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Full text of "Nataly von Eschstruth. Polnisch Blut - Band 2"

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Bein cin atta 








Polniſch Blut 


Roman 


von 


Patalp von Eſchſtruth 


Mit Wuftrationen von Bans W. Schmidt, 


II 





Teipjig 
Prrlagsbuchhandlung von Paul Lift. 


Das Recht der Überjegung wird vorbehalten. 





jrappiert auf jeine fleine 
rau, welche, ihrem ur: 
eigenjten Wejen jo voll 
fommen guider, plößlich 
die Etifette der Tijch: 
ordnung über den Haufen warf. 

Da fie jeinem erjtaunten Blic auswich und Fürjt 
Neufjek, welcher jonjt den Pla zur Linfen der Prinz 
zejlin einnahm, mit langem Geficht zur Seite trat, wandte 
fid) Seine Königliche Hoheit zu demjelben und jagte 
jcherzend: „Ehre wem Ehre gebührt, lieber Reujfect! 
Heute ijt nicht Mars, jondern Apollo der Oberjte im 
Rat der Götter, und ‚was die Frau will, das will Gott! 
heißt e3 in Franfrei)! Eh bien, lafjen wir heute ein- 
mal die edle Kunjt Ceremonienmeijterin an diejer Tafel 

N.v.Cihfruth, I, Rom. u. Nov, Polniſch Blut. 21 





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fein!” Und der Pring wies dem Regimentsfommandcur 
in liebenswürdigiter Weije den Sejfel zur Rechten Anna 
Reginas an und placierte fid) felber vis-A-vis zwiſchen 
Brau von Drad und Gräfin Dynar. 

Es herrjchte ein fehr ungebundener und fait über: 
mütiger Ton, namentlid) am Ende der fojtbar deforierten 
Tafel, woſelbſt Frau von Hofftraten, Gräfin Ettisbach 
und Tarenberg mit den jüngjten Leutnants ihre ,,fidele 
Ede!” etabliert hatten. 

„Jongens, man nich fo vill gefippt! Ihr hätt’ be- 
reit3 rote Dötze wie die Zinngodel!!” hörte man die 
mütterliche Warnung aus holländijcher Kehle durch eine 
plößliche Stille ertinen, und dazwiſchen amiifierte fich 
Gräfin Tarenberg mit ihrem hellen Organ über „den 
verlorenen Sohn“ Weyer, welcher ihr in fediter Weije die 
Apfelblüten aus dem Schulterbouquet zupfte, um fich damit 
in jeinem Champagnerglas eine ,,Minne-Bowle” zu 
brauen. Najende Bdee!! ... Bidy jaß mit glühenden 
Wangen dabei und lernte. „IE wil’3 Füllen unter min’ 
Fittich” nehmen!” Hatte Frau von Hofftraten mit biderbem 
Fächerſchlag auf der Kammerherrin Schulter erklärt, 
„wenn's an de Krippe rafjelt, fchlagen de Remonten nach 
vorn on’ binnen aut, da moß eins mit de Trenje zur 
Hand jinn!” Die Frau Mittmeijter erging fic) meijtens 
in favalleriftiichen Gleichnifjen. 

Es jchien ganz jelbftverjtändlich zu fein, daß die Prä- 
fidentin Gärtner an der anderen Seite Procznas Platz 
nahm, und auc) vollfommen in der Ordnung, daß der 


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Sanger von Gottes Gnaden ihr fein ritterliches Interefje 
ſchenkte. 

Die Kapelle des Ulanenregiments ſpielte in einem 
Nebenſaal und übertönte die einzelnen Unterhaltungen, 
dazu rauſchte und kniſterte der Atlasfächer in den Händen 
der ſchönen Frau wie das Schilf am Nixenſee, welches den 
ahnungsloſen Wanderer vor böſem Zauber warnen will. 

Wie träumend hob ſich Leonies Blick. 

„Wiſſen Sie auch, Janek Proczna, daß Sie mir 
Unglück bringen werden?“ fragte ſie ſehr leiſe. 

„Nur dann, Excellenz, wenn Sie es ein Unglück 
nennen, daß den roten Roſen, welche ich vor Ihre Füße 
ſtreuen werde, neidiſche Dornen gewachſen find!” 

Sie ſchüttelte lächelnd den Kopf. „Sind Sie aber— 
gläubijch ?“ 

„Ja, ich blicke in ein ſchimmerndes, rätſelhaft ſchönes 
Frauenauge, und ich glaube, es ſei ein tiefer, tiefer See, 
aus welchem ſich zwei weiße Arme heben, mich als Opfer 
zu fic) herab zu ziehen ...“ 

Leonie ſchien ſeine Antwort zu überhören, ſie ſenkte 
die dunklen Wimpern tief auf die Wange und drehte die 
goldene Spange, welche nur noch von feiner Kette zu— 
ſammengehalten wurde, mechaniſch an dem Arm. 

„Sehen Sie? Das Schloß iſt zerbrochen, — in dem 
Augenblick, da Sie mir gegenüber traten, ſprang das 
Ringlein entzwei!” 

„Und das ſoll Unheil prophezeien?“ Janek neigte 
ſich tiefer. 


21* 


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„Als ich mich verlobte, legte mir mein Bräutigam 
diefen Reif um den Arm, verjchloß ihn mit dem Eleinen, 
einzig dazu pafjenden Schlüffel und trug denjelben jeit 
Stund an auf der Bruft. Ein findlid) Spiel mit tiefem 
Ginn. Das Armband erjeßt den Treuring, jo lange e3 
am Arm hält, jo lang hält Lieb und Glüf im Haus.” 

Die Mufifklänge raujchten auf wie fochende Meeres: 
brandung, jüßer Duft wehte von den Blumen der Tiich: 
vajen herüber, und die Goldfpigen zitterten um deu 
blendend weißen Naden der Sprecherin. 

„Geſprengte Feſſeln!“ Janeks Blic flog zu der ge 
beugten Geftalt de3 Prajidenten hinüber, und fehrte zu 
dem verführerijchen Weib an jeiner Seite zurüd, e8 lag 
cin wunderlicher Ausdrud auf jeinen Zügen. „Der arme, 
alte König, er nahm eine junge Frau! ...“ fagte er 
leiſe, „es liegt ein düjterer, und. Dod) jo namenlos reiz- 
voller Zauber in den alten Liedern, welche von verbotener 
Minne und zerbrochenen Ringlein reden! Wohl dem 
Pagen, welcher die Ketten an ihrem Arme zerbricht und 
mit ihr fterben darf!” 

Leonie Auge glühte auf, dann ſank ihr {dines Haupt 
auf die Bruft. 

„Glücklich ein jeder, der fold) qualenvolle Poejie nur 
aus Liedern kennt!” hauchte fie. „Warum nennt man den 
alten König ‚arm‘, weil er eine junge Frau nahin? Hätte 
Heine in das Herz jener Königin bliden können, er würde 
fie mehr beflagt haben, wie den eiteln, grauföpfigen 
Egoiften, welcher den Frühling an die Brujt drücden will 


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und nicht bedenkt, wie erbarmungslos jegliche Liebesblüte 
an jeinem eijigen Kuſſe jtirbt! .. .” 

Es lag viel Ausdruc in den Worten der Präfidentin, 
mehr nod) in dem feuchtglängenden Blick, welcher fich zu 
Procgna hob; Janek fannte dieje Sprache und hatte ihr 





manchmal in franzöfifchen Chebrudjsdramen als einer 
vortrefflihen Schaujpielerleiftung applaudiert. 

Langjam faßte er den Hohen Champagnerteld) und 
bob ihn gegen Ihre Excelleng. 

„Ih beflage fein Weib, welches geliebt wird, am 
wenigften dieje junge Königin, welche einen Pagen fand, 
jung, ftarf und begeijtert genug, um die Sflavenringe 
an ihrem Arm zu brechen! C8 klingt fo füß, es Elingt 
jo trüb ... Das Liedlein der Zufunft joll leben, Ey: 


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celleng!” Es lag eine dämonijche Gewalt in der Stimme 
Diefes Mannes, wie mit Zauberfäden umjtridte fie die 
Sinne und dazu lachte er... übermütig, beinahe frivol ... 

Leonie atmete tief auf, ja fie begriff e8, fie empfand 
e8, daß Paris diefen Feueraugen zujauchzen mußte, daß 
der Weg diefes Mannes mit roten Rojen gepflaftert 
war! Und er, der Göttliche, der Gefeiertite Europas 
fag an ihrer Seite, und flüjterte ihr ein Liedlein ing 
Ohr, — „das flang fo füß, das flang jo trüb...” wie 
ein Wirbelwind fafte e3 all ihre Gedanken. 

Cie blicte zu Xenia hinüber, fie fühlte, daß die 
fühlen Augenfterne auf fie gerichtet waren, jah, daß fic 
das Antlig der Komtejje höher färbte in diefem Augen 
bli, da Janek Procgna fein Glas fo oftenfibel auf das 
Wohl feiner Nachbarin leerte ... ein Gefühl unendlichen 
Triumphes jchmwellte Leonies Bruft. Der Erbherr von 
Proczna hatte nur Blide für fie, einzig für fie. 

„Sie werden alfo bleiben, längere Zeit hier bleiben?” 
fragte fie haftig. 

„Sp lange, bis Sie freiwillig die Zauberbande löſen, 
in welche Sie mid) geſchlagen“, jcherzte er entgegen. 

„Dann möchte e8 Ihnen gehen wie dem Kaijer Hein- 
rid) im Ilſenſtein. Apropos ... wenn Sie irgend welche 
Wünſche oder Anliegen haben, bei welchen allerhöchiter 
Einfluß vonnöten ijt, wenden Cie fi, bitte, fofort an 
mich, ich erfämpfe Shnen, was Sie wollen!” 

„Sie find eine intime Freundin der Prinzejfin 2” 

Um Leonies Mündchen zudte e8 wie Ironie. ,,Diejer 


— 327 — 


Begriff ift dehnbar. Auf alle Fälle befige ich einigen 
Einfluß auf die naive fleine Scele und bin, Gott fei 
Dank, ftet3 rechtzeitig zur Stelle, die jehr notwendige 
Borjehung zu fpielen.” 

„Aha!“ Gray Dynar lächelte und ftarrte jefiundenz 
fang in den perlenden Champagner hernieder. „Der 
Sclüfjel zu ihrem Herzen. Sehr begreiflic), wer ver- 
möchte einem derartigen Zauber und einer Liebens- 
wiirdigfeit wie der Ihren zu widerftehen !” 

Sie lachte furz auf. „Wir Frauen üben feinen Neiz 
auf einander aus, wenigjtens feinen foldjen, welcher Ein: 
fluß gemährt. In diejem Fall faun nur von einer Über: 
fegenheit die Rede fein. Zwijchen uns gibt es fein 
Demiitiges und harmonifches Anjchiniegen, jondern einfach 
ein ‚Sich-fügen!‘, über welchem die moralifche Rnute 
ſchwebt.“ 

„Das Recht des Stärkeren; auch der Geiſt hat ſeine 
Stechbahn, in welcher er ſich über andere zum Meiſter 
macht, und ſeinen Turnierplatz, auf welchem er die 
ſchwachen Gegner unter den Daumen zwingt. Wie gern 
mag ein jeder vor Ihnen das Knie beugen, Excellenz.“ 

Janek lenkte wieder in einen übermütigen Ton ein, 
die Wolke, welche unbemerkt über ſeine Stirn gezogen 
war, hinterließ nicht den geringſten Schatten. 

„Verehrteſter Graf!“ rief Auguſt Ferdinand lachend 
über die Tafel. „Ihre Komteſſe Schweſter behauptete, 
als Kind ausgeſprochen totes Haar gehabt zu haben, jo 
brennend rot, daß man ein Streichholz daran hätte an— 


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fteen finnen, ift das nur bösartige Rofetterie oder 
Thatjache 2” 

SanefZ Blick jchweifte über das Haupt Xenias, er 
zuckte unjchlüffig die Wchfeln. 

„Deſſen entfinne ich mich beim beiten Willen nicht, 
Königliche Hoheit, es ift jchon jo viele Jahre her! ... 
Meiner Anficht nach fieht doch rot und rot — und 
blond und blond jtet3 egal aus, leider habe ich fo gar 
fein Verſtändnis für die germanijden Abjchattierungen !” 

„Das beweijen Sie! ... Ercellenz Gartner, wenn Sie 
wieder einen Moment Zeit für Ihre alten Freunde haben, 
gejtatten Sie mir, Ihrer bei diejem Glaje zu gedenken !” 

Die Muſik jeßte fchallend ein, und die lachenden 
Stimmen jchwirrten lauter durcheinander ... 

E3 war, al8 wehe Schneeluft um Xenia, und doch 
war es heiß im Saal, jchwül und blumendurchduftet 
zum Erftiden. 

Warum muß Janel Procgna fich jujt vor den Triumph: 
wagen des einzigen Wejens jpannen, welches Gräfin 
Dynar verachtet und verabjcheut, welchem fie es am 
wenigjten gönnt, von ihm ausgezeichnet zu werden. Gön— 
nen? ... Sit es denn wirklich eine Ehre oder ein Glück, 
von dem Konzertjänger Janet Proczna Huldigungen zu 
erhalten? Sind denn die jtolzen, Hochmiitigen Damen, 
welche e8 unter ihrer Würde halten, mit einem Infan— 
terijten zu tanzen, urplöglich taub und blind geworden, 
daß fie danad) jagen, von dem Sohn eines polnijchen 
Flüchtlings überhaupt gewürdigt zu werden? 


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Mein, fie waren eben nicht taub geworden, fie ließen 
fic) von ein paar Liedern bezaubern und ftimmten finn= 
[03 in die Lobpojaune ein, welche Frau Reklame fo un: 
ermüdlich an die Lippen febte! 

Proczna fang Schön, — wunderbar ſchön, — aber 
um der Lieder willen den Sänger und feine Herkunft 
vergejjen?! ... Eine Gräfin Dynar ift’3 nicht imftande. 

„Er ift nur ein Trompeter, und Doch bin ich ihm 
gut!” flang e3 von der Kapelle herüber. Das rotblonde 
Haupt gucte in den Naden. Nimmermehr. „Sch wollt 
er wäre ein Ritter, ein Ritter vom goldenen Vließ ...” 
— ja dann! ... dann würde fie vielleicht ... 

Wie er lacht, wie er der jchönen Schlange an jeiner 
Seite die Worte mit flammendem Auge von der Lippe 
lieft, wie fie ifm mit taujend Netzen der Rofetteric 
umſtrickt! ... 

Anna Regina mischt fich in ihre Unterhaltung, felbft 
ihr blaſſes Gefichtchen färbt fid) höher, felbjt fie wird 
lebhafter denn je... 

„Ich Habe jo gar fein Verftänis für die germanijchen 
Schattierungen .. .” 

Es ſchwirrt in ihren Ohren wie jpöttifches Gelächter, 
jchlimmer noch, wie eine fühle, unendlich gleichgültige 
Stimme, diejelbe, welche jo leicht hinjagt: „Wird feins 
Das andere vermifjen’ . . . Nein, er vermißte jie 
nit — 

Xenia ſchrak empor, Auguft Ferdinand Hatte fid) mit 
der Frage an fie gewandt, ob Janek Proczna ein guter 


— 330 — 


und paffionierter Reiter jet, er beabjichtige ihn zur Teil- 
nahme an der Parforcejagd aufzufordern. 

Die Tafel war aufgehoben, man ftand in fleinen 
Gruppen plaudernd in den Nebenjalons. 

Während des Soupers hatte Donat viel Beit zu er— 
baulichen und bejchaulichen Betrachtungen gehabt. 

Er ſaß ziemlich entfernt von Bicy, fonnte jie aber 
jujt durch eine Lücke der Tafelaufjäge jehen und beob- 
achten. 

Die Worte Procznas hatten ihn viel zu jehr frap- 
piert, um jojort vergejjen zu werden, er überdachte das 
Gehörte jo lange, bis es ihm jchlieglich einleuchtete. 

Höchſt drollig, daß er das fleine Badfiichchen nun 
pliglich alg Dame betrachten foll! Fit fie denn wirklich 
jo niedlih, wie Proczna behauptet? Man jollte doch 
annehmen, daß fic) der Löwe de3 Tages und Protegé 
der Kaijerin Eugenie auf Weiberjchönheit verfteht! ... 
Ein Backfiſchchen! . . . Hm... gewiß die neuefte Marotte 
Parijer Gejchmads, eine „haute nouveauté“, von welcher 
man fic) im barbarijchen Deutjchland noch gar nichts 
träumen läßt. 

Scharmant, daß Proczna ein bißchen aus der Schule 
geplaudert hat! Fürſt Heller-Hiiningen ift ftolg darauf, 
zu den elegantejten und jchneidigiten Offizieren gerechnet 
zu werden. Er ijt der Erfte im Regiment gewejen, 
welcher englijche Moden, das Exterieur der Rennpferde 
betreffend, eingeführt hat — der erfte gejchorene Gaul, 
welcher auf dem Turf erjdien, trug das Wappen des 


— 331 — 


jungen Fürften auf den Eden jeiner Bahndede — er 
war der Erjte, welcher Mitglied des Jockey-Klub ge- 
worden ijt und die Uniform der Kaifer Franz Ulanen 
auf ausländischen Raceqrounds repräjentiert hat. 

Das neuejte Parfiim, ob englijcher oder franzöfijcher 
Marke, duftete in Deutjchland jeine „Premiere” im 
Taſchentuch Heller-Hüningens, und die modernfte Frijur 
gab von feinem Haupt das Signal zur allgemeinen Nach: 
ahmung; immer „d’apres la derniere mode!” und doc) 
ohne jeglichen gedenhaften Beigejchmad, welcher fo leicht 
aus der Eleganz eine Sarrifatur macht. 

Und nun hatte man in Paris ein neues Yeldgefchrei 
ausgegeben, unter welchem die jeunesse dorée ihre Lange 
für das Bacfijdtum brad! Brillant, Heller-Hüningen 
war in der That ein Glüdzpilz. 

Er neigte den hübjchen Kopf und jchaute durch die 
Eilberranten eines Tafelaufſatzes zu der fleinen Dame 
hinüber, welche es fertiggebracht hatte, einen Mann wie 
Sanef Proczna zu interejjieren! 

Das war aljo ein Nöslein mit fapriziöjen Dornen? 
Donat memorierte die Worte Janeks und prägte fie fich 
ſcharf ins Gedächtnis, dazu jah er fich feine Coufine 
Bicky zum erjtenmal im Leben aufmerfjam an. 

Neben Xenia jah fie allerdings aus, wie ein Perl- 
hühnchen neben einem goldgefrönten Schwan, aber den- 
noch war fie in ihrer Art allerliebjt, frisch und rofig 
wie der fleine Borsdorjer Apfel auf der Fruchtichale 
vor ihr, in welchen man jo recht mit Appetit hinein- 


— 332 — 


beifen möchte! Und dazu Hat fie fogar noch Rojen- 
dornen. 

Der junge Offizier nahm fic) vor, dem Gejchmad 
Sanef Procgnas mal ein bißchen auf den Zahn zu fühlen 
und dem Badfischchen nach dem Souper jein Kompliment 
etwas ausdrudsvoller wie gewöhnlich zu machen. Er 
hob jein Glas und nidte Bicky zu, zuerit fah fie es 
nicht, al3 aber Donat jeine Wünfche von Mund zu Mund 
an der Tafel entlang telegraphierte, da jchaute fie hajtig 
zu ihm herüber, wurde dunfelrot und ftrahlte über das 
ganze Geſichtchen. Nach Tiich Hatte er fid) dann auch 
bald zu ihr herangejchlängelt. 

Bicky jtand Hinter ihrer Mutter, welche fie frampf- 
haft an ihre Seite feffelte, und blickte ihm bereits mit 
leuchtenden Augen entgegen. 

„Küffe die Hand, Coujinden!” Donat3 Sporen 
flangen zujammen, er neigte den wohlfrijierten Kopf mit 
den beiden blonden Haarwellen, welche ihm tief in die 
Stirn lagen, und lächelte auf die ihm eigene, fo aufer- 
ordentlich liebenswürdige Art. „Warum haben Sie jic) 
bei Tijch fo folofjal weit von mir weggejegt, ich konnte 
Sie ja faum jehen!” 

„Aber Sie haben mir doch zugetrunfen!” entgegnete 
fie haftig, mit unverfennbarem Jubel, ,,und haben mir zu= 
genidt! Ach, und das Hat mich fürchterlich gefreut!’ 

„Auf Wort?” 

„Gewiß! Daraus merkte ich doch, daß Sie mir 
nicht mehr böje find!” 


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„Ih Ihnen böfe? ... Donat 30g die Oberlippe 
empor, daß die weißen Zähne durch den Schnurrbart 
bligten, da3 that er immer, wenn er fehr erjtaunt war. 
„Da weiß id) ja gar nichts von! ... Bitte, jchießen 
Sie dod mal [08, Coufinchen, was Sie eigentlich daz 
mit meinen ?” 

„Sie wifjen’3 nichtmehr ?!”... . Beatriceatmetehoch auf, 
„Sott jet Danf!!.. . ich war ja entjeßlich grob zu Ihnen!“ 

„Zu mir? Sit ja ſcharmant, ganz allerliebit, Bicyden, 
fchnell mal gebeichtet, was Sie begangen haben!“ 

Sie jenfte das Köpfchen. ,,Befinnen Sie fi) nur, 
vorhin ... wie Sie mich wieder am Zopf zogen!! Wiſſen 
Sie da nicht mehr, wie ich Sie angejchrien habe?’ 

Donat hatte feine Ahnung. „Na wie denn?” 

Des Backfiſchchens Kinn fant noch tiefer auf die 
Brujt, heiße Glut flammte auf den Wangen. „Sie thun 
nur jo, Donat, und dabei find Sie gewiß aufs tiefite 
beleidigt ... aber wirklich“ — ihre dunklen Augen hoben 
fich mit flehendem Aufblid — „ich habe e3 nicht jo arg 
gemeint, und wenn ich auch wirklich ,frecher Kerl‘ gejagt 
habe, fo war es nur in...” 

„Frecher Kerl?! ... Frecher Kerl haben Sie mich 
genannt?! ... Das ift ja göttlich! Das ijt ja ganz 
famos!!” und Fürſt Heller-Hüningen bog fic) vor Lachen. 
„Denn das Proczna hört, wird er mich beneiden, als 
hätte man mir das Großfomthur um den Hals gehängt! 
Frecher Kerl!! ... a la bonne heure, Bidychen, Sie 
find ein ganz veizendes Mädel!” 


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Mit großen Augen blidte fie ihn an, fein außer: 
ordentliches Vergnügen an ihrer Unart war ihr abjolut 
unverftändlich. 

„Sp haben Sie e3 mir nicht übel genommen?’ fragte 
fie ganz betreten. 

Er jtüßte fic) mit beiden Händen auf die Sefjellehne 
und blickte ihr plößlich ganz ernithaft in das Gefichtchen. 
„Im Gegenteil, ich preije mich glüdlich!” jagte er mit 
einem Pathos, das jtarf nach „auswendig gelernt” Klang. 
„Ber fon jo viel wie id) von der Welt gefehen, und 
die Blumen in aller Herren Länder gepflüdt hat, der 
weiß den entzüdendften aller Neize, den Nojendorn, am 
beiten zu jchäßen, und der ‚freche Kerl‘ war ein Roſen— 
dorn. Glauben Sie mir, Beatrice, ic) liebe die Waffe 
in der Männerhand ebenjo jehr, wie den bligenden 
Kampfruf im Auge finer VBackjijche, denn beide jpornen 
mich an, den Sieg zu erringen!” 

„Aber Donat ... das verftehe ich ja gar nicht!” 

„Ich aud) nicht!” dachte Hüningen, aber er ſprach's 
nicht aus, fondern machte ein geradezu geijtreiches Ge- 
fiht. „Sie werden nod) öfters Dinge aus meinem 
Munde hören, über welche man nachdenken muß.” 

Bidy legte mit angjtvollem Blic die Händchen zus 
fammen. „Ach nein, lieber Donat, um Gottes willen 
fprechen Sie nicht fo unverftändlich zu mir, es ift ja gar 
zu jchredlich für mich, wenn einer fo flug ijt!” 

Der Vorwurf war dem jungen Fiirjten bis jebt 
nod) nie gemacht worden. Schalt und Übermut bligten 


— 335 — 


in feinem Auge, und doch ſchmeichelte dieſe erfte naive 
Bewunderung jeiner Citelfeit dergeftalt, daß er fich vor: 
fam, wie ein Kägchen, dem man den Pelz fraut. 


jäher Gedanfe 
durchzudte ihn. 
Er warf fich in 
die Bruft und 
jah das fleine 
Fraulein voll 
graujamer Herz 
ausjorderung 
an. „Bicky, 
wiſſen Sie viel⸗ 
leicht, wer das 
Mädchen von 
Dom Remi 

war 2” 

Die Kleine 
jchnappte förm⸗ 
lid) nad) Luft 
vor Schreden. 
„Ich werde Miß 

Davenport 
heute abend 


noch fragen” . 


. . ftotterte fie. 


„Bidy... wiffen Sie, wag ein Torfo ijt?” 


„Nein! ... 


ach um Gottes willen, was denn?!“ 


„Bicky ... wo ſteht die Emilie Galotti?“ 


Ein 





— 336 — 


„Meinetwegen vor dem Bremer Rathaufe!” Mit 
zornigem Aufblid fdhiittelte fie das Köpfchen und jeßte 
den fleinen Fuß energifder wie gewöhnlich auf, „Sie 
denfen wohl, Sie miiffen mich noch eraminieren wie 
einen Studenten, der fein Eramen madjen will?! Ich bin 
fein Schulfind mehr und brauche nicht mehr zu lernen! 
und wenn Sie jo gewaltig flug find, daß Sie alles wifjen, 
jo haben das andere Leute noch lange nicht nötig!” ... 

Ein Gefühl voll unendlicher Genugthuung fchwellte 
die Bruft des jungen Offizierd. Endlich mal eine, die 
er noch erfolgreich eraminieren fonnte, die fic) nicht vor 
ihn Hinftellte wie Gräfin Xenia, die Hände über den ver- 
lorenen Sohn zu ringen! Nun waren doch einmal die 
Nollen getaucht, und Fürſt Heller-Hüningen erntete 
endlich auf einem Felde Lorbeer, wo er bis jegt nur 
Diſteln gepflüdt. 

Er jah die trogige fleine Dame mit einem jener 
tiefen, umwiderjtehlichen Blide an, weldje jchon fo oft 
Wunder bei ihr bewirkt hatten. 

„Sol id) fünftighin Ihr Freund fein, den Sie ftet3 
um Nat fragen, wenn Sie etwas nicht willen follten 2” 
fragte er mit einem Geficht, welches deutlich zeigte, wie 
brillant er fid) amiifierte. 

Sie nickte haftig, aufs höchſte überrafcht. 

„Bon, fo werde ich mir jofort ein Ronverfation3- 
lerifon zulegen, und dann — dann fann ich Ihnen jelbft 
jagen, wie’3 einer Jungfrau zu Mute ijt, wenn Ihr 
Herz zur Liebe erwacht!“ — — — 


— Im 


Janek Proczna lavierte fid) mit zahllofen „pardons” 
durch die Schleppen, welche gleich farbigem Ranfengewirr 
die Füße umſtrickten. 

„Wohin wollen Sie Ihre Feder blajen, Graf?” fragte 
Anna Regina lächelnd. 

„So viel ich hörte, ift Fran Leutnant Gower eine 
vorzügliche Rlavierjpielerin, Königliche Hoheit; ich be— 
abfichtige, ihr mein Kompliment zu machen und um Vers 
zeihung zu bitten, daß es erft jest gejchieht! Die That- 
jade, daß ein Sternenhimmel nicht mit einem Blick in 
allen Einzeljchönheiten gewürdigt werden faun, muß meine 
Entſchuldigung ſein!“ 

Die Prinzeſſin nickte ihm freudig, faſt dankbar zu, 
Leonie jedoch trat ſchnell näher und lachte leiſe, aber 
unendlich ſarkaſtiſch auf. „Die Gower begrüßen, ſie um 
Verzeihung bitten? ...“ Sie ſchüttelte den ſchönen Kopf: 
„hören Sie mich einen Augenblick an...“ 

„Aber liebjte Excellenz — fo lajjen Sie ihn doch 
gehen, die arme Frau jteht wieder jo gänzlich iſoliert!“ 
warf Anna Regina in fait bittendem Tone ein. 

„Ganz recht, Königliche Hoheit! Man läßt fie fiten 
wie die Trumpf-Sieben !” 

Leonie überhörte Procgnas Einwurf, fie wandte fich 
der Prinzejjin zu und blickte fie groß an, damn neigte 
fie fic) ſchnell und flüfterte ihr etwas Hinter dem Fächer 
zu. Janek verjtand Wort für Wort: „Ich bitte Hoheit 
dringend, meine Pläne nicht zu durchkreuzen, jonjt über- 
nehme ich feinerlei Garantie, daß die Komödie ‚Don 

N.v. Ejhftruth, IL. Rom. u. Nov, Polntih Blut IL 22 


— 338 — 


Carlos‘ ohne tragifdes Nachipiel bleibt!” Dann drehte 
fie wieder das Köpfchen aufladend zu Proczna und fuhr 
fort: „Wie die Trumpf-Sieben, vortrefflich gejagt. Laſſen 
Sie fic) aber nun aud) die Spielregeln zu dieſem neueften 
‚Schach der Königin‘ mitteilen!” Prajidentin Gärtner 
winfte ihm mit dem Fächer einen Schritt abjeits zu 
treten, und Qanef verneigte fic), warf noch einen 
fchnellen Blicf auf Anna Reginas verändertes Antlig 
und folgte. 

„Ich habe feine Zeit, Ihnen jegt die ganze Affaire 
auseinanderzujeßen, mon ami!” lächelte Leonie wie eine 
Unjechuldstaube zu ihm auf, „Dazu müfjen Cie mir ein 
Stündchen opfern und fich bei einem Tetesastete in meinem 
Boudoir langweilen — wollen Sie fommen ?” 

„An die Berechtigung zu einem Zweifel darüber glauben 
Sie felber nicht, Excelleng!” flüfterte er mit fajt vorwurfs— 
vollem Blid. 

„Eh bien, und wenn Gie fommen ... iſt's als 
Freund?” 

„Freundſchaft ijt ein häßliches, lauwarmes Wort für 
einen, in deſſen Adern heißes Polenblut rollt und für 
einen ... der in allen Wünfchen unbejcheiden ijt!” 

Das Goldlaub auf Leonie Bruft erzitterte. „Haß 
und Liebe lodern allerdings in glühenderen Flammen 
empor, aber fie brennen gar leicht zu Tod!” 

Er lächelte wunderlih. „Sie führen in vorfichtiger 
Weiſe Ihren Kahn nur am glatten Ufer entlang, Excellenz, 
mich lodt’3 in Sturm und Flut hinaus.’ 


— 339 — 


Shr Blick brannte in feinem Auge „O, daß ich 
einen Fährmann fände, der mich mit fic) nähm'!“ 

„Meine Fahrt ift wild und unficher, wer fid) in 
mein Schifflein wagt, muß darauf gefaßt fein, an Klip- 
pen zu jcheitern und von feinem eigenen Ruder in die 
Tiefe gezogen zu werden. Haben Sie den Mut, e8 mit 
mir aufzunehmen ?” 

E3 lag eine faft ironijde Herausforderung in der 
Stimme des jungen Mannes, aber Leonie fah nur fein 
dunkles, leuchtendes Auge und das ftumpfte ihren Echarf- 
bli. Jähe Röte flog über ihr Antlig; fie winfte haftig, 
wie beraujcht vom Dufte giftiger Blüten. 

„Mehmen Sie Ihre Lieder mit an Bord, und Wind 
und Wellen gehorden ung! ... Und nun gehen Gie 
und machen Sie die Cour, wo Sie wollen, nur nicht bei 
gorau Gower!” 

„Sagen Sie mir ganz furg den Grund dafür”, bat er. 

„Eh bien. Leutnant Gower ift gegen meinen jpeciellen 
und der Ulanen allgemeinen Wunjd Adjutant beim Prinz 
zen, und infolgedefjen jamt feiner Frau Gemahlin unferer 
erklufiven Gejellfchaft aufgenötigt worden —“ 

„Gower joll ein ausgezeichnet befähigter und tüchtiger 
Dffizier fein!” 

„Aber befter Proczna — das ift mir doch grengen- 
[03 gleichgültig! Mag er im Dienft jein, was er will, 
im Salon ift er Iteif und langweilig, und das genügt, 
um ihn unmöglid gu maden! Da der Mann nicht 
freiwillig geht, muß man ihm den Stuhl vor die Thür 

22* 


— 340 — 


feßen, und wie Sie fehen, befolgt man meinen guten 
Rat allgemein und läßt beide Gowers figen wie — die 
Trumpf-Sieben !” 

Ein leijes, boshaftes Auffichern, Janet aber lachte 
ganz unbändig und applaudierte. „Brillant, Excellenz! 
Die Kleine Intrigue ijt ja föftlich und ſoll an mir einen 
eifrigen Verbündeten finden! Bardon — wen wollen 
wir denn beim Prinzen einjchmuggeln ?” 

„Meinen Kleinen Freund Flandern, der avancieren 
muß! . . . Ich fage Ihnen, Kavalier bis in die 
Fingerjpigen, und dabei ein Charatter, welcher einer 
derartig einflußreichen Stellung gewachjen ift und doc) 
aud) wieder ein Wort mit fich reden läßt.” 

„And feine jonftigen Fähigkeiten ?” 

Leonie zucte die Achjeln. „Mon Dieu, was weiß 
id)... feine Schwadron hat wahnfinnige Manfchetten vor 
ihm ... fpringt am beiten von allen ... und Feſte und 
Partien arrangiert er und malt in Aquarell ... ent: 
züdend! Immer Fader!” 

„Selbftverftändlih! ... Alfo Flandern! Natürlich 
muß Flandern lanciert werden! Ganz Ihrer Anficht, 
Excellenz ... werde mal all meine Malice zuſammen— 
ichütteln und einen Schlachtplan ausdenfen! ... Wh, ein 
Gedanke! Ich werde Frau Gower fo tüchtig blamieren, 
daß fie das Wiederfommen vergift! ch bitte fie bei 
der nächjten mufifalijdjen Soiree, mich zu accompags 
nieren, und finge dergeftält, daß fie irre werden muß, 
daraus läßt fich ein eflatante3 Fiasko injcenieren.” 


— 3414 — 


„Superb, lieber Graf, cine Götteridee!“ jauchzte 
Excellenz, „die Perſon ſoll über 
Nacht graue Haare bekommen!“ 
„Sorgen Sie nur dafür, 
daß ſie einge⸗ 
laden wird, 
Sie Allmäch 
tige!“ 
„Ver⸗ 
laſſen Sie 
ſich darauf.“ 
„Die 
Herrſchaften 
verabſchie⸗ 
Den ſich ... 
Ufo für 
morgen au 
revoir, Er: 
cellenz, der 
erjte Weg 
führt mich 
zu Ihnen!” 
Kenia 
jtaud wie zu Anfang des 
Abends und nahm Die 
Lebewohls entgegen. 
Janek verneigte fich gulegt vor ihr. „Ich verdanfe 
Ihrer Liebenswürdigfeit einen außerordentlich angenehmen 







— 342 — 


Abend, Kenia!” fagte er heiter, „ich hätte nie geglaubt, 
daß im hohen Norden eine fo warme Winterfonne fcheint.” 
Und damit flog fein Bli zu Leonie hinüber, welche juft 
durch die Thür fchritt. 

„Hüten Sie fic) vor ihr, fie blendet die Augen, welche 
allzulang und vertrauenzjelig hineinſchauen!“ Sehr fühl 
fang e8, und dennoch ganz anders wie jonit. 

„Nehmen Sie wirklich fo viel Anteil an meinem Schid- 
fal?’ — — Um jeine Lippen zudte e8 wie Spott. 

„Nur injofern, als es die allgemeine Menjchen: 
freundlichfeit gebietet. Wenn ein Bettler am Abgrund 
fchläft, lafje ich auch iff aufweden und warnen!” 

„Sie lafjen es thun, und um mich bemühen Sie fid 
perjinlid)? ... Vergeffen Sie nicht, Gräfin Xenia, daß 
unter dieſem feitlichen Kleid auch nur polnisch Blut in 
den Adern freijt, daß fid) Hinter der neunginfigen Maste 
doch nur eines Jnjurgenten und eines Bettler3 Sohn 
verſteckt!“ 

Er hatte es leiſe geſagt, hatte ihr voll und feſt dabei 
in das Auge geſehen ... dann warf er keck den ſchönen 
Kopf zurüd und wandte fid) zu Drachs, welche foeben 
alle drei herzutraten, um ihn voll aufrichtiger Herglichfeit 
einzuladen, ihr Haus als das jeine zu betrachten! Janek 
acceptierte fehr erfreut und verficherte, daß er in Zukunft 
das tägliche Brot bei ihnen fein werde; dann blidte er 
gewifjermaßen erwartung3voll auf Xenia. 

Sie hatte fic) abgewandt und ſchwieg. So ging er. 

Mit haftigen Schritten jprang er die Treppe hinab. 


— 343 — 


Die meiften Equipagen waren fehon davongefahren, nur 
da3 elegante Gejpann Procgnas und der Mietwagen 
Gowers warteten nod). 

Die Engländerin wollte foeben einfteigen, ihr Mann 
bezahlte den Kutjcher. 

Mit Ichnellem Schritt ftand Janet an ihrer: Seite. 
„Seltatten Sie, gnädigfte Frau, daß ich Ihnen behilflich 
bin?” fragte er in ausgejucht liebenswürdigem Ton, 
faßte ihre Heine Hand in dem unförmigen Überzich- 
handſchuh und hielt den Schlag zurüd. Faſt entjekt 
wandte fie den Kopf zu ihm herum. Der Schein der 
Laterne fiel auf ihr blafjes Gefichtchen, überjtrömt von 
Thranen. 

„Ich bitte taufendmal um Vergebung, gnädigfte Frau, 
daß ich erjt jebt Gelegenheit nehme, mich Ihnen zu 
nähern, und hoffe, daß Sie mir geitatten, das Verjäumte 
in einer baldigen Vijite nachzuholen ... au revoir!” 

Und er neigte fi), 30g die Hand der jungen Frau 
an die Lippen, lüftete furz den Hut vor dem Adjutanten 
und trat an feinen Wagen zurüd. 

Ein faum hörbares „Tauſend Dank!” hallte ihm 
nad, dann jchmetterten die Hufe über das Pflaſter. 

Proczna warf fid) in die jchwellenden Atlaspoliter 
zurüd, jeine geballte Hand prefte fich gegen die Stirn 
und der Blick fchweijte hinaus in das Dunkel... noch 
ging feine Morgenjonne auf, aber e8 war, al3 ſchimmere 
ſchon jebt ihre Nöte verheigungsvoll durd) die Nacht. 


= 344 = 


Auch Grafin Xenia ftarrte mit brennenden Augen 3u 
dem Nachthimmel empor. 

Sie ftand im Grfer, tiefe Stille war's um fie ber, 
verraujcht und verflungen alle Lieder und Worte, nur 
wie ein Echo hallte es noch träumerisch durch die Seele. 

© ihr wunderfüßen Lieder! ... 

Wie Tautropjen waren fie auf ihr durftig Herz ges 
fallen, augenbliclich ein Baljam, aber für die lange, ſtille 
und einjame Nacht nagend Gift, brennende Funfen. 

Mechanijd) war Kenia an den geöffneten Flügel ge- 
treten, über defjen glänzende Taſten joeben noch feine 
Hände geglitten waren, all die ſüßen Bauberweijen her: 
vorzuloden! leiſe ftrid) fie darüber Hin, falt wie Cis 
fühlten fie ſich an. 

Ein Bettler... der Sohn eines Ynfurgenten! 

D ja, es gehörte Mut dazu, angeficht® der einge: 
fleijchteften Arijtofratie die Stirn zu heben und die Wahr: 
heit zu befennen, viel Mut und viel Stolz, und viel 
eijenfefter Wille, um jo alles unter die Füße zu treten, 
was fonft die Welt als Gigen anbetet! Sie fah Janet 
Proczna nod) immer vor Augen, die hohe, ritterliche 
Geftalt mit dem edlen Haupt und der marfigen Bruft, 
welche e3 verjchmähte, die Ordensfette gu tragen, deren 
Sterne ja doc nur Talmi waren gegen das Gold, 
welches jeine Lieder in bligenden Funten verjprühten! 
Warum mußte gerade diefer Mann fo tief aus dem 
Staub emporgehoben, warım mußte gerade er dem Grafen 
Dynar auf die Schwelle des Schlofjes gelegt fein! ... 


— 31 — 


Wie ein Fröfteln ging es durch die Glieder der Traine 
merin, fie wandte das 
Haupt und jchaute fich in 
dem Eaal um, — — ganz 
allein! 

Warum empfand fie e8 
plötzlich? War fie 
pee fic) doc) noch nie 
mals im Leben eine 
m jam und vers 















laſſen vorgekommen! 
wae kD jal dod)... 
Damals in der Mor: 
genfrühe, als der Erbe 
von Proczna hinaus 
in Die weite Welt ging, 
trotzig, kühn entſchloſſen, 
als ein Mann, vor welchem ſie das Auge niederſchlagen 
mußte! Da war es auch fo öde und leer um fie her 





— 346 — 


gewefen, da Hatte ihr Herz gebebt wie in dieſem 
Augenblic! 

Die Kerzen fladerten und malten ihre Schatten gegen 
die weiße Atlasportiere, leije Schritte flangen Hinter ihr. 
Kenia jchraf zufammen wie ein furdtjames Kind. 

Die Diener widen bei ihrem Anblid betroffen zurück. 
„Bir wollen die Lichter auslöjchen, Gräflicde Gnaden!” 

Die Komtefje wintte haftig zuftimmend mit der Hand 
und fchritt nad) ihren Gemächern, die Veilchen in ihrem 
Haar waren verwelft, aber tiefinnen im Herzen, da war 
e8, al3 ob ganz zaghaft und leije ein grünes Blättchen 
das Haupt über Cis und Schnee erhöbe, wie ein lieb- 
licher Bote des Frühlings. — — 


— 





XV. 


er Kommandeur der Kaifer Franz-Ulanen, Prinz 

Neufjef, war in der ganzen Armee als ebenjo 

vortrefflicher wie pajfionierter Reiter befannt, 
dejien hervorragendes Verdienſt es war, in feinem Re- 
giment den jchneidigiten und favallerijtijdften Geift zu 
tultivieren. — Seine Schwadronen waren muftergültig 
und die Leitungen derjelben renommiert, ein flotter, oft 
an das Tollfühne ftreifender Zug befeelte Offiziere und 
Mannſchaft, und die verjchiedenen Reiterſtücklein, welche 
von Zeit zu Zeit die militérijden Kreiſe alarmierten, 
gtengten an das Sagenhafte. Darin gipfelte der Stolz 
des Regiments; die Offiziere überboten einander und die 
einzelnen Züge wetteiferten, den ftet3 fich fteigernden An- 
forderungen ihres Kommandeurs gerecht zu werden, — 
weld) eine hohe Genugthuung war es und welch ein 
fHftlider Lohn, wenn bei den großen Manövern Die 
Kaijer Frang-Ulanen fich hervorthaten vor allen anderen, 
wenn fie Unmögliche8 möglich) machten und wenn ein 
töniglicher Reitergeneral mit jtolzem Beifallsniden dem 


— 348 — 


Regiment den neuen Beinamen: „Reuſſeks wilde, ver: 
wegene Jagd!” zulegte. Darum lujtig drauflos geritten! 
— Borwärt3 durch dic und dünn, über Gräben, Heden 
und brennende Hürden, Reuſſek jagt voran... Hurra 
die RKaijer Frang-Ulanen! — 

Die alte Reitbahn genügte den Anforderungen des 
Regiment nicht mehr und wurde durch eine neue, zweck 
entjprechende, welche Pring Reuſſek fic) zum Privatver- 
gnügen hatte erbauen lafjen, erjept. 

Das leerjtehende Gebäude war in eine Art Spring- 
garten umgewandelt und jpeziell zu Neitübungen während 
des Winters bejtimmt, vornehmlich hier war e8, wo die 
Offigiere mit ihren Damen Quadrillen einübten, wo 
Jagden geritten und die jämtlichen Parjorceftiiclein ge- 
probt wurden, welche jpäterhin auf Turf und Rennbahn 
Senjation erregten. 

Mittenhin durch das Reithaus lief eine mäßig breite, 
von Neijerheden begrenzte Bahn, an deren Anfang ein 
beträchtlicher Abjprung aufgejchüttet war. 

Die Hindernifje entjprachen volljtändig dem Spring: 
garten auf dem Ererzierplag draußen, zuerjt eine Hürde, 
Doppelhürde, eine Mauer, und jchließlich der Graben, 
Defjen außergewöhnliche Breite jofort fennzeichnete, wefjen 
Kommando den Sprung darüber befahl. 

Eine ſchmale Tribüne lief längs der rechten Seiten- 
wand, für das exflufive Publikum bejtimmt, welches den 
Übungen und dem Mufikreiten des Ojfigierforps bei: 
wohnte. Die Sonne malte helle Streiflichter durch die 


— 349 — 


langen, fchmalen Fenfter, zwiſchen welchen noch die Fahnen, 
Echilder und welfen Tannengewinde eines legtvergangenen 
Kojtümpotpourris, von Lohe überjtäubt, ein furzes Da: 
fein frijteten. 

Lautes, jehr übermütiges Leben pulfierte bereits in 
der Bahn. 

Eine Auslefe der edelften Raffepferde tänzelte über 
den weichen Boden; ungeduldiges Wiehern und Scharren 
ertönte auf dem runden Vorplag, wojelbft die Burjchen 
ihre vollmähnigen Schüßlinge bis zur Ankunft der Herren 
bewegten, von gewaltigen Nüden umfprungen. Eine ziem— 
li) vollzählige Gejelljdajt war, bereits erjchienen, die 
Tribünenthür flappte ununterbrochen, Equipagen rollten 
auf dem Pflafter. Gräfin Kany, in jchreiend rotem 
Sammethut und didem Pelzkragen trat mit Excellenz 
Gärtner zu gleicher Zeit ein, jchritt zu der Holzbrüftung 
und injpizierte, Huldvollit nach allen Seiten in die Bahn 
herunternidend, das Terrain. 

Flandern begrüßte Leonie, ließ durch die „Bahn du 
jour” zwei Stühle für die Damen herzurüden und nahm 
noch „für einen Augenblid” an ihrer Seite Plab. 

Die ſchmale Treppe empor flirrten Sporen, Fürjtin 
Neufjek, fehr echauffiert und bejtaubt, die lange Schleppe 
des Neitkleides über dem Arm, gefolgt von ihrem Mann 
und etlichen jüngeren Offizieren, trat ein und ließ fich 
mit einem lauten Seufzer der Erjchöpfung auf einen Platz 
neben der Hofdame niederfallen. 

„Srüß Gott, Kanyden! — "Morgen, Excellenz ... 


— 350 — 


Gott fei Dank, daß ich das Knie mal wieder ftreden 
fann! — Zwei Stunden auf der ‚Satanella' ... Das 
ift mehr, al8 normale Muskeln aushalten finnen! — 
und dabei einen Ldwenhunger! Aber nad) Haufe gehe 
ic) um die Welt nicht — Proczna will fich ja noch produz 
zieren!” 

„Haben Sie Niechjalz bei ſich, Durchlaucht? Wenn 
der Göttliche nun cine Lerdhe jchlägt!!” 

„Ben Anblic bin id) aus Ihren Avantageurtagen 
fo gründlich gewöhnt, lieber Sensfeld, daß er mich nicht 
mehr nervös macht! 

„Bravo! — Stellen Sie fid) in die Ede, Kleiner! 
Apropos ... eben find Procznas Pferde gelandet, ein 
Araber dabei, meine Herren ... das Nonplusultra!” 
und Rittmeijter Graf Hechelberg füßte wahrhaft verzüdt 
Daumen und Zeigefinger. 

Wie ein eleftrijcher Strom ging e3 durch die Ulanen. 
„Exit ins Maul fehen! ... Erft drauf figen!! — Bor: 
wärt3, Messieurs, zur Kritik!“ jchallte e8 durcheinander. 
„Guten Morgen, gnädigfte Frau! ... Habe die Ehre, 
mein gnädiges Fräulein! ... Servus, Bidy!!” und wie 
da3 wilde Heer flirrte und rajjelte e8 an Frau von Drach 
und Beatrice vorüber, die Treppe wieder hinab. Die 
Gräfinnen Dynar, Ettisbach und Tarenberg, welche zu 
Pferde bereits ein paarmal die Tour außerhalb um die 
Springbahn geritten hatten, dirigierten ihre glänzenden 
Renner nad) der Tribüne und begrüßten die anwefenden 
Damen. 


— 31 — 


Kenia ritt einen prächtigen Goldfuchs, mit einem 
duferft eleganten, weißjei- 
denen Zaumzeug, wappen- 
gejtidtem Stirnband und 
Rojetten in den Dynarjchen 
Farben. Wahrhaft finig- 
lich ſchwebte ihre jchlanfe 









Figur im Sattel, durd) die ſchlichte Einfachheit der Toi- 


— 32 — 


lette jeltjam gegen ihre beiden Gefährtinnen abitechend, 
welche in pelzbejegten ungarifchen Samtjaden und den 
vieredigen Mützchen mit fedem Neiherjtuß fehr aller: 
liebft, aber auch recht unternehmend ausfahen. 

Die beiden Damen, „les inséparables”, zogen fich 
feit einiger Zeit meift gleich an, nur durch die Wahl ver: 
ichiedener Farben das allzu Echweiterliche mildernd. 

Kenia liebte im Sattel weder Buntes noch Auffallen= 
des, höchſtens, daß fie, wie heute, ihr jchwarzes Tuch— 
fleid mit einem Schneeglodenjtrauß ſchmückte. 

Laute Gelächter und eine allgemeine Bewegung in 
der Nähe der Bahnthür annoncierten Frau von Hoj- 
ftraten. 

„Ra Sinner, nu man ene ganze Portion Play, 
ichallte e8 in der derben Weife vernehmlich durd) das 
Reithaus. Auf majfivem Apfelichimmel, dem nicht un- 
beträchtlichen Gewicht der Reiterin angemefjen, jprengte 
Frau von Hofitraten in die Bahn, direkt in den Spring: 
garten und nahm mit lautem „Hepp, hepp” in jchärfitem 
Tempo, jehr ficher, wenn auch ohne jegliche Grazie, die 
fämtlichen Hinderniffe. 

Shr Mann folgte ihr — ernft, gemefjen, mit außer: 
ordentlicher Eleganz, leicht und meijterlich flog fein Rappe 
über Hürden, Mauer und Graben — wahrhaft lautlos 
gegen den dröhnenden Hufjchlag des Vorgängers, unter 
welchem die Echollen bis hoch auf die Tribüne fprühten; 
— jelten mochte man ein verjdjtedenartigeres Ehepaar 
finden. 


— 353 — 


Lautes Bravo und jubelnder Zuruf erfannten die 
Leiftungen der Frau Nittmeijter an, Fürft Heller-Himingen 
recitierte in ausnahinsweije richtigem Wortlaut: „Wo 
alles liebt, fann Karl allein nicht haſſen!“ vitt jcharf an 
und jolgte dem Beijpiel des jchmeidigen Hollands — 
Weyer-Sensjeldt auf englijdem Vollblut hinterdrein. 

„Proczna kommt!” — Wie ein Wlarmfignal tönte 
e3 von der Zribüne und lief jubelnd von Mund zu 
Mund. 

Graf Hechelberg winfte haftig die Offiziere zufammen. 
„Ohren jteif, meine Herren! Müſſen dem Parijer zeigen, 
wie Frang-Ulanen reiten! ... Hahaha! ... Legt ihn 
mal fejte rein, Kinder, — Reuſſek hat die Pechhürden 
in petto ... muß Maul und Naje aufiperren der Bois 
de Boulogne-Reiter und Rejpeft vor der Ulanfa friegen! 
... Aljo vorwärts ... Hepp, hepp!!“ 

Flandern drehte jeinen Echnurrbart noch fteifer in 
die Höhe. — Bidy hatte recht, er fah aus wie der Pit: 
Bube, namentlic) in diejem Augenblik, wo er jo eigen- 
tümlich vor fic) hinlächelte und jtarr auf den jchwarzen 
Flecken in der Wandtünche blicte — jein Auge wurde 
förmlich ſpitz. 

Proczna trat zu Fup ein, um die Herrichaften erit 
zu begrüßen und Bring Reujfef pro forma nochmals um 
Erlaubnis zu bitten, al3 Civilijt in der Bahn zu reiten. 
Mit lautem und ehrlihem Willfommen umdrängten ihn 
Die Herren. 


„Na, Proczna, wollen Sie’s weiß Gott riskieren?“ 
N.v. Eihftruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II 23 


= Sh 


lachte Graf Hedjelberg mit vergniigtem Augenzwinkern, 
„bier weht die Luft der Franz-Ulanen! Haben Sie feine 
Angit, daß fie für Ihre Gaule zu fchneidig ijt?” 

Janek zudte lächelnd die Achjeln, und Xenia, welche 
nebjt den andern Damen herzugeritten war, lädyelte 
ebenfall3 till vor fic) Hin. 

„Es tonımt auf einen Verſuch an, verehrtefter Graf, 
meine Pferde haben ſchon in jo viel verjchiedener Tem: 
peratur geatmet, daß id) eigentlich annehmen follte, fie 
werden fid) auch hier afflimatifieren !” 

„Gutes Zutrauen ift fchon was wert! Sagen Sie 
mal, Sie Mann der Kehle, haben Sie eigentlich ſchon 
mal mit Hindernifjen geritten 2” 

„a — jo hier und da ift mir aud) ſchon mal ein 
Ninnitein vorgefommen, über den mein Araber glüclich 
wegkam.“ — Qanef machte ein Gejicht, welchem man 
nicht jo recht anjah, ob er im Ernjt oder Scherz fprad. 
„Gar zu did dürfen mir die Baummurzeln allerdings 
nicht fommen, und das Tafchentuch darf auch niemand 
in der Nähe herausziehen ... geichweige niejen! .. .” 

„Haha! ... Hören Sie mal, der Gedanke ift mir 
auch fchon gefommen!” Frähte Weyer mit einem Schlag 
auf die Schulter des Sängers. „Ihr Araber ift ein 
Kapitalgaul — aber ein Temperament hat er, daß man 
Angſt befommt, wenn man fic) auf fold ’nem Satan 
in die Rennbahn denkt!” 

„Slauben Sie, daß der Racer fic) gutwillig von 
ung muftern lieg? — Der verträgt ja faum das An— 


— 355 — 


jehen — wird fchon kitzlich, wenn Flandern mit feinem 
Scnurrbart in der Nähe vorübergeht !” 

„Sa, er hat leider foloffal viel Muden ... ijt ein 
rechter Blender!” nidte Proczna gelajjen, „aber mit der 
Beit wird er gahm .. .” 

„And Ihre Knochen gejchmeidig!! — Machen Sie 
feine Schnafen, Proczna, und riskieren Sie nicht das 
Genie auf jolhem Halsbrecher! Mein Gott, der Menjch 
fann doch nicht vollfommen jein! Sie fingen wie Apoll, 
warum wollen Sie dem Mars aud) nocd) an den Lor— 
beeren rupjen! — Juckern Sie jpaßeshalber ein bißchen 
mit una bier in der Bahn herum, aber lafjen Sie den 
Araber aus dem Springgarten!” 

, dante taujendmal für Bhre Fitrjorge, verchrteiter 
Nittmeiiter.” Procgnas Blick ftreifte Xenia, welche das 
Spigentuch aus der Brujttajde zog und es gegen die 
Lippen hob, „Sie wijjen gar nicht, wie jelbjimörderijch 
es mir zu Sinn ift, vielleicht lockt mich fold) kühner 
Neitertod .. .” 

„Reden © feine Matulatur, Befter! Kinner, if hab’ 
alle Manjchette vor dem Proczua fein Armfündergeficht! 
De Kerl hat’3 fauftdie hinter de Ohre!” — — 

„Ra zum Rudud, als Kürajjieroffizier wird er ja 
reiten fönnen!” lachte Flandern mit taufend Fältchen 
um die Augenwinfel, „und meiner Überzeugung nach ge= 
wif} jo vortrefflich, daß ifn die paar Jahre ‚außer Übung‘ 
gewiß nicht lahm gelegt haben! — Beweiſen Ste e8 diejem 


Ungläubigen, Berehrtejter, und probieren Sie mal Fhr Heil 
23* 


— 356 — 


an meiner Fuchsitute! Wenn Sie die vom Flecke friegen, 
ohne daß fie zuvor wie bejejjen mit allen vier Beinen 
zugleich in die Luft geht, will ich Ihnen als Zeichen 
meiner Hochachtung eine Ratte mit Trichinen eſſen!“ 

Hechelberg jtemmte die Arme in die Seiten und bog 
jeine forpulente Gejtalt vor Lachen, Proczna aber jchlug 
fihtlih) amüjiert in die Dargebotene Hand Flanderns ein 
und fagte: „Ein Opfermut ijt des andern wert, befter 
Kamerad — fahren Sie an mit Ihrer ſtörriſchen Schönen !” 

Slandern gab der „Bahn du jour einen Wink. Heller: 
Hüningen aber jchüttelte den hübjchen Kopf und legte 
die Hand auf die Schulter des jungen Offiziers: „Machen 
Sie fich feinen Kleds, Flandern!” flüfterte er lachend, 
„Die Gouttes dor ſchmecken Ihnen ja noch am bitterjten 
auf der Zunge!” 

Eine Ordonnang führte die Stute in die Bahn; laut 
lachend und debattierend umringten fie die Herren — 
Hechelberg jah firjchrot aus vor Vergnügen, als er jie 
mufterte. 

„jo (08, Proczna! — Aufſitzen!“ 

Graf Dynar trat langjam näher, fein Blic flog 
prüfend über den Kohlfuchs, nur einen Augenblid, dann 
zucte e3 um jeine Lippen wie ein Gemijd) von Staunen, 
Amüſement und Spott. 

„Würden Sie unter Umjtänden bereit jein, das Pferd 
jelber zu bejteigen, Herr von Flandern ?” 

Momentane Stille. — „Natürlich! Neite es ja alle 
Tage.” 





meilter bin!” Janek 
lachte leije auf und 
legte die Hand an 
den Sattel. „Ich 
hätte nicht geglaubt, 
daß ein derartig ge- 
gurtetes Pferd bei 
den Franz-Ulanen 
überhaupt möglich jei, und nun jogar bei dem Leutnant von 
Flandern, den man als einen der jchneidigjten rühmt, und 


— 358 — 


der fich dennoch ohne Sfrupel auf dieſes Jammerbild 
jegen würde! Faktiſch, verehrtefter Kamerad, wenn Sie 
mir die faljchen Nippen derartig zuſammenpreßten, wie 
diejem Unglücsvieh, id) würde aud) mit allen vier Beinen 
zugleich in die Luft jpringen, wenn ich fo viele hätte 
nämlich! — Ein Pjerd mit Sattelzwang reitet felbjt 
der Teufel nicht!” 

Wicherndes Gelächter erhob ſich, Hechelberg fchlang 
den Arm um den Sprecher, um vor Vergnügen wahrhaft 


an jeine Brujt zu taumeln. „rap — Göttlicher ... 
Menſch ... Darauf müſſen wir Schmollis trinfen, jo 
ein Kapitalwig ijt ja überhaupt nocd) gar nicht daz 
geweſen!!“ 


Und Heller-Hüningen lehnte ſich gegen die Wand 
und krümmte ſich vor Freude. „Heiliges Donnerweiter 
... Flandern und die Trichinenratte! ... Ich ſag's ja! 
... Neinfall! Niederträchtiger Reinfall! ... Hat ge 
glaubt, der Proczna kommt aus dem Mustopf! ... 
Nehmen Sie ein Retourbillet, Flandern! ‚Mit unſrer 
Lieb war's wieder nix!“ . .. Haha! Und die Gouttes 
Wor haben ein Schweiterchen gefriegt!” 

Wie ein Wirbelwind jchallte, Hallte und lärmte e3 
im Kreije, Flanderns Geficht war jehr lang und nod) 
farblojer denn jonjt geworden, aber er rejolvierte fic) 
furg und machte gute Miene gum böjen Spiel. 

„Auf diejen Wik reift Flandern nämlich!“ pruftete 
Hechelberg, „hat auch ein parmal unverjchäntes Glüd 
damit gehabt, und darum ...“ 


— 359 — 


„Ja wohl! Glück gehabt! bei irgend einem Gonnz 
tagsfer, der überhaupt faum einen Gaul von einem 
Ziegenbock unterjcheiden kounte!“ 

„Flandern muß Reugeld zahlen! ... Auf nach Va— 
lencia! Wir wollen darauf anſtoßen, daß Proczna vers 
teufelt ſcharfe Augen hat!“ 

Prinz Reuſſek war von der Tribüne herabgekommen, 
er reichte Janek die Hand und hieß ihn im Kreiſe der 
Kameraden willkommen. 

Kenia hatte ihren Goldfuchs mehr und mehr zur Seite 
gedrängt, einen Augenblid hatte fie das Gefühl gehabt, 
als griffe eine falte Hand nad) ihrem Herzen. Sie zudte 
zufammen bei dem Gedanfen, daß „der Pole” fich bla- 
mieren fünne. Nur das nicht! — Vor wenig Tagen 
würde fie über feine Niederlage triumphiert haben, heute 
hatte fie das Gefühl, al8 würde mit einer folchen ein 
Bild der Vollfommenheit zerjtört, welches fid) langjam, 
aber überwältigend vor ihrem geijtigen Auge aufgebaut 
hatte. — Gott fei Dank, es blieb unverjehrt. — Xenias 
Haupt hob fich ftolger auf den Echultern, wie Genug— 
thuung blißte e8 in ihrem Auge. Sie wollte Janek zu= 
winfen und ihm ein freundliches Wort jagen — er jal 
aber nicht zu ihr Hin, er jchritt mit Reuſſek nach der 
Tribüne, um die Damen zu begrüßen. Schon von weiten 
fuchte fein Blic die Prajidentin Gärtner, fie wintte ihm 
vertraulid) zu und er lächelte feinen Gegengrup. 

Der Goldfuchs jchraf zujammen. Seine Herrin hatte 
mit jähem Rud die Zügel angerifjen. 


— 360 — 


„Bir fteigen ab, Gräfin Dynar, wir fehen dem Reiten 
von der Tribüne zu!” riefen die „Inseparables” mit Luft: 
funfelnden Augen, „Proczna will mit dem Araber maz 
nöprieren !” 

„Summer los, bringt man eure Haut in Sicherheit, 
ihr Hafefüß, ich bin mit von de Partie, wat fojt’ 
Europa!” 

„Aber befte Hofftraten — man will ja auch über die 
Vehhürden jpringen!” flüjterte Gräfin Ettisbach mit 
angftvoll großen Augen. „Wollen Sie da auch mit?” 

„Zonder Umftänd’, ich fang’ nicht jo leichte Feuer.” 

„sn Gottes Namen! — Wir werden Sie, Waltiire, 
bewundern — au revoir!” 

„Alſo, Proczna, Sie wollen uns faktisch alles nach— 
machen?” fragte Flandern mit glimmerndem Blick, als 
der Adoptivjohn des Grafen Dynar auf dem Araber in 
die Bahn ritt — „Ihr ‚Suffuff‘ ijt ja noch rein toll 
von dem Eijenbahnfahren, die Canaille wird Sie bezahlt 
machen |” 

„Mehr wie den Hals brechen fann fie mir ja nicht! 

„Proczna! Sehen Sie fic) mal den Graben an, ris— 
fieren Sie’3 auf die Breite hin?” 

Sane lächelte: „Aber ich bitte Sie, meine Herren, 
auf die Breite fommt es dod) gar nicht an, höchitens 
auf die Länge!” 

„gamos!... brillant! ... Na ja, jehe jchon, Sie 
find zu Haufe bei uns! — Eh bien — reiten wir durch!” . 

Die beiden Thore des Reithaujes wurden geöffnet, 


— 361 — 


Die Herren nahmen die Runde durch den Springgarten 
um das Gebäude herum. 

Das war ein Bild! 

Wie die wilde Jagd brauſte es heran, leicht, elegant, 
ſchlank wie die Gemjen flogen die Roſſe durch die Bahn, 
langgeftredt über Hürden, Mauer und Graben, mit 
fnatternden Hufen fic) draußen parierend. Heller-Hiiningen 
und Proczna jagten-bei der zweiten Runde zuerjt durd) 
das Thor. 

Wild aufbäumend, weiße Schaumfloden am Gebif, 
die Nüftern weit gebläht, in zitternder Aufregung jchnaufte 
der Araber vor dem Abjprung. — Proczna ftach ihn 
an, und in hohem Bogen jaujte Juffuff in die Bahn 
Hernieder. 

bravo!” — Prinz Reuſſek, welcher das erſte Reiten 
von der Tribüne beobachtete, neigte da3 .Haupt vor, als 
traue er feinen Augen nicht, das Herz lachte ihm beim 
Anblid eines jolchen Neiters, jelbjt wenn er nicht die 
Ulanfa trug. 

„Es iſt ja ein beraufchender Anblick, ftieß Frau 
Leonie hochatmend durch die Zähne hervor, ihre Hand 
prefte im Eifer den Arm Xenias wie ein Schraubjtod. — 
„So muß St. Georg vom Berg herniedergebrauft jein, 
die Gräfin Julia zu erretten! — So muß das mild: 
weiße Roß des nordijchen Königsſohns wie ein Wetter: 
jchauer dahin gejtürmt jein, jo muß Michael Scott, der 
Geijterreiter, die Erde vor der Schwelle des Louvres 
geitampft haben.” 


— 362 — 


„Ih bitte Sie um alles, meine Liebe, Sie find ja 
ganz Ekſtaſe!“ fidherte Gräfin Kany, die Lorgnette von 
den zujammtengefniffenen Augen fallen lafjend, „mas 
jagen Cie denn zu Ihrem bewundernswerten Bruder, 
ma petite? — — Gewiß ebenjo begeijtert wie die Eleine 
Frau hier!” 

„Bei mir mangelt die Überrajchung, welche ſtets die 
Effekte vergrößert, Gräfin, ich wußte, daß Janef ein 
meijterlicher Reiter ijt!’ 

„Unglaublich! — Proczna läßt die Stange drei Löcher 
höher legen!” 

„Er hebt unjre beiten Springer aus dem Sattel!” 

„Ah, Reufjet! — Voila Reuſſek in der Bahn!“ 

Achtung! — Procgna ſpringt!!“ 

„Bravo! — Bravo! ... Cin Ealto mortalel! — 
Beim Himmel, der Araber hat Flügel!“ 

„Reuſſek rettet die Ehre und folgt ihm! Hurra! 
Hepp-hepp! . . . brillanter Sprung! Ich jag’s ja, Kinder, 
‚Demetrius* läßt jich nicht lumpen! — Na, na, Hüningen? 
... Rückwärts, rüchwärts, ftolzer Eid!!! — Wahrhaftig, 
er risfiert’3! .. . jeine ‚Marceline‘ jchüttelt den Ropf!! 
— Moc) einmal angeltochen ... Ho! Hepp, Hepp! — 
Hurra! unjer beauty-patch hat's fertig gebracht! — — 
Nun aber en avant, messieurs, losgehen! — ’3 wird 
Ehrenſache! — Haha! ich glaube wahrhaftig, die Hof- 
ftraten will ihre ‚Nudel‘ auch drüberhin ängftigen! Um 
Gottes willen der Fettfleck, wenn die beiden fich über: 
ihlagen! — Aha — jie Hat jelber ein Einjehen! — 


— 363 — 


Gott bewahre — fie jpringt, fie jpringt!! — Hahaha! 
— abgefragt! — Iſt ja viel zu hoch, Frau Rittmeijter 

. drunter durchkriechen!” Frau von Hofitraten machte 
der Tribüne eine Faujt und zog ihrem dicken Apfel 
ſchimmel eins über. 

„Bahn frei! — Pechhürden aufftellen!! ...“ 

Die Neiter zogen fic) auf den freien Play vor der 
Tribüne zurüd, eine jehr lebhafte und laute Unterhaltung 
entwickelte fic). 

„Ra, Procgna, bis jegt Haben Sie mit den Franz: 
Ulanen Schritt gehalten!” lachte Hechelberg, den Ge: 
nannten ſchmunzelnd auf den Rücken flopjend, „ſpüren's 
wohl auc) in den Knochen, he?’ 

„Ein kleines Weilchen Halte ich's am Ende noch 
aus — —“ 

„Schwerendter Siel Wie er fich verftellen fann! 
Soviel haben wir nun gemerkt, alter Freund, daß Sie 
auch ohne Leim im Sattel figen! Aber damit gibt fich 
Reuſſeks wilde, verwegene Jagd nod) lange nicht gu- 
jrieden! Gefen Cie mal die Pechhiirden da! Na, wie 
ſteht's? — Haben Sie auch dagu Courage?’ 

„Mut zeiget auch der Mameluck!“ 

„And Ihr Araber? Was jagt der dazu ?” 

„Das ift doch wohl gleichgültig! Bis jeßt habe ich 
meine Säule nod) niemalS um ihre Anficht befragt!” 

„Na, dann (08! — Sehen Sie fi) die Cache aber 
lieber zuerjt mal an — e3 gehört dod) ein ganz ſchnei⸗ 
diger Geſchmack dazu!” 


— 364 — 


Qu der Mitte des Springgartens waren anjtatt der 
gewöhnlichen Reijerhiirden zwei eijerne Krippen aufgejtellt 
worden, welche mit pechgetränftem Werg angefüllt waren. 
Die Ordonnangen jtedten fie in Brand, blutigrot auf- 
qualmend und Enijternd fdjlugen die Flammen empor. 

„Borwärts! Bitte anreiten, meine Herren!” komman— 
dierte Neufjek; die Pferde, beim Anblick des Feuers wild 
auffchnaubend, ftürmten durch die Bahnthür, um das 
Gebäude herum, um durch die entgegengejegte Thür an— 
jprengend in hohen, gewaltigen Säßen durch die glühende 
Lohe zu faujen. 

Ein fchauerlich-jchönes, großartiges Echaufpiel, wohl 
einzig in jeiner Art — das Paradeftiiclein der Franz: 
Ulanen. 

Proczna hatte ruhig beijeite gehalten und mit lautem 
Beifallsruf die außerordentliche Leiftung anerkannt. 

„Ma, wie fteht’s — Folgen Sie?” rief Reuſſek, nebjt 
etlichen der Herren am Ende der Bahn parierend. 

„Selbjtverjtändlich, Herr Oberjt, ein Gardefüraffier 
liebt e3 nicht, die Wand zu dekorieren!” 

Atemloje Stille auf der Tribüne. 

Proczna fprengt an... wild aufbäumend jchrict der 
Araber vor den Flammen zurück, ferzengerade fteigend 
... Proczna forciert ihn — und in gewaltiger Langade, 
durch die grelle Beleuchtung wie in Blut getaucht, jaujen 
Rog und Reiter durch Qualm und Funken. Haltlos 
weiter raft Proczna, zum zweitenmal Die Krippe zu 
nehmen. 





— 366 — 


Bon eiferner Hand gezwungen, fpringt Juſſuff ohne 
den mindeften Widerjtand. 

„Die Hofitraten! — Sollte man’s für möglich halten!” 

Shr Mann hält gelafjen zur Ceite, ftreicht feinen 
ſchwarzen Vollbart und jieht ihr lächelnd zu. 

Mit viel Phlegma entledigt fich der Apfelſchimmel 
feiner Aufgabe, er findet die Bumuthung zwar ftarf, 
aber er jpringt. Allerdings viel zu niedrig! — Laut 
aufjchnaubend fommt er durch die Flammen, fein Bauch: 
fell ift gejengelt, und das Neitkleid feiner Herrin ift durch 
das Pech gewifcht und brennt am Saum. 

Hechelberg und Hüningen fallen ihr in die Zügel, 
fchnell wie der Gedanke befindet fich die Frau Nittmeifter 
auf der Erde, um fie her hantieren Offiziere und Or- 
donnanzen, um das brennende Seid mit Lohe zuzu— 
fchaufeln. 

Gelafjen zur Seite jteht der Gemahl. „Man ficht, 
die Begeifterung allein thut’8 nicht!” fagte er in feiner 
lafonijch-humoriftifchen Weife. 

„Ra, Kinner, buddelt mich man nicht gar zu Dice 
ein, jonit fann ja die böje Welt behaupten, ich hätte 
ichon drei Tage lang in der Erde gelegen!” lacht das 
jchneidige Holland in ungetrübter Laune, „legt man 
better mei'm verflixten Schaufelgaul een Butterlappen 
auf — he ijt gejengelt wie een Gofebraten.” 

Das kleine Intermezzo ftörte feineswegs, die Herren 
Elopften fic) die Handſchuhe ab und ftiegen wieder auf, 

In begeifterter Anerkennung umringten fie Proczna. 


— 367 — 


„Guten Morgen, Couleur!” rief Heller Hüningen mit 
herzhaftem Händedrud, „die Gardefüraffiere ziehen mit 
den Franz-Ulanen an einem Etrid, und wenn jemals 
unjere Lange abgeprallt ijt, fo war's an dem Küraß 
und dem Adler! 

„Vive bonne chance, Proczna! Weiß das Donner: 
wetter, wie Cie uns auf die Haden getreten haben! 
Wir haben Sie zu einem Hazard invitiert und Cie haben 
die Partie glänzend gewonnen!” 

, dann wäre es wohl an der Beit, den Herren 
Revanche zu geben?” lachelte Janet voll liebenswürdigen 


Humors. 
„Revanche? — Zum Teufel noch eins, inwiefern?” 
„Run — indem id) meinen verehrten Kameraden 


Gelegenheit gebe, die Lange noch hoch über den Adler 
hinaus zu werfen und ebenjall eine Partie zu ge- 
winnen!” 

„Sie treffen den Punkt, wo wir fterblich find, mijden 
Gie die Karten! L’honneur ift Trumpf!” 

Außerordentliche Spannung malte fich auf allen Ge- 
fichtern, e8 herrjchte tiefe Stille, nur Frau von Hofitraten, 
welcher der Loheftaub in die Naſe geftiegen war, niejte 
ein paarmal mit der volltönenden Energie eines Wacht: 
meiſters. 

Proczna hob den Kopf, ſeine dunklen Augen blitzten 
ein Gemiſch von Humor und Herausforderung. 

„Bis jest bin ich ohne Murren jeglichem Beifpiel 
der Herren gefolgt, wie wäre e8 nun, wenn wir mal den 


— 368 — 


Spieß umdrehen und ich die Tete nehme? Reiten Sie 
mir nach?” 

Prinz Reuſſek horchte hoch auf. „Das bedarf feiner 
Verjicherung, Verehrtejter!” entgegnete er hajtig, und aus 
der Neihe der jungen Offiziere ertönte ein übermütiges 
„Selbitverjtändlich! En avant! Losjchiegen, Broczna, aber 
ein bißchen plöglich !” 

Lächelnd ließ Janek die Bügel fallen, nahm fie empor 
und ſchlug fie über. 

„Ich denfe, wir reiten famtlid) glatten engliiden 
Sattel, meine Herren, eh bien, lajjen Sie uns das Pro— 
gramm von vorhin einmal ohne Bügel wiederholen !“ 

Sefundenlang war e8, alö habe der Blit vor dem 
Reitertrupp eingejchlagen; mit großen, runden Augen, in 
welchen fic) ein maßlojes Staunen malte, jtrecte Hechel: 
berg den Kopf vor. „Sagen Sie mal, alter Schwede, 
ijt Das Ernſt oder Scherz?” fragte er gedehnt. 

„Klaſſiſcher Ernft, junges Deutjchland. Reiten wir 2” 

„Das will ich meinen!“ — Prinz Neufjek lachte friſch 
auf. „Vorwärts, Franzer! Wir bleiben feine Revanche 
ſchuldig!“ 

„Hurra! hepp, hepp!“ jubelte Heller-Hüningen, die 
Bügel haftig emporſchlagend. „Der Knabe Karl fängt 
an, mir fürchterlich zu werden! Reitet jeinen Schaber: 
nad in Grund und Boden, meine Herren!” 

Wohl oder übel — hier hieß e3 mitgegangen, mitge- 
bangen, mochte der Dice Hechelberg noch jo gewaltig 
feuchen, al3 er fid) nad) den Bügeln bückte. 


— 369 — 


„Ein verfluchter Kerl! Gibt uns bei Gott nod 
Nätjel auf!” lachte er im tiefften Bag, wandte fich zu 
feiner Freundin Hofitraten und ſagte mit jchiefem Ge: 
fidt: „Ra, 

jchneidiges 
Holland, wie 
wins? — 
Bleiben Sie 
lieber gu Fuß; 
wenn wir beide 
uns ein Renz 
Degvous im 
Graben geben, 
Hat fein an: 
derer weiter 
Pla drin!” 
Die Frau 
Rittmeiſter 
antwortete 
mit der Reit⸗ 
peitjche, 
ſchwenkte furz 
ab und fteuerte 
nach der Tri⸗ 
büne, um „aus de Vogelperſpektiv de olle Kalfakter 
Hechelberg an der Lohe rieche zu ſehen!“ 
Mit ſeltener Gewandtheit, Sicherheit und Schneid 


wurde geritten. — Wohl perlte es vor Aufregung von 
N. v. Eſch ſtruth, I. Rom. u. Nov., Polniſch Blut II. 24 





— 370 — 


mancher Stirn, aber das Renommee der Franz-Ulanen 
war nicht auf Geijenblajen erbaut und das Bonmot: 
„Reuſſeks wilde, verwegene Jagd” fein leerer Wahn. 
Der Adler flog voran und die Lanzen jaujten flott 
hinter ihm Her, ihre Fahnlein fiegreich neben iin aufzu— 
pflanzen. 

Wahrhafte Begeijterung bemächtigte jid) der Herren, 
der Janusfopf des Amüjements hatte fic) gedreht und 
wies anjtatt de3 übermütig lachenden Geſichts eine ernjte 
Miene, mit ehrgeizig bligendem Wuge auf. 

Nücdhaltloje Anerkennung behauptete das Feld. Die 
Dampjent cn Rofje drängten fich vor der Tribüne zuſammen. 
Pring Reuſſek jehüttelte ſeinem Gajt voll warmer Herze 
lichfeit die Hand, und die Damen verliehen ihrer Be— 
wunderung die beredtejten Worte. 

„Famoſe Leijtung, Proczna!“ Hechelberg fuhr mit 
dem Tajchentuch über das feijte, rotglühende Geficht. 
„Ihr Schimmelchen jpringt wie Gummi und ijt flinf.wie 
ein geölter Bliß, das muß ihın der Neid lajfen! Haben's 
wohl aus ‘nem Girfus, daß e3 auf alle Wige jo nett 
eingeht 2 

„Allerdings, Herr Rittmeifter! Juſſuff ijt für den 
Cirfus zugeritten und Hat auch jchon in demjelben vers 
ichiedene Lorbeeren geerntet |” 

„Unglaublich! — Fabelhaft! — Erzählen Sie! Aus 
welcher Manege ftammt er? . . .” 

Wie eleftrijiert ſchoben fic) die Köpfe zuſammen, rüdte 
es auf der Tribüne näher Hhergu. 


— 371 — 


„Befürchten Sie nichts, meine Damen!“ Janet ladjte 
faft übermütig auf. ,,Der brave Renner ift trogdem 
durchaus courfähig, denn die Reitpeijche, nach welcher 
er zuerjt jeinen jtolzen Naden beugen lernte, trug eine 
Kaijerfrone auf dem Knopf.“ 

„Aha! in Paris! — Wir ahnen bereits! Bliß und 
Knall, berichten Sie ung, Proczna !” 

Sanef flopjte liebfojend den Hal jeines Pferdes. 
„Sp viel ich weiß, meine Herrjchaften, haben auch die 
deutſchen Zeitungen ihre Spalten mit Berichten über die 
pifante und neuefte Caprice der Barijer - Hofgejellichaft 
gefüllt, welche fic) damit amüjierte, einen Cirfus ins 
eben zu rufen, dejjen Künjtler jich aus der Arijtofratie 
refrutierten. Gelbjtverftdndlich mit vollfommenem Aus— 
ſchluß der Deffentlichfeit. Ich Habe nie eine reizendere 
Exjdeinung am Trapez gejehen, als die Comteſſe de 
Belleboeuf, nie eine gragivjere Leiftung auf dem Draht: 
jeil alg die der Marquije von Rouget; die Herzogin von 
O. jonglierte mit jilbernen Kugeln und Madame de Taffe 
ritt eine Schule, welche ihresgleichen jucht, während der 
Herzog von Larochjoucauld der bejte Clown und Herzog 
von Morny die entzüdendite ‚Balletteufe: war, welche ich 
je bewunderte!“ 

„Köſtlich! — Grogartig! — Unglaublich genial! Und 
die anderen Herren, was leijteten die?” 

Procgna zuckte mit feinem Lächeln die Achjeln. “ales, 
was man gewohnt ijt, im Cirfus zu jehen. Pring C. 


paradierte mit einem Apportierpferd, die beiden Grafen 
24* 


— 372 — 


von Dumont fprangen über vierzehn Pferde und der 
Herzog von Valence. . .” 

„Was that Procgna? — Das wollen wir wifjen!” 

„Janek Brocgna? — Der präfentierte fic) mit feinen 
großartigen Evolutionen auf ungejatteltem Pferde, meine 
Damen !” 

„Hüningen! Halten Sie mid! Ich falle um!” jchrie 
Hechelberg mit Stentorjtimme durch den Tumult, welcher 
fi erhob, Donat aber war jchier auger fic) vor Ver: 
gniigen, ſchlug die Hände gujammen und lachte jo laut 
und fo herzlich, wie er eben nur fonnte. 

„Anbezahlbar! — Himmlijh! Lappt uns der Duck— 
mäufer bei Gott zum zweitenmal rein! Da reiten wir 
un zwei Stunden lang die Lunge aus dem Leibe, um 
dem Herrn heillo8 zu imponieren, jtedten mit rieſigem 
Selbjtbewußtfein ein Schwefelhölzchen in Brand — und 
wie der liebe Gott den Schaden bejieht — pufft er uns 
“mit einem ganzen Feuerwerk unter der Naſe und teilt am 
Schluffe mit, daß er in feinen Mußeitunden Cirfusvor- 
ftellungen auf ungejatteltem Pferde gibt! Hahahaha! 
Bleiben Sie bededt, Herr Geheimrat!! ch jchlage vor, 
meine Herren, wir gehen ganz jtil und ganz flein nach 
Haufe! Ungeheure Heiterkeit ijt meines Lebens Regel!” 
— — Die Reitbahn hatte wohl nocd) nie eine animiertere 
Geſellſchaft gejehen! 

„Sit fein Lorbeerfrang zur Stelle!? Proczna muß 
deforiert werden!” rief Frau Leonie mit leuchtenden 
Augen. — Mon Dieu, wenn id) Ihre Schneeglöcdchen 


— 373 — 


an der Bruft trüge, Gräfin, id) wüßte fie zu ver- 
wenden |” 

„er jagt Ihnen denn, Ercellenz, daß ich es nicht 
weiß?” — Xenia löfte den fleinen Strauß von der Bruft 
und blidte zu Ianef auf, wohl niemals zuvor hatte jo 
viel Leben, jo viel Erregung das reizende Antlitz bejeelt. 
„pen einzigen Orden, welchen ich zu vergeben Habe, 
Janek!” lächelte fie. „Ich möchte Ihr Verdienft an die 
große Glode hängen!” 

Proczna 30g die Hand, welche ihm die Blumen ent: 
gegenbot, chevaleresf an die Lippen. 

„Hoffentlich läuten mir dieje ‚großen Schneegloden 
ihrer Bejtimmung gemäß fein Lied von Eis, Kälte und 
Winterlichfeit”, jagte er jcherzend, die Blüten im Knopf— 
Loch bejeftigend, und dabei traf fein Blid Frau Leonie. 

„Soviel id) weiß, verfünden fie den Frühling.” — 
Xenia jagte eS furz, ein Schatten flog über ihr Antlig. 
„Wenn wir Blumen pflüden, mögen fie noch jo bleich 
und fühl jein, liegt wohl der bitterjte und längfte Teil 
des Winters hinter ung!“ 

„Sn diejer Bedeutung wird mir Ihre Deforation 
ein Kleinod ſein, Xenia, welches mir die liebliche Ver— 
heißung birgt, daß auch im hohen Norden das Hoffnungs- 
grün endlid) Cis und Schnee überwuchert !’ 

Er verneigte fich bei diefen Worten gwar vor der 
Gräfin Dynar, aber wieder zucdte fein Blick wie ein 
Funken zu Leonie hinüber, heiß und verjtändnisinnig. 

Xenia wandte fic) ab. 


‘ 


— — 


„Sie kommen alſo heute nachmittag, Proczna?“ 

„Tot oder lebendig, Excellenz.“ Er neigte ſich näher. 
„Da harret meiner die Holde, ich fliege in ihren Arm!“ 
ſang er leiſe, mit kühnem Blick in ihr Auge. 

„Und iſt es Ihnen kein Opfer? Ich ſinge ſehr 
ſtümperhaft, wollen Sie mit mir Geduld haben? Hand 

aufs Herz!“ 

Er hatte ihr den 
kleinen Muff wegge- 
nommen, jetzt hob er 
ihn und drückte ihn 
beteuernd gegen die 
Bruſt. „Endloſe Ge— 
duld!! . ..“ 

Die Schneeglöckchen 
waren geknickt und rie⸗ 
ſelten zur Erde hinab, 
um unter den Prerde- 
hufen zu flerben — 
Proczna bemerkte es 
gar nicht. 

Xenia fah es. — Es braufte und faufte plößlich vor 
ihren Ohren, fie ftarrte auf die weißen Floden nieder 
und atmete fchwer auf. Es jchien ihr, als wanbdelten 
fich die Schneeglöckchen in rofige Apfelblüten, juft in 
diejelben, welche fie vor Jahren von Janets Lieblings: 
bäumchen jchlug, um fie in blindem Haffe unter die Füße 
gu treten. Eifige Luft wehte duch die Tribünenthür; 





= $7 = 


Gräfin Dynar erhob fic) faftsbriist und befahl ihren 
Wagen. Donat jagte ihr ein verbindliches Lebewohl, fie 
nickte ihm zerjtreut zu und neigte das ſchöne Haupt nad) 
allen Seiten — über Janef Proczna jchweifte ihr Blic 


hinweg. 


— BIT se 


Der gute Onfel war wirklich gar nicht neugierig, aber 
fo manches wollte er doch jchredlich gern wifjen, und 
darum 30g er jeinen „Goldjungen“ voll nervöjen Cifers 
neben fic) auf einen Diwan und dofumentierte fich als 
Diplomat. 

„Wer liebt wen?!” 

Frau Leonie ift gar nicht gut accreditiert bei ihm. 
Der elegante, jo gang und gar mit Glacshandfchuhen 
und Laditiefeln verwachjene Kammerherr läßt ſich fogar 
zu Ausdrüden hinreißen, welche in ihrer fernigen Unum- 
wundenheit jeden Unteroffizier entzüdt haben würden. 
— Gr erzählt, daß die jchöne Excellenz als Mädchen 
in den dürftigſten DVerhältnifjen gelebt und juft im 
Begriff geftanden Habe, eine Stelle als Gejellichafterin 
anzunehmen, al8 fie in Karlsbad, wohin fie eine Franke 
und reiche Freundin begleitet, die Bekanntſchaft Gartners 
gemacht habe. — Ganz Karlsbad wifje, wie verzweifelt 
fie fic) um den alten Herrn bemüht, und mit wie viel 
Raffinement fie ihn umjtridt habe — — und jet? — . 
Armer, alter Narr, der fich jelber zum überflüffigften 
Schatten im eigenen Haufe gemacht. Janek jcheint jehr 
intereffiert: er forjcht auch über das eigentümliche Freund» 
ichaftsverhältnis, welches zwijchen der Pringeffin und 
Excelleng Gärtner beiteht. 

Da ift Onkel Drach im rechten Fahrwaffer. „Das 
Weib ift eine Schlange! — eine Seelenfängerin!” alteriert 
er fic), „Gott mag wiljen, durch welche Rante fie Anna 
Regina jo völlig unter den Daumen gezwungen hat!” — 


— 378 — 


Sie ift die Allmächtige bei Hofe, und durch diefe un- 
glaublich geficherte Etellung zwiebelt fie die ganze Ge- 
ſellſchaft! — Glaube mir, Janek, wenn die Gartner nicht 
wäre, jähe e8 gewaltig anders hier aus! Die Negiments- 
damen find faft durchweg recht liebenswürdige, harmloſe 
Wefen, durd) ihre jchneidigen Männer vielleicht etwas 
mehr al3 nötig für Sport intereffiert, und durch den ab- 
gefchloffenen Verkehr mit flotten, wenig prüden Raz 
valleriften in Manieren hineingedrängt, welche ein un: 
befangenes Publifum verblüffen müfjen. Eine Frau, die 
im Pjerdeftall ebenjo zu Haufe ijt wie im Salon, fann 
und wird niemals die Allüren einer Frau Stiftsoberin 
annehmen. — Qn der ganzen Stadt ffanbdalifiert man 
über das Benchmen der Ulanen und der intimeren Hof- 
gejellichaft; der Ton, welder eingeriffen ift, ärgert die 
Menschen, weil fie ihn nur in miflautenden Bruchftüden 
zu hören befommen. Hütten die Leute aus dem Bürger: 
freife und die am meiften räjonnierenden Artilleriften und 
Snfanterilten Gelegenheit, unfere Damen wirklich fennen 
zu lernen, fie würden ein vollitändig anderes Urteil be- 
kommen. Aber wie foll das fommen? — Excellenz 
Gärtner hat eine chinefiiche Mauer um das Häuflein 
ihrer Getreuen gebaut und jeden Verkehr abgefdhnitten! 
Aus Nache, denn wie man jagt, hat es der Rommandeur 
de3 Jnfanterieregiments einmal gewagt, fie moralifd 
auf den Fuß zu treten, und zur Nevanche brechen 
ihm ihre weißen Händchen bas Genid. Jegliche Oppo- 
fition der Ulanen gegen die Infanteriften geht von Frau 


— 379 — 


Leonie anus Durch ihren Einfluß auf die Pringeffin hat 
fie auch jämtliche andere Damen volljtändig in der Hand, 
und durch die Frau fommandiert fie den Mann. — Id) 
verfichere Dir, Janet, das Weib ift ein Satan!” 

Herr von Drach fuhr higig mit dem Tajchentuch über 
die Stirn, er hatte fich in große Aufregung gejprochen, 
und dod) jah man es ihm an, welche Wohlthat ed für 
ihn war, einmal die Geele frei zu reden! 

Proczna blickte, fajt mechaniſch vor fic) hinnidend, 
auf das türfifche Mufter des Teppich® nicder, plößlich 
hob er den Kopf. 

„Sch bin dir aufrichtig dankbar für diefe Mitteilungen, 
lieber Onkel, du ahnſt 
gar nicht, von wie 
großen Interefje die: 
jelben für mid) waren. 
Eine Frage noch, 
Berehrteiter — exi— 
ft.ert — oder hatein: 
mal in diefer Etudt 
ein männliches Wejen 
exiftiert, welches ,Car- 
los‘ hie oder ge: 
nannt wurde?” 

Der Kammerherr 
ftarrte einen Augens 
blick geradeaus ing 
Leere. — „Carlos? 





— 380 — 


... Carlos .. .? — Nein, einen Carlos fenn ich nicht! — 
gibt’3 hier nicht, auch nicht mal im Epignamen! Kenne fie 
ja jämtlich im Regiment — ‚Raubritter — der verlorene 
Sohn... Paprifa ... — Schneid” — Beauty-patch . . .‘ 
— nein, einen Carlos gibt’3 nicht — verlaß dich drauf, id) 
wüßte e3 ganz genau! — Habe ja jonjt nichts zu thun!“ 
und Onfel Drach rüdte eifrig näher und legte die Hand auf 
Janeks Schulter. „Warum willjt du denn das wiffen, mein 
Sungden? Wer hat von einem Carlos gefprodjen? — 
Wo.... wie... wann... liebt man ifn? — Ah — 
ich fombiniere ... Andeutungen ... Nederei unter den 
Damen... ab, das werden wir jehr bald heraus haben! 
— Nah dem nächjften Diner bei Tarenberg anhorchen 
... die Frau erzählt ihm alles — und er ift ein Riejen- 
klatſchmaul ... habe das Langit weg — längjt —“ 

Proczna war plößlich jehr nachdenklich geworden, eine 
Falte grub fich zwijchen feine Augenbrauen. „Aljo ein 
fremdes Element ...“ murmelte er, „eh bien... rau 
Leonie jelber muß mich auf die Fährte bringen.” 

Die Thür wurde ungeftiim aufgejtoßen, mit lautem 
Zubel flog Bicy den beiden Herren entgegen. 

„Du bit bier, Janet?! — Schon eine Vierteljtunde 
lang, und ich erfahre das nicht? D, e8 ijt empörend — 
geradezu beleidigend! Der Auguſt fann fid) noch immer 
nicht daran gewöhnen, daß die Viſiten jegt auch mir 
gemeldet werden! — ch bin doch eine erwachjene Dame, 
und der Ejel thut immer nod), al wäre id) ein Rind!” 

„Den Mann muß jojort gefündigt werden, Onkel!“ 


— 331 — 


— Proczna hielt Bickys beide Hände und war geradezu 
entrüjtet, der Rammerherr aber trat ftarr vor Staunen 
neben feine Tochter und fragte mit gedämpfter Stimme: 
„Aber Biddy ... nennſt du den hier etwa aud) ‚duf, 
wenn ihr allein jeid 2“ 

Sanef lachte hell auf, Beatrice aber warf das Köpf- 
chen trogig zurüd und machte ein jehr decidiertes Geficht. 
— „O Gott bewahre, Papa, nicht nur, wenn wir allein 
find — ftet3 und jtändig nenne ich ihn ‚du‘, und wenn 
ihr euch alle auf den Kopf ftellt! — Janek hat e8 mir 
allerdings verboten, und darum habe ich ihn bis jeßt 
in Gefelljdhaft gar nicht genannt, aber wenn e3 nicht 
anders zu machen ijt, und ich ihn anreden muß, dann 
fage ich auch ‚du‘ — erjt recht ‚du‘! Und meinetwegen 
felbjt dann, wenn die Xenia daneben fteht! Die hat mir 
abjolut nicht3 mehr zu verbieten, ich bin jet gerade jo 
gut eine Dame wie fie!” 

Ganz begeiftert jchloß Herr von Drach feinen fühnen 
Badfich in die Arme. — „Du bijt ein Bligmädel, Bidy! 
— Weiß der Kudud, wo du die Courage her haft!” 

„a3 haft du denn für blaue Flecken auf dem Kleid 2!” 

„Blaue Fleden?” — Das kleine Fräulein jah flüchtig 
an fich herab. „Tinte! — Konftantin hat gemanjcht 
und dann gewiß feine Hände an mir abgetrodnet, wäh- 
rend id) jchrieb, das thut er meiſtens!“ 

„Sn der Kinderjtube haft du gejchrieben ?” 

Mit eifrigem Blinzeln nickte Beatrice dem Frager zu 
und hob fic) auf den Zußipigen zu feinem Ohr empor: 


— 382 — 


„Ich habe dem Stangy zu feinem Redjt verholfen — 
aber der Papa darf's noch nicht wiſſen!“ 

„Bomben und Granaten! — Teuerfter Ontel, betrachte 
dir, bitte, einmal die Albums, deine Tochter will mir 
ein Geheimnis anvertrauen! — Giehjt du, er hat fich 
herumgedreht ... nun ſchnell erzählt!” — 

Bicky machte ein jehr wichtiges Geficht und hielt die 
Hand an den Mund. „Du weißt doch, dak Stanzy 
abjolut Matroje werden und um die Welt reifen will? 
— Na fichjt du, das wollen ifin nun die Eltern nicht 
erlauben und jagen: ‚er wäre ein Dummer Junge, das 
Wafjer hätte feine Balken, und wenn er verunglückte, 
würden fie jich zeitlebens Vorwürfe machen.‘ — Kon— 
ftantin war außer jich darüber und wußte jich gar feinen 
Rat, bis ich ihm Heute zu Hilfe fam. Wir haben näme 
lich einen großen Zettel gejchrieben — das heift, ich 
fchrieb, denn Stanzy fann ja noch nicht ordentlich mit 
Tinte! — aljo einen Zettel, und darauf fteht folgendes: 
‚Sch, Konftantin, Freiherr von Drach und Sulsberg, er- 
ertläre hiernit, daß, falls das Schiff untergeht, auf 
welchem ich fahre, meine Eltern nicht daran jchuld find!‘ 
— — ft das nicht brillant? Nun find fie doch jede Ver: 
antwortung [08 und fönnen den Bengel ruhig fortlafjen !” 

Im Hintergrund prujtete eB laut vor Lachen. 

Janek aber jagte jehr ernjthajt: ,,Gropartige Idee! 
$d bin außerordentlich überrajcht! — Wenn du derartig 
mit Hilfeleiftung um dich wirfjt, könnteſt du mir eigent: 
lich auch einen Gefallen thun! Willjt du?” 


— 383 — 


„Dir einen Gefallen?” — Bicky jubelte laut auf: 
„Sechſe fiir einen! Für dich gehe ich durchs Feuer, 
Sanef, denn dir verdanfe ich ja all mein Glück! Sogar 
meine neue Frifur, denn ich weiß wohl, daß du daran 
ſchuld bift, daß Mama mich jet gerade fo frifieren läßt 
wie fich felber.” 

„Alſo bijt du bereit? — Sdarmant! Komm jchnell 
hierher und jeße dich an meine Seite, die Sache ift felr 
ernjthaft und wichtig und muß fiir ewige Zeiten ein tiefes 
Geheimnis zwijchen uns bleiben!” 

„Ad ein Geheimnis für ewige Zeiten! Das habe 
ich mir ja fdjon fo furchtbar lange gewünſcht!“ und mit 
glühenden Wangen und jchwärmerifchem Blick fete fich 
das Badfijchchen auflaufchend neben Proczna nieder und 
faltete die Hände über den Tintenkleckſen. 

„Du weißt, daß ich morgen abend bei Hofe fingen 
werde?” 

Bicky nicte eifrig. 

„rau Leutnant Gower wird mich begleiten und 
brillant jpielen — wenn fie aufiteht, flatjdjt du laut in 
die Hände — Dir nimmt man das nicht übel — und 
gehjt zu ihr hin und jagft ihr, du jeijt ganz entzückt von 
ihrem Spiel .. .“ 

„Aber Janek ... die Gower? — Cycelleng Gärtner 
jagte ja zu den Damen...“ - 

„Hat Exeellenz dir verboten, mit Frau Gower 
zu reden ?“ 

„Rein! 


— 384 — 


„Run aljo! Dann thue e8 mir zuliebe, ich bitte 
did) darum! Und weiter: du mußt Donat ebenfalls 
aufitacheln, zu ihr hinzugehen.” 

„Donat? — fällt ihm ja gar nicht ein!“ 

„Die Bitte einer Dame muß für ihn Befehl fein; 
wenn er dir nicht gehorcht, behandelt er did) eben nod 
wie ein Kind, und das darfit du dir nicht gefallen lafjen, 
du mußt energijd) werden, mußt jagen: Entweder zeigen 
Sie mir jekt, daß Sie Courage haben, oder .. .” 

Bickys Augen bligten: „Dder —! ...?“ 

, Oder id) rede in meinem ganzen Leben fein Wort 
mehr mit Jhnen! .. .” 

yom ganzen eben...” wahrhaft entjegt ftarrten 
ihn die großen Augen an, „aber Janef, das wäre ja 
gräßlich! — Ich mache mir zwar abjolut nichts aus dem 
Donat — ic Haffe den Menjchen und finde ihn in 
hohem Grade gleichgültig... aber mein ganzes Leben 
lang nicht mehr mit ihm fprechen? ... Nein, das fann 
id) nicht... ich würde fterben ... ih... void... 
Könnte id) nicht befjer jagen: ‚Entweder Sie gehen hin 
oder ich jpreche heute abend nur das Nötigfte mit 
Ihnen 2°” 

„Macht gar feinen Eindrud. Der Donat muß unter 
aller Kritif behandelt werden, wenn er eine Dame ver- 
ehren foll! Du fiehjt eg ja bei Xenia! Je fchroffer und 
unhöflicher fie zu ihm ijt, defto mehr macht er ihr die 
Cour, les extrémes se touchent! Allerdings würde das 
ja jehr peinlich für dich fein, wenn er plößlich umfattelte 


— 38 — 


und dich anbetete . . . du hafjeft ja den Menfchen und 
magft ihn abjolut nicht leiden ...“ 

wo... bitte... ich fann mich außerordentlich be- 
herrſchen ... und dir zuliebe brächte ich vielleicht das 
Opfer, mid) von ihm verehren zu laffen...” und plig- 
lich vollfommen aus der Rolle fallend, mit unverfenn- 
barem Jubel in Blid und Stimme, fate fie Janeks 
Hand: „Wirklih, Janet... glaubſt du wirklich, daß 
er mir dann die Cour machen würde? O, e8 wäre ja 
himmliſch! — Das heißt... . ich meine, e3 wäre himmlijd, 
wenn er zur Gower ginge! OD, ich will ihn jchauderhaft 
behandeln — ich fage .. .” — Bidy richtete fic) ſtramm 
empor und machte ein martialifches Geficht — „Mein 
Herr! Frau Gower hat großartig gejpielt, gehen Sie 
hin und jagen Sie ihr ba8, denn wenn Gie e3 nicht 
thun, halte id) Sie für einen Feigling, und das wird 
Sie im Mund einer Dame franfen!‘ Und wenn er fich 
hierauf noch weigern jollte, erkläre ich ihm rundweg: er 
fönne nicht reiten und vertrüg’ feine zwei Glajer Wein! 
— Frau von Hofitraten hat gejagt: ‚Etwas Nieder: 
trächtigered, al8 das, finne man einem jungen Offigier 
gar nicht anthun!‘” 

„Am Gottes willen, fet vorfichtig, Bidy ... er thut 
fonft vor allen Leuten einen Fußfall! .. .” 

Beatrice lächelte geradezu graufam. „Das wäre ihm 
recht! — Vor allen Leuten? ... Nun, fo fchlimm will 
ich’8 nicht machen und es ihm lieber in einem Neben- 


zimmer fagen, der Poefie wegen, weißt du! ... Denn 
N. v. Eſchſtruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II. 25 


— 386 — 


alle Sniefalle, von welden ich bid jebt gelejen 
habe...” 

Die Kleine verftummte erfchroden, Frau von Drad) 
trat rofig und lächelnd wie der junge Morgen durd) 
die Portiere und ftredte „dem lieben Neffen“ beide Hände 
zum Gruß entgegen. 

„xenia läßt fic) entjchuldigen, fie Elagt über leichten 
Kopfichmerz ... Gang plöglih ... Ich glaube aber, 
daß fie über irgend etwas verftimmt ijt, Denn derartig 
erregt und nervös wie heute habe ich fie im ganzen Leben 
noch nicht gejehen! — Lafjen wir fie! Golde Stim 
mungen müfjen austoben!’ 

Janek zudte mit höflichem Bedauern die Achjeln, „Ja, 
e3 muß austoben!“ wiederholte er mit gedämpfter Stimme, 
„and Ruhe und Einjamfeit find für derartige Leiden die 
befte Arznei!” 

Plöglich wechjelte er jedoch das Thema, indcin er die 
fleine Hand der Kammerherrin abermals an die Lippen 
30g und fein außergewöhnlich frühes Erjcheinen mit viel 
liebenswürdigen und jchmeichelhaften Worten entjchuls 
Digte. 

„Sie wiffen, meine gnädigfte Tante, wie außerordent- 
lich wertvoll mir Ihr Urteil ijt, und wie danfbar id 
Ihnen für einen jeden guten Rat bin! — ch werde 
morgen abend im Schloß fingen und habe mir jo uns 
gefähr mein Programm zurechtgelegt, aber du lieber Gott! 
wer fennt den Gejchmad dieſes jtürmifchen und eifigen 
Nordens! Darf id) Ihnen die Lieder einmal vorfingen, 


— 387 — 


verehrtejte Tante? Viclleidht billigen Sie meine Wahl 
nicht ganz und jchlagen mir Änderungen vor!” 

Frau von Drach war entzüdt und erhob fich mit einer 
Lebhaftigfeit, um an den Flügel zu treten und ihre Noten 
beifeite zu werfen, daß der Kammerherr Janek jchinungelnd 
zunidte: ,,Gott fei Dank, wieder ganz die alte! Gie 
giebt ’8 Kopieren auf!!” 

Proczna dankte für Beleuchtung. „Ich liebe die 
Taften mehr im Dämmerlicht!” lächelte er, „dann fiebt 
man die Fehlgriffe nicht fo jehr!” 

Eine kurze Beit präludierte er — dann wandte er 
plögli den Kopf zurüd: „Wird eB Xenia auch nicht 
jtören, wenn wir mufizieren? In welchem Zimmer ift fie?” 

Frau Klara jchüttelte eifrig den Kopf: „Gott bewahre! 
Das geniert gar nit! Billa Florian ijt maſſiv gebaut 
und wenn Ihre Lieder auch bis zu Xenia hinaufdringen, 
jo würde e3 Dod) fider nur die bejte Arznei zu Ihrer 
Genefung fein!” 

Tiefe Stille herrichte im Salon. Das Haupt gegen 
die Sefjellehne zurüdgelehnt, laufchte Frau von Drad) 
wie von jüßem Zauber befangen, und Bidy, welche auf 
niederem WBoljterfifjen zu ihren Füßen jaß, legte das 
Köpfchen in den Schoß der Mutter und lächelte wie 
verflärt. 

So wunderbar ſchön hatte Procgna noch nie gejungen, 
jelbft an dem Abend nicht, wo er droben im Gaal der 
Gräfin Dynar alle Welt entzüdte; Lied um Lied erflang, 


mächtig anjchwellend wie der Sturm draußen, welcher 
25* 


— 388 — 


die Klänge gewiß auf jeine Schwingen nahm und hinaus 
in die dunkle Nacht trug, und dann ſank die Stimme 
herab zu zauberjüßem Flüjtern, zu Bitten und Flehen —: 
„Und im Bad die Niren raufchen, fomm’ herab, hier 
iſt's ſo fühl...” Ja, das lodte und hallte, das jang 
und Hang: „bis wunderholdes Sehnen did) wunderhold 
bethört .. .“ — 

Jählings erhob fid) der Singer. „Es ift ein wenig 
ihwül hier — ich werde in dem Nebenzimmer das 
Fenſter öffnen!’ und ehe nur die Laufcher zur Befinnung 
famen teilte Janek die gejchlofjene Portiere und trat über 
die Schwelle. 

Wie angewurzelt blieb er jtehen. Bor ihm, matt 
beleuchtet von der verjchleierten Suppellampe, lag Xenia 
in einem Seffel, die Arme auf der Lehne verjchränft, 
das Haupt felt darauf gedrüdt; wie ein Beben und 
Buden ging e8 durch die jchlanfe Geftalt, in weichen, 
weißen Rafdmirfalten floß das Morgenkleid über den 
tiefgefärbten Plüjch hernieder, in duftigem Spigenjaum 
auf dem Teppich verſchwimmend. 

„Kenia! 

Sie ſchrak empor und ftarrte ihn an wie eine Vifion, 
Thränen glänzten in ihrem Auge und rollten über das 
blafje Antlig. Langfam erhob fie fich und richtete fich 
hod) empor, aufjprühend traf ihn ihr Blid, dann ſanken 
die dunklen Wimpern tief auf die Wangen nieder. 

„Sie haben jo meifterlid) gejungen, Janef, daß Sie 
mich wirflic) herabgelodt haben, ich wollte den Schluß 


"Diefe3 Liedes noch 
abwarten, ehe ich 
eintrat.” 

Ruhig und fühl 
wie immer, flang 
ihre Stimme, wenn 
auch nicht ganz jo 
feft wie jonit. 












— 390 — 


„Es war rückſichtslos von mir, zu fingen, wo ich eine 
Patientin im Haufe wußte. — Wie geht es Ihnen, Kenia, 
fühlen Cie fich befjer ?” 

Das war noch derjelbe Klang der Stimme, welcher 
foeben in weicher Innigkeit flehte: „Komm herab — 
bier ift’ fo fühl! ...“ 

Gräfin Dynar hob das Tajchentuch gegen die Augen 
und jchwieg einen Moment, dann jchüttelte fie lächelnd 
das Haupt. — „Singen Sie weiter, Janef, vielleicht 
werde id) an Ihren Liedern ganz gefunden!” 

Frau von Drah und Bidy ftanden in der Thür; 
Xenia trat ihnen entgegen und wurde mit taujend er— 
freuten und erjtaunten Worten begrüßt. 

„Ich bitte um ein ftilles Lauſchereckchen!“ fagte fie 
mit einem Verſuch zu jcherzen. „Die Nixenſtimmen haben 
mur verjprochen, ‚daß e8 fühl... und friedlid) . . . und 
weltvergefjen hier unten fei‘ — und nach all dem habe 
ich Sehnjucht!” — — 

Janek trat an das Fenjter und rif es auf, der Sturm 
faujte nod) um jeine Stirn, aber droben am Simmel 
teilten fid) bereits die Wolfen — ein großer, leuchtender 
Stern ging über Billa Florian auf. 


— Ia 





XVII. 


e! Stopp! — Proczna, bremfen Sie mal!” — 
Der Gerujene blieb auf dem fchmalen Trottoir 
ftehen und wendete das Haupt. 

Quer über den jonnigen Marktplatz Heriiber flirrten 
Sporen, Fürjt Heller Hüningen rafte im Sturmfchritt 
daher, hob in befannter Ungeniertheit die Hand und 
winfte zu gleicher Zeit mit einem umfangreichen Veilchen⸗ 
jtraug und dem fi) nod) zur Dispofition befindlichen 
weißen Handjchuh. 

Sein ganzes Geficht lachte; der Paletot mit dem 
breiten Belzfragen flatterte, noch unzugefnöpft, um die 
ichlanfe Figur, und der Sibel, momentan jchleppend, 
_ rajjelte und tanzte wie in ungeheurer Lujtigfeit neben 
den Ladjtiefeln feines Herrn einher — e3 lag außer: 
ordentlich viel Aftion in der ganzen Erjcheinung des 
jungen Offizierd. Proczna grüßte ihm mit wahrhaft 
gönnerhaftem Wohlwollen entgegen, und Donat eröffnete 
bereits auf zwanzig Schritt Dijtance die Unterhaltung. — 





— 392 — 


„Heute gehen Sie mir nicht durch die Lappen! ... 
und wenn mir auc) Böjes ahnt, wohin Sie wollen, bin 
id) doc perfid genug, mich für ein paar Augenblice als 
Gedankenſtrich auf Ihre Siegesbahn zu legen! — "Morgen, 
Verehrteſter!“ — Donat nahm mit Verve den tiefen Rinne 
ftein und ftredte algdann Proczna die Hand entgegen. 
Alles bligte, jtrahlte, lachte an ihm. 

„Servus, Durchlaucht! — Sie jehen, daß ich bei 
Ihrem Anblid beinahe Wurzel jchlage, und ſprechen von 
Durd) die Lappen gehen‘ ?” 

„Bezieht fid) auf gejtern abend! Alles auf geftern 
abend! Laſſen Sie fic) einen neuen Nüden in Ihren 
Frack einjegen! Sie haben ihn jo anhaltend meinen 
Bliden ausgejegt, daß ich ihn ganz jchäbig geguckt 
habe!” — 

„Der Vorwurf ift hart! — Ignorieren Sie völlig 
das Glas Sekt, welches ich bei Tafel bis zur Nagel: 
probe auf ihr jpezielles Wohl trank?“ 

„Gott verhiit’s! War jehr nett von Ihnen, Proczna, 
bin Ihnen auch ehrlich nachgefommen! Aber jolcher 
Diftanceverfehr fann mir ein für allemal aus der Sattel- 
tajche fallen! Ich brannte darauf, ein männerwürdiges 
Zwiegeipräc mit Ihnen zu führen, jo oft ich mich jedod) 
heranjchlängelte, weiß der Kudud, wie’s fam... ich 
fonnte es zu feinem ‚vergnügten Antritt‘ bringen!” 

Faft jchalfhaft zudte es um Janeks Lippen, und dod) 
jah er in hohem Grade überrajcht aus. 

„Was Sie jagen! Und davon habe ich zerjtreuter 


— 393 — 


Gefell aud) feine Ahnung gehabt! — Welch ein doppeltes 
Olid, daß wir uns dafür heute defto früher am Tage 





treffen ... es ift gewiß eine recht eilige oder wichtige 
Mitteilung, welche Sie mir zu machen haben!” 
Donat 30g die Oberlippe empor und jchwenfte den 





— 394 — 


Veilchenjtrauß im Kreije. ,,Selbftverftindlid! Beides!” 
lachte er. „Wenn ich nicht außergewöhnliche Nerven hätte, 
würde mich die Sache ficherlich nicht haben jchlafen laſſen!“ 
Er trat noch einen Echritt näher, fafte fein Gegenüber bei 
einem der Knöpfe, welche den langen Gehmantel über 
der Bruft zujammenhielt und rüttelte jo energisch daran, 
al3 wolle er ihn zum Andenfen an den ,, Unjterblidjen” 
abdrehen. Dazu fah er Proczna mit dem treuherzigiten 
Bli€ in die Augen. „Die Angelegenheit ift nämlich 
wieder ein Rofendorn, Proczna — Sie wiffen wohl noch, 
einer von der Corte, von welcher Sie mir damals vor: 
ſchwärmten ...“ 

„Roſendorn? ... Wh... ganz recht, ich entſinne 
mid...” 

„Ra, Sie verftehen ſich doch auf dergleichen, Ver: 
ehrter” — Donat drehte immer eifrig an dem Knopf, 
welcher bereits in allen Zwirnfäden ächzte — „und fünnen 
mir mal Ihre Meinung darüber jagen: Wie fanden Cie 
denn gejtern abend die Frechheit von mir, zu Frau Gower 
zu gehen und ihr die Hand zu küſſen? — Gchneidig, 
was? — Haha! habe niemals jpaßhaftere Phyfiognomien 
gejehen als wie in dem Moment! Die Gower ift nämlich 
eine gang nette Frau, jogar leidlich hübjch, fo daß man 
nicht einmal den efligen Nebengedanfen hat: ‚der Handkuß 
fchmedt nach fremden Fingern! — Das war aljo an 
und für fic) feine Bravour, aber was die Sache figlich 
machte, das war das Berbot, welches die Excellenz 
Gärtner ausgehen ließ: ‚daß alle Welt die Gower 


— 39 — 


fojneide!* — Habe bis jegt mit den Wölfen geheult, weil 
e3 das bequemjte war, immer dahin nachzutappen, wohin 
der Leithammel vorausging, aber gejtern wurde ich eben 
mal felbjtändig, koloſſal jelbftändig fogar — ich verblüffte 
die Welt und ging meinen eigenen Weg. Na, wie finden 
Sie bag?” 

Janek applaudierte. „Klatſchet bravo, liebe Freunde, 
ich Habe meine Rolle gut geipielt!” recitierte er voll 
Pathos. 

„Brillant! ... Hat Devrient oder Ehafefpeare mal 
‚ gefagt! oder irgend jo ein anderer großer Schaujpieler, 
weiß ſchon! ... Ja, Procznachen, ich fam mir felber 
wie ein Haupthedjt vor, namentlich wie ich der Gower 
Elogen über die jo famos gejpielte ‚Wagner-Arie‘ jagte, 
und wie der liebe Gott den Schaden bejieht, war es 
eine Ballade von Löwe, die fie accompagniert hatte ... 
hahaha! ... infamer Klecks, den ich mir machte! Gott 
fei Danf hat’3 niemand gehört, und die Gower nahm 
e3 nicht übel ... jcharmante fleine Frau!” 

Proczna jchlug die Hände gujammen. „O du ewige 
Kümmernis! Wir hatten da8 Programm im legten 
Moment geändert. Daß Ihnen aber auc) niemand vorher 
den Irrtum aufflärte!” 

Donat zwirbelte höchſt vergnüglich feinen blonden, 
zierlich gewellten Schnurrbart. „Gefragt hatte ich ja 
vorher, aber leider Gottes die Unrechte! Bicky fcheint 
genau fo mufifalijd) zu fein wie ich, und jehen Cie, 
amico, das hat mir einen diaboliſchen Spaß gemacht, 


— 39% — 


denn e3 ift ein riefig behagliches Gefühl, einem Menfchen 
zu begegnen, der auch ein paar ſchwache Seiten hat! 
Sch korrigierte fie natürlich, wie id) nachher zu ihr 
zurücfam und machte c8 jehr glaubwürdig, daß mir der 
Srrtum zur rechten Zeit noch eingefallen wäre... haha! 
— Gie hätten mal die Augen jehen jollen! — Xenia 
würde den Schwindel natürlich fojort durchichaut und 
mir umgehend eine Abhandlung über flajjijde und mo- 
Derne Muſik zugejandt haben, aber Bidys reine Seele 
denkt an derartige Tüden nicht, — fie glaubte alles, 
faltete wahrhaft anbetend die kleinen Hände und jagte 
mit dem miedlichiten und naivjten Gefichtchen von der 
Welt: Bald fürchte ich mic) vor Ihnen, Donat, Sie find 
wirklich gar zu Eug!‘” 

Der junge Fürjt bog fich vor Lachen. „Sit das nicht 
ein Kapitaljpaß, Proczna? — Dafür fol fie auch zur 
Belohnung diefes Grünfutter befommen, bin eben auf 
dem Wege nach) Villa Florian!” 

„Aha — den Nojendorn wollten Sie mit Beildyen 
ummwinden — —“ 

„Donnerwetter ja, Rofendorn! Sehr gut, dak Sie 
mid) daran erinnern! Proczna” — Heller Hüningen 
ftellte fih in Pofitur, drehte wahrhaft herausfordernd 
den Schnurrbart und machte ein Geficht, welches bis auf 
die jchalfhaften Augen geradezu martialijd ausjah — 
„eine Frage an das Schidjal! — Wenn eine junge Dame 
zu einem jungen Ravalier jagt: ‚Sie find ein Haſeufuß, 
ein geigling, ich werde Sie mein ganzes Leben über 


— 397 — 


haffen und höchſtens nod) Polfa mit Ihnen tanzen ... 
und Ihre Pferde wie die Ziegenböde finden ... und Sie 
felber jo haplich wie einen Menjchenfrefjer und ..““ 

„Halt ein in deinem Grimme!! —“ 

„it das denn ein Rofendorn, Procgna?! —“ 

„Sott ſei's geklagt, jogar einer mit Widerhafen!” 

„Und derartig ftachlige Energie ift jet in Paris eine 
gefeierte Mode geworden? —” 

„And wie gefeiert, noch mehr en vogue wie rotes 
Haar und Jabots!“ 

„Danke Shnen, Procznal — Sie jprechen ein großes 
Wort gelaffen aus... mögen e3 Ihnen alle lieben Muſen 
vergelten! Au revoir!” und ehe Janef nur recht zur 
Befinnung fam, hatte ihm der junge Fürft voll Kraft und 
Herzlichfeit die Hand gejchüttelt, falutierend an die Mütze 
gegriffen und fäbelrafjelnd Kehrt gemacht. Wie ein Echo 
Hang fein luftiges Lachen noch einmal zurüd, als er ſich 
nad) wenigen Schritten umwandte, mit dem Strauß 
übermütigen Gruß zu winfen. — 

Warm und dammrig war es in Frau Leonies Boudoir. 

Die feidenen Vorhänge waren halb gejchloffen, um 
den Sonnenftrahlen zu wehren, welche mitten im Winter 
fi) luftig breit madten. Nur ein jchmaler Goldftreif 
hatte fic) durch die Spigengewebe der Gardine und 
die dicen Duaften und Chenilletroddeln feinen Weg er: 
jwungen und tanzte nun in grellen unten über und um 
das reizende Haupt der Präfidentin, welche neben dem 
Klavier jtand und ein Notenblatt in der Hand hielt. 


— 398 — 


Proczna Hatte fie gum Gejang begleitet. Er ließ die 
Hände langjam von den Tajten finfen, lehnte fich in den 
Sefjel zurüd und blickte zu jeiner Schülerin empor. 

„Sie fingen ja heute merfwürdig zerjtreut, Excellenz“, 
fagte er mit geddmpjter Stimme, ,,foviel ich mich ent- 
finne, fteht ein Doppeljchlag auf ‚leije‘ und ‚hörjt‘, und 
beidemale haben Sie gejtreift — darf ich einen Augen— 
bli bitten?” — Er griff nach den Noten und umjchloß 
jefundenlang das Blatt und ihre jchlanfe Hand zugleich; 
dazu lachte er wie ein übermütiger Knabe, der fein Neb 
über einen Echmetterling wirft. — Leonie atmete kurz 
auf, preßte die Hände gegen die Schläfen und wandte 
fi) ab, um fich brüsf in einen Fauteuil niederfallen zu 
lafjen. 

„SH fann heute nicht fingen! — Quälen Cie mid 
nicht, Procgna .. mein Gott, ic) weiß ja jelber nicht, 
wo mir der Verjtand geblieben ift!’ 

„Meine Ruh’ ift hin, mein Herz ift ſchwer ...“ er 
erhob fic) und trat an ihre Seite. „Die Geifter, welche 
Sie riefen, werden Sie nicht mehr los, Excellenz! Ich, 
bejtehe auf dem beglüdenden Recht, Ihr Lehrmeifter zu 
jein, und werde Sie aus egoiftiichen Gründen mit den 
jüßen Liedern quälen, wenn Cie auc) noch fo verzweifelt 
zu mir emporbliden! Muſik ift der Schlüffel zum weib- 
lichen Herzen, und nur ein Narr hält ihn in der Hand 
und macht feinen Gebrauch davon!” 

„Sie find ein Phantajt, Proczna! Wer weiß, ob es 
der Mühe lohnt, in mein Herz zu fchauen !” 


— 399 — 


Er neigte fich tiefer zu ihr hinab, es lag etwas Fasci- 
nierende3 in feinem Blid. 

„Ein jeder Mann ift eitel und um jein Bild im 
Herzen einer jdjinen Frau zu jehen, nimmt er e3 mit 
Himmel und Hölle auf!“ 

„Und wenn alle jeine Mühe umfonjt ijt, und fid 
das betreffende Herz nicht als Spiegel erweiit?” Leonie 
jagte e8 jehr leije, die dunklen Gpigen über ihrer Bruſt 
wogten auf und die weiße Hand glitt wie tief erjchöpft 
von der Gejjellehne hernieder. 

7, Daun weiß ich nicht recht, wer mehr zu beflagen 
ift — er oder fie?!” 

Excellenz Gärtner zudte empor. ,,Laffen wir Die 
Antwort auf dieje Frage offen! — Man fagt bereits in 
der ganzen Stadt, daß Sie mir die Cour machen.” 

„Sie jehen, Excellenz, daß man mir die geijtreichiten 
Einfälle zutraut!” 

„Wollen wir einmal ein ernjtes Wort darüber reden?” 

„ein! — Um alles nicht!” 

pein ?1” 

„Was habe ich verbrochen, daß Sie mich zu einer 
halben Stunde Langeweile verurteilen wollen? Etwas 
Ernithaftes ijt ftet8 ennuyant! — Außerdem ahnen Sie 
gar nicht, wie unglaublich fomijch ich mich dabei aus- 
nehme — ein Ritter von der traurigen Gejtalt!” 

„Eh bien, fo lajjen Sie ung nicht über das Feuer 
philojophieren, fondern damit jpielen! — Warum machen 
Sie mir die Cour?” 


— 400 — 


Leonie nahm einen Fächer aus der Marmorfdale, 
welche vor ihr auf dem Tiſche jtand, entfaltete ihn und 
blingelte nedijch über jeinen goldgewirften Rand zu dem 
[hönen Mann an ihrer Seite auf. 

„Darum 2” — Yanef lachte leife auf, ließ fich Dicht 
an ihrer Seite auf ein orientalifches Kiffen nieder und 
30g ihre Hand an feine Lippen. „Weil ich ftets mit dem 
beiten fürlieb nehme!” nedte er. 

Ein leichter Fächerſchlag war die Antwort. 

„Wiſſen Sie auc), daß ein ritterlicher Anbeter nicht 
fahnenflüchtig werden darf?‘ 

„Sch werde jtet3 unter der ,Flagge der Liebe‘ fümpfen, 
Grcelleng; habe ich Anlaß zu Zweifeln gegeben ?” 

„Sal — Sie waren nahe daran, mich eiferjüchtig 
zu machen!” 

„Wohl mir!” 

„Sie abjcheuliher Menſch verfpraden mir, Frau 
Gower gründlich zu blamieren, und ftatt defjen tragen 
Sie dazu bei, ihr geradezu einen Triumph zu bereiten!” 

„Mein Gott, was fann ich denn dafür, Excellenz, 
daß die Frau fo meifterhaft jpielt! — Glauben Sie 
mir, eine Ballade von Löwe vom Blatte zu begleiten 
und dabei noch zu tran8ponieren — da8 ift eine Leiftung, 
die bei Gott ihresgleichen ſucht!“ 

„Sie brannten ja aud) lichterloh vor Begeifterung, 
und der Handfuß zum Schluffe .. .” 

„Kunftenthufiagmus! — Nur wenn man viele Hände 
fügt, fann man ermefjen, weldje man am liebften — 


— 401 — 


längiten und ... beißeften füßt!” Brocgna hatte aber: 
mals die Rechte der Präfidentin mit vieljagendem Blick 





erfaßt — nach jedem der legten Worte zog er fie an 
die Lippen. 
Leonie lächelte. „Heller: Hüningen und die fleine 


Beatrice machten auc) einen recht eigenwilligen Strich 
N.v. Eſch ſtruth, IL Rom. u. Nov, Polnif Blut IL 26 


— 4022 — 


burd) die Rechnung und übten fic) mehr wie nötig im 
Samariterdienft! Buerjt hatte id) faktiſch den Verdacht, 
Sie hätten die beiden dazu angeftiftet!” 

„SH? Wenn Sie mir die hohe Ehre angedeihen 
ließen, mich zu beobachten, fo werden Sie bemerkt haben, 
daß ich den ganzen Abend fein Wort mit dieſen beiden 
gewechjelt habe! Und...” Procgna ſtützte fic) auf die 
Armlehne und blidte mit einem Gemiſch von Schalf und 
fecter Herausforderung zu der ſchönen Frau empor, „na, 
Excellenz — was würden Gie denn thun, wenn id 
wirklich der Gower ein paar Verehrer gewonnen hätte?’ 

Leonie griff jcherzend nad) feinem Ohr. „Sch hätte 
mich gerächt, Sie Böjewicht! Hätte Ihnen die ganze 
Grifteng untergraben! Zu einer Hydne wäre ic) geworden, 
welche Ihren guten Namen und Ihre Pofition bei Hofe 
erbarmungslos zerfleijcht hätte!” 

„Slauben Sie, reizende Nemefis, denn wirklich, daß 
Sie jo allmadhtig find?” — Die Präfidentin zuckte ges 
heimnisvoll die Achjeln, wie verzaubert hing ihr Blid an 
dem Antlig des Sprecher8, welcher langfam den ſchwarzen 
Schnurrbart ftrid) und die ganze Macht feines Auges an 
ihr zu erproben jchien. 

„Wiſſen Sie nicht, daß fic) die abergläubijchen Seelen 
hier ins Ohr fliijtern, ich bejäße jene zauberfräftige Spring: 
wurz, welche unbejchränfte Gewalt über Menjchenherzen 
verleiht 2” 

„Das kann ich aus eigener Erfahrung bejtätigen. Aber 
ijt damit gejagt, daß fie dadurch mächtiger find wie ich 2” 


- 403 — 


Leonie lachte leiſe auf und legte halb zärtlich, halb 
bedauerlich die Hand auf ſeinen dunklen Lockenkopf. 

„O, Sie allerliebſte fleine Einfalt, Sie!” 

„Nicht vor der Zeit mitleidig werden, meine ſüße 
Herrin! — So viel mir bekannt iſt, vermag ein jedes 
Sonntagskind die Zauberwurzel zu graben, und wer ein 
klein wenig Glück und Geiſt beſitzt, erwiſcht juſt die, 
welche den Schlüſſel gu Anna Reginas Herz birgt! — 
Unterfhägen Sie mid) nicht, Excellenz, im Leben eines 
Sängers pajfieren mehr Dinge, als Ihre Schulweisheit 
fid) träumen läßt!” — 

„Köſtlich! ... Sie find unglaublich amüjant, Proczna! 
Ich möchte darauf jdwiren, daß Sie ein Sonntagskind 
find, wenn mir aud) jeglicher Beweis dafür fehlt.” 

„And wenn ich ihn liefere?” 

„Ah?“ 

Janek neigte fi) noch näher zu ihr hin — ein ſelt— 
james Sprühen und Flacern ging durch fein Auge, er 
lächelte faft ironijd. „Sie fpielen vielleicht der ganzen 
Welt gegenüber eine brillante Komödie, Excellenz, nur 
mir gegenüber nicht, ich jchaue Hinter die Coulifjen und 
weiß, wie die Rollen verteilt find! Coll id) Ihnen die 
Bauberformel jagen, welche dem Lujtfpiel den Titel und 
der Springwurz ihre Kraft verleiht? ‚Don Carlos‘, 
Excellenz ... Don Carlos ijt die Formel, welche jeg- 
liches Geheimnis erjchließt !” 

Ein leifer Aufjchrei flang von den Lippen der Prä- 
fidentin, fie ſchrak aus ihrer läffigen Haltung auf und 

26* 


— 404 — 


legte unwillkürlich die Hand auf die Lippen Janek Procznas. 
Dann janf ihr Arm wieder hernieder, mit großen Augen, 
ftarr vor Staunen, wiederholte fie mechanisch: „Don 
Carlos ... was wilfen Sie von Don Carlos?” 

Der Pflegejohn des Grafen Dynar zucdte gleichmütig 
die Achjeln. ,,Bielleicht genau fo viel wie Sie! .. .” 

„Unmöglich ... Sie waren ja gar nicht in London —” 
Leonie biß fich auf die Lippe und jah ihn durchdringend an. 

„Wäre aud) Hichjt überflüffig gewejen!” er lachte 
feife auf, auch fein Blick ftreifte vorjichtig prüfend die 
Gegnerin. „Es gibt viele Wege, die nach Rom führen, 
und man fann jich überall begegnen ... haha! Gie 
wollen mir wohl auf den Zahn fühlen? .. .” 

„Rom... ich verſtehe . . .“ Frau von Gärtner atmete 
tief und beflommen auf, „Sie jcheinen in der That unter: 
richtet... mein Gott, welch ein merhvürdiger Zufall... 
fennen Sie ihn denn wahrlich?” 

„Zweifeln Sie nocd)? — Wenn man freiwillig hier- 
her in diejes Sibirien fommt, Excellenz, fo muß das doch 
wohl triftige Nebengründe haben!” 

„Reden Sie — ich beſchwöre Sie! — eine Beitellung 
für die Pringefjfin? — Unmiglich . - fie hat ja jegliche 
Beziehungen abgebrochen .. .” 

7 Beziehungen ?” — Proczna wiederholte e3 langjam, 
mit eigentümlicher Betonung, jein Blick jenkte fich durch: 
dringend in das Auge feines ſchönen Gegenübers, „was 
verftehen Sie darunter? Kein Wort umfaßt weitere und 
verfchiedenere Begriffe als juft dieſes!“ 


— 405 — 


Lebhafte Nöte brannte auf Leonies Wangen. „Wenn 
Sie in der That Carlos’ Freund find und fein Vertrauen 
genießen, beantworten Cie fic) dieje Frage wohl jelbit!” 
antwortete fie Haftig fliijternd, „ich bitte Sie dringend, ich 
flehe Sie an, jagen Sie mir, weld) eine Mijjion Sie 
herführt, ift der Menjch wirklich rajend genug ...” fie 
unterbrach fic) furz. „Wo jahen Sie ihn zulegt ?” 

„Ben ?” 

„un... Mon Dieu ... Carlo!” 

„Welchen Carlo?” 

Frau von Gärtner blidte ihn an. „Sch fenne nur 
einen !” 

Ein feines Lächeln fpielte um Janeks Lippen. „Ganz 
mein Fall — auch ich befige nur einen Freund dieſes 
Namens, und mit dem hat es eine bejondere Bewandt: 
nis; er ift Hier und da etwas menjchenjchen und har 
mich dringend erjucht, hier in diefer Stadt und namentz 
(ih in der Hofgejellichaft jeinen Namen nie zu nennen, 
e3 müfje denn gerade ein einziger Frauenmund ihn fragend 
in mein Ohr flüjtern, dem dürfte id) Echo jein!” 

„Und wenn meine Lippen dieje Parole ausiprechen 2” 

„Sp würde e3 eine Art freimaurerijches Erfennungs- 
zeichen für mich fein, daß ich eine Alliirte vor mir habe!” 

Procznas Antlig war ruhig, wie aus Stein gemeißelt, 
feine Miene oder Gejte verriet irgend welche Erregung, 
und feine Hand drehte in nerpöjem, aber unmerflichen: 
Spiel die jeidene Seffelquajte. Er erhob fich und blidte 
fragend zu der jchönen Frau herab. 


— 406 — 


Leifes Auffichern erflang, Leonie richtete ihre ge— 
fchmeidige Geftalt Halb auf in den Atlaspolitern und 
blidte ihn fefundenlang mit jchillernden Augen an. 

„Sehr diplomatifd, mon ami! — Gie machen Ihrem 
Freunde alle Ehre und würden vortrefflich an jeine Seite 
paffen, das Auswärtige Amt braucht vorjichtige, um: 
fichtige und fcharffichtige Abgefandtel — Glauben Sie 
leichte Arbeit bei mir zu haben? — Wir gleichen zwei 
Spielern, welche fic) gern in die Karten fehen möchten, 
welche beide zu Gunjten einer dritten Perjon das Hazard 
wagen, genau an demjelben Strange ziehen und fid) dod) 
mit miftrauijden Augen betrachten! Eh bien — wer 
fpielt aus? 1” 

Proczna lächelte. „Der Beginnende ift jtet3 im Vor: 
teil; felbft Krieg und Würfeljpiel heben mir gegenüber 
die Gejebe der Courtoifie nicht auf!” 

„Slatt wie ein Aal! Man muß Salz in die Hand 
nehmen, wenn man Gie fafjen will! Meiner Anficht 
nach ift e8 die erfte Pflicht eines Kavaliers, ftets der 
Dame Avancen zu machen !” 

„Ich beuge huldigend das Knie vor meiner flugen 
und fchönen Herrin, und mache es ihr unendlich bez 
quem, mir al Gegenbeweis ihrer Huld ein vertrauliches 
Wörtchen ins Ohr zu fläftern!” 

Der Sprecher ließ dem Worte die That folgen und 
blidte mehr fühn wie anbetend zu der Gemahlin des 
Präfidenten empor. Leonie legte die Hand gegen die 
Stirn, als blende fie die heiße, verführerijche und dod) 


— 407 — 


fo rätjelhafte Glut dieſes dunflen Auges, dann fdlug 
fie wie ein fchmollendes Kind mit dem Fächer leicht 
gegen feine Wange. 

„Sie rühmen fic) aller ritterlichen Tugenden und 
find dabei der elegantejte Menjch von der Welt! Nicht 
um Haaresbreite rüden 
Sie aus Ihrer gededten 
Pofition, mir den Sieg 
wenigſtens pro forma 
in die Hand zu fpielen! 
Lafjen Sie uns einen 
Vertrag jchliegen — ge 
recht und billig. — Sagen 
Sie mir zu Ihrer Legiti- 
mation den vollen Naz 
men Carlos und id 
will Ihnen offen und 
rüdhaltlog jedes kleinſte 
Detail erzählen, wel 
hes mid, mehr wie 
Sie vielleicht ahnen, in 
die Angelegenheit verwidelt !” 

Er lachte leije auf, erhob fich jah und warf fid 
in einen Gefjel. „O Widerjprud, dein Name ift 
Weib!” jchüttelte er das Haupt. „Speben nennen Sie 
mich diplomatijd) und verlangen in der nächſten Minute, 
daß ich den gröbjten Verſtoß gegen die Grundregel 
jeglichen Disput3 begehen joll! Wer jagt Ihnen denn, 





— 408 — 


daß ich nicht bereits ganz genau von allem unterrichtet 
bin, was Sie mir als Gegenleiftung anvertrauen 
wollen? Wenn man einen Boten hinaus in das 
feindliche Lager jchicdt, jo gibt man ihm vor allen 
Dingen den genauen Plan des Terrains mit, geiftige 
und verförperte Waffen, und namentlich die Adrefjen 
guter Freunde, mit welchen er fich eventuell verbinden 
fol! Trauen Sie dem Diplomaten Carlo den Leicht: 
finn zu, anders zu handeln? Ich jtehe als jein 
Abgefandter vor Ihnen!“ 

Eine fieberhafte Aufregung bemächtigte fich Leonies. 
Sie neigte fid) zu Proczna herüber und legte die Hand 
auf feinen Arm. 

„Genug des Hin und Her! Sch bezweifle nicht 
länger, daß Sie in der That von den Beziehungen 
Anna Reginas zu dem Legationsrat wiljen. Herunter 
mit der Maske! Jd) bin bereit, rüdhaltlos über alles 
mit Ihnen zu reden und reiche Ihnen die Hand als 
meinem Verbündeten! — D’accord ?” 

Er neigte fich tief über ihre Hand und fiifte fie. 
„For ever —!” 

Ein Aufbligen ging durch fein Auge, er hielt ihre 
Hand feft in der feinen, als gälte e8 einen Vogel, 
welchen man mit Mühe erhajcht, ficher zu fafjen und 
zu feffeln, ehe er mit glattem Gefieder wieder durch die 
Finger jchlüpft! 

Frau von Gärtner 30g die Heine ſamtweiche Rechte 
nicht zurüd, es waren jüße, magijche Bande, welche all 


— 409 — 


ihre Sinne umftrict Hatten, von jäher Blindheit ges 
Ihlagen, flatterte der Falk in die Fänge des Adlers. 

poor Freund ijt der Legationsrat, Marchefe de la 
Branca ?” 

Sane machte eine Bewegung mit dem Kopf, welche 
ebenjo gut ,ja” wie „nein“ heißen fonnte, Leonie aber 
fuhr haſtig fort: „O’est ga. — Liebt er die Prinzejfin 
noch immer?” 

„Ber Anna Regina zum Inbegriff jeines Lebens 
gemacht hat, wird niemal3 von diejer Liebe laſſen!“ 

„Seltjamer Phantaft, troßdem die ängitliche Hoheit 
ihn jozufagen nur mit ,Cisbaijer3 regaliert hat! Gie 
wijfen, daß id) die ganze Angelegenheit in die Hand 
genommen hatte 2” 

„Selbjtverftändlich! — Branca verwies mich an Sie, 
Details erzählt er ungern, er malt nur mit vollem Pinſel 
und großen Striden, dem Bild die charatterijtijden 
Lichter aufzufegen, überließ er Ihrer gejdicten, energi- 
ihen und reizenden fleinen Hand!” 

„Schmeidhler! — Hat er Ihnen wenigſtens die Vor- 
gejchichte genauer erzählt? Anna Regina behauptet natiir- 
lich, daß fie den jchönen Marchefe nur in mädchenhafter 
Schwärmerei hie und da einmal bevorzugt, und viel- 
leicht öfter wie nötig den Cotillon mit ihm getanzt habe! 
Selbitverjtändlich ein gefundenes Frefjen für die Klatſch— 
baſen ihrer heimatlichen Rejidengz, welche die Heine Prin- 
zejfin ſchon volljtändig mit dem Legationsrat verheiratet 
hatten! Wiſſen Sie durch Carlo vielleicht, ob es that- 


— 410 — 


fächlich nie zu einer heimlichen Ausſprache zwifchen beiden 
gefommen ift ?” 

Leonies Augen funfelten, und die weichen, ringge- 
pangerten Finger, welche fich fejter um Janeks Nechte 
ichloffen, glichen ein paar jcharfen Krallen, welche jich 
raublujtig nach einem Opfer jtredten. 

„Ich bitte Sie um alles in der Welt, Excellenz, ver: 
geffen Sie nicht, daß wir das platonifche Deutjchland 
alZ Ort der Handlung‘ verzeichnen! Der arme Carlo 
ſchmachtete wie der Fichtenbaum nach feiner fernen Palme 
‚Blidchen hin und Blick herüber‘ voila tout! Anna Rez 
gina geftattete ihm nicht den Drud einer Fingerjpige, und 
Branca war Schwärmer genug, fich nur ein Heiligenbild im 
Herzen aufzujtellen, welches die Züge Anna Reginas trug!” 

Frau von Gärtner zuete halb enttäujcht, halb ſpöttiſch 
die Achjeln. „Welch ein weißer Rabe unter all jeinen 
fohlrabenjdwargen Kameraden! Für gewöhnlich opfern 
die Anbeter auf einem anderen Altar, und offen geftanden, 
liebe id) mehr die Flammen, die brennen, al3 die, welche 
nur gleich einem ewigen Lämpchen leuchten! Wenn aber 
die ganze Courmacherei wirklich nur auf eine Gentimen- 
talitätsanwandlung hinaugläuft, warum brauchte dann 
Auguft Ferdinand fo eiferfüchtig gu jem?” 

„Beil er befannterweije mit feiner erjten Braut trau= 
rige Erfahrungen gemacht hatte, und die Welt es liebt, 
aus der Mücke einen Elefanten zu madjen. Aber Sie 
wollten von den Tagen erzählen, welche Sie zur lady 
patroness diejes Iyrijchen Paares gemacht!“ 


— 411 — 


Leonie nidte gedanfenvoll. „Bor einem Jahre war 
Branca hier. Anna Regina hatte fic) von vornherein 
jehr an mich attachiert, und Hilfe und Rat erbeten, fich 
hier in die fremden Verhältnifje einzuleben. Eines Abends 
flüftert fie mir leichenblaß vor Aufregung zu, fie miiffe 
mid) morgen ganz ungejtört jprechen. Ich fuhr zu aufer- 
gewöhnlicher Stunde bei ihr vor, wurde in furzem Lete- 
astete zur Intima erhoben und erfuhr, daß Anna Regina 
ein Schreiben von dem Marcheje erhalten habe, in wel: 
dem er feinen Bejuch für den zweitfolgenden Tag an— 
meldete, um Hoheit allerunterthänigit zu erjuchen, ihm 
ein Empfehlunggfchreiben an eine betreffende Perjünlich- 
feit des Xer Hofes zu bewilligen, wohin er als Lega- 
tion8rat verjegt fei. — Die Prinzejjin zitterte vor Auf- 
tegung, da fich juft zuvor eine fleine Eiferjuchtsicene 
zwijchen ihr und August Ferdinand abgejpielt hatte; fie 
beſchwor mich, dem Branca unter meinem Namen jofort 
abzutelegraphieren!” Frau von Gärtner unterbrach fich 
und lachte jcharf auf. „Die ganze Sache war unglaub- 
lid) harmlos, bejter Proczna, und wäre Anna Regina 
nicht gar zu — — naiv findlich geweſen, fie hätte jedes 
Kompromittierende jofort niedergejchlagen, wenn jie das 
Bittgejuch des Marcheje ihrem Manne überreicht hätte! 
Aber fie hatte völlig den Kopf verloren — und id... 
mon Dieu ... ich war auch fonjterniert und faffung3- 
los ... hätte ich mir die Sache damals jo ruhig über: 
legt wie heute, jo hätte ich natürlich den ebenerwähnten 
Nat gegeben, aber wie gejagt ... id) fam auch auf 


— 412 — 


einen recht verfehrten und romanhaften Gedanfen, und 
ftimmte der Pringeffin in übergroßer Ängſtlichkeit bei, 
die ganze Sache geheim zu halten. Ich Hatte Mitleid 
mit ihr, id) glaubte, es fei eine unglüdliche Liebe im 
Spiel, und anjtatt abzutelegraphieren, lud id) Branca 
unter einem Infognito hierher ein, und überrajchte Anna 
Regina zwei Tage darauf mit dem lafonijchen Zettelchen: 

Carlo ijt hier bei mir, fleht um ein paar Minuten 
Gehör, ich bürge für nollite Sicherheit und Disfretion!* 
Natürlid) antwortete die Kleine Frau umgehend in einem 
Billet, welches jtarf nach einem Rendezvous ausfdhaute, 
und fam eine Stunde fpäter, halb tot vor Angſt und 
Aufregung hier an.” Ein unausſprechlicher Ausdrud 
lag auf Leonies Zügen, ein graujamer Triumph der 
Überlegenheit und der Lift! 

„And die Unterredung fand in Ihrem Beifein ftatt?” 

Die Präfidentin lachte laut auf. „Nein, Broczna, 
fo indisfret bin ich nicht! Anna Regina litt allerdings 
nicht, daß ich das Zimmer verließ, aber ich trat in die 
Fenfternijde und zählte die hellen Scheiben am Markt— 
plaß! Andern Tags citierte ich die Prinzeffin noch einmal 
zu mir, perjönlich ihr Schreiben für Branca zu bringen, 
ich hoffte beiden einen Gefallen zu thun ... aber fattijd, 
Proczna — ich hätte ruhig dabei jiten bleiben fünnen, 
denn jo etwas Langweiliges und Solides wie die Unter- 
haltung diejer beiden Liebenden habe ich jelbjt in Hann— 
den und die Küchlein‘ nicht gelejen! Und dabei ijt der 
Marcheje ein bildgübjcher, Heiner Schlingel ... erjt alg 


— 4143 — 


die Hoheit fic) mit feuchtem Bli€ und einem gnädig ge- 
währten Handfuß zurüdgezogen hatte, merfte id), was er 
für gefährliche Augen hat, da taute er überhaupt erft 
auf, al8 ic) ihm die Eentimentalität ein wenig von der 
Seele jcherzte!” 

„Für die Vergangenheit fann ich Sie nicht verant- 
wortlid) machen, Sie Zauberin!” Lächelte Proczna mit 
tiefem Blid. „Aber in Zukunft werde id) meinen lieben 
Freund Doch ein wenig entfernt von hier halten! Glüd- 
liher Branca! Ich bin doch auch jentimental, Excellenz, 
warum find Sie allein mir gegenüber jo mitleidlos, die 
Schatten nicht hinwegzufcherzen 2” 

Leonie neigte das Köpfchen fofett zur Seite: „Weil 
e3 diesmal ... Ernit ijt!” 

‚Barum laden Sie mich nicht einmal infognito ein?” 
Sie bif jich auf die Lippe und wandte fich beleidigt ab. 

„Sie haben mir jet etwas weis gemacht: ich bin 
jehr eitel, meine Augen find genau jo ſchön wie die des 
Legationgrats .. .” 

Sie blickte ihn jchnell an. „Genau jo ſchön! — Wie 
bejcheiden!” 

„And was ihm recht ijt, ift mir billig ... ich beftehe 
auf mein Recht!” 

„Wie wollen Sie denn das anfangen, mon petit 
fanfaron? |” 

„Motieren Sie fich nur! Ich beweife es!“ 

„Und wodurd, wenn man fragen darf —?” 

Er neigte fid) noch näher zu ihr hin, fein Auge lachte, 


— 44 — 


und doch bligten grelle Funken darin. „Indem ich nicht 
eher wieder zum Mufizieren zu Ihnen fomme, bis Sie 
mid) ebenjo ‚infognito‘ und ebenjo ,rofa‘ einladen wie 
den Marcheje!” 

„Thatjache? — Muß man jo höflich fein, das zu 
glauben?” 

„Mein Wort!” 

Sie warf den Kopf zurüd und lachte etwas frampf- 
haft auf. . 

Sm Nebenzimmer flangen Schritte, ein Diener fragte 
an, ob Seine Excellenz dem Gejange ein wenig laujchen 
dürfe? 

„Selbitverjtändlich 1” 

„Alſo bitte zu den Noten zurüd, meine Gnädigjte!“ 

Leonie erhob fid) langjam. „Wir waren von unjerem 
Thema abgefommen, Procgna — bi8 wir e8 wieder auf: 
nehmen — — id) meine die Angelegenheit Anna Reginas! 
— id fann mich doch auf Sie verlajjen?” und fie legte 
bedeutjam den Finger auf den Mund, trat dicht neben 
ihn und blicte ſchwärmeriſch zu ihm auf: „Es gibt fein 
feftere3 Band, zwei Menjchenjeelen aneinanderzufetten als 
ein gemeinjames Geheimnis, darum machte ich Sie zu 
meinem Vertrauten!” 

Janek neigte fich tief über ihre Hand, es war uns 
möglih, die Wirfung diejer Worte auf feinem Antlig 
zu leſen. — — 








XVIII. 


uf dem Exerzierplaß der Franz-Ulanen, einem 
weit vor der Stadt gelegenen, vortrefflichen 
Terrain, entwidelte fic) in der Mittagsjtunde 
ein für Die winterliche Jahreszeit außergewöhnliches Leben. 
Das Difiziercorps hatte bejchlofjen, die milde Witterung 
zu benugen und in einem fleinen Flachrennen auf un- 
gejatteltem Pferde dem ehemaligen Gardefürajfier zu 
beweijen, daß Reuſſeks „verwegene Jagd” den Gäjten 
nicht allein im Springgarten die Honneurs macht. 

Die Damen waren gumeift im Wagen erjchienen, dem 
gewiß höchſt amüjanten Echaujpiel beizuwohnen, nur 
Frau von Hofitraten rettete die Ehre ihrer Mitjchweitern 
und trabte auf der „Harfe“, einem unglaublich hod- 
beinigen Schwadronsgaul, welchen ihr Graf Hechelberg 
auf eigenes Rififo für den noch immer leidenden Apfel 
ichimmel geftellt hatte, an der Seite ihres Gatten quer= 
feldein über einen Sturzader, dem Rendezvous entgegen. 

Janek Proczna ritt an der Seite jeiner Pflegejchweiter, 
und Fürjt Heller Hüningen amüfierte fic) damit, feinen 


— 46 — 


eleganten Goldfuchs dicht an das Gefährt heranzudrängen, 
um durch eine gejchicte Kleine Barade den zierlichen Kopf 
des Nenners neben Bickys rojige Wange zu Ddirigieren. 

„Darling will ja nur einmal an Ihren Veilchen 
riechen! neckte der junge Offizier lachend, als Fraulein 
von Drach in die äußerjte Ede der Polfter retirierte, 
„per Schlingel hat Geſchmack und ijt an Zuder gewöhnt, 
darum fühlt er fic) von Ihnen angezogen!’ 

„Ich habe ja gar feinen bei mir!” 

„N’importe! Gie find ja jelber jo ſüß, Bidy ...” 

Hechelberg Hemmte das Monocle ein und drehte den 
Kopf wie eleftrifiert nach dem Sprecher herum. „Seht 
ſchlag mir einer 'nen Türfen tot! — wo hat denn unjer 
Fiingfter dicje jengerigen Redensarten aufgegabelt? — 
Nein, Beauty-patch, das geht nicht, das füllt auf mich 
zurück! Sie ftehen bei meiner Schwadron, bei der ſo— 
lidejten im Regiment, Da würden die Leute womöglich 
jagen, Sie hätten das Courjchneiden bei mir gelernt! — 
Mein gnädigjtes Fraulein, ich halte es für meine Pflicht, 
Sie vor Ddiejem jüngiten Leutnant zu warnen... Hat 
gar feinen Zwed, fic) von ihm anlügen zu lajjen ... 
über furz oder lang muß ich ihn doch ’mal fiifilieren 
lafjen!” 

„Füſilieren?“ — Bidy ftarrte den Sprecher an wie 
ein Gejpenft. „Das dürfen Sie ja gar nicht, nur wenn 
einer Dejertiert ift, wie im ‚Haidegrab‘, o und felbjt dann 
wäre es abjcheulich .. . ganz empörend von Ihnen, denn 
der Donat ift der Nettjte vom ganzen Regiment und 





ich verfichere Sie, daß er in feinem Leben nichts Böſes 
gethan hat —“ 
R.v. Eſch ſtrut h, GL Rom. u. Rov, Polnif Blut II. 27 


— 418 — 


Ales lachte laut auf, der Rittmeifter aber zwang 
fein rotleuchtendes Antlig in fehr ernfte Falten. „So? 
wirfih? Cs ift ‘mal wieder Hüningens fpecielles 
Pech, daß Sie nicht die Konduite zu fchreiben haben, 
mein gnädigjtes Fräulein, id) bin überzeugt, Sie bejorgten 
ihm binnen heut und morgen einen ganzen Sternhimmel 
auf die Achjeln! — Wie wär's aber, wenn ich Ihnen 
"mal die Augen über den Monjieur öffnete .. .” 

„Machen Sie mich nicht unglüdlich, beiter Graf, ich 
fann nicht3 anderes, als Ihnen meinen Gefundanten 
ſchicken!“ 

„Laſſen Sie ihn doch nur reden, Donat! Ich glaube 
ihm ja kein Wort!“ rief Bicky eifrig tröſtend dazwiſchen. 

Hechelberg aber machte ein martialiſches Geſicht und 
nickte ſeinem Leutnant eifrig zu. „Gut, wechſeln wir die 
Karten ... Sie ſchießen morgen von elf bis zwölf — 
ich von zwölf bis eins — natürlich übers Schnupftuch.“ 

„Das wollen wir doch erſt 'mal ſehen!“ atmete Fräu— 
lein von Drach mit blitzendem Auge tief auf; Xenia 
und die Kammerherrin aber erſuchten den Rittmeiſter 
höchſt beluſtigt um das betreffende Kapitel der chronique 
scandaleuse, welches den Namen Heller-Hüningen als 
Überjchrift trug. 

Der Graf zwirbelte den jtarfen, hellblonden Schnurr= 
bart fühn gwijden den Fingern. „Hören Sie zu, meine 
Damen, und brechen Sie den Stab über den frechen 
fleinen Zeutnant da! Sie wiffen, daß ich ihn, des guten 
Einfluffes wegen, in meine Schwadron nahm, und ihn 


— 419 — 


mit vieler Nachſicht bis zur Unglaublidfeit verwöhntel 
— Was ijt der Dank dafür? Das Küden wächjt der 
Henne über den Kopf und tanzt ihr zur Revanche auf 
der Naje herum! Ein einziges Beijpiel wird meine Worte 
iluftrieren! Vergangenen Sommer, während des Ma: 
növers, will eg mein Mißgejchid, daß meine Schwadron 
fuftig darauf logreitet und jchlieglid am Fuße eines 
waldigen Berges nicht mehr hott noch hüh weiß. Wie 
das nun der jchneidige Ton des Dienjtes erfordert, hat 
bei Anwejenheit ſeines Rittmeiſters ftets der Leutnant 
unrecht, und infolgedeffen blies ich unfer Beauty-patch 
mit gtimmigfter Miene an, daß ein Dffizier, falls er 
auf unbefanntem Terrain manövriere, jtet3 eine Spezial- 
farte zur Hand haben müjje !” 

„Bumm!“ 

„Nicht unterbrechen, Kleiner. — Andern Tags halten 
wir auf dem nämlichen Blak. Plötzlich gräbt mein 
Herr Leutnant, welcher bereits während des Rittes auf: 
fallend wattiert ausjah, ein pfundjchweres Opus aus 
der Ulanfa und entfaltet e3 feierlichjt als eine gigantijche 
Landfarte. Immer größer — immer endlojer breitet 
fi) die Sache aus, bis jchlieglich RoR und Reiter wie 
durch eine jpanifche Wand verdedt dahinter verjchwinden, 
und dabei hält Seine Durchlaucht daS Papier dicht vor 
die Augen und ftarrt und ftarrt darauf nieder, als fünne 
er fic) gar nicht jatt jehen! — „Na, zum Teufel, Hü— 
ningen, was machen Cie denn da?” — frage id), an 


ihn heran reitend, und ohne nur aufzubliden, ganz aufs 
27* 


— 420 — 


gelöft vor Eifer, antwortet mir der hoffnungsvolle Etra- 
tege: Ich ftudiere Das Terrain, Herr Rittmeijter ! — — 
Bis dahin ijt nun die Angelegenheit fehr hübſch und 
loben3wert meine Damen, aber der hinfende Bote fommt 
nad. Gang gerührt neige ich mich nun ebenfalls zu 
dem Papier hernieder und erblide ... eine Karte von 
Europa!! — tableau mes dames! — — Und fold 
einen rankünöſen Menjchen, der feinem beften Freund 
und Vorgeſetzten derartigen Schabernad jpielt — dem 
wollen Cie fünftighin noch verzuderte Redensarten glau- 
ben, mein gnädiges Fraulein 2” 

Eiliger Hufjchlag annoncierte Prinz Reuffef. Die 
Diffiziere ritten ihrem Kommandeur entgegen, und unter 
den feitwarts haltenden Burjchen, welche die ungejattelten 
Nierde und furzen Peitſchen ihrer Herren bereit hielten, 
entjtand eine lebhafte Bewegung. 

Janek Procgna hatte reihum die Damen begrüßt, 
dann jedoch) jeinen Rappen abermals neben die Equipage 
der Präfidentin Gärtner dirigiert, welche ihn, ganz wie 
jelbitverftändlich, an ihre Scite fejjelte. 

Xenias Blic haftete auf jeinem lachenden Antlig. — 
Er ſchien ihn zu fühlen, wandte plößli das Haupt 
und fchaute ihr voll in das Auge, jagte noch ein paar 
bajtige Worte zu Frau Leonie hernieder und hielt im 
nächiten Nugenblid wieder neben Xenia. 

„Riefen Sie mic)?” — Er fragte es leife und neigte 
fic) vor, um fie forjchend angujehen. Xenia biß die Zähne 
aufeinander und hob das Haupt. 


— 421 — 


„Nein 1 

Frau von Drad und Bidy jdjiittelten fic) aus dem 
Wagen Heraus mit Gräfin Ettisbach und Tarenberg 
die Hand, Janef beugte ſich noch tiefer. 

„Man braucht nicht immer mit Worten zu rufen, 
Kenia”, fuhr er mit weichen Klang in der Stimme fort, 
„Sie haben mir nad) langer Trennung die Rechte eines 
Bruder eingeräumt und mir damit auch die Pflichten 
eines jolchen übertragen; ich appelliere an Ihre Nach— 
ficht, wenn ich viel in diejem jo jehr ungewohnten Amt 
verjäume und bitte Sie, mich zu fonmandieren, wenn 
Sie meiner bedürfen!’ 

Kenia blickte jchnell empor. „Müffen Sie mir gegen- 
über wirflich an die kleinen Ritterdienjte gemahnt werden, 
welche Ihnen andern Damen gegenüber vollkommen jelbjt- 
verjtändlich erſcheinen?“ 

„Gewiß — ic) jtehe jelbjt der frembdejten Dame nicht 
fo fern wie Ihnen, Xenia. Sie mejjen mich mit einem 
ganz bejonderen Maß, und was andere höflich nennen, 
deuten Sie für gudringlich.” 

„Janek Proczna hat bis jest alle Schranfen nieder- 
gebrochen und feines Menjchen Seele dabei um Erlaub- 
nis gejragt!” 

„Tempi passati! — Die Stunde, in welder Shr 
eigener Wille den ,Grafen Hans Stefan Dynar‘ von 
den Toten auferwedte, legte Janek Procgnas tollfühne 
Waghalfigtit in Ketten; was ich al3 freier Künitler 
befämpfen konnte, muß ich als Reprajentant eines ehr- 


— = 


würdigen Namens achten und abwarten, bis die Hand, 
welche mich jo fühl zurüdgejchoben, mich freimütig näher 
winkt!” — Die legten Worte waren im Echerz gejprochen, 
und aud) über Xenias reizendes Antli flog ein Lächeln. 

„Ich werde Sie beim Wort nehmen, Sanef, und 
Shren Opfermut prüfen; wer weiß, wie bald Sie jchon 
unter der Bürde jeufzen, welche Ihnen die Anfprüche 
einer Schwefter auferlegen werden! — Als erſte Revande 
dafür werde ich Ihnen jet den Daumen halten, daß 
der gigantijche Blumentrang, welchen Graf Hechelberg 
für den Gieger bereit hält, den Hals Ihres edlen Ren- 
ner8 ſchmückt!“ — Xenia war plößlich wie ausgewedfelt, 
fie jprach fo lebhaft und heiter wie jelten zuvor. 

„Um Gottes willen nicht, Xenia, auf dieſe Huld vers 
zichte ich!” lachte er voll heiteren Gleichmuts auf, „Sie 
würden dadurch den Zauber brechen, welchen Excellenz 
bereit8 um jenen Kranz gejponnen hat! Bon zwei ‚ge: 
haltenen‘ Daumen hebt einer den andern auf, und da 
der Aberglauben verlangt, daß ein ‚herzliches Gedenken‘ 
damit verfmüpft fei, fo halte ich es wirklich für richtiger, 
wenn Frau von Gärtner die Rolle der Fata allein über: 
nimmt |!” 

„Selbjtverftändlich ; — ich trug Ihnen meine Offerte 
fpäter an — ich trete zurüd.” 

Das klang wieder jehr furz und unnahbar, wenn 
gleich Gräfin Dynar dabei lächelte. 

pRefervieren Sie mir Ihre Fürjprache bei dem Schid- 
fal, ih habe fie vielleicht bei einem anderen Nennen 


— ak = 


nötiger, wo mehr auf dem Spiel steht, al3 ein Kranz 
von bunten Blumen !” 

„Wenn Sie dann von der Excellenz im Stich ges 
lafjen werden, thue ich's — vielleicht!” 

Janek jah 
plötzlich ſehr 
ernſt aus — 
ſtrich langſam 
über den ſchlan⸗ 
ken Hals ſeines 

Roſſes und 
ſchwieg. — Er⸗ 
cellenz Gärt⸗ 
ners Wagen 
verließ ſeinen 
Platz und fuhr 
in einem kurzen 
Bogen neben 
die Equipage 

der Gräfin 
Dynar. 

rh muß 
hören, was die Gefdhwifter für wichtige Dinge verhan- 
deln!” rief Leonie lachend, Xenia die fleine Rechte in dem 
langen jdwedijden Handjchuh entgegenitredend, „ihr jeht 
ja beide jo böſe aus, habt ihr euch gezanft ?” Das flang 
fehr vertraulich, neckiſch und herzlich zugleich. 

Proczna lachte falt übermütig auf. — „Gewiß, Ex: 





— 424 — 


celleng! Ohne Krieg kann fein Frieden gejchloffen werden, 
und wer fiegen will, muß vorher ftreiten! Ich habe eine 
unendlich ſchwere Arbeit, mir die Sflavenringe zu er- 
fämpfen, denn meine Schweiter geizt felbjt mit Ddiefer 
niedrigften Klaſſe aller Hausorden ?” 

„Hoheit Hat die Parforcejagd für übermorgen an- 
geſetzt“, — lächelte Cycellenz, die Lorgnette vor die 
Augen hebend, um Pring Neufjet zu beobachten, welcher 
foeben an die Wagen heranritt, um zuerjt Gräfin Kany 
und Die ftellvertretende Hofdame, Baronejje Zeutler, ein 
blaffes, mit jtet3 liebenswürdigen und milden Augen in 
die Welt blicendes junges Mädchen, zu begrüßen. „Wir 
Damen reiten famtlich mit, felbjt ich, die leider Gottes 
noch herzlich unficher im Sattel fitt. — Ich brauche 
natürlich an jeder Seite einen ritterlichen Schu und 
vortrefflichen Reiter, — Flanderns treuer Minnedienft 
ijt jelbjtverjtändlich, aber er genügt noch nicht .. .” 

Xenia hatte fid) erhoben, fie ftand hod) aufgerichtet 
im Wagen, wie eine trogige Herausforderung bligte ihr 
Auge zu der Sprecherin hernieder. ,,Donat wird fic 
glücklich ſchätzen, Excellenz, Ihr Kavalier zu fein und 
fiherlich diejem Vertrauenspojten alle Ehre machen!” 

/ Bie? — Heller Hüningen?! — Reitet der denn 
nicht in angeftammtem Vorrecht mit Ihnen?!” 

Xenia warf den Kopf zurüd. „Nein! Ich habe mir 
diesmal meinen Bruder an die Seite... komman— 
diert!” — Ihr Blick traf Procgna, groß, in brennender 


Orage. 


— 425 — 


„ab, Sie ſcherzen! — Unmiglich .. . zwei Geſchwiſter? 
Das ijt ja gum Sterben langweilig !“ — Frau von Gärtner 
flappte wahrhaft alteriert den Fächer gujammen und 
jhüttelte den Kopf. „Dagegen revoltiere ih! Dagegen 
ziehe ich zu Felde!” 

Procgna zudte lächelnd die Achjeln. „Sch bin über: 
zeugt, daß Sie mit den fchärfiten und fieggewobhntejten 
Waffen fümpfen würden, Excellenz, und dennod) bezweifle 
id) diesmal den Erfolg!” 

„Wenn ich allerdings von Ihrer Seite auf feinerlei 
Secours zu rechnen habe...” Leonie brad) furz ab 
und wandte fid) wie ein jchmollendes Rind zu Xenia: 
„Sie find in hohem Grade egoiftiich, Gräfin, Sie gleichen 
dem reichen, hartherzigen Mann in der Bibel, welcher 
feinem armen Nachbar noc) den legten Troft und Grojchen 
nimmt! Warum wollen Sie mir den einzigen Kavalier, 
dejjen Schuß ich mich mit wirklicher Freude anvertraue, 
nod) vor Thoresschluß wegnehmen?!” 

„Damit fich alle andern, welche Dadurd) aus Ihrer Nähe 
verdrängt werden, nicht aus Verzweiflung erſchießen!“ 

„Sie fleine Läjterzunge! Ich jag’B ja, wer den 
Schaden hat, braucht für den Spott wicht zu forgen! — 
Helfen Sie mir dod) ein wenig, Proczna! — Unjer ge: 
meinjamer Anfturm jchlägt vielleicht eine Brejche in die 
Erbarmungslofigfeit diejer fchönen Seele!” 

Kenia jchien jehr gelafjen, dennoch bligte e8 in ihrem 
Auge auf. „Wenn mein Pflegebruder lieber mit Ihnen 
reitet, Excellenz, trete ich natürlich zurüd —“ 


— 426 — 


„Ab, prächtig! — Haben Sie gehört, Graf?!“ 

„a, ich hörte — aber nur eine Beleidigung, wenn 
mtr Xenia nicht jchleunigjt die Verficherung gibt, dap 
fie ſcherzte!“ 

„Mon dieu, wie difficil!” Leonie lachte etwas nervös 
auf. „Sit fold) eine Wortflauberei unter Geſchwiſtern 
überhaupt erlaubt!! — Ihre Ritterlidjfeit ijt ja die reine 
Mimofe, bejter Freund, welche fich ſelbſt gegen die jchweiter- 
fide Hand entrüftet auflehnt, wenn diejelbe feine Glac6- 
handjdube trägt! — Sie dürfen doch nicht verlangen, 
Xenia, daß Proczna um feinen Abjchied bittet, Sie müfjen 
ihn geben! Wollen Sie?” 

Gräfin Dynar richtete das Haupt noch höher empor, 
um ihre Lippen zudte e8 wie ftarre Entjchlofjenheit. 

„Nein!“ entgegnete fie herb. 

„She jcheint beide jchlecht gejchlafen zu haben”, ver= 
fuchte Frau von Gärtner zu jcherzen, ein jcharfer, faft 
boshafter Zug jchlich fich in ihr Lächeln, „und mit Leuten, 
welche jchlecht zu Mittag gegeffen haben oder mit dem 
linfen Fuß aufgeftanden find, foll man nicht prozeifieren | 
Ihnen aber jchwöre ich Fehde, unerbittliche Gräfin, und 
ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen Janek Proczna 
abfpenjtig zu machen! Zwar find Sie jehr im Vorteil 
gegen mich, haben bereit3 lange Jahre hindurch den 
Bruder mit Liebe und Güte und Freundjchaft überjchüttet, 
haben ihm in jtolzer Anerkennung die erjten Lorbeeren 
geftreut, und e8 gar nicht erwarten können, ihn der Welt 
gegenüber als Bruder deflarieren zu können .. .” 


— 427 — 


Der Ausdruck namenlojen Hohnes in der Stimme 
Leonies trieb Xenia das Blut in die Wangen. Ihre 
Lippen bebten, fie fah den Schatten auf Janes Stirn 
und atmete tief auf. „Sie irren, Excellenz!” unterbrach 
fie mit rauher Stimme, „von all diejen liebenswürdigen 
Auszeichnungen und herglidem Verkehr ift nie die Rede 
zwifchen Janet und mir gemwejen — leider Gottes Durch 
meine Schuld! — Indem Sie mir foeben vorhalten, 
wie das Verhältnis zwijchen uns hätte fein müfjen, 
empfinde ich doppelt, wieviel ich verfäumt und wieviel ich 
an meinem Bruder gut zu machen habe, und aus diejem 
Grunde werden Sie e3 felber am begreiflichiten finden, 
wenn ich nicht auf feine Begleitung verzichte, fondern ihn 
im Gegenteil foviel und folange wie möglich an meine 
Seite feſſele!“ — Sie reichte Janek voll warmer Auf- 
richtigkeit die Hand entgegen. 

„Wie Sie alles fo feierlich zu fagen wiffen, Xenia!” 
lachte Janek, ihre dargebotene Hand ritterlic) an Die 
Lippen ziehend, „Sie wollen Schulden bezahlen, für 
welche e3 feinen Gläubiger gibt, und verleihen unjerm 
Heinen Scharmüßel die liebenswürdigjte Pointe, welche 
man fid) denken fann! Wenn wir unjerer reizenden 
Gegnerin nun noch verfichern, daß aller Widerjtand nur 
ein Schild für das wenig feuerfeite Herz des Pflegebruders 
gewejen, fo find drei Sieger aus dem Streit hervor— 
gegangen! Darf ich um den Vorzug bitten, Excellenz, 
bei der nächſten Schlittenpartie meine Rofje vor Ihren 
Triumphwagen zu fpannen ?” 


— 428 — 


Leonie drohte ihm voll liebenswürdigfter Heiterkeit 
mit dem Fader. „Bei Sonnenfchein und Tauwind zum 
Sclittenfahren engagieren, ijt eine billige Galanterie!” 

st laſſe Salz treuen!” 

Frau von Gärtner beugte fic) voll Harmlojefter 
Freundlichkeit wieder zu Xenia hinüber. „Sie fennen 
dod) Ihren Bruder, Gräfin! Warum hängen Sie diejem 
gefährlichen Mann nicht eine Warnungstafel mit ,BVorjidt! 
um den Hal8? Man ſteht auf Glatteis, wenn man ihm 
gegenübertritt !” 

Xenia nicte zerjtreut, fie hatte in der That das 
Gefühl, alS wehe eine kalte Schneeluft von dem lachen= 
den Geſicht des — Polen zu ihr herüber. 

Prinz Reuſſek parierte fein Pferd neben der Equipage 
und ftörte Frau von Drach in ihrer fehr laut und ani- 
miert geführten Unterhaltung mit den Inſaſſen des nad): 
barlichen Wagens; er reichte Xenia die Hand und grüßte 
zu Excellenz Gärtner hinüber; Nittmeifter von Hofftraten 
meldete, daß Herr von Flandern, der unbegreiflich Un- 
pünktliche, endlich in Sicht jet — was Graf Hechelberg 
zu dem überrajchenden Citat: „Wohl, jo fann der Guß 
beginnen!” veranlaßte. 

Die Herren verabjchiedeten fic), ihre Rennpferde zu 
bejteigen, und Leonie winfte Janet Proczna noch einmal 
gu fic) heran, um ihm ein paar geheimnisvolle Worte zu= 
zuflüftern. „Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, den Grund 
für Flanderns Verjpatung, fommen Sie recht bald!” 

Proczna fah fie einen Augenblid feit an. „Nur 


— 429 — 


infognito !“ — Dann grüßte er turg und rif fein Pferd 
herum. — — — — — — — — — — — — — 

Frau von Hofſtraten hielt am Ende der kleinen Wagen- 
reihe und beobachtete mit vorgeſchobener Unterlippe das 
höchſt amüſante und lebhafte Bild, welches ſich „auf un- 
geſatteltem Pferd“ entwickelte. 

„Is man de reine Bauerngaloppade! De Sattel 
madt immer den Kohl erit fett, wie de Schnidergefell’n 
fehn de Kerls allmitnander aug, wenn fe fo uff’n blanfen 
Budel hängen! Na nu los!... De Hechelberg haft 
natürlich fein’n Schmachtriemen erjt drei Loc) weiter... 
und der Hüningen trabt noch 'ne Partie zu Fuße! — 
Man nich jo higig, flener Saletjonfer! He wird fic 
nod) auf de Wlanfa treten! — Jetzt hoppt he uff! — 
Vorwärts, YJongs! Könn’ de Gaul nod) nicht onder 
het juk breng! — Hep, hep!” ... 

Die Herren rangierten ihre meijt jehr ungejtümen 
Nofje, laut und animiert flogen die Reden und Wig- 
worte nod) hin und her, dann trat eine erwartung3volle 
Stille ein. 

„Kein Fahnenfignal — ... Glode!!” rief Prinz 
Neufjet nach dem Wagen herüber. 

Die „Harfe ſpitzte die Ohren und blies die Nüjtern 
auf — Frau von Hofitraten befümmerte fic) nicht darum, 
ihre ganze Aufmerkſamkeit konzentrierte fic) auf die Kom— 
mandeufe, welche, in ihrer Equipage ftehend, verabredeter- 
maßen das Zeichen zum Starten geben jollte. 

„Achtung !” erjcholl es abermals. 


— 430 — 


Die „Harfe” drängte vorwärts, der Reihe der Nenn: 
pferde zu — die Frau NRittmeifter fchaufelte momentan 
im Sattel und riff die Stute mechanijch in’ Maul. 

Mit ſchrillem, weithin dringendem Ton erflang die 
Glode in der Hand der Fiirjtin, und wie losgejchofjen, 
in wilden, etwas zügellojem Durcheinander ftiirmten die 
Roſſe davon; — die Kutſcher hieben auf die Wagen: 
pferde, um dem Nennen in möglichjt kurzer Diftance zu 
folgen, und die Harfe? — 

Schallendes Gelächter ertinte aus den Equipagen. 

Wie eleftrifiert von dem Signal, angereizt durch den 
Anblick der Nenner, legte fic) der brave Schwadrons- 
gaul in die Zügel und ſchoß mit weit vorgeftrecttem 
Hals auf weit ausgreifenden langen Beinen den Reitern 
nad). 

Frau von Hofitraten verjuchte mit fräftigjten Fäuſten 
den Durchgänger zurüdzureigen, jchrie und bremfte ... 
— umfonft, völlig jtier vor Eifer jagte die „Harfe“ 
dahin, immer den Offizieren nach, jchneller und jchneller 
wie auf Sturmesflügeln. 

Hilfe und ratlos Hing das jchneidige Holland im 
Sattel, die Luft pfiff um die Ohren und das unglüd- 
jelige Rnochengeriijt der Stute bewies mit jedem harten 
Stoß und Ruck, daß der Begriff „engliih Vollblut“ ihr 
jelbft im Traum noch nicht vorgefommen war. 

Heidi ging die Reije! 

Die Situation wurde kritiſch — Frau von Hofftraten 
griff zur „Majorstrenje” und nahm das Roß jdier um 


4 — 431 — 


den Hal’ — in demjelben Angenblic jagte fie miticn 
durch das Nennen hindurch. 

„Am Gottes willen, meine Gnädigfte, wo wollen Sie 
denn hin ?!” — jchrie Hechelberg. 

„Weiß ich’3 ? 1” — flang e3 voll Galgenhumor zurüd. 

Das Gelächter der Herren verflang im Wind, die 
Harfe hatte das englijche Vollblut überflünelt. 

A. Da war ein Uns 
/ erhörtes gejchehen, etz 
was in den Memoiren 
de3 Regiments noch 
nie Dagerwejenes. 
Die Frau Nitt: 

meijter hatte 
auf einem 
Sdwadrons- 
gaul die Raiz 
fer = Frang- 
Ulanen ge 
ſchlagen, Die 
Frau Nitt 
meifter zog 
triumphierend 
al8 Siegerin 
in den Rafer: 
nenbof ein auf 
der wacfern 
„Harte“, 






— 432 — 


welche einen gigantifden Blumentrang um den mageren 
Hal trug und ihr Hammelprofil zum erjtenmal mit 
etwas geiftreicher Arroganz in die Luft ftredte. 

Bei dem gemeinjamen Diner jedoch, hat Frau von 
Hofitraten mit Graf Hechelberg Schmollis getrunten. — 
Aljo zu lejen in den Annalen des Regiments. 


— 





ESEESEES 


XIX. 





„per Achſe“ nach Hauje befördern zu lafjen. 

Donat hatte jchleunigft von dem Blak an Bidys 
Seite Beſitz ergriffen. 

Frau von Hofitraten bejtieg den Wagen Procgnas, 
ihr Mann und Hechelberg folgten. Excellenz Gärtner 
hatte nur einen einzigen Pla in ihrem Kabriolett zu 
vergeben, fie winfte Janef an ihre Seite. 

„Flandern wird anjtatt Ihrer dem Ehepaar Hof: 
ftraten die Honneurs machen — ich möchte noch ein 
wenig mit Ihnen plaudern.” 

Proczna rief jeinem Jockey einen kurzen Befehl zu 
und fprang in die Equipage. Xenia jah, wie die Pferde 
ausgriffen, wie ein leichter Luftzug die Langwallenden 
Federn de3 Amazonenhut3 Ihrer Ercellenz aufwogen ließ, 
dann entzog eine furze Biegung der Chaujfee das Gefährt 
ihren Bliden. 


„Sind Sie denn gar nicht neugierig, Proczna ?” 
N.v. Eihftrutb, IM. Rom. u. Nov. Polnifh Blut II 28 


— 434 — 


„Ich brenne | 

„Sol ich graujam fein und die neuefte und inters 
effantejte Nachricht al8 Zauberfädchen benugen, um Sie 
daran auf den jo jchnöde ignorierten Rlavierftuhl in 
meinem Boudoir zu ziehen ?“ 

„Bas will ein Seidenfädchen gegen das Anfertau 
männlicher Halsftarrigfeit ausrichten! Sie fennen ja das 
Mittel, das zauberfräftige, welches mich jeden Augenblid 
auf den verlafjenen Poſten zurüdruft. Warum geizen Sie 
fo gewaltig mit Ihrem Briefpapier ? !” 

„Weil ich jehen will, ob Janek Proczna wirklich fo 
verwöhnt und eigenjinnig ift, wie die böje Welt be- 
hauptet !” 

„Solcher Wiffensdrang läßt mid) an Ihrem guten 
Herzen zweifeln. Man muß die Felte feiern, wie fie 
fallen, und die Menjchen nehmen, wie fie find — fowie 
man eine fcharfe Brille aufjegt, verdirbt man fich felber 
die Augen und andern den Spaß an der Masferade de3 
Lebens.” 

Leonie lehnte das jchöne Haupt noch weiter zurüd 
und heftete den Bli voll auf das Antlig des Sprechers. 
„Es ift eine Eigentümlichfeit Ihrer Scherze, Graf, daß 
diejelben meift recht ernithafter Natur find. Aber Sie 
haben recht, die Welt ijt eine große Mtasferade, und wer 
die Narrenfappe am tiefften über die Ohren zieht, fich 
fowohl wie anderen, der fan eines ungeheuren Spaßes 
gewiß fein !” 

Ein eigentümlicher Ausdrud lag auf dem geiftvollen 


— 4385 — 


Antlig des jungen Mannes. „Nicht immer, Excellenz, 
Keckheit und Üebermut thun es nicht allein; es dringt 
aud) unter die jchwache und harmloje Zämmerherde hie 
und da ein Wolf, welcher dem Leithammel das trügerijche 
Mäntelchen zerfetzt.“ 

„Und wenn diejes ‚tonangebende‘ Wejen fic) flug und 
fchlau zwei wachſame Freunde an die Seite ftellt, deren 
Zähne jcharf genug find, es eventuell mit einem Wolfe 
aufzunehmen ? 

Sanef lächelte fein. „Was nennen Sie einen Freund, 
Excellenz? Die Welt ijt jo freigebig mit diejem Titel ! 
Und die Menjchen find oft fo blind; fie denfen, wenn 
der Krieg nicht offiziell erflärt ijt, jo fei tiefiter Friede.” 

Leonie lächelte fajt mitleidig. ,,Bejter Proczna! Es 
gehört viel Naivetät und blitzwenig Menjchenfenntniz 
dazu, Schein für Wahrheit und Talmi für Gold zu 
nehmen !” 

„Selbjt in die jchärfiten Augen fann einmal Staub 
wehen, und Galanterie und Schmeichelei find oft jo ‚fein 
gerieben‘, daß fie gefährlicher durch die Luft wirbeln, 
wie ein Ufderegen !” 

eonie richtete fich empor und jah dem Sprecher lachend 
in das Gefiht. ,,Genug der Metapher, Sie mißtrauifcher 
Menſch! Denken Sie, ich wüßte nicht, wohin Ihre Pfeil: 
fpigen zielen? Armer Flandern! Er hat jo oft das 
Unglüd, für falfch gehalten zu werden, man läßt fich jo 
leicht von jeinem jpigen Schnurrbart und dem furzen 


Fuß terrorilieren, die Leute hängen nun einmal an dem 
28* 


— 436 — 


Ammenmarden des ‚diable boiteux‘ und fragen nicht 
lange um den Kommentar zu einem jold) Hinfenden 
Drama! — Unbejorgt, mon ami, auf den guten Flan- 
dern fann ich ſchwören! Wäre er mir nicht aus Anhäng- 
lichkeit oder Überzeugung treu, fo geſchähe e8 aus Egois— 
mus, denn er fann mich nod) weniger entbehren, wie ich 
ihn. — Er benugt mich al3 Mauerbrecher, das aus dem 
Weg zu räumen, was läftig ijt, und ich habe einen ‚Hans 
in allen Eden‘ nötig, der mir das Tafchentuch aufhebt, 
wenn e3 bingefallen ijt! Das wäre die herbite und 
farfajtifchjte Deutung unjerer Freundichaft. — Daf er 
mid) jedoch wahrhaftig verehrt und ala Fran —“ 

„Schöne Frau!” 

„Eh bien, jchöne Frau vergöttert, das ift eine Übers 
zeugung, welche id) Ihnen nicht einimpfen kann !” 

„An dem vollen Bemwußtjein, daß Sie eine mehr wie 
fhöne Frau find, franfe ich bereits ſchon jeit längerer 
Al ex.s 

„Spötter! Bit e3 wohl möglich, Sie fünf Minuten 
lang bei der Sache zu halten! Dort tauchen fchon die 
erften Haujer auf, und ich habe noch fein Wort gejprochen 
von dem, was mir auf der Seele brennt !” 

„Ich Halte den Atem an!” 

„Kurz heraus, Proczna, Sie müffen mir helfen! — 
Die Angelegenheit ijt folgende.” — Leonie hob mit furzer, 
entjchlofjener Bewegung das Köpfchen. „Die AUrtilleriften 
feiern heut abend ihr Barbarajejt und verknüpfen damit 
die Einweihung eines Bildes, welches irgend ein Genie 





— 438 — 


von der Knalldroſchke verbrochen Hat. — Nun fagt mir 
Flandern, daß Auguft Ferdinand in einer Anwandlung 
von Menjdenfreundlidfeit und Schwäche feine Anmwejen: 
heit in Ausficht geftellt habe, falls er fic), bei feiner 
Jebigen Sndispofition, wohl genug fühlen werde. ch 
nehme an, diefe Judispofition, von welcher fein Menfch 
etwas weiß, ijt bereit cin Netourbillet, aber,.mon dieu, 
wer fteht für die Einflüjterungen eines Gower! Der 
Menſch brennt natürlich darauf, jeinesgleichen zu mon— 
tieren, und triumphiert über die Auszeichnung, welche 
den Kanonenleutnants widerfährt. Bis jett hat Auguft 
Ferdinand in freundfchaftlicher Weife nur an den Liebes: 
mahlen der Ulanen teilgenommen, zum namenlojen Ärger 
und Neid der Fußregimenter, und nun mit einem Mal 
ein Herz und eine Seele mit der heiligen Barbara! — 
Das ijt die erjte Heldenihat des nenen Adjutanten, wel: 
cher das Ohr Seiner Königlichen Hoheit mit den Stich» 
worten: ‚Kameradjchaft‘ und ‚Waffengleichheit‘ belagert. 
— Er joll fid) aber verrechnet haben, der wadere Gower | 
— Ich Hafje den Kommandeur des Artillerieregiments 
und will es ihm beweijen, daß ein harter Kopf, welcher 
zu arrogant ijt, fic) den freundichaftlichen Winfen einer 
Frauenhand zu beugen, fich jchlieglih den Schädel an 
der Kleinen Fingerfpige derjelben einrennt!” — Ein uns 
ausfprechlicher Triumph funtelte aus den Augen Ihrer 
Ercellenz, fie neigte fid) nod) dichter zu dem Ohr Procz— 
nas und ficherte: „Die jchiefe Stellung der beiden Fuß— 
regimenter ijt mein Werk, Procgna — man wagte es, 


— 439 — 


Front gegen mich zu machen, und dafür rächte ich mich.” 
— Leonie ſchwieg einen Augenblid und fah Proczna mit 
einem jcharfen Blick in das nachdenklich geſenkte Antlik. 
— „Was überlegen Sie, Graf?” 

„IH fuche nad) einem Mittel, den Beſuch des Prin- 
zen in dem Artilleriefafino zu verhindern. — Sie ver: 
langen meine Hilfe, Excellenz, und rühmen dabei den 
Einfluß der Frau — ich glaube bei Gott, Sie behalten 
recht mit Ihrer Anficht; wenn Sie den mindejten Rat 
wijjen, mir füllt beim beiten Willen nichts ein!” 

„Sa, ich habe einen Plan, zwar etwas vergweifelter 
Natur — aber im Notjall anwendbar. — Aina Regina 
ijt etwas erfältet, wie Sie wifjen, und der Pring jehr 
leicht bejorgt. Es würde mir eine Stleinigfeit jein, die 
Kleine Hoheit zu bejtimmen, ein paar heftige Krankheit: 
jymptome zu jimulieren, um Augujt Ferdinand dadurch 
von dem Souper zurüdzuhalten !” 

Janeks Lippen pregten jich momentan zujammen, jähe 
Nöte flammte an den Schläfen empor, dann lächelte er 
etwas gewaltjam erjtaunt und jchürtelte ungläubig den 
Kopf. 

„Slauben Sie, daß die Pringeffin darauf eingeht 
ihren Gatten in jold) raffinierter Weije zu dupieren? 
Ich fpreche ihr jegliches Talent dazu ab!’ 

Leonie lächelte fait graujam. „Sch werde e3 ihr jchon 
einftudieren — feien Sie ohne Sorge! Mein Einfluß 
reicht glüclicherweife nod) dazu aus.” 

„Dank der unvorjichtigen Billets der fleinen Frau!’ 


— 440 — 


— Proczna lachte laut auf. „Ich ziehe den Hut vor 
Shnen, Ercellenz, und fühle mic) um einen Kopf ges 
wadjen durch) die Freundjchaft, mit welcher mich die 
geijtreichjte Frau, der ich bis jeßt begegnete, aus— 
zeichnet!” 

Eine düftere Wolfe lag auf der Stirn der Präfi- 
Dentin. „Ein jeder Menjch hat fein Stedenpferd — das 
meine war feit jeher der Ehrgeiz. Die Liebe hat mich 
ftiefmütterlih behandelt und mid) an die Seite eines 
Mannes gejtellt, welcher mir eine Qual und Lajt ift.” 

„Heben Sie die ftrahlenden Schwingen und über: 
fliegen Sie die Schranfen —!” 

Leonie Blick tauchte in den feinen, dann janfen die 
dunfeln Wimpern tief über die Augen. „Wenn id) jen- 
feits diefer Gefängnismauern ein Herz finde, dejjen heiße 
Glut mich an die Liebe und ihr namenloſes, beraufchend 
füßes Glück glauben ließe...” — fie brach furz ab 
und fah ihn jdelmijd an, „die Allmächtige des Hofes 
ſchmückt die Bruft ihrer getreuen Lieblinge mit Band und 
Stern; Ihr Knopflod) fieht immer fo öde aus, Sie 
Ordenverächter, ich aber will dafür jorgen, daß e3 meine 
garben trägt!” 

Sanef 30g die Eleine Hand an die Lippen. „Nach 
Kreuz und Stern verlangt’s mich nicht, meine reizende 
Herrin, id) weiß eine befjere Deforation, nad) welcher 
all mein Sinnen und Trachten jtrebt, ein roja Streifen 
Papier, auf welchem ich es mit eigenen Augen lejen fann, 
daß ich der glüdlichite Dann auf der Welt bin!” 


— 441 — 


Leonie entwand ihm ihre Hand. „Die Leute ftehen 
an den Fenſtern und beobachten uns, wollen Sie die 
Klatſchbaſen mit einem interejjanten Stoff verjorgen? — 
Laffen Sie uns zu einem Schluffe fommen! Überlegen 
Sie fich die Angelegenheit mit dem Barbarajeft nocd 
einmal, fommt Ihnen ein rettender Gedanfe, fo laſſen 
Sie mir noch vor jechs Uhr Nachricht zufommen; andern= 
falls bleibt e3 bei meinem Plan; ich fahre jegt direkt 
zu der Kany und bejpreche mich mit ihr.” 

„Sie wifjen, Erxcellenz, daß ich Bech mit meinen 
pfiffigen Ideen habe, denfen Cie an den Vortrag der 
Frau Gower! — Aber trogdem werde ich mir den Kopf 
zerbrechen und Ihnen all mein bißchen Raffinement zur 
Verfügung jtellen!” 

„Der gute Wille ijt fchon eine That! Au revoir, 
mon ami — vielleicht faufe ich roja Papier!’ — Der 
Wagen hielt vor dem Hotel, dejjen erjte Etage Janek 
Proczna bewohnte. — Der Diener jprang von dem Boe 
und ftellte fic) mit gezogenem Hut neben dem offenen 
Schlag auf; Proczna verabjchiedete fic) mit verbind- 
lichjtem Danke und grüßte der jchönen Frau in jeiner 
chevaleresfen Weiſe nach, bis die Roſſe in ihr bejchleus 
nigtes Tempo verfielen, dann jchritt er, an den devoten 
Kellnern vorüber, die Treppe empor und trat in jein 
Rauchzimmer. Sein Antlig war verändert. Ein Gemiſch 
von Schmerz und Grimm jenfte jcharfe Linien hinein, 
fein tiefer Atemzug glich einem Aufjtöhnen. 

Er warf fic) in einen Sefjel und jtüßte Das Haupt 


— 442 — 


ſchwer in die Hand, feine Lippen preften fid) zufammen, 
al8 erdulde er phyſiſche Dualen. 

„O, Anna Regina, wäre e8 nicht um deinetwillen, 
jchnitte mir nicht dein Elend in das Herz und empörte 
mich nicht die unmwürdige Behandlung, welche du erdulden 
mußt, ich fünnte e8 nicht durchführen, dieſes erbärmliche 
Spiel, gegen welches fich jeder Nerv und jede Fafer 
meine Herzens fträubt! Weld) eine Waffe aber führt 
Männerhand gegen ein Weib! — Lift gegen Lift, Verrat 
gegen Berrat! — 

„Es ift ein edles und fchönes Werk, für die Unjchul: 
digen und Unterdrüdten zu Feld zu ziehen, der Faljch- 
heit die Larve herabzureißen und ein gepeinigtes Reis 
von giftigen Parajiten zu befreien! Stände mir nur ein 
Gegner gegenüber, welchen ich in ehrlichen Kampf mit 
den Fäuſten paden könnte! So ijt’3 ein hinterliſtig Cin- 
fangen, ein Strieg, dejjen Waffen Leimruten und Fallen 
find!” 

Procgna legte die Hand über die Augen, e8 fämpfte 
und rang in feinem Innern und rüttelte an dem Männer: 
ftolz und ritterlihem Ginn, welcher fic) dagegen auf: 
bäumt, ein Weib zu demütigen. „Ein Weib! ... Sit 
Excellenz Gärtner diejer liebreizenden Benennung würdig ? 
Nein, fie tritt mit den verwerflichiten Gefinnungen, welche 
je ein Männerfopf gehegt, alles in den Staub, was als 
Frauenwürde auf den Schild gehoben! Bit e8 feige, 
wenn man die Wefpe nicht mit derben Fäuften greift, 
fondern fie fliiglid) an den Flügeln erhaſcht? Man be: 


— 443 — 


handelt fie ihrer Art gemäß und überliftet fie!” — Janet 
beißt die Zähne zufammen: „Sch verabjchene und ver: 
achte diejes Weib wie eine Schlange, und muß es den- 
nod) dulden, 
daß fie fic 
an meinem 
Hergenempor- 
ringelt, um fie 
deſto fidjerer 
jajfen gu 
finnen! = — 
Für Dich ges 
ſchieht es, 
Anna Regina, 
für dich und 
dein ungliict 
liches, gequäl- 
te3 Lächeln, 
für deine 
müden Augen, 
die von zahl: 
(ofen durch: 
weinten Näch⸗ 
ten jprechen, für dein und deines Gatten Glück, welches 
frevlerijche Hände in Stüde brechen wollen, um dem 
Ehrgeiz ein jündlich Opfer zu bringen!’ 
Er fdjiittelte trobig das volle Haar aus der Stirn, 
fprang auf und durchmaß ein paarmal mit haftigen 





— 444 — 


Schritten bas Bimmer, ein Zug eiferner Entjchlofjenheit 
lag auf feinem Antlitz. „Kämpft Frau Leonie etwa mit 
ehrlichen Waffen‘! — Sie jchnellt ihre giftigen Pfeile 
aus ficherem Berjte heraus, fie fennt fein Mitleid für 
die tyrannifierte Frau, welche fie zu ihrem Werkzeug 
macht, fie muß gewärtig jein, daß auch ihr mit dem 
Make gemefjen wird, mit welchem fie felber jo willfiir- 
lic) ihren Nächten mißt !/ 

Die Stirn des jungen Mannes hat fic) geglättet, 
freudige Zuverficht ftrahlt fein Auge, und um die Lippen 
zudt e3 beinahe wie Humor, welcher philojophiert: „Sich 
felber zu betrügen, ohne daß man es merkt, ijt ebenjo 
leicht, wie e8 jchwer ijt, andere zu betrügen, ohne daß 
fie e8 merken! Heilige Barbara, ftehe mir bei, daß ich 
deinem Felt zu Ehre und Sieg verhelte!” 

Kurze Zeit darauf verließ Janek Proczna feine Woh— 
nung und begab fich direft nach dem Schloß; er hatte 
jeinem Samerdiener etliche Befehle Hinterlafjen, ebenfo 
zwei Billets, welche jofort beforgt werden jollten. Das 
eine trug die Adrejje der Excellenz Gärtner, das andere 
war an Herrn von Flandern gerichtet, und bat denjelben, 
„Janek Brocgna bei dem Offiziercorp3 zu entjchuldigen, 
wenn er plößlicher Hinderniffe wegen heute nicht an dem 
gemeinjamen Diner teilnehmen könne.” 

Tiefe Stille herrjchte in dem Fühlen Veſtibül des 
Schloſſes, welches jene feuchtichwere Luft, die alten Pa: 
läften eigen, gleich einem feierlich ernten Atemzug durch- 
webte. 


— 445 — 


Der Portier war mit devotem Gruß zur Seite ge- 
treten, und aus der, etliche Stufen höher gelegenen, mit 
einem vergitterten Thürfenjter verjehenen Lakaienſtube 
waren dienfteifrig zwei Galonnierte herzugeeilt, nach den 
Befehlen des gnädigen Herrn zu fragen. 

„Iſt Herr Leutnant Gower noch zu ſprechen?“ 

Die wohlfrifierten Häupter verneigten fic) à tempo. 

„der Herr Fliigeladjutant werden noch bei Seiner 
Königlihen Hoheit im Arbeitsfabinett bejchäftigt jein 
aber in ſpäteſtens einer Viertelftunde nad) Haufe fahren, 
der Herr Leutnant dinieren heute nicht mit den Herr— 
haften. Wenn Herr Graf vielleicht wenige Augenblide 
verweilen wollen ?” 

Proczna nidte Haftig zuftimmend. „Ich Habe Zeit 
und werde warten; melden Sie mich, fowie der Herr 
eutnant zu jprechen ijt, die Angelegenheit eilt.” 

„Darf ich erjuchen, mir gütigft zu folgen?” 

Wie ein Schatten glitt der Lakai die breite, durch- 
brodjene Eijentreppe hinauf. 

Ein mächtiger Korridor, edig und weit wie ein Tanz- 
jaal und gejchmüct mit weit über lebensgroßen Gemälden 
verdienftvoller Bürgermeifter und Meagijtratsperjonen, 
dehnte fich in dem erjten Stodwerf aus, zwölf niedere, von 
der Zeit gebräunte Thüren, Meifterjtüde altdeutjcher Holg- 
fchnigerei, führten in die anliegenden Säle und Empfang3- 
räume für offizielle Feſte, während ein etwas jchmälerer 
Flur, did mit Teppichen belegt, rechtsab durch die beträcht- 
liche Länge des Frontflügels führte. Kreuze und Quer- 


— 446 — 


gänge zweigten fic) von ifm ab, fleine Wendeltreppen 
verbanden die einzelnen Etagen. — Thür neben Thür. 
Hie und da waren Bijitenfarten angehejtet. „Melanie, 
Gräfin Kany”, {a8 Proczna im VBorüberfchreiten, und 
zwei Thüren weiter: „Ida, Baroneffe Beutler.” 

Er entjann fi), die junge Hofdame heute kennen 
gelernt zu haben, fie erzählte mit einem wahren Märtyrer: 
lächeln, daß fie längere Zeit, heftiger Gliederjchmerzen 
wegen, das Bimmer habe hüten miiffen, e8 fei ihr jo 
ungewohnt, defolletierte Kleider zu tragen und dazu das 
viele Stehen in den meijt fehr fühlen Räumen! .. 
Arme fleine Ida, aud) auf dem Parkett muß man Lehr: 
geld zahlen. 

Hinter der nächiten Thür wurde eine weinende Kinder: 
ftimme von Gejang mit ausgeprägt englijden Gaumen: 
lauten überjchrien. „God save the queen!“ — — Aha, 
der Kleine Prinz, welcher mit Patriotismus eingefchläfert 
werden joll! 

Proczna lachte leije vor fi Hin. Wenn die Eng: 
(änderin nichts ausrichtet, löſt fie eine deutſche Kollegin 
mit: „Heil Dir im Siegerfrang” ab! — Franzöfinnen 
find bei diejen Dienjtleiftungen zur Dispofition gejtellt. 

Er hätte den fleinen Stammbalter gern einmal ge 
jehen, um zu fchauen, ob er die jchönen, leuchtend großen 
Augen der Mutter geerbt. Der Lafai rip eine Thür 
auf: „Darf ich gehorjamjt bitten, näher zu treten, das 
Zimmer de3 Herrn Adjutanten.” 

Der große Kachelofen ftrömte behagliche Wärme aus, 


= a = 


feiner Cigarrenduft wehte dem Cintretenden entgegen. 
Die Vorhänge an dem Sehreibtijchfenfter waren weit 
zurüdgefchlagen und ließen helles Licht auf die Manu— 
jftipte fallen, welche noch genau fo ausgebreitet lagen, 
wie der junge Dffizier fie eilig verlafjen hatte. Bücher, 
mit dem unjcheinbaren Einband ſtrategiſch-wiſſenſchaft⸗ 
liher Werke, Landkarten, Croqui8 und trigonometrijche 
Snjtrumente lagen auf dem Tiſch inmitten des Zimmers, 
anjcheinend eine aufgefrijchte Rüderinnerung an die General- 
ftabsreije, welche Gower nad) Beendigung jeiner kriegs⸗ 
afademijchen Studien gemacht. Janek ließ fic) in einem 
der altmodijchen Damajtjeffel nieder und ftarrte gedanfen- 
voll zu dem gepuderten Fräulein empor, welches fich, 
vis-A-vis an der Wand, noch immer bemühte, aus dem 
dunklen Rahmen heraus zu fofettieren. 

Die Oljarbe war teilweife von Geficht und Hinter: 
grund abgefprungen, die eine Seite des Rahmens 
fah jchwarz und angefohlt aus, als habe das Bild 
eine Feuersbrunft durchgemacht. — Wenn der gemalte 
Mund erzählen finnte! — 

Auf dem Korridor draußen erflangen ein paar fcharfe 
Stimmen; zwei Zofen jchienen fic) zu zanfen, dann 
wurde eine Thür zugeichlagen. — Tiefe Stille danach, 
— Eine Klingel jchrillte und eine ungeduldige Mahnung 
fcallte gleich Hinter ihr her: Gräfin Kauy. — Wieder 
vergingen Minuten, dann nahte ein eiliger Schritt, die 
Thür wurde haftig geöffnet und mit lautem, berzlichem 
Willfommen ftredte Leutnant Gower feinem Gajt beide 


— 448 — 


Hände entgegen. — Kurzes Hin und Wider, Frage und 
Antwort, dann zog Proczna den Adjutanten neben ſich 
auf das jteiflehnige Sofa nieder und legte die Hand 
auf feine Schulter. 

„Wollen Sie mir einen Gefallen thin, Verehrteſter ?” 

„Berfügen Sie über mich — ich bin ganz der Ihre.“ 

„Der Prinz intereffiert fich für meine Waffenjamm- 
{ung und erjuchte mich, ihm dieſelbe zu zeigen, wenn die 
Kijten angefommen und geordnet wären; dies ijt der 
Fall. Hoheit ftellte e8 mir frei, die Stunde zu be: 
ftimmen, in welcher mir Höchjtjein Beſuch am gelegenjten 
fime, und deswegen fomme ich heute. Könnten Sie den 
Prinzen bejtimmen, noch heute nachmittag, vielleicht um 
jech8 oder fieben Uhr, bei mir vorzufahren ?” 

„Eine außergewöhnlich jpäte Stunde, Königliche Hoheit 
wird um acht Uhr zum Liebesmahl erwartet” — 

„SH weiß es. Sie jollen fid) nicht verjpäten und 
vielleicht direft von mir aus zum Kafind fahren. Aber 
dies jelbjtverjtändlich unter uns gejagt.” 

„Hoheit ſchwankt noch etwas, ob er thatſächlich das 
Feſt befuchen fol, Sie wifjen, daß er fich noch immer 
unmwohl fühlt —?” 

„Lieber, verehrtefter Freund, wenn Cie den Prinzen 
beftimmen fünnten, heute meine Waffen zu befichtigen, 
wäre ich zu größtem Danf verpflichtet, verlangen Sie 
feinen Kommentar zu dicjer Bitte, jondern glauben Sie 
e meinem ehrlichen Geliht, daß fie mir dringend am 
Herzen liegt!” Gower drückte herzlich Die Dargebotene Hand. 


— 4419 — 


„Ich gehe fofort und hole Ihnen Beicheid; was in 
meinen Kräften fteht, gefdieht, Ihren Wunſch zu er: 
füllen, das bedarf wohl feiner Verficherung. Au revoir, 
id) ftehe jo jchnell wie möglich wieder zu Ihren Dienjten.” 

Die Thür jchloß fich Hinter der jchlanfen Gejtalt des 
Adjutanten. 

Leije ticte die Kleine Standuhr auf dem Schreibtijch, 
und ein einzelner Sonnenjtrahl flimmerte über das filberne 
Raudjervice, welches Gower mit ftummer Cinladung 
näher gejchoben hatte; Proczna fchritt auf und nieder 
in dem Zimmer, fein Schritt verhallte auf dem Teppich, 
gedanfenvoll neigte fic) jein Haupt zur Brujt. 

Nervdje Aufregung erjaßte ifm. Er mußte Anna 
Regina die Demütigung und Qual erjparen, ihren Gatten 
um eine’ intriganten Weibes willen zu diipieren, er fonnte 
und durfte e3 nicht dulden, daß die beflagenswerte Frau 
zu einer Komödie gezwungen wurde. 

Er war zum Äußerſten entjchlofjen. Er wußte, was 
er in die Wagjchale warf, wenn er ſich jchon jet demas- 
fierte und dag mühjelige Werf, welches er durch jahre: 
lange Vorbereitungen aufgebaut hatte, mit jtolzen Händen 
bi in das Fundament hinein zuſammenriß. Was ver: 
pflichtete ihn, für Anna Regina fein eigene Lebensglüd 
in Trümmer zu brechen? — — Procgna richtete jich 
empor: „Mein Gewifjen und meine Ehrenhaftigfeit! — 
Habe ich nicht den Mut, alles eingujegen für die Grund» 
fage, welche ich vertrete, jo ziehe id) mein Thun und 
Handeln einer Ercellenz Gärtner gegenüber jelber in den 

Rv. EfHftruth, I. Rom. u. Nov, Polnifh Blut II. 29 


— 450 — 


Kot! Dann wäre ich nicht eines Weibes Streiter, deffen 
Mittel durd) den Zweck geheiligt werden, fondern ein 
erbärmlicher Intrigant, der nur dann wagt, wenn er 
nicht8 verlieren fann ... Sanef Proczna aber tritt mit 
Leib und Seele für das Biel ein, welchem er entgegen- 
itrebt. — Komme e8, wie e& immer wolle, ich jtehe 
für dic), Anna Regina! Ich jchlage zu Boden, was 
dich überwuchern will, und wenn diejer Schlag felbft 
mein eigen Glück zerjplittern jollte.” 

Die Thür bewegte ich leije in den Angeln, Leut- 
nant Gower trat mit lächelnder Haft über die Schwelle. 

Procznas Blid Hing an jeinen Lippen. 

„Königliche Hoheit ift um fünf Uhr bei Ihnen, Ver: 
ehrtefter — läßt jeinen verbindlichjten Dank ausdrüden 
für Ihre liebenswürdige Bereitwilligfeit ...“ 

Sanef atmete tief auf. „Glauben Sie, daß der Pring 
por dem Souper noch einmal hierher ins Schloß fährt? 
Es ijt noch jehr früh, um fünf Uhr!“ 

Der Adjutant zudte die Achjeln, Proczna aber faßte in 
dringender Haft feine Hand und jah ihm bittend in das 
Auge. „Man weiß nicht, wie lange wir plaudern werden, oft 
fliegt die Zeit jchneller alS man denft, erinnern Sie fic 
an die Märchen der Königin von Navarra! — Eines aber 
verjprechen Sie mir — hinterlajjen Sie eineu Befehl, den 
Helm, die Handjchuhe und Orden des Prinzen in meine 
Wohnung zu fenden, falls Hoheit nicht im ‚Souperanzug‘ 
meine Waffen zu befichtigen gedentt, vielleicht wird es nötig, 
daß Hochderjelbe direft von mir aus in das Kafino fährt!” 


— 451 — 


„Die Sphing ift ein offenes Buch gegen Sie, Procgna! 
lächelte Gower in jeiner liebenswürdig heiteren Weife. 
„Ich fann Ihrem Wunjche gwar feinerlei Deutung geben, 
gelobe Ihnen aber bei all der aufrichtigen und herzlichen 
Verehrung, welche ich für Sie hege, Ihre Bitte als Befehl 
zu erachten.” , 

ALS Janek Proczna die Schloßireppe wieder hernieder- 
jchritt, lag ein jreudige3 und zuverfichtliches Lächeln auf 
jeinem Antliß; Leutnant Gower begleitete ihn, jehnfüchtig 
wie ein Bräutigam eilte er jeiner trauten Häuslichfeit 
und feiner fleinen rau entgegen. 

€3 war interejjant, ihn jprechen zu hören, er ent: 
widelte jchlicht und ehrlich feine Anfichten, nichts lag ihm 
ferner, al3 die obligate, höfiſche Wichtigthuerei, welche 
die Leute glauben machen will, eine Fürjtlichfeit fet einzig 
dazu da, dem Adjutanten die nötige Folie zu geben. 

Proczna dachte jich unwillfiirlid) Herrn von Flandern 
an jeine Eeite, dachte an die allerliebjten Fächer, welche 
er zu malen, und die ercellenten Feſte, welche er zu ar— 
rangieren verjtand — Gower war gejchmadlog genug, 
mit ihm über ausländijche Militärverhältniffe zu fpredjen, 
welche höchſtens für einen recht ehrgeizigen Streber Inter— 
effe haben konnten ... 

Als fich die Wege der plaudernden Herren trennten, 
fchieden beide mit dem Gefühl, einem lieben und lang: 
jährigen Freund die Hand gedrüct zu haben. 

— 


29* 











XX. 


anef Proczna ftand im Mittelfalon feiner Hotel= 
wohnung unter der Gastrone, welche, voll ent: 
zündet, ihre Lichtftrahlen in tauſendfachem Reflex 
auf den blanfen Metallichilden brach oder fleine, zudende 
punfen über die Bejchläge und Edeljteinagraffen der 
verjchiedenen Dolce, Piltolen, türfiichen Säbel und 
Schwerter warf. 

Sein Blick richtete fic) auf die Pendule; es waren 
noch ſechs Minuten bis zu der Ankunft des Prinzen, 
Deffen militärische Pünktlichkeit ftadt- und landbefannt 
war. Proczna fannte feine Nervojität, dennoch durch: 
maß er mit untubigen Schritten das Bimmer, Hier und 
da ftehen bleibend, um ein bejonders koſtbares oder origi— 
nelle3 Stüd jeiner Waffenjammlung von der Tafel zu 
nehmen und es nachdenklich angujchauen. Es war, als 
memoriere er die Öejchichten, welche fich, voll Hiftorifcher 
oder intereffant privater Bedeutung, an jede einzelne 
diefer Waffen fnüpften. — Sehr viele waren e3 nicht, 
für einen Renner hätte die Belichtigung wohl längere 





— 453 — 


Zeit in Anſpruch nehmen können, für einen Liebhaber 
war das Terrain bald umſchritten, und was dann, wenn 
der Prinz © 
noch einmal | PR ’ 
zum Schlojje 
zurüd fuhr, 
feiner Ge- 
mahlin Die 
fleine Hand 
zur „Gute 
Nacht’ zu 
küſſen? 

Jähe Röte 
ſtieg in Ja— 
neks Stirn, 
ſeine Rechte 

knitterte 
krampfhaft 
das duftige 
Billet, wel⸗ 
ches ihm ſo⸗ 
eben von 
Frau Leonie 

zugeſchickt 
war. „Ich glaube kaum, daß die Idee, den Prinzen durch 
eine Beſichtigung Ihrer Waffen aufzuhalten, etwas nützen 
kann, ſolches Anſinnen iſt einem Manne, welcher anſtatt 
eines Herzens eine Uhr in der Bruſt trägt, doch zu naiv, 





id) habe herzlich über Sie geladt, mon petit ‚roi de 
Sabe‘! Immerhin verjuchen Sie e8; ich werde auf alle 
Fälle bei der Kany fein und meinen Plan im Anjchlag 
bereit Halten, falls Ihnen der Durchlaucdhtigfte zu früh 
aus den Fingern jchlüpft.” 

Der CErbherr von Proczna biß jdjweratmend die 
Zähne zufammen und fchleuderte das Briefchen in die 
Kaminglut; — drunten rollte ein Wagen vor — auf 
dem Korridor wurden die Schritte der Dienerjchaft Laut. 

Sanef warf das Haupt in den Naden, er war zum 
Äußerſten entjchloffen. Mit feſtem Schritt trat er in das 
Vorzimmer, Seiner Königlichen Hoheit entgegenzugehen. 

August Ferdinand war außergewöhnlich heiter und 
gut gelaunt. 

„Laſſen Sie mich erft ein Weilchen Ihre Gejellichaft 
genießen, Verehrtefter, ehe Sie mir den Anblid Ihrer 
Sammlung geftatten! Mir geht es wie dem Einfiedler 
auf Marks: Riff, der dic Wandervigel in ihrem Fluge 
aufhielt, damit fie ihm erzählen jollten, wie es draußen 
in der weiten Welt ausjieht!” 

„Wenn Mark3:Riff hier droben auf nordijchem Feſt— 
land liegt, Königliche Hoheit, bin ich überzeugt, dag die 
Schwalben ihr Neſt unter dem Dache des Cinfiedlers 
gebaut haben!” 

Der Prinz ließ fich lächelnd in einem Fauteuil nieder. 
„Für furze Zeit vielleicht, jowie der Sturm daran rüttelt, 
fliegen fie auf und davon! Wer wie Sie die Lieder der 
Sehnſucht fingt, Proczna, den gieht’s zur füdlichen Heimat 


— 455 — 


zurück — ob früher oder pater; es hat noch niemals cin 
Lorbeer in unferm Boden Wurzel gejchlagen, den eine 
heißere Sonne auz dem Keim gelodt!’ 

„Ich bin Pole, Königliche Hoheit.” 

„Ihrer Nationalität — das heißt dem Geburtsſchein 
nach, welcher in polnischer Sprache ausgejtellt ijt. Ihr 
äußerer Menjch ift nur eine Enveloppe für die Künftler- 
jeele, und dieje hat in Italien und Paris ihre Schwingen 
entfaltet, wo Ihnen Apollo den Weihefug auf die Stirn 
gehaucht. Ich dächte aber, fold) eine geijtige Wieder- 
geburt müſſe alle nationalen Bande des Blutes löſen 
und Sie auch als Menjden an dasjenige Stüdchen Erde 
fetten, welches Cie für eine ganze Welt und für Ihre 
eigene höchite Bejtimmung geboren hat!” 

Procgna lächelte fajt wehmütig. „Einer Cage gleich 
lebt die Anficht unter den Leuten, polnifch Blut verleugne 
fic) nie. — Wie geheimnisvolle Kräfte die Magnetnadel, 
ihr felber unbewußt, nad) Norden ziehen, mag fie hinaus: 
gejchleudert werden in die fernjten Lande und Meere, jo 
bindet eine rätjelhafte Gewalt die Herzen der Polen an 
ihr Vaterland, fie umjtriet mit taufend Bauberfäden 
den flüchtigen Fuß, fie lodt und zieht zurüd wie der 
Pulsichlag, welcher den Sohn an die Bruft des Waters 
treibt — Man fagt’s — wer fann’3 beweijen! — Ich 
habe erft al erwachjener, deutjch erzogener Mann die 
polnische Sprache erlernt und dennoch ift fie mir leicht 
und mühelos von den Lippen geflojjen, und hat fic) mir 
ins Ohr gejchmeichelt, wie eine Mutterjprache!” 


— 456 — 


„Weil Sie wuften, daß Sie polnischer Abkunft 
find! — Die Phantafie ift eine gewaltige Betriigerin 
und leiht uns unendlich viele Mittel, eine Einbildung zu 
unterſtützen!“ 

„Sehr wohl, Königliche Hoheit, aber dennoch mit 
einem gewiſſen Eigenſinn. Wie gern hätte ich mir oft 
eingebildet, recht glücklich zu ſein, und wie gern hätte 
mich meine Phantaſie dabei unterſtützt! Künſtleriſch und 
phantaſtiſch geht faſt immer Hand in Hand, nur bei mir 
nicht. Im Vollgenuß meiner Erfolge habe ich die Augen 
geſchloſſen, und unter dem Lorbeer und zwiſchen der 
Roſenglut des Südens von wirbelnden Schneeflocken, Nord- 
landsſtürmen und einſam ragenden Tannen geträumt, 
mein Herz hing voll nagender Sehnſucht an der ernſten, 
nordiſch kühlen Heimat!“ 

Auguſt Ferdinand hob lächelnd das Haupt. „Und 
davon profitieren wir jetzt! Möchte ſich doch die liebens— 
würdige Sage von dem polniſchen Blut beſtätigen und 
die deutſche Erziehung ſich nicht ganz verleugnen, dann 
würden wir den Vorteil daraus ziehen und Janek Proczna 
dauernd auf der Grenze zwiſchen Deutſchland und Polen 
hier in unſerer Mitte behalten!“ 

Das Geſpräch ſpielte ſich auf andere Themata über; 
der Prinz zog Leutnant Gower mit in die Unterhaltung 
und erhob ſich erſt nach geraumer Zeit, die Waffen zu 
beſichtigen. 

Janeks Blick ſtreifte die Pendule — über eine halbe 
Stunde war der Zeiger vorgerückt. Nun galt es für 


— ABT = 


ihn, Kapital aus den Studien zu jchlagen, weldje er in 
Paris gemacht, erzählen, ohne zu ermüden — fejjeln, 
ohne ein Seil zu drehen! — Die Märchen der Königin 
bon Navarra!! — 

Auguft Ferdinand trat an die Tafel und überflog 
das ganze Arrangement mit einem prüfenden Blid. „Ich 
liebe es, wenn ein edler Kern aud) eine gejchmadvolle 
Scale hat, und effe ein Gericht mit doppeltem Appetit, 
wenn e3 mit einigem Raffinement ferviert wird! — Diefe 
Heine Austellung beweift durch die foftbare Fajjung am 
beiten, welch edle Perlen fie birgt!” Er nahm eine Piftole 
empor und befichtigte ihre eigenartige Gravierung. ,,Sie 
haben feine Zettel oder Schilder angehängt, verehrtefter Graf, 
wollen Sie meiner Wißbegierde ein Cicerone fein?!” 

„Wenn Königliche Hoheit geitatten, fogar ein recht 
ausführlicher, denn das hauptjächlichite Interefje nimmt 
zum größten Teil nicht die Waffe ſelbſt, fondern die 
Gefdhidjte in Anjpruch, welche fic) daran fnüpft!” 

„Scharmant! Beginnen wir fofort bei diejem origi- 
nellen ‚Seihüg! — Cine mir völlig fremde Konftruf- 
tion...” Der Pring verjuchte den Hahn zu fpannen — 
„Haben Sie verjucht, damit zu ſchießen?“ 

„Berjucht wohl, Hoheit, aber . . . id) muß befennen, 
daß ich ein jehr ſchlechter Schübe bin; außer meinen 
beiden Stedenpferden ‚Singen und Neiten‘ habe ich 
fein Talent und feine Paſſion. Dieje Piftole ijt ein 
Geſchenk des Herzogs von Valence, der Austrag einer 
Wette Gouttes d'or betreffend . . .” 


— 458 — 


„Ah, ich hörte bereits; Sie fennen den Herzog pers 
jönlih und haben durch bejagte Gouttes dem braven 
Hechelberg drei jchlafloje Nächte bereitet —“ 

„Der Graf behauptet jest noch fteif und feft, meine 
Verpadung wäre vielleicht echt, aber die Gouttes jelber 
jeien nicht8 anderes wie Firnewein mit merveilleujer 
Blume...” 

„Firnewein?“ — Auguft Ferdinand blicte lebhaft 
auf, „da würde er zu überführen fein! Ich trinke jeit 
Jahren die Auslefe des R. . . Klojters, defjen Abt mir 
perjönlich befannt ijt, es fteht Ihnen mein Weinkeller 
zur Verfügung, laffen Cie e8 auf einen Vergleich au: 
fommen | 

„Die Streitfrage wäre wohl am ficherjten ent- 
ichieden, wenn Königliche Hoheit Die Gnade hätten, dic 
Gouttes d’or einer Prüfung zu unterziehen!” Procznas 
Auge leuchtete auf, Haftig trat er zu dem Schellenzug. 
„Ich würde jtolz und glüclich fein, einen Becher, welcher 
auf der Tafel eines der größten Raijer gejtanden, 
einem deutjchen Prinzen und Feldherrn präjentieren zu 
dürfen!” 

Auguft Ferdinand nicte ihm in feiner einfachen und 
ichlichten Liebenswürdigfeit zu. „Gewiß, mein lieber 
Graf, es wird mich jehr interejlieren, Ihre vielbe- 
jprochene Marke fennen zu lernen! Um jo mehr, wenn 
id) fie in einem Pofal gereicht befomme, zu welchem 
mir mein freundlicher Wirt eine Hiftorische Erinnerung 
erzählen kann!“ 


Proczna verneigte fich dankend, trat unter die Por: 
tiere und flüfterte dem Rammerdiencr einen furzen Befehl 
zu, dann fehrte er an die Eeite des Prinzen zurüd und 
begann in amiüjantejter und anregendfter Weije den 
Cicerone zu jpielen. 

Eine außerordentlich Tebhafte und heitere Unter- 
haltung entjpann fic), die Herren probten die einzelnen 
Waffen, ftellten Anficht gegen Anficht und widelten den 
Faden des Themas oft freuz und quer durch ein Laby- 
rinth alter und neuer, ftrategifcher und civiler Ber- 
hältnijje. 

Die Gouttes d’or junfelten in den gejchliffenen Slelchen, 
bläuliche Nauchwölfchen fräufelten von den Cigaretten 
empor, und Janek Procgnas vornehme, ungezwungene 
und dabei doch rejpeftvoll gemefjene Art und Weiſe be: 
wie3 am beiten, wieviel hohen Beſuch er jchon in feinem 
Hauje empfangen. 

Auguft Ferdinand war außerordentlich animiert und 
pollfommen im Bann jeiner Pajjion; er war leidenjchaft- 
licher Jager und renommierter Piltolenfhüß, fein Auge 
leuchtete auf bei dem Anblik alter Waffenfchmiedekunft. 

Im Erwägen, ob nur jchön oder aud) jet nod) 
brauchbar, erfud)te ihn Proczna, einen Verfuch anzuftellen. 
Man ließ Munition fommen, lud die Piftole und ftellte 
durch zwei Bimmer Hindurd ein Biel auf; das alles 
beanjprudjte Zeit, zwijchendurch aber rantten jich die 
humorvollen Kommentare, welche der Pflegejohn des 
Grafen Dynar zum „Ausfüllen der Paujen” erzählte. 


— 460 — 


Sein Blick huſchte unbemerkt zu dem goldenen Biffer- 
blatt, tief aufatmend hob fich jeine Bruft. Noch eine 
Viertelftunde, und alles ijt gewonnen! Auguft Ferdinand, 
der peinlich Piinftlide, hat alsdann die Stunde der Ein- 
ladung verfjäumt und wird ohne Verzug zum RKafino 
fahren! Aber womit ihn noch halten? Die Sammlung 
ijt befichtigt, und Augujt Ferdinand blidt, wie fragend, 
auf Gower. 

„Ihre ganze Wohnung jcheint ja aus Raritäten zu— 
fammengejeßt gu fein, Verehrteſter!“ lachte er, auf ein 
fleine3, altertümliches Heft blidend, welches Procgna zus 
fällig von dem Rlavier geftoßen hatte, und nun mit auf- 
fallender Behutjamfeit wieder aufnahm. 

„Diejes vergilbte Papier dürfte wenigftens das wert- 
vollite Stück fein, welches diefe vier Wände bergen” — 
nahin Proczna die Frage mit gewiffer Haft auf. „Eine 
Handichrift Chopins.” 

„Ah, thatſächlich? Bitte, laffen Sie fehen —” der 
Pring ftrectte die Hand nad) den Blättern aus, wandte 
aber gleichzeitig den Kopf aufhordend nach dem Fenſter. 
„Es regnet? !” 

Gower eilte an die Scheibe. „In der That, Kinig- 
lide Hoheit, das Tauwetter macht fich in jeder Facon 
bemerflich !” 

„Recht fatal ... ich hatte den Wagen zurücgefchickt, 
um die fleine Strede nad dem Schloß als Promenade 
zu betrachten, e8 war £öjtlich milde Luft! ... Apropos, 
bejter Gower, es ift wohl Zeit, an den Aufbruch zu 





denken“ — Auguft Ferdinands Blick ſchweifte über den 
nahen Schreibtiſch, eine Uhr auf demſelben zu entdecken 


— 462 — 


— „ich habe nämlich meine Anweſenheit bei einem Feit 
gugejagt, welches die Artilleriften in ihrem Kafino ver: 
anftalten.” 

„Ah, die Enthiillung des Barbarabildes! Dazu kann 
man gratulieren, denn e3 ijt thatjächlich eine ebenjo amü- 
fante, wie originelle und dabei doch künſtleriſch wertvolle 
Gabe, welche der ‚jüngjte Leutnant‘ jeinem Regiment 
damit. jpendet.” 

„Sie fennen das Bild, Graf? Sie haben es ger 
jehen ?” 3 

„Ganz recht, Königliche Hoheit. Einer der Herren 
war jo liebenswürdig, mir den Genuß zu gewähren.” 

„Eine Karikatur?!” 

„Nicht im groben Einne, obwohl dem Gemälde ein 
feiner und graziöjer Humor nicht abzufprechen ift . . .” 

„Bitte, bejchreiben Sie —“ 

„Die heilige Barbara jelber ijt als Echußpatronin 
der Artillerie in einer würdigen und geradezu idealen 
Weiſe genau in der Art wie die Girtinijche Madonna 
aufgefaßt. Anjtatt des Kindes hält fie eine fleine Kanone 
in dem einen Arm, während fie mit dem anderen eine 
frepierende Granate Ddarbietet. Die fleinen Engel zu 
ihren Füßen find ebenfalls genau in der Art des Hajfi- 
ſchen Vorbildes gruppiert, allerdings mit der Abwei- 
hung, daß diejelben fleine Leutnant® markieren, mit 
Epaulettes auf den nadten Schultern, Helm, Sdynurr- 
bärtchen und Cigarette, eine unglaublich drajtijche und 
humorvolle Zeichnung I” 


— 463 — 


Der Pring lachte laut auf. ,,Bortrefflid! Muß in 
der That einen originellen Eindrud machen — ich werde 
mir das Bild auf alle Fälle anjehen! Haben Sie herz: 
lihen Dank für diefe interejjante Stunde, mein verehrtejter 
Proczna ... Dynar oder Proczna — ich weiß nie recht, 
wie man Gie nun eigentlich) nennen joll! ...“ Augujt 
Ferdinand reichte ihm die Hand entgegen, und Gower 
griff nach dem Degen jeines hohen Gebieters, Janet aber 
tif an dem Schellenzug. 

„sönigliche Hoheit werden doch Hoffentlich meinen 
Rappen die Ehre angedeihen lafjen, den Weg bis zum 
Schloſſe zu mefjen, es regnet jehr jtarf, und ich würde 
mir ewig Vorwürfe machen, wenn fic) die Indispoſition 
meines gnädigften Herrn verjchlimmern würde, außerdem 
dürfte eine Promenade zu lange aufhalten.” 

„gu lange aufhalten? Um alles in der Welt, Gower, 
wieviel Uhr hat das eben gejchlagen ?” 

„Dreiviertel Acht, Königliche Hoheit, zu Befehl.“ 

Proczna gab dem Kammerdiener einen Wink, Auguft 
Ferdinand aber lachte laut auf und legte die Hand auf 
die Schulter des jungen Singers. „Was zum Teufel 
haben Sie mit mir angeftellt, Procgna, daß die Stunden 
zu Minuten geworden find! Coll id mic) um Ihrer 
foftbaren Waffen willen zum erjtenmal im Leben ver: 
ipäten?! Es fieht mir ftarf danach aus, denn in einer 
Viertelftunde kann ich unmöglich in der Kaſerne jein —“ 

„Befehlen Königliche Hoheit, nicht von hier aus direft 
zu jahren?” 


— 464 = 


Der Prinz ſah einen Moment unſchlüſſig vor ſich 
nieder. „Ich beabſichtige noch einen Orden anzulegen, 
und meine Handſchuhe!“ Er nahm die Genannten aus 
Gowers Händen entgegen und ſah prüfend darauf nieder, 
der Adjutant jedoch wechſelte einen ſchnellen Blick mit 
Proczna. 

„Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, ich hatte dieſen 
Fall, in anbetracht der reichen und intereſſanten Gamm- 
lung, welche unjerer hier harrte, vorgejehen und die be: 
treffenden Toilettenftüde für ein halb acht Uhr hierher 
beſtellt!“ 

„Excellent! — Das war ein vortrefflicher Gedanke, 
lieber Gower! Wollen Sie die Güte haben, ſich zu über— 
zeugen, ob man Ihren Befehl pünktlich ausgeführt hat? 
Dann bliebe mir vielleicht doch noch Zeit, beim Schloſſe 
vorzufahren, um mich nach dem Befinden meiner Frau 
zu erkundigen.“ 

„Ah voila, Gower! nebſt allem, was ich brauche! 
Scharmant ... Danke tauſendmal, Verehrteſter. Und 
Ihre Geſchichte, Proczna — läßt ſie ſich noch erzählen, 
bis Ihre Liebenswürdigkeit die Pferde vor die Thür 
ſtellt? Die Geſchichte jener Handſchrift meine ich?!“ 

Proczna, welcher das Notenheft noch immer in den 
Händen zuſammenrollte, verneigte ſich und offerierte dem 
Prinzen die vergilbten, eng beſchriebenen Blätter. 

„Es knüpft ſich eine Erinnerung an dieſes unfdjeine 
bare Papier, welche meiner Anſicht nach für jedermann 
intereſſant ſein muß — es iſt eine nie veröffent: 


— 465 — 


lidjte Kompofition Chopin’, die einzige, welche einen 
heiteren, beinahe übermütigen Charafter trägt. Die Worte 
find an eine der erjten Sängerinnen der Großen Oper 
in Paris gerichtet, welche die Hauptrolle einer Meyer: 
beerjchen Oper zum erjtenmal in der Weltſtadt fang.” 

„Ah — ein lujtiges Lied Chopins? Wie famen Sie 
zu diejer Rarität ? !” 

„Auf jehr originelle Weije, man hatte in den Tuile: 
rien eine Austellung hiftorifcher oder künſtleriſcher Wert: 
gegenjtände zum Beſten eines Waijenhaujes veranjtaltet. 
Wer im Befiß eines antifen oder intereffanten Stückes 
war, gab dasjelbe leihweife an das Komitee, und diejes 
ftellte daraus die buntejte und verjchiedenartigfte Kollek— 
tion gujammen. 

Ich durchſchritt am Arm eines Freundes die ver: 
jchiedenen Säle, welche in früher Morgenjtunde weniger 
zahlreich bejucht waren. Sn einem fleinen Glasfajten 
entdeckten wir dieſes Notenheft mit der angehefteten Ber 
merfung, daß e3 von dem Befiger, Herrn Giacomo Meyer: 
beer, gütigit überjandt fei. Och las voll regften Eifers 
die Worte und jummte die Melodie nach den ziemlich 
undeutlichen Noten vor mich hin. 

„Das wäre fo etwas für Sie, mon ami!‘ rief mein 
Freund voll Begeijterung, ‚wenn Sie mit diejem Heft 
vor das Publifum treten und ein Couplet von Chopin 
derartig jingen würden... Denfen Sie fich diejen 
Eifeft " — ‚Ein Couplet von Chopin derartig fingen, daß 
fi der Meijter nicht im Grabe herumdreht, derartig 

Nov. Eſchſtruth, IM. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II. 30 


— |, ae 


fingen, daß doch die Thränen des großen Komponiften 
durch all die Scherze flingen, das ift unendlich fchwer 
meine Herren!” erflang pliglich eine Stimme hinter ung. 
Ein fremder Herr war an uns herangetreten. „Und 
wenn fic) jemand fände, welcher diefes Kunſtſtück dennoch) 
fertig brächte?‘ erwiderte mein Freund beinahe gereizt. 
‚Dann wäre es einzig — Janek Proczna !! — ‚Und 
wenn Sanef Proczna vor Ihnen jtände?‘ Der Fremde 
jah mich einen Moment mit durchdringendem Blic an. 
you der That? Sind Sie Proczna ? 

„Ich lächelte. ‚Nichts weiter alg er, und Gie?!... 
ein Gedanfe bligte mir plößlich durch den Kopf, ich 
wußte, warum mir der alte Mann jo befannt vorge- 
fommen war, ‚Sie find der Befiter diejes fojtbaren Hef— 
tes!‘ Ein wunderliches Zuden ging über die rungligen 
Züge, fajt fahen fie freundlich aus, er reichte mir die 
Hand. 

„Ich war der Befiter‘, entgegnete er, nahm einen 
Bleiftift aus der Tafche und jtrich den Namen Meyer: 
beer auf dem Papierzettel des Glastaftens aus, um mit 
gitterndDer Hand Janef Proczna darauf zu frigeln. Seit 
jenem Tage war ich oft im Haufe des alten Meyerbeer, 
und als ich ihm das Couplet vorjang, da drüdte er mir 
die Hand und bat mit feuchtem Auge: 

„Nur vor warmen, verjtändnispollen Herzen fingen, 
Proczna, nicht vor einem Publifum ... Dies Lied ift 
der Schmetterling auf dem Kranze weißer Blumen, welche 
Chopin im Wappen trägt | 


— 467 — 


Auguft Ferdinand reichte dem Sprecher beide Hände. 
„Ich habe ein warmes Herz, Proczna, und ein aufrich- 
tiges Interefje an diefem Lied, betrachten Sie mich nicht 
alg Bublifum !” 

Drunten rollte die Equipage vor. 

Sanef jtellte die Noten auf das Klavier. 





„Benn Königliche Hoheit geftatten, werde ich bez 
weijen, daß ich nur im Sinne Meyerbeer3 handle.” 

Es lag viel Verbindliche und viel aufrichtige Vers 
ehrung in Gefte und Stimme des Grafen, er jegte ſich 
nieder und jang. 

Wie ein lautes Aufjubeln lang es von feinen Lippen, 
acht helle Glodenjchläge Hallten von der Pendule da= 
zwifchen. ,Gewonnen, Frau BPräfidentin!” Dann 
ein haftiger, herglicher Abjchied. „Direkt nad) dem Ra- 

30* 


— 468 — 


fino”, befahl Auguft Ferdinand, „es ijt gu {pat geworden, 
um nod) Abjtecher zu machen }/ 

Die Rader und Hujjdlage verflangen in der flillen, 
vom Regen überfluteten Straße, Janel Procgna aber prefte 
einen Augenblick die Hände gegen die Schläfen. 

„Diejer Nachınittag Hat dich zu meiner Schuldnerin 
gemacht, Anna Regina!” atmete er auf, das waren die 
längjten Stunden, welche ich jemals nad) Sekunden ge- 
mejjen habe !” 

Der Kammerdiener trat ein und fragte, wann das 
Souper bereit gehalten werden jolle. 

Proczna überlegte einen Augenblid. „Bringen Sie 
mir Mantel und Hut, ich trinfe den Thee in Billa 


Florian.“ 





——— 





er Regen ließ allmählich nach. Eine köſtliche, 

friſche, etwas herbe Luft wehte um die Stirn 

Procznas, welder einſam durch die menſchen— 
leeren Anlagen ſchritt. — Sein Blick ſchweifte empor zu 
den flüchtig ziehenden Wolken, welche ſich mehr und 
mehr zerteilten. Von den Zweigen tropfte es hernieder, 
die feuchten Kieſel auf dem Wege leuchteten wie Silber 
und zur Seite flüſterten ein paar welke Blätter im 
Winde, geheimnisvoll wie die „Saga am Brunnen von 
Sökwabek.“ 

Janek ſchreitet langſam dahin. — Es iſt ruhig in 
ihm geworden, die Wogen der Erregung haben ſich ge— 
glättet, die heiße Stirn hat ſich abgekühlt, es iſt ihm zu 
Mut wie dem Seemann, welcher ſich überzeugt, daß 
er den richtigen Kurs genommen — durch Sturm und 
Klippen hindurch führt er doch zum heimatlichen Hafen. 

Im Parterre der Villa Florian ſind alle Fenſter— 
läden geſchloſſen, aus den Salons der Gräfin Dynar 
leuchtet roter Lichtſchein durch die kahlen Baumwipfel. 


— 470 — 


Reife, gedämpft zittert der Glodenton Hurd die 
Flurhalle. 

„Der Herr Baron ſind im Klub und die beiden 
Damen trinken den Thee bei der gnädigſten Gräfin!“ 

„Meine Schweſter erwartet noc) weitere Gäſte?“ 

„Durchaus nicht, Ew. Gnaden!“ 

Proczna wandte ſich mit leider Handbewegung zur 
Treppe und ſtieg die weißen Marmorſtufen empor. 

Ein Diener ſtand bereits wartend droben im Korridor. 

„Die Damen ſind noch in Anſpruch genommen, bar} 
ich bitten, hier in diefen Salon einzutreten!“ 

Janek ließ fich den regenfeudjten Mantel von den 
Schultern nehinen, ftrich mit der Bürfte das leichtgewellte 
Haar aus der Stirn und trat ein. 

„Ah, Icharmant! — Umarme Sie, Berehrtefter!” 
fporenflirrend erhob fid) Heller-Hüningen aus einer Sofa- 
ede und eilte dem Eintretenden entgegen. „Sei mir 
gegrüßt, Gejegneter des Herrn!“ jang er in durchaus 
eigener Kompofition und reichte Proczna die Hand mit 
herzhaftem Druck. 

Aus einem Seffel tauchte, von roten Bandjchleifen 
umflattert, eine allerliebfte Toilette, in welcher Fräulein 
Bicky ſteckte, die fich in ftiirmijder Begrüßung an Procgnas 
Arm hing. 

„Wie reigend, daß du fommit, Janek, wir jpielen zus 
fammen Domino und ich gewinne in einem fort!” 

„Na ja, weil Sie eben ſchon von Kindesbeinen an 
auf diefe heimtückiſche Sache eingedrillt find!” — Donat 


— 471 — 


drängte das Coufinden jehr gejdhidt von Proczna weg 
und nahm jelber dejjen Arm. „Ein gräßliches Spiel, 
lieber Proczna, in finnverwirrender Weile muß man 
ihwarze Punkte zählen und davon eine griechiiche Karte 
auf den Tiſch bauen — darin erreicht der Wik den 
Siedepunft .. .” 

Bickys Antlitz glühte, al& Habe fie die Hölle ange- 
blajen. „Weil er’3 nicht verfteht, Janek, und immer 
andere Gejchichten dagwijdenfoh{t! Bd ſchlug ihm ja 
guerjt ‚Hammer und Glode‘ vor, aber da behauptete er, 
bei derartigem Spiel rühre ihn der Schlag vor Auf- 
regung, worauf ich jo gutmütig war und ihm das Do: 
mino brachte.” 

„Schändlichiter Egoismus! Ich muß unter der Dez 
vife: ‚Lieber tot al3 unritterlich“ ein fremdes Spiel ris- 
fieren, bei welchem ich ohne jede Garantie in himmel- 
ichreiender Weije bejchuppt werde! Am ganzen Abend 
nod) fein eingiges Mal gewonnen, foll das etwa mit 
rechten Dingen zugehen? Hier, den halben Inhalt der 
Bonbonniere, welche ich extra zu dem Zwed des Ein- 
ſatzes mitgebracht habe, hat meine Gegnerin bereits an 
ſich gebracht !” 

Donat fniff feinen Freund heimlich in den Arm, 
machte ein entrüftetes Geficht und deutete nach dem Tijch, 
woſelbſt Bicky ſich mit beiden Armen jchügend über eine 
Schale voll Konfeft warf, welche fie laut ihrer Ver: 
ficherung auf redlichjte Weije verdient habe! Donat könne 
ja foviel er wolle aus der Boite ejjen, aber nein, in 


ons BID, 


purer Ungegogenheit bejtehe er darauf, von ihrem Gewinnſt 
gu jtehlen, und alles Anbeißen der einzelnen Stüde helfe 
nichts, folche nehme er crit recht! 

Sanef lachte laut auf. „In weld) einen Abgrund 
der Verderbnis muß ich ‘mal wieder bliden! Auch ge- 
zeichnete Schafe jtiehlt der Wolf, liebe Bicky! Aber nur 
Mut, ich werde mich energijch auf deine Eeite jchlagen, 
denn diejer Knabe Karl fängt an, mir fürchterlich be- 
denflich zu werden!” 

„Nein, Janek, Frieden follft du ftiften! Der Donat 
muß einjehen, daß ich vollfommen recht habe und ihn 
wahrhaftig nicht betrüge .. .” 

„But, ich werde Echiedsrichter fein. — Heller-Hüningen 
muß jchliegtich mit volljter Überzeugung zugeben, daß 
jein Pech im Spiel einzig auf der anerfannten Thatjache 
beruht, daß Leute, dic Glück in der Liebe haben, nod) 
niemals das große 208 gewannen.” 

„Glück in der Liebe! — Ach ja, daran wird eg 
wohl liegen...” Bickys Augen leuchteten auf, voll 
reizender Naivetät jchob fie ihr Konfekt Haftig über den 
Tijd) vor den Pla ihres Gegners. „Hier, Donat, ich 
jchenfe Ihnen alles — alles! — und will gar nicht mehr 
aufpajjen — aber dann —” fie jah faft flehend zu ihm 
empor — „dann lafjen Sie mir dafür das Glüd in 
der Liebe !” 

„Zeilt euch drein, Kinder, für eins allein ift das 
Glück ein jcheuer Vogel, zu zweien hält man’s felt!” 

„Zeilen? —“ das Backfijdden jchüttelte den 


— 473 — 


Krauskopf, ,,fein Menjch friegt von meinem Glüd etwas 
ab, ich verftede es tief, tief im Herzen — jchreibe 
höchitens in mein Tagebuh: ‚An — und dann drei 
Kreuze —“ 

„Drei Kreuze ſind gut!!“ 

„Und darunter mein Lieblingsgedicht — —“ 

„Blitz und Knall, Couſinchen, ſchießen Sie 'mal los, 
ich habe Gedichte raſend gern!“ Donat ſtrich den blonden 
Schnurrbart nod) kühner empor und kniete erwartungs- 
voll auf einen Seſſel. 

„Nein — ich ſage es nicht.“ 

„Auch mir nicht, Bicky?“ 

Sie drehte ſich haſtig um, ſah einen Moment heiß 
erglühend in Procznas lächelndes Antlitz und ſchmiegte 
ſich dann in faſt ungeſtümem Jubel an ſeinen Arm. „Ja, 
du ſollſt es wiſſen, Janek, du wirſt mich nicht auslachen, 
du haſt mich ja ſelber ſo glücklich gemacht!“ 

„Jetzt hören aber die Witze auf!“ Donat ſchob ſich 
ſehr energiſch zwiſchen die beiden und hatte zum erſten— 
mal im Leben eine Falte auf der Stirn. „Weitergeſpielt 
wird! — Punkte gezählt ... feine lyriſchen Geſpräche 
mehr geführt, ich kann Gedichte in den Tod nicht leiden, 
und Proczna thut auch nur ſo, als ob er 'was davon 
verſtünde! — Avanti — bringen Sie erſt 'mal die Partie 
hier zu Ende — Sie waren dran!“ Er bemächtigte ſich 
ihres Armes und führte die junge Dame in etwas dik— 
tatoriſcher Weiſe an den Tiſch zurück. An der einen 
Seite neben ihrem Seſſel erhob ſich die ſchützende Wand, 


— 474 — 


an bie andere baute fich der junge Offizier felber als 
Schanze vor. — Procgna war falt geitellt. 

„Alſo wir fpielen jet!“ Donat legte mit großer 
Behaglichkeit einen jehr füßen Gewinn aus und drehte 
den Kopf nad) Janet. „Sie können fich ja inzwijchen die 
Sluftrationen von der ‚Glocke‘ anjehen, recht3 auf dem 
Heinen Tijd) der rote Prachtband — in der Nebenjtube 
ift e8 auch gang interefjant — Xenias Arbeitszimmer! . . . 
Vertreiben Sie fic) nod) ein Weilden die Beit, Procgna, 
die beiden anderen Damen werden gleich wieder erfcheinen, 
fie befommen irgend fo ein neues Wams angepaßt! .. .” 

„Dante verbindlichjt für Ihre Fürſorge!“ Janet 
neigte fic) lachend zu dem jungen Fürjten nieder, „ich 
laufe Ihnen ja doch nod) den Rang ab, Herr Kamerad, 
— aber darum feine Feindſchaft, Sie wiljen, daß es in 
jedem Luftjpiel Rivalen gibt!” 

Donat lachte gutmütig auf. „Der Teufel foll Sie 
holen, Proczna, wenn Sie einem fold) ungleichen Gegner 
wie mir nicht einen riefigen Vorjprung laſſen!“ 

Am Tiiche herrfchte die größte Eintracht, man gewann 
jebt abwechjelnd; mit einiger Willfür wurden die ſchwar— 
zen und heiteren Loſe gemijcht. 

Der Erbherr von Proczna lächelte ſtill vor fid) Hin. 
Die Unterhaltung dieſer beiden großen Kinder zu ver- 
folgen, hatte Reig für ihn und er amüfierte fic) föftlich. 
Nebenbei befah er die „Glocke“. — 

„Barum find Sie denn heute erjt um ein halb acht 
Uhr gefommen, Donat ?” 


— 45 — 


„Snfame Schreiberei hielt mid) auf ... war nod 
perfinlid) auf dem Telegraphenamt, um einem Freunde 
zu gratulieren!’ 

„Und in der Poſt haben Sie Schreibereien gehabt?” 

„Natürlich. — Depejche aufjegen. Aber ich fage 
Ihnen, Bidy, großartig! — Cie ahnen gar nicht, was 
für ein talentierter Kerl ich bin! So im Handumdrehen 
war die Sadje auf das Papier geworfen: ‚Meinem alten, 
fielen Rennontel Lämmchen die herzlichiten Glückwünſche 
zum heutigen Tag!‘ — Famos gejagt, was? Und nicht 
einmal Konzept dazu gemacht!” 

„Und an einen Onfel war's?“ — Bidy faltete die 
Hände und bewunderte da3 Genie, welches die Depejchen 
nur fo aus dem Ärmel jchüttelt. 

„J wo! — Rennontel ijt nur fo ein familiärer Titel 
für Sport8mann, und Lämmchen ift ein Spitzname. Der 
Kerl war nämlich einer der vernagelften Hirnjchalen, 
welche jemal3 auf der Preffe waren — fo fehr Lämm-— 
den‘, daß ein paar Schandmäuler behaupteten, er trüge 
ein Biftol bei fich), mit welchem er fich fofort erſchießen 
würde, wenn ihm einer begegnete, der noch dümmer 
wäre, wie er — aber er lebt immer nod. — Sonſt 
ein brillanter Menſch — fonnte Häufer auf ihn 
bauen!” 

„Woher kannten Sie ihn denn?” 

„Bon der Preffe, bin zweimal mit ihm zufammen 
durchgeraffelt ... Sie miiffen jegen, Bicky! ... nein? 
Pontius und Pilatus ... wo nichts ift, hat der Kaijer 


— 476 — 


das Recht verloren ... fpringen Sie ’mal mit einer 
Fünfe an! ...“ 

O, daß ſie ewig grünen bliebe die ſchöne Zeit der 
jungen Liebe! ... Janek neigte ſich tief über die reizende 
Zeichnung der beiden jugendlichen Geſtalten, neben wel— 
chen die Roſen blühen nnd ein zärtliches Taubenpaar 
im Wipfel gurrt; aber jene zwei in Fleiſch und Blut 
am Tiſche drüben gefallen ihm noch bei weitem beſſer! 

Donat ijt glücklicher Beſitzer eines grandioſen Ge— 
winnes geworden, welchen er ſelbſtlos und ritterlich dem 
allerliebſten Bäschen zu Füßen legen will. Ein Kampf 
der Großmut entbrennt, dann wird geteilt. 

Der junge Offizier beißt eine Liqueurbohne an und 
betrachtet ſie als Becher. „Proſt, Couſinchen“, ſagt er 
galant und kippt den ſüßen Inhalt. 

Bicky überzählt gerade ihren Reichtum, ſie blickt mit 
runden, ſehr erſtaunten Augen auf. — „Ich habe ja gar 
nicht genieſt!“ 

Proczna kann ſich wunderbar beherrſchen, er blättert 
geräuſchvoll weiter. 

„Wiſſen Sie nod, Biky, wie Sie mich 'mal als 
Avantageur zuerjt gegrüßt haben?” 

Das Badfiichchen wird verlegen. „Nein! lügt fie 
mit dem harmlofejten Geficht von der Welt. 

„Ra, hören Sie ’mal, Coufinchen, das war ja die 
fidelite Gejchichte, die Sie je geliefert haben! Donner: 
wetter ja, ich jehe mich noch immer daftehen, zum erften- 
mal im Leben als Pojten vor dem Haufe des Herrn 


— 


Kommandeurs, ein unglaublich ſchlackſiger, verlegener 
Bengel mit drei Schnurrbarthaaren, der das Poſtenſtehen 
für eine geradezu feierliche Angelegenheit hielt, und plöß- 
lich tamen Sie mit Ihrer Bonne des Weges und er: 
innerten fic), mich bereits alg Better fennen gelernt zu 
haben — hahaha! 
... Es war gar zu 
niedlih, wie Gie 
fleines Ding Sich 
vor mich hinftellten 
und ein Knickschen 
nad) dem andern 
machten —“ 

„Und Sie jtanden 
wie ein Ladeitod 
und fahen mich 
wütend an, mit 
blutrotem Kopf, und 
id) meinte e8 dod 
fo gut!” 

„Ra jelbjtverftändlich, aber — ich dämlicher Bengel 
genierte mich jo rajend, weil Neufjef gerade zum Fenſter 
bherausgudte und laut loslachte über das drollige Bild 
... Ich hatte Sie ja damals jchon riefig gern, Bidy, 
jo flein wie Sie auch noch waren, und hätte am liebſten 
mein Gewehr in die Scheide gejtedt und Sie dafür in 
den Arm genommen .. .” 

Vicky jenkte das Köpfchen wie eine taujdwere Rofe, 





— 478 — 


e3 ftand ihr gar zu gut, wenn die heißen Blutwellen 
bis in die Schläfen emporjtiegen, Donat aber fnipfte voll 
wohligjten Behagens die Dominofteine gegeneinander und 
fuhr jehr animiert fort: „Ja, wir waren ftet3 gute Rame- 
taden, Bicyden, wir haben uns immer ſehr gut ver- 
tragen —“ 

„Bis auf den Zopf!“ dachte Proczna Hinter den 
Couliffen. 

„And jo einen alten, treuen Freund wie mich haben 
Sie auf der ganzen Welt nicht! ...“ 

„O bitte recht jehr! Janek ift ftets am allerfreund- 
lichiten zu mir gewejen, den habe ich and) viel früher 
gefannt wie Sie —“ und Bidy wollte fic) lebhaft er- 
heben — „nicht wahr, Janef, wir beide haben uns jeit 
jeher furchtbar lieb gehabt?” 

Heller-Hiiningen ſchwenkte feinen Sefjel mit fühnem 
Nud jo dicht vor die junge Dame und ftredte die Füße 
jo weit in das Bimmer, daß Bidy vollftändig abge: 
jperrt war. 

„Hören Sie ’mal Proczna, e3 ift gräßlich, wenn einer 
immer dabeifigt, wenn man auf ihn räfonnieren will! 
Sie binden mir ja volljtändig die Hände, gegen Sie zu 
intrigieren / 

„Genieren Sie fic) ja nicht, Verehrtefter, in diefer 
Beziehung geht e8 mir wie dem Jungen, der Prügel 
befam und nur eine einzige Erwiderung darauf hatte: 
‚Was hinter mir paffiert, geht mich nichts an!“ 

„Brillant ! — Sie find ein unglaublich netter Menjch, 


— 479 — 


Procgna! — Kommen Sie doch ran, wir fpielen alle 
drei gujammen: Meine Tante, deine Tante!” 

„Sofort; — erft diejes Buch zu Ende bewundern, 
ich fann mich nicht Logreißen !“ 

„Bon; — die ganze Bonbonniere als Einjag, Bidy 
— va banque!” 

Von neuem ein wahrer Feuereifer am Tijd), Janet 
aber erhob fic) und jchritt lautlo3 über den weichen 
Teppich in das Nebenzimmer. 

Gedämpftes Licht floß wie Mondſchein aus den flein- 
gefchraubten Flammen der Stuppel hernieder. — Wie ein 
leichter Dämmerjchleier lag es rings über dem Gemach, 
gleichfam als ob ein jchönes Weib finnend die langen 
Wimpern niederjchlägt, Cinfehr in fich felbjt zu halten. 
— Und die Kryftallpenten, welche hie und da mit mildem 
Glange hervorjchimmern, find Thränen, welche heimlich 
an diejen Wimpern erzittern. 

Wie Blumenfeclen ſchwebt e8 zart duftig durch den 
ftilen Raum — etlihe Gardenenblüten neigen die blajjen 
Kelche in einer Vaje, welche auf Xenias Schreibtijch fteht. 
— Sanef erinnert fih, von Bidy gehört zu haben, daß 
Gräfin Dynar feine Blumen in ihrer Umgebung liebt, 
fie lächelt über foldje Sentimentalitäten — oder hat es 
gethan. 

Zwiſchen Blumen und Weiberherzen find feine Zauber: 
fäden gejponnen, eine Brüde, über welche der Frühling 
fehreitet. — Seele und Blüte find Schweftern, wenn die 
Sonne kommt öffnen beide die Augen, und flüftern es 


— 480 — 


fich heimlich, voll ſüßer Scheu ins Ohr, wie lieb fie den 
Leng, den fühnen, lodigen Freier, haben! — Wer ver: 
ftünde eines Mädchenherzend Gedanken auch bejjer, denn 
die Blüte am Strauch, welche innige Antwort dujtet ? —: 
„Ich bin glücklich! Namenloſe Seligteit droht mir die 
Bruft zu zerjprengen, wie Feuerjlammen glüht die Liebe 
durch mein ganzes Sein und Wefen, freue dich mit mir! 
Schmücke mich für den Herrlichjten von allen!” — und 
die Rofe leuchtet in heißerer Glut und jubelt aus jedem 
Dufthauh der Glüdlichen einen Pjalter beraujchender 
Luft! —: „Sch bin geliebt von ihm; wie Glocenliuten 
hallt es durch meine Seele, laß mich die Hände falten, 
Dante und bete mit mir!” — Und die pricfterliche Lilie 
neigt fic) im Wind und blickt wie ein verflärtes Heiligen- 
angeficht an der Seite der frommen Maid zum Himmel! 
„Allein, verlafjen, unerfannt und ungeliebt von ihm, zu 
ftolz, es der Welt zu zeigen, flüchte ich mich zu euch, ihr 
bleichen, traurigen Blumen, und bitt’ euch, weint mit 
mir!” — Dann zittert es in hellen Tropfen auf den 
Wangen und den Blumen. Ja, Thränenperlen, föftlichiter 
Tau, fchmerzlich-füße Luft für Weiberherzen und Blüten, 
ohne euch welfen fie dahin, jterbend in Gonnenglut, oder 
verſchmachtend in Ode und Einjamteit. — Proczna war 
an den Schreibtijch herangetreten, hatte die Vaſe empor: 
gehoben und das Antlig auf die fühlen Blättlein geneigt, 
wie ein Durjtender tranf er den betäubenden Duft. — 
Träume wehten daraus empor, liebe, bejeligende Träume. 

Nebenan erjcholl, der „geiprengten Bank’ zu Ehren, 


— 481 — 


ein zweiltimmiger Tujch — Janek febte die Vaſe schnell 
nieder und wollte fic) wieder der Thür des Nebenzimmers 
zuwenden, jein Blicf jtreifte hajtig den Schreibtijch, jchärfte 
fih und blieb dort haften. 

Was war das?!... Gelbe Pergamente, die Lebens- 
geichichte der Ahnfrau Xenia, welche die jpäte Enfel- 
tochter damals in Proczna jo verächtlich von fich gejtoßen 
hatte, als empfinde fie einen Abjcheu vor diejer pflicht- 
vergejjenen Gräfin, welcher die Liebe zu einem Polen 
höher galt al3 Name, Reichtum und Heimat? — Wie 
fommt dieſe verpönte Schrift auf den Arbeitstifch jeiner 
ftolgen, faltherzigen Schweiter? 

„Sie ift nicht ftoß, fie ijt nicht kalt!” duften die 
Gardenen. 

Sanef tritt näher und blict auf die vergilbten Blatter 
hernieder. — Sie liegen aufgejchlagen, al3 jei die Lejerin 
joeben erft von der Lektüre abgerufen, ein filberner Blei- 
ftift liegt dagwifdhen. Hier ijt eine Stelle angejtrichen, 
mit unjicherer, zitternder Linie. 

Es flimmert vor den Augen de3 jungen Mannes, er 
ftarrt auf die Worte hernieder. „War felbe Liebe über 
fie fommen, wie ein tückiſch' Fieber, von defjen Leiden 
fein Chirurgie heilen fann. War verwandelt über Nacht, 
fand fich feine Qualität ihre’ Charakter mehr von eh! 
— Sit ein heillo8 und verderblid) Ding, fo man Leiden: 
fchaft heißt” — und weiter unten: „War von polnijchem 
Blut, unerforjchet ob ein Edelmann, aber ein manierlicher 


Geſell mit langem Echnauzbart und flammigem Auge, 
N.v. Eihftruth, IL Rom. u Rov, Polniſch Blut U. 31 


— 482 — 


voll Gelächter und Legeriteh, wie erjdjaffen für Die 
Weiber.” Wenige Zeilen danad: „Hat fein fürnehmer 
Glück gefannt denn ihn, hat alle darhinten gelajjen und 
fih an ihn gehangen, find heimlich davon.” 

Regungslos jtand Proczna und blictte auf den ver: 
gilbten, am 
Randeargzer: 
feßten Perga⸗ 

mentftreifen 

herniebder. 
Dann ging e& 
wieein Sturm 
durch all jeine 
Sinne Gr 
riß das Heft 
empor und 
preßte die 
Lippen auf die 
Bleijtiftjtriche, 
atmetetief auf 

und trat 
haftig, ale 
brenne der Boden unter feinen Füßen, in das Neben- 
zimmer zurüd. 

Wenige Augenblide fpäter traten Frau von Drad) 
und Xenia ein, Janet hatte das Gefühl, als erzittere die 
heiße, jchlanfe Hand, welche fic) in die feine legte. 

„Welch eine ſcharmante Überrafhung! Siehft du, 





— 483 — 


Xenia, wie recht wir beide thaten, heute abend nicht in 
das Theater zu fahren! Und Sie find fchon länger da, 
lieber Donat? Mon Dieu, wie langweilig für Sie, jo 
lange anticjambrieren zu miiffen!” 

„O nein, Mama, e8 war gar nicht langweilig, ich 
war ja von Anfang an bei ihm!” 

Die Kammerferrin that mit ihrem feinen Epitentuch 
fcherzend einen Schlag gegen die Heine Stumpfnaje ihres 
Töchterchens, dennoch flang e3 wie Staunen und Strenge 
dur) ihre Stimme. 

„Wie fam das? Es fol dir doch feinerlei Beſuch 
gemeldet werden, bis ich zugegen fein fann?!” 

Bidy lachte übermütig auf. „Hat auc) fein Menſch 
gethan, Mutterchen!” 

„And doch bijt du Heraujgefommen?” 

Fräulein von Drach preßte die Bonbonniere gegen 
die jchnell atmende Bruft und zeigte jchelmijch die fleinen 
Verlzähne. „Natürlih! Ich hatte ja am Fenjter auf: 
gepaßt, bis Donat fam! Gud Hier! Alles gewonnen, 
wir haben Domino gejpielt! 

„Ach, es ijt feine leichte Sache, Mutter zu fein!’ — 

„Ich habe eine Bitte an Sie, Janet!” 

„Befehlen Sie über mich, Xenia, Sie wijjen, daß ich 
ftet3 zu ihren Dienjten jtehe.” 

„Kommen Sie!’ — Gräfin Dynar jchritt ihm voran 
in ein Nebengemach, an defjen getäfelten Wänden lebens- 
große Oibilder Dynarjder Ahnen hingen, welche Xenia 
zum Teil in Proczna hatte fopieren lajjen. 

81* 


— 484 — 


Auf einer Schale von dunklem Porphyr lag eine 
ziemlich umfangreiche Papierrolle, die Komtejje nahm fie 
in die Hand und jchaute auf fie nieder. Sie bemühte 
fich, jehr ruhig zu erjcheinen. „Prinz Auguft Ferdinand 
interejjiert fic) für unjere Familie, und wünjcht fic) mit 
eigenen Augen zu informieren, inwiefern eine Verwandt- 
ſchaft der Dynars mit dem regierenden Grafenhaufe zu 
©. nachzuweijen ijt. Sch habe demzufolge unjeren Stamm: 
baum in Proczna vervielfältigen lajjen, um ihn Seiner 
Königlichen Hoheit zu unterbreiten.” — Xenia jchwieg 
und blickte zu Janek empor, e8 lag ein eigenartig milder, 
bittender Ausdrud in den dunklen Augen. 

„Sol ich die Angelegenheit bejorgen?” 

Sie jchüttelte langjam das Haupt, ihre weißen Hände 
entrollten den Bogen und breiteten ihn auf dem Tiſch 
aus. „Sehen Eie hier”, entgegnete fie leiſe, mit dem 
rofigen Fingernagel auf das legte, leere Wappenjchild 
weijend, neben welchen, auf der anderen Seite ihr eigener 
Namen gejchrieben ftand, „joll ich) das Verzeichnis 
wahrlich fo... unvollfommen vor fremde Augen nieder: 
legen?” 

Procznas Lippen zitterten, dennoch jchien fein Antlig 
eine Verförperung lächelndften Gleichmuts. 

„Der legte Wille Ihres Vaters ermächtigt Sie, den 
Namen des jelbjt erwählten Bruders neben den Ihren 
zu ftellen; wenn Sie in dem leeren Schild eine Unvoll- 
fommenbeit jehen, liegt e8 einzig an einem Federzug 
Ihrer Hand, derjelben abzuhelfen.” 


— 485 — 


Xenia lächelte faſt bitter. „Der Name eines ſolchen 
Schildes iſt nie wieder zu löſchen!“ 

„Glauben Sie, daß es ein Opfer für den Sohn eines 
Koſyniers iſt, unwiderruflich ein Graf zu werden?!” 

Sie warf faſt trotzig das Haupt zurück. „Janek Proczna 
läßt es beinahe glauben!“ 

„Habe ich mich gewehrt, als Graf Dynar der hieſigen 
Geſellſchaft präſentiert zu werden?“ 

Ihr Haupt ſank wieder tief hernieder. „Nein, Sie 
haben es geduldet.“ 

„Gleichviel, ich bin von jenem Augenblick an auch 
vor der Welt Ihr Bruder, Xenia.” 

Wie in jäher Lcidenfdhajt prefte fie die Hände 
gegen die Bruft. „Sa, vor der Welt mein Bruder, nur 
vor der Welt! Wie einen bunten Mantel haben Sie 
den neuen Namen und Titel um die Schultern geworfen, 
haben mir einen Zipfel davon dargeboten und gejagt: 
dies ijt Das Band, welches uns als Gejchwifter verfnüpft! 
Hüben und drüben puljiert fremdes Blut in den Adern, 
und verjchieden wie Tag und Nacht find die Gedanken 
der beiden Häupter, welche eine Krone zu einander 
zwingt! Ein Bruder find Sie, der mir die Fingerſpitzen 
über einen Abgrund reicht !” 

„Nicht ich war e3, der die Kluft zwijchen ung aufgerifjen, 
ich ging, da Sie mich gehen biegen, und fam zurüd, da 
Sie mid) riefen; jagen Sie mir, welch eine Bruderpflicht ich 
verjäumte, ſeitdem Sie mir die Rechte eines Familienmit- 
gliedes eingeräumt haben, mein Gewiſſen ift frei und leicht! 


— 486 — 


Er ftand Hod) aufgerichtet vor ihr, feine Stimme 
Hang flar und ruhig. 

Sn namenlojer Erregung jchlang Xenia die Hände 
ineinander. 

„Welche Bruderpflicht Sie verjäumt haben?!” Ihr 
Atem flog, fie trat einen Schritt näher und fah mit 
jprühendem Auge zu ihm auf. „Die größte und heiligite, 
welche Ihnen jemals auferlegt war, die Treue! Gie 
durften nicht von mir gehen und mid) verlaffen, denn 
ich hatte feinen befjeren Echuß auf der Welt wie Sie! 
Sie durften mit Eigenfinn und Berblendung nicht 
rechten, durften nicht in ungeftiimem Troß die Bande 
volljtändig entzweireigen, welche Mädchenhände in thi- 
richter Weife gelodert hatten, Sie waren der Ältere und 
Überlegenere von uns, Janef. Und wenn ich wahrlich 
Sie von mir geftoßen, ein anderer hatte Sie voll Ver: 
trauen und Zuverficht an meine Seite geftellt, und um 
dieſes anderen, unſres Water willen hätten Sie treu 
bleiben müfjen, Sanef, denn Bhre Liebe zu mir war der 
Danf, den er von Ihnen forderte. Hat er in jeinem 
Brief an Sie gar nidjts davon gejchrieben ?” 

Die legte Frage war leijer gejprochen, heiße Glut 
bededte das reizende Antlig, angjtvoll forjchend und 
dennoch voll rätjelhafter Scheu tauchte ihr Blick in den 
feinen. Einen Augenblid herrjchte Schweigen, dann ſchüt— 
telte Janek ernjt das Haupt. „Nein, der Brief behandelte 
einzig die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Wber wie 
dem auch jei, ich empfinde den Vorwurf, welchen Sie 


— 487 — 


mir madjen, und bin dennoch in diefem Augenblick nicht 
imftande, Ihnen zu beweifen, daß Sie mir unrecht mit 
demjelben thun.” Er faßte in jäher Herzlichfeit ihre 
beiden Hände und hielt fie feit umjchlofjen. „Was ver- 
langen Sie von mir, Xenia?! Nur meinen Namen für 
ein leere8 Wappenjchild? Dazu hätte e3 nicht fo vieler 
Worte bedurft! Ein Ausgleich zwijchen uns beiden? Wo 
jehen Sie noch einen Abgrund? Ich ftehe neben Ihnen 
und reiche Ihnen nicht die Fingerſpitzen, jondern mit red- 
lidem und ehrlihem Drud beide Hände und ich jehe 
Shnen ins Auge, wie damal3 meinem lieben Kleinen 
Schweiterchen und frage: Was haben Sie auf dem Herzen, 
Kenia? Zeigen Sie mir das Vertrauen, wie vor langen 
Jahren, da noch feine Wolfe zwijchen unjeren Seelen 
gelagert, jagen Sie mir, womit ich Treue beweijen ſoll!“ 

Ein Lächeln ftrahlte verflarend über ihr Antlik, fie löfte 
ihre Hand aus der feinen, tauchte hajtig die Feder in die 
Tinte und fchickte fic) zum Schreiben an: „So darf ich?!” 

Er nickte lächelnd; ihre Hand bebte, dennoch fchrieb 
fie flar und feft ,,Sanef Stefan” in das Wappenjchild 
an ihre Seite. 

„Barum Janef und nicht Hans?!” 

„Das flingt fo fremd, und... polnifde Namen find 
ja genau jo ſchön wie deutjche.” Sie warf die Feder 
hin, richtete fich hod) auf und legte die jchlanfen Hände 
auf jeine Schultern. 

„un find Sie mir verjchrieben mit Leib und Seele, 
Janek“, jcherzte fie mit wunderlichem Gemijch von Jubel 


— 488 — 


und Ernft. „Nun erjt, da ich e8 ſchwarz auf weiß ge- 
fehen, glaube ich daran, und nun will ich offen und 
ehrlich fein wie zu einem Bruder, und denken, die lange, 
häßliche Zeit der Trennung ſei nur ein Traum geweſen! 
Wir ſind wieder daheim in Proczna wie damals, als 
unſer Vater noch ernſt und ſtill am Schreibtiſch ſaß und 
wir beide vor dem Kamin kauerten, heimlich und traut, 
und liebe Chriſtmärchen erſannen ... hörſt du, wie der 
Wind um die Fenfter fauft, wie das Feuer hell auf: 
prafjelt und rote Funken nach ung wirft? Ganz, ganz 
wie dazumal, und ich bin wieder ein Kind geworden und 
lehne den Kopf an deine Schulter, wie ic) immer that, 
wenn ich etwas erbitten wollte, und jage: „Janek, willft 
du mir etwas zulieb thun?!” 

Janeks Herz und Verjtand rangen einen Furzen, 
ſchweren, unmerflichen Kampf, um dem Zauber ihres An: 
blid3 zu entweichen, wandte er langjam das Haupt und 
füßte die Heine Hand, welche auf jeiner Schulter rubte. 
„Ganz wie damals!” lächelte er. „Sprechen Sie nur, 
Schweiterchen, alles, was in meinen Kräften fteht, thue 
und wage id) für Sie!” 

„Janek, machen Sie fic) nicht zum Werkzeug einer 
Ercellenz Gärtner, der Pla zu den Füßen diejes Weibes 
ijt unwürdig für Sie!” Ihr flehender Blid juchte den 
jeinen; e& lag ein Klang von Angjt und Leidenjchaft in 
ihrer Stimme. 

„Excellenz Gärtner? — Was um alles in der Welt 
haben Sie gegen meine gute Freundin ?” 


— 489 — 


Xenia grub die weißen Zähnchen in die Lippe. 

„Ich haſſe fie! — Bch fenne fein Wejen unter Gottes 
Sonne, welches mir fo verächtlich ijt wie dieſes Geſchöpf!“ 

Proczna lachte fait amüfiert. „Sie jehen zu ſchwarz, 
Kenia! Oder haben Sie irgend einer Verleumdung Gehör 
gejchenft? Sie halten fich oftenfibel fern von der jungen 
Frau und haben darum feine Gelegenheit, zu beurteilen, 
wie reizend fie ift!” . 

„And wenn ich Ihnen jage, Janek, daß mir das 
größte Leid im Leben durch Excellenz Gärtner wider: 
fahren ijt?” 

„Geſetzt der Fall, ich fei thatjächlich in dieje jchöne 
Frau verliebt 2” 

Xenia erbleichte, mit unnatürlich großen Augen ftarrte 
fie ihn an. 

„Der Präfident ift ein alter, fehr kränklicher Mann“, 
fuhr Proczna leichthin fort, „zwar ift es nicht ſchön und 
recht, auf jemandes Tod zu lauern, aber die Liebe klam— 
mert fic) an einen Strohhalm !” 

„Nur das nicht, Janek, nur das nicht!” — wie ein 
Aufjchrei Hang e2. 

Er fchiittelte fajt wehmütig das Haupt. „Gott jchenfe 
der armen, alten Excellenz ein langes Leben, ich bin der 
legte, welcher feine Tage zählt. Sagen Cie fich aber 
felber, Xenia, wie würde eg Ihnen zu Mute fein, wenn 
mir einjt der Mann Ihrer Wahl verhaßt wäre und id 
würde jagen: Um deines Bruders Freundjchaft willen, 
entjage deiner Liebe?” 


— 499 — 


Ihre Hand umſchloß trampfhaft die Stuhllehne. 

„Sie haben recht, Janet, ich weiß felber nicht, wie 
id) auf den wunderlichen thörichten Gedanten fam”, ein 
herzzerreißen⸗ 
des Lächeln 
zuckte um ihre 
Lippen, „wir 
gehen ja jeder 
den eigenen 
Weg, und der 
iſt breit, ſo 
graujam breit, 
daß Luft und 
Leid fich nicht 
berühren! Sie 
werden meine 

Gedanten 
nod) oft zus 

rüdholen 
müfjen, wenn 
fie fid) bei zu 
hohem = Flug 
berirren, man 
muß fic) an alles erft gewöhnen, jelbit an den Gedanfen, 
einen — — Bruder zu befigen!” — — — — — 
Die Kammerfrau Guftine hatte längjt das weißgeſtickte 
Nachtkleid um die Schultern ihrer jchweigjamen, bleichen 





— 491 — 


Herrin gelegt, umfonft geforjcht und gehorcht nach der 
Urjache der eigentümlichen Veränderung, welche ihr jchon 
feit Tagen im Weſen Xenias aufgefallen, und jchließlich 
beleidigt die Thür Hinter fich gejchloffen. Als fie aber 
nad) geraumer Zeit abermal3 auf unhörbaren Sohlen 
an das Schlüjjelloh jchlich, da brannten die Lichter noch 
auf dem Xoilettentifch, und Gräfin Dynar hatte das 
Antlig auf die gefalteten Hände gedrüdt und weinte 
bitterlid. — — 

Als fich endlich die heißen Augenlider jchloffen, da 
fpannen fid) die Gedanken hinüber in den Traum, rote 
Flammen jdlugen aus dem Kamin, die faften ein weißes 
Briefblatt ... „gebt's zurüd, ihr vernichtet mein Lebens- 
glück!” Ichluchzt die Träumerin und greift voll Verzweiflung 
in Glut und Funfen hinein ... umjonjt, der Brief ihres 
Vaters weht al Ajche und Staub durch die Finger, und 
die wirbelnden Rauchwöltchen wandeln fid) in das höhniſch 
lachende Geficht der Excellenz Gärtner, verzerren fich, 
wachjen empor und gellen ihr in die Ohren: „Wird fich 
niemal3 ein ſüßeres Lieben in fein Herz jchleichen ... 
und dein ijt die Schuld!” 


— 


[VVeVeeyey| 








XXI. 


er holzgejchnigte Hirfchkopf mit dem wundervollen, 

weitverzweigten Geweih, welcher über der Thür 

de3 Kleinen Jagdſchloſſes „Tannenförde“ feit 
langen Jahren jchon die Wache hielt, trug einen Did» 
bujchigen Kranz von Fichtengrün um den ſchlanken Hals, 
und über ifm, aus dem Schweizergiebel, flatterten zwei 
Fahnen gum feftlichen Willfomm. — Sonnenlicht flo 
matt und ohne die geringjte Wärme, oft verdunfelt durch) 
fchnellziehende Wolfen, um das fleine Waldidyll, und 
durch die tiefhängenden Tannengweige ftric) der Wind 
{chart und fühl. In der Nacht hatte es gefroren, weißer 
Reif lag auf dem Waldboden, und die Blätter wirbelten 
flingend über den harten Weg. 

Dennoch entwidelte fic) ein ungemein lebhaftes, frifches 
Getreibe in und vor dem alten Schlöfchen, welches von 
Prinz August Ferdinand zum Rendezvous der Parjorce- 
jagd bejtimmt war. 

Die Meute tobte an den Riemen, Piqueure und grün 
uniformierte Forſtbeamte drängten in fröhlicher Haft 


— 493 — 


durcheinander oder ftanden in fleinen Trupps eifrig 
ihmwadronierend zujammen; der Dberjägermeifter teilte 
die legten Befehle aus und ſchwenkte den Hut mit kräfs 
tigem „Waidmannsheil” den Kavalieren zu, welche in 
der roten, feden Tracht der Parforcejaiger auf mutigen 
Roffen den Waldweg heranfprengten. 

Die Jagdgeſellſchaft refrutierte fich fajt ausjchlieglich 
aus dem Ulanenregiment, deffen Damen fich mit felbit- 
verjtändlichem „Schneid“ ebenfalls im Sattel an dem 
Sport beteiligten. 

Allerliebjt jahen fie aus in den fnappen, fradartigen, 
jeuerroten Jaden, dem goldgeitidten Stehfragen und 
dunklen Unterfleid; kecke Hütchen oder Jockeymützen ſaßen 
auf dem leicht toupierten Haar, welches die Gräfinnen 
Ettisbach und Tarenberg, al3 originelle Neminiscenz an 
die Fuchshatzen der Urgroßmütter, weiß gepudert hatten. 

Equipagen rollten herzu. Frau von Drach nebit 
Tochter und Gemahl, eingehüllt in fojtbare Pelze, Prä- 
fident Gärtner, welcher jeine reizende Frau im „roten 
Feld” bewundern wollte, die Oberjägermeijterin, und 
ſchließlich, als erſtes Anzeichen des Hofes, Baronejje 
Beutler und Frau Leutnant Gower. 

Eine Schar neugieriger Zuſchauer bildete dichtes 
Spalier längs der Waldlifiere, welche die Jagd, in ges 
wiffer Diftance, beim Überjchreiten der Eijenbahnlinie, 
pajfieren follte. 

„Bir find fomplett, ritterlidjes Holland!” meldete 
Graf Hechelberg dic und behaglid) jeiner Freundin Hof- 


— 494 — 


ftraten, welche fich juft mit etwas ſehr energiſcher Manier 
in die ftarren Hände hauchte. Sie jah höchſt fpaphaft 
in dem grellfarbigen Frädchen aus, welches jo prall um 
ihre üppige Figur gejpannt war, daß e3 bei der geringiten 
Bewegung in allen Nähten ächzte; dazu die blaurote 
Färbung der Wangen, welchen die Nafenjpige leuchtendfte 
Konkurrenz madjte. Dem Apfelichimmel ging e8 wieder 
gut, er ftampfte im Vollbewußtſein feines Wertes den 
Waldboden, genau jo wuchtig wie zuvor, als Graf Hechel- 
berg bei feinem erften Anblid gottergeben die Hände 
gefaltet hatte: „Die Frau Rittmeifter und die Nudel! ... 
madt zufammen 1500 Pfund! ... Wo die über den 
Boden jchweben, wächſt fein Gras mehr!” — — — — 

„Es bleibt alfo unwiderruflich bei Ihrem graufamen 
Entihluß, Gräfin, Sie halten Ihren Bruder gefangen 2 

Excellenz Gärtner bog fich ein wenig vor im Gattel 
und flüfterte e8 Xenia zu, fie’ lächelte Dabei unendlich 
liebenswürdig, aber auf dem Wort „gefangen“ lag ein 
ſcharfer Nachdrud. 

„Anmiderruflich, Excellenz! Warum mißgönnen Sie 
mir den Eleinen, bejcheidenen Triumph, einen Vogel, welcher 
doch fonft jtet3 und jtändig in ihren Feſſeln jchmachtet, 
für einen kurzen Ausflug an diinnem Faden zu halten! 
Glauben Sie mir, er wird ihn fo jchnell wie möglich 
zerreißen, um zu Ihnen zurüdzufliegen!” 

G8 lag eine ernfte, milde Ruhe in dem ganzen Wejen 
Kenias; die Gereigtheit und Heftigfeit der legten Tage 
waren verjchwunden. 


— 495 — 


Janek Procgna drängte feinen Renner durch die ver- 
fchiedenen Gruppen der Plaudernden und Equipagen, um 
reihum gu begrüßen. Gr fah vortrefflic) aus, nie war 
feine wundervolle Figur fo auffallend zur Geltung ge- 
fommen, al3 in diefer Enappen Jagdfleidung. 

Fürftin Reuſſek hielt ihn längere Zeit neben ihrem 
ſchnaufenden Rappen auf, Gräfin Ettisbach und Taren- 
berg fudjten ein paar Schmeicheleien über ihre „weißen“ 
Häupter herauszuloden und Frau von Hofftraten gab 
ihm „ulanenlife” die Hand, wobei e3 ihr befondere Freude 
machte, unmenjchlich bieder zuzudrüden! — ,, Rinnen’s 
den Mund halten, Proczna? 1” — fragte fie und quetjchte 
feine Finger, daß die Gelenke fnadten. Das war ein 
ganz allerliebjter Kleiner Scherz, welcher jelbitverftändlich 
von dem Polen durch das Heinejche Citat: ,, Derweilen 
des Mundes Kup mich beglüdt, verwunden die Tagen 
mich gräßlich!” eine durchaus zarte und poetijche Wendung 
erhielt! — Die „Taten irritierten das fdneidige Holland 
aud) nicht im mindelten. 

Neben der Equipage der Baronefje Beutler hielt 
Janet Procgna eine freiwillige und längere Raft, mit 
rejpeftoollem und doch jehr herzlichem Gruß hieß er 
Frau Leutnant Gower im Dienfte der Diana willfommen, 
wenn derjelbe auch nur paffiver Natur fet! Dann wandte 
er jeinRoß und ritt an die Seite jeiner Pflegejchweiter zurüd. 

Excellenz Gärtner hielt ihn mit vorgejtredter Reit 
peitjche auf. „Haben Sie mir denn gar nichts über den 
mißglüdten Verjuch zu erzählen, conte mio!?/ 


— 496 — 


„Unendlich viel, aber nicht hier!” 

„Wo ſonſt?“ 

„Im weichen Teppichgemache, wie iſt es ſo traulich 
und warm, da harret meiner die Holde, ich fliege in 
ihren Arm —!“ ſang er leiſe, nur für die ſchöne Frau 
an ſeiner Seite verſtändlich. 

„So kommen Sie!“ — ihr Auge glühte auf. 

„Sobald Sie mich rufen — roſa Papier, Excellenz, 
Sie kennen meine Vorliebe für roſa Papier!“ 

Mit einer halb ungeduldigen, halb ſchmollenden Ge— 
bärde warf ſie den Kopf mit der zierlichen Jockeymütze 
in den Nacken, und Proczna ritt weiter, ohne im Laufe 
des Tages die mindeſte Notiz wieder von ihr zu nehmen. 

„Tyrann!“ klang es ihm nur einmal beim Abreiten 
in das Ohr, als die Präſidentin ihren Rappen an ihm 
vorüberdrängte, er lächelte und zuckte die Achſeln. 

Friſcher, hellaufjubelnder Hörnerklang ſchmetterte durch 
den Wald — der Fürſtenruf, welcher Pring Auguſt Ferdi- 
nand und die Cquipage jeiner Gemahlin auf dem 
Rendegvou-Plagk begrüßte. 

Fürft Neuffef, Major Freiherr von Kroppen und 
Leutnant Gower bildeten die Suite de3 hohen Herrn, 
welchem der Landjägermeijter bis zur erjten Schneife ent= 
gegengeritten war, Unna Regina fuhr in Begleitung der 
Gräfin Kany, einen föjtlichen, zobelverbrämten Dolman 
um die Schultern gejchlagen, und ein zartfarbenes Kapot- 
hütchen mit Federaigrette auf dem jchlicht gejcheitelten 
Haar. — Wie die grellgepugte Madame Tulipane aus 





32 


N.y. Eihftruth, IM. Rom. u. Nov., Polniſch Blut II, 


— 498 — 


dem Märchenbuch faß die Hofdame an ihrer Seite, mit 
den enggejchligten Augen zwinfernd Umſchau haltend, 
jelbjtbewußt und huldvoll, als gelte der freundliche Zuruf 
de3 Publifums ganz allein ihrem türfifch-roten Sammet- 
umbang. 

Kurzer Moment der Begrüßung — damm ritt der 
Oberjägermeifter auf einen Wink Seiner Königlichen 
Hoheit zum Lancieren des zweijährigen Reilers, welchem 
ein zehn Minuten langer Vorjprung gewährt werden jollte. 

Bur verbrochenen Fährte geführt, wurde unter Blajen 
der Yagd-an-Fanfare die achtzehn Koppeln ftarfe Meute 
angelegt, und vorwärts ging e8 wie die wilde Jagd. 

Ein lautes Hurra folgte der abgaloppierenden Ge- 
jellichaft, die Damen ftanden in den Wagen und winften 
furzen Gruß, dann faujte das BViergefpann der Prin- 
zeffin, vom Sattel aus gelenkt, den Waldweg zurüd, um 
an beftimmter Stelle, welche die Jagd paffieren jollte, 
fich wieder aufzuitellen. 

Der Wind ftrich feharf durch die Sichtung und hob 
die goldigen Lichen aus der Stirne Xenias, dicht an 
ihre Seite gedrängt fprengte Proczna, mit verjtohlenem 
Blick die Reiterin überwachend, hie und da mit haftigem 
Griff in die Zügel fallend, wenn das Terrain zur Vor- 
. fiht mahnte. 

Mit vollem Halfe jagten die im vorzüglichen Training 
fic befindenden Hunde auf der Fährte des Keilers in 
‚den Wald hinein, in voller Pace das. rote Feld 
ihnen nad). 


— 499 — 


Hei, wie das jaufte, ftampfte und fdjmetterte! Mit 
bligendem Auge ftiirmte Xenia unter den raujchenden, 
tiefhängenden Tannenzweigen dahin, fich neigend, den 
ſchlagenden Witen auszubiegen, oder fic) hochatmend im 
Sattel hebend, wenn der Wald fich lichtete und die Jagd 
über Heide und Feld abbog. 

Procgnas Stirn war umwölft, er fah bejorgt aus. 
„Nicht zu wild, Xenia!” bat er, mit feftem Griff ihre 
Hand umſchließend, „Sie fennen nicht die Gefahr. — 
Neiten wir ein mäßigeres Tempo, id) denfe, wir verzichten 
auf das Ausheben und finden unfere Befriedigung mehr 
in der Eöftlichen, frifchdurchwehten Romantif eines folden 
Jagens.“ 

Sie ſah ihn mit flehendem Blick an. „Nicht langſam, 
Janek, mir iſt es gu Mut, als müßte ich mit dem Sturm- 
wind um die Wette reiten! Planlos hinein in die Welt, 
ohne Gedanken an Gefahr und Hinderniffe — was foll 
mir auch gejdehen? — Sie find ja bei mir!” — — 

„Wohl mir, wenn ich Sie vor allem Unheil jchügen 
könnte!” 

Ein wunderjames Aufleuchten ging durch ihr Auge. 
„Bor vielem Herzeleid mögen Cie mich jchügen fünnen, 
Sanef, vor dem größten nicht!” 

„And warum juft vor diejem nicht ?” 

Sie bog den Kopf zurück und ftarrte einen Augen: 
bli in den hochgewölbten blaugrauen Himmel empor. 
„Beil Sie es mir bereiten werden!” 


„Haben Sie nicht bemerkt, wie fern id) mich Ihrer 
32* 


— 500 — 


ihönen Feindin gehalten habe?’ Es lag ein weicher 
Klang in feiner Stimme. 

Sie blidte ihn jah an. „Einzig um meinetwillen ?“ 

„Nein und ja, wie man es nehmen will.” 

„Sch verftehe Sie nicht.” 

„Der höchſte Triumph der Freundjdhaft befteht in 
dem Glauben an einen Menjchen, felbjt dann, wenn 
jein Thun und Handeln unbegreiflich jcheint!” 

Ein faſt müdes Lächeln irrte um ihre Lippen. „Das 
Hoffen und Harren auf eines Rätſels Löſung ift fo ſchwer!“ 

„Sie haben als Schweiter ein gewijjes Recht, Dffen- 
beit von mir zu verlangen, ebenjo wie e3 in normalen 
Familienverhältnifjen nur jelbjtverjtändlich wäre, wenn 
ih Ihnen eine Generalbeichte ablegen würde, ehe ‚mein 
zärtliches Geheimnis jdon der ganze Wald weiß‘ — 
jol ih —“ 

„Mein, Sie follen nicht beichten! Ich fann meine 
Neugier zügeln und will nichts hören!” Ihre Stimme 
flang herb und fchroff, und zwijchen den feinen Augen- 
bogen ſenkte fic) eine jcharfe alte, mit jähem Ruc riz 
fie ihr Pferd, welches Janeks Hand noch immer in 
mäßigerem Tempo hielt, auf die Seite. „Vorwärts! wir 
find guriicigeblieben wie zwei lahme Nenner! Wollen 
wir uns auslachen laffen?” Und wie in ungeftiimem 
Troß ließ fie die Gerte auf den ſchlanken Hals ihres 
Nofjes niederfallen, um im nächſten Augenblid, hoch aufs 
gerichtet im Cattel, zwijchen den fahlen Buchenjtämmen 
dahinzujaujen. 


= 501 — 


Janek hatte fie feharf beobachtet, er warf das fchöne 
Haupt mit frijchem, lachenden „Haliho!” in den Naden, 
ftach fein Roß an und folgte ihr. 

„Atalanta! — Atalanta! Tochter Jaſos, gedenfe 
daran, daß eine Maid, welche fic) vor die Pfeile des 
Jägers wagt, jelber zum edlen Wild wird!” 

„Vergeſſen Sie nicht, dag Diana mächtig genug 
ift, die Waffe, welche nad) der weißen Hinde abge- 
fchnellt wird, in das Herz des Schügen zurüdjliegen zu 
lafjen!” 

„Wunderliche Jagd, wo ein Pfeil zur jelben Zeit 
zwei Herzen trifft! — Amor bläft Halali!” 

Sie antwortete nicht, vor ihmen durch den immer 
lidjter werdenden Wald gligerte die Fläche eines Sees. 

Die Meute war immer länger auf der Fährte des 
Reilers geworden, welder jeine Flucht furze Zeit am 
Wildgatter entlang, dann jchräg durch den Habichtsforjt 
auf die drei Seen zu genommen hatte. 

Das Geläut der Hunde war faum noch zu vernehmen 
gewejen, bald fam e8 wieder näher und näher in kurzem 
Bogen dem Seeufer zu. 

„Recht durch, Xenia! Wir fchneiden ab!” 

Ein Rudel Damwild brad) fnatternd aus dem bujchigen 
Unterholz, in wilder Flucht über die jchmale Schneije 
giehend, der Reiler ftürzte, gefolgt von den Hunden, in 
die flare, kräuſelnde Flut, in jcharfem Galopp folgte das 
rote Feld. 

Wafferfanfare! ... Weithin hallte und zog fie durch 


— 502 — 


den ftillen Wald; die Meute warf fid) nach, den See 
hinter dem Reiler zu durchſchwimmen, die Jagd fprengte 
in langem Zug um das Ufer. 

„Reiten wir auf diejer Seite, Janet! Der Bogen 
ift kürzer und wir treffen direft auf Die Meute!” Kenia 
Auge bligte, ohne von feinen heftigen Gegenreden Notiz 
zu nehmen, ftiirmte fie in entgegengejegter Richtung an 
das flache, jchilfbewachjene Ufer hernieder. 

Vorwärts in wilder Haft! Janek mußte folgen. Die 
Hufe flirrten auf dem hartgefrorenen, etwas morajtigen 
Boden, deffen dünne Eisdede unter den wuchtigen Schlägen 
hell aufjplitterte; das Schilf bog fich raujdend zur Seite 
oder brach wie Glas, wenn die flüchtigen Roſſe darüber 
hinflogen, bie und da jprigte ein heller Wafjerjtrahl 
au dem Moor empor. „Mehr feitlid) halten! nad) 
dem Wald zul Das Ufer ift jumpfig!” fchrie Janek durch 
den Wind. 

Xenia bog etwas ab; Gerd und hohe Baummurzeln 
machten den Ritt auf dem abjchüffigen Ufer geradezu 
lebensgefährlich. 

„Stopp; — Bir find auf miferablem Terrain! — 
langjam reiten!“ 

Aber Kenia hörte nicht. 

Ein fühner Sprung auf den fnirfchenden, moraftigen 
Boden, und Janef drängte fein laut aufjchnaubendes 
Roß an ihre Seite. 

Mit eijernem Griff fiel er ihr in die Zügel. „Sie 
follen langjam reiten, id) will es!“ donnerte er mit 








galoppie- 
ren iſt 
findifcher 
Leicht: 
finn!” 
Mit 
großen 
Augen 
jtarrte fie 
ihn an. 
„Es ift 
wohl 
meine 
Sache, 
den Hals 
zu ris⸗ 
tieren!“ 
„Nicht 
ſolange 


— 504 — 


id) al8 Kavalier an Ihrer Seite reite! ch bin verant- 
wortlih fiir Sie. — Bleiben Cie zurüd — ich nehme 
die Tete.” 

Das war derjelbe Blick, derjelbe Ton wie damals 
unter den zerſchlagenen Witen des Apfelbäumchens; Xenias 
Hand zudte auf, als fühle fie wieder den brennenden 
Schmerz des Peitjchenichlags, welcher damals auf die 
eigenfinnigen ginger herniedergejauft war. — Aber ihr 
Herz frampfte fich nicht in wilden Haß zujammen, wie 
vor Jahren, e3 zitterte nur leije in dem Gedanfen an 
die jtolze, männliche Kraft diefer Hand, welche ihr ſchäu— 
mendes Roß fo eifern bemeijtertel 

Schweigend jenkte fie das Haupt und blieb gehorjam 
zurüd. 

Ein unmerfliches Beben ging durch die Züge Procznas, 
er ritt etliche Schritte weiter, dann wandte er das Haupt. 
„Sind Sie mir böfe, Xenia, daß ich ein fo ftrenger 
Bruder bin?” 

Sie blidte auf und lächelte. „Sie haben viel Geduld 
mit mir |” 

„Früher zürnten Sie, wenn meine Sorge für Sie in 
einer zu rauhen Schale ſteckte!“ feine Stimme flang wieder 
weich, der Wind verwehte fie fait. 

„Es ift vieles ander8 geworden jeit damals!” 

„Borhin wiefen Sie mic) jehr jchroff zurüd, warum 
das? — Berdiene ich es?“ 

Sie ſchüttelte fajt heftig den Kopf. „Es gibt ein 
altes Volkslied, das lautet: 


— 50 — 


Wer mag a Dirndl recht verftahn, 
Dös treibet’8 wie April, 

Sn anem Atem lacht’8 und woant’s, 
Woaß jelbft net, was e8 will! 


Procgna hatte fein unruhiges Pferd durch ein Gewirr 
von Schlehdornen zu dirigieren, er antwortete nicht. 

Der Keiler hatte plöglich die Richtung geändert und 
nahm feinen Weg jchräg durch die Bauernheide; das 
rote Feld bog am Ufer ab und folgte in jcharfem Run 
dem Flüchtling, ferner und ferner verflang das Geläut 
der Hunde. 

Die Sonne veritedte fich Hinter Wolfen, ein falter 
Wind blies über den See. 

„ir werden die Bügel gewaltig ſchießen laffen müffen, 
wenn wir zum Ausheben recht kommen wollen!” rief 
Sanef, mit kurzem Sprung über einen behauenen Baum: 
ftamm auf den Fahrweg jebend, welcher, quer durch 
den Wald führend, den See abgrenzte, „dort hinüber, in 
fünf Minuten haben wir die Jagd eingeholt!” Er pa= 
rierte fein Roß und wartete auf Xenia. 

weep!’ — Der Rappe fprang unficher, ftrauchelte 
und ftürzte vorn gujammen; mit energiichem Ruck rif 
ihn Gräfin Dynar empor, ruhig und gelajjen. 

„ur vorwart3! vorwärts!“ drängte fie mit höher 
gefärbten Wangen, „nehmen Sie feine Rüdficht auf mich 
ungefdidte Reiterin.” 

„Halten Sie ein, Xenia! Schritt! ... Stopp!! ... 
Merken Sie nicht, daß Ihr Pferd lahmt? — Es bricht 
in die Knie, jowie Sie forcieren |!” 


In jahem Schred fank ihre Hand mit dem Zügel nieder, 
wie angewurzelt, an allen Gliedern zitternd, jtand der Rappe. 

„Reiten Sie allein, Janek, holen Sie mich jpäter 
Bier ab!’ bat fie mit erbleichenden Lippen, „man hört 
die Hunde faum noch anjchlagen, ich bringe Sie ja um 
den interejjauteften Moment der Jagd!” 

Er war abgejtiegen und unterjuchte mit Kennerblid 
den verlegten Fuß; fein Haupt beugte fich tief hernieder. 
„Das dürfte Ihre geringite Sorge jein, auf den Bruch 
am Hut will ich gern verzichten, wenn ich dadurch den 
Brud von Knochen verhüten fann! Ah — voila... hier 
figt der Schaden... ‚Mylord‘ hat zu ſcharf in das Eis 
getreten und fich gejchnitten, an der Feffel und Krone... 
ſcheint infolge des Febltritts zu allem Überflug noch das 
Gelenk verftaucht zu haben ... sapristil ...” Janek 
richtete fich. empor und zudte lächelnd die Achjeln. „Alſo 
mit verhängtem Zügel nad) Hauje! ... Wenn ich nur 
die geringfte Idee hätte, wo wir bier find, und nad) 
welcher Richtung wir uns wenden miiffen, wir find voll- 
ftändig kreuz und quer geritten, und der Wald fieht um 
die jebige Zeit an einer Stelle aus, wie an der andern!” 

„Glauben Sie nidt, daß die Gejellichaft hierher 
zurüdfommt 2” 

Proczna jchüttelte den Kopf. „Man jendet höchitens 
Kundichafter nach uns aus, und die werden ung ficher- 
lic) Hier auf dem Fahrweg entgegenfommen. Meiner 
Anficht nach muß die Stadt in jener Richtung liegen, 
eh bien, reiten wir langjam fürbaß.” 


— 507 — 


Er war wieder aufgefeffen. „Verſuchen Sie, Xenia, 
reiten Sie an!” 

Langſam ging e8 auf dem holprigen Wiejenweg vor: 
warts. Totenſtill war es ringsum; der Lärm der Jagd 
war längjt verflungen, jtill und filbergligernd fraujelte 
der Gee im falten Windhaud, die Tannen am Ufer 
ragten hoch und ernjt empor, ein paar Krähen ftrichen 
frächzend über die fahlen Buchenwipfel, den Bufjard 
annoncierend, welcher Droben in der grauen Schneeluft 
freifte. 

Ein nie gefanntes Gefühl überfım Xenia. 

Allein, ganz allein mit Janek Proczna in der tiefften 
Waldeinjamtfeit! 

Es war ihr zu Sinnen, al3 müfje fie die Arme öffnen 
und Hinausjauchzen in Sturm und Wind, al8 miiffe fie 
diefen Frieden in langen, durjtigen Zügen trinken, und 
fic) flehend an den ernften, ftolzen Mann gu ihrer Seite 
flammern. 

„Bring’ mich nicht zurüd in das laute Getreibe der 
Stadt voller Herzeleid und Qual, laß uns Hier bleiben 
in der Weltvergejjenheit und vergib mir alles, alles, was 
ich gegen dich gefehlt!” 

Das welfe Laub tanzte vor ihnen her, wie in tiefen 
Gedanken folgte ihm Procznas Blid. 

Kleines von beiden jprach ein Wort. 

Leiſe wirbelten die weißen Schneefloden hernieder. 

„E3 fängt an zu jchneien, frieren Sie, Xenia?” 

Er ſchaute beforgt auf ihren jo leichten Anzug, es 


— 508 — 


war, al8 befänne er fich pliglich erft des vollen Ernſtes 
ihrer Situation. 

Sie jchüttelte heiter den Kopf, dennoch ſchlugen ihre 
Hähne gujammen. „Ich bin fehr abgehärtet!” 

Er hielt fein Pferd an. ,,Laffen Sie und ein Stüd 
zu Fuß gehen, Sie erwärmen fich dabei!” 

Mit ftarfem Arm hob er fie aus dem Gattel. 

„Ich bin ganz erjtarrt, lachen Sie mich nicht aus, 
wenn ich das Gehen erjt lernen muß!” 

Sein Blick jtreifte unruhig den Himmel, an welchem 
die Schneewolfen dichter und Dichter zufammenzogen. 
„Beben Sie mir Fhren Arm und ftüßen Sie fih un 
geniert auf, wozu nennt mid) die Welt einen baumjtarfen 
Kerl!” verjuchte er zu fcherzen, „ich hoffe zuverfichtlich, 
Sie bald unter Dach und Fad) zu bringen, man wird 
jelbjtverjtändlich ein paar Hilfstruppen nad) uns aus— 
fenden I” 

Die verfchlungenen Zügel der beiden Pferde in der 
Rechten, führte Proczna die junge Dame in allmählic) 
fchnellerem Schritt den Weg entlang, welcher bereits 
anfing fic) weiß zu färben. Der See endete; junge 
Kiefern: und Tannenfdonung faumte zu beiden Seiten 
den Weg. 

„Bir haben mindejtens noch zwei Stunden Tages- 
licht, Sie brauchen fic) nicht zu ängjtigen, Kenia |!” 

Sie lachte hell auf. „Wenn Sie wiigten, Janek, wie 
foloffal viel Courage id) habe!” 

„Riskieren Sie e3, hier in der Wildnis einzufchneien ?” 





— 510 — 


„Barum nicht? Das Schlimmite, was uns paffieren 
fönnte, wäre: zu erfrieren! und wie ich gehört habe, ijt 
juft dies der fchinfte Tod, den man fic) wünjchen kann!” 

„Sie denfen glei) ans Sterben! Vorher gibt e3 
ein Verloren und Berlajjenjein, ein Irren kreuz und 
quer!” Unwillfürlich jchloß er dabei ihren Arm feſter 
an fid. 

„Beſſer mit den Füßen, al8 mit den Gedanten!” 

„Verirren die fich bei Ihnen jo leicht und fo weit?!” 

„Ich habe lange Fahre gebraucht, um fie überhaupt 
auf den rechten Weg zu bringen!” 

Und bleiben fie mun darauf, oder drohen fie hie und 
da nod einmal zu entgleijen?” er blickte lächelnd gu ihr 
nieder, Xenia aber fdjiittelte ernjthaft das reizende Haupt. 
„Ich weiß jebt, was ich will, und fol ein fefter Wille 
ift das befte Steuer, welches man für fein Lebenzjchiff- 
fein finden fann.” 

„Sie haben jich merfwürdig verändert, Xenia! Wem 
gebührt die Ehre für dies Meijterjtüf? Hat die große 
Welt wirklich all die fleinen und großen Eden abgefchliffen, 
welche mir fo lange Jahre hindurch trogig entgegen- 
jtarrten und jegliches GHarmonieren zwiſchen uns une 
möglich machten ?” 

„Die große Welt? Warum juft die?” Sie fdhien 
jeiner Frage auszumweichen. 

„Ich entfinne mich, vor Jahren aus Ihrem Munde 
ein gewiſſes Glaubensbefenntnis gehört zu haben. Gie 
behaupteten damals, nicht ohne die Anerkennung und 


— 512 — 


„Können Sie dafür Beweije bringen?” 

Sein Blick tauchte tief und lange in den ihren. 

„Eher, al3 Sie glauben und ahnen mögen.” Er jagte 
e3 langjam, nut eigentümlicher Betonung, dann fuhr er 
heiter fort: „Sie haben die Polen niemals leiden mögen, 
Kenia, Sie find noch immer meine politiiche Gegnerin 2” 

„Ich betrachte Sie vollfommen als Deutjchen !” 

„Das heißt fic) und mich betriigen! Was nimmt 
Sie gegen meine Landsleute ein?” 

Sie fenfte den Kopf tiefer. „Das polnische Blut ijt 
mir zu rebellifch, eine deutjche Ariitofratin fann nicht mit 
Koſyniers Harmonieren!“ Das war nod der alte, fühle 
Stolz, welcher durch dieje Worte flang. 

Procznas Blic flammte auf, wie eine fühne, uner— 
bittliche Herausforderung troßte e8 auf jeiner Etirn. 

„Wiſſen Sie, daß es gewaltig in Polen gärt — 
daß mein unglücliches Baterland nur auf den Blig aus 
Gottes Himmel wartet, um die Tadel der Empörung 
daran zu entzünden ? 

Wie in jäher Angit fafte fie feinen Arm, eine leiden: 
fchaftlidje Warnung leuchtete aus ihrem Auge. 

„der Name auf dem Wappenjchild des legten der 
Dynars fann nicht gelöjcht werden! Hans Stefan! Sie 
haben eine deutjche Schweiter, zu deren Schuß Sie der 
firenge Wille eines Toten ruft!” 

Der Wind ftrich braujend durch die hohen Tannen, 
es wirbelte und gligerte in hellen Gunfen um fie ber. 
Janek neigte fich tief nieder zu Xenia. ,, Polnijd Blut 


— 513 — 


verleugnet fich nicht”, flijterte er mit fascinierendem 
Bid. „Auch in Ihren Adern freijt ein Tropfen diejes 
Gifts, für welches es weder Hilfe nod) Nettung gibt! 
Hans Stefan Dynar wird nur dann die Hand für 
Polens Freiheit heben, wenn feine deutſche Schweiter 
ifm felber dieje Hand dazu bewajjnen wird! Unbejorgt 
aljo! Das Wappenjchild der Grafen Dynar fteht in 
ficerer Hut!” — er lachte leije auf und fuhr in fait 
heiterem Tone fort: „Wie verjchieden die Menſchen und 
namentlid) die Frauen doch beanlagt find! Ich bin 
überzeugt, Xenia, Sie würden fich ohne jeglichen Kampf 
von dem Marne Ihrer Wahl losjagen, triebe ihn die 
Liebe zu feinem unglüdlichen Vaterland in die Reihe der 
Kojyniers, und doch gibt es ein Hiftorijches Beijpiel, wie 
die heiße, jchranfenloje Liebe ein Weib aus dem feind- 
« lichen Lager in das Polenheer getrieben, an der Seite 
ihre Geliebten zu leben oder zu ſterben!“ 

Die Heine Hand, welche auf jeinem Arm lag, zitterte, 
vielleicht vor Kälte. 

„And welche von beiden Naturen jcheint Ihnen die 
glüdlichere 2” 

„IS beneide jeden Sterblichen, welcher fo über Maß 
und Biel geliebt wird, daß alle Bande der Welt, welche 
fonft nod) Macht über eines Menjchen Herz befigen, wie 
Spreu im Winde vor dem Sturm der Leidenjdjaft ver: 
wehen, nur das ift Glück, nur das allein!” 

Einen Augenblid herrjdjte tiefe Stille, dunkle Schatten 


fielen über den Weg, in den Zweigen braujte der Schneeſturm. 
N. v. Cichſtrut h, I. Rom, u Nov Polniſch Blut IL, 38 


— 514 — 


„Sie frieren, Xenia! Gie zittern ja wie Efpenlaub! 
Und ich habe feinen Mantel, Sie zu fügen!” Gie 
antwortete nicht. 

„Geben Sie einen Augenblid meinen Arm frei, ftellen 
Sie fic) hier dict an ‚Mylord‘ ... er dedt Sie ein 
wenig gegen den Wind!” und Proczna trat haftig auf 
die andere Seite zu feinem Roß, jchnallte den Sattel 
ab und 30g die Fleine Unterlagdede vom Rüden des 
Pferdes. 

„Hier, ſchnell! Wideln Sie ſich ein! ... Wie thöricht, 
daß mir der Gedanke nicht früher fam!” 

Kenia fchüttelte, ohne ihn angujehen, das Haupt. „Die 
Verde find warm ... Sie dürfen nicht ...“ 

Eine Schneewolfe wirbelte auf; Sanef fprang zu, 
ſchloß die zitternde Gejtalt in feine Arme und warf 
ſchützend die Dede über fie hin — jefundenlang ruhte . 
Kenia wie betäubt an jeiner Bruft. 

„Es Tann nicht3 helfen, wir müfjen vorwärtsfommen! 
Sch nehme Sie vor mich in den Sattel und fopple Mylord 
an, ohne Laft wird er fchon galoppieren fünnen! Not 
fennt fein Gebot, lafjen Sie ung den Moment benugen, 
wo fic) der Wirbelwind gelegt hat!“ Xenia widerjprach 
mit feiner Silbe, Janef jah troß der Dämmerung, welche 
rapid zugenommen hatte, bak ihr Antlit farblos war 
wie die Schneefternchen, welche e8 umtanzten. 

„Borwärts!” . 

Gräfin Dynar zudte empor. „Ich hire Hufſchlag!“ 

„Beim Himmel... er fommt näher... baliholl... 


— 515 


„Halihol” ... „Dan fucht ung |“ 


„Bott fei Lob und Dank.” 





— 516 — 


Kenia flammerte fi) an den Arm ihres Pflegebruders, 
mit großen, faft ftarren Augen blicte fie nad) der Biegung 
des Weges, um welche zwei Piqueurs hergujprengten. 

„Das war zur rechten Stunde! ... Berbindlichiten 
Dank für Ihre Aufmerkfamfeit und Hilfe, meine Herren! 
Wir haben Unglück mit dem Pferd gehabt, und es dürfte 
jest wohl unfere erjte Sorge fein, meine Schweiter unter 
Dad) zu bringen! Zum nächſten Unterjchlupf, meine 
Herren, gleidjviel wo und wie!” 

„Kaum zchn Minuten von hier jteht ein Wildwärter- 
Häuschen, Herr Graf!” 

„Bortrefflich! jo erreichen wir es zu Fug! Ihren 
Arm, Xenia, in wenig Augenbliden find Sie geborgen!” 

Geborgen! wie ein Echo hallte es in ihrer Seele nad); 
was follten ihr jchügende Mauern und eine Dede zu 
Häupten? Als fie an jeiner Bruft ruhte und feine 
ftarfen Arme fie umjchloffen, da war fie geborgen ge: 
wefen, ob aud) Sturm und Schnee fie umtobten! Und 
wenn der Wettergraus wilder Empörung durch die Fluren 
Polens brauft ... an weſſen Herz wird fie fic) dann 
flüchten? ... 

Ein Schauder riefelte durch ihre Glieder, aber die 
blafjen Lippen lächelten. 

„Kofynier! Kofynier!!” ... braufte e3 im Wind wie 
ein gellender Jubeljchrei durch die Lüfte. 


—— ee —— 


zerrzerrrxr| 





XXIII. 


n der fleinen Forſtwärterſtube feierte man Dammerz 
ftündchen. 
Behagliche Wärme durchzog fie; der Dompfaff 
im grobgeflochtenen Bauer hatte den Kopf bereit3 unter 
die Flügel geftedt und wiederholte nur hie und da, wenn 
ihn ein jähes Geräujch aufjchredte, ein melancholifches 
„Zutitil tatütü“, welches den Anfang feines Leib- und 
Magenliedes: „Freut euch des Lebens”, in muſikaliſchſter 
Vollfommenheit bildete. 

Arm, aber jauber und ordentlich jah e3 in dem nie= 
drigen, Eleinen Raum aus, welcher Küche, Wohn- und 
Schlafſtube zu gleicher Beit vorftellte. Nebenan mederte 
e8; ein jchmaler Verjchlag, urjprünglich wohl zur Herd- 
ftelle bejtimmt, war der Ziege zum Winterquartier eins 
geräumt. 

Ein junges Weib, troß aller Dürftigfeit dennoch mit 
gewifjer Bierlidfeit gekleidet, hodte auf niederem Schemel 
neben den prafjelnden Flammen und ließ ein dralles, vor 
Luft Hell auffrähendes Bübchen ,,.Hoppa-Reiterlein” auf 


— 518 — 


den Knien tanzen. Zum Schluß purzelte der fleine Ka⸗ 
vallerift mit gellendem Jubel Hinteniiber, beinahe bis 
auf die Dielen, aber dennoch im entjcheidenden Moment 
von den Armen der Mutter gefaßt und Hoch empor= 
geſchwenkt, al trüge er plößlich Flügel an den fleinen 
Schultern. 

Das war ein Herzen und Koſen und Nimmerjatt- 
werden des prächtigen Spiels — bi8 e3 plößlich dennoch 
unterbrochen wurde und mit Sturm und Schnee eine 
fremde, vornehme Geſellſchaft durch die Thür wirbelte. 

Märchen jah fich pliglich aufs peinlichjte vernach— 
läffigt und folo auf dem Schemel in eine Ede gerüdt, 
dieweil fein Mütterchen voll geichäftiger Haft hin- und 
herlief, die fremde Dame zu bedienen, welche auf Vaters 
Lehnftuhl am Feuer jaß, den Kopf mit dem feuchten 
Goldhaar zurüdgelehnt und die Augen gejchlojjen, als 
ſchlafe fie. 

Märchen ftarrte fie mit großen, ftaunenden Augen an, 
wandte das Köpfchen und mujterte den unbefannten Herrn, 
welcher die falten Hände über der Herdglut rieb, der 
Dompfaff aber jchrie höchſt ungnädig über die laute 
Störung den Fremden fein: „Freut euch des Lebens” 
entgegen, und hüpfte dazu von einer Stange auf die 
andere. Dennoch nahm man feinerlei Notiz von ihm. 
Graf Dynar erjuchte die Piqueurs um die Gefalligteit, 
ihm fchleunigft den Schlitten und warme Pelze aus der 
Stadt zu jchiden; — die Forjtwärterin hatte eine fleine 
Öllampe entzündet und an dem Dedbalten aufgehängt, 


— 519 — 


mit überrafchender Gewandtheit forgte fie für Xenia, 
ftellte ihren Sonntagsjtaat zur Verfügung und verjuchte 
mit gefdicten Händen das nafje Haar troden zu reiben 
und zu ordnen. 

Sanef hatte guerjt diefem Beginnen recht bejorgt zu- 
gejhaut; feine Schweſter, welche feine fremde Hand zu 
ihrer Bedienung duldete, welche empört das ftolze Haupt 
zurüdwarf, wenn fie auf der Straße das grobe Wollzeug 
eine3 armen Weibes nur ftreifte — fie jollte womöglich 
den Fup in einen Schuh jteden, auf deffen Sohle derbe 
Nägel glänzten? Friiher hätte diejer Gedanfe an Wahn 
wif gegrenzt | 

„Sehen Sie, gnädigite Gräfin, hier habe ich ein paar 
Strümpfe, direft von den Nadeln weg! find noch auf 
feines Menſchen Fup gewejen! Die Wolle ift ja wohl 
rauh und hart, aber juft das rechte Mittel gegen Er— 
fältung! Ich war fünf Jahre lang Kammerjungfer bei 
der Baronin M. in Danzig, die hatte ftet3 fo ein Paar 
liegen, um e8 bei Schlittenpartien über den feidenen 
Strumpf zu ziehen!” 

Kenia hatte fich emporgerichtet, fie fchien fich wieder 
völlig erholt gu haben. 

„Sie waren Kammerjungier? O, das ift ja vor- 
trefflid), dann fann ich mich Ihrer Sorge alfo ohne 
Strupel anvertrauen‘ Was für prächtig warme Wolle! 
die wird mir gewiß gute Dienjte leijten! Meine Stiefeln 
find vollftändig durchnäßt, wollen Sie fo freundlich fein 
und mir die Fußbekleidung wedjeln?” 


— 520 — 


Diefe Worte waren jehr leije gefprochen, der Blick 
der jungen Dame jtreifte den Pflegebruder, welcher abz 
gewendet vor dem Vogelbauer jtand und Monfieur Dom: 
pfaff animierte, noch ein Liedchen zum beften zu geben. 

„Ich knie mich vor gnädigite Gräfin hin! der Herr 
merft durchaus nichts davon!” flüfterte die Forftwarterin 
beruhigend zurüd. „Wir haben ja leider nur dieſes eine 
Stübchen und das Wetter ift zu jchlimm, um den gnä- 
digen Herrn Hinausgubitten !” 5 

Sanef rückte fich einen Stuhl ojtenfibel mit dem Rüden 
in da3 Bimmer hinein und zog fein Bortefeuille, um mit 
größtem Eifer darin zu blättern. 

Bor feinem Blid tanzten die Buchftaben und Zahlen, 
wie in jubelndem Reigen. Eine Reihe von Nebelbildern 
jchwebte an jeinem geijtigen Auge vorüber, er fehaute 
fern zurüd in eine Zeit, wo er den Schneefturm noch um 
die Türme Procznas braufen hörte, wo ein goldblonder 
Kinderkopf fich zärtlid) an jeine Echulter lehnte. 

Plötzlich jchraf er aus feinen Gedanfen empor, Xenias 
ſchwerer Schritt fang neben ifm. Cie jtüßte fich auf 
feine Stuhllehne und lachte ihn fajt übermütig an. „Über: 
raſchen fann ich jeßt niemand und Walzer tanzen möchte 
auch jeine Schwierigkeiten haben! Sehen Sie doch, wirt: 
liche, veritable Holzſchuhe habe id) an, nagelneue fogar, 
mit einem Herz vorn aufgejchnigt! Solche Sabots ar: 
beitet der Forjtwarter eigenhändig für jeine Frau; ijt das 
nicht liebenswürdig 2” 

Sanef blicte amüfiert auf die plumpe Schuhipige 





— 521 — 


hernieder, welche Gräfin Dynar etwas unter dem Saume 
des Kleides hervorjchob. 

„Liebenswürdig und galant zugleih! Wenn der junge 
Ehegatte ein Pole ift, fo muß ihm, nach dem Format 
dieſes Pantoffels zu fchliegen, der Schalt gewaltig im 
Naden figen!” 

„Geben Sie, bitte, gleich die Auflöfung zu dieſem 
Ratfelwort I” 

Janek hatte fic) erhoben und blickte amüfiert auf die 
Fragerin hernieder. — Der Pole fennt feinen lieberen 
Becher alB den 

Schuh feiner 
Dame, und feinen 
beraujchenderen 
Genuß, als ihn 
auf einem Zuge: 
‚Vive Pamour!‘ 
zu leeren. — Ein 
kleiner Zuß und 
großer Durjt 
pajjen da fchlecht 
zueinander; aber 
wie mir der ges 
niale Forftwart 
beweijt, gibt es 
auch ein Mittel, 
jelbft dieſe Extre— 
me zu vereinen |” 


— 522 — 


„Sie wollen nur über meine zierliche Chauffure fpotten!” 

„Revanchieren Sie fich und fchelten Sie die polnifche 
Sitte phantaftijd!” 

„Das würde in meinen Augen mehr eine Aner- 
fennung fein! 

„Thatſächlich? — Sie find fo echt deutfch, Xenia, 
und das deutfche Blut rollt fo fühl und nüchtern durch 
die Adern, verwirft Leidenjchaft al Fanatismus und 
glühende Begeifterung, welche durch ihre eigenen Zeichen 
redet, al Abjurdität! Sie felber jagten mir einjt: ‚Meine 
AHnfrauXenia war eine überfpannte Schwärmerin‘, und dod) 
war fie nur ein leidenfchaftliches Weib, phantaftijd genug, 
für einen ungewifjen Traum eine fichere Wahrheit zu opfern!” 

Gräfin Dynar wid) feinem fcharfen, beinahe forjchen- 
den Bli€ aus. ‚Und nach einer einzigen, unbedachten 
Äußerung von mir beurteilen Sie meine ganze Nation?” 

Er jchüttelte langjam das Haupt. „Ich male mit 
breiten Gtridjen und grellen Farben, e8 gibt bei einer 
jeden Regel Ausnahmen, und bei diejer Hoffentlich recht 
viele!” — Er brad) furz ab. — ,,... Haben Sie ſich 
wieder erwärmt, verlangen Sie nad) irgend einer Kräfti— 
gung? Heiße Milch ijt wohl fchnell zu bejchaffen —” 

Sie unterbrach ihn Haftig: „Nein, nein! Ich habe 
feinerlei Wünfche und fühle mich wieder vollftindig rejtau- 
riert! Hier am gener fist es fich ganz vortrefflich, 
e3 macht mir freude, in die Flammen zu jehen uud diefe 
ungewohnte Umgebung zu betrachten, die Leute jcheinen 
fehr arm zu fein!” 


a $09 — 


Da kamen unficher ſchwankende Schrittchen durch die 
Stube, mit beiden drallen Ärmchen rudernd die Balance 
haltend, wadelte Märchen auf die fremde Dame zu und 
ſchmiegte fic), freudig aufquietfchend ob der Heldenthat 
der Solopromenade, in ihre Kleiderfalten. 

Janek beugte fich jchnell nieder und hob den fleinen 
Geſell auf feinen Arm empor. — „Hierher, du loſer 
Schelm! Mit mir jollft du fchäfern und lachen. Wenn 
du zu der jchönen Dame verlangft, müſſen wir erjt die 
Patjchhände waschen, und den Kleinen Schnabel — ver: 
itanden, Mosjöchen?“ — Märchen gappelte aus Leibes- 
fräften und ftredte die Arme nach Xenia. 

„Warum wollen Sie mir diejen Verehrer abfpenftig 
machen? — Schnell, geben Sie den prächtigen Kraus— 
£opf ber!” 

Proczna jah fie faft betroffen an. „Aber Xenia, 
diejen fleinen Proletarier auf Ihrem Schog —?” 

73h bin ‚phantajtisch‘ genug, auch daran Geſchmack 
zu finden |” 

„Denken Sie an früher! Arme Kinder waren Ihnen 
jeit jeher höchſt unſympathiſch! ... Wir bezahlen ja die 
biefige Gaftfreundjdhaft, Sie brauchen fich wahrlich aus 
Nücdficht gegen die Forjtwärterin feinen läftigen Zwang 
aufzuerlegen |” 

Kenia biß fid) auf die Lippen. „Warum mahnen Sie 
mich ftet3 an früher?” rief fie faft heftig, „halten Sie 
mid) wahrlich für jo fonfervativ, daß ich felbit kindiſche 
Fehler nicht mit der Zeit ablege?” und ohne feine Ent- 


— 524 — 


gegnung abzuwarten, nahm fie Märchen haftig von feinem 
Arm, wandte fich zu ihrem Stuhl am Herdfeuer zurüd 
und hielt der Forjtwartsfrau, welche joeben mit einer 
Kanne fchäumender Milch aus dem Stall wieder eintrat, 
den Kleinen faft triumphierend entgegen: „Sehen Sie 
bier, Frau Martha, wir haben Freundjchaft gejchlofjen!” 

Janek trat an das Fenfter und trommelte ungeftiim 
gegen die Scheibe, in welcher fich das Bild am Herde 
getreulich abjpiegelte. 

Hinter ihm lachte, plauderte und frähte e8 in reizend- 
ftem Gemiſch. Märchen wurde gefüttert, und Xenia hielt 
ihm ein wenig ungefdict, aber jehr eifrig, bas Milchglas 
an das rofige Mäulchen. 

Frau Martha ftrablte vor Stolz und Mutterglüd. 
Auf die angelegentlichen Fragen der jungen Dame er- 
zählte fie aus ihrem Leben. Sie war Kammerzöfchen, 
recht verwöhnt und hochnafig, feiner war ihr gut genug, 
bis urplößlich der Rechte fam, luftig, bildhübfch und 
blutarm. Da gab e3 fein Befinnen mehr, fie gab dem 
guten Leben Valet und jubelte vor Glück und Freude, 
al ihr jchmuder Grenadier diejes befcheidene Pöſtchen im 
Walde befam. 

„Und fehnen Sie fid) denn gar nidt in die Stadt 
zurück?“ 

Das junge Weib lachte glückſelig auf: „Ach liebe, 
gnädige Gräfin, wenn Sie erſt einmal einen ſo recht von 
ganzem Herzen liebhaben werden, dann wird es Ihnen 
ſelbſt in der Wüſte nicht zu einſam ſein, und dann werden 


— 525 — 


Sie erft recht begreifen, daß gum Gliidlidfein gar herz. 
lid) wenig nötig ijt! Mein Franz ift ein ſchmucker Mann! 
Qn der Stadt würde id) niemal3 aus der Eiferjucht 
herausfommen und auf jedes Mädel Gift und Galle fein 
— hier gehört er mir allein, hier gibt’3 nur Wald und 
Himmel, und wenn man aud oft arge Laft dadurd) 
hat, ic) möchte doch nie und nimmer in die Stadt 
zurück“ — 

Sanef wandte verjtohlen den Kopf — er fah, dak 
Kenia das jchöne Haupt wie in tiefen Gedanken finfen 
ließ ... 

Schlittengeläut tinte durch die Nacht, rote Fadelglut 
warf grellen Echein voraus auf den Schnee, es ftampfte 
und jaufte mit flüchtigen Hufen heran. 

Xenia trat Dicht an Procznas Seite und fah ihm 
bittend in die Augen. „Haben Sie Geld bei fich, Janet? 
Ih möchte ſchon jest meine Dankbarkeit durch eine kleine 
Gabe beweiien ... Frau Martha fann nicht in die Stadt 
fommen und ich werde in den nächſten Tagen nicht per: 
fönlich hier herausfahren können ... 

„ber jelbjtverjtändlich, Xenia... meine Börje wäre 
auf jeden Fall hiergeblieben —“ . 

„O lafjen Sie mich geben!” 

„Bon Herzen gern — la voila! — verfügen Sie!” 

Sie nickte ihm lächelnd Dank zu, darn eilte fie wie 
ein Kind zu Märchen, welder wieder auf feine ſtroh— 
geflochtene Matte in die Stubenede gejegt war, und 
fcbiittete ihm den goldenen Segen in den Schoß. 


— 526 — 


Der Forftwarterin liefen die hellen Thränen über bie 
Wangen, fie füßte die ſchlanken Hände der Geberin wieder 
und immer wieder. Xenia hatte ftet3 außerordentliche 
Summen in jegliche Armenfafje und an jeden Verein aus: 
zahlen lafjen, aber jegt erft fam es ihr zum erjtenmal 
im Leben vor, als habe fie die Hände geöffnet, um etwas 
Gutes zu thun. 

E3 Hatte aufgehört zu jchneien, aber e8 war nod) 
immer ftürmijch und jehr falt. — Der Himmel flimmerte 
wie ein Meer von bläulichen Funfen, weiß verjchleiert 
erglänzten die Tannen in den erjten Mondjtrahlen, 
welche noch wenig intenjiv, wie filberne Nadeln durd) 
die Zweige flojjen. 

In weichen, köſtlich warmen Pelz gehüllt, flog Xenia 
an Janeks Seite im Schlitten dahin. Grabesjtille im 
weiten Walde. 

Die Fadeln Ioderten in den Händen der Sattel: 
reiter, blutrote Lichter zudten über die Fichten am Wege, 
Funken jprühten auf und wirbelten über den Schnee 
e3 fchnaufte, jtampfte und bäumte mit flatternden Mähnen 
wild auf — eine jeltjame, romantijche Fahrt! 

Zwei anfgejcheuchte Vögel ftrichen wie düjtere Schatten 
über den Schlitten hinweg; ihr heiferer Schrei verflang 
im Winde, welcher, heftiger werdend, an Xenias jo wenig 
geihügtem Köpfchen zaufte. 

Sanef legte ihr ſchweigend den Pelz höher in den 
Naden — umfonjt, er fiel im fcharfen Luftzug wieder 
zurüd. Um ihn zu halten, ließ er feinen Arm dahinter 


— 527 — 


ruhen. — Xenia fühlte es, jah aufzudend fchrat ihr Haupt 
von ihm zurück. 

„Fürchten Sie nichts, Xenia, es liegt ein dider, 
ſchützender Pelz zwifchen Ihnen und dem rebelliichen Polen⸗ 
blut!” — Er jagte es leije und ruhig, dennoch klang es 
wie Bitterfeit durch feine Stimme. 





Sie antwortete nicht, aber fie hob die Hand, ſchob 
den Edelmarder langjam beijeite und lehnte den Kopf 
feft in feinen Arm zurüd. 

„Koſynier! — Koſynier!“ — jauchzte der Sturm 
durch die raufchenden Zweige. 

Die Ulanen faßen im Kafino beim Frühftüc. 

Sanef Proczna war bereits Stammgaft bei ihnen 


— 528 — 


geworden; auch heute trat er am Arme Hechelbergs in 
den Speijejaal, eine Stunde zu verplaudern. 

„Die dienjtfreien Herren zu einem Kleinen Tarod ans 
treten . . . Wir rechnen auf Sie, Proczna ... Pour 
passer le temps . . . man döjt fic) ja vor Zangerweile 
Schwielen ins Gehirn!” 

„Stehe fofort zur Dispofition !” 

„PBröjtchen, Baprilo! . . . Wie war's mit einer 
‚Chateau d’Yquem ? 

„Haha! Der Löwe hat Blut geledt! Na, in Gottes 
Namen, Dordhlaudting, damit Sie flare Augen behalten, 
will ich helfen, — Ausknobeln?“ 

„Das verrriteht fih!! un... deux ... Luft, 
Clavigo! Vortrefflih ... Stein jchleift die Scheere, habe 
den Vorzug, Sie zu einer gefunden Flajche Gift eingu- 
laden! 

„Weiß das Donnerwetter! Unjer braver Kapitän 
a cheval hat eine unglüdliche Liebe gu der fchlanfen 
Schönen von Chateau d’AYquem und Umgegend!” 

„Irren ift menjchlich, lieber Flandern — ih haffe 
Dieje Sorte — wie überhaupt alle Weiber, welche fich 
mit Bindfaden, Draht und Staniol jchnüren !” 

Hechelberg ftüßte beide Arme auf den Tijd) und 
machte ein unglaublich verjchmittes Geficht. 

„Luft! Luft!!! ...“ 

„Ich haſſe fie, und darum ... vertilge ich fie, wo 
ich fie antreffe!” 

Zubelnder Beifall; der Piropfen fprang, wie flüjfiges 


— 529 — 


Gold gluderte der Wein in bas zart geichliffene Glas. 
— „Tod und Untergang allem überflüjfigen Weine, 
Messieurs!” 


„Bravo! — pereat! — Wir fommen nad, Herr 
Rittmeiſter!“ — — melodiſch aufflingend trafen fich die 
Glajer. 


„Sagen Sie ’mal, Proczna ... Sie werden auch 
Shr Tangbein bei Gowers jchwingen ?’ — Heller: 
Hüningen neigte fid) näher zu dem Gefragten und machte 
ein außerordentlich intereffiertes Gejicht. 

„Mit al dem Schwung und der Hingebung, welche 
mir eigen!” Ä 

„Auguſt Ferdinand hat perjönlich feinen Befehl, in 
Form einer Bitte, an das Regiment gerichtet, vollzählig 
zu erjdeinen; die Gartner wird ein nettes Geficht Dazu 
fchneiden — merci! |” 

„Sie wird irgend eine Parole ausgeben, welche 
Gowers wenig Freude an den erzwungenen Gajten ers 
leben läßt.” 

„Haben Sie fehon engagiert?” 

„Roh nicht — aber ich gehe nachher zur Billa 
Florian, mir mein Teil gu fihern.” — Es zudte ver: 
raterijd) um feine Lippen, Donat aber fuhr mit miß- 
trauifchem Blick empor: 

„Doch nicht etwa zum Cotillon?” 

„Bu was wohl fonjt !” 

„Doch nicht etwa Bicky?“ 


Proczna zudte die Achjeln. 
Rv. Eſch ſtruth, IN. Rom. u. Nov., Polnifd Blut IL. $4 


— 530 — 


„Menſch . . . ich drehe Ihnen den Hals um!” 
„Das kann der Starfere ftet3; den Rang ablaufen 
würde jchneidiger fein!“ 

„Blitz und Knall, das fol ein Wort fein... Fd 
will ſechs Wochen lang jeden Mittag Lungenhafdee effen, 
wenn Sie mir die Kleine wegjchnappen! Bickys Cotillon 
gehört mir!” 

„Noch nicht 

„ber er wird e8 fo gewiß, al8 ich Hier neben Ihnen 
auf einem gejhnitten Stuhl mit vier Beinen fiße!” 

„Schriftliche Engagement ift ungültig; es bedarf der 
Bufage aus Bidys Mund!” 

„Sut — mir aud redt. — Weiß der Teufel, was 
Sie für Klaufeln maden! — Heda, Drdonnanz .. . 
Gabel und Müte!” 

Procgna entzündete fic) gelaffen eine Cigarrette. 

„Laufen Sie fic) doch nicht die Haden ſchief, Ver: 
ehrteiter; Bidy ift mit Xenia in den Wald zum Wild- 
wärterhaus gefahren; um drei Uhr find fie zurüd, und 
pragis um drei Uhr bin ich in Villa Florian!” 

„Bassa manelka! .. * Donat ftemmte die Arme 
in die Seite und fchüttelte halb ungläubig, Halb miß- 
trauifd) den hübſchen Kopf. „Mit Spek fängt man 
Mäufe, alter Freund! Dem Frieden traue ich nicht. — 
Ich werde mich erjt mit eigenen Augen überzeugen und 
dann in meiner Wohnung am Fenfter Poften ftehen, den 
Wagen abgujafjen; im Notfall werfe ich mich in die 
Rader und engagiere mit brechenden Rippen!’ ’ 


— 531 — 


Janek erhob fic) ebenfalls und wandte fid) gelafjen 
an Hechelberg. 

„Berehrtefter Herr Rittmeifter, wollen Sie mir ’mal 
einen Gefallen erweifen ?” 

„Alles, außer — heiraten!” 

„Segen Sie dem jiingften Leutnant Ihrer Schwadron 
für heute nachmittag drei Uhr Dienft an!” 

Donat fuhr empor wie ein gereizter Löwe, rig Säbel 
und Miike an fi und rafte, alles recht3 und links zur 
Seite fcehleudernd, aus der Meſſe. 

„Ich Ichide Ihnen eine Ordonnan3, Beauty-patch!” 
fdrie ifm Hechelberg mit luſtfunkelnden Wuglein nach, 
„der Teufel foll Sie holen, wenn Sie die Refruten ver: 
fäumen!... Voltigieren... Fechten... Fubexergieren .. .” 

Die Thür flog laut jchallend ins Schloß, Fürſt 
Heller-Hiiningen hatte feine Silbe mehr gehört; Proczna 
aber warf fich in einen Sejjel und lachte mit dem Ritt- 
meijter ein Duett. 

Ganz abjdeulid) haben fie dem armen Leutnant 
mitgejpielt. 

Donat jtürmt nad) Villa Florian und erfuhr, daß 
die Damen erjt um drei Uhr von einer Spazierfahrt 
zurüderwartet würden. Wie gehebt eilte er nach feiner 
Wohnung. 

„SH bin für feinen Menfchen zu Haufe, Robert!” 
befahl er jeinem Burjchen voll fiebernder Erregung, „am 
wenigften für eine Ordonnang. Du weifeft alles ab — 


verjtanden ? 
34* 


— 532 — 


„Befehl, Herr Leutnant.” 

Beauty-patch bezog feinen Objervationspoften hinter 
der Gardine — „Aha 
... da fommen Hechel- 
berg und Proczna Arm 
in Arm angejchlendert, 
firieren feine Fenſter und 
biegen fic) vor Lachen 
.. . und Hinter ihnen 
. . . Kreuzhimmelſchock⸗ 
bombenelement, eine Orz 
Donnan, mit der omis 
nijen Ledermappe unter 
dem Arm.” 

Klingeling! . .. — 
„Herr Leutnant find nicht 
zu Haufe.” Trapp, trapp, 
{tampft e3 wieder Die 
Treppe hinab. Der Herr 
Rittmeifter fteht und läßt 
fide) rapportieren, dann 
gibt er einen kurzen Befehl. 
Die Ordonnang geht quer über die Straße zurüd und ftellt 
fi) wartend neben der Hausthür auf. — Zum Donner: 
wetter nod) eins! . . . Hechelberg und Proczna aber 
pendeln drüben auf dem Trottoir auf und nieder, be- 
halten feine Fenfter im Auge und wollen fich rein vom 
Leben thun vor Vergnügen. 





— 533 — 


Donat fühlt e8 in den Fingerfpigen fribbeln, er möchte 
aus der Haut fahren vor Wut! 

Wie fie drunten 
Wike reißen und fich 
ihres Gaunerſtück⸗ 
chens freuen! ... 
Der Proczna iſt reif 
für die Hölle... 







— 534 — 


dem jcheint ja nicht3 mehr heilig zu fein, nichts, felbft 
die Liebe eines Leutnant3 nicht! — Und Hechelberg! 
.. . feift und dreift wie ein Falftaff, in Eünden er: 
graut ... Da fieh nur einer, wie der Rerl fic) breit: 
beinig Hinftellt und heraufgrinjt, gerade al8 wolle er 
ein Loch in die Gardine guden! 

Donat möchte mit der Fauſt ins Fenfter fchlagen. 
Aber wartet, ihr Teufelsbraten! wir find auch nod) 
pfiffig. „Robert! ...“ — ‚Befehl, Herr Leutnant.” — 
„aß augenblidlich den gejchlofjenen Wagen anfpannen 
und ftell’ did) unten vor der Hausthür auf; jowie die 
Equipage der Gräfin Dynar oben in der Straße in Sicht 
fommt... du fennft ja die beiden Iſabellen! . . dann 
läßt du mein Coupé drunten im Hausgang vorfahren, 
id) jpringe hinein, und es wird im jchärfiten Trab hinter 
der Gräfin hergefahren. — Berjtanden? — Hier... 
Diefe Börje bekommſt du, wenn du die Sache gefdhict macht !” 

Hüningen warf jein jchweres Portemonnaie auf den 
Tiſch, Robert aber entgegnete mit bligendem Auge fein 
„Belehl, Herr Leutnant.” 

Und er machte feine Gace brillant. 

Das Coupé fährt im Hausflur vor, Donat fpringt, 
ohne rechts und links zu bliden, hinein, und Heidi, jauft 
e3 auf die Straße hinaus, hinter der Dynarjchen Cqui- 
page ber. 

Uber was ift da8?. . E3 verdunfelt fich im Innern 
des Wagens, eine ſchwarze Gejtalt preßt fic) gegen die 
Scheibe . . . Kreugmillionen . . . die Ordonnang ijt auf 


— 535 — 


das Trittbrett gefprungen! Man halt vor Villa Florian... 
die Thür wird aufgeriffen, eine derbe Hand reicht das 
Dienftbuch entgegen: „Für drei Uhr Reiten und Voltigieren 
in der alten Bahn, Herr Leutnant.” 

uBerfl . . „1“ 

Donat jchiebt den Ulan mit beiden Händen etwas 
ungeftüm zur Ceite, jpringt hinaus und ftürzt auf 
Bidy, welche noch mit ftaunenden Augen in der Haus- 
thür zögert, zu: „Bicky . . . darf ich für morgen abend 
um den Cotillon bitten?” fchreit er mit hochrotem Kopf. 

Die junge Dame ijt zu Tode erjchroden. „Aber 
Donat...“ 

„Kann id) den Cotiflon haben... . ja oder nein?!” 
wiederholte er, voll fiebernder Ungeduld mit beiden Füßen 
trampelnd. 

„Sa, natürlih ... gewiß . . aber warum... .” 

„xenial — Xenial! ... Sie find Zeuge, daß mir 
Bidy den Cotillon bewilligt hat! ... mille merci! 
ich komme heute abend ... Addiol” und wie ein Wirbel: 
wind jpringt er mit zwei gewaltigen Sägen die Treppe 
wieder hinab in feinen Wagen. ,,So, nun geben Sie 
mir in Gottes Namen das Dienſtbuch!“ 

.. « Die Refruten haben Fürft Heller-Hüningen nie 
fo gutgelaunt gejehen, als an biejem Nachmittag, und 
Roberts ,,Coufine’ ift am nadften Sonntag in einem 
nagelneuen Kleid zur Kirche gegangen. 

Procgna und Hechelberg haben fid) aber jelbit- 
verjtändlich grün und gelb geärgert. 





XXIV 









ps) Ci Mühe und Laft durch den Ball, über welchem 

PY das Motto: Noblesse oblige‘ — oder nod) 
richtiger gejagt: ‚Stellung verpflichtet — fchwebte, 
auferlegt. 

Ihre verhältnismäßig Heine Wohnung bedingte e3, 
daß viel geräumt und umgeftellt werden mußte; zwei 
gute Freundinnen aus dem Injanterieregiment hatten das 
fehlende Silber, Kryftall und Glas gütigft geliehen, und 
was nod an Bedienung fehlte, wurde ebenfalls durch 
galonnierte Burfchen erfegt, deren Drefjur der armen 
jungen Frau manden Stoß- und Angjtjeufzer und manche 
Scherbe gefoftet hatte. 

Endlich holte die Uhr zu dem Schlage aus, mit 
welchem fid) die Flügelthüren des Tanzjaales öffnen 
follten, um eine Gejellfchaft in fich aufzunehmen, fo ver- 
fchiedenartig, jo mit Keulen gujammengetrieben und fo 
ſchwer zu verjchmelzen, daß den Gajtgebern jchon bei 
dem Gedanken allein die Haare zu Berge ftanden. 


> a tau Leutnant Gower hatte fic) eine unendliche 


— 537 — 


Auguft Ferdinand wollte zwei feindliche Lager und 
Heerhaujen fonjrontieren, und Gowers mußten das 
Schlachtfeld dazu liefern, mit der angenehmen Perfpettive, 
alle Hiebe und Stiche, welche es unausbleiblich hageln 
wird, mit dem eigenen Rüden aufzufangen. Die jungen 
Ulanenoffiziere waren auffallend präzis zur Stelle; fie 
flappten in gemefjener Diftance vor der zarten, in apri- 
fofenfarbenen Til gehüllten Geftalt der Hausfrau die 
Haden zujammen, neigten die wohlfrifierten Köpfe jehr 
böflih auf die Rocfragen und offupierten jofort die 
Gegend um die Thür, ein feftes und exkluſives Spalier 
zu bilden. 

Das war ein Spiefrutenlaufen! Hüben und drüben 
die meiftenteil3 jehr arroganten Gefichter, welche mit halb 
zugefniffenen Augen eine Mufterung hielten, die, fo ftumm 
fie auch war, der betreffenden Perjönlichkeit das Urteil 
doc gellend genug in die Ohren jchrie. 

Ganz anders war das Bild, wenn eine befannte 
Dame der Creme mit zurüdgeworfenem Haupt über die 
Schwelle raujchte. 

Die Gräfinnen Ettisbach und Tarenberg traten ziemlich 
zu gleicher Zeit mit Excellenz Gärtner ein. 

„Ah — jharmant! vortrefflih! — tiff’ die Hand, 
meine gnädigjte Gräfin! voila die Stationen des Kal- 
parienberges — gipfelnd im Cotillon! Gie geftatten, 
Excelleng, daß ich Ihnen meine Seele hinter einem diefer - 
Tange verjchreibe?” — Die Damen hatten faum Beit, 
den beiden Wirten ein Gemijch von Gnade und Herab- 


— 538 — 


laffung zuzuniden, wie eine chineſiſche Mauer fchlofjen fie 
Die Ulanfas von der übrigen Gejelljchaft ab. 

Leutnant Gower drängte fic) durch und verneigte fich 
vor Excellenz Gärtner. ,,Gejtatten Ercellenz, daß ich 
zuvor die Herrjchaften etwas befannt made —“ 

Leonie ließ einen undefinierbaren Blid über den Saal 
ſchweifen, dann zuckte fie unendlich nadlaffig die Achjeln: 
„Mon Dieu, wozu denn, befter Gower! €3 ijt entjeglich 
langweilig, dieſes ewige Gefnidje — und hat wirflid) 
feinen Bred |” 

Leiſes Auflachen im Sreife, Flandern aber febte fich 
den Schnurrbart noch fpiger auf und fügte mit fchnellem 
Blick über die Umftehenden hinzu: „Wir fennen uns ja 
untereinander, und da3 genügt vollfommen.” 

Gower verneigte fich ftumm und zog fich zurüd. 

Kammerherr von Drad) nebjt Gemahlin und Tochter 
traten ein, Gräfin Dynar folgte am Arm ihres Bruders. 
Sie jah reigender aus, denn je. Ihr ganzes Antlig 
lächelte Gtlüdjeligfeit, man hatte nie zuvor fold) be- 
zaubernden Liebreiz in den jtolzen Zügen gefannt. Weiße 
Seidengaze floß wie Schaummellen um die ſchlanke Figur, 
beftictt mit Wachsperlen, welche gleich aufiprühenden 
Tropfen darauf erglänzten. Sträuße von jehr zart 
nuancierten Hopfenblüten jchmiegten fih an Bruft und 
Haar, unendlich einfach, und doc) frappierend durd) das 
geſchmackvolle Arrangement. Zum erjtenmal, feit man 
fie fannte, lag ein holder, mädchenhafter Hauch über der 
taufrifchen Erjcheinung Xenias. 


— 539 — 


Die Herren wollten jofort durch ftürmifches Umringen 
den Weg in den Saal abjchneiden, Proczna gab jedoch 
den Arm der 
Gräfin nicht 
frei, jondern 
bahntefich mit 

fcherzender 
Abwehr den 
Weg zu den 
Gajtgebern. 

Eine herz: 
liche und fehr 
ungezwungene 
Begrüßung 
folgte. Bicky 
hatte ihren 
Vetter Donat 
energiſchſt auf 
dem Pfade 
Janeks nach⸗ 
dirigiert, 

ſchüttelte 
Frau Gower 
in unverhoh⸗ 
lenem Jubel die Hand und konnte nicht genug vers 
ſichern, wie „furchtbar gern ſie gekommen ſei, und wie ſehr 
fie ſich auf dieſen Abend gefreut habe!” 

„Bir laſſen ung ſämtlich nicht mit der Staffage bes 





— 540 — 


fannt machen!” zijchte Grau Leonie in Xenias Obr, 
„Flandern friegt Lachkrämpfe bei dem Gedanten, daß 
wir und womöglich mit einem Ranonenleutnant herum- 
ſchwenken müfjen — aljo von vornherein alles abge- 
ſchnitten.“ 

Janek wandte ſich von Gower zurück und trat einen 
Schritt näher gu Xenia. „Gower fragt, ob ſeine Frau 
Sie mit den älteren Damen ,,jenfeits” de3 Saales befannt 
machen dürfe 2” 

Kenia biß fid) auf die Lippe. „Um alles nicht — 
e3 thut’3 feine von unjeren Damen!” 

„xenia.. . wenn ich Sie herzlich darum bitte... 
mir zuliebe, Xenia . . .!” 

Sie atmete jchnell auf; ihr Blick tauchte leuchtend in 
den feinen. „Führen Sie mich Hin!” 

„Die Hofftraten fommt!” 

Sofort bildeten die Ulanen wieder Spalier. In 
toftbarer Brofatrobe raujchte die Frau Nittmeifter am 
Arm des Gatten in den Saal. Sekundenlang herrichte 
tiefe Stille; plöglich unterbrach Hechelbergs fräftiger Baß 
das Echweigen —: „Bahn du jour! Stange rein! Drei 
Lod) höher legen! !” 

Sdallender Jubel der Ulanen; Frau von Hofitraten 
aber drohte dem Attentäter mit ihrem handfeſten Fächer 
und rief, ungeniert und nicht mißzuverjtehend wie immer: 
„Verflixte Song! Pag acht, wenn ich did) mal am Kollet 
gauj’! Heut is Sonnabend, heut ftehn wir auf du und 
du! wollen mal in Civil gujammen reden!” 


— 5414 — 


Gower war abermal3 zu den fungen Ravallerie- 
offizieren Herangetreten. „Darf ich bitten, meine 
Herren, fid) der Tangfarten der jungen Damen etwas 
anzunehmen? Die beiden allerliebften Töchter des ge- 
heimen Regierungsrat von Blochwitz tanzen heute zum 
etjtenmal — fie find fo wenig befannt .. .” 

Flandern flemmte mit feinem arrogante(ten Geficht 
das Monocle ein und mufterte das Schwefterpaar 
einen Moment von oben bis unten, dann zudte er 
die Uchfeln. 

„Bedaure, Verehrtefter — tange feine Remonten ein!” 

Ein ſchallendes Gelächter belohnte diefen Wis. 

„Bitte, führen Sie mich zu den jungen Damen!” 
bat Janek Proczna, mit liebenswürdigfter Bereitwillig- 
feit den Arm Gowers nehmend, auf deijen Stirn bereits 
dunkle Glut lagerte. 

„Laßt mid) man durch, Kinner, ich will mich mal 
bei de Papfaffern da drüben durchjlängeln!” 

„Mais mon Dieu, befte Hofitraten — Sie jehen, daß 
feine von uns allen, außer der extravaganten Gräfin 
Dynar, die ftet3 ihren eigenen Kopf aufzujegen beliebt, 
fic) unter jenen Fülljel miſcht!“ 

„Bat ne Albernheit! Sin ganz manierliche Leut 
drunner! — Guden S' mal den langen Laban mit de 
frullige Agel dort .. . von der Infanterie — hübſche 
Kerl, wat? — mit dem tang’ ich een zekere-tans!“ 

„Aber liebſtes Herz — Sie machen fich lächerlich !” 

„Bol me abwartel — In nächſte Tag’ gef ich ſelbſt 


— 542 — 


eene Dan8partij, wo allet, wat Kopp un’ Been hat, ins 
vitiert 13! 

„Ah, richtig! — Achtung, meine Herrichaften, ich 
bitte um8 Wort!” — Hechelberg klatſchte energijch in 
die Hände, alles drängt näher. 

„Wat will he widder loglafjen ?” 

„Kennen Sie ſchon die neuejte Anekdote, welche meine 
geliebte Freundin Hofitraten in Scene gefegt hat? — 
Nein?! — Bitte zuhören! Gutmütig und liebenswiirdig 
wie immer, will fie einen Monjtreball arrangieren.” 

„Auf dem du olle Sünder det einzigite Moniter bift!” 

„Sott fegne dich für dieſes Wort der Milde!” — 
Hechelberg freugte die Arme über der Bruft und fuhr 
auf ftürmifches Verlangen fort: „Dazu follten jämtliche 
Menjchen eingeladen werden, welche jemals ihre Karten 
im Hofftratenjchen Haufe abgelagert hatten. Die gnädige 
Frau ftülpt die riefige Alabafterjdale um und jagt zu 
dem Haushofmeifter; „Hier habbe Sie die ganze Brafjel 
— all’ die Leut’ werde inpitiert ! — und num febt fich 
der brave Herr Albert hin und fchreibt los. — Raten 
Sie mal, meine Herrjchaften, wen das jchneidige Holland 
zum Ball eingeladen Hat?’ 

„Ben? — Wenl!“ 

„Zebendige und Tote, Gerechte und Ungerechte, den 
alten Ercellenz Bubdenbach, der feit einem halben Jahr 
im Grabe liegt, den Major von Kirchbach, der jeit 
Anno 61 nad) Süddeutichland verjegt ift, und dem na= 
tirlich die Einladung nachgefdidt wurde . . .” 


— 543 — 


Weiter fam ber bösartige Bericht nicht, ein fchallendes 
Gelächter übertönte die Worte, Frau von Hofitraten aber 
ftedte gelafjen einen Theefuchen in den Mund und fagte: 
„Ad wat da, Snaden! — Wat fann ich dafür, daß der 
olle Buddenbach ohn’ mein Erlaubnis fin Pufte fahren 
läßt! — Wat mir een Vifit macht, wird invitiert, damit 
bafta.” — — Sprach's und fteuerte geradenwegs auf 
Frau Gower zu, um zu fragen, wer „der Lange dort 
mit ’n Rrullfopp fei?” 

Excelleng Gartner hatte fich müde in einen Seffel fallen 
laffen und Janek Proczna an ihre Seite gewintt. 

Die wafferfarbige Moire-antique-Schleppe ftrickte fich 
mit fdillerndem Silberglanz um die Füße des jungen 
Polen, und Frau Leonie felber neigte mit halb geöffneten 
Lippen das Köpfchen in den Naden zurüd, als fei die 
dunkle Lodenpracht viel zu fdwere Laft dafür. 

„Sie find heute abend ganz allein hier, Excellenz!” 

Shr Auge glänzte verjchleiert durch die dunklen Wim— 
pern. „Ganz allein. — Mein Mann ift fränfer denn 
je, jagte e8 mir aber erjt im legten Augenblid, um mid 
zu zwingen, hierher zu fahren; er ift jehr rückſichtsvoll 
und liebt e8 nicht, wenn anjtatt der Gajte die Abjagen 
kommen.” 

„Und Sie famen gern hierher, Excellenz?” 

Ihre Bruft wogte auf, fie preßte den entfalteten Fächer 
leidenjchaftlih gegen die Spigen und Rofenfelde. — 
„Selten Sie mid) undanfbar, genußfüchtig, leichtfinnig, 
Procgna — ja, id) bin gern hierhergefommen, e3 würde 


— 544 — 


mich Hergblut gefoftet Haben, zu Haufe zu bleiben, denn 
meine ganze Seele, mein ganzes Sein atmet hier, wie 
von dämoniſchen Gewalten angelodt und feftgehalten.” 

Er blidte ihr feft in das erregte Antlit. — „Daran 
glaube ich nicht, Frau Leonie!” 

„Und was verlangen Sie zu Ihrer Überzeugung ? 

„pen Beweis dafür, daß Ihnen zwei dunkle Augen 
zum Sdidjal geworden, den Beweis dafür, daß fie Ihnen 
alles gelten!” 

Ihre Lippen bebten, wie gebannt ftarrte fie in fein 
lächelndes Antlig empor, welches einen jo rätjelhaften 
Bauber über Weiberherzen ausübtel — Dann ging ein 
Slacern und Leuchten durch ihr Auge. „Wohlan, Proczna 
— id will e8 Ihnen beweijen!” — Sie wintte ihn mit 
einem Blid nod) näher heran. „Sch muß allein zurüd- 
fahren .. .” flüfterte fie mit heißem Atem zu ihm auf 
— gleichzeitig aber tönten die erften Walzerflänge durch 
den Saal, und Gräfin Kanys Stimme fragte in der Nähe 
mit grellem Distant nach ihrer „petite mignonne.“ 

Proczna unterbrad, fid) Haftig erhebend. — „Vor: 
ficht, Exzellenz — es gibt bier überall Ohren. Sie be— 
figen ja einen Bleijtift und eine Tanzkarte, wenn e8 
aud) fein roja Papier ijt, jo wird es für mich dennoch 
zur Morgenröte alles Glüdes werden, wenn ein paar 
füße, beraufchende Worte darauf ftehen. — Darf ich 
hoffen ? 

Sie nidte faft ungeftiim, Herr von Flandern drängte 
fich von der einen Seite, Gräfin Kany von der andern herzu. 


— 545 — 

„Darf ich bitten, Cxcellenz?“ — Flandern bot mit 
furzem Ceitenblid nad) Proczna den Arm — „unjer 
Balzer!” 

Leonie hatte fic) erhoben und der Hofdame beide 
Hände ent: 
gegengereicht, 
dannjchmiegte 
fie fich ver: 
traulid) an 
den Arm des 
Ulans. — 
„Haben Gie 
den Herr= 
Ichaften mit- 
geteilt . . .?” 

„Selbſtver⸗ 
ſtändlich — 
alles in vor⸗ 
trefflicher Ord⸗ 
nung!“ 

Präfiden- 
tin Gärtner 
wandte jichmit 
bligendem Auge zu Janet. „Sie wiſſen e8 auch jchon, Graf, 
daß wir und volljtändig von der anderen Gejelljchaft 
ifolieren? — Dort dad lebte Eckzimmer ijt bereits occu- 
piert, wir ziehen ung nad) jedem Tange dorthin zurüd I 

„Scharmant!” — lachte Proczna jehr laut auf. 

N.v. Eſchſtruth, IN. Rom. u. Nov., Polnif Blut II. 35 





— 546 — 


Gräfin Kany in orangefarbener Damaftjchleppe ge- 
tierte fic) vollſtändig als „Hof“ — fie trat einen kurzen 
Rundgang durd) die Gejelljchaft an, richtete hier und da 
ein huldvolles Wort an irgend eine Perſönlichkeit, ließ 
mit gnädigem Kopfneigen die diverjen Vorftellungen zu 
und drehte dem Kommandeur des Artillerieregiments 
ziemlich oftenfibel den Rücken. Go ftand e8 in dem 
Programm, welches Frau Leonie für die Intima ent: 
worjen. 

Das Unglaublide gefdah. Die Ulanen zogen fich 
mit ihren Damen nad) jedem Tanz in das Edzimmer 
zurüd, welches von ihnen vollfommen mit Beichlag belegt 
war. Außer Fürft Heller-Hüningen und Frau von Hof⸗ 
ſtraten tanzte niemand aus dem Regiment mit den übrigen 
Gäſten Leutnants Gowers, nicht einmal mit der Gaſt⸗ 
geberin ſelber. Gräfin Dynar, von welcher man es am 
wenigſten erwartet hatte, tanzte zwei Tänze mit fremden 
Herren, einem Infanteriſten und einem Artilleriſten, fie er— 
öffnete den Ball mit Leutnant Gower, gleichzeitig mit 
dem zweiten Paar, welches Fürſtin Reuſſek und Graf 
Hechelberg bildeten. Man war ebenſo entzückt von der 
Liebenswürdigkeit der als ſo unnahbar verſchrieenen Gräfin 
Dynar und der Originalität der Frau von Hofſtraten, 
als man über das Benehmen der anderen Damen und 
Herren in deutlichſter Weiſe empört war. 

Nie zuvor war die ſchroffe Stellung der Regimenter 
ſo deutlich zu Tag getreten, als an dieſem Abend, anſtatt 
ſich zuſammenzuziehen, wurde die Kluft immer breiter 


— 547 — 


geriffen und der Game der Zwietracht üppiger denn je 
geftreut. 

Frau von Hofitraten wurde von Leutnant von Weyer: 
Sensfeld in die „Hofloge” zurüdgeführt. 

„Ne, Kinner, jollte man’s nur für menjchenmöglic) 
halten, daß ihr wie die Klette hier mitjamme hot! — 
Drinne im Saale jpude je Gift un Gallen, de Pat: 
faffern! ... Ich möcht! eure Frechheit nicht abmalen, 
gab ’n guten Kladderadatjch!!” 

„er weiß, meine Gnädigite! Vielleicht ein paar äußerſt 
interefjante Randzeichnungen |” 

„Snaden! — wenn mer euch allzufammen mit all 
eurer Marotte in ein’ Roman jchrieb, würde die Leut 
jchreien: So was fann gar nicht pajjiere! — is geflunfert! 

. . und Dod) iS die helle lichte Wahrheit!” 

„Käme ja auf die Probe an, fchneidiges Holland, jegen 
Sie fich ’mal hin und fdjreiben fie einen Noman, mit 
mir, dem Intimus Hechelberg als Iyrijchen Helden.” 

„Olle Quatjchlopp, würde ’3 ganze Publifum Leif 
jneiden friegen, wenn der Held jo'ne Falſtaff wär, wie 
Sie! ... Ne, ich freiw fein Roman, aber ich weiß eine, 
die lad’ ich hierher ein, die ſoll euch "mal bei die Ohren 
nehmen un’ ind Tintefaß tütſche!“ 

Proczna fühlte, daß Xenias Blick verftohlen auf ihm 
haftete und ihn beobachtete. 

Erxcellenz Gärtner jchritt an ihm vorbei in den Tanz- 
faal, fie gab ihm einen unmerflichen Wink. — „Verwahren 
Sie meine Tanzfarte jo langel” — und in großer Haft 

35* 


— 548 — 


drüdte fie ihm das zujammengefaltete Rartonpapier feft 
in die Hand. — Janek entfaltete es gelafjen und blicte 
darauf nieder. Die ganze Nüdjeite der Karte war be- 
jchrieben. „Fahren Sie mit mir nad) Haufe — gehen 
Sie etwas früher fort wie ich und erwarten Sie mich in 


dem Wagen. — In meinem Boudoir werden wir ganz 
allein jein, für Die Disfretion des Dieners und der Sungfer 
bürge id) — und jollten fie dennoch plaudern?! — va 


banque! ich trete die Meinung einer ganzen Welt unter 
die Füße, wenn mir diejelbe den Weg zu Bhrem Herzen 
fperrt!” 

Procznad Auge glühte auf; er barg das foftbare 
Blättchen in der ficherjten Taſche feines Portefenilles. — 
Als er aufblidte fah er in Flanderns Geficht, welches 
mit einem unjagbaren Ausdrud des Hafjes die fcharfen 
Augen auf ihn richtete. Ein Gedanke bligte durch fein 
Hirn, langjam jchritt er auf den Ulan zu. 

„Haben Sie diejen Tanz nicht engagiert, Herr von 
Flandern?“ — 

„Nein! — paufiere. — Finde e8 urgemein, wenn die 
Gäſte wie Torfitampfer arbeiten ſollen!“ 

„Ganz Ihrer Anficht. Sie jehen, ich habe im Augen= 
blick ebenfalls feinerlei Verpflichtungen, darf ich bitten, mir 
zur kurzen Unterredung in das Büffetzimmer zu folgen?“ 

Flandern jtarrte den Sprecher mit halbojfenem Munde 
an, dann verneigte er fic) ganz hajtig. „Mit größtem 
Vergnügen, lieber Graf — wenn wir dadurd) nicht die 
Ankunft des Prinzen verjäumen !” 


— 549 — 


„Auguſt Ferdinand fommt um 10 Uhr, wir haben 
eine volle halbe Stunde Zeit.” 

„Eh bien — gehen wir.” Der Ulan jchob den Arm 
in denjenigen Procznas und fchritt mit ihm quer durd) 
den Tanzjaal in ein jchmales Eeitenzimmer, in welchem 
etliche alte Herren eine Partie arrangiert hatten. 

Flandern warf fi in einen Edjeffel, Janet nahm 
ihm gegenüber an dem fleinen Mormortiſchchen Plas. 
„Trinken Sie vielleiht etwas?” 

Der Protegé der Präfidentin rümpfte unfagbar ver: 
ächtlich die Naje. „Sterbe lieber! — Fallen Sie um 
Gottes willen nicht auf die Arznei "rein I“ 

Proczna lächelte. „Alſo zur Sache. — Darf id) offen 
und ehrlich zu Ihnen reden, verehrtefter Ramerad? Mein 
Anliegen ijt durchaus disfreter Natur und appelliert an 
ihren ritterlichen Sinn, welcher nie und nimmermehr eine 
Dame fompromittieren wird!” 

„Wort darauf. — Eine Dame? — Bitte, jprechen 


Cie, ic) bin jehr gejpannt!” — — — Er legte die 
Arme auf den Tijd) und ftarrte auf die Lippen jeines 
Gegeniibers. 


Sanef dämpfte feine Stimme. „Sie wiffen, daß ich 
das volle Vertrauen Leonies befite!” 

vom ... Vertrauen der Excellenz Gärtner!” — 
Flanderns Stimme lang jcharf, er zwirbelte nervös den 
Schnurrbart. 

Procgna zudte gleichmiitig die Achjeln. „Wozu jebt 
foldje Förmlichfeit! — Wir find ja Verbündete in diefem 


— 550 — 


Augenblid und wiſſen beide ganz genau, wie wir mit 
der befagten Dame ſtehen.“ 

Der Ulan zudte empor. „Wie wir ftehen?” fragte 
er gedehnt. 

„Ih bin Leonies Vertrauter, beiter Flandern, 
glauben Sie wohl, daß Sie mich al3 foldjer auch in den 
Blättern Ihres Tagebuches lejen läßt, welche Shren 
Namen als Helden nennen ?” 

„Anmöglid . . . Sie wiſſen nur um das Kapitel 
Branca |” 

Janek lachte leife auf. „Und wenn ich aud) um das 
Kapitel Flandern wüßte, und fogar recht genau unters 
richtet wäre?” 

Fieberifche Nöte ftieg in die Stirn des jungen Offi— 
zierd. „Aus welchem Grunde hat Ihnen Leonie Mit: 
teilungen gemacht, zu deren Publifationen fie nicht das 
mindefte Recht hat, und durch welche fie fic) ſelbſt am 
meijten fompromittiert?” fragte er gepreßt. 

Proczna wurde fühner, er hatte auf den Bufch ges 
flopft und die Antwort daraus erhalten, welche er erwartet 
hatte. Er legte die Hand auf den Arm des Ulans. 
„Seien wir offen, BVerehrtefter, es bringt ung am jchnelle 
jten zum Biel. Sie wiljen, daß ich die Schleppe der 
ſchönen Frau trage und ihr huldige. Der alte Präfident 
ift ein verlöfchendes Licht, über Nacht fann die reizende 
Frau zur Witwe werden. Nun verzeihen Sie mir die 
Frage, zu welcher ich ein gewijjes Recht habe: ‚Beab— 
fichtigen Sie Leonie zu heiraten, wenn fie frei wird?” 


— 551 — 


Namenlofe Beitürzung malte jich in den charafterlofen 
Zügen Flandern3, er fuhr zurüd, al habe er einen 
Schlag in das Geficht erhalten. „Um Himmels willen, 
wie fommen Sie auf ſolch eine rajende Idee, Proczna! 
Sit das womöglich gar die Idee der Präfidentin jelber ? 1” 

Janek gucte die Achſeln. „Haben Sie ihr feine 
Veranlafjung zu diefem Glauben gegeben? Die Frauen 
nehmen einen Kuß alg Schwur und einen Händedrud 
ala Gelübde!“ 

Ein faſt brutales Gelächter war die Antwort. „Sit 
das Weib etwa toll geworden? Könnte beinahe meine 
Mutter fein, und bildet fich ein, ich würde Ernjt machen! 
Nein, Proczna, dazu fenne ich meine Pappenheimer denn 
doch zu genau! Cour machen ... Rendezvous geben, 
das hübjche Larvdjen, welches jo bereitwillig dargeboten 
wird, ’mal abfüffen ... dad laffe id) mir gefallen, aber 
heiraten? ... Hahahal ... Ich könnte Krämpfe friegen 
vor Laden!” 

„Man fagte mir jüngit, die jchöne Frau habe eine 
etwa3 bewegte Vergangenheit . . .” 

„Bewegt? — ſtürmiſch, fag’ ich Ihnen! — Wenn 
die ’mal ihre Memoiren niederjchreibt, jengelt das Papier 
unter der Feder! — Bah, was macht man fich fchließlich 
daraus, der Hausfreund ijt eine importierte Parifer Mode, 
und mit dem Rofenamen ‚petit Versailles‘ renommieren 
die flotten und lebensluftigen Garnijonen im Norden und 
Süden der deutfchen Lande! — Fit ja auch ganz amüfant 
und pifant, jo was, aber doc) fein Gedanfe an Heiraten 


— 552 — 


dabei — zum Teufel! und nicht ’mal das nötige Klein: 
geld hat die Perjon! Wenn der Alte die Augen zuthut 
und das riefige Gehalt wegfällt, was bleibt dann? ... 
Kartoffeln und Hering und fein feidenes Taillenfutter! 
Hahaha!! ... Wenn fie noch ein Goldfifchchen ware, 
und auf ihr Herz ein paar Hunderttaujendthalerjcheine 
Heben fünnte, damit man den Knacks nicht jo fieht, den 
e3 mweggefriegt hat —! ... Sch bitte Sie um alles, 
Proczna, reden Sie dem Ungliicsvogel die Heiratsgedanfen 
aus! — Meine Courmacherei hatte weiß Gott andere 
Zwecke, fie war nur eine Sprofje an der Leiter, welche 
emporführt, hol’3 der Geier! Und jegt verjtehe id) auch 
ihre Sorge, mich über Ihre Huldigungen zu tröften! Ich 
Ejel mache ihr eben nod) bittere Vorwürfe, und da ſchwört 
fie mir bei allem, was ihr heilig fei, jeder Gedante ihres 
Herzens gehöre mir — haha! ... und in demjelben 
Moment jchrieb fie Bhnen wohl ein ſüßes Billetchen ? 
Was? Na nur "raus mit der Sprache!” 

Ein undefinierbares Lächeln zudte um die Lippen des 
jungen Bolen. „Nein, im Gegenteil, fie weiſt jede Anz 
näherung im Gedanken an Sie zurüd . . .” 

„Pech und Schwefel noch eins! Da fite ich ja nett 
in der Tinte!” Flandern lachte frampfhaft auf. „Nun 
aber: ’mal abhaljtern !” 

„Sie werden doch nicht ritcfidjtslos vorgehen ?” 

„Mein, alter Freund, dazu find mir leider die Hände 
zu gewaltig gebunden, fie würde mir zur Nevanche das 
Genid brechen. Solang der Alte nod) lebt, muß ich 


— 553 — 


mich behutjam durch die Klippen lotſen, wenn aber die 
Herrichaft der Frau Lconie ein Ende hat — —“ 
Die Zähne 
bligen grell 
auf unter 
dem jpißen 
Schnurr⸗ 
bart . 
Pique= 
bube!! 
Eine 
Bewegung 
ging durd) 
die ver⸗ 
fchiedenen 
Herren: 
gruppen, 
welche am 
Büffetitan- 
den, ein 
Wagen 
hatte vor 
dem Haufe 
gehalten. 
„Rod 
einen Moment“, bat Jane haftig, „ich bin in der Lage, 
Cie aus der Schlinge zu löjen, wenn Sie mir ein einziges 
Billet von Leonies Hand, an Sie gerichtet, verjchaffen können.” 





— 554 — 


„Gut gefagt, alter freund, folde Billets find rar, 
denn die Heine Schlange weiß es ja aus Erfahrung, wie 
peinlich jo etwas Schriftliches werden fann, aber warten 
Sie... Hier ... etwas hab ic) doch ...“ er zog jein 
Portefeuile und wiihlte mit zitternden Fingern in den 
Papieren . . . „hier diefen Zettell . . . Verwenden Sie 
ihn — vielleicht genügt er.” 

„Bann gejchrieben 2” 

„Seitern. — Und ic) fann mid) thatfächlich auf Sie 
verlajjen ?” 

„Mein Wort darauf.” 

„Toujours à vous!“ — Flandern fchiittelte ihm haſtig 
die Hand, „betrachten Sie meine Geitändnifje, welche 
Ihnen die Augen geöffnet haben, alg Dank! au revoir, 
Königliche Hoheit ift angefahren!” 

Er ftürmte mit heißem Kopf davon, Janek aber 
überlas tief aujatmend den zerfnitterten Papierjtreif: 
„Richt wie gewöhnlich fommen — fahre um drei Uhr 
den befannten Weg. Promenieren Sie, ich nehme Sie 
im geſchloſſenen Wagen auf.” — — Die Schrift jollte 
verftellt fein, war aber ohne jeden Zweifel zu erkennen. 

„Nun follen deine Thränen trodnen, Anna Regina, 
die Stunde der Vergeltung ift gekommen!” 

Auguft Ferdinand bechrte das Feit jeines Adjutanten, 
trog mancherlei Hinderniffe und der nod) immer anz 
dauernden Erkältung der Prinzejfin, mit höchitfeinem Bes 
fuch. Derjelbe follte die Form der Überrajchung tragen. 

Die Ulanen erwarteten Seine Königliche Hoheit bereits 


— 555 — 


an der Thür, Fürft Reuſſek occupierte fofort die linfe 
Seite de3 erlauchten Herrn und die andern Offiziere 
jeine3 Regimentes bildeten die Suite, faum dem Haus: 
herrn den Bla in ihrer Mitte gönnend. 

Auguſt Ferdinand begrüßte Frau Leutnant Gower 
und reichte der Fürftin Neufjet, welche neben diefelbe 
getreten war, freundjchaftlichjt bie Hand; — wie eine 
farbenjchillernde Wolfe jchoben fich die Damen der exflu: 
fiven Hofgejellichaft in den Weg des hohen Herrn, tiefe 
Knidje und Begrüßung, hier und da ein längeres Plau- 
dern, und ehe man e3 nur ahnte und merfte, war der 
Prinz von einem Ring umjchloffen, welcher ihn hermetijch 
abzujperren jchien. Bei der furzen Tournee, welche er 
{pater hielt, blieben die Ulanen wanfellos an feiner Seite, 
eine ftumme, peinlich-dämpfende Staffage zu der außer: 
ordentlichen Liebenswürdigfeit, mit welcher Auguft Ferdi- 
nand die Gäfte feines Adjutanten auszeichnete. 

Nachdem der hohe Herr zwei Tänze mit angejehen 
und eine Grfrijdjung genommen hatte, verabjchiedete er 
fih. Es lag eine Wolfe auf feiner Stirn, mit fcharfem 
Blick ſchien er die ſchwüle Stimmung zu erforjchen, welche 
auf den meiften Geſichtern lagerte. 

Nur vier Augen jchauten ftrahlend vor Freude und 
Entzüden in die Welt, die des jungen Heller-Hüningen 
und feiner allerliebjten Tänzerin. Sie waren fchier un- 
zertrennlich! Donat holte fic) in jedem Tanz eine Extra- 
tour, und Bidy hatte für die Pauſen einen „Stammfig” 
erforen, wo man fich jedesmal zufammenfand. 


— 556 — 


Mit zärtlihem Blick mufterte Heller-Hiiningen das 
Bäschen, welches aus einer duftenden Tüllwolfe wie ein 
rundes, appetitlices Nojenfnöjpchen auftauchte. Die 
Unterhaltung war nicht gerade eine WAuslefe geiftiger 
GSalgtirner, aber fie war ganz echt und umverfäljcht, 
gerade fo ausgejprochen, wie fie gemeint war. 

„Ihre Arme find eigentlich gerade fo did wie Ihre 
Taille, Vicky!” 

pit das ein Eloge?” — Bhre Augen fdhlugen fic 
groß auf. 

„Aber eine hölliihe! — Wenn ich ein Menjchenfrejjer 
wäre, würde id) Sie gleich anbeifen!” 

„Es fommen ja im Frühjahr welche hierher”, Bidy 
rüdte eifrig mit ihrem Sefjel vor — „Kariben heißen 
fie, und freffen lebendige Karnickel!“ 

„Sie meinen wohl Karaiben, liebe Beatrix!” Donat 
nahın eine jehr jelbjtbervußte Haltung an und ergriff 
den belehrenden Ton: „Die Karaiben find nämlich ein 
Qndianerftamm ... in der Nähe von Guayana ... da 
unten, wijjen Sie, das Land, welches irgend fo ein 
Schriftiteller für jeinen Lederſtrumpf erfunden hat! Früher 
waren die Karaiben über ganz Wejtindien verbreitet, 
aber jegt hat man fie natürlich ganz folofjal gufanunen- 
geichofjen — verfluchte Kerls! Frefjen die lieben Nächiten 
ohne Pfeffer und Ealz und vollführen einen Gefang und 
Tanz bei diejen Diners, daß einem das Trommelfell 
plagt!” 

Kenia würde jofort gemerft haben, woher die Weis: 


— 557 — 


heit be8 jungen Strategen ftammte, er hatte im Gedanfen 
an Bickys felbjtverjtindlides Interefje die Zeitung griind- 
lid) ftudiert. — Die Kleine blictte in faſt angftvoller 
Bewunderung zu ihm auf. 

„Sie wifjen aber aud) alles, Donat — man mag 
fprechen über was man will. 

Fürſt Heller-Hüningen verfuchte feinen Schalf Hinter 
jehr würdiger Miene zu verbergen: „Der Mann muß 
dem Weibe ftets an Wiffen und Erfahrung überlegen 
jein, dann gibt e8 eine riefig glüdliche Sache! Ich ſage 
Ihnen, Bidy, es ijt ein folofjal patentes Gefühl, wenn 
man fich jelber jo geiftreich vorfommt, noch jchneidiger 
beinahe, al8 wie wenn man einen Gaul, der fchrammen 
will, noch rechtzeitig wie eine morjche Latte zuſammen— 
reißt! Apropos .. . Sie erklärten eben, ich wüßte alles... 
non — ftimmt nicht, etwas gum Beijpiel möchte id 
riefig gern wiffen... aber ... ic) friege es abjolut 
nicht heraus!” — Er jah die junge Dame mit tiefen 
Augen an, die weißen Zähne blinften fofett durch den 
Cchnurrbart. Das war Beauty-patchs unwiderjtehlichjtes 
Eroberungsgeficht. 

Bicky blinzelte ihn von der Seite an, halb entzüct 
und halb verlegen: „Weiß ich e8 denn? ...“ 

Donat ließ die Sefjelquaften an den Armlehnen 
Kobolz jchlagen: „Na, aber jelbftverftindlid! — Sie 
einzig und allein.” 

„So fagen Cie doch, was Sie meinen!” 

„Heute noch nicht, erjt zum Schluß der Saifon, e3 


— 558 — 


ift ja fo nod) viel intereffanter, man hat immer etwas 
Angenehmes zu denfen, wenn man Rekruten drillt.” 

Und wenn Sie e3 gejagt haben, nicht mehr?” 

„Dann fehlt die Aufregung, e8 fommt jo ein gewiffes 
Gefühl von Behaglichkeit und Phlegma! Übrigens, Bicky, 
wenn nachher im Cotillon die Bändertour fommt, dann 
nehmen Sie immer rot, ich thu's auch, und dann finden 
wir und natiirlid) — pfiffig, was?” 

Biddy nidte jehr eiirig und teilte ihm Hinter dem 
Vader mit, daß fie alle Orden ihm allein bringen würde, 
was Donat „ganz patent!” fand. Dann afen fie um 
die Wette Banille-Creme und tanzten wieder flint ’mal 
rum! 

Sanef war an Xenias Seite getreten. „Wiſſen Sie, 
daß foeben ein Telegramm den Ausbruch der polnischen 
Revolution meldet?” flüjterte er ihr Haftig zu. 

Sie gucte zufammen. „Alſo wirklid)? O mein Gott, 
Janek, wie wird e8 enden!” 

„Die Unruhen haben fic) gefteigert”, fuhr Proczna 
erregt fort. „Die provijorijche Nationalregierung hat 
durch eine Proflamation dag polnische Vol zu den 
Waffen gerufen! Der ganze Adel, die Geiftlichkeit und die 
ftadtijdje Bevölkerung fteht auf feiten der Injurreftion, 
ein großer, gewaltiger Kampf um Leben und Freiheit 
fteht bevor, und Ojtrolenfa wird jeine Gräber öffnen 
und die Heldengeifter emporjteigen lafjen, ihr blutig 
Banner auf das Schlachtfeld zu tragen!” 

Xenias bebende Hand legte fic) auf jeinen Arm, wie 


— 559 — 


in Todesangit beſchwörend traf ihr Blick fein flammendes 
Auge. „ES wird ein vergebliches und nußlojes Blut: 
bergießen werden, Janef, neue Gräber werden aufgeriffen, 
neue Trümmer auf Oftrolenfas Ruinen getürmt, und 
alles umfonjt, alles ein Kampf ohne Sieg, Polen ijt die 
Maria Stuart in der Gejchichte zerfegter Lander und 
Reiche, ein Hilflofes, gefnechtetes Weib, welches in Ketten 
verblutet! — Ewig wird Polen Mitleid und Sympathien 
finden, niemals Hilfe!” 

Sanef atmete jchwer auf. „Das verhüte Gott. Noch 
rollt polnisch Blut durch Menjchenadern, noch ijt Polen 
nicht verloren !” 

Subelnde Tangweifen erfticten feine Worte, Xenia 
aber umjchloß noch fefter feinen Arm. 

„Geben Sie mir genaue Nachrichten über den Verlauf 
und die Ausbreitung des Aufjtandes, Sanef, ich interejfiere 
mid) dafür. Kommen Sie morgen etwas früher zu mir, 
damit Sie erzählen finnen, ehe die Gajte kommen!“ 

„Ganz recht, id) werde ja morgen abend bei Ihnen 
fingen, juft fo wie das erjte Mal, als ich der hiefigen 
Gejellichaft befannt gemacht wurde. „Wunderlich! er 
ftarrte nachdenklich vor fich nieder, Dann hob er jah das 
Haupt. „Ich werde fommen, Xenia, und . . . Gott fei 
mir an diejem Abend gniidig!” 

Sie blickte jragend, angjtvol zu ihm auf, er aber 
wandte fich kurz ab und jchritt haftig durch die Menge. 

Die Kerzen fladerten im Luftzug, vor Xenias fieber: 
heißen Augen aber war e8, als gehe ein grelles Bligen 


— 560 — 


durch die Luft, als ziehe e8 wetterleuchtend am Horizont 
auf, mit Donner und Sturm über ihr Haupt dabhingu- 
braufen; wehe ihr, wenn fie fleinmiitig darunter zufammen= 
bricht, wenn fie fic) nicht an jene einzige Stüße Hammert, 
welche fejtftehen wird in Wetter und Graus, an die Liebe, 
die todesmutige Liebe, welche hinaustreibt in den Kampf, 
hinaus bis in das feindliche Heer der Koſyniers! 


nz 


BS ap Sage aeg> eg ag 


XXV. 


ürſtin Reuſſek brach bereits eine halbe Stunde 
vor der beſtimmten Zeit auf. Die Damen ihres 
Kreiſes ſchloſſen ſich ihr ſelbſtverſtändlich an. 

Frau von Hofſtraten hatte juſt dem „Krullkopp von 
de Infanterie“, welcher ganz beſonders Glück bei ihr 
gemacht zu haben ſchien, den großen Sonnenorden auf 
die Bruſt geheftet mit der lakoniſchen Bemerkung: „Der 
Stern hier ſteht ſin Mann! der is ein Junges von dem 
zackige Geſtarnte der Heilige drei König aut het osten! 
Wann he ſin Zeit erfüllt hat, könn Se ihn als Ofen— 
ſchirm aufhandeln!“ 

Der Krullkopp ſchwur einen Meineid, ſich nie wieder 
von dieſem koſtbaren Souvenir zu trennen, was ihm ein 
höchſt wohlwollendes „olle Slechtſchwätzer!“ und einen 
Fächerflaps gegen den Arm eintrug. Die Fran Mitt 
meijter hatte frijch, frei und fröhlich die jämtlichen fremden 
Tanger durchgetangt, und mit den dazu gehörigen Damen 
„een Babbel gehalten” — und jchied endlic) mit Hinter: 


lajjung größter und aufrichtigiter Cympathien. 
N.v. Eſchſtruth, Il. Rom. u. Nov, Polniſch Blut II, 36 


— 562 — 


„Hechelberg, kommens ’mal rann, aber trapp!” 

Der wohlgenährte Intimus wuchtete behaglich hergu: 
„Mumöglich, ma donna! ch bin nicht beritten!” 

„Slabaftern Ce 'mal adjter min Mann drein, he 
joll mir mein Echabrack Hier ing voorvertrek bejorgen!” 

„Ich Fliege!“ 

Frau von Hofitraten ſchnitt eine bedauernde Grimaffe: 
‚Netter Engel! de Wolfen frachen durch, wenn be fif 
opjwingen wollt! !” 

Flandern Hatte fich feinen Paletot ebenfalls in das 
Vorgimmer geholt. Er dehnte die Arme mit einem bla= 
jierten und rücjichtslofen Aufgähnen. „Das war ’mal 
wieder ein Vernügen!!“ 

„Slauben Sie etwa für ung, Herr von Flandern ?” 

Der Gefragte fuhr herum, Hinter ihm ftand Frau 
Leutnant Gower, welche Frau von Hofitraten den ver- 
gefjenen Fächer nachgetragen hatte, ihr Auge ruhte groß 
und brennend auf den fcharfen Zügen des jungen Offiziers. 

Flandern murmelte unter mehreren Verneigungen ein 
paar umverftändliche Worte, die Frau Nittmeijter aber 
fagte in ihrer draftiichen Weife: „Recht jo, liebe Gower, 
geben’s ihm wat Feites auf'n Snabel! Die jungen Lent 
heutzutage habe’ fein Gejchmad mehr, ich für mein Teil 
hab’ mich heerlijf auf ihre Danspartie amüfiert!” 

Excelleng Gärtner hatte fehr gezögert; al8 die meiften 
Equipagen bereits abgefahren waren, Hufchte fie eilig, 
wie eine fchleierverhüllte Schattengeitalt, die Treppe hinab 
nad) ihrem Wagen. 





— 564 — 


Der Diener rif den Schlag auf, fie ftieg haftig ein 
— erſchrocken — fajt guriictaumelnd, der Wagen war leer. 

Proczna hatte fic) vor ihren Augen im Korridor ver- 
abjchiedet und war gegangen. Warum erwartete er fie 
nicht hier, der Verabredung gemäß? — Vielleicht war 
es ihm durch irgend welche Borfomniffe unmöglich ge: 
macht. Wie betäubt fanf fie in die fchwellenden Kiffen 
zurüd, die Pferde griffen aus und ftürmten davon. 

Als die Präfidentin ausftieg, die Treppe zu ihrer 
Hausthür emporzujchreiten, trat die hohe Gejtalt Procznas 
aus dem Schatten der Pfeiler neben fie. — „Pardon, 
Erxcellenz, darf ich für einen furzen Augenblid noch um Ges 
hör bitten? Eine Angelegenheit von dringendjter Wichtigkeit.” 

„Proczna, Sie noch hier?!” flang es ihm fast atem- 
(08 entgegen, „jelbitverjtändlich empfange id) Sie noch, 
wenn aud) zu recht ungewohnter Stunde! — Leuchten 
Cie vorauf, James, und fteden Sie in meinem Zimmer 
Die Krone an!“ 

Beraufchend ſüßer Duft wehte durch das fleine Bou— 
doir. Gedämpftes Licht floß wie Mondjchein mehr vers 
jchleiernd, wie erhebend, durch die breiten Fächerblätter, 
welche fich geheimnispoll jchügend über dem Diwan 
wölbten; mit lodend ausgebreiteten Armen jchwebten die 
rojigen Körperchen der Amoretten auf Wandfonjolen und 
Etageren, und inmitten der ſchwülen, zauberhaften Stille 
ftand Leonie, umjchimmert von Seide und Blüten, be= 
ftridend ſchön wie die Melufine, welche mit jchneeweißem 
Kaden und Arm aus Wellenfhaum, aus Echilf und 


— 565 — 


Lilien ſteigt. Und fie breitete die Arme aus, lächelnd, 
voll glühender Sehnſucht — „Janek!“ 

Negungslos ftand er ihr gegenüber, mit finjterem Blick 
hob er das Haupt. „Wozu ſolch eine Komödie, Ercellenz, 
ich bin nicht der Mann, welchem ein jeder Ihrer Wtem- 
züge gehört, ich bin nicht Herr von Flandern, welcher 
früher wie ich diefe jchönen Lippen küßte!“ 

Shre Arme fanfen Hernieder wie gelähmt. ,, Was 
reden Sie für wirre Dinge, Procgna — was hat Herr 
von Flandern mit diejem Augenblick zu thun?!” 

„Wiſſen Sie e8 wahrlich nicht?!” Janek kreuzte die 
Arme über der Brujt und jah ihr mit durchdringenden 
Blid in das Auge. „Die Wände haben manchmal Ohren 
und belaufdjen die Worte fchiner Weiber, welche dem 
einen Anbeter glühende Liebe und Treue ſchwören und 
dabei für den andern eine Einladung zum Rendezvous 
auf die Tanzfarte jchreiben!” 

Die Wangen Leonies waren allzujehr durch die Kunſt 
maskiert, fie fonnten fic) nicht entfärben, aber die Lippen 
gitterten und der Bli wurde ftarr und glanzlos. 

„Eine Berleumdung ... eine empörende, nichtswürdige 
Verleumdung ... Flandern ijt eiferfüchtig und greift zu 
den erbärmlichjten Mitteln, ung zu entzweien! PBroczna !” 
Leonie warf fich leidenfchaftlich an jeine Brujt und jtrecte 
die blendenden Arme um jeinen Naden. „Glaube an 
mich, fieh in meine Augen und traue ihnen mehr, als 
den neidijchen Einflüfterungen fremder Zungen! Did 
liebe ich, Du haft meine Seele zu eigen genommen.’ 


— 566 — 


Er rif fic) faft ungeftim von ihr [08 und fchleuderte 
verächtlich die Hand zurüd, welche die jeine umflammerte : 
, Ssollten Sie das dem Herrn von Flandern viclleicht 
mmitteilen, wenn Sie ihn in dem gefdlojjencn Wagen 
auf dem ‚befannten Weg‘ erwarten?’ 

Sie zudte zujammen, wild auffahrend wie eine gereiztc 
Löwin. „Welch eine Beleidigung, Proczna! Wie wagen 
Sie e8, ein wehrlofes Weib jo unausjprechlich zu kränken!“ 

Gelafjen öffnete er fein Portefeuille und hielt ihr den 
Papierjtreifen Flanderns entgegen. „Sie follten doch 
wifjen, Excellenz, wie fatal fold) ein paar Heilen werden 
finnen! Es war wirklich recht viel Pech, daß gerade mir 
ein Zufall diejes Blättlein in die Finger jpielen mußte!” 

Leonie hatte fick) mit zornbligendem Auge geneigt, die 
Worte zu lejen, wie von einem Schlag getroffen prallte 
fie zurüd und jchlug Die Hände vor das Antlih. „Uner— 
hirter, jchändlicher Verrat!” rang es fich zijchend von 
ihren Lippen, fie wantte gegen den Diwan, warf fich 
darauf nieder und prefte das Antlig aufjchluchzend in 
die jeidenen Kiſſen. 

Proczna trat neben fie. „Sie irren fic), Excellenz, 
wenn Sie Verrat im Spiel glauben, e3 müßte denn 
der jein, welchen Sie felber an jich und Ihrem bedauern3- 
werten Gatten begingen, als Sie fic) leichtfinnig einem 
Mann in die Arme warfen, für deffen Charakter Sie 
feinerlei Garantien hatten. Welch wunderliche Verirrung 
Shres jcharfen, defpotijden Geiltes, deffen Element es 
war, Schlingen gu legen und Nebe gu weben und der 


— 567 — 


fi) nun in dem nämlichen Garn fängt, welches ihm zum 
Gängelbande anderer gedient hat!” — Einen Augenblic 
berrjchte tiefe Stille, Leonie regte fich nicht. 

„Sum legtenmal ftehe ich Ihnen heute gegenüber, 
Excellenz“, fuhr Janek milder und leifer fort, „zum 
leßtenmal wenigjtens, wo e3 mir möglich ijt, offen und 
rückhaltslos zu Ihnen zu ſprechen.“ 

Sie ſchrak empor, weit offen, thränenlos ftarrten ihn 
die Nirenaugen an. „Nur das nicht, Proczna!“ unterbrach 
fie ihn außer fich, „nicht jo von mir gehen im Groll und 
Born! — Schwachheit, dein Name ift Weib! —“ fie 
hob die weißen, Frampfhaft verjchlungenen Hände zu ihm 
empor, die Goldreifen fielen flirrend auf den Arm zurüd, 
ein füßes, bedeutfames Lächeln jpielte um ihre Lippen — 
„und ich war jdwach, weil ich Sie liebte! Weil ich die 
Eiferfucht Flanderns fürchtete, verſtrickte ich mich in ein 
Liigengewebe, welches ihn täujchen jollte, um mich an ein 
rettend Ufer zu flüchten, taumelte id) tiefer und tiefer in 
die Flut. Procgna ... wer viel liebt, dem wird viel 
vergeben — auch ich liebe über Maß und Biel, und aud 
Sie werden nicht im Haß von mir fcheiden .. .” 

Sie hatte fich langjam erhoben, näher und näher 
jchmiegte fie fic) ihm entgegen, wie eine heiße, verzehrende 
Flamme, die dem Sturmwind, welcher fie löjchen will, 
ſchmeichleriſch entgegenzüngelt. 

Janek fchitttelte ernjt das Haupt. „Sch habe Ihnen 
weder etwas nacjzutragen, noch zu verzeihen, Excellenz, 
denn Ihre vermeintliche Treulofigfeit hat mir gottlob 


— 568 — 


{cine Wunde gejchlagen, und ich bin kunſtſinnig genug, 
die vortreffliche eine Komödie, welche Sie mir in diverſen 
Akten vorjpielten, als wirklich recht amiijante und geſchickte 
Leiftung anzuerfennen! Einen Rat aber möchte ic) Ihnen 
noch geben: Sollten Sie fich wahrlich dereinft, wenn Sie 
frei jein werden, aufrichtig verlieben und Gegenliebe 
erhoffen, dann ändern Sie die Rollen in dem ernjten 
Luſtſpiel! Eine ‚Lady Tartüffe‘ findet wohl ftet3 einen 
Liebhaber, niemal3 aber einen Gatten, denn nur Die 
Achtung, Excellenz, ift das Fundament, auf welchem 
Hymen feine goldenen Thore erbaut!” 

Negungslos ftand fie ihm gegenüber, ihr Antlik ver- 
zerrte fic), ala wolle fie gellend auflachen, ihre geballte 
Hand preßte fich gegen die Bruft, als miifje fie fich 
felber zurüdhalten, nicht die Fingernägel in feine Augen 
zu graben. 

„Sch danfe Ihnen für den freundichaftlichen Rat, 
Janek Proczna“, jagte fie mit heijerer Stimme, „und 
werde denfelben berüdfichtigen. Sie wollen alfo meiner 
Zukunft nicht das Meffer an die Kehle jeßen 2” 

„Nicht im mindejten !“ 

„So feien Sie barmherzig und geben Sie mir die 
beiden Billets zurück!“ — fie jah mit erlöſchendem Blick 
zu ihm empor, flehend faltete fie die Hände über der 
Bruft, das Bild eines jammergebrochenen, todelenden 
Weibes. 

Proczna durchichaute die Komödie. „Selbjtverjtänd: 
lid), die Schriften ftehen Ihnen zu jeder Zeit zur Ver— 


— 569 — 


fügung — inter einer Bedingung!” Cr öffnete fein 
Portejeuille und nahm die Papiere heraus, mit fait 
gieriger Hajt griff Leonie zu. „Geben Sie — ich ver: 
ipreche alles!” 

Gelafjen hielt er die Blätter zurüd. „Tauſch um 
Tauſch, Excellenz, darf ich Sie bitten, mir die fleinen, 
unglidfeligen Billets dafür einzuhändigen, welche Anna 
Regina in der Angelegenheit des Marcheje de Branca 
an Sie gejchrieben hat?” 

Wie ein Aufzischen rang es fic) von ihren Lippen: 
„Welchen Wert finnen diefe Zeilen für Sie haben?!” 

„Für mich wenig, aber für Branca dejto mehr.” 

Ein gellendes Auflachen, Dann warf fie den Kopf in 
den Naden und mujterte ihn mit höhnischem Bli vom 
Scheitel bis zur Sohle. „Ah, jest begreife ich! Jet fällt 
e3 wie Schuppen von meinen Augen! — Und Sie, 
Sie erbdreijten fic), mir gegenüber von Komödie zu 
fprechen? — Die Lady Tartüffe hat ihren Partner ges 
funden, den Mephifto, welcher über Menjchenherzen den 
Weg zu Kaffettenjchlöffern jucht! — Eine noble Miffion, 
bei Gott, ich gratuliere Dem Marcheje zu einem jolchen 
Freund und applaudiere dem Sonzertjänger Proczna zu 
den grandiojen Talent, auf frummen Pfaden zum Ziel 
zu ſchleichen!“ 

Ein beinahe amüfiertes Lächeln Hufchte um feine 
Lippen. „Es ijt ſchon fehr jpät in der Nacht, Excellenz 

. wenn wir unjern Taujdhandel noch erledigen 
wollen . . .?/ 


— 570 — 


„Das möchte ſchwierig fein!’ — Leonies Augen funtelten 
in wilden Triumph, „jene Billets find längjt verbrannt!” 

po... das ift recht peinlich... . vielleicht erftehen 
fie wieder aus der Aſche — ich werde noch fünf Minuten 
warten... .” 

„Wollen Sie vielleicht hier übernachten ?!” namenlofe 
Gereigtheit fchrillte durch ihre Stimme. 

„Barum nidt? — Mir fann das ja durchaus nicht 
von peinlichem Beigefhmad fein! — Ich befiße Ihre 
Einladung ſchwarz auf weiß.” 

„She ich Ihnen die Billets einhändige, laffe ich mic) 
lieber von den Leuten fteinigen.” 

„Daran glauben Cie jelber nicht. — Noch einmal, 
Ercellenz, entweder die kleinen, wertlofen Papiere... 
oder der Konzertjänger Janef Proczna geht auf jehr 
geradem Weg zu dem Präfidenten von Gärtner; . . . 
eine penjionierte Grcelleng oder eine übelbeleumundete 
Witwe oder gejchiedene Frau jpielen feine Rolle mehr in 
der Welt, alfo wäre e3 Ihnen dringend anzuraten, von 
zwei Übeln dad fleinere zu wählen!” 

Einen Augenblik wand fich ihre gejchmeidige Geftalt 
in ohnmäcdhtigem Grimm, dann richtete fie fich jah empor: 
„Seloben Sie mir bei Ihrem Chrenwort, daß Sie dic 
Papiere vernichten wollen?” 

„Binnen vierundzwanzig Stunden!” 

„Daß fein Menjch etwas davon erfährt?” 

„Sie wifjen, ich habe im Intereſſe einer gewiffen 
BVerjönlichkeit gehandelt !” 


— 571 — 


„Wohlan — mag e3 mit diejer einen Perfönlichkeit 
darum jein — und die Grijtenz der andern beiden 
Bettel ijt für 
ewige Zeit auch 
in Ihrem 
Mund ge 
löfcht 2” 

„Mein Wort 
darauf.” 

Leonie atmete 
tief und wantte 
an ihren 
Schreibtiſch. 
Mit zitternden 
Händen öffnete 
ſie das Ge— 
heimfach. „Hier 
. . . nehmen 
Sie!“ 

„Sind es 
alle?“ 

„Alle.“ 

„Ich danke 
Ihnen. Hier 

Ihre Tange 
karte und den Zettel Flanderns. — Wir ſind quitt.“ — 





* 
Vor dem Kaminfeuer ihres Zimmers ſaß Xenia im 


— 572 — 


niederen Sejjel, einen weißen Spitzenſhawl um die ent- 
blipten Schultern gelegt, die Füße auf den Kopf eines 
grauen Bärenfelld gejtübt. Sie war bereits in Toilette, 
in den Salons und dem Mufifjaal wurden die Kerzen 
und Kronleuchter entzündet. 

Proczna war jveben eingetreten, hatte feft und etwas 
aufgeregt die beiden dargereichten Hände der Schwefter 
gedrüdt und an ihrer Seite vor den fnijternden Flammen 
Blak genommen. 

„Sie waren erft bei Onfel Drach, Janet?” 

Er ftarrte in die Glut und neigte bejahend das Haupt. 
„Ich bringe Ihnen eine Abjage von drunten, Tante 
Glärchen hat wieder heftige Migräne, und...” ein 
jchnelles Lächeln zudte um jeine Lippen, „da Donat 
Dienftlid) verhindert ijt, heute abend hier zu fein, Hat 
Biddy den Entſchluß gefaßt, bei der Mutter zu bleiben.” 

Xenia blidte betroffen auf. „Wie peinlich! Die Gene: 
ralin ift noch nicht von ihrer Weihnachtsreife zurüct — 
wer joll die Honneurs machen ? 

„Sie! ... Man wird mit den Umständen rechnen. 
Auguft Ferdinand fann heute abend ebenjalls nicht hier 
jein . . . find noch jonjtige Abjagen von jeiten irgend 
welcher Damen gefommen ?” 

„Frau von Hofitraten jagt jo ziemlich ohne allen 
Grund ab; — ic) habe fie in drei Jahren niemals franf 
gejehen, heute ift fie erkältet.“ 

Proczna nidte. „Sch weiß; die gute Hofitraten ijt 
eine brave Frau, die ihren Freunden gern einen Gefallen 


— 573 — 


thut. Alfo meine treueften Eeelen werden heute abend 
fehlen!” — es lag beinahe eine freudige Genugthuung 
in feiner Stimme. 

„Excellenz Gärtner wird da fein und fie ſämtlich 
erjegen.“ 

„Slauben Sie?!” Er lachte laut auf. 

Xenia beugte fic) vor und blickte ifn forjchend an. 
„Sie find fo wunderlid), Janet — find jchlimme Nach: 
richten von jenjeitS der Grenze gekommen ? 

Er atmete Schwer auf. „Sch ftehe noch unter dem 
Einfluß einer peinlichen Ecene der vergangenen Nacht. 
Sch weiß, daß id) recht gehandelt habe, und dod) quälen 
mich Vorwürfe.” 

„And welder Echuld zeihen Sie jich 2” 

„Die Schwachheit zu meinem Gegner gemacht zu haben 
und ihr doch mit Waffen gegenüber getreten zu fein, mit 
welchen man fonft nicht fämpfen würde!” 

„Ich bin überzeugt, dag Ihnen feine Wahl ge: 
blieben iſt!“ 

. Er fafte mit rafchem Aufblid ihre Hand und prefte 
fie gegen Die Lippen. „Ich danfe Ihnen, Xenia, daß 
Sie foldjen Glauben an mich hegen! — Ya, Sie haben 
recht, mir blieb feine Wahl. Man fann den Fuchs nicht 
an der Angel und den Hecht nicht in der Falle fangen, 
jeden nur auf feine Art, und wenn man Jäger fein will, 
jo darf man auch die Taube nicht jchonen, wenn fie 
dem königlichen Aar, welcher wehrlog in Feſſeln jchmachtet, 
nad) dem Auge hack!” 


— 574 — 


Das Feuer glühte hell auf und warf zudende Lichter 
über das goldblonde Köpfchen. Wie Jubel klang es 
durch Xenias Stimme: „Ich verjtehe ihre rätjelhaften 
Worte nicht, Janek, und weiß fie nicht zu deuten, dennoch 
bin ich gewiß, Dag Ddieje Hand niemals eine Waffe 
führen wird, die ihrer nicht würdig ift, daß Janek Proczna 
feiner Fahne folgt, die nicht für Ehre und Necht ins 
weld getragen wird!” 

Es ging wie ein leijes Bittern durch die Finger, 
welche fich unterbrechend auf ihren Arm legten. Dunfel 
und heiß brannte fein Blic in ihrem Auge. „Und wenn 
diefe Fahne nun aus Rebellenhaufen der Koſyniers wehte 
und wenn Qanef Brocgna den Ddeutjchen Säbel aus der 
Hand jchleuderte und nad) der Senje griffe —?” 

Sie jchloß die Augen und preßte die Hände gegen 
die ftürmijch atmende Brujt, dann antwortete fie leije, 
aber jejt und flar: „Wenn Janel Proczna Sofynier 
wird, jo weiß ich), daß der Name fein unmürdiger ijt, 
und daß der Kampf für Polens Freiheit fein Aufjtand 
verwerflicher Motive, jondern eine heilige Mifjion ijt, für 
welche jeder Ehrenmann mutig in die Schranfen treten kann!“ 

„Xenia!“ Wie ein Aufjchrei namenlojer Seligkeit 
Hang e8, Proczna jprang empor und jtüßte fich ſchwer 
auf die Sefjellehne; einen Augenblid herrjchte tiefes 
Schweigen, dann rang es fich wie flüjternd von jeinen 
Lippen: „Nein — noch ijt Polen nicht verloren! ...“ 
Langjam beugte er das Knie vor ihr, umjchloß ihre ge= 
falteten Hände und blidte gu ihr empor wie zu einem 


Heiligenbild: „Gott jegne Sie fiir dicje Worte, Xenia! 
fie werden En von RT Lippen gejprochen werden. 
Wie aber wm 
dann, wenn 
nun alle 
Welt fich 
gegen den 
Kojynier 
wendet, 
wenn jene 
Menjchen, 
deren Anz: 

fichten 
Shnen zum 
Cvangelt- 
um gewor⸗ 
den ſind, 
den Etab 
über Bolen 
und ſeine 
todesmuti= 
gen Söhne 
brechen und 
Cie allen # — . - 
Stehen RR mit Ihrer Sympathie für das gekmechtete 
Volk, eine Geächtete unter Geächteten ? 1” 

Sie fchüttelte mit verklärtem Lächeln das jchöne Haupt. 

„Ich werde es nicht, Janek, denn alle Herzen, die einer 





— 576 — 


tieferen Empfindung fähig find, werden mit mir um das 
Wohl und Wehe von Polen zittern !“ 

Er richtete fid) empor, nur mit Mühe beherrjchte er 
ih. „Menjchenherzen find Halme im Wind. Würden 
Sie den Mut haben, mit der Vergangenheit zu brechen, 
wenn fie fi) alg Barrifade vor die Zukunft baut?” 

Shr Antlig ward um einen Schein bleicher. „So 
Gott will, ift das nicht nötig, Janef ... ich glaube 
nicht, daß fic) diefer Zwiejpalt jo ſchroff fund thun 
wird... 

Sein Haupt fank tief und forgenvoll auf die Brujt; 
noch trieben vor feinem Blick, ein paar fleine jchattenhajte 
Schladen in dem geläuterten Gold, und auch diefe mußten 
ausgejchieden werden, Durch die gewaltige, hochauflodernde 
Glut der Liebe, ehe fich der flare Reifen formen fann, 
Deffen matelloje, güldene Treue nicht Anfang und nicht 
Ende hat! — 

Die Salons Hatten fich aufgethan, der betannte kleine 
Kreis war verjammelt, Anna Regina garter Erjcheinung 
die farbenjchillernde Folie zu geben. Excellenz Gärtner 
fam jpät, faft zu gleicher Beit mit der Pringejjin, welche, 
von Gräfin Kany gefolgt, pünktlich wie immer, der 
jungen Wirtin die Hand zum Gruß entgegenreichte. 

Proczna hatte gebeten, erſt zum Schluß eine mufi- 
falifche Gabe beijteuern zu dürfen; man plauderte furze 
Beit und jchritt bald zum Souper. Frau Leonie jah in 
der tiefſchwarzen Ceidenrobe auffallend bleich aus; dunfle 
Schatten zogen jic) trog des Puders um ihre Augen. 


ART = 


Sowohl auf ihren wie Gräfin Kanys Zügen lagerte ein 
jehr jcharjer und höchlichſt gereizter Ausdrud; beide 
Damen ignorierten bei der Begrüßung den Pflegejohn des 
Grafen Dynar vollfommen. 

Leonie erzählte nad) Tiſch mit viel Geringſchätzung 
von den neueften Nachrichten vom polnischen Wufftand, 
fie konnte ihre Worte gar nicht verächtlich genug wählen, 
um das rebellijche Gefindel moralijch zu zerhaden. 

Proczna hob mit ironischem Lächeln den Kopf. „Als 
ich vor wenigen Mochen den Vorzug hatte, Sie hier an 
Ort und Stelle fennen zu lernen, Excellenz, trugen Sie 
aus lauter Verehrung und Schwärmerei für Bolen das 
Bild Augufts des Starken auf der Bruft — ijt das jegt 
ebenfall3 zur Dispofition geftellt ?” 

Leonie mufterte den Sprecher mit halb zugefniffenen 
Augen von oben bis unten. „Ich weiß zwar nicht, wie 
Sie fic) zu der polnijden Angelegenheit jtellen, Herr 
Proczna, nehme aber an, daß Art nicht von Art läßt 
und möchte Ihnen infolgedefjen nicht mit einer bejahenden 
Antwort zu nahe treten!” 

„Sie haben natürlich folofjale Sympathien für Ihre 
edlen Landsleute?!” ficherte Gräfin Kany impertinent 
dazwiſchen. 

7, Selbftverftindlid), meine Gnädigſte! Ich bin einer der 
begeiftertiten Anhänger Polens, die man finden kann!“ 

Janek fprach fehr laut, man trat näher und hord)te 
hoch auf. Leonie wechjelte mit den Umftehenden ein paar 


vielfagende Blicke. 
R.v. Ef hftruth, IN Rom. uz. Nov., Polnijd Blut II 37 


— 578 — 


„Da werden Sie fic) wohl gar in die Reihe der 
Kämpfenden jtellen und für Freiheit und Gleichheit den 
Drejchflegel jchwingen ?” Die Hofdame funtelte den jungen 
Polen Herausfordernd an, Anna Regina erglühte vor 
Verlegenheit bis unter die blonden Haarwellen. 

/ Barun nicht, Gräfin? Man muß jo oft aus Höflich- 
feit und Nüdjicht die Hände ftillhalten, wenn man ver- 
diente Hiebe austeilen möchte, daß es eine Wohlthat ijt, 
wenn man einmal jrijch und frei den einen Flegel auf 
den andern ſchwingen fann.” 

Flandern lachte jehr laut ein „zamos!” Anna Rez 
gina aber fafte die bebende Hand Xenias und jagte wie 
entjchuldigend: „Die Politif ijt der Erisapfel jeglicher 
Geſellſchaft! Sie jehen, daß fich felbjt die beiten Freunde 
deswegen den Krieg erklären!” 

„Jetzt ift fogar das polnische Kirchenlied, welches für 
die Errettung Polens fleht, polizeilich verboten worden!” 
riet Gräfin Ettisbach mit verjöhnender Heiterfeit. „Das 
finde ich lächerlich, denn meiner Anficht nach fann dod) 
ein jeder Menjch beten, was er will!” 

„ber nicht öffentlich!” Leonie Bli richtete fich faſt 
Drohend auf die Kleine Leutnantsfrau, welche es wagen 
wollte, eine eigene Meinung zu haben. „Ebenjowenig 
wie ein anftändiger Menjch eine aufwiegleriiche Rede 
hält, ebenjowenig wird er in Form eines Chorals für 
Bewegungen und Demonftrationen bitten, welche jeglicher 
Zucht und Sitte in das Geficht jdlagen.” 

Janek freugte lächelnd die Arme über der Bruft. 


— 579 — 


„Jenes Lied, welches Ihnen nod) vor furzer Beit der 
Inbegriff aller jchwermütigen Pofie war, treten Sie heute 
jo erbarmungslos unter die Füße? Mag man immerhin 
die Kirchen jchließen, in welchen cin unglückliches Volt 
um Nettung 
fleht, ſolange 
noch eine pol: 
nijde Bunge 
zu Callen ver- 
mag, jolange 
noch ein Trop: 
fen Bolenblut 
duch Men: 
ichenlippen 
freift und ſo— 
lange noch 
Mutundjtolze 
Zuverſicht in 
den Herzen 
meiner Brit 
der lebt, jo: 
lange wird: 
‚Boze! cos 
Polske przez tak liczne wieki! zum Himmel jchallen 
und jolange wird Polen nicht verloren fein!” 
Flammende Erregung fprühte das dunfle Auge des 
Sprecher3. Begeifterung leuchtete von jeiner Stirn, in 
troßiger Herausforderung warf er das Haupt in den Racker. 
37* 





— 580 — 


Fürſtin Reuſſek trat über die Schwelle des Neben: 
zimmers, unbefangen berührte fie Procznas Arm mit dem 
wader! „Nun, Unjterblicher, wie jteht es mit dem ver- 
jprochenen Kunſtgenuß? Ich jehe, der Flügel ijt bereits 
geöffnet!” 

Mit fieberijch glänzendem Blid hatte Xenia Janeks 
Worten gelaufcht, wie ein Beben ging es bei den Worten 
der Fürſtin durch ihre Glieder. Sie wollte an feine 
Seite treten und ihn angjtvoll von dem Klavier zurüd- 
halten und doch jtand fie wie gebannt und hatte nur 
eine Eehnjucht, nur ein Verlangen, jenes Lied von 
jeinen Lippen zu hören, welches Polens Elend vor den 
Thron des Hichften trägt! 

Proczna wandte ernjt da8 Haupt. „Es gibt nur 
eine einzige Rompofition, Durchlaucht, welche ich in 
diejem Augenblick mit leidenjchaftlicher Überzeugung 
fingen kann!“ 

„Eh bien! — Gang vortrefflih! Laſſen Sie uns, 
bitte, hören!” 

Gräfin Ettisbach hob mit angjtvoll großen Augen 
hajtig abwehrend die Hand. „Aber um Gottes willen 
nicht dieſes revolutionäre...“ 

Sie verjtummte erjchroden; wie eine eiferne Klammer 
umjchloß Leonie ihren Arm. 

„Herr Proczna dürfte wohl taftvoll genug jein, die 
Wahl jeiner Lieder nach eigenem Gutdünfen dem Publikum 
anzumejjen !” jagte fie mit jchneidender Stimme, trat an die 
Seite Anna Neginas und fliijterte ihr cin paar Worte zu. 


— 581 — 


Betroffenheit malte fid) auf den Zügen der hohen 
Frau, jie wollte haftig auf Proczna zugehen und ein 
paar bejchwichtigende Worte |prechen, Excellenz Gärtner 
vertrat ihr geradezu den Weg. Abermals ein paar leije 
Worte, die Pringeffin blieb zögernd ſtehen und neigte 
ftill und ergeben das Köpfchen auf die Bruft. 

Die Dffiziere befanden fic in peinlichjter Situation. 
Sie waren ganz wie von ungefähr auf die Seite gewichen 
und unterhielten fic) mit frampfhafter Lebhaftigfeit, an- 
fcheinend volljtändig ohne Ahnung von der fatalen Scene, 
welche ſich neben ihnen abjpielte. 

Procgna hatte jchweigend vor dem Flügel Plaß ge- 
nommen, feine Hände glitten in furzem BVorjpiel über die 
Tajten, leije einjegend, anbraujend zu gewaltigjter Leiden- 
ſchaft, und feierlich, ernjt und getragen, aufjchluchzend 
wie im tiefiten Schmerz. Dann jchmiegte fic) die Stimme 
der Begleitung an — ein ſchwermütiger Sllageruf: ,,Boze!” 
— ein ernjtes, feierliches Anflehen und Bejchwiren, an: 
wachjend zur glühenden Begeijterung, welche die Seele 
pact und mit fich fortreißt, deren Tine wie brennende 
Thränen auf das Herz fallen, und e8 ringen und zittern 
lafjen in unausſprechlichem Schmerz um das Vaterland! 
— „Boze! cos Polske przez tak liczne wieki! Okryta 
blaskiem potegi i chwaly!” 

Hochaufgerichtet, mit glühenden Wangen ftand Xenia 
und laujchte. Wie ein Feuerjtrom rajte es durch ihre 
Adern, durch all ihr Sein und Denfen: erfaßt von jtür- 
miſchem Entzüden, erjchauderte fie durch Mark und Bein, 


— 582 — 


leuchtende Tropfen traten in ihre Augen, und ihre Hände, 
erft jo unentjchloffen und bebend, preßten fid) gegen ihre 
Brust, als wolle fie zeripringen vor Wonne und Schmerz. 
Da, Sanef, du hatteft recht! — Das find Badwigas 
giftig ſüße Lieder, die mir im Herzen jchlummerten; died 
find die trauten Klänge der Heimat, welche id) an der 
Brujt der Polin eingejogen, aufgewacht find fie mit aller 
Macht und Innigfeit, mit all dem unerflärlichen Zauber, 
welchen jemals die Mufit auf Menjchenfelen geübt, und 
fie braufen und jaujen durch meine Sinne al3 jauchzendes 
Echo: ‚Nasza Ojezyrne racz nam wrowic Panie!‘” 

eer und ftill ift e8 im Saal geworden. Anna Rez 
ginas Lippen haben wohl gezudt vor Teilnahme und 
Erregung, aber Leonie junfelnder Blid hat fie unbarm- 
herzig dirigiert; fühl und ftolz hat man fic) von Gräfin 
Dynar verabjchiedet, Haftig, unſchlüſſig, in tödlichiter Ver: 
legenheit oder jchnell dem neuen Winde angepaßt, mit 
verlegendfter Schroffheit ift die Gejellichaft dem Beifpiel 
der hohen Frau gefolgt, von welcher Gräfin Kany mit 
haßſchillernden Augen den Umftehenden zugeflüjtert hatte, 
„Hoheit ift empört!” 

Und nun war es jtill geworden, die Flammen fodjten 
leije in ihren Kryſtallglocken und Janek Proczna ftand 
hochaufgerichtet inmitten des Zimmers, voll diifteren 
Spottes auf die Thür ftarrend, welche ſich für ewige 
Beit wie eine Scheidewand zwijchen ihn und all jene 
Menjchen gejtellt, welche joeben dahinter verſchwunden. 





— 584 — 


Unverändert verharrte Xenia auf ihrem Platz, erregt 
haftete ihr Blick auf jeinem Antlitz. 

„Armes Polen! Ein Lied zu deinem Ruhm und zu 
deiner Ehre ächtet den Mund, welcher es fingt, zerbricht 
die Freundfchaft der Menge wie Glas und ftreift in 
einem einzigen Augenblid all die bunten litter von dem 
‚Unfterblichen‘, ‚Sottbegnadeten‘ ab, welche man in über- 
jchwenglicher Huld zuvor auf ihn niederjchüttetel — Das 
find unjere Freunde, Xenia! Warum bleiben Sie noch 
hier? Warum weijen Sie mir nicht auch die Thür?!” 

Sie ſchüttelte ſtumm das Haupt, fie wollte jprechen 
und vermochte es nicht; er trat einen Schritt näher, 
fein Blick traf flammend den ihren. 

„Bedenken Sie, wer vor Ihnen fteht! BWerlaffen von 
der Welt, ausgeftoßen aus dem Kreiſe, defjen Intimität 
Shnen unerläßlich ift, wie die Luft zum Atmen, ein Mann 
ohne Namen und Stellung, ein Nebell, der mit leiden- 
fchaftlicher Überzeugung bereit ift, unter die Fahnen der 
RKofyniers zu treten, felber eines Wloczegas Sohn — 
was fettet Sie nod) an mich ? Da alle fich von mir 
gewendet haben, warum gehen Sie nicht aud)?! ...“ 

Da rang e3 fic) wie ein halberitickter Auffchrei von 
ihren Lippen: „Janek!“ Außer fick), in zitternder Leiden: 
ichaft, alles vergefjend, was zwijchen dem Einſt und 
Seht gelegen, wie von dämoniſchen Gewalten getrieben, 
ftürzte fie fic) an feine Bruft, die Arme um jeinen Naden 
fchlingend, jauchzend, weinend vor Glücjeligkeit: „Weil 
id) nicht von Dir gehen kann, weil deine Lieder mich 


— 585 — 


mit Bauberbanden halten, weil ich dich liebe, Jane, 
mehr denn Himmel und Erde, mehr als Menjchenzungen 
jagen fünnen !” 

Er jchloß fie an fid) und bededte ihr Antli mit 
beißen Küſſen. Dann warf er fic) zu ihren Füßen nieder 
und preßte das zuckende Antlig auf die zarten Geiden- 
wogen ihres Gewandes. 

„xenia! — Xenial! .. .” 

Senes Bild war zur Wahrheit geworden, wel- 
ches er in Wolfen und Träumen gejchaut, da war jein 
fühnes Wagen, jein treue Hoffen und Harren, all die 
fchweren Stunden namenlojer Beherrfchung und Selbjt- 
überwindung belohnt, fie liebte ihn, liebte, wie je ein 
Weiberherz in treuejter Hingabe und Leidenjchaft em— 
pfunden, ihn, den Rofynier, den Geächteten, den Mann, 
der nichts zu eigen hatte, als fich felbjt! 





XXVL 


anek Proczna trat in das Beltibül des Schloffes. 

„Ihre Königliche Hoheit, die Frau Prinzejfin 

empfangen heute zur Audienz?“ 

Der Lafai glitt dienfteifrig Hergu. „Sehr wohl, Herr 
Graf, bei Hochderjelben haben foeben Frau Leutnant 
Gower und die Oberforjtmeifterin, Freifrau zur Lane, 
Zutritt gehabt.” 

„Wer ijt die dienftthuende Hofdame ?” 

„Sräfin Kany!“ 

„Sut, ich gehe fofort mit Ihnen — es ijt wohl 
feine Anmeldung notwendig.” 

Das alte Hoffräulein lag in einem bequemen Schaufel: 
ſtuhl des Vorfalons, eine ftatiöfe Coiffure auf dem dünnen 
Scheitel und einen Reisvogel auf der hohen Schulter, 
mit welchem fie um die Wette jüße Kerne fnabberte. 
Wie elettrijiert fuhr fie empor, als die Thür aufgeriffen 
wurde und die hohe Gejtalt Procznas vor dem Lafai 
eintrat. 





— 588 — 


empfangen hat, und demgemäß auf Bejuche vorbereitet 
ijt; wenn Sie fic) weigern, Ihren dienftlichen Pflichten 
nachzufommen, jo bleibt mir nichts anderes übrig, als 
unangemeldet bei Hoheit einzutreten.‘ 

Das alte Fräulein flatterte in jähem Schreden vor 
die Thür, fich jchügend auf der Schwelle aufzupflanzen. 
„Anterjtehen Sie fic)!” zifchte jie, fic) vor Zorn kirjch- 
rot järbend, „es mächte Ihnen jchlecht befommen! Wenn 
Sie abjolut auf einer Abjchiedsformalität beitehen, jo 
ſchreiben Sie fic) ein! Dort auf dem Tijch liegen die 
Bücher der Herrichaften auf!“ 

„Sie werden gejtatten, daß ich nad) meiner Inten— 
tion handle. Noch einmal: wollen Sie mich melden?!’ 

„Rein! 

Sanef jtredte gelaffen die Hand aus, faßte die Gräfin 
mit jchnellem Griff am Arm und fjchob fie wie einen 
Flederwiſch beijeite, dann öffnete er die Thür und war 
im nächjten Augenblid hinter derjelben im Zimmer Anna 
Neginas verjhwunden. 

Die Gräfin jchrie jäh auf vor Wut. Dann aber 
zudte ein Gedanfe durch ihr Hirn. Sie wird dem 
Prinzen melden, dag Janef Proczna ein Rendezvous 
mit Anna Regina hat! Er wird blind auffochen vor 
Eiferfucht, hierher jtürzen und, ohne lange zu fragen, 
den fauberen Monjieur befördern laffen! Wie von 
Furien gejagt, mit böſem Lächeln auf den farblojen 
Lippen, jtürmte fie den Sorridor entlang nach dem 
Bimmer des Prinzen. In fiebernder Aufregung drang 


will 
en 
— 





— 590 — 


fie rückſichtslos vor und ftand im nächſten Augenblid 
atemlos in dem Arbeitskabinett des hohen Herrn. 

Auguft Ferdinand ließ fic) gerade von Gower Vor- 
trag halten, er wandte jich frappiert zurüd und jprang 
bei Dem Anblid der Hofdame erjchroden empor: „Was 
bringen Sie, Gräfin, ijt ein Unglüd pajjiert ? 1” 

„Mehr wie das, Königliche Hoheit!” gellte fie ihm 
entgegen, „Janek Broczna hat fic) den Eintritt zu Ihrer 
Hoheit erzwungen, fie geradezu überfallen... ganz 
allein ift der leidenjchaftlihe Menjch bei ihr!” 

Das Antlig des Prinzen hatte fic) entfärbt, eine 
drohende Wolfe zog fic) auf jeiner Stirn zufammen. 
„Dieſe Mitteilung wäre mir wohl in distreterer Weife 
und ohne Zeugen zu machen gewejen”, entgegnete er 
barjch, „ich verbitte mir ein jegliches verdächtigende 
Wort! Meine Gemahlin ijt niemal3 fompromittiert, 
jelbft dann nicht, wenn fie fic) mit einem Rajenden allein 
befindet! Ihre Stellung ijt ihr Schild, welches immer 
refpeftiert wird!” Er wandte fic) zur Thür und winfte 
der Hofdame, welche ziemlich fleinlaut folgen wollte, 
unwillig ab. „Bleiben Sie hier! — Sie haben die 
Güte, lieber Gower, die Gräfin zu unterhalten!’ 

Haftig Schritt Auguft Ferdinand den jchmalen Gang 
entlang, trat durch das Kinderzimmer in die Flucht der 
Salons, in deren Mitte das Empjangszimmer feiner 
Gemahlin lag. 

Die dicen Teppiche dämpften feinen Schritt, mit 
fliegenden Pulſen trat er Hinter die Portiere. Deutlich 


— 591 — 


und flar drang ein jede Wort, welche nebenan ge- 
wechjelt wurde, an jein Ohr. — Unwillkürlich prefte er 
die glühende Stirn gegen den Thürpfojten und verharrte 
mit angehaltenem Atem. Er wollte Gewißheit haben, 
und die war nur auf Ddiejem Wege zu erlangen, fein 
plöglicher Eintritt würde die Situation nur noch mehr 
verwidelt haben. 

„Ich weiß es, Königliche Hoheit, daß Sie unfchuldig 
find und rein und mafellos in Thaten und Gedanten, 
wie die Lilie, welche frommer Glaube auf den Altar 
Marias legt! — Durch) ein paar harmlos und — Ber: 
gebung für diejes Wort — unüberlegt niedergejchriebene 
Zeilen haben Sie fi in die Hände eine Weibes ge- 
geben, welches erbarmung3lo3 die Schlinge daraus 
flocht, deren erdrüdende Lajt Sie jahrelang erdulden 
mußten !/ 

Wie ein Aufjchluchzen flang es dazwiſchen. „O, ih 
habe namenlog gelitten, Gott im Himmel weiß es, wie 
Angit und Sorge mein Herz zerrijjen! — Und feine 
Minute Ruhe davor! Wie ein Alp ijt mir beftindig der 
Anblif meiner Peinigerin auf die Seele gefallen! — 
Und ſolch ein Weib durchfchauen, und fie nicht voll Efel 
von fic) jchleudern finnen, bas war eine Qual, wie fie 
nicht Schlimmer erdacht werden kann!“ 

„Und warum hatten Sie nie den Mut, Königliche 
Hoheit, vor Höchitihren Gemahl zu treten, ihm offen 
und ehrlich das unjelige Mißverjtändnis aufzuklären und 
dadurch mit einem fühnen Schlag die Newe zu zerreigen, 


— 592 — 


welche Herrſchſucht und niedrigſte Geſinnungen um Sie 
her geſtrickt hatten?“ 

Leiſe, bebend klang ihre Stimme. „Ich habe wohl 
oft daran gedacht, aber ſowie ich die Lippen öffnen 
wollte, ſchnürten mir Angſt und Mutloſigkeit die Kehle 
zu. Alle Beweiſe ſind gegen mich, und was würde es 
helfen, ihnen entgegen meine Unſchuld zu beteuern? — 
Das iſt ja mein namenloſes Elend, Proczna, daß ich 
es nicht wagen kann, an das edle Vertrauen meines 
Mannes zu appellieren, denn er ſelber ſchneidet mir 
durch ſein grenzenloſes Mißtrauen den Weg zu ſeinem 
Herzen ab!“ — — Wie ein Hervorbrechen lang erduldeter 
Qual klang es durch ihre Stimme, erſtickend in Thränen, 
zitternd in tiefſtem Schmerz: „Auguſt Ferdinand glaubt 
an feines Weibes Treue, das hat er mir in leidenſchaft— 
licher Erregung einjt jelbit gejagt, und diefes Wort legt 
fih wie eine eifige Hand auf meine Lippen, wenn ich 
mich an feine Bruft flüchten und ihn bitten will, mic) 
von Frau Leonies Folter zu löjen, dtejes Wort erftickt 
jedes auffeimende Vertrauen mit dem furc)tbaren Bewußt— 
jein: „Er glaubt dir ja doch nicht!” 

Einen Augenblick herrſchte tiefe Stille, dann fuhr 
Anna Regina mit jeligem Aufatmen Hajtig fort: „Und 
nun fommt mir Hilfe, wo ich fie nie geahnt und er: 
wartet hatte; — Sie haben jene unjeligen Zettel in 
Händen und Sie glauben troß ihrer an meine Unſchuld?“ 

„So felt wie an mich jelbjt.” Janeks Stimme flang 
tief ergriffen. „Für mich hat es fein Bedenken gegeben, 


— 59 — 


mit Einſatz all meiner Kräfte für Eure Hoheit einzutreten, 
nachdem ich ein einziges Mal gejehen hatte, wie viel rätjel- 
tiefes Wel in Ihrem Auge jchliej. Ich habe nach feiner 
Urjache geforjcht und Gott hat mein Bemühen belohnt — 
hier find die Quellen, aus welchen Excellenz Gärtner Ihr 
Leben vergiftete, Hoheit! Ihnen dieje Blätter zurücdzus 
geben, ijt der jchönjte Lohn, welcher jemals einem Manne 
werden fann, der zum Schuß der Würde edler Frauen 
jeinen Degen an der Seite trägt!” 

„O Procgna — und Sie, Sie konnte ich geftern fo 
namenlos fränfen .. .” 

„Richt Sie, Hoheit, es war das legte Mal, daß 
Gräfin Kany und Ereellenz Gärtner am Steuer Yhres 
Lebensſchiffleins ſaßen!“ 

„Wie ſoll ich Ihnen danken —!” 

„Geſtatten Sie mir, als Zeichen Ihrer Huld, noch 
wenige Worte zu meiner Rechtfertigung zu ſprechen, welche 
mein Weſen am geſtrigen Abend bedingt ...“ 

„Warten Sie einen Augenblick, mein lieber Proczna, 
laſſen Sie mich auch dieſer Aufklärung teilhaftig werden!“ 
unterbrach eine Stimme hinter dem jungen Polen. Auguſt 
Ferdinand trat durch die Portiere, reichte dem Freund 
ſeiner Gemahlin beide Hände und drückte ſie tiefbewegt, 
dann trat er haſtig gu Anna Regina, ſchloß die Er- 
bleidende herzlich in die Arme und drüdte einen Kuß 
auf die weiße Stirn. Heiß erglühend flammerte fie fich 
an feinen Arm, fefundenlang ruhte Aug in Auge, eine 


ftumme und doch unendlich beredte Verftändigung. 
N.v, Eſchſtruth, IN. Rom. u. Rov., Polniſch Blut IL 38 


— 594 — 


3h bin Ohrenzeuge diefer Unterredung geweſen und 
ich dante Ihnen für jedes einzelne Wort!’ 

Nach einer kurzen Darlegung der Mißverftändnifje 
und Intriguen, welche fo lange Zeit das Leben Anna 
Reginas und die Verhältniffe der Stadt und Garnijon 
getrübt hatten, ſchlug Augujt Ferdinand die Hand gegen 
die heiße Stirn: „Und alles das Werk eines einzigen, 
intriganten Weibes!!“ 

Dann lenkte der Pring das Geſpräch pliplich ab. 

„Sie haben geftern abend unjere gute Geſellſchaft fo 
fehr durch revolutionäre Anfichten und Lieder alteriert ?” 
fragte er fichtlich amiificrt. 

Proczna lächelte. „Es war Sturm in einem Wajjer 
glafe, Königliche Hoheit — ganz fo verworfen, wie es 
fcheint, bin ich nicht, und falls man mir geftattet, ein 
wenig zurüdzugreifen in mein feltjames Leben, jo hoffe 
id, in den Augen meines gnädigſten Herrn gewiſſer— 
mafen gerechtfertigt dazuſtehen!“ 

„Neben Sie, wunderlider Heiliger, es ift mir inter- 
effant, einen Mann vom Grund der Seele aus fennen 
zu lernen, welcher mir vom erjten Augenblid an jo jym- 
pathijch war wie Sie!“ 

Und Procgna erzählte far und bündig mit leuchten- 
den Augen den Roman jeines Lebens und jchloß mit den 
Worten: „Ich war ein Komödiant von dem Augenblid 
an, wo id) dieje Stadt betrat. Es ging mir wie einem 
Spieler, der ‚va banque‘ jagt. — Wollte id) Xenia ge: 
winnen, fo galt es reichlich ausgerüftet in die Bahn zu 


— 59 — 


fprengen. Die Hiefigen Verhältniffe waren mir bis in 
die Details befannt, ich habe mich zwei Jahre lang un- 
ermüdlich geübt, denjelben gewachjen zu jein, und ich 
ſchlug Zinfen aus diefen Kenntnifjen. Oft Habe ich jelber 
daran gezweifelt, ob ich die Rolle, welche mir ſchwerer 
und ſaurer geworden ijt, als ich e3 zu bejchreiben vermag, 
durchführen finne, aber die wahre und echte Liebe ijt 
wie der Zaubermantel Klingsors, fie trägt wunderfräftig 
über Klippen und Bergriejen hinweg. Dennoch atmete 
ich jet auf, wie einer, Der endlich eine beengende, läjtige 
Maske von dem Geficht reißen fann, der Welt wieder 
fein ehrlich Antlig zu zeigen! Oft bin ich mir jelber 
vorgefommen wie ein Hans in allen Eden, der alles 
weiß und fann, der allen andern überlegen ijt, und dem 
nur noch ein Nequifit aus der Nüjtfammer des Roman— 
Helden fehlt, die fagenhajte Gejchidlichkeit, einem Spieler 
auf hundert Schritt Dijtance das Auge aus dem Coeur-As 
zu jdiepen, ohne daß e8 der Betreffende bemerft und 
ruhig die durchlöcherte Karte ausipielt. 

Augujt Ferdinand lachte leiſe auf. „Und der Koſynier? 
Wie fteht e8 mit dem? Goll das Ende des Romans 
wirklich im Lager der Aufſtändiſchen ſpielen?“ 

Proczna jchiittelte mit jaft wehmütigem Lächeln das 
Haupt. „Der legte Akt meiner Rolle, welcher fich gejtern 
abend abjpielte, war ein feltjames Gemifch von Wahrheit 
und Dichtung” — er blidte voll und freimütig in des 
Prinzen Auge. „Keines jener Worte, welche ich aus— 


gejprochen, nehme ich zurüd, denn das Land, für defjen 
38* 


— 596 — 


Freiheit mein Vater Blut und Leben eingefegt, das Land, 
welches mid) geboren und durch Jahrhunderte fang meines _ 
Stammbaums Wurzeln in mütterlicher Erde genährt hat, 
das Land ift mir lieb und heilig wie meine eigentliche 
Heimat, aus welder mic) nur ein rauher Sturm ver: 
ichlagen hat! Ja, Königliche Hoheit, ich bin Pole, Pole 
mit Leib und Seele! Mag man cin Reis pflanzen, in 
welchen Boden man immerhin will, e3 verleugnet nicht 
jeine Art, und wenn mich ein wunderjames Gefdhic auch 
auf die Grenze zwijchen Polen= und Deutſchtum geftellt 
hat, das eine hat das andere nicht aus meinem Herzen 
verdrängen finnen, die Landesfarben find verfdymolzen 
zu dem fcehimmernden Regenbogen, dem Zeichen der Vers 
jöhnung und des Friedens. — Mag Polens Schicjal fich 
gejtalten, wie e8 Gottes Wille bejchlojjen hat, ich werde 
Das freie Land lieben, wie das gefnechtete!” 

August Ferdinands Antlig war fehr ernjt, aber nicht 
finfter geworden, jein Auge rubte voll herzlichen Wohl- 
wollen® auf den freien, edlen Zügen des Sprechers, 
welche ifm in Wahrheit verändert deuchten, als fei ein 
Schleier von ihnen hinmweggezogen. — „Sp werden Sie 
fic) in die Reihen der Koſyniers ftellen 2” 

Jähe Glut flammte über Procznas Stirn, fein Haupt 
zudte frei und ftolz in den Naden. „Nein, Königliche 
Hoheit. Ich werde nur noch ein Gebet fennen, das, 
welches für Polens Freiheit bittet, ich werde opfern an 
Geld und Gut, was ich mir an eigenem Vermögen er- 
worben, ich werde Polens Flüchtlinge jchügen, id) werde 


ae 597 =e 


helfen, geben und fchirmen, fo viel und fo lange ich famt, 
denn ich bin eines Polen Sohn; aber fo unverjälicht 
auch das polnijche Blut in meinen Adern jchäumt, emes 
hat die deutjche Erziehung und pflegemütterliche Erde 
dennoch dem fremden Reije eingeimpft, den Begriff von 
deutjcher Ehre und deutſcher Treue! — Eine Hand, 
welche auf deutjche Waffen den Fahneneid geleijtet, wird 
diejelben nun und nimmermehr in jenem Kampfe führen. 
— Meine Liebe zu Polen hoch über vieles — meine 
Ehre aber über alles!” 

Der Gemahl Anna Reginas reichte ihm beide Hände 
mit ehrlichem Drud. „Möge Gott geben, daß fich jener 
Regenbogen der Eintracht über die beiden Länder jpannt: 
Polniſch Blut und Deutjchtum, innig verjchmolzen, geben 
ein edles und frdjtvoll ſchönes Gemijd), das beweijen 
Sie mir, Procgna!” 

Auguft Ferdinand erjuchte den Pflegejohn des Grafen 
Dynar, zur Rehabilitierung jeiner gejellichaftlichen Stellung 
heute abend den Blab in der Oper neben den Eejjeln des 
hohen Paares einzunehmen. Proczna zögerte betroffen, 
jein Bli tauchte ehrlic in den des Prinzen. — „Ich 
beichwor jene peinliche Scene des geftrigen Abends mit 
voller Überlegung herauf, um den legten höchſten Trumpf 
auszujpielen, auf welchem das Glück meiner Zukunft jtand. 
Kenia liebt mich; ich aber will fie aus diefem Boden 
löjen, will mir mein Rleinod in die ftille Einjamfeit 
retten, damit nicht die Stürme des Lebens vorzeitig der 
Noje Keld) entblättern! — Xenia mußte die Menjchen 


— 598 — 


fennen lernen, wenn fie ihr Glüd fern von benfelben 
juchen joll.” 

„Ein harmonifches Ausklingen wird den grellen Miß- 
afford des geftrigen Abends niemals in ihrer Seele 
verwijchen, lieber Proczna; retten Cie fick) Ihre reizende 
Braut jo jdnell als möglich als Gattin auf „Flügeln 
de3 Gejanges” nad) den fichern Mauern Ihres Schloffes, 
aber nehmen Sie zuvor Rüdjicht auf die Familie Ihres Vor: 
munde und triumphieren Sie über die beiden Schlangen, 
welche für die längjte Zeit den Frieden unjeres Cdens 
hier untergraben haben follen!” 

Anna Regina jah fajt bittend, mit verflärtem, rofig 
überhauchtem Gefichtchen zu ihm auf und reichte ihm 
herzlid) die fleine Hand entgegen. 

Proczna neigte fic) tief und ebhrjurdtsvoll über 
diejelbe. 

„Da, es fol ausklingen”, fagte er leife, „damit meinem 
Weibe und mir die Hoffnung bleiben fann, dereinjt zu 
Ihren Füßen die duftigen Kränze niederzulegen, welche 
Ihnen das treuejte und verehrungsvollite Gedenfen in 
der Einjamtkeit fledjten wird!” — — — — — — — 


* * 
* 


Wieder braufen die Stürme um die troßigen Mauern 
Procznas, aber diesmal tragen fie taujend junge Frühe 
lingsfnofpen im Schoß, welche fie heimlich, in jtiller 
Nacht über Wald und Heide jtreuen. — Da webt ſich 
ein lichtgrüner Schleier um Bäume und Sträucher, ein 


= 599 = 


Blühen und Keimen bricht hervor und um die Türme 
de3 alten Schloffes ranft es fic) Dujtend zwijchen dem 
Epheu empor. Cin junges Weib, lieblich, glühend und 
geheim wie ein Dornröschen träumt des Glüdes Märchen: 
traum Hinter den grauen Mauern, und die Götter des 
Frühlings jchweben hernieder und türmen eine Hede von 
Purpurrofen empor, zwijchen fie und die Welt! 

Die Fliigelthiiren zu der Veranda des Schloſſes find 
weit geöffnet, weiche Nachtluft und filberne Mondjtrahlen 
fließen jchmeichlerijch um das junge Paar, welches Arm 
in Arm hinaus auf die Schwelle getreten ijt. Ein Trauer: 
gewand wallt um Xenia fchlanfe Gejtalt, und das 
Antlig, welches an der Schulter des geliebten Mannez 
lehnt, ift von Thränen übertaut. — Polen ijt verloren 
— feine Zorbeerfränze find in den Staub getreten, jein 
Banner ift zerfeßt, unter der Sohle jeiner Feinde ver: 
blutet e8 im Staub. 

Sanef Procgna blict zu dem flaren Nachthimmel auf, 
an welchem die Sterne wie treue, liebevolle Augen leuch- 
ten. — „Boze cos Polske przez tak liczne wieki!* 
ringt e8 ſich wie eine jtumme, jegensreiche Frage von 
feinen Lippen — was in jeinem Herzen glüht und 
fehmerzt, brauft im Lied zu den Gejtirnen empor! 

Im Dunfel der Gartenwege flingen leije Schritte. 
Schwer im Arm eines Bauern liegend, jchleppt fich ein 
filberhaariger Greis mit der qualvollen Anjtrengung 
eines Sterbenden dem Schloß entgegen. 

Das Mondlicht fallt auf hagere, ftarre Gefichtszüge, 


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auf welchen bereits die Schatten des Todes liegen. — 
Derjelbe Mann, der einft flüchtend mit feinen Kindern 
in der wilden Schneejturmnadht an die Thore Procznas 
geflopft. 

Er hat fein Wort gehalten, er hat nie nach feinem 
Sohn gefragt und geforjcht, er hat gewußt, daß er ihn 
einft wieder holen wird, wenn Polens Herrlichkeit auf- 
eriteht, und er hat gerungen und gefämpft, hat nur 
gefämpft für fein unglüdliches Vaterland. — Da zudt 
endlich der Blig Hernicder und entflammt die Fadel der 
Empörung. Er ift alt und ſchwach geworden vom 
Darben und Entbehren, aber er lebt wieder auf im 
Naujche der Hoffnung, er eilt nach Polen, er fämpft 
wie ein Qiingling, er fucht feinen Sohn! — Wird er 
zögern zu kommen? Nein, taujendmal nein! Jane ijt 
ja fein Sohn, und polnisch Blut verleugnet fid) nicht! 
— Er irrt über die Schladhtfelder, er ftarrt in das 
Antlig Lebender und Toter, nirgends ijt fein Sohn zu 
entdeden. — Bitterfeit, Verzweiflung wühlen in jeinem 
Herzen. — Schwer verwundet liegt er in elender Schäfer: 
hütte verborgen, gepflegt von dem alten, treuen Aloizy, 
feinem ehemaligen Pferdeburfchen, welchen er unter den 
Fahnen der Kojynier wieder gefunden, und welcher treu 
wie ein Schatten an der Seite des Herrn gefämpft hat! 

„gu meinem Sohn, ihn nod) einmal jehen, ehe ich 
fterbe, jehen, ob polniſch Blut fic) wahrlich) jo ganz ver= 
leugnen kann!“ — Und die Thränen rollen ihm über 
die Wangen, und Aloizy nimmt den Todfranfen auf die 





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ftarfen Arme und wandert mit ihm lange, qualvolle 
Tage bis zu der Schloßjchwelle von Procgna. Cin 
bleicher Engel aber fchreitet ihnen zur Seite, und hütet 
liebevoll die gefenfte Fadel, daß ihre verlöjchende Flamme 
noc) wenige Minuten fladern möge. 

„Aloizy . . .” flüftert der Sterbende, leife wie der 
Wind, welder dur die Blütenzweige weht — „nicht 
meinen Namen verraten . . . bei allen Heiligen nicht, 
... ih bin ein Fremder für meinen Sohn — ein 
Fremder!“ 

„Ich gelobe es, Ew. Gnaden — Gott erleuchte die 
Seele meines jungen Gebieters und ſchenke ſeinem Hetgen 
tauſend Augen, Euch zu erkennen.“ 

„Bin ein Pole, Aloizy ... und er...” ein Auf⸗ 
ſtöhnen ringt ſich über die bleichen Lippen, ſchwer bricht 
er in den Armen des treuen Mannes zuſammen. „Nur 
jebt nicht fterben . . . noch nicht . ..“ Da klangen Töne 
an fein Ohr — voll, gewaltig, durchdrungen von namen= 
lofem Schmerz: „Boze! cos Polske tak liezne wieki!“ 
— Go fann nur ein Pole fingen. 

Bitternd richtet fic) da3 greife Haupt empor, wie die 
Glut, welche furz vor dem Erlöjchen nod) einmal auf- 
(odert, flammt es in den dunflen Augenhöhlen, „Aloizy 
... hörſt du. . .? .. . Boze cos Polske . . . näher, 
Aloizy . . . das find Gottes Engel, die mich rufen ... 
ach, welche Klängel! —“ Er hebt fic) mit jäher Kraft 
empor und taumelt in den Armen jeines Gefährten der 
Terraſſe entgegen. 


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Behutfam Hinter den Gebüfchen nähern fie fich, jetzt 
ftehen fie an der Treppe. — Droben flutet das Silber: 
licht um zwei hohe Geftalten, ein. junges Weib lehnt jich 
an die Brujt des Erbherrn von Proczna . . . jcharf zeichnet 
fic) fein Profil gegen die dunklen Baummipfel des Hinter- 
grundes ab... . jein Sohn! — jein Sohn! — — 

Der Alte bricht in die Knie und hebt das verklärte 
AUntlig und die gefalteten Hände zu dem Sänger empor 
— wie ein Heiligenfchein wallt das jchneeweiße Haar 
unt die gramgefurdte Stim, al ob eine jegnende Hand 
fefundenlang den Bann des Todes in den ftarren Zügen 
gebrochen, leuchtet die Glüdjeligfeit von lächelnden Lippen: 
Wie in einer Verzückung laufcht er dem Gejang, und da 
der lebte Vers verflingt — „ſo verwandele ung in Staub, 
aber in freien Staub!” ... da zudt und bebt dic 
fnieende Geftalt, da brechen Thränen aus den Augen, 
da ift alles vergeffen, was gwifden dem Cinft und Jetzt 
liegt — „Janek!“ jchreit er gellend auf, „Janek, mein 
Sohn! — — — — — — — — — — — — — 

An der Schloßtreppe liegt der Erbe von Proczna 
auf den Knien und hält den ſterbenden Vater in den 
Armen. Seine Lippen preſſen ſich auf Stirn und Wan- 
gen des flüchtigen Polen; „Vater!“ jauchzt er mit dem 
Ausdruck unendlicher Liebe in Stimme und Blick, „kommſt 
du endlich zu deinem Kinde zurück!“ 

„Trage ihn empor, Janek — er iſt krank, er zittert 
ja vor Kälte und Ermattung!” fleht Xenia mit erſtickter 
Stimme, wirft fic) neben dem Sterbenden nieder und 


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überflutet die falte Hand mit Thränen und Küfjen. 
Zeiler, frajtlojer Drud ift die Antwort. „Nein, nein |!“ 
wehrte er ab, „laßt mid) hier . . . laßt mir den Himmel 
über dem Haupt .. . er ift geöffnet, mich aufzunehmen 
.. . zur Rue, Janef. . . und ich bin müde — ad) fo 
müde. Oft fie dein Weib?” Seine Hand legt fic) gart- 
lid) auf ihr blondes Köpfchen, fein brennender Blick 
taucht jorjdend im ihr feuchtes Auge. „So habe ihn 
lieb, und Gott im Himmel wird dich fegnen dafür, und 
meine Seele wird bei euch fein!” ... Er richtet fich 
aufgeregt empor. „Hörſt du den Sturm braufen? .. . 
Siehft du, wie die Schneefloden wirbeln ? Immer zu; 
immer vorwärts . .. Dort glänzt ein Licht... Er: 
barmt Euch, Graf, nehmt mir nicht mein Kind... Es 
ijt alles, was mir blieb . . . Da liegt das andere... 
tot, ftarr,.... und nun aud das legte noch! ... 
Nehmt ihn! . . . Ich Hole ihn zurüd, ich fomme wieder, 
wenn Polens Ketten gebrochen find, wenn id) ihm den 
ehrlichen Namen wiedergeben fann! ... Mein Sohn 
bleibt er doch in alle Cwigfeit! . . . Ihn deutjch machen?! 
Haha! Das Polenblut verleugnete fid) noch nie! ... 
Nehmt meinen Sohn, nehmt ihn Hin!” . . . Aufſtöhnend 
flammert er fic) an den Arm Procznas: „Wo bijt du, 
Janek? Ich juche dich unter der Fahne . . . ich fuche 
did) auf den Schlachtfeldern Polen? ... weh mir!” ... 

Reije Elingt e3 an jein Ohr: „Boze cos Polske“... 
Procznas Lippen haben feine andere Antwort. 

Da ftrecten fich die geframpften Glieder, da hebt ein 


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tiefes, felige3 Aufatmen die fterbende Bruft. „Und 
dennoch hat fih polnifh Blut nidt ver- 
leugnet” 

flüjtert er mit ver— 
flärtem Blick. 
prance, Sanef, 
mein Sohn!” ... 
Er faßt die beiden 
Hände des jungen 
Paares und um: 
ichließt fie mit 
bebenden Fingern: 













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„Betet für Polen! Hofft auf die Zukunft... Gott 
mit dir, mein Waterland — niech zyje Polska!” 
Langjam neigt der Engel die Fackel — fie verliſcht. — 

Die Heide glüht und brennt im Abendrot; fern an 
dem Horizont finft die Sonne, mit Purpurgarben den 
Himmel überflutend und goldene Funfen auf die weite 
Ebene niederftreuend. 

Die Felsfteine, hinter welchen einjt der einfame Knabe, 
das Kuckucksei im Neſt, auffchluchzend vor Dual und 
Herzeleid das Antlitz in feuchte Erika preßte, find höher 
bemooft, und die Brombecrranfen, Hedenrojen und Schleh- 
dornzweige, welche darüber bangen, find emporgewachjen, 
wild, wirr, üppig aufgejchoffen. 

Droben in der flaren Luft jubeln die Vögel, leife 
und geheimnisvoll zirpt e8 im Graje, farbige Edelſteine 
fchwirren beflügelt von Kelch zu Kelch. Endlos, unab- 
fehbar dehnt fid) Himmel und Heide, verjchmelzend in 
rofigem Duft, durch welchen lichte Wolfenfloden treiben 
— ganz wie vor langen Jahren. 

Leife Stimmen flingen wieder unter den fchaufeln- 
den Nanfen am Geftein — jchneeige Falten eines Frauen: 
gewandes jchimmern in der Sonne und auf einem gold- 
blonden Köpfchen tanzen glühende Lichter . . . Hexe 
2orelei! . . . ganz wie damals und doch fo anders. 

Sanef ftarrt wie trunfen vor Glüdjeligfeit zu feinem 
jungen Weib empor, auf die rofigen Lippen, welche 
einjt an diefem Plage mit erbarmungslojem Wort feine 


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Kindheit und Jugend vergifteten, und welche ihm nun, 
al8 dem gereiften Mann, zum füßen Kelch geworden 
find, von defjen Rand er des Dajeins beraufchendite 
Wonne trintt! — Ja, Here Lorelei! — Der Schiffer 
hat nicht in blindem Ungeftüm jein Schifflein gegen dein 
feljenhartes Herz getrieben, er hat fich nicht blenden 
lafjen von deinem golden Haar, und nicht hinreißen 
lafjen von dem Zauber deines Auges, er hat die Hände 
feft an das Steuer gelegt und feinen Weg als guter 
Pilot durch die Klippen gejucht! — Nun hat er did) 
endlich erreicht, hat deine marmorfühle Pracht mit heißer 
Liebesglut zum Leben erwedt, und hält did) im Arm 
als foftlichften Lohn für feine Fahrt durch Riff und 
Sturm! 

Xenia lehnt fchmeichelnd das Köpfchen an die Bruft 
des Gatten. Lächelnd blickt Janek ihr in das Auge. 

„Du glaubjt nicht mehr an den Sohn des Kofyniers 
und haft e3 gehört, daß Aloizy meinem Water die über: 
jchwenglichjten Ehrentitel gab — das ift Polenart; Die 
Liebe und Verehrung der Untergebenen fennt in Worten 
feine Grenzen!’ 

Sie jchüttelt treuherzig den Kopf. „Wer jener Freinde 
aud) gemejen ijt, Janef, er hat mich als feine Tochter 
gefegnet und unjere Hände zufammengefügt, darum ver: 
langt mein Herz danad), ihn mit Namen zu nennen wie 
einen Vater, und wahrlich, Herzlieber, er wird mir teuer 
und wert fein, gleichviel, wie du ihn nennſt!“ 

Janeks Antlig wird ernjt, faſt feierlich. „Der Name 


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meines unglüdlichen Waters ift vor ber Welt erlofchen 
und meine Lippen find durch feinen legten Willen ver- 
ſchloſſen. Aber auch ohne daß ich jenes liebe, traurige 
Geheimnig verrate, wirft du ahnen, weſſen Sohn der 
Mann ift, den deine Liebe jich ohne Schild und Krone 
erwählt; hier, diejen Ring 30g id) von dem Finger des 
Entichlafenen, e8 ijt Das Siegel, welches meine Ahnen 
feit Jahrhunderten geführt.” 

Kenia nahın den goldenen Reif und blidte auf die 
Gravierung des Steins hernieder. Heiße Blutwellen 
ergofjen fich bis in die Stirn empor. 

„Janek . . . dieſes Wappen... dieje Krone... 
allmächtiger Gott — wer bift du?” 

Er legte janft den Arm um fie und verjchloß ihre 
Lippen durch einen Kuß. „Ich bin Janek Stefan von 
Dynar, der glüdlichjte Mann, welchen jemals das Erden- 
rund getragen!“ 

Sie ſchlug die Hände vor das Antlik; e3 war, ala 
wehe ein Sturm von heftigjten Gefühlen durch ihre Seele, 
und leije flüfterte fie: „Seht erfenne ich deine edle Seele 
ganz; jet weiß id), wie lieb du mich haft, Janek; wie— 
viel du für mich opferteft und ... wieviel ich an dir 
abzubüßen habe!” Am Himmel fchmetterten die Vogel= 
fehlen ihre jubelnden Lieder der Glüdjeligfeit, die Heide 
buftete füß und wunderjam, und die Sonnenglut am 
Horizont loderte empor wie ein heilig Opferfeuer, auf 
dem Altar der ewigen Gerechtigkeit entzündet! — 

In dem „nordijchen Aachen” hat fic) manches ges 


wt 


N. v. Eſch ſtruth, IM. Rom. u. Nov. Polniſch Blut IL 





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ändert. Der Präfident von Gartner wurde plößlic) nad) 
dem Süden verjegt und nahm, da jein leidender Zujtand 
fi täglich verjdlimmerte und ihn die gewiljenhafte Ver— 
waltung de3 neuen Amtes unmöglich machte, zur Vers 
zweiflung feiner fchönen Gemahlin den Abjchied. Er 
wählte jeinen Aufenthalt dauernd in einem heilfräftigen 
Bade, wojelbjt Frau Leonie, nad) dem plößlichen Tode 
ihres Gatten, auch verblieb und noch heutigen Tages als 
fine, vielumfchwärmte und doch niemals ernftlich bes 
gehrte Witwe eine nicht unbedeutende Rolle jpielt. Gräfin 
Kany, welche Knall und Fall ihre Stellung al Hofdame 
quittierte — man hat fic) lange den Kopf gerbrodjen, 
einen Grund dafür zu finden — lebt einen Teil des 
Sommers bei Ihrer Erxcellenz, allerdings aud nicht fo 
ganz friedlich; wie Augenzeugen behaupten, foll es oft 
recht gereigte Wortwechjel geben. Zum offenen Bruch 
fann es aber nicht fommen, da fid) die Damen gegen- 
feitig zu jehr in der Hand haben. Im Regiment der 
Kaijer Frang-Ulanen famen verjchiedene Verjegungen vor; 
man behauptete, Auguft Ferdinand habe den eifernen 
Vejen zur Hand genommen, um einmal gründlich den 
Staub aus allen Eden zu fegen. Herr von Flandern 
juchte freiwillig feine Verjegung zu einem Dragoner- 
regiment nach, Fürft Reuſſek wechjelte ebenfalls und zwar 
mit Vorteil die Uniform, und an feine Stelle wurde ein 
anerfannt liebenswürdiger Freiherr gejeßt, welcher diverje 
Verwandte unter der Infanterie zählte. Wie mit Zauber- 
ſchlag waren die Coulifjen verjchoben. Ein herzliches und 


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höchit kameradſchaftliches Einvernehmen herrſcht zwiſchen 
den verſchiedenen Regimentern, an deren Spitze der mit 
wahrhafter Begeiſterung verehrte Prinz Auguſt Ferdinand 
ſteht, in huldvollſter Weiſe den Ton echter Waffenbrüder- 
ſchaft angebend, bei welcher es nicht mehr heißt: „Hie 
Säbel — hie Degen“, ſondern als echt preußiſche Deviſe 
der Einigkeit: „Zufammen mit Gott für König und 
Vaterland!” Anna Regina hat fic) auffallend verändert. 
Cie hat das Haupt erhoben wie ein föftlich blühendes 
Reis — unvergeflic) einem jeden, welchem der Vorzug 
geworden, ihre fleine Hand verehrungsvoll an die Lippen 
drüden zu dürfen. — Fürſt Heller-Hüningen hat feinen 
Vorjak ausgeführt und bei dem legten Felt der Saijon 
dem reizenden Coufinchen Bidy eine „höchſt patente” 
Liebeserklärung gemacht. Mama Drach hat e8 aber für gut 
befunden, die Hochzeit noch zwei Jahre hinaugzujchieben, 
und das überglüdliche Bräutchen befam ihren Gatten erjt 
zum neungehnten Geburtstage als „Präſent“ aufgebaut. 

Es ijt wirklich ein wahrer Spaß, dem jungen Pärchen 
hie und da ’mal in die vier Wände zu jchauen, in welchen 
Hechelberg bereits einen jehr bequemen Großvaterftuhl, 
alg jelbjtverjtändlichen Etammfig, mit Bejdlag belegt 
hat. — Er ijt der gute Geijt des Haufes, alteriert fic 
mit der Fleinen Frau über jeden zerichlagenen Suppen= 
teller, bewundert mit dem ernithaftejten Geficht jede neue 
Nippesfigur und jede frijd) erworbene Toilette, fteht dem 


Hausherrn geradezu aufopfernd bei jeder Wein- oder 
Ktiaarronnrnho sur Cotto anh Rat Sich Ara Mnchan [ane 


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tief beleidigt mit Selbjtimordgedanfen herumgetragen, weil 
man ihn nicht zum Gevatter de3 erjten Töchtercheng gewählt 
hatte! Das muß man auch recht abjcheulich finden! — Frau 
von Hofftraten ift unverändert diefelbe geblieben, immer ge: 
radeaus, immer luftig und guter Dinge, allgemein beliebt! 
Sn den legten drei Wintern war Villa Florian wieder 
bewohnt; Graf Dynar hatte anläßlich der verfchiedenen 
Tamilienfefte fein liebliches Weib in die RMefideng zurüd: 
geführt und war algdann auf die dringende Bitte des 
prinzlichen Paares öfter und länger mit feiner Familie 
zu dem Faſching wiedergefehrt. Sobald aber das erite 
Grün an den Bäumen fproßt, blict Xenia flehend in das 
Auge ihres Gatten, und unverändert wie vor Jahren 
drüdt er auch jet ftrahlenden Blides ihre Hände an 
die Lippen und flüchtet fein Kleinod zurüd in die Ein- 
famfeit, wo jedes Blumenglöcchen des Heidelandes einen 
Pjalter Heiliger und unvergänglicher Liebe läutet! 





Drud von J B. Hirfafeld in Leipzig. 


























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ILLINOIS-URBAI 


IIIL 


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