügen trinken, und
fic) flehend an den ernften, ftolzen Mann gu ihrer Seite
flammern.
„Bring’ mich nicht zurüd in das laute Getreibe der
Stadt voller Herzeleid und Qual, laß uns Hier bleiben
in der Weltvergejjenheit und vergib mir alles, alles, was
ich gegen dich gefehlt!”
Das welfe Laub tanzte vor ihnen her, wie in tiefen
Gedanken folgte ihm Procznas Blid.
Kleines von beiden jprach ein Wort.
Leiſe wirbelten die weißen Schneefloden hernieder.
„E3 fängt an zu jchneien, frieren Sie, Xenia?”
Er ſchaute beforgt auf ihren jo leichten Anzug, es
— 508 —
war, al8 befänne er fich pliglich erft des vollen Ernſtes
ihrer Situation.
Sie jchüttelte heiter den Kopf, dennoch ſchlugen ihre
Hähne gujammen. „Ich bin fehr abgehärtet!”
Er hielt fein Pferd an. ,,Laffen Sie und ein Stüd
zu Fuß gehen, Sie erwärmen fich dabei!”
Mit ftarfem Arm hob er fie aus dem Gattel.
„Ich bin ganz erjtarrt, lachen Sie mich nicht aus,
wenn ich das Gehen erjt lernen muß!”
Sein Blick jtreifte unruhig den Himmel, an welchem
die Schneewolfen dichter und Dichter zufammenzogen.
„Beben Sie mir Fhren Arm und ftüßen Sie fih un
geniert auf, wozu nennt mid) die Welt einen baumjtarfen
Kerl!” verjuchte er zu fcherzen, „ich hoffe zuverfichtlich,
Sie bald unter Dach und Fad) zu bringen, man wird
jelbjtverjtändlich ein paar Hilfstruppen nad) uns aus—
fenden I”
Die verfchlungenen Zügel der beiden Pferde in der
Rechten, führte Proczna die junge Dame in allmählic)
fchnellerem Schritt den Weg entlang, welcher bereits
anfing fic) weiß zu färben. Der See endete; junge
Kiefern: und Tannenfdonung faumte zu beiden Seiten
den Weg.
„Bir haben mindejtens noch zwei Stunden Tages-
licht, Sie brauchen fic) nicht zu ängjtigen, Kenia |!”
Sie lachte hell auf. „Wenn Sie wiigten, Janek, wie
foloffal viel Courage id) habe!”
„Riskieren Sie e3, hier in der Wildnis einzufchneien ?”
— 510 —
„Barum nicht? Das Schlimmite, was uns paffieren
fönnte, wäre: zu erfrieren! und wie ich gehört habe, ijt
juft dies der fchinfte Tod, den man fic) wünjchen kann!”
„Sie denfen glei) ans Sterben! Vorher gibt e3
ein Verloren und Berlajjenjein, ein Irren kreuz und
quer!” Unwillfürlich jchloß er dabei ihren Arm feſter
an fid.
„Beſſer mit den Füßen, al8 mit den Gedanten!”
„Verirren die fich bei Ihnen jo leicht und fo weit?!”
„Ich habe lange Fahre gebraucht, um fie überhaupt
auf den rechten Weg zu bringen!”
Und bleiben fie mun darauf, oder drohen fie hie und
da nod einmal zu entgleijen?” er blickte lächelnd gu ihr
nieder, Xenia aber fdjiittelte ernjthaft das reizende Haupt.
„Ich weiß jebt, was ich will, und fol ein fefter Wille
ift das befte Steuer, welches man für fein Lebenzjchiff-
fein finden fann.”
„Sie haben jich merfwürdig verändert, Xenia! Wem
gebührt die Ehre für dies Meijterjtüf? Hat die große
Welt wirklich all die fleinen und großen Eden abgefchliffen,
welche mir fo lange Jahre hindurch trogig entgegen-
jtarrten und jegliches GHarmonieren zwiſchen uns une
möglich machten ?”
„Die große Welt? Warum juft die?” Sie fdhien
jeiner Frage auszumweichen.
„Ich entfinne mich, vor Jahren aus Ihrem Munde
ein gewiſſes Glaubensbefenntnis gehört zu haben. Gie
behaupteten damals, nicht ohne die Anerkennung und
— 512 —
„Können Sie dafür Beweije bringen?”
Sein Blick tauchte tief und lange in den ihren.
„Eher, al3 Sie glauben und ahnen mögen.” Er jagte
e3 langjam, nut eigentümlicher Betonung, dann fuhr er
heiter fort: „Sie haben die Polen niemals leiden mögen,
Kenia, Sie find noch immer meine politiiche Gegnerin 2”
„Ich betrachte Sie vollfommen als Deutjchen !”
„Das heißt fic) und mich betriigen! Was nimmt
Sie gegen meine Landsleute ein?”
Sie fenfte den Kopf tiefer. „Das polnische Blut ijt
mir zu rebellifch, eine deutjche Ariitofratin fann nicht mit
Koſyniers Harmonieren!“ Das war nod der alte, fühle
Stolz, welcher durch dieje Worte flang.
Procznas Blic flammte auf, wie eine fühne, uner—
bittliche Herausforderung troßte e8 auf jeiner Etirn.
„Wiſſen Sie, daß es gewaltig in Polen gärt —
daß mein unglücliches Baterland nur auf den Blig aus
Gottes Himmel wartet, um die Tadel der Empörung
daran zu entzünden ?
Wie in jäher Angit fafte fie feinen Arm, eine leiden:
fchaftlidje Warnung leuchtete aus ihrem Auge.
„der Name auf dem Wappenjchild des legten der
Dynars fann nicht gelöjcht werden! Hans Stefan! Sie
haben eine deutjche Schweiter, zu deren Schuß Sie der
firenge Wille eines Toten ruft!”
Der Wind ftrich braujend durch die hohen Tannen,
es wirbelte und gligerte in hellen Gunfen um fie ber.
Janek neigte fich tief nieder zu Xenia. ,, Polnijd Blut
— 513 —
verleugnet fich nicht”, flijterte er mit fascinierendem
Bid. „Auch in Ihren Adern freijt ein Tropfen diejes
Gifts, für welches es weder Hilfe nod) Nettung gibt!
Hans Stefan Dynar wird nur dann die Hand für
Polens Freiheit heben, wenn feine deutſche Schweiter
ifm felber dieje Hand dazu bewajjnen wird! Unbejorgt
aljo! Das Wappenjchild der Grafen Dynar fteht in
ficerer Hut!” — er lachte leije auf und fuhr in fait
heiterem Tone fort: „Wie verjchieden die Menſchen und
namentlid) die Frauen doch beanlagt find! Ich bin
überzeugt, Xenia, Sie würden fich ohne jeglichen Kampf
von dem Marne Ihrer Wahl losjagen, triebe ihn die
Liebe zu feinem unglüdlichen Vaterland in die Reihe der
Kojyniers, und doch gibt es ein Hiftorijches Beijpiel, wie
die heiße, jchranfenloje Liebe ein Weib aus dem feind-
« lichen Lager in das Polenheer getrieben, an der Seite
ihre Geliebten zu leben oder zu ſterben!“
Die Heine Hand, welche auf jeinem Arm lag, zitterte,
vielleicht vor Kälte.
„And welche von beiden Naturen jcheint Ihnen die
glüdlichere 2”
„IS beneide jeden Sterblichen, welcher fo über Maß
und Biel geliebt wird, daß alle Bande der Welt, welche
fonft nod) Macht über eines Menjchen Herz befigen, wie
Spreu im Winde vor dem Sturm der Leidenjdjaft ver:
wehen, nur das ift Glück, nur das allein!”
Einen Augenblid herrjdjte tiefe Stille, dunkle Schatten
fielen über den Weg, in den Zweigen braujte der Schneeſturm.
N. v. Cichſtrut h, I. Rom, u Nov Polniſch Blut IL, 38
— 514 —
„Sie frieren, Xenia! Gie zittern ja wie Efpenlaub!
Und ich habe feinen Mantel, Sie zu fügen!” Gie
antwortete nicht.
„Geben Sie einen Augenblid meinen Arm frei, ftellen
Sie fic) hier dict an ‚Mylord‘ ... er dedt Sie ein
wenig gegen den Wind!” und Proczna trat haftig auf
die andere Seite zu feinem Roß, jchnallte den Sattel
ab und 30g die Fleine Unterlagdede vom Rüden des
Pferdes.
„Hier, ſchnell! Wideln Sie ſich ein! ... Wie thöricht,
daß mir der Gedanke nicht früher fam!”
Kenia fchüttelte, ohne ihn angujehen, das Haupt. „Die
Verde find warm ... Sie dürfen nicht ...“
Eine Schneewolfe wirbelte auf; Sanef fprang zu,
ſchloß die zitternde Gejtalt in feine Arme und warf
ſchützend die Dede über fie hin — jefundenlang ruhte .
Kenia wie betäubt an jeiner Bruft.
„Es Tann nicht3 helfen, wir müfjen vorwärtsfommen!
Sch nehme Sie vor mich in den Sattel und fopple Mylord
an, ohne Laft wird er fchon galoppieren fünnen! Not
fennt fein Gebot, lafjen Sie ung den Moment benugen,
wo fic) der Wirbelwind gelegt hat!“ Xenia widerjprach
mit feiner Silbe, Janef jah troß der Dämmerung, welche
rapid zugenommen hatte, bak ihr Antlit farblos war
wie die Schneefternchen, welche e8 umtanzten.
„Borwärts!” .
Gräfin Dynar zudte empor. „Ich hire Hufſchlag!“
„Beim Himmel... er fommt näher... baliholl...
— 515
„Halihol” ... „Dan fucht ung |“
„Bott fei Lob und Dank.”
— 516 —
Kenia flammerte fi) an den Arm ihres Pflegebruders,
mit großen, faft ftarren Augen blicte fie nad) der Biegung
des Weges, um welche zwei Piqueurs hergujprengten.
„Das war zur rechten Stunde! ... Berbindlichiten
Dank für Ihre Aufmerkfamfeit und Hilfe, meine Herren!
Wir haben Unglück mit dem Pferd gehabt, und es dürfte
jest wohl unfere erjte Sorge fein, meine Schweiter unter
Dad) zu bringen! Zum nächſten Unterjchlupf, meine
Herren, gleidjviel wo und wie!”
„Kaum zchn Minuten von hier jteht ein Wildwärter-
Häuschen, Herr Graf!”
„Bortrefflich! jo erreichen wir es zu Fug! Ihren
Arm, Xenia, in wenig Augenbliden find Sie geborgen!”
Geborgen! wie ein Echo hallte es in ihrer Seele nad);
was follten ihr jchügende Mauern und eine Dede zu
Häupten? Als fie an jeiner Bruft ruhte und feine
ftarfen Arme fie umjchloffen, da war fie geborgen ge:
wefen, ob aud) Sturm und Schnee fie umtobten! Und
wenn der Wettergraus wilder Empörung durch die Fluren
Polens brauft ... an weſſen Herz wird fie fic) dann
flüchten? ...
Ein Schauder riefelte durch ihre Glieder, aber die
blafjen Lippen lächelten.
„Kofynier! Kofynier!!” ... braufte e3 im Wind wie
ein gellender Jubeljchrei durch die Lüfte.
—— ee ——
zerrzerrrxr|
XXIII.
n der fleinen Forſtwärterſtube feierte man Dammerz
ftündchen.
Behagliche Wärme durchzog fie; der Dompfaff
im grobgeflochtenen Bauer hatte den Kopf bereit3 unter
die Flügel geftedt und wiederholte nur hie und da, wenn
ihn ein jähes Geräujch aufjchredte, ein melancholifches
„Zutitil tatütü“, welches den Anfang feines Leib- und
Magenliedes: „Freut euch des Lebens”, in muſikaliſchſter
Vollfommenheit bildete.
Arm, aber jauber und ordentlich jah e3 in dem nie=
drigen, Eleinen Raum aus, welcher Küche, Wohn- und
Schlafſtube zu gleicher Beit vorftellte. Nebenan mederte
e8; ein jchmaler Verjchlag, urjprünglich wohl zur Herd-
ftelle bejtimmt, war der Ziege zum Winterquartier eins
geräumt.
Ein junges Weib, troß aller Dürftigfeit dennoch mit
gewifjer Bierlidfeit gekleidet, hodte auf niederem Schemel
neben den prafjelnden Flammen und ließ ein dralles, vor
Luft Hell auffrähendes Bübchen ,,.Hoppa-Reiterlein” auf
— 518 —
den Knien tanzen. Zum Schluß purzelte der fleine Ka⸗
vallerift mit gellendem Jubel Hinteniiber, beinahe bis
auf die Dielen, aber dennoch im entjcheidenden Moment
von den Armen der Mutter gefaßt und Hoch empor=
geſchwenkt, al trüge er plößlich Flügel an den fleinen
Schultern.
Das war ein Herzen und Koſen und Nimmerjatt-
werden des prächtigen Spiels — bi8 e3 plößlich dennoch
unterbrochen wurde und mit Sturm und Schnee eine
fremde, vornehme Geſellſchaft durch die Thür wirbelte.
Märchen jah fich pliglich aufs peinlichjte vernach—
läffigt und folo auf dem Schemel in eine Ede gerüdt,
dieweil fein Mütterchen voll geichäftiger Haft hin- und
herlief, die fremde Dame zu bedienen, welche auf Vaters
Lehnftuhl am Feuer jaß, den Kopf mit dem feuchten
Goldhaar zurüdgelehnt und die Augen gejchlojjen, als
ſchlafe fie.
Märchen ftarrte fie mit großen, ftaunenden Augen an,
wandte das Köpfchen und mujterte den unbefannten Herrn,
welcher die falten Hände über der Herdglut rieb, der
Dompfaff aber jchrie höchſt ungnädig über die laute
Störung den Fremden fein: „Freut euch des Lebens”
entgegen, und hüpfte dazu von einer Stange auf die
andere. Dennoch nahm man feinerlei Notiz von ihm.
Graf Dynar erjuchte die Piqueurs um die Gefalligteit,
ihm fchleunigft den Schlitten und warme Pelze aus der
Stadt zu jchiden; — die Forjtwärterin hatte eine fleine
Öllampe entzündet und an dem Dedbalten aufgehängt,
— 519 —
mit überrafchender Gewandtheit forgte fie für Xenia,
ftellte ihren Sonntagsjtaat zur Verfügung und verjuchte
mit gefdicten Händen das nafje Haar troden zu reiben
und zu ordnen.
Sanef hatte guerjt diefem Beginnen recht bejorgt zu-
gejhaut; feine Schweſter, welche feine fremde Hand zu
ihrer Bedienung duldete, welche empört das ftolze Haupt
zurüdwarf, wenn fie auf der Straße das grobe Wollzeug
eine3 armen Weibes nur ftreifte — fie jollte womöglich
den Fup in einen Schuh jteden, auf deffen Sohle derbe
Nägel glänzten? Friiher hätte diejer Gedanfe an Wahn
wif gegrenzt |
„Sehen Sie, gnädigite Gräfin, hier habe ich ein paar
Strümpfe, direft von den Nadeln weg! find noch auf
feines Menſchen Fup gewejen! Die Wolle ift ja wohl
rauh und hart, aber juft das rechte Mittel gegen Er—
fältung! Ich war fünf Jahre lang Kammerjungfer bei
der Baronin M. in Danzig, die hatte ftet3 fo ein Paar
liegen, um e8 bei Schlittenpartien über den feidenen
Strumpf zu ziehen!”
Kenia hatte fich emporgerichtet, fie fchien fich wieder
völlig erholt gu haben.
„Sie waren Kammerjungier? O, das ift ja vor-
trefflid), dann fann ich mich Ihrer Sorge alfo ohne
Strupel anvertrauen‘ Was für prächtig warme Wolle!
die wird mir gewiß gute Dienjte leijten! Meine Stiefeln
find vollftändig durchnäßt, wollen Sie fo freundlich fein
und mir die Fußbekleidung wedjeln?”
— 520 —
Diefe Worte waren jehr leije gefprochen, der Blick
der jungen Dame jtreifte den Pflegebruder, welcher abz
gewendet vor dem Vogelbauer jtand und Monfieur Dom:
pfaff animierte, noch ein Liedchen zum beften zu geben.
„Ich knie mich vor gnädigite Gräfin hin! der Herr
merft durchaus nichts davon!” flüfterte die Forftwarterin
beruhigend zurüd. „Wir haben ja leider nur dieſes eine
Stübchen und das Wetter ift zu jchlimm, um den gnä-
digen Herrn Hinausgubitten !” 5
Sanef rückte fich einen Stuhl ojtenfibel mit dem Rüden
in da3 Bimmer hinein und zog fein Bortefeuille, um mit
größtem Eifer darin zu blättern.
Bor feinem Blid tanzten die Buchftaben und Zahlen,
wie in jubelndem Reigen. Eine Reihe von Nebelbildern
jchwebte an jeinem geijtigen Auge vorüber, er fehaute
fern zurüd in eine Zeit, wo er den Schneefturm noch um
die Türme Procznas braufen hörte, wo ein goldblonder
Kinderkopf fich zärtlid) an jeine Echulter lehnte.
Plötzlich jchraf er aus feinen Gedanfen empor, Xenias
ſchwerer Schritt fang neben ifm. Cie jtüßte fich auf
feine Stuhllehne und lachte ihn fajt übermütig an. „Über:
raſchen fann ich jeßt niemand und Walzer tanzen möchte
auch jeine Schwierigkeiten haben! Sehen Sie doch, wirt:
liche, veritable Holzſchuhe habe id) an, nagelneue fogar,
mit einem Herz vorn aufgejchnigt! Solche Sabots ar:
beitet der Forjtwarter eigenhändig für jeine Frau; ijt das
nicht liebenswürdig 2”
Sanef blicte amüfiert auf die plumpe Schuhipige
— 521 —
hernieder, welche Gräfin Dynar etwas unter dem Saume
des Kleides hervorjchob.
„Liebenswürdig und galant zugleih! Wenn der junge
Ehegatte ein Pole ift, fo muß ihm, nach dem Format
dieſes Pantoffels zu fchliegen, der Schalt gewaltig im
Naden figen!”
„Geben Sie, bitte, gleich die Auflöfung zu dieſem
Ratfelwort I”
Janek hatte fic) erhoben und blickte amüfiert auf die
Fragerin hernieder. — Der Pole fennt feinen lieberen
Becher alB den
Schuh feiner
Dame, und feinen
beraujchenderen
Genuß, als ihn
auf einem Zuge:
‚Vive Pamour!‘
zu leeren. — Ein
kleiner Zuß und
großer Durjt
pajjen da fchlecht
zueinander; aber
wie mir der ges
niale Forftwart
beweijt, gibt es
auch ein Mittel,
jelbft dieſe Extre—
me zu vereinen |”
— 522 —
„Sie wollen nur über meine zierliche Chauffure fpotten!”
„Revanchieren Sie fich und fchelten Sie die polnifche
Sitte phantaftijd!”
„Das würde in meinen Augen mehr eine Aner-
fennung fein!
„Thatſächlich? — Sie find fo echt deutfch, Xenia,
und das deutfche Blut rollt fo fühl und nüchtern durch
die Adern, verwirft Leidenjchaft al Fanatismus und
glühende Begeifterung, welche durch ihre eigenen Zeichen
redet, al Abjurdität! Sie felber jagten mir einjt: ‚Meine
AHnfrauXenia war eine überfpannte Schwärmerin‘, und dod)
war fie nur ein leidenfchaftliches Weib, phantaftijd genug,
für einen ungewifjen Traum eine fichere Wahrheit zu opfern!”
Gräfin Dynar wid) feinem fcharfen, beinahe forjchen-
den Bli€ aus. ‚Und nach einer einzigen, unbedachten
Äußerung von mir beurteilen Sie meine ganze Nation?”
Er jchüttelte langjam das Haupt. „Ich male mit
breiten Gtridjen und grellen Farben, e8 gibt bei einer
jeden Regel Ausnahmen, und bei diejer Hoffentlich recht
viele!” — Er brad) furz ab. — ,,... Haben Sie ſich
wieder erwärmt, verlangen Sie nad) irgend einer Kräfti—
gung? Heiße Milch ijt wohl fchnell zu bejchaffen —”
Sie unterbrach ihn Haftig: „Nein, nein! Ich habe
feinerlei Wünfche und fühle mich wieder vollftindig rejtau-
riert! Hier am gener fist es fich ganz vortrefflich,
e3 macht mir freude, in die Flammen zu jehen uud diefe
ungewohnte Umgebung zu betrachten, die Leute jcheinen
fehr arm zu fein!”
a $09 —
Da kamen unficher ſchwankende Schrittchen durch die
Stube, mit beiden drallen Ärmchen rudernd die Balance
haltend, wadelte Märchen auf die fremde Dame zu und
ſchmiegte fic), freudig aufquietfchend ob der Heldenthat
der Solopromenade, in ihre Kleiderfalten.
Janek beugte fich jchnell nieder und hob den fleinen
Geſell auf feinen Arm empor. — „Hierher, du loſer
Schelm! Mit mir jollft du fchäfern und lachen. Wenn
du zu der jchönen Dame verlangft, müſſen wir erjt die
Patjchhände waschen, und den Kleinen Schnabel — ver:
itanden, Mosjöchen?“ — Märchen gappelte aus Leibes-
fräften und ftredte die Arme nach Xenia.
„Warum wollen Sie mir diejen Verehrer abfpenftig
machen? — Schnell, geben Sie den prächtigen Kraus—
£opf ber!”
Proczna jah fie faft betroffen an. „Aber Xenia,
diejen fleinen Proletarier auf Ihrem Schog —?”
73h bin ‚phantajtisch‘ genug, auch daran Geſchmack
zu finden |”
„Denken Sie an früher! Arme Kinder waren Ihnen
jeit jeher höchſt unſympathiſch! ... Wir bezahlen ja die
biefige Gaftfreundjdhaft, Sie brauchen fich wahrlich aus
Nücdficht gegen die Forjtwärterin feinen läftigen Zwang
aufzuerlegen |”
Kenia biß fid) auf die Lippen. „Warum mahnen Sie
mich ftet3 an früher?” rief fie faft heftig, „halten Sie
mid) wahrlich für jo fonfervativ, daß ich felbit kindiſche
Fehler nicht mit der Zeit ablege?” und ohne feine Ent-
— 524 —
gegnung abzuwarten, nahm fie Märchen haftig von feinem
Arm, wandte fich zu ihrem Stuhl am Herdfeuer zurüd
und hielt der Forjtwartsfrau, welche joeben mit einer
Kanne fchäumender Milch aus dem Stall wieder eintrat,
den Kleinen faft triumphierend entgegen: „Sehen Sie
bier, Frau Martha, wir haben Freundjchaft gejchlofjen!”
Janek trat an das Fenfter und trommelte ungeftiim
gegen die Scheibe, in welcher fich das Bild am Herde
getreulich abjpiegelte.
Hinter ihm lachte, plauderte und frähte e8 in reizend-
ftem Gemiſch. Märchen wurde gefüttert, und Xenia hielt
ihm ein wenig ungefdict, aber jehr eifrig, bas Milchglas
an das rofige Mäulchen.
Frau Martha ftrablte vor Stolz und Mutterglüd.
Auf die angelegentlichen Fragen der jungen Dame er-
zählte fie aus ihrem Leben. Sie war Kammerzöfchen,
recht verwöhnt und hochnafig, feiner war ihr gut genug,
bis urplößlich der Rechte fam, luftig, bildhübfch und
blutarm. Da gab e3 fein Befinnen mehr, fie gab dem
guten Leben Valet und jubelte vor Glück und Freude,
al ihr jchmuder Grenadier diejes befcheidene Pöſtchen im
Walde befam.
„Und fehnen Sie fid) denn gar nidt in die Stadt
zurück?“
Das junge Weib lachte glückſelig auf: „Ach liebe,
gnädige Gräfin, wenn Sie erſt einmal einen ſo recht von
ganzem Herzen liebhaben werden, dann wird es Ihnen
ſelbſt in der Wüſte nicht zu einſam ſein, und dann werden
— 525 —
Sie erft recht begreifen, daß gum Gliidlidfein gar herz.
lid) wenig nötig ijt! Mein Franz ift ein ſchmucker Mann!
Qn der Stadt würde id) niemal3 aus der Eiferjucht
herausfommen und auf jedes Mädel Gift und Galle fein
— hier gehört er mir allein, hier gibt’3 nur Wald und
Himmel, und wenn man aud oft arge Laft dadurd)
hat, ic) möchte doch nie und nimmer in die Stadt
zurück“ —
Sanef wandte verjtohlen den Kopf — er fah, dak
Kenia das jchöne Haupt wie in tiefen Gedanken finfen
ließ ...
Schlittengeläut tinte durch die Nacht, rote Fadelglut
warf grellen Echein voraus auf den Schnee, es ftampfte
und jaufte mit flüchtigen Hufen heran.
Xenia trat Dicht an Procznas Seite und fah ihm
bittend in die Augen. „Haben Sie Geld bei fich, Janet?
Ih möchte ſchon jest meine Dankbarkeit durch eine kleine
Gabe beweiien ... Frau Martha fann nicht in die Stadt
fommen und ich werde in den nächſten Tagen nicht per:
fönlich hier herausfahren können ...
„ber jelbjtverjtändlich, Xenia... meine Börje wäre
auf jeden Fall hiergeblieben —“ .
„O lafjen Sie mich geben!”
„Bon Herzen gern — la voila! — verfügen Sie!”
Sie nickte ihm lächelnd Dank zu, darn eilte fie wie
ein Kind zu Märchen, welder wieder auf feine ſtroh—
geflochtene Matte in die Stubenede gejegt war, und
fcbiittete ihm den goldenen Segen in den Schoß.
— 526 —
Der Forftwarterin liefen die hellen Thränen über bie
Wangen, fie füßte die ſchlanken Hände der Geberin wieder
und immer wieder. Xenia hatte ftet3 außerordentliche
Summen in jegliche Armenfafje und an jeden Verein aus:
zahlen lafjen, aber jegt erft fam es ihr zum erjtenmal
im Leben vor, als habe fie die Hände geöffnet, um etwas
Gutes zu thun.
E3 Hatte aufgehört zu jchneien, aber e8 war nod)
immer ftürmijch und jehr falt. — Der Himmel flimmerte
wie ein Meer von bläulichen Funfen, weiß verjchleiert
erglänzten die Tannen in den erjten Mondjtrahlen,
welche noch wenig intenjiv, wie filberne Nadeln durd)
die Zweige flojjen.
In weichen, köſtlich warmen Pelz gehüllt, flog Xenia
an Janeks Seite im Schlitten dahin. Grabesjtille im
weiten Walde.
Die Fadeln Ioderten in den Händen der Sattel:
reiter, blutrote Lichter zudten über die Fichten am Wege,
Funken jprühten auf und wirbelten über den Schnee
e3 fchnaufte, jtampfte und bäumte mit flatternden Mähnen
wild auf — eine jeltjame, romantijche Fahrt!
Zwei anfgejcheuchte Vögel ftrichen wie düjtere Schatten
über den Schlitten hinweg; ihr heiferer Schrei verflang
im Winde, welcher, heftiger werdend, an Xenias jo wenig
geihügtem Köpfchen zaufte.
Sanef legte ihr ſchweigend den Pelz höher in den
Naden — umfonjt, er fiel im fcharfen Luftzug wieder
zurüd. Um ihn zu halten, ließ er feinen Arm dahinter
— 527 —
ruhen. — Xenia fühlte es, jah aufzudend fchrat ihr Haupt
von ihm zurück.
„Fürchten Sie nichts, Xenia, es liegt ein dider,
ſchützender Pelz zwifchen Ihnen und dem rebelliichen Polen⸗
blut!” — Er jagte es leije und ruhig, dennoch klang es
wie Bitterfeit durch feine Stimme.
Sie antwortete nicht, aber fie hob die Hand, ſchob
den Edelmarder langjam beijeite und lehnte den Kopf
feft in feinen Arm zurüd.
„Koſynier! — Koſynier!“ — jauchzte der Sturm
durch die raufchenden Zweige.
Die Ulanen faßen im Kafino beim Frühftüc.
Sanef Proczna war bereits Stammgaft bei ihnen
— 528 —
geworden; auch heute trat er am Arme Hechelbergs in
den Speijejaal, eine Stunde zu verplaudern.
„Die dienjtfreien Herren zu einem Kleinen Tarod ans
treten . . . Wir rechnen auf Sie, Proczna ... Pour
passer le temps . . . man döjt fic) ja vor Zangerweile
Schwielen ins Gehirn!”
„Stehe fofort zur Dispofition !”
„PBröjtchen, Baprilo! . . . Wie war's mit einer
‚Chateau d’Yquem ?
„Haha! Der Löwe hat Blut geledt! Na, in Gottes
Namen, Dordhlaudting, damit Sie flare Augen behalten,
will ich helfen, — Ausknobeln?“
„Das verrriteht fih!! un... deux ... Luft,
Clavigo! Vortrefflih ... Stein jchleift die Scheere, habe
den Vorzug, Sie zu einer gefunden Flajche Gift eingu-
laden!
„Weiß das Donnerwetter! Unjer braver Kapitän
a cheval hat eine unglüdliche Liebe gu der fchlanfen
Schönen von Chateau d’AYquem und Umgegend!”
„Irren ift menjchlich, lieber Flandern — ih haffe
Dieje Sorte — wie überhaupt alle Weiber, welche fich
mit Bindfaden, Draht und Staniol jchnüren !”
Hechelberg ftüßte beide Arme auf den Tijd) und
machte ein unglaublich verjchmittes Geficht.
„Luft! Luft!!! ...“
„Ich haſſe fie, und darum ... vertilge ich fie, wo
ich fie antreffe!”
Zubelnder Beifall; der Piropfen fprang, wie flüjfiges
— 529 —
Gold gluderte der Wein in bas zart geichliffene Glas.
— „Tod und Untergang allem überflüjfigen Weine,
Messieurs!”
„Bravo! — pereat! — Wir fommen nad, Herr
Rittmeiſter!“ — — melodiſch aufflingend trafen fich die
Glajer.
„Sagen Sie ’mal, Proczna ... Sie werden auch
Shr Tangbein bei Gowers jchwingen ?’ — Heller:
Hüningen neigte fid) näher zu dem Gefragten und machte
ein außerordentlich intereffiertes Gejicht.
„Mit al dem Schwung und der Hingebung, welche
mir eigen!” Ä
„Auguſt Ferdinand hat perjönlich feinen Befehl, in
Form einer Bitte, an das Regiment gerichtet, vollzählig
zu erjdeinen; die Gartner wird ein nettes Geficht Dazu
fchneiden — merci! |”
„Sie wird irgend eine Parole ausgeben, welche
Gowers wenig Freude an den erzwungenen Gajten ers
leben läßt.”
„Haben Sie fehon engagiert?”
„Roh nicht — aber ich gehe nachher zur Billa
Florian, mir mein Teil gu fihern.” — Es zudte ver:
raterijd) um feine Lippen, Donat aber fuhr mit miß-
trauifchem Blick empor:
„Doch nicht etwa zum Cotillon?”
„Bu was wohl fonjt !”
„Doch nicht etwa Bicky?“
Proczna zudte die Achjeln.
Rv. Eſch ſtruth, IN. Rom. u. Nov., Polnifd Blut IL. $4
— 530 —
„Menſch . . . ich drehe Ihnen den Hals um!”
„Das kann der Starfere ftet3; den Rang ablaufen
würde jchneidiger fein!“
„Blitz und Knall, das fol ein Wort fein... Fd
will ſechs Wochen lang jeden Mittag Lungenhafdee effen,
wenn Sie mir die Kleine wegjchnappen! Bickys Cotillon
gehört mir!”
„Noch nicht
„ber er wird e8 fo gewiß, al8 ich Hier neben Ihnen
auf einem gejhnitten Stuhl mit vier Beinen fiße!”
„Schriftliche Engagement ift ungültig; es bedarf der
Bufage aus Bidys Mund!”
„Sut — mir aud redt. — Weiß der Teufel, was
Sie für Klaufeln maden! — Heda, Drdonnanz .. .
Gabel und Müte!”
Procgna entzündete fic) gelaffen eine Cigarrette.
„Laufen Sie fic) doch nicht die Haden ſchief, Ver:
ehrteiter; Bidy ift mit Xenia in den Wald zum Wild-
wärterhaus gefahren; um drei Uhr find fie zurüd, und
pragis um drei Uhr bin ich in Villa Florian!”
„Bassa manelka! .. * Donat ftemmte die Arme
in die Seite und fchüttelte halb ungläubig, Halb miß-
trauifd) den hübſchen Kopf. „Mit Spek fängt man
Mäufe, alter Freund! Dem Frieden traue ich nicht. —
Ich werde mich erjt mit eigenen Augen überzeugen und
dann in meiner Wohnung am Fenfter Poften ftehen, den
Wagen abgujafjen; im Notfall werfe ich mich in die
Rader und engagiere mit brechenden Rippen!’ ’
— 531 —
Janek erhob fic) ebenfalls und wandte fid) gelafjen
an Hechelberg.
„Berehrtefter Herr Rittmeifter, wollen Sie mir ’mal
einen Gefallen erweifen ?”
„Alles, außer — heiraten!”
„Segen Sie dem jiingften Leutnant Ihrer Schwadron
für heute nachmittag drei Uhr Dienft an!”
Donat fuhr empor wie ein gereizter Löwe, rig Säbel
und Miike an fi und rafte, alles recht3 und links zur
Seite fcehleudernd, aus der Meſſe.
„Ich Ichide Ihnen eine Ordonnan3, Beauty-patch!”
fdrie ifm Hechelberg mit luſtfunkelnden Wuglein nach,
„der Teufel foll Sie holen, wenn Sie die Refruten ver:
fäumen!... Voltigieren... Fechten... Fubexergieren .. .”
Die Thür flog laut jchallend ins Schloß, Fürſt
Heller-Hiiningen hatte feine Silbe mehr gehört; Proczna
aber warf fich in einen Sejjel und lachte mit dem Ritt-
meijter ein Duett.
Ganz abjdeulid) haben fie dem armen Leutnant
mitgejpielt.
Donat jtürmt nad) Villa Florian und erfuhr, daß
die Damen erjt um drei Uhr von einer Spazierfahrt
zurüderwartet würden. Wie gehebt eilte er nach feiner
Wohnung.
„SH bin für feinen Menfchen zu Haufe, Robert!”
befahl er jeinem Burjchen voll fiebernder Erregung, „am
wenigften für eine Ordonnang. Du weifeft alles ab —
verjtanden ?
34*
— 532 —
„Befehl, Herr Leutnant.”
Beauty-patch bezog feinen Objervationspoften hinter
der Gardine — „Aha
... da fommen Hechel-
berg und Proczna Arm
in Arm angejchlendert,
firieren feine Fenſter und
biegen fic) vor Lachen
.. . und Hinter ihnen
. . . Kreuzhimmelſchock⸗
bombenelement, eine Orz
Donnan, mit der omis
nijen Ledermappe unter
dem Arm.”
Klingeling! . .. —
„Herr Leutnant find nicht
zu Haufe.” Trapp, trapp,
{tampft e3 wieder Die
Treppe hinab. Der Herr
Rittmeifter fteht und läßt
fide) rapportieren, dann
gibt er einen kurzen Befehl.
Die Ordonnang geht quer über die Straße zurüd und ftellt
fi) wartend neben der Hausthür auf. — Zum Donner:
wetter nod) eins! . . . Hechelberg und Proczna aber
pendeln drüben auf dem Trottoir auf und nieder, be-
halten feine Fenfter im Auge und wollen fich rein vom
Leben thun vor Vergnügen.
— 533 —
Donat fühlt e8 in den Fingerfpigen fribbeln, er möchte
aus der Haut fahren vor Wut!
Wie fie drunten
Wike reißen und fich
ihres Gaunerſtück⸗
chens freuen! ...
Der Proczna iſt reif
für die Hölle...
— 534 —
dem jcheint ja nicht3 mehr heilig zu fein, nichts, felbft
die Liebe eines Leutnant3 nicht! — Und Hechelberg!
.. . feift und dreift wie ein Falftaff, in Eünden er:
graut ... Da fieh nur einer, wie der Rerl fic) breit:
beinig Hinftellt und heraufgrinjt, gerade al8 wolle er
ein Loch in die Gardine guden!
Donat möchte mit der Fauſt ins Fenfter fchlagen.
Aber wartet, ihr Teufelsbraten! wir find auch nod)
pfiffig. „Robert! ...“ — ‚Befehl, Herr Leutnant.” —
„aß augenblidlich den gejchlofjenen Wagen anfpannen
und ftell’ did) unten vor der Hausthür auf; jowie die
Equipage der Gräfin Dynar oben in der Straße in Sicht
fommt... du fennft ja die beiden Iſabellen! . . dann
läßt du mein Coupé drunten im Hausgang vorfahren,
id) jpringe hinein, und es wird im jchärfiten Trab hinter
der Gräfin hergefahren. — Berjtanden? — Hier...
Diefe Börje bekommſt du, wenn du die Sache gefdhict macht !”
Hüningen warf jein jchweres Portemonnaie auf den
Tiſch, Robert aber entgegnete mit bligendem Auge fein
„Belehl, Herr Leutnant.”
Und er machte feine Gace brillant.
Das Coupé fährt im Hausflur vor, Donat fpringt,
ohne rechts und links zu bliden, hinein, und Heidi, jauft
e3 auf die Straße hinaus, hinter der Dynarjchen Cqui-
page ber.
Uber was ift da8?. . E3 verdunfelt fich im Innern
des Wagens, eine ſchwarze Gejtalt preßt fic) gegen die
Scheibe . . . Kreugmillionen . . . die Ordonnang ijt auf
— 535 —
das Trittbrett gefprungen! Man halt vor Villa Florian...
die Thür wird aufgeriffen, eine derbe Hand reicht das
Dienftbuch entgegen: „Für drei Uhr Reiten und Voltigieren
in der alten Bahn, Herr Leutnant.”
uBerfl . . „1“
Donat jchiebt den Ulan mit beiden Händen etwas
ungeftüm zur Ceite, jpringt hinaus und ftürzt auf
Bidy, welche noch mit ftaunenden Augen in der Haus-
thür zögert, zu: „Bicky . . . darf ich für morgen abend
um den Cotillon bitten?” fchreit er mit hochrotem Kopf.
Die junge Dame ijt zu Tode erjchroden. „Aber
Donat...“
„Kann id) den Cotiflon haben... . ja oder nein?!”
wiederholte er, voll fiebernder Ungeduld mit beiden Füßen
trampelnd.
„Sa, natürlih ... gewiß . . aber warum... .”
„xenial — Xenial! ... Sie find Zeuge, daß mir
Bidy den Cotillon bewilligt hat! ... mille merci!
ich komme heute abend ... Addiol” und wie ein Wirbel:
wind jpringt er mit zwei gewaltigen Sägen die Treppe
wieder hinab in feinen Wagen. ,,So, nun geben Sie
mir in Gottes Namen das Dienſtbuch!“
.. « Die Refruten haben Fürft Heller-Hüningen nie
fo gutgelaunt gejehen, als an biejem Nachmittag, und
Roberts ,,Coufine’ ift am nadften Sonntag in einem
nagelneuen Kleid zur Kirche gegangen.
Procgna und Hechelberg haben fid) aber jelbit-
verjtändlich grün und gelb geärgert.
XXIV
ps) Ci Mühe und Laft durch den Ball, über welchem
PY das Motto: Noblesse oblige‘ — oder nod)
richtiger gejagt: ‚Stellung verpflichtet — fchwebte,
auferlegt.
Ihre verhältnismäßig Heine Wohnung bedingte e3,
daß viel geräumt und umgeftellt werden mußte; zwei
gute Freundinnen aus dem Injanterieregiment hatten das
fehlende Silber, Kryftall und Glas gütigft geliehen, und
was nod an Bedienung fehlte, wurde ebenfalls durch
galonnierte Burfchen erfegt, deren Drefjur der armen
jungen Frau manden Stoß- und Angjtjeufzer und manche
Scherbe gefoftet hatte.
Endlich holte die Uhr zu dem Schlage aus, mit
welchem fid) die Flügelthüren des Tanzjaales öffnen
follten, um eine Gejellfchaft in fich aufzunehmen, fo ver-
fchiedenartig, jo mit Keulen gujammengetrieben und fo
ſchwer zu verjchmelzen, daß den Gajtgebern jchon bei
dem Gedanken allein die Haare zu Berge ftanden.
> a tau Leutnant Gower hatte fic) eine unendliche
— 537 —
Auguft Ferdinand wollte zwei feindliche Lager und
Heerhaujen fonjrontieren, und Gowers mußten das
Schlachtfeld dazu liefern, mit der angenehmen Perfpettive,
alle Hiebe und Stiche, welche es unausbleiblich hageln
wird, mit dem eigenen Rüden aufzufangen. Die jungen
Ulanenoffiziere waren auffallend präzis zur Stelle; fie
flappten in gemefjener Diftance vor der zarten, in apri-
fofenfarbenen Til gehüllten Geftalt der Hausfrau die
Haden zujammen, neigten die wohlfrifierten Köpfe jehr
böflih auf die Rocfragen und offupierten jofort die
Gegend um die Thür, ein feftes und exkluſives Spalier
zu bilden.
Das war ein Spiefrutenlaufen! Hüben und drüben
die meiftenteil3 jehr arroganten Gefichter, welche mit halb
zugefniffenen Augen eine Mufterung hielten, die, fo ftumm
fie auch war, der betreffenden Perjönlichkeit das Urteil
doc gellend genug in die Ohren jchrie.
Ganz anders war das Bild, wenn eine befannte
Dame der Creme mit zurüdgeworfenem Haupt über die
Schwelle raujchte.
Die Gräfinnen Ettisbach und Tarenberg traten ziemlich
zu gleicher Zeit mit Excellenz Gärtner ein.
„Ah — jharmant! vortrefflih! — tiff’ die Hand,
meine gnädigjte Gräfin! voila die Stationen des Kal-
parienberges — gipfelnd im Cotillon! Gie geftatten,
Excelleng, daß ich Ihnen meine Seele hinter einem diefer -
Tange verjchreibe?” — Die Damen hatten faum Beit,
den beiden Wirten ein Gemijch von Gnade und Herab-
— 538 —
laffung zuzuniden, wie eine chineſiſche Mauer fchlofjen fie
Die Ulanfas von der übrigen Gejelljchaft ab.
Leutnant Gower drängte fic) durch und verneigte fich
vor Excellenz Gärtner. ,,Gejtatten Ercellenz, daß ich
zuvor die Herrjchaften etwas befannt made —“
Leonie ließ einen undefinierbaren Blid über den Saal
ſchweifen, dann zuckte fie unendlich nadlaffig die Achjeln:
„Mon Dieu, wozu denn, befter Gower! €3 ijt entjeglich
langweilig, dieſes ewige Gefnidje — und hat wirflid)
feinen Bred |”
Leiſes Auflachen im Sreife, Flandern aber febte fich
den Schnurrbart noch fpiger auf und fügte mit fchnellem
Blick über die Umftehenden hinzu: „Wir fennen uns ja
untereinander, und da3 genügt vollfommen.”
Gower verneigte fich ftumm und zog fich zurüd.
Kammerherr von Drad) nebjt Gemahlin und Tochter
traten ein, Gräfin Dynar folgte am Arm ihres Bruders.
Sie jah reigender aus, denn je. Ihr ganzes Antlig
lächelte Gtlüdjeligfeit, man hatte nie zuvor fold) be-
zaubernden Liebreiz in den jtolzen Zügen gefannt. Weiße
Seidengaze floß wie Schaummellen um die ſchlanke Figur,
beftictt mit Wachsperlen, welche gleich aufiprühenden
Tropfen darauf erglänzten. Sträuße von jehr zart
nuancierten Hopfenblüten jchmiegten fih an Bruft und
Haar, unendlich einfach, und doc) frappierend durd) das
geſchmackvolle Arrangement. Zum erjtenmal, feit man
fie fannte, lag ein holder, mädchenhafter Hauch über der
taufrifchen Erjcheinung Xenias.
— 539 —
Die Herren wollten jofort durch ftürmifches Umringen
den Weg in den Saal abjchneiden, Proczna gab jedoch
den Arm der
Gräfin nicht
frei, jondern
bahntefich mit
fcherzender
Abwehr den
Weg zu den
Gajtgebern.
Eine herz:
liche und fehr
ungezwungene
Begrüßung
folgte. Bicky
hatte ihren
Vetter Donat
energiſchſt auf
dem Pfade
Janeks nach⸗
dirigiert,
ſchüttelte
Frau Gower
in unverhoh⸗
lenem Jubel die Hand und konnte nicht genug vers
ſichern, wie „furchtbar gern ſie gekommen ſei, und wie ſehr
fie ſich auf dieſen Abend gefreut habe!”
„Bir laſſen ung ſämtlich nicht mit der Staffage bes
— 540 —
fannt machen!” zijchte Grau Leonie in Xenias Obr,
„Flandern friegt Lachkrämpfe bei dem Gedanten, daß
wir und womöglich mit einem Ranonenleutnant herum-
ſchwenken müfjen — aljo von vornherein alles abge-
ſchnitten.“
Janek wandte ſich von Gower zurück und trat einen
Schritt näher gu Xenia. „Gower fragt, ob ſeine Frau
Sie mit den älteren Damen ,,jenfeits” de3 Saales befannt
machen dürfe 2”
Kenia biß fid) auf die Lippe. „Um alles nicht —
e3 thut’3 feine von unjeren Damen!”
„xenia.. . wenn ich Sie herzlich darum bitte...
mir zuliebe, Xenia . . .!”
Sie atmete jchnell auf; ihr Blick tauchte leuchtend in
den feinen. „Führen Sie mich Hin!”
„Die Hofftraten fommt!”
Sofort bildeten die Ulanen wieder Spalier. In
toftbarer Brofatrobe raujchte die Frau Nittmeifter am
Arm des Gatten in den Saal. Sekundenlang herrichte
tiefe Stille; plöglich unterbrach Hechelbergs fräftiger Baß
das Echweigen —: „Bahn du jour! Stange rein! Drei
Lod) höher legen! !”
Sdallender Jubel der Ulanen; Frau von Hofitraten
aber drohte dem Attentäter mit ihrem handfeſten Fächer
und rief, ungeniert und nicht mißzuverjtehend wie immer:
„Verflixte Song! Pag acht, wenn ich did) mal am Kollet
gauj’! Heut is Sonnabend, heut ftehn wir auf du und
du! wollen mal in Civil gujammen reden!”
— 5414 —
Gower war abermal3 zu den fungen Ravallerie-
offizieren Herangetreten. „Darf ich bitten, meine
Herren, fid) der Tangfarten der jungen Damen etwas
anzunehmen? Die beiden allerliebften Töchter des ge-
heimen Regierungsrat von Blochwitz tanzen heute zum
etjtenmal — fie find fo wenig befannt .. .”
Flandern flemmte mit feinem arrogante(ten Geficht
das Monocle ein und mufterte das Schwefterpaar
einen Moment von oben bis unten, dann zudte er
die Uchfeln.
„Bedaure, Verehrtefter — tange feine Remonten ein!”
Ein ſchallendes Gelächter belohnte diefen Wis.
„Bitte, führen Sie mich zu den jungen Damen!”
bat Janek Proczna, mit liebenswürdigfter Bereitwillig-
feit den Arm Gowers nehmend, auf deijen Stirn bereits
dunkle Glut lagerte.
„Laßt mid) man durch, Kinner, ich will mich mal
bei de Papfaffern da drüben durchjlängeln!”
„Mais mon Dieu, befte Hofitraten — Sie jehen, daß
feine von uns allen, außer der extravaganten Gräfin
Dynar, die ftet3 ihren eigenen Kopf aufzujegen beliebt,
fic) unter jenen Fülljel miſcht!“
„Bat ne Albernheit! Sin ganz manierliche Leut
drunner! — Guden S' mal den langen Laban mit de
frullige Agel dort .. . von der Infanterie — hübſche
Kerl, wat? — mit dem tang’ ich een zekere-tans!“
„Aber liebſtes Herz — Sie machen fich lächerlich !”
„Bol me abwartel — In nächſte Tag’ gef ich ſelbſt
— 542 —
eene Dan8partij, wo allet, wat Kopp un’ Been hat, ins
vitiert 13!
„Ah, richtig! — Achtung, meine Herrichaften, ich
bitte um8 Wort!” — Hechelberg klatſchte energijch in
die Hände, alles drängt näher.
„Wat will he widder loglafjen ?”
„Kennen Sie ſchon die neuejte Anekdote, welche meine
geliebte Freundin Hofitraten in Scene gefegt hat? —
Nein?! — Bitte zuhören! Gutmütig und liebenswiirdig
wie immer, will fie einen Monjtreball arrangieren.”
„Auf dem du olle Sünder det einzigite Moniter bift!”
„Sott fegne dich für dieſes Wort der Milde!” —
Hechelberg freugte die Arme über der Bruft und fuhr
auf ftürmifches Verlangen fort: „Dazu follten jämtliche
Menjchen eingeladen werden, welche jemals ihre Karten
im Hofftratenjchen Haufe abgelagert hatten. Die gnädige
Frau ftülpt die riefige Alabafterjdale um und jagt zu
dem Haushofmeifter; „Hier habbe Sie die ganze Brafjel
— all’ die Leut’ werde inpitiert ! — und num febt fich
der brave Herr Albert hin und fchreibt los. — Raten
Sie mal, meine Herrjchaften, wen das jchneidige Holland
zum Ball eingeladen Hat?’
„Ben? — Wenl!“
„Zebendige und Tote, Gerechte und Ungerechte, den
alten Ercellenz Bubdenbach, der feit einem halben Jahr
im Grabe liegt, den Major von Kirchbach, der jeit
Anno 61 nad) Süddeutichland verjegt ift, und dem na=
tirlich die Einladung nachgefdidt wurde . . .”
— 543 —
Weiter fam ber bösartige Bericht nicht, ein fchallendes
Gelächter übertönte die Worte, Frau von Hofitraten aber
ftedte gelafjen einen Theefuchen in den Mund und fagte:
„Ad wat da, Snaden! — Wat fann ich dafür, daß der
olle Buddenbach ohn’ mein Erlaubnis fin Pufte fahren
läßt! — Wat mir een Vifit macht, wird invitiert, damit
bafta.” — — Sprach's und fteuerte geradenwegs auf
Frau Gower zu, um zu fragen, wer „der Lange dort
mit ’n Rrullfopp fei?”
Excelleng Gartner hatte fich müde in einen Seffel fallen
laffen und Janek Proczna an ihre Seite gewintt.
Die wafferfarbige Moire-antique-Schleppe ftrickte fich
mit fdillerndem Silberglanz um die Füße des jungen
Polen, und Frau Leonie felber neigte mit halb geöffneten
Lippen das Köpfchen in den Naden zurüd, als fei die
dunkle Lodenpracht viel zu fdwere Laft dafür.
„Sie find heute abend ganz allein hier, Excellenz!”
Shr Auge glänzte verjchleiert durch die dunklen Wim—
pern. „Ganz allein. — Mein Mann ift fränfer denn
je, jagte e8 mir aber erjt im legten Augenblid, um mid
zu zwingen, hierher zu fahren; er ift jehr rückſichtsvoll
und liebt e8 nicht, wenn anjtatt der Gajte die Abjagen
kommen.”
„Und Sie famen gern hierher, Excellenz?”
Ihre Bruft wogte auf, fie preßte den entfalteten Fächer
leidenjchaftlih gegen die Spigen und Rofenfelde. —
„Selten Sie mid) undanfbar, genußfüchtig, leichtfinnig,
Procgna — ja, id) bin gern hierhergefommen, e3 würde
— 544 —
mich Hergblut gefoftet Haben, zu Haufe zu bleiben, denn
meine ganze Seele, mein ganzes Sein atmet hier, wie
von dämoniſchen Gewalten angelodt und feftgehalten.”
Er blidte ihr feft in das erregte Antlit. — „Daran
glaube ich nicht, Frau Leonie!”
„Und was verlangen Sie zu Ihrer Überzeugung ?
„pen Beweis dafür, daß Ihnen zwei dunkle Augen
zum Sdidjal geworden, den Beweis dafür, daß fie Ihnen
alles gelten!”
Ihre Lippen bebten, wie gebannt ftarrte fie in fein
lächelndes Antlig empor, welches einen jo rätjelhaften
Bauber über Weiberherzen ausübtel — Dann ging ein
Slacern und Leuchten durch ihr Auge. „Wohlan, Proczna
— id will e8 Ihnen beweijen!” — Sie wintte ihn mit
einem Blid nod) näher heran. „Sch muß allein zurüd-
fahren .. .” flüfterte fie mit heißem Atem zu ihm auf
— gleichzeitig aber tönten die erften Walzerflänge durch
den Saal, und Gräfin Kanys Stimme fragte in der Nähe
mit grellem Distant nach ihrer „petite mignonne.“
Proczna unterbrad, fid) Haftig erhebend. — „Vor:
ficht, Exzellenz — es gibt bier überall Ohren. Sie be—
figen ja einen Bleijtift und eine Tanzkarte, wenn e8
aud) fein roja Papier ijt, jo wird es für mich dennoch
zur Morgenröte alles Glüdes werden, wenn ein paar
füße, beraufchende Worte darauf ftehen. — Darf ich
hoffen ?
Sie nidte faft ungeftiim, Herr von Flandern drängte
fich von der einen Seite, Gräfin Kany von der andern herzu.
— 545 —
„Darf ich bitten, Cxcellenz?“ — Flandern bot mit
furzem Ceitenblid nad) Proczna den Arm — „unjer
Balzer!”
Leonie hatte fic) erhoben und der Hofdame beide
Hände ent:
gegengereicht,
dannjchmiegte
fie fich ver:
traulid) an
den Arm des
Ulans. —
„Haben Gie
den Herr=
Ichaften mit-
geteilt . . .?”
„Selbſtver⸗
ſtändlich —
alles in vor⸗
trefflicher Ord⸗
nung!“
Präfiden-
tin Gärtner
wandte jichmit
bligendem Auge zu Janet. „Sie wiſſen e8 auch jchon, Graf,
daß wir und volljtändig von der anderen Gejelljchaft
ifolieren? — Dort dad lebte Eckzimmer ijt bereits occu-
piert, wir ziehen ung nad) jedem Tange dorthin zurüd I
„Scharmant!” — lachte Proczna jehr laut auf.
N.v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Polnif Blut II. 35
— 546 —
Gräfin Kany in orangefarbener Damaftjchleppe ge-
tierte fic) vollſtändig als „Hof“ — fie trat einen kurzen
Rundgang durd) die Gejelljchaft an, richtete hier und da
ein huldvolles Wort an irgend eine Perſönlichkeit, ließ
mit gnädigem Kopfneigen die diverjen Vorftellungen zu
und drehte dem Kommandeur des Artillerieregiments
ziemlich oftenfibel den Rücken. Go ftand e8 in dem
Programm, welches Frau Leonie für die Intima ent:
worjen.
Das Unglaublide gefdah. Die Ulanen zogen fich
mit ihren Damen nad) jedem Tanz in das Edzimmer
zurüd, welches von ihnen vollfommen mit Beichlag belegt
war. Außer Fürft Heller-Hüningen und Frau von Hof⸗
ſtraten tanzte niemand aus dem Regiment mit den übrigen
Gäſten Leutnants Gowers, nicht einmal mit der Gaſt⸗
geberin ſelber. Gräfin Dynar, von welcher man es am
wenigſten erwartet hatte, tanzte zwei Tänze mit fremden
Herren, einem Infanteriſten und einem Artilleriſten, fie er—
öffnete den Ball mit Leutnant Gower, gleichzeitig mit
dem zweiten Paar, welches Fürſtin Reuſſek und Graf
Hechelberg bildeten. Man war ebenſo entzückt von der
Liebenswürdigkeit der als ſo unnahbar verſchrieenen Gräfin
Dynar und der Originalität der Frau von Hofſtraten,
als man über das Benehmen der anderen Damen und
Herren in deutlichſter Weiſe empört war.
Nie zuvor war die ſchroffe Stellung der Regimenter
ſo deutlich zu Tag getreten, als an dieſem Abend, anſtatt
ſich zuſammenzuziehen, wurde die Kluft immer breiter
— 547 —
geriffen und der Game der Zwietracht üppiger denn je
geftreut.
Frau von Hofitraten wurde von Leutnant von Weyer:
Sensfeld in die „Hofloge” zurüdgeführt.
„Ne, Kinner, jollte man’s nur für menjchenmöglic)
halten, daß ihr wie die Klette hier mitjamme hot! —
Drinne im Saale jpude je Gift un Gallen, de Pat:
faffern! ... Ich möcht! eure Frechheit nicht abmalen,
gab ’n guten Kladderadatjch!!”
„er weiß, meine Gnädigite! Vielleicht ein paar äußerſt
interefjante Randzeichnungen |”
„Snaden! — wenn mer euch allzufammen mit all
eurer Marotte in ein’ Roman jchrieb, würde die Leut
jchreien: So was fann gar nicht pajjiere! — is geflunfert!
. . und Dod) iS die helle lichte Wahrheit!”
„Käme ja auf die Probe an, fchneidiges Holland, jegen
Sie fich ’mal hin und fdjreiben fie einen Noman, mit
mir, dem Intimus Hechelberg als Iyrijchen Helden.”
„Olle Quatjchlopp, würde ’3 ganze Publifum Leif
jneiden friegen, wenn der Held jo'ne Falſtaff wär, wie
Sie! ... Ne, ich freiw fein Roman, aber ich weiß eine,
die lad’ ich hierher ein, die ſoll euch "mal bei die Ohren
nehmen un’ ind Tintefaß tütſche!“
Proczna fühlte, daß Xenias Blick verftohlen auf ihm
haftete und ihn beobachtete.
Erxcellenz Gärtner jchritt an ihm vorbei in den Tanz-
faal, fie gab ihm einen unmerflichen Wink. — „Verwahren
Sie meine Tanzfarte jo langel” — und in großer Haft
35*
— 548 —
drüdte fie ihm das zujammengefaltete Rartonpapier feft
in die Hand. — Janek entfaltete es gelafjen und blicte
darauf nieder. Die ganze Nüdjeite der Karte war be-
jchrieben. „Fahren Sie mit mir nad) Haufe — gehen
Sie etwas früher fort wie ich und erwarten Sie mich in
dem Wagen. — In meinem Boudoir werden wir ganz
allein jein, für Die Disfretion des Dieners und der Sungfer
bürge id) — und jollten fie dennoch plaudern?! — va
banque! ich trete die Meinung einer ganzen Welt unter
die Füße, wenn mir diejelbe den Weg zu Bhrem Herzen
fperrt!”
Procznad Auge glühte auf; er barg das foftbare
Blättchen in der ficherjten Taſche feines Portefenilles. —
Als er aufblidte fah er in Flanderns Geficht, welches
mit einem unjagbaren Ausdrud des Hafjes die fcharfen
Augen auf ihn richtete. Ein Gedanke bligte durch fein
Hirn, langjam jchritt er auf den Ulan zu.
„Haben Sie diejen Tanz nicht engagiert, Herr von
Flandern?“ —
„Nein! — paufiere. — Finde e8 urgemein, wenn die
Gäſte wie Torfitampfer arbeiten ſollen!“
„Ganz Ihrer Anficht. Sie jehen, ich habe im Augen=
blick ebenfalls feinerlei Verpflichtungen, darf ich bitten, mir
zur kurzen Unterredung in das Büffetzimmer zu folgen?“
Flandern jtarrte den Sprecher mit halbojfenem Munde
an, dann verneigte er fic) ganz hajtig. „Mit größtem
Vergnügen, lieber Graf — wenn wir dadurd) nicht die
Ankunft des Prinzen verjäumen !”
— 549 —
„Auguſt Ferdinand fommt um 10 Uhr, wir haben
eine volle halbe Stunde Zeit.”
„Eh bien — gehen wir.” Der Ulan jchob den Arm
in denjenigen Procznas und fchritt mit ihm quer durd)
den Tanzjaal in ein jchmales Eeitenzimmer, in welchem
etliche alte Herren eine Partie arrangiert hatten.
Flandern warf fi in einen Edjeffel, Janet nahm
ihm gegenüber an dem fleinen Mormortiſchchen Plas.
„Trinken Sie vielleiht etwas?”
Der Protegé der Präfidentin rümpfte unfagbar ver:
ächtlich die Naje. „Sterbe lieber! — Fallen Sie um
Gottes willen nicht auf die Arznei "rein I“
Proczna lächelte. „Alſo zur Sache. — Darf id) offen
und ehrlich zu Ihnen reden, verehrtefter Ramerad? Mein
Anliegen ijt durchaus disfreter Natur und appelliert an
ihren ritterlichen Sinn, welcher nie und nimmermehr eine
Dame fompromittieren wird!”
„Wort darauf. — Eine Dame? — Bitte, jprechen
Cie, ic) bin jehr gejpannt!” — — — Er legte die
Arme auf den Tijd) und ftarrte auf die Lippen jeines
Gegeniibers.
Sanef dämpfte feine Stimme. „Sie wiffen, daß ich
das volle Vertrauen Leonies befite!”
vom ... Vertrauen der Excellenz Gärtner!” —
Flanderns Stimme lang jcharf, er zwirbelte nervös den
Schnurrbart.
Procgna zudte gleichmiitig die Achjeln. „Wozu jebt
foldje Förmlichfeit! — Wir find ja Verbündete in diefem
— 550 —
Augenblid und wiſſen beide ganz genau, wie wir mit
der befagten Dame ſtehen.“
Der Ulan zudte empor. „Wie wir ftehen?” fragte
er gedehnt.
„Ih bin Leonies Vertrauter, beiter Flandern,
glauben Sie wohl, daß Sie mich al3 foldjer auch in den
Blättern Ihres Tagebuches lejen läßt, welche Shren
Namen als Helden nennen ?”
„Anmöglid . . . Sie wiſſen nur um das Kapitel
Branca |”
Janek lachte leife auf. „Und wenn ich aud) um das
Kapitel Flandern wüßte, und fogar recht genau unters
richtet wäre?”
Fieberifche Nöte ftieg in die Stirn des jungen Offi—
zierd. „Aus welchem Grunde hat Ihnen Leonie Mit:
teilungen gemacht, zu deren Publifationen fie nicht das
mindefte Recht hat, und durch welche fie fic) ſelbſt am
meijten fompromittiert?” fragte er gepreßt.
Proczna wurde fühner, er hatte auf den Bufch ges
flopft und die Antwort daraus erhalten, welche er erwartet
hatte. Er legte die Hand auf den Arm des Ulans.
„Seien wir offen, BVerehrtefter, es bringt ung am jchnelle
jten zum Biel. Sie wiljen, daß ich die Schleppe der
ſchönen Frau trage und ihr huldige. Der alte Präfident
ift ein verlöfchendes Licht, über Nacht fann die reizende
Frau zur Witwe werden. Nun verzeihen Sie mir die
Frage, zu welcher ich ein gewijjes Recht habe: ‚Beab—
fichtigen Sie Leonie zu heiraten, wenn fie frei wird?”
— 551 —
Namenlofe Beitürzung malte jich in den charafterlofen
Zügen Flandern3, er fuhr zurüd, al habe er einen
Schlag in das Geficht erhalten. „Um Himmels willen,
wie fommen Sie auf ſolch eine rajende Idee, Proczna!
Sit das womöglich gar die Idee der Präfidentin jelber ? 1”
Janek gucte die Achſeln. „Haben Sie ihr feine
Veranlafjung zu diefem Glauben gegeben? Die Frauen
nehmen einen Kuß alg Schwur und einen Händedrud
ala Gelübde!“
Ein faſt brutales Gelächter war die Antwort. „Sit
das Weib etwa toll geworden? Könnte beinahe meine
Mutter fein, und bildet fich ein, ich würde Ernjt machen!
Nein, Proczna, dazu fenne ich meine Pappenheimer denn
doch zu genau! Cour machen ... Rendezvous geben,
das hübjche Larvdjen, welches jo bereitwillig dargeboten
wird, ’mal abfüffen ... dad laffe id) mir gefallen, aber
heiraten? ... Hahahal ... Ich könnte Krämpfe friegen
vor Laden!”
„Man fagte mir jüngit, die jchöne Frau habe eine
etwa3 bewegte Vergangenheit . . .”
„Bewegt? — ſtürmiſch, fag’ ich Ihnen! — Wenn
die ’mal ihre Memoiren niederjchreibt, jengelt das Papier
unter der Feder! — Bah, was macht man fich fchließlich
daraus, der Hausfreund ijt eine importierte Parifer Mode,
und mit dem Rofenamen ‚petit Versailles‘ renommieren
die flotten und lebensluftigen Garnijonen im Norden und
Süden der deutfchen Lande! — Fit ja auch ganz amüfant
und pifant, jo was, aber doc) fein Gedanfe an Heiraten
— 552 —
dabei — zum Teufel! und nicht ’mal das nötige Klein:
geld hat die Perjon! Wenn der Alte die Augen zuthut
und das riefige Gehalt wegfällt, was bleibt dann? ...
Kartoffeln und Hering und fein feidenes Taillenfutter!
Hahaha!! ... Wenn fie noch ein Goldfifchchen ware,
und auf ihr Herz ein paar Hunderttaujendthalerjcheine
Heben fünnte, damit man den Knacks nicht jo fieht, den
e3 mweggefriegt hat —! ... Sch bitte Sie um alles,
Proczna, reden Sie dem Ungliicsvogel die Heiratsgedanfen
aus! — Meine Courmacherei hatte weiß Gott andere
Zwecke, fie war nur eine Sprofje an der Leiter, welche
emporführt, hol’3 der Geier! Und jegt verjtehe id) auch
ihre Sorge, mich über Ihre Huldigungen zu tröften! Ich
Ejel mache ihr eben nod) bittere Vorwürfe, und da ſchwört
fie mir bei allem, was ihr heilig fei, jeder Gedante ihres
Herzens gehöre mir — haha! ... und in demjelben
Moment jchrieb fie Bhnen wohl ein ſüßes Billetchen ?
Was? Na nur "raus mit der Sprache!”
Ein undefinierbares Lächeln zudte um die Lippen des
jungen Bolen. „Nein, im Gegenteil, fie weiſt jede Anz
näherung im Gedanken an Sie zurüd . . .”
„Pech und Schwefel noch eins! Da fite ich ja nett
in der Tinte!” Flandern lachte frampfhaft auf. „Nun
aber: ’mal abhaljtern !”
„Sie werden doch nicht ritcfidjtslos vorgehen ?”
„Mein, alter Freund, dazu find mir leider die Hände
zu gewaltig gebunden, fie würde mir zur Nevanche das
Genid brechen. Solang der Alte nod) lebt, muß ich
— 553 —
mich behutjam durch die Klippen lotſen, wenn aber die
Herrichaft der Frau Lconie ein Ende hat — —“
Die Zähne
bligen grell
auf unter
dem jpißen
Schnurr⸗
bart .
Pique=
bube!!
Eine
Bewegung
ging durd)
die ver⸗
fchiedenen
Herren:
gruppen,
welche am
Büffetitan-
den, ein
Wagen
hatte vor
dem Haufe
gehalten.
„Rod
einen Moment“, bat Jane haftig, „ich bin in der Lage,
Cie aus der Schlinge zu löjen, wenn Sie mir ein einziges
Billet von Leonies Hand, an Sie gerichtet, verjchaffen können.”
— 554 —
„Gut gefagt, alter freund, folde Billets find rar,
denn die Heine Schlange weiß es ja aus Erfahrung, wie
peinlich jo etwas Schriftliches werden fann, aber warten
Sie... Hier ... etwas hab ic) doch ...“ er zog jein
Portefeuile und wiihlte mit zitternden Fingern in den
Papieren . . . „hier diefen Zettell . . . Verwenden Sie
ihn — vielleicht genügt er.”
„Bann gejchrieben 2”
„Seitern. — Und ic) fann mid) thatfächlich auf Sie
verlajjen ?”
„Mein Wort darauf.”
„Toujours à vous!“ — Flandern fchiittelte ihm haſtig
die Hand, „betrachten Sie meine Geitändnifje, welche
Ihnen die Augen geöffnet haben, alg Dank! au revoir,
Königliche Hoheit ift angefahren!”
Er ftürmte mit heißem Kopf davon, Janek aber
überlas tief aujatmend den zerfnitterten Papierjtreif:
„Richt wie gewöhnlich fommen — fahre um drei Uhr
den befannten Weg. Promenieren Sie, ich nehme Sie
im geſchloſſenen Wagen auf.” — — Die Schrift jollte
verftellt fein, war aber ohne jeden Zweifel zu erkennen.
„Nun follen deine Thränen trodnen, Anna Regina,
die Stunde der Vergeltung ift gekommen!”
Auguft Ferdinand bechrte das Feit jeines Adjutanten,
trog mancherlei Hinderniffe und der nod) immer anz
dauernden Erkältung der Prinzejfin, mit höchitfeinem Bes
fuch. Derjelbe follte die Form der Überrajchung tragen.
Die Ulanen erwarteten Seine Königliche Hoheit bereits
— 555 —
an der Thür, Fürft Reuſſek occupierte fofort die linfe
Seite de3 erlauchten Herrn und die andern Offiziere
jeine3 Regimentes bildeten die Suite, faum dem Haus:
herrn den Bla in ihrer Mitte gönnend.
Auguſt Ferdinand begrüßte Frau Leutnant Gower
und reichte der Fürftin Neufjet, welche neben diefelbe
getreten war, freundjchaftlichjt bie Hand; — wie eine
farbenjchillernde Wolfe jchoben fich die Damen der exflu:
fiven Hofgejellichaft in den Weg des hohen Herrn, tiefe
Knidje und Begrüßung, hier und da ein längeres Plau-
dern, und ehe man e3 nur ahnte und merfte, war der
Prinz von einem Ring umjchloffen, welcher ihn hermetijch
abzujperren jchien. Bei der furzen Tournee, welche er
{pater hielt, blieben die Ulanen wanfellos an feiner Seite,
eine ftumme, peinlich-dämpfende Staffage zu der außer:
ordentlichen Liebenswürdigfeit, mit welcher Auguft Ferdi-
nand die Gäfte feines Adjutanten auszeichnete.
Nachdem der hohe Herr zwei Tänze mit angejehen
und eine Grfrijdjung genommen hatte, verabjchiedete er
fih. Es lag eine Wolfe auf feiner Stirn, mit fcharfem
Blick ſchien er die ſchwüle Stimmung zu erforjchen, welche
auf den meiften Geſichtern lagerte.
Nur vier Augen jchauten ftrahlend vor Freude und
Entzüden in die Welt, die des jungen Heller-Hüningen
und feiner allerliebjten Tänzerin. Sie waren fchier un-
zertrennlich! Donat holte fic) in jedem Tanz eine Extra-
tour, und Bidy hatte für die Pauſen einen „Stammfig”
erforen, wo man fich jedesmal zufammenfand.
— 556 —
Mit zärtlihem Blick mufterte Heller-Hiiningen das
Bäschen, welches aus einer duftenden Tüllwolfe wie ein
rundes, appetitlices Nojenfnöjpchen auftauchte. Die
Unterhaltung war nicht gerade eine WAuslefe geiftiger
GSalgtirner, aber fie war ganz echt und umverfäljcht,
gerade fo ausgejprochen, wie fie gemeint war.
„Ihre Arme find eigentlich gerade fo did wie Ihre
Taille, Vicky!”
pit das ein Eloge?” — Bhre Augen fdhlugen fic
groß auf.
„Aber eine hölliihe! — Wenn ich ein Menjchenfrejjer
wäre, würde id) Sie gleich anbeifen!”
„Es fommen ja im Frühjahr welche hierher”, Bidy
rüdte eifrig mit ihrem Sefjel vor — „Kariben heißen
fie, und freffen lebendige Karnickel!“
„Sie meinen wohl Karaiben, liebe Beatrix!” Donat
nahın eine jehr jelbjtbervußte Haltung an und ergriff
den belehrenden Ton: „Die Karaiben find nämlich ein
Qndianerftamm ... in der Nähe von Guayana ... da
unten, wijjen Sie, das Land, welches irgend fo ein
Schriftiteller für jeinen Lederſtrumpf erfunden hat! Früher
waren die Karaiben über ganz Wejtindien verbreitet,
aber jegt hat man fie natürlich ganz folofjal gufanunen-
geichofjen — verfluchte Kerls! Frefjen die lieben Nächiten
ohne Pfeffer und Ealz und vollführen einen Gefang und
Tanz bei diejen Diners, daß einem das Trommelfell
plagt!”
Kenia würde jofort gemerft haben, woher die Weis:
— 557 —
heit be8 jungen Strategen ftammte, er hatte im Gedanfen
an Bickys felbjtverjtindlides Interefje die Zeitung griind-
lid) ftudiert. — Die Kleine blictte in faſt angftvoller
Bewunderung zu ihm auf.
„Sie wifjen aber aud) alles, Donat — man mag
fprechen über was man will.
Fürſt Heller-Hüningen verfuchte feinen Schalf Hinter
jehr würdiger Miene zu verbergen: „Der Mann muß
dem Weibe ftets an Wiffen und Erfahrung überlegen
jein, dann gibt e8 eine riefig glüdliche Sache! Ich ſage
Ihnen, Bidy, es ijt ein folofjal patentes Gefühl, wenn
man fich jelber jo geiftreich vorfommt, noch jchneidiger
beinahe, al8 wie wenn man einen Gaul, der fchrammen
will, noch rechtzeitig wie eine morjche Latte zuſammen—
reißt! Apropos .. . Sie erklärten eben, ich wüßte alles...
non — ftimmt nicht, etwas gum Beijpiel möchte id
riefig gern wiffen... aber ... ic) friege es abjolut
nicht heraus!” — Er jah die junge Dame mit tiefen
Augen an, die weißen Zähne blinften fofett durch den
Cchnurrbart. Das war Beauty-patchs unwiderjtehlichjtes
Eroberungsgeficht.
Bicky blinzelte ihn von der Seite an, halb entzüct
und halb verlegen: „Weiß ich e8 denn? ...“
Donat ließ die Sefjelquaften an den Armlehnen
Kobolz jchlagen: „Na, aber jelbftverftindlid! — Sie
einzig und allein.”
„So fagen Cie doch, was Sie meinen!”
„Heute noch nicht, erjt zum Schluß der Saifon, e3
— 558 —
ift ja fo nod) viel intereffanter, man hat immer etwas
Angenehmes zu denfen, wenn man Rekruten drillt.”
Und wenn Sie e3 gejagt haben, nicht mehr?”
„Dann fehlt die Aufregung, e8 fommt jo ein gewiffes
Gefühl von Behaglichkeit und Phlegma! Übrigens, Bicky,
wenn nachher im Cotillon die Bändertour fommt, dann
nehmen Sie immer rot, ich thu's auch, und dann finden
wir und natiirlid) — pfiffig, was?”
Biddy nidte jehr eiirig und teilte ihm Hinter dem
Vader mit, daß fie alle Orden ihm allein bringen würde,
was Donat „ganz patent!” fand. Dann afen fie um
die Wette Banille-Creme und tanzten wieder flint ’mal
rum!
Sanef war an Xenias Seite getreten. „Wiſſen Sie,
daß foeben ein Telegramm den Ausbruch der polnischen
Revolution meldet?” flüjterte er ihr Haftig zu.
Sie gucte zufammen. „Alſo wirklid)? O mein Gott,
Janek, wie wird e8 enden!”
„Die Unruhen haben fic) gefteigert”, fuhr Proczna
erregt fort. „Die provijorijche Nationalregierung hat
durch eine Proflamation dag polnische Vol zu den
Waffen gerufen! Der ganze Adel, die Geiftlichkeit und die
ftadtijdje Bevölkerung fteht auf feiten der Injurreftion,
ein großer, gewaltiger Kampf um Leben und Freiheit
fteht bevor, und Ojtrolenfa wird jeine Gräber öffnen
und die Heldengeifter emporjteigen lafjen, ihr blutig
Banner auf das Schlachtfeld zu tragen!”
Xenias bebende Hand legte fic) auf jeinen Arm, wie
— 559 —
in Todesangit beſchwörend traf ihr Blick fein flammendes
Auge. „ES wird ein vergebliches und nußlojes Blut:
bergießen werden, Janef, neue Gräber werden aufgeriffen,
neue Trümmer auf Oftrolenfas Ruinen getürmt, und
alles umfonjt, alles ein Kampf ohne Sieg, Polen ijt die
Maria Stuart in der Gejchichte zerfegter Lander und
Reiche, ein Hilflofes, gefnechtetes Weib, welches in Ketten
verblutet! — Ewig wird Polen Mitleid und Sympathien
finden, niemals Hilfe!”
Sanef atmete jchwer auf. „Das verhüte Gott. Noch
rollt polnisch Blut durch Menjchenadern, noch ijt Polen
nicht verloren !”
Subelnde Tangweifen erfticten feine Worte, Xenia
aber umjchloß noch fefter feinen Arm.
„Geben Sie mir genaue Nachrichten über den Verlauf
und die Ausbreitung des Aufjtandes, Sanef, ich interejfiere
mid) dafür. Kommen Sie morgen etwas früher zu mir,
damit Sie erzählen finnen, ehe die Gajte kommen!“
„Ganz recht, id) werde ja morgen abend bei Ihnen
fingen, juft fo wie das erjte Mal, als ich der hiefigen
Gejellichaft befannt gemacht wurde. „Wunderlich! er
ftarrte nachdenklich vor fich nieder, Dann hob er jah das
Haupt. „Ich werde fommen, Xenia, und . . . Gott fei
mir an diejem Abend gniidig!”
Sie blickte jragend, angjtvol zu ihm auf, er aber
wandte fich kurz ab und jchritt haftig durch die Menge.
Die Kerzen fladerten im Luftzug, vor Xenias fieber:
heißen Augen aber war e8, als gehe ein grelles Bligen
— 560 —
durch die Luft, als ziehe e8 wetterleuchtend am Horizont
auf, mit Donner und Sturm über ihr Haupt dabhingu-
braufen; wehe ihr, wenn fie fleinmiitig darunter zufammen=
bricht, wenn fie fic) nicht an jene einzige Stüße Hammert,
welche fejtftehen wird in Wetter und Graus, an die Liebe,
die todesmutige Liebe, welche hinaustreibt in den Kampf,
hinaus bis in das feindliche Heer der Koſyniers!
nz
BS ap Sage aeg> eg ag
XXV.
ürſtin Reuſſek brach bereits eine halbe Stunde
vor der beſtimmten Zeit auf. Die Damen ihres
Kreiſes ſchloſſen ſich ihr ſelbſtverſtändlich an.
Frau von Hofſtraten hatte juſt dem „Krullkopp von
de Infanterie“, welcher ganz beſonders Glück bei ihr
gemacht zu haben ſchien, den großen Sonnenorden auf
die Bruſt geheftet mit der lakoniſchen Bemerkung: „Der
Stern hier ſteht ſin Mann! der is ein Junges von dem
zackige Geſtarnte der Heilige drei König aut het osten!
Wann he ſin Zeit erfüllt hat, könn Se ihn als Ofen—
ſchirm aufhandeln!“
Der Krullkopp ſchwur einen Meineid, ſich nie wieder
von dieſem koſtbaren Souvenir zu trennen, was ihm ein
höchſt wohlwollendes „olle Slechtſchwätzer!“ und einen
Fächerflaps gegen den Arm eintrug. Die Fran Mitt
meijter hatte frijch, frei und fröhlich die jämtlichen fremden
Tanger durchgetangt, und mit den dazu gehörigen Damen
„een Babbel gehalten” — und jchied endlic) mit Hinter:
lajjung größter und aufrichtigiter Cympathien.
N.v. Eſchſtruth, Il. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II, 36
— 562 —
„Hechelberg, kommens ’mal rann, aber trapp!”
Der wohlgenährte Intimus wuchtete behaglich hergu:
„Mumöglich, ma donna! ch bin nicht beritten!”
„Slabaftern Ce 'mal adjter min Mann drein, he
joll mir mein Echabrack Hier ing voorvertrek bejorgen!”
„Ich Fliege!“
Frau von Hofitraten ſchnitt eine bedauernde Grimaffe:
‚Netter Engel! de Wolfen frachen durch, wenn be fif
opjwingen wollt! !”
Flandern Hatte fich feinen Paletot ebenfalls in das
Vorgimmer geholt. Er dehnte die Arme mit einem bla=
jierten und rücjichtslofen Aufgähnen. „Das war ’mal
wieder ein Vernügen!!“
„Slauben Sie etwa für ung, Herr von Flandern ?”
Der Gefragte fuhr herum, Hinter ihm ftand Frau
Leutnant Gower, welche Frau von Hofitraten den ver-
gefjenen Fächer nachgetragen hatte, ihr Auge ruhte groß
und brennend auf den fcharfen Zügen des jungen Offiziers.
Flandern murmelte unter mehreren Verneigungen ein
paar umverftändliche Worte, die Frau Nittmeijter aber
fagte in ihrer draftiichen Weife: „Recht jo, liebe Gower,
geben’s ihm wat Feites auf'n Snabel! Die jungen Lent
heutzutage habe’ fein Gejchmad mehr, ich für mein Teil
hab’ mich heerlijf auf ihre Danspartie amüfiert!”
Excelleng Gärtner hatte fehr gezögert; al8 die meiften
Equipagen bereits abgefahren waren, Hufchte fie eilig,
wie eine fchleierverhüllte Schattengeitalt, die Treppe hinab
nad) ihrem Wagen.
— 564 —
Der Diener rif den Schlag auf, fie ftieg haftig ein
— erſchrocken — fajt guriictaumelnd, der Wagen war leer.
Proczna hatte fic) vor ihren Augen im Korridor ver-
abjchiedet und war gegangen. Warum erwartete er fie
nicht hier, der Verabredung gemäß? — Vielleicht war
es ihm durch irgend welche Borfomniffe unmöglich ge:
macht. Wie betäubt fanf fie in die fchwellenden Kiffen
zurüd, die Pferde griffen aus und ftürmten davon.
Als die Präfidentin ausftieg, die Treppe zu ihrer
Hausthür emporzujchreiten, trat die hohe Gejtalt Procznas
aus dem Schatten der Pfeiler neben fie. — „Pardon,
Erxcellenz, darf ich für einen furzen Augenblid noch um Ges
hör bitten? Eine Angelegenheit von dringendjter Wichtigkeit.”
„Proczna, Sie noch hier?!” flang es ihm fast atem-
(08 entgegen, „jelbitverjtändlich empfange id) Sie noch,
wenn aud) zu recht ungewohnter Stunde! — Leuchten
Cie vorauf, James, und fteden Sie in meinem Zimmer
Die Krone an!“
Beraufchend ſüßer Duft wehte durch das fleine Bou—
doir. Gedämpftes Licht floß wie Mondjchein mehr vers
jchleiernd, wie erhebend, durch die breiten Fächerblätter,
welche fich geheimnispoll jchügend über dem Diwan
wölbten; mit lodend ausgebreiteten Armen jchwebten die
rojigen Körperchen der Amoretten auf Wandfonjolen und
Etageren, und inmitten der ſchwülen, zauberhaften Stille
ftand Leonie, umjchimmert von Seide und Blüten, be=
ftridend ſchön wie die Melufine, welche mit jchneeweißem
Kaden und Arm aus Wellenfhaum, aus Echilf und
— 565 —
Lilien ſteigt. Und fie breitete die Arme aus, lächelnd,
voll glühender Sehnſucht — „Janek!“
Negungslos ftand er ihr gegenüber, mit finjterem Blick
hob er das Haupt. „Wozu ſolch eine Komödie, Ercellenz,
ich bin nicht der Mann, welchem ein jeder Ihrer Wtem-
züge gehört, ich bin nicht Herr von Flandern, welcher
früher wie ich diefe jchönen Lippen küßte!“
Shre Arme fanfen Hernieder wie gelähmt. ,, Was
reden Sie für wirre Dinge, Procgna — was hat Herr
von Flandern mit diejem Augenblick zu thun?!”
„Wiſſen Sie e8 wahrlich nicht?!” Janek kreuzte die
Arme über der Brujt und jah ihr mit durchdringenden
Blid in das Auge. „Die Wände haben manchmal Ohren
und belaufdjen die Worte fchiner Weiber, welche dem
einen Anbeter glühende Liebe und Treue ſchwören und
dabei für den andern eine Einladung zum Rendezvous
auf die Tanzfarte jchreiben!”
Die Wangen Leonies waren allzujehr durch die Kunſt
maskiert, fie fonnten fic) nicht entfärben, aber die Lippen
gitterten und der Bli wurde ftarr und glanzlos.
„Eine Berleumdung ... eine empörende, nichtswürdige
Verleumdung ... Flandern ijt eiferfüchtig und greift zu
den erbärmlichjten Mitteln, ung zu entzweien! PBroczna !”
Leonie warf fich leidenfchaftlich an jeine Brujt und jtrecte
die blendenden Arme um jeinen Naden. „Glaube an
mich, fieh in meine Augen und traue ihnen mehr, als
den neidijchen Einflüfterungen fremder Zungen! Did
liebe ich, Du haft meine Seele zu eigen genommen.’
— 566 —
Er rif fic) faft ungeftim von ihr [08 und fchleuderte
verächtlich die Hand zurüd, welche die jeine umflammerte :
, Ssollten Sie das dem Herrn von Flandern viclleicht
mmitteilen, wenn Sie ihn in dem gefdlojjencn Wagen
auf dem ‚befannten Weg‘ erwarten?’
Sie zudte zujammen, wild auffahrend wie eine gereiztc
Löwin. „Welch eine Beleidigung, Proczna! Wie wagen
Sie e8, ein wehrlofes Weib jo unausjprechlich zu kränken!“
Gelafjen öffnete er fein Portefeuille und hielt ihr den
Papierjtreifen Flanderns entgegen. „Sie follten doch
wifjen, Excellenz, wie fatal fold) ein paar Heilen werden
finnen! Es war wirklich recht viel Pech, daß gerade mir
ein Zufall diejes Blättlein in die Finger jpielen mußte!”
Leonie hatte fick) mit zornbligendem Auge geneigt, die
Worte zu lejen, wie von einem Schlag getroffen prallte
fie zurüd und jchlug Die Hände vor das Antlih. „Uner—
hirter, jchändlicher Verrat!” rang es fich zijchend von
ihren Lippen, fie wantte gegen den Diwan, warf fich
darauf nieder und prefte das Antlig aufjchluchzend in
die jeidenen Kiſſen.
Proczna trat neben fie. „Sie irren fic), Excellenz,
wenn Sie Verrat im Spiel glauben, e3 müßte denn
der jein, welchen Sie felber an jich und Ihrem bedauern3-
werten Gatten begingen, als Sie fic) leichtfinnig einem
Mann in die Arme warfen, für deffen Charakter Sie
feinerlei Garantien hatten. Welch wunderliche Verirrung
Shres jcharfen, defpotijden Geiltes, deffen Element es
war, Schlingen gu legen und Nebe gu weben und der
— 567 —
fi) nun in dem nämlichen Garn fängt, welches ihm zum
Gängelbande anderer gedient hat!” — Einen Augenblic
berrjchte tiefe Stille, Leonie regte fich nicht.
„Sum legtenmal ftehe ich Ihnen heute gegenüber,
Excellenz“, fuhr Janek milder und leifer fort, „zum
leßtenmal wenigjtens, wo e3 mir möglich ijt, offen und
rückhaltslos zu Ihnen zu ſprechen.“
Sie ſchrak empor, weit offen, thränenlos ftarrten ihn
die Nirenaugen an. „Nur das nicht, Proczna!“ unterbrach
fie ihn außer fich, „nicht jo von mir gehen im Groll und
Born! — Schwachheit, dein Name ift Weib! —“ fie
hob die weißen, Frampfhaft verjchlungenen Hände zu ihm
empor, die Goldreifen fielen flirrend auf den Arm zurüd,
ein füßes, bedeutfames Lächeln jpielte um ihre Lippen —
„und ich war jdwach, weil ich Sie liebte! Weil ich die
Eiferfucht Flanderns fürchtete, verſtrickte ich mich in ein
Liigengewebe, welches ihn täujchen jollte, um mich an ein
rettend Ufer zu flüchten, taumelte id) tiefer und tiefer in
die Flut. Procgna ... wer viel liebt, dem wird viel
vergeben — auch ich liebe über Maß und Biel, und aud
Sie werden nicht im Haß von mir fcheiden .. .”
Sie hatte fich langjam erhoben, näher und näher
jchmiegte fie fic) ihm entgegen, wie eine heiße, verzehrende
Flamme, die dem Sturmwind, welcher fie löjchen will,
ſchmeichleriſch entgegenzüngelt.
Janek fchitttelte ernjt das Haupt. „Sch habe Ihnen
weder etwas nacjzutragen, noch zu verzeihen, Excellenz,
denn Ihre vermeintliche Treulofigfeit hat mir gottlob
— 568 —
{cine Wunde gejchlagen, und ich bin kunſtſinnig genug,
die vortreffliche eine Komödie, welche Sie mir in diverſen
Akten vorjpielten, als wirklich recht amiijante und geſchickte
Leiftung anzuerfennen! Einen Rat aber möchte ic) Ihnen
noch geben: Sollten Sie fich wahrlich dereinft, wenn Sie
frei jein werden, aufrichtig verlieben und Gegenliebe
erhoffen, dann ändern Sie die Rollen in dem ernjten
Luſtſpiel! Eine ‚Lady Tartüffe‘ findet wohl ftet3 einen
Liebhaber, niemal3 aber einen Gatten, denn nur Die
Achtung, Excellenz, ift das Fundament, auf welchem
Hymen feine goldenen Thore erbaut!”
Negungslos ftand fie ihm gegenüber, ihr Antlik ver-
zerrte fic), ala wolle fie gellend auflachen, ihre geballte
Hand preßte fich gegen die Bruft, als miifje fie fich
felber zurüdhalten, nicht die Fingernägel in feine Augen
zu graben.
„Sch danfe Ihnen für den freundichaftlichen Rat,
Janek Proczna“, jagte fie mit heijerer Stimme, „und
werde denfelben berüdfichtigen. Sie wollen alfo meiner
Zukunft nicht das Meffer an die Kehle jeßen 2”
„Nicht im mindejten !“
„So feien Sie barmherzig und geben Sie mir die
beiden Billets zurück!“ — fie jah mit erlöſchendem Blick
zu ihm empor, flehend faltete fie die Hände über der
Bruft, das Bild eines jammergebrochenen, todelenden
Weibes.
Proczna durchichaute die Komödie. „Selbjtverjtänd:
lid), die Schriften ftehen Ihnen zu jeder Zeit zur Ver—
— 569 —
fügung — inter einer Bedingung!” Cr öffnete fein
Portejeuille und nahm die Papiere heraus, mit fait
gieriger Hajt griff Leonie zu. „Geben Sie — ich ver:
ipreche alles!”
Gelafjen hielt er die Blätter zurüd. „Tauſch um
Tauſch, Excellenz, darf ich Sie bitten, mir die fleinen,
unglidfeligen Billets dafür einzuhändigen, welche Anna
Regina in der Angelegenheit des Marcheje de Branca
an Sie gejchrieben hat?”
Wie ein Aufzischen rang es fic) von ihren Lippen:
„Welchen Wert finnen diefe Zeilen für Sie haben?!”
„Für mich wenig, aber für Branca dejto mehr.”
Ein gellendes Auflachen, Dann warf fie den Kopf in
den Naden und mujterte ihn mit höhnischem Bli vom
Scheitel bis zur Sohle. „Ah, jest begreife ich! Jet fällt
e3 wie Schuppen von meinen Augen! — Und Sie,
Sie erbdreijten fic), mir gegenüber von Komödie zu
fprechen? — Die Lady Tartüffe hat ihren Partner ges
funden, den Mephifto, welcher über Menjchenherzen den
Weg zu Kaffettenjchlöffern jucht! — Eine noble Miffion,
bei Gott, ich gratuliere Dem Marcheje zu einem jolchen
Freund und applaudiere dem Sonzertjänger Proczna zu
den grandiojen Talent, auf frummen Pfaden zum Ziel
zu ſchleichen!“
Ein beinahe amüfiertes Lächeln Hufchte um feine
Lippen. „Es ijt ſchon fehr jpät in der Nacht, Excellenz
. wenn wir unjern Taujdhandel noch erledigen
wollen . . .?/
— 570 —
„Das möchte ſchwierig fein!’ — Leonies Augen funtelten
in wilden Triumph, „jene Billets find längjt verbrannt!”
po... das ift recht peinlich... . vielleicht erftehen
fie wieder aus der Aſche — ich werde noch fünf Minuten
warten... .”
„Wollen Sie vielleicht hier übernachten ?!” namenlofe
Gereigtheit fchrillte durch ihre Stimme.
„Barum nidt? — Mir fann das ja durchaus nicht
von peinlichem Beigefhmad fein! — Ich befiße Ihre
Einladung ſchwarz auf weiß.”
„She ich Ihnen die Billets einhändige, laffe ich mic)
lieber von den Leuten fteinigen.”
„Daran glauben Cie jelber nicht. — Noch einmal,
Ercellenz, entweder die kleinen, wertlofen Papiere...
oder der Konzertjänger Janef Proczna geht auf jehr
geradem Weg zu dem Präfidenten von Gärtner; . . .
eine penjionierte Grcelleng oder eine übelbeleumundete
Witwe oder gejchiedene Frau jpielen feine Rolle mehr in
der Welt, alfo wäre e3 Ihnen dringend anzuraten, von
zwei Übeln dad fleinere zu wählen!”
Einen Augenblik wand fich ihre gejchmeidige Geftalt
in ohnmäcdhtigem Grimm, dann richtete fie fich jah empor:
„Seloben Sie mir bei Ihrem Chrenwort, daß Sie dic
Papiere vernichten wollen?”
„Binnen vierundzwanzig Stunden!”
„Daß fein Menjch etwas davon erfährt?”
„Sie wifjen, ich habe im Intereſſe einer gewiffen
BVerjönlichkeit gehandelt !”
— 571 —
„Wohlan — mag e3 mit diejer einen Perfönlichkeit
darum jein — und die Grijtenz der andern beiden
Bettel ijt für
ewige Zeit auch
in Ihrem
Mund ge
löfcht 2”
„Mein Wort
darauf.”
Leonie atmete
tief und wantte
an ihren
Schreibtiſch.
Mit zitternden
Händen öffnete
ſie das Ge—
heimfach. „Hier
. . . nehmen
Sie!“
„Sind es
alle?“
„Alle.“
„Ich danke
Ihnen. Hier
Ihre Tange
karte und den Zettel Flanderns. — Wir ſind quitt.“ —
*
Vor dem Kaminfeuer ihres Zimmers ſaß Xenia im
— 572 —
niederen Sejjel, einen weißen Spitzenſhawl um die ent-
blipten Schultern gelegt, die Füße auf den Kopf eines
grauen Bärenfelld gejtübt. Sie war bereits in Toilette,
in den Salons und dem Mufifjaal wurden die Kerzen
und Kronleuchter entzündet.
Proczna war jveben eingetreten, hatte feft und etwas
aufgeregt die beiden dargereichten Hände der Schwefter
gedrüdt und an ihrer Seite vor den fnijternden Flammen
Blak genommen.
„Sie waren erft bei Onfel Drach, Janet?”
Er ftarrte in die Glut und neigte bejahend das Haupt.
„Ich bringe Ihnen eine Abjage von drunten, Tante
Glärchen hat wieder heftige Migräne, und...” ein
jchnelles Lächeln zudte um jeine Lippen, „da Donat
Dienftlid) verhindert ijt, heute abend hier zu fein, Hat
Biddy den Entſchluß gefaßt, bei der Mutter zu bleiben.”
Xenia blidte betroffen auf. „Wie peinlich! Die Gene:
ralin ift noch nicht von ihrer Weihnachtsreife zurüct —
wer joll die Honneurs machen ?
„Sie! ... Man wird mit den Umständen rechnen.
Auguft Ferdinand fann heute abend ebenjalls nicht hier
jein . . . find noch jonjtige Abjagen von jeiten irgend
welcher Damen gefommen ?”
„Frau von Hofitraten jagt jo ziemlich ohne allen
Grund ab; — ic) habe fie in drei Jahren niemals franf
gejehen, heute ift fie erkältet.“
Proczna nidte. „Sch weiß; die gute Hofitraten ijt
eine brave Frau, die ihren Freunden gern einen Gefallen
— 573 —
thut. Alfo meine treueften Eeelen werden heute abend
fehlen!” — es lag beinahe eine freudige Genugthuung
in feiner Stimme.
„Excellenz Gärtner wird da fein und fie ſämtlich
erjegen.“
„Slauben Sie?!” Er lachte laut auf.
Xenia beugte fic) vor und blickte ifn forjchend an.
„Sie find fo wunderlid), Janet — find jchlimme Nach:
richten von jenjeitS der Grenze gekommen ?
Er atmete Schwer auf. „Sch ftehe noch unter dem
Einfluß einer peinlichen Ecene der vergangenen Nacht.
Sch weiß, daß id) recht gehandelt habe, und dod) quälen
mich Vorwürfe.”
„And welder Echuld zeihen Sie jich 2”
„Die Schwachheit zu meinem Gegner gemacht zu haben
und ihr doch mit Waffen gegenüber getreten zu fein, mit
welchen man fonft nicht fämpfen würde!”
„Ich bin überzeugt, dag Ihnen feine Wahl ge:
blieben iſt!“
. Er fafte mit rafchem Aufblid ihre Hand und prefte
fie gegen Die Lippen. „Ich danfe Ihnen, Xenia, daß
Sie foldjen Glauben an mich hegen! — Ya, Sie haben
recht, mir blieb feine Wahl. Man fann den Fuchs nicht
an der Angel und den Hecht nicht in der Falle fangen,
jeden nur auf feine Art, und wenn man Jäger fein will,
jo darf man auch die Taube nicht jchonen, wenn fie
dem königlichen Aar, welcher wehrlog in Feſſeln jchmachtet,
nad) dem Auge hack!”
— 574 —
Das Feuer glühte hell auf und warf zudende Lichter
über das goldblonde Köpfchen. Wie Jubel klang es
durch Xenias Stimme: „Ich verjtehe ihre rätjelhaften
Worte nicht, Janek, und weiß fie nicht zu deuten, dennoch
bin ich gewiß, Dag Ddieje Hand niemals eine Waffe
führen wird, die ihrer nicht würdig ift, daß Janek Proczna
feiner Fahne folgt, die nicht für Ehre und Necht ins
weld getragen wird!”
Es ging wie ein leijes Bittern durch die Finger,
welche fich unterbrechend auf ihren Arm legten. Dunfel
und heiß brannte fein Blic in ihrem Auge. „Und wenn
diefe Fahne nun aus Rebellenhaufen der Koſyniers wehte
und wenn Qanef Brocgna den Ddeutjchen Säbel aus der
Hand jchleuderte und nad) der Senje griffe —?”
Sie jchloß die Augen und preßte die Hände gegen
die ftürmijch atmende Brujt, dann antwortete fie leije,
aber jejt und flar: „Wenn Janel Proczna Sofynier
wird, jo weiß ich), daß der Name fein unmürdiger ijt,
und daß der Kampf für Polens Freiheit fein Aufjtand
verwerflicher Motive, jondern eine heilige Mifjion ijt, für
welche jeder Ehrenmann mutig in die Schranfen treten kann!“
„Xenia!“ Wie ein Aufjchrei namenlojer Seligkeit
Hang e8, Proczna jprang empor und jtüßte fich ſchwer
auf die Sefjellehne; einen Augenblid herrjchte tiefes
Schweigen, dann rang es fich wie flüjternd von jeinen
Lippen: „Nein — noch ijt Polen nicht verloren! ...“
Langjam beugte er das Knie vor ihr, umjchloß ihre ge=
falteten Hände und blidte gu ihr empor wie zu einem
Heiligenbild: „Gott jegne Sie fiir dicje Worte, Xenia!
fie werden En von RT Lippen gejprochen werden.
Wie aber wm
dann, wenn
nun alle
Welt fich
gegen den
Kojynier
wendet,
wenn jene
Menjchen,
deren Anz:
fichten
Shnen zum
Cvangelt-
um gewor⸗
den ſind,
den Etab
über Bolen
und ſeine
todesmuti=
gen Söhne
brechen und
Cie allen # — . -
Stehen RR mit Ihrer Sympathie für das gekmechtete
Volk, eine Geächtete unter Geächteten ? 1”
Sie fchüttelte mit verklärtem Lächeln das jchöne Haupt.
„Ich werde es nicht, Janek, denn alle Herzen, die einer
— 576 —
tieferen Empfindung fähig find, werden mit mir um das
Wohl und Wehe von Polen zittern !“
Er richtete fid) empor, nur mit Mühe beherrjchte er
ih. „Menjchenherzen find Halme im Wind. Würden
Sie den Mut haben, mit der Vergangenheit zu brechen,
wenn fie fi) alg Barrifade vor die Zukunft baut?”
Shr Antlig ward um einen Schein bleicher. „So
Gott will, ift das nicht nötig, Janef ... ich glaube
nicht, daß fic) diefer Zwiejpalt jo ſchroff fund thun
wird...
Sein Haupt fank tief und forgenvoll auf die Brujt;
noch trieben vor feinem Blick, ein paar fleine jchattenhajte
Schladen in dem geläuterten Gold, und auch diefe mußten
ausgejchieden werden, Durch die gewaltige, hochauflodernde
Glut der Liebe, ehe fich der flare Reifen formen fann,
Deffen matelloje, güldene Treue nicht Anfang und nicht
Ende hat! —
Die Salons Hatten fich aufgethan, der betannte kleine
Kreis war verjammelt, Anna Regina garter Erjcheinung
die farbenjchillernde Folie zu geben. Excellenz Gärtner
fam jpät, faft zu gleicher Beit mit der Pringejjin, welche,
von Gräfin Kany gefolgt, pünktlich wie immer, der
jungen Wirtin die Hand zum Gruß entgegenreichte.
Proczna hatte gebeten, erſt zum Schluß eine mufi-
falifche Gabe beijteuern zu dürfen; man plauderte furze
Beit und jchritt bald zum Souper. Frau Leonie jah in
der tiefſchwarzen Ceidenrobe auffallend bleich aus; dunfle
Schatten zogen jic) trog des Puders um ihre Augen.
ART =
Sowohl auf ihren wie Gräfin Kanys Zügen lagerte ein
jehr jcharjer und höchlichſt gereizter Ausdrud; beide
Damen ignorierten bei der Begrüßung den Pflegejohn des
Grafen Dynar vollfommen.
Leonie erzählte nad) Tiſch mit viel Geringſchätzung
von den neueften Nachrichten vom polnischen Wufftand,
fie konnte ihre Worte gar nicht verächtlich genug wählen,
um das rebellijche Gefindel moralijch zu zerhaden.
Proczna hob mit ironischem Lächeln den Kopf. „Als
ich vor wenigen Mochen den Vorzug hatte, Sie hier an
Ort und Stelle fennen zu lernen, Excellenz, trugen Sie
aus lauter Verehrung und Schwärmerei für Bolen das
Bild Augufts des Starken auf der Bruft — ijt das jegt
ebenfall3 zur Dispofition geftellt ?”
Leonie mufterte den Sprecher mit halb zugefniffenen
Augen von oben bis unten. „Ich weiß zwar nicht, wie
Sie fic) zu der polnijden Angelegenheit jtellen, Herr
Proczna, nehme aber an, daß Art nicht von Art läßt
und möchte Ihnen infolgedefjen nicht mit einer bejahenden
Antwort zu nahe treten!”
„Sie haben natürlich folofjale Sympathien für Ihre
edlen Landsleute?!” ficherte Gräfin Kany impertinent
dazwiſchen.
7, Selbftverftindlid), meine Gnädigſte! Ich bin einer der
begeiftertiten Anhänger Polens, die man finden kann!“
Janek fprach fehr laut, man trat näher und hord)te
hoch auf. Leonie wechjelte mit den Umftehenden ein paar
vielfagende Blicke.
R.v. Ef hftruth, IN Rom. uz. Nov., Polnijd Blut II 37
— 578 —
„Da werden Sie fic) wohl gar in die Reihe der
Kämpfenden jtellen und für Freiheit und Gleichheit den
Drejchflegel jchwingen ?” Die Hofdame funtelte den jungen
Polen Herausfordernd an, Anna Regina erglühte vor
Verlegenheit bis unter die blonden Haarwellen.
/ Barun nicht, Gräfin? Man muß jo oft aus Höflich-
feit und Nüdjicht die Hände ftillhalten, wenn man ver-
diente Hiebe austeilen möchte, daß es eine Wohlthat ijt,
wenn man einmal jrijch und frei den einen Flegel auf
den andern ſchwingen fann.”
Flandern lachte jehr laut ein „zamos!” Anna Rez
gina aber fafte die bebende Hand Xenias und jagte wie
entjchuldigend: „Die Politif ijt der Erisapfel jeglicher
Geſellſchaft! Sie jehen, daß fich felbjt die beiten Freunde
deswegen den Krieg erklären!”
„Jetzt ift fogar das polnische Kirchenlied, welches für
die Errettung Polens fleht, polizeilich verboten worden!”
riet Gräfin Ettisbach mit verjöhnender Heiterfeit. „Das
finde ich lächerlich, denn meiner Anficht nach fann dod)
ein jeder Menjch beten, was er will!”
„ber nicht öffentlich!” Leonie Bli richtete fich faſt
Drohend auf die Kleine Leutnantsfrau, welche es wagen
wollte, eine eigene Meinung zu haben. „Ebenjowenig
wie ein anftändiger Menjch eine aufwiegleriiche Rede
hält, ebenjowenig wird er in Form eines Chorals für
Bewegungen und Demonftrationen bitten, welche jeglicher
Zucht und Sitte in das Geficht jdlagen.”
Janek freugte lächelnd die Arme über der Bruft.
— 579 —
„Jenes Lied, welches Ihnen nod) vor furzer Beit der
Inbegriff aller jchwermütigen Pofie war, treten Sie heute
jo erbarmungslos unter die Füße? Mag man immerhin
die Kirchen jchließen, in welchen cin unglückliches Volt
um Nettung
fleht, ſolange
noch eine pol:
nijde Bunge
zu Callen ver-
mag, jolange
noch ein Trop:
fen Bolenblut
duch Men:
ichenlippen
freift und ſo—
lange noch
Mutundjtolze
Zuverſicht in
den Herzen
meiner Brit
der lebt, jo:
lange wird:
‚Boze! cos
Polske przez tak liczne wieki! zum Himmel jchallen
und jolange wird Polen nicht verloren fein!”
Flammende Erregung fprühte das dunfle Auge des
Sprecher3. Begeifterung leuchtete von jeiner Stirn, in
troßiger Herausforderung warf er das Haupt in den Racker.
37*
— 580 —
Fürſtin Reuſſek trat über die Schwelle des Neben:
zimmers, unbefangen berührte fie Procznas Arm mit dem
wader! „Nun, Unjterblicher, wie jteht es mit dem ver-
jprochenen Kunſtgenuß? Ich jehe, der Flügel ijt bereits
geöffnet!”
Mit fieberijch glänzendem Blid hatte Xenia Janeks
Worten gelaufcht, wie ein Beben ging es bei den Worten
der Fürſtin durch ihre Glieder. Sie wollte an feine
Seite treten und ihn angjtvoll von dem Klavier zurüd-
halten und doch jtand fie wie gebannt und hatte nur
eine Eehnjucht, nur ein Verlangen, jenes Lied von
jeinen Lippen zu hören, welches Polens Elend vor den
Thron des Hichften trägt!
Proczna wandte ernjt da8 Haupt. „Es gibt nur
eine einzige Rompofition, Durchlaucht, welche ich in
diejem Augenblick mit leidenjchaftlicher Überzeugung
fingen kann!“
„Eh bien! — Gang vortrefflih! Laſſen Sie uns,
bitte, hören!”
Gräfin Ettisbach hob mit angjtvoll großen Augen
hajtig abwehrend die Hand. „Aber um Gottes willen
nicht dieſes revolutionäre...“
Sie verjtummte erjchroden; wie eine eiferne Klammer
umjchloß Leonie ihren Arm.
„Herr Proczna dürfte wohl taftvoll genug jein, die
Wahl jeiner Lieder nach eigenem Gutdünfen dem Publikum
anzumejjen !” jagte fie mit jchneidender Stimme, trat an die
Seite Anna Neginas und fliijterte ihr cin paar Worte zu.
— 581 —
Betroffenheit malte fid) auf den Zügen der hohen
Frau, jie wollte haftig auf Proczna zugehen und ein
paar bejchwichtigende Worte |prechen, Excellenz Gärtner
vertrat ihr geradezu den Weg. Abermals ein paar leije
Worte, die Pringeffin blieb zögernd ſtehen und neigte
ftill und ergeben das Köpfchen auf die Bruft.
Die Dffiziere befanden fic in peinlichjter Situation.
Sie waren ganz wie von ungefähr auf die Seite gewichen
und unterhielten fic) mit frampfhafter Lebhaftigfeit, an-
fcheinend volljtändig ohne Ahnung von der fatalen Scene,
welche ſich neben ihnen abjpielte.
Procgna hatte jchweigend vor dem Flügel Plaß ge-
nommen, feine Hände glitten in furzem BVorjpiel über die
Tajten, leije einjegend, anbraujend zu gewaltigjter Leiden-
ſchaft, und feierlich, ernjt und getragen, aufjchluchzend
wie im tiefiten Schmerz. Dann jchmiegte fic) die Stimme
der Begleitung an — ein ſchwermütiger Sllageruf: ,,Boze!”
— ein ernjtes, feierliches Anflehen und Bejchwiren, an:
wachjend zur glühenden Begeijterung, welche die Seele
pact und mit fich fortreißt, deren Tine wie brennende
Thränen auf das Herz fallen, und e8 ringen und zittern
lafjen in unausſprechlichem Schmerz um das Vaterland!
— „Boze! cos Polske przez tak liczne wieki! Okryta
blaskiem potegi i chwaly!”
Hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen ftand Xenia
und laujchte. Wie ein Feuerjtrom rajte es durch ihre
Adern, durch all ihr Sein und Denfen: erfaßt von jtür-
miſchem Entzüden, erjchauderte fie durch Mark und Bein,
— 582 —
leuchtende Tropfen traten in ihre Augen, und ihre Hände,
erft jo unentjchloffen und bebend, preßten fid) gegen ihre
Brust, als wolle fie zeripringen vor Wonne und Schmerz.
Da, Sanef, du hatteft recht! — Das find Badwigas
giftig ſüße Lieder, die mir im Herzen jchlummerten; died
find die trauten Klänge der Heimat, welche id) an der
Brujt der Polin eingejogen, aufgewacht find fie mit aller
Macht und Innigfeit, mit all dem unerflärlichen Zauber,
welchen jemals die Mufit auf Menjchenfelen geübt, und
fie braufen und jaujen durch meine Sinne al3 jauchzendes
Echo: ‚Nasza Ojezyrne racz nam wrowic Panie!‘”
eer und ftill ift e8 im Saal geworden. Anna Rez
ginas Lippen haben wohl gezudt vor Teilnahme und
Erregung, aber Leonie junfelnder Blid hat fie unbarm-
herzig dirigiert; fühl und ftolz hat man fic) von Gräfin
Dynar verabjchiedet, Haftig, unſchlüſſig, in tödlichiter Ver:
legenheit oder jchnell dem neuen Winde angepaßt, mit
verlegendfter Schroffheit ift die Gejellichaft dem Beifpiel
der hohen Frau gefolgt, von welcher Gräfin Kany mit
haßſchillernden Augen den Umftehenden zugeflüjtert hatte,
„Hoheit ift empört!”
Und nun war es jtill geworden, die Flammen fodjten
leije in ihren Kryſtallglocken und Janek Proczna ftand
hochaufgerichtet inmitten des Zimmers, voll diifteren
Spottes auf die Thür ftarrend, welche ſich für ewige
Beit wie eine Scheidewand zwijchen ihn und all jene
Menjchen gejtellt, welche joeben dahinter verſchwunden.
— 584 —
Unverändert verharrte Xenia auf ihrem Platz, erregt
haftete ihr Blick auf jeinem Antlitz.
„Armes Polen! Ein Lied zu deinem Ruhm und zu
deiner Ehre ächtet den Mund, welcher es fingt, zerbricht
die Freundfchaft der Menge wie Glas und ftreift in
einem einzigen Augenblid all die bunten litter von dem
‚Unfterblichen‘, ‚Sottbegnadeten‘ ab, welche man in über-
jchwenglicher Huld zuvor auf ihn niederjchüttetel — Das
find unjere Freunde, Xenia! Warum bleiben Sie noch
hier? Warum weijen Sie mir nicht auch die Thür?!”
Sie ſchüttelte ſtumm das Haupt, fie wollte jprechen
und vermochte es nicht; er trat einen Schritt näher,
fein Blick traf flammend den ihren.
„Bedenken Sie, wer vor Ihnen fteht! BWerlaffen von
der Welt, ausgeftoßen aus dem Kreiſe, defjen Intimität
Shnen unerläßlich ift, wie die Luft zum Atmen, ein Mann
ohne Namen und Stellung, ein Nebell, der mit leiden-
fchaftlicher Überzeugung bereit ift, unter die Fahnen der
RKofyniers zu treten, felber eines Wloczegas Sohn —
was fettet Sie nod) an mich ? Da alle fich von mir
gewendet haben, warum gehen Sie nicht aud)?! ...“
Da rang e3 fic) wie ein halberitickter Auffchrei von
ihren Lippen: „Janek!“ Außer fick), in zitternder Leiden:
ichaft, alles vergefjend, was zwijchen dem Einſt und
Seht gelegen, wie von dämoniſchen Gewalten getrieben,
ftürzte fie fic) an feine Bruft, die Arme um jeinen Naden
fchlingend, jauchzend, weinend vor Glücjeligkeit: „Weil
id) nicht von Dir gehen kann, weil deine Lieder mich
— 585 —
mit Bauberbanden halten, weil ich dich liebe, Jane,
mehr denn Himmel und Erde, mehr als Menjchenzungen
jagen fünnen !”
Er jchloß fie an fid) und bededte ihr Antli mit
beißen Küſſen. Dann warf er fic) zu ihren Füßen nieder
und preßte das zuckende Antlig auf die zarten Geiden-
wogen ihres Gewandes.
„xenia! — Xenial! .. .”
Senes Bild war zur Wahrheit geworden, wel-
ches er in Wolfen und Träumen gejchaut, da war jein
fühnes Wagen, jein treue Hoffen und Harren, all die
fchweren Stunden namenlojer Beherrfchung und Selbjt-
überwindung belohnt, fie liebte ihn, liebte, wie je ein
Weiberherz in treuejter Hingabe und Leidenjchaft em—
pfunden, ihn, den Rofynier, den Geächteten, den Mann,
der nichts zu eigen hatte, als fich felbjt!
XXVL
anek Proczna trat in das Beltibül des Schloffes.
„Ihre Königliche Hoheit, die Frau Prinzejfin
empfangen heute zur Audienz?“
Der Lafai glitt dienfteifrig Hergu. „Sehr wohl, Herr
Graf, bei Hochderjelben haben foeben Frau Leutnant
Gower und die Oberforjtmeifterin, Freifrau zur Lane,
Zutritt gehabt.”
„Wer ijt die dienftthuende Hofdame ?”
„Sräfin Kany!“
„Sut, ich gehe fofort mit Ihnen — es ijt wohl
feine Anmeldung notwendig.”
Das alte Hoffräulein lag in einem bequemen Schaufel:
ſtuhl des Vorfalons, eine ftatiöfe Coiffure auf dem dünnen
Scheitel und einen Reisvogel auf der hohen Schulter,
mit welchem fie um die Wette jüße Kerne fnabberte.
Wie elettrijiert fuhr fie empor, als die Thür aufgeriffen
wurde und die hohe Gejtalt Procznas vor dem Lafai
eintrat.
— 588 —
empfangen hat, und demgemäß auf Bejuche vorbereitet
ijt; wenn Sie fic) weigern, Ihren dienftlichen Pflichten
nachzufommen, jo bleibt mir nichts anderes übrig, als
unangemeldet bei Hoheit einzutreten.‘
Das alte Fräulein flatterte in jähem Schreden vor
die Thür, fich jchügend auf der Schwelle aufzupflanzen.
„Anterjtehen Sie fic)!” zifchte jie, fic) vor Zorn kirjch-
rot järbend, „es mächte Ihnen jchlecht befommen! Wenn
Sie abjolut auf einer Abjchiedsformalität beitehen, jo
ſchreiben Sie fic) ein! Dort auf dem Tijch liegen die
Bücher der Herrichaften auf!“
„Sie werden gejtatten, daß ich nad) meiner Inten—
tion handle. Noch einmal: wollen Sie mich melden?!’
„Rein!
Sanef jtredte gelaffen die Hand aus, faßte die Gräfin
mit jchnellem Griff am Arm und fjchob fie wie einen
Flederwiſch beijeite, dann öffnete er die Thür und war
im nächjten Augenblid hinter derjelben im Zimmer Anna
Neginas verjhwunden.
Die Gräfin jchrie jäh auf vor Wut. Dann aber
zudte ein Gedanfe durch ihr Hirn. Sie wird dem
Prinzen melden, dag Janef Proczna ein Rendezvous
mit Anna Regina hat! Er wird blind auffochen vor
Eiferfucht, hierher jtürzen und, ohne lange zu fragen,
den fauberen Monjieur befördern laffen! Wie von
Furien gejagt, mit böſem Lächeln auf den farblojen
Lippen, jtürmte fie den Sorridor entlang nach dem
Bimmer des Prinzen. In fiebernder Aufregung drang
will
en
—
— 590 —
fie rückſichtslos vor und ftand im nächſten Augenblid
atemlos in dem Arbeitskabinett des hohen Herrn.
Auguft Ferdinand ließ fic) gerade von Gower Vor-
trag halten, er wandte jich frappiert zurüd und jprang
bei Dem Anblid der Hofdame erjchroden empor: „Was
bringen Sie, Gräfin, ijt ein Unglüd pajjiert ? 1”
„Mehr wie das, Königliche Hoheit!” gellte fie ihm
entgegen, „Janek Broczna hat fic) den Eintritt zu Ihrer
Hoheit erzwungen, fie geradezu überfallen... ganz
allein ift der leidenjchaftlihe Menjch bei ihr!”
Das Antlig des Prinzen hatte fic) entfärbt, eine
drohende Wolfe zog fic) auf jeiner Stirn zufammen.
„Dieſe Mitteilung wäre mir wohl in distreterer Weife
und ohne Zeugen zu machen gewejen”, entgegnete er
barjch, „ich verbitte mir ein jegliches verdächtigende
Wort! Meine Gemahlin ijt niemal3 fompromittiert,
jelbft dann nicht, wenn fie fic) mit einem Rajenden allein
befindet! Ihre Stellung ijt ihr Schild, welches immer
refpeftiert wird!” Er wandte fic) zur Thür und winfte
der Hofdame, welche ziemlich fleinlaut folgen wollte,
unwillig ab. „Bleiben Sie hier! — Sie haben die
Güte, lieber Gower, die Gräfin zu unterhalten!’
Haftig Schritt Auguft Ferdinand den jchmalen Gang
entlang, trat durch das Kinderzimmer in die Flucht der
Salons, in deren Mitte das Empjangszimmer feiner
Gemahlin lag.
Die dicen Teppiche dämpften feinen Schritt, mit
fliegenden Pulſen trat er Hinter die Portiere. Deutlich
— 591 —
und flar drang ein jede Wort, welche nebenan ge-
wechjelt wurde, an jein Ohr. — Unwillkürlich prefte er
die glühende Stirn gegen den Thürpfojten und verharrte
mit angehaltenem Atem. Er wollte Gewißheit haben,
und die war nur auf Ddiejem Wege zu erlangen, fein
plöglicher Eintritt würde die Situation nur noch mehr
verwidelt haben.
„Ich weiß es, Königliche Hoheit, daß Sie unfchuldig
find und rein und mafellos in Thaten und Gedanten,
wie die Lilie, welche frommer Glaube auf den Altar
Marias legt! — Durch) ein paar harmlos und — Ber:
gebung für diejes Wort — unüberlegt niedergejchriebene
Zeilen haben Sie fi in die Hände eine Weibes ge-
geben, welches erbarmung3lo3 die Schlinge daraus
flocht, deren erdrüdende Lajt Sie jahrelang erdulden
mußten !/
Wie ein Aufjchluchzen flang es dazwiſchen. „O, ih
habe namenlog gelitten, Gott im Himmel weiß es, wie
Angit und Sorge mein Herz zerrijjen! — Und feine
Minute Ruhe davor! Wie ein Alp ijt mir beftindig der
Anblif meiner Peinigerin auf die Seele gefallen! —
Und ſolch ein Weib durchfchauen, und fie nicht voll Efel
von fic) jchleudern finnen, bas war eine Qual, wie fie
nicht Schlimmer erdacht werden kann!“
„Und warum hatten Sie nie den Mut, Königliche
Hoheit, vor Höchitihren Gemahl zu treten, ihm offen
und ehrlich das unjelige Mißverjtändnis aufzuklären und
dadurch mit einem fühnen Schlag die Newe zu zerreigen,
— 592 —
welche Herrſchſucht und niedrigſte Geſinnungen um Sie
her geſtrickt hatten?“
Leiſe, bebend klang ihre Stimme. „Ich habe wohl
oft daran gedacht, aber ſowie ich die Lippen öffnen
wollte, ſchnürten mir Angſt und Mutloſigkeit die Kehle
zu. Alle Beweiſe ſind gegen mich, und was würde es
helfen, ihnen entgegen meine Unſchuld zu beteuern? —
Das iſt ja mein namenloſes Elend, Proczna, daß ich
es nicht wagen kann, an das edle Vertrauen meines
Mannes zu appellieren, denn er ſelber ſchneidet mir
durch ſein grenzenloſes Mißtrauen den Weg zu ſeinem
Herzen ab!“ — — Wie ein Hervorbrechen lang erduldeter
Qual klang es durch ihre Stimme, erſtickend in Thränen,
zitternd in tiefſtem Schmerz: „Auguſt Ferdinand glaubt
an feines Weibes Treue, das hat er mir in leidenſchaft—
licher Erregung einjt jelbit gejagt, und diefes Wort legt
fih wie eine eifige Hand auf meine Lippen, wenn ich
mich an feine Bruft flüchten und ihn bitten will, mic)
von Frau Leonies Folter zu löjen, dtejes Wort erftickt
jedes auffeimende Vertrauen mit dem furc)tbaren Bewußt—
jein: „Er glaubt dir ja doch nicht!”
Einen Augenblick herrſchte tiefe Stille, dann fuhr
Anna Regina mit jeligem Aufatmen Hajtig fort: „Und
nun fommt mir Hilfe, wo ich fie nie geahnt und er:
wartet hatte; — Sie haben jene unjeligen Zettel in
Händen und Sie glauben troß ihrer an meine Unſchuld?“
„So felt wie an mich jelbjt.” Janeks Stimme flang
tief ergriffen. „Für mich hat es fein Bedenken gegeben,
— 59 —
mit Einſatz all meiner Kräfte für Eure Hoheit einzutreten,
nachdem ich ein einziges Mal gejehen hatte, wie viel rätjel-
tiefes Wel in Ihrem Auge jchliej. Ich habe nach feiner
Urjache geforjcht und Gott hat mein Bemühen belohnt —
hier find die Quellen, aus welchen Excellenz Gärtner Ihr
Leben vergiftete, Hoheit! Ihnen dieje Blätter zurücdzus
geben, ijt der jchönjte Lohn, welcher jemals einem Manne
werden fann, der zum Schuß der Würde edler Frauen
jeinen Degen an der Seite trägt!”
„O Procgna — und Sie, Sie konnte ich geftern fo
namenlos fränfen .. .”
„Richt Sie, Hoheit, es war das legte Mal, daß
Gräfin Kany und Ereellenz Gärtner am Steuer Yhres
Lebensſchiffleins ſaßen!“
„Wie ſoll ich Ihnen danken —!”
„Geſtatten Sie mir, als Zeichen Ihrer Huld, noch
wenige Worte zu meiner Rechtfertigung zu ſprechen, welche
mein Weſen am geſtrigen Abend bedingt ...“
„Warten Sie einen Augenblick, mein lieber Proczna,
laſſen Sie mich auch dieſer Aufklärung teilhaftig werden!“
unterbrach eine Stimme hinter dem jungen Polen. Auguſt
Ferdinand trat durch die Portiere, reichte dem Freund
ſeiner Gemahlin beide Hände und drückte ſie tiefbewegt,
dann trat er haſtig gu Anna Regina, ſchloß die Er-
bleidende herzlich in die Arme und drüdte einen Kuß
auf die weiße Stirn. Heiß erglühend flammerte fie fich
an feinen Arm, fefundenlang ruhte Aug in Auge, eine
ftumme und doch unendlich beredte Verftändigung.
N.v, Eſchſtruth, IN. Rom. u. Rov., Polniſch Blut IL 38
— 594 —
3h bin Ohrenzeuge diefer Unterredung geweſen und
ich dante Ihnen für jedes einzelne Wort!’
Nach einer kurzen Darlegung der Mißverftändnifje
und Intriguen, welche fo lange Zeit das Leben Anna
Reginas und die Verhältniffe der Stadt und Garnijon
getrübt hatten, ſchlug Augujt Ferdinand die Hand gegen
die heiße Stirn: „Und alles das Werk eines einzigen,
intriganten Weibes!!“
Dann lenkte der Pring das Geſpräch pliplich ab.
„Sie haben geftern abend unjere gute Geſellſchaft fo
fehr durch revolutionäre Anfichten und Lieder alteriert ?”
fragte er fichtlich amiificrt.
Proczna lächelte. „Es war Sturm in einem Wajjer
glafe, Königliche Hoheit — ganz fo verworfen, wie es
fcheint, bin ich nicht, und falls man mir geftattet, ein
wenig zurüdzugreifen in mein feltjames Leben, jo hoffe
id, in den Augen meines gnädigſten Herrn gewiſſer—
mafen gerechtfertigt dazuſtehen!“
„Neben Sie, wunderlider Heiliger, es ift mir inter-
effant, einen Mann vom Grund der Seele aus fennen
zu lernen, welcher mir vom erjten Augenblid an jo jym-
pathijch war wie Sie!“
Und Procgna erzählte far und bündig mit leuchten-
den Augen den Roman jeines Lebens und jchloß mit den
Worten: „Ich war ein Komödiant von dem Augenblid
an, wo id) dieje Stadt betrat. Es ging mir wie einem
Spieler, der ‚va banque‘ jagt. — Wollte id) Xenia ge:
winnen, fo galt es reichlich ausgerüftet in die Bahn zu
— 59 —
fprengen. Die Hiefigen Verhältniffe waren mir bis in
die Details befannt, ich habe mich zwei Jahre lang un-
ermüdlich geübt, denjelben gewachjen zu jein, und ich
ſchlug Zinfen aus diefen Kenntnifjen. Oft Habe ich jelber
daran gezweifelt, ob ich die Rolle, welche mir ſchwerer
und ſaurer geworden ijt, als ich e3 zu bejchreiben vermag,
durchführen finne, aber die wahre und echte Liebe ijt
wie der Zaubermantel Klingsors, fie trägt wunderfräftig
über Klippen und Bergriejen hinweg. Dennoch atmete
ich jet auf, wie einer, Der endlich eine beengende, läjtige
Maske von dem Geficht reißen fann, der Welt wieder
fein ehrlich Antlig zu zeigen! Oft bin ich mir jelber
vorgefommen wie ein Hans in allen Eden, der alles
weiß und fann, der allen andern überlegen ijt, und dem
nur noch ein Nequifit aus der Nüjtfammer des Roman—
Helden fehlt, die fagenhajte Gejchidlichkeit, einem Spieler
auf hundert Schritt Dijtance das Auge aus dem Coeur-As
zu jdiepen, ohne daß e8 der Betreffende bemerft und
ruhig die durchlöcherte Karte ausipielt.
Augujt Ferdinand lachte leiſe auf. „Und der Koſynier?
Wie fteht e8 mit dem? Goll das Ende des Romans
wirklich im Lager der Aufſtändiſchen ſpielen?“
Proczna jchiittelte mit jaft wehmütigem Lächeln das
Haupt. „Der legte Akt meiner Rolle, welcher fich gejtern
abend abjpielte, war ein feltjames Gemifch von Wahrheit
und Dichtung” — er blidte voll und freimütig in des
Prinzen Auge. „Keines jener Worte, welche ich aus—
gejprochen, nehme ich zurüd, denn das Land, für defjen
38*
— 596 —
Freiheit mein Vater Blut und Leben eingefegt, das Land,
welches mid) geboren und durch Jahrhunderte fang meines _
Stammbaums Wurzeln in mütterlicher Erde genährt hat,
das Land ift mir lieb und heilig wie meine eigentliche
Heimat, aus welder mic) nur ein rauher Sturm ver:
ichlagen hat! Ja, Königliche Hoheit, ich bin Pole, Pole
mit Leib und Seele! Mag man cin Reis pflanzen, in
welchen Boden man immerhin will, e3 verleugnet nicht
jeine Art, und wenn mich ein wunderjames Gefdhic auch
auf die Grenze zwijchen Polen= und Deutſchtum geftellt
hat, das eine hat das andere nicht aus meinem Herzen
verdrängen finnen, die Landesfarben find verfdymolzen
zu dem fcehimmernden Regenbogen, dem Zeichen der Vers
jöhnung und des Friedens. — Mag Polens Schicjal fich
gejtalten, wie e8 Gottes Wille bejchlojjen hat, ich werde
Das freie Land lieben, wie das gefnechtete!”
August Ferdinands Antlig war fehr ernjt, aber nicht
finfter geworden, jein Auge rubte voll herzlichen Wohl-
wollen® auf den freien, edlen Zügen des Sprechers,
welche ifm in Wahrheit verändert deuchten, als fei ein
Schleier von ihnen hinmweggezogen. — „Sp werden Sie
fic) in die Reihen der Koſyniers ftellen 2”
Jähe Glut flammte über Procznas Stirn, fein Haupt
zudte frei und ftolz in den Naden. „Nein, Königliche
Hoheit. Ich werde nur noch ein Gebet fennen, das,
welches für Polens Freiheit bittet, ich werde opfern an
Geld und Gut, was ich mir an eigenem Vermögen er-
worben, ich werde Polens Flüchtlinge jchügen, id) werde
ae 597 =e
helfen, geben und fchirmen, fo viel und fo lange ich famt,
denn ich bin eines Polen Sohn; aber fo unverjälicht
auch das polnijche Blut in meinen Adern jchäumt, emes
hat die deutjche Erziehung und pflegemütterliche Erde
dennoch dem fremden Reije eingeimpft, den Begriff von
deutjcher Ehre und deutſcher Treue! — Eine Hand,
welche auf deutjche Waffen den Fahneneid geleijtet, wird
diejelben nun und nimmermehr in jenem Kampfe führen.
— Meine Liebe zu Polen hoch über vieles — meine
Ehre aber über alles!”
Der Gemahl Anna Reginas reichte ihm beide Hände
mit ehrlichem Drud. „Möge Gott geben, daß fich jener
Regenbogen der Eintracht über die beiden Länder jpannt:
Polniſch Blut und Deutjchtum, innig verjchmolzen, geben
ein edles und frdjtvoll ſchönes Gemijd), das beweijen
Sie mir, Procgna!”
Auguft Ferdinand erjuchte den Pflegejohn des Grafen
Dynar, zur Rehabilitierung jeiner gejellichaftlichen Stellung
heute abend den Blab in der Oper neben den Eejjeln des
hohen Paares einzunehmen. Proczna zögerte betroffen,
jein Bli tauchte ehrlic in den des Prinzen. — „Ich
beichwor jene peinliche Scene des geftrigen Abends mit
voller Überlegung herauf, um den legten höchſten Trumpf
auszujpielen, auf welchem das Glück meiner Zukunft jtand.
Kenia liebt mich; ich aber will fie aus diefem Boden
löjen, will mir mein Rleinod in die ftille Einjamfeit
retten, damit nicht die Stürme des Lebens vorzeitig der
Noje Keld) entblättern! — Xenia mußte die Menjchen
— 598 —
fennen lernen, wenn fie ihr Glüd fern von benfelben
juchen joll.”
„Ein harmonifches Ausklingen wird den grellen Miß-
afford des geftrigen Abends niemals in ihrer Seele
verwijchen, lieber Proczna; retten Cie fick) Ihre reizende
Braut jo jdnell als möglich als Gattin auf „Flügeln
de3 Gejanges” nad) den fichern Mauern Ihres Schloffes,
aber nehmen Sie zuvor Rüdjicht auf die Familie Ihres Vor:
munde und triumphieren Sie über die beiden Schlangen,
welche für die längjte Zeit den Frieden unjeres Cdens
hier untergraben haben follen!”
Anna Regina jah fajt bittend, mit verflärtem, rofig
überhauchtem Gefichtchen zu ihm auf und reichte ihm
herzlid) die fleine Hand entgegen.
Proczna neigte fic) tief und ebhrjurdtsvoll über
diejelbe.
„Da, es fol ausklingen”, fagte er leife, „damit meinem
Weibe und mir die Hoffnung bleiben fann, dereinjt zu
Ihren Füßen die duftigen Kränze niederzulegen, welche
Ihnen das treuejte und verehrungsvollite Gedenfen in
der Einjamtkeit fledjten wird!” — — — — — — —
* *
*
Wieder braufen die Stürme um die troßigen Mauern
Procznas, aber diesmal tragen fie taujend junge Frühe
lingsfnofpen im Schoß, welche fie heimlich, in jtiller
Nacht über Wald und Heide jtreuen. — Da webt ſich
ein lichtgrüner Schleier um Bäume und Sträucher, ein
= 599 =
Blühen und Keimen bricht hervor und um die Türme
de3 alten Schloffes ranft es fic) Dujtend zwijchen dem
Epheu empor. Cin junges Weib, lieblich, glühend und
geheim wie ein Dornröschen träumt des Glüdes Märchen:
traum Hinter den grauen Mauern, und die Götter des
Frühlings jchweben hernieder und türmen eine Hede von
Purpurrofen empor, zwijchen fie und die Welt!
Die Fliigelthiiren zu der Veranda des Schloſſes find
weit geöffnet, weiche Nachtluft und filberne Mondjtrahlen
fließen jchmeichlerijch um das junge Paar, welches Arm
in Arm hinaus auf die Schwelle getreten ijt. Ein Trauer:
gewand wallt um Xenia fchlanfe Gejtalt, und das
Antlig, welches an der Schulter des geliebten Mannez
lehnt, ift von Thränen übertaut. — Polen ijt verloren
— feine Zorbeerfränze find in den Staub getreten, jein
Banner ift zerfeßt, unter der Sohle jeiner Feinde ver:
blutet e8 im Staub.
Sanef Procgna blict zu dem flaren Nachthimmel auf,
an welchem die Sterne wie treue, liebevolle Augen leuch-
ten. — „Boze cos Polske przez tak liczne wieki!*
ringt e8 ſich wie eine jtumme, jegensreiche Frage von
feinen Lippen — was in jeinem Herzen glüht und
fehmerzt, brauft im Lied zu den Gejtirnen empor!
Im Dunfel der Gartenwege flingen leije Schritte.
Schwer im Arm eines Bauern liegend, jchleppt fich ein
filberhaariger Greis mit der qualvollen Anjtrengung
eines Sterbenden dem Schloß entgegen.
Das Mondlicht fallt auf hagere, ftarre Gefichtszüge,
= 600 —
auf welchen bereits die Schatten des Todes liegen. —
Derjelbe Mann, der einft flüchtend mit feinen Kindern
in der wilden Schneejturmnadht an die Thore Procznas
geflopft.
Er hat fein Wort gehalten, er hat nie nach feinem
Sohn gefragt und geforjcht, er hat gewußt, daß er ihn
einft wieder holen wird, wenn Polens Herrlichkeit auf-
eriteht, und er hat gerungen und gefämpft, hat nur
gefämpft für fein unglüdliches Vaterland. — Da zudt
endlich der Blig Hernicder und entflammt die Fadel der
Empörung. Er ift alt und ſchwach geworden vom
Darben und Entbehren, aber er lebt wieder auf im
Naujche der Hoffnung, er eilt nach Polen, er fämpft
wie ein Qiingling, er fucht feinen Sohn! — Wird er
zögern zu kommen? Nein, taujendmal nein! Jane ijt
ja fein Sohn, und polnisch Blut verleugnet fid) nicht!
— Er irrt über die Schladhtfelder, er ftarrt in das
Antlig Lebender und Toter, nirgends ijt fein Sohn zu
entdeden. — Bitterfeit, Verzweiflung wühlen in jeinem
Herzen. — Schwer verwundet liegt er in elender Schäfer:
hütte verborgen, gepflegt von dem alten, treuen Aloizy,
feinem ehemaligen Pferdeburfchen, welchen er unter den
Fahnen der Kojynier wieder gefunden, und welcher treu
wie ein Schatten an der Seite des Herrn gefämpft hat!
„gu meinem Sohn, ihn nod) einmal jehen, ehe ich
fterbe, jehen, ob polniſch Blut fic) wahrlich) jo ganz ver=
leugnen kann!“ — Und die Thränen rollen ihm über
die Wangen, und Aloizy nimmt den Todfranfen auf die
— 602 —
ftarfen Arme und wandert mit ihm lange, qualvolle
Tage bis zu der Schloßjchwelle von Procgna. Cin
bleicher Engel aber fchreitet ihnen zur Seite, und hütet
liebevoll die gefenfte Fadel, daß ihre verlöjchende Flamme
noc) wenige Minuten fladern möge.
„Aloizy . . .” flüftert der Sterbende, leife wie der
Wind, welder dur die Blütenzweige weht — „nicht
meinen Namen verraten . . . bei allen Heiligen nicht,
... ih bin ein Fremder für meinen Sohn — ein
Fremder!“
„Ich gelobe es, Ew. Gnaden — Gott erleuchte die
Seele meines jungen Gebieters und ſchenke ſeinem Hetgen
tauſend Augen, Euch zu erkennen.“
„Bin ein Pole, Aloizy ... und er...” ein Auf⸗
ſtöhnen ringt ſich über die bleichen Lippen, ſchwer bricht
er in den Armen des treuen Mannes zuſammen. „Nur
jebt nicht fterben . . . noch nicht . ..“ Da klangen Töne
an fein Ohr — voll, gewaltig, durchdrungen von namen=
lofem Schmerz: „Boze! cos Polske tak liezne wieki!“
— Go fann nur ein Pole fingen.
Bitternd richtet fic) da3 greife Haupt empor, wie die
Glut, welche furz vor dem Erlöjchen nod) einmal auf-
(odert, flammt es in den dunflen Augenhöhlen, „Aloizy
... hörſt du. . .? .. . Boze cos Polske . . . näher,
Aloizy . . . das find Gottes Engel, die mich rufen ...
ach, welche Klängel! —“ Er hebt fic) mit jäher Kraft
empor und taumelt in den Armen jeines Gefährten der
Terraſſe entgegen.
— 603 —
Behutfam Hinter den Gebüfchen nähern fie fich, jetzt
ftehen fie an der Treppe. — Droben flutet das Silber:
licht um zwei hohe Geftalten, ein. junges Weib lehnt jich
an die Brujt des Erbherrn von Proczna . . . jcharf zeichnet
fic) fein Profil gegen die dunklen Baummipfel des Hinter-
grundes ab... . jein Sohn! — jein Sohn! — —
Der Alte bricht in die Knie und hebt das verklärte
AUntlig und die gefalteten Hände zu dem Sänger empor
— wie ein Heiligenfchein wallt das jchneeweiße Haar
unt die gramgefurdte Stim, al ob eine jegnende Hand
fefundenlang den Bann des Todes in den ftarren Zügen
gebrochen, leuchtet die Glüdjeligfeit von lächelnden Lippen:
Wie in einer Verzückung laufcht er dem Gejang, und da
der lebte Vers verflingt — „ſo verwandele ung in Staub,
aber in freien Staub!” ... da zudt und bebt dic
fnieende Geftalt, da brechen Thränen aus den Augen,
da ift alles vergeffen, was gwifden dem Cinft und Jetzt
liegt — „Janek!“ jchreit er gellend auf, „Janek, mein
Sohn! — — — — — — — — — — — — —
An der Schloßtreppe liegt der Erbe von Proczna
auf den Knien und hält den ſterbenden Vater in den
Armen. Seine Lippen preſſen ſich auf Stirn und Wan-
gen des flüchtigen Polen; „Vater!“ jauchzt er mit dem
Ausdruck unendlicher Liebe in Stimme und Blick, „kommſt
du endlich zu deinem Kinde zurück!“
„Trage ihn empor, Janek — er iſt krank, er zittert
ja vor Kälte und Ermattung!” fleht Xenia mit erſtickter
Stimme, wirft fic) neben dem Sterbenden nieder und
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überflutet die falte Hand mit Thränen und Küfjen.
Zeiler, frajtlojer Drud ift die Antwort. „Nein, nein |!“
wehrte er ab, „laßt mid) hier . . . laßt mir den Himmel
über dem Haupt .. . er ift geöffnet, mich aufzunehmen
.. . zur Rue, Janef. . . und ich bin müde — ad) fo
müde. Oft fie dein Weib?” Seine Hand legt fic) gart-
lid) auf ihr blondes Köpfchen, fein brennender Blick
taucht jorjdend im ihr feuchtes Auge. „So habe ihn
lieb, und Gott im Himmel wird dich fegnen dafür, und
meine Seele wird bei euch fein!” ... Er richtet fich
aufgeregt empor. „Hörſt du den Sturm braufen? .. .
Siehft du, wie die Schneefloden wirbeln ? Immer zu;
immer vorwärts . .. Dort glänzt ein Licht... Er:
barmt Euch, Graf, nehmt mir nicht mein Kind... Es
ijt alles, was mir blieb . . . Da liegt das andere...
tot, ftarr,.... und nun aud das legte noch! ...
Nehmt ihn! . . . Ich Hole ihn zurüd, ich fomme wieder,
wenn Polens Ketten gebrochen find, wenn id) ihm den
ehrlichen Namen wiedergeben fann! ... Mein Sohn
bleibt er doch in alle Cwigfeit! . . . Ihn deutjch machen?!
Haha! Das Polenblut verleugnete fid) noch nie! ...
Nehmt meinen Sohn, nehmt ihn Hin!” . . . Aufſtöhnend
flammert er fic) an den Arm Procznas: „Wo bijt du,
Janek? Ich juche dich unter der Fahne . . . ich fuche
did) auf den Schlachtfeldern Polen? ... weh mir!” ...
Reije Elingt e3 an jein Ohr: „Boze cos Polske“...
Procznas Lippen haben feine andere Antwort.
Da ftrecten fich die geframpften Glieder, da hebt ein
— 605 —
tiefes, felige3 Aufatmen die fterbende Bruft. „Und
dennoch hat fih polnifh Blut nidt ver-
leugnet”
flüjtert er mit ver—
flärtem Blick.
prance, Sanef,
mein Sohn!” ...
Er faßt die beiden
Hände des jungen
Paares und um:
ichließt fie mit
bebenden Fingern:
— 606 —
„Betet für Polen! Hofft auf die Zukunft... Gott
mit dir, mein Waterland — niech zyje Polska!”
Langjam neigt der Engel die Fackel — fie verliſcht. —
Die Heide glüht und brennt im Abendrot; fern an
dem Horizont finft die Sonne, mit Purpurgarben den
Himmel überflutend und goldene Funfen auf die weite
Ebene niederftreuend.
Die Felsfteine, hinter welchen einjt der einfame Knabe,
das Kuckucksei im Neſt, auffchluchzend vor Dual und
Herzeleid das Antlitz in feuchte Erika preßte, find höher
bemooft, und die Brombecrranfen, Hedenrojen und Schleh-
dornzweige, welche darüber bangen, find emporgewachjen,
wild, wirr, üppig aufgejchoffen.
Droben in der flaren Luft jubeln die Vögel, leife
und geheimnisvoll zirpt e8 im Graje, farbige Edelſteine
fchwirren beflügelt von Kelch zu Kelch. Endlos, unab-
fehbar dehnt fid) Himmel und Heide, verjchmelzend in
rofigem Duft, durch welchen lichte Wolfenfloden treiben
— ganz wie vor langen Jahren.
Leife Stimmen flingen wieder unter den fchaufeln-
den Nanfen am Geftein — jchneeige Falten eines Frauen:
gewandes jchimmern in der Sonne und auf einem gold-
blonden Köpfchen tanzen glühende Lichter . . . Hexe
2orelei! . . . ganz wie damals und doch fo anders.
Sanef ftarrt wie trunfen vor Glüdjeligfeit zu feinem
jungen Weib empor, auf die rofigen Lippen, welche
einjt an diefem Plage mit erbarmungslojem Wort feine
— 607 —
Kindheit und Jugend vergifteten, und welche ihm nun,
al8 dem gereiften Mann, zum füßen Kelch geworden
find, von defjen Rand er des Dajeins beraufchendite
Wonne trintt! — Ja, Here Lorelei! — Der Schiffer
hat nicht in blindem Ungeftüm jein Schifflein gegen dein
feljenhartes Herz getrieben, er hat fich nicht blenden
lafjen von deinem golden Haar, und nicht hinreißen
lafjen von dem Zauber deines Auges, er hat die Hände
feft an das Steuer gelegt und feinen Weg als guter
Pilot durch die Klippen gejucht! — Nun hat er did)
endlich erreicht, hat deine marmorfühle Pracht mit heißer
Liebesglut zum Leben erwedt, und hält did) im Arm
als foftlichften Lohn für feine Fahrt durch Riff und
Sturm!
Xenia lehnt fchmeichelnd das Köpfchen an die Bruft
des Gatten. Lächelnd blickt Janek ihr in das Auge.
„Du glaubjt nicht mehr an den Sohn des Kofyniers
und haft e3 gehört, daß Aloizy meinem Water die über:
jchwenglichjten Ehrentitel gab — das ift Polenart; Die
Liebe und Verehrung der Untergebenen fennt in Worten
feine Grenzen!’
Sie jchüttelt treuherzig den Kopf. „Wer jener Freinde
aud) gemejen ijt, Janef, er hat mich als feine Tochter
gefegnet und unjere Hände zufammengefügt, darum ver:
langt mein Herz danad), ihn mit Namen zu nennen wie
einen Vater, und wahrlich, Herzlieber, er wird mir teuer
und wert fein, gleichviel, wie du ihn nennſt!“
Janeks Antlig wird ernjt, faſt feierlich. „Der Name
— 608 —
meines unglüdlichen Waters ift vor ber Welt erlofchen
und meine Lippen find durch feinen legten Willen ver-
ſchloſſen. Aber auch ohne daß ich jenes liebe, traurige
Geheimnig verrate, wirft du ahnen, weſſen Sohn der
Mann ift, den deine Liebe jich ohne Schild und Krone
erwählt; hier, diejen Ring 30g id) von dem Finger des
Entichlafenen, e8 ijt Das Siegel, welches meine Ahnen
feit Jahrhunderten geführt.”
Kenia nahın den goldenen Reif und blidte auf die
Gravierung des Steins hernieder. Heiße Blutwellen
ergofjen fich bis in die Stirn empor.
„Janek . . . dieſes Wappen... dieje Krone...
allmächtiger Gott — wer bift du?”
Er legte janft den Arm um fie und verjchloß ihre
Lippen durch einen Kuß. „Ich bin Janek Stefan von
Dynar, der glüdlichjte Mann, welchen jemals das Erden-
rund getragen!“
Sie ſchlug die Hände vor das Antlik; e3 war, ala
wehe ein Sturm von heftigjten Gefühlen durch ihre Seele,
und leije flüfterte fie: „Seht erfenne ich deine edle Seele
ganz; jet weiß id), wie lieb du mich haft, Janek; wie—
viel du für mich opferteft und ... wieviel ich an dir
abzubüßen habe!” Am Himmel fchmetterten die Vogel=
fehlen ihre jubelnden Lieder der Glüdjeligfeit, die Heide
buftete füß und wunderjam, und die Sonnenglut am
Horizont loderte empor wie ein heilig Opferfeuer, auf
dem Altar der ewigen Gerechtigkeit entzündet! —
In dem „nordijchen Aachen” hat fic) manches ges
wt
N. v. Eſch ſtruth, IM. Rom. u. Nov. Polniſch Blut IL
— 610 —
ändert. Der Präfident von Gartner wurde plößlic) nad)
dem Süden verjegt und nahm, da jein leidender Zujtand
fi täglich verjdlimmerte und ihn die gewiljenhafte Ver—
waltung de3 neuen Amtes unmöglich machte, zur Vers
zweiflung feiner fchönen Gemahlin den Abjchied. Er
wählte jeinen Aufenthalt dauernd in einem heilfräftigen
Bade, wojelbjt Frau Leonie, nad) dem plößlichen Tode
ihres Gatten, auch verblieb und noch heutigen Tages als
fine, vielumfchwärmte und doch niemals ernftlich bes
gehrte Witwe eine nicht unbedeutende Rolle jpielt. Gräfin
Kany, welche Knall und Fall ihre Stellung al Hofdame
quittierte — man hat fic) lange den Kopf gerbrodjen,
einen Grund dafür zu finden — lebt einen Teil des
Sommers bei Ihrer Erxcellenz, allerdings aud nicht fo
ganz friedlich; wie Augenzeugen behaupten, foll es oft
recht gereigte Wortwechjel geben. Zum offenen Bruch
fann es aber nicht fommen, da fid) die Damen gegen-
feitig zu jehr in der Hand haben. Im Regiment der
Kaijer Frang-Ulanen famen verjchiedene Verjegungen vor;
man behauptete, Auguft Ferdinand habe den eifernen
Vejen zur Hand genommen, um einmal gründlich den
Staub aus allen Eden zu fegen. Herr von Flandern
juchte freiwillig feine Verjegung zu einem Dragoner-
regiment nach, Fürft Reuſſek wechjelte ebenfalls und zwar
mit Vorteil die Uniform, und an feine Stelle wurde ein
anerfannt liebenswürdiger Freiherr gejeßt, welcher diverje
Verwandte unter der Infanterie zählte. Wie mit Zauber-
ſchlag waren die Coulifjen verjchoben. Ein herzliches und
— 611 —
höchit kameradſchaftliches Einvernehmen herrſcht zwiſchen
den verſchiedenen Regimentern, an deren Spitze der mit
wahrhafter Begeiſterung verehrte Prinz Auguſt Ferdinand
ſteht, in huldvollſter Weiſe den Ton echter Waffenbrüder-
ſchaft angebend, bei welcher es nicht mehr heißt: „Hie
Säbel — hie Degen“, ſondern als echt preußiſche Deviſe
der Einigkeit: „Zufammen mit Gott für König und
Vaterland!” Anna Regina hat fic) auffallend verändert.
Cie hat das Haupt erhoben wie ein föftlich blühendes
Reis — unvergeflic) einem jeden, welchem der Vorzug
geworden, ihre fleine Hand verehrungsvoll an die Lippen
drüden zu dürfen. — Fürſt Heller-Hüningen hat feinen
Vorjak ausgeführt und bei dem legten Felt der Saijon
dem reizenden Coufinchen Bidy eine „höchſt patente”
Liebeserklärung gemacht. Mama Drach hat e8 aber für gut
befunden, die Hochzeit noch zwei Jahre hinaugzujchieben,
und das überglüdliche Bräutchen befam ihren Gatten erjt
zum neungehnten Geburtstage als „Präſent“ aufgebaut.
Es ijt wirklich ein wahrer Spaß, dem jungen Pärchen
hie und da ’mal in die vier Wände zu jchauen, in welchen
Hechelberg bereits einen jehr bequemen Großvaterftuhl,
alg jelbjtverjtändlichen Etammfig, mit Bejdlag belegt
hat. — Er ijt der gute Geijt des Haufes, alteriert fic
mit der Fleinen Frau über jeden zerichlagenen Suppen=
teller, bewundert mit dem ernithaftejten Geficht jede neue
Nippesfigur und jede frijd) erworbene Toilette, fteht dem
Hausherrn geradezu aufopfernd bei jeder Wein- oder
Ktiaarronnrnho sur Cotto anh Rat Sich Ara Mnchan [ane
— 612 —
tief beleidigt mit Selbjtimordgedanfen herumgetragen, weil
man ihn nicht zum Gevatter de3 erjten Töchtercheng gewählt
hatte! Das muß man auch recht abjcheulich finden! — Frau
von Hofftraten ift unverändert diefelbe geblieben, immer ge:
radeaus, immer luftig und guter Dinge, allgemein beliebt!
Sn den legten drei Wintern war Villa Florian wieder
bewohnt; Graf Dynar hatte anläßlich der verfchiedenen
Tamilienfefte fein liebliches Weib in die RMefideng zurüd:
geführt und war algdann auf die dringende Bitte des
prinzlichen Paares öfter und länger mit feiner Familie
zu dem Faſching wiedergefehrt. Sobald aber das erite
Grün an den Bäumen fproßt, blict Xenia flehend in das
Auge ihres Gatten, und unverändert wie vor Jahren
drüdt er auch jet ftrahlenden Blides ihre Hände an
die Lippen und flüchtet fein Kleinod zurüd in die Ein-
famfeit, wo jedes Blumenglöcchen des Heidelandes einen
Pjalter Heiliger und unvergänglicher Liebe läutet!
Drud von J B. Hirfafeld in Leipzig.
14000596
ILLINOIS-URBAI
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