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Full text of "Neue Gedichte"

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Neue Gedichte 


— — 8 — Er 


jerlin bei Wilhelm Borngräber 
| Verlag Neues Leben 
A 2912 * 


Alle Rechte vom Verleger 
gewahrt. Copyright by 
Wilhelm Borngräber Verlag 
Weues Leben, Berlin W 


IINERSITN OF ILLINOIS 
N 


. 


Wag 


Digitized by the Internet Archive 
in 2016 with funding from 
University of Illinois Urbana-Champaign Alternates 


https://archive.org/details/neuegedichte00metz 


Heimat. 


Das iſt fo ſchön: wenn an der Heimat Schwelle 
Die bunten Bilder mählich uns verlaſſen, 
Wenn alte Träume durch die alten Gaſſen 
Serübergrüßen aus der Kindheit Selle, 

Und alle Länder, die der Fuß durchmeſſen, 

Vor eines Sauſes offener Tür vergeſſen. 


Wiener Frühling. 
Schönbrunn. 


Ein Traum von dazumal. Die Taxushecken 
Stehn maiengrün auf mattgetöntem Blau. 

Zoch überragt der ſchlanke Säulenbau 

Der weißen, luſtig⸗ſtolzen Gloriette 

Den Steinneptun am weiten Waſſerbecken; 
Fern, fern in roſig⸗ violettem Grau 

Dehnt ſich die weichgeſchwungne Hügelkette. — 
Ein alter Gobelin mit friſchen Farben, 

Den nicht der Zeiten Wirbelſturm zerriß, 

Den nicht der tiefen Wächte Finſternis, 

Die Sonnenglut der Tage nicht verdarben. 
Schnell in dies Bild, fo licht und wohlerhalten, 
Webt Phantaſie die fehlenden Geſtalten. 

Wer kennt ſie nicht?! Es öffnet ſich die Gruft, 
Und aller Rönigsprunk der Majeſtät 

Steigt ſeidenkniſternd an die Frühlingsluft, 

Die bald den kühlen Moderhauch verweht. 
Steinurnen füllen ſich mit Blütenlaſten, 

Die Fahnen ſchlagen, ſchwer von goldnen 3 
Die tulpenbunten Röcke drängen breit 

Sich durch des Gartens grüne Einſamkeit. 

Und Wort und Witz und lächelndes Verſtehn 
Und Puderduft geſellt dem der Diolen 
Aus engen Miedern tiefes Atemholen, 

Ein Beugen, MWeigen, Auf⸗ und Niedergehnn 
Rund um den See ſchlingt ſich die Menuette, 
Wie farb'ge Schlangen ringelt ſich der Tanz, 
Weit überpurpurt von des Abends Glanz 


8 


. . . . Traumfelig fteig’ ich von der Gloriette, 
Die wie mit roten Roſen überſtreut, 
Und fahre heim ins Iuftige Wien von heut. 


Kahlenberg. 
Schon ſchlingt der junge Wein die Kinderhände 
Feſt um den Stab, um keck hinaufzuklettern, 
Ganz ohne Furcht vor Sturm und Hagelwettern. 
In Sonnenfluten badet das Gelände. — — 
Die Zahnradbahn faßt reiche Farbenpracht, 
Hüte voll Blumen, Bluſen, lichtgetönt. 
Vaterl ſaugt die Virginia, Mutterl ſtöhnt: 
„Ui jeh, die Hitz!“ Die blonde Mizzi lacht. — 
Zart rauſcht das Laub, wenn es der Wind umſchleicht. 
Nach kurzer Zeit ſchon iſt der Berg erklommen 
Und bald das Beſte, die „Melange“, erreicht. 
Die Streichmuſik wird gratis hingenommen. 
Röſtlicher Ausblick! Wald und all die hellen 
Umblauten Berge! Wundervoller Duft! 
Ein Fähnchen flattert luſtig in der Auft, 
Der leicht vom Wind bewegten, ſonnenhellen. 
Gleich nach der „Jauſe“ gehts den Hang hinab 
Durch kirchenſtillen Wald zum Wieſengrunde 
Hinein in feierliche Andachtsſtunde. 
Und in der Mulde weiches Blumengrab, 
Mit Simmelsſchlüſſeln golden ausgeſchlagen, 
Streckt man erlöſt die ſtraßenmüden Glieder, 
Blickt hoch ins Blaue und träumt bunte Lieder 
Fern, fern verrollt des Alltags ſchwerer Wagen. — 
Die Donau zieht ihr Schleppenkleid vorbei 
Am Biſamberg, der von Smaragd umkettet, 


Dort Kloſterneuburgs würdige Abtei! — 

Ein altes Pärchen, ſorgſam eingebettet 

In Tuch und Hülle, zecht am Wieſenrain; 

Es grüßt und nickt, winkt freundlich uns entgegen 
Und ladet uns zu einem Glaſe Wein 

Wir aber wandern fort auf Frühlingswegen 

Und ſchlürfen aus des Lenzes Feſtpokalen 

Den ſüßen Duft der zarten Blütenſchalen. 


Volksgarten. 


Kein weiter Weg, mir gegenüber faſt, 

Dort, wo die Kinder um das Sitter drängen, 
Dehnt er ſich hin mit ſeinen Laubengängen 
Junger Kaſtanien voller Blütenlaſt. 

Holzreifen rollen, und der Gummiball 

Will, hochauftanzend, gern den Simmel ſprengen. 
Im Waſſerbecken leiſer Tropfenfall. 

Wo rot der Goldfiſch engen Kreis durchſchnellt, 
Und dort, wo Sand zu Bergen aufgeſchichtet, 
Auf Plätzen, die von Sonne überlichtet, 

In den Alleen, die nur matt erhellt, 

Sind Kinder, Kinder, Kinder, bald ein Seer, 
Ein Seer in Söckchen und Matroſenhüten, 
Lebendige, roſig⸗ weiße Frühlingsblüten. 

Das arme Fräulein hat es manchmal ſchwer, 
Das vollbepackt mit Tüchern, Flaſchen, Tüten. 
Und doch iſt es kein trauriges Geſchick, 

So mit den Kindern in den Park zu gehen, 
Wo alle Büſche bunt im Blühen ſtehen, 

Das fagt ihr froh⸗erwartungsvoller Blick. — 


10 


ö 


Die Tulpen blähn ſich unterm Sonnenkuß, 

Stiefmütterchen mit ſammetweichen Wangen 

Empfangen gern des Springbrunns Tröpfelguß. . - - 

Da kommt es langen Schritts einhergegangen, 

Um ernſthaft hier Philoſophie zu treiben; 

Doch hält es ſchwer, für ſich allein zu bleiben, 

Denn um die Bänke tollt der Kinderſchwarm 

Und auf den Bänken .. und dann iſts fo warm. 

Wie der Solunder duftet und der Slieder! . . . 

So ſchwer .. . fo ſüß . .. — Ah ſchau, da ſitzt fie 
wieder! — 

Ja, unter blühenden Kaſtanienbäumen 

Philoſophie am hellen Frühlingsmorgen 

Das mögen würdige alte Herrn beforgen! 

Wir aber wollen ſchwärmen nur und träumen, 

Wo unter alten Liebesmelodien 

Grillparzer Wacht hält ob dem jungen Wien. 


II 


In Tirol. 


Das war in Tirol, da der Abend kam, 

Den Dolomiten die goldenen Kronen 

Von den fürſtlichen Säuptern nahm 

Und einen blaſſen Silberkranz 

Auf die umſchatteten Stirnen gedrückt, 

Daß von zitterndem Sternenglanz 

Die ſchlummernde Weite überbrückt, 

Wo die ernſten, geruhigen Menſchen wohnen. — — 
Wir tranken die frieden⸗ atmende Pracht 
Voll Andacht wie einen heiligen Wein 

In die Tiefe der Seele hinein. 

Da brach es wie zürnender Klang 

Durch die feſtliche Nacht, 

Und der ſteinerne Mund der Söhe ſang: 

Mit dem Fuße im Erdenland, 

Mit der Stirne am Wolkenrand 

Steh ich gebunden, dennoch frei, 

Das Leben treibt ſeinen Reigen vorbei, 
Hohes, Niederes, Heiliges: Tand, 

Zerſchellt an der ewigen Wahrheit Wand 
Zwiſchen blauen Enzianflammen, 

Ausgelöſcht vom blauenden Dunkel, 

Zwiſchen zitterndem Taugefunkel 

Und den flirrenden Mondlichtfunken 

Drängten unſere Hände zuſammen, 

Die wir bebend ins Knie geſunken. 

Das Leben ein zerſchellender Reigen?! .. — 
Da rauſchte durch das erdrückende Schweigen 


12 


Der Fluß mit kriſtallener Stimme empor: 
Das Leben iſt ein hemmendes Tor! 

Man muß es brechen, muß es ſprengen, 

Mit allen Fluten hindurchzudrängen 

Und ſich ergießen, frei aller Schwere, 

In die Seligkeiten der ewigen Meere! 

Das Leben ein hemmendes Tor??ꝛ — 
Es riß uns jäh vom Boden empor 

Und wir gingen, wo der Wald ſich neigt, 
Wo ein zärtlicher Duft 

Aus ſtill atmenden Blüten ſteigt 

Und an die ſanftbewegte Luft 

Taſtend ſich ſchmiegt 

Wie das Kind an den Mutterarm, der es wiegt. 
Und die Blumen, von Dunkel umfangen, 
Hoben den blühenden Mund und ſangen: 
Das Leben iſt Weg durch Schatten und Licht, 
Stumpfes Dunkel, gleißenden Glanz, 

Iſt hinſchwebender Reigentanz, 

Fluten, das hemmende Tore durchbricht, 

Iſt Entfachen . Flammen ... Verglühen 
. | 


— — — — — — — — — — — — — 


Und dort, wo der Wald ſich neigt, 

Und wo der Berg aus dem Schatten ſteigt, 
Und wo der Fluß ſeinem ſchwellenden Trieb 
Zum Meere gehorcht, vom Mondlicht weiß, 
Sielten wir uns und hatten uns lieb. 

Und die wir getrennt in den Abend gegangen 


Fühlten, daß heilige Kräfte uns zwangen 
Gemeinſam den wechſelnden Weg zu gehn: 
Mit gleitenden Reigenſchritten 
Mit ſuchenden Wandertritten 
Durch Morgen und Abendglühen 
Zu blůhen 


11 


Traum am Abend. 


Das war die Schönheit, die vorüberglitt. — 

Mit weißem Bug, das Segel roftig-rot, 

So, ſchnellen Kiels, zerſchnitt das kleine Boot 

Die ſanftbeglänzten Wellen, daß die Flut 

Ihm aufbegehrend an die Flanken ſprang. 

Und in dem Boot umfaßten ſich zu dritt 

Mädchen und ſangen, aber der Geſang 

War Klingen nur wie wohl die Glocke klingt, 

Die eines Dorfes Feierſtunde kündet. 

Kings auf den Höhen Abendlicht entzündet 

Wie eines Herdes ſtill⸗ verträumte Glut, 

Die, heimwärts winkend, milde Fackeln ſchwingt. 
Und heimatlich ward alles Land umher; 

See, Berg und Singen gingen ſo zuſammen 

Wie Kinder Sand in Sand nach Sauſe gehn. 
Dann ſchwand das Boot, ließ See und Berge ſtehn. 
Die Dunkelheit ſtieg erdenwärts und ſchwer 

Mit plumper Macht zerdrückte fie die Flammen. — 
Das war die Schönheit. Träume, ſtill verglommen. — 
Kühl ſtreckt der Berg ſich, ein erloſchener Serd, 
Dem eine frevle Sand die Glut genommen 

Und nichts zurückließ als das nackte Schwert. 


15 


Abend in der Mark. 


Wie Eiſen lafter ſchwer der runde See, 
Roſtrot, auf Fichtenſtämmen ſtirbt der Tag. 
Fern aus dem Dunkel noch ein Vogelſchlag, 
Ein Rinderlachen, halb vom Schlaf erſtickt. 
Von Glockenblumen ſchattenhaft umnickt 
Sandhügel, grell, wie neugefallener Schnee. 


Was hüllenlos und warm im Lichte ſtand 
Säumen die Nebel kühl verſchleiernd ein, 
Verhängen dumpf des Waldes offenen Schrein, 
Daß alles ſtill iſt und wie eingefangen. 

Die Stimmen, die ſo helle Lieder ſangen, 
Verklingen wie vor einer ſteilen Wand. 


Und Sterne gleiten ſchwankend durch den See, 
Es wirft der Mond ſich bleich in ſeinen Schoß, 
Die Fichten werden ſchreckhaft ſtumm und groß 
Und duften lau. Der glatte Nadelgrund 

Kaunt flüfternd wie ein Schlaf befangner Mund. 
Aus nahem Laubwald äugend tritt ein Reh. — 


Schwermütige Landſchaft, wie ein altes Bild 
Empfind ich dich, das nachgedunkelt hängt 

In kühlem Saale, wo Brokat zerfällt 

Und Roſen welken, ſpüre einer Welt 
Seltſames Schweigen, wie den ſtummen Gruß 
Aus Landen, die wir einmal ſchon durchmeſſen 
In Träumen, wo, von Wanderluſt gedrängt, 
Viel weite Flächen überſchritt der Fuß, 

Und wo die Hände, überreich gefüllt, 

Schätze verſchenkten, die ſie nie beſeſſen. 


16 


Im Vorübergleiten. 


Wälder, die der Herbſt entzündet, 

Daß ſie grell in Flammen ſtehn, 

Runde, ſchilfumkränzte Seen, 

Matte Augen, halb erblindet. 

Leere Felder, die im Schoß 

Schon das künftige Leben tragen, 

Breite Furchen ſchwerer Wagen 

Und die Wieſen, blumenlos 

Seh ich ſtill vorübergleiten. 

Wird der Frühling hier, der Sommer wieder ſchreiten? 
Wird aus dieſem graugedörrten Land 
Safterfüllt der Halm zum Lichte ſteigen, 
Und ſich fruchtbeladen niederneigen, 

Tief umglüht von roter Blüten Brand? — 
Reuchend eilt der Zug, fein Atem brandet 
Laut wie Meerflut, und ſein weißer Giſcht 
Schäumt empor, verflattert und erliſcht. 
Keuchend hält der Zug. Wir ſind gelandet. 
Sind gelandet. Alles Künftige ruht, 

Und wir denken in der lauten Stadt 

Nicht des Kommenden, mit allen Sinnen 
Tauchen wir in eine wirre Flut: 

Jagen und erhaſchen und entrinnen. 

Und da draußen ſinken Blatt um Blatt. 
Jagen . . . und Erhaſchen .... und Entrinnen. 


| 


2 Mes, Neue Gedichte 17 


— — 


Tote Stunde. 


Mittagsglut. Mit großen Augen ſchauen 
Sonnenblumen nach den grellen Strahlen. 
Scharf vom Simmelsgrund, dem dunkelblauen, 
Heben ſich die breiten, gelben Schalen. 


Leife durch das Schleppenkleid der Eſche 
Haucht der Wind, und legt in das Gehänge 
Schwanker Zweige ſpielend eine Breſche, 
Daß die Blätter flüſtern im Gedränge. 


Auf die altersmorſchen Mauerziegel 
Stützt der Apfelbaum die ſchweren Arme, 
Silbern gleißt am Gartentor der Riegel, 
Golden glüht der Kies, der ſonnenwarme. 


Strenger Laubgeruch und Roſendüfte 
Miſchen ſich herb⸗ſüß zu luftigem Kranze. 
Durch das laue Flimmerbad der Lüfte 
Taumeln Mücken in erregtem Tanze. 


Starr wie Goldblech ſteht die Sonnenſcheibe, 
Stahlblau flirrt der Panzer der Libellen, 
Glitzernd biegt auf ihrem zarten Leibe 

Sich das Licht in ſchmalen weißen Wellen. 


Stille dehnt ſich — endlos. Wie ertrunken 
Jeder Laut, der Windhauch ſelbſt, der leiſe, 
Iſt verſchüchtert in das Gras geſunken. 
Nur die Mücken irren wild im Kreiſe. — 


18 


2* 


Könnte doch der heiße, goldne Tod 
Dieſer Stunde faſt mir bange machen, 
Kläng befreiend nicht durchs Apfelrot 
Helles, beutefrohes Kinderlachen. 


Herbſt-Andacht. 


Gebundene Garben! Still und ſchön 
Wie im Gebet geſchloſſene Hände. 
Von blauen, leicht verhängten Höhn 
Leuchten der Wälder goldene Wände. 


Es breitet hoher Feiertag 
Sich über früchteſchwere Lande. 
Fern dröhnt des Meeres Wellenſchlag, 


Und ſchluchzend rollt die Flut zum Strande. 


Ein Gottesdienſt voll Kraft und Glut 
Schenkt Predigt, Sang und Grgeldröhnen, 
Die Schar der Andachtsvollen ruht 
Gläubig vor Farben, Duft und Tönen. 


Hoch über allem Grgelklang, 

Dem brünſtig hingegebenen Schweigen 
Spielt eines Vogels kleiner Sang 

Wie Sonnenfunken auf den Zweigen. 


Iſt das die Seele, die von Glück 
Bezwungen ſich zur Höhe wendet? 
Kehrt eine Sehnſucht dort zurück, 
Erfüllt, erhoben und vollendet? 


19 


Hohes Leben. 


Noch ſind Gaben hier in Fülle, 
Wege führen frei ins Licht, 
Und des Dunkels ſtumpfe Hülle 
Streifte noch die Felder nicht. 


Noch treibt auf des Stromes Breite 
Meines Schiffes lichte Laſt, 

Und noch ſucht fein Kiel die Weite, 
Die Unendlichkeit umfaßt. 


Noch ſchenkt hohe Mittagsfeier 
Ihren Segen meiner Saat, 

Noch verhüllt kein banger Schleier 
Meiner Hände offene Tat. 


Noch. . . . . — Und will der Tag ſich ſenken 
Gibt es wohl ein Abendglühn, 

Meines Lebens Fahrt zu lenken 

In ein dankbares Verblühn. 


20 


Schönheit. 


Flimmernde Wieſen, angeſchmiegt den breiten 
Grau⸗blaſſen Felſen, Kiefern, tiefgebückt 

Wie Bettler, Tannen, jäh emporgezückt 

Gleich Schwertern die ins Himmelblau geſtoßen. 
Der ſchnelle Fluß von unbeholfenen großen 
Duftenden Lärchenſtämmen überbrückt. 

Auf weißen Wegen ein gedämpftes Schreiten, 
Hüte von Alpenblumen übernickt, 

Stäbe, die jauchzend durch die Luft geſchwungen 
Und Lieder, die von Wanderluſt geweckt, 

In zag gewordenen Lauten, wie erſchreckt 

Von ſo viel Schönheit, in ſich ſelbſt verklungen. — 
Nur Waſſerrauſchen noch und Bienenfleiß, 

Der Berge Ernſt, die Lieblichkeit der Matten, 
Lichtfernen und die Buchten blauer Schatten. — 
Ich fühle mich verwoben in den Kreis, 

Den Einſamkeit und Schönheit um mich ſchließen. 
Ein tiefes Freuen rötet mir die Wangen, 

Ich ſpüre, wie die Stunden ruhig fließen 

Und alles Harte glätten, und ich weiß: 

Ich bin nur dieſen trüben Weg gegangen 

Den kargen Weg, den ſie das Leben nennen, 
Um dieſes Tales Schönheit zu erkennen. — 


21 


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5 X 3 


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« N 1 


| Das Tagebuch. 


Auf der Terraſſe eines kleinen Landhauſes ſitzen zwei alte 
Herren. 


Der eine (in der Unterhaltung fortfabrend, indem er 
auf den Garten weift): 
m... und ſieh, wie diefer ſchöne Garten war 
Mein Leben: überſichtlich alle Wege; 
Ein kleiner Irrgang wohl mit ſcharfen Ecken 
Wie jener dort, ſonſt alles grad und klar. 
Gewiß, wohl ragten ſpitzige Zypreſſen 
Empor und ſtachen ſchwarz ins milde Blau, 
wohl gab es manche dunkle Schattenflecken: 
Des Bruders Tod, das Scheiden meiner Frau 


Der andere (einfallend): 
Doch haſt du ſie ein Leben lang beſeſſen. 


Erſter: 
Es waren vierzig wundervolle Jahre; 
Nur wurde ſie zuletzt recht ſchwach und matt, 
Ich goͤnnte ihr den Tod, wie man dem Blatt 
Das Niederſinken gönnt an Serbſtestagen 
In der Gewißheit, daß ein Wiederſehn 
In Frühlingsſonne ihm und uns beſchieden. 
Den tiefſten Dank legt' ich ihr auf die Bahre 
Und habe ruhig ſie zu Grab getragen. 
Es war ein Ausklang rein und voller Frieden. 


Zweiter (vor ſich bin): 
Wie war fie ſchön! Mein Gott, wie war fie ſchön! 


Erſter: 
Ja, lieblich war ſie und auch liebevoll, 


25 


Nicht laut in Liebe, zaghaft faſt. Verträumt 
Ging fie fo hin und ſtrich mit leiſen Sänden 
Mir alle Falten aus dem Leben fort, 
Daß keine, keine Stunde mir verdorrt, 
Und jeder Tag mir reich mit Licht umſäumt. 


Zweiter (eifrig): 
Und nie war zwiſchen euch ein Streit, ein Groll? 


Erſter: 
Nein, Ernſtes nie. Wohl kleine Zwiſtigkeiten, 
Wie ſie der Alltag ſo den Menſchen bringt, 
Als ob ein Spatz durch Nachtigallen fingt: 
Ein ſchriller, kleiner Ton, ein wenig Streiten 
Um dies und das. Wir waren ja verſchieden, 
Ich, mehr aus einem feſt umgrenzten Land, 
Den Fernen ſie, den Träumen zugewandt, 
Doch wie es war, wir waren es zufrieden. 


Zweiter (verträumt): 
. . . ja, eine Rünſtlerſeele hatte fie... . 
Ein ſtiller See, in dem die Schönheit ſich 
Abſpiegelnd, bunte Bilder hinterläßt. 
Ihr ward ein jeder Blütenzweig zum Feſt, 
Der duftbeladen ihre Wange ſtrich. 
Sie war ... wie eine ſtete Melodie, 
Wie Rhythmus, der ſich weich um alles ſchlang, 
Ein wundervoller, halbverſchwebter Klang. 
Sie war ... wie Duft von Blumen, die verborgen, 
Nur dieſes Duften uns entgegenbringen; 
Sanft war fie wie das Kauſchen weißer Schwingen 
Und klar wie Tau an einem Frühlingsmorgen 


26 


Erſter: 
Wie du ſie kennſt! Und warſt doch lange fern. 


Zweiter (ſchnell): 

Kennt man nicht feiner Seimat liebes Land, 

Nicht jenen erſten, großen Silberſtern, 

Der uns von früher Kindheit an gegrüßt, 

Den Ton, mit dem die Quelle ſich ergießt, 

Den Fliederſtrauch nicht, der am Fenſter ſtand 

Und ſüßen Duft in unſern Traum geweht; 

Der Abendwolke blaſſen Rofenrand, 

Der Glockenſtimme fanftes Nachtgebet?! !!. 

Wie follte man, was eines Lebens Kern 

Geweſen — felbft im fernſten Land — vergeſſen? ... 
(Er hält, gleichſam erſchrocken, inne.) 


Er ſter: 
Ich weiß, ſie war ein Stückchen Heimat dir, 
Ihr traft euch oft als Kinder, oft und gern. 
Dann wart ihr groß: du gingſt, und ſie blieb mir. 


S3 ßpweiter (bitter): 
. . und fie blieb dir .. . und du haſt fie beſeſſen. . 


rſter: 
Hör, Freund, jetzt will ich's ehrlich dir vertrauen: 
Ich ſchalt auf dich als einen leichten Herrn, 
Auf deſſen Wort nicht allzufeſt zu bauen, 
Als einen, der ſein Geld mit loſer Hand 
Vertan, vergeudet, nutzlos hingeſtreut. 
Sie aber ſprach: — mir iſt's, als war es heut — 
„Du und ihr alle habt ihn nicht erkannt. 
Weil ſeine Sehnſucht andre Wege ging, 


27 


Und feine Träume euerm Denken fern, 

Iſt er ein ganz Verlorner euerm Kreis, 

Ein Irrender, der keinen Weg zurück 

Und keinen Port und keine Ziele weiß.“ 

So ſprach ſie eifrig und mit warmem Blick 
Und knüpfte neu das alte Freundſchaftsband, 
Das locker zwiſchen mir und dir geworden. 
Und alſo kams, daß dich an fernen Borden 
Der Brief des auferſtandenen Freundes fand. 


Zweiter: 
So alfo wars? Gft hab' ich nachgedacht, 
Was wohl die ſtarren Sinne dir gewendet. 


Erſter: 

Beate war es, die mich dir geſendet, 
Die dich uns Freunden wieder nah gebracht. — — 
Heut jährt ſich's nun, daß ſie die Augen ſchloß. 
Viel bunte Kränze legt ich auf ihr Grab 

(Er nimmt ein kleines Buch aus der Taſche.) 
Und will auch nun einlöſen mein Verſprechen, 
Das ich ihr in der letzten Stunde gab. 
Wie gerne möcht ich dies Gelöbnis brechen! 
Iſt's doch, als würde wiederum ſie ſterben, 
Wenn ich dies kleine Buch der Flamme gebe; | 
Doch darf’s nach meinem Tode Feiner erben, 1 
Wer aber weiß, wie lang ich noch verweile, . 
Ob ich den Tag heut noch zu Ende lebe; 
Zeit hat nur Jugend, Alten ziemt die Eile. — 
Sie ſagte: „Dieſes Buch ſollſt du nicht leſen. 
Verbrenn es ſchnell.“ — Nunwohl, ich las es nicht; 
Doch konnt' ich mich ſo ſchnell nicht von ihm trennen, 


28 


Hält es doch einen Teil von ihr gefangen. 
Und immer ſchwerer wird mir meine Pflicht; 
Doch muß es fort, bevor ich fortgegangen. 


Zweiter (erregt): 
O gönn mir einen Blick in ihre Welt! 


(Der Erſte ſchlägt Feuer, hält das Buch hinein und legt es auf die 
ſteinerne Brüſtung der Terraſſe. Aus den Blättern, die von der 
Hitze auseinanderflattern, fällt ein Brief. Der Freund erkennt 
die Schriftzüge und bückt ſich, um ihn zu verbergen.) 


Erſter (bemerkt es und greift danach): 
Nein gib, mein Freund, auch dieſes Blättchen trag 
Nun ſein Geheimnis in die große Nacht, 
Damit ſich mein Verſprechen ganz erfüllt. — 
(Er behält das Blatt, ohne darauf hinzuſehen, in der Hand.) 
Mir iſt, als fühlt ich ihres Herzens Schlag, 
Der noch in dieſem letzten Blatte wacht. — 
Nun ſcheide, liebe Seele, keuſch verhüllt. 


(Er will das Blatt in die Flamme legen, zögert dann aber.) 


Ach Gott!. ... nur einmal! .. laß mich einmal nur 
Die lieben Züge noch vor Augen ſehn. 
Nur ſehn! Mir blieb ſo wenig ihrer Spur 


Zweiter (baftig, ihm in den Arm fallend): 
Derbrenn’ das Blatt! Du ſündigſt! Gib es hin! 
Die Flamme zittert, ſie wird bald verwehn. 

Erſter (auf den Brief niederblickend, betroffen): 

Die Schrift? !.. Mein Gott!... — Iſt das nicht 
deine Schrift? 
(Er lieſt, während der andere ſich ſchweratmend gegen die 
Brüſtung der Terraſſe lehnt.) (Pauſe.) 


29 


Erſter: 
Ein Puppenfpiel . . mein Leben. ohn 


Sinn Er u Bus 
Ein Traum, ertränkt . .. in einem Becher 
Gift «„ 2 „ „46 Er: 


(Er ſinkt ſchwer auf einen Stuhl.) 


Zweiter bperſucht ihn aufzurichten): 
Komm zu dir, Lieber! Sör' mich ruhig an. 
Laß dir erklären. .. Brich nicht gleich der 
Stab 
Laß mich dir ſagen .. offen, Mann zu Mann 
Erſter (vor fib bin): 
Nun welft der Kranz mir um mein Doppelgrab; 
Nun ſchaudert's mich, zu ihr hinabzuſteigen, 
Der ich ein Nichts war, das in ſich zerfällt, 
Die nie mich liebte, nie mir war zu eigen. — 
Nun ſinkt das Leben, eine faule Frucht, 
Vom morſchen Baume, dem kein Abendglanz 
Die Krone mehr umſchmückt mit rotem Kranz. 
Die ganze Erde wird zur dumpfen Bucht, 
Die alles Licht aufſaugt aus meiner Welt. 
Zweiter (für ſich): | 
So zart, fo ſcheu, fo ſorgſam ſtets gehegt, \ 
Muß das Geheimnis nun zu Tage brechen 1 
Und treffen, wie ein roher Sammer trifft; ' 
Muß wirken wie ein ätzend ſcharfes Gift, ! 
Verwirren dieſes friedevolle Leben, 
Daß es, am Ufer ſchon, noch Wellen ſchlägt ... 
(zum erſten.) 


Sor, liebſter Freund, laß mich dies Wort noch ſprechen 


30 


Nie hab ich eine Blüte nur zertreten, 

Die deinem Garten ihren Glanz gegeben, 

Nur meine Seele ſchwebte ob den Beeten. — 

| (Paufe.) 

Zwei ganz Verarmte ſtehn wir vor dem Tor, 

Das bald auch unſer Wanderſchritt durchmeſſen, 

Ich, der ſie nie und der ſie doch beſeſſen, 

Du, der beſaß und dennoch ſie verlor. — 

Was neu ſie band, laß uns es nicht zerreißen, 

Nicht Feindſchaft werden, was Geſchick beſtimmt. 
(In die Landſchaft weiſend.) 


Sieh, wie der Abend durch die Bäume glimmt 
Und war gewohnt, als heller Tag zu gleißen. — 
Leer iſt das Feld, die letzten, loſen Ahren 

Sind eingeſammelt und uns blieb kein Reft. 

Dir ward ja doch der Tag zum goldnen Feſt, 
Mir mußte ſich der Traum zum Seft verklären 


Erſter: 

Nun liegt das Dunkel über meinem Saus, 
Der Garten iſt von Schatten überwoben; 
Mich wundert nur, daß immer noch dort oben 


mz weiter: 

| Die Sterne ſcheinen, und die Sonne liegt 
Bald wieder überm Garten, ihn zu ſchmücken. 
Auch über dunkle Buchten führen Brücken. 
Und iſt die Seele Dir jetzt ſchmerzgepflügt, 
Es werden ſich die tiefen Furchen glätten. 


31 


Du wirft verzeihn, mehr noch: du wirft verſtehn, 
Sehn, wie wir alle ſchwer in Retten gehn, 

Nur, daß nicht jeder ſieht des andern Ketten. 
Und hat mein Träumen Wunden dir geſchlagen 
Laß unſre Armut uns gemeinſam tragen! 


Erſter: 
Vielleicht — noch weiß ich nicht, wie ichs verwinde — 
Kommt eine Stunde, die die Wunde ſchließt, 
Entſpringt ein Quell, der liebreich übergießt 
Die Kluft mit feines Waſſers Silbereile . . . 
Daß ich den Weg zu Dir dann wiederfinde 
Und meine Seele auf dem Wege heile. 


. — — ve 


32 


Beethoven⸗Sonate. 


Blaſſe Blüten, grelle Sterne 
Heben ſich aus ſattem Grün, 
Schlingen ſich zu loſen Ketten, 


Die, vom Lauf des Bachs zerriſſen, 


Sich ans andre Ufer retten; 
Zeigen hier ein blaues Kiſſen, 
Dort ein weißes Kreuzgebilde, 
Gelbe, lila⸗rote Schilde, 

Wie von Kinderhand geſät 

In der Wieſe weiten Schoß, 
Leicht und bunt und regellos, 
Wildes, übermütiges Blühn. — 
Düfteſchwerer Windhauch weht, 
Und des Mittags Sonnenfunken 
Sind verſchwenderiſch geſtreut 
Wie ein feiner goldner Sand. 
Ferner Glocken Seftgeläut . . 
Und die Weite traumverſunken. — 
Langſam keimt am Simmelsrand 
Abendröte, brünſtiger Schein, 


Strauchgewirr auf Wieſenwellen 


Alles ſchläft in Gluten ein. 

Aus umblühten Neſtern quellen 
Vogellieder, liebeſchwer. — 

Doch der Abend muß verblaſſen, 
Und es geht die Nacht einher. 
Weiße ſchlanke Genien faſſen 

Sich bei ſchlanken weißen Händen, 
Zweige reichen ſie ſich zu, 


3 Metz, Neue Sedichte. 


33 


3$ 


Norbeerzweige von Geländen, 

Die der Seligen Fuß betreten. 

Und es klingt wie leiſes Beten, 
Wie ein leiſes Symnenfingen, 

Wie ſie bald im Wandeltanze 

eib um Leib durch Leiber ſchlingen, 
Eng vereint zu rundem Kranze. 
sjeitre fanft bewegte Ruh. 

Und die Ebne braun und weit. 
Alle Gluten nun verſunken, 

Und das Lied aus Vogelkehlen, 
Das erklungen ſommertrunken 

Vor des Abends rotem Tor, 
Taſtet nach den Blütenſeelen 
Zagend durch die Dunkelheit. 
Strenger Odem ſteigt empor. 

Wie ein Selm aus ſtumpfem Stahl, 
Drin Gpale eingelaſſen, 

Runden ſich die Wolkenmaſſen. 
zitternd trifft der Sterne Strahl 
Auf die weißen Hände nieder, 

Die wie bleiche Grchideen 

Auf des Grundes Dunkel ſtehen. 
Langſam ſchwellen an die Lieder, 
Bis zu hallendem Chorale 
Aufgeblüht der Klänge Reigen, 
Und das Licht der Mondesſchale 
Fängt ſich in den ernſten Zweigen, 
Die, gedrängt von heiligen Mächten, 
Keimend, ſprießend ſich verflechten, 
Bis zu einem einzigen Baum 


Eingeengt die Duftend⸗Schlanken 
Und es liegt der weite Raum 

Still wie unbetretnes Land. 

Um des Selmes dunklen Rand 

Krauſe Silberlocken ranken. — 

Fern verſchwebt der Genien Reigen 
Wunderbares, tiefſtes Schweigen 

Hat den ſtarken Sang beſiegt. 

Stumme Landſchaft: 

Baum im All. 

Aſte, die zum Simmel bauen, 

Sterne, die zur Erde ſchauen 

Von der Einſamkeit gewiegt. 

Nur der Tau in leiſem Fall 

Stört die unbefleckte Stille, 

Breitet ſeines Segens Fülle 

Über ſeliges Erblühen. 


ùàt•Äfern wie im Verglühen 


Schluchzend eine Nachtigall. 


33 


Der Gaſtgeber. 


Die Kerzen brannten. Bunt, in flachen Schalen 
Lag edles OGbſt, und in geſchliffenen Kannen 
Glomm dunkler Wein. Viel Blumen, hingeſtreut, 
Entſandten Düfte. Über hohen Tannen, 

Die eng das weiße Haus gefangen hielten, 

Wie Silbertücher ſpannte ſich das Licht 

Des vollen Mondes. Alles war bereit 

Und wartete. Die Säſte kamen nicht. 

— Zwei ſpäte Falter um die Flammen ſpielten. — 
Der Hausherr ſchritt im Zimmer hin und her, 
Schob ungeduldig an den breiten Stühlen 

Und fpäbte ſcharf nach draußen, wo der ſchwülen 
Stumpf⸗blauen Nacht die Türe offen ſtand. — 
Die duftgetränkte Stille wurde ſchwer. — — 

Da glitt es wie ein Schatten längs der Wand 
Kam langſam ſchleichend über die Terraſſe, 
Unangemeldet trat es langſam ein 

Das Antlitz ſchützend vor der Kerzen Schein 

Das ſeltſam ſchemenhafte, ſeltſam blaſſe. 

Der Hausherr ging, die Hände ausgeſtreckt, 

Den erſten, den willkommenen Gaſt zu grüßen; 
Der aber zögerte noch an der Schwelle, 
Zurückgewendet nach dem dunkeln Park, 

Halb zwiſchen Dämmerlicht und breiter Selle; 
Vom langen Mantel die Geſtalt verdeckt, 
Verharrte er mit feſtgeſchloſſenen Füßen. — 

Der Blumenduft ward brünftiger, und ſtark 
Strömte der Wein berb-füßen Atem aus — 

Der Hausherr ſah dem Gaſte ins Geſicht: 


36 


Ein Fremder war es, den er nicht geladen, 
Auch keiner von den frühen Kameraden, 

Ein Fremder, der noch nie in feinem Haus. — 
— Die beiden Falter taumelten ins Licht. — 
Der Fremde aber ſprach: „Mein werter Freund, 
Ich komme, um Verzeihung zu erbitten 

Für Eure Gäſte, die zu dieſer Zeit 

An jenem Tiſche ſich erlaben ſollten, 

Und deren keiner heute mehr erſcheint. 

Es dünkt mich eine Pflicht der Höflichkeit 

Sie abzumelden. Wißt, ſie ſelber wollten 
Recht gern zu Eurem kleinen Feſte kommen. 
Ihr wart bei ihnen, hört ich, wohlgelitten; 

Sie koſteten im voraus das Vergnügen: 

Es naſchten am Ronfekte ſchon die Damen, 
Die Serren ſchmeckten Wein aus alten Krügen. 
Und das war gut, denn als ſo alle vier 

Im Wagen ſcherzend mir entgegenkamen, 

Hab ich bei mir ſie heute aufgenommen, 

Mich trifft die Schuld: Die Gäſte ſind bei mir. 
Es lüſtet mich zurzeit nach feinen Köpfen, 
Nach vornehm⸗ſchlanken, wohlgeformten Gliedern, 
Nach jungem, lachendem, geſundem Leben, 

Im Frack verborgen und in Seidenmiedern, 
Nach Glücklichen, die ſpielend Schätze heben 
Und ſich nur Röſtlichkeit vom Daſein ſchöpfen. — 
Zwei Herren, wie zwei Damen, wohlgemerkt, 
Lud ich mir ein und holt ſie ſelber ab. 

Nur ſchade, daß fie ſich nicht erſt geſtärkt 

An euren Weinen, den erleſenen Früchten, 

Weil ich dergleichen nicht zu bieten hab, 


37 


Mein Tiſchſpruch, werter Serr, heißt kurz: Ver 
zichten.“ — 
Der Hausherr unterbrach: „Was wollt Ihr hier? 
Iſt dies ein Scherz, und hält man mich zum Narrn? 
Wo find die Bäfte, die ich heut erwarte? | 
Ich gebe, lieber Freund, nicht leicht ins Garn.“ — 
„Sagt ichs noch nicht, daß ich am Wege barrte, 
Sie aufhielt in der Fahrt? .... Sie find bei mir. 
Ich grüßte fie, die flinken Pferde ſcheuten ni 
Ihr findet unweit fie am Wege liegen 
Ich muß recht deutlich ſprechen mit den Leuten, 
Sie machen mir nicht gerne das Vergnügen. — —“ 
Der Hausherr zitterte, er wurde bleich 
Und ſank erſtarrt auf einem Stuhl zuſammen. 
Der Fremde griff die Falter, von den Flammen 
Schon ganz verſehrt, wog fie auf flacher Hand | 
Und fuhr dann fort: „Ich bin, mein Freund, nicht 
reich; | 
Wohl habe ich ein ausgedehntes Land, 
Doch tragen jene, die es ſtill betreten, 
Nicht viel hinein: Krankheit und Alter, Not, | 
Auch Liebeskummer unter ſchmalen Beeten 
Ruht wenig Roſtbarkeit. Ich bin.“ „Der Tod!“ —— | 
Der Hausherr ſchrie es, und die Wände gellten N 
Von feinem Schrei. Mit feinen Glockentönen 
Verkündete ein Uhrwerk ſpäte Stunde, a 
Indes vom Park herauf erregte Hunde 
Mit heiſern Stimmen winſelten und bellten. 
Und Diener kamen, ſchreiend ſchon von fern, 
Daß ſich ein Unglück auf der Fahrt begeben, 
Die Pferde ſcheuten, und der Wagen brach, 


' 
{ 


38 


und daß ſie alle vier nicht mehr am Leben: 

zwei junge Damen und zwei junge Herrn. — 
Der Hausherr hörte nicht mehr, was man ſprach, 
Er hob ſich, ganz von Sinnen, ſteil empor, 
Griff übern Tiſch. .. — rot blutete der Wein 
Aufs weiße Tuch, N ſchönen Blumen knickten 
Bald unter feinen vorgeſtreckten Sanden 
Und ſtarrte nach der Türe, nach den Wänden, 

In Parkestiefe ſeine Augen blickten, 

Den Fremden ſuchend, der ſich jäh verlor. 

Der aber war verſchwunden. — — — Farblos lagen 
Die beiden Falter, von der Glut verſengt, 

Und über die Terraſſe, dicht verhängt, 

Ward ſtill der erſte Gaſt hereingetragen. 


39 


Hagar. 


.. . . Und Sagar ſah den Herrn und Gatten an 
— Die dunkeln Augen weitete Erſtaunen — 


Dann ſenkte ſie den Blick. Mit ſchmalen braunen, 


Mit raſchen Händen griff fie nach dem Stab, 
Griff nach dem Brot, das Abraham ihr reichte, 
Und nach der Sand, die er zum Abſchied gab. 
Noch einen letzten Blick gab fie dem Mann 
Und ſtand in Glut, und Abraham erbleichte. — — 
Und Sagar ging. Schwer hing fi in ihr Kleid 
Der Knabe Ismael; er murrte leiſe: | 

So fort zu müſſen von den Lämmern, Tauben, 
Die er gewartet und die ihn beglückt, 

Von Gärten, deren Früchte er gepflückt, 

Süße Granaten, ſäftereiche Trauben, 

Er weinte lauter bald um Spiel und Speife. — 
Weit dehnte ſich die Wüfte, endlos weit. — 

Die Tage krochen einer nach dem andern 

Wie lahme Schnecken kriechen langſam fort. 
Reglos das Land, von Sonnenglut verdorrt. 
Und alle Tage ſahen ZSagar wandern. — 

Die Pfade fingen an ſich zu verwirren. 

Kein Menſchenlaut, der wüſtentiere Heulen 

Von ferne nur, und wilder Tauben Girren. 

Der Wind erhob den Sand zu fahlen Säulen. — — 
Der Knabe, den die wunden Füße brannten, 
Begann zu jammern, ſtill in ſeinen Locken 
Verſanken ſeiner Mutter bange Tränen, 

Denn Trank und Speiſe waren aufgezehrt. 

Die Sonne, wie ein Glut gewordenes Schwert, 


40 


ira Min An = 


Stieß ihre Glut ins Land, das dürr und trocken. 
Und näher ſchon das Heulen der Hyänen. — — 
Mit Armen, die ihn kraftlos nur umſpannten, 
Bettete Hagar ihren jungen Sohn 

Zu letzter Ruhe in verbranntes Gras. 

Dann eilte ſie, ſein Sterben nicht zu ſehen; 

Sie hob die Hände, betete und ſchrie 

Und ſtieß in ihrer Schmerzen Übermaß 

An Steinen blutig Stirne, Bruſt und Knie 
Und war nur mehr ein einzig brünſtiges Flehen. — 
Da klang zur Erde ſeltſam⸗ſüßer Ton, 

Wie Silberharfen, die am Abend klingen 
Die Arme in den weitgewordenen Ringen, 

Die leiſe klirrten, hob das Weib empor 

Und lauſchte, ob das Klingen ſich verliere, 

Ob es verging, ein Nebel ihren Sinnen, 

Nur Laute aufgeſchreckter Wüſtentiere, 
Zungriger Vögel Schrei im nahen Rohr. 

Doch näher war und immer leiſes Rinnen. 
Und eine Stimme rief: „Es hörte ſchon 

Des Kindes Jammer ſeiner Mutter Not, 

Der ſtark die Welt in ſtarken Händen trägt. 
Geh zu dem Knaben, deſſen Herz noch ſchlägt, 
Erlabe ihn und führe deinen Sohn 

Zu neuem Leben gen das Morgenrot 

Und laſſe ihm die mütterlichen Hände, 

Starke Geſchlechter hütet deine Sand!“ 
Und Schweigen, Sonnenglut und greller Sand. 
Der Cherub ſchwand, es ſchobeu ſich die Wände 
Des blauen Athers, der ihn freigegeben, 

Wie eines Zeltdachs weiche Falten zu. — 


71 


Hagar erhob ſich aus erſtarrter Ruh, 
Kaum meifternd ihrer ſchwachen Glieder Beben. 
Der leiſe Windhauch, der vorüberſtrich, 

Hob Blattgewirr, das ſich zum Dache baute, 
Von einer Quelle, deren Rieſellaute 

Die ſchwergewordene Stille hell durchbrachen. 
Da neigte Hagar traumhaft lächelnd ſich, 
Sie ſchöpfte, ging und labte ihren Knaben. 
Leicht fügten ſich die Wege ihren Sohlen, 
Die keine Dornenreiſer mehr zerſtachen. 

Und Iſmael, mit tiefem Atemholen, | 
Nahm lächelnd eines neuen Lebens Gaben. 


42 


Kaſt in der Wüſte. 


Iſrael lagerte von heißen Mühen 

Der Wanderſchaft erſchöpft im Wüſtenſand. 

Starr ſtand des Himmels blaue Flammenwand, 
Kein Baum gab Schatten und kein Strauch fein 
Blühen; 

Die Schläuche leer und alles Waſſer ferne 

Kein Bachgerieſel, keines Fluſſes Wellen, 

Kein Brunnen, keine ärmliche Ziſterne. 

Das Blut nur ſang wie Murmeln naher Quellen. 
Kaum, daß die trockene Kehle noch das Mahl 
Sinunter würgt, das harte, halbverdorrte. 

Und Flüche werden laut und bittre Worte, 

Denn durch das Lager ſchleicht des Durſtes Qual. 
Und Träume kamen, grauenhafte, wilde 

Don Strömen Blutes, die fie gierig tranken; 

Und Träume kamen, wundervolle, milde, 

Von blauen Bächen unter Blütenranken. 

Und wenn ſie, aufgeſchreckt aus ſolchem Traum, 
Mit irren Händen nach den Bechern faßten, 

Und wenn des Mundes ausgedörrter Saum 

Sich gierig trennte, um das friſche Naß 
Sineinzuſaugen, o der jähe Schmerz, 

wenn glühender nur noch des Bechers Erz. — 
Und langſam aus dem Durſte wuchs der Haß, 
Und Moſe war es, den ſie alſo haßten. 

Er aber, dem die dunkle Blüte trieb, 

Zob feine Hände über aller Leben: 

„Jehova, wenn Dir dieſes Volk noch lieb 

Und du nicht willſt, daß halben Wegs verſiegen 


1 5 


Die roten Ströme feiner Lebenskraft, 

So löſe Quellen aus der Erde Haft, 

Daß ſie den Dürſtenden zu trinken geben, 
Denn ſiehe, ihre Seelen unterliegen!“ — 

Und in dem Rauſchen, das von Gſten wehte, 
Vernahm er ſeines Herren Machtgebot, 

Des Herren, den Iſrael in feiner Not 

Inde ſſen laut und ungebändigt ſchmähte. — 
Die Menge teilend, die wie ſtarre Wogen 
Sich um den Felſen ſchlang, der einſam lag, 
Schritt Moſes, und es traf ein harter Schlag 
Von ſeinem Stabe gen das Felsgeſtein. | 
Da, wie von feiner Hand herabgezogen, 
Wand ſich zu Tal ein ee Band 


Lebendigen Waſſers . — Schweigend lag das 
Land. S 0 


Dann füllte dieſe Stille lautes Schrein. 
Und Iſrael fiel nieder, und der Dank 


Aus tauſend Kehlen ſchluchzte durch den Raum. 


Und Iſrael fiel nieder und es trank. — 

Der Führer aber wartete, im Traum 

Sah er verirrtes Volk ſich an der Schwelle 
Des neuen Landes finden, neu geeint 

Zu einer Kette, die unlösbar ſcheint. — 

Da ging auch er und beugte ſich zur Quelle. 


44 


ö 4 — 2 — 4 —0 — 


Gin m 7. 


Jakobs Traum. 


Die Dunkelheit wuchs um den letzten Schein 

Der Sonne, und des Tages geller Ton 

Schlief in der Stille Flüſterlauten ein. 

Den ſchwülen Atem hauchte wilder Mohn 

mit rotem Mund auf ſchweigendes Gefild, 

Und alles Leben fügte ſich zum Bild. — — — 
Jakob der Jüngling lag vom Weg ermattet 

— Auf kühlem Stein das golden⸗braune Haupt — 
Am Baume, deſſen Krone dicht belaubt 

Die Nacht mit ihrem tiefen Samt durchſchattet. 
Bald ſchenkten erſte Sterne blaſſes Licht 

Und einten ſich, mit matten Silberkränzen 

Das ſtumpfe Blau des Himmels zu durchglänzen. 
Und Jakob hatte ſchlafend ein Geſicht: 

Es zog ſich eine goldene Leiter nieder 

Aus Sternenhöhe bis zum Erdenrund; 

Und ſolch ein Leuchten ging von ihren Sproſſen, 
Daß der in Sinfternis erloſchne Grund 

Wie von der Sonne Mittagsglut umfloſſen. 

Ein jedes Ding gab dieſes Leuchten wieder. 

Und Engel ſtiegen über jene Brücke, 

Die nun die Welt dem Gottesreich verband, 

Sie gaben leiſe ſingend ſich die Hand, 

Und Seligkeit war jeder ihrer Blicke. 

Gott aber ſtand in wunderſamer Pracht 

Am Tor der Welt und ſprach .... Die Stimme glich 
Der Harfe Klängen und der Ströme Rauſchen, 
Und alles ward zum Ohre, ihr zu lauſchen: 

Der Panther, der die Palmen ſcheu umſchlich, 
Die bunten Tauben, die ins Laub ſich ſchmiegten, 
Die ſanften Winde, die die Wipfel wiegten 


45 


So aber kam es durch die ſtumme Nacht: 
„Sieh, dieſes Land, das breite Flüſſe tränken, 
Das feſtlich ruht mit lichtdurchwirkten Weiten, 
Mit ſilberblaſſen grün⸗umgrenzten Seen, 

Mit Sainen, die wie dunkle Träume ſtehn, 
Siehe, den reichen Schoß voll Röſtlichkeiten, 
Ich will ihn dir und deinen Söhnen ſchenken. 
Gen Morgen, Mittag, Abend und gen Nacht 
Sollſt du dich breiten in der Enkel Zelten, 
Ich führe dich hinauf zu Glanz und Macht.“ — — 
Und als die Lande ſich im Frühlicht hellten, 
Erwachte Jakob und er ſah den Tau 

Des neuen Tags, der auf den Dingen war, 
So ſeltſam leuchten, ſeine Augen blickten 

Mit gleichem Leuchten um ſich in den Glanz. 


Er griff ans Haupt, ihm ſchien, als ſei ein Kranz, 


Ein Kronreif eingeflochten feinem Haar; 
Doch über ihm war nur des Himmels Blau 
Und nur die Blüten, die vom Baume nickten. 
Da ward er ſeines Traumes ſich bewußt 
Und ſpürte tief, was Gott ihm offenbart. 
Heiß pochte ihm der Serzſchlag in der Bruſt, 
Es deckten ſeine Wangen ſich mit Glut, 

Aus Scham und Freude ſonderlich gepaart; 
In ſeinen Adern aber ſang das Blut, 
Erleſen wie der ſchweren Trauben Saft, 
Und ſprengte faſt den köſtlichen Pokal, 

Und in den Armen ſehnte ſich die Kraft. — 
Er richtete den Feldſtein auf als Mal 

Dem Ewigen, dann eilte er dem Land 

Des Morgens zu, das hell in Roſen ſtand. 


46 


Das Bild. 


Grau war der Krug und weiß die Hand, 
Die nach dem grauen Kruge griff; 

Ein leiſer Wind vom Turme pfiff 

Und jagte ſpielend übers Land. 


Der Brunnen gab ein Bild zurück, 

Ganz klar ſtand das auf ſeinem Grund: 
Die Wangen rund und rot der Mund 

Und hell der Blick, lichthell der Blick. — — 


Er wollte nur das Bild beſehn, 

Es lachte ſo zu ihm empor — 

Dem Gaul die Zügel übers Ghr! 

Und der blieb ſtehn, blieb zitternd ſtehn. 


Der Bub zum Brunnenbild hinab 
Er beugte ſich, er neigte ſich, 

Und wie er mit den Fingern ſtrich, 
Ergriff er ſie, die ſich ergab. — — 
Der Burghof lag in hellem Licht, 

Tief⸗dunkel war das Turmgemach, 

In das niemals die Sonne brach. 

Sie fürchteten das Dunkel nicht. — 


Der Senker hat ſo harten Griff! — 

Sie war das Fräulein, er der Knecht! 
Geſchah ihm recht! — Geſchah ihm recht?. 
Ein leiſer Wind vom Turme pfiff. — 


— — — — — — — — — — — — 


41 


Silberne Stunde. 
(Weft: $landern.) 


Frühmorgenſtunde. Es atmet der See 

Breite Bruſt unter zitternden Wellen. 

Möwen, die hellen, 

Tragen den Schnee 

Ihrer Schwingen empor in ſilbernes Grau, 

Das ſich zögernd von Nebeln befreit. 

Dünen und Strand vereinfamt . . weit 

Nur eine Frau, eine junge Frau 

Niedergebeugt zu Muſcheln, die feſt 

Eingebettet liegen im Sand 

Wie Kinder im Bett, kleine Vögel im Yieft. — — 

Durch meine Tage windet das Band, 

Das ſilberne Band dieſer Stunde ſich hin; 

Warum? Ich weiß es nicht, aber ich bin 

Dieſer Frau ſo nah, die ſuchend ſteht 

An Ufern, ganz leer, 

Über die das Meer 

Mit taſtenden kleinen Wellen geht 

Und ihnen nur Muſchelſchalen läßt: 

Eingebettet wie Kinder oder wie junge Vögel im 
Neſt. — | 


48 


Am 


* 


2 


Der verſchloſſene Garten. 


In jenem Garten ward der Frühling wach 
Und warf fein Grün um dunkle Mauerrücken. 
Der Sommer kam und ließ vom Laubendach 
Lichtblauer Dolden junge Anmut nicken. 


Der Serbſt trat ein mit Frucht und ſattem Duft, 
Und alles Blühen ward zu reifen Garben. 

Der Winter ſchenkte ſeine keuſche Luft 

Und deckte mit dem Schneetuch alle Farben. — 


Ich wartete am Parktor, zag und ſcheu, 
Und wagte nicht den Garten zu betreten, 
Glanz, Duft und Reife zogen mir vorbei, 
Prunkten und ſtarben auf den weiten Beeten. 


Ich ſah des Reigens immer neues Spiel, 
Erlebte es von ferne mit Entzücken 

Und hoffte heiß, daß eine Blüte fiel, 

Mir meine bange Einſamkeit zu ſchmücken. 


Dann öffnete ich jäh das Gittertor — 

Schon zitterten die Sände mir vom Warten — 
Doch wie ich mich in ſeinen Raum verlor, 
Verſandete der wechſelvolle Garten. 


Nur Gde fand ich, alles Leben ſchwand, 
Der Blumen Zartheit und die Kraft der Bäume. 
Da fioffen Tränen über meine Hand, 

Und vor dem Parktor ſtarben meine Träume. 


4 * 


Ideale. 
Ich griff in einen reichen Frühlingsbaum 
Und ſtreute Blüten auf den Staub der Gaſſe, 
Mit Schönheit ſeine Armut zu verdecken. 
Da gab es bald ein wildes Hälſerecken 
Und mich umdrängte eine laute Maſſe, 
Die mich verhöhnte, mich und meinen Traum. 
Nun geh ich längſt in jener Menge mit 
Und blicke nur hinauf, wo Träume blühen; 
Und alles läuft in ſeines Alltags Gleiſen. 
Doch wenn verwelkte Blüten ſo im leiſen 
Herniederſinken mich berühren, glühen 
Mir jäh die Wangen, und ich möchte weinen 
Vor tiefer Scham, daß mir mein Traum entglitt 
Durch das Geſchrei der Häßlichen und Bleinen. 


Warten. 


Der Veilchenſtrauß im bunten Japantopf 
Entſendet letzten müden Duft ins Zimmer, 

Der Lampenſchale mattes Goldgeflimmer 
Umzittert Dantes ſtrengen Bronzekopf; 

Ein Juno-Saupt, die Augen blicklos⸗weit, 
Starrt in des Winkels warme Dunkelheit. — 
Die Frau im Seſſel, halb nur noch belichtet, 
Das dunkle Haar von Spangen jäh durchglänzt, 
Sitzt, vom Brokat des Kiſſens ſteil umkränzt, 
In heißem Warten ſtarr emporgerichtet. 

In ihren ſchmalen Fingern bebt ein Buch, 
Dem Schilde zu vergleichen, der den Feind 
Abwehren ſoll; nein, eher wohl dem Tuch, 
Das flatternd einem Freund entgegenwinkt, 
Dem Traume wohl, in den man ſich geweint; 
Ja, gleich dem Traume, der Vergeſſen bringt. 
Des Buches Zeilen abwärts ſteigt der Blick 
Wie Rinderfüße über Leiterſproſſen 
Sprunghaft und raftlos baftend, und verſchloſſen 
Bleibt ſo der Sinn dem Geiſte. Das Getick 
Der Uhr umſäumt mit feinen, leiſen Stichen, 
Wie eine Nadel, die den Faden zieht, 

Die Stunde, die ſo leuchtend aufgeblüht 

Und unerfüllt und ſchattenhaft verblichen. 

Die Stunde, ausgeſchmückt mit Licht und Duft, 
Sollte den wundervollen Truhen gleichen, 

Den edelſteinbeſetzten, überreichen: 

Mit ſattem Samt der Boden ausgeſchlagen, 
Ein köſtliches, ein zartes Glück zu tragen, 


53 


Und blieb nur eine ungefüllte Gruft. — 

Die Türe gebt, der Vorhang ſchwankt zurück, 
Und auf der Schwelle, Lächeln in den Blicken, 
Steht die Erfüllung, ſteht des Wartens Ziel 

Und beugt das Knie, im Ernſt halb, halb im Spiel. 
Doch jene Frau fühlt noch das Zeigerrücken, 

Der Stunde Trümmer fühlt ſie, Stück um Stück, 
Und bietet ſtatt des Lächelns liebem Gruß 

Nur Tränenſpuren auf erſchöpften Zügen, 

Und ſchemenhaft, mit leiſem Geiſterfuß 

Kommt es daher wie künftige Liebeslügen. 


54 


Spiel im herbſtlichen Park. 


Goldbraun umrahmt die ſchmalgewundenen Gänge, 
Auf die ein bleich gewordner Simmel blickt. 

Das Gras von ſpäten Blüten leicht durchſtickt, 
Ein Klingen, wie verſchwebende Geſänge . — 
Die Waſſerbecken, ausgeſchöpft und trocken, 
Ergreifen ſeltſam, blinden Augen gleich, 

Die ſteinernen Najaden liegen bleich 

Und heimatlos, Serbſtfäden in den Locken. 

Und Träumen über der gefangnen Stille 
Wehmut und Sehnſucht eingeſchmiegt den Hecken, 
Erſchöpfter Bäume müdes Waffenſtrecken, 
Und Düfte halbverſehrter Blumenfülle. — — 
Ich gehe mit zwei lieblichen Trabanten, 

Zwei Knaben, die mich hellen Blicks umſchmeicheln, 
Die Wege hin; verwelkte Blätter ſtreicheln 

Sanft meines Kleides buntgewirkte Kanten 

Die Knaben, aufgereckt zu ſtarrer Würde, 

Wollen gleich Pagen meine Schleppe halten, 

Und eifrig raffen ſie die leichte Bürde. 

So werden wir zu Märchenbuchgeſtalten. 

Ich, die Prinzeſſin, ſchreite nun durchs Tor 

Dem Schloſſe zu, es brennt im Abendſchein 

Der Purpurfahne heißes Flammenzeichen 

Ins roſenüberglühte Land hinein. 

Im Saal erklingen die berauſchend weichen 
Tanzweiſen, denn der Reigen ſoll beginnen, 
Geführt von Helden und von Königinnen. — 
Bald haben wir uns ſo ans Spiel verloren, 

Daß, dunkel drohend aus des Parkes Ecken, 


55 


Die Schatten tiefer Dämmerung uns erſchrecken 
Und uns vertreiben aus den goldnen Toren. 
Und die wir eben noch in Wunderhainen 

Des Maͤrchenlandes ſelig uns ergingen, 

Stehn fröſtelnd vor des Alltags fahlen Dingen. 
Die ſtolzen Pagen, zag und würdelos, 

Bebend vor Kälte, fangen an zu weinen; 
Und von des Nixenbrunnens trocknen Steinen, 
Von dürren Ranken überdeckt und Moos, 
Bringt uns das Echo dieſes Weinen wieder; 
Es zittert nach in ſtillgewordnen Weiten, 

Die nur belebt vom Neidgezänk der Raben. 
Wie welke Blätter wehn die Träume nieder 
Lachend umfang ich meine Edelknaben 

Und flieh dies Reich verblühter Serrlichkeiten! 


56 


Der Geiger. 


Von den Saiten ſeiner Geige weht es wie der Duft 
von Almen, 

Klingt es wie aus alten Pfalmen, 

Süßen, heiligen Legenden. 

Unter ſeinen ſchmalen Händen 

Sprühen Farben, jähe, grelle, 

zucken Lichter, rollt die Welle 

Leicht vom Wind berührter Meere, 

Wandern Pilger, ſtürmen Heere, 

Schreit das Leben, ſtöhnt das Sterben, 

Lacht das Laſter, ſeufzt das Leid, 

Jubelt ſelige Trunkenheit, 

Gellen Wahnſinn und Verderben 

Und durch all das Wirre, Wilde, 

Kommt ein Ton wie Frühlingswehn, 

Und er bleibt, der zaghaft milde, 

Vor den ungeſtümen Klängen, 

Die aufkeuchend ihn umdrängen, 

Jäh und wie erſchrocken ſtehn, 

Angſtvoll, daß ſich ihm vermähle 

Dieſe Brandung aller Triebe. 

Wie ein Reis in heiligen Sainen 

Blüht empor das leiſe Weinen 

Einer zarten Kindesfeele, 

Die auf ganz verlaſſenen Hängen 

Ihre Seimſtatt ſucht: Die Liebe. 


57 


Schloßbeſuch. 
Dein weißes Schloß auf ſeinem Tannengrunde, 
Am Teiche, der von Iris ganz umſäumt, 
Und die Alleen, ſtatuengeſchmückt 
Dies Bild der Schönheit hat mich ſehr beglückt; 
Und wenn ich einen Edelſitz geträumt, 
Ich ſah ihn wie zu jener Abendſtunde. 


Das Hallenrund von grünem Licht erfüllt, 
Uraltes Schnitzwerk, Waffen an den Wänden, 
Geſchwärzte Truhen mit Beſchlag aus Eiſen 
Die alten Diener, mit den ſanften leiſen 
Bewegungen, den wohlgeſchulten Händen, 
Wie eingewoben dieſem ſtillen Bild. 


Zwei ſteile Türen weichen jäh zurück, 

Und eine bunte, tiefverſchwiegene Schar 
Blickt goldumrandet von der hellen Wand: 
Prunkvolle Ketten, breites Ordensband, 
Perldiademe in gewelltem Saar 
Geſchürzte Lippen und ein kühler Blick. 


Ich ſchreite langſam deiner Ahnen Reihe 
Hinauf, hinab und leſe ihre Namen. 

Und jene Frauen, ſtarrend von Brokaten, 
Und dieſe Männer ritterlicher Taten 

Blicken wie zürnend aus den runden Rahmen 
Auf mich, die Seimatlofe, Fremde, Freie. 


Wie plötzlich hundert Kerzenflammen ſprühen, 
Das halbe Dämmerdunkel ſchnell zu brechen, 
Fühle ich deinen Blick herüberfragen 


58 


Und ſehe dich an einer Bitte tragen, 
Doch keiner wagt ein erſtes Wort zu ſprechen, 
Und beide eint ein wachſendes Erglühen. 


Ich aber muß der ſtummen Bitte wehren, 
Denn ſieh: ich würde dir zur Seite ſchreiten, 
Als ob ich ſchwer in ſchweren Feſſeln ginge, 
Und bleichen würde mir der Glanz der Dinge, 
Verdunkeln würden ſich die hellen Weiten, 
Das Licht verglühn auf meinen Sochaltären. 


Biſt du gleich frei, auch dich umfängt ein Rahmen 
Wie jene, die im Ahnenſaal gefangen, 

Kühl niederblicken auf die raſche Welt. 

Dein Leben war von Mauern rings umſtellt; 

Du biſt niemals den offenen Weg gegangen, 

Den freien Weg, den meine Schritte nahmen. 


So bleibe du und laſſe mich den Fernen. 
Mag unſere Freundſchaft eine Brücke bauen, 
Die feſter werden wird mit jedem Tag. 

Mein Serz hat einen allzu wilden Schlag; 
Ich kann nicht atmen in der dämmerlauen 
Luft deines Parks mit ihren blaſſen Sternen. 


59 


WIE 


Sie trafen fib am Garten, wo die Klänge 
Der Geigen ſich dem ſanften Duft geſellten, 
Den ein Rondel von Rofen und Reſeden 
Entſandte, und wo eine Menſchenflut 

In immer neuen Wellen ſich ergoß. 

Sie gingen ganz verſenkt in die Muſik; 

Der Rhythmus ſchlang ſich wie ein weiches Band 
Schmeichelnd um ſie und führte ſie zuſammen. 
Die Melodie ſchlich ihnen leiſe nach 

Und gab der Stunde ihre eigne Prägung, 
Daß jeder Blick und jegliche Bewegung 

Von ihr umhüllt, in ihr gebettet lag. 

Das Frauenkleid, das weiß herniederfloß 

Und dunkler Haare Dunkelheit vertiefte, 
Schmiegte ſich ſeltſam und geheimnisvoll 

In die Muſik mit ſeiner Falten Schönheit, 
Wie ſanft verhallender Akkord in Moll. — 
So gingen ſie und fühlten, wie die Stimmung 
Der Stunde ſie ſo völlig überwand, 

Daß ſie ſich liebten, wie noch nie im Leben 
Sie je geliebt: wunſchlos und tief und rein. — 
Die Melodie erloſch, man hörte Klatſchen. 
Da fühlten ſie, wie ihnen etwas ſchwand, 
Wie etwas Liebes und unſagbar Zartes 

Von ihnen ging, um nie zurückzukehren. 

Und ſchweigend ging ein jeder ſeinen Weg 
Sie wohnt da unten irgendwo im Land, 
Ihr Mann iſt etwas korpulent und laut 


60 


Und hält Muſik für ſtörendes Geräuſch. 
Er unterrichtet täglich fünfzig Rangen, 
Auch irgendwo in einer fernen Stadt. 
Doch wenn gewiſſe Klänge an ihr Ohr 
Mit der Erinnerung zartem Finger pochen, 
Dann ſtehn wohl beide einen Augenblick 
In ihres Alltags Einerlei und Enge 

Und denken an die Viertelſtunde Glück, 
In Duft gebettet und in Geigenklänge. 


61 


Regen, 


Um mich liegt Stille wie ein fabler Teppich, 

In den der Regen zarte Muſter ſtickt. 

Die bunte Welt iſt ausgeblaßt zu Grau. 

Wohl drängt der Dächer grelles Feuerrot, 

Das laute Grün des frühlingstrunkenen Baums 

Durch die verblichene Webelſymphonie, 

Wie Sörnerruf durch mattes Geigenſpiel, 

Doch kann es nicht den dumpfen Bann zerreißen, 

Der wie mit Stricken bindet, wie mit Stricken! 

Nicht wie mit Eiſenketten, deren Klirren 

Doch Leben kündet; alles Leben ſtarb. — 

Und ſchmerzhaft fühl ich in der weiten Leere: 

Ich werde immer ſo am Fenſter ſtehn, 

Das tränenüberſtrömtem Auge gleicht, 

Und niederſchaun und warten warten 
warden 

Ich werde fo viel viele Leben ſtehn, 

Viel lange Leben, gegen die der Tod 

Ein Farbenrauſch iſt und ein klingend Spiel. 

Da rührt ein Finger goldnen Sonnenſcheins 

Ans Regentor, die ſchweren Tränen ebben. 

Wie eine Knoſpenhülle finft die Stimmung 

An mir herab, und hell entfaltet ſich 


Mir iſt, als könnte ichs mit Händen greifen! — 
So biſt du nun: Ein trübes Wolkenbild 

Kann dich in Tiefen ſtürzen, unergründlich, 
Aus denen dich ein Sonnenſtrahl erlöft. — 


62 


Das Fenſter öffne ich und atme atme 
Indeſſen Frühlingslüfte mich umfchlingen, 
Den ſtarken Duft des Lebens durſtig ein, 

Der ganz durchwirkt vom Dufte der Springen. 


63 


67 


Beichte. 


Glaub, lieber Freund, wenn voller Übermut 
Ich dir erzähle von der Stunden Heiterkeit 
Nicht ganz daran, daß ſie mich ſo beglücke, 
Denn ſieh, die leichte Luſt iſt mir nur Brücke 
Von dumpfer Glut zu unerlöſtem Leid. 


Ein buntes Zittern nur, ein Regenbogen 
Schnell hingemalt, um ſchneller zu verſinken, 
Hineingeſogen voller Saft und Gier, 

Doch wenn die Sinne ſeine Farben trinken, 
Iſt nur ein kleiner Reſt von mir in mir. 


Ich aber brauche dieſen Trug der Stunden 
Als Spielzeug, das mir auf die ſtarre Wand 
Des Lebens ſeine bunten Ringe ſtreut, 

Die grellen Lichter jener Heiterkeit, 

Das leichte Florkleid über ſchweren Wunden. 


Ich brauche dieſes ſchillernde Vergeſſen 

Von Dingen, die ein Leben reich verſchönen, 
Von Freuden, tief und voller Seligkeiten, 
Die alles Leben erſt zum Leben krönen, 
Von höchſtem Glücke — das ich nie beſeſſen. 


Er füllung. 

Nun, da ſie alles Glück von ihm empfangen, 
Rein Tor mehr, das dem Wunſch verſchloſſen ſtand, 
Entglitt fie feiner wundertätigen Hand, 

Die ſanft aus dieſem aufgeblühten Land 

Gewieſen ihrer Sehnſucht ſcheues Bangen. 


Und in den ſchwermutvollen Abendſtunden, 
Da noch der Tag mit blaſſen Lanzen ſtach, 
Sich jäher Laut an ſchwerer Stille brach, 
Sah fie den Spuren ihrer Sehnſucht nach, 
Die keinen Weg zu ihr zurückgefunden. 


Und neue Sehnſucht ging nach altem Sehnen, 
Das ganz verſank in der Erfüllung Schoß, 
Und ihre Schwingen wurden ſtark und groß, 
Sie hoben ſich und ſanken hoffnungslos. — 
Viel taube Mächte tranken ihre Tränen, 


Und jenen haßte fie, der fie erhoben, 

Ihr ſeines Lebens Feſtlichkeit gebracht. 

Sie achtete nicht mehr der neuen Pracht, 

Und fühlte nicht die neuerworbene Macht, 

Den Serrſcherreif nicht, der ihr Haar durchwoben. 


Die eine Welt der Wirklichkeit verdeckten, 
ie bunten Schleier wünſchte ſie zurück, 
en fragenden verhängten Kinderblick, 
er frühen Zeiten unerwecktes Glück, 

Da der Erfüllung Gaben ſie erſchreckten. 


Und war nun einſam, keine Brücken führten 
In jener Lande ſchemenhaftes Sein; 
Verſchloſſen ſtand im fahlen Morgenſchein 
Der Kindheit heiliger unbetretener Hain. — 
Sie aber war im Lande der Berührten 


5 Metz, Neue Gedichte. 65 


Herbſtbetrachtung. 


Nun ſingt der Mund des ſanftern Windes 
Die wegemüde Sehnſucht ein, 

Sie will nicht anders als des Kindes 
Genügfam-ftilles Lächeln fein. 


Die weite Wiege ſchaukelt fachte, 
Die grellen Farben werden mild, 
Und alles, was ſo jäh erwachte, 
Schläft ein und ſänftigt ſich zum Bild. 


Zu Bildern werden helle Stunden, 
Aufſchimmernd noch in mattem Glanz, 
Und junge Blüten, einſt gewunden 
Zum Kranz, verblaffen nun im Kranz. 


Die Tage gehn mit leiſen Schritten, 
Mit ſchnellen Sohlen ſchreiten ſie, 
Was wir erlebten, was erlitten, 
Klingt mit als Wandermelodie. 


Und alles: Bilder, Lied und Schreiten, 
Verſchloſſene Pforte — unſer Ziel — 
Was ſind ſie anders als ein Spiel 
Von unerfüllten Möglichkeiten?! 


Im Herbſt. 


Im bunten Garten, wo die Kinder liefen 
Mit weißen Kleidern um die Raſenrunde, 
Iſt es nun ſtill, als ob die Seelchen ſchliefen 
Und ängſtlich harrten der Erlöſungsſtunde. 


Der Frühling ging mit ſeinen blauen Glocken 

Der Sommer hin mit feinen Rofengiuten, 

Und um der Trauben köſtliches Verbluten 

Schwebt ſchon der Traum von blaffen Winterflocken. 


In dieſe Zeit des ſtillen Rückwärtsblickens, 

Die uns den runden Kranz entgegenhält, 

Wo ſchwere Frucht aus reichen Bäumen fällt, 
In dieſe Zeit des üppigen Erquickens 

Laßt uns den Schmelz von frühen Blütetagen 
Aus der Erinnerung ſtetem Garten tragen. 


5* 67 


Herbſtabend. 


Sieh, wie der Tag ſich heimlich fortgeſchlichen, 
Wie alles Leben in den Schatten ſank. 

Vergoſſen nun der Stunden goldner Trank, 
Erloſchen alle Farbe und verblichen. 

Ein Duften nur blieb in den Lüften ſchweben 
Zart wie der Traum, der unſre Nacht beglückt, 
Ein Kuß von Blumen, der dem Wind gegeben. — 
Sieh, wie der Wald voll milden Ernſtes blickt, 
Ein treuer Vater, der das müde Leben 

Der letzten Blüten feſt ans Serz gedrückt. 

Laß mich die Stirn an deine Schulter preſſen; 
Ich ſehne mich nach warmen Serzensſchlägen, 
Nach einer Stimme, die mich ſanft umſchmeichelt, 
Nach einer Hand, die meine Haare ſtreichelt, 
Nach Armen, die ſich ſchützend um mich legen. 
Laß mich den Tag und ſeinen Glanz vergeſſen! 


68 


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Lear re IF A 


Villenvorftadt. 
Villen, zärtlich ins Grün gedrückt 
Wie Edelſteine in weichen Samt, 
Gärten, duftend, roſendurchflammt, 
Und die Menſchen geſchmückt. 


Alles wie zum Spiele geeint: 
Weiße Kleider und weiße Sand, 
Spiegelnde Teiche, gelber Sand. 
Wer hätte geweint?! — 


Der Glücklichen Stadt, dieſer Winkel der Welt, 
Von Farben bunt, von Düften ſchwer, 

Wo der Frohſinn über den Raſen her 

Eifrig läuft und die Tür aufhält. 


Wo des Lachens Glöckchenſchlag. 
Wo die ſeidenen Haare wehen 
Wo die Stunden mit Kronen gehen 
Wie Prinzeſſinnen durch den Tag. 


Aber es kommt der Winter doch, 

Reißt an des Lebens heißem Rot 
Und dann iſt der Tod, der häßliche Tod 
Wie im ärmſten Süttenloch. 


69 


Nachtomnibus. 
Durch Straßen, die dem Tag entgegengähnen, 
Schiebt ſchütternd ſich der plumpe, braune Wagen. 
Ungleich im Takt dröhnt ſchwerer HZufe Schlagen, 
Der ſcharfe Nachtwind faucht um ſtruppige Mähnen. 


Tief in die Ecke unter der Laterne 

Drückt ſich ein Mann, es fliegen ihm die ſchlanken, 
Verfrornen Glieder bei des Wagens Schwanken, 
Die Blicke irren ziellos in die Ferne. 


Ein Lichtrefley ſpielt jäh auf feinen zügen 

Und zeigt das Elend in den hagern, blaſſen, 

Mit müden Händen ſucht er ihn zu faſſen, 
Regiert von Sinnen, die im Banne liegen. 

Grell aufgeputzt, mit früb-verblaßten Wangen, 
Ein junges Weib — die Straußenfedern nicken — 
Starrt durch das Fenſterglas mit heißen Blicken, 
Aus Furcht gemiſcht und Hunger und Verlangen. 


Ein Pärchen: „Er“ mit Lebemannsmanieren, 
Ein halberwachſner Junge, fahl und ſchmächtig, 
Führt heut zum erſtenmal den Schatz ſpazieren, 
Ein junges Ding, verträumt und übernächtig; 


Der Hufe Klappern weckt ihr Melodien, 
Sie wiegt ſich, halb im Schlaf, auf walzerwellen, 
Die rotgeküßten jungen Lippen ſchwellen, | 
Und ihre runden Kinderwangen glühen. — 
Das ſind die Gäſte, die der letzte Wagen 
Dem ungewiſſen neuen Tag entgegen, 

Um den ſich ſchwere graue Wolken legen, 
Von Arbeit, Luſt und Laſter fortgetragen. 


70 


Ein Salt bald bier, bald da. Fahrkarten fliegen. 


Mit ſteifen Gliedern und umflorten Sinnen 
Sind alle bald dem dumpfen Raum entftiegen, 
Ihr Sauch nur bleibt am Fenſterglaſe drinnen. 


Die Pferde wittern ſchon des Stalles Stroh 
Und traben ſchneller durch die winterrauhe 
Dezembernacht. Woch hebt ſich nicht der graue, 
Lichtarme Tag. Und fort gehts ins Depot. 


71 


Wanderburſchen! 


„Bruder, mit Verlaub und laß dich fragen: 
Wohin ſoll dich deine Straße tragen? 
Willſt du mit in Weite und in Ferne 
Unterm Zeichen guter Wanderſterne, 

Wo für derbe Fäuſte Geld bereit, 
Wo der Segen golden auf die Hoffnung ſchneit? —“ 
„Bruder, nein, mein Weg führt nicht in Weiten, 
Dieſe Straße ſoll mich heim geleiten.“ — 

„Beim in Enge?! ſchon genug geſchafft? | 
Oder brach die Welt dir deine Kraft, 2 
Iſt der Beutel dir ſchon geldesſchwer, | 
Haſt du Feine bunten Ziele mehr?“ — | 
„Meine Füße find nicht lahm vom Gehen, | 
Meine Augen find nicht blind vom Sehen 

Meine Arme ſchmerzen nicht vom Tragen 
Eine Wunde hat man mir gefchlagen, 

Meine Wunde, fo voll wilden Brandes, 

Heilt mir nur die Luft des Heimatlandes.“ — 


72 


Das Schickſals buch. 
Heut kam ich in ein langverſchloſſenes Land 
Und ſah die Dinge einer fernen Zeit, 
Da alle Freuden leuchtend wie Kriſtall, 
Ganz klar und hell und ohne Widerhall 
Von Schmerz, und Schmerzen ohne Bitterkeit. 
Die ſüße Torheit, die aus Bild und Band, 
Aus trocknen Blumen mir entgegenſah, 
KRührte mich fo, daß eine Träne ſank 
Auf dies verſchollene Reich der Mädchenträume, 
Das eine ſeltſam⸗ wunderliche Scham 
Mir zu betreten lange Zeit verſagte, 
Bis ich den Eintritt heute endlich wagte. 


Und ſo ein alter, halbvergeſſener Schrank 
Gab mir auf Stunden, was das Leben nahm. 
Ich fühlte mich den fernen Tagen nah 

Und wanderte durch wohlvertraute Räume. 
Ich ſuchte, fand, erkannte und traf wieder, 
Die ſchmalen Fächer wurden mir zu Wegen, 
Auftönten zaghaft Kleine⸗Mädchen⸗Lieder, 
Es kamen Flüſterworte, leiſes Lachen, 

Im engen Raum begann es ſich zu regen, 
An allen Ecken gab es ein Erwachen. 

Dort ſtanden, bunt in Reihen und gedrängt, 
Die mir von manchem wunderſamen Baum 
Früchte geboten, farbenheiße Blüten, 

Mit manchem bunten Schleier mir verhängt 
Den Blick für eine Welt der Wirklichkeit, 
Halbreifer Sinne Wort gewordener Traum: 
Die Bücher meiner frühen Jugendzeit. 


73 


Ein Sonnenfinger ftreifte ihre Sha 

Und ließ den Goldſchnitt zwiſchen harten Ecken 
Aufſprühn wie feines, blondes Mädchenhaar, 
Er ſpielte über rote Einbanddecken, 

Daß fie wie runde Kinderwangen glühten. 
Und mitten zwiſchen jenen ſteifen Bänden 
Fand ich ein Heft, das auseinanderfiel, 

So oft geleſen waren ſeine Seiten, 

Armſelig lag's und ſchmal in meinen Händen. 
Ich ließ die Blätter durch die Finger gleiten 
Und fand, in einem wunderlichen Stil, 

Ein Tagebuch, von meiner Sand geführt, 
Eh' noch des Lebens Stürme mich berührt. 


Mir wurde warm, die Syazinthen brannten 
In tiefem Rot, ihr Duft lag ſchwer im Raum, 
Und immer tiefer ſank ich in den Traum, 

Den jene engbeſchriebenen Blätter ſandten. 

Ich las und las. Glatt ſchloß ſich Glied an Glied, 
Und eine Kette wuchs, ein Schickſalslied. 
Ich fühlte mich von Schauern jäh erfaßt | 
Und las und las in überftürzter Saft, 
Denn was dort aufgezählt in dürren Worten, 
Ein Niederreißen war es aller Pforten, 

Die mir den Ausblick in die Zukunft ſperrten. 
Das war kein zages, ungewiſſes Glauben, 

Ein Wiſſen war das, kalt und ohne Scheu 
Ward mir ein Weg gezeigt, fernab den Gärten; 
An ſchroffen Gründen führte er vorbei. 

Ich blätterte zurück, bis ich die Stunden 

Der Kindheit fand und ihren ſtillen Glanz, 


74 


Die rundeten ſich wie ein bunter Kranz, 

Den eine mütterliche Hand gewunden. 

Da blühte die zufriedene Kinderzeit 

Mit großen Freuden und geringen Sorgen, 
Dem atemloſen Warten auf das „morgen“. 
Dann halberwachter Sinne Widerſtreit. 

Die Wanderjahre, ihr bewußtes Streben, 
Erfülltes und noch ſehnſuchtsſchweres Leben. 


Und dann die Jahre, die ſo langſam glitten 
Wie Schiffe, deren Segel ſchlaff und leer, 
Hingleiten über unbewegtes Meer, 

Bis ſie ſich mühſam einen Strand erſtritten. 
Und dunkler wurden bald des Rranzes Blüten, 
Bis ſie nur mehr wie tiefe Aſtern blühten. 
Und immer noch und Neues trank mein Blick 
Und ſpähte, wie nach Gold der Sucher ſpäht, 
Im wirren Kranz der Jahre nach dem Glück; 
Das aber war nur ſpärlich eingeſät. 

Schon drang ich zu der Zukunft fernſten Tagen, 
Da kam ein Wort, von Klang fo jäh und ſchwer, 
Als ob ein Tor im Zorne zugeſchlagen, 

Und ich entzifferte kein anderes mehr. 

Dies Wort hieß Untergang, hieß tiefſtes Fallen, 
Es wuchs empor, ſtand drohend über allen. 
Was ich geweſen, was ich bin und werde, 

Dies Wort zerſchlug es, machte alles ſtumm; 
Nicht war es der Willkommengruß der Erde, 
Nicht das Gebot des Todes, wär' es drum! 
Ich hätt' es lieber, wars gleich früh, vernommen, 
gab ich doch manches ſchöne Tal geſehn, 


75 


Und manches Gipfels Herrlichkeit erklommen, 
Ich fürchte nicht das ewige Stilleſtehn; 

Der Tod iſt rein und kann uns nicht betrügen, 
Doch dieſes Wort befleckt, mit bitterm Schmerz 
Stößt es den Zweifel an ſich ſelbſt ins Herz: 
„Seit du bewußt lebſt, lebſt du nur in Lügen!“ — — 
Ich warf das Buch, ein giftiges Reptil, N 
Fort, daß zerflatternd es in Fetzen fiel. N 
AN und hob den Kopf. Ein breiter Teppich lag | 
Verſchwenderiſche Sonne mir zu Füßen, | 
Jart an die Fenſter klopfte erſtes Grün, | 
Viel heimgekehrte Vögel ſah ich ziehn | 
Und hörte ihren Ruf die Heimat grüßen. | 
Schwer noch durchdröhnte mich des Herzens Schlag, 
Noch fand ich mich im Bann der Traumgewalten, 
Die mit des Tages reinem Lichte rangen, l 
Woch ſah ich die verzerrten Schreckgeſtalten, | 
Die Worte hört' ich, die wie Schwertftreich klangen. — 
Du kleines Buch, wer hat dich mir gefender? ... 
Du gabſt mir mehr als lächelndes Vergnügen. b 
„Seit du bewußt lebſt, lebſt du nur in Lügen!“ 4 
Iſt das denn Wahrheit, die im Traum mir ward, 
Iſt Lüge meines Weſens eigene Art, 

Hab ich mich an das Schlechte fo verſchwendet, 
Hab ich dem blinden Truge nur gelebt, 

Ich, der die Wahrheit oberſtes Gebot? !!. 
Dann komm und leite mich von hinnen, Tod! 
Dann haſt du dies Gebilde falſch gewebt, 

Du, der da irgendwo, jenſeits der Welt, 

Die bunten Fäden in den Händen hält. 


76 


Dann weiß ich nicht, was Wahrheit ift, was Schein, 
Dann kann ich keine Grenze mehr ermeſſen, 

Dann weiß ich nicht, war jene Jugend mein, 

Hab ich fie nur als Wahngebild beſeſſen?? .. — 


Nein .. . nein ... — Ich ſtrich die Haare raſch 
zurück, 

Die mir, tief ſchattend, auf die Augen fielen. 

Die Wirrnis ſchwand, das neuerlebte Glück 

Der Jugend blieb mit Torheit, Tanz und Spielen; 

Die Dinge blieben, die die Hand berührt 

Und lagen, von der Sonne leicht geſchmückt. 

Und alle Zweifel waren mir entrückt. 

Doch träumend hab ich einen Hauch verſpürt 

Der Macht, die unbegriffen ungemeſſen 

Das uns Verborgene zum Leben führt. 

Und jenes Traumes werd ich nie vergeſſen. 


EN 


78 


Der Narr. 


Es lief ein Narr am hellen Tag 
In wunderlichen Träumen hin, 
Der ſuchte eine Königin, 

Die ihm als Weib im Sinne lag. 


Er ſchlief in ſeinem reichſten Kleid, 
Daß, wenn die Nacht ſie ihm gebar, 
Er gleich im beſten Staate war, 
Zu Spiel und Feſtlichkeit bereit. 


Oft blieb er tags am Wege ſtehn 
Und achtete der Frauen gut, 

Da ging ſo manches junge Blut 
Wohl königlich und blumenſchön. 


Er aber ſchürzte nur den Mund 
Und ſank zurück in ſeinen Traum. 
Die Arme warf er um den Baum, 
Die junge Buche, ſchlank und rund. 


Und wartete wohl Jahr um Jahr, 

Die Frauen ſchritten her und hin 
Doch nie, daß eine Rönigin 

In ihren lichten Reihen war. 

Sein braunes Haar, ganz weiß verſchneit, 
Kein Prunkgewand die Lumpen mehr. — 
Die Frauen glitten hin und her 

Und hielten nur noch Spott bereit. — 
Und einmal kam die Hohe doch! 

Nur, daß ſie keine Krone trug, 

Kein Purpurmantel Falten ſchlug, 

Ihr Bettelkleid trug Loch an Loch. 


Sie ging ſchon lang auf feiner Spur 
Und nahm, als er nun arm und lahm, 
Die Hand, die keine andre nahm, 

Und wollte nichts als dienen nur. 


Demütig liebend ſie erriet, 

Was nie ſein Mund mit Worten ſprach, 
Nur leuchtend aus den Augen brach! 
Des Narren ungeſungnes Lied, 


Der Dichterſehnſucht hohes ziel, 
Das ſich in ſcheuer Narrheit barg, 
Sah unter Lumpen fahl und karg 
Der Seele reichbewegtes Spiel. 


Und ward nun ſeinem Fiebertraum 
Die Königin voll Glut und Glanz, 
Sie führte über Spiel und Tanz 
Ihn an des Lebens letzten Saum. — 


Und als er arm in Schmerzen lag, 
Wie war ſein Leben hell und weit: 
Ein Rönigskleid fein Sterbekleid, 
Die Sterbeſtunde — Krönungstag. 


79 


Drinzeffin. 
I. 


Als mein Fuß noch unter ſamtnem leide ging, 
Als mein Singer trug des Hauſes Wappenring, 

Als mir noch der Rronreif in den Locken ſaß, F 
Der gelbe Wein mir duftete aus einem zarten Glas, 
Als ich im hallenden Saale noch ging her und hin, 
Wer ich wohl fröhlicher, als ich jetzt es bin. — 
Kalt iſt der Stein, darauf mein Fuß ſich ſetzt, 
Alt iſt mein Kleid, gebleicht und ſehr zerfetzt, 


Meine weißen Hände find nun riſſig und rot.... —— 
Meinen toten Liebſten ſie ſchlugen ihn mir 
tot. Tee F 


Der König läßt mich ſuchen in feinem ganzen Land, - 
Seine Boten ritten an mir vorbei, fie haben mich 
nicht erkannt. \ 

Das kommt: meine Augen leuchten nicht mehr wie 
einſt zu Haus, 1 

Alle die ſchwer⸗feuchten Tränen löſchten ihr Glänzen F 
aus; ö 

Und meine jungen Lippen haben kein Blühen mehr, 
Und meine tanzenden Schritte, die wurden fo ſchwer. — 
meines Vaters Beten und Fluchen hilft nicht meiner 
. 1 

Mögen fie reiten und ſuſß er — 
meinen Liebſten ſchlugen fie tot. — 

Er trug nur ein Wams aus Leder, fein Sandſchuh 
war nicht fein, 

Aber ſeine Spielhahnfeder lachte im Sonnenſchein, 
Alles lachte und glühte und war von Sonne ge | 
tr.. 


80 


Er war wie die köſtliche Blüte, die aus finfteren 
Dornen drängt. — 

Im Sofe ſtanden die Wachen, wie Bäume, dunkel 

und ſch wer 


Einmal noch hört ich ihn lachen dann nicht 
mehr. Sara 

Meines Vaters Beten und Fluchen, fein königliches 
Hege 1 2 


Mögen fie mich ſuche n Meinen 


II. 


Nun irre ich ein Jahr im Land 

Und kann nicht Ruhe finden — 
Geſtern hat man die junge Sexe verbrannt, 
— Ich habe ſie wohl gekannt — 

In allen ihren ſüßen Sünden. 


Sie fagte: „Du mußt zu Hofe gehn 
Und den Purpur um dich ſchlagen, 

Du wirft den König dir zu Füßen ſehn, 
Das macht dein Leid nicht ungeſchehn, 
Aber leichter zu tragen. 


Er ſucht dich immer, er liebt dich ſehr, 

Sein Serz iſt faft gebrochen; 

Kehrſt du wieder, ſpricht er kein Urteil mehr 

So todesſchwer; 

Auch mir wird es nicht geſprochen.“ — 

Ich gab ihr die Hand zum heiligen Eid. 
Und konnte ihn nicht erfüllen. 

Geſtern im Frühlicht — man ſah es weit — 

Zell brannte ihr Kleid, 

Und die Menge hörte man brüllen. — 


Metz, Neue Gedichte, 8] 


Ich weiß, was ich will, ich weiß, was ich tu | 
Ich kenne die heimliche Türe, 

Niemals ſchloß fie der Burgvogt zuuu 
Dann find' ich Ruh, 

Wenn ich ſelber die Flammen ſpüre. 


Dann kehrt meinen Augen zurück der Glanz, 
Mein Blut wird nicht mehr ſtocken, 

Meine Schritte lernen wieder den Tanz, 
Ein roter Kranz 

Flattert aus meinen blonden Locken. 


III. 
Das Schloß zu Aſche, der König erſtickt 
In ſeinem ſeidenen Bette. 
Man hat die verlorene Prinzeſſin erblickt 
Mit einer brandroten Kette. 


Sie ſchlang die Bette um Sof und Palaſt. 
Da fprangen die roten Roſſe, 

Da haben ſie die Prinzeſſin erfaßt, 

Da raſten ſie weiter zum Schloſſe. — 


Nun weint das Glöckchen, die Glocke ſchreit Sturm, 
Das Land liegt auf den Knien. | 
Nur der Wachtturm, der eiſenſtarke Turm, 
Sah die Rotroſſe vorüberziehen. 


82 


Die Rinder. 


Wenn fo die Kinder mich umſchmeicheln 
Fühl ich mich immer tief bewegt; 

Dann muß ich ihre Köpfchen ftreicheln, 
Um die ſo wirr die Locken fallen, 

Und ſchaun, ob keines unter allen 

Den fremden meine Züge trägt. 


Das iſt ein ſeltſames Verlangen, 

Ein waches Träumen nur, ein Spiel, 
Und hält mich doch ſo ganz gefangen, 
Es drängt mich wider meinen Willen, 
Das blinde Wünſchen zu erfüllen 

Und weiß, ich finde doch kein ziel. 


Dann muß ich mit den Kindern tollen 
Um Raſenrunde, Strauch und Baum, 
Dann ſpielen wir die wundervollen 
Die wilden Spiele, die ſo reizen 

Kraft zu verſchwenden, nicht zu geizen 
Mit Übermut, dann ſtirbt der Traum. 


Und wenn zuletzt vom tollen Haſten 

Wir müde lehnen Bruſt an Bruſt, 

Um ſtill vom Spiele auszuraſten, 

Da drängen Hoffen, Wunſch und Träume 
Sich mir zum Bild. Im Bann der Bäume 
Verſtummt die laute Binderluft. 


Und in geheimnisvolle Tiefen 
Steig ich und öffne weit das Tor 
Und wecke Märchen, die dort ſchliefen. 


86 


— Und rings erregtes Atemholen — 
Und leiſen Schritts, mit ſeidnen Sohlen 
Steigt all der bunte Prunk empor. 


Und plötzlich auf den jungen Zügen 

Der fremden Kinder um mich her 

Seh ich — die eigne Seele liegen 

Die Worte wollen mir verſagen, 

Doch all die großen Augen fragen 

Die warmen Lippen betteln: „Mehr!“ 


Da muß ich mich den Bitten beugen, 
— Und enger drängt ſich Kind an Rind — 
Und weiter rauſcht der Märchenreigen. 
Und wie ſie ganz mir hingegeben, 

Ihr Leben pocht in meinem Leben, 
Fühl ich aus ihrem heißen Schweigen 
Wie ſehr ſie meine Kinder ſind. 


Frühlingsdiebe. 


In den kleinen Gärten flammen 
Alle Sträuche, goldbehängt. 

Vor den Gärten, dicht gedrängt, 
Stehen Kinder eng beiſammen. 


Und ſie ſehn mit großen Blicken 
Und ſie zittern vor Begier 

Und ſie betteln: „Dürfen wir 
Nicht die ſchönen Blumen pflücken?“ 


Denn ſie haben wohl empfunden 
In dem neuen Frühlingsglanz, 
Daß ſie, wie in rundem Kranz, 
Allem Blühenden verbunden. 


Doch fie wollen engſte Nähe 

— Schonen kennt nicht ihre Sand — 
Wie ſie greifen Bild und Band: 
Nicht genug, daß ich dich ſehe! — 


Wollt ihr eure Blumen hüten 

Schließt nur feſt das Garten tor 
Und ſie brechen doch hervor 

Sich zu einen: Kinder, Blüten. 


Sollen ſie die Luſt bezähmen, 

Die ſie zueinander drängt?! 

Laßt die Diebe, laßt fie nehmen, 
Wenn die welt voll Blüten hängt! — 


Hans Chriſtian Anderfen und die 
Rinder. 


Er gab der welt — im Spiel — die ganze Welt 
Und feine Seele, gab fein Herz dazu 

Und legte es in hilflos kleine Hände. 

Die trugen dieſes überreiche Pfand 

Als Spielzeug lächelnd in die Kinderſtube 

Und ahnungslos, was alles ihnen ward. 

Sie nahmen ſeinen Reichtum gern entgegen | 
Und gaben ihm dafür: fie gaben fich, - 
Ihre Soldſeligkeit, ihr zartes Blühen, | 
Ihr Jungſein, ihrer Augen großen Glanz, 5 
Den ſchnellen Serzſchlag und der Wangen Glühen, 
Des Atems Beben, ihr erregtes Blut. 1 
Sie gaben all ihr unberührtes Gut 

Als edelſten ihm und als erſten Kranz. 

Sie kamen innig ſich und ſtill entgegen 

Wie Klang und Lauſcher ſich entgegendrängen 

Und blühten ineinander. — 

Feſtgeblüht iſt er in uns ſeit frühen Kindheitstagen, 
Die er erfüllt mit lieblichſten Geſängen. 

Wie wir ihn alle noch durchs Leben tragen 

Den einzigen Ton, der niemals ganz vergeſſen 
Zuweilen aufklingt, wenn zu ſtiller Raſt 

Wir aus dem Alltag eine Stunde retten. 

Dann ſitzen wir als Kinder im Palaſt 

Und ſchmücken uns mit ſeinen bunten Ketten, 

Die uns zu Schätzen werden, unermeſſen. 


88 


Die künſtleriſche Puppe. 
Mein Kleid iſt wundervoll und die Friſur erleſen. 
Ich bin ein künſtleriſch empfundenes Puppenweſen; 
Ein feines Spielzeug nur, doch ſoll ich mehr bedeuten. 
Im Glashaus ſtehe ich, geſehn von vielen Leuten, 
Ganz reglos ſteh ich ſo in ſtarrenden Brokaten, 
Der Ausdruck des Geſichts, ſagt man, ſei wohlgeraten. 
Der Ausdruck des Geſichts iſt keines Künſtlers Mache, 
Sehr ernſthaft blicke ich, er wollte, daß ich lache; 
Ich aber lache nicht, mein Schickſal drückt mich nieder: 
Denn meine Seele lebt, gebannt nur ſind die Glieder. 
Ich ſchäme mich ſo tief vor großer Leute Blicken, 
Ich ſehne mich ſo heiß nach kindlichem Entzücken, 
Nach kleinen Fingern, die, derb ſtreichelnd, mich 
zerſtören; 

Nicht Kunſtkritik will ich, nur Roſenamen hören. 
Ich haſſe dieſes Glas, das mich vom Leben ſcheidet! 
Wie brennend hab ich ſchon den Hampelmann beneidet 
Der angepreßt und warm in Kinderarmen ſchaukelt, 
Vor Kinderaugen toll am dünnen Faden gaukelt; 
Viel ärmer bin doch ich in meinen Prachtgewändern, 
Dem hochtoupierten Haar, den buntgewirkten Bändern. 


Br, dWes Geſſcch e 


1 Und daß ſo gar nichts fehle 
Ich armes buntes Nichts 


89 


Der Gymnaſtaſt. 


Seine Seele iſt ſchön, ſeine Ohren ſind groß, 

Die Gberlippe noch hoffnungslos. 

Wie Rohr im Winde ſchwankt ſein Gang, 

Die Arme ſind für die Armel zu lang, 

Das Antlitz iſt blaß, die Mütze rot. 

Trifft er ſeine Schweſter, ſchämt er ſich tot. 

Sehr fleißig iſt er — beim Tennisſpiel, 

In der Schule weiß er nicht viel; 

— Das ſind bekanntlich die größten Lichter — 
Außerdem: er iſt lyriſcher Dichter, 
Aber natürlich die ſtumpfe Maſſe!l . 

Auch iſt er rieſig beliebt bei der Klaſſe, 

Man ſucht, ihn in Mathematik zu ſtützen, 

Und darf dafür ſeine Muſe benützen: 

Indem man unter eigenem Namen 

Seine Verſe ſchickt an „betreffende“ Damen. ö 
Ihm ſind die Weiber gänzlich Wurſt, 
Er kultiviert um ſo mehr den Durſt, b 
Geht öfter mal ſeitlich ans Rognakſpinde 
Und gießt ſich nen Kleinen hinter die Binde. 
Sein Vater wundert ſich immer ſehr 

Ob des KRonſums von feinem Likör, 
Aber das iſt dem Alten ganz recht, . 
warum ſchließt fein Extra⸗Schlüſſel fo ſchlecht?! 
Daß die Mädels ſämtlich in ihn verknallt | 
Iſt ihm „höchſt pipe“ und läßt ihn kalt; 
Und weil er fie von oben behandelt, 

Hätt manche ſchon gern mit ihm angebandelt, 
Doch er, reſerviert bis auf die Knochen, 


90 


0 
5 
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Hat keiner noch was Ernſtes verſprochen, 

Weder „fpätere Heirat“, noch „ewige Treue“, 

Er kennt den Schwindel und dankt für die Reue. 
— — — Des Abends, fo zwiſchen ſechs und ſieben, 
wenn er getrennt von ſeinen Lieben 

Einſam auf ſeiner Bude ſitzt 

Und vermeintlich über dem Cicero ſchwitzt, 

In Wahrheit ſich auf dem Sofa dehnt, 

Dann wird geträumt und ſich geſehnt 

Nach allem wahrhaft Hohen und Edeln, 

Nach viel was Beſſerm als nach Mädeln. 


Und es kommen mit der Abendröte 


Die Herren Homer und Ibſen und Goethe, 
Schiller und Sauptmann, Seine und Kleiſt 

Und viele andere Ritter vom Geiſt. 

Langſamen Schrittes naht ein jeder 

Dem Sofa mit dem ſchäbigen Leder, 

Dem Jüngling mit dem korrekten Kragen, 

Und alle haben ihm etwas zu ſagen. 

Er horcht und horcht, es brennen die Wangen 
Und auf einmal . .. da find fie wieder gegangen. 


Ein leiſes Summen noch und Singen, 


Noch ein verworrenes Rhythmenſchwingen 
Das Dunkel iſt da, die Stube leer. 


Nun muß die brennende Lampe her. 


Er klingelt wie raſend: „Minna, Licht!“ — — — 
— — „Der Junge tut doch ſo brav ſeine Pflicht, 
Hockt immer da oben und ſchreibt und ſchreibt 
Wenn der dieſes Jahr wieder ſitzen bleibt!“ 
Seufzt die Mama. Die Schwefter lacht, 

Sie hat jüngſt den Papierkorb mal rein gemacht. — — — 


91 


Und oben über den friſchen Bogen 
Konzeptpapier kommt es daher gezogen 

Von Goethe und Schiller, Heine, Homer, 

Von Alten und Neuen kommt es daher, 

Und wer den Dichter nur inſpiriert, 

Wird jetzt zum Dank „auf neu“ faſſoniert. 

Es wird ein etwas buntſcheckiger Strauß, 
Guckt jede Patengabe heraus, 

Aber viel Eigenes iſt auch dabei: 

Die Interpunktion, die nicht einwandfrei, 

Die Metrik, der Stil und die Grthographie; 
Aber alles in allem: es iſt Poeſie. 

Die Wangen brennen, die Augen blitzen 
Die Tiſchdecke trinkt viele Federſpritzen 
Laut pocht des vollen Herzens Schlag. — — 
Und vor den Fenſtern ſtirbt der Tag, 

Die Nacht deckt ihre dunkle Sand 

Über das ſtillgewordene Land. 

Aber hier drinnen tagt es fo hell!. 

Nur drüben auf dem Büchergeſtell 

Der Cicero! ... — und Gſtern iſt nah — 

Und das Mathematikbuch, das ſteht auch da 
Und die Phyſik und der ganze Schmarrn! — 
Ach was! Da drunter ſtehn die Zigarrn, 

Die man ratenweiſe dem Alten geklommen, 
Der immer meint, daß ſie Minna genommen. 
Der Abend iſt lang, man ochſt noch genug! 
Und wo man jetzt gerade fo ſchön im Zug... 
Man fühlt fo viel Hoheit und Seelenadel 
Morgen gibt's ſowieſo nen Tadel, 

Und der „Bonze“ zetert zu öfteren Malen: 


92 


„Laſſen Sie ſich's Schulgeld wieder zahlen! 

Ich arbeite lieber mit Ackerpferden! 

Mit den Kenntniſſen können Sie Müllkutſcher 

werden!“ — 

Da lächelt man, verbeugt ſich und ſchweigt. 

Aber dann „eines Tags,“ da hat ſich's gezeigt! 

Da wird es dem „Bonzen“ fürchterlich klar, 

Was an dem vermeintlichen Müllkutſcher war. 

Da kommt er ſchmeichelnd und ganz ergeben: 

„Sie hatten immer ſolch ſchönes Streben, 

Waren der Eifrigſte von der Rlafie” . . . . 

Und dann quaſſelt er noch 'ne ganze Maſſe 

Von „wahrhaft ſittlichem Betragen“ 

Da wird man kaltlächelnd „Müllkutſcher“ ſagen. — — 

So träumt der Dichter. Die blauen Ringe 

Der „Echten“ umrahmen künftige Dinge: 

Ruhm, Reichtum und Ehre. . . . da klingelt's zum 
Eſſen, 

Und Reichtum und Ehre und Ruhm ſind vergeſſen. 

Man wäſcht ſich die Tintenfinger in Haft 

Und iſt nur noch „hungriger Oymnaſiaſt“. 

Von Soheit, Größe und Seelenadel 

Bleibt eins gewiß nur: morgen der Tadel. 


93 


So Anfang Mai. 


So Anfang Mai, zwiſchen ſechs und acht, 
Wird der Dämmerungsbummel am liebſten gemacht. 
Da ſtehen die langen Primaner beiſammen 

Und warten voll Spannung auf die „Flammen.“ 
Der Stock bohrt an blinkenden Stiefelſpitzen, 
Grell leuchten grüne und rote Mützen, 

Und über der Weſte die farbenſatten, 

Selbſt ausgeſuchten Frühlingskrawatten. 

Und was für hübſche Madel fie hat 

Dieſe Provinz⸗ und Mittelſtadt! 

Die Blonde da und die Braune daneben! 

Auf keinem Pariſer Boulevard 

Findet man ein hübſcheres Paar; 

Sie haben zwar keinen Pariſer Schick, 

Dafür ſind ſchon die Taillen zu dick, 

Aber Leben haben ſie, friſches Leben! — 

Die Primaner murmeln „patent“ und „famos“! 
Sogar ein Leutnant fagt „tadellos“! 

Doch an Primanern und Militär 

Schlendern die beiden achtlos her, 

Sie ſind beſcheiden, ihr Sehnſuchtsziel 

Sitzt in Sekunda und weiß noch nicht viel; 
Das macht nichts, „er“ will ja zur Bühne gehn, 
Iſt „rieſig begabt” und „blendend ſchön“! 

Die beiden lieben zuſammen den einen, 

Aber jede denkt, er liebt nur ſie, 

Und jede iſt glücklich von den Kleinen. — — 
An der Ecke beim Schlächter ſteht Marie, 
Redet und redet, das will nicht enden! 


94 


An ihren derben, roten Händen 
Ziehn Willi und Suſi: „Wir wollen nach Haus!“ — 
Der Sandmann hält ſchon ſein Säckchen bereit. — 
Da kommt die Minna vom Schlächter heraus: 
„Nein, dieſer Geſelle iſt nicht geſcheit!“ — — 
Und die „Schätze“, die neuen Hüte, der Lohn, 
Die Serrſchaft, das Fräulein, der große Sohn. . » » 
Das geht, als wenn man die Kurbel dreht. — 
„Adjüs nu aber!“ — — „Himmel wie ſpät!“ — — 
Ein leiſer Wind ſchwenkt die Fahnen des Mai, 
Die auf zartem Blau weiß-rofig ſchwanken, 
Er fährt der ehrwürdig⸗grauen Baſtei 
In die friſchgrünenden Efeuranken. 
Sein duftender Hauch durchweht die Gaſſen, 
Läßt heiße Herzen noch heißer ſchlagen; 
Vor Übermut kann ſich der eine nicht laſſen, 
Dem andern wird's eng und bang hinterm Kragen, 
Er blickt fo blöde, dabei fo beglückt! 
Der Schutzmann denkt: Die ſind alle Veirhche! 
Stehn mitten im weg auf dem Straßendamm, 
Grad zwiſchen den elektriſchen Schienen 
Da kommt der Landrat, da ſteht er ſtramm, 
Der war ſein Leutnant damals beim Dienen. 
Damals wars fein! Auch grad mal im Mai. 
Da! . . Iſt der Radler doch wieder vorbei, 
2 immer noch keine Klingel hat! — — 
weiches Dämmern umfängt die Stadt. — 
Und es ſchlendert, lacht und liebt im Chor. 
Jeder Weg hat ſein goldenes Tor, 
Daran in Rieſenlettern, breit: 
„Eingang zur Jugendſeligkeit.“ — 


95 


EISEN 2 
Su Fe 


Der Oberlehrer ſenkt den Blick, 

Er will ſeine langen Jungen nicht ſtören, 

Garnichts ſehen und garnichts hören, 

Damit er ihnen den Tadel erſpare; 

Er denkt zurück ſo an zwanzig Jahre, 

Dreißig Jahre denkt er zurück. 

Hat auch mal die alten Griechen umgangen, 

Ließ ſich locken von blonden Zöpfen, 

Wenn der Mai zu blühen angefangen. 

Seine Schüler laſſen ſich für ihn köpfen. — — 
Zwei Mütter ſind weniger erfreut: 

„Was ſagen Sie bloß?! Nun ſehn Sie doch mal!“ — 
„Wahrhaftiger Gott, es iſt ein Skandal! 

Wenn ich bedenke zu meiner Zeit! 

Jetzt muß ich aber fürs Abendeſſen“ .. — 

„Ach ja, und ich muß zum Mittag morgen“ — 
Und haben vor lauter Alltagsſorgen | 

Den Mai und die eigene Torheit vergeflen. — — — — 
Zögernder Abend. Ein helles Rund 5 
Von Sternen funkelt zur Erde nieder 
Wie eine Krone auf blaſſem Grund. — 
Und Straßen hin und Straßen wieder 

Paare: fünf noch vier nur zwei 
Jungen und Mädel — fo Anfang Mai. —— — 


96 


Berufswahl. 


„Du, Tante, nich, wenn ich Kaiſer werde 

Krieg ich hunderttauſend Soldaten und Pferde 

Un 'ne Menge Fahnen und Kanonen 

Un kann immerzu in drei Schlöſſern wohnen?! 

Un Sonntags — paß mal auf — das wird fein! 

Da lad' ich die anderen Kaiſer ein, 

Un dann fahren wir alle zuſammen aus, 

Un dann ruft die Wache vor uns heraus, 

Un immerzu eſſen wir Schokolade. 

Un nachher, da is denn große Parade, 

'ne ertrafeine mit Federbüſchen, 

Un 'ne Menge Schutzmänner find dazwiſchen, 

Aber von anderen Leuten keine, 

Die Parade is bloß für uns Raifer alleine. 

. — — — — 

„Ja, mein Fritzel, nun hör mich mal an: 

Der Raifer iſt aber ein ſehr feiner Mann, 

Der darf niemals im Leben „Schafskopf“ ſagen, 

Hat auch nicht das kleinſte Fleckchen am Kragen, 

Steckt die Hände nicht in die Hoſentaſchen 

Und läßt ſich den Hals und die Ohren waſchen. 

Und, denk nur mal Fritzelchen — hu mir graut! — 

Wenn deine Untertanen erführen, 

Daß Majeſtät an den Nägeln kaut 

Sie ließen ſich nicht mehr von dir regieren.“ — 

„Gch, meinſte? Un ſag mal, fo Majeſtäten, 

Die dürfen wohl auch nicht Pfützen austreten?“ — 

„In Schmutzwaſſer patſchen, von „Nopf zu Fuß 
naß“? 5 

„Nein? Denn macht mir Raiferfein gar kein Spaß! 

Was ſoll ich denn mit Soldaten und Pferden?! 

Denn will ich man lieber Töff⸗Töff⸗Kutſcher werden.“ 


7 metz, Yeue Gedichte. 97 


Schwindellieſe. 


„Was ich aber heute geſehn!“ 

„Was denn?“ „in Löwen, und der blieb ſtehn 
Un“ .... „Aber Lieſe, du ſchwindelſt ja wieder!“ — 
Schlägt die Lieſe die Augen nieder, 

Und ein bißchen zuckt's um den Mund — 

„Och nee, der Löwe ... das war ja 'in Hund.“ — 
„Na ſiehſt du wohl, du Schwindelmamſell! 

Nun bitte den lieben Gott nur ſchnell, 

Daß er das häßliche Lügen verzeiht; 

Mit Schwindeln und Lügen kommt man nicht weit.” — 
Am andern Morgen, wer ſteht denn da? | 
Liefe im Semdchen. „Siehſte, Mama, 

Der liebe Sott, un der hat geſagt, 

Als ich'n um das Schwindeln gefragt: N 
Macht nix, mein Kind, ſo was ſieht man ſehr ſchwer, 
Ich dacht auch zuerſt, daß es 'n Löwe wär.“ 


98 


EEE a =, 2 


r * 


7 * 


Kulant. 


Du, Mutti, wenn ich Konditor bin 

Un du kommſt mal nach meinem Laden hin, 
Denn ſag ich: „Sie dürfen von jedem Kuchen 
Sich die allergrößten Stücke ausſuchen.“ 

Un denn freu ich mich, wenn du ordentlich ißt. 
Aber wenn du denn fragſt, was du ſchuldig biſt, 
Denn ſag ich: „Sie haben's ja nich beſtellt, 


Überhaupt von Ihnen nehm ich kein Geld, 


Das behalten Sie alle man ruhig da, 
Sie waren ja früher mal meine Mama.“ 


Lied des Närrchen. 


(Aus dem Märchenſpiel „Den Rönig drückt der Schuh“.) 


Joo 


Fiel ein Krönlein in den See, 
Rief der Königsſohn: „G weh! 
In den Wellen 

Wird zerſchellen 

Meine goldne Krone!“ 


Ward das Serzlein ihm fo ſchwer, 
Plumps! Da fiel es hinterher, 
Trieb mit hellen 

Silberwellen, 

Sein rot rotes Herze. 


Stand ein Mädel an dem Strand, 
Weißen Fuß im gelben Sand, 
Seufzer hallen 

Seufzer ſchallen 

Hörts um Herz und Krone. 


War dem Rönigsſohn fo gut 
Huſch, da ſprang es in die Flut 

Und aus hellen 

Silberwellen 

Reichts ihm Serz und Krone. 


Hat er beides unverweilt 
Zwifchen ſich und ihr geteilt: 
Dir ein Stück, 

Mir ein Stück 

Herzelein und Krone. 


Lied des Lehrbuben. 
(Aus dem Märchenſpiel „Den König drückt der Schuh!.) 


Ein alter Ni- Na- Nußbaum ſtund, 
In meines Vaters Garten; 

Die Nüßlein waren kugelrund, 

Ich wünſchte ſie in meinen Mund 
Und konnt es nicht erwarten. 


Flink nahm ich einen Sti Sta — Stock 
Und zielte nach den Zweigen. 

Da ſah ich meines Vaters Rock 

Und kriegte bald ein ganzes Schock — 
Nicht Müſſe, aber Feigen! 


Viel Feigen auf das J— A- Ghr, 
Hei, fing das an zu klingen! 

Auch ſang des Vaters ſpaniſch Rohr 
Noch einem andern Teil was vor, 
Da konnt ich aber ſpringen! 


Steht jetzt nach Nüſſen mir der Sinn, 
Tu ich geduldig warten 

— Dieweilen ich gewitzigt bin — 

Bis ſie der Baum wirft ſelber hin 
In meines Vaters Garten. 


101 


Die Rinder und ich. 


Es iſt ſonderbar: 

Geh ich an einem Kind vorbei, 

Lachen wir immer alle zwei. 

Sitzen wir uns in der Bahn gegenüber, 
Reichen wir immer irgendwas 

Uns zum Spaß 

Hinüber — herüber: 

Eine Fahrkarte, ein Reklameblatt, 

Was man ſo grade bei ſich hat; 

Beugen uns vor von unſerm Platz, 

Reden wohl auch mal einen Satz, 

Und wenn der eine den andern verläßt, 
Halten wir uns noch ein bißchen feſt: 

An der Hand, am Schirmknopf oder am Kleid, 
Haben meiſtens nicht viel Zeit, 

Denn die andern, die noch dabei, 

Merken gar nichts, nur wir zwei. 

Dann winken wir uns noch von weitem zu: 
Du! adiegß 

Morgen vielleicht! ... oder übers Jahr!. — 
Es iſt wirklich ſonderbar. | 


102 


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Dies Buch wurde gedrudtinder 
Piererſchen Hof buch druckerei i. 
Altenburg S. A. für den Verlag 
Wilhelm Borngräber Berlin. 
Den Einband lieferte die Buch— 
binderei C. Alb. Kindle, Berlin 
nach Entwürfen des Verlegers 


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